Der Apostolische Stuhl 1982 Ansprachen, Predigten und Botschaften des Papstes Erklärungen der Kongregationen Vollständige Dokumentation Libreria Editrice Vaticana • Verlag J. P. Bachem CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Ecclesia Catholica / Curia Romana: Der Apostolische Stuhl. . Ansprachen, Predigten u. Botschaften d. Papstes, Erkl. d. Kongregationen; vollst. Dokumentation / Hrsg.: Sekretariat d. Dt. Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit d. Red. d. dt.-sprachigen L’Osservatore Romano. -[Cittä del Vaticano]: Libreria Editrice Vaticana; Köln: Bachem Erscheint jährl. Forts, von: Weg und Weisung 1982 (1984)— NE: Ecclesia Catholica / Papa:; HST ISBN 3-7616-0743-1 Printed in Germany Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit der Redaktion des deutschsprachigen L’Osservatore Romano Verlag: J. P. Bachem, Köln, und Libreria Editrice Vaticana Druck: J. P. Bachem, Köln Foto: KNA-Pressebild Vorwort Der vorliegende Band ist eine vollständige Dokumentation aller Äußerungen des Papstes aus dem Jahre 1982. Hinzugefügt sind die Verlautbarungen der Kongregationen. Das umfangreiche Stichwortverzeichnis macht es möglich, jede gewünschte Stelle schnell zu finden. Gleichzeitig kann diese Dokumentation wegen ihrer übersichtlichen und chronologischen Gliederung auch als ein „Lesebuch“ benutzt werden. „Der Apostolische Stuhl“ (DAS) erscheint künftig zu Beginn eines jeden Jahres für das zurückliegende Jahr. Er löst das bisher im Verlag Butzon und Bercker erschienene Werk „Wort und Weisung“ ab. 5 Inhaltsverzeichnis I. Ansprachen bei den Generalaudienzen und beim Angelus Januar „Der Herr schenke dir Frieden!“ Angelus am Neujahrstag 35 Gewalt gegen Gewissen ist schlimmer als Mord Angelus am 10. Januar . 36 Mensch sein in „der anderen Welt“ Generalaudienz am 13. Januar 38 „Gott schenkt jedem ein Zuhause“ Angelus am 17. Januar 42 Was wir im Glauben gemeinsam haben Generalaudienz am 20. Januar 44 Die Schöpfung nach dem Sündenfall Generalaudienz am 27. Januar 47 Polen vor das Gewissen der Welt gestellt Angelus am 31. Januar 51 Februar Offenbarung der letzten Bestimmung des Menschen Generalaudienz am 3. Februar 53 „Anthropologie der Auferstehung“ Generalaudienz am 10. Februar 56 Übergang zur „afrikanischen Kirche“ Generalaudienz am 24. Februar 59 Friedensappell für El Salvador Angelus am 28. Februar 64 7 März Ehelosigkeit - eine Art Ausnahme Generalaudienz am 10. März 66 Zeit, die Gewissen wachzurufen Angelus am 14. März 69 Privilegiert von der Offenbarung Generalaudienz am 17. März 71 Wünsche für das chinesische Volk Angelus am 21. März 74 Von der übernatürlichen Fruchtbarkeit Generalaudienz am 24. März 76 Eine außergewöhnliche Berufung Generalaudienz am 31. März 79 April Friedensappell für das Heilige Land Angelus am 4. April 82 „Vollkommener“ als in der Ehe Generalaudienz am 7. April 85 Mit dem Maß der Liebe gemessen Generalaudienz am 14. April 89 Verzicht aus Liebe vollzogen Generalaudienz am 21. April 93 Der bräutliche Sinn des Leibes Generalaudienz am 28. April 97 Mai Vom Verzicht zur Selbstverwirklichung Generalaudienz am 5. Mai 100 „Mit banger Sorge im Herzen“ Generalaudienz am 12. Mai 103 8 Die Botschaft von Fatima enthält die ewige Wahrheit des Evangeliums Generalaudienz am 19. Mai 105 „Zum Pilger der Welt geworden“ Generalaudienz am 26. Mai 110 Juni Wallfahrt durch die sieben Sakramente Generalaudienz am 9. Juni 111 Hilfsappell für den Libanon Angelus am 13. Juni 115 Eine „Gesellschaft im Zeichen der Liebe“ für den Menschen Generalaudienz am 16. Juni 117 Freiwillige Ehelosigkeit beruht nicht auf einem Gebot Generalaudienz am 23. Juni 121 „Sorge um das, was des Herrn ist“ Generalaudienz am 30. Juni 123 Juli Jeder hat seine Gnadengabe von Gott Generalaudienz am 7. Juli 127 Nicht die „Welt“ ist die ewige Bestimmung des Menschen Generalaudienz am 14. Juli 131 Die Hoffnung offenbart ihre Kraft in den menschlichen Werken Generalaudienz am 21. Juli 135 Der Mensch lebt „in seiner Zeit“ Generalaudienz am 28. Juli 138 August Hoffnungsschimmer für den Libanon Angelus am 1. August 141 Der Epheserbrief - „ein Familienkodex“ Generalaudienz am 4. August 143 9 Zur Erinnerung an Papst Paul VI. Angelus am 8. August 146 Ehegatten „in der Furcht Christi“ Generalaudienz am 11. August 148 Vom Geheimnis zwischen Christus und der Kirche Generalaudienz am 18. August 152 „Die Taufe ist nur der Anfang“ Generalaudienz am 25. August 155 September Die Kirche: Objekt der Erlöserliebe Generalaudienz am 1. September 159 Unter dem Schleier eines Zeichens Generalaudienz am 8. September 162 „Denn der Schöpfer ist dein Gemahl“ Generalaudienz am 15. September 167 Libanon: Endlich Frieden ohne Haß und Gewalt Generalaudienz am 15. September 170 „Es gibt keine Worte für dieses Massaker“ Angelus am 19. September 172 Ein Schwur zu ewiger Treue Generalaudienz am 22. September 174 Die Ehe: ein großes Zeichen Generalaudienz am 29. September 179 Oktober Von der Einsetzung der Ehe im Buch Genesis Generalaudienz am 6. Oktober 182 Der „zweite Adam“, Christus Generalaudienz am 13. Oktober 186 Von der Größe des Priestertums Angelus am 17. Oktober 190 10 Die Ehe als Prototyp aller Sakramente Generalaudienz am 20. Oktober 191 Was die Ehe „am Anfang“ war Generalaudienz am 27. Oktober 195 November Bei den ältesten Zentren des Glaubens Generalaudienz am 17. November 198 Von der Solidarität zur Gemeinschaft Angelus am 21. November 202 Der „innerste Ort“ im Menschen Generalaudienz am 24. November 203 Dezember Begegnung zwischen Eros und Ethos Generalaudienz am 1. Dezember 206 Im Advent um Priesterberufe beten! Vor dem Angelus am 12. Dezember 211 „Durch die Wirklichkeit der Erlösung zum Geheimnis der Schöpfung“ Generalaudienz am 15. Dezember 212 Grundentscheidung der Menschheit vor der Krippe von Betlehem Generalaudienz am 22. Dezember 216 Die Eltern: ein Beispiel reifer Menschlichkeit Angelus am 26. Dezember 219 Die Liturgie zeigt Sinn der Zeit und Geschichte Generalaudienz am 29. Dezember 220 11 II. Predigten und Ansprachen bei den Reisen 1. Zweite apostolische Reise nach Afrika (12. bis 19. Februar) 12. Februar Ansprache bei der Ankunft in Nigeria auf dem Flughafen von Lagos 226 Predigt beim Gottesdienst im Stadion von Lagos 227 Ansprache bei der Begegnung mit dem nigerianischen Präsidenten Alhaji Shehu Shagari in Lagos 232 13. Februar Predigt beim Gottesdienst mit den christlichen Familien in Onitsha 236 Ansprache an die nigerianische Jugend in Onitsha 241 Ansprache an die Kranken und Alten im St.-Borromäus-Kranken- haus in Onitsha 244 Ansprache an die nigerianischen Priester und Seminaristen im Seminar von Enugu 246 14. Februar Weihe Nigerias an die Gottesmutter nach dem Angelus inKaduna 252 Predigt bei der feierlichen Messe und Priesterweihe in Kaduna . . . 253 Ansprache an die Laienrepräsentanten, die Katecheten und die katholischen Frauenvereinigungen in Kaduna 256 Ansprache an die Bevölkerung und im besonderen an die Moslems inKaduna 261 15. Februar Predigt bei der Eucharistiefeier für die Professoren, Studenten und Akademiker in der Universität von Ibadan/Nigeria 264 Ansprache an die Ordensleute im Seminar von Ibadan 269 Ansprache an das Vorbereitungskomitee des Papstbesuches in Lagos 272 Ansprache an die nigerianischen Bischöfe in Lagos 273 12 16. Februar Predigt beim Gottesdienst für die Industriellen und Arbeiter in Lagos 281 Ansprache an das Diplomatische Korps in Lagos 285 Ansprache an die polnische Gemeinde in Lagos 289 Ansprache bei der Begegnung in Lagos mit den Ausländern in Nigeria 292 Ansprache bei der Begegnung mit dem Repräsentanten christlicher Bekenntnisse in Lagos 294 Ansprache an die Repräsentanten der Massenmedien in Lagos . . . 296 17. Februar Ansprache vor dem Abflug von Lagos 297 Ansprache bei seiner Ankunft in Cotonou (Benin) 299 Predigt beim Gottesdienst in Cotonou (Benin) 301 Ansprache bei der Begegnung mit dem Präsidenten der Volksrepublik Benin, Mathieu Kerekou, in Cotonou 310 Ansprache vor dem Abflug von Cotonou (Benin) 312 Ansprache bei der Ankunft in Libreville (Gabun) 313 Ansprache an den Klerus, die Ordensleute und die Laienhelfer in Libreville 315 Ansprache bei der Begegnung mit dem Präsidenten von Gabun, Omar Bongo, in Libreville 322 18. Februar Ansprache bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Malabo (Äquatorialguinea) 324 Ansprache bei der Begegnung mit dem Präsidenten von Äquatorialguinea, Teodoro Obiang Ngueme, in Malabo 326 Predigt bei der Messe in Bata 328 Ansprache vor dem Abflug von Bata 333 Ansprache an die Angehörigen der freien Berufe, der Hochschulen, die Arbeiter und die Jugend von Gabun in Libreville 334 Ansprache bei der Begegnung mit den Bischöfen von Gabun in Libreville 342 Ansprache bei der Begegnung mit den Repräsentanten christlicher Bekenntnisse in Libreville 346 13 19. Februar Predigt beim Gottesdienst im Sportstadion von Libreville 348 Botschaft an Gabun und ganz Afrika vor seinem Abflug von Libreville 355 Ansprache bei seiner Rückkehr aus Afrika auf dem römischen Flughafen Leonardo da Vinci 358 2. Apostolische Reise nach Portugal (12. bis 15. Mai) 12. Mai Ansprache bei der Ankunft in Lissabon 362 Ansprache an die Repräsentanten der Laienorganisationen in der Kathedrale von Lissabon 364 Ansprache in der Antonius-Kirche in Lissabon 370 Grußbotschaft an den portugiesischen Staatspräsidenten in Lissabon 374 Grußbotschaft an die Autoritäten der Republik Portugal in Lissabon 379 Ansprache bei der Gebetsstunde in Fatima 383 13. Mai Ansprache an die portugiesischen Bischöfe in Fatima 387 Predigt bei der feierlichen Messe in Fatima 396 Weiheakt an die Gottesmutter von Fatima 404 Ansprache an die Priester, Ordensleute und Seminaristen in Fatima 407 Ansprache an die Mitarbeiter des Heiligtums in Fatima 417 Ansprache beim Abschied von Fatima 419 Ansprache an das Diplomatische Korps in Lissabon 421 14. Mai Predigt bei der Messe mit dem Landvolk in Vila Vigosa 425 Ansprache beim Besuch der Katholischen Universität in Lissabon . 432 Ansprache bei der ökumenischen Begegnung in Lissabon 439 Predigt bei der Messe mit der Jugend in Lissabon 441 14 15. Mai Ansprache bei der Ankunft in Coimbra 449 Ansprache an die Repräsentanten von Wissenschaft und Kultur in Coimbra 451 Predigt bei der Messe mit den Familien im Wallfahrtsort Sameira (Braga) 459 Ansprache an die Arbeiter in Porto 469 Ansprache vor dem Abflug von Porto 477 Anhang: Grußbotschaften des Papstes 479 3. Pastoralbesuch in Großbritannien (28. Mai bis 2. Juni) 28. Mai Ansprache bei der Ankunft auf dem Londoner Flughafen Gatwick 482 Predigt bei der Messe in der Kathedrale von Westminster 483 Predigt bei der Messe für die Kranken in der Kathedrale von Southwark 489 Ansprache an die Bischöfe von England und Wales in Westminster 493 29. Mai Ansprache bei der Begegnung mit den Ordensleuten im Digby-Stuart-College in London 497 Ansprache bei der ökumenischen Feier in der Kathedrale von Canterbury 502 Ansprache bei der Begegnung mit den Vertretern des Britischen Rats der Kirchen in Canterbury 507 Predigt bei der Messe im Londoner Wembley-Stadion 508 30. Mai (Pfingstsonntag) Ansprache bei der Begegnung mit der polnischen Gemeinde im Sportzentrum „Crystal-Palace“ in London 513 Predigt bei der Messe am Flughafen von Coventry 520 Ansprache bei der Ankunft am Flughafen von Liverpool 524 Predigt bei der Messe in der Kathedrale von Liverpool 527 15 31. Mai (Pfingstmontag) Predigt bei der feierlichen Messe und Priesterweihe im Heaton-Park von Manchester 531 Predigt bei der Eucharistiefeier im Knavesmire-Stadion in York . . 535 Ansprache bei der Begegnung mit der Jugend von Schottland in Edinburgh 540 Ansprache an die Priester und Ordensleute in der Kathedrale von Edinburgh 544 1. Juni Begegnung mit dem Moderator der Schottischen Kirche und anderen Kirchenführern in Edinburgh 550 Ansprache beim Besuch des Saint-Joseph’s-Hospitals in Edinburgh 552 Ansprache beim Besuch des St.-Andrew’s-College in Glasgow . . . 555 Predigt bei der Messe im Bellahouston-Park von Glasgow 561 Ansprache an die Schottische Bischofskonferenz in Edinburgh ... 570 2. Juni Predigt beim Gottesdienst auf den Pontcanna Fields in Cardiff ... 572 Ansprache bei der Begegnung mit den Repräsentanten der christlichen Kirchen von Wales in Cardiff 577 Ansprache an die Jugend im Minian-Park von Cardiff 578 Ansprache vor dem Abflug von Cardiff 581 Anhang: Fortschritte im Versöhnungswerk 583 4. „Pilgerreise des Friedens“ nach Argentinien (11. und 12. Juni) 11. Juni Ansprache bei der Zwischenlandung in Rio de Janeiro 588 Ansprache bei der Ankunft auf dem Flughafen von Buenos Aires . 591 Ansprache an die Priester und Ordensleute in der Kathedrale von Buenos Aires 594 Predigt bei der Messe im Marienwallfahrtsort Lujan 598 16 12. Juni Ansprache an die argentinischen Bischöfe in Buenos Aires 603 Predigt bei der f eierlichen Messe in Buenos Aires 610 Ansprache vor dem Abflug von Buenos Aires 615 5. Besuch bei internationalen Organisationen in Genf (15. Juni) 15. Juni Ansprache an die Teilnehmer der 68. Tagung der Internationalen Konferenz für Arbeit in Genf 620 Ansprache an die Repräsentanten der Internationalen Arbeiterorganisation in Genf 635 Ansprache an die Delegierten der Arbeitgeber in Genf 637 Ansprache an die Regierungsdelegationen bei der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) in Genf 638 Ansprache an die Funktionäre des Internationalen Arbeitsamtes in Genf 639 Ansprache an die Repräsentanten der Internationalen Katholischen Organisationen in Genf 642 Ansprache an das Internationale Komitee des Roten Kreuzes in Genf 646 Ansprache an die Forscher im Europäischen Zentrum für Kernforschung (CERN) in Genf 649 Predigt bei der Eucharistiefeier im Park des Ausstellungspalastes in Genf 655 Ansprache auf dem Genfer Flughafen vor dem Rückflug 661 6. Apostolische Reise nach Spanien (31. Oktober bis 9. November) 31. Oktober Ansprache bei der Ankunft am Flughafen Barajas in Madrid .... 664 Ansprache an die Spanische Bischofskonferenz in Madrid 667 17 1. November Ansprache an die Klausurnonnen in Avila 677 Predigt bei der Messe in Avila 681 Abschluß der Jubiläumsfeierlichkeiten in Alba de Tormes 689 Ansprache an die Mitglieder der theologischen Fakultäten Spaniens in Salamanca 692 2. November Ansprache im königlichen Palast in Madrid 698 Ansprache an die Weltorganisation für Tourismus in Madrid .... 701 Ansprache an das Diplomatische Korps in Madrid 703 Ansprache an die Repräsentanten der Medien in Madrid 706 Predigt bei der Messe für die Familien in Madrid 710 Ansprache an die Ordensleute in Madrid 716 3. November Ansprache an die Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft in Madrid 724 Ansprache an die Repräsentanten christlicher Bekenntnisse in Madrid 725 Ansprache an die Repräsentanten der Universität in Madrid .... 727 Ansprache an die Jugend in Madrid 735 4. November Predigt beim Wortgottesdienst in Guadalupe 741 Predigt beim Wortgottesdienst in Segovia 747 5. November Predigt bei der Seligsprechung von Sr. Angela de la Cruz in Sevilla 754 6. November Predigt bei der Messe in Loyola 760 Predigt beim Wortgottesdienst in Javier 766 Marianischer Weiheakt in Saragossa 774 Ansprache an die Kranken in Saragossa 781 18 7. November Predigt beim Wortgottesdienst in Montserrat 783 Ansprache an die Arbeiter und Unternehmer in Barcelona 788 Predigt bei der Eucharistiefeier in Barcelona 796 8. November Ansprache an die Bevölkerung des Überschwemmungsgebiets in Valencia 802 9. November Predigt bei der Pilgermesse in Santiago de Compostela 803 Ansprache an die Seeleute in Santiago de Compostela 808 Ansprache bei der Europa-Feier in Santiago de Compostela .... 812 Ansprache vor dem Abflug von S antiago de Compostela 818 III. Ansprachen, Predigten, Botschaften und Rundschreiben Januar „Der Frieden, Gottes Geschenk, den Menschen anvertraut“ Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 823 Friede hängt auch vom Menschen ab Predigt zum 15. Weltfriedenstag am 1. Januar 836 Der Heimat Kroatien Ehre gemacht Predigt beim Requiem für Kardinal Seper am 2. Januar 840 „ . . . dann holten sie ihre Schätze hervor“ Predigt bei der Bischofsweihe am 6. Januar 844 „Es bleibt die Kraft des Gebetes und die Flamme der Hoffnung“ Schreiben an die Bischöfe der ganzen Welt vom 6. Januar 847 Mit der Vaterschaft Gottes beschenkt Predigt am 10. Januar 851 Wodurch der Mensch mehr Mensch wird Ansprache an die Bischöfe der Lombardei am 15. Januar 853 19 „Die Kräfte des Guten sind stärker!“ Ansprache an das Diplomatische Korps am 16. Januar 860 Ein Land im Schoß Europas Ansprache an den Botschafter Luxemburgs am 18. Januar 876 „Beim Afrikabesuch die Botschaft der Wahrheit verkünden“ Ansprache an die nigerianischen Bischöfe am 21. Januar 878 „Hoffnung braucht einen gewissen Wagemut“ Ansprache beim Gottesdienst am 25. Januar 881 „Richter im Dienst der Liebe“ Ansprache an die Mitglieder der Sacra Romana Rota am 28. Januar 886 Februar „Nicht in Fatalismus und Verzweiflung verfallen“ Ansprache an Teilnehmer der NATO-Verteidigungsakademie am 1. Februar 892 „Ein Zeichen, dem widersprochen wird“ Predigt am 2. Februar 893 „Hütet und bewahrt eifersüchtig eure geistliche Identität!“ Brief an Kardinal Tomasek vom 2. Februar 896 „Der Mensch muß Herr über seine Arbeit bleiben“ Ansprache an internationale Gewerkschaftsführer am 9. Februar . 902 „Ihr nehmt hier den ersten Platz ein“ Predigt am 11. Februar • 905 Gewalt erzeugt nur neue Gewalt Botschaft an die Weltunion christlicher Demokraten vom 18. Februar 909 Jeder Priester ist Mitpriester Ansprache an Mitglieder der Fokolar-Bewegung am 21. Februar . 915 Der Mensch - aufgerufen zur Buße Predigt am 24. Februar 917 Botschaft zur Fastenzeit vom 25. Februar 919 20 „Vielmehr habe ich euch Freunde genannt“ Predigt am 25. Februar 921 „Der Arztberuf - eine Sendung“ Ansprache an Teilnehmer einer Studientagung für Krebsforschung am 25. Februar 922 Einklang mit den Hoffnungen der Kirche und der Welt Ansprache an Vertreter der Gesellschaft Jesu am 27. Februar . . . 924 März Gemeinsames Erbe: Dienst am Menschen Ansprache an die Delegierten für die Beziehungen zum Judentum am 6. März 939 Die Kirche in der Universität Ansprache an den Klerus der Diözese Rom am 8. März 942 Stets die heilige Armut heben! Ansprache an Vertreter der franziskanischen Drittordens-Institute am 8. März 951 „Bewahre die Herde in der Treue zu Dir“ Ansprache an Bischöfe aus der Tschechoslowakei am 11. März . . 956 „Franziskus, halte den Fall deines Volkes auf!“ Predigt am 12. März 962 „Getreuer Widerhall der Liebe“ Ansprache am 12. März 967 Richtlinien des Konzils verwirklichen Ansprache an die Vollversammlung der italienischen Bischofskonferenz am 12. März 972 Christus ist an eurem Arbeitsplatz Ansprache an Arbeiter am 19. März 982 Der hl. Josef — „ein gerechter Mann“ Predigt am 19. März 992 „Brüder und Schwestern im fernen China!“ Predigt am 21. März 997 21 Gebet zum Gründonnerstag . am 25. März 999 Der Welt den neuen Papst genannt Predigt beim Requiem für Kardinal Felici am 25. März 1007 Seid Diener der kirchlichen Gemeinschaft! Ansprache an Priester-Alumnen am 25. März 1011 Immer ist es Gott, der ruft Ansprache im Päpstlichen Römischen Priesterseminar am 25. März 1013 Die volle Einheit der Christen, ein Geschenk des Geistes Christi Ansprache an den Internationalen Pneumatologischen Kongreß am 26. März 1016 April Der Mensch - das entscheidende Kriterium Ansprache beim Internationalen Symposium „Von Rerum novarum zu Laborum exercens“ am 3. April 1023 „Der größer ist als alle Namen“ Predigt am 4. April 1026 „Die Fackel der Wahrheit hochhalten“ Ansprache an die Redaktion von „La Civiltä Cattolica“ am 5. April 1029 Im Dienst der höchsten Interessen der Völker und Menschen Ansprache beim Besuch des UN-Generalsekretärs am 6. April 1033 Das Erbe wertvoller Traditionen Ansprache beim Besuch des griechischen Staatspräsidenten am 7. April 1035 Das priesterliche Bündnis mit Gott Predigt am 8. April 1037 Die Stunde des letzten Abendmahls Predigt am 8. April 1040 Das Kreuz - Zeichen des Lebens Ansprache beim Kreuzweg am 9. April .1042 22 „Das hat der Herr vollbracht!“ Predigt bei der Osternachtsmesse am 10. April 1045 Fest der Auferstehung - Fest der Versöhnung Osterbotschaft vom 11. April 1047 Der Mensch muß den technischen Mitteln überlegen bleiben! Ansprache an den Nationalkongreß der Italienischen Vereinigung der Rundfunkhörer und Fernsehzuschauer am 17. April 1051 Christentum ist kein „Museumsstück“ Predigt am 18. April 1053 Frieden für die Opfer — Trost für die Betrübten Gebet zum Gedenken an die Terroropfer von Bologna am 18. April 1060 „ . . . damit ihr euch und dann die Welt verändert“ Ansprache bei der Begegnung mit Jugendlichen am 18. April 1061 „Die Rechtgläubigkeit dieses Mannes nachahmen“ Schreiben aus Anlaß des 150. Todestages von Johann Michael Sailer vom 19. April 1066 Ein echter Dienst an der Kirche Ansprache an Pfarrhaushälterinnen am 22. April 1067 Einseitige Veränderungen vermeiden Ansprache an die Verhandlungsdelegationen Chiles und Argentiniens am 23. April 1070 Konkreten Humanismus anstreben! Ansprache an die Vereinigung „NOVA SPES“ am 26. April 1077 Eine Lampe, die brennt und leuchtet Schreiben zum 1500. Todestag des hl. Severin vom 27. April 1080 „Bemüht euch stets um das Ganze“ Ansprache an Studenten am 29. April 1083 Keiner kann auf sich allein bauen Predigt am 30. April 1084 23 Mai „Knoten, die den Frieden gefährden, nicht mit dem Schwert durchhauen!“ Friedensappell am 2. Mai 1089 Berufung ist ein Ruf zum Leben Botschaft zum 19. Weltgebetstag für die geistlichen Berufe am 2. Mai 1091 Ordnung und Sicherheit gewährleisten Predigt am 6. Mai 1095 Evangelisierung hängt von der Familie ab Ansprache an die Jahresvollversammlung der Päpstlichen Missionswerke am 7. Mai 1097 Heranbildung einheimischer Kräfte frühzeitig gefördert Schreiben zum 150jährigen Bestehen von MISSIO vom 10. Mai 1099 „Ein Gott des immer neuen Anfangs“ Schreiben an den Bischof von Augsburg vom 10. Mai 1101 Himmelfahrt bedeutet Verwandlung der Gegenwart Predigt am 20. Mai 1102 Begegnung der Heilsbotschaft mit der Vielzahl der Kulturen Schreiben aus Anlaß der Gründung des Päpstlichen Rates für die Kultur vom 20. Mai 1104 „Den Sinn für geistige Werke wachhalten“ Fernsehbotschaft an den Internationalen Kolping-Kongreß vom 20.-23. Mai 1110 „Mit dem Frieden ist nichts verloren . . .“ Predigt am 22. Mai 1113 Das Gute „gut“ und das Böse „böse“ nennen! Ansprache an Journalisten am 22. Mai 1117 „Die sozialen Kommunikationsmittel und die Probleme der alten Menschen“ Botschaft zum 16. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel am 23. Mai 1120 24 „Uns kommt ihr Beispiel zugute“ Predigt am 23. Mai 1125 Der Dialog der Kirche mit den Kulturen Ansprache an das Komitee zur Unterstützung und Förderung des C.C.I.C. am 24. Mai 1132 Gegenüber jeder Nation die Liebe bewahren Brief an die Argentinier vom 25. Mai 1135 Wenn die Welt „in Flammen steht“ Schreiben aus Anlaß des 400. Todestages der hl. Theresia von Avila vom 31. Mai 1138 Juni An der Seite des Bischofs — an der Seite des Papstes Ansprache an den Bischof von Mainz am 5. Juni 1142 Vereint in der Gnade des Herrn Predigt am 6. Juni 1144 Im Dienst am Weltfrieden vorangehen! Ansprache an Präsident Reagan am 7. Juni 1147 Freiheit gegenüber Parteien bewahren! Ansprache an Vertreter des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes am 8. Juni 1150 „Hoffnung leben und Hoffnung geben“ Botschaft an die österreichischen Katholiken vom 8. Juni 1151 „Vor der Welt Zeugnis geben“ Predigt am 10. Juni 1153 Probleme realistisch und ehrlich in Angriff nehmen Botschaft an die 2. außerordentliche UN-Abrüstungskonferenz am 14. Juni 1155 Lektion in der Liebe zur Armut Predigt am 20. Juni 1166 „Schmachvolle Wunde unserer Zeit“ Ansprache an den UN-Hochkommissar für die Flüchtlinge am 25. Juni 1170 25 „Für das Leben der Kirche und den Aufbau der Welt“ Ansprache an die Kardinale und Mitarbeiter der Römischen Kurie am 28. Juni 1174 „Petrus antwortet im Namen aller“ Predigt am 29. Juni 1189 Das Volk möchte keine politischen Reden, sondern priesterlichen Dienst Brief an den Episkopat von Nicaragua vom 29. Juni 1192 Juli „Möge die heilige Liturgie euer Apostolat inspirieren“ Schreiben aus Anlaß des 100jährigen Jubiläums der Reform von Dobromyl am 1. Juli 1198 Überzeugung wecken und konkrete Hilfe bieten Ansprache an Teilnehmer eines Kurses über natürliche Geburtenregelung am 3. Juli 1201 Die Rückkehr zu den Quellen ist oft der beste Weg Ansprache an Vertreter des Kapuzinerordens am 5. Juli 1204 Gott selbst ist die Quelle unserer Hoffnung Ansprache an die Bischöfe Österreichs am 6. Juli 1208 Die Zeichen der Zeit verstehen und in Treue zum Evangelium wachsen Ansprache an die Bischöfe der Schweiz am 9. Juli 1213 „Sauerteig der ukrainischen Gemeinschaft sein“ Ansprache an das Generalkapitel des Basilianerordens vom hl. Josaphat am 9. Juli 1219 „Friede ist der neue Name für Verteidigung“ Ansprache an Teilnehmer der NATO-Verteidigungsakademie am 12. Juli 1221 Das Alter — die Krönung der menschlichen Existenz Botschaft an die UN-Weltkonferenz über die Probleme des Alterns vom 26. Juli bis 6. August 1222 „Bewegt von Liebe und Sorge“ Botschaft an die Kirche in Litauen am 23. Juli 1230 26 1231 Der Mensch ist „Mittelpunkt und Achse“ Botschaft aus Anlaß der Weltkonferenz über Kulturpolitik vom 24. Juli August Seid Diener und Zeugen der Versöhnung Brief an die Bischöfe von El Salvador vom 6. August 1234 Die Alphabetisierung: eine Pflicht der Gerechtigkeit Schreiben zum 16. Welttag der Alphabetisierung vom 25. August . 1237 „Siegen möge das Herz der Mutter“ Predigt am 26. August 1239 „Seid echte Diener der Freiheit!“ Ansprache an die Regenten von San Marino am 29. August .... 1243 Die Freiheit hängt von der Wahrheit ab Predigt am 29. August 1246 „Entdeckt die wahren Lebensquellen!“ Ansprache beim Treffen für die Freundschaft unter den Völkern am 29. August 1251 Das Problem von Gut und Böse überdenken Predigt am 29. August 1256 September „Kehrt um und glaubt — erneuert die Welt“ Botschaft zum 87. Deutschen Katholikentag vom 1. September . . 1261 Vorrang der Suche nach Gott Predigt am 5. September 1264 Die Priesterkleidung - ein Zeugnis Brief an den Generalvikar der Diözese Rom vom 8. September . . 1269 Franz von Assisi: ein lebendiges Bild des Evangeliums Ansprache an die Jugend am 12. September 1271 Die Linie von Buße und Umkehr Predigt am 12. September 1275 27 Wahrheitssuche auf allen Gebieten Ansprache an Mitglieder der Universität Padua am 12. September 1279 „Begnügt euch nicht mit einem Mittelmaß!“ Ansprache an Vertreter der „Pax Romana“ am 13. September 1284 Lösungen für die Menschheitsplagen Ansprache an die Mitglieder der Interparlamentarischen Union am 18. September 1289 „Eine gesunde Theologie fördern“ Ansprache an die Bischöfe Belgiens am 18. September 1295 Wahre Wissenschaft - echter Glaube Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses der italienischen Akademie der Wissenschaften am 21. September 1301 „Aus den Schätzen der Vergangenheit erbauen wir die Zukunft“ Ansprache an die Jugend am 26. September 1305 „Gott ist ein Grund, der trägt“ Predigt am 26. September 1311 „Paul VI. war ein Geschenk des Herrn an seine Kirche“ Ansprache bei der Einweihung des Instituts „Paul VI.“ am 26. September 1316 Er wollte seine Zeit zu Christus führen Ansprache im Geburtsort Pauls VI. am 26. September 1320 Alle Wege führen zum Menschen Ansprache an Vertreter des Laieninstituts der Franziskaner und Teilnehmer eines Internationalen Kongresses am 27. September 1326 Ein reiches Erbe an Beispielen und Weisungen Predigt am 28. September 1329 Die Spaltung durch Eintracht ersetzen Brief an den Erzbischof von Malta und den Bischof von Gozo am 29. September 1331 28 Oktober Seligpreisung der „Armut vor Gott“ Predigt am 3. Oktober 1333 Statuten der Internationalen Theologenkommission Motu proprio vom 6. August, veröffentlicht am 3. Oktober . . . .1339 Die Krise der europäischen Kultur ist die Krise der christlichen Kultur Ansprache an die Teilnehmer des 5. Symposions des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen am 5. Oktober 1343 Blickt auf die „Magna Domina Hungarorum“ Ansprache an die Bischöfe Ungarns am 7. Oktober 1350 „Wenn du es sagst, dann werde ich die Netze auswerfen“ Predigt am 8. Oktober 1355 „Besseren Schutz der geistigen Werte fördern“ Ansprache an den Kongreß der CISAC am 8. Oktober 1358 „Unser ganzer Dienst gilt der Hoffnung“ Ansprache an die Bischöfe Skandinaviens am 9. Oktober 1360 „Sein Tod ist ein Zeichen des Sieges über Haß und Verachtung“ Predigt bei der Heiligsprechung von P. Maximilian Kolbe am 10. Oktober 1364 Gebet aus Anlaß des 20. Jahrestages der Konzilseröffnung am 11. Oktober 1369 „In der Feuerprobe“ einander nähergekommen Ansprache an die Bischöfe Polens am 11. Oktober 1371 „Beseelen, koordinieren, bereichern!“ Ansprache an die Teilnehmer der 6. Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Laien am 12. Oktober 1378 Ein Höhepunkt für die Kultur der Menschheit Fernsehbotschaft an die Katholiken Spaniens vom 15. Oktober . .1382 Das Erbe christlicher Weisheit Brief an den Erzbischof von Krakau vom 17. Oktober 1384 „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ Predigt am 19. Oktober . 1386 29 Geist und Herz auf Frieden gerichtet Ansprache an den Präsidenten des Libanon am 21. Oktober 1389 Hoffnung auf moderne Biologie Ansprache an Teilnehmer einer Studienwoche der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften am 23. Oktober 1392 Mission nicht mehr „Einbahnstraße“ Botschaft zum Weltmissionssonntag am 24. Oktober 1396 „Eure Sorgen sind auch meine Sorgen“ Ansprache an die Bischöfe der Berliner Bischofskonferenz am 28. Oktober 1402 Staat und Kirche müssen die Grundwerte verteidigen Ansprache an den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland am 28. Oktober 1405 „Nun können die Früchte der Ernte gesammelt werden“ Schreiben an Kardinal Höffner aus Anlaß des 50jährigen Priesterjubiläums vom 30. Oktober 1408 Die Gnade war auf guten Boden gefallen Predigt am 31. Oktober 1410 November Die Kirche sollte nur von Spenden leben! Schreiben an den Kardinalstaatssekretär vom 20. November . . . .1417 Jeder hat Anspruch auf ein Heim Predigt am 20. November 1423 Im Namen Christi, des Königs Predigt am 21. November 1428 Die „Flamme der Einheit“ entzünden! Ansprache an die italienische griechisch-albanische Gemeinde in Palermo am 21. November 1432 Wie zur Zeit der Urgemeinden Ansprache an die Vollversammlung von COR UNUM am 22. November 1435 30 Die Römische Kurie braucht eine immer stärkere pastorale Ausrichtung Ansprache bei der Eröffnung der Vollversammlung des Kardinalskollegiums am 23. November 1439 Ankündigung des „Heiligen Jahres der Erlösung“ für 1983 Ansprache zum Abschluß der Vollversammlung des Kardinalskollegiums am 26. November 1445 Dezember Fortpflanzung im göttlichen Heilsplan Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses der „Bewegung für das Leben“ am 4. Dezember 1450 In Staat und Gesellschaft glaubwürdig wirken! Ansprache an christliche Parlamentarier aus Österreich am 6. Dezember 1454 „Sei gegrüßt, der Herr ist mit dir“ Predigt am 8. Dezember 1456 Der Friede: ein Geschenk Gottes Ansprache an eine Gruppe von Friedensnobelpreisträgern am 10. Dezember 1460 Aus der Kraft der Eucharistie, Geheimnis der Einheit und Versöhnung Ansprache an die ältere Generation und die Gemeinschaft Sant ’Egidio am 20. Dezember 1462 Das „Heilige Jahr der Erlösung“ ist nicht auf Rom beschränkt Weihnachtsansprache an die Kardinäle und Mitarbeiter der Römischen Kurie am 23. Dezember 1466 Venite, adoremus! Kommt, wir wollen ihn anbeten! Predigt in der Christmette am 24. Dezember 1476 Der Anfang unserer Erlösung Weihnachtsbotschaft am 25. Dezember 1478 „Laßt euch von Christus ergreifen“ Ansprache an die Teilnehmer des europäischen Jugendtreffens der Gemeinschaft von Taize am 30. Dezember 1480 31 vom 15. Oktober 1491 IV. Erklärungen der Kongregationen Der katholische Laie - Zeuge des Glaubens in der Schule Dokument der Kongregation für das Katholische Bildungswesen V. Anhang 1531 32 I. Ansprachen bei den Generalaudienzen und beim Angelus Audienzen und Angelus „Der Herr schenke dir Frieden!“ Angelus am Neujahrstag 1982 1. „Ihm gehört die Zeit und die Ewigkeit. / Ihm die Herrlichkeit und die Macht / von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Karsamstagsliturgie). Ich begrüße mit euch, liebe Brüder und Schwestern, das neue Jahr und rühme vor allem Gott, den Einzigen und Ewigen, der die Grenzen aller Zeiten überschreitet. Er allein ist die Wahrheit und die Liebe. Er ist die Allmacht und das Erbarmen. Er allein ist der Heilige. Er ist der, der ist. Er ist Vater, Sohn und Heiliger Geist in der absoluten Einheit der Gottheit. Ich begrüße also mit euch das neue Jahr im Namen unseres Herrn Jesus Christus: Es gibt keinen anderen Namen, in dem wir gerettet werden. Im Namen Jesu Christi umarme ich dieses Jahr, damit es eine Zeit des Heils für die Kirche und die Welt sei. Im Namen Christi sage ich zu diesem Jahr: „Der Herr segne dich und behüte dich. / Der Herr lasse sein Gesicht über dir leuchten und sei dir gnädig. / Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Frieden“ (Num 6, 24-26). Das sind Worte aus der heutigen Liturgie. 2. Diese am ersten Tag des neuen Jahres verkündeten Worte richten sich an jeden Menschen, an alle Menschen, an die Nationen und Staaten, an die ganze Menschheitsfamilie: „Der Herr schenke dir Frieden!“ Diese Worte wiederholt heute die Kirche aus der Tiefe des Geheimnisses der Menschwerdung: des Geheimnisses der Geburt Gottes in einem menschlichen Leib. Diese Worte verbindet die Kirche heute mit der Gottesmutterschaft Mariens: Sie schreibt sie sozusagen in das Herz der Mutter ein. Durch das Herz der Mutter verkünde ich diese Worte zum neuen Jahr im Gedenken an alle Menschen und Völker über den Erdkreis hin: Siehe die Mutter des Friedens! Mutter Gottes und der Menschen! Mutter der Nationen und der Völker: „Alle Geschlechter preisen mich selig“ (Lk 1, 48). 3. In besonderer Weise verkünde ich diese Segensworte der heutigen Liturgie mit dem Gedanken an mein Vaterland, an die Nation, deren Sohn ich bin: Der Herr schenke dir Frieden! Und in besonderer Weise vertraue ich diese Worte dem Herzen der Mutter an. Seit 600 Jahren ist diese Mutter auf polnischer Erde durch ihr 35 Audienzen und Angelus Bild in Jasna Göra gegenwärtig. Das Jahr 1982 ist das Jahr des großen Jubiläums. Vor der Mutter von Jasna Göra wiederhole ich im Gedenken an mein Vaterland: Der Herr schenke dir Frieden! Während ich allen Menschen danke, die in diesen Tagen für Polen gebetet haben, bitte ich sie, im Gebet fortzufahren. Es geht um ein wichtiges Problem für die Geschichte des Menschen. Das Gebet werde zur Kraft für meine Landsleute wie sooft im Lauf der Jahrhunderte. Möge das Erbe der Freiheit und des Friedens, das Werk von Generationen, nicht verschleudert werden! Möge das Erbe der letzten schwierigen Monate und Jahre nicht verschenkt werden! An der Schwelle des neuen Jahres vertraue ich dieses Erbe dem Herzen der Mutter von Jasna Göra an. Ich tue das an dem Tag, an dem die Kirche das Fest der Gottesmutterschaft Mariens feiert. Gewalt gegen Gewissen ist schlimmer als Mord Vor dem Angelus am 10. Januar 1. „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden“ (Mk 1,11). Mit diesen Worten beschließt die Liturgie heute die Weihnachtszeit und das Fest der Erscheinung des Herrn. Diese Worte hörten die Pilger, die am Ufer des Jordan versammelt waren, als Christus getauft wurde. Aus verschiedenen Teilen des Landes strömte das Volk zu Johannes, der zur Taufe und Buße aufrief. Auch Jesus von Nazaret kam zu ihm, als seine messianische Sendung in Israel öffentlich bekannt werden sollte. Johannes der Täufer war der erste, der am Jordanufer davon Zeugnis ablegte, und sein menschliches Zeugnis wurde nun vom göttlichen Zeugnis des Vaters am Jordan in der Kraft des Hl. Geistes bestätigt: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden.“ 2. Wir beschließen den liturgischen Kreis, in dem die Kirche voll tiefer Dankbarkeit und Ergriffenheit über die Offenbarung des Gottessohnes in der menschlichen Natur nachdenkt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1, 14), und wir haben die Herrlichkeit gesehen, mit der ihn der Vater in der völligen Armut der Nacht von Betlehem vor den Augen der Hirten und später vor den Magiern aus dem Morgenland umgeben hat. 36 Audienzen und Angelus Heute verbindet die Kirche mit der Erscheinung des menschgewordenen Wortes in Betlehem die Erscheinung, die am Jordan stattgefunden hat: die Herrlichkeit, in die der Vater Jesus von Nazaret hüllte, als dieser als Pilger kam, um sich von Johannes taufen zu lassen. Auch hier dieselbe Armut: die Demut und Entblößung des Menschensohnes, umgeben von der Herrlichkeit des ewigen Wortes, die in Ihm verborgen ist. 3. „Allen aber, die ihn auf nahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben“ (Joh 1,12). Die Kirche des menschgewordenen Wortes pilgert in diesem Glauben durch die Welt. In der Geburt des Gottessohnes von der Jungfrau durch das Wirken des Heiligen Geistes bewundert sie im Glauben das Geheimnis der geistlichen Geburt des Menschen, der vom Vater im ewigen Sohn als Kind angenommen wurde. Dieser Glaube kennzeichnet in der ganzen Welt alle, die sich zu Christus bekennen. Er eint und verbindet die Kirche von den tiefsten Grundfesten ihres geistlichen Gefüges her. In dieser Einheit des Glaubens möchte ich an der Schwelle des neuen Jahres alle Kirchen auf dem ganzen Erdkreis grüßen. Besonders güt mein Gruß jenen Ortskirchen, mit deren Hirten ich die Freude habe, zusammengetroffen zu sein und weiter zusammenzutreffen, wenn sie zu ihrem „Ad-limina“-Besuch nach Rom kommen. Es war mir vergönnt, vor allem die italienischen Bischöfe der einzelnen Regionen zu empfangen. Wegen der Verzögerung als Folge der Ereignisse vom 13. Mai ziehen sich diese „Ad-hmina“-Besuche noch über die ersten Wochen des neuen Jahres hin. Die persönlichen Begegnungen mit den einzelnen Diözesanbischöf en werden durch ein kollegiales Zusammentreffen mit den regionalen Bischofskonferenzen abgeschlossen. Ich danke dem Guten Hirten für diese besondere Gelegenheit, allen Ortskirchen Itaüens wie auch der übrigen von mir geliebten Länder begegnen zu können. 4. Die Bevölkerung der ganzen Welt und besonders die Nationen Europas und Amerikas zeigen sich weiter sehr besorgt über die Lage in Polen, die durch die Verhängung des Kriegsrechts entstanden ist. Dieser Ausnahmezustand führte und führt zur Verletzung der Grundrechte des Menschen und der Nation. In seiner Ansprache zum Dreikönigsfest haben der Primas von Polen wie auch der Erzbischof von Krakau darauf hingewiesen, daß hier eines der fundamentalsten Rechte des Menschen verletzt wird: das Recht auf Freiheit des Gewissens und der Überzeugungen. Unter Androhung, den Arbeitsplatz zu verlieren, werden Bürger gezwungen, Erklärungen zu unterschreiben, die nicht mit ihrem Gewissen und ihren Überzeugungen in Einklang stehen. 37 Audienzen und Angelus Dem Gewissen Gewalt anzutun, ist ein schwerer Schaden, der dem Menschen zugefügt wird. Es ist der schmerzlichste Schlag gegen die Menschenwürde, ja in gewissem Sinne schlimmer als der physische Tod, als die Tötung eines Menschen: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können . . . “ {Mt 10, 28), hat Christus gesagt und so gezeigt, daß die Vergewaltigung des menschlichen Geistes, des menschlichen Gewissens ein viel größeres Übel ist. Das Prinzip der Gewissensfreiheit ist ein Grundrecht des Menschen, das die Verfassungen und internationalen Abkommen garantieren. Zusammen mit allen Menschen guten Willens erhebe ich meine Stimme zu Gott, damit das Gewissen meiner Landsleute nicht unterdrückt werde. Mensch sein in „der anderen Welt“ Ansprache bei der Generalaudienz am 13. Januar 1. „Wenn die Menschen von den Toten auferstehen, werden sie nicht mehr heiraten, sondern sie werden sein wie die Engel im Himmel“ {Mk 12, 25; ebenso Mt 22, 30). „Sie können auch nicht mehr sterben, weil sie den Engeln gleich und durch die Auferstehung zu Söhnen Gottes geworden sind“ {Lk 20, 36). Die Worte, mit welchen Christus auf die künftige Auferstehung hinweist -Worte, die in einzigartiger Weise durch seine eigene Auferstehung bestätigt werden -, ergänzen das, was wir in unseren derzeitigen Überlegungen gewöhnlich als „Offenbarung des Leibes“ bezeichnet haben. Diese Offenbarung dringt sozusagen zum Kern der Wirklichkeit vor, die wir erfahren, und diese Wirklichkeit ist vor allem der Mensch, sein Leib: der Leib des geschichtlichen Menschen. Zugleich aber erlaubt uns diese Offenbarung, diesen Erfahrungsbereich in zwei Richtungen zu überschreiten. Einmal in der Richtung jenes „Anfangs“, auf den Christus in seinem Gespräch mit den Pharisäern über die Unauflöslichkeit der Ehe Bezug nimmt (vgl. Mt 19, 3-8), ferner in der Richtung der „zukünftigen Welt“, auf welche der Meister in Anwesenheit der Sadduzäer, die „behaupten, es gebe keine Auferstehung“ {Mt 22, 23), die Gedanken seiner Zuhörer hinlenkt. 2. Weder die Wahrheit über jenen „Anfang“, von dem Christus spricht, noch die eschatologische Wahrheit können vom Menschen mit den bloßen Methoden der Erfahrung und der reinen Vernunft erfaßt werden. Können 38 Audienzen und Angelus wir aber nicht vielleicht sagen, daß der Mensch diese beiden Dimensionen gewissermaßen in der Tiefe der Erfahrung des eigenen Seins in sich trägt oder vielmehr, daß er irgendwie auf dem Weg zu ihnen ist als Dimensionen, die die eigentliche Bedeutung seines Leibseins, also seiner Existenz als „fleischgewordener“ Mensch, voll und ganz rechtfertigen? Was dann die eschatologische Dimension betrifft, ist es etwa nicht wahr, daß der Tod und die Zerstörung des Leibes dem Menschen die augenscheinliche Bedeutung seiner Erfahrung erschließen können, in der sich der Sinn seiner personalen Existenz verwirklicht? Wenn Christus von der künftigen Auferstehung spricht, fallen seine Worte nicht ins Leere. Die Erfahrung des Menschseins und insbesondere die Erfahrung des Leibes erlauben dem Zuhörer, mit jenen Worten eine Vorstellung von seiner neuen Existenz in der „künftigen Welt“ zu verbinden, für die die irdische Erfahrung Nährboden und Grundlage bildet. Ein entsprechender theologischer Entwurf ist möglich. 3. Zum Entwurf dieses Bildes - das inhaltlich unserem Glaubensartikel „Ich glaube an die Auferstehung der Toten“ entspricht - trägt in hohem Maße das Bewußtsein bei: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der irdischen Erfahrung und der umfassenden Dimension des biblischen „Anfangs“ des Menschen in der Welt. Wenn Gott im Anfang „sie als Mann und Weib schuf“ (Gen 1, 27), wem er in dieser körperlichen Zweiheit zugleich eine Einheit, aufgrund derer sie „ein Fleisch werden“ (Gen 2, 24), vorsieht, wem er diese Einheit mit dem Segen der Fruchtbarkeit (der Fortpflanzung) verband (vgl. Gen 1, 29), und wem Christus nun in seinem Gespräch über die künftige Auferstehung den Sadduzäern erklärt, daß „in der anderen Welt die Menschen nicht mehr heiraten werden“, dam ist klar, daß es sich hier um eine Entwicklung der Wahrheit über den Menschen selbst handelt. Christus weist auf die Identität des Menschen hin, auch wem sich diese Identität in der eschatologischen Erfahrung in anderer Weise verwirklicht als in der Erfahrung des „Anfangs“ und der ganzen Geschichte. Democh wird es immer derselbe Mensch sein, wie er aus den Händen seines Schöpfers und Vaters hervorgegangen ist. Christus sagt: „Sie werden nicht mehr heiraten“, aber er behauptet nicht, dieser Mensch der „künftigen Welt“ sei nicht mehr Mann und Frau, wie er es „von Anfang an“ war. Es ist also offenkundig, daß die Bedeutung der geschlechtlichen Differenzierung des Leibes in der „künftigen Welt“ außerhalb von Ehe und Fortpflanzung zu suchen ist, was aber keineswegs dazu berechtigt, sie außerhalb dessen zu suchen, was (unabhängig vom Segen der Fortpflanzung) sich aus dem Geheimnis der Schöpfung selbst herleitet und infolgedessen auch die tiefste Struktur der 39 Audienzen und Angelus Geschichte des Menschen auf Erden ausmacht, da diese Geschichte zutiefst vom Geheimnis der Erlösung durchdrungen ist. 4. In seiner ursprünglichen Situation ist der Mensch also allein, und zugleich wird er Mann und Frau: Einheit von zweien. In seiner Einsamkeit wird er sich selbst als Person „offenbar“, um dann eines Tages in der Einheit von zweien die Gemeinschaft der Personen zu „offenbaren“. Im einen wie im anderen Zustand tritt der Mensch als Abbild und Gleichnis Gottes auf. Von Anfang an ist der Mensch auch Körper unter Körpern, und in der Einheit mit dem Partner wird er zu Mann und Frau, wobei er die „bräutliche“ Bedeutung seines Leibes nach Maßgabe seines Personseins entdeckt. Demzufolge wird das Bewußtsein des Leibseins und besonders das Bewußtsein, als Leib Mann oder Frau zu sein, mit Ehe und Fortpflanzung verbunden (d.h. mit Vater- und Mutterschaft). Doch die ursprüngliche und fundamentale Bedeutung, Leib und als solcher auch männlichen oder weiblichen Geschlechtes zu sein - also eben jene „bräutliche“ Bedeutung -, ist mit der Tatsache verbunden, daß der Mensch als Person geschaffen und zum Leben „in Personengemeinschaft“ berufen ist. Ehe und Fortpflanzung an sich bestimmen weder endgültig die ursprüngliche und fundamentale Bedeutung des leiblichen Seins noch die Bedeutung dieses Seins als Mann und Frau. Ehe und Fortpflanzung verleihen jener Bedeutung in den Dimensionen der Geschichte nur konkrete Wirklichkeit. Die Auferstehung bildet den Schlußpunkt der geschichtlichen Dimension. Und deshalb bringen die Worte „wenn die Menschen von den Toten auferstehen, werden sie nicht mehr heiraten“ (Mk 12, 25), zum Ausdruck, welche Bedeutung der menschliche Leib in der „künftigen Welt“ haben wird, und sie erlauben uns auch den Schluß, daß jene „bräutliche“ Bedeutung des Leibes in der Auferstehung zum künftigen Leben in vollkommener Weise sowohl dem Umstand entsprechen wird, daß der Mensch als Mann und Frau „als Abbild und Gleichnis Gottes“ geschaffene Person ist, als auch der Tatsache, daß dieses Abbild sich in der Gemeinschaft von Personen verwirklicht. Jene „bräutliche“ Bedeutung des Leibseins wird somit als vollkommen personale und gemeinschaftliche Bedeutung ihre Verwirklichung finden. 5. Wenn wir vom Leib sprechen, der durch die Auferstehung zum künftigen Leben verherrlicht wurde, denken wir an den Menschen - als Mann und Frau — in der ganzen Wahrheit seines Menschseins: an den Menschen, der zugleich mit der eschatologischen Erfahrung des lebendigen Gottes (dem Schauen „von Angesicht zu Angesicht“) eben diese Bedeutung des eigenen Leibes erfahren wird. Das wird eine völlig neue Erfahrung sein, zugleich aber wird sie in keiner Weise von dem entfernt 40 Audienzen und Angelus sein, an dem der Mensch „im Anfang“ teilgehabt hat, und auch nicht von dem, was in der geschichtlichen Dimension seines Daseins in ihm die Quelle der Spannung zwischen Geist und Leib, die eigentüche Bedeutung der körperlichen Fortpflanzung und Geschlechtlichkeit, ausmachte. Der Mensch der „zukünftigen Welt“ wird in dieser neuen Erfahrung des eigenen Leibes genau die Erfüllung dessen entdecken, was er ewig und in der Geschichte gewissermaßen als Erbe und noch mehr als Aufgabe und Ziel, als Inhalt des Ethos in sich trägt. 6. Die Verherrlichung des Leibes als eschatologische Frucht seiner Vergeistigung und Vergöttlichung wird als endgültiger Wert dessen offenbar werden, was von Anfang an ein Unterscheidungsmerkmal der geschaffenen Person in der sichtbaren Welt sein mußte, wie auch ein Kommunikationsmittel zwischen den Personen und ein authentischer Ausdruck der Wahrheit und der Liebe, durch welche die Personengemeinschaft entsteht. Jene ewige Bedeutung des menschlichen Leibes, für welche die Existenz jedes vom Erbe der Begierde belasteten Menschen notgedrungen eine Reihe von Einschränkungen, Kämpfen und Leiden mit sich gebracht hat, wird sich dann aufs neue erweisen, und das in solcher Einfachheit und zugleich Herrlichkeit, daß jeder, der an der „anderen Welt“ teilhat, in seinem verherrlichten Leib die Quelle der freien Hingabe wiederentdecken wird. Die vollkommene „Freiheit der Kinder Gottes“ (vgl. Röm 8, 14) wird durch jene Hingabe auch jede der Gemeinschaften nähren, welche die große Gemeinschaft der Heiligen bilden. 7. Es ist nur allzu klar, daß man - auf der Grundlage der Erfahrungen und Erkenntnisse des Menschen in der Zeitlichkeit, also in „dieser Welt“ -kaum ein völlig entsprechendes Bild von der „kommenden Welt“ zeichnen kann. Doch gleichzeitig besteht kein Zweifel daran, daß mit Hilfe der Worte Christi zumindest eine gewisse Annäherung an dieses Büd möglich und erreichbar ist. Wir bedienen uns dieser theologischen Annäherung, wenn wir unseren Glauben an die „Auferstehung der Toten“ und an das „ewige Leben“ sowie auch den Glauben an die „Gemeinschaft der Heiligen“ bekennen, die zur Wirklichkeit der „künftigen Welt“ gehört. 8. Zum Abschluß dieses Teiles unserer Betrachtungen güt es, noch einmal festzuhalten, daß die von den Synoptikern überlieferten Worte Christi (Mt 22, 30; Mk 12, 25; Lk 20, 34-35) eine entscheidende Bedeutung besitzen, und zwar nicht nur bezüglich der Worte der Genesis (auf welche Christus in einem anderen Zusammenhang verweist), sondern auch was die ganze Bibel betrifft. Diese Worte erlauben uns gewissermaßen, die geoffenbarte Bedeutung des Leibes, die Bedeutung des Menschseins, d.h. die Bedeutung, „fleischgewordene“ Person und als Leib Mann oder Frau 41 Audienzen und Angelus zu sein, neu - also bis auf den Grund - und in ihrer Gesamtheit wahrzunehmen. Diese Worte lassen uns begreifen, was in der eschatologi-schen Dimension der „anderen Welt“ jene Einheit im Menschsein bedeuten kann, die „im Anfang“ festgelegt wurde und sich allem Anschein nach die Worte der Genesis 2, 24 („Der Mann bindet sich an seine Frau, und die beiden werden ein Fleisch“), welche bei der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau verkündet wurden, wenn schon nicht vollständig, so doch in jedem Fall vor allem auf „diese Welt“ beziehen. Weü die Worte der Genesis gleichsam die Grundlage zur ganzen Theologie des Leibes büdeten - die Grundlage, auf die sich Christus in seiner Lehre über die Ehe und ihre Unauflöslichkeit stützte -, darf man wohl annehmen, daß seine von den Synoptikern überlieferten Worte eine neue Grundlage zu der vollständigen Wahrheit über den Menschen sind, die wir in dem geoffenbarten Wort Gottes wiederfinden. Es ist unerläßlich, daß wir auf diesem Boden bleiben, wenn wir wollen, daß unsere Theologie des Leibes - und auch unsere christliche „Spiritualität des Leibes“ - sich ihrer als eines perfekten Bildes bedienen kann. „Gott schenkt jedem ein Zuhause“ Angelus am 17. Januar Meine Lieben! 1. Heute möchte ich eure Aufmerksamkeit und die aller Söhne und Töchter der katholischen Kirche auf die morgen beginnende Gebetswoche für die Einheit der Christen lenken. Diese jährliche Veranstaltung lenkt den Blick aller auf ein historisches und geistliches Drama, das nicht nur das Leben der christlichen Gemeinschaft berührt, sondern negative Auswirkungen auf das gesamte menschliche Zusammenleben hat. Die Spaltung widerspricht in der Tat dem Willen Gottes für seine Kirche und dem göttlichen Plan zur Einigung der ganzen Menschheit. Deshalb ist auch das Gebet für die Einheit aktueller und notwendiger denn je, damit der Herr den Geist aller Christen erleuchte, uns Kraft zur Überwindung der Spaltungstendenzen gebe und das Geschenk der vollen Einheit gewähre. Die jährliche Wiederkehr dieser Gebetswoche bietet auch Gelegenheit, dem Herrn für die Fortschritte zu danken, die die ökumenische Bewegung aufzuweisen hat. Die Kontakte werden intensiver,' der theologische Dia- 42 Audienzen und Angelus log vertieft sich, der Geist der Brüderlichkeit und Solidarität unter den Christen verstärkt sich. Dafür sei Gott gedankt! 2. Das Thema, das vom Sekretariat für die Einheit der Christen und dem Ökumenischen Rat der Kirchen gemeinsam für dieses Jahr vorgeschlagen wurde, ist reich und eindringlich: „Gott schenkt jedem ein Zuhause.“ Die christliche Gemeinschaft ist wie eine große Familie. Sie ist aufgebaut auf der Liebe des Vaters und findet in der vollen Brüderlichkeit ihren Ausdruck, sie ist aufgerufen, verbunden durch das Band des Friedens im Zuhause Gottes zu leben. Denn es ist „nur ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allen und durch alles und in allem ist“ {Eph 4, 5-6). Wie in der Familie gegebene Unstimmigkeiten überwunden werden müssen, damit die Eintracht wiederhergestellt wird, so muß es auch in der größeren Familie der ganzen christlichen Gemeinschaft geschehen. „Gott schenkt jedem ein Zuhause.“ Dieses Thema hat auch eine tiefe missionarische Bedeutung. Die Einheit der Christen ist offen für eine immer noch weitere Einheit, nämlich die der ganzen Menschheit. Jesus selbst hat für die Einheit seiner Jünger gebetet, „damit die Welt glaubt“ (Joh 17, 21). 3. Für dieses ökumenische Anliegen werde ich am 25. Januar in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern die Eucharistiefeier zum Abschluß der Gebetswoche für die Einheit leiten. Jener heilige Tempel erhebt sich über der Confessio des Völkerapostels, der unermüdlich die Einheit der Kirche verkündet hat (vgl. Röm 12, 4 f.; 1 Kor 12, 12; Eph 4, 4 f.; Kol3, 15). Möge es der hl. Paulus durch die Verdienste seines glorreichen Martyriums erwirken, daß wir alle, die wir an Jesus glauben, „zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt dartellen“ {Eph 4, 13). Im kommenden Mai werde ich dann eine apostolische Pilgerfahrt nach Großbritannien unternehmen, um die Brüder im Bischofsamt und die Söhne und Töchter der katholischen Diözesen jenes edlen Landes zu stärken (vgl. Lk 22, 32). Bei dieser Gelegenheit werde ich auch mit dem Erzbischof von Canterbury und Primas der Anglikanischen Kirchengemeinschaft, Dr. Robert Runcie, Zusammentreffen. Möge diese Reise auch zur weiteren Annäherung zwischen der katholischen Kirche und der anglikanischen Kirchengemeinschaft beitragen und ihre so sehr ersehnte Einheit beschleunigen. Für dieses Ziel, dem große ökumenische Bedeutung zukommt, bitte ich euch alle um eifriges Gebet zur Heiligsten Dreifaltigkeit. 43 Audienzen und Angelus Nun wollen wir unser Gebet an die Theotökos, die Muttergottes, richten, damit uns durch ihre mächtige Fürsprache jene Einheit, für die Jesus Christus Mensch geworden ist, gewährt werde. Was wir im Glauben gemeinsam haben Ansprache bei der Generalaudienz am 20. Januar 1. Die Gebetswoche für die Einheit der Christen lenkt wiederum die Aufmerksamkeit aller Getauften auf ihre Verpflichtung zur Herstellung der vollen Einheit als getreue Antwort auf den Plan Gottes für seine Kirche. Ich fordere euch, liebe Söhne und Töchter der katholischen Kirche, heute auf, euch dem gewaltigen Chor von Gebeten, der in diesen Tagen zu Gott emporsteigt, anzuschließen. In dieser Haltung der Sorge um die Einheit findet diese Woche, die in besonderer Weise dem Gebet gewidmet ist, auch in diesem Jahr die Christen noch nicht vollständig geeint vor. Es sind noch nicht alle Gegensätze überwunden. Und ein Gefühl sich verbreitender Bitterkeit erfüllt das Herz der besorgten und verantwortungsbewußten Christen. Es ist wie die Feststellung einer inneren Schwäche; es ist die Erfahrung des Bösen, das in der Gemeinschaft der Christen andauert. Trotzdem bietet uns diese Woche gültige und begründete Anlässe zur Freude und Hoffnung. Wir sind der Tatsache gewiß - nach der Lehre des Konzils -, daß „der Herr der Geschichte, der seinen Gnadenplan mit uns Sündern in Weisheit und Langmut verfolgt, in jüngster Zeit begonnen hat, über die gespaltene Christenheit ernste Reue und Sehnsucht nach Einheit reichlicher auszugießen“ (Unitatis redintegratio, Nr. 1). 2. Auch in diesem Jahr müssen wir Gott für die echten Fortschritte danken, die das Bemühen um die Einheit der Christen macht. Der Dialog geht auf theologischer Ebene beharrlich weiter. Gemischte Fachkommissionen sind still und objektiv sowohl mit der orthodoxen Kirche wie mit den Weltorganisationen der aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften an der Arbeit. Durch die verschiedenen Dialoge und durch immer intensivere Kontakte wird tatsächlich ein Fortschritt erreicht: Einerseits ergibt sich klar, wieviel wir im Glauben, in der Lehre und im christlichen Leben gemeinsam haben; anderseits wer- 44 Audienzen und Angelus den die noch bestehenden Unterschiede, die in weiteren Dialogen aufge-griffen und diskutiert werden müssen, mit größerer Klarheit gesehen und von dem verwirrenden Beiwerk befreit werden, das die Polemiken der Vergangenheit bewirkt hatten. Diese Dialoge, die das Terrain vorbereiten, werden es dann den jeweiligen Autoritäten erlauben, daraus die Schlußfolgerungen zu ziehen und genau zu prüfen, welche Fortschritte erzielt worden sind und was noch zu tun bleibt. Für das alles und für den Geist der Offenheit, der Brüderlichkeit und Aufrichtigkeit, der unter den Christen zunimmt, müssen wir Gott danken, der den Geist erleuchtet, das Herz erwärmt und den Willen stärkt. Die Schwierigkeiten in der Beziehung zwischen den Christen sind tatsächlich vorhanden. Es handelt sich nicht nur um aus der Vergangenheit ererbte Vorurteile, sondern häufig um unterschiedliche Ansichten, die in tiefen, das Gewissen berührenden Überzeugungen verwurzelt sind. Zudem entstehen leider neue Schwierigkeiten. Gerade deshalb ist das Bittgebet um so notwendiger, damit der Herr sein Volk erleuchte und führe in der Herstellung jener inneren, organischen und sichtbaren Einheit, die er für seine Jünger will und um die er selbst gebetet hat (Joh 17). In diesem Zusammenhang bitte ich euch und alle Katholiken um ihr Gebet, damit anläßlich meiner Reise nach Großbritannien mein Besuch in Canterbury, dem Sitz des Primas der Anglikanischen Gemeinschaft, der großen Sache der Einheit der Christen dienen kann. 3. Darüber hinaus bietet das Gebet die günstige Gelegenheit zur Beteiligung aller Getauften an der Suche nach der Herstellung der vollen Einheit. Nicht alle können am theologischen Dialog teilnehmen, nicht alle haben Gelegenheit, direkte persönliche Beziehungen zu den Christen der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften aufzunehmen; alle jedoch können ihre persönliche Anteilnahme an dem großen Anliegen der Kirche bei diesem Bemühen durch aufrichtiges und ständiges Gebet zum Ausdruck bringen, das dieses Anliegen und die Bitte um die Einheit der Christen einschließt. Ich weiß, daß diese Sorge bei den Gläubigen, in den Ordensgemeinschaften, in den Pfarreien, in den Klöstern und besonders bei den Klausurorden immer stärker wächst. Ich danke allen und lade sie ein, ihr Gebet zu verstärken. Diese Anteilnahme ist Ausdruck des wachsenden Bewußtseins, daß die Spaltung dem Willen Gottes widerspricht; daß sie für das Leben der Kirche und ihre Sendung in der Welt schädlich ist (vgl. Unitatis redintegra-tio, Nr. 1). Damit diese Anteilnahme überzeugt und verantwortungsbewußt sei, habe ich in dem Apostolischen Schreiben Catechesi tradendae eine Sorge der Bischofssynode aufgegriffen und die Notwendigkeit einer 45 Audienzen und Angelus gründlichen Katechese als geeignetes Werkzeug für die ökumenische Bildung betont. In der Tat: „Die Katechese darf von der ökumenischen Dimension nicht absehen; denn alle Gläubigen sind auf gerufen, sich je nach ihrer Fähigkeit und Stellung in der Kirche in die Bewegung zur Einheit hin einzureihen“ (Nr. 32). Eine solche Haltung weckt und fördert in den Gläubigen ein echtes Verlangen nach der Einheit und wird darüber hinaus zum ehrlichen Bemühen um die volle Einheit. 4. Als Hilfe für unser Gebet schlagen das Sekretariat für die Einheit der Christen und der Weltrat der Kirchen jedes Jahr ein gemeinsames Thema vor. Dieses Jahr wurde eine fruchtbare, zugleich ökumenische und missionarische Gebetsmeinung vorgeschlagen: „Gott schenkt jedem ein Zuhause.“ Das Thema inspiriert sich am Psalm 84, den unzählige Generationen von Gläubigen wiederholt haben und noch immer eindringlich wiederholen. Das Thema ist auf die Gemeinschaft mit Gott ausgerichtet, die das wesentliche und bestimmende Element der kirchlichen Gemeinschaft ist; es hebt auch den Aspekt des Fortschreitens, des Pilgems, der Bewegung auf diese Gemeinschaft hin hervor. Wie die alten Israeliten bei ihrer Rückkehr aus der Verbannung im Tempel, dem Zeichen für Gottes Gegenwart, das Symbol ihrer Einheit als Volk Gottes sahen, so streben heute die Christen wieder nach der vollen Einheit in der Gegenwart des Herrn, im Gehorsam seinem Willen gegenüber. Die volle Einheit der Christen muß hergestellt werden! „Ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Eph 2,19), schrieb der hl. Paulus an die Christen von Ephesus. Die Einheit der Christen gleicht also der Einheit einer großen Familie. Sie muß von denselben wesentlichen Merkmalen der Gemeinschaft, Brüderlichkeit, Solidarität und Einheit beseelt sein. Diese Gemeinschaft bleibt offen für alle Völker und alle Stämme mit dem Ziel, die gesamte Menschheit zu einer friedlichen und solidarischen Gemeinschaft zu machen. Die Einheit der christlichen Gemeinschaft ist daher offen für die Evangelisierung, das heißt für die Botschaft, daß in Christus die Menschheit ihr Heil und ihr friedliches Zuhause finden wird. 5. Ich möchte diese Begegnung mit einigen Fürbitten abschließen; ich lade alle ein, zu antworten: Gott schenke jedem ein Zuhause! Für alle Getauften, damit sie durch ihr Leben allen Völkern dein Reich verkünden, lasset uns beten. 46 Audienzen und Angelus Für die christlichen Familien, damit sie Zeugnis geben von der Liebe und Einheit, lasset uns beten. Für unsere christlichen Gemeinden, damit sie für alle ein Ort der Brüderlichkeit werden, lasset uns beten. Für die in der Welt zerstreuten Christen, damit sie eins seien, lasset uns beten. Für alle Menschen, damit sie in deiner Kirche Versöhnung und Frieden finden, lasset uns beten. Herr, unser Gott, rette dein Volk und segne dein Erbe; bewahre deine ganze Kirche in Frieden; heilige alle, die dein Zuhause lieben, Verherrliche du sie durch deine Macht und verlasse nicht uns, die wir auf dich hoffen. Amen. (Aus der byzantinischen Liturgie) Die Schöpfung nach dem Sündenfall Ansprache bei der Generalaudienz am 27. Januar 1. Bei den vorhergehenden Audienzen haben wir die Worte Christi über das Jenseits betrachtet, das zugleich mit der Auferstehung des Leibes anbrechen wird. Diese Worte haben in der Lehre des hl. Paulus einen besonders tiefen Widerhall gefunden. Zwischen der von den synoptischen Evangelien überlieferten Antwort Jesu an die Sadduzäer (vgl. Mt 22, 30; Mk 12, 25; Lk 20, 35-36) und dem Apostolat des Paulus hatten vor allem die Auferstehung Christi und eine Reihe von Begegnungen mit dem Auferstandenen stattgefunden; als letztes Glied ist das Ereignis zu erwähnen, das sich vor Damaskus zugetragen hat. Saulus bzw. Paulus aus Tarsus, der nach seiner Bekehrung zum „Völkerapostel“ wurde, hatte ebenfalls seine eigene nachösterliche Erfahrung, ähnlich jener der anderen Apostel. Seinem Glauben an die Auferstehung, den er vor allem im ersten Brief an die Korinther (15. Kapitel) zum Ausdruck bringt, hegt zweifellos jene Begegnung mit dem Auferstandenen zugrunde, die Beginn und Fundament seines Apostolats wurde. 2. Es wäre schwierig, die tiefgründige und ausführliche Argumentation im 15. Kapitel des ersten Briefes an die Korinther in allen Einzelheiten hier angemessen zusammenzufassen und zu erläutern. Bezeichnend ist, daß, während Christus den Sadduzäern, „die die Auferstehung leugnen“ (Lk 47 Audienzen und Angelus 20, 27), mit den Worten der synoptischen Evangelien antwortete, Paulus den Anfechtem und Leugnern, seinem Temperament entsprechend, polemisch antwortet.) Christus bezog sich in seiner (vorösterlichen) Antwort nicht auf seine eigene Auferstehung, sondern auf die grundlegende Wirklichkeit des Alten Bundes, auf die Wirklichkeit des lebendigen Gottes, die der Überzeugung von der Möglichkeit der Auferstehung zugrunde liegt: Der lebendige Gott „ist doch nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden“ (Mk 12, 27). Paulus beruft sich in seiner nachösterlichen Beweisführung zur künftigen Auferstehung vor allem auf die Wirklichkeit und Wahrheit der Auferstehung Christi. Ja, er verteidigt diese Wahrheit geradezu als Fundament des Glaubens in seiner Gesamtheit: „ . . . Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos . . . Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt worden“ (1 Kor 15, 14.20). 3. Hier befinden wir uns auf der Linie der Offenbarung selbst: Die Auferstehung Christi ist das letzte und vollkommenste Wort der Selbstoffenbarung des lebendigen Gottes als „Gott nicht von Toten, sondern von Lebenden“ {Mk 12, 27). Sie ist die letzte und vollkommenste Bestätigung der Wahrheit über Gott, der von Anfang an sich in dieser Offenbarung ausspricht. Die Auferstehung ist zudem die Antwort des lebendigen Gottes auf die geschichtliche Unvermeidlichkeit des Todes, dem der Mensch seit dem Bruch des ersten Bundes unterworfen ist und der mit der Sünde in seine Geschichte eingetreten ist. Diese Antwort zum Sieg über den Tod wird im ersten Korintherbrief (15. Kapitel) besonders scharfsinnig erläutert; dabei wird die Auferstehung Christi als Beginn jener eschatologischen Erfüllung dargestellt, in der durch ihn und in ihm alles zum Vater zurückkehrt, alles ihm unterworfen, das heißt, endgültig ihm zurückerstattet wird, „damit Gott herrscht über alles und in allem“ (1 Kor 15, 28). Und da - bei diesem endgültigen Sieg über die Sünde, über das, was das Geschöpf dem Schöpfer entgegensetzte - wird auch der Tod besiegt: „Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod“ (1 Kor 15, 26). 4. In diesem Zusammenhang sind die Worte eingefügt, die als Synthese der paulinischen Anthropologie der Auferstehung gelten können. Und es wird sich lohnen, uns bei diesen Worten ein wenig länger aufzuhalten. Wir <1> *) Die Korinther wurden wahrscheinlich von philosophischen Denkströmungen beeinflußt, die vom platonischen Dualismus und der religiös nuancierten neupythagoreischen Lehre, vom Stoizismus und vom Epikureismus geprägt waren; im übrigen leugneten sämtliche griechischen Philosophien die Auferstehung des Leibes. Paulus hatte bereits in Athen, bei seiner Areopagrede, die Reaktion der Griechen auf die Lehre von der Auferstehung erfahren (vgl. Apg 17, 32). 48 Audienzen und Angelus lesen in der Tat im ersten Brief an die Korinther (1 Kor 15, 42-46) zur Auferstehung der Toten: „Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, ist unverweslich. Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, herrlich. Was gesät wird, ist schwach, was auf erweckt wird, ist stark. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt wird ein überirdischer Leib. Wenn es einen irdischen Leib gibt, gibt es auch einen überirdischen. So steht es auch in der Schrift: Adam, der erste Mensch, wurde ein irdisches Lebewesen. Der letzte Adam wurde lebendigmachender Geist. Aber zuerst kommt nicht das Überirdische; zuerst kommt das Irdische, dann das Überirdische.“ 5. Zwischen dieser paulinischen Anthropologie der Auferstehung und jener der synoptischen Evangelien {Mt 22, 30; Mk 12, 25; Lk 20, 35-36) besteht ein wesentlicher Zusammenhang, nur ist der Text des ersten Korintherbriefes weiter ausgereift. Paulus vertieft die Verkündigung Christi, indem er einmal in die verschiedenen Aspekte jener Wahrheit vordringt, die von den Synoptikern knapp und grundlegend ausgedrückt worden sind. Bezeichnend für den paulinischen Text ist außerdem, daß die eschatologische Darstellung des Menschen, die sich auf den Glauben „an die Auferstehung der Toten“ stützt, mit dem Hinweis auf den „Anfang“ wie auch mit dem tiefen Bewußtsein von der „geschichtlichen“ Situation des Menschen verbunden ist. Der Mensch, an den sich Paulus im ersten Korintherbrief wendet und der (wie die Sadduzäer) die Möglichkeit der Auferstehung bestreitet, besitzt auch seine „geschichtliche“ Erfahrung des Leibes, und aus dieser Erfahrung geht mit aller Klarheit hervor, daß der Leib „verweslich“, „schwach“, „materiell“, „armselig“ ist. 6. Diesen Menschen, den Empfänger seines Schreibens - sowohl in der Gemeinde von Korinth wie auch, ich möchte sagen, den Menschen aller Zeiten -, vergleicht Paulus mit dem auferstandenen Christus, dem „letzten Adam“. Dadurch fordert er ihn gewissermaßen auf, den Spuren seiner nachösterlichen Erfahrung zu folgen. Zugleich erinnert er ihn an den „ersten Adam“, das heißt, er veranlaßt ihn, sich dem „Anfang“ zuzuwenden, jener ersten Wahrheit über den Menschen und die Welt, die der Offenbarung vom Geheimnis des lebendigen Gottes zugrunde liegt. So gibt also Paulus in seiner Synthese all das wieder, was Christus verkündet hatte, als er sich bei drei verschiedenen Anlässen, zunächst im Gespräch mit den Pharisäern auf den „Anfang“ (vgl. Mt 19, 3-8; Mk 10, 2-9), dann in der Bergpredigt (vgl. Mt 5, 27) auf das menschliche „Herz“ als Ort des Kampfes mit den Begierden im Innern des Menschen und im Gespräch mit den Sadduzäern (vgl. Mt 22, 30; Mk 12, 25; Lk 20, 35-36) auf die Auferstehung als Wirklichkeit des „Jenseits“ berufen hatte. 49 Audienzen und Angelus 7. Zum Stil der Synthese des Paulus gehört daher die Tatsache, daß sie ihre Wurzeln tief in die Gesamtheit des Offenbarungsgeheimnisses von Schöpfung und Erlösung einsenkt, aus der sie entspringt und in deren Licht allein sie erläutert werden kann. Die Erschaffung des Menschen ist nach dem biblischen Bericht eine Belebung der Materie durch den Geist, wodurch „der erste Adam ein irdisches Lebewesen wurde“ (2 Kor 15,45). Der paulinische Text widerholt hier die Worte aus dem Buch Genesis 2, 7, also aus dem zweiten Bericht von der Erschaffung des Menschen (dem sogenannten „Jahwistenbericht“). Aus derselben Quelle ist bekannt, daß diese ursprüngliche „Beseelung des Leibes“ durch die Sünde einen Bruch erlitten hat. Obwohl der Verfasser an die Korinther nicht direkt vom Sündenfall spricht, so weist doch die Reihe der Definitionen, die er dem Leib des irdischen Menschen beifügt - er schreibt, dieser sei „verwes-lich . . . schwach . . . armselig . . . materiellausreichend auf das hin, was nach der Offenbarung Folge der Sünde ist, das, was derselbe Paulus an anderer Stelle die „Knechtschaft der Vergänglichkeit“ (Röm 8, 21) nennt. Dieser „Knechtschaft der Vergänglichkeit“ ist indirekt die ganze Schöpfung aufgrund der Sünde des Menschen unterworfen, der vom Schöpfer in die sichtbare Welt hineingestellt wurde, damit er sie „beherrsche“ (vgl. Gen 1, 28). So hat die Sünde des Menschen nicht bloß eine innere, sondern auch eine „kosmische“ Dimension. Und gemäß dieser Dimension bringt der Leib - den Paulus (entsprechend seiner eigenen Erfahrung) als „verweslich . . . schwach . . armselig . . . materiell . . . “ bezeichnet - den Zustand der Schöpfung nach dem Sündenfall zum Ausdruck. In der Tat, diese Schöpfung „seufzt und hegt in Geburtswehen bis zum heutigen Tag“ {Röm 8, 22). Doch wie die Geburtswehen mit dem sehnsüchtigen Wunsch nach der Geburt, mit der Hoffnung auf einen neuen Menschen verbunden sind, so wartet auch die gesamte Schöpfung „sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes . . . Aber Gott gab ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ {Röm 8, 19-21). 8. Versuchen wir durch diesen „kosmischen“ Zusammenhang der Aussage im Römerbrief, gewissermaßen durch die Schöpfung, die paulinische Erklärung der Auferstehung bis auf den Grund zu erfassen. Wenn dieses Bild vom Leib des irdischen Menschen, das zutiefst realistisch und der allgemeinen Erfahrung der Menschen angepaßt ist, nach Paulus nicht nur die „Knechtschaft der Vergänglichkeit“ in sich birgt, sondern auch die Hoffnung, ähnlich jener, die die „Geburtswehen“ begleitet, so geschieht das, weil der Apostel in diesem Bild auch das Erlösungsgeheimnis wahr- 50 Audienzen und Angelus nimmt. Das Bewußtsein jenes Geheimnisses strömt eben von allen Erfahrungen des Menschen aus, die als „Knechtschaft der Vergänglichkeit“ bezeichnet werden können; es strömt aus, weil die Erlösung in der Seele des Menschen durch die Gaben des Geistes am Werke ist: „Auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, daß wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden“ (Röm 8, 23). Die Erlösung ist der Weg zur Auferstehung. Die Auferstehung ist die endgültige Vollendung der Erlösung des Leibes. Die Analyse des paulinischen Textes im ersten Korintherbrief werden wir bei unseren weiteren Überlegungen wieder aufnehmen. Polen vor das Gewissen der Welt gestellt Vor dem Angelus am 31. Januar 1. Heute möchte ich beim Angelus auch die Bischöfe besonders grüßen, die im vergangenen Jahr zum „Ad-limina“ -Besuch nach Rom gekommen sind. Ich denke an die Bischöfe aus Tansania und dem Sudan in Afrika. Mein Gruß geht an die Kirchen und auch die Nationen, in die diese Kirchen unter der Leitung ihrer Bischöfe den Sauerteig des Evangeliums der Gerechtigkeit und des Friedens einpflanzen. In Tansania gibt es 25 kirchliche Jurisdiktionsbezirke. Der Erzbischof des Mentropolitansitzes Daressalam ist Kardinal Laurean Rugambwa, der erste Afrikaner, der von Papst Johannes XXIII. 1960 ins Kardinalskollegium aufgenommen wurde. In Tansania leben 3 600 000 Katholiken, das entspricht 20 Prozent der Bevölkerung. Im Sudan gibt es sieben Diözesen, und die Bischöfe haben vor allem wegen des Priester- und Personalmangels Schwierigkeiten. Im ganzen Land gibt es nur ca. 50 Diözesanpriester; Missionare gibt es 130, von denen viele (ca. 70) den Combonianem angehören, denen ich meine Ermutigung für ihren hingebungsvollen Einsatz ausspreche; desgleichen den Salesianern und den Angehörigen der Kongregation der „Apostles of Jesus“, welche gleichfalls in jener mir teuren Nation tätig sind. 2. Da gestern und heute in verschiedenen Ländern der Welt der Tag der Solidarität mit der polnischen Nation begangen wird, möchte ich als 51 Audienzen und Angelus Bischof von Rom und zugleich als Sohn meines Volkes für alle Solidaritätsbeweise dieser Art meinen ganz herzlichen Dank zum Ausdruck bringen. Ich danke für jede materielle Hilfe, die von Einzelpersonen oder von verschiedenen sozialen und karitativen Institutionen nach Polen gesandt wird. Die Bischöfe und die Kirche in Polen bemühen sich, daß diese Hilfssendungen in die Hände der Bedürftigsten gelangen. Ich danke für jede Art geistlicher Unterstützung, besonders für die, die in den verschiedenen Formen des Gebets ihren Ausdruck findet, d.h., daß man sich dessen bewußt ist, daß die Probleme Polens nicht allein für dieses einzelne Land und diese einzelne Gesellschaft von Bedeutung sind. Die Achtung der Rechte der Nation und in diesem Zusammenhang die Achtung der Rechte des Menschen als Bürger sind überall auf der Welt die Voraussetzungen für wahre soziale Gerechtigkeit und Frieden. Eine besondere Bedeutung unter diesen Rechten haben im Laufe der beiden letzten Jahre die Grundrechte der Arbeiter erlangt und das Recht auf Verteidigung dieser Rechte durch selbstverwaltete und unabhängige Gewerkschaften, die unter dem Namen Solidarnosc bekannt sind. Es handelt sich hier um Menschen, die in der Industrie, in der Landwirtschaft, aber auch verschiedenen geistigen Berufen tätig sind; damit verbinden sich auch entsprechende Rechte im Bereich des Kulturlebens. Die polnischen Bischöfe haben in ihrem letzten Hirtenbrief mit der Forderung nach Aufhebung des Kriegsrechtes und sämtlicher, in seinem Rahmen praktizierter Formen der Einschränkung und Verletzung der Bürgerrechte die Sorge und Erwartung der gesamten Gesellschaft klar zum Ausdruck gebracht. Wir danken allen Menschen in der ganzen Welt, denen diese Sache ein echtes Herzens- und Gewissensanliegen ist. Die Solidarität mit der polnischen Nation gewinnt noch viel größere ethische Bedeutung, wenn man bedenkt, daß dieses Volk in erheblichem (ja, man könnte sagen, in übergroßem) Maß die Last des letzten Krieges auf seinen Schultern getragen und schreckliche Opfer für die gerechte Sache auf sich genommen hat. Es hat gekämpft und gelitten, um seine Existenz als souveräner Staat zu sichern: damit es souverän in seinem Land leben kann, dessen Boden durchtränkt ist vom Blut und Schweiß seiner Söhne und Töchter. Während ich dieses Problem vor das Gewissen der Welt stelle, höre ich nicht auf, es gemeinsam mit Millionen von Menschen durch die Fürsprache der Mutter von Jasna Göra, der Mutter unseres Vaterlandes, Gott zu empfehlen. 52 Audienzen und Angelus Offenbarung der letzten Bestimmung des Menschen Ansprache bei der Generalaudienz am 3. Februar 1. Von den Worten Christi über die künftige Auferstehung der Toten, die von allen drei synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) überliefert werden, sind wir zur paulinischen Lehre über die Auferstehung übergegangen. Wir sind dabei, den ersten Korintherbrief, Kapitel 15, Vers 42-49, zu untersuchen. Bei der Auferstehung erweist sich - nach den Worten des Apostels - der menschliche Leib als „unverweslich, herrlich, stark und überirdisch“. Die Auferstehung ist also nicht nur eine Offenbarung des Lebens, das den Tod besiegt - gleichsam eine letzte Rückkehr zum Baum des Lebens, von dem der Mensch im Augenblick der Erbsünde vertrieben worden war -, sondern sie ist auch eine Offenbarung der letzten Bestimmung des Menschen in der ganzen Fülle seiner psychosomatischen Natur und seiner personalen Subjektivität. Paulus von Tarsus, der wie die anderen Apostel in der Begegnung mit dem auferstandenen Christus den Zustand des verherrlichten Leibes erfahren hat, verkündet aufgrund eben dieser Erfahrung im Römerbrief „die Erlösung des Leibes“ (Röm 8, 23) und im Brief an die Korinther (1 Kor 15, 42-49) die Vollendung dieser Erlösung in der künftigen Auferstehung. 2. Die literarische Methode, die hier von Paulus angewandt wird, entspricht vollkommen seinem Stil. Dieser verwendet Antithesen, die das, was sie in Gegensatz stellen, zugleich näherbringen und auf diese Weise uns helfen, die paulinische Lehre über die Auferstehung verständlich zu machen: sowohl in ihrer kosmischen Dimension als auch im Hinblick auf die charakteristische innere Struktur des „irdischen“ und des „himmlischen“ Menschen. Der Apostel zeigt in der Gegenüberstellung Adams und des (auferstandenen) Christus - also des ersten und des letzten Adam - gewissermaßen die beiden Pole auf, zwischen die der Mensch im Geheimnis von Schöpfung und Erlösung innerhalb des Kosmos gestellt ist;, man könnte sogtu: sagen, daß der Mensch „in die Spannung“ zwischen diesen beiden Polen gestellt wurde im Hinblick auf die ewige, von Anfang bis Ende seine eigentliche menschliche Natur betreffende Bestimmung. Wenn Paulus schreibt: „Der erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der zweite Mensch stammt vom Himmel“ (1 Kor 15, 47), denkt er an den Menschen Adam wie auch an Christus als Mensch. Zwischen diesen beiden Polen - zwischen dem ersten und dem letzten Adam - spielt sich jener Prozeß ab, den er mit den folgenden Worten umschreibt: „Wie 53 Audienzen und Angelus wir nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden“ (I Kor 15, 49). 3. Dieser „himmlische Mensch“ - der Mensch der Auferstehung, dessen Urbild der auferstandene Christus ist - ist nicht so sehr Gegenbild und Verneinung des „irdischen Menschen“ (dessen Urbild der erste Adam ist), sondern vor allem seine Vollendung und Bestätigung. Er ist die Vollendung und Bestätigung dessen, was der leiblich-seelischen Verfassung des Menschseins im Bereich der ewigen Bestimmung entspricht, also im Denken und Planen dessen, der im Anfang den Menschen als sein Bild und Gleichnis geschaffen hat. Das Menschsein des ersten Adam, des „Menschen von der Erde“, trägt - möchte ich sagen - eine besondere Möglichkeit in sich (gemeint ist Fähigkeit und Bereitschaft), alles anzunehmen, was der zweite Adam, der himmlische Mensch, also Christus, geworden ist: was er in seiner Auferstehung geworden ist. Jene Menschennatur, deren alle Menschen als Söhne des ersten Adam teilhaftig sind und die im Zusammenhang mit dem Erbe der Sünde - die zum Fleisch gehört - zugleich verweslich ist, trägt die Fähigkeit zur Unverwes-lichkeit in sich. Jene Menschennatur, die sich in ihrer gesamten leiblich-seelischen Verfassung als „niedrig“ erweist und doch das innere Verlangen nach Verherrlichung in sich trägt, das heißt das Streben und die Fähigkeit, nach dem Vorbild des auferstandenen Christus erhöht zu werden. Schließlich jene Menschennatur, von welcher der Apostel - nach der Erfahrung aller Menschen - sagt, daß sie „schwach“ ist und einen „fleischlichen Leib“ besitzt, trägt in sich das Verlangen, „stark“ und „geistlich“ zu werden. 4. Wir sprechen hier von der menschlichen Natur in ihrer Unversehrtheit, das heißt, von der Menschennatur in ihrer psychosomatischen Verfassung. Paulus hingegen spricht vom „Leib“. Wir können jedoch aufgrund des unmittelbaren und vorausgehenden Zusammenhangs zugeben, daß es sich für ihn nicht nur um den Leib, sondern um den ganzen Menschen in seiner Leiblichkeit handelt, also auch um seine seinsmäßige Gesamtverfassung. Denn es besteht ja kein Zweifel daran, daß, wenn in der ganzen sichtbaren Welt (Kosmos) jener eine Leib, der der menschliche Leib ist, die potentielle Fähigkeit zur Auferstehung in sich trägt - das heißt, das Verlangen und die Fähigkeit, endgültig „unverweslich, herrlich, stark und geistlich“ zu werden -, dies deshalb geschieht, weü er von Anfang an in der psychosomatischen Einheit seines Personseins als irdisches Abbild und Gleichnis Gottes auch das himmlische Bild des letzten Adam, Christi, aufnehmen und wiedergeben kann. Die paulinische Anthropologie von der Auferstehung ist zugleich kosmisch und universal: Jeder Mensch trägt 54 Audienzen und Angelus das Bild Adams in sich, und jeder ist auch berufen, das Bild Christi, des Auferstandenen, in sich zu tragen. Dieses Bild ist die Wirklichkeit der „anderen Welt“, die eschatologische Wirklichkeit (der hl. Paulus schreibt: „wir werden tragen“); aber gleichzeitig ist sie in gewisser Weise bereits eine Wirklichkeit dieser Welt, weil sie hier durch die Auferstehung Christi geoffenbart wurde. Es ist eine, dem Menschen „dieser Welt“ eingepflanzte Wirklichkeit, die in ihm zur endgültigen Vollendung heranreift. 5. Alle Antithesen, die im Text des Paulus auf einanderfolgen, helfen, einen gültigen Entwurf der Lehre von der Auferstehung zu erstellen. Dieser Entwurf ist zugleich detaillierter und ausführlicher als jener, der sich aus dem Text der Synoptiker ableiten läßt {Mt22, 30; Mk 12, 25; Lk 20, 34-35), andererseits aber ist er in gewissem Sinne einerseitiger. Die von den Synoptikern überlieferten Worte Christi erschließen uns die Aussicht auf die eschatologische Vollkommenheit des Leibes, der voll und ganz der vergöttlichenden Tiefe des Schauens Gottes „von Angesicht zu Angesicht“ unterworfen wird, in dem sowohl die ewige Jungfräulichkeit (verbunden mit der „bräutlichen“ Bedeutung des Leibes) als auch die ewige Intersubjektivität aller Menschen, die (als Männer und Frauen) an der Auferstehung teilhaben, ihre unerschöpfliche Quelle finden wird. Die paulinische Lehre von der eschatologischen Vollkommenheit des verherrlichten Leibes scheint sich mehr im Bereich der inneren Struktur des Menschen als Person zu bewegen. Ihre Auslegung der künftigen Auferstehung könnte den Anschein wecken, wieder an den Dualismus Leib-Geist anzuknüpfen, der die Quelle des inneren Kräftesystems im Menschen darstellt. 6. Dieses Kräftesystem wird in der Auferstehung eine radikale Veränderung erfahren. Die Worte des Paulus, die das klar und deutlich aussprechen, dürfen jedoch nicht im Sinn der dualistischen Anthropologie) verstanden und interpretiert werden, wie wir bei unserer nächsten Überlegung aufzeigen wollen. Ja, wir müssen noch eine Betrachtung der Lehre von der Auferstehung im Lichte des ersten Korintherbriefes widmen. <2> ') „Paulus trägt der griechischen Dichotomie ,Seele und Leib’ überhaupt nicht Rechnung . . . Der Apostel bedient sich einer Art Trichotomie, wo die Gesamtheit des Menschen Leib, Seele und Gott ist. . . All diese Begriffe sind schwankend, und die Trennung ist nicht fest abgrenzbar. Nachdruck wird darauf gelegt, daß Leib und Seele die Fähigkeit besitzen, geistlich zu sein“ (B. Rigaux, Dieu l’a ressuscite. Exegese et theologie biblique, Gembloux 1973, S. 406—408). 55 Audienzen und Angelus „Anthropologie der Auferstehung“ Ansprache bei der Generalaudienz am 10. Februar 1. Von den Worten Christi über die künftige Auferstehung des Leibes, in den drei synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas), haben uns unsere Überlegungen zu dem geführt, was Paulus im ersten Korintherbrief (Kap. 15) über dieses Thema schreibt. Unsere Analyse konzentriert sich vor allem darauf, was man nach Paulus als „Anthropologie der Auferstehung“ bezeichnen könnte. Der Verfasser des Briefes stellt den Zustand des „irdischen“ (d. h. geschichtlichen) Menschen dem des auferstandenen Menschen gegenüber. Dabei charakterisiert er auf lapidare und zugleich tiefschürfende Weise das für jeden dieser beiden Zustände spezifische innere „Kräftesystem“. 2. Auf die Tatsache, daß dieses innere Kräftesystem bei der Auferstehung eine radikale Verwandlung durchmachen muß, scheint vor allem der Gegensatz zwischen dem „hinfälligen“ und dem „kraftvollen“ Leib hinzuweisen. Paulus schreibt: „Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich. Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, herrlich. Was gesät wird, ist schwach, was auferweckt wird, ist stark“ (1 Kor 15, 42-43). „Hinfällig“ ist also der Leib, der - um metaphysisch zu sprechen - sich aus dem zeitlichen Boden der Menschheit erhebt. Die paulinische Metapher entspricht auch der wissenschaftlichen Terminologie, die den Anfang des Menschen als Leib mit ebendiesem Begriff bezeichnet („semen“, „Same“). Wenn sich in den Augen des Apostels der menschliche Leib, der aus dem irdischen Samen entsteht, als „hinfällig“, erweist, so bedeutet das nicht nur, daß er „vergänglich“ und dem Tod und allem, was dahin führt, ausgeliefert ist, sondern auch, daß es ein „sinnvoller Leib“ ist. <3>) Der „kraftvolle Leib“ hingegen, den der Mensch vom <3>) Der griechische Originaltext verwendet den Begriff „psychikon“. Beim hl. Paulus kommt dieser Ausdruck nur im ersten Korintherbrief (2, 14; 15, 44; 15,46) vor und sonst nirgends, wahrscheinlich wegen der gnostischen Neigungen der Korinther; er hat eine herabsetzende Bedeutung. Dem Inhalt nach entspricht er dem Ausdruck „fleischlich“ (vgl. 2 Kor 1, 12; 10, 4). In den anderen Paulusbriefen jedoch bezeichnen die „psyche“ und ihre Ableitungen die irdische Existenz des Menschen in ihren Äußerungen, die Lebensweise des einzelnen und sogar die menschliche Person selbst im positiven Sinn (z.B. um das Lebensideal der Kirchengemeinde zu bezeichnen: Miä-i psyche-i - „in dem einen Geist“: Phil 1, 27; sympsychoi — „daß ihr eines Sinnes seid, einmütig und einträchtig“: Phil2, 2; isopsychon -„gleichgesinnt“: Phil 2, 20. Vgl. R. Jewett, Paul’s Anthropological Terms. A Study oftheir use in Conflict Settings, Leiden 1971, Brill, Vol. 2, S. 448-449). 56 Audienzen und Angelus letzten Adam, Christus, erbt, wird, da er an der künftigen Auferstehung teilhat, ein „geistiger“ Leib sein. Er wird unvergänglich, d. h. nicht mehr vom Tod bedroht sein. Somit bezieht sich also der Gegensatz „hinfälligkraftvoll“ ausdrücklich nicht so sehr auf den getrennt für sich betrachteten Leib, sondern auf die Gesamtverfassung des in seiner Leiblichkeit gesehenen Menschen. Nur im Rahmen einer solchen Verfassung kann der Leib „geistig“ werden; und diese Vergeistigung des Leibes wird die Quelle seiner Kraft und Unvergänglichkeit oder Unsterblichkeit sein. 3. Dieses Thema reicht zurück bis in die ersten Kapitel des Buches Genesis. Man kann sagen, daß der hl. Paulus die Wirklichkeit der künftigen Auferstehung als eine gewisse restitutio in integrum ansieht, d. h. als die Wiederherstellung und zugleich Erfüllung des Menschseins. Es ist nicht nur eine gewisse Wiederherstellung, denn in diesem Fall wäre die Auferstehung sozusagen die Rückkehr zu jenem Zustand, an dem die Seele vor dem Sündenfall, vor der Kenntnis von Gut und Böse, teilhatte (vgl. Gen 1-2). Eine solche Rückkehr aber entspricht nicht der inneren Logik des gesamten Heilsplanes, der tiefsten Bedeutung des Erlösungsgeheimnisses. Restitutio in integrum, verbunden mit der Auferstehung und der Wirklichkeit der „anderen Welt“, kann nur Erfüllung sein. Es wird eine Fülle sein, welche die ganze Geschichte des Menschen voraussetzt, die sich aus dem Drama vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse (vgl. Gen 3) herleitet und zugleich vom Geheimnis der Erlösung geprägt ist. 4. Nach den Worten des ersten Korintherbriefes ist der Mensch, in dem die Begierde das Geistige überwiegt, also der „sinnliche Leib“ (vgl. 1 Kor 15, 44), zum Tod verurteüt; auferstehen hingegen muß ein „geistiger Leib“, der Mensch, in dem der Geist eine echte Oberhoheit über den Leib, die Geistigkeit die Oberherrschaft über die Sinnlichkeit erlangt. Man kann leicht verstehen, daß Paulus hier an die Sinnlichkeit als Summe der Faktoren denkt, die eine Begrenzung der menschlichen Geistigkeit darstellen, d. h. an die Kraft, die den Geist durch die Beschränkung seiner Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis und auch seiner Fähigkeit zum freien Willen und zur wahren Liebe in der Wahrheit „fesselt“ (was nicht unbedingt im platonischen Sinn zu verstehen ist). Es kann sich hier hingegen nicht um jene Grundfunktion der Sinne handeln, die der Freisetzung des Geistigen im Menschen dient, d. h. um die einfache Fähigkeit des Erkennens und Wollens, also der leib-seelischen Ganzheit der menschlichen Person. Da man von der Auferstehung des Leibes, d. h. des Menschen in seiner authentischen Leiblichkeit, spricht, müßte folgüch der „geistige Leib“ eben das vollkommene Empfindungsvermögen der Sinne, 57 Audienzen und Angelus ihre vollkommene Harmonie mit der Tätigkeit des menschlichen Geistes in Wahrheit und in Freiheit bedeuten. Der „sinnliche Leib“, der den irdischen Gegensatz zum „geistigen Leib“ bildet, bezeichnet hingegen die Sinnlichkeit als Kraft, die den Menschen häufig negativ beeinflußt, weil er, der „mit seiner Erkenntnis von Gut und Böse“ lebt, zum Bösen versucht und fast getrieben wird. 5. Man darf nicht vergessen, daß es sich hier nicht so sehr um den anthropologischen Dualismus handelt, sondern um einen Grundgegensatz. Zu ihm gehört nicht nur der Leib (wie die aristotelische „hyle“), sondern auch die Seele: d. h. der Mensch als „lebendiges Wesen“ (vgl. Gen 2, 7). Seine Wesensbestandteile hingegen sind einerseits der ganze Mensch, die Gesamtheit seiner seelisch-leiblichen Subjektivität, sofern sie unter dem Einfluß des lebenspendenden Geistes Christi bleibt; andererseits derselbe Mensch, insofern er Widerstand leistet und sich diesem Geist widersetzt. Im zweiten Fall ist der Mensch „sinnlicher Leib“ (und seine Werke sind Werke des Fleisches). Wenn er jedoch unter dem Einfluß des Heiligen Geistes bleibt, ist der Mensch „geistig“ (und bringt die „Früchte des Geistes“ hervor: Gal 5, 22). 6. Man kann folglich sagen, daß wir es nicht nur in 1 Kor 15 mit der Anthropologie der Auferstehung zu tun haben, sondern daß die gesamte Anthropologie (und die Ethik) des hl. Paulus vom Mysterium der Auferstehung durchdrungen sind, durch das wir endgültig den Heiligen Geist empfangen haben. Das 15. Kapitel des ersten Korintherbriefes stellt die paulinische Interpretation der „anderen Welt“ und des Zustandes des Menschen in jener Welt dar, in welcher jeder zugleich mit der Auferstehung des Leibes in Fülle am Geschenk des lebenspendenden Geistes, d. h. an der Frucht der Auferstehung Christi, teilhaben wird. 7. Zum Abschluß der Analyse der Anthropologie der Auferstehung nach dem ersten Brief des Paulus an die Korinther müssen wir die Gedanken noch einmal jenen Worten Christi über die Auferstehung und über die „andere Welt“ zuwenden, die von den Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas überliefert werden. Wir erinnern daran, daß Christus in seiner Antwort an die Sadduzäer den Glauben an die Auferstehung mit der gesamten Offenbarung des Gottes Abrahams, Isaaks, Jakobs und Moses verband, der „nicht der Gott der Toten, sondern der Gott der Lebenden ist“ {Mt 22, 32). Und während er gleichzeitig die von seinen Gesprächspartnern aufgeworfene Schwierigkeit zurückwies, verkündete er die folgenden bedeutungsvollen Worte: „Wenn die Menschen von den Toten auferstehen, werden sie nicht mehr heiraten“ {Mk 12, 25). Genau diesen Worten - in ihrem unmittelbaren Zusammenhang - haben wir unsere 58 Audienzen und Angelus früheren Betrachtungen gewidmet, um dann zur Analyse des ersten Briefes des hl. Paulus an die Korinther (1 Kor 15) überzugehen. Diese Überlegungen sind für die ganze Theologie des Leibes von grundlegender Bedeutung: für das Verständnis sowohl der Ehe wie der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches wegen“. Diesem letzteren Thema sollen unsere kommenden Betrachtungen gelten. Übergang zur „afrikanischen Kirche“ Ansprache bei der Generalaudienz am Aschermittwoch, 24. Februar 1. „Gedenke, o Mensch, daß du Staub bist und zu Staub zurückkehren wirst.“ „Tut Buße und glaubt an das Evangelium.“ Mit dieser Aufforderung wendet sich heute die Kirche an jeden einzelnen Menschen und vor allem an alle ihre Söhne und Töchter, um ihnen die österliche Bußzeit anzukündigen. Wie der Verkündigung des Evangeliums vom Reiche Gottes das 40tägige Fasten des Jesus von Nazaret in der Wüste vorausging, so bereitet jedes Jahr die österliche Bußzeit die Kirche auf die Erneuerung dieses Evangeliums zum Osterfest vor. Heute begegnen wir uns beim Aschermittwochsgottesdienst. Ich werde ihn in der Stationskirche Santa Sabina auf dem Aventin feiern und mit der Bußprozession beginnen, die von der Basilika Sant’Anselmo ausgeht. Alle, die gekommen sind, um an der üblichen Mittwochsgeneralaudienz teilzunehmen, möchte ich gleich zu Beginn an die Aufforderung der Liturgie des Aschermittwochs erinnern mit dem Wunsch, daß diese österliche Bußzeit für einen jeden zu einer Zeit der Bekehrung und der Gnade, zu einer Zeit tiefer Erneuerung im Geiste werden möge. 2. Meine heutige Betrachtung möchte ich aber dem pastoralen Dienst widmen, den ich dank der göttlichen Vorsehung bei den Kirchen einiger afrikanischer Länder, nämlich in Nigeria, Benin, Gabun und Äquatorialguinea, vom 12. bis 19. Februar erneut aufnehmen konnte. Die während meines vorigen Besuches auf dem afrikanischen Kontinent im Mai 1980 gewonnenen Erfahrungen stellten eine Vorbereitung auf die pastoralen Aufgaben beim jetzigen Besuch dar. Aufgaben, die der Entwicklung des Lebens und der Sendung der Kirche in den einzelnen Ländern Afrikas gelten. 59 Audienzen und Angelus Wir müssen jedesmal auf den Ursprung dieser Sendung zurückgreifen. Mit besonderer innerer Bewegung gedenken wir derjenigen, die im 17. Jahrhundert als erste mit dem Wort des Evangeliums in den Ländern am Golf von Guinea eingetroffen sind. Die tiefsten Wurzeln hat ihre Mission wohl in dem kleinsten der von mir besuchten Länder geschlagen: in Äquatorialguinea, wo von 300000 Einwohnern ungefähr 85 Prozent katholisch sind. Dauerhaften Erfolg hatte jedoch überall die zweite Ankunft von Missionaren, die in die verschiedenen Abschnitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Die älteste Stätte, die von dieser zweiten Welle der Evangelisierung Zeugnis gibt, ist die Marienkirche in Libreville aus dem Jahre 1844. Das vielfältige Bemühen der Missionare im vorigen Jahrhundert, das sich im 20. Jahrhundert fortsetzte, hat in allen genannten Ländern Afrikas der Kirche ihre heutige Gestalt gegeben. Diese heutige Gestalt muß freilich als eine neue Periode der Evangelisierung gesehen und behandelt werden, die mit der Phase der Entkolonialisierung und der Bildung der unabhängigen afrikanischen Staaten einhergeht. So ist also die Kirche in Afrika, auch wenn sie nicht aufhört, Missionskirche zu sein, heute bereits eine afrikanische Kirche geworden, die weitgehend von Bischöfen geführt wird, welche Söhne ihrer jeweiligen Gesellschaften sind; ihnen zur Seite steht in der Seelsorge eine deutlich zunehmende Zahl von einheimischen Priestern, vor allem lokale Ordensgemeinschaften, zumal auch Frauenorden, ja selbst afrikanische Laien (das hat sich besonders nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entwickelt). Diese Laien haben übrigens von Anfang an die grundlegenden Aufgaben der Missionskirche erfüllt, vorwiegend durch ihre Arbeit als Laienkatecheten. 3. Gerade in dieser Entwicklungsperiode konnte ich zum zweiten Mal die Kirche in Afrika besuchen - und deshalb danke ich nach Abschluß dieses Besuches vor allem Gott und dann den Menschen, die Mitgestalter und Mitarbeiter des missionarischen Dienstes des Bischofs von Rom gewesen sind. Wenn man an die afrikanischen Kirchen in jedem der kürzlich besuchten Länder denkt und über sie spricht, muß man sich vor allem diese Länder selbst mit ihren vielfältigen Merkmalen vor Augen halten: in ihrer ethnischen, sozialwirtschaftlichen, politischen Prägung usw. Es genügt zu erwähnen, daß der Weg des Papstbesuches durch Nigeria führte, das mit 80 Millionen Einwohnern zur Zeit das volkreichste afrikanische Land ist, welches sich in einer starken wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung befindet. Dann die Volksrepublik Benin mit einer Bevölkerung von etwa 60 Audienzen und Angelus dreieinhalb Millionen Einwohnern; Gabun, dessen Hauptstadt Libreville an die Länder des Westens erinnert, während die Republik knapp 1200 000 Einwohner zählt; schließlich das bereits erwähnte Äquatorialguinea, das gerade erst eine schwere Krise überwunden hat, deren Spuren noch an den Zerstörungen, die in der vorangegangenen Periode angerichtet wurden, zu sehen sind. Was die sprachliche Situation anbelangt, so ist in Nigeria, neben zahlreichen Lokalsprachen, von denen drei vorzuherrschen scheinen („jomba“, „ibo“ und „hausa“), die englische Sprache in Gebrauch; in Benin und Gabun ist Französisch die Amtssprache, daneben gibt es viele einheimische Sprachen; in Gabun spricht man neben Lokalsprachen Spanisch. 4. Was die religiöse Situation betrifft, so gibt es überall neben der katholischen Kirche verschiedene andere christliche Kirchen und Konfessionen, und die ökumenische Zusammenarbeit macht Fortschritte. In Nigeria zählen die Moslems ungefähr 40 Prozent der Bevölkerung, und das besonders im Norden des Landes. Ähnlich ist die Situation in der Volksrepublik Benin, wo 15 Prozent der Bevölkerung Moslems sind, die vor allem in den nördlichen Landesteüen wohnen. Die Missionstätigkeit der Kirche läßt sich in diesem Bereich von den Grundsätzen der Lehre über das Gottesvolk, die in der Konzilskonstitution Lumen gentium enthalten sind, und von den Weisungen der anderen Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils leiten, wobei in bezug auf den Islam nach Wegen der Annäherung und des Dialogs gesucht wird. Schließlich machen die Anhänger der traditionellen afrikanischen Religionen einen beachtlichen Teil der Bevölkerung (Animisten) überall aus, der anscheinend eine große Bereitschaft zeigt, das Christentum anzunehmen. Schon aus diesen Zahlenangaben ersieht man, daß die Kirche in Afrika, auch wenn sie nun ihre eigenen normalen Strukturen besitzt, nicht aufhört und nicht aufhören kann, missionarisch zu sein. Auf diesem Gebiet zeichnet sich eine Neuheit ab: Diese Kirche wird nämlich auch als afrikanische Kirche missionarisch, und das nicht nur durch das Wirken der weißen Missionare, deren Anwesenheit und Arbeit trotz allem immer noch notwendig und erwünscht ist. Wenn wir das Leben und die Mission der Kirche in Afrika in seiner Gesamtheit betrachten, sehen wir, als wie wichtig sich die Arbeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, seine grundlegenden ekklesiologischen Formulierungen und seine pastoralen Orientierungen erwiesen haben. Der Besuch bei der Kirche in Afrika stimmt mich besonders dankbar dem Heiligen Geist gegenüber, der es zum geeigneten Zeitpunkt und auf 61 Audienzen und Angelus entsprechende Weise ermöglicht, aus dem ewigen Schatz der Weisheit und Liebe Gottes „Neues und Altes“ hervorzuholen (vgl. Mt 13, 52). 5. Es ist schwer, bei dieser Betrachtung über die ganze Pilgerreise des Papstes nach Afrika, die acht Tage dauerte, zu erzählen. Es ist auch schwierig, die einzelnen Etappen getrennt zu betrachten. Diese waren außerdem, was die Dauer des Besuches betrifft, sehr unterschiedlich: In Nigeria allein weilte ich mehr als vier Tage, die restliche Zeit in den übrigen Ländern. Ich meine jedoch, daß - wenn man die Größenverhält-nisse in Betracht zieht - eine grundsätzliche, wesentliche Ausgewogenheit der verschiedenen Etappen eingehalten worden ist. Die Grundlage für die eingehenden Analysen findet sich daher im Bericht über den Verlauf des Besuches und in den Predigten und Ansprachen bei den einzelnen Etappen. Versuchen wir jedoch zum Schluß zusammenfassende Beobachtungen zu formulieren. a) In jedem Land, das ich besuchte, haben wir es mit einer Kirche zu tun, die bereits zur afrikanischen Kirche geworden ist, doch erfolgt der Einsatz der Mission und somit die Evangelisierungsarbeit dieser afrikanischen Kirche nicht überall im gleichen Ausmaß. Am deutlichsten wird das vielleicht in Nigeria, besonders in einigen Diözesen, die über eine große Anzahl von Berufungen verfügen und bereits beginnen, ihrerseits Missionare auszusenden. Im selben Nigeria gibt es jedoch auch Diözesen, die zur Zeit unter Priestermangel leiden. Eine grundlegende Bedeutung für die Mission der Kirche haben jedoch in Anbetracht des doppelten Charakters der Evangelisierung durch das Wort (Lehre) und das Werk (Liebe und Barmherzigkeit) weiterhin Schulen, Krankenhäuser und andere Hilfseinrichtungen. Dabei läßt sich eine interessante Untersuchung anstellen: auf welche Weise diese neue Periode der Evangelisierung, in der die Kirche bereits als afrikanische Kirche tätig ist, die vorausgegangene, missionarische Periode widerspiegelt, und inwiefern in dieser neuen Periode die frühere Arbeit der Missionare Früchte trägt auch im Hinblick auf die Akzente, die bei dieser Arbeit gesetzt wurden. (So sieht man zum Beispiel in Nigeria eine Arbeitsweise, die im besonderen den irischen Missionaren eigen war, während es sich in Gabun großenteils um französische Missionare handelt). b) Die afrikanische Kirche steht in jedem der Länder, die ich besucht habe, verschiedenen Formen des Materialismus gegenüber, die aus West und Ost importiert werden. Der theoretische Materialismus als politisches Programm auf der einen und der praktische Materialismus als Faktor der 62 Audienzen und Angelus wirtschaftlichen Entwicklung in Verbindung mit dem Liberialismus auf der anderen Seite. Wenn es auch schwierig ist, dieses Zusammentreffen von europäischen Erfahrungen her zu beurteilen, so kann man doch nicht einfach von ihnen absehen. Es scheint, daß die afrikanische Kirche mit einer stärkeren Widerstandskraft der spontanen Religiosität, auch in ihrer traditionellen afrikanischen Form, rechnen kann, was die Auseinandersetzung mit der planmäßigen Einführung des Atheismus anbelangt. Ein extremes Beispiel dafür ist Äquatorialguinea (wo die Mehrheit der Bevölkerung katholisch ist) und in gewissem Sinne auch Benin, und dort gerade der Widerstand der Anhänger des einheimischen Ahnenkultes. c) Der Übergang zum Zeitalter der afrikanischen Kirche erfordert als eine der wichtigsten Aufgaben die Evangelisierung der Kultur. Die afrikanische Kultur ist ein hervorragender Nährboden, der die Inkarnation des Christentums erwartet. Hier güt es, die entsprechenden Abschnitte aus Lumen gentium und Gaudium et spes immer wieder gründlich zu lesen, aber auch, sich vor verschiedenen aprioristischen Begriffen und Vorstellungen in bezug auf dieses Thema zu hüten: „Vielfache Beziehungen bestehen zwischen der Botschaft des Heils und der menschlichen Kultur. Denn Gott hat in der Offenbarung an sein Volk bis zu seiner vollen Selbstkundgabe im fleischgewordenen Sohn entsprechend der den verschiedenen Zeiten eigenen Kultur gesprochen . . . “ „Die gute Botschaft Christi. . . reinigt und hebt unablässig die Sitten der Völker. Die geistigen Vorzüge und Anlagen eines jeden Volkes oder einer jeden Zeit befruchtet sie sozusagen von innen her mit überirdischen Gaben, festigt, vollendet und erneuert sie in Christus. Schon durch die Erfüllung der eigenen Aufgabe treibt die Kirche die menschliche und mitmenschliche Kultur voran und trägt zu ihr bei. . .“ (Gaudium et spes, Nr. 58). 6. Zu Beginn der österlichen Bußzeit senden wir an unsere Brüder in Nigeria, Benin, Gabun und Äquatorialguinea besonders brüderliche Worte christlicher Einheit und Verbundenheit auf diesen Wegen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, auf denen die ganze Kirche gerade in diesen Tagen voranschreiten will. 63 Audienzen und Angelus Friedensappell für El Salvador Vor dem Angelus am 28. Februar 1. „Wir bitten an Christi Statt: Laßt euch mit Gott versöhnen! Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. Als Mitarbeiter Gottes ermahnen wir euch, daß ihr seine Gnade nicht vergebens empfangt ... Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung“ (2 Kor 5, 20-6, 2). 2. Diese Worte des Apostels aus dem 2. Korintherbrief hören wir alle Jahre am Aschermittwoch, zu Beginn der österlichen Bußzeit. In diesem Jahr bekommen sie eine besondere Bedeutung wegen der Vorarbeiten für die 6. Bischofssynode im nächsten Jahr, die sich mit dem Thema „Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche“ beschäftigen wird. Im letzten Herbst wurden allen Bischofskonferenzen die sogenannten „Grundlinien“ der mit diesem Thema verbundenen Fragen zugestellt. Sicher bietet die österliche Bußzeit dieses Jahres besondere Gelegenheit zum Nachdenken über das Problem der Versöhnung und Buße in der Kirche. In der Tat ist es wichtig, daß mit den Bischofskonferenzen die ganze Kirche in dieser Zeit besonders aufgefordert ist zur Versöhnung und Buße im Geist der österlichen Bußzeit, aber gleichzeitig auch zu tiefem und gründlichem Nachdenken über Versöhnung und Buße im Leben und im Sendungsauftrag der Kirche. Daß es hier um einen grundlegenden Aspekt des Lebens aller Christen und der Pastoralarbeit der ganzen Kirche geht, zeigen zur Genüge die ersten Worte, mit denen - nach dem Markusevangelium - Jesus Christus seine Predigt beginnt: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (1, 14). Bekehrt euch, tut Buße: In allen Zeiten stand diese Aufforderung am Anfang der Sendung der Kirche. Wie verkündet und wie verwirklicht die Kirche unserer Zeit diese Aufforderung? Beten wir inständig, daß die Arbeit der Bischofssynode breiten Widerhall in der Kirche finde und sie uns zur wahren Tiefe des göttlichen Lebens im Menschen führe. 3. Eurem Gebet empfehle ich auch die Exerzitien im Vatikan in der ersten Woche der österlichen Bußzeit, die heute abend beginnen. 64 Audienzen und Angelus 4. Ich möchte noch ein besonderes Wort dem Volk von El Salvador widmen. El Salvador: ein Name, der in allen Christen tiefe Ehrfurcht und Liebe weckt; es ist das einzige Land der Welt, das den Namen Jesu trägt, des Sohnes Gottes und Erlösers (Salvatore) des Menschen. In diesen Monaten scheint das von einem brudermörderischen Krieg, der nicht enden will, heimgesuchte Volk von El Salvador am Leiden des Herrn teilzunehmen. Fast täglich werden Hunderte von Menschen getötet, und die traurige Zahl der Witwen und Waisen nimmt immer mehr zu, während unzählige Scharen von Flüchtlingen, die in die Hunderttausende gehen -in einem Land mit dreieinhalb Millionen Einwohnern -, Zuflucht in den Bergen oder den Nachbarländern suchen. Der Guerillakrieg hinterläßt Trauer in Städten und Dörfern, zerstörte Brücken, Straßen und wirtschaftliche Einrichtungen, die lebenswichtig sind; andererseits ist das Vorgehen der bewaffneten Gruppen in der Absicht, die oppositionellen Herde zu ersticken, nicht weniger hart und streng. Viele Male haben die Bischöfe von El Salvador ihre besorgte Hirtenstimme erhoben, damit die Gewalt ein Ende nimmt und das Land in die Lage kommt, sich eine gerechte und friedliche soziale Ordnung zu geben. Das Drama von El Salvador weckt ein weites Echo in der Welt mit unterschiedlichen Reaktionen zugunsten der einen oder anderen Seite, während die Bevölkerung als unschuldiges Opfer einen hohen Preis an Blut und Tränen zahlt. „Die Waffen kommen aus dem Ausland - hat der Apostolische Administrator von San Salvador, Msgr. Rivera Damas, ausgerufen -, aber die Toten sind alle die unseres Volkes!“ Wäre es nicht wünschenswert, daß die weltweite Empörung, anstatt die Auseinandersetzung, unter der das kleine Land leidet, auf die Spitze zu treiben, sich zu einer gemeinsamen Bemühung vereint, damit das Blutbad ein Ende nimmt und das Volk von El Salvador ohne Druck von außen die schweren Probleme selbst lösen kann, die es bedrücken? Wenn die Suche nach dem Wohl aller die Überhand gewinnt, wird es nicht unmöglich sein, die Hindernisse, auch die scheinbar unüberwindlichen, zu beseitigen, um den Weg der Befriedung und Versöhnung zu finden. Ich mache mir den Appell der Bischöfe von El Salvador zu eigen und vertraue die Gebete und die Friedenssehnsucht dieser gemarterten Nation der heüigsten Jungfrau, Mutter der Kirche und Zuflucht der Betrübten, an. 65 Audienzen und Angelus Ehelosigkeit: eine Art Ausnahme Ansprache bei der Generalaudienz am 10. März 1. Heute wollen wir mit Betrachtungen über die Jungfräulichkeit und die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ beginnen. Die Frage des Aufrufs zu einer Ganzhingabe an Gott in Jungfräulichkeit und der Ehelosigkeit ist tief verwurzelt in der Theologie des Evangeliums über den Leib. Um die besonderen Dimensionen dieser Frage aufzuzeigen, muß man sich die Worte vor Augen halten, mit denen Christus auf den „Anfang“ Bezug nimmt, sowie jene, mit denen er sich auf die Auferstehung des Leibes bezieht. Seine Feststellung: „Wenn nämlich die Menschen von den Toten auferstehen, werden sie nicht mehr heiraten“ {Mk 12, 25), deutet darauf hin, daß es einen Zustand der Ehelosigkeit gibt, in dem der Mensch - Mann und Frau - dank der Verherrlichung seines geist-leiblichen Seins in der ewigen Einheit mit Gott sowohl die Fülle der persönlichen Hingabe als auch die der zwischenmenschlichen Gemeinschaft von Personen findet. Wenn der Aufruf zur Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ in der menschlichen Seele, im Zustand irdischer Zeitlichkeit, das heißt in dieser Welt, in der die Menschen gewöhnlich heiraten (vgl. Lk 20, 34), gehört wird, läßt sich darin unschwer eine besondere Aufgeschlossenheit des menschlichen Geistes erkennen, der bereits in dieser Zeit gleichsam das vorwegnimmt, was jedem Menschen bei der künftigen Auferstehung geschenkt wird. 2. Doch von diesem Problem, von dieser besonderen Berufung hat Christus im unmittelbaren Zusammenhang seines Gespräches mit den Sadduzäern (vgl. Mt 22, 23-30; Mk 12, 18-25; Lk 20, 27-36) nicht gesprochen, als er auf die Auferstehung der Toten Bezug nahm. Hingegen hatte er darüber schon beim Gespräch mit den Pharisäern über die Ehe und die Grundlagen ihrer Unauflöslichkeit gesprochen - gleichsam als Verlängerung jener Auseinandersetzung (vgl. Mt 19, 3-9). Seine abschließenden Worte betreffen den sogenannten Scheidebrief, den Moses für manche Fälle erlaubt hatte. Christus sagt: „Nur weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch erlaubt, eure Frauen aus der Ehe zu entlassen. Am Anfang war das nicht so, ich sage euch: Wer seine Frau verläßt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch“ {Mt 19, 8-9). Da sagten die Jünger, die - wie man aus dem Zusammenhang schließen kann - jenem Gespräch und insbesondere den von Jesus zuletzt gesprochenen Worten aufmerksam zugehört hatten: „Wenn das die Stellung des Mannes in der Ehe ist, dann ist es nicht gut zu heiraten“ 66 Audienzen und Angelus {Mt 19, 10). Christus gibt ihnen folgende Antwort: „Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist. Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selbst dazu gemacht -um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es“ {Mt 19, 11-12). 3. In bezug auf dieses Gespräch, das Matthäus wiedergibt, kann man die Frage stellen: Was dachten die Jünger, als sie nach der Antwort Jesu an Pharisäer über die Ehe und ihre Unauflöslichkeit ihre Bemerkung „Wenn das die Stellung des Mannes in der Ehe ist, dann ist es nicht gut zu heiraten“ machten? Jedenfalls hielt Christus dies für eine geeignete Gelegenheit, zu ihnen über die freiwillige Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen zu sprechen. Wenn er das tut, nimmt er weder direkt zur Äußerung der Jünger Stellung, noch bleibt er auf der Linie ihres Gedankenganges. <4>) Er antwortet also nicht: „Man soll heiraten“ oder „man soll nicht heiraten.“ Die Frage der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen steht nicht im Gegensatz zur Ehe, sie gründet sich auch nicht auf ein negatives Urteil über die Bedeutung der Ehe. Im übrigen hatte sich Christus, als er zuvor von der Unauflöslichkeit der Ehe sprach, auf den „Anfang“ berufen, das heißt, auf das Schöpfungsgeheimnis und damit auf die erste und grundlegende Wurzel des Wertes der Ehe. Um die Frage der Jünger zu beantworten oder vielmehr um das von ihnen aufgeworfene Problem zu klären, beruft sich Christus infolgedessen auf einen anderen Grundsatz. Nicht weil man „nicht heiraten soll“, also nicht wegen eines vermeintlich negativen Wertes der Ehe, bleiben jene ehelos, die für ihr Leben „um des Himmelreiches willen“ eine solche Entscheidung treffen, sondern im Hinblick auf den besonderen Wert, den diese Entscheidung enthält und die jeder persönlich als seine Berufung erkennen und annehmen muß. Deshalb sagte Christus: „Wer das erfassen kann, der erfasse es“ {Mt 19, 12). Unmittelbar vorher sagt er hingegen: „Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist“ {Mt 19,11). <4> Kor 7, 7), die Jungfräulichkeit oder der Zölibat, in dem man sich leichter ungeteilten Herzens (vgl. 1 Kor 7, 32-34) Gott allein hingibt“ (Lumen gentium, Nr. 42). 4. Wie man sieht, gibt Christus in seiner Antwort auf die ihm von den Jüngern vorgelegte Frage klar einen Schlüssel für das Verständnis seiner Worte an. In ihrer Lehre ist die Kirche der Überzeugung, daß diese Worte nicht ein Gebot zum Ausdruck bringen, das alle Menschen verpflichtet, ') Zu den Problemen der Exegese dieses Abschnitts im einzelnen konsultiere man z. B.: L. Sabourin, II vangelo di Matteo. Teologia e Esegesi, Bd. n, Rom 1977 (Edi. Paoline), 5. 834-836; The positive Values of Consecrated Celibracy, in: The Way, Suppl. 10, Summer 1970, S. 51; J. Blinzler, Eisin eunuchoi. Zur Auslegung von Mt 19, 12, in: Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft, 48, 1957, S. 268 ff. 67 Audienzen und Angelus sondern einen Rat, der nur einige angeht): eben jene, die „es erfassen“ können. Und „erfassen“ können es diejenigen, „denen es gegeben ist“. Die zitierten Worte weisen deutlich auf den Augenblick der persönlichen Entscheidung hin und zugleich auf den Augenblick der besonderen Gnade, das heißt des Gnadengeschenks, das der Mensch empfängt, um eine solche Entscheidung zu treffen. Man kann sagen, daß die Entscheidung zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen eine charismatische Ausrichtung auf den eschatologischen Zustand ist, in dem die Menschen „nicht mehr heiraten werden“: Zwischen dem Zustand des Menschen nach der Auferstehung der Toten und der freiwilligen Entscheidung für die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen, die im irdischen Leben und im geschichtlichen Zustand des gefallenen und erlösten Menschen erfolgt, besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied. Das eschatologische „Nicht-Heiraten“ ist ein „Zustand“, das heißt die eigentliche und grundlegende Existenzweise der Menschen - Männer und Frauen - in ihren verherrlichten Leibern. Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen als Frucht einer charismatischen Entscheidung ist eine Ausnahme in bezug auf den anderen Zustand, nämlich auf jenen, dessen der Mensch „im Anfang“ teilhaftig geworden ist und während seines ganzen irdischen Lebens teilhaftig bleibt. 5. Es ist sehr bezeichnend, daß Christus seine Worte über die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen nicht unmittelbar mit der Ankündigung der „anderen Welt“, in welcher „die Menschen nicht heiraten werden“ (Mk 12, 25), verbindet. Seine Worte finden sich hingegen - wie wir bereits gesagt haben - in der Fortsetzung des Gespräches mit den Pharisäern, wo Jesus sich auf „den Anfang“ berufen hatte, indem er auf die Einsetzung der Ehe durch den Schöpfer hinwies und an ihren unauflöslichen Charakter erinnerte, wie es der ehelichen Einheit von Mann und Frau nach Gottes Plan entspricht. Der Rat und somit die chrismatische Entscheidung zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen verbinden sich in den Worten Christi mit einer sehr großen Anerkennung des „geschichtlichen“ Zustandes der menschlichen Existenz in bezug auf Seele und Leib. Aufgrund des unmittelbaren Zusammenhanges der Worte über die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen im irdischen Leben des Menschen muß man in der Berufung <5> <6> 2) „Ferner wird die Heiligkeit der Kirche in besonderer Weise gefördert durch die vielfachen Räte, deren Beobachtung der Herr im Evangelium seinen Jüngern vorlegt. Darunter ragt die kostbare göttliche Gnadengabe hervor, die der Vater einigen gibt (vgl. Mt 19, 11; <6> Kor 7, 7), die Jungfräulichkeit oder der Zölibat, in dem man sich leichter ungeteilten Herzens (vgl. 1 Kor 7, 32-34) Gott allein hingibt“ (Lumen gentium, Nr. 42). 68 Audienzen und Angelus zur Ehelosigkeit eine Art Ausnahme von dem sehen, was vielmehr eine allgemeine Lebensregel ist. Das hebt Christus vor allem hervor. Daß diese Ausnahme die Vorwegnahme des Lebens in der „anderen Welt“ (dem Endzustand des ehelosen „Himmelreiches“) ist, das sagt Christus hier nicht direkt. Es handelt sich ja nicht um die Ehelosigkeit im Himmelreich, sondern um die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“. Die Idee der Jungfräulichkeit oder der Ehelosigkeit als endzeitliche Vorwegnahme und eschatologische Zeichen <7>) ergibt sich aus der gedanklichen Verbindung der hier verkündeten Worte mit jenen, die Jesus bei anderer Gelegenheit, nämlich im Gespräch mit den Sadduzäern, aussprechen wird, wenn er die künftige Auferstehung des Leibes verkündet. <7>) Vgl. z. B. Lumen gentium, Nr. 44; Perfectae caritatis, Nr. 12. Wir werden auf dieses Thema in den kommenden Überlegungen bei den Mittwochsaudienzen zurückkommen. Zeit, die Gewissen wachzurufen Vor dem Angelus am 14. März 1. Wenden wir uns mit Herz und Sinn dem Wort zu, das durch das Wirken des Heiligen Geistes unter dem Herzen der Jungfrau aus Nazaret Mensch geworden ist - dazu sind wir zum Gebet des „Engel des Herrn“ zusammengekommen. Zugleich wollen wir - dem Gedanken der österlichen Bußzeit folgend -über das Thema der kommenden Bischofssynode nachdenken: „Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche.“ Im Zusammenhang mit diesem Thema erkennen wir die Notwendigkeit, die Bedeutung des Gewissens hervorzuheben, das aufgrund seiner Beziehung zur Wahrheit eng an die Freiheit des Menschen gebunden ist, von der vor einer Woche die Rede war. Deshalb ist das Gewissen die erste Grundlage der inneren Würde des Menschen und damit seiner Beziehung zu Gott. 2. Lesen wir noch einmal die bündige Aussage über das Gewissen in der Konzilskonstitution Gaudium etspes:„lm Innern seines Gewissens entdeckt der Mensch ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muß und dessen Stimme ihn immer zur Liebe und zum Tun des Guten und zur Unterlassung des Bösen anruft und, wo nötig, in den Ohren 69 Audienzen und Angelus des Herzens tönt: Tu dies, meide jenes. Denn der Mensch hat ein Gesetz, das von Gott seinem Herzen eingeschrieben ist, dem zu gehorchen eben seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet werden wird. Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist. Im Gewissen erkennt man in wunderbarer Weise jenes Gesetz, das in der Liebe zu Gott und dem Nächsten seine Erfüllung hat (vgl. Mt22,37-40); Gal 5,14).Durch die Treue zum Gewissen sind die Christen mit den übrigen Menschen verbunden im Suchen nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben der einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen. Je mehr also das rechte Gewissen sich durchsetzt, desto mehr lassen die Personen und Gruppen von der blinden Willkür ab und suchen sich nach den objektiven Normen der Sittlichkeit zu richten. Nicht selten jedoch geschieht es, daß das Gewissen aus unüberwindlicher Unkenntnis irrt, ohne daß es dadurch seine Würde verliert. Das kann man aber nicht sagen, wenn der Mensch sich zuwenig darum bemüht, nach dem Wahren und Guten zu suchen und das Gewissen durch Gewöhnung an die Sünde allmählich fast blind wird“ (Nr. 16). 3. Es ist angebracht, in der österlichen Bußzeit über diese Worte wieder nachzudenken, in einer Zeit, die besonders geeignet ist, das Gewissen wachzurufen und zu pflegen. Haben wir eine richtige Vorstellung vom Gewissen? Wollen wir ehrlich seine Freiheit? Lassen wir uns in unserem persönlichen Leben, in der Familie und im sozialen Leben von einem wahren und rechten Gewissen leiten? Lebt der moderne Mensch nicht unter der Bedrohung einer Verdunkelung des Gewissens? Einer Verfälschung des Gewissens? Einer Verflachung oder Betäubung des Gewissens? Solche und ähnliche Fragen sollte man sich in der österlichen Bußzeit stellen, während man gleichzeitig mit ihrer Hilfe über das Thema „Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche“ nachdenkt. Beten wir heute für jedes menschliche und für jedes christliche Gewissen, indem wir den Heiligen Geist, das menschgewordene Wort und die Magd des Herrn, Mariä von Nazaret, anrufen. 70 Audienzen und Angelus Privilegiert von der Offenbarung Ansprache bei der Generalaudienz am 17. März 1. Wir setzen heute unsere Betrachtungen über die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen fort: ein Thema, das auch für eine vollständige Theologie des Leibes von Bedeutung ist. Im unmittelbaren Zusammenhang der Worte über die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen stellt Christus einen sehr bedeutsamen Vergleich an; und dies bestärkt uns noch mehr in der Überzeugung, daß er die Berufung zu solcher Ehelosigkeit tief in der Wirklichkeit des irdischen Lebens verankern will, um sich so einen Weg zur Denkweise seiner Zuhörer zu bahnen. Er zählt nämlich drei Gruppen von Ehelosen auf. Wenn man von „Eunuchen“ spricht, denkt man an die physischen Mängel, die die ehelichen Fortpflanzung unmöglich machen. Solche Mängel liegen bei den beiden ersten Gruppen vor, wenn Jesus einerseits von angeborenen Mängeln spricht: „Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig“ (Mt 19, 21), andererseits von erworbenen, durch menschliches Eingreifen verursachten Mängeln: „Manche sind von den Menschen dazu gemacht“ (Mt 19, 12). In beiden Fällen handelt es sich also um eine erzwungene Lage, die nicht freiwillig angenommen worden ist. Wenn Christus in seinem Vergleich dann von denen, „die ehelos geblieben sind um des Himmelreiches willen“ (Mt 19, 12) als einer dritten Gruppe spricht, macht er diese Unterscheidung sicherlich, um desto deutlicher den freiwilligen und übernatürlichen Charakter dieser Entscheidung herauszustellen. Freiwillig, weil die Angehörigen dieser Gruppe „sich selbst zu Ehelosen gemacht haben“; übernatürlich hingegen, weü sie es „um des Himmelreiches willen“ getan haben. 2. Die Unterscheidung ist durchaus klar und deutlich. Nicht weniger stichhaltig und vielsagend ist die Gegenüberstellung. Christus spricht zu Menschen, denen die Tradition des Alten Bundes das Ideal der Ehelosigkeit oder Jungfräulichkeit nicht überliefert hatte. Die Ehe war derart allgemein üblich verbreitet, daß nur körperliche Eheunfähigkeit eine Ausnahme bilden konnte. Die Antwort, die die Jünger bei Matthäus (19, 10-12) erhalten, richtet sich gleichzeitig in gewissem Sinne an die gesamte Überlieferung des Alten Testaments. Dies soll ein einziges, dem Buch der Richter entnommenes Beispiel bestätigen, auf das wir hier nicht so sehr wegen des tatsächlichen Geschehens als vielmehr wegen der bezeichnenden Worte, die es begleiten, Bezug nehmen. „Nur um eines bitte ich dich:... laß mir Zeit, damit ich meine Jungfräulichkeit beweinen kann“ (Rill, 37),sagt 71 Audienzen und Angelus die T ochter des Jif tach zu ihrem V ater, nachdem sie von ihm erfahren hat, sie sei durch ein dem Herrn gemachtes Gelübde als Opfer bestimmt. (Im biblischen Text finden wir die Erklärung, wie es dazu kam.) „Geh nur! -lesen wir dann-, und er ließ sie gehen . . .Sie ging mit ihren Freundinnen und beweinte in den Bergen ihre Jungfräulichkeit. NachzweiMonatenkehrte sie zu ihrem Vater zurück, und er tat an ihr, was er gelobt hatte; sie aber hatte noch mit keinem Mann geschlafen“ (Ri 11, 38-39). 3. In der Überlieferung des Alten T estamentes ist folglich kein Platz für eine Bedeutung des Leibes, wie Christus jetzt seinen Jüngern darlegen und offenbaren will, wenn er von der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen spricht. Unter den Persönlichkeiten, die uns als geistliche Führer des Volkes im Alten Bund bekannt sind, ist nicht eine, die die Ehelosigkeit in Wort oder Verhalten verkündet hätte.) Die Ehe war also damals nicht nur ein allgemein üblicher Stand, sondern sie hatte außerdem in der damaligen Überlieferung eine durch die Verheißung des Herrn an Abraham geheiligte Bedeutung erhalten: „Das ist mein Bund mit dir: Du wirst Stammvater einer Menge von Völkern . . . Ich mache dich sehr fruchtbar und lasse Völker aus dir entstehen. Könige werden von dir abstammen. Ich schließe meinen Bund zwischen dir und mir samt deinen Nachkommen, Generation um Generation, als ewigen Bund: Dir und deinen Nachkommen werde ich Gott sein“ ( Gen 17,4. 6-7). Daher war in der Tradition des Alten Testaments die Ehe als Quelle der Fruchtbarkeit und des Kindersegens ein religiös privilegierter Stand: privilegiert von der Offenbarung selbst. Auf dem Hintergrund dieser Überlieferung, nach der der Messias „SohnDavids“ (Mi20,30) sein sollte, war das Ideal der Enthaltsamkeit schwer zu verstehen. Alles sprach zugunsten der Ehe: nicht nur die Gründe menschlicher Natur, sondern auch jene vom Reich Gottes her. <8> <9>) ') Es stimmt, daß Jeremia auf ausdrückliches Gebot des Herrn ehelos geblieben ist (vgl. Jer 16, 1-2); aber das war ein prophetisches Zeichen, das die künftige Verlassenheit, die Zerstörung des Landes und die Vernichtung des Volkes sympbolisierte. <9>) Es stimmt — wie aus außerbiblischen Quellen bekannt ist daß in der Übergangszeit zwischen dem Alten und dem Neuen Testament im Judentum manche Mitglieder der Sekte der Essener ehelos waren (vgl. Josephus Flavius, Bellum Iudaicum II, 8, 2: 120-121; Philon von Alexandria, Hypothet. 11, 14); aber das ereignete sich am Rande des offiziellen Judentums und überdauerte wahrscheinlich nicht den Beginn des 2. Jahrhunderts. In der Gemeinde von Qumran waren nicht alle zur Ehelosigkeit verpflichtet, aber einige Mitglieder hielten sie bis zum Tod ein, indem sie die Beschreibung von Deuteronomium 23, 10-14, über die rituelle Reinheit, die während des heiligen Krieges Pflicht war, auf den Bereich des friedlichen Zusammenlebens übertrugen. Nach dem Glauben der Leute von Qumran dauerte dieser Krieg „zwischen den Kindern des Lichts und den Kindern der Finsternis“ an; die Ehelosigkeit war also für sie der Ausdruck der Bereitschaft zum Kampf (vgl. 1 QM 7, 5-7). 72 Audienzen und Angelus 4. Die Worte Christi bringen in diesem Zusammenhang eine entscheidende Wende. Wo er zu seinen Jüngern zum ersten Mal über die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen spricht, ist er sich klar bewußt, daß sie als Kinder des Gesetzes des Alten Bundes die Ehelosigkeit mit der Situation von einzelnen, insbesondere männlichen Geschlechts, in Verbindung bringen müssen, die wegen physischer Mängel nicht heiraten können („die Eunuchen“), und deshalb bezieht er sich direkt auf diese. Das hat einen mehrfachen Hintergrund: einen geschichtlichen, psychologischen, ethischen und religiösen. Mit seiner Bezugnahme trifft Jesus - in gewissem Sinne - alle diese Hintergründe, so als wollte er sagen: Ich weiß, daß alles, was ich euch jetzt sagen werde, für euer Gewissen und euer Leibverständnis große Schwierigkeiten bringen wird; ich spreche nämlich zu euch von der Ehelosigkeit, die ihr zweifellos mit physischer Impotenz, angeboren oder durch menschlichen Eingriff erworben, in Verbindung bringt. Ich hingegen möchte euch sagen, daß Ehelosigkeit auch freiwillig sein und vom Menschen „um des Himmelreiches willen“ gewählt werden kann. 5. Matthäus berichtet im 19. Kapitel nichts von einer unmittelbaren Reaktion der Jünger auf diese Worte. Eine solche finden wir erst später in den Schriften der Apostel, vor allem bei Paulus. <10>) Das beweist, daß sich diese Worte in das Bewußtsein der ersten Generation der Jünger Christi eingeprägt hatten und später in den Generationen seiner Bekenner in der Kirche (und vielleicht auch außerhalb von ihr) immer wieder und auf vielfältige Weise Früchte trugen. Aus dem Blickwinkel der Theologie -das heißt der Offenbarung von der gegenüber dem Alten Testament völlig neuen Bedeutung des Leibes - stellen diese Worte daher eine Wende dar. Ihre Analyse beweist, wie genau und wesentlich sie trotz ihrer Kürze sind. (Das werden wir noch besser bei der Analyse des paulinischen Textes aus dem 7. Kapitel des 1. Korintherbriefes feststellen.) Christus spricht von der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen. Damit will er unterstreichen, daß der bewußten Entscheidung für diesen Stand im irdischen Leben, wo die Menschen für gewöhnlich „eine Frau nehmen oder einen Mann nehmen“, eine einzigartige, überirdische Zielsetzung zukommt. Die Ehelosigkeit, die zwar bewußt und persönlich, aber ohne diese Zielsetzung gewählt wird, fällt nicht unter die oben erwähnte Aussage Christi. Wenn Christus von denen spricht, die bewußt die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen gewählt haben (sich also zu „Ehelosen gemacht haben“), betont er - zumindest indirekt -, daß eine solche Entscheidung <10>) Vgl. / Kor 7, 25-40; siehe auch Offb 14, 4. 73 Audienzen und Angelus im irdischen Leben mit dem Verzicht und auch mit einem bestimmten Vollkommenheitsstreben verbunden ist. 6. Dieselbe überirdische Zielsetzung - um des Himmelreiches willen“ -erlaubt eine Reihe von eingehenderen Interpretationen, die Christus in diesem Abschnitt nicht aufzählt. Man darf jedoch behaupten, daß er durch die knappe Wendung, deren er sich bedient, indirekt auf all das hinweist, was zu diesem Thema in der Offenbarung, in der Bibel und der Überlieferung ausgesagt worden ist; all das, was zum geistlichen Reichtum der Erfahrung der Kirche geworden ist, in der die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen in den verschiedenen Generationen der Jünger und Nachfolger des Herrn auf vielfältige Weise Früchte getragen hat. Wünsche für das chinesische Volk Vor dem Angelus am 21. März 1. Im Januar richtete ich an die Bischöfe der ganzen Welt ein Schreiben, um die katholischen Gemeinden zum Gebet für die Kirche in China aufzufordem. Für diese Intention, die allen so sehr am Herzen liegt, haben wir heute vormittag in der Petersbasilika das eucharistische Opfer dargebracht. Weil wir uns jetzt wie jeden Sonntag zum Gebet des Angelus eingefunden haben, wollen wir unsere Gebete der mächtigen Fürsprache der seligsten Jungfrau Maria anvertrauen, die die chinesischen Gläubigen mit großer Inbrunst und Zuversicht unter dem Titel „Königin von China“ anrufen. Bitten wir die Muttergottes und unsere Mutter, „damit vom Erbarmen Gottes jene Gaben, Erleuchtungen und geistlichen Kräfte erwirkt werden“ - wie ich in dem genannten Brief gesagt habe -, „die die unerläßlichen Voraussetzungen für die Kirche in China schaffen, damit sie sich auch der sichtbaren Einheit mit der Kirche Jesu Christi erfreuen kann, die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche ist“. Liebe Brüder und Schwestern in China, wir alle sind in Gedanken, in Liebe und vor allem im Gebet mit euch vereint. Durch das Gesetz der ganzen Kirche bleibt ihr - trotz der großen räumlichen Distanz - für immer im Herzen unserer großen katholischen Familie, in welcher Christus, so wie er verheißen hat, unablässig gegenwärtig ist. In seinem Namen segne ich euch aus ganzem Herzen. 74 Audienzen und Angelus Mit Freude nehme ich diese Gelegenheit wahr, dem gesamten chinesischen Volk erneut meine Zuneigung und Hochachtung auszusprechen und ihm aufrichtig Wohlergehen, Fortschritt und Frieden zu wünschen. 2. Sodann möchte ich noch einmal das Thema „Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche“ aufgreifen, ein Thema, das uns im Hinblick auf die Vorbereitung der Bischofssynode während der ganzen österlichen Bußzeit begleitet. Die erste und grundlegende Versöhnung mit Gott in Jesus Christus und die erste Umkehr (das heißt: Buße) vollziehen sich im Taufsakrament. Im Falle der Erwachsenentaufe sind diese erste Bekehrung zu Gott und die grundlegende Versöhnung mit ihm in Christus Frucht einer langen Vorbereitung: einer gründlichen Einführung. Diese Vorbereitung heißt seit den ersten Jahrhunderten der Kirche Katechumenat. Das Katechumenat war in der vorösterlichen Zeit stets besonders intensiv. Diese Tradition ist auch in unserer Zeit lebendig gebheben, wo großenteils die Neugeborenen im Kreise der christlichen Familien das Sakrament der Taufe empfangen. Doch auch in unseren Tagen soll die österliche Bußzeit -wenn auch nicht zur Vorbereitung auf die Erstbekehrung durch die Taufe -wenigstens zu ihrer Vertiefung und Erneuerung dienen. Und wie oft muß sie zur Neubekehrung und Versöhnung mit Gott im Bußsakrament dienen! Deshalb wird in der vorösterlichen Bußzeit die Katechese der Kirche in verschiedenen Formen besonders verstärkt (z.B. in den Pfarreien, in Gruppen- oder Einzelexerzitien, in sogenannten Einkehrtagen). Die Katechese ist auch der beste Weg, über das Problem der Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche, wie sie die Bischofssynode von uns erwartet, nachzudenken. Wir empfehlen Gott diese Arbeit der Kirche während der österlichen Bußzeit durch die Fürsprache der Mutter des menschgewordenen Wortes. 3. Am Mittwoch, 24. März, jährt sich zum zweiten Mal der Todestag des Erzbischofs von San Salvador, Msgr. Oscar Amulfo Romero, der als unschuldiges Opfer sein Leben für die Kirche und für die Bevölkerung seines geliebten Landes hingab. Während wir der Gestalt des eifrigen Bischofs gedenken, wollen wir zum Herrn beten, damit das Opfer seines Lebens und der Tod vieler anderer Opfer bewirken, daß die Nation von El Salvador möglichst bald in Versöhnung und Zusammenarbeit aller eine gerechte Lösung für die schweren Probleme finde, die sie heimsuchen. Mögen unsere so schwer geprüften Brüder und Schwestern endlich das große Gut des Friedens und eines menschlichen, sozialen und politischen Fortschritts ihrer nationalen Gemeinschaft erlangen können! 75 Audienzen und Angelus Von der übernatürlichen Fruchtbarkeit Ansprache bei der Generalaudienz am 24. März 1. Wir setzen unsere Betrachtungen über Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ fort. Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen steht gewiß in Beziehung zu der Offenbarung, daß im Himmelreich „die Menschen nicht mehr heiraten werden“ {Mt 22, 30). Sie ist ein charismatisches Zeichen. Wenn der Mensch, so, wie er ist - Mann und Frau -, auf Erden, wo „die Menschen gewöhnlich heiraten“ (Lk 20, 34), aus freiem Willen die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ wählt, so weist dies darauf hin, daß in jenem Reich, in der „anderen Welt“ nach der Auferstehung, „die Menschen nicht heiraten werden“ (Mk 12, 25), weil Gott „alles in allem“ sein wird (1 Kor 15, 28). Dieses Menschsein - Mann oder Frau -weist also auf die eschatologische „Jungfräulichkeit“ des Menschen nach der Auferstehung hin, indem, so möchte ich sagen, die absolute und ewige bräutliche Bedeutung des in der Vereinigung mit Gott durch das Schauen „von Angesicht zu Angesicht“ verherrlichten Leibes offenbar wird; verherrlicht auch durch die Verbundenheit in vollkommener persönlicher Gemeinschaft, die alle, die „der anderen Welt teilhaftig werden“, Männer und Frauen, im Mysterium der Gemeinschaft der Heiligen vereinen wird. Die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ hier auf Erden ist zweifellos ein Zeichen, das auf diese Wahrheit und Wirklichkeit hinweist. Sie ist Zeichen dafür, daß der Leib, dessen Ende nicht der Tod ist, auf Verherrlichung wartet und schon deshalb für die Menschen ein Zeugnis ist, das die zukünftige Auferstehung vorwegnimmt. Dieses charismatische Zeichen für die „andere Welt“ ist jedoch Ausdruck der echtesten Kraft und Dynamik des Geheimnisses der „Erlösung des Leibes“: ein Geheimnis, das von Christus in die irdische Geschichte des Menschen eingeschrieben und in dieser Geschichte durch ihn tief verwurzelt ist. Somit trägt also die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ vor allem das Siegel der Ähnlichkeit mit Christus selber an sich, der im Erlösungswerk „um des Himmelreiches willen“ diese Wahl getroffen hat. 2. Mehr noch: Das ganze Leben Christi war von Anfang an eine diskrete, aber klare Abwendung von dem, was im Alten Testament die Bedeutung des Leibes so tiefgreifend bestimmt hat. Christus wurde - gleichsam gegen alle Erwartungen der gesamten alttestamentlichen Überheferung - von Maria geboren, die im Augenblick der Verkündigung von sich mit aller Klarheit sagt: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ 76 Audienzen und Angelus (Lk 1, 34), also ihre Jungfräulichkeit bekennt. Obwohl er aber von ihr geboren wird wie jeder Mensch, wie ein Sohn von seiner Mutter, und obwohl sein Eintritt in die Welt auch von der Anwesenheit eines Mannes begleitet ist, der als Bräutigam Mariens und vor dem Gesetz und den Menschen als ihr Ehemann gilt, ist die Mutterschaft Mariens dennoch jungfräulich; und dieser jungfräulichen Mutterschaft Mariens entspricht das Geheimnis der Ehelosigkeit Josefs, der, der Stimme von oben folgend, nicht zögert, „Maria zu sich zu nehmen. . ., weil das Kind, das sie erwartet, vom Heiligen Geist ist“ (Mt 1, 20). Obwohl also die jungfräuliche Empfängnis und Geburt Jesu Christi in der Welt den Menschen verborgen waren, obwohl er in den Augen seiner Landsleute in Nazaret als „Sohn des Zimmermanns“ (Mt 13, 55) galt („man hielt ihn für den Sohn Josefs“ Lk 3, 23), weicht doch die Wirklichkeit und wesentliche Wahrheit seiner Empfängnis und Geburt ihrerseits von dem ab, was in der Überlieferung des Alten Testaments ausschließlich zu Gunsten der Ehe sprach und die Ehelosigkeit unverständlich und gesellschaftlich zum Nachteil macht. Wie konnte man daher „die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen“ verstehen, wenn der erwartete Messias ein „Sproß Davids“ sein sollte, das heißt, wenn er, wie man glaubte, „dem Fleische nach“ ein Sohn aus dem königlichen Stamm sein sollte? Einzig und allein Maria und Josef, die das Geheimnis seiner Empfängnis und Geburt erlebt haben, wurden zu den ersten Zeugen einer Fruchtbarkeit, die anders ist als die leibliche Fruchtbarkeit, nämlich der Fruchtbarkeit des Geistes: „Das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist“ (Mt 1, 20). 3. Die Geschichte der Geburt Jesu liegt gewiß auf der Linie der Offenbarung jener „Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen“, von der Christus eines Tages zu seinen Jüngern sprechen sollte. Das Ereignis bleibt jedoch den damaligen Menschen und auch den Jüngern zunächst verborgen. Erst allmählich wird es sich aufgrund der Zeugnisse und der Texte der Evangelien des Matthäus und des Lukas vor den Augen der Kirche enthüllen. Die Ehe Mariens mit Josef (in der die Kirche Josef als Bräutigam Mariens und Maria als seine Braut verehrt) birgt in sich zugleich das Geheimnis von der vollkommenen Gemeinschaft von Personen, des Mannes und der Frau im Ehebund, und ebenso das Geheimnis jener einzigartigen „Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen“: eine Ehelosigkeit, die in der Heilsgeschichte der vollkommensten „Fruchtbarkeit des Heiligen Geistes“ diente. Ja, sie war gewissermaßen die absolute Fülle jener Fruchtbarkeit aus dem Geist, da sich gerade unter den Bedingungen des Ehebundes Marias und Josefs und zugleich in ihrer Ehelosigkeit das Geschenk der Menschwerdung des ewigen Wortes ver- 77 Audienzen und Angelus wirklicht hat: der Sohn Gottes, wesengleich mit dem Vater, wurde als Mensch von der Jungfrau Maria empfangen und geboren. Die Gnade der hypostatischen Union ist also mit jener absoluten Fülle übernatürlicher Fruchtbarkeit - der Fruchtbarkeit im Heiligen Geiste - verbunden, an welcher Maria, ein Mensch, aufgrund der „Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen“ teühatte. Die göttliche Mutterschaft Mariens ist in gewissem Sinne auch eine überreiche Offenbarung jener Fruchtbarkeit im Heiligen Geist, dem der Mensch seinen Geist unterwirft, wenn er freiwillig die „leibliche“ Enthaltsamkeit wählt: eben die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“. 4. Diese Vorstellung mußte nach und nach der Kirche in den neuen Generationen der Bekenner Christi immer klarer bewußt werden, als sich durch das Evangelium der Kindheit Jesu in ihnen das Wissen um die göttliche Mutterschaft der Jungfrau festigte, die durch das Wirken des Heiligen Geistes das Kind empfangen hatte. Dieses Wissen sollte, wenn auch nur indirekt, so doch wesentlich und grundlegend dazu beitragen, einerseits die Heiligkeit der Ehe und andererseits die Ehelosigkeit, von welcher Christus zu seinen Jüngern gesprochen hatte, im Hinblick „auf das Himmelreich“ zu verstehen. Nichtsdestoweniger war ihnen, als er zum ersten Mal zu ihnen darüber sprach (wie der Evangelist Matthäus im 19. Kapitel, Vers 10-12 bezeugt), das große Geheimnis von seiner Empfängnis und seiner Geburt völlig unbekannt; es war ihnen ebenso verborgen wie allen Zuhörerp und Gesprächspartnern Jesu von Nazaret. Als Christus von denen sprach, die „sich selbst dazu (d. h. ehelos) gemacht haben um des Himmelreiches willen“ (Mt 19, 12), konnten die Jünger das nur aufgrund seines persönlichen Vorbildes begreifen. Eine solche Ehelosigkeit mußte sich ihrem Bewußtsein als ein besonderer Zug der Ähnlichkeit mit Christus einprägen, der selbst „um des Himmelreiches willen“ ehelos geblieben war. Der Unterschied zur Tradition des Alten Testaments, wo Ehe und leibliche Fruchtbarkeit ein religiös privilegierter Stand waren, mußte vor allem aufgrund des Beispiels Christi Nachahmung finden. Erst nach und nach konnte sich das Bewußtsein vertiefen, daß die geistliche, übernatürliche, dem Heiügen Geist (dem Geist Gottes) entspringende Fruchtbarkeit des Menschen, welcher im spezifischen Sinn und in bestimmten Fällen eben die Ehelosigkeit dient, für „das Himmelreich“ von besonderer Bedeutung ist und daß genau darin die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ besteht. Mehr oder weniger alle diese Aussagen der Evangelien über die Ehelosigkeit (also Aussagen, die den Neuen Bund in Christus betreffen) finden wir bei Paulus wieder. Wir werden versuchen, dies zu gegebener Zeit darzulegen. 78 Audienzen und Angelus Zusammenfassend können wir sagen, daß das Hauptthema der heutigen Überlegungen die Beziehung zwischen der von Christus verkündeten Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ und der übernatürlichen Fruchtbarkeit des menschlichen Geistes war, die aus dem Heüigen Geist kommt. Eine außergewöhnliche Berufung Ansprache bei der Generalaudienz am 31. März 1. Wir setzen unsere Betrachtungen über das Thema Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen fort, wobei wir uns auf den Text des Matthäusevangeliums {Mt 19, 10-12) stützen. Als Christus von der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen sprach und sie mit dem Beispiel seines eigenen Lebens begründete, wollte er zweifellos, daß seine Jünger sie vor allem in bezug auf das „Reich“ verstehen sollten, das er in der Welt verkünden wollte und zu dem er die rechten Wege wies. Die Ehelosigkeit, von der er sprach, ist einer dieser Wege und, wie sich bereits aus dem Zusammenhang des Matthäusevangeliums ergibt, ein besonders wirksamer und bevorzugter Weg. In der Tat stellte diese Bevorzugung der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches wü-len“ etwas absolut Neues gegenüber der Tradition des Alten Bundes dar, und hatte eine entscheidende Bedeutung sowohl für das Ethos wie für die Theologie des Leibes. 2. Christus enthüllt in seiner Aussage vor allem das Ziel der Ehelosigkeit. Er sagt, daß der Weg der Ehelosigkeit, von dem er selbst mit seinem Leben Zeugnis gibt, nicht nur gangbar und möglich, sondern „um des Himmelreiches willen“ besonders wertvoll und wichtig ist. Und so muß es wohl sein, wenn Christus selbst für sich diesen Weg gewählt hat. Wenn aber dieser Weg so wertvoll und wichtig ist, muß der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ein besonderer Wert zukommen. Wie wir bereits früher erwähnten, behandelte Christus das Problem nicht auf der gleichen Ebene und im gleichen Gedankengang, in den es die Jünger stellten, als sie sagten: „Wenn das die Stellung des Mannes in der Ehe ist, dann ist es nicht gut zu heiraten“ {Mt 19,10). Ihre Worte lassen unterschwellig einen gewissen Nützlichkeitsstandpunkt erkennen. Christus hingegen hat in seiner Antwort indirekt darauf hingewiesen, daß, wenn die Ehe - getreu 79 Audienzen und Angelus ihrer ursprünglichen Einsetzung durch den Schöpfer (erinnern wir uns, daß der Meister selbst sich in diesem Zusammenhang auf den „Anfang“ berief) - ihre volle Angemessenheit und ihren Wert, einen fundamentalen, universalen und allgemeinen Wert für das Himmelreich besitzt, die Ehelosigkeit ihrerseits für dieses Reich einen besonderen und außergewöhnlichen Wert aufweist. Es handelt sich offensichtlich um eine Ehelosigkeit, die bewußt aus übernatürlichen Beweggründen gewählt wird. 3. Wenn Christus in seiner Aussage vor allem die übernatürliche Zweckbestimmtheit der Ehelosigkeit unterstreicht, tut er das nicht nur in einem objektiven, sondern auch in einem deutlich subjektiven Sinn, das heißt, er weist auf die Notwendigkeit einer Motivierung hin, die in angemessener und vollkommener Weise dem objektiven Zweck entspricht, der in dem Ausdruck „um des Himmelreiches willen“ bezeichnet ist. Um dieses Ziel zu erreichen - das heißt, um in der Ehelosigkeit jene übernatürliche Fruchtbarkeit zu entdecken, die vom Heiligen Geist herkommt -, muß sie gewollt und gewählt werden kraft eines tiefen Glaubens, der uns nicht nur das Reich Gottes in seiner zukünftigen Vollendung aufgehen läßt, sondern uns auch in besonderer Weise erlaubt und ermöglicht, uns mit der Wahrheit und Wirklichkeit jenes Reiches zu identifizieren, so wie es von Christus in der Botschaft des Evangeliums und vor allem durch das persönliche Vorbild seines Lebens und Verhaltens offenbart wird. Deshalb wurde oben gesagt, daß die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ - als deutliches Zeichen der „anderen Welt“ - vor allem die innere Dynamik des Geheimnisses von der Erlösung des Leibes in sich trägt (vgl. Lk 20, 35) und in dieser Bedeutung auch das Kennzeichen einer besonderen Ähnlichkeit mit Christus besitzt. Wer bewußt diese Enthaltsamkeit wählt, wählt in gewissem Sinne eine besondere Teilhabe am Geheimnis der Erlösung (des Leibes); er will sie sozusagen an seinem eigenen Fleisch ergänzen (vgl. Kol 1, 24), worin er wiederum den Abdruck seiner Ähnlichkeit mit Christus findet. 4. Das alles bezieht sich auf den Beweggrund der Entscheidung (das heißt auf ihre Zweckbestimmtheit im subjektiven Sinn): Der Mensch, der die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen wählt, muß sich von einem solchen Motiv leiten lassen. Christus sagt in unserem Fall nicht, der Mensch wäre verpflichtet (auf jeden Fall handelt es sich nicht um Pflicht, wie sie sich aus einem Gebot herleitet); doch heben seine knappen Worte über die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ zweifellos gerade das Motiv nachdrücklich hervor. Sie offenbaren dieses Motiv (das heißt, sie weisen auf das Ziel hin, dessen sich der Mensch subjektiv bewußt ist) sowohl im ersten Teil der Aussage wie auch im zweiten durch den 80 Audienzen und Angelus Hinweis, daß es sich hier um eine besondere Entscheidung handelt, nämlich um eine außergewöhnliche Berufung, die nicht allen gilt und nicht alltäglich ist. Zu Beginn, im ersten Teil seiner Aussage, spricht Christus von einem Verständnis („nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist“, Mt 19, 11); dabei handelt es sich nicht um ein abstraktes Verständnis, vielmehr um ein Erfasssen, das die Entscheidung, die persönüche Wahl beeinflußt, in welcher das „Geschenk“, also die Gnade, im menschlichen Willen eine entsprechende Antwort finden soll. Dieses Verständnis schließt also das Motiv mit ein. Daher beeinflußt das Motiv die Wahl der Ehelosigkeit, denn diese wird übernommen, nachdem man die Bedeutung des Ausdrucks „um des Himmelreiches willen“ richtig verstanden hat. Christus stellt deshalb im zweiten Teil seiner Ausführungen fest, daß der Mensch sich selbst „zur Ehe unfähig“ macht, wenn er die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen wählt und sie zur Grundsituation macht, die sein ganzes Erdenleben kennzeichnet. In einer derart begründeten Entscheidung liegt der übernatürliche Beweggrund, der die Entscheidung selbst ursprünglich angeregt hat. Sie bleibt, wenn sie ständig erneuert wird. 5. Schon bei früheren Begegnungen haben wir die Aufmerksamkeit auf die besondere Bedeutung der letzten Behauptung gelenkt. Wenn Christus in diesem Fall davon spricht, daß ein Mensch „sich selbst ehelos macht“, dann hebt er das besondere Gewicht dieser Entscheidung hervor, die einem tiefen Glauben entspringt; er versucht auch nicht, die Schwierigkeiten zu verbergen, die eine solche Entscheidung und ihre nachhaltigen Folgen für den Menschen, für die normalen (und im übrigen edlen) Neigungen seiner Natur mit sich bringen können. Der Hinweis auf den „Anfang“, wenn vom Problem der Ehe gesprochen wird, hat uns die ganze ursprüngliche Schönheit dieser Berufung des . Menschen, des Mannes und der Frau, entdecken lassen: eine Berufung, die von. Gott kommt und der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau sowie seiner Berufung zur Gemeinschaft der Personen entspricht. Wenn Christus die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen verkündet, spricht er sich damit nicht nur gegen die gesamte Tradition des Alten Testaments aus, nach welcher Ehe und Fortpflanzung, wie wir gesagt haben, religiös bevorzugt werden; er stellt sich damit gewissermaßen auch in Gegensatz zu jenem „Anfang“, auf den er selbst Bezug genommen hat; vielleicht nuanciert er auch deshalb seine eigenen Worte mit jenem Ausdruck „Erfassen“. Die Analyse des „Anfangs“ (insbesondere aufgrund des jahwistischen Textes) hatte nämlich gezeigt, daß Gott selbst den Menschen, obgleich man sich ihn Gott gegenüber einsam vorstellen 81 Audienzen und Angelus könnte, doch dieser Einsamkeit entriß, als er sprach: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein bleibe. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht“ (Gen 2, 18). 6. Die doppelte Ausprägung als Mann und Frau, die der menschlichen Natur eigen ist, und die Einheit der beiden, die sich darauf gründet, bestehen somit „von Anfang an“, das heißt, sie reichen als Gottes Werk bis in die Tiefe ihres Wesens. Wenn Christus von der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ spricht, hat er diese Wirklichkeit vor Augen. Nicht ohne Grund spricht er (nach Matthäus) davon im unmittelbaren Zusammenhang, indem er sich auf den „Anfang“ bezieht, das heißt, auf den göttlichen Ursprung der Ehe bei der Erschaffung des Menschen. Auf dem Hintergrund der Worte Christi kann man behaupten, daß nicht nur die Ehe uns hilft, die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen zu begreifen, sondern daß auch die Ehelosigkeit ein besonderes Licht auf die Ehe wirft, wenn man sie im Geheimnis der Schöpfung und der Erlösung betrachtet. (O.R. 1.4.82) Friedensappell für das Heilige Land Vor dem Angelus am Palmsonntag, 4. April 1. „Wir bitten an Christi Statt: Laßt euch mit Gott versöhnen!“ (2 Kor 5, 20). So bittet der Apostel Paulus in seinem zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth. Und diese Bitte erhebt auch die Kirche jedes Jahr, besonders in der vorösterlichen Bußzeit. Die Bischofssynode, die sich im kommenden Jahr mit dem Thema „Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche“ beschäftigen wird, will diesen in den Worten des Apostels enthaltenen Aufruf erneuern, weiterführen und vertiefen. Diese Aufforderung scheint gerade in unserer Zeit besonders aktuell zu sein, in der wir uns bewußt werden, wie unwandelbar Gottes Heilsinitiative ist und wie unzureichend, ja oft geradezu nichtig die Antwort des Menschen ist. 2. „Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort der Versöhnung anvertraute“ (2 Kor 5, 19). 82 Audienzen und Angelus Diese Versöhnung Gottes mit der Welt in Jesus Christus trägt die Kirche in sich - in ihrem Wesen, in ihrer Grundstruktur. Wenn die Kirche auf das Geheimnis Christi, auf die menschliche und göttliche Tiefe seines Leidens blickt, dann kommt ihr zu Bewußtsein, welchen Preis jene Versöhnung gekostet hat: „Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden“ (2 Kor 5, 21). Der Preis der Entäußerung Christi, der von der Liturgie des Palmsonntags und der ganzen Fastenzeit so eindrucksvoll herausgestellt wird, büdet die Grundlage der Versöhnung Gottes mit der Welt, mit der Menschheit. Christus hat die Sünde der Welt „auf sich genommen“, damit der Mensch vor Gott gerechtfertigt wird. 3. Im selben Brief an die Gläubigen in Korinth schreibt der hl. Paulus: „Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat“ (2 Kor 5, 18). Der Dienst der Versöhnung des Menschen mit Gott ist auch der grundlegende Sendungsauftrag der Kirche. Er stellt diesen grundlegenden Sendungsauftrag dar. Die Versöhnung mit der Welt in Jesus Christus, einmal aus göttlicher Initiative vollzogen, muß unaufhörlich in die Tat umgesetzt werden. Die mit Gott versöhnte Menschheit bedarf immer wieder neu des Dienstes der Versöhnung. Denn im Leben des Menschen wiederholt sich die Sünde ständig, die aufgrund des Dienstes der Versöhnung und der Rechtfertigung im Blut Christi auf die Gnade der Vergebung wartet. 4. „Wir sind also Gesandte an Christi Statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt“ (2 Kor 5, 20). Die Synode über das Thema Versöhnung und Buße hat eine große Aufgabe im Leben der heutigen Kirche, im Leben des modernen Menschen. Sie muß besonders gründlich vorbereitet werden. Sie muß im Gebet vorbereitet werden. Dabei sollte man sowohl das besorgniserregende Büd, das sich uns von der Welt und vom Menschen unserer Zeit bietet, vor Augen haben sowie zugleich das unerforschliche Geheimnis von der Versöhnung Gottes mit der Welt in Christus. Dieses Geheimnis nahm seinen Anfang auf Erden, als „der Engel des Herrn Maria die Botschaft brachte“ und sie diese Verkündigung mit ganzem Herzen annahm. Während wir über all das beim Angelusgebet nachdenken, wollen wir darum beten, daß sich die gesamte Kirche unserer Zeit in diesem Sendungsauftrag der Versöhnung und Buße erneuere. 83 Audienzen und Angelus Beten wir auch darum, daß der heutige Mensch aufs neue erfasse und spüre, wie heilbringend das göttüche Geheimnis der Versöhnung ist, und ihm mit der ganzen Kraft seines Herzens folge. 5. Die Menschen haben die Versöhnung nötiger denn je, um in der Beziehung mit Gott die Gerechtigkeit wiederzufinden, sich eines guten Gewissens zu erfreuen und in Frieden und Liebe mit den Brüdern zu leben. Der Friede zwischen den Brüdern: In diesem Augenblick gelten meine Gedanken den Menschen, die unter der Vorenthaltung dieser Gottesgabe leiden; den Ländern, in denen die Würde des Menschen, das legitime Bestreben, in Frieden zu leben, verweigert oder behindert wird. Ganz besonders ist mein Blick an diesem Sonntag der Passion des Herrn auf das Land Jesu, auf Palästina, gerichtet, das Land, in dem er die Liebe verkündet hat und gestorben ist, damit die Menschheit die Versöhnung erlange. Dieses Land sieht seit Jahrzehnten zwei Völker im Kampf in einem noch immer erbitterten Gegensatz. Jedes dieser beiden Völker hat seine eigene Geschichte, seine eigene Tradition, sein eigenes Schicksal, und das scheint eine Beilegung des Konfliktes sehr zu erschweren. Es hat bereits vier blutige Kriege gegeben mit schrecklichen Folgen an Leiden und Entbehrungen für die Menschen dieses Gebietes. Erst in dieser Woche kam es erneut zu schmerzlichen Geschehnissen im Westjordanland mit Toten und Verwundeten. Unterdessen wächst die Angst und die Unsicherheit der Bevölkerung, die sich nach Verhältnissen sehnt, in denen ihre legitimen Bestrebungen anerkannt und sichergestellt werden. Ist es irreal, nach so vielen Enttäuschungen zu wünschen, daß jedes dieser beiden Völker eines Tages die Existenz und Realität des anderen anerkennt und dadurch den Weg zu einem Dialog findet, der beide zu einer Lösung führt, durch die sie in Frieden und Freiheit ihrer Würde entsprechend leben können, indem sie einander den Einsatz der Toleranz und der Versöhnung schenken? Die Kirche, die auf Christus blickt, der den Weg zum Kreuz geht, und in den leidenden Menschen sein heiliges Bild erkennt, erfleht durch unser Gebet Frieden und Versöhnung auch für die Völker des Landes, das einst sein Land gewesen ist. Darum wollen wir beten. 84 Audienzen und Angelus „ Vollkommener“ als in der Ehe Ansprache bei der Generalaudienz am 7. April Liebe Brüder und Schwestern! Die heutige Begegnung fällt in die Heilige Woche, die der Mittelpunkt des Kirchenjahres ist und uns von neuem die so bedeutsamen und grundlegenden Ereignisse der von Christus vollbrachten Erlösung erleben läßt: das letzte Abendmahl, bei dem Jesus das Sakrament der Eucharistie einsetzte, mit dem er das Kreuzesopfer geheimnisvoll vorwegnahm und durch das Priestertum weitergab; das Leiden Jesu, von seiner Todesangst in Getsemani bis zur grausamen Kreuzigung und zum Tod am Kreuz; und schließlich seine glorreiche Auferstehung am Ostersonntag. Dies sind bewegende und ergreifende Tage, erfüllt von einer besonderen Atmosphäre, die alle Christen spüren und kennen. Sie müssen daher Tage der inneren Stille sein, des intensiven Gebets und der besonderen Meditation über die erhabensten Geschehnisse der Geschichte, die die Erlösung der Menschheit kennzeichnen und unserem Dasein seine wahre Bedeutung verleihen. So lade ich euch denn ein, diese heiligen Tage mit innerer Anteilnahme und großer Liebe mitzuf eiern und an den liturgischen Funktionen teilzunehmen, damit ihr immer tiefer in den Inhalt des Glaubens eindringt und daraus Vorsätze zum echten Bemühen um ein folgerichtiges christliches Leben gewinnt. Durchschreiten wir mit der heiligen Gottesmutter die Straße des Leidens Christi und betrachten wir die Tragödie des Karfreitags im Licht des Sieges von Ostern, damit wir lernen, daß jedes Leid in der Sicht der glorreichen Auferstehung angenommen und gedeutet werden muß, und damit wir vor allem Christus begegnen, der uns geliebt und sich für uns hingegeben hat (vgl. Gal 2, 20). 1. Mit dem Blick auf Christus, den Erlöser, setzen wir nun unsere Überlegungen zur Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ - nach den Worten Christi, wie sie im Matthäusevangelium überliefert sind {Mt 19, 10-12) - fort. Wenn Christus die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ verkündet, erkennt er voll und ganz alles an, was der Schöpfer von Anbeginn erschaffen und eingesetzt hat. Dementsprechend muß jene Ehelosigkeit auf der einen Seite beweisen, daß der Mensch in seiner tiefsten Wesenheit als Mensch nicht nur „zweigestaltig“ angelegt ist, sondern auch (in dieser 85 Audienzen und Angelus zweifachen Gestalt) vor Gott mit Gott „allein“ ist. Doch andererseits respektiert das, was im Ruf zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen eine Einladung zum Alleinsein für Gott bedeutet, zugleich die zweifache Gestalt des Menschseins (das heißt sein Mann- und Frausein) wie auch jene Lebensdimension der Gemeinschaft, die der Person eigen ist. Wer den Ruf zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen den Worten Gottes entsprechend richtig „erfaßt“, folgt ihm und bewahrt damit die volle Wahrheit seiner Menschlichkeit, ohne daß ihm unterwegs eines der Elemente abhanden kommt, die für die Berufung der als Abbild und Gleichnis Gottes geschaffenen Person wesentlich sind. Das ist wichtig für die Idee der Ehelosigkeit, also für ihren objektiven Inhalt, der in der Lehre Christi als eine radikale Neuerung erscheint. Ebenso wichtig ist es aber auch für die Verwirklichung jenes Ideals, das heißt, die konkrete, vom Menschen getroffene Entscheidung, um des Himmelreiches willen ehelos zu leben, in ihrer Motivierung voll überzeugend zu machen. 2. Aus dem Zusammenhang des Matthäusevangeliums (Mt 19, 10-12) ergibt sich hinreichend klar, daß es hier nicht darum geht, den Wert der Ehe zum Vorteil der Ehelosigkeit herabzusetzen, und schon gar nicht darum, einen Wert durch den anderen zu schmälern und zu verdunkeln. Es handelt sich vielmehr darum, ganz bewußt das „aufzugeben“, was nach dem Willen des Schöpfers im Menschen zur Ehe führt, und den Weg der Ehelosigkeit einzuschlagen, die sich vor dem konkreten Menschen -Mann oder Frau - als Ruf und Geschenk von besonderer Kraft und besonderer Bedeutung „um des Himmelreiches willen“ enthüllt. Die Worte Christi {Mt 19, 11-12) gehen von dem ganzen Realismus der Lage des Menschen aus, und mit demselben Realismus führen sie ihn zu der Berufung, der er in neuer Weise - obgleich er seiner Natur nach „zweige-staltig“ angelegt bleibt (das heißt, als Mann ausgerichtet auf die Frau und als Frau ausgerichtet auf den Mann) - fähig ist, in seinem Alleinsein, das immer eine personale Dimension der zweigestaltigen Anlage ist und bleibt, eine neue und sogar erfülltere Form der zwischenmenschlichen Gemeinschaft mit den anderen zu entdecken. Diese Ausrichtung des Rufes erklärt in ganz klarer Weise der Ausdruck „um des Himmelreiches willen“. Denn die Verwirklichung dieses Reiches muß auf der Linie der echten Entfaltung des Abbildes und Gleichnisses Gottes in seiner trinita-rischen Bedeutung, das heißt eben „der Koinonia“, liegen. Wenn der Mensch die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen wählt, hat er das Bewußtsein, daß er sich selbst auf diese Weise „anders“ und „vollkommener“ verwirklichen kann als in der Ehe, indem er zur „aufrichtigen Hingabe für die anderen“ wird (vgl. Gaudium et spes, Nr. 24). 86 Audienzen und Angelus 3. Durch die bei Matthäus (19, 11-12) wiedergegebenen Worte gibt Christus klar zu verstehen, daß dieses „Zugehen“ auf die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen verbunden ist mit einem freiwilligen Verzicht auf die Ehe, das heißt auf den Zustand, in dem Mann und Frau (gemäß der Bedeutung, die der Schöpfer „im Anfang“ ihrer Einheit gab) durch ihr Mann- und Frausein auch durch die leibliche Vereinigung zum Geschenk füreinander werden. Die Ehelosigkeit bedeutet einen bewußten und freiwilligen Verzicht auf diese Vereinigung und auf alles, was in der umfassenden Dimension des menschlichen Lebens und Zusammenlebens mit ihr verbunden ist. Der Mensch, der auf die Ehe verzichtet, verzichtet in gleicher Weise auf die Fortpflanzung als Fundament der aus Eltern und Kindern gebildeten Familiengemeinschaft. Die Worte Christi, auf die wir uns beziehen, weisen zweifellos auf diesen ganzen Bereich des Verzichts hin, obgleich sie sich nicht bei Einzelheiten aufhalten. Und die Art und Weise, wie diese Worte ausgesprochen worden sind, läßt die Annahme zu, daß Christus die Bedeutung dieses Verzichts begreift und daß er sie nicht nur hinsichtlich der Meinungen versteht, die in der damaligen israelitischen Gesellschaft zu diesem Thema herrschen. Er begreift die Bedeutung dieses Verzichts auch in bezug auf das Gut, das Ehe und Familie aufgrund der göttlichen Einsetzung an sich darstellen. Durch die Art und Weise, wie er die diesbezüglichen Worte verkündet, gibt er also zu verstehen, daß jenes Heraustreten aus dem Kreis des Guten, zu dem er selbst „um des Himmelreiches willen“ aufruft, mit einer gewissen Selbsthingabe verbunden ist. Dieses Heraustreten wird somit auch zum Ausgangspunkt weiterer Verzichtleistungen und freiwilliger Opfer, die unerläßlich sind, wenn die erste und grundlegende Entscheidung in der Dimension des ganzen irdischen Lebens konsequent sein soll; und nur dank solcher Konsequenz ist jene Wahl innerlich begründet und nicht widersprüchlich. 4. In dem Ruf zur Ehelosigkeit, wie er von Christus - in knappen und zugleich ganz klaren Worten - ausgesprochen wurde, zeichnen sich somit die Umrisse und zugleich der dynamische Charakter des Erlösungsgeheimnisses ab, worauf wir bereits bei früheren Gelegenheiten hingewiesen haben. Innerhalb derselben Umrisse hat Jesus bei der Bergpredigt von der Notwendigkeit gesprochen, zu wachen über die Begehrlichkeit des Leibes, über die Begierde, die mit „dem Blick“ beginnt und bereits in diesem Augenblick zum „Ehebruch im Herzen wird“. Hinter den Worten bei Matthäus - sowohl im 19. Kapitel (Vers 11-12) wie im 5. Kapitel (Vers 27-28) - stehen dieselbe Anthropologie und dasselbe Ethos. In der Einladung zur freiwilligen Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen werden die Perspektiven dieses Ethos erweitert: Im Blickbereich der 87 Audienzen und Angelus Worte der Bergpredigt steht die Anthropologie des „geschichtlichen“ Menschen; im Blickbereich der Worte über die freiwillige Ehelosigkeit bleibt dieselbe Anthropologie im wesentlichen bestehen, sie wird aber erleuchtet durch die Perspektive des „Himmelreiches“, das heißt also zugleich durch die künftige Anthropologie der Auferstehung. Nichtsdestoweniger tritt auf den Wegen dieser freiwilligen Ehelosigkeit im irdischen Leben aber keineswegs die Anthropologie der Auferstehung an die Stelle der Anthropologie des „geschichtlichen“ Menschen. Und gerade dieser Mensch, dieser Mensch „der Geschichte“, in dem zugleich das Erbe der dreifachen Begehrlichkeit, das Erbe der Sünde und ebenso das Erbe der Erlösung weiterbesteht, ist es jedenfalls, der die Entscheidung über die Enthaltsamkeit „um des Himmelreiches wülen“ treffen muß: Diese Entscheidung muß er dadurch verwirklichen, daß er die Sündhaftigkeit seines Menschseins den Kräften unterordnet, die aus dem Geheimnis der Erlösung des Leibes quellen. Er muß das tun wie jeder andere Mensch auch, der keine solche Entscheidung trifft und dem der Weg der Ehe bleibt. Verschieden ist nur die Art der Verantwortung für das gewählte Gut wie auch die Art des gewährten Gutes verschieden ist. 5. Hebt Christus in seiner Verkündigung etwa den höheren Wert der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen gegenüber dem der Ehe hervor? Gewiß sagt er, daß es sich dabei um eine „außergewöhnliche“, nicht „gewöhnliche“ Berufung handelt. Des weiteren bestätigt er, daß sie besonders bedeutsam und notwendig für das Himmelreich ist. Wenn wir die Überlegenheit über die Ehe in diesem Sinne verstehen, müssen wir zugeben, daß Christus sie stillschweigend der Ehelosigkeit zuspricht: Er sagt es jedoch nicht direkt. Erst Paulus wird von denen, die sich für die Ehe entscheiden, sagen, daß sie „richtig handeln“, und von allen, die zu einem Leben in freiwilliger Enthaltsamkeit bereit sind, daß sie „besser handeln“ (vgl. 1 Kor 7, 38). 6. Das ist auch die Ansicht der gesamten lehrhaften und seelsorglichen Überheferung. Jene „Überlegenheit“ der Ehelosigkeit über die Ehe bedeutet in der echten Uberheferung der Kirche niemals eine Entwertung der Ehe oder eine Verkürzung ihres eigenthchen Wertes. Sie bedeutet zudem kein, wenn auch implizit gegebenes Hinübergleiten in die Anschauungen des Manichäismus oder eine Unterstützung der Bewertung von Verhaltensweisen, die sich auf das manichäische Verständnis des Körpers und des Geschlechts, der Ehe und der Fortpflanzung gründen. Der echt christliche Vorrang der Jungfräulichkeit, der Ehelosigkeit wird folgerichtig vom Motiv des Himmelreiches bestimmt. In den von Matthäus wiedergegebenen Worten Christi {Mt 19, 11-12) finden wir eine 88 Audienzen und Angelus solide Grundlage, um einzig und allein diese Art der Überlegenheit zuzugeben: Wir finden dort jedoch keinerlei Grund für irgendeine Abwertung der Ehe, die auch in der Anerkennung jener Überlegenheit hätte vorhanden sein können. Auf dieses Problem werden wir bei unserer nächsten Betrachtung noch zurückkommen. Mit dem Maß der Liebe gemessen Ansprache bei der Generalaudienz am 14. April Liebe Brüder und Schwestern! Das Osterfest, das wir soeben gefeiert haben, erfüllt diese Woche noch unsere Herzen und soll sie die ganze Osterzeit hindurch weiter erfüllen mit jener Freude, die aus dem Gedenken an die glorreiche Auferstehung Christi erwächst. Wir haben den qualvollen Weg seines Leidens, vom letzten Abendmahl bis zur Todesangst und zum Kreuzestod, begleitet; und wir haben dann in der großen Stille des Karsamstags auf das festliche Glockengeläute der Ostemacht gewartet. Ostern darf nicht nur Emotion und Erinnerung bleiben; es muß eine Spur hinterlassen, es muß ständig Einfluß nehmen auf unser Leben, es muß für uns jeden Tag Ermutigung zu konsequentem Zeugnisgeben sein. Ostern bedeutet für den Christen die Aufforderung, „als neuer Mensch“ zu leben (vgl. Röm 6, 4): „Ihr seid mit Christus auferweckt; darum strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt. Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!“ {Kol 3, 1-2). In den freudigen wie in den traurigen Ereignissen des Lebens, in Arbeit, Beruf und Schule muß der Christ davon Zeugnis geben, daß Christus wahrhaftig auferstanden ist, ihm voll Mut und Liebe folgen und auf ihn alles Vertrauen und alle Hoffnung setzen. Ich wünsche euch allen von Herzen, daß euch der Gedanke an das Osterfest begleitet und euch die freudenvolle Gegenwart des auferstandenen Christus spüren läßt. 1. Wir setzen nun die Überlegungen der vergangenen Wochen zu den Worten über die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ fort, die - 89 Audienzen und Angelus nach dem Matthäusevangelium (19, 10-12) - Christus an seine Jünger gerichtet hat. Wir betonen erneut, daß diese Worte bei all ihrer Knappheit wunderbar reich und genau sind, reich an lehrhaftem wie pastoralem Inhalt; zugleich deuten sie eine berechtigte Grenze an. So bleibt also jede manichäische Auslegung entschieden ausgeschlossen, ebenso wie nach den Worten Christi in der Bergpredigt das begehrliche Verlangen „im Herzen“ (vgl. Mt 5, 27-28) ausgeschlossen bleibt. In den Worten Christi über die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ findet sich keinerlei Anspielung auf eine „Minderwertigkeit“ der Ehe in bezug auf den „Leib“, das heißt im Hinblick auf das Wesentliche der Ehe; dieses besteht ja darin, daß Mann und Frau sich in ihr derart vereinigen, daß sie „ein Fleisch“ werden (vgl. Gen 2, 24: „Beide werden ein Fleisch“). Die bei Matthäus 19,11-12 wiedergegebenen Worte Christi (wie auch die Worte des Paulus im ersten Korintherbrief, Kap. 7) liefern weder einen Grund dafür, die „Minderwertigkeit“ der Ehe zu behaupten, noch dafür, die „Überlegenheit“ der Ehelosigkeit zu vertreten, weil diese ihrer Natur nach darin besteht, sich der ehelichen leiblichen Vereinigung zu enthalten. Hier sind die Worte Christi völlig klar. Er stellt seinen Jüngern das Ideal der Ehelosigkeit und die Berufung zu ihr vor Augen und rät ihnen dazu nicht aus Mißachtung oder in Abwertung der ehelichen leiblichen Vereinigung, sondern einzig und allein „um des Himmelreiches“ willen. 2. In diesem Licht wird eine tiefere Erklärung des Ausdrucks „um des Himmelreiches willen“ besonders nützlich; und das wollen wir auch im folgenden, wenigstens kurz zusammengefaßt, versuchen. Was jedoch das richtige Verständnis der Beziehung zwischen Ehe und Ehelosigkeit, von der Christus spricht, sowie das Verständnis dieser Beziehung betrifft, wie sie die gesamte Überheferung begriffen hat, sei hinzugefügt, daß die erwähnte „Überlegenheit“ und „Minderwertigkeit“ in den Grenzen der gegenseitigen Ergänzung von Ehe und Ehelosigkeit um des Reiches Gottes willen deutlich enthalten sind. Ehe und Ehelosigkeit stehen weder zueinander in Gegensatz, noch teilen sie von sich aus die menschliche (und christliche) Gemeinschaft in zwei Lager (nämlich das der aufgrund der Ehelosigkeit „Vollkommenen“ und das der aufgrund der Wirklichkeit des ehelichen Lebens „Unvollkommenen“ oder weniger Vollkommenen). Vielmehr erklären und ergänzen sich diese beiden grundlegenden Lebensformen oder, wie man gewöhnlich sagt, diese beiden „Stände“ in gewissem Sinne gegenseitig, was die Existenz und das (christliche) Leben der Gemeinschaft betrifft, die sich als ganzes und in allen ihren Gliedern in 90 Audienzen und Angelus der Dimension des Gottesreiches verwirklicht und eine diesem Reich entsprechende eschatologische Ausrichtung besitzt. Was nun diese Dimension und Ausrichtung anbelangt - an denen die ganze Gemeinschaft, das heißt alle, die zu ihr gehören, im Glauben teilhaben muß -, hat die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ für jene, die in der Ehe leben, besonderen Wert und besondere Aussagekraft. Im übrigen ist ja bekannt, daß die Verheirateten die Mehrheit bilden. 3. Es scheint also, daß eine in diesem Sinne verstandene gegenseitige Ergänzung ihre Grundlage in den Worten Christi nach Matthäus (19, 11-12) und auch im ersten Korintherbrief, Kap. 7, findet. Hingegen gibt es dort keinerlei Grundlage für einen möglichen Gegensatz, wonach die Unvermählten allein aufgrund der Ehelosigkeit die Klasse der „Vollkommenen“ darstellen würden und die Verheirateten die Klasse der „Unvollkommenen“ (oder der „weniger Vollkommenen“). Wenn man, entsprechend einer theologischen Tradition, vom Stand der Vollkommenheit (status perfectionis) spricht, dann tut man das nicht wegen der Ehelosigkeit an sich, sondern im Hinblick auf ein Leben nach den evangelischen Räten (Armut, Keuschheit und Gehorsam), weil dieses dem Aufruf Christi zur Vollkommenheit entspricht („Wenn du vollkommen sein willst. . .;“ Mt 19, 21). Die Vollkommenheit des christlichen Lebens hingegen wird mit dem Maß der Liebe gemessen. Daraus folgt, daß jemand, der nicht im „Stand der Vollkommenheit“ (das heißt in einem Institut, dessen Leben auf die Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams gründet) lebt, also nicht in einem Ordensinstitut, sondern in der Welt, tatsächlich einen höheren Grad der Vollkommenheit - deren Maß die Liebe ist - erlangen kann als derjenige, der zwar im „Stand der Vollkommenheit“ lebt, aber mit weniger Liebe. Die evangelischen Räte helfen jedoch ohne Zweifel, zu einer vollkommeneren Liebe zu gelangen. Jeder, der sie erreicht, gelangt, auch wenn er nicht im „Stand der Vollkommenheit“ im eigentlichen Sinn des Wortes lebt, durch die Treue zum Geist dieser Räte zu jener Vollkommenheit, die der Liebe entspringt. Diese Vollkommenheit ist für jeden Menschen, sowohl in einem Ordensinstitut wie in der Welt möglich und erreichbar. 4. Den bei Matthäus angeführten Worten Christi scheint somit das gegenseitige Sichergänzen der Ehe und der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches wülen“ in ihrer Bedeutung und vielfältigen Tragweite in angemessener Weise zu entsprechen. Im Leben einer wahrhaft christlichen Gemeinschaft ergänzen die charakteristischen Haltungen und die Werte des einen und des anderen Standes - also der einen oder der anderen grundlegenden und bewußten Entscheidung als Berufung für das 91 Audienzen und Angelus ganze Erdenleben und im Hinblick auf die „himmlische Kirche“ - einander und durchdringen sie in gewissem Sinne gegenseitig. Die vollkommene eheliche Liebe muß von jener Treue und von jener Hingabe an den einen Bräutigam (und auch von der Treue und der Hingabe des Bräutigams an die eine Braut) gekennzeichnet sein, auf die der Ordensberuf und der priesterliche Zölibat gegründet sind. Die eine wie die andere Liebe hat also „bräutlichen“ Charakter, das heißt, sie wird durch die völlige Selbsthingabe ausgedrückt. Die eine wie die andere Liebe ist bestrebt, jene „bräutliche“ Bedeutung des Leibes zum Ausdruck zu bringen, die der personalen Struktur des Mannes und der Frau „seit dem Anfang“ eingeprägt ist. Dieses Thema werden wir ein anderes Mal wieder aufnehmen. 5. Andererseits muß die bräutliche Liebe, die ihren Ausdruck in der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ findet, in ihrer geregelten Entfaltung zu der „Vater-“ bzw. „Mutterschaft“ im geistlichen Sinne führen (das heißt zu jener „Fruchtbarkeit im Heiligen Geist“, von der wir bereits gesprochen haben), ähnlich der ehelichen Liebe, die in der leiblichen Vaterschaft und Mutterschaft reift und sich in ihnen eben als bräutliche Liebe bestätigt. Auch die leibliche Zeugung entspricht nur dann voll und ganz ihrer Bedeutung, wenn sie von der geistlichen Vaterschaft und Mutterschaft ergänzt wird. Ausdruck und Frucht dieser Vater-und Mutterschaft im geistlichen Sinn ist das gesamte Erziehungswerk der Eltern an den Kindern, die ihrer ehelichen leiblichen Vereinigung entsprungen sind. Wie man sieht, gibt es zahlreiche Aspekte und Bereiche der Ergänzung zwischen der Berufung - im evangelischen Sinn - derer, die „heiraten“ (Lk 20, 34), und derer, die bewußt und freiwillig die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ wählen {Mt 19, 12). In seinem ersten Brief an die Korinther (dessen Analyse wir bei einer unserer nächsten Betrachtungen vornehmen werden) schreibt der hl. Paulus über dieses Thema: „Jeder hat seine Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so“ (1 Kor 7, 7). 92 Audienzen und Angelus Verzicht aus Liebe vollzogen Ansprache bei der Generalaudienz am 21. April 1. Wir setzen unsere Überlegungen zu den Worten Christi über die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ fort. Man kann die Bedeutung und Eigenart der Ehelosigkeit nicht voll verstehen, wenn die letzten Worte der Aussage Christi, „um des Himmelreiches willen“ {Mt 19,12) nicht in ihrem entsprechenden konkreten und objektiven Gehalt gesehen werden. Wir haben früher gesagt, daß diese Worte das Motiv ausdrücken oder gewissermaßen den subjektiven Zweck des Rufes Christi zur Ehelosigkeit hervorheben. Der Ausdruck an sich hat jedoch objektiven Charakter, denn er weist auf eine objektive Gegebenheit hin, deretwegen die einzelnen, Männer wie Frauen, „sich selbst“ (wie Christus sagt) ehelos „machen“ können. Der Gehalt des „Reiches“ in der Aussage Christi bei Matthäus (19, 11-12) wird präzise und zugleich allgemein bestimmt, das heißt so, daß er alle seine näheren Bestimmungen umfassen kann. 2. Das „Himmelreich“ bedeutet das „Reich Gottes“, das Christus in seiner endgültigen, das heißt eschatologischen Vollendung predigte. Christus predigte dieses Reich in seiner zeitlichen Verwirklichung oder Errichtung, und zugleich kündigte er seine eschatologische Vollendung an. Die zeitliche Errichtung des Reiches Gottes ist zugleich sein Beginn und die Vorbereitung auf seine endgültige Erfüllung. Christus beruft zu diesem Reich und lädt in gewissem Sinne alle dazu ein (vgl. das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl: Mt 22, 1-14). Wenn er einige zur Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ beruft, so geht aus dem Inhalt dieses Ausdrucks hervor, daß er sie beruft, in ganz besonderer Weise an der Errichtung des Reiches Gottes auf Erden teilzunehmen, durch welche die Schlußphase des „Himmelreiches“ ihren Anfang nimmt und vorbereitet wird. 3. In diesem Sinne haben wir gesagt, daß diese Berufung das besondere Merkmal der Dynamik aufweist, die dem Geheimnis von der Erlösung des Leibes eigen ist. So wird also, wie wir bereits erwähnt haben, in der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen hervorgehoben, daß man sich selbst verleugnet, daß man tägüch sein Kreuz auf sich nimmt und Christus nachfolgt (vgl. Lk 9, 23), was bis zum Verzicht auf die Ehe und auf eine eigene Familie gehen kann. Das alles kommt aus der Überzeugung, daß man so mehr zur Verwirklichung des Reiches Gottes in seiner irdischen Gestalt im Blick auf seine endzeitliche Vollendung beitragen kann. Chri- 93 Audienzen und Angelus stus sagt in seiner Aussage bei Matthäus (19, 11-12) ganz allgemein, daß der freiwillige Verzicht auf die Ehe dieses Ziel habe, doch er verdeutlicht diese Feststellung nicht im einzelnen. In seiner ersten Aussage zu diesem Thema gibt er noch nicht genau an, für welche konkreten Aufgaben diese freiwillige Ehelosigkeit bei der Verwirklichung des Reiches Gottes notwendig oder sogar unerläßlich ist. Etwas mehr dazu werden wir bei Paulus von Tarsus hören (1 Korintherbrief); das übrige wird vom Leben der Kirche in ihrer geschichtlichen Entwicklung gestaltet, die vom Strom der authentischen Überlieferung vorangetrieben wird. 4. In der Aussage Christi über die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ finden wir keinen ausführlichen Hinweis darauf, wie jenes „Reich“ - sowohl was seine irdische Verwirklichung als auch was seine endgültige Erfüllung betrifft — in seiner besonderen und „außergewöhnlichen“ Beziehung zu denjenigen zu verstehen ist, die um dieses Reiches willen „sich selbst“ freiwillig „zu Ehelosen“ machen. Auch ist nicht gesagt, unter welchem besonderen Aspekt der Wirklichkeit, die das Reich darstellt, ihm diejenigen eingegliedert werden, die freiwillig auf die Ehe verzichtet haben. Denn bekanntlich ist das Himmelreich ja für alle gedacht: auch jene, die heiraten, gehören ihm auf Erden (und im Himmel) an. Es ist für alle der „Weinberg des Herrn“, in dem sie hier auf Erden arbeiten müssen; und es ist später das, ,Haus des Vaters‘ ‘, in dem sie in der Ewigkeit ihre Heimat finden sollen. Was ist nun jenes Reich für diejenigen, die um seinetwillen freiwillig die Ehelosigkeit wählen? 5. Auf diese Fragen finden wir vorläufig in der Aussage Christi bei Matthäus (19, 11-12) keine Antwort. Das scheint dem Charakter der ganzen Aussage zu entsprechen. Christus antwortet seinen Jüngern so, daß er damit nicht auf der Linie ihres Denkens und ihrer Bewertungen bleibt, in denen sich, zumindest indirekt, eine utilitaristische Haltung gegenüber der Ehe verbirgt („Wenn das so ist. . ., dann ist es nicht gut zu heiraten“, Mt 19, 10). Der Meister distanziert sich ausdrücklich von dieser Sicht des Problems und gibt darum, wenn er von der Enthaltsamkeit „um des Himmelreiches“ spricht, nicht an, warum es sich lohnt, so auf die Ehe zu verzichten, damit jenes „es lohnt sich“ den Jüngern nicht als etwas bloß Nützliches erscheint. Er sagt lediglich, daß diese Ehelosigkeit manchmal um des Reiches Gottes willen gefordert, ja sogar unerläßlich ist. Damit betont er, daß sie in dem Reich, das Christus verkündigt und in das er die Menschen ruft, einen besonderen Wert in sich selber hat. Diejenigen, die sich freiwillig für die Ehelosigkeit entscheiden, müssen sie um jenes Wertes willen wählen und nicht aus irgendeiner anderen Berechnung heraus. 94 Audienzen und Angelus 6. Dieser wesentliche Grundton der Antwort Christi, der direkt die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ betrifft, kann indirekt auch auf das vorausgehende Problem der Ehe bezogen werden (vgl. Mt 19, 3-9). Wenn wir also die gesamte Aussage (Mt 19, 3-11) Christi entsprechend in Erwägung ziehen, wäre die Antwort folgende: Wenn jemand sich für die Ehe entscheidet, muß er sich so für sie entscheiden, wie sie vom Schöpfer „im Anfang“ eingesetzt wurde, er muß in ihr jene Werte suchen, die dem Plan Gottes entsprechen. Wenn hingegen jemand beschließt, den Weg der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen zu gehen, muß er die Werte suchen, die dieser Berufung eigen sind. Mit anderen Worten: Er muß entsprechend der gewählten Berufung handeln. 7. Das „Himmelreich“ ist gewiß die endgültige Erfüllung der Sehnsucht aller Menschen, an die Christus seine Botschaft richtet: Es ist die Fülle des Guten, das das Menschenherz über die Grenzen all dessen hinaus ersehnt, woran es im irdischen Leben teilhaben kann, es ist die höchste Fülle der Belohnung des Menschen durch Gott. Im Gespräch mit den Sadduzäern {Mt 22, 24-30; Mk 12, 18-27; Lk 20, 27-40), das wir vorher analysiert haben, finden wir weitere Einzelheiten über jenes „Reich“ oder die „andere Welt“. Es findet sich noch mehr darüber im ganzen Neuen Testament. Es scheint jedoch, daß zur Klärung der Frage, was das Himmelreich für diejenigen ist, die um seinetwillen die freiwillige Ehelosigkeit wählen, die Offenbarung von der bräutlichen Beziehung der Kirche zu Christus eine besondere Bedeutung besitzt: Unter anderen Texten ist also jener aus dem Epheserbrief, 5, 25 ff., entscheidend; auf ihn wollen wir uns vor allem beziehen, wenn wir das Problem des sakramentalen Charakters der Ehe erwägen. Dieser Text gilt in gleicher Weise für die Theologie der Ehe wie für die Theologie der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“, das heißt die Theologie der Jungfräulichkeit. Es scheint, daß wir in diesem Text das gleichsam konkret finden, was Christus zu seinen Jüngern sagte, als er sie zur freiwilligen Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ einlud. 8. In dieser Analyse ist bereits hinreichend unterstrichen worden, daß die Worte Christi - in ihrer ganzen großartigen Bündigkeit - grundlegend sind, reich an wesentlichem Inhalt und darüber hinaus von einer gewissen Strenge gekennzeichnet. Es besteht kein Zweifel, daß Christus seinen Aufruf zur Ehelosigkeit im Hinblick auf die „andere Welt“ ausspricht, daß er aber in diesem Aufruf den Akzent auf all das legt, worin sich der zeitliche Realismus der Entscheidung zu einer solchen Ehelosigkeit ausdrückt, einer Entscheidung, die mit dem Willen verbunden ist, am Erlösungswerk Christi'teilzunehmen. 95 Audienzen und Angelus Im Lichte der betreffenden, von Matthäus wiedergegebenen Worte Christi ragen demnach vor allem die Tiefe und der Emst der Entscheidung, „um des Himmelreiches willen“ ehelos zu leben, hervor; es kommt das Element des Verzichts, den eine solche Entscheidung mit sich bringt, zum Ausdruck. Durch all das, durch den Emst und die Tiefe der Entscheidung, durch die Schwere der Verantwortung, die sie mit sich bringt, scheint und leuchtet zweifellos die Liebe durch: die Liebe als Bereitschaft zur Ganzhingabe um des „Reiches Gottes“ willen. In den Worten Christi scheint diese Liebe allerdings von dem verhüllt, was statt dessen an die erste Stelle gerückt wird. Christus verbirgt seinen Jüngern nicht, daß die Wahl der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ - in den Kategorien der Zeitlichkeit gesehen - einen Verzicht bedeutet. Diese Weise, mit den Jüngern zu sprechen, die klar die Wahrheit seiner Lehre und der in ihr enthaltenen Forderungen formuliert, ist bezeichnend für das ganze Evangelium; sie ist es auch, die ihm unter anderem einen Stempel aufdrückt und eine so überzeugende Kraft verleiht. 9. Es gehört zum Menschenherzen, selbst schwierige Forderungen anzunehmen im Namen der Liebe zu einem Ideal und vor allem im Namen der Liebe zur Person (die Liebe ist ja ihrem Wesen nach auf die Person ausgerichtet). Deshalb werden in jenem Aufruf zur Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ zuerst die Jünger und dann die ganze lebendige Überlieferung der Kirche sehr rasch die Liebe entdecken, die sich auf Christus selbst als den Bräutigam der Kirche, den Bräutigam der Seelen bezieht, denen er sich in seinem Paschamysterium und der Eucharistie ganz hingegeben hat. So ist die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“, die Wahl der Jungfräulichkeit für das ganze Leben, in der Erfahrung der Jünger und der Nachfolger Christi zum Ausdruck einer besonderen Antwort auf die Liebe des göttlichen Bräutigams geworden und hat darum die Bedeutung eines Aktes bräutlicher Liebe angenommen: Das heißt einer bräutlichen Selbsthingabe, um in besonderer Weise die Liebe des Erlösers zu erwidern; eine Selbsthingabe, die als Verzicht verstanden, aber vor allem aus Liebe vollzogen wird. 96 Audienzen und Angelus Der bräutliche Sinn des Leibes Ansprache bei der Generalaudienz am 28. April 1. „Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selbst dazu gemacht -um des Himmelreiches willen:“ So drückt sich Christus nach dem Matthäusevangelium (Mt 19, 12) aus. Es ist dem Menschenherzen eigen, aus Liebe für ein Ideal und vor allem aus Liebe zu einer Person (die Liebe ist ja ihrem Wesen nach personal ausgerichtet) selbst schwierige Anforderungen auf sich zu nehmen. Und deshalb werden in dem Ruf zur Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ zunächst die Jünger und dann die ganze lebendige Überlieferung bald jene Liebe entdecken, die Christus selbst als dem Bräutigam der Kirche und der Seelen güt, denen er sich im Geheimnis seines Pascha und in der Eucharistie bis zum Ende hingegeben hat. So ist die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“, die Entscheidung für die Ehelosigkeit auf ein ganzes Leben, in der Erfahrung der Jünger und Nachfolger Christi eine besondere Antwort auf die Liebe des göttlichen Bräutigams geworden und hat so die Bedeutung eines Liebesaktes gewonnen, um auf besondere Weise die Liebe des Erlösers seiner Braut zu erwidern; eine Selbsthingabe, die als Verzicht verstanden, aber vor allem aus Liebe vollzogen wird. 2. So haben wir den ganzen Reichtum erschlossen, von dem die zwar knappe, aber um so tiefgründigere Aussage Christi über die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ erfüllt ist: Nun aber müssen wir der Bedeutung Aufmerksamkeit schenken, die diese Worte für eine Theologie des Leibes haben, deren biblische Grundlagen in der Genesis wir darzustellen und zu rekonstruieren versuchten. Gerade die Erklärung jenes biblischen „Anfangs“, auf den Christus sich in seinem Streitgespräch mit den Pharisäern über die Ehe, ihre Einheit und Unauflöslichkeit bezieht (vgl. Mt 19, 3-9) - unmittelbar bevor er zu seinen Jüngern über die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ spricht (ebd19,10-12), erlaubt uns, an die tiefe Wahrheit von der bräutlichen Bedeutung des menschlichen Körpers als männlich und weiblich zu erinnern, die wir seinerzeit aus den ersten Kapiteln der Genesis (insbesondere aus dem 2. Kapitel, Vers 23-25) abgeleitet haben. Genau so mußte das, was wir in jenen alten Texten finden, formuliert und präzisiert werden. 3. Die heutige Mentalität ist gewohnt, vor allem an den geschlechtlichen Instinkt zu denken und von ihm zu sprechen, womit das, was in der Welt 97 Audienzen und Angelus der Lebewesen den Tieren eigen ist, auf den Bereich der menschlichen Wirklichkeit übertragen wird. Eine vertiefte Reflexion über den knappen Text des 1. und 2. Kapitels der Genesis erlaubt uns jedoch die sichere und überzeugende Feststellung, daß in der Bibel „von Anfang“ an eine sehr klare und eindeutige Grenzlinie zwischen der Welt der Tiere und dem als Gottes Bild und Gleichnis erschaffenen Menschen gezogen wird. In jenem, wenn auch verhältnismäßig kurzen Text ist doch genügend deutlich auf gezeigt, daß der Mensch ein klares Bewußtsein dessen hat, was ihn grundlegend von allen anderen Lebewesen unterscheidet. 4. Daher ist die Anwendung dieser wesentlich naturalistischen Kategorie, die im Begriff und Ausdruck „Sexualinstinkt“ enthalten ist, auf den Menschen also nicht ganz zutreffend und angebracht. Natürlich kann man den Ausdruck aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit anwenden; denn die Besonderheit des Menschen im Vergleich zur gesamten Welt der Lebewesen (animalia) besteht ja nicht darin, daß der Mensch, vom Gesichtspunkt der Art her verstanden, grundsätzlich nicht auch als animal (Lebewesen) bezeichnet werden könnte, aber eben als animal rationale, „Vernunftwesen“. Das ist der Grund, weshalb trotz dieser Ähnlichkeit die Anwendung des Begriffes vom „Sexualinstinkt“ auf den Menschen - in seiner zweigestaltigen Ausprägung als Mann und Frau - dennoch das weithin einschränkt und in gewissem Sinn „verkürzt“, was eben das Männliche und Weibliche in der personalen Dimension der menschlichen Subjektivität ausmacht. Sie schränkt ein und „verkürzt“ auch das, wodurch beide, Mann und Frau, sich so verbinden, daß sie ein Fleisch werden (vgl. Gen 2, 24). Um das zutreffend und passend auszudrücken, muß man sich einer anderen als der naturalistischen Erklärung bedienen. Und eben das Studium des biblischen „Anfangs“ verpflichtet uns dazu, dies auf überzeugende Weise zu tun. Die Wahrheit über die bräutliche Bedeutung des menschlichen Körpers in seiner Ausprägung als Mann und Frau, die von uns aus den ersten Kapiteln der Genesis (und besonders aus Gen 2, 23-25) abgeleitet wurde, das heißt ferner die Entdeckung der bräutlichen Bedeutung des menschlichen Leibes in der personalen Struktur der subjektiven Eigenheit des Mannes und der Frau, scheint in diesem Zusammenhang ein Schlüsselbegriff und zugleich der einzig zutreffende und geeignete zu sein. 5. Gerade in bezug auf diesen Begriff und diese Wahrheit über die bräutliche Bedeutung des menschlichen Leibes müssen die Worte Christi von der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“, die im unmittelbaren Zusammenhang jenes Bezugs auf den „Anfang“, auf den er seine 98 Audienzen und Angelus Lehre von der Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe gründet, gesprochen wurden, neu gelesen und verstanden werden. Dem Ruf Christi zur Ehelosigkeit hegt nicht nur der „geschlechtliche Instinkt“ als Kategorie einer sozusagen naturalistischen Notwendigkeit zugrunde, sondern auch das Bewußtsein von der Freiheit der Hingabe, das organisch verbunden ist mit dem tiefen und reifen Bewußtsein von der bräutlichen Bedeutung des Körpers in der Gesamtstruktur der personalen Subjektivität des Mannes und der Frau. Nur wenn das Mannsein und Frausein der menschüchen Person eine solche Bedeutung hat, gewinnt der Ruf zur freiwilligen Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ volle Berechtigung und Motivierung. Einzig und allein in diesem Sinn sagt Christus: „Wer das erfassen kann, der erfasse es“ {Mt 19, 12); damit weist er darauf hin, daß die Ehelosigkeit - auch wenn sie in jedem Fall vor allem eine „Gabe“ ist -auch „verstanden“, das heißt erschlossen und abgeleitet werden kann aus dem Begriff, den der Mensch von seinem seelisch-leiblichen Ich in seiner Ganzheit hat und im besonderen von dem Mannsein und Frausein dieses Ichs in der gegenseitigen Beziehung, die gleichsam „von Natur“ in jede menschliche Subjektivität eingeschrieben ist. 6. Wie wir aus den vorangegangenen Analysen auf der Grundlage des Buches Genesis {Gen 2,23-25) erinnern, kann dieses wechselseitige „für“ von Mann und Frau, nur in der dynamischen Gesamtheit der Person zutreffend und entsprechend verstanden werden. Die Worte Christi bei Matthäus (19, 11-12) zeigen demnach, daß jenes „für“, das „von Anfang an“ die Grundlage der Ehe büdete, auch der Ehelosigkeit für das Himmelreich zugrunde liegen kann! Wenn er sich auf dieselbe Verfügung über sein persönliches Ich stützt, dank welcher der Mensch durch eine aufrichtige Ganzhingabe wieder voll zu sich selbst findet (vgl. Gaudium et spes, Nr. 24) ist er fähig, personale Selbsthingabe an eine andere Person im Ehebund zu wählen, in dem sie „ein Fleisch“ werden, und er ist ebenso fähig, auf diese Ganzhingabe an eine andere Person freiwillig zu verzichten, um sich in der Wahl der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ ganz Christus schenken zu können. Aufgrund derselben Verfügung über die eigene Person und aufgrund derselben bräutlichen Bedeutung des Leibes bei Mann und Frau vermag sich die Liebe herauszubüden, die den Menschen für das ganze Leben in der Ehe verbindet (vgl. Mt 19, 3-10), aber es kann sich auch die Liebe herausbüden, die den Menschen für das ganze Leben zur Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ verpflichtet (vgl. Mt 19, 11-12). Eben davon spricht Christus im Gesamt seiner Aussage, wenn er sich an die Pharisäer (vgl. Mt 19, 3-10) und dann an die Jünger wendet (vgl. Mt 19, 11-12). 99 Audienzen und Angelus 7. Es ist offenkundig, daß die Wahl der Ehe, so wie sie vom Schöpfer „im Anfang“ eingesetzt wurde, die bewußte innere Annahme der bräutlichen Bedeutung des Leibes voraussetzt, die mit dem Mannsein und Frausein der menschüchen Person zusammenhängt. Eben das kommt in den Versen der Genesis lapidar zum Ausdruck. Wenn wir die Worte vernehmen, die Christus über die Enthaltsamkeit „um des Himmelreiches willen“ an die Jünger gerichtet hat (vgl. Mt 19, 11-12), können wir nicht annehmen, daß diese zweite Art von Entscheidung bewußt und frei vollzogen werden kann ohne Bezugnahme auf das eigene Geschlecht als Mann und Frau und auf die Bedeutung, die dem Menschen eben in der männlichen oder weiblichen Art seines persönlichen Seins eigen ist. Ja, im Lichte der Worte Christi müssen wir zugeben, daß diese zweite Art von Entscheidung, das heißt für die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen, ebenfalls in Beziehung zum Mann- oder Frausein der Person, die diese Entscheidung trifft, vollzogen wird; sie wird vollzogen aufgrund des vollen Wissens um die Bedeutung, welche die geschlechtliche Ausprägung als Mann oder Frau an sich hat. Würde diese Entscheidung in dem tatsächlich gegebenen Reichtum jedes Menschenwesens unnatürlich übersehen, dann wäre sie keine zutreffende und entsprechende Antwort auf die Worte Christi bei Matthäus 19, 11-12. Christus fordert hier ausdrücklich ein volles Verstehen, wenn er sagt: „Wer das erfassen kann, der erfasse es“ {Mt 19, 12). Vom Verzicht zur Selbstverwirklichung Ansprache bei der Generalaudienz am 5. Mai 1. In seiner Antwort auf die Fragen der Pharisäer über die Ehe und ihre Unauflöslichkeit hat sich Christus auf den „Anfang“ berufen, das heißt auf die ursprüngliche Begründung der Ehe durch den Schöpfer. Da seine Gesprächspartner sich auf das Gesetz des Mose beriefen, das die Möglichkeit der sogenannten „Scheidungsurkunde“ vorsah, antwortete er: „Nur 100 Audienzen und Angelus weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch erlaubt, eure Frauen aus der Ehe zu entlassen. Am Anfang war das nicht so“ {Mt 19, 8). Nach dem Gespräch mit den Pharisäern wandten sich die Jünger Christi mit folgenden Worten an ihn: „Wenn das die Stellung des Mannes in der Ehe ist, dann ist es nicht gut zu heiraten. Jesus sagte zu ihnen: Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist. Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es“ {Mt 19, 10-12). . 2. Die Worte Christi meinen ohne Zweifel einen bewußten und freiwilligen Verzicht auf die Ehe. Dieser Verzicht ist nur möglich, wenn man ein volles Wissen um jenen Wert zugibt, der sich aus der Veranlagung des männlichen und weiblichen Körpers zur Ehe ergibt. Denn der Mensch muß sich dessen, was er wählt (die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen), ebenso voll bewußt sein wie dessen, worauf er verzichtet (es handelt sich hier um das Wortbewußtsein im „idealen“ Sinn; nichtsdestoweniger ist dieses Bewußtsein ganz und gar „realistisch“). Christus fordert so gewiß eine reife Entscheidung. Das beweist zweifelsohne die Form, in der der Ruf zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ausgedrückt wird. 3. Doch ein bewußter Verzicht auf den genannten Wert genügt nicht. Im Licht der Worte Christi wie auch im Licht der gesamten authentischen christlichen Überlieferung läßt sich folgern, daß dieser Verzicht zugleich eine besondere Form der Anerkennung jenes Wertes ist, auf den der Unverheiratete konsequent verzichtet, wenn er den Rat des Evangeliums befolgt. Das mag paradox erscheinen. Bekanntlich werden jedoch zahlreiche Aussagen des Evangeliums und oft gerade die eindrucksvollsten und tiefgehendsten in Paradoxa dargeboten. Wenn wir diese Bedeutung des Rufes zur Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ annehmen, ziehen wir die richtige Schlußfolgerung, wenn wir feststellen, daß die Verwirklichung dieses Rufes in besonderer Weise auch eine Bestätigung der Bedeutung des menschlichen Leibes in seiner zweifachen Gestalt ist. Der Verzicht auf die Ehe um des Reiches Gottes willen macht zugleich diese Bedeutung in ihrer ganzen inneren Wahrheit und personalen Schönheit klar. Man kann sagen, daß dieser Verzicht einzelner Personen, Männer und Frauen, gewissermaßen unerläßlich ist, damit eben die bräutliche Bedeutung des Leibes im Gesamtethos des menschlichen Lebens und vor allem im Ethos des Ehe- und Familienlebens leichter erkannt wird. 101 Audienzen und Angelus 4. Obwohl also die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ das Leben der Personen, die sie freiwillig wählen, auf eine Bahn außerhalb des gewöhnlichen Weges des Ehe- und Familienlebens lenkt, bleibt sie dennoch nicht ohne Bedeutung für dieses Leben: für seinen Stil, seinen Wert und seine dem Evangelium gemäße Echtheit. Wir dürfen nicht vergessen, daß der einzige Schlüssel zum Verständnis des sakramentalen Charakters der Ehe die Liebe Christi zur Kirche als seiner Braut ist (vgl. Eph 5, 22-23): die Liebe Christi, des Sohnes der Jungfrau, der selbst ehelos war, das heißt, „sich um des Himmelreiches willen dazu gemacht hat“ im vollkommensten Sinn des Wortes. Dieses Thema werden wir später noch einmal aufgreifen müssen. 5. Am Ende dieser Überlegungen bleibt uns noch ein konkretes Problem: Wie bildet sich in einem Menschen, dem die Berufung zur „Ehelosigkeit um des Himmelreiches“ willen zuteil wurde, diese Berufung angesichts des Bewußtseins von der Bedeutung des Leibes, in seiner männlichen und weiblichen Ausprägung, und mehr noch als Frucht dieses Bewußtseins heraus? In welcher Weise entwickelt oder vielmehr „wandelt“ sie sich? Diese Frage ist wichtig, sowohl von der Theologie des Leibes wie von der Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit her, die zugleich personali-stischen und charismatischen Charakter hat. Wenn wir auf diese Frage erschöpfend - unter Berücksichtigung sämtlicher Aspekte und konkreter Probleme, die sie einschließt - antworten wollten, müßten wir eine Spezialstudie über die Beziehung zwischen Ehe und Jungfräulichkeit sowie zwischen Ehe und Zölibat entwickeln. Das würde jedoch den Rahmen der derzeitigen Betrachtungen sprengen. 6. Während wir im Bereich der Worte Christi nach Matthäus (19, 11-12) bleiben, müssen wir unsere Überlegungen mit folgender Feststellung beschließen. Erstens: Wenn die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ zweifellos einen Verzicht bedeutet, so ist dieser zugleich die Entdeckung einer Gabe, das heißt zugleich die Entdeckung einer neuen Sicht der Selbstverwirklichung „durch eine aufrichtige Hingabe seiner selbst“ (Gaudium et spes, Nr. 24); diese Entdeckung steht nun in tiefem innerem Einklang mit dem Wissen um die Bedeutung des Leibes, die „seit dem Anfang“ mit der Männlichkeit und Fraulichkeit des Menschen als Subjekt, als Person, verbunden ist. Zweitens: Obwohl die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ mit dem Verzicht auf die Ehe - die im Leben eines Mannes und einer Frau die Familie grundlegt - gleichzusetzen ist, darf man darin keineswegs eine Verneinung des wesentlichen Wertes der Ehe sehen; ja, im Gegenteil, die Ehelosigkeit dient indirekt dazu, das herauszustellen, was in der Berufung zur Ehe ewig und zutiefst 102 Audienzen und Angelus personal ist, was in den Dimensionen der Zeitlichkeit (und zugleich im Ausblick auf die andere Welt) der Würde der persönlichen Hingabe entspricht, die mit der Bedeutung des Leibes, in seiner männlichen oder weiblichen Ausprägung, gegeben ist. 7. Somit hat der Ruf Christi zur Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“, der mit Recht mit dem Hinweis auf die künftige Auferstehung verbunden wird (vgl. Mt 21, 24-30; Mk 12, 18-27; Lk 20, 27-40), eine vorrangige Bedeutung nicht nur für das christliche Ethos und die christliche Spiritualität, sondern auch für die Anthropologie und die gesamte Theologie des Leibes, deren Grundlagen wir entdecken. Bedenken wir, daß Christus, als er sich auf die Auferstehung des Leibes in der anderen Welt berief, nach der Überlieferung der drei synoptischen Evangeüen sagte: „Wenn nämlich die Menschen von den Toten auferstehen, werden sie nicht mehr heiraten, sondern sie werden sein wie die Engel im Himmel“ {Mk 12, 25). Diese Worte, die wir bereits analysiert haben, gehören zur gesamten Theologie des Leibes und tragen zu ihrem Aufbau bei. „Mit banger Sorge im Herzen“ Ansprache bei der Generalaudienz am 12. Mai Liebe Brüder und Schwestern! 1. Seid willkommen! Ich freue mich, auch heute morgen mit euch Zusammentreffen zu können, ehe ich meine Pilgerreise nach Fatima in Portugal antrete, wo ich heute abend eintreffen möchte, um morgen, am Jahrestag der ersten Erscheinung der Muttergottes im bereits weit zurückliegenden Jahr 1917, und am Jahrestag des für mich besonders bedeutsamen 103 Audienzen und Angelus Geschehnisses, das sich am 13. Mai 1981 auf diesem Platz ereignete, im dortigen Heiligtum zu weilen. Ich grüße euch alle ganz herzüch, und während ich auf jeden einzelnen die Gaben der Freude und des Friedens herabrufe, die der auferstandene Christus in die Welt gebracht hat, lade ich euch ein, euch mit mir im Gebet zu vereinen. Gott möge reichen Segen erwirken für diese apostolische Reise, die mich zu einem Volk mit sehr alter und tiefer katholischer Tradition führen wird, das im Laufe der Jahrhunderte so viele lebendige Zeugnisse der Kultur und der Heiligkeit hervorgebracht hat. Ich komme zu den hochherzigen Söhnen und Töchtern Portugals in dem Wunsch, Zeugnis zu geben von meiner Wertschätzung und meiner Liebe und ihnen zugleich „geistliche Gaben zu vermitteln, damit sie dadurch gestärkt werden“ (vgl. Röm 1, 11). Ich komme vor allem als Pilger der Brüderlichkeit und des Friedens in das Land, das die heilige Jungfrau auserwählt hat, um ihren eindringlichen Ruf zu Gebet, Umkehr und Buße an die Welt zu richten. 2. Aber nicht nur, um der Muttergottes meine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, begebe ich mich auf die Pügerreise nach Fatima. Ich suche jenen begnadeten Ort ferner deswegen auf, um erneut im Namen der gesamten Kirche die Botschaft zu hören, die vor nunmehr 65 Jahren aus dem Mund der um das Schicksal ihrer Kinder besorgten, gemeinsamen Mutter erklungen ist. Diese Botschaft erweist sich heute als aktueller und dringender denn je. Muß man nicht in der Tat bestürzt und erschüttert sein angesichts des umsichgreifenden Säkularismus und der Permissi-vität, welche die Grundwerte christlicher Moral so stark bedrohen? Darüber hinaus bedrückt uns das traurige Bild so vieler Brüder und Schwestern auf unserer Erde, die an Hunger, Krankheit und Drogen sterben; mit Bitterkeit stellen wir fest, welche dunkle Anziehungskraft die verschiedenen Formen der Gewalt noch immer auf das menschliche Herz ausüben können. Tief betroffen macht es uns insbesondere, zur Kenntnis nehmen zu müssen, mit welcher Leichtfertigkeit man auch heute der Illusion erliegt, aus dem Krieg könne ein gerechter und dauerhafter Friede entstehen. Wann werden die Menschen endüch begreifen, daß immer dann, wenn nicht alles Menschenmögliche getan wird, um mit Erfolg den Frieden unter den Völkern und Nationen sicherzustellen, man ihre Würde in den Staub tritt? Mit diesen Gedanken und diesen bangen Sorgen im Herzen will ich zu den Füßen Mariens niederknien, um ihre mütterliche Fürsprache zu erflehen und ihr gleichzeitig im Namen aller Söhne und Töchter der Kirche Gebet, Buße und Erneuerung zu versprechen. Ich hege Vertrauen, daß diese 104 Audienzen und Angelus meine Geste in den Gläubigen ein erneutes Verantwortungsgefühl wachrufen und bewirken wird, so daß jeder einzelne sich ehrlich fragt, wie es bei ihm mit der Treue zu den Werten des Evangeliums bestellt ist. Wenn ich euch, die ihr hier anwesend seid, und allen euren Lieben jetzt meinen Segen erteile, fordere ich alle auf, die Gottesmutter noch inniger zu verehren, ganz besonders in diesem Monat Mai, den die Frömmigkeit der Gläubigen ihr widmet. Ich bitte euch, mich mit euren Gebeten zu begleiten. Die Botschaft von Fatima enthält die ewige Wahrheit des Evangeliums Ansprache bei der Generalaudienz am 19. Mai Mit Gottes Hilfe war es mir möglich, vom 12. bis 15. Mai die Pilgerreise nach Portugal zu machen, durch die ich der Einladung nachkam, die schon vor längerer Zeit sowohl seitens des Staatspräsidenten und der staatlichen Behörden als auch seitens der Bischöfe und der Kirche in jenem Land mit seiner großen katholischen Tradition an mich ergangen war. Das Hauptziel meiner Pilgerfahrt war Fatima, wohin ich mich nach dem gegen meine Person gerichteten Attentat vom 13. Mai vergangenen Jahres in besonderer Weise gerufen fühlte. Ich habe bereits mehrmals gesagt, daß ich einzig und allein der Barmherzigkeit Gottes und dem besonderen Schutz der Mutter Christi die Rettung meines Lebens verdanke und die Möglichkeit, meinen Dienst für den Stuhl Petri weiter auszuüben. Zweitens hat es mir diese Pilgerfahrt - wie das in ähnlicher Weise auch bei meinen anderen Reisen der Fall war - ermöglicht, durch den Besuch der Kirche in Portugal jene Bande der Einheit zu stärken, durch die sie von Anfang an in der Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom mit der Universalkirche verbunden ist: Diese Bande habe ich im Verlauf meines Besuches als sehr lebendig und herzlich empfunden. Der Weg der Kirche als Volk Gottes 2. Die Pügerreise nach Fatima war mir ein Herzensanliegen und zugleich eine Darstellung des Weges der Kirche am Ende dieses Jahrhunderts, des 105 Audienzen und Angelus Weges der Kirche als Volk Gottes, das durch eine besondere Verantwortung für die heutige Welt mit der ganzen Menschheit verbunden ist. Die Botschaft, die im Jahre 1917 aus Fatima kam, enthält, im Lichte der Glaubenslehre betrachtet, die ewige Wahrheit des Evangeliums, den Bedürfnissen unserer Zeit in besonderer Weise angepaßt. Der Aufruf zu Bekehrung und Buße ist das erste und grundlegende Wort des Evangeliums. Dieser Aufruf verliert niemals seine Gültigkeit und nimmt in unserem Jahrhundert, da man sich des Kampfes zwischen den Kräften des Guten und des Bösen - eines Kampfes, der tiefgreifender ist denn je - in unserer Menschenwelt zunehmend bewußt wird, besondere Dimensionen an. Hier finden wir auch den entscheidenden Punkt der Sorge der Kirche, wie dies die Stimmen der Hirten bezeugen, die „Versöhnung und Buße“ zum aktuellsten Thema erklärt und darum dessen Behandlung der nächsten Versammlung der Bischofssynode übertragen haben. Die Bedrohung durch die Mächte des Bösen rührt insbesondere von den in unserem Jahrhundert verbreiteten Irrtümern her, die sich auf die Leugnung Gottes stützen und die Menschheit völlig von Gott loszureißen trachten, indem sie das menschliche Leben ohne Gott und schließlich sogar gegen Gott ausrichten. Den Kern der Botschaft, die zu Beginn unseres Jahrhunderts von Fatima ausging, bildet eine eindringliche Warnung vor eben diesen Irrtümern. Die einfachen Worte, die an einfache Landkinder gerichtet waren, sind erfüllt von dem Sinn für die Größe und die Heiligkeit Gottes und von dem glühenden Verlangen nach der Verehrung und der Liebe, die Gott allein gebührt. Daher auch die Aufforderung, durch einen Akt der Weihe dieser erbarmenden Heiligkeit von neuem nahezukommen. Das Herz der Mutter Christi, das der Quelle dieser erbarmenden Heiligkeit am nächsten ist, möchte alle Christus annähern: jeden einzelnen Menschen und die ganze Menschheit, die einzelnen Nationen und die ganze Welt. 3. Es ist schwer, diese Gnade und diese Einladung nicht immer wieder von neuem anzunehmen. Das hat vor 40 und vor 30 Jahren Papst Pius XII. getan. Paul VI. hat zunächst während des Konzils und dann auf seiner Pilgerreise nach Fatima im Jahre 1967 an den von seinem Vorgänger vollzogenen Akt erinnert. Außerdem hat er seit der Zeit des Konzils begonnen, Maria mit dem Titel „Mutter der Kirche“ anzurufen, eine Tatsache, die auch in seinem Credo des Gottesvolkes Ausdruck gefunden hat. Das Konzil hat das Bewußtsein der Kirche dadurch entfaltet, daß es sich in der dogmatischen Konstitution Lumen gentium auf die Gottesmutter 106 Audienzen und Angelus als Mutter und Gestalt der Kirche bezog. Weil dasselbe Konzil auch das Verantwortungsbewußtsein der Kirche für die Welt geweckt und entwik-kelt hat, gewinnt die Kirche aus dem Boden des Konzilslehramtes den Impuls, gleichsam ein neues Bedürfnis, diese Verantwortung in einem Weiheakt an die Gottesmutter auszudrücken. Fatima gehört in unser Jahrhundert Das sind in großen Zügen die Leitgedanken meiner Pilgerreise nach Fatima, die am 13. Mai sowohl in der Predigt wie in dem abschließenden Weiheakt ihren Ausdruck gefunden haben. Ich habe versucht, alles unter den konkret gegebenen Umständen Mögliche zu tun, um die kollegiale Verbundenheit und Einheit des Bischofs von Rom mit den Brüdern im bischöflichen Amt und im Dienst an der Welt deutlich zu machen. 4. Durch die Pilgerreise nach Fatima habe ich auch die Kirche auf portugiesischer Erde besucht, dort wo sich ihr Gipfelpunkt befindet. Dort, in Fatima, bin ich zunächst mit den Bischöfen Portugals und dann mit der Geistlichkeit zusammengetroffen: mit den Welt- und den Ordenspriestern, den Schwestern und Brüdern der verschiedenen Ordenskongregationen und schließlich mit den Seminaristen und Novizen. Dies war der geeignetste Ort, um mit unseren Begegnungen ganz Portugal zu erreichen. Fatima ist jedoch im Leben der Kirche und der Gesellschaft eine relativ junge Erscheinung: es gehört ganz in unser Jahrhundert. Die portugiesische Kirche und Nation hingegen besitzen eine vielhundertjährige Vergangenheit, die bis in die römische Zeit und in die Tage des frühen Christentums zurückreicht, und seit mehr als acht Jahrhunderten, nach der Beendigung der Invasion durch die Araber, besitzen sie ihre eigene portugiesische Vergangenheit, die hinsichtlich ihrer geschichtlichen Identität klar umrissen ist. Das aus Rom kommende Christentum hat hier tiefe Wurzeln geschlagen und im Glaubenszeugnis und in der christlichen Liebe im Laufe der Jahrhunderte reiche Frucht gebracht. Die Äußerungen dieses Zeugnisses sind noch immer in ganz Portugal, in der Kultur und in der Zivilisation des Landes gut zu sehen. Es ist schwierig, hier sämtliche Zeugnisse und alle Gestalten zu erwähnen, die die Geschichte der Kirche und der Nation in Portugal bilden. Ich nenne nur den hl. Antonius, der als Antonius von Padua bekannt ist, aber in Lissabon geboren und in Portugal aufgewachsen ist. Der 750. Todestag dieses Heiligen war auch ein Grund für meine Pilgerfahrt in das Land, das seine Heimat war. 107 Audienzen und Angelus 5. Einen besonderen Bereich der Leistung der Kirche in Portugal stellt die großartige und jahrhundertelange Missionstätigkeit dar. Sie hielt Schritt mit den Entdeckungsfahrten. Es genügt zu erwähnen, daß nicht nur ganz Brasilien portugiesisch spricht, sondern auch einige Länder Afrikas und des Femen Ostens: insgesamt mehr als 150 Milhonen Menschen, während die heutige Einwohnerzahl Portugals kaum zehn Millionen beträgt. Die portugiesische Sprache gehört zu den meistgesprochenen Sprachen in der katholischen Kirche. 6. Über alle diese Aspekte der jahrhundertealten Vergangenheit und der reichen Gegenwart konnte ich während meines Besuches in Portugal nach Abschluß der Pilgerfahrt nach Fatima nachdenken. Der Weg führte mich vor allem nach Lissabon, der größten Stadt des Landes, Sitz des Patriarchen und Zentrum des bürgerlichen, nationalen und kirchlichen Lebens. Und anschließend führte der Weg mich zu einem Ort südöstlich von Lissabon und dann nach Norden, nach Coimbra, Braga, Porto. Jede dieser Stationen, an denen ich mich zum ersten Mal in meinem Leben aufhielt, hat meinem Blick neue Elemente des großen portugiesischen Glaubens- und Kulturerbes und zugleich eine neue Dimension des heutigen Lebens der Kirche und der Nation in Portugal erschlossen. Nahezu jeder der besuchten Orte hat ein Marienheiligtum: So hat Villa Vigosa in der Erzdiözese Evora das Heiligtum der Königin Portugals; Braga, im Norden, besitzt das großartige Heiligtum von Sameiro, auf einem Hügel gelegen, wo meine Begegnung mit den Eheleuten stattfand; die Stadt Porto schließlich (die zweitgrößte Stadt nach Lissabon) nennt sich seit Jahrhunderten „Stadt der Jungfrau“. Schließlich nennt sich ganz Portugal „Land der hl. Maria“. Wie man aus alledem ersieht, wurde der Boden, auf dem in unserem Jahrhundert Fatima entstand, von vielen Generationen vorbereitet. 7. Indem ich mich an das Pastoralprogramm der Bischöfe Portugals hielt, habe ich bei den wichtigsten Begegnungen versucht, die Themen anzuschneiden, die im Leben der Kirche und der Gesellschaft besondere Aktualität besaßen. Eine Hilfe für diese Thematik habe ich auch im Wort Gottes der Liturgie und in der Lehre, besonders der Soziallehre der Kirche gesucht. In Lissabon habe ich vor einer riesigen Menschenmenge das Problem „Jugend und Berufungen“ behandelt (die Teilnehmer des Gottesdienstes waren großenteils Jugendliche aus der Hauptstadt und der Erzdiözese). In Villa Vigosa habe ich, ausgehend von dem Wortgottesdienst, angesichts des ländlichen Charakters der ganzen südlichen Region über die Landarbeit gesprochen. 108 Audienzen und Angelus In Coimbra gab mir die unvergeßliche Begegnung mit den Professoren und Studenten der ältesten Universität Gelegenheit, mich an die Welt der Wissenschaft und der Kultur in Portugal zu wenden. In Braga (Marienwallfahrtsort Sameiro) war das Thema der Ansprache im Rahmen der Eucharistiefeier die Ehe und Familie. In Porto schließlich sprach ich über die Arbeit in der Industrie und in den anderen Berufen. 8. Alle diese eindrucksvollen Begegnungen mit meinen Brüdern und Schwestern, welche die Nation und die Kirche auf portugiesischem Boden bilden, bewahre ich tief im Herzen. Durch die Fürsprache der hl. Maria danke ich Gott für alles, was für die Vorbereitung dieses Besuches geleistet wurde - und für alles, was durch Gottes Gnade sein Gewinn geworden ist. Ich danke den Menschen für ihre so große Liebe und für ihr Verständnis. Allen erteile ich meinen dankbaren Segen. Morgen feiert die Kirche das Fest der Himmelfahrt des Herrn, das der Höhepunkt des königlichen Triumphes Christi, seiner Verherrlichung nach Golgota, ist. Es ist ein Fest, das uns einlädt, nach oben, zum Himmel aufzuschauen, wohin Christus zum Vater aufgestiegen und ganz, auch mit seiner Menschheit, eingetreten ist, um teilzuhaben an der göttlichen Herrlichkeit und am Heüswirken Gottes. Aber Himmelfahrt ist nicht allein das Fest Christi, der diese Erde verläßt; es ist auch das Fest Christi, der bei uns bleibt; Christi, der, ehe er in den Himmel aufstieg, gesagt hat: „Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage, bis zum Ende der Welt“ (Mt 28, 20). Diese Gewißheit möge für euch alle eine Quelle der Kraft, des Trostes und der Freude bei eurem Engagement als Christen sein. Laßt uns für den Frieden zwischen Argentinien und England beten! 109 Audienzen und Angelus „Zum Pilger der Welt geworden“ Ansprache bei der Generalaudienz am 26. Mai Liebe Brüder und Schwestern! Vor allem begrüße ich euch ganz herzlich und heiße euch bei dieser Generalaudienz, die zwischen Christi Himmelfahrt und dem Pfingstfest liegt, willkommen. Die Liturgie dieser Tage erinnert uns an die Worte, mit denen Jesus seine Apostel tröstete, ehe er sie verließ, und ihnen verhieß: Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen. Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen, weil ihr von Anfang an bei mir seid“ (Joh 15, 26-27). Meine Lieben, wenn die Pflicht, für Christus Zeugnis abzulegen, jeden Gläubigen angeht, so gilt sie in besonderer Weise für die Nachfolger der Apostel, also die Bischöfe, und unter ihnen für den römischen Papst, der als Nachfolger des Petrus eine unmittelbare Verantwortung für die ganze Kirche besitzt. In diesem Bewußtsein bin ich im Laufe dieser Jahre zum Pilger der Welt geworden, um die verschiedenen Teile der Herde Christi in ihren Prüfungen zu unterstützen und sie zu ermutigen, beharrlich und beherzt die unvergänglichen Werte des Evangeliums zu bejahen. Gemäß diesem Programm ist, wie ihr wißt, seit langem ein Pastoralbesuch bei den Kirchen von England, Schottland und Wales vorgesehen und vorbereitet worden. Die jüngsten schmerzlichen Ereignisse des Konflikts im Südatlantik haben die Durchführung dieser Reise, die so viele Christen - nicht nur Katholiken, sondern auch der anderen Konfessionen - dringend erwarten, in Frage gestellt. Nach eingehenden Beratungen mit den führenden Vertretern jener Kirchen habe ich beschlossen, den Besuch -allerdings mit einigen Abänderungen - dennoch durchzuführen. Da diese Entscheidung jedoch bei den Katholiken der argentinischen Kirche, die meinem Herzen gewiß nicht weniger teuer sind und nicht weniger nahestehen, Überraschung oder gar Bestürzung auslösen könnte, verspürte ich die Notwendigkeit, ihnen die Gründe darzulegen, die mich nach langer, leidvoll durchgestandener Überlegung zu dieser Entscheidung veranlaßt haben. Zu diesem Zweck habe ich an die Söhne und Töchter jener geliebten Nation einen Brief geschrieben, den ich euch nun vorlesen möchte: (Vollständiger Wortlaut des Briefes vom 25. Mai „Gegenüber jeder Nation die Liebe bewahren“ in Kapitel III). Ich bitte euch alle, euch mit mir im Gebet zu vereinen, um durch die Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria vom Herrn zu erwirken, daß 110 Audienzen und Angelus die Ziele meiner bevorstehenden Pastoraireise richtig verstanden und hochherzig unterstützt werden, damit diese Reise dem geistlichen Wohl der Gläubigen und der Sache des Friedens im Südatlantik diene. Noch eine Nachricht: Ich habe erfahren, daß die Bischöfe und die höchsten Autoritäten der Nation und des argentinischen Volkes meinen Wunsch, mich nach Argentinien zu begeben, mit Dankbarkeit und lebhafter Befriedigung aufgenommen haben. Als Datum für den Beginn dieser Papstreise ist der 10. Juni vorgesehen. Wallfahrt durch die sieben Sakramente Ansprache bei der Generalaudienz am 9. Juni 1. Als ich die Möglichkeit hatte, zusammen mit den Bischöfen von England, Schottland und Wales in der Westminster-Kathedrale zu London das eucharistische Opfer zu feiern, habe ich Christus für dieses Zeichen der Einheit gedankt, das alle Menschen einschließt und in dem die Völker nicht aufhören, auch wenn sie durch zeitweilige Konflikte entzweit sind, im Geheimnis des Leibes Christi vereint zu sein. Denn Christus „ist unser Friede“ (Eph 2, 14), nach dem wir immer in Gedanken, im Herzen und im Werk streben müssen, damit nicht der „Geist der Welt“ (1 Kor 2, 12), der zu Zwietracht und Kriegen treibt, über die Menschheit Herr bleibt. 2. Die Papstreise nach Großbritannien war seit langem vorbereitet: seit zwei Jahren war sie vereinbart, und seit acht Monaten wurde sie in den einzelnen Diözesen und Pfarreien Englands, Schottlands und Wales sorgfältig vorbereitet. Wenn ich heute aus der Sicht des bereits abgeschlossenen Besuches spreche, muß ich vor allem die Breite der Vorbereitung und ihre hohe Qualität hervorheben. Es geht dabei nicht nur um den materiellen Einsatz, sondern vor allem um die geistliche Dimension dieser großen gemeinsamen Arbeit. Darin hat sich mehr bewiesen als nur die Reife des Gottesvolkes heute. Hier hat sich das jahrhundertealte Erbe offenbart, das in England seinen historischen Anfang in der Gestalt des hl. Augustinus, des ersten Bischofs von Canterbury, genommen hat. In Schottland verbindet sich dieser Anfang mit den Namen der hll. Ninian, Columba und Kentigern; in Wales mit dem hl. David. Dieses Erbe hat nicht nur weitentfernte Anfänge (die uns noch weiter zurückführen als die genannten Namen, nämlich bis in die Zeit des Römischen Reiches). Es umfaßt auch eine Reihe schwieriger Jahrhun- 111 Audienzen und Angelus derte, die besiegelt sind mit dem Blut der späteren Märtyrer, von denen man voll Verehrung und ohne jede menschliche Bitterkeit spricht wie von den Märtyrern der ersten Jahrhunderte. Man spricht von ihnen mit einer Liebe, die Christi würdig ist, für den sie - es seien hier der hl. John Fisher und der hl. Thomas More genannt - Zeugnis abgelegt haben. Und im vorigen Jahrhundert schließlich verbindet sich das Erbe mit dem Namen des großen Kardinals Newman: das Erbe der mühevollen Suche nach der Wahrheit als dem Weg zur Einheit im Glauben. Das Christentum in Großbritannien ist ein wichtiger Boden für den ökumenismus. Die katholische Kirche hat hier ihren Platz, indem sie den Weg zur Einheit der Christen, den das Zweite Vatikanische Konzil gewiesen hat, als ihren eigenen betrachtet. 3. Der Besuch war gewissermaßen eine Pilgerfahrt durch die sieben Sakramente, in denen das Leben des Gottesvolkes sich bildet und entfaltet. Dieser theologische und zugleich pastorale Akzent hat der ganzen Geographie der Reise ein einheitliches Gepräge gegeben, angefangen bei der Kathedrale von Westminster, wo der Akzent auf der Taufe lag. Am folgenden Tag (dem Tag der Pfingstvigil) wurden im Stadion von Wembley vor der Statue der Muttergottes von Walsingham die Taufversprechen erneuert. Bei diesem Gebet waren wir mit der Mutter der Kirche vereint wie die Apostel im Abendmahlssaal, als sie auf das Kommen des Tröstergeistes warteten. Am Vormittag desselben Tages haben in der Kathedrale von Canterbury alle Teilnehmer an der Begegnung - Anglikaner und Kathoüken - ihre Taufgelübde erneuert. Noch am ersten Tag der Pilgerreise fand in der Kathedrale von Southwark die feierliche und eindrucksvolle Liturgie der Krankensalbung statt - eine große Begegnung mit der Kirche derer, die Christus im Leiden verbunden sind. 4. Die Eucharistiefeier auf dem großen Flugfeld von Coventry hat die Herabkunft des Tröstergeistes auf die im Zweiten Weltkrieg besonders schwer getroffene Stadt gegenwärtig gemacht. Das Symbol dieser Zerstörung ist die alte Kathedrale, an deren Seite eine neue errichtet wurde. Das Sakrament der Firmung, das während der heiligen Messe gespendet wurde, sollte den Aufbau der Kirche durch den Glauben und die daraus fließenden Werke in der Gemeinschaft des Gottesvolkes dartun. Am Nachmittag desselben Pfingstsonntags war ich in Liverpool, dem größten Zentrum der Kathoüken in Großbritannien. Dort gab es eine Begrüßung auf dem Flugplatz, vor der riesigen Menge, die die Straßen der Stadt säumte und zuerst dem Besuch in der anglikanischen Kathedrale und dann in der kürzüch erbauten katholischen Kathedrale beiwohnte. 112 Audienzen und Angelus Der Akzent bei der Messe war das Sakrament der Buße und Versöhnung, den Worten der Liturgie entsprechend: „Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben“ (Joh 20, 23), und entsprechend auch der großen Anstrengung, die in dieser Stadt die katholischen und anglikanischen Christen auf die Versöhnung hin im Geist des Evangeliums unternehmen. 5. Am Montag lag der Akzent auf dem Weihesakrament, das durch die Erteilung der Priesterweihe im Rahmen des feierlichen Gottesdienstes in Manchester besonders sichtbar wurde. Bei der Begegnung mit den Vertretern der Familien in einem großen Stadion bei York stand dann das Ehesakrament im Mittelpunkt. In Verbindung mit dem Wortgottesdienst und der Predigt erneuerten die Eheleute und die Mitglieder der Familien die Versprechen, die die Grundlage ihrer Gemeinschaft in Christus und in der Kirche bilden. In diesem Zusammenhang muß alles hinzugefügt werden, was während der Pilgerreise auf die christliche Berufung im allgemeinen, insbesondere auf die Priester- und Ordensberufe, Bezug genommen hat, und zwar durch Begegnungen mit den Priestern, mit den Brüdern und Schwestern der Orden und Kongregationen, mit den Alumnen der Seminare und Noviziate: Begegnungen in Wort und Gebet. 6. Die Eucharistie stand gewissermaßen im Mittelpunkt jeder Begegnung. In besonderer Weise habe ich sie jedoch in Cardiff herausgestellt, der letzten Etappe der Reise, wo junge Christen die Erstkommunion empfingen. Die Jugend hatte auf dieser Pilgerreise ihren besonderen Platz. Zweimal wurde ein besonderes Zeugnis ihrer Gegenwart in der Kirche erbracht: das erste Mal bei der Begegnung in Edinburgh (auch mit den Allerjüngsten). Das zweite Mal am Schluß des gesamten Besuchsprogrammes in Cardiff. Diese Begegnungen waren erfüllt von jugendlicher Spontaneität und zugleich von einem tiefen christlichen Gehalt. Das letzte Wort, das ich an die Kirche in Großbritannien richtete, galt dem Gebet - eben an die Jugend in Cardiff. 7. Der Besuch in Schottland hatte seine zwei Pole in Edinburgh und Glasgow. Sie ermöglichten der Kirche, die in Schottland ihre eigene Geschichte und ihr eigenes Profil hat, sich als solche sichtbar zu machen. Das geschah in beiden Städten, aber die wichtigste liturgische Feier fand am Dienstagnachmittag in Glasgow statt unter gewaltiger Beteiligung der Gläubigen. Das Thema der Predigt war eine Zusammenfassung: das Reich Gottes in seiner historischen und aktuellen Verwirklichung in Schottland und in der Geschichte seiner Menschen. 113 Audienzen und Angelus Unter anderem hatte ich Gelegenheit zum Besuch der Lehrer- und Erziehergemeinschaft in Glasgow; und unvergeßlich ist mir auch der Besuch bei den Kranken in Edinburgh gebüeben. 8. Die Kirche, die das Sakrament der Vereinigung des Menschen mit Gott und das Zeichen der Einheit der ganzen Menschheitsfamilie ist, befindet sich auf den Britischen Inseln, wie bereits gesagt, in einem ökumenischen Feld eigener Art. Das wurde auf allen Stationen des Besuches deutlich. Vor allem in England mit der geschichtlichen Begegnung in der Kathedrale von Canterbury, die der Sitz des Vorsitzenden der gesamten anglikanischen Kirchengemeinschaft ist. Man darf sagen, daß die Vorbereitung auf diese Begegnung besonders lang und mühevoll war: zwölf Jahre Arbeit der internationalen anglikanischen/katholischen Kommission, die schließlich dem Papst und dem Vorsitzenden der anglikanischen Gemeinschaft die Ergebnisse ihrer Studien vorgelegt hat. Diese Ergebnisse sind zu einer Grundlage für die am Vorabend des Pfingstfestes Unterzeichnete Gemeinsame Erklärung geworden. Diese stellt eine Grundlage der weiteren ökumenischen Zusammenarbeit dar, deren Ziel es ist, den Weg zur vollständigen Einheit zu ebnen. Es wäre schwierig, bei diesem knappen Bericht noch mehr zu sagen. Wir müssen nur dem Geist der Einheit und der Wahrheit danken, der unsere Schritte zu dieser Begegnung gelenkt hat und, so hoffen wir, auch weiter lenken wird. Vom ökumenischen Gesichtspunkt aus hatte auch die Begegnung mit den Vertretern des Britischen Rats der Kirchen in Canterbury und ferner die Begegnung mit den Vertretern der christlichen Gemeinschaften Schottlands in Edinburgh ihre Bedeutung. Freilich müssen wir wohl eine ganz eigene Bedeutung der Begegnung mit dem Moderator der Generalversammlung der Kirche Schottlands (Presbyterianer), ebenfalls in Edinburgh, beimessen, die auf die Besonderheit des ökumenischen Weges Schottlands hinweist. 9. Anläßlich dieses Besuches, der vor allem pastoralen Charakter hatte, fühlte ich mich geehrt durch das Zusammentreffen mit Königin Elisabeth II. am ersten Tag meiner Reise. Die Vertreter der politischen Führung des Landes haben - angesichts der aus den Beziehungen zu Argentinien entstandenen internationalen Situation — von sich aus ihre Bereitschaft erklärt, sich von dem Besuchsprogramm zurückzuziehen. Während ich mir bewußt bin, wieviel bei einer so hervorragenden Vorbereitung der Pilgerreise durch England, Schottland und Wales von den 114 Audienzen und Angelus verschiedenen Elementen und von den zuständigen Behörden abhing, möchte ich noch einmal allen meinen herzlichen Dank aussprechen. 10. Der erste Besuch in der Geschichte, den der Bischof von Rom Großbritannien abstattete, besitzt zweifellos eine einzigartige geschichtliche Bedeutung. Es sei mir darum gestattet, sie dem Herzen dessen anzuvertrauen, der Herr der Geschichte, König des Friedens und Herrscher der künftigen Zeit ist. Hilfsappell für den Libanon Vor dem Angelus am 13. Juni 1. In dem Brief, den ich am 25. Mai an die geliebten Söhne und Töchter Argentiniens gerichtet habe, schrieb ich: „Meine besondere Liebe zu eurer Nation und zu ganz Lateinamerika ... ist bekannt. . . . Aus tiefer Besorgnis für die Sache des Friedens und bewegt von der Liebe zu euch . . . wäre es mein sehnlicher Wunsch, persönlich direkt von England nach Argentinien zu kommen und dort unter euch und mit euch, liebe Brüder und Schwestern, gleichfalls für den Sieg eines gerechten Friedens über den Krieg zu beten. Ich hoffe, daß ihr euch schon bald zusammen mit dem Papst im Heiligtum der Muttergottes in Lujän einfinden könnt, wo ich eure Familien und euer katholisches Vaterland dem mütterlichen Herzen der Muttergottes weihen will“ (Nr. 4. in: O.R. dt. vom 4. Juni 1982, S. 2). 2. Heute möchte ich beim Gebet des „Engel des Herrn“ zusammen mit euch, die ihr hier auf dem Petersplatz in Rom versammelt seid, der Göttlichen Vorsehung dafür danken, daß es mir gegeben war, das Versprechen, das in diesem Brief an die argentinische Nation enthalten war, den ich vor meiner Apostolischen Reise nach England, Schottland und Wales geschrieben hatte, in die Tat umzusetzen. Danken möchte ich auch allen Personen, die zur Verwirklichung dieser wichtigen Initiative beigetragen haben. Die Motive, die mich geleitet haben, sind in dem Schreiben vom 25. Mai dargelegt. Ich bin zutiefst dankbar dafür, daß die Beweggründe richtig verstanden und herzlich aufgenommen worden sind. Die festliche und zugleich andächtige Beteiligung an den liturgischen Feiern hat den christlichen Sinn bewiesen, mit dem das argentinische Volk 115 Audienzen und Angelus meine Absichten verstanden hat, so wie das auch bei meinem Pastoralbe-such in Großbritannien der Fall war. 3. Der kurze Besuch in Argentinien hat sich auf die Fronleichnamsliturgie konzentriert, die aus diesem Grund in Buenos Aires am gestrigen Samstag gefeiert wurde. Eine Vorbereitung auf die eucharistische Liturgiefeier war die heilige Messe, die am Nachmittag des vorangehenden Tages im Heiligtum der Muttergottes in Lujän zelebriert wurde. Gott hat den Menschen im Kreuz seines Sohnes erhöht und stärkt ihn auf den Wegen des Lebens, auch wenn diese noch so schwierig und voller Leid sind, durch das Sakrament des Neuen und Ewigen Bundes, das heißt durch die Speise seines Leibes und seines Blutes. Über diese Wahrheit haben wir gemeinsam mit unseren Brüdern und Schwestern in Argentinien, dem Klerus und den Bischöfen sowohl Argentiniens wie auch der verschiedenen lateinamerikanischen Länder, vor allem im Marienheiligtum Lujän nachgedacht und dann in Buenos Aires an derselben Stätte, wo im Jahre 1934 der Eucharistische Weltkongreß unter dem Vorsitz des Päpstlichen Legaten Kardinal Eugenio Pacelli, des späteren Papstes Pius XII., stattfand. Allen drücke ich meinen herzlichen Dank aus. Im besonderen güt mein Dank dem Staatspräsidenten sowie allen anderen Autoritäten, die die Verwirklichung dieser bedeutsamen Initiative ermöglicht haben. 4. „Die Kirche, die zwar gegenüber jeder einzelnen Nation ihre Liebe bewahrt, kann dennoch nicht umhin, die weltumspannende Einheit, den Frieden und das gegenseitige Verständnis zu schützen. Deshalb unterläßt es die Kirche nicht. . . , von der Einheit der großen Menschheitsfamilie Zeugnis zu geben und nach Wegen zu suchen, die diese Einheit über jede noch so tragische Spaltung hinaus betonen. Es sind die Wege, die zur Gerechtigkeit, zur Liebe und zum Frieden führen“ {Brief an die argentinische Nation, Nr. 5). 5. Die Kirche muß Zeugnis vom Frieden geben auch bei dem anderen Konflikt, der in den vergangenen Tagen erneut im Libanon entflammt ist. Gestern ist ein Waffenstillstand auch zwischen Israelis und Palästinensern erreicht worden - ein freilich sehr schwacher und vorläufiger - nach den schweren Kämpfen und Bombenangriffen, die Tote und Verwundete in hoher Zahl gefordert haben, Tausende neuer Flüchtlinge und unermeßliche Zerstörungen hervorriefen. Ein tiefes Gefühl des Mitleids und des Schmerzes erhebt sich ob dieser Ereignisse in meinem Herzen: Ich bete und ich lade euch ein, darum zu beten, daß Gott die Verantwortlichen in diesen entscheidenden Augen- 116 Audienzen und Angelus blicken erleuchten möge; damit sich der Waffenstillstand festigt und nicht wieder zu den Waffen gegriffen wird. Die Völker sind nicht dazu aufgerufen, sich zu bekämpfen und zu vernichten, sondern sich gegenseitig zu verstehen und zu einigen, um friedlich Zusammenleben zu können. Es ist eine Illusion zu meinen, daß Krieg und Gewalt zu echten Lösungen führen; sie säen nur neuen Haß und immer größeres Mißtrauen. Einzig und allein die Mäßigung und die Weisheit öffnen den Weg zu Verhandlungen; aus der Verhandlung können dauerhafte Übereinkommen entstehen, in denen jedes Volk - insbesondere das palästinensische, das jetzt der schwersten Prüfung ausgesetzt ist - seine Identität gewahrt sieht und seine Wünsche angenommen findet. Und der Libanon, dem die schwere Last des Konfliktes auferlegt wurde, muß endlich Sicherheit und Frieden finden, wobei seine Souveränität und Integrität garantiert werden muß, damit er wieder zu einem Faktor des Gleichgewichts und der Zusammenarbeit inmitten der Völker des Nahen Ostens wird, denen wir wünschen, daß sie alle untereinander in Frieden leben. Das Zeugnis der Kirche für den Frieden muß sich auch in einer konkreten Solidarität mit der Bevölkerung ausdrücken, die vom Sturm der Zerstörung dieses neuen Krieges heimgesucht wurde. Es bedarf unermeßlicher Hilfsmaßnahmen aller Art für die Verwundeten, für die Familien der Opfer, für die Flüchtlinge. Ich vertraue darauf, daß alle in hochherziger Liebe auf den Appell antworten, den ich zugunsten unserer leidenden Brüder ausspreche. Eine „Gesellschaft im Zeichen der Liebe“ für den Menschen Ansprache bei der Generalaudienz am 16. Juni 1. In Erfüllung einer Verpflichtung, die ich bereits im vergangenen Jahr anläßlich des 90. Jahrestages der Enzyklika Rerum novarum übernommen hatte, begab ich mich gestern nach Genf in der Schweiz, um die Internationale Konferenz für Arbeit zu besuchen, die in diesen Tagen ihre 68. Tagung abhält. Außerdem bin ich noch mit anderen wichtigen internationalen Institutionen zusammengetroffen, die in jener Stadt ihren Sitz haben, und zum Abschluß des Tages mit der Bevölkerung von Genf und 117 Audienzen und Angelus Umgebung, die sich zur Feier der heiligen Messe im Park des Ausstellungspalastes eingefunden hatte. Auf diese Weise konnte ich einen Teil des Programms ausführen, das wegen der Ereignisse vom 13. Mai vorigen Jahres aufgeschoben worden war. Ich rechne damit, daß ich zu gegebener Zeit mit Gottes Hilfe auch den Rest jenes Programms, nämlich einen Pastoralbesuch bei der Kirche, die in der Schweiz glaubt, betet und wirkt, durchführen kann. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch mit den Vertretern der anderen christlichen Konfessionen Zusammentreffen und den Weltrat der Kirchen besuchen. Heute danke ich Gott für die pastorale Pflicht, die ich erfüllen durfte gemäß der Sendung, die der Kirche in der Welt von heute zukommt. Diese Sendung betrifft nicht nur die ewigen Güter und Werte; sie wendet sich mit besonderem Eifer auch den irdischen Wirklichkeiten zu, das heißt den Gütern der Kultur, der Wirtschaft, der Kunst, des beruflichen Schaffens, der politischen und sozialen Einrichtungen, die für das Leben des Menschen auf Erden wesentlich sind. Das Zweite Vatikanische Konzil hat darüber mit großartiger Klarheit gesprochen, wobei es vor allem anerkannte, daß diese irdischen Dinge ihren berechtigten Eigenwert besitzen, andererseits aber nachdrücklich betonte, daß sie mit den Werten des Glaubens in Einklang zu bringen sind und sich zur Verwirklichung seiner „vollen Berufung“ in den Dienst des Menschen stellen müssen (vgl. Gaudium et spes, Nr. 34-36; Apostolicam actuositatem, Nr. 7). Aufgabe der Kirche ist es, die Menschen an diesen weiteren Horizont zu erinnern, in dem sich ihr Tun bewegt, indem sie sie vor den mögüchen Verirrungen warnt, denen ihr Bemühen ständig ausgesetzt ist, und sie in ihrem hochherzigen Einsatz für die Sache des echten Fortschritts, des Friedens und der Würde der als Ebenbüd Gottes geschaffenen menschlichen Person unterstützt (vgl. Gaudium et spes, Nr. 37-39). 2. Von diesem Wissen bewogen, wollte ich vor allem den Vertretern der Internationalen Arbeitsorganisation meine ehrfurchtsvolle Aufwartung machen, um all dem gebührende Anerkennung zu zollen, was diese Einrichtung in den letzten Jahren zum Schutz des arbeitenden Menschen, der ihm zustehenden Würde und der sich daraus logischerweise ergebenden, unveräußerlichen Rechte geleistet hat. Es war eine Begegnung mit der Welt der Arbeit in einem ihrer historischen und rechtlichen Zentren, reich an assoziativer und menschlicher Bedeutung. Unter den vielen Dingen, die ich zu einem so wichtigen Thema hätte sagen wollen, habe ich eines ausgewählt, das ich in der gegenwärtigen internationalen Lage für besonders dringend halte: Ich bestand nachdrücklich auf der Pflicht zur Solidarität unter den Arbeitern, weil mir 118 Audienzen und Angelus scheint, daß diese Dimension dem Wesen der Arbeit selbst eingeschrieben ist und heutzutage alles zu ihrer immer volleren Verwirklichung drängt. Die Arbeit eint, weil ihre tiefe Wirklichkeit überall auf der Welt dieselbe ist, ebenso wie ihre Beziehung zum Sinn des menschlichen Lebens, wo immer es sich abspielt. Diese tiefe Wirklichkeit und diese wesentliche Beziehung lassen sich in einfache, kurze Worte fassen: Die Arbeit muß im Dienst des Menschen stehen und nicht der Mensch im Dienst der Arbeit. Eine offenbar klare und selbstverständliche Aussage. Eine Aussage freilich, die nicht selten von der konkreten Wirklichkeit Lügen gestraft wird, und zwar in Situationen, in denen der Mensch nach der Nützlichkeit eingeschätzt wird, die er im Produktionsgefüge hat und wo nicht vielmehr jenes letztere aufgrund des Beitrages bewertet wird, welchen diese Strukturen zur vollen Verwirklichung jedes einzelnen Menschen zu bieten haben. Es ist eine immer stärkere Humanisierung der Arbeit notwendig, was sehr tief mit der Sinnfrage des menschlichen Lebens zusammenhängt. 3. In Genf hat das Europäische Zentrum für Kernforschung (CERN) seinen Sitz, das Gelehrte aus verschiedenen Nationen vereint und ihre Bemühungen im Dienst einer edlen Sache koordiniert: der reinen Forschung. Ist nicht auch das eine irdische Wirklichkeit, der grundlegende Bedeutung für das Leben und die Zukunft des Menschen zukommt? Ich konnte nicht umhin, einer so qualifizierten Gruppe von Persönlichkeiten, die an der vordersten Front der Wissenschaft tätig sind, meinen Besuch abzustatten, um ihnen im Namen der Kirche und auch der Menschheit aufrichtig Anerkennung für die Fortschritte auszusprechen, die dank ihres Engagements und das ihrer Kollegen in der ganzen Welt in der Erkenntnis der Geheimnisse des Universums erzielt werden konnten. Zugleich empfand ich es als meine Pflicht, daran zu erinnern, daß die wissenschaftliche Forschung nicht jeden Aspekt der Wirklichkeit erschöpfend behandelt, sondern daß sie, im Gegenteü - soll sie nicht auf eine verkürzte und verzerrende Sicht beschränkt werden -, durch Beiträge der philosophischen Erkenntnis und besonders durch die höheren Wahrheiten der im Glauben angenommenen göttlichen Offenbarung ergänzt wird. Eben dank der umfassenden Perspektiven, die diese verschiedenen Erkenntnisformen bieten, lassen sich die Gefahren von Entwicklungen der naturwissenschaftlichen Forschung und der Anwendung der von ihr erzielten Ergebnisse vermeiden, die im Gegensatz zum wahren Wohl des Menschen stehen würden. Wer ist heute nicht besorgt angesichts der schädlichen, ja katastrophalen Folgen, die eine verantwortungslose wissenschaftliche Forschung hervorrufen kann? 119 Audienzen und Angelus Ich glaube, die große Herausforderung, die dem heutigen Menschen der fortgeschrittene Stand dieser Erkenntnis auf erlegt, besteht eben darin: die Werte der Wissenschaft und der Technologie mit den Werten des Gewissens in Einklang zu bringen. 4. Einen friedlichen Beitrag in diesem Sinne können die Internationalen Katholischen Organisationen leisten, deren Aufgabe es ist, eine Vermittlerrolle zwischen dem Evangelium und der modernen Gesellschaft zu spielen, indem sie sich als Ort vertiefter Reflexion erweisen, einer Reflexion z.B. über die Grundelemente einer christlichen Anthropologie im Lichte der Daten der modernen Wissenschaften, über die Forderungen der Moral, wie sie auf die internationale Wirtschaftsordnung anzuwenden ist, über die Auswirkung, die das Gesetz der Nächstenhebe im Bereich internationaler Beziehungen hat. In Anbetracht dieser ihrer wichtigen Aufgaben wollte ich den Vertretern dieser Organisationen, die ihren Sitz in Genf haben, meine Wertschätzung, meine Ermutigung und die Versicherung meiner Unterstützung ausdrücken. 5. Man kann nicht von der Schweiz und insbesondere nicht von Genf sprechen, ohne dabei auch an die in der ganzen Welt bekannte wohltätige Institution zu denken, die in jener teuren Nation ihren Anfang nahm und noch immer in dieser Stadt ihren Hauptsitz hat: das Rote Kreuz. Es gibt keine Naturkatastrophe, kein Unglück größeren Ausmaßes, keinen schmerzlicherweise zwischen den Nationen ausgebrochenen Konflikt, wo sich die Vertreter dieser Organisation nicht sogleich veranlaßt sähen, den Opfern Hilfe zu bringen, die Leiden zu lindem, Versöhnung und Frieden zu stiften. Auch bei den jüngsten traurigen kriegerischen Geschehnissen im Südatlantik und im Libanon hat das Rote Kreuz es nicht versäumt, rechtzeitig mit seiner humanitären Hilfe einzugreifen. Und dämm begrüßte ich mit lebhafter Freude voll Ergriffenheit den Präsidenten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz und seine Mitarbeiter und sprach ihnen meine herzliche Anerkennung aus für das Wirken, das sie mit lobenswerter Fürsorge und Großmut zum Schutz jedes Menschen, für die Hilfe derer, die in Not sind, für die Fördemng von Freundschaft, Zusammenarbeit und dauerhaftem Frieden unter den Völkern entfalten. Das sind Ideale, die jedem Christen am Herzen hegen müssen. Ich war sicher, mit dieser Solidaritätsbezeugung die Gedanken aller Söhne und Töchter der Kirche auszudrücken, die in der Schule Christi als Gipfel und Krönung aller auf Erden erreichbaren Werte die Liebe zu schätzen gelernt haben. Möge diese Lehre des Evangeliums immer tiefer in die 120 Audienzen und Angelus Herzen der Menschen eindringen und sie überzeugen, sich großmütig für den Aufbau dessen einzusetzen, was mein Vorgänger Paul VI. mit dem unvergeßlichen Namen „Gesellschaft im Zeichen der Liebe“ bezeichnet hat! Beim Aufbau dieser Gesellschaft im Zeichen der Liebe für den Menschen, die sich an die Werte der Arbeit, der Wissenschaft, der Solidarität mit den Notleidenden und der Brüderlichkeit hält, fällt den Internationalen Organisationen eine besondere Mission zu, die höchste Achtung, Ermutigung und Unterstützung verdient. Gerade das war der Grund meiner gestrigen Reise. Freiwillige Ehelosigkeit beruht nicht auf einem Gebot Ansprache bei der Generalaudienz am 23. Juni 1. Nachdem wir die Erklärung der im Matthäusevangelium {Mt 19,10-12) überlieferten Worte Christi abgeschlossen haben, wollen wir auf die Lehre des hl. Paulus zum Thema Ehelosigkeit und Ehe übergehen. Die Aussage Christi über die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ist prägnant und grundlegend. In der Lehre des hl. Paulus finden wir, wie uns gleich klar werden wird, eine Ergänzung zu den Worten des Meisters; die Tragweite seiner Darlegung {1 Kor 7) als Ganzes wird jedoch verschieden bewertet. Die Größe der Lehre des Paulus besteht darin, daß er der von Christus verkündeten Wahrheit, die er in ihrer ganzen Echtheit und Eigenheit vorstellt, einen besonderen Ton, gewissermaßen seine „persönliche“ Note, gibt, die sich aber vor allem aus den Erfahrungen seiner apostolischen und missionarischen Tätigkeit und vielleicht gerade aus der Notwendigkeit ergab, auf die konkreten Fragen der Menschen, an die er sich wandte, zu antworten. So begegnen wir bei Paulus dem Problem der wechselseitigen Beziehung von Ehe und Ehelosigkeit, einem Thema, das die Gemüter der ersten Generation der Christusbekenner, die Generation der Apostelschüler der ersten christlichen Gemeinden, bewegte. Das traf auf die vom Hellenismus, also vom Heidentum Bekehrten in höherem Maße zu als auf die vom Judentum Kommenden: und dies erklärt den Umstand, daß das Thema gerade in einem an die Gemeinde in Korinth gerichteten Brief, dem ersten Korintherbrief, auftaucht. 2. Der Ton der ganzen Darstellung ist zweifellos lehrhaft; doch sind Ton und Sprache auch pastoral ausgerichtet. Paulus lehrt die vom Meister an 121 Audienzen und Angelus die Apostel mitgeteilte Lehre und führt sozusagen gleichzeitig ein ständiges Gespräch über das betreffende Thema mit den Adressaten seines Briefes. Er spricht wie ein klassischer Moralist, indem er Gewissensprobleme aufgreift und löst, und deshalb halten sich die Moraltheologen mit Vorhebe an die Erklärungen und Entscheidungen des ersten Korinther-briefes (Kapitel 7). Man darf freilich nicht vergessen, daß die letzte Grundlage jener Entscheidungen in Leben und Lehre Christi selber zu suchen ist. 3. Der Apostel unterstreicht klar und deutlich, daß die freiwillige Ehelosigkeit ausschließlich auf einem Rat und nicht auf einem Gebot beruht: „Was die Frage der Ehelosigkeit angeht, so habe ich kein Gebot vom Herrn. Ich gebe euch nur einen Rat.“ Paulus gibt diesen Rat „als einer, den der Herr durch sein Erbarmen vertrauenswürdig gemacht hat“ (2 Kor 7, 25). Wie man aus den zitierten Worten ersieht, unterscheidet der Apostel so wie das Evangelium (vgl. Mt 19, 11-12) zwischen Rat und Gebot. Auf Grund des Verständnisses der lehrhaften Aussage will er den Menschen, die sich an ihn wenden, raten, ihnen persönliche Ratschläge geben. Somit hat also das Wort „Rat“ im ersten Korintherbrief (Kap. 7) klar zwei verschiedene Bedeutungen. Der Verfasser erklärt, daß die Ehelosigkeit ein Rat und kein Gebot ist; zugleich gibt er sowohl den bereits Verheirateten als auch denen, die noch eine diesbezügliche Entscheidung treffen müssen, und schließlich allen Verwitweten einen Rat. Die Problematik ist im wesentlichen jener gleich, die wir in der ganzen von Matthäus wiedergegebenen Aussage Christi antreffen {Mt 19, 2-12): zuerst über die Ehe und ihre Unauflöslichkeit und dann über die freiwillige Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen. Der Stü dieser Problematik ist jedoch von ganz besonderer Art: Es ist der Stil des Paulus. 4. „Wer sich gegenüber seiner Jungfrau ungehörig zu verhalten glaubt, wenn sein Verlangen nach ihr zu stark ist, der soll tun, wozu es ihn drängt, wenn es so sein muß; er sündigt nicht; sie sollen heiraten. Wer aber in seinem Herzen fest bleibt, weil er sich in der Gewalt hat und seinem Trieb nicht ausgeüefert ist, wer also in seinem Herzen entschlossen ist, seine Jungfrau unberührt zu lassen, der handelt richtig. Wer seine Jungfrau heiratet, handelt also richtig; doch wer sie nicht heiratet, handelt besser“ (.1 Kor 7, 36-38). 5. Der um Rat gefragt hatte, mag ein junger Mann gewesen sein, der sich für die Ehe entscheiden sollte, oder vielleicht ein junger Ehemann, der angesichts in Korinth vertretener asketischer Strömungen darüber nachdachte, welche Richtung er seiner Ehe geben sollte; es konnte auch ein Vater oder Vormund eines Mädchens sein, der das Problem ihrer Ehe 122 Audienzen und Angelus aufgeworfen hatte. In diesem Fall würde es sich unmittelbar um die Entscheidung handeln, die mit seinen Vormundschaftsrechten im Zusammenhang stand. Paulus schreibt ja in einer Zeit, wo die Entscheidungen dieser Art im allgemeinen mehr Sache der Eltern und Vormünder als der jungen Leute selbst waren. Wenn er auf die an ihn gerichtete Frage antwortet, versucht er daher sehr genau zu erklären, daß die Entscheidung bezüglich der Ehelosigkeit besser ist als die Ehe. Die Ausdrücke „handelt richtig“ und „handelt besser“ sind in diesem Zusammenhang völlig eindeutig. 6. Der Apostel lehrt also, daß die freiwillige Ehelosigkeit, der Verzicht des Mädchens auf die Ehe, ausschließlich ein Rat ist und daß sie bei den gegebenen Bedingungen „besser“ sei als die Ehe. All das hat nichts mit Sünde zu tun: „Bist du an eine Frau gebunden, suche dich nicht zu lösen; bist du ohne Frau, dann suche keine. Heiratest du aber, so sündigst du nicht; und heiratet eine Jungfrau, so sündigt auch sie nicht“ (i Kor 7, 27-28). Auf Grund dieser Worte allein können wir natürlich kein Urteil darüber fällen, was der Apostel von der Ehe hielt und lehrte. Dieses Thema läßt sich zum Teil bereits aufgrund des ersten Korintherbriefes (Kap. 7) und besser aufgrund des Briefes an die Epheser (Eph 5, 21-33) erklären. In unserem Fall handelt es sich wahrscheinlich um die Antwort auf die Frage, ob die Ehe Sünde sei; man könnte auch annehmen, daß eine solche Frage den Einfluß dualistischer, frühgnostischer Strömungen wiedergibt, die dann zum „Enkratismus“ und zum Manichäismus ausarten. Paulus antwortet, daß hier absolut nicht die Frage nach der Sünde zur Diskussion stehe. Es handle sich nicht um eine Unterscheidung von „gut“ oder „böse“, sondern nur von „gut“ oder „besser“. Später begründet er dann, warum jemand, der sich für die Ehe entscheidet, „gut handelt“, und wer die freiwillige Ehelosigkeit wählt, „besser handelt“. Mit der Beweisführung des Paulus wollen wir uns bei unserer nächsten Audienz befassen. „Sorge um das, was des Herrn ist“ Ansprache bei der Generalaudienz am 30. Juni 1. Wenn der hl. Paulus im 7. Kapitel seines ersten Korintherbriefes die Frage von Ehe und Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen erklärt, 123 Audienzen und Angelus versucht er zu begründen, warum derjenige, der die Ehe wählt, „gut handelt“, während der, der sich für ein Leben der Ehelosigkeit entscheidet, „besser handelt“. Er schreibt nämlich: „Denn ich sage euch, Brüder: Die Zeit ist kurz. Daher soll, wer eine Frau hat, sich in Zukunft so verhalten, als habe er keine . . . !” und dann: „Wer kauft, als würde er nicht Eigentümer; wer sich die Welt zunutze macht, als nutze er sie nicht; denn die Gestalt dieser Welt vergeht. Ich wünschte aber, ihr wäret ohne Sorgen. . “ (i Kor 7, 29. 30-32). 2. Die letzten Worte des zitierten Textes zeigen, daß Paulus sich bei seiner Beweisführung auch auf seine eigene Erfahrung bezieht, wodurch seine Argumentation eine persönlichere Note erhält. Er formuliert nicht nur das Prinzip und sucht es als solches zu begründen, sondern er knüpft an die persönlichen Überlegungen und Überzeugungen an, die aus seiner praktischen Erfahrung mit dem evangelischen Rat der Ehelosigkeit hervorgegangen sind. Von ihrer überzeugenden Kraft sprechen die einzelnen Ausdrücke und Wendungen. Der Apostel schreibt seinen Korinthern nicht bloß: „Ich wünschte, alle Menschen wären unverheiratet wie ich“ (1 Kor 7, 7), sondern er geht weiter, wenn er unter Bezugnahme auf die Menschen, die heiraten, schreibt: „Freilich werden solche Leute der Drangsal des Fleisches nicht entgehen; ich aber möchte sie euch ersparen“ (i Kor 7, 28). Diese seine persönliche Überzeugung hatte er im übrigen ja schon in den ersten Worten des 7. Kapitels dieses Briefes zum Ausdruck gebracht, wo er die Meinung der Korinther, und sei es auch, um sie zu ändern, wiedergibt: „Nun zu den Anfragen eures Briefes: Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren . . . “ (2 Kor 7, 1). 3. Man könnte die Frage stellen: An welche „Drangsale des Fleisches“ mag Paulus gedacht haben? Christus sprach nur von den Leiden (oder der „Betrübnis“), die die Frau durchmacht, wenn sie „ein Kind gebären soll“, wobei er jedoch die Freude hervorhebt, die sie nach der Geburt des Kindes gleichsam als Belohnung für diese Leiden erlebt (vgl. Joh 16,21): die Freude der Mutterschaft. Paulus hingegen schreibt von den „Drangsalen des Fleisches“, die die Eheleute erwarten. Sollte das der Ausdruck einer persönlichen Abneigung des Apostels gegen die Ehe sein? In dieser realistischen Bemerkung muß man eine berechtigte Warnung an alle jene sehen, die - wie manchmal junge Menschen - meinen, die Vereinigung und das eheliche Zusammenleben würden ihnen ausschließlich Glück und Freude bringen. Die Erfahrung des Lebens zeigt, daß die Eheleute nicht selten in dem, was sie sich vor allem erwarten, enttäuscht werden. Die Freude der ehelichen Verbindung bringt auch jene „Drangsale des Flei- 124 Audienzen und Angelus sches“ mit sich, von denen der Apostel in seinem Brief an die Korinther spricht. Es sind oft Drangsale sittlicher Natur. Wenn er damit sagen will, daß die wahre eheliche Liebe - das heißt, eben jene, kraft welcher „der Mann sich an seine Frau bindet, und die beiden ein Fleisch werden“ (Gen 2, 24) - auch eine schwierige Liebe ist, bleibt er gewiß auf dem Boden der Wahrheit des Evangeliums, und es gibt keinerlei Grund, hierin Anzeichen der Haltung zu sehen, die später für den Manichäismus charakteristisch sein sollte. 4. Christus versucht in seinen Worten über die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen keineswegs, die Zuhörer dadurch zur Ehelosigkeit anzuhalten, daß er sie auf die „Drangsale“ der Ehe hinweist. Vielmehr stellt man fest, daß er verschiedene, menschlich gesehen schmerzliche Aspekte der Entscheidung zur Ehelosigkeit zu betonen sucht: sowohl die gesellschaftliche Stellung wie die subjektiven Gründe veranlassen Christus dazu, von dem Mann, der eine solche Entscheidung trifft, zu sagen, daß er sich selbst „zur Ehe unfähig macht“, das heißt, freiwillig die Ehelosigkeit auf sich nimmt. Aber eben dadurch springen die ganze subjektive Bedeutung, die Größe und der außerordentliche Charakter einer solchen Entscheidung klar ins Auge: die Bedeutung einer reifen Antwort auf eine besondere Gabe des Geistes. 5. Nichts anderes will der hl. Paulus mit seinem Rat zur Ehelosigkeit im ersten Korintherbrief sagen, aber er drückt es anders aus, wenn er schreibt: „Denn ich sage euch, Brüder: Die Zeit ist kurz .. . “ (2 Kor 7, 29), und wenig später: „Denn die Gestalt dieser Welt vergeht . . . “ (2 Kor 7, 1). Diese Aussage über die Vergänglichkeit des menschlichen Daseins und die Vorläufigkeit der irdischen Welt, in gewissem Sinne über die Zufälligkeit alles Geschaffenen, muß bewirken, daß „wer eine Frau hat, sich in Zukunft so verhalten soll, als habe er keine“ (2 Korl, 29; vgl. 7, 31), und zugleich den Boden für die Lehre von der Ehelosigkeit vorbereiten. In den Mittelpunkt seiner Beweisführung stellt Paulus nämlich den Satz, der den Sinn erschließt und sich mit der in ihrer Art einmaligen Aussage Christi zum Thema der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen in Verbindung bringen läßt (vgl. Mt 19, 12). 6. Während Christus die Größe des Verzichts betont, der von einer solchen Entscheidung nicht zu trennen ist, zeigt Paulus vor allem, wie man das Gottesreich im Leben des Menschen verstehen muß, der im Hinblick darauf auf die Ehe verzichtet hat. Und während der dreiteilige Parallelismus der Aussage Christi seinen Höhepunkt in dem Wort erreicht, das die Größe des freiwülig auf sich genommenen Verzichts ausdrückt („und manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen“: 125 Audienzen und Angelus Mt 19, 12), bestimmt Paulus die Situation mit einem einzigen Wort: „der Unverheiratete“ (agamos); ein wenig später hingegen gibt er den ganzen Inhalt des Ausdrucks Gottesreich in einer glänzenden Synthese wieder. Er sagt nämlich: „Der Unverheiratete sorgt sich um die Sache des Herrn; er will dem Herrn gefallen“ (1 Kor 7, 32). Jedes Wort dieser Aussage verdient eine eigene Analyse. 7. Der Zusammenhang des Wortes „sich sorgen“ oder „suchen“ im Evangelium des Lukas, Schüler des Paulus, gibt an, daß es uns wahrhaftig nur um das Reich Gottes gehen soll (vgl. Lk 12, 31), um das, was „das Bessere“, das „unum necessarium“ (das einzig Notwendige) ist (vgl. Lk 10, 42). Und Paulus selbst spricht direkt von seiner „Sorge für alle Gemeinden“ (2 Kor 11, 28), von der Suche nach Christus mittels der Sorge für die Probleme der Brüder, für die Glieder des Leibes Christi (vgl. Phil 2, 20-21; 1 Kor 12, 25). Bereits aus diesem Kontext geht das ganze weite Feld der „Sorge“ hervor, der der unverheiratete Mensch sein Denken, seine Arbeit und sein Herz ganz widmen kann. Der Mensch kann sich tatsächüch nur um das „sorgen“, was ihm wirklich am Herzen liegt. 8. In der Aussage des Paulus sorgt sich der Unverheiratete um die Sache des Herrn (tä toü Kyriou). Mit dieser treffenden Formulierung erfaßt Paulus die gesamte objektive Wirklichkeit des Gottesreiches. „Denn dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt“, wird er selbst etwas später in demselben Brief sagen (1 Kor 10, 26; vgl. Ps 24, 1). Gegenstand der Sorge des Christen ist die ganze Welt! Aber Paulus bezeichnet mit dem Namen „Herr“ vor allem Jesus Christus (vgl. z. B. Phil 2, 11), und darum bedeutet „die Sache des Herrn“ in erster Linie „das Reich Christi“, seinen Leib, der die Kirche ist (vgl. Kol 1, 18), und alles, was zu ihrem Wachstum beiträgt. Um all das sorgt sich der Unverheiratete, und deshalb schreibt Paulus, der im wahrsten Sinne des Wortes „Apostel Jesu Christi“ (1 Kor 1,1) und Diener des Evangeliums (vgl. Kol 1, 23) ist, an die Korinther: „Ich wünschte, alle Menschen wären (unverheiratet) wie ich“ (i Kor 7, 7). 9. Doch der apostolische Eifer und die fruchtbarste Tätigkeit erschöpfen noch nicht das, was in der paulinischen Begründung der Ehelosigkeit enthalten ist. Man könnte sogar sagen, ihre Wurzel und Quelle befindet sich im zweiten Teü des Satzes, der die subjektive Wirklichkeit des Reiches Gottes aufzeigt: „Der Unverheiratete sorgt sich . . . ; er will dem Herrn gefallen.“ Diese Feststellung erfaßt den ganzen Bereich der persönlichen Beziehung des Menschen zu Gott. „Gott gefallen“ - dieser Ausdruck findet sich in alten Büchern der Bibel (vgl. z. B. Dtn 13, 19) -ist ein Synonym für „Leben in der Gnade Gottes“ und drückt die Haltung 126 Audienzen und Angelus dessen aus, der Gott sucht, oder dessen, der sich Gottes Willen gemäß verhält, so daß er ihm gefällt. In einem der letzten Bücher der Heiligen Schrift wird dieser Ausdruck zu einer theologischen Synthese der Heiligkeit. Der hl. Johannes wendet ihn ein einziges Mal auf Christus an: „Ich tue immer das, was ihm (dem Vater) gefällt“ (Joh 8, 29). Der hl. Paulus bemerkt im Brief an die Römer, daß Christus „nicht für sich selbst gelebt hat“ (Röm 15, 3). Diese beiden Feststellungen umfassen all das, was den Inhalt des Ausdrucks „Gott gefallen“ ausmacht, wie er im Neuen Testament als Nachfolge Christi verstanden wird. 10. Die beiden Teile der paulinischen Aussage scheinen sich zu überschneiden: denn sich sorgen um das, was „des Herrn ist“, um „die Dinge des Herrn“, muß ja „dem Herrn gefallen“. Andererseits kann der, der Gott gefällt, sich nicht abkapseln, sondern er wird sich der Welt, d. h. allem öffnen, was zu Christus zurückgeführt werden soll. Das sind freilich nur zwei Aspekte derselben Wirklichkeit Gottes und seines Reiches. Paulus mußte sie jedoch unterscheiden, um mit aller Klarheit das Wesen und die Möglichkeit der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ aufzuzeigen. Wir werden versuchen, noch einmal auf dieses Thema zurückzukommen. Jeder hat seine Gnadengabe von Gott Ansprache bei der Generalaudienz am 7. Juli 1. Bei der Begegnung am vergangenen Mittwoch haben wir die Betrachtung zu vertiefen versucht, deren sich der hl. Paulus im ersten Korinther-brief bedient, um seine Leser davon zu überzeugen, daß derjenige, der sich für die Ehe entscheidet, „gut handelt“, während der, der die Ehelosigkeit wählt, „besser handelt“ (2 Korl, 38). Wenn wir diese Betrachtung heute fortsetzen, erinnern wir daran, daß nach dem hl. Paulus „der Unverheiratete sich um die Sache des Herrn sorgt; er will dem Herrn gefallen“ (1 Kor 7, 32). Das „dem Herrn gefallen“ hat als Hintergrund die Liebe. Dieser Hintergrund wird an einer weiteren Gegenüberstellung sichtbar: Der Unverheiratete sorgt sich darum, wie er dem Herrn gefallen könne, während der verheiratete Mann sich auch darum sorgen muß, wie er seine Frau 127 Audienzen und Angelus zufriedenstellen kann. Hier wird der Charakter der „Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen“ erkennbar. Der Mensch will immer dem gefallen, den er liebt. Das „Gott gefallen“ entbehrt somit keineswegs dieses Charakters, der die interpersonale Beziehung der Eheleute kennzeichnet. Es ist einerseits ein Bemühen des Menschen, das sich auf Gott richtet und nach der Möglichkeit sucht, ihm zu gefallen, das heißt, die Liebe durch die Tat zum Ausdruck zu bringen; andererseits entspricht diesem Bestreben ein Wohlgefallen Gottes, der dadurch, daß er die Mühen des Menschen annimmt, sein Werk mit der Gewährung einer neuen Gnade krönt: denn von Anfang an war dieses Bestreben sein Geschenk. „Sich darum sorgen, dem Herrn zu gefallen“ ist somit ein Beitrag des Menschen zum ständigen Heilsdialog, der von Gott begonnen wurde. An ihm nimmt selbstverständlich jeder Christ teil, der aus dem Glauben lebt. 2. Paulus bemerkt jedoch, daß der durch das Band der Ehe gebundene Mensch „geteilt ist“ (2 Kor 7, 34) wegen seiner familiären Verpflichtungen (vgl. 1 Kor 7, 34). Aus dieser Feststellung scheint also hervorzugehen, daß der Unverheiratete durch eine innere Vervollkommnung, eine Einheit, gekennzeichnet sein müßte, die ihm die vollständige Hingabe an den Dienst für das Himmelreich in allen seinen Dimensionen gestattet. Eine solche Haltung setzt den Verzicht auf die Ehe - ausschließlich „um des Himmelreiches willen“ - und ein einzig und allein auf dieses Ziel ausgerichtetes Leben voraus. Andernfalls kann die „Spaltung“ verstohlen auch in das Leben des Unverheirateten eindringen, der, wenn er einerseits das Eheleben entbehrt und andererseits ein klares Ziel vermißt, für das er auf dieses Eheleben verzichtet, unvermutet vor einer gewissen inneren Leere stehen könnte. 3. Der Apostel scheint das alles sehr wohl zu wissen und bemüht sich anzuführen, daß er demjenigen, dem er rät, ehelos zu bleiben, „keine Fessel anlegen“ wolle, sondern ihn auf das hinweisen möchte, was würdig und recht ist und ihn ohne Abirrung mit dem Herrn verbunden sein läßt (vgl. 1 Kor 7, 35). Diese Worte erinnern an das, was Christus nach dem Lukasevangelium während des letzten Abendmahls zu den Aposteln sagt: „In allen meinen Prüfungen habt ihr bei mir ausgeharrt. Ich vermache euch das Reich, wie es mein Vater mir vermacht hat“ (Lk 22,28-29). Wer nicht verheiratet ist, kann, „wenn er mit dem Herrn verbunden ist“, gewiß sein, daß seine Schwierigkeiten Verständnis finden werden: „Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat“ (Hebr 4, 15). Das erlaubt es dem Unverheirateten nicht so sehr, sich ausschließlich den eventuellen 128 Audienzen und Angelus persönlichen Problemen zu widmen als vielmehr, sie einzubeziehen in den großen Strom der Leiden Christi und seines Leibes, der die Kirche ist. 4. Der Apostel zeigt, wie man „mit dem Herrn verbunden“ sein kann: Das läßt sich dadurch erreichen, daß man ein ständiges Verweilen bei ihm anstrebt, die Freude über seine Gegenwart, ohne sich von unwesentlichen Dingen ablenken zu lassen (vgl. 1 Kor 7, 35). Paulus erläutert diesen Gedanken noch klarer, wenn er einerseits von der Situation der verheirateten Frau und andererseits von j ener der Unverheirateten oder der Witwe spricht. Während die verheiratete Frau sich darum sorgt,,, wie sie ihrem Mann gefallen kann4 4, sorgt sich die unverheiratete, ,um die Sache des Herrn, um heilig zu sein an Leib und Geist“ (1 Korl, 34). 5. Um die ganze Tiefe des paulinischen Gedankens entsprechend zu erfassen, müssen wir feststellen, daß „Heiligkeit“ nach biblischer Auffassung mehr einen Zustand als eine Handlung ausdrückt; sie hat vor allem seinsmäßigen und auch moralischen Charakter. Insbesondere im Alten Testament stellt sie eine „Trennung“ von dem dar, was nicht dem Einfluß Gottes unterworfen ist, was „profanum“ ist, eine Trennung mit dem Ziel, ausschließlich Gott zu gehören. Das „Geweihtsein an Leib und Geist“ bedeutet also auch die Heiligkeit der Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“. Zugleich muß sich das, was Gott dargeboten wird, durch die sittliche Reinheit auszeichnen und setzt darum eine Haltung „ohne Flek-ken oder Falten“, „heilig und makellos“, voraus, ganz nach dem jungfräulichen Vorbild der Kirche, die Christus gegenübersteht {Eph 5, 27). In diesem Kapitel seines Briefes an die Korinther berührt der Apostel die Probleme der Ehe und der Ehelosigkeit auf tief menschliche und realistische Weise, indem er sich Rechenschaft gibt über die Mentalität der Empfänger seines Briefes. Die Beweisführung des Paulus ist gewissermaßen für den einfachen Mann gedacht. Die neue Welt, die neue Wertordnung, die er ankündigt, muß im Lebensbereich seiner Leser in Korinth auf eine andere „Welt“ und eine andere Wertordnung stoßen, die sich auch von derjenigen unterscheidet, an welche Christus seine Worte zum ersten Mal richtete. 6. Wenn sich Paulus mit seiner Lehre über die Ehe und die Ehelosigkeit auch auf die Vergänglichkeit der Welt und des menschlichen Lebens beruft, tut er das gewiß in bezug auf die Umgebung, die in programmatischer Weise auf die „Nutzung der Welt“ hin orientiert war. Wie vielsagend ist von diesem Standpunkt her sein Appell an die, „die sich die Welt zunutze machen“, sich so zu verhalten, „als nutzen sie sie nicht“ (i Korl, 31). Aus dem unmittelbaren Zusammenhang ergibt sich, daß in dieser Gesellschaft auch die Ehe als eine Weise, „sich die Welt zunutze zu 129 Audienzen und Angelus machen“, verstanden wurde - zum Unterschied davon, was sie in der ganzen jüdischen Tradition war (trotz mancher Verformungen, auf die Jesus im Gespräch mit den Pharisäern oder in der Bergpredigt hingewiesen hatte). Zweifellos erklärt das alles den Stil der Antwort des Paulus. Der Apostel trug dem Rechnung, daß er bei der Ermutigung zur Enthaltsamkeit von der Ehe zugleich ein Eheverständnis deutlich machen mußte, das mit der gesamten Wertordnung des Evangeliums im Einklang steht. Und er mußte sich mit größtmöglicher Offenheit der gesellschaftlichen Umwelt, ihren Ideen und Kriterien stellen. 7. Den Menschen, die in einer Umwelt lebten, wo die Ehe vor allem als eine der Weisen, „sich die Welt zunutze zu machen“, betrachtet wurde, verkündet Paulus also mit den treffenden Worten über die Ehelosigkeit (wie wir gesehen haben) als auch über die Ehe: „Den Unverheirateten und den Witwen sage ich: Es ist gut, wenn sie so bleiben wie ich. Wenn sie aber nicht enthaltsam leben können, sollen sie heiraten. Es ist besser zu heiraten, als sich in Begierde zu verzehren“ (7 Kor 7, 8-9). Nahezu derselbe Gedanke war von Paulus bereits früher ausgesprochen worden: „Nun zu den Anfragen eures Briefes: ,Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren. Wegen der Gefahr der Unzucht soll aber jeder seine Frau haben, und jede soll ihren Mann haben“ (7 Kor 7, 1-2). 8. Sieht der Apostel im ersten Korintherbrief etwa die Ehe ausschließlich als „remedium concupiscentiae“ als ein „Heilmittel gegen die Begierde“, wie man in der traditionellen Theologensprache zu sagen pflegte? Die oben wiedergegebenen Aussagen scheinen das zu bestätigen. Unmittelbar vor den zitierten Formulierungen lesen wir indessen einen Satz, der uns die im 7. Kapitel des ersten Korintherbriefes enthaltene Lehre des hl. Paulus anders sehen läßt: „Ich wünschte, alle Menschen wären wie ich (er wiederholt sein bevorzugtes Argument für die Enthaltung von der Ehe). Doch jeder hat seine Gnadengabe von Gott, der eine so, der andere so“ (7 Kor 7, 7). Also empfangen auch diejenigen, die die Ehe wählen und in ihr leben, von Gott eine „Gnadengabe“, „ihre Gnadengabe“, das heißt eben die Gnade dieser Entscheidung, dieser Art zu leben, dieses Standes. Die Gabe, die Menschen empfangen haben, die in der Ehe leben, unterscheidet sich von der, die Menschen empfangen haben, die im Stand der Ehelosigkeit leben und sich für die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen entscheiden; nichtsdestoweniger ist sie eine echte „Gnadengabe Gottes“, eine für konkrete Menschen bestimmte und spezifische - das heißt ihrer Lebensberufung angemessene Gnadengabe. 9. Man kann also sagen, daß der Apostel, der in seiner Charakterisierung der Ehe von „menschlicher“ Seite (und mehr noch vielleicht von seiten 130 Audienzen und Angelus der örtlichen Situation in Korinth) die Motivierung durch die fleischliche Begierde stark betont, zugleich mit nicht weniger Überzeugungskraft nach den sakramentalen und „charismatischen“ Charakter der Ehe enthüllt. Mit derselben Klarheit, mit der er die Situation des Menschen, was die Begehrlichkeit des Fleisches angeht, sieht, sieht er auch das Wirken der Gnade in jedem Menschen - in dem verheirateten nicht weniger als in dem, der sich freiwillig für die Ehelosigkeit entscheidet, wobei er sich vor Augen hält, daß „die Gestalt dieser Welt vergeht“. Nicht die „ Welt“ ist die ewige Bestimmung des Menschen Ansprache bei der Generalaudienz am 14. Juli 1. In unseren vorhergehenden Betrachtungen haben wir versucht, durch Analyse des siebenten Kapitels des ersten Korintherbriefes die Lehren und Ratschläge zu verstehen, die der hl. Paulus den Empfängern seines Briefes erteilt über die Fragen, die die Ehe und die freiwillige Ehelosigkeit betreffen. Mit der Feststellung, daß derjenige, der sich für die Ehe entscheidet, „gut handelt“, und wer die Jungfräulichkeit wählt, „besser handelt“, bezieht sich der Apostel auf die Vergänglichkeit der Welt, d. h. auf alles, was zeitlich ist. Es läßt sich leicht erkennen, daß das Motiv der Vergänglichkeit und Hinfälligkeit alles Irdischen in diesem Fall viel eindringlicher spricht als der Hinweis auf die Wirklichkeit der „anderen Welt“. Obgleich sich der Apostel hier etwas schwer verständlich ausdrückt, können wir dennoch darin einig sein, daß der paulinischen Deutung des Themas „Ehe -Ehelosigkeit“ nicht so sehr Metaphysik vom zufälligen (also vergänglichen) Sein als solche zugrunde hegt als vielmehr die Theologie einer großen Erwartung, deren leidenschaftlicher Verfechter Paulus war. Nicht die „Welt“ ist die ewige Bestimmung des Menschen, sondern das Reich Gottes. Der Mensch darf nicht zu sehr an den Gütern hängen, deren Größenordnung die der vergänglichen Welt ist. 2. Auch die Ehe ist mit der vergänglichen Szene dieser Welt verbunden; Hier kommen wir in gewissem Sinne der Perspektive sehr nahe, die Christus in seiner Aussage über die künftige Auferstehung eröffnet hatte 131 Audienzen und Angelus (vgl. Mt 22, 23-32; Mk 12, 18-27; Lk 20, 27-40). Deshalb muß nach der Lehre des Paulus der Christ die Ehe vom Gesichtspunkt seiner endgültigen Berufung aus leben. Während die Ehe mit der vergänglichen Szene dieser Welt verbunden ist und es darum in gewisser Hinsicht erforderlich macht, sich in dieser Vergänglichkeit einzukapseln, könnte man sagen, der Verzicht auf die Ehe befreit hingegen von einer solchen Notwendigkeit. Deshalb erklärt der Apostel, daß derjenige, der die Ehelosigkeit wählt „besser handelt“. Obwohl seine Beweisführung in dieser Richtung weitergeht, wird dennoch (wie wir bereits festgestellt haben) vor allem das Problem, „dem Herrn zu gefallen“ und „sich um die Sache des Herrn zu sorgen“, entschlossen in den Vordergrund gerückt. 3. Man kann annehmen, daß dieselben Gründe auch für das sprechen, was der Apostel den Witwen rät: „Eine Frau ist gebunden, solange ihr Mann lebt; wenn aber der Mann gestorben ist, ist sie frei zu heiraten, wenn sie will; nur geschehe es im Herrn. Glücklicher aber ist sie zu preisen, wenn sie nach meinem Rat unverheiratet bleibt - und ich denke, daß auch ich den Geist Gottes habe“ (1 Kor 7, 39-40). Also: sie möge lieber Witwe bleiben als eine neue Ehe schließen. 4. Durch das aufmerksame Lesen des ersten Briefes an die Korinther (insbesondere des 7. Kapitels) entdecken wir den ganzen Realismus der paulinischen Theologie des Leibes. Wenn der Apostel in dem Brief verkündet, daß „euer Leib ein Tempel des Heiligen Geiste ist, der in euch wohnt“ (7 Kor 6,19), ist er sich zugleich der Schwachheit und Sündhaftigkeit voll bewußt, welcher der Mensch eben auf Grund der Begierde des Fleisches unterhegt. Doch dieses Bewußtsein trübt ihm in keiner Weise das Wissen um die Gnadengabe Gottes, an der sowohl diejenigen teilhaben, die auf die Ehe verzichten, als auch die, die heiraten. Im 7. Kapitel des ersten Korintherbriefes finden wir eine klare Ermutigung zur Ehelosigkeit, die Überzeugung, daß wer sich dafür entscheidet, „besser handelt“; wir finden jedoch keinerlei Grundlage dafür, diejenigen, die in der Ehe leben, als „fleischlich“ zu betrachten und jene hingegen, die aus religiösen Motiven die Ehelosigkeit wählen, als „geistlich“. Denn in der einen wie in der anderen Lebensform - wir würden heute sagen: in der einen und in der anderen Berufung - ist jene Gabe wirksam, die jeder von Gott empfängt, das heißt die Gnade, welche bewirkt, daß der Leib „Tempel des Heiligen Geistes“ ist und bleibt - sowohl in der Jungfräulichkeit als auch in der Ehe -, wenn der Mensch seiner Gnadengabe treu bleibt und entsprechend seinem Stand, das heißt seiner Berufung, sich an diesem „Tempel des Heiligen Geistes“, der sein Leib ist, nicht versündigt. 132 Audienzen und Angelus 5. Vor allem in der Lehre des Paulus im 7. Kapitel des ersten Korintherbriefes finden wir keine Voraussetzung für das, was später „Manichäis-mus“ heißt. Der Apostel ist sich voll und ganz bewußt, daß - so sehr auch die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen immer empfehlenswert bleibt - die Gnade, das heißt „das jedem eigene Gnadengeschenk Gottes“, auch den Eheleuten in ihrem Zusammenleben hilft, in dem sie (nach den Worten von Gen 2, 24) so eng miteinander verbunden sind, daß sie „ein Fleisch“ werden. Dieses fleischliche Zusammenleben ist also der Kraft „ihrer von Gott empfangenen Gnadengabe“ unterstellt. Der Apostel schreibt darüber mit demselben Realismus, der seine gesamte Beweisführung im 7. Kapitel dieses Briefes kennzeichnet: „Der Mann soll seine Pflicht gegenüber der Frau erfüllen und ebenso die Frau gegenüber dem Mann. Nicht die Frau verfügt über ihren Leib, sondern der Mann. Ebenso verfügt nicht der Mann über seinen Leib, sondern die Frau“ (2 Kor 7, 3-4). 6. Man kann sagen, daß diese Formulierungen eine klare Erläuterung des Neuen Testaments der vorhin angeführten Worte aus dem Buch Genesis (Gen 2, 24) sind. Doch die hier verwendeten Ausdrücke, besonders „Pflicht“ und „er (sie) verfügt nicht“, lassen sich nicht dadurch erklären, daß man von der richtigen Dimension des Ehebundes absieht, wie wir das bei der Analyse der Texte der Genesis klarzustellen versucht haben; wir werden versuchen, das noch vollständiger zu tun, wenn wir auf Grund des Epheserbriefes (vgl. Eph 5, 22-33) vom sakramentalen Charakter der Ehe sprechen. Man wird dann wiederum auf diese bedeutungsvollen Ausdrücke zurückkommen müssen, die aus der Sprache des hl. Paulus in die gesamte Theologie von der Ehe eingegangen sind. 7. Vorläufig aber wollen wir unsere Aufmerksamkeit noch auf die anderen Sätze desselben Abschnitts im 7. Kapitel des ersten Korintherbriefes richten, wo der Apostel sich mit folgenden Worten an die Eheleute wendet: „Entzieht euch einander nicht, außer im gegenseitigen Einverständnis und nur eine Zeitlang, um für das Gebet frei zu sein. Dann kommt wieder zusammen, damit euch der Satan nicht in Versuchung führt, wenn ihr euch nicht enthalten könnt. Das sage ich als Zugeständnis, nicht als Gebot“ (2 Kor 7, 5-6). Das ist ein sehr bedeutsamer Text, auf den man vielleicht im Zusammenhang mit den Überlegungen zu den anderen Themen noch zurückkommen muß. Höchst bedeutsam ist die Tatsache, daß der Apostel, der in seiner gesamten Beweisführung über Ehe und Ehelosigkeit wie Christus klar zwischen Gebot und evangelischem Rat unterscheidet, das Bedürfnis empfindet, sich auch auf das „Zugeständnis“ als auf eine zusätzliche Regel zu berufen, und das vor allem in bezug auf die Eheleute und ihr 133 Audienzen und Angelus Zusammenleben. Der hl. Paulus sagt mit aller Klarheit, daß sowohl das eheliche Zusammenleben wie die freiwillige und zeitweilige Enthaltsamkeit der Ehegatten Frucht der Gnadengabe Gottes sein muß, die jeder von ihnen als die seinige empfangen hat, und daß im bewußten Zusammenwirken mit ihr die Eheleute selbst jene persönliche Bindung und zugleich jene Würde erhalten und festigen können, die der Umstand, daß sie „Tempel des Heiligen Geistes, der in ihnen wohnt“, sind (vgl. 1 Kor 6, 19), ihrem Leib verleiht. 8. Das paulinische „Zugeständnis“ weist anscheinend auf den Wunsch hin, alles in Erwägung zu ziehen, was in irgendeiner Weise der so unterschiedlichen Subjektivität von Mann und Frau entspricht. Alles, was an dieser Subjektivität nicht nur geistlicher, sondern auch psychosomatischer Natur ist, der ganze subjektive Reichtum des Menschen, der sich zwischen seinem geistlichen und seinem leiblichen Sein in der spezifischen Sensibilität entweder für den Mann oder für die Frau ausdrückt - das alles muß unter dem Einfluß der Gabe bleiben, die jeder von Gott empfängt, seiner ganz persönlichen Gnadengabe. Wie man sieht, legt der hl. Paulus im 7. Kapitel des ersten Korintherbrie-fes die Lehre Christi über die Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen in seiner eigenen, ganz pastoralen Weise aus, wobei er sehr persönliche Akzente nicht scheut. Er erläutert die Lehre über die Ehelosigkeit, die Jungfräulichkeit, parallel zur Lehre über die Ehe, wobei er den für einen Hirten charakteristischen Realismus und zugleich die Proportionen bewahrt, die wir im Evangelium, in den Worten Christi selbst, antreffen. 9. In der Aussage des Paulus kann man jene tragende Grundstruktur der geoffenbarten Lehre über den Menschen wiederfinden, der auch mit seinem Leib für ein künftiges Leben bestimmt ist. Diese tragende Struktur liegt der ganzen evangelischen Lehre über die Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zugrunde (vgl. Mt 19, 12) - aber gleichzeitig ruht auf ihr auch die endgültige (eschatologische) Erfüllung der evangelischen Lehre über die Ehe (vgl. Mt 22, 30; Mk 12, 25; Lk 20, 36). Beide Dimensionen der Berufung des Menschen stehen nicht im Gegensatz zueinander, sondern ergänzen einander. Beide geben eine vollständige Antwort auf eine der wesentlichsten Fragen des Menschen: auf die Frage nach der Bedeutung des Leibseins, das heißt nach der Bedeutung des Mann- bzw. des Frauseins, daß man im Leib Mann oder Frau ist. 10. Was wir gewöhnlich als Theologie des Leibes bezeichnen, erweist sich als etwas wahrhaft Grundlegendes und Bestimmendes für die gesamte anthropologische Hermeneutik - und zugleich als ebenso grundlegend für 134 Audienzen und Angelus die Ethik und die Theologie. In jedem dieser Bereiche gilt es, nicht nur auf die Worte Christi aufmerksam zu hören, in denen er sich auf den „Anfang“ (Mt 19, 4) oder auf das Herz als inneren und zugleich geschichtlichen (vgl. Mt 5, 28) Ort der Begegnung mit der fleischlichen Begierde beruft, sondern wir müssen auch auf die Worte aufmerksam hören, mit welchen Christus an die Auferstehung erinnert hat, um in das ruhelose Herz des Menschen selbst die ersten Keime der Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des Leibseins im Hinblick auf die „andere Welt“ einzupflanzen. Die Hoffnung offenbart ihre Kraft in den menschlichen Werken Ansprache bei der Generalaudienz am 21. Juli 1. „Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, daß wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden“ (Röm 8, 23). Der hl. Paulus sieht im Brief an die Römer die „Erlösung des Leibes“ in einer anthropologischen und zugleich kosmischen Dimension. Denn die Schöpfung „ist der Vergänglichkeit unterworfen“ (Röm 8, 20). Die ganze sichtbare Schöpfung, der ganze Kosmos zeigt die Auswirkungen der Sünde des Menschen. „Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt“ (Röm 8, 22). Und gleichzeitig „wartet die ganze Schöpfung sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes“ und „hegt die Hoffnung, daß auch sie von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden soll zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8, 19, 20-21). 2. Die Erlösung des Leibes ist nach Paulus Gegenstand der Hoffnung. Diese Hoffnung ist im Herzen des Menschen gewissermaßen gleich nach der Erbsünde eingepflanzt. Man braucht nur an die Worte aus dem Buch Genesis (3, 15) zu denken, die von der Tradition als Protoevangelium (Urevangelium) und darum, könnten wir sagen, als der Anfang der Frohbotschaft, als die erste Heilsverkündigung bezeichnet werden. Die Erlösung des Leibes verbindet sich nach den Worten des Römerbriefes eben mit dieser Hoffnung, in welcher wir „gerettet sind“ (Röm 8, 24), wie 135 Audienzen und Angelus wir lesen. Durch die Hoffnung, die bis zu den Anfängen des Menschen zurückreicht, erhält die Erlösung des Leibes ihre anthropologische Dimension: Es ist die Erlösung des Menschen. Gleichzeitig strahlt sie gewissermaßen auf die gesamte Schöpfung aus, die von Anfang an in besonderer Weise mit dem Menschen verbunden und ihm unterworfen ist (vgl. Gen 28-30). Die Erlösung des Leibes ist also die Erlösung der Welt: Sie hat eine kosmische Dimension. 3. In dem „kosmischen“ Büd von der Erlösung, das Paulus von Tarsus im Römerbrief bietet, steht im Mittelpunkt der Mensch, so wie dieser „im Anfang“ in den Mittelpunkt des Schöpfungsbildes gestellt worden war. Es ist der Mensch, es sind die Menschen, jene die „die Erstlingsgabe des Geistes“ besitzen, die in ihrem Herzen seufzen und auf die Erlösung ihres Leibes warten (vgl. Röm 8, 23). Christus, der gekommen ist, um dem Menschen den Menschen selbst voll zu enthüllen, indem er ihm seine höchste Berufung erschließt (vgl. Gaudium et spes, Nr. 22), spricht im Evangelium von göttlicher Tiefe des Erlösungsmysteriums selbst, das in ihm seinen besonderen „geschichtlichen“ Träger findet. Christus spricht demnach im Namen jener Hoffnung, die bereits im Protoevangelium in das Herz des Menschen eingepflanzt worden ist. Christus erfüllt diese Hoffnung nicht nur durch die Worte seiner Lehre, sondern vor allem durch das Zeugnis seines Todes und seiner Auferstehung. So hat sich also die Erlösung des Leibes in Christus bereits erfüllt. In ihm hat sich jene Hoffnung bestätigt, in der „wir gerettet sind“. Und zugleich hat sich jene Hoffnung wieder neu auf ihre endgültige eschatologische Erfüllung hin geöffnet. „Das Offenbarwerden der Söhne Gottes“ in Christus ist endgültig auf jene „Freiheit und Herrlichkeit“ ausgerichtet, deren die „Kinder Gottes“ endgültig teilhaftig werden sollen. 4. Um alles zu begreifen, was nach dem Römerbrief des Paulus mit der „Erlösung des Leibes“ zusammenhängt, ist eine echte Theologie des Leibes erforderlich. Wir haben versucht, sie aufzubauen, wobei wir uns vor allem auf die Worte Christi beriefen. Die Grundelemente der Theologie des Leibes finden sich in dem, was Christus unter Hinweis auf den „Anfang“ von der Unauflöslichkeit der Ehe sagt (vgl. Mt 19, 8), in dem, was er in der Bergpredigt unter Bezugnahme auf das menschliche Herz von der Begierde sagt (vgl. Mt 5, 28), und auch in dem, was er von der Auferstehung sagt (vgl. Mt 22, 30). All diese Aussagen schließen einen anthropologisch wie ehtisch reichen Gehalt in sich. Christus spricht zum Menschen - und er spricht vom Menschen: vom Menschen, der „Leib“ ist und der als Mann und Frau als Büd und Gleichnis Gottes geschaffen wurde; er spricht von dem Menschen, dessen Herz der Begierde ausge- 136 Audienzen und Angelus setzt ist, und schließlich von dem Menschen, vor dem sich der eschatologi-sche Ausblick auf die Auferstehung des Leibes auftut. Der „Leib“ bedeutet (nach dem Buch Genesis) den sichtbaren Aspekt des Menschen und seine Zugehörigkeit zur sichtbaren Welt. Für den hl. Paulus bedeutet er außer dieser Zugehörigkeit bisweilen auch die Entfernung des Menschen vom Einfluß des Geistes Gottes. Die eine wie die andere Bedeutung steht in Beziehung zur „Erlösung des Leibes“. 5. Weil in den zuvor analysierten Texten Christus von der göttlichen Tiefe des Erlösungsmysteriums spricht, dienen seine Worte eben jener Hoffnung, von welcher im Römerbrief die Rede ist. „Die Erlösung des Leibes“ ist nach dem Apostel schließlich das, worauf wir „warten“. So warten wir auf den Endsieg über den Tod, von dem Christus vor allem in seiner Auferstehung Zeugnis gegeben hat. Im Licht des Ostergeheimnisses haben seine Worte über die Auferstehung des Leibes und die Wirklichkeit der „anderen Welt“, wie sie von den Synoptikern wiedergegeben werden, ihre vollgültige Bedeutung gewonnen. Sowohl Christus wie später Paulus von Tarsus haben den Aufruf zur Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ gerade im Namen dieser endzeitlichen Wirklichkeit verkündet. 6. Doch die „Erlösung des Leibes“ findet ihren Ausdruck nicht nur in der Auferstehung als Sieg über den Tod. Sie ist auch in den Worten Christi gegenwärtig, die er an den „geschichtlichen“ Menschen richtet, ob diese Worte nun das Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe als vom Schöpfer selbst stammenden Grundsatz bekräftigen, oder ob - in der Bergpredigt -Christus zur Überwindung der Begierde auffordert, und das bis in die Regungen des menschlichen Herzens hinein. Von der einen und der anderen dieser Schlüsselaussagen muß man sagen, daß sie sich auf die menschliche Sittlichkeit beziehen, daß sie einen ethischen Sinn haben. Hier handelt es sich nicht um die endzeitliche Hoffnung auf die Auferstehung, sondern um die Hoffnung auf den Sieg über die Sünde, die man die tägliche Hoffnung nennen kann. 7. In seinem täglichen Leben muß der Mensch aus dem Geheimnis der Erlösung des Leibes die Inspiration und Kraft für die Überwindung des Bösen schöpfen, das in Gestalt der dreifachen Begierde in ihm schlummert. Mann und Frau, die in der Ehe miteinander verbunden sind, müssen täglich neu die Pflicht der unauflöslichen Einheit jenes Bundes auf sich nehmen, den sie miteinander geschlossen haben. Aber auch ein Mann oder eine Frau, die freiwillig die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen gewählt haben, müssen täglich ein lebendiges Zeugnis der Treue zu dieser Entscheidung geben, indem sie den Weisungen Christi im Evangelium und des Apostels Paulus im ersten Korintherbrief folgen. Es handelt 137 Audienzen und Angelus sich in jedem Fall um die tägliche Hoffnung, die im Rahmen der normalen Aufgaben und Schwierigkeiten des menschlichen Lebens „das Böse mit dem Guten“ besiegen hilft (Röm 12, 21). Denn „in der Hoffnung sind wir gerettet“: Die tägliche Hoffnung offenbart ihre Kraft in den menschlichen Werken und sogar in den innersten Regungen des menschlichen Herzens, wenn sie in gewissem Sinn der großen, mit der Erlösung des Leibes verbundenen endzeitlichen Hoffnung Raum schafft. 8. Wenn die Erlösung des Leibes das Alltagsleben mit der Dimension der menschlichen Moral durchdringt, trägt sie vor allem zur Entdeckung all des Guten bei, in dem der Mensch den Sieg über die Sünde und über die Begierde erringt. Die Worte Christi, die aus der göttlichen Tiefe des Erlösungsmysteriums stammen, erlauben die Entdeckung und Stärkung jenes Bandes, das zwischen der Würde des Menschen (des Mannes oder der Frau) und der „bräutlichen“ Bedeutung ihres Leibes besteht. Sie ermöglichen aufgrund jener Bedeutung das Verständnis und die Verwirklichung der zur Hingabe reifen Freiheit, die einerseits in der unauflöslichen Ehe und andererseits in der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ihren Ausdruck findet. Auf diese verschiedenen Weisen enthüllt Christus den Menschen voll dem Menschen, indem er ihm „seine höchste Berufung“ zeigt. Diese Berufung ist dem Menschen entsprechend seiner psychisch-physischen Gesamtstruktur gerade durch das Geheimnis der Erlösung des Leibes eingeschrieben. Alles, was wir im Laufe unserer Überlegungen versucht haben, um die Worte Christi zu verstehen, hat seinen letzten Grund im Geheimnis von der Erlösung des Leibes. Der Mensch lebt „in seiner Zeit“ Ansprache bei der Generalaudienz am 28. Juli 1. Wir beginnen heute ein neues Kapitel zum Thema Ehe und lesen die Worte des hl. Paulus an die Epheser: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn (Christus); denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist; er hat sie gerettet, denn sie ist sein Leib. Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, sollen sich die Frauen in allem den Männern unterordnen. Ihr Männer, hebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie 138 Audienzen und Angelus hingegeben hat, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen. So will er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lasssen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos. Darum sind die Männer verpflichtet, ihre Frauen so zu lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst. Keiner hat je seinen eigenen Leib gehaßt, sondern er nährt und pflegt ihn, wie auch Christus die Kirche. Denn wir sind Glieder seines Leibes. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein. Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche. Was euch angeht, so hebe jeder von euch seine Frau wie sich selbst, die Frau aber ehre den Mann“ (Eph 5, 22-33). 2. Es ist angebracht, daß wir den zitierten Text aus dem 5. Kapitel des Epheserbriefes einer gründlichen Analyse unterziehen, so wie wir in den vorausgegangenen Audienzen die einzelnen Worte Christi analysiert haben, die eine Schlüsselbedeutung für die Theologie des Leibes zu haben scheinen. Es handelte sich um die Worte, in denen Christus auf den „Anfang“ hinweist (Mf 19, 4; Mk 10, 6), auf das menschliche Herz in der Bergpredigt (Mt 5, 28) und auf die kommende Auferstehung (vgl. Mt 22, 30; MK 12, 25; Lk 20, 35). Der zitierte Abschnitt aus dem Epheserbrief ist sozusagen die Krönung der anderen Schlüsselaussagen. Wenn sich aus ihnen die Theologie des Leibes in ihren evangelischen, einfachen und zugleich grundlegenden Umrissen ergibt, muß diese Theologie in gewissem Sinn der Deutung des zitierten Abschnittes aus dem Epheserbrief zugrunde gelegt werden. Man muß also, wenn man diesen Abschnitt interpretieren will, das im Licht dessen tun, was Christus uns über den menschlichen Leib sagt. Er spricht nicht nur vom geschichtlichen Menschen, vom Menschen, der immer „in seiner Zeit“ lebt, von der Begierde seines Herzens, sondern enthüllt auch einerseits die Perspektiven des „Anfangs“ oder der Ur-Unschuld und der Gerechtigkeit und andererseits die eschatologischen Perspektiven der Auferstehung der Leiber, „wenn wir nicht mehr heiraten“ (vgl. Lk 20, 35). All das gehört zur theologischen Optik der „Erlösung unseres Leibes“ (Röm 8, 23). 3. Auch der Verfasser des Epheserbriefes) spricht vom Leib; und das in seiner büdlichen Bedeutung, d. h. vom Leib Christi, der die Kirche ist, wie in seiner konkreten Bedeutung, d. h. vom menschlichen Leib in seiner *) Das Problem, ob der Epheserbrief von Paulus stammt, was von einigen Exegeten bejaht und von anderen verneint wird, läßt sich durch eine mittlere Position lösen, die wir als Arbeitshypothese annehmen: nämlich daß Paulus seinem Sekretär eine Skizze übergab, die dieser weiterführte und abschloß. Diese provisorische Lösung des Problems erlaubt uns vom „Verfasser des Epheserbriefes“, vom „Apostel“ oder vom „hl. Paulus“ zu sprechen. 139 Audienzen und Angelus dauernden Männlichkeit und Fraulichkeit, in seiner dauernden Bestimmung zur Vereinigung in der Ehe, wie das Buch Genesis sagt: „Darum verläßt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch“ (Gen 2, 24). Wie erscheinen und treffen sich diese beiden Bedeutungen von Leib im zitierten Abschnitt des Epheserbriefes? Und warum erscheinen und treffen sie sich? Das sind die Fragen, die man sich stellen muß, wobei man keine unmittelbaren und direkten Antworten erwarten darf, sondern möglichst gründliche und „langfristige“, auf die wir durch die vorausgegangenen Analysen vorbereitet sind. In der Tat, dieser Abschnitt des Epheserbriefes kann nur richtig verstanden werden im breiten biblischen Zusammenhang, weil er als Krönung der Themen und Wahrheiten zu verstehen ist, die durch das geoffenbarte Wort Gottes in der Heiligen Schrift wie breite Wellen heranströmen und abfließen. Es sind zentrale Themen und wesentliche Wahrheiten. Und deshalb ist der zitierte Text aus dem Epheserbrief auch ein Schlüsseltext, ein „klassischer“ Text. 4. Er ist ein der Liturgie geläufiger Text, der immer in Beziehung zum Sakrament der Ehe auftaucht. Die „Lex orandi“ (das Gesetz des Betens) der Kirche sieht in ihm einen ausdrücklichen Bezug auf dieses Sakrament: und die „Lex orandi“ setzt immer die „Lex credendi“ (das Gesetz des Glaubens) voraus und spricht es aus. Wenn wir diese Voraussetzung annehmen, müssen wir uns sofort fragen: Wie stellt sich die Wahrheit über die Sakramentalität der Ehe in diesem klassischen Text des Epheserbriefes dar? Wie drückt sie sich aus und wie wird sie bestätigt? Es ist klar, daß die Antwort auf diese Fragen nicht unmittelbar und direkt, sondern nur stufenweise und langfristig gegeben werden kann. Das ergibt sich schon durch einen ersten Blick auf diesen Text, der uns zum Buch Genesis und damit „zum Anfang“ führt und der in der Beschreibung der Beziehung zwischen Christus und der Kirche aus den prophetischen Schriften des Alten Testaments den bekannten Vergleich mit der Liebe zwischen Gott und seinem auserwählten Volk übernimmt. Ohne diese Beziehungen zu prüfen, ließe sich schwer eine Antwort auf die Frage finden, wie der Epheserbrief von der Sakramentalität der Ehe spricht. Wir werden sehen, wie die Antwort den ganzen Bereich der vorher analysierten Probleme berücksichtigen muß, d. h. die Theologie des Leibes. 5. Das Sakrament oder die Sakramentalität - im weitesten Sinn des Wortes - steht in Beziehung zum Leib und setzt die Theologie des Leibes voraus. In der Tat ist das Sakrament in seiner allgemein anerkannten Bedeutung ein „sichtbares Zeichen“. Der „Leib“ bedeutet auch das, was sichtbar ist, bedeutet die Sichtbarkeit der Welt und des Menschen. So 140 Audienzen und Angelus gehört in gewisser Weise - wenn auch in sehr allgemeiner - der Leib in die Begriffsbestimmung des Sakraments, indem dieses „sichtbares Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit“ ist, d. h. der geistigen, transzendenten, göttlichen Wirklichkeit. In diesem Zeichen - oder durch dieses Zeichen -schenkt sich Gott dem Menschen in seiner transzendenten Wahrheit und in seiner Liebe. Das Sakrament ist Zeichen der Gnade und ein wirksames Zeichen. Es zeigt diese nicht nur an und drückt sich in sichtbarer Weise aus, in Form des Zeichens, sondern bringt sie hervor und trägt wirksam dazu bei, daß der Mensch der Gnade teilhaftig wird, und daß sich in ihm das Heilswerk verwirklicht und erfüllt, das von Gott in Ewigkeit vorherbestimmt und in Jesus Christus voll geoffenbart wurde. 6. Ich meine, daß sich schon bei diesem ersten Blick auf den klassischen Text aus dem Epheserbrief die Richtung zeigt, in der sich unsere weiteren Analysen entwickeln müssen. Es ist notwendig, daß diese Analysen mit dem vorausgehenden Verständnis des Textes selbst beginnen; trotzdem müssen wir im folgenden sozusagen über seine Grenzen hinausgehen, um möglichst bis auf den Grund den Reichtum zu erkennen, den die geoffen-barte Wahrheit Gottes in diesem wundervollen Text ausspricht. Wenn wir uns an die Ausdrucksweise der Konstitution Gaudium etspes halten, kann man sagen, der von uns ausgewählte Abschnitt aus dem Epheserbrief macht in besonderer Weise „dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung“ (Nr. 22): die Teilhabe an der Erfahrung des menschgewordenen Gottes. In den folgenden Audienzen versuchen wir - vor allem im Licht des zitierten Textes aus dem Epheserbrief - das Sakrament (im besonderen die Ehe als Sakrament) tiefer zu verstehen: zunächst in der Dimension des Bundes und der Gnade und dann in der Dimension des sakramentalen ■Zeichens. Hoffnungsschimmer für den Libanon Vor dem Angelus in Castel Gandolfo am 1. August 1. „Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“ {Mt 4, 4). Heute erinnert uns die Kirche in der Liturgie an diese Worte, die Christus im Augenblick der Versuchung gesprochen hat. 141 Audienzen und Angelus Am vergangenen Sonntag haben wir für das Brot gedankt, das zum Schöpfungswerk gehört und das der Mensch nötig hat, um sein leibliches Leben zu erhalten. Heute danken wir für das Wort, das aus Gottes Mund kommt. Es ist das Wort der höchsten Wahrheit; die Wahrheit aber braucht der Mensch für das Leben seiner Seele. Wir wollen also für das Wort Dank sagen, das Gott „viele Male und auf vielerlei Weise einst zu den Vätern durch die Propheten . . . zuletzt aber durch den Sohn gesprochen hat“ (vgl. Hebr 1,1 f.). Danken wir für dieses Wort, das durch die Heilige Schrift des Alten und des Neuen Bundes zu uns kommt. Danken wir für das Evangelium. 2. Jedesmal, wenn wir den „Engel des Herrn“ beten, erinnern wir uns in Ehrfurcht daran, daß „das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat“ (vgl. Joh 1, 14). Es ist das Wort, das eines Wesens ist mit dem Vater: Gott-Sohn. Das Wort war „im Anfang ... bei Gott, und das Wort war Gott“ (Joh 1,1 f.). Immer wenn wir den Angelus beten, danken wir für das Geheimnis der Menschwerdung des Wortes. Und eben dieses menschgewordene Wort, Jesus Christus, der ■'Gott-Mensch, sagt: „Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“ {Mt 4, 4). Das menschgewordene Wort ist der erhabene Geber, der uns diese Worte schenkt, von denen der Mensch lebt, von denen die Seele des Menschen lebt, weil sie „aus Gottes Mund kommen“. Das menschgewordene Wort ist der freigebigste Austeiler der Worte des ewigen Lebens. 3. Unter den Worten des ewigen Lebens, die der Sohn Gottes gesprochen hat, haben die Worte über das Brot des Lebens eine besondere Bedeutung. Die Liturgie des heutigen Sonntags ruft sie uns in dem Abschnitt aus dem 6. Kapitel des Johannesevangeliums in Erinnerung. Christus sagt: „Ich bin das Brot des Lebens, wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“ {Joh 6, 35). So lebt also „der Mensch nicht nur von Brot“: nicht nur von materialer Speise. Vielmehr wird kraft des Wortes, „das aus Gottes Mund kommt“, Christus selbst zum Brot: das fleischgewordene Wort. Er wird Brot: Nahrung der Seelen, Nahrung für das ewige Leben. Seinen Zuhörern sagt er: „Mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn das Brot, das Gott gibt, kommt vom Himmel herab und gibt der Welt das Leben“ {Joh 6, 32, 33). Der Mensch lebt also nicht nur vom materialen Brot. Er braucht das Wort Gottes, das Brot, das in der Kraft dieses Wortes zum Leib Christi wird: Speise des ewigen Lebens. 142 Audienzen und Angelus 4. In der Liturgie der Eucharistie ist uns auf zweifache Weise der Tisch gedeckt: der Tisch des Wortes Gottes und der Tisch des Leibes und Blutes des Herrn. Wir wollen beten, daß alle würdig zu diesem zweifach bereiteten Mahl hinzutreten und die Nahrung des ewigen Lebens empfangen. Beten wir, daß das eucharistische Leben in uns und in der ganzen Kirche wachse und sich vertiefe. 5. Bei den Nachrichten über den Krieg im Libanon, die uns in den vergangenen Wochen erreichten, haben wir tief gelitten und inbrünstig gebetet: So viele Tote und Verwundete; Schmerz und Not in der Stadt Beirut. In den letzten Tagen scheint sich ein Hoffnungsschimmer anzudeuten: Die Verständigung scheint möglich, vielleicht schon nahegerückt, nach harten Kämpfen von fast zwei Monaten. Das sind entscheidende Momente für den Frieden in dem gequälten Libanon. Der Weg wird zwar noch weit und mit Hindernissen besät sein, aber es ist doch möglich, mit mehr Hoffnung in die Zukunft zu blicken. Darum fordere ich euch auf, noch inständiger zu beten, daß baldigst eine Verständigung zwischen den Parteien zustande komme. Möge der Herr die Verantwortlichen in ihren Entscheidungen erleuchten und all denen, die sich in anerkennenswerter Weise um die Verständigung bemühen, Vertrauen und Beharrlichkeit schenken. Möge der Libanon endlich wieder den Weg des Friedens gehen und sich zusammen mit den anderen Völkern des Nahen Ostens in Ruhe dem Wiederaufbau und dem bürgerlichen und geistigen Fortschritt widmen können. Der Epheserbrief - „ein Familienkodex“ Ansprache bei der Generalaudienz am 4. August 1. Am vergangenen Mittwoch habe ich in unserem Gespräch das fünfte Kapitel des Briefes an die Epheser zitiert (Eph 5, 22-23). Heute sollten wir nun nach dieser ersten „Einführung in jenen ,klassischen “ Text die Art und Weise prüfen, wie dieser für das Geheimnis der Kirche und für die Sakramentalität der Ehe so bedeutende Text in den unmittelbaren Zusammenhang des ganzen Briefes eingefügt ist. Wenn wir auch wissen, daß es eine Reihe von Problemen gibt, die von den Bibelwissenschaftlem diskutiert werden, nämlich hinsichtlich der Empfänger des Briefes, seiner Urheberschaft und auch des Datums seiner 143 Audienzen und Angelus Abfassung, müssen wir doch feststellen, daß der Brief an die Epheser eine sehr bezeichnende Struktur hat. Der Autor beginnt diesen Brief mit der Darlegung des ewigen Heilsplanes für den Menschen in Jesus Christus. „ . . . der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus ... in ihm hat er uns erwählt. . . , damit wir heüig und untadelig leben vor Gott, er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn; durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade ... Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen . . . “ (Eph 1, 3.4-7.10). Nachdem der Verfasser des Briefes an die Epheser mit dankerfüllten Worten den Plan dargelegt hat, der von Ewigkeit her in Gott ist und sich nun bereits im Leben der Menschheit verwirklicht, bittet er den Herrn, daß die Menschen (und unmittelbar die Empfänger des Briefes) Christus voll erkennen mögen als das Haupt: „ . . . Alles hat er ihm zu Füßen gelegt und ihn, der als Haupt alles überragt, über die Kirche gesetzt. Sie ist sein Leib und wird von ihm erfüllt, der das All ganz und gar beherrscht“ (1, 22-23). Die sündige Menschheit ist zu einem neuen Leben in Christus berufen, in dem Heiden und Juden eins werden sollen, wie der Tempelbau eine Einheit bildet (vgl. 2, 11-21). Der Apostel ist Verkündiger des Geheimnisses Christi unter den Heiden, an die vor allem er sich in seinem Brief wendet. Er beugt seine „Knie vor dem Vater“ und bittet für sie: „ ... Er möge euch aufgrund des Reichtums seiner Herrlichkeit schenken, daß ihr in eurem Inneren durch seinen Geist an Kraft und Stärke zunehmt“ (3, 14-16). 2. Nach dieser so tiefen und eindrucksvollen Offenbarung des Geheimnisses Christi in der Kirche geht der Verfasser im zweiten Teü des Briefes dazu über, detailliert Richtlinien zu geben, die darauf hinzielen, das Leben des Christen als eine Berufung darzustellen, die im Plan Gottes, von dem wir eben gesprochen haben, ihren Ursprung hat, das heißt im Mysterium Christi in der Kirche. Auch hier berührt der Verfasser verschiedene Fragen, die für das christliche Leben immer gültig sind. Er ermahnt, die Einheit zu bewahren, und unterstreicht gleichzeitig, daß diese Einheit sich auf der Vielfalt und Verschiedenartigkeit der Gaben Christi aufbaut. Jedem ist eine andere Gabe geschenkt, aber alle müssen als Christen „den neuen Menschen anziehen, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (4,24). Damit ist eine kategorische Aufforderung verbunden, die Laster zu überwinden und sich die Tugenden anzueignen, die der B erufung gemäß sind, die allen in Christus 144 Audienzen und Angelus zuteil geworden ist (vgl. 4,25-32). Der Verfasser schreibt: „Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder und liebt einander, weil auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat... als Opfer“ (5, 1-2). 3. Im fünften Kapitel des Briefes an die Epheser gehen diese Aufforderungen noch mehr ins einzelne. Der Verfasser verurteüt streng die heidnischen Mißbräuche. Er schreibt: „Einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder des Lichts!“ (5, 8). Und dann: „Darum seid nicht unverständig, sondern begreift, was der Wille des Herrn ist. Berauscht euch nicht mit Wein (er bezieht sich hier auf das Buch der Sprüche 23, 31) . . ., sondern laßt euch vom Geist erfüllen! Laßt in eurer Mitte Psalmen, Hymnen und Lieder erklingen, wie der Geist sie eingibt. Singt und jubelt aus vollem Herzen zum Lob des Herrn!“ (5, 17-19). Mit diesen Worten will der Verfasser des Briefes das Klima des geistlichen Lebens aufzeigen, das jede christliche Gemeinde beseelen sollte. An diesem Punkt geht er auf die Hausgemeinde, nämlich die Familie, über. So schreibt er: „Laßt euch vom Geist erfüllen ... Sagt Gott, dem Vater, jederzeit Dank für alles im Namen Jesu Christi, unseres Herrn! Einer ordne sich dem andern unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus“ (5, 20-21). Und so kommen wir genau zu jener Stelle des Briefes, die das Thema unserer besonderen Untersuchung sein soll. Wir können leicht feststellen, daß der wesentliche Gehalt dieses „klassischen Textes“ dort sichtbar wird, wo sich zwei Leitgedanken des ganzen Epheserbriefes kreuzen: Der erste ist der des Geheimnisses Christi, das sich als Ausdruck des göttlichen Heilsplans in der Kirche verwirklicht; der zweite Leitgedanke ist jener der christlichen Berufung als Modell für das Leben der einzelnen Getauften und der einzelnen Gemeinden, entsprechend dem Geheimnis Christi, das heißt, dem göttlichen Heilsplan für den Menschen. 4. In engem Zusammenhang mit dem angeführten Abschnitt sucht der Verfasser des Briefes zu erklären, auf welche Weise sich die so verstandene Berufung des Christen zwischen allen Gliedern einer Familie verwirklichen und darstellen muß, also nicht nur zwischen Mann und Frau (worüber genauer der Abschnitt in Kapitel 5, 22-33 handelt, den wir auswählten), sondern auch zwischen Eltern und Kindern. Der Verfasser schreibt: „Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern, wie es vor dem Herrn recht ist. Ehre deinen Vater und deine Mutter: Das ist ein Hauptgebot, und ihm folgt die Verheißung: damit es dir gut geht und du lange lebst auf der Erde. Ihr Väter, reizt eure Kinder nicht zum Zorn, sondern erzieht sie in der Zucht und Weisung des Herrn!“ (6, 1-4). Dann spricht er von den Pflichten der Dienenden ihren Herren gegenüber und umgekehrt der 145 Audienzen und Angelus Herren gegenüber den Dienenden, das heißt, den Sklaven (vgl. 6, 5-9). Diese Richtlinien beziehen sich auf die Familie im weiteren Sinn, die ja nicht nur aus Eltern und Kindern (in der Abfolge der Generationen) bestand, sondern zu der in weiterem Sinne auch die Sklaven und die Sklavinnen gehörten. 5. So steht also der Text aus dem Brief an die Epheser, den wir zum Gegenstand einer gründlicheren Untersuchung machen wollen, in unmittelbarem Zusammenhang mit Unterweisungen über die sittlichen Verpflichtungen der Familiengemeinschaft (sogen. „Haustafeln“ nach der Definition Luthers; gleichsam ein Familienkodex). Ähnliche Belehrungen finden wir auch in anderen Briefen (z.B. in dem an die Kolosser, 3, 18-4,1, und im ersten Petrusbrief, 2, 13-3,7). Noch dazu weist unser Text insofern diesen unmittelbaren Zusammenhang auf, als auch der „klassische“ Text, den wir wählten, die gegenseitigen Pflichten von Mann und Frau behandelt. Jedenfalls ist zu bemerken, daß im Brief an die Epheser der Abschnitt 5, 22-33 als solcher ausschließlich auf die Ehegatten und die Ehe bezogen, im weiteren Sinn aber auch im Hinblick auf die Familie zu verstehen ist. Bevor wir jedoch darangehen, uns mit einer gründlicheren Untersuchung des Textes zu befassen, müssen wir noch bemerken, daß der ganze Brief mit einer wundervollen Ermutigung zum geistlichen Kampf schließt (vgl. 6, 10-20), mit kurzen Ermahnungen (vgl. 6, 21-22) und einem Segenswunsch (vgl. 6, 23-24). Dieser Aufruf zum geistlichen Kampf erscheint folgerichtig begründet in der Gedankenführung des ganzen Briefes. Er führt sozusagen dessen Leitgedanken zu einem klaren, vollendeten Abschluß. Wenn wir so die Gesamtstruktur des ganzen Briefes an die Epheser vor Augen haben, werden wir in der ersten Analyse die Bedeutung der an die Eheleute gerichteten Worte zu klären suchen: „Einer ordne sich dem anderen unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus“ (5, 21). (O. R. 6. 8. 82) Zur Erinnerung an Papst Paul VI. Vor dem Angelus in Castel Gandolfo am 8. August 1. „Ich wül den Herrn allezeit preisen; immer sei sein Lob in meinem Mund. Meine Seele rühme sich des Herrn; die Armen sollen es hören und sich freuen“ (Ps 33/34, 2-3). 146 Audienzen und Angelus Am Fest der Verklärung des Herrn, 6. August, verließ vor vier Jahren der große Papst Paul VI. diese Erde. Nachdem er seine Pilgerfahrt vollendet und seine Aufgabe auf dem Stuhl des Petrus erfüllt hatte, ging er von dieser Welt fort. Er ist aus dieser Welt weggegangen, aber er blieb in unserem Herzen, in unserer Erinnerung, in unserem Gebet. Heute scheint er noch einmal vor uns zu stehen. Und er scheint die Psalmworte der Sonntagsliturgie an uns zu richten. Ja, er „preist den Herrn allezeit“, und „immer ist Gottes Lob in seinem Mund“. 2. Während der einundachtzig Jahre seines Lebens auf dieser Erde und besonders in den fünfzehn Jahren seines Dienstes an der Kirche auf dem römischen Bischofssitz zeigte er uns den Herrn, wies er auf Christus hin. „Blickt auf zu ihm, so wird euer Gesicht leuchten, und ihr braucht nicht zu erröten“ (ebdVers 6). So schien dieser Papst zur Kirche und zur Menschheit zu sprechen, und in seinem Apostolischen Schreiben, das mit den Worten Gaudete in Domino -„Freut euch im Herrn“ beginnt, rief er alle Menschen zur Freude in Christus auf. „Da ist ein Armer; er rief, und der Herr erhörte ihn. Er half ihm aus all seinen Nöten“ (ebd., Vers 7). Die Probleme der Armen, die Probleme der Gesellschaftsschichten, die Entbehrung leiden, die Probleme der sozialen und internationalen Gerechtigkeit standen im Zentrum der Aufmerksamkeit Pauls VI., wie vor allem seine Enzyklika Popülorum progressio zeigt, in der er die Sorge um den Frieden mit der um die rechte Entwicklung verband: Entwicklung, schrieb er, ist der neue Name für den Frieden. Sodann richtete sich seine hebende Sorge auch beständig auf das Los Jerusalems und der Heiligen Stätten und auf die Probleme des Nahen Ostens, der während seines Pontifikats zweimal von sehr ernsten Krisen heimgesucht war. Bei seinem denkwürdigen Besuch in der Heiligen Stadt, 1964, beschwor Papst Paul den Frieden und die Zusammenarbeit zwischen allen Völkern dieses Gebietes zur Wahrung der Rechte eines jeden. Immer widmete er dem Libanon ein besonderes Gedenken, dessen tragische Situation noch heute, und drängender denn je, die Herzen aller in angstvoller Spannung hält und uns ganz besonders mahnt, um den Frieden zu bitten. Er sorgte sich auch um die Rechte der Gläubigen auf der ganzen Welt, und schon zu Beginn seines Pontifikats wies er in der Enzyklika Ecclesiam suam hin auf die Wege des Dialogs und des Heüs. Diese Ausrichtung seiner Tätigkeit kommt uns heute in den Sinn, wenn wir in der Liturgie die 147 Audienzen und Angelus Worte vernehmen: „Der Engel des Herrn umschirmt alle, die ihn fürchten und ehren, und er befreit sie“ (Ps 33/34, 8). 3. Der verstorbene Papst war der Diener Christi und der Austeiler der Geheimnisse Gottes. Aus diesen Geheimnissen schöpfte er selbst die Kraft des Geistes, um auf dem Weg des Glaubens weiterzugehen, nach dem Beispiel des Propheten Elija, an den das Wort gerichtet wurde, das wir in der Liturgie dieses Sonntags lesen: „Steh auf und iß! Sonst ist der Weg zu weit für dich“ (1 Kön 19, 7). So stand auch Paul VI. auf, stärkte sich durch die Kraft der Eucharistie und ging als Hirte seinen Weg an der Spitze des Volkes Gottes weiter „bis zum Gottesberg Horeb“ (ebdV. 8). Auch mit den Worten des Apostels scheint er zu uns zu sprechen: „Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder, und liebt einander, weil auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat als Gabe und Opfer, das Gott gefällt“ (Eph 5, 1-2). Der geliebte Papst zeigte Christus den Menschen seiner Zeit. In dieser kurzen Erinnerung haben wir nur ein weniges von dem, was er getan und gewirkt hat, ins Gedächtnis gerufen. Aber dieser Taten und Werke waren es viele. Er zeigte der Welt und den Menschen Christus. Möge sich Christi Wort an ihm erfüllt haben: „Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben“ (Joh 6, 47). Ehegatten ,,in der Furcht Christi“ Ansprache bei der Generalaudienz am 11. August 1. Heute wollen wir mit einer genaueren Analyse des Abschnitts 5, 21-33 aus dem Brief an die Epheser beginnen. Der Verfasser wendet sich an die Ehegatten und empfiehlt ihnen, „einer ordne sich dem anderen in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus unter“ (5, 21). Es handelt sich hier um eine doppelte Beziehung, um ein gegenseitiges und ein gemeinschaftliches Verhältnis. Das eine verdeutlicht und charakterisiert das andere. Das gegenseitige Verhältnis von Mann und Frau muß aus ihrem gemeinsamen Verhältnis zu Christus entspringen. Der Verfasser des Briefes spricht von der „Furcht Christi“, wie er ähnlicherweise von der „Furcht Gottes“ redet. In unserem Fall geht es aber nicht um Furcht 148 Audienzen und Angelus im Sinne von Angst, um eine abwehrende Haltung angesichts einer drohenden Gefahr. Es geht vor allem um Ehrfurcht vor der Heiligkeit, vor dem Heiligen. Es handelt sich um Frömmigkeit, die in der Sprache des Alten Testaments auch mit dem Ausdruck „Furcht Gottes“ bezeichnet wurde (vgl. z.B. Ps 103, 11; Spr 1, 7; 23, 17; Sir 1, 11-16). Tatsächlich muß diese Frömmigkeit, die aus dem tiefen Bewußtsein um das Geheimnis Christi entspringt, die Grundlage der gegenseitigen Beziehungen der Ehegatten sein. 2. Wie der unmittelbare Kontext so hat auch der von uns ausgewählte Text einen „paränetischen“ d. h. moralisch unterweisenden Charakter. Der Verfasser des Briefes möchte den Ehegatten zeigen, wie sie ihr gegenseitiges Verhältnis und ihr ganzes Benehmen gestalten sollen. Er entnimmt dabei seine Ratschläge und Weisungen dem Geheimnis Christi, wie er es zu Anfang des Briefes dargelegt hat. Dieses Geheimnis muß geistig im gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten gegenwärtig sein. Indem es in ihre Herzen eindringt und in ihnen jene heilige „Furcht Christi“ weckt (eben die Frömmigkeit), muß das Geheimnis Christi sie dahin führen, daß sie „einer dem anderen untergeordnet“ sind: das Geheimnis Christi, also jenes Geheimnis, in dem beide von Ewigkeit her in Christus auserwählt wurden, „Adoptivkinder Gottes“ zu sein. 3. Das Zitat, das unseren Abschnitt Eph 5, 21-33 einleitet, zu dem wir dank der Analyse des näheren und weiteren Zusammenhangs gelangt sind, drückt besonders viel aus. Der Verfasser spricht von der gegenseitigen Unterordnung der Ehegatten, Mann und Frau, und macht so auch verständlich, wie die Worte zu verstehen sind, die er später über die Unterordnung der Frau unter den Mann schreiben wird. Wir lesen nämlich: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn“ (5, 22). Wenn er sich so ausdrückt, will der Verfasser nicht sagen, der Mann sei „Herr“ über die Frau, und der geschlossene Ehevertrag zwischen Personen sei ein Vertrag, der die Herrschaft des Mannes über die Frau festlegt. Er drückt vielmehr einen anderen Gedanken aus, nämlich daß die Frau in ihrem Verhältnis zu Christus - der für beide Ehegatten der einzige Herr ist - den Beweggrund für jenes Verhältnis zu ihrem Mann finden kann und soll, der aus dem Wesen der Ehe und der Familie hervorgeht. Dieses Verhältnis aber ist keine einseitige Unterordnung. Nach der Lehre des Epheserbriefes schließt die Ehe jenes Element des Vertrages aus, das früher auf dieser Institution lastete und sie zuweilen noch heute belastet. Mann und Frau sind nämlich „einer dem anderen untergeordnet“, sich also gegenseitig untergeordnet. Quelle dieser gegenseitigen Unterordnung ist die christliche Frömmigkeit, und ihr Ausdruck ist die Liebe. 149 Audienzen und Angelus 4. Der Verfasser des Briefes betont besonders diese Liebe, wenn er sich an die Männer wendet und schreibt: „Ihr Männer, liebt eure Frauen . . . “ Wenn er sich so ausdrückt, beseitigt er jegliche Befürchtung, die angesichts der heutigen Überempfindlichkeit der voraufgehende Satz: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter“ hätte wecken können. Die Liebe schließt jede Art von Unterwerfung aus, bei der die Frau Dienerin oder Sklavin des Mannes, also Objekt einseitiger Unterordnung, werden könnte. Die Liebe bringt es mit sich, daß gleichzeitig auch der Mann seiner Frau und damit dem Herrn selber untergeordnet ist, so wie die Frau dem Mann. Die Gemeinschaft oder Einheit, die sie aufgrund ihrer Ehe bilden, verwirklicht sich durch gegenseitiges Schenken, das zugleich gegenseitige Unterordnung ist. Christus ist Quelle und zugleich Vorbild für diese Unterordnung, die, „in der Furcht Christi“ gegenseitig vollzogen, der ehelichen Verbindung Tiefe und Reife gibt. Zahlreiche Faktoren psychologischer Art oder Sitten werden in dieser Quelle und angesichts dieses Vorbildes derart umgewandelt, daß sozusagen eine neue und kostbare Verschmelzung des Verhaltens und der gegenseitigen Beziehung erfolgt. 5. Der Verfasser des Briefes an die Epheser hat kein Bedenken, jene Begriffe aufzugreifen, die der damaligen Mentalität und ihren Ausdrucksformen eigen waren. Er spricht ohne Angst von der Unterordnung der Frau unter den Mann. Er scheut sich auch nicht (im letzten Vers des von uns zitierten Textes), der Frau zu empfehlen, „sie möge den Mann ehren“ (5, 33). Wenn nämlich Mann und Frau einer dem anderen „in der Furcht Christi“ untergeordnet sind, kommt alles ins rechte Gleichgewicht, so daß das Verhältnis dann zweifellos ihrer christlichen Berufung im Geheimnis Christi entspricht. 6. Gewiß ist unser heutiges Empfinden anders, anders sind auch unsere Mentalität und unsere Sitten, anders endlich die soziale Stellung der Frau gegenüber dem Mann. Dennoch bleibt der Grundzug der Ermahnung, den wir im Brief an die Epheser finden, gleich, und er trägt auch dieselben Früchte. Die gegenseitige Unterordnung „in der Furcht Christi“ - eine Unterordnung vom Fundament christlicher Frömmigkeit her - bildet immer die tiefreichende und gediegene tragfähige Struktur der Gemeinschaft der Gatten, in der die echte Gemeinschaft der Personen Wirklichkeit wird. 7. Der Verfasser des Briefes an die Epheser, der seinen Brief mit herrlicher Einsicht des ewigen Heilsplanes Gottes der Menschheit gegenüber eingeleitet hat, beschränkt sich nicht darauf, die überlieferten oder ethischen Aspekte der Ehe herauszustellen. Er überschreitet vielmehr das 150 Audienzen und Angelus Lehrhafte, und wenn er vom gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten spricht, entdeckt er darin die Reichweite des Geheimnisses Christi selbst, dessen Verkünder und Apostel er ist. „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn; denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist; er hat sie gerettet, denn sie ist sein Leib. Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, sollen sich die Frauen in allem den Männern unterordnen. Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat. . . “ (5, 22-25). Auf diese Weise wird die diesem ermahnenden Teil des Briefes eigene Lehre gewissermaßen eingefügt in die Wirklichkeit selbst des Geheimnisses, das von Ewigkeit her in Gott verborgen war, der Menschheit aber in Jesus Christus geoffenbart worden ist. Im Brief an die Epheser werden wir sozusagen Zeugen einer besonderen Übereinstimmung dieses Geheimnisses mit dem Wesen der Berufung zur Ehe. Wie ist diese Übereinstimmung zu verstehen? 8. Im Text des Briefes an die Epheser zeigt sie sich vor allem als große Analogie. Wir lesen nämlich: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn . . . “, das ist also das erste Element der Analogie. „Der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist... Hier haben wir das zweite Element, welches das erste klärt und begründet. „Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, so sollen sich die Frauen den Männern unterordnen.“ Das Verhältnis Christi zur Kirche, das vorher dargestellt wurde, wird jetzt als Verhältnis der Kirche zu Christus formuliert, und darin ist das nächste Element der Analogie enthalten. Endlich heißt es: „Ihr Männer, hebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat. . . “: Das wäre das letzte Element der Analogie. Im folgenden entwickelt der Text des Briefes den fundamentalen Gedanken, der im eben zitierten Text enthalten war. Der ganze Text des Briefes an die Epheser im Kapitel 5 aber (21-23) ist von der gleichen Analogie geprägt, das heißt: Das gegenseitige Verhältnis zwischen den Ehegatten, Mann und Frau, wird von den Christen nach dem Gleichnis des Verhältnisses zwischen Christus und der Kirche verstanden. 151 Audienzen und Angelus Vom Geheimnis zwischen Christus und der Kirche Ansprache bei der Generalaudienz am 18. August Als wir am vergangenen Mittwoch die betreffenden Stellen des Briefes an die Epheser analysierten, haben wir festgestellt, daß das gegenseitige Verhältnis von Mann und Frau in der Ehe bei den Christen als Abbild des Verhältnisses zwischen Christus und der Kirche verstanden wird. Dieses Verhältnis ist Offenbarung des Heilsmysteriums und zugleich dessen Verwirklichung in der Zeit, Offenbarung und Verwirklichung der liebenden Erwählung, die von Ewigkeit her in Gott „verborgen“ war. In dieser Offenbarung und Verwirklichung nimmt das Heilsmysterium den besonderen Zug der Liebe zwischen Christus und der Kirche an, und so läßt es sich auf sehr angemessene Weise zum Ausdruck bringen, wenn man auf die Ähnlichkeit der Beziehung zurückgreift, die zwischen Mann und Frau in der Ehe besteht - oder bestehen sollte. Dieser Vergleich erhellt das Geheimnis wenigstens bis zu einem gewissen Grad. Diese Analogie scheint sogar, nach dem Verfasser des Briefes an die Epheser, eine Ergänzung zu jener vom „Mystischen Leib“ zu sein (vgl. Eph 1, 22-23), wenn wir das Geheimnis der Beziehung zwischen Christus und der Kirche zu formulieren suchen und - wenn wir noch weiter zurückgehen -das Geheimnis der ewigen Liebe Gottes zum Menschen, zur Menschheit: das Geheminis, das sich in der Zeit ausdrückt und in der Beziehung zwischen Christus und der Kirche verwirklicht. 2. Wenn, wie wir sagten, diese Analogie das Geheimnis erhellt, so empfängt diese selbst wiederum durch jenes Mysterium größere Klarheit. Die Beziehung, die Mann und Frau in der Ehe verbindet, soll - nach dem Verfasser des Briefes an die Epheser - uns die Liebe verstehen helfen, die Christus mit der Kirche verbindet, die gegenseitige Liebe zwischen Christus und der Kirche, in der sich der ewige Plan Gottes für das Heil des Menschen verwirklicht. Die Bedeutung des Vergleichs erschöpft sich damit aber noch nicht. Der Vergleich, dessen sich der Brief an die Epheser bedient, um das Geheimnis des Verhältnisses zwischen Christus und der Kirche zu erklären, enthüllt uns zugleich die wesentliche Wahrheit über die Ehe: Die Ehe entspricht nur dann der Berufung des Christen, wenn sie die Liebe widerspiegelt, die Christus als Bräutigam der Kirche, seiner Braut, schenkt, und welche die Kirche (ähnlich wie die Frau sich in der Ehe „unterordnet“, also ganz schenkt) Christus zu erwidern sucht. Das ist die rettende, die erlösende Liebe, die Liebe, mit welcher der Mensch von Ewigkeit her von Gott in Christus geliebt wird: „Denn in ihm 152 Audienzen und Angelus hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott. . . “ (Eph 1, 4). 3. Die Ehe entspricht nur dann der Berufung der Christen als Eheleute, wenn sich in ihr gerade diese Liebe widerspiegelt und praktisch verwirklicht. Das wird klar, wenn wir den von Paulus gebrauchten Vergleich in umgekehrter Richtung betrachten, das heißt, wenn wir von der Beziehung zwischen Christus und der Kirche ausgehen und uns dann der Beziehung zwischen Mann und Frau in der Ehe zuwenden. Der Text spricht in ermahnendem Ton: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter . . . wie die Kirche sich Christus unterordnet.“ Und andererseits: „Ihr Männer, Hebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt hat. . . “ Diese Ausdrucksweise zeigt, daß es sich um eine morahsche Verpflichtung handelt. Um aber zu einer solchen Verpflichtung auffordem zu können, muß man zugeben, daß das Wesen der Ehe etwas von jenem Mysterium einschheßt. Andernfalls hinge der Vergleich im Leeren. Dann würde die Aufforderung, die der Verfasser des Epheserbriefes an die Ehegatten richtet, nämhch ihre gegenseitigen Beziehungen so zu gestalten, wie sie zwischen Christus und der Kirche bestehen („so - wie“), einer wirkHchen Grundlage entbehren, man hätte keinen Boden unter den Füßen. Das ist die Logik des Vergleichs, der in der genannten Stelle des Briefes an die Epheser gebraucht wird. 4. Wie man sieht, ist dieser Vergleich nach zwei Seiten hin gültig. Wenn er uns einerseits erlaubt, das Wesen der Beziehung zwischen Christus und der Kirche besser zu begreifen, so gestattet er uns gleichzeitig ein tieferes Eindringen in das Wesen der Ehe, zu der die Christen aufgerufen sind. Er offenbart uns in gewissem Sinn, wie die Ehe in ihrem tiefsten Wesen sich aus dem Geheimnis der ewigen Liebe herleitet, die Gott zum Menschen und der Menschheit hegt: aus jenem Heilsmysterium, das im Verlauf der Zeiten in der Liebe Christi zur Kirche WirkHchkeit wurde. Wenn wir die Worte des Briefes an die Epheser (5, 22-23) zum Ausgangspunkt nehmen, können wir im folgenden den Gedanken, den die große paulinische Analogie enthält, nach zwei Richtungen hin entwickeln: einerseits zu einem tieferen Verständnis der Kirche hin, andererseits zu einem vertieften Verständnis der Ehe. In unseren Überlegungen werden wir vor aHem der letztgenannten Richtung folgen und dabei bedenken, daß an der Basis des Verständnisses der Ehe in ihrem eigenthchen Wesen die Beziehung zwischen Christus und der Kirche steht. Diese Beziehung wird noch genauer analysiert, um herausstellen zu können - immer die Analogie mit der Ehe vorausgesetzt -, in welcher Weise diese zum sichtbaren Zeichen des ewigen göttlichen Mysteriums wird nach dem Bild der Kirche, die mit 153 Audienzen und Angelus Christus verbunden ist. So führt uns der Brief an die Epheser an die Grundlagen des sakramentalen Wesens der Ehe. 5. Analysieren wir also den Text im einzelnen. Wenn wir im Brief an die Epheser lesen, „der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist; er hat sie gerettet, denn sie ist sein Leib“ (5, 23), können wir voraussetzen, daß der Verfasser - der ja bereits klargestellt hatte, daß die Unterordnung der Frau gegenüber dem Mann als dem Haupt als gegenseitige Unterordnung „in der Ehrfurcht vor Christus“ verstanden wird - auf eine in jener Zeit gültige Auffassung zurückgeht, um vor allem die Wahrheit über die Beziehung Christi zur Kirche auszudrücken, nämlich daß Christus das Haupt der Kirche ist. Er ist das Haupt als jener, der „sie gerettet hat, denn sie ist sein Leib“. Die Kirche ist eben dieser Leib, der - in allem Christus, dem Haupt, untergeordnet - von ihm alles das empfängt, wodurch sie sein Leib wird und ist: nämlich die Fülle des Heils als Geschenk Christi, der „sich für sie hingegeben hat“ bis zum Äußersten. Das „Sich-Hingeben“ Christi an den Vater im Gehorsam bis zum Tod am Kreuz bekommt hier einen ausgesprochen ekklesiologischen Sinn: Christus hat „die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben“ (Eph 5,25). In einer totalen Hingabe aus Liebe hat er die Kirche als seinen Leib gebildet und bildet sie beständig weiter, während er ihr Haupt ist. Als Haupt ist er Erlöser seines Leibes, und zugleich ist er als Erlöser das Haupt. Als Haupt und Erlöser der Kirche ist er auch der Bräutigam seiner Braut. 6. Die Kirche ist insofern sie selbst, inwiefern sie als Leib von Christus, ihrem Haupt, das Geschenk der Rettung ganz als Frucht der Liebe Christi und seiner Hingabe für die Kirche empfängt, Frucht der Hingabe Christi bis zum Äußersten. Dieses Geschenk seiner selbst an den Vater durch den Gehorsam bis zum Tod (vgl. Phil 2, 8) ist zugleich, nach dem Epheser-brief, ein „Sich-Hingeben für die Kirche“. In diesem Ausdruck wandelt sich gewissermaßen die Erlöserliebe zur Liebe zu seiner Braut: Indem Christus sich für die Kirche hingibt, verbindet er sich durch eben diese Erlösungstat ein für allemal mit ihr, wie der Bräutigam mit der Braut, wie Mann und Frau in der Ehe, durch die Hingabe alles dessen, was dieses sich „Sich-Hingeben“ für die Kirche ein für allemal einschließt. So birgt das Geheimnis der Erlösung des Leibes in gewissem Sinn das Geheimnis der „Hochzeit des Lammes“ (vgl. Offb 19, 7) in sich. Weil Christus das Haupt des Leibes ist, durchdringt die Heilsgabe der Erlösung gänzlich auch die Kirche als den Leib dieses Hauptes und bildet beständig die tiefste, wesentliche Substanz ihres Lebens. Und er bildet sie in der Weise einer ehelichen Beziehung, da ja in unserem Text die Analogie Leib-Haupt 154 Audienzen und Angelus übergeht in die Analogie Bräutigam-Braut oder besser Mann und Frau in der Ehe. Das zeigen auch die folgenden Abschnitte des Textes, auf die wir noch zurückkommen müssen. „Die Taufe ist nur der Anfang“ Ansprache bei der Generalaudienz am 25. August 1. Bei den vorausgegangenen Betrachtungen über das fünfte Kapitel des Briefes an die Epheser (5, 21-33) galt unsere besondere Aufmerksamkeit der Analogie der Beziehung zwischen Christus und der Kirche einerseits und andererseits der Beziehung zwischen Bräutigam und Braut, also Mann und Frau in der Ehe, die durch das Eheband miteinander verbunden sind. Ehe wir uns nun weiter mit der Analyse der übrigen Abschnitte des Textes beschäftigen, müssen wir uns der Tatsache bewußt sein, daß es im Bereich der grundlegenden paulinischen Analogie, Christus und Kirche einerseits, Mann und Frau in der Ehe andererseits, noch eine weitere Analogie gibt: die Analogie zwischen Haupt und Leib. Und gerade dieser Vergleich hat in der von uns vorgelegten Analyse eine wesentliche ekkle-siologische Bedeutung: Christus formt sich seine Kirche, von ihm wird sie im wesentlichen gebildet, wie der Leib vom Haupt. Die Einheit des Leibes mit dem Haupt ist vor allem organischer Natur, sie ist, einfach gesagt, die körperliche Einheit des menschlichen Organismus. In dieser organischen Verbundenheit ist unmittelbar die biologische Einheit begründet, so daß man sagen kann: „Der Leib lebt vom Haupt her“ (auch wenn zugleich auf andere Weise das Haupt vom Leib her lebt). Im übrigen hat auch, wenn es um den Menschen geht, die psychische Einheit in dieser organischen Einheit als Ganzes verstanden und schließlich die ganzheitliche Einheit der menschlichen Person ihre Grundlage. 2. Wie bereits gesagt (wenigstens in dem eben analysierten Abschnitt), hat der Verfasser des Epheserbriefes in die Analogie der Ehe noch die zusätzliche Analogie von Haupt und Leib eingeführt. Es scheint sogar, daß er die Analogie „Haupt-Leib“ - vom Gesichtspunkt der von ihm verkündeten Wahrheit über die Kirche her betrachtet - als eine noch zentralere Aussage ansieht. Jedenfalls ist zu betonen, daß er sie nicht beiseite gelassen oder sie überhaupt aus der Analogie der Ehe als Bindung ausgeklammert hat. Im Gegenteil: In der gesamten Textstelle (Kap. 5,22-33) des Briefes an die Epheser und besonders im ersten Teil dieser Stelle, 155 Audienzen und Angelus der uns gerade beschäftigt (5, 22-23), spricht der Verfasser so, als ob auch in der Ehe der Mann „das Haupt der Frau“ und die Frau „der Leib des Mannes“ sei und als ob auch die Ehegatten eine organische Einheit bildeten. Das kann seine Grundlage in der Stelle des Buches Genesis haben, wo von „einem Fleisch“ die Rede ist (Gen 2, 24), in eben der Stelle, auf die sich der Verfasser des Briefes an die Epheser wenig später im Rahmen seiner großen Analogie beziehen wird. Trotzdem aber wird im Genesistext klar herausgestellt, daß es sich um Mann und Frau als zwei eigenständige Personen handelt, die sich bewußt für ihre eheliche Einheit entscheiden, was der archaische Text mit dem Ausdruck „ein Fleisch“ bezeichnet. Auch im Brief an die Epheser ist das klar. Der Verfasser bedient sich einer doppelten Analogie: Haupt - Leib, Ehemann - Ehefrau, in der Absicht, ganz klar die Natur der Einheit zwischen Christus und der Kirche aufzuzeigen. In gewissem Sinn scheinen besonders in diesem ersten Teil des Textes von Kapitel 5, 22-33 des Briefes an die Epheser die ekklesiologischen Dimensionen entscheidend und vorherrschend zu sein. 3. „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn (Christus); denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist; er hat sie gerettet, denn sie ist sein Leib. Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, sollen sich die Frauen in allem den Männern unterordnen. Ihr Männer, hebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat. . . “ {Eph 5, 22-25). Infolge dieser zusätzlichen Analogie „Haupt - Leib“ erkennen wir an dieser Stelle des Epheserbriefes (5, 22-23) zwei verschiedene Subjekte, die aufgrund einer besonderen gegenseitigen Beziehung in gewissem Sinn zu einem einzigen Subjekt werden: Das Haupt bildet zusammen mit dem Leib ein Subjekt (im physischen und im metaphysischen Sinn), einen Organismus, eine menschliche Person, ein Wesen. Ohne Zweifel ist Christus ein „Subjekt“, das sich von der Kirche unterscheidet, und doch verbindet er sich kraft einer besonderen Beziehung mit ihr wie in einer organischen Einheit von Haupt und Leib: Die Kirche ist so wesentlich sie selbst nur aufgrund ihrer Einheit mit dem mystischen Christus. Kann man das auch von den Ehegatten, von Mann und Frau, sagen, die das Eheband eint? Wenn der Verfasser des Briefes an die Epheser die Analogie der Einheit von Haupt und Leib auch in der Ehe sieht, dann scheint sich diese Analogie in gewissem Sinn auf die Ehe zu beziehen im Hinblick auf die Einheit, die Christus mit der Kirche und die Kirche mit Christus bildet. Daher betrifft die Analogie vor allem die Ehe selbst als jene Einheit, durch welche „die zwei ein Fleisch sein“ werden (Eph 5, 31; vgl. Gen 2, 24). 156 Audienzen und Angelus 4. Diese Analogie trübt aber nicht die Eigenständigkeit der Personen, der Person des Mannes und der Person der Frau, das heißt, die wesentliche doppelte Subjektivität, die dem Bild des „einen Leibes“ zugrunde liegt. Vielmehr geht die wesentliche doppelte Subjektivität, die des Mannes und die der Frau - in der Ehe in gewissem Sinn zu „einem Leib“ geworden -, in unserem Text, den wir untersuchen (Eph 5, 22-33), in das Bild der Kirche über, die als Leib Christus, dem Haupt, verbunden ist. Das sieht man besonders in den weiteren Aussagen, in denen der Autor die Beziehung zwischen Christus und der Kirche gerade mit Hilfe des Bildes der Beziehung zwischen Ehemann und Ehefrau beschreibt. In dieser Beschreibung erscheint die Kirche, der Leib Christi, klar als das zweite Subjekt der ehelichen Einheit, dem das erste Subjekt, Christus, die Liebe erweist, mit der er die Kirche liebte, als er „sich für sie hingegeben hat“. Diese Liebe ist das Bild und vor allem das Modell der Liebe, die der Mann der Frau in der Ehe erweisen muß, wenn sich beide einander unterordnen „in der Ehrfurcht vor Christus“. 5. Wir lesen ja: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen. So will er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lassen ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos. Darum sind die Männer verpflichtet, ihre Frauen so zu lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, Hebt sich selbst. Keiner hat je seinen eigenen Leib gehaßt, sondern er nährt und pflegt ihn, wie auch Christus die Kirche. Denn wir sind Glieder seines Leibes. Darum wird der MannVater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein“ (Eph 5, 25-31). 6. Aus diesem Abschnitt des Briefes an die Epheser (5, 22-33) erkennt man klar, daß die doppelte Subjektivität überwiegt: Sie wird sowohl in der Beziehung Christus-Kirche als auch in der Beziehung Ehemann-Ehefrau verdeutHcht. Das will aber nicht sagen, daß das Bild eines einzigen Subjekts, das Bild des „einen Leibes“, verschwinden würde. Es findet sich auch in diesem Abschnitt unseres Textes, ja in gewisser Weise wird es noch besser erklärt. Das wird noch klarer, wenn wir diesen Abschnitt einer mehr ins einzelne gehenden Analyse unterziehen. So spricht also der Verfasser des Epheserbriefes von der Liebe Christi zur Kirche und erklärt, auf welche Weise diese Liebe zum Ausdruck kommt; dabei stellt er zugleich diese Liebe und ihre Ausdrucksweise als Modell für die Liebe vor, die der Mann seiner Frau erweisen muß. Die Liebe Christi zur Kirche hat wesenthch deren Heiligung zum Ziel: „ . . . wie Christus die Kirche gehebt und sich für sie hingegeben hat, um sie . . . heihg zu machen“ (Eph 157 Audienzen und Angelus 5, 25-26). Am Anfang dieser Heiligung steht die Taufe, erste und wesentliche Frucht der Hingabe seiner selbst, die Christus für die Kirche vollzogen hat. In diesem Text wird die Taufe nicht mit diesem Begriff, sondern als Reinigung „im Wasser und durch das Wort“ (Eph 5, 26) bezeichnet. Diese Reinigung im Wasser bewirkt durch die Kraft der erlösenden Hingabe Christi für die Kirche die grundlegende Reinigung, durch die seine Liebe zur Kirche in den Augen des Verfassers unseres Briefes einen bräutlichen Charakter annimmt. 7. Bekanntlich wird das Sakrament der Taufe einer bestimmten Person in der Kirche gespendet. Der Verfasser des Briefes aber sieht durch diesen einzelnen Täufling hindurch die ganze Kirche. Auf sie richtet sich die Liebe Christi jedesmal, wenn ein einzelner Mensch in ihr die grundlegende Reinigung durch die Taufe empfängt. Wer die Taufe empfängt, erhält kraft der erlösenden Liebe Christi zugleich Anteü an dessen Liebe zur Braut Kirche. Die Reinigung „im Wasser und durch das Wort“ ist in unserem Text Ausdruck der Liebe Christi, insofern er die Braut (die Kirche) für ihren Bräutigam ausstattet, die Kirche also sozusagen ursprünglich „in actu primo“ - zur Braut Christi macht. Einige Bibelwissenschaftler bemerken zu unserer Textstelle, daß die „Reinigung im Wasser“ an die rituelle Waschung erinnert, die der Vermählung vorausging. Auch bei den Griechen war das ein bedeutsamer religiöser Ritus bei der Hochzeitsfeier, in dem die Braut dem Bräutigam im Brautkleid und Brautschmuck zur Vermählung zugeführt wird. Der angeführte Text macht deutlich, daß Christus, der Bräutigam, selbst für den Schmuck seiner Braut, die Kirche, besorgt ist, damit sie schön sei im Schmuck der Gnade, schön durch das Geschenk des Heils in seiner Fülle, das ihr schon im Empfang des Tauf Sakraments gewährt ist. Aber die Taufe ist nur der Anfang, aus dem die Gestalt der Kirche in Herrlichkeit (wie wir im Text lesen) als endgültige Frucht der erlösenden Liebe zu seiner Braut erst beim letzten Kommen Christi in der Parusie hervorgehen soll. Wir sehen, wie tief der Verfasser des Briefes an die Epheser die sakramentale Wirklichkeit erfaßt und deren große Analogie verkündet: Die Verbindung Christi mit der Kirche und die Verbindung von Mann und Frau in der Ehe erstrahlen so in einem besonderen übernatürlichen Licht. 158 Audienzen und Angelus Die Kirche: Objekt der Erlöserliebe Ansprache bei der Generalaudienz am 1. September 1. Wenn der Verfasser des Epheserbriefs von der Analogie der Beziehung zwischen Christus und der Kirche und der zwischen Mann und Frau in der Ehe spricht, sagt er: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen. So will er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler, heilig soll sie sein und makellos“ (Eph 5, 25-27). 2. Es ist bezeichnend, daß in dem zitierten Text die Kirche im Bild einer Braut in ihrer ganzen leiblichen Schönheit vorgestellt wird. Gewiß, das ist ein Bild, aber ein sehr eindrucksvolles, und es beweist, welche Rolle der Leib in der Analogie der bräutlichen Liebe spielt. Die „glorreiche“ Kirche ist „ohne Flecken und Falten“. „Flecken“ kann hier als Zeichen der Häßlichkeit, „Falten“ als Zeichen des Alterns verstanden werden. Im Bild bedeutet beides sittliche Fehler, Sünde. Man kann noch hinzufügen, daß beim hl. Paulus der „alte Mensch“ den Menschen der Sünde bezeichnet (vgl. Röm 6, 6). Christus bewirkt also durch seine erlösende Liebe zur Braut, daß die Kirche nicht nur ohne Sünde, sondern auch „ewig jung“ bleibt. 3. Dieses Bild ist also, wie man sieht, weitgespannt. Die Aussagen, die sich direkt und unmittelbar auf den menschlichen Leib beziehen, auf Braut und Bräutigam, Mann und Frau in ihrem gegenseitigen Verhältnis, dienen gleichzeitig als Attribute und Eigenschaften der sittlichen, geistlichen und übernatürlichen Ordnung. Das ist wesentlich für diese Analogie. Deshalb kann der Verfasser des Briefes die Schönheit der Kirche mit der des Leibes der Braut vergleichen, „ohne Flecken, Falten oder andere Fehler“, heilig und ohne Sünde, „heilig und makellos“. Es ist also klar, von welcher Schönheit der Braut hier die Rede ist, in welchem Sinn die Kirche Leib Christi ist und in welchem Sinn die Braut, also der Leib, das Geschenk des Bräutigams empfängt, der „die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat“. Demnach ist es bezeichnend, daß Paulus diese wesentliche, geistliche und übernatürliche Wirklichkeit durch die Analogie mit dem Leib und der Liebe der Ehegatten erklärt, die „ein Fleisch“ werden. 4. In dem ganzen zitierten Abschnitt wird deutlich das Prinzip der doppelten Subjektivität beibehalten: Christus-Kirche/Bräutigam-Braut (Mann-Frau). Der Verfasser zeigt die Liebe Christi zu seiner Kirche - 159 Audienzen und Angelus eine Liebe, die aus der Kirche den Leib Christi macht, deren Haupt er ist - als Modell der Liebe der Brautleute und der Hochzeit von Braut und Bräutigam. Die Liebe verpflichtet den Bräutigam (Ehemann), um das Wohl der Braut (Ehefrau) besorgt zu sein, sie verpflichtet ihn, ihre Schönheit zu wünschen, sie zu empfinden und Sorge für sie zu tragen. Es geht hier auch um die sichtbare, die physische Schönheit. Der Bräutigam erforscht aufmerksam seine Braut, um in schöpferischer, hebevoller Unruhe alles zu finden, was an ihr gut und schön ist und was er ihr wünscht. Das Gute, das der Liebende durch seine Liebe schafft, ist ein Beweis dieser Liebe und ihr Maßstab. Je uneigennütziger er sich hingibt, desto weniger steht der Liebende außerhalb dieses Maßstabs und dieser Erkenntnis. 5. Wenn der Verfasser des Epheserbriefes in den folgenden Versen (28-29) ausschließlich von den Eheleuten selbst spricht, wird die Analogie mit der Beziehung Christi zur Kirche noch deutlicher und veranlaßt ihn, sich so auszudrücken; „Die Männer sind verpflichtet, ihre Frauen so zu heben wie ihren eigenen Leib“ (Eph 5, 28). Damit kehrt das Motiv des „einen Fleisches“ wieder, das hier und im folgenden nicht nur wieder aufgegriffen, sondern auch erklärt wird. Wenn die Männer ihre Frauen wie ihren eigenen Leib heben, heißt das, daß diese einfache Subjektivität sich auf die doppelte gründet und keinen realen, sondern intentionalen Charakter hat: Der Leib der Frau ist nicht der des Mannes, aber dieser soll ihn heben wie seinen eigenen Leib. Es geht hier nicht um die Einheit im ontologischen, sondern im morahschen Sinn: um die Einheit in der Liebe. 6. „Wer seine Frau hebt, hebt sich selbst“ (28). Dieser Satz bestätigt noch einmal den Charakter der Einheit. Die Liebe macht das Ich des andern gewissermaßen zum eigenen Ich: Das Ich der Ehefrau wird sozusagen zum Ich des Ehemannes. Der Leib ist der Ausdruck dieses Ichs und die Grundlage seiner Identität. Die Einheit von Ehemann und Ehefrau in der Liebe drückt sich auch im Leib aus. Sie drückt sich in der wechselseitigen Beziehung aus, auch wenn der Verfasser des Epheserbriefs vor allem vom Mann spricht. Das ergibt sich schon aus der Struktur des Gesamtbildes. Wenn die Eheleute „einer dem andern sich unterordnen sollen in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus“ (wie es schon in Vers 21 erklärt wird), dann ist es trotzdem im folgenden vor allem der Ehemann, der Hebt, und die Frau ist jene, die geliebt wird. So darf man die Aussage wagen, daß die „Unterordnung“ der Frau unter den Mann, im Kontext verstanden, vor allem „Liebe beweisen“ bedeutet; es gilt um so mehr, als diese Unterwerfung in Analogie zur Unterwerfung der Kirche unter Christus steht, der ihr seine Liebe beweist. Die Kirche als Braut ist Objekt 160 Audienzen und Angelus der Erlöserliebe des Bräutigams Christus, sie wird sein Leib. Die Ehefrau wird als Objekt der Liebe des Ehemannes „ein Fleisch“ mit ihm, in gewissem Sinn sein „eigenes“ Fleisch. Der Verfasser wiederholt diesen Gedanken noch einmal im letzten Satz unseres Abschnitts: „Was euch angeht, so liebe jeder von euch seine Frau wie sich selbst, die Frau aber ehre den Mann“ (Eph 5, 33). 7. Das ist die moralische, von Liebe bestimmte und bedingte Einheit. Die Liebe eint nicht nur zwei Personen, sondern erlaubt ihnen, weil der eine dem andern im Geist gehört, bis zu dem Punkt eins zu werden, daß der Verfasser des Briefes sagen kann: „Wer seine Frau hebt, hebt sich selbst“ (V. 28). Das Ich wird gewissermaßen zum Du, und das Du zum Ich (im morahschen Sinn, versteht sich). Und deshalb heißt es im folgenden: „Keiner hat je seinen eigenen Leib gehaßt, sondern er nährt und pflegt ihn, wie auch Christus die Kirche. Denn wir sind Glieder seines Leibes“ (V. 29-30). Der Satz, der sich anfangs auf die Eheleute bezieht, greift dann wieder auf die Beziehung zwischen Christus und der Kirche zurück und macht so erst die ganze Aussage verständlich. Nachdem der Verfasser von Mann und Frau sagt, daß sie „ein Fleisch werden“, will er seine Behauptung noch einmal unterstreichen („wer seine Frau liebt, Hebt sich selbst“) und sie durch den Ausschluß des Gegenteils erneut unterstützen („keiner hat je seinen eigenen Leib gehaßt“, Eph 5, 29). In der Liebesver-einigung wird der Leib des anderen zum „eigenen“ in dem Sinn, daß man um den Leib des anderen wie um den eigenen besorgt ist. Indem die erwähnten Worte sich auf die fleischliche Liebe beziehen, die die Eheleute einen soH, drücken sie, so könnte man sagen, das Gemeinte allgemeiner und gleichzeitig wesenthcher aus. Sie sprechen von der Liebe vor aHem in der Sprache der Agape. 8. Der Ausdruck „er nährt und pflegt seinen eigenen Leib“ - d. h., der Ehemann nährt und pflegt den Leib seiner Frau wie seinen eigenen -scheint sich eher auf die Aufmerksamkeit der Eltern, auf das Schutzverhältnis, als auf die ehehche ZärtHchkeit zu beziehen. Die Begründung dafür muß vor allem in der Tatsache gesucht werden, daß der Verfasser hier deuthch von der Beziehung, die die Eheleute verbindet, zur Beziehung zwischen Christus und der Kirche übergeht. Die Ausdrücke, die sich auf die Sorge um den Leib, vor allem auf seine Ernährung beziehen, werden von vielen Exegeten als Hinweis auf die Eucharistie verstanden, in der Christus seine Kirche „nährt“. Wenn diese Ausdrücke, obgleich weniger deutüch, den spezifischen Charakter der eheüchen Liebe ausdrücken, spezieH jener Liebe, in der die Eheleute „ein Fleisch“ werden, helfen sie doch gleichzeitig, wenigstens im 161 Audienzen und Angelus allgemeinen, die Würde des Leibes begreifen und die sittliche Verpflichtung, für sein Wohl zu sorgen, für jenes Wohl, das seiner Würde entspricht. Der Vergleich mit der Kirche als Leib Christi, seiner Liebe als Erlöser und Bräutigam, muß im Bewußtsein der Empfänger des Epheser-briefs ein tiefes Empfinden für das „Heilige“ des menschlichen Leibes ganz allgemein und vor allem in der Ehe als dem Ort hinterlassen haben, in dem das Empfinden für das „Heilige“ in besonders tiefer Weise die gegenseitigen Beziehungen der Menschen bestimmt, vor ahem die des Mannes zur Frau als Ehefrau und Mutter ihrer Kinder. Unter dem Schleier eines Zeichens Ansprache bei der Generalaudienz am 8. September 1. Der Verfasser des Epheserbriefs schreibt: „Keiner hat je seinen eigenen Leib gehaßt, sondern er nährt und pflegt ihn, wie auch Christus die Kirche. Denn wir sind Gheder seines Leibes“ (Eph 5, 29-30). Nach diesem Vers hält es der Verfasser für angebracht, den Text zu zitieren, der in der ganzen Bibel als der grundlegende Text über die Ehe angesehen werden darf, nämlich die Stelle in Genesis, Kapitel 2, 24: „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Reisch sein“ {Eph 5, 31; Gen 2, 24). Aus dem unmittelbaren Zusammenhang des Epheserbriefes läßt sich schließen, daß die Zitierung aus dem Buch Genesis {Gen 2, 24) hier nicht deshalb notwendig ist, um an die Einheit der Ehegatten zu erinnern, wie sie „im Anfang“ im Schöpfungswerk festgelegt wurde, als vielmehr das Geheimnis Christi mit der Kirche darzustellen, aus dem der Verfasser des Briefes die Wahrheit über die Einheit der Ehegatten ableitet. Das ist der wichtigste Punkt des ganzen Textes, gewissermaßen sein krönender Schlußstein. Der Verfasser des Epheserbriefes schließt in diese Worte all das ein, was er zuvor gesagt hat, wenn er die Analogie zwischen der Einheit der Ehegatten und der Einheit Christi mit der Kirche aufzeigt. Mit der Wiedergabe der Worte aus dem Buch Genesis {Gen 2, 24) unterstreicht der Verfasser, daß die Grundlagen dieser Analogie auf der Linie zu suchen sind, die in Gottes Heüsplan die Ehe als älteste Enthüllung und Offenbarung jenes Planes in der geschaffenen Welt mit der endgültigen Enthüllung verbindet, das heißt mit der Offenbarung, daß „Christus die 162 Audienzen und Angelus Welt geliebt und sich für sie hingegeben hat“ (Eph 5, 25), wodurch er seiner Erlöserliebe den Charakter ehelicher Liebe verlieh. 2. Diese Analogie, die den Text des Epheserbriefs durchweht (5, 22-23), hat also ihre letzte Wurzel im Heilsplan Gottes. Das wird noch klarer und offensichtlicher, wenn wir den von uns analysierten Text in den Gesamtzusammenhang des Epheserbriefes stellen. Dann wird man leichter verstehen, warum der Verfasser nach der Zitierung der Worte aus dem Buch Genesis (Gen 2, 24) schreibt: „Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche“ (Eph 5, 32). Im Gesamtzusammenhang des Epheserbriefes und darüber hinaus im weiteren Zusammenhang der Worte der Heiligen Schrift, die Gottes Heilsplan „im Anfang“ offenbar machen, ist anzunehmen, daß der Ausdruck „mysterion“ „das Geheimnis“ bedeutet, das zunächst im göttlichen Denken verborgen war und dann in der Geschichte des Menschen offenbar wurde. Es handelt sich in der Tat um ein „tiefes“ Geheimnis, bedenkt man seine Bedeutung: Dieses Geheimnis als Heilsplan Gottes für die Menschheit ist gewissermaßen das zentrale Thema der ganzen Offenbarung, ihre zentrale Wirklichkeit. Es ist das, was Gott als Schöpfer und Vater in seinem Wort vor allem den Menschen mitteilen möchte. 3. Es ging darum, nicht nur die Frohbotschaft über das Heil mitzuteilen, sondern zugleich das Heilswerk als Frucht der Gnade, die den Menschen in der Verbundenheit mit Gott für das ewige Leben heiligt, zu beginnen. Auf dem Weg eben dieser Offenbarung und Verwirklichung betont der hl. Paulus die Kontinuität zwischen dem ältesten Bund, den Gott durch die Einsetzung der Ehe bereits im Schöpfungswerk herstellte, und dem endgültigen Bund, in dem Christus, der die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, sich mit ihr als Bräutigam entsprechend dem Bild von den Ehegatten verbindet. Diese Kontinuität der Heilsinitiative Gottes büdet die entscheidende Grundlage der großartigen Analogie im Epheserbrief. Die Kontinuität der Heilsinitiative Gottes bedeutet die Kontinuität und schließlich die Identität dieses „großen Geheimnisses“ in den verschiedenen Phasen seiner Offenbarung - also gewissermaßen seiner Enthüllung -und Verwirklichung zugleich; in der vom Gesichtspunkt der Geschichte des Menschen und des Heils aus „ältesten“ Phase und in der Phase, „als die Zeit erfüllt war“ (Gal 4, 4). 4. Kann man dieses „große Geheimnis“ als „Sakrament“ verstehen? Spricht der Verfasser des Epheserbriefes in dem von uns zitierten Text vielleicht vom Sakrament der Ehe? Wenn auch nicht direkt und im engeren Sinn - darin muß man mit der breiten Meinung der Exegeten und Theologen übereinstimmen -, so scheint er in diesem Text doch von den 163 Audienzen und Angelus Grundlagen des sakramentalen Charakters des ganzen christlichen Lebens und insbesondere von den Grundlagen der Sakramentalität der Ehe zu sprechen. Er spricht also von der Sakramentalität der gesamten christlichen Existenz in der Kirche und besonders der Ehe in indirekter Weise, doch in so grundlegender Weise wie möglich. 5. „Sakrament“ ist kein Synonym für „Geheimnis“.) Denn das Geheimnis bleibt verborgen - in Gott selbst verborgen so daß es auch nach seiner Verkündigung (oder Offenbarung) nicht aufhört, „Geheimnis“ zu heißen und auch als Geheimnis verkündigt wird. Das Sakrament setzt die Offenbarung des Geheimnisses voraus, und es setzt auch dessen gläubige Annahme durch den Menschen voraus. Zugleich ist es jedoch etwas mehr als die Verkündigung des Geheimnisses und seine Annahme durch den Glauben. Das Sakrament besteht in der Darstellung dieses Geheimnisses in einem Zeichen, das nicht nur zur Verkündigung des Geheimnisses dient, sondern auch zu seiner Verwirklichung im Menschen. Das Sakrament ist sichtbares und wirksames Zeichen der Gnade. Durch das Sakrament verwirklicht sich im Menschen jenes von Ewigkeit an in Gott verborgene Geheimnis, von dem der Epheserbrief gleich zu Beginn spricht (vgl. Eph 1,9)- das Geheimnis der Berufung des Menschen zur Heiligkeit in Christus durch Gott und das Geheimnis von seiner Bestimmung, von ihm als Kind angenommen zu werden. Das erfüllt sich auf geheimnisvolle Weise, unter dem Schleier eines Zeichens; trotzdem ist dieses Zeichen auch immer ein Sichtbarmachen jenes übernatürlichen Geheimnisses, das unter seinem Schleier im Menschen wirksam wird. 6. Bei der Betrachtung des hier analysierten Abschnittes aus dem Epheserbrief und besonders der Worte: „Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche“ muß man feststellen, daß der Verfasser des Briefes nicht nur von dem tiefen, in Gott verborgenen Geheimnis schreibt, sondern auch - und vor allem - von dem Geheimnis, das sich dadurch verwirklicht, daß Christus, der in seiner Erlöserliebe die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, sich in eben diesem Akt mit der Kirche als Bräutigam verbunden hat, so wie sich Mann und Frau in der vom Schöpfer eingesetzten Ehe miteinander verbinden. Die Worte des Epheserbriefes scheinen hinreichend zu begründen, was wir am Anfang der Konstitution Lumen gentium lesen: „ . . . Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Lumen gentium, Nr. 1). Es heißt in diesem Text des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht: „Die Kirche ist ein Sakrament“, sondern sie ist „gleichsam das Sakrament“, womit darauf hingewiesen wird, daß wir von 164 Audienzen und Angelus der Sakramentalität der Kirche in analoger und nicht identischer Weise sprechen müssen, wenn wir uns auf die sieben Sakramente beziehen, die von der Kirche durch die Einsetzung Christi verwaltet werden. Wenn die Grundlagen dafür bestehen, daß wir von der Kirche als „gleichsam einem Sakrament“ sprechen können, so sind diese Grundlagen eben zum größten Teil im Brief an die Epheser aufgezeigt worden. 7. Man kann sagen, daß dieser sakramentale Charakter der Kirche von allen Sakramenten dargestellt wird, durch welche sie ihre heiligmachende Sendung erfüllt. Man kann außerdem sagen, daß der sakramentale Charakter der Kirche Quelle der Sakramente und insbesondere der Taufe und der Eucharistie ist, wie sich aus dem bereits analysierten Abschnitt des Epheserbriefes (vgl. Eph 5, 25-30) ergibt. Schließlich müssen wir sagen, daß der sakramentale Charakter der Kirche in einer besonderen Beziehung zur Ehe - dem ältesten „Sakrament“ - steht. 0 Das „Sakrament“, der Zeichenbegriff unserer Betrachtungen, hat im Laufe der Jahrhunderte einen weiten Weg zurückgelegt. Die Bedeutungsgeschichte des Wortes „Sakrament“ muß ausgehen vom griechischen Wort „mysterion“, der, um die Wahrheit zu sagen, im Buch Judit noch die Kriegspläne des Königs bedeutet („geheime Beratung“, vgl. Jdt 2, 2), aber bereits im Buch der Weisheit (2, 22) und beim Propheten Daniel (2, 27) die schöpferischen Pläne Gottes und das Endziel, das er für die Welt bestimmt, also Geheimnisse, die nur den gläubigen Bekennem offenbar werden. In dieser Bedeutung scheint „mysterion“ in den Evangelien nur ein einziges Mal auf: „Euch ist das Geheimnis des Reiches Gottes anvertraut“ (Mk 4, 11). In den großen Briefen des hl. Paulus kommt jenes Wort siebenmal vor, wobei den Höhepunkt eine Stelle im Römerbrief bildet: „ .. . gemäß meinem Evangelium und der Botschaft von Jesus Christus, gemäß der Offenbarung jenes Geheimnisses, das seit ewigen Zeiten unausgesprochen war, jetzt aber . . . offenbart wurde“ (Röm 16, 25-26). In den späteren Briefen erfolgt die Identifikation des „mysterion“ mit dem Evangelium (vgl. Eph 6,19) und schließlich mit Jesus Christus selbst (vgl. Kol 2, 2; 4, 3; Eph 3,4), was einen Wendepunkt im Verständnis dieses Begriffes darstellt; „mysterion“ ist nicht mehr nur der ewige Plan Gottes, sondern die Verwirklichung des in Jesus Christus offenbar gewordenen Planes auf Erden. Deshalb begann man in der Zeit der Kirchenväter auch die geschichtlichen Ereignisse als „mysterion“ zu bezeichnen, durch die sich der göttliche Wille, den Menschen zu retten, kundtut. Bereits im 2. Jahrhundert werden in den Schriften des hl. Ignatius von Antiochia, des hl. Justinus und Melitons die Geheimnisse des Lebens Jesu, die Prophezeiungen und die symbolischen Bilder des Alten Testaments mit dem Begriff „mysterion“ bezeichnet. Im 3. Jahrhundert beginnen die ältesten lateinischen Übersetzungen der Heiligen Schrift zu erscheinen, in denen das griechische Wort sowohl mit dem Wort „mysterion“ wie auch mit dem Wort „sacramentum“ (z. B. Welsh 2, 22; Eph 5, 32) wiedergegeben wird, vielleicht um die klare Trennung von den heidnischen Mysterienkulturen und von der neuplatonisch-gnostischen Mystagogie zu unterstreichen. 165 Audienzen und Angelus Ursprünglich jedoch bedeutete „sacramentum“ den von den römischen Legionären geleisteten Fahneneid. Da man in diesem Ausdruck den Aspekt der „Einweihung in eine neue Lebensform“, „den vorbehaltlosen Einsatz“, „den treuen Dienst bis zum Wagnis des Todes“ erkennen konnte, hob Tertullian diese Dimensionen im christlichen Sakrament der Taufe, der Firmung und Eucharistie hervor. Im 3. Jahrhundert wird der Begriff „sacramentum“ daher sowohl auf das Geheimnis des Heilsplanes Gottes in Christus (vgl. z.B. Eph 5, 32) als auch auf seine konkrete Verwirklichung durch die sieben Quellen der Gnade angewandt, die wir heute als „Sakrament der Kirche“ bezeichnen. Der hl. Augustinus, der sich der verschiedenen Bedeutungen dieses Begriffes bediente, nannte Sakramente die religiösen Riten des Alten und des Neuen Bundes, die Symbole und biblischen Bilder wie auch die offenbarte christliche Religion. Alle diese „Sakramente“ haben nach dem hl. Augustinus teil an dem großen Sakrament: dem Geheimnis von Christus und der Kirche. Auf die weitere Präzisierung des Begriffes „sacramentum“ nahm der hl. Augustinus dadurch Einfluß, daß er hervorhob, daß die Sakramente heilige Zeichen sind, die in sich Ähnlichkeit mit dem haben, was sie bedeuten, und die das vermitteln, was sie bedeuten. Er trug also mit seinen Analysen zur Erarbeitung einer klaren Schuldefinition des Begriffes Sakrament bei: „signum efficax gratiae“, „wirksames Zeichen der Gnade“. Der hl. Isidor von Sevilla (7. Jahrhundert) unterstrich dann einen anderen Aspekt: die geheimnisvolle Natur des Sakraments, die unter dem Schleier materieller Dinge das Wirken des Heiligen Geistes in der Seele des Menschen verbirgt. Die theologischen „Summen“ des 12. und 13. Jahrhunderts formulieren bereits die systematischen Definitionen der Sakramente, besondere Bedeutung aber kommt der Definition des hl. Thomas zu: „Non omne signum rei sacrae est sacramentum, sed solum ea quae significant perfectionem sanctitatis humanae“ (3a qu. 60 a.2). „Nicht jedes Zeichen für eine heilige Sache ist ein Sakrament, sondern nur die, welche die Vervollkommnung menschlicher Heiligkeit bezeichnen.“ Von da an wurde als „Sakrament“ ausschließlich eine der sieben Gnadenquellen verstanden, und die Studien der Theologen galten der Vertiefung des Wesens und Wirkens der sieben Sakramente; in systematischer Weise wurden die hauptsächlichen in der scholastischen Überlieferung enthaltenen Linien ausgearbeitet. Erst im vergangenen Jahrhundert wurde den Aspekten des Sakraments Aufmerksamkeit geschenkt, die im Laufe der Jahrhunderte unbeachtet geblieben waren, zum Beispiel seiner ekklesiologischen Dimension und der persönlichen Begegnung mit Christus, zwei Aspekte, die in der Liturgiekonstitution (Sacrosanctum Concilium, Nr. 59) Ausdruck gefunden haben. Das Zweite Vatikanische Konzil kehrt jedoch vor allem zur ursprünglichen Bedeutung von „sacramentum - mysterium“ zurück, wenn es die Kirche „allumfassendes Heilssakrament“ nennt (Lumen gentium, Nr. 48), Sakrament, das heißt „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ {Lumen gentium, Nr. 1). Das Sakrament wird hier - entsprechend seiner ursprünglichen Bedeutung - als Verwirklichung des auf die Erlösung der Menschheit gerichteten ewigen Heilsplanes Gottes verstanden. 166 Audienzen und Angelus „Denn dein Schöpfer ist dein Gemahl“ Ansprache bei der Generalaudienz am 15. September 1. Wir haben den Text aus dem Epheserbrief (5, 22-23) vor uns, mit dessen Analyse wir uns wegen seiner Bedeutung für das Problem von Ehe und Sakrament schon seit einiger Zeit beschäftigen. Als ganzes handelt der Brief vom ersten Kapitel an vor allem von dem „von Ewigkeit an in Gott verborgenen“ Geheimnis als einer dem Menschen ewig zugedachten Gabe. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel. Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott; er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen, zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn“ (Eph 1, 3-6). 2. Bis dahin ist von dem Geheimnis die Rede, das „von Ewigkeit her“ (Eph 3, 9) in Gott verborgen war. Die nachfolgenden Sätze führen den Leser in die Phase der Verwirklichung jenes Geheimnisses in der Geschichte des Menschen ein. Die „von Ewigkeit her“ in Christus für ihn bestimmte Gabe wird in eben diesem Christus realer Anteil des Menschen: „ . . . durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade. Durch sie hat er uns mit aller Weisheit und Einsicht reich beschenkt und hat uns das Geheimnis seines Willens kundgetan, wie er es gnädig im voraus bestimmt hat: Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen, in Christus alles zu vereinen, was im Himmel und auf Erden ist“ {Eph 1, 7-10). 3. So ist das ewige Geheimnis aus seinem „Verborgensein in Gott“ in die Phase der Offenbarung und Verwirklichung eingetreten. Christus, in dem die Menschheit „von Ewigkeit her“ auserwählt und gesegnet war „mit allem Segen des Geistes“ des Vaters - Christus, der nach dem ewigen „Heüsplan“ Gottes dazu bestimmt war, daß in ihm als dem Haupt „alles, was im Himmel und auf Erden ist, vereint werden sollte“, in eschatologi-scher Sicht -, enthüllt das ewige Geheimnis und verwirklicht es unter den Menschen. Deshalb ermahnt der Verfasser des Epheserbriefes im folgenden jene, die diese Offenbarung erreicht hat, und alle, die sie im Glauben angenommen haben, ihr Leben im Geist der erkannten Wahrheit zu gestalten. Ganz besonders fordert er dazu die christlichen Eheleute auf. 167 Audienzen und Angelus 4. Der Brief wird dann inhaltlich größtenteils zur Unterweisung oder Paränese. Der Verfasser scheint vor allem von den moralischen Aspekten der christlichen Berufung zu sprechen, wobei er sich jedoch ständig auf das Geheimnis bezieht, das kraft der Erlösung Christi in den Christen bereits wirksam ist - und vor allem kraft der Taufe zur vollen Wirkung gelangt. Er schreibt: „Durch ihn habt auch ihr das Wort der Wahrheit gehört, das Evangelium von eurer Rettung; durch ihn habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr den Glauben annahmt“ {Eph 1, 13). Somit bleiben also die moralischen Aspekte der christlichen Berufung nicht nur mit der Offenbarung des ewigen göttlichen Geheimnisses in Christus und seiner Annahme im Glauben verknüpft, sondern auch mit der sakramentalen Ordnung, die zwar nicht im ganzen Brief im Vordergrund steht, doch auf diskrete Weise präsent zu sein scheint. Es kann ja übrigens gar nicht anders sein, da der Apostel an Christen schreibt, die durch die Taufe Glieder der kirchlichen Gemeinschaft geworden sind. Unter diesem Gesichtspunkt kommt dem bereits analysierten Abschnitt des Epheserbriefes (5, 22-23) wohl eine besondere Bedeutung zu. Denn er wirft Licht auf die grundlegende Beziehung des Geheimnisses zum Sakrament und insbesondere den sakramentalen Charakter der Ehe. 5. Im Zentrum des Geheimnisses steht Christus. In ihm - gerade in ihm -ist die Menschheit von Ewigkeit her „mit allem Segen des Geistes“ gesegnet. In ihm - in Christus - war die Menschheit erwählt „vor der Erschaffung der Welt“, erwählt „in der Liebe“ und zur Gotteskindschaft vorherbestimmt. Wenn dann in der „Fülle der Zeiten“ dieses ewige Geheimnis verwirklicht wird, verwirklicht sich das auch in ihm und durch ihn; in Christus und durch Christus. Durch Christus wird das Geheimnis der göttlichen Liebe offenbar. Durch ihn und in ihm wird es zur Erfüllung gebracht: in ihm „haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden ..." (Eph 1, 7). So werden die Menschen, die im Glauben die ihnen in Christus angebotene Gabe annehmen, wirklich zu Teilhabern an diesem ewigen Geheimnis, obgleich es in ihnen unter dem Schleier des Glaubens wirksam wird. Dieses übernatürliche Geschenk der Früchte der von Christus vollbrachten Erlösung nimmt nach dem Epheserbrief (5, 22-23) den Charakter der Vermählung Christi mit der Kirche an, ähnlich der Vermählung der Ehegatten. Also nicht nur die Früchte der Erlösung sind ein Geschenk, sondern vor allem Christus selbst ist es: Er gibt sich selbst der Kirche als seiner Braut hin. 6. Wir müssen die Frage stellen, ob uns in diesem Punkt die Analogie nicht erlaubt, tiefer und präziser in den wesentlichen Gehalt des Geheim- 168 Audienzen und Angelus nisses vorzudringen. Wir müssen uns diese Frage um so mehr stellen, als dieser „klassische“ Abschnitt des Epheserbriefes (5, 22-23) nicht abstrakt und isoliert erscheint, sondern eine Kontinuität, gewissermaßen eine Folge der Aussagen des Alten Testaments darstellt, die die Liebe Gottes-Jahwe zu dem von ihm auserwählten Volk Israel in derselben Analogie schildern. Es handelt sich in erster Linie um die Texte der Propheten, die in ihre Reden das Bild der bräutlichen Liebe eingeführt haben, um die Liebe Jahwes gegenüber Israel, die Liebe, die beim auserwählten Volk kein Verständnis und keine Erwiderung findet, ja im Gegenteil auf Untreue und Verrat stößt, besonders zu charakterisieren. Ausdruck von Untreue und Verrat war vor allem der Götzendienst, die Verehrung fremder Gottheiten. 7. In Wahrheit ging es in den meisten Fällen darum, auf dramatische Weise eben den Verrat und die Untreue, die als „Ehebruch“ Israels bezeichnet werden, zu enthüllen; doch allen diesen Aussagen der Propheten liegt die klare Überzeugung zugrunde, daß die Liebe Jahwes zu seinem auserwählten Volk mit der Liebe verglichen werden kann und muß, die Bräutigam und Braut vereinen, die Liebe, die die Ehegatten vereinen soll. Man müßte hier zahlreiche Stellen aus den Propheten Jesaja, Hosea und Ezechiel anführen (einige davon haben wir bereits früher zitiert, als wir vor dem Hintergrund der Worte Christi in der Bergpredigt den Begriff „Ehebruch“ analysierten). Man darf nicht vergessen, daß zum Erbe des Alten Testaments auch das Hohelied gehört, wo das Bild der bräutUchen Liebe zwar ohne die typische Analogie der prophetischen Texte beschrieben wird, die in dieser Liebe das Büd der Liebe Jahwes zu Israel darstellten, aber auch ohne jenes negative Element, das in den anderen Texten das Motiv des „Ehebruchs“ oder der Untreue bildet. Die Analogie von Bräutigam und Braut, die es dem Verfasser des Epheserbriefes erlaubte, die Beziehung Christi zur Kirche zu erläutern, besitzt also eine reiche Tradition in den Büchern des Alten Bundes. Wir können daher nicht umhin, bei der Analyse dieser Analogie in diesem „klassischen“ Text des Epheserbriefes jene Uberheferung zu berücksichtigen. 8. Um diese Tradition zu erläutern, beschränken wir uns für heute darauf, einen Abschnitt aus Jesaja anzuführen. Der Prophet sagt: „Fürchte dich nicht, du wirst nicht beschämt; verzage nicht, du wirst nicht enttäuscht. Daß man deine jugendliche Schönheit verachtet hat, wirst du vergessen, an die Schande deiner Witwenschaft wirst du nicht mehr denken. Denn dein Schöpfer ist dein Gemahl. ,Herr der Heere“ wird er genannt. Der heilige Gott Israels ist dein Befreier, ,Gott der ganzen Erde“ wird er 169 Audienzen und Angelus genannt. Der Herr hat dich gerufen, eine verlassene, bekümmerte Frau. Kann man denn die Frau verstoßen, die man in der Jugend geliebt hat? spricht dein Gott. Nur für eine kleine Weile habe ich dich verlassen, doch voller Erbarmen hole ich dich zurück. I ... I Meine Gnade wird nie von dir weichen und der Bund meines Friedens nicht wanken, spricht der Herr, der Erbarmen hat mit dir“ (Jes 54, 4-7.10). Bei unserer nächsten Begegnung werden wir mit der Analyse dieses Jesaja-Textes beginnen. Libanon: endlich Frieden ohne Haß und Gewalt Wort bei der Generalaudienz vom 15. September zum Tod des gewählten Präsidenten Gemayel Brüder und Schwestern! Ich bin von tiefem Schmerz erfüllt über den Tod von Bechir Gemayel, dem designierten Präsidenten des Libanon, der gestern Opfer eines unmenschlichen Attentats wurde, das überdies noch viele weitere Tote und Verwundete forderte. Im Geist innigen Gebets und in herzlicher Teilnahme an ihrem Schmerz schließe ich mich der Familie des Präsidenten und den Familien der anderen Opfer sowie der Trauer des ganzen Libanon an, der außer von den Tragödien dieser letzten Jahre nun noch von einer anderen, nicht weniger schweren betroffen wurde in der Person dessen, der bestimmt war, seine Geschicke zu lenken. Von einer so grausamen Tat kann ich nur voll Abscheu sprechen. Ich trauere um das auf barbarische Weise gewaltsam beendete Leben eines jungen, angesehenen Mannes und seiner Mitarbeiter, und als Oberhaupt der Katholiken trauere ich um einen Sohn der maronitischen Gemeinde. Der Apostolische Nuntius in Beirut hat mir mitgeteilt, daß bei einer Begegnung, die er gestern wenige Stunden vor dem Attentat mit Präsident Gemayel hatte, dieser sich gedrängt fühlte, dem Vertreter des Papstes gegenüber zu bekräftigen, er betrachte sich als „treuer Sohn der Kirche“. Ich kann im übrigen meine Sorge um die Folgen nicht verbergen, die dieses dramatische Geschehen für den Libanon selbst und für die leidgeprüften Länder des Nahen Ostens haben könnte. 170 Audienzen und Angelus Ich möchte mich hier an alle Libanesen wenden, an die Christen und Nichtchristen, und sie mit väterlicher Sorge und Liebe ermahnen, sie mögen diese tragischen Ereignisse zum Anlaß nehmen, ihre Beziehungen untereinander zu verstärken, sich zum Wohl des Vaterlandes zu vereinen und unter keinen Umständen zuzulassen, daß gewaltsame Reaktionen oder Spaltungen aufkommen. Der Libanon muß Ruhe und Frieden und die Souveränität über sein ganzes Gebiet unter Beachtung der gesetzlichen Autorität wiederfinden. Im Hinblick auf dieses Ziel braucht das Land die loyale und wirksame Zusammenarbeit all seiner völkischen und religiösen Komponenten. In diesen Wochen wird nach dem Ende der tragischen Belagerung von Beirut eine intensive diplomatische Tätigkeit aufgenommen, um Vorschläge zu beschleunigten Verhandlungen auszuarbeiten und einer globalen Lösung des Nahostkonflikts den Weg zu bereiten. Der Hl. Stuhl verfolgt mit aufmerksamem Interesse diese Initiativen und zollt jedem Bemühen seine Anerkennung, das darauf hinzielt, den Dialog und die Verhandlungen zu begünstigen und endlich zu einer Beilegung des Konflikts zu kommen. Er möchte mit den Mitteln, die seiner Natur und seiner Sendung entsprechen, dazu auf der Ebene der moralischen Prinzipien seinen Beitrag leisten, indem er diese den konkreten Gegebenheiten gegenüberstellt, um auf die Forderungen hinzuweisen, die man nach seiner Ansicht bei der Suche nach friedlichen Lösungen beachten müßte. Der Hl. Stuhl ist vor allem davon überzeugt, daß es keinen wahren Frieden ohne Gerechtigkeit geben kann und daß es keine Gerechtigkeit geben kann, wenn nicht die Rechte aller beteiligten Völker auf stabile, angemessene und gerechte Weise anerkannt und festgelegt werden. Zu diesen Rechten gehört das vorrangige und unumgängliche Recht auf Leben und Sicherheit in einem eigenen Territorium unter Berücksichtigung der Identität jedes einzelnen. Es ist das ein Dilemma, das sich in scharfer Form zwischen zwei Völkern abspielt, dem israelischen und dem palästinensischen, die gleichzeitig oder abwechselnd diese ihre Rechte angegriffen oder nicht respektiert sahen. Der Papst und die katholische Kirche blicken mit Sympathie und Achtung auf beide Völker, Erben und Hüter verschiedener religiöser, geschichtlicher und kultureller Traditionen, aber beide reich an achtbaren Werten. Vor einigen Monaten habe ich beim Angelusgebet am Sonntag, 4. April, die genaue Frage zu stellen gewagt: „Ist es irreal, nach so vielenEnttäuschungen zu wünschen, daß jedes dieser beiden Völker eines Tages die Existenz und Realität des anderen anerkennt und dadurch den Weg zu einem Dialog 171 Audienzen und Angelus findet, der beide zu einer Lösung führt, durch die sie in Frieden und Freiheit ihrer Würde entsprechend leben können, indem sie einander den Einsatz der Toleranz und der Versöhnung schenken?“ Heute wiederhole ich diese Frage mit größerem Nachdruck und auch mit dem Vertrauen, daß die schmerzvolle Erfahrung dieser Monate die positive Antwort auf beiden Seiten beschleunigt, die durch die Solidarität und Zusammenarbeit der mit ihnen verbundenen Länder zu ermutigen und zu unterstützen sind, wobei jede Kriegs- und Gewaltmaßnahme und alle Formen des bewaffneten Kampfes, von denen sich in der Vergangenheit einige als besonders schonungslos und unmenschlich erwiesen haben, abgelehnt werden. Höhepunkt dieses mühsamen Friedensweges zur Versöhnung und zur Begegnung zwischen verschiedenen Völkern scheint mir als leuchtender Richtungsweiser, der zum gegenseitigen Verstehen und zur Liebe einlädt, die Heilige Stadt Jerusalem zu sein, die Stadt Gottes, die er zum Gegenstand seines Wohlgefallens gemacht und wo er die großen Mysterien seiner Liebe zum Menschen geoffenbart hat. Jerusalem kann auch die Stadt des Menschen werden, in der die Anhänger der drei großen monotheistischen Religionen - des Christentums, des Judentums und des Islams - in voller Freiheit und Gleichheit mit denen der anderen Religionsgemeinschaften Zusammenleben unter der anerkannten Garantie, daß diese Stadt das geheiligte Erbe aller ist, wo sie das vornehmste Tun des Menschen vollziehen können: die Anbetung des einen Gottes, die Meditation und die Werke der Brüderlichkeit. Ich bitte den Herrn und lade euch ein, es mit mir zu tun, daß für den ganzen Nahen Osten und besonders für Jerusalem, für das Heilige Land und für den Libanon diese brennende Sehnsucht, dieser Wunsch nach Frieden Wirklichkeit werden möge. „Es gibt keine Worte für dieses Massaker“ Ansprache zum Angelus am 19. September Mit einem Gefühl voll Bitterkeit und tiefem Schmerz habe ich die Nachricht von den grauenvollen Massakern in den Palästinenserlagern von Beirut erfahren. Man spricht von Hunderten von Opfern: Kinder, Frauen und alte Menschen, die vorsätzlich getötet wurden. 172 Audienzen und Angelus Es gibt keine Worte, mit denen man diese Verbrechen, die im menschlichen und christlichen Gewissen Abscheu erregen, verurteilen kann. Wie sollte man nicht tief betroffen sein angesichts dieses entsetzlichen Ausbruchs der Mächte des Bösen und der Spirale der Gewalttätigkeit, die sich in der Welt ausbreitet? Ich bitte den allmächtigen Gott, daß er den Opfern den ewigen Frieden schenken möge; ich bitte den barmherzigen Herrn, daß er Mitleid mit unserer Menschheit habe, die sich zu solchen Auswüchsen der Barbarei hinreißen Heß. Gott möge den Geist der Völker und ihrer verantwortlichen Führer erleuchten und leiten, damit es ihnen gelingt, diese Kette aus Tod und Haß zu durchbrechen und mit neuem Eifer den Dialog und die Verhandlungen wiederaufzunehmen, um zum ersehnten Frieden und zur Aussöhnung im Nahen Osten zu gelangen. (In einer kurzen Katechese zur Sonntagsliturgie hatte der Papst zuvor folgendes gesagt:) 1. „Wer der erste sein wiH, soll der letzte von allen und der Diener aller sein“ (Mk 9, 35). Diese Worte hat der Herr Jesus zu seinen Aposteln gesprochen. Daran erinnert uns die heutige Sonntagsliturgie. Wir finden uns hier zusammen, um den „Engel des Herrn“ zu beten, und haben diesen Satz im Gedächtnis, wenn wir unsere besondere Aufmerksamkeit den Worten Mariens zuwenden wollen: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1, 38). Die Magd des Herrn. So hat sich die Jungfrau aus Nazaret im AugenbUck der Verkündigung selbst bezeichnet. Durch das Werk des Heüigen Geistes ist sie Mutter des Gottessohnes geworden. Das war die größte Erhöhung, die der Mensch erreichen konnte. Und gerade angesichts dieser Erhöhung nennt Maria sich Magd; Magd des Herrn! Wie tief prägt sich doch ihr Dienst in das Geheimnis der Erhöhung durch die götthche Mutterschaft ein! Wie treu ist von Anfang an die Mutter dem Sohn, der eines Tages zu den Aposteln sagt: „Wer der erste sein will, soll. . . der Diener aller sein“! 2. Liebe Brüder und Schwestern, Bewohner von Castel Gandolfo und Pilger, die ihr euch jeden Sonntag hier einfindet! Während der letzten beiden Monate haben wir an einer Reihe von Sonntagen über das Geheimnis der Menschwerdung und die Worte der „Magd des Herrn“ 173 Audienzen und Angelus nachgedacht, wenn wir hier zum gemeinsamen Gebet des „Engel des Herrn“ zusammengekommen sind. Dafür möchte ich euch allen danken. Die Christen haben seit Generationen den „Engel des Herrn“ geliebt, zu dem uns die Kirchenglocken täglich am Morgen, zu Mittag und am Abend einladen. Durch dieses Gebet ist die Muttergottes geistig in besonderer Weise unter uns. Sie nimmt die Verkündigung Gabriels an und antwortet darauf mit dem Wort tiefen Glaubens: „Selig ist die, die geglaubt hat“ (Lk 1, 45). In diesem ungewöhnlichen Gebet ist Maria als Magd des Herrn gegenwärtig: auserwählt zum höchsten Dienst an der Erlösung. Denn nach dem ewigen Plan der Liebe sollte die Erlösung durch die Menschwerdung des Sohnes vollbracht werden. Die Magd des Herrn, die wir beim Gebet des Angelus umstehen, will unablässig allen dienen. Und sie dient, indem sie die Früchte des ewigen Heils allen Herzen nahebringt. Danken wir ihr dafür. Danken wir ihr fortwährend. 3. Wenn wir jeden Sonntag zum Gebet des Angelus in dieser vielsprachigen Gemeinschaft Zusammenkommen, verkünden wir die großen Werke Gottes. Wir verkünden das Evangelium. Das Evangelium wird ja in der Tat besonders durch das Wort des Gebets verkündet. Gott hat uns durch sein Evangelium dazu berufen, „die Herrlichkeit Jesu Christi, unseres Herrn, zu erlangen“ - so die Worte des zweiten Thessalo-nicherbriefes (2 Thess 2, 14). Mögen sich diese Worte an allen erfüllen, die in irgendeiner Weise durch das gemeinsame Gebet des Angelus das Evangelium verkünden. Ein Schwur zu ewiger Treue Ansprache bei der Generalaudienz am 22. September 1. In der Analogie der Beziehung zwischen Christus und der Kirche mit der Beziehung der Ehegatten zueinander greift der Epheserbrief auf die Uberheferung der Propheten des Alten Testaments zurück. Um das zu veranschaulichen, führen wir den folgenden Jesaja-Text an: „Fürchte dich nicht, du wirst nicht beschämt; verzage nicht, du wirst nicht enttäuscht. 174 Audienzen und Angelus Daß man deine jugendliche Schönheit verachtet hat, wirst du vergessen, an die Schande deiner Witwenschaft wirst du nicht mehr denken. Denn dein Schöpfer ist dein Gemahl, Herr der Heere wird er genannt. Der heilige Gott Israels ist dein Befreier, Gott der ganzen Erde wird er genannt. Der Herr hat dich gerufen, eine verlassene, bekümmerte Frau. Kann man denn die Frau verstoßen, die man in der Jugend geliebt hat?, spricht dein Gott. Nur für eine kleine Weile habe ich dich verlassen, doch voller Erbarmen hole ich dich zurück. Einen Augenblick nur verbarg ich vor dir mein Gesicht in grollendem Zorn; aber in meiner ewigen Gnade habe ich Erbarmen mit dir, spricht der Herr, dein Befreier. Wie in den Tagen Noahs soll es sein: So wie ich damals schwor, daß die Erde nie mehr überschwemmt werden solle, so schwöre ich jetzt, dir nie mehr zu zürnen und dich nie mehr zu schelten. Auch wenn die Berge von ihrem Platz weichen und die Hügel zu wanken beginnen - meine Gnade wird nie von dir weichen und der Bund meines Friedens nicht wanken, spricht der Herr, der Erbarmen hat mit dir“ (/es 54, 4-10). Eine biblische Analogie 2. Der Jesaja-Text enthält in diesem Fall keine Vorwürfe gegenüber Israel als einer untreuen Braut, die in anderen Texten, besonders bei Hosea und Ezechiel, mit solchem Nachdruck vorgebracht werden. Dadurch wird der wesentliche Gehalt der biblischen Analogie durchsichtiger: die Liebe des Gottes Jahwe zu Israel, dem auserwählten Volk, wird als Liebe des Bräutigams zu der Frau geschildert, die er durch den Ehebund zu seiner Gemahlin machen möchte. Auf diese Weise erklärt Jesaja die Ereignisse der Geschichte Israels, indem er auf das sozusagen im Herzen Gottes selbst verborgene Geheimnis zurückgreift. Er führt uns gewissermaßen in dieselbe Richtung, in die uns viele Jahrhunderte später der Verfasser des Epheserbriefes führt, der nach der in Christus bereits vollbrachten Erlösung die Tiefe dieses Geheimnisses noch vollständiger enthüllen wird. 3. Der Text des Propheten ist ganz von der Tradition und der Denkweise der Menschen des Alten Testaments geprägt. Der Prophet, der im Namen Gottes und sozusagen mit dessen Worten spricht, wendet sich an Israel wie der Bräutigam an die von ihm erwählte Braut. Diese Worte strömen von echter Liebesglut über und unterstreichen zugleich die Einzigartigkeit der Situation und der Denkweise jener Zeit. Sie betonen, daß die Erwählung durch den Mann die „Schande“ von der Frau hinwegnimmt, die nach der damals in der Gesellschaft herrschenden Auffassung dem Unverheira- 175 Audienzen und Angelus tetsein anzuhaften schien, und zwar sowohl der unverheirateten Frau wie der Witwe, aber ebenso der von ihrem Mann verstoßenen Frau (vgl. Dtn 24, 1) wie der untreuen Frau. Doch der zitierte Text erwähnt die Untreue nicht; er hebthingegen das Motiv der erbarmenden Liebe hervor), womit er nicht nur auf den sozialen Charakter der Ehe im Alten Bund hinweist, sondern auch auf den Charakter des Geschenks der Liebe Gottes zu seiner Braut Israel: ein Geschenk, das ganz der Initiative Gottes entspringt. Mit anderen Worten: Er weist hin auf die Dimension der Gnade, die in dieser Liebe von Anfang an enthalten ist. Es ist dies vielleicht die stärkste Liebeserklärung Gottes, verbunden mit dem feierlichen Schwur zu ewiger Treue. 4. Die Analogie mit der Liebe, welche die Eheleute miteinander verbindet, wird in diesem Abschnitt stark betont. Jesaja sagt: „ . . . Dein Schöpfer ist dein Gemahl, Herr der Heere wird er genannt. Der heilige Gott Israels ist dein Befreier, Gott der ganzen Erde wird er genannt“ (Jes 54, 5). So wird also in diesem Text Gott selber in seiner ganzen Majestät als Schöpfer und Herr der Schöpfung ausdrücklich „Gemahl“ des auserwählten Volkes genannt. Dieser „Gemahl“ spricht von seiner großen Liebe, die" von seiner Braut Israel nicht „weichen“, sondern einen festen Grund für den „Bund des Friedens“ mit ihr bilden wird. So wird das Motiv der bräutlichen Liebe und der Ehe mit dem Motiv des Bundes verknüpft. Außerdem nennt sich der „Herr der Heere“ selbst nicht nur „Schöpfer“, sondern auch „Erlöser“. Der Text ist theologisch außerordentlich reichhaltig. 5. Wenn wir den Jesaja-Text mit dem Epheserbrief vergleichen und die Kontinuität bezüglich der Analogie der bräutlichen Liebe und der Ehe feststellen, müssen wir gleichzeitig eine gewisse Verschiedenheit der theologischen Sichtweise hervorheben. Der Verfasser des Briefes spricht bereits im ersten Kapitel vom Geheimnis der Liebe und der Erwählung, mit dem der „Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus“ die Menschen in seinem Sohn umarmt, vor allem als einem „in Gott verborgenen“ Geheimnis. Es ist das Geheimnis der väterlichen Liebe, das Geheimnis der Erwählung zur Heiligkeit („damit wir heilig und untadelig leben vor Gott“: Eph 1, 4) und der Gotteskindschaft in Christus („er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus“: Eph 1, 5). In diesem Zusammenhang scheint die Schlußfolgerung des Vergleichs in bezug auf die Ehe, die wir bei Jesaja gefunden haben („dein Schöpfer ist dein Gemahl, Herr der Heere wird er genannt“: ') Im hebräischen Text haben wir die Worte hesed-rahamim, die mehr als einmal zusammen auftreten. 176 Audienzen und Angelus Jes 54, 5), eine Verkürzung der theologischen Sicht zu sein. Die erste Dimension der Liebe und der Erwählung als von Ewigkeit her in Gott verborgenes Geheimnis ist eine väterliche und keine „eheliche“ Dimension. Nach dem Epheserbrief ist das erste charakteristische Merkmal jenes Geheimnisses verbunden mit der Vaterschaft Gottes; wie sie von den Propheten besonders herausgestellt wurde (vgl. Hos 11, 1-4; Jes 63, 8-9; 64, 7: Mal 1, 6). 6. Die Analogie mit der bräutlichen Liebe und der Ehe wird nur dann sichtbar, wenn der „Schöpfer“ und „heilige Gott Israels“ aus dem Jesaja-Text sich als „Erlöser“ kundtut. Jesaja sagt: „Dein Schöpfer ist dein Gemahl, Herr der Heere wird er genannt. Der heilige Gott Israels ist dein Befreier“ {Jes 54, 5). Bereits aus diesem Text läßt sich in gewissem Sinne die Parallele zwischen dem „Gemahl“ und dem „Erlöser“ herauslesen. Wenn wir zum Epheserbrief übergehen, dürfen wir feststellen, daß eben dort dieser Gedanke voll entfaltet wird. Die Gestalt des „Erlösers“ <11>) zeichnet sich bereits im ersten Kapitel als die Gestalt dessen ab, der der eingeborene „geliebte Sohn“ des Vaters ist {Eph 1, 6), geliebt von Ewigkeit her: der, in dem wir alle „von Ewigkeit“ her vom Vater geliebt sind. Es ist der Sohn, der gleichen Wesens mit dem Vater ist, „in dem wir durch sein Blut die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade“ {Eph 1, 7). Derselbe Sohn hat als Christus (oder als Messias) „die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben“ {Eph 5, 25). Diese großartige Formulierung des Epheserbrief es faßt die Elemente des Liedes vom Gottesknecht und des Liedes Zions in sich zusammen und unterstreicht sie zugleich (vgl. z.B. Jes 42, 1; 53, 8-12; 54, 8). <11>) Obwohl in den ältesten Büchern der Bibel der „Erlöser“ (hebr. go’el) die Person bezeichnet, die durch Blutsbande dazu verpflichtet ist, den getöteten Verwandten zu rächen (vgl. z.B. Num 35, 19), dem unglücklichen Verwandten zu helfen (vgl. z.B. RutA, 6) und vor allem ihn aus der Sklaverei loszukaufen (vgl. z.B. Lev 25, 48), so wird im Laufe der Zeit diese Analogie auf Jahwe angewandt, „der Israel aus dem Sklavenhaus freigekauft hat, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten“ (Dtn 7, 8). Besonders im Deuterojesaja wird der Akzent von der Handlung des Loskaufens auf die Person des Erlösers verlegt, der persönlich Israel rettet, sozusagen durch seine bloße Anwesenheit, „ohne Lösegeld oder Geschenke“ (Jes 45, 13). Der Übergang vom Erlöser in der Prophezeiung Jes 54 zum Epheserbrief hat darum dieselbe Begründung für die Anwendung der Texte des Liedes vom Gottesknecht im genannten Brief (vgl. Jes 53, 10-12; Eph 5, 23. 25-26). Und so ist die Selbsthingabe Christi für die Kirche gleichbedeutend mit der Erfüllung des Erlösungswerkes. Auf diese Weise wird der „Schöpfer und Herr der Heere“ aus dem Jesaja-Text als Erlöser zum „heiligen Gott Israels“, und zwar des „neuen Israel“. Im Epheserbrief wird die theologi- 177 Audienzen und Angelus sehe Sicht des Propheten-Textes bewahrt, aber zugleich vertieft und verändert. Es treten neue Offenbarungsmomente hinzu: das trinitarische, das christologische <12>) und schließlich das eschatologische Moment. <12>) Anstelle der Beziehung Gott - Israel führt Paulus die Beziehung Christus-Kirche ein, wobei er alles, was sich im Alten Testament auf Jahwe (Adonai - Kyrios) bezieht, auf Christus anwendet. Christus ist Gott, aber Paulus wendet auf ihn ebenso alles an, was sich in den vier Liedern (JesA2\49; 50; 52-53), die in der Zeit zwischen den beiden Testamenten in messianischem Sinn ausgelegt wurden, auf den Gottesknecht, den Knecht Jahwes, bezieht. Das Motiv von Haupt und Leib ist nicht biblischer, sondern wahrscheinlich hellenistischer (stoischer?) Herkunft. Im Epheserbrief wird das Thema im Zusammenhang mit der Ehe verwendet (während im ersten Korintherbrief das Thema vom Leib dazu dient, die in der Gesellschaft herrschende Ordnung aufzuzeigen). Vom biblischen Standpunkt aus ist die Einführung dieses Motivs etwas absolut Neues. 7. Deshalb wird der hl. Paulus, wenn er den Brief an das Gottesvolk des Neuen Bundes, und zwar an die Kirche in Ephesus schreibt, nicht mehr wiederholen: „Dein Schöpfer ist dein Gemahl“, sondern er wird zeigen, auf welche Weise der „Erlöser“, der der eingeborene und von Ewigkeit her „vom Vater geliebte“ Sohn ist, gleichzeitig seine Heilshebe, die in seiner Hingabe für die Kirche besteht, als eheliche Liebe offenbart, mit der er sich der Kirche vermählt und sie zu seinem Leib macht. So bleibt die Analogie der Propheten-Texte des Alten Testaments (in unserem Fall vor allem aus dem Buch Jesaja) mit dem Epheserbrief gewahrt und wird zugleich offensichtlich umgestaltet. Der Analogie entspricht das Geheimnis, das durch sie ausgedrückt und in gewissem Sinne erklärt wird. Im Jesaja-Text wird dieses Geheimnis nur angedeutet; es ist sozusagen verborgen; im Epheserbrief hingegen wird es voll enthüllt (selbstverständlich ohne deshalb aufzuhören, Geheimnis zu sein). Im Epheserbrief wird ausdrücklich unterschieden zwischen der ewigen Dimension des in Gott verborgenen Geheimnisses („Vater unseres Herrn Jesus Christus“) und seiner Verwirklichung in der Geschichte entsprechend seiner christologi-schen und zugleich ekklesiologischen Dimension. Die Analogie zur Ehe bezieht sich vor allem auf die zweite Dimension. Auch bei den Propheten (bei Jesaja) bezog sich die Analogie zur Ehe unmittelbar auf eine geschichtliche Dimension: Sie war verknüpft mit der Geschichte des auserwählten Volkes des Alten Bundes, mit der Geschichte Israels. Die christologische und auf die Kirche bezogene Dimension hingegen war in der alttestamentlichen Verwirklichung des Geheimnisses gleichsam erst im Keim vorhanden: Die wurde im voraus angekündigt. Dennoch ist klar, daß uns der Jesaja-Text hilft, den Epheserbrief und die großartige Analogie von der ehelichen Liebe Christi und der Kirche besser zu verstehen. 178 Audienzen und Angelus Die Ehe: ein großes Zeichen Ansprache bei der Generalaudienz am 29. September 1. Im Epheserbrief (5, 22-33) finden wir - wie bei den Propheten des Alten Testamentes (z.B. bei Jesaja) - die große Analogie mit der ehelichen Liebe zwischen Christus und der Kirche. Welche Funktion erfüllt diese Analogie gegenüber dem im Alten und im Neuen Bund enthüllten Geheimnis? Die Antwort auf diese Frage soll schrittweise erfolgen. Vor allem hilft uns der Vergleich mit der ehelichen Liebe, in das Wesen des Geheimnisses selbst vorzudringen. Er hilft uns, dieses Geheimnis bis zu einem gewissen Punkt — natürlich in analoger Weise - zu verstehen. Selbstverständlich kann die Analogie mit der irdischen, menschlichen Liebe des Mannes zur Frau, der ehelichen Liebe zwischen Menschen, kein angemessenes und vollständiges Verständnis jener absolut transzendenten Wirklichkeit bieten, die das göttliche Geheimnis sowohl in seinem Verborgensein in Gott von Ewigkeit her wie in seiner „geschichtlichen“ Verwirklichung in der Zeit ist, als „Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat“ (Eph 5, 25). Das Geheimnis bleibt bei dieser wie bei jeder anderen Analogie, mit der wir es in menschlicher Sprache auszudrücken versuchen, transzendent. Gleichzeitig jedoch bietet diese Analogie die Möglichkeit zu einem gewissen verstandesmäßigen Eindringen in das Wesen des Geheimnisses. Das konkrete Ich im biblischen Wir 2. Die Analogie mit der ehelichen Liebe erlaubt uns, in gewisser Weise das Geheimnis, das von Ewigkeit her in Gott verborgen und in der Zeit durch Christus verwirklicht wurde, als Liebe zu begreifen, in der sich Gott selbst in Christus dem Menschen total und unwiderruflich hingibt. Es handelt sich um den Menschen in seiner personalen und zugleich gesellschaftlichen Dimension. Diese gesellschaftliche Dimension findet im Buch Jesaja und bei den anderen Propheten in „Israel“ ihren Ausdruck, im Epheserbrief als „Kirche“; man kann sagen: als Gottesvolk des Alten und des Neuen Bundes. Wir fügen hinzu, daß in beiden Auffassungen die Dimension der Gemeinschaft gewissermaßen in den Vordergrund gerückt wird, aber, nicht so, daß dadurch die personale Dimension völlig zugedeckt wird, die zum Wesen der ehelichen Liebe schlechthin gehört. In beiden Fällen haben wir es vielmehr mit einer bedeutungsvollen „Ein- 179 Audienzen und Angelus Schränkung der Gemeinschaft auf die Person“) zu tun: Israel und die Kirche werden vom Bräutigam, der Person ist (Jahwe und Christus), als Person betrachtet. Jedes konkrete Ich soll sich in jenem biblischen Wir wiederfinden. 3. So erlaubt uns also die Analogie, von der wir sprechen, das geoffen-barte Geheimnis des lebendigen Gottes, der Schöpfer und Erlöser (und als solcher zugleich Gott des Bundes) ist, bis zu einem gewissen Grad zu verstehen; sie erlaubt uns, dieses Geheimnis nach Art der Liebe eines Bräutigams zu seiner Braut zu verstehen, so wie sie uns erlaubt, es auch nach Art einer „sich erbarmenden“ Liebe zu versehen (nach dem Text des Jesaja) oder nach Art einer „väterlichen“ Liebe (vor allem nach dem 1. Kapitel des Epheserbriefes). Die genannten Weisen, das Geheimnis zu verstehen, haben natürlich ebenfalls analogen Charakter. Der Vergleich mit der ehelichen Liebe enthält in sich ein Merkmal des Geheimnisses, das weder von der Analogie mit der sich erbarmenden Liebe noch von der Analogie mit der väterlichen Liebe (oder irgendeiner anderen, in der Bibel verwendeten Analogie, auf die wir uns hätten beziehen können) erreicht wird. 4. Die Analogie mit der ehelichen Liebe scheint vor allem das Moment der Selbsthingabe Gottes an den von Ewigkeit her in Christus erwählten Menschen (wörtlich: an „Israel“, an die „Kirche“) hervorzuheben - die ganzheitliche (oder vielmehr radikale) und unwiderrufliche Hingabe in ihrem wesentlichen Charakter, d.h. als Hingabe. Diese Hingabe ist mit Sicherheit radikal und deshalb ganzheitlich. Man kann hier nicht von Totalität im metaphysischen Sinn sprechen. Der Mensch ist ja als Geschöpf nicht imstande, die Hingabe Gottes in der transzendenten Fülle seiner Göttlichkeit anzunehmen. Eine solche totale (ungeschaffene) Hingabe wird nur von Gott selbst in der trinitarischen Gemeinschaft der Personen ausgetauscht. Die Selbsthingabe Gottes an den Menschen hingegen, von der die Analogie mit der bräutlichen Liebe spricht, kann nur in der Form der Teilhabe an der göttlichen Natur erfolgen (vgl. 2 Petr 1, 4), wie von der Theologie mit großer Klarheit dargestellt wurde. Dennoch ist, diesem Maß entsprechend, die Selbstmitteilung Gottes an den Menschen !) Es handelt sich nicht bloß um die Personifizierung der menschlichen Gesellschaft, die ein ganz allgemeines Phänomen in der Weltliteratur darstellt, sondern um eine spezifische „corporate personality“ der Bibel, die von einer ständigen wechselseitigen Beziehung zwischen dem einzelnen und der Gruppe gekennzeichnet ist (vgl. H. Wheeler Robinson, „The Hebrew Conception of the Corporate Personality“, BZAW66, 1936, SS. 49-62; vgl. auch J. L. McKenzie, „Aspects of Old Testament Thought“, in: The Jerome Biblical Commentary, vol. 2. London 1970, S. 748). 180 Audienzen und Angelus in Christus eine ganzheitliche, radikale Hingabe, worauf gerade die Analogie mit der ehelichen Liebe hinweist: Sie ist gewissermaßen „alles“, was Gott in Anbetracht der begrenzten Fähigkeiten des Menschen als Geschöpf ihm von sich selbst mitteilen konnte. Damit deutet die Analogie mit der ehelichen Liebe auf den absoluten Charakter der Gnade, der ganzen Ordnung der geschaffenen Gnade hin. 5. Soviel läßt sich, wie es scheint, in bezug auf die erste Funktion unserer großen Analogie sagen, die von den Schriften der Propheten des Alten Testaments in den Epheserbrief überging, wo sie, wie bereits bemerkt, eine bedeutsame Veränderung erfahren hat. Die Analogie zur Ehe als menschliche Wirklichkeit, in der die eheliche Liebe verkörpert ist, hilft bis zu einem gewissen Grad und in gewisser Weise, das Gnadengeheimnis als ewige Wirklichkeit in Gott und als historische Frucht der Erlösung der Menschheit in Christus zu verstehen. Doch wir haben bereits früher gesagt, daß diese biblische Analogie nicht nur das Geheimnis erklärt, sondern daß andererseits das Geheimnis die Art und Weise des entsprechenden Verständnisses, der Analogie und hauptsächlich dieser ihrer Komponente bestimmt, in der die bibüschen Autoren „das Bild und Gleichnis“ des göttlichen Geheimnisses sehen. So also legt der Vergleich der Ehe mit der Beziehung Jahwes zu Israel im Alten und der Beziehung zwischen Christus und der Kirche im Neuen Bund die Weise fest, die Ehe zu verstehen, und bestimmt zugleich diese Weise. 6. Das ist die zweite Funktion unserer großen Analogie. In der Perspektive dieser Funktion nähern wir uns in der Tat der Frage „Sakrament und Mysterium“, das heißt, im allgemeinen und grundlegenden Sinn der Frage des sakramentalen Charakters der Ehe. Das erscheint besonders begründet im Licht der Auslegung des Epheserbriefes (5, 22-33). Denn indem der Verfasser dieses Briefes die Beziehung Christi zur Kirche durch das Bild der ehelichen Verbundenheit von Mann und Frau veranschaulicht, spricht er in allgemeiner und zugleich grundlegender Weise nicht nur von der Verwirklichung des ewigen göttlichen Geheimnisses, sondern auch davon, wie dieses Geheimnis in der sichtbaren Ordnung zum Ausdruck kommt, wie es sichtbar geworden und somit in den Bereich des Zeichens eingetreten ist. 7. Unter Zeichen verstehen wir hier einfach die Sichtbarkeit des Unsichtbaren. Das von Ewigkeit her in Gott verborgene - also unsichtbare -Geheimnis ist vor allem in Christus als dem historischen Ereignis sichtbar geworden. Die Beziehung zwischen Christus und der Kirche, die im Epheserbrief als „großes Geheimnis“ bezeichnet wird, stellt die Erfüllung und konkrete Darstellung dieses Geheimnisses dar. Die Tatsache aller- 181 Audienzen und Angelus dings, daß der Verfasser des Epheserbriefes die unauflösbche Beziehung zwischen Christus und der Kirche mit der Beziehung der Eheleute zueinander, also mit der Ehe, vergleicht - wobei er auch auf die Worte der Genesis (2, 24) Bezug nimmt, die mit dem Schöpfungsakt Gottes die Ehe einsetzen -, lenkt unsere Betrachtung auf das hin, was wir bereits früher -im Zusammenhang mit dem Schöpfungsgeheimnis - als „Sichtbarmachung des Unsichtbaren“ dargelegt haben, also auf den Ursprung der theologischen Geschichte des Menschen. Man kann sagen, daß das sichtbare Zeichen der Ehe „im Anfang“, insofern sie mit dem sichtbaren Zeichen Christi und der Kirche, mit dem Höhepunkt des göttlichen Heilsplanes verbunden ist, den ewigen Plan der Liebe in die Dimension der Geschichte hineinversetzt und es zum Fundament jeder sakramentalen Ordnung macht. Ein besonderes Verdienst des Verfassers des Epheserbriefes besteht darin, daß er diese beiden Zeichen dadurch einander nähergebracht hat, indem er sie zu einem großen Zeichen, das heißt zu einem großen Sakrament, verbunden hat. Das hilft uns, ein wenig in das Geheimnis der Liebe Gottes zu uns Menschen einzudringen. Wir erkennen durch diesen bildlichen Vergleich die göttliche Liebe als ganzheitliche und unwiderrufliche Selbsthingabe Gottes an den Menschen in Christus. Die Selbstmitteilung Gottes geschieht in ihrer höchsten Form in Gott selbst, zwischen den drei göttlichen Personen; dem Geschöpf gegenüber kann sie nur in der Weise der Teilnahme an der göttlichen Natur erfolgen. Aber auch für den Menschen ist die gnadenhafte Selbstmitteilung Gottes, wenn auch begrenzt, doch total und vollkommen, nämlich entsprechend seinem Fassungsvermögen und seinen Fähigkeiten. Schließlich läßt uns der Vergleich der Liebe Gottes zu den Menschen mit der Liebe der Eheleute auch die Ehe selbst tiefer verstehen. Er verhilft uns zur Erkenntnis ihrer Sakramentalität. Von der Einsetzung der Ehe im Buch Genesis Ansprache bei der Generalaudienz am 6. Oktober 1. Wir fahren fort in der Auslegung des „klassischen“ Textes im 5. Kapitel des Epheserbriefes, Vers 22-33. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, einige Sätze aus einer der voraufgegangenen Analysen zu diesem Thema zu zitieren: „Der Mensch erscheint in der sichtbaren Welt 182 Audienzen und Angelus als der höchste Ausdruck des göttlichen Geschenkes, weil er das ganze Ausmaß dieses Geschenks in sich trägt. Und damit bringt er seine besondere Ähnlichkeit mit Gott in die Welt, durch die er auch seine Sichtbarkeit in der Welt, seine Leiblichkeit, sein Mann- bzw. Frausein und seine Nacktheit transzendiert und beherrscht. Diese Ähnlichkeit spiegelt sich auch in dem ursprünglichen Bewußtsein von der bräutlichen Bestimmung des Leibes wider, die von dem Geheimnis der ursprünglichen Unschuld durchdrungen ist“ (O.R. dt., Nr. 9/1980, S. 2). Diese Sätze fassen in wenigen Worten das Ergebnis der Analysen zusammen, die sich auf die ersten Kapitel der Genesis konzentriert hatten, und zwar mit Bezugnahme auf die Worte, in denen sich Christus in seinem Gespräch mit den Pharisäern über die Ehe und ihre Unauflöslichkeit auf den „Anfang“ bezogen hatte. Weitere Sätze derselben Analyse betreffen das Problem des Ursakraments: „So stellt sich in dieser Dimension ein erstes, sozusagen ein Ursakrament dar, das als Zeichen das unsichtbare, von Ewigkeit in Gott verborgene Geheimnis in wirksamer Weise der sichtbaren Welt übermittelt. Es ist das Geheimnis der Wahrheit und der Liebe, das Geheimnis des göttlichen Lebens, an dem der Mensch wirklich teilhat. . . diese Teilhabe beginnt mit der ursprünglichen Unschuld . . . “ (ebd.). 2. Der Inhalt dieser Aussagen muß nun im Licht der im Epheserbrief formulierten paulinischen Lehre überprüft werden, wobei wir vor allem an den Abschnitt Kapitel 5, Vers 22-33, im Kontext des ganzen Briefes gesehen, denken. Im übrigen ermächtigt uns der Brief dazu, weil der Verfasser selbst im 5. Kapitel, Vers 31, sich auf den „Anfang“ bezieht, und zwar genau auf die Worte von der Einsetzung der Ehe im Buch Genesis (Gen 2, 24). In welchem Sinn können wir in diesen Worten eine Aussage über das Sakrament, über das Ursakrament, erkennen? Die voraufgegangenen Analysen vom biblischen „Anfang“ haben uns bei Betrachtung der ursprünglichen Begnadung des Menschen in seinem Dasein und dem Gnadenstand der ursprünglichen Unschuld und Gerechtigkeit stufenweise dahingeführt. Der Brief an die Epheser veranlaßt uns, vom Gesichtspunkt des von Ewigkeit her in Gott verborgenen Geheimnisses aus uns in diese Situation - das heißt, in den Zustand des Menschen vor dem Sündenfall - zu versetzen. Denn in den ersten Sätzen des Briefes lesen wir: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel. Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott“ (Eph 1, 3-4). 183 Audienzen und Angelus 3. Der Epheserbrief eröffnet uns die übernatürliche Welt des ewigen Geheimnisses, der ewigen Pläne Gottes, unseres Vaters, für den Menschen. Diese Pläne gehen der „Schöpfung der Welt“ und damit auch der Erschaffung des Menschen voraus. Also beginnen diese göttlichen Pläne sich bereits in der ganzen Wirklichkeit der Schöpfung zu verwirklichen. Wenn zum Schöpfungsgeheimnis auch der Zustand der Ur-Unschuld des als Ebenbild Gottes als Mann und Frau erschaffenen Menschen gehört, so heißt das, daß das ursprüngliche, dem Menschen von Gott zuteil gewordene Geschenk bereits die Frucht der Erwählung einschloß, von der wir im Epheserbrief lesen: „Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott“ (Eph 1, 4). Eben das scheinen die Worte aus dem Buch Genesis hervorzuheben, wenn der Schöpfer „Elohim“ in dem vor seinem Angesicht erschienenen Menschen - Mann und Frau - ein der Zustimmung würdiges Gut findet: „Gott sah, daß alles, was er gemacht hatte, sehr gut war“ (Gen 1, 31). Erst nach der Sünde, nach dem Zerbrechen des ursprünglichen Bundes mit dem Schöpfer empfindet der Mensch das Bedürfnis, sich vor Gott dem Herrn zu verbergen: „Ich habe dich im Garten kommen hören; da bekam ich Angst, weil ich nackt bin, und habe mich versteckt“ (Gen 3, 10). 4. Vor dem Sündenfall hingegen trug der Mensch in seiner Seele die Frucht der ewigen Erwählung in Christus, dem ewigen Sohn des Vaters. Durch die Gnade dieser Erwählung war der Mensch, Mann und Frau, „heilig und untadelig“ vor Gott. Diese ursprüngliche Heiligkeit und Reinheit kam auch darin zum Ausdruck, daß beide, obwohl sie „nackt waren, .... sich nicht voreinander schämten“ (Gen 2, 25), wie wir bereits in den vorausgegangenen Analysen hervorzuheben versucht haben. Aus der Gegenüberstellung des in den ersten Kapiteln der Genesis überlieferten Zeugnisses vom „Anfang“ und des Zeugnisses des Epheserbriefes muß man schließen, daß die Wirklichkeit der Erschaffung des Menschen bereits von seiner ewigen Erwählung in Christus durchdrungen war: Berufung zur Heiligkeit durch die Gnade der Gotteskindschaft („Er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen, zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn“: Eph 1, 5-6). 5. Der Mensch - Mann und Frau - hatte von Anfang an an diesem übernatürlichen Geschenk teil. Diese Begnadung wurde ihm im Hinblick auf den zuteil, der von Ewigkeit her als Sohn „geliebt“ war, auch wenn sie - den Dimensionen der Zeit und der Geschichte entsprechend - der Menschwerdung dieses „geliebten Sohnes“ und ebenso der „Erlösung“, 184 Audienzen und Angelus die wir in ihm „durch sein Blut“ haben (Eph 1, 7), vorausgegangen ist. Die Erlösung sollte zur Quelle der übernatürlichen Begnadung des Menschen nach der Sünde und in gewissem Sinne trotz der Sünde werden. Diese übernatürliche Begnadung, die vor dem Sündenfall geschah, also die Gnade der ursprünglichen Gerechtigkeit und Unschuld - sie, die Frucht des Erwähltseins des Menschen in Christus von Ewigkeit her war —, hat sich im Hinblick auf ihn, auf jenen geliebten Sohn, vollzogen, auch wenn sie seiner Menschwerdung zeitlich vorgreift. In den Dimensionen des Schöpfungsgeheimnisses trifft das Erwähltsein zur Gotteskindschaft ja nur auf den „ersten Adam“ zu, das heißt, auf den als Bild und Gleichnis Gottes, als Mann und Frau, erschaffenen Menschen. 6. Wie ereignet sich in diesem Zusammenhang die Wirklichkeit des Sakraments, des ursprünglichen Sakraments? In der Analyse über den „Anfang“, aus der wir oben einen Abschnitt zitiert haben, sagten wir, „das Sakrament als sichtbares Zeichen stellt sich mit dem Menschen in seiner Leiblichkeit, in seiner Gestalt als Mann oder Frau dar. Denn der Leib, und nur er, vermag sichtbar zu machen, was unsichtbar ist: das Geistige und das Göttliche. Er ist geschaffen worden, um das von Ewigkeit her in Gott verborgene Geheimnis in die sichtbare Wirklichkeit der Welt zu überführen und so Zeichen dieses Geheimnisses zu sein“ (ebd.). Ausdruck des Heilswillens Dieses Zeichen hat darüber hinaus seine eigene Wirkung, wie ich gleichfalls sagte: „Die mit der Erfahrung der Bedeutung des Leibes für die eheliche Verbindung der beiden Geschlechter verbundene ursprüngliche Unschuld“ bewirkt, daß „sich der Mensch in seiner Leiblichkeit als Mann oder als Frau als Träger der Heiligkeit fühlt“ (ebd.). Er „fühlt sich“ so und ist es von „Anfang“ an. Diese dem Menschen vom Schöpfer ursprünglich verliehene Heiligkeit gehört zur Wirklichkeit des „Sakraments der Schöpfung“. Die vor dem Hintergrund dieser ursprünglichen Wirklichkeit im theologischen Sinn gesprochenen Worte aus Genesis 2, 24: „Darum verläßt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch“, stellen die Ehe als wesentüchen und gewissermaßen zentralen Bestandteil des „Sakraments der Schöpfung“ dar. Sie nennen, oder, vielleicht besser, sie bestätigen einfach ihre Herkunft. Nach diesen Worten ist die Ehe ein Sakrament, insofern sie wesentlicher Bestandteil und, ich würde sagen, zentraler Punkt des „Sakraments der Schöpfung“ ist. In diesem Sinn ist sie ein Ursakrament. 185 Audienzen und Angelus 7. Die Einsetzung der Ehe nach den Worten von Genesis 2, 24, drückt nicht nur den Beginn der grundlegenden menschlichen Gemeinschaft aus, die durch die ihr innewohnende Kraft der „Fortpflanzung“ („seid fruchtbar und vermehrt euch“: Gen 1, 28) der Weiterführung des Schöpfungswerkes dient, sondern sie ist gleichzeitig Ausdruck des Heilswillens des Schöpfers, der dem ewigen Erwähltsein des Menschen entspricht, von dem der Epheserbrief redet. Dieser Heilswille kommt von Gott, dem Schöpfer, und seine übernatürliche Wirksamkeit identifiziert sich mit dem Akt der Schöpfung des Menschen im Stand der ursprünglichen Unschuld. In diesem Stand trug die Erwählung des Menschen in Christus von Ewigkeit her bereits im Akt seiner Schöpfung Früchte. Man muß also erkennen, daß das Ursakrament der Schöpfung seine Wirksamkeit aus dem „geliebten Sohn“ schöpft (vgl. Eph 1, 6, wo die Rede ist von der „Gnade, die Gott uns geschenkt hat in seinem geliebten Sohn“). Wenn es sich dann um die Ehe handelt, kann man folgern, daß sie - eingesetzt im Rahmen des Sakraments der Schöpfung in seiner Gesamtheit, das heißt im Zustand der Ur-Unschuld - nicht nur der Weiterführung des Schöpfungswerkes, also der Fortpflanzung, dienen sollte, sondern auch dazu, eben dieses Sakrament der Schöpfung, das heißt, die übernatürlichen Früchte der ewigen Erwählung des Menschen durch den Vater im ewigen Sohn, auf die späteren Generationen der Menschheit auszudehnen: Es sind die Früchte, mit denen der Mensch im Schöpfungsakt selbst von Gott begnadet wurde. Der Epheserbrief scheint uns das Recht zu geben, das Buch Genesis und die darin enthaltene Wahrheit über den „Anfang“ des Menschen und der Ehe in diesem Sinne zu verstehen. Der ,,zweite Adam“, Christus Ansprache bei der Generalaudienz am 13. Oktober 1. In unserer vorauf gegangenen Betrachtung haben wir versucht, im Lichte des Epheserbriefes den sakramentalen „Anfang“ des Menschen und der Ehe im Stand der ursprünglichen Gerechtigkeit (bzw. Unschuld) zu vertiefen. Bekanntlich ist jedoch das Gnadenerbe vom menschlichen Herzen im Augenblick des Bruches des ersten Bundes mit dem Schöpfer verworfen 186 Audienzen und Angelus worden. Statt vom Erbe der gottgeschenkten ursprünglichen Gnade, die der vernunftbegabten Seele von Anfang an eingeflößt worden war, erleuchtet zu werden, wurde die Dimension der Weitergabe des Lebens nunmehr durch die Erbsünde verdunkelt. Man kann sagen, daß die Ehe als Ursakrament jener übernatürlichen Wirkkraft beraubt wurde, die sie im Augenblick ihrer Einsetzung aus dem Sakrament der Schöpfung insgesamt empfangen hat. Trotzdem hörte die Ehe auch in diesem Zustand, das heißt, dem Zustand der erblichen Sündhaftigkeit des Menschen, niemals auf, die Gestalt jenes Sakraments zu sein, von dem wir im Epheserbrief {Eph 5, 22-23) lesen und das der Verfasser dieses Briefes ohne Zögern als „großes Geheimnis“ bezeichnet. Daraus dürfen wir wohl schließen, daß die Ehe gleichsam der Schauplatz der Verwirklichung der ewigen Pläne Gottes geblieben ist, nach welchen das Sakrament der Schöpfung den Menschen zuteü wurde und sie auf das Sakrament der Erlösung vorbereitet hatte, indem es sie in die Dimension des Heüswerkes hineinstellte. Die Erschließung des Epheserbriefes und insbesondere des „klassischen“ Textes im 5. Kapitel, Vers 22-33, scheint eine solche Schlußfolgerung zu rechtfertigen. 2. Wenn der Verfasser in Vers 31 auf die Worte der Einsetzung der Ehe in der Genesis Bezug nimmt (2, 24: „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein“) und gleich danach erklärt: „Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche“ (Eph 5, 32), scheint er nicht nur auf die Identität des von Ewigkeit her in Gott verborgenen Geheimnisses hinzuweisen, sondern auch auf die Kontinuität seiner Verwirklichung, die zwischen dem ursprünglichen, mit der übernatürlichen Begnadung des Menschen in der Schöpfung selbst verknüpften Sakrament und der neuen Begnadung besteht, die eingetreten ist, als „Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, um sie . . . heilig zu machen“ (Eph 5, 25-26) - eine Begnadung, die in ihrer Gesamtheit als Sakrament der Erlösung bezeichnet werden kann. Diese erlösende Selbsthingabe an den Vater „für“ die Kirche schließt -nach paulinischem Denken - auch die Selbsthingabe Christi „an“ die Kirche ein nach dem Bild und Sinnbild der Beziehung, die Mann und Frau in der Ehe verbindet. Auf diese Weise nimmt das Sakrament der Erlösung gewissermaßen die Gestalt und die Form des Ursakraments an. Der Ehe des ersten Mannes mit der ersten Frau als Zeichen der übernatürlichen Begnadung des Menschen im Schöpfungssakrament entspricht die Vermählung - oder vielmehr die Analogie der Vermählung - Christi mit der Kirche als grundlegendes „tiefes“ Zeichen der übernatürlichen Begna- 187 Audienzen und Angelus düng des Menschen im Sakrament der Erlösung - der Begnadung, in welcher der Bund der Erwählungsgnade, der „im Anfang“ durch die Sünde zerbrochen wurde, endgültig erneuert wird. 3. Das in dem zitierten Abschnitt aus dem Epheserbrief enthaltene Bild spricht, wie es scheint, vor allem vom Sakrament der Erlösung als der endgültigen Verwirklichung des von Ewigkeit her in Gott verborgenen Geheimnisses. In diesem „mysterium magnum“, diesem „tiefen Geheimnis“, verwirklicht sich endgültig all das, wovon derselbe Epheserbrief im ersten Kapitel gehandelt hatte. Dort heißt es nämlich, wie wir uns erinnern, nicht nur: „Denn in ihm (nämlich Christus) hat Gott uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott. . . “ (Eph 1, 4), sondern auch: Durch sein (Christi) Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade. Durch sie hat er uns mit aller Weisheit und Einsicht reich beschenkt. . . “ (Eph 1, 7-8). Die neue übernatürliche Begnadung des Menschen im „Sakrament der Erlösung“ ist auch eine neue Verwirklichung des von Ewigkeit her in Gott verborgenen Geheimnisses - neu in bezug auf das Sakrament der Schöpfung. Die Begnadung ist in dieser Hinsicht gewissermaßen eine „neue Schöpfung“. Sie unterscheidet sich jedoch vom Schöpfungssakrament insofern, als die ursprüngliche in der Schöpfung dem Menschen gegebene Begnadung jenen Menschen „im Anfang“ durch die Gnade in den Stand der ursprünglichen Unschuld und Gerechtigkeit versetzte. Die neue Begnadung des Menschen im Sakrament der Erlösung schenkt ihm hingegen vor allem die „Vergebung der Sünden“. Doch auch hier kann „die Gnade übergroß werden“, wie der hl. Paulus sich an anderer Stelle ausdrückt: „Wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden“ (Röm 5, 20). 4. Das. Sakrament der Erlösung, Frucht der Erlöserliebe Christi, wird aufgrund seiner Liebe zu seiner Braut, der Kirche, eine bleibende Dimension des Lebens der Kirche selbst, eine grundlegende und lebenspendende Dimension. Es ist das „mysterium magnum“, das „tiefe Geheimnis“ Christi und der Kirche; das ewige Geheimnis, das von Christus, der „sich für sie hingegeben hat“ (Eph 5, 25) verwirklicht wurde; das Geheimnis, das sich in der Kirche ständig verwirklicht, weil Christus „die Kirche geliebt hat“ (Eph 5, 25), indem er sich mit ihr in unauflöslicher Liebe vereint hat, so wie sich die Brautleute, Mann und Frau, in der Ehe miteinander verbinden. Auf diese Weise lebt die Kirche aus dem Sakrament der Erlösung und vervollständigt ihrerseits dieses.Sakrament, so wie die Ehefrau durch die eheliche Liebe ihren Ehemann ergänzt, was in gewisser Weise bereits „im Anfang“ hervorgehoben wurde, als der erste 188 Audienzen und Angelus Mann in der ersten Frau „eine Hilfe fand, die dem Menschen entsprach“ (Gen 2, 20). Obwohl die Analogie des Epheserbriefes das nicht genauer ausführt, können wir doch hinzufügen, daß auch die mit Christus wie die Ehefrau mit dem Ehemann verbundene Kirche ihre ganze Fruchtbarkeit und geistige Mutterschaft aus dem Sakrament der Erlösung schöpft. Davon zeugen irgendwie die Worte aus dem Brief des hl. Petrus, wo er schreibt, daß wir „neu geboren worden (sind), nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen: aus Gottes Wort, das lebt und das bleibt“ (2 Petr 1, 23). So wird das von Ewigkeit her in Gott verborgene Geheimnis, das Geheimnis, das „im Anfang“, im Sakrament der Schöpfung, durch die Verbindung des ersten Mannes mit der ersten Frau zu einer sichtbaren Wirklichkeit in der Perspektive der Ehe geworden ist, im Sakrament der Erlösung zu einer sichtbaren Wirklichkeit in der unauflöslichen Vereinigung Christi mit der Kirche, die der Verfasser des Epheserbriefes als die eheliche Verbindung der Eheleute - Mann und Frau -darstellt. 5. Das große Sakrament (im griechischen Text heißt es: tö mysterion toüto mega estin) des Epheserbriefes spricht von der neuen Verwirklichung des von Ewigkeit her in Gott verborgenen Geheimnisses; der endgültigen Verwirklichung vom Standpunkt der irdischen Heilsgeschichte aus. Es spricht weiter davon, das Geheimnis „sichtbar zu machen“: von der Sichtbarkeit des Unsichtbaren. Diese Sichtbarkeit bedeutet nicht, daß das Geheimnis aufhören würde, Geheimnis zu sein. Das galt für die im „Anfang“, im Zustand der ursprünglichen Unschuld, im Rahmen des Schöpfungssakraments dargestellte Ehe. Das gilt auch für die Vereinigung Christi mit der Kirche als „tiefes Geheimnis“ des Sakraments der Erlösung. Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren bedeutet nicht -wenn man so sagen darf - eine völlige Aufklärung des Geheimnisses. Als Gegenstand des Glaubens bleibt es auch gerade durch das, worin es sich ausdrückt und verwirklicht, verschleiert. Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren gehört darum in die Reihe der Zeichen, und das Zeichen deutet nur auf die Wirklichkeit des Geheimnisses hin, enthüllt es aber nicht. Wie der „erste Adam“, der Mensch, Mann und Frau, geschaffen im Zustand der ursprünglichen Unschuld und in diesem Zustand zur ehelichen Vereinigung berufen (in diesem Sinne sprechen wir vom Sakrament der Schöpfung), Zeichen des ewigen Geheimnisses war, so ist der „zweite Adam“, Christus, der mit der Kirche durch das Sakrament der Erlösung durch ein unauflösliches Band - analog dem unauflöslichen Bund der Eheleute -mit der Kirche verbunden ist, endgültiges Zeichen desselben ewigen Geheimnisses. Wenn wir daher von der Verwirklichung des ewigen 189 Audienzen und Angelus Geheimnisses sprechen, sprechen wir auch davon, daß es mit der Sichtbarkeit des Zeichens sichtbar wird. Und deshalb nennen wir sakramental auch die ganze Erbschaft des Sakraments der Erlösung in bezug auf das gesamte Werk der Schöpfung und Erlösung und noch mehr in bezug auf die im Rahmen des Sakraments der Schöpfung eingesetzte Ehe wie auch in bezug auf die Kirche als Braut Christi, die mit ihm ein gleichsam eheliches Band verbindet. Von der Größe des Priestertums Vor dem Angelus am Sonntag, 17. Oktober 1. Auch heute wollen wir das Geheimnis der Menschwerdung des Wortes mit den Sätzen des hl. Maximilian Kolbe verehren: „Gott sieht das vollkommenste Geschöpf, die Unbefleckte, die Gnadenreiche, er liebt sie, und so wird Jesus geboren, der Gottmensch, Gottessohn und Menschensohn. Mit ihr beginnt die Ähnlichkeit der Kinder Gottes und der Menschen, der Glieder Jesu, sich stufenweise abzuzeichnen (Schriften, III, S. 678 f.). 2. Ich wollte mit den Worten Pater Kolbes sprechen, weil der heutige Sonntag, der 17. Oktober, uns in Gedanken zum 17. Oktober 1971 zurückführt, an dem seine feierliche Seligsprechung stattfand. Damals wurde gerade die zweite Generalversammlung der Bischofssynode abgehalten; ihr Thema hieß: „Das priesterliche Dienstamt und die Gerechtigkeit in der Welt.“ Paul VI. erinnerte in jenen Tagen der Synode bei einer Audienzansprache an die Größe des katholischen Priestertums, und indem er das Bild Pater Kolbes umriß, den er kurz darauf seligsprechen sollte, führte er aus: „Wenn der Priester der Mann Gottes und ein ,anderer Christus' ist, so ist das ein Zeichen dafür, daß die Gnade einmal in seinen Lebensweg eingegriffen hat. Gottes Barmherzigkeit hat ihn berufen, auserwählt, bevorzugt. Der Herr hat ihn in besonderer Weise geliebt. Er hat ihn mit einem besonderen Zeichen geprägt und ihn so für die Ausübung göttlicher Vollmachten ausgerüstet. Er gab ihm ein, ihn -Gott - wiederzulieben und darin zu jener Fülle und Größe zu reifen, denen ein menschliches Herz nur fähig ist, zur völligen und ewigen Aufopferung seiner selbst, die voll des Glücks ist. . . Er hat den Mut gehabt, sein Leben als Opfer darzubringen, wie Jesus es getan hat, für die 190 Audienzen und Angelus anderen, für alle, für uns“ (Paul VI., Ansprache bei der Generalaudienz vom 13. Oktober 1971; in O.R. dt. vom 22.10.1971). Diese großen, wahren und erhabenen Worte sind die lehrhafte und pastorale Synthese der Akten dieser so bedeutenden und noch immer gültigen Synode. 3. Ich erinnere daran, daß Kardinal Duval, der Vorsitzende der Synode, in seiner Grußadresse an den Papst die Seligsprechung von P. Maximilian Kolbe erwähnte und sagte: „Sein Zeugnis ist lebendig und leuchtend: Ich bin katholischer Priester, sagte er in jenem Konzentrationslager. Kein Priester zweifelt an seiner Identität, wenn es darum geht, sich für die Brüder aufzuopfem. Das Beispiel Pater Kolbes hat mehr als alles unsere Arbeiten hier beeinflußt. . . “ Auch der verstorbene Primas von Polen, Kardinal Wyszynski, betonte damals, daß die Vorsehung in Pater Kolbe ein Beispiel für den modernen Priester gegeben habe: „Der Priester, der im Hungerbunker sein Leben für seinen mitgefangenen Bruder hingibt, ist das Beispiel eines Priesters, der den Tod wählt, um das Leben eines anderen Menschen zu retten. Er ist ein getreuer Jünger Christi, weil das Priestertum Christi, das in Ewigkeit fortdauert, sich auch heute verwirklicht“ (Ansprache bei der Begegnung polnischer Pilger mit dem Papst am 18. Oktober 1971). 4. Ich möchte heute meinem inständigen Wunsch Ausdruck geben, daß diese Verbindung zwischen dem hl. Maximilian Kolbe und der Berufung, dem Leben und dem Dienst des Priesters, wie sie von Paul VI. und der Bischofssynode herausgestellt wurde, sich nach seiner Heiligsprechung erneuern und weiter festigen möge. In dieser Meinung wollen wir jetzt den „Engel des Herrn“ beten. Die Ehe als Prototyp aller Sakramente Ansprache bei der Generalaudienz am 20. Oktober 1. Am vergangenen Mittwoch haben wir über die ganze Erbschaft des Bundes mit Gott und über die mit dem göttlichen Schöpfungswerk ursprünglich verbundene Gnade gesprochen. Zu dieser ganzen Erbschaft gehörte - wie wir aus Epheserbrief 5, 22-33 ableiten können - auch die Ehe als Ursakrament, das am Anfang eingesetzt und mit dem Schöpfungssakrament in dessen Gesamtumfang verbunden wurde. Der Charakter der Ehe als Sakrament ist nicht nur Modell des Sakraments der Kirche 191 Audienzen und Angelus (Christi und der Kirche), sondern er macht auch einen wesentlichen Teil des neuen Erbes aus: nämlich das Sakrament der Erlösung, das der Kirche in Christus zuteil wird. Hier müssen wir noch einmal auf die Worte Christi bei Matthäus 19, 3-9 (vgl. auch Mk 10, 5-9) zurückkommen, wo Christus in seiner Antwort auf die Frage der Pharisäer über die Ehe und ihren besonderen Charakter sich nur und ausschließlich auf ihre ursprüngliche Einsetzung durch den Schöpfer am Anfang bezieht. Wenn wir über die Bedeutung dieser Antwort im Licht des Epheserbriefes, insbesondere von Eph 5, 22-33, nachdenken, kommen wir zu einer gewissen Beziehung der Ehe zur gesamten sakramentalen Ordnung, die im Neuen Bund aus diesem Sakrament der Erlösung hervorgeht. 2. Die Ehe als Ursakrament stellt einerseits das Sinnbild (und somit das Gleichnis, die Analogie) dar, nach welchem die tragende Grundstruktur der neuen Heilsökonomie und der sakramentalen Ordnung errichtet wird. Diese hat ihren Ursprung in der bräutlichen Gnade, die die Kirche zusammen mit allen anderen Heilsgütern (mit den Eingangsworten des Epheserbriefes könnte man sagen: „mit allem Segen seines Geistes“, Eph 1, 3) von Christus empfängt. So wird die Ehe als Ursakrament in die Gesamtstruktur der von der Erlösung geschaffenen, neuen Heilsökonomie sozusagen als „Prototyp“ aufgenommen und eingegliedert: Sie wird gleichsam von ihren Grundlagen her aufgenommen und integriert. Christus selbst bestätigt in seinem Gespräch mit den Pharisäern {Mt 19, 3-9) vor allem die Existenz der Ehe. Wenn wir diese Dimension richtig bedenken, müssen wir daraus schließen, .daß alle Sakramente des Neuen Bundes gewissermaßen in der Ehe als Ursakrament ihren Prototyp finden. Das scheint sich in dem zitierten klassischen Abschnitt aus dem Epheser-brief abzuzeichnen, wie wir gleich sehen werden. 3. Doch die Beziehung der Ehe zur gesamten durch die Begnadung der Kirche mit den Heilsgütern entstandenen sakramentalen Ordnung beschränkt sich nicht nur auf die Dimension eines Modells. Christus bestätigt in seinem Gespräch mit den Pharisäern {Mt 19) nicht nur die Existenz der am Anfang vom Schöpfer eingesetzten Ehe, sondern er erklärt sie auch zum integrierenden Bestandteil der neuen, sakramentalen Heilsökonomie, der neuen Ordnung der „Heüszeichen“, die aus dem Sakrament der Erlösung stammt, so wie die ursprüngliche Gnadenordnung aus dem Sakrament der Schöpfung hervorgegangen ist; tatsächlich beschränkt sich Christus ja auf das eine Sakrament, das die Ehe war, die im Zustand der ursprünglichen Unschuld und Gerechtigkeit des als Mann und Frau „als Bild und Gleichnis Gottes“ geschaffenen Menschen eingesetzt worden ist. 192 Audienzen und Angelus 4. Die neue Sakramentenökonomie, die auf der Grundlage des Sakraments der Erlösung, hervorgehend aus der bräutlichen Gnade der Kirche durch Christus, entsteht, unterscheidet sich von der ursprünglichen Heilsökonomie. Denn sie wendet sich nicht an den Menschen im Stand der ursprünglichen Gerechtigkeit und Unschuld, sondern an den vom Erbe der Ursünde und vom Stand der Sündhaftigkeit (Status naturae lapsae, „Stand der gefallenen Natur“) belasteten Menschen. Sie wendet sich an den Menschen der dreifachen Begierde, nach den klassischen Worten des ersten Johannesbriefes (2, 16); an den Menschen, in dem „sich das Begehren des Fleisches gegen den Geist und das Begehren des Geistes gegen das Fleisch richtet“ (Gal 5, 17), nach der paulinischen Theologie (und Anthropologie), der wir in unseren vorauf gegangenen Audienzen viel Raum gewidmet haben. 5. Diese Überlegungen an Hand einer vertieften Analyse der Bedeutung der Aussage Christi in der Bergpredigt über den „begehrlichen Blick“, den er als „im Herzen begangenen Ehebruch“ bezeichnet, bereiten uns darauf vor, die Ehe als integrierenden Bestandteil der neuen sakramentalen Heilsordnung zu verstehen, die ihren Ursprung im Sakrament der Erlösung hat, das heißt, in jenem „tiefen Geheimnis“, das als Geheimnis Christi und der Kirche den sakramentalen Charakter der Kirche selbst bestimmt. Diese Überlegungen bereiten darüber hinaus das Verständnis der Ehe als Sakrament des Neuen Bundes vor, dessen Heilswerk sich organisch mit jenem Ethos verbindet, das in den voraufgegangenen Analysen als Ethos der Erlösung definiert wurde. Der Epheserbrief drückt dieselbe Wahrheit auf seine Weise aus: Er spricht in der Tat von der Ehe als „großem“ Sakrament in einem weiten, paränetischen Zusammenhang, das heißt, im Rahmen der moralischen Appelle, die eben das Ethos bestimmen, die das Leben der Christen, also der Menschen auszeichnen muß, die sich der Erwählung bewußt sind, die sich in Christus und der Kirche verwirklicht. 6. Vor dem weiten Hintergrund der Überlegungen, die sich aus der Lektüre des Epheserbriefes (insbesondere von Eph 5, 22-33) ergeben, kann und muß man schließlich noch auf das Problem der Sakramente der Kirche eingehen. Der zitierte Text aus dem Epheserbrief spricht davon indirekt, ja, ich würde sagen in zweiter Linie, auch wenn das genügt, um dieses Problem in unseren Überlegungen Raum finden zu lassen. Doch gilt es hier, wenigstens kurz den Sinn zu bestimmen, den wir beim Gebrauch des Begriffes „Sakrament“ verwenden und der für unsere Überlegungen bedeutsam ist. 193 Audienzen und Angelus 7. Bisher haben wir uns nämlich (übrigens in Übereinstimmung mit der gesamten biblisch-patristischen Tradition)) des Begriffes „Sakrament“ in einem weiteren Sinn bedient als jenem der traditionellen und modernen theologischen Terminologie, die mit dem Wort „Sakrament“ die von Christus eingesetzten und von der Kirche verwalteten Zeichen benennt. Diese sind Ausdruck der göttlichen Gnade und vermitteln sie an den Empfänger des jeweiligen Sakraments. In diesem Sinn ist jedes der sieben Sakramente der Kirche durch eine bestimmte liturgische Handlung gekennzeichnet und durch das Wort (die Form) und die besondere sakramentale „Materie“ festgelegt gemäß der verbreiteten, von Thomas von Aquin und der ganzen scholastischen Tradition herrührenden Theorie des Hylemorphismus. 8. Im Verhältnis zu der soeben umschriebenen Bedeutung haben wir bei unseren Überlegungen eine weitere und vielleicht auch ältere und grundlegendere Bedeutung des Begriffs „Sakrament“ benutzt. <13> <14>) Der Brief an die Epheser, vor allem Eph 5, 22-33, scheint uns dazu in besonderer Weise zu berechtigen. Sakrament bedeutet hier das Geheimnis Gottes selbst, das von Ewigkeit her verborgen ist, jedoch nicht in ewiger Verborgenheit, sondern vor allem hinsichtlich seiner Offenbarung und Verwirklichung (auch: hinsichtlich der Offenbarung durch die Verwirklichung). In diesem Sinn wurde auch vom Sakrament der Schöpfung und vom Sakrament der Erlösung gesprochen. Auf Grund des Sakraments der Schöpfung muß man auch die ursprüngliche Sakramentalität der Ehe verstehen (Ursakrament). Folglich kann man auf Grund des Sakraments der Erlösung die Sakramentalität der Kirche oder vielmehr den sakramentalen Charakter der Verbindung Christi mit der Kirche begreifen, die der Verfasser des Epheserbriefes im Gleichnis der Ehe, der ehelichen Verbindung von Mann und Frau, darstellt. Eine sorgfältige Analyse des Textes zeigt, daß es sich in diesem Fall nicht nur um ein Gleichnis im bildlichen Sinn handelt, sondern um eine wirkliche Erneuerung (oder eine „Neu-Schöpfung“, also eine neue Schöpfung) dessen, was den Heüsinhalt (gewissermaßen die „Heilssubstanz“) des Ursakraments ausmachte. Diese Feststellung ist von wesentlicher Bedeutung, sowohl, um den sakramentalen Charakter der Kirche klarzustellen (und darauf beziehen sich die bedeutsamen Worte des ersten Kapitels der Konzüskonstitution Lumen gentium) als auch für das Verständnis des sakramentalen Charakters der Ehe als eines der Sakramente der Kirche. Ygl. Leonis XIH Acta, vol. II, 1881, S. 22. <14>) Vgl. Audienzansprache vom 8. September 1982, Anmerkung 1, in: O.R.dt. vom 17. September 1982, S. 12. 194 Audienzen und Angelus Was die Ehe „am Anfang“ war Ansprache bei der Generalaudienz am 27. Oktober 1. Der Text des Epheserbriefes (5, 22-23) spricht von den Sakramenten der Kirche, insbesondere von der Taufe und der Eucharistie, allerdings nur indirekt und gewissermaßen andeutungsweise, wobei er die Ehe mit der Beziehung von Christus und der Kirche vergleicht. Und so lesen wir zuerst, daß Christus, der „die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat“ (5, 25), dies tat, „um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen“ (5, 26). Es handelt sich hier ohne Zweifel um das Sakrament der Taufe, das mit der Einsetzung durch Christus von Anfang an denen gespendet wird, die sich bekehren. Die zitierten Worte zeigen sehr eindrucksvoll, daß die Taufe ihre wesentliche Bedeutung und ihre sakramentale Kraft aus der Liebe des Erlösers zu seiner Braut (der Kirche) schöpft, durch welche sich vor allem die Sakramentalität der Kirche selbst als „sacramentum magnum“ (als großes Sakrament) darstellt. Dasselbe läßt sich wohl auch von der Eucharistie sagen, worauf die anschließenden Worte über die Ernährung und Pflege des eigenen Leibes hinweisen, den jeder Mensch nährt und pflegt, wie auch Christus die Kirche. Denn wir sind die Glieder seines Leibes“ (5, 29-30). In der Tat nährt Christus die Kirche mit seinem Leib in der Eucharistie. 2. Man sieht jedoch, daß man weder im ersten noch im zweiten Fall von einer umfassend entwickelten Sakramentenlehre sprechen kann. Ja, daß man davon nicht einmal sprechen kann, wenn es sich um das Sakrament der Ehe als eines der Sakramente der Kirche handelt. Wenn der Epheser-brief das Verhältnis Christi zur Kirche ausdrückt, gibt er uns zu verstehen, daß die Kirche selbst auf Grund dieser Beziehung das „große Sakrament“ ist, das neue Zeichen des Bundes und der Gnade, das mit seinen Wurzeln in der Tiefe des Sakraments der Erlösung verankert ist, so wie aus der Tiefe des Ursakraments die Ehe hervorgegangen ist als ursprüngliches Zeichen des Bundes und der Gnade. Der Verfasser des Epheserbriefes verkündet nun, daß jenes Ursakrament sich auf neue Weise im „Sakrament“ Christi und der Kirche verwirklicht. Auch aus diesem Grund wendet sich der Apostel in dem „klassischen“ Text von Eph 5, 21-33 an die Eheleute, damit sie „sich einer dem andern unterordnen in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus“ (5, 21) und ihr Eheleben gestalten, indem sie es auf das am „Anfang“ vom Schöpfer eingesetzte Sakrament gründen: ein Sakrament, das seine endgültige Größe und Heiligkeit in 195 Audienzen und Angelus dem Liebesbund der Gnade zwischen Christus und der Kirche gefunden hat. 3. Obwohl der Epheserbrief nicht direkt und unmittelbar von der Ehe als einem der Sakramente der Kirche spricht, wird in ihm doch die Sakramen-talität der Ehe in besonderer Weise bekräftigt und vertieft. In dem „großen Sakrament“ Christi und der Kirche sind die christlichen Eheleute aufgerufen, ihr Leben und ihre Berufung auf dem Fundament des Sakraments zu gestalten. 4. Nach der Analyse des klassischen Textes von Eph 5, 21-33, der sich an die christlichen Eheleute wendet und in dem Paulus ihnen das „tiefe Geheimnis“ (sacramentum magnum) des Liebesbundes verkündet, der Christus und die Kirche verbindet, ist es angebracht, auf jene bedeutsamen Worte des Evangeliums zurückzukommen, über die wir bereits bei früheren Audienzen meditiert haben, da wir in ihnen die Schlüsselworte für die Theologie des Leibes erkennen. Christus verkündet diese Worte sozusagen aus der göttlichen Tiefe der „Erlösung unseres Leibes“ (Röm 8, 23). Alle diese Worte sind für den - als Mann und Frau geschaffenen -Menschen, insofern er eben Leib ist, von grundlegender Bedeutung. Sie sind von Bedeutung für die Ehe, in der Mann und Frau sich so vereinen, daß beide „ein Fleisch“ werden, wie es im Buch Genesis (2, 24) heißt, auch wenn die Worte Christi zugleich auf die Berufung zur Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ hinweisen (Mt 19, 12). 5. „Auf jedem dieser Wege ist die „Erlösung des Leibes“ nicht nur eine große Erwartung derer, die „die Erstlingsgabe des Geistes“ haben (Röm 8, 23), sondern auch eine ständige Quelle der Hoffnung darauf, daß die Schöpfung „von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden soll zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (ebd. 8, 21). Die aus der göttlichen Tiefe des Geheimnisses der Erlösung, der „Erlösung des Leibes“ heraus verkündeten Worte Christi enthalten den Sauerteig der Hoffnung: Sie öffnen den Blick sowohl in der eschatologischen Dimension wie in der Dimension des täglichen Lebens. In der Tat, die an die unmittelbaren Zuhörer gerichteten Worte wenden sich gleichzeitig an den „geschichtlichen“ Menschen der verschiedenen Zeiten und Orte. Eben an jenen Menschen, der, „obwohl er die Erstlingsgabe des Geistes besitzt, . . . seufzt. . . und auf die Erlösung des Leibes wartet..." (vgl. ebd. 8, 23). In ihm konzentriert sich auch die „kosmische“ Hoffnung der ganzen Schöpfung, die im Menschen „sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes wartet“ (ebd. 8, 19). 6. Christus spricht mit den Pharisäern, die ihn fragen: „Darf man seine Frau aus jedem beliebigen Grund aus der Ehe entlassen?“ (Mt 19, 3); sie 196 Audienzen und Angelus fragen so, weil das dem Mose zugeschriebene Gesetz den sogenannten „Scheidungsbrief“ zuließ (Dtn 24, 1). Die Antwort Christi lautet: „Habt ihr nicht gelesen, daß der Schöpfer die Menschen am Anfang als Mann und Frau geschaffen hat und daß er gesagt hat: Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein? Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ {Mt 19,4-6). Wo es sich um die „Scheidungsurkunde“ handelt, antwortet Christus wie folgt: „Nur weil ihr so hartherzig seid, hat Mose euch erlaubt, eure Frauen aus der Ehe zu entlassen. Am Anfang war das nicht. Ich sage euch: Wer seine Frau entläßt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch“ {Mt 19, 8-9). „Wer seine Frau aus der Ehe entläßt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch“ {Lk 16,18). 7. Mit diesen Worten, die die Antwort auf eine konkrete Frage juridischmoralischen Charakters bilden, öffnet sich der Horizont der „Erlösung des Leibes“; er öffnet sich vor allem aufgrund der Tatsache, daß Christus sich auf die Ebene jenes Ursakraments stellt, das seine Gesprächspartner in einzigartiger Weise erben, weil sie auch die in den ersten Kapiteln der Genesis enthaltene Offenbarung des Schöpfungsgeheimnisses erben. Diese Worte enthalten zugleich eine universale Antwort, die sich an den Menschen der Geschichte aller Zeiten und Orte richtet, weil sie für die Ehe und ihre Unauflöslichkeit entscheidend sind; sie weisen in der Tat auf das hin, was der als Mann und Frau geschaffene Mensch ist, was er in nicht mehr rückgängig zu machender Weise dadurch geworden ist, daß er „als Büd und Gleichnis Gottes“ geschaffen wurde: der Mensch, der auch nach der Ursünde nicht aufhört, Mensch zu sein, auch wenn ihn diese Ursünde der usprünglichen Unschuld und Gerechtigkeit beraubt hat. Christus, der sich in seiner Antwort auf die Frage der Pharisäer auf den „Anfang“ bezieht, scheint so insbesondere die Tatsache unterstreichen zu wollen, daß er aus der Tiefe des Geheimnisses der Erlösung und der Erlösung des Leibes spricht. Denn Erlösung bedeutet gleichsam eine „neue Schöpfung“ - sie bedeutet die Annahme alles Geschaffenen: um in der Schöpfung die von Gott für sie bestimmte Fülle an Gerechtigkeit, Beständigkeit und Heiligkeit auszudrücken und um jene Fülle vor allem in dem als Mann und Frau „als Ebenbild Gottes“ geschaffenen Menschen zum Ausdruck zu bringen. In der Sicht der Worte, die Christus darüber an die Pharisäer richtet, was die Ehe „am Anfang“ gewesen sei, lesen wir auch den klassischen Text des Epheserbriefes (5, 22-33) als Zeugnis für die Sakramentalität der Ehe, das auf dem „tiefen Geheimnis“ Christi und der Kirche gründet. 197 Audienzen und Angelus Bei den ältesten Zentren des Glaubens Ansprache bei der Generalaudienz am 17. November 1. Noch einmal möchte ich dem König von Spanien und den Behörden jenes Landes sowie auch der Spanischen Bischofskonferenz danken für die Einladung zu den Abschlußfeiern des vierhundertsten Todesjahres der hl. Theresia von Jesus. Es war mir nicht möglich, an der Eröffnung dieses Jubiläums vor einem Jahr teilzunehmen, aber zu seinem feierlichen Abschluß konnte ich mich nach Spanien begeben. Die Schlußfeier des Theresienjahres fand am Allerheiligentag zunächst in Avila statt, wo die große heilige Reformerin des Karmels und Kirchenlehrerin geboren ist, und dann in Alba de Tormes, wo sie 1582 ihr irdisches Leben beendet hat. Auf diese Weise hat das Gedenkjahr der hl. Theresia in Spanien in Anwesenheit und unter Beteiligung des Papstes seinen Abschluß gefunden. 2. Dem Jubiläum zum Gedächtnis an die hl. Theresia kommt nicht nur im Hinblick auf die Gestalt der Heiligen eine besondere Bedeutung zu, sondern auch - indirekt - im Hinblick auf die Zeit, in der sie gelebt hat und die für die Geschichte der Kirche höchst wichtig ist. Gleichzeitig mit dem großen Werk der Theresia von Jesus erscheint am Horizont des erneuerten Karmels der hl. Johannes vom Kreuz. Und so konnte ich denn im Rahmen dieser Pilgerreise am 4. November auch sein Grab in Segovia besuchen. Die Sendung dieser beiden heiligen Kirchenlehrer fällt in die Zeit unmittelbar nach der Reformation und zugleich in die Zeit nach dem Konzil von Trient, das eine für jene Epoche bedeutsame Erneuerung der Kirche eröffnet: An diesem Prozeß hatte Spanien einen wesentlichen Anteil. Die Erneuerung, die von der Iberischen Halbinsel ausging, erfaßte durch die Heiligen des Karmels den Bereich des geistlichen Lebens, das Feld der Askese und der Mystik und erweiterte zugleich den Bereich des Apostolats und der Missionen im heutigen Sinn des Wortes. Im Verlauf meiner Pilgerreise durch Spanien konnte ich auch die beiden Stätten besuchen, mit denen diese Ausstrahlung der Erneuerung eng verbunden ist: Loyola und Javier. Loyola im Baskenland ist der Geburtsort des hl. Ignatius, des Gründers der Gesellschaft Jesu; Javier ist der Geburtsort des hl. Franz Xaver, des großen Pioniers und Patrons der Missionen. Die Missionswege des Heiligen, eines der ersten Gefährten des Ignatius von Loyola, haben ihn vor allem in den Fernen Osten geführt. Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, daß damals - seit fast einem Jahrhundert nach der Entdeckung 198 Audienzen und:Angelus Amerikas - die Missionare bereits nach Westen reisten, um das Evangelium zu verkündigen. 3. So standen also im Mittelpunkt des Papstbesuchs die großen Heiligen, die Spanien hervorgebracht hat. Die Heiligen sind auch die höchste Krönung der Geschichte der Kirche auf der Iberischen Halbinsel, einer Geschichte, die bis in die Zeiten der Apostel zurückreicht. Zu dieser Halbinsel strebte der hl. Paulus bei seinen Missionsreisen. Gefestigt wurde jedoch vor allem die Erinnerung und die Überlieferung des hl. Jakobus in Compostela im äußersten Nordwesten Spaniens, wohin im Laufe vieler Jahrhunderte die Pilger aus den verschiedenen Ländern Europas wallfahrteten. Indem er sich ihrer langen Reihe anschloß, wollte der Papst auf die apostolischen Traditionen der Kirche und dieser Nation auf der Iberischen Halbinsel hinweisen. Diese Traditionen überdauerten die Jahrhunderte, auch als sich der Großteü der Halbinsel unter der Herrschaft der Moslems befand, und sie entfalteten sich neu, als die katholischen Könige Isabella und Ferdinand wieder ganz Spanien unter ihrer Macht vereinigten. Die Pügerreise in jenes Land hat mich zu den ältesten Zentren des Glaubens und der Kirche aus fast zweitausend Jahren geführt. In diesem Glauben und in dieser Kirche haben die Heiligen und Seligen aller Epochen reiche Frucht gebracht. Die Seligsprechung der demütigen Dienerin der Armen, der seligen Angela vom Kreuz, in Sevilla stellte eine letzte Besiegelung dieses historischen Prozesses dar. 4. Und gleichzeitig ist diese päpstliche Pügerreise in Spanien in den Kontext der ganzen heutigen Wirklichkeit der Kirche, des Volkes Gottes auf der Iberischen Halbinsel eingetreten. Im Rahmen der weltlichen Überlieferung schienen die Probleme und Themen auf, die das Leben der Kirche und der Gesellschaft heute durchformen und die bereits am ersten Tag mit der Teilnahme an der Eucharistiefeier bei der nächtlichen Anbetung dem Herrn anvertraut worden sind. Besonders vielsagend war unter diesem Gesichtspunkt der Besuch in Toledo, dem Sitz des Primas von Spanien, wo in den vergangenen Jahrhunderten der Kirche wichtige Konzilien stattgefunden haben. Zugleich hat die Eucharistiefeier in Toledo die Vertreter des Laienapostolats aus dem ganzen Land zusammengeführt, und auf sie war die Predigt bei der heiligen Messe bezogen. Die Problematik des Lebens der Laien hat auch bei der Messe für die Familien in Madrid Ausdruck gefunden. Das war die zahlenmäßig am stärksten besuchte Veranstaltung von aUen während der ganzen Reise; dabei wurden die Probleme der Verantwortung katholischer Ehe und Familie hervorgehoben. 199 Audienzen und Angelus Unmittelbar neben sie kann man die Begegnung mit der Jugend im Stadion „Santiago Bernabeu“ in Madrid stellen, an der Hunderttausende von Jugendlichen teilnahmen (weit über eine halbe Milhon), der größte Teil von ihnen mußte außerhalb des Stadions bleiben. 5. Der Weg des Spanienbesuchs folgte nicht nur den Spuren bedeutender Heiliger, sondern führte auch in die wichtigen Ballungsräume, die den größten Teil der Bevölkerung umfassen, wie Madrid, Barcelona, Sevilla, Valencia, Saragossa. In der Nähe von Valencia habe ich auch die jüngst vom Hochwasser betroffenen Gebiete besucht. In Barcelona galt die wichtigste Begegnung, außer der Haupteucharistiefeier, der Welt der Arbeit, den Arbeitern und Industriellen. An die Landwirte waren die Worte der Predigt in Sevilla gerichtet. Mit den Seeleuten gab es eine besondere Begegnung in Santiago de Compostela. Der Emigration und den Auswanderern war die Begegnung in Guadalupe gewidmet. Einen nicht geringen Raum im Besuchsprogramm nahmen sodann die Zentren der Wissenschaft und der Kultur ein: Das Treffen mit den Vertretern der Königlichen Akademien, der wissenschaftlichen Forschung und der Universität von Madrid wurde vervollständigt durch die Begegnung mit der Universitätsjugend. In Salamanca wurde eine Ansprache an die Professoren und Studenten der kirchlichen Wissenschaften, vor allem an die Theologen, gehalten. 6. Die Kirche in Spanien erfüllt ihre Sendung, indem sie die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils in das Leben einbringt. Alle obengenannten Begegnungen beweisen, daß die Kirche sich bemüht, in der Welt von heute präsent zu sein. Hier sollte man noch die Begegnung mit den Vertretern der sozialen Kommunikationsmittel erwähnen, vor allem die mit den Journalisten, und den Besuch bei der Weltorganisation des Tourismus. Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen diejenigen, die mit ihrer Berufung und ihrem Wirken der Sendung der Kirche in herausragender Weise dienen. An erster Stelle sei hier die Bischofskonferenz erwähnt, mit der ich an ihrem neuen Sitz gleich nach meiner Ankunft in Spanien am ersten Abend zusammengetroffen bin. Der Tag der Priester wurde am 8. November in Valencia gefeiert, wo ich 141 Diakonen die Priesterweihe spenden konnte und zu den Vertretern der Priester aller Diözesen sprechen durfte. An die Seminaristen war eine eigene schriftliche Botschaft gerichtet. Wichtig war auch der Besuch in der Pfarrei San Bartolome, einer neuen Kirche, die in einem Außenbezirk der ständig wachsenden Großstadt Madrid hegt. 200 Audienzen und Angelus Getrennte Begegnungen gab es mit den Vertretern der männlichen und weiblichen religiösen Orden und Kongregationen, beide in Madrid. Die Klausurorden hatten ihre Vertreter nach Avila entsandt. Der großen missionarischen Verdienste der Kirche Spaniens wurde während der Begegnung in Javier gedacht, wo fünfzig neue Missionare und Missionarinnen das Missionskreuz erhielten. Der Sendungsauftrag der Kirche wird durch die ständige Erziehung im Glauben erfüllt. Dieser wichtigen Angelegenheit war eine Begegnung in Granada gewidmet. 7. Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Wahrheit von der besonderen Gegenwart der Gottesmutter Maria in der Sendung Christi und der Kirche neu in Erinnerung gerufen. Diese Wahrheit ist auch in der Gesamtüberlieferung der Kirche Spaniens besonders lebendig. Davon zeugen Gnadenbilder und Skulpturen in den verschiedenen Kathedralen und Kirchen jenes Landes. Davon geben die vielfältigen Anrufungen Zeugnis, mit denen sich die Bekenner Christi an seine Mutter wenden. Davon legen schließlich die zahlreichen Heiligtümer Zeugnis ab, von denen ich wenigstens das bereits genannte in Guadalupe (in gewissem Sinne Vorbild des amerikanischen Marienheiligtums gleichen Namens in Mexiko) und das von Montserrat in der Nähe von Barcelona erwähnen möchte. Als Ort für den nationalen Gottesdienst zu Ehren Mariens wurde das Heiligtum der Muttergottes del Pilar in Saragossa gewählt. 8. Ich will dem Herrn meinen innigsten Dank zum Ausdruck bringen in der wenn auch nur kurzen Erwähnung aller dieser Begegnungen, einschließlich jener mit der ökumenischen Gemeinschaft, den Juden und meinen Landsleuten und auch mit den Verstorbenen - denn ich konnte ja in Spanien den Allerseelentag verbringen -, für den Reichtum an gesunden Kräften und hochherzigen Absichten, den ich in jenem Land so alter und berühmter Traditionen angetroffen habe. Besonders danke ich für die Lebenskraft dieses Volkes und für seine tiefreligiösen Empfindungen. Ebenso bin ich dem Herrn dankbar für den Einsatz jener Kirche im Dienst des christlichen Lebens; mit Gottes Hilfe wünsche ich ihr von Herzen immer wirksamere und leuchtendere Ergebnisse. Und zugleich bete ich darum, daß dieser Besuch der großen Sache der Sendung der Kirche in der Gesellschaft des heutigen Spaniens und auch des heutigen Europas dienen möge: heute und morgen. Diesem wichtigen Anliegen war der letzte Festakt in der Kathedrale von Santiago de Compostela gewidmet, in Anwesenheit des Königspaares und der Vertreter verschiedener europäischer Länder und des Episkopats. 201 Audienzen und Angelus Mögen auf den glanzvollen zweitausendjährigen Fundamenten die neuen Generationen des Gottesvolkes auf der Iberischen Halbinsel und auf dem europäischen Kontinent wachsen. Von der Solidarität zur Gemeinschaft Vor dem Angelus in Palermo am Sonntag, 21. November 1. Vor Beendigung der Heiligen Messe und Erteilung des Segens wollen wir noch über die folgenden Worte der Konzüskonstitution über die Kirche, Lumen gentium, nachdenken: „Christus ist gehorsam geworden bis zum Tod. Deshalb wurde er vom Vater erhöht (vgl. Phil 2, 8-9) und ging in die Herrlichkeit seines Reiches ein. Ihm ist alles unterworfen, bis er selbst sich und alles Geschaffene dem Vater unterwirft, damit Gott alles in allem sei (vgl. 1 Kor 15, 27-28). Diese Gewalt teilte er seinen Jüngern mit, damit auch sie in königlicher Freiheit stehen und durch Selbstverleugnung und ein heiliges Leben das Reich der Sünde in sich selbst besiegen (vgl. Röm 6, 12), aber auch Christus in den anderen dienen und ihre Brüder in Demut und Geduld zu dem König hinführen, dem zu dienen herrschen bedeutet“ (Lumen gentium, Nr. 36). 2. Wenn wir dann den „Engel des Herrn“ beten, denken wir ganz besonders über die Antwort der Jungfrau von Nazaret nach: „Ich bin die Magd des Herrn“ (Lk 1, 38). Sie, die sich selbst „Magd“ nennt, hat in besonderem Maße teil an der Königsherrschaft Christi. Sie führt auch in immer größerer Zahl „ihre Brüder und Schwestern zu dem König hin, dem zu dienen herrschen bedeutet“. Sie selbst ist unsere Mutter und Königin. (Nach dem Angelus sagte der Papst:) Heute, am dritten Sonntag im November, begeht die italienische Kirche auf nationaler Ebene den Tag des Menschen unterwegs, der bereits vom hl. Papst Pius X. eingeführt wurde. Er macht die kirchliche Gemeinschaft auf das große Problem des Phänomens der Migration aufmerksam, um konkrete Initiativen der Hilfe und Solidarität für die sozialen und seel- 202 Audienzen und Angelus sorglichen Aktivitäten der italienischen Kirche zugunsten der Gastarbeiter und ihrer Familien in Gang zu bringen. Dieses Jahr fällt der Tag des Menschen unterwegs mit meinem Pastoral-besuch in einer der Regionen des Südens Italiens zusammen, die seit mehr als hundert Jahren zu den am tiefsten von der Auswanderung gekennzeichneten Gebieten gehört; sie war auch eines der vom Erdbeben am stärksten betroffenen Gebiete, ein nicht unbeachthcher Faktor, der nicht selten zum Verlassen des Heimatlandes nötigte. In zwei Tagen jährt sich zum zweiten Mal der Jahrestag des letzten Erdbebens, das ganze Dörfer im Süden zerstörte und beschädigte. Wenn wir in dieser Stunde der Toten, der Betroffenen und derer in der Ferne gedenken, ist es mein Wunsch, daß das Thema dieses Tages: „Von der Solidarität zur Gemeinschaft“, wirklich und rasch in die Tat umgesetzt werde, damit durch den materiellen Wiederaufbau das Leben der Betroffenen erleichtert werde und die menschliche Entwicklung konkretere Gestalt annehme. Das soll unser Gebet an den Herrn durch die Fürbitte Mariens, seiner und unserer Mutter, erreichen. (O.R. 22./23.11.82) Der ,,innerste Ort“ im Menschen Ansprache bei der Generalaudienz am 24. November 1. Wir haben den Epheserbrief und vor allem den Abschnitt 5, 22-23, vom Gesichtspunkt der Sakramentalität der Ehe her analysiert. Nun wollen wir denselben Text von den Worten des Evangeliums her untersuchen. Die Worte Christi an die Pharisäer (vgl. Mt 19) beziehen sich auf die Ehe als Sakrament, das heißt, auf die ursprüngliche Offenbarung des Heilswillens und -wirkens Gottes „im Anfang“, im Geheimnis der Schöpfung. Kraft jenes Heilswillens und -wirkens Gottes waren Mann und Frau, wenn sie sich vereinigten, um „ein Fleisch“ zu werden (Gen 2, 24), zugleich zur Einheit der Kinder Gottes „in Wahrheit und Liebe“ bestimmt (vgl. Gaudium et spes, Nr. 24), die im eingeborenen und von Ewigkeit her geliebten Sohn an Kindes Statt genommen sind. Auf diese Einheit und Gemeinschaft der Personen nach dem Bild der göttlichen Personen (vgl. ebd.) beziehen sich die Worte Christi, die der Ehe als Ur-Sakrament gelten und dieses Sakrament auf der Grundlage des Erlösungsgeheimnis- 203 Audienzen und Angelus ses zugleich bekräftigen. Denn die ursprüngliche „leibliche Einheit“ von Mann und Frau hört nicht auf, die Geschichte des Menschen auf Erden zu prägen, auch wenn sie die Durchsichtigkeit des Sakraments als Heilszeichen, die sie „im Anfang“ besaß, verloren hat. 2. Wenn Christus im Matthäus- und im Markusevangelium (vgl. Mt 19; Mk 10) seinen Gesprächspartnern gegenüber die Ehe als vom Schöpfer „im Anfang“ eingesetztes Sakrament bestätigt - und demgemäß ihre Unauflöslichkeit fordert -, öffnet er damit selbst die Ehe dem Heilswirken Gottes, den Kräften, die aus der „Erlösung des Leibes“ entspringen und helfen, die Folgen der Sünde zu überwinden und die Einheit von Mann und Frau nach dem ewigen Plan des Schöpfers aufzubauen. Das Heilswirken, das vom Geheimnis der Erlösung herkommt, nimmt das ursprüngliche heiligende Wirken Gottes im Schöpfungsgeheimnis in sich auf. 3. Die Worte des Matthäusevangeliums (vgl. Mt 19, 3-9; und Mk 10, 2-12) besitzen zugleich eine sehr klare sittliche Bedeutung. Diese Worte bestätigen - auf Grund des Erlösungsgeheimnisses - das Ur-Sakrament und bestimmen gleichzeitig ein entsprechendes Ethos, das wir bereits in unseren vorangegangenen Überlegungen als „Ethos der Erlösung“ bezeichnet haben. Das christliche Ethos des Evangeliums ist in seinem theologischen Wesen das Ethos der Erlösung. Wir können natürlich für dieses Ethos eine vernunftgemäße Interpretation, eine philosophische Auslegung personalistischen Charakters finden; doch in seinem theologischen Wesen ist es ein Ethos der Erlösung, ja ein Ethos der Erlösung des Leibes. Die Erlösung wird zugleich zur Grundlage, um die besondere, in der Würde von Mann und Frau als Personen verwurzelte Würde des menschlichen Leibes zu begreifen. Diese Würde begründet ja letztüch die Unauflöslichkeit des ehelichen Bundes. 4. Christus bezieht sich auf den unauflöslichen Charakter der Ehe als Ur-Sakrament, und indem er dieses Sakrament auf Grund des Erlösungsgeheimnisses bestätigt, zieht er daraus ethische Schlußfolgerungen: „Wer seine Frau aus der Ehe entläßt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entläßt und einen anderen heiratet“ (Mk 10,11 f.; vgl. Mt 19, 9). Mann kann sagen, daß auf diese Weise die Erlösung dem Menschen als Gnade des Neuen Bundes mit Gott in Christus geschenkt und zugleich als Ethos aufgetragen wird: als jene Form der Moral, die dem Handeln Gottes im Erlösungsgeheimnis entspricht. Wenn die Ehe als Sakrament ein wirksames Zeichen des Heilshandelns Gottes „im Anfang“ ist, so stellt dieses Sakrament zugleich - im Licht der hier betrachteten Worte Christi - auch eine an den Menschen, an Mann und Frau, gerich- 204 Audienzen und Angelus tete Aufforderung dar, sich bewußt an der Erlösung des Leibes zu beteiligen. 5. Die sittliche Dimension der Erlösung des Leibes zeichnet sich in ihrer ganzen Tiefe ab, wenn wir über die Worte nachdenken, die Christus in der Bergpredigt im Zusammenhang mit dem Gebot „Du sollst nicht die Ehe brechen“ gesprochen hat. „Ihr habt gehört, daß gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Wer eine Frau auch nur lüstern ansieht, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen“ (Mi 5, 27-28). Dieser lapidaren Aussage Christi haben wir schon eine ausführliche Betrachtung gewidmet in der Überzeugung, daß sie für die gesamte Theologie des Leibes, vor allem für den Bereich des „geschichtlichen“ Menschen, eine grundlegende Bedeutung besitzt. Und obwohl sich diese Worte nicht direkt und umnittelbar auf die Ehe als Sakrament beziehen, ist es doch unmöglich, sie von der sakramentalen Grundlage zu trennen, auf die - was den Ehebund betrifft - die Existenz des Menschen als Mann und Frau gestellt ist: sowohl im ursprünglichen Rahmen des Schöpfungsgeheimnisses als auch, in der Folge, im Rahmen des Erlösungsgeheimnisses. Diese sakramentale Grundlage trifft immer konkrete Personen; sie durchdringt das, was beide, Mann und Frau, in ihrer ursprünglichen Würde als Abbild und Gleichnis Gottes aufgrund ihrer Erschaffung und damit in eben der Würde sind, die der Mensch trotz der Sünde ererbt hat und die ihm durch die Wirklichkeit der Erlösung von neuem und für immer als Aufgabe gestellt ist. 6. Christus, der in der Bergpredigt das Gebot „Du sollst nicht die Ehe brechen“ auslegt - eine Auslegung, die für das neue Ethos grundlegend ist -, trägt mit denselben lapidaren Worten jedem Mann die Achtung vor jeder Frau als Aufgabe auf; gleichzeitig (obwohl das aus dem Text nur indirekt hervorgeht) trägt er auch jeder Frau die Achtung vor jedem Mann auf.) Schließlich trägt er jedem - sowohl dem Mann wie der Frau -die Selbstachtung auf; gewissermaßen das „sacrum“ (das innere Heiligtum) der Person, und das im Hinblick auf das Mannsein und Frausein, im Hinblick auf den Leib. Man kann leicht feststellen, daß die von Christus in der Bergpredigt verkündeten Worte die Sittlichkeit betreffen. Zugleich läßt sich nach einer gründlicheren Überlegung unschwer behaupten, daß diese Worte aus der Tiefe der Erlösung des Leibes stammen. Obwohl sie sich nicht direkt auf die Ehe als Sakrament beziehen, kann man ohne weiteres feststellen, daß sie ihre eigentliche und volle Bedeutung in der ') Der Text des hl. Markus, der von der Unauflöslichkeit der Ehe spricht, sagt klar, daß auch die Frau Ehebruch begeht, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entläßt und einen anderen heiratet (vgl. Mk 10, 12). 205 Audienzen und Angelus Beziehung zum Sakrament erreichen: sowohl zu jenem Ur-Sakrament, das mit dem Schöpfungsgeheimnis verbunden ist, als auch zu jenem anderen, in welchem der „geschichtliche“ Mensch nach dem Sündenfall und wegen seiner ererbten Sündhaftigkeit die Würde und Heiligkeit der körperlichen ehelichen Vereinigung aufgrund des Erlösungsgeheimnisses wiederfinden muß. 7. In der Bergpredigt, wie auch in dem Gespräch mit den Pharisäern über die Unauflöslichkeit der Ehe, spricht Christus aus der Tiefe jenes göttlichen Geheimnisses. Gleichzeitig versenkt er sich in die Tiefe des Geheimnisses Mensch. Deshalb weist er auf das „Herz“ hin, auf jenen „innersten Ort“ im Menschen, wo Gut und Böse, Sünde und Gerechtigkeit, Begierde und Heüigkeit miteinander kämpfen. Wenn Christus von der Begierde (dem lüsternen Blick: vgl. Mt 5, 28) spricht, macht er seinen Zuhörern bewußt, daß jeder, zusammen mit dem Geheimnis der Sünde, die innere Dimension „des Menschen der Begierde“ in sich trägt (es handelt sich um eine dreifache Begierde: „Fleischeslust, Augenlust und Hoffahrt des Lebens“: 1 Joh 2, 16). Diesem Menschen der Begierde wird in der Ehe das Sakrament der Erlösung als Gnade und Zeichen des Bundes mit Gott geschenkt - und als sittliche Forderung aufgetragen. Gleichzeitig ist es in Beziehung zur Ehe als Sakrament jedem Menschen, Mann und Frau, als sittliche Forderung aufgetragen: seinem Herzen, seinem Gewissen, seinen Bücken und seinem Verhalten. Die Ehe ist - nach den Worten Christi -(vgl. Mt 19, 4) - Sakrament von „Anfang“ an, und zugleich ist sie aufgrund der „geschichtüchen“ Sündhaftigkeit des Menschen ein Sakrament, das aus dem Geheimnis von der „Erlösung des Leibes“ hervorgeht. Begegnung zwischen Eros und Ethos Ansprache bei der Generalaudienz am 1. Dezember 1. Wir haben den Epheserbrief, und insbesondere Kapitel 5, Vers 22-33, im Hinbück auf die Sakramentalität der Ehe untersucht. Jetzt wollen wir versuchen, denselben Text noch einmal im Licht der Worte des Evange-üums und der Paulusbriefe an die Korinther und an die Römer zu betrachten. Die Ehe - als Sakrament, das im Erlösungsgeheimnis seinen Ursprung hat und gewissermaßen in der hochzeitüchen Liebe Christi und der Kirche seine Wiedergeburt erfuhr - ist ein wirksamer Ausdruck der Heilsmacht 206 Audienzen und Angelus Gottes, der seinen ewigen Plan auch nach dem Sündenfall und trotz der dreifachen Begierde verwirklicht, die im Herzen aller Männer und Frauen verborgen ist. Als sakramentaler Ausdruck jener Heilsmacht ist die Ehe auch eine Aufforderung, die Begierde zu bezähmen (wovon Christus in der Bergpredigt spricht). Frucht solcher Selbstbeherrschung ist die Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe und darüber hinaus ein feineres Empfinden für die Würde der Frau im Herzen des Mannes (wie auch der Würde des Mannes im Herzen der Frau) sowohl im ehelichen Zusammenleben wie in allen gegenseitigen Beziehungen. 2. Die Wahrheit, nach der die Ehe als Sakrament der Erlösung „dem Menschen der Begierde“ als Gnade und zugleich Ethos geschenkt ist, hat auch in der Lehre des hl. Paulus besonderen Ausdruck gefunden, insbesondere im 7. Kapitel des ersten Korintherbriefes. Während der Apostel die Ehe mit der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen vergleicht und sich für die „Überlegenheit“ der Ehelosigkeit erklärt, stellt er gleichwohl fest, daß „jeder seine Gnadengabe von Gott hat, der eine so, der andere so“ (7 Kor 7, 7). Auf Grund des Erlösungsgeheimnisses entspricht der Ehe also eine besondere „Gabe“, die Gnade. Im selben Zusammenhang empfiehlt der Apostel, der den Empfängern seines Briefes Ratschläge erteilt, die Ehe „wegen der Gefahr der Unzucht“ (ebd. 7, 2), und anschließend empfiehlt er den Eheleuten, „der Mann soll seine Pflicht gegenüber der Frau erfüllen und ebenso die Frau gegenüber dem Mann“ {ebd. 7, 3). Und er fährt fort: „Es ist besser zu heiraten, als sich in Begierde zu verzehren“ {ebd., 7, 9). 3. Auf diese Äußerungen des Paulus hin bildete sich die Meinung, die Ehe stelle eine Art Heilmittel gegen die Begierde dar. Doch der hl. Paulus, der - wie wir feststellen konnten - ausdrücklich lehrt, daß der Ehe eine besondere „Gabe“ entspricht und daß im Erlösungsgeheimnis die Ehe dem Mann und der Frau als Gnade gegeben ist, gibt in seinen eindrucksvollen und zugleich paradox scheinenden Worten lediglich dem Gedanken Ausdruck, daß die Ehe für die Eheleute ethische Bedeutung hat. In den Paulusworten „Es ist besser zu heiraten, als sich in Begierde zu verzehren“, bedeutet „sich in Begierde verzehren“ die Verwirrung der Leidenschaften durch die Begierde des Fleisches (ähnlich wird die Begierde im Alten Testament vom Buch Jesus Sirach aufgefaßt: vgl. Sir 23, 17). Die Ehe hingegen bedeutet die ethische Ordnung, die bewußt in diesen Bereich eingeführt wird. Man kann sagen, die Ehe ist Ort der Begegnung des Eros mit dem Ethos und ihrer gegenseitigen Durchdringung im „Herzen“ von Mann und Frau wie auch in allen ihren gegenseitigen Beziehungen. 207 Audienzen und Angelus 4. Diese Wahrheit - daß nämlich die Ehe als Sakrament, das seinen Ursprung im Geheimnis der Erlösung hat, für den geschichtlichen Menschen zugleich Gnade und Ethos ist - bestimmt überdies den Charakter der Ehe als eines der Sakramente der Kirche. Als Sakrament der Kirche ist die Ehe unauflöslich. Als Sakrament der Kirche ist sie auch Wort des Geistes, der den Mann und die Frau ermahnt, ihre ganze Ehe aus der Kraft des Geheimnisses von der „Erlösung des Leibes“ zu gestalten. Sie sind somit zur Keuschheit berufen - dem Stand des Lebens „nach dem Geist“, der ihnen eigen ist (vgl. Röm 8,4-5); Gal5,25). Die Erlösung des Leibes bedeutet in diesem Fall auch die Hoffnung im Alltag der Ehe, die als Hoffnung in der Zeit bezeichnet werden kann. Auf der Grundlage dieser Hoffnung wird die Begierde des Fleisches als Quelle der Sucht nach egoistischer Befriedigung überwunden, und das „Fleisch“ selbst wird in dem sakramentalen Bund von Mann und Frau zur spezifischen Grundlage einer dauerhaften und unauflöslichen Gemeinschaft in personenwürdiger Weise. Wenn sich die Ehegatten nach dem ewigen göttlichen Plan vereinigen, sind sie gewissermaßen „ein Fleisch“ und durch das Sakrament zu einem Leben „nach dem Geist“ berufen, wie es der sakramentalen Gnade entspricht. Eiraft dieser Gnade sind sie imstande, wenn sie als Eheleute ein Leben „nach dem Geist“ führen, die besondere Begnadung, deren sie teilhaft geworden sind, zu entdecken. Wie die „Begierde“ den inneren Gesichtskreis verdunkelt, den Herzen die Klarheit der Wünsche und Sehnsüchte nimmt, so erlaubt das Leben „nach dem Geist“ (das heißt die Gnade des Ehesakraments) dem Mann und der Frau, zurückzufinden zur wahren Freiheit der Hingabe, verbunden mit dem Bewußtsein der hochzeitlichen Bedeutung des Leibes in seiner männlichen und weiblichen Gestalt. 6. Das Leben „nach dem Geist“ kommt also auch in der „Vereinigung“ der Eheleute miteinander (vgl. Gen 4, 1) zum Ausdruck, durch die sie „ein Fleisch“ werden und sich als Frau und Mann dem Segen der Nachkommenschaft unterwerfen: „Der Mensch erkannte Eva, seine Frau; sie wurde schwanger und gebar. . . Da sagte sie: Ich habe einen Mann vom Herrn erworben“ {Gen 4, 1). Das Leben „nach dem Geist“ kommt auch hier in dem Bewußtsein von der Begnadung zum Ausdruck, dem die Würde der Ehegatten als Eltern entspricht, das heißt, es spiegelt sich in dem tiefen Bewußtsein von der Heiligkeit des Lebens, das sie gemeinsam begründen, indem sie - als Eltern - an den Kräften des Schöpfungsgeheimnisses teilhaben. Im Licht jener Hoffnung, die mit dem Geheimnis der Erlösung des Leibes verbunden ist (vgl. Röm 8, 19-23), macht sich 208 Audienzen und Angelus dieses neue Menschenleben, der neue, aus der ehelichen Vereinigung von Vater und Mutter gezeugte und geborene Mensch, für die „Erstlingsgabe des Geistes“ {ebd. 8, 23) bereit, „um zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes befreit zu werden“ {ebd., 8, 21). Und wenn „die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt {ebd., 8, 22), so begleitet eine besondere Hoffnung die Wehen der gebärenden Mutter oder die des „Offenbarwerdens der Söhne Gottes“ {ebd., 8, 19), eine Hoffnung, von der jedes neugeborene Kind einen Funken in sich trägt. 7. Diese Hoffnung, die „in der Welt“ ist und - wie der hl. Paulus lehrt -die ganze Schöpfung durchdringt, ist aber zugleich nicht „von der Welt“. Mehr noch: Sie muß im Herzen des Menschen das bekämpfen, was „von der Welt“, was „in der Welt“ ist. „Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt“ {1 Joh 2,16). Die Ehe als Ur-Sakrament, das im Geheimnis von der Erlösung des Leibes aus der Liebe Christi und der Kirche stammt, „kommt vom Vater“. Sie ist nicht „von der Welt“, sondern „vom Vater“. Infolgedessen stellt auch die Ehe als Sakrament die Grundlage der Hoffnung für die Person, das heißt, für Mann und Frau, für Eltern und für Kinder, für die Generationen der Menschheit dar. Denn einerseits „vergeht die Welt mit ihrer Begierde“, andererseits aber „bleibt, wer den Willen Gottes tut, in Ewigkeit“ {1 Joh 2, 17). Mit der Ehe als Sakrament ist der Ursprung des Menschen in der Welt verbunden, und darin ist zugleich seine Zukunft eingeschrieben, und das nicht nur in den geschichtlichen, sondern auch den endzeitlichen Dimensionen. 8. Hierauf beziehen sich die Worte Christi über die Auferstehung der Toten, die von den drei Synoptikern wiedergegeben werden (vgl. Mt 22, 23-32; Mk 12, 18-27; Lk 20, 34-39). „Denn nach der Auferstehung werden die Menschen nicht mehr heiraten, sondern sein wie die Engel im Himmel“, so bei Matthäus und ähnlich bei Markus; bei Lukas heißt es: „Nur in dieser Welt heiraten die Menschen. Die aber, die Gott für würdig hält, an jener Welt und an der Auferstehung der Toten teilzuhaben, werden dann nicht mehr heiraten. Sie können auch nicht mehr sterben, weil sie den Engeln gleich und durch die Auferstehung zu Söhnen Gottes geworden sind“ {Lk 20, 34-36). Diese Texte haben wir bereits früher einer eingehenden Betrachtung unterzogen. 9. Christus sagt, daß die Ehe als Sakrament des Ursprungs des Menschen in der sichtbaren zeitlichen Welt nicht der endzeitlichen Wirklichkeit der „zukünftigen Welt“ angehört. Doch der Mensch, der durch die Auferste- 209 Audienzen und Angelus hung des Leibes dazu berufen ist, an dieser endzeitlichen Zukunft teilzuhaben, ist derselbe Mensch, Mann und Frau, dessen Ursprung in der sichtbaren zeitlichen Welt mit der Ehe als Ur-Sakrament des Schöpfungsgeheimnisses verbunden ist. In der Tat hat jeder Mensch, der zur Teilnahme an der Wirklichkeit der künftigen Auferstehung berufen ist, diese Berufung in der Welt, weil er durch die Ehe seiner Eltern in der sichtbaren zeitlichen Welt seinen Ursprung hat. Die Worte Christi, die die Ehe aus der Wirklichkeit der „künftigen Welt“ ausschließen, enthüllen somit gleichzeitig indirekt die Bedeutung dieses Sakraments für die Teilnahme der Menschen, Söhne und Töchter an der kommenden Auferstehung. 10. Die Ehe, die Ur-Sakrament ist - gewissermaßen wiedergeboren in der Liebe Christi und der Kirche -, gehört nicht zur „Erlösung des Leibes“ in der Dimension der endzeitlichen Hoffnung (vgl. Röm 8, 23). Dieselbe Ehe, die dem Menschen als Gnade, als von Gott für die Ehegatten bestimmte „Gabe“ gegeben und ihnen zugleich nach den Worten Christi als sittliche Aufgabe gestellt wird, findet also ihre Vollendung und Verwirklichung im Horizont der endzeitlichen Hoffnung. Sie hat eine wesentliche Bedeutung für die „Erlösung des Leibes“ in der Dimension dieser Hoffnung. Sie stammt ja vom Vater und verdankt ihm ihren Ursprung in der Welt. Und wenn diese „Welt vergeht“ und wenn mit ihr auch Fleischeslust, Augenlust und Hoffahrt des Lebens vergehen, die „von der Welt“ sind, dient die Ehe als Sakrament in entscheidender Weise dazu, daß der Mensch, Mann und Frau, durch Bezähmung der Begierde den Willen des Vaters tut. Und „wer den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“ (1 Joh 2, 17). 11. In diesem Sinn trägt die Ehe als Sakrament auch den Keim der endzeitlichen Zukunft in sich, das heißt die Perspektive der „Erlösung des Leibes“ in der Dimension der endzeitlichen Hoffnung, der die Worte Christi über die Auferstehung entsprechen: „Nach der Auferstehung werden die Menschen nicht mehr heiraten“ {Mt 22, 30); doch auch diejenigen, „die durch die Auferstehung zu Söhnen Gottes geworden sind . . . und den Engeln gleich und Söhne Gottes sind“ {Lk 20, 36), verdanken ihren Ursprung in der sichtbaren zeitlichen Welt der Ehe und der geschlechtlichen Vereinigung von Mann und Frau. Die Ehe als Sakrament des menschlichen „Anfangs“ als Sakrament der Zeitlichkeit des geschichtlichen Menschen erfüllt auf diese Weise einen unersetzlichen Dienst für seine überzeitliche Zukunft und das Geheimnis von der „Erlösung des Leibes“ in der Dimension der endzeitlichen Hoffnung. 210 Audienzen und Angelus Im Advent um Priesterberufe beten! Vor dem Angelus am Sonntag, 12. Dezember 1. Im Brief an die Philipper, den wir in der heutigen Liturgie lesen, richtet der hl. Paulus eine nachdrückliche Aufforderung an uns: „ . . . bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott“ (Phil 4,6). Im Advent wollen wir „im Gebet“ das Problem der Priester- und Ordensberufe „vor Gott bringen“. Das möchte ich gerade heute beim Gebet des „Engel des Herrn“ tun. Und da der Apostel empfiehlt, die Bitten mit dem Dank zu verbinden, danke ich vor allem für die vielen Berufungen, die die Kirche im Laufe dieses Jahres von Gott erhalten hat. Jede Berufung ist ein kostbares Geschenk, in dem der Herr der ganzen Gemeinschaft des Gottesvolkes nahekommt und begegnet. Sie sind also ein besonderes Zeichen des Advents. Deshalb danken wir in dieser Zeit des Kirchenjahres für sie und bitten zugleich um mehr Berufungen. Und vor allem freuen wir uns über jede Berufung, die der Herr seiner Kirche schickt, mit jener Freude, zu der uns die Liturgie des heutigen Sonntags einlädt. „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch!“ (Phü 4, 4). 2. Diese Freude des Sonntags Gaudete möchte ich heute bekräftigen und zugleich ihre Botschaft an meine Brüder im Bischofsamt in Ungarn richten und ihnen für ihren diesjährigen „Ad-limina“-Besuch danken. Es war für mich eine große Freude, mit den Bischöfen jener Ortskirchen zusammenzutreffen, die auf eine tausendjährige christliche Geschichte zurückblicken können und die von den Anfängen ihrer nationalen Existenz an mit den heiligen Königen Stefan und Ladislaus und dem hl. Bischof und Märtyrer Gerardus sofort ein Zeugnis ihrer zuverlässigen Anhänglichkeit an den Stuhl Petri gegeben haben. Wie in verschiedenen anderen Ländern der westlichen und östlichen Welt befindet sich auch die Kirche in Ungarn in einer tiefen sozialen Umwandlung, begleitet von Erscheinungen der Verweltlichung und religiösen Gleichgültigkeit. Zu den vorrangigen pastoralen Problemen gehören: die Katechese, besonders unter der Jugend, die Familie, die eine geistige Krise erlebt, die nicht ausreichenden kirchlichen Berufungen, die männlichen und weiblichen Ordensgemeinschaften, die sich im Laufe der Jahrhunderte um die Kultur und den Fortschritt der ungarischen Nation so verdient gemacht haben. 211 Audienzen und Angelus Ich will noch an die tiefe Liebe und Verehrung des ungarischen Volkes für die Muttergottes erinnern, die als „Magna Domina Hungarorum“ verehrt wird: Ihr zu Ehren wurde in den Vatikanischen Grotten unter der Peterskirche eine schöne Kapelle eingerichtet, die ich zu meiner Freude am 8. Oktober 1980 mit einer Eucharistiefeier einweihen konnte. In dieser Adventszeit, in der wir uns Maria, die die Geburt des Sohnes Gottes, der Mensch wird, erwartet, besonders nahe fühlen, vertrauen wir ihr die katholische Gemeinde in Ungarn an. „Durch die Wirklichkeit der Erlösung zum Geheimnis der Schöpfung“ Ansprache bei der Generalaudienz am 15. Dezember 1. Der Verfasser des Epheserbriefes spricht, wie wir bereits gesehen haben, von einem „tiefen Geheimnis“, das durch die Fortdauer des Heilsplanes Gottes mit dem Ur-Sakrament verbunden ist. Auch er beruft sich auf den „Anfang“, wie es Christus im Gespräch mit den Pharisäern getan hatte (vgl. Mt 19, 8), und zitiert dabei dieselben Worte: „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein“ (Gen 2, 24). Dieses „tiefe Geheimnis“ ist vor allem das Geheimnis vom Bund Christi mit der Kirche, das der Apostel in der Ähnlichkeit des Verhältnisses der Eheleute zueinander darstellt: „Ich beziehe es auf Christus und die Kirche“ (Eph 5, 32). Wir befinden uns hier im Bereich einer weitreichenden Analogie, in der die Ehe als Sakrament einerseits vorausgesetzt und andererseits neu entdeckt wird. Sie wird vorausgesetzt als Sakrament des menschlichen „Anfangs“ im Zusammenhang mit dem Schöpfungsgeheimnis. Und sie wird neu entdeckt als Frucht der hochzeitlichen Liebe Christi und der Kirche, verbunden mit dem Geheimnis der Erlösung. 2. Der Verfasser des Epheserbriefes, der sich direkt an die Eheleute wendet, ermahnt sie, ihre gegenseitige Beziehung nach dem Vorbild des hochzeitlichen Verhältnisses Christi zur Kirche zu gestalten. Man kann sagen, er trägt ihnen durch die Voraussetzung der Sakramentalität der Ehe in ihrer ursprünglichen Bedeutung auf, aus dem hochzeitlichen Verhältnis Christi zur Kirche dieses Sakrament neu verstehen zu lernen: 212 Audienzen und Angelus „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen“ (Eph 5, 25-26). Diese vom Apostel an die christlichen Eheleute gerichtete Aufforderung ist voll begründet, weü sie durch das Ehesakrament an der heilbringenden Liebe Christi teilhaben, die zugleich als seine hochzeitliche Liebe zur Kirche ihren Ausdruck findet. Im Lichte des Epheserbriefes wird gerade durch die Teilnahme an dieser heilbringenden Liebe Christi die Ehe als Sakrament des menschlichen „Anfangs“ erneuert, das heißt als Sakrament, in dem der Mann und die Frau, die aufgerufen sind, „ein Fleisch“ zu werden, an der Schöpfungsliebe Gottes selbst teilhaben, bestätigt. Und sie haben deswegen daran teil, weil sie nach dem Ebenbüd Gottes geschaffen und kraft dieser Ebenbildlichkeit zu einem besonderen Bund (communio personarum) berufen sind, als auch deshalb, weil dieser Bund von Anfang an mit dem Segen der Fruchtbarkeit bedacht war (vgl. Gen 1, 28). 3. Dieses ganze ursprüngliche und feste Gefüge der Ehe als Sakrament des Schöpfungsgeheimnisses erneuert sich nach dem klassischen Text des Epheserbriefes (Eph 5, 21-33) im Geheimnis der Erlösung, wenn dieses Geheimnis den Inhalt der hochzeitlichen Begnadung der Kirche durch Christus annimmt. Dieses ursprüngliche und feste Gefüge der Ehe erneuert sich, wenn die Eheleute sie als Sakrament der Kirche empfangen, in dem sie aus der neuen Tiefe der Begnadung des Menschen durch Gott schöpfen, die sich mit dem Erlösungsgeheimnis enthüllt und eröffnet hat, da „Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, um sie . . . heilig zu machen“ (Eph 5, 25-26). Es erneuert sich jenes ursprüngliche und dauerhafte Bild von der Ehe als Sakrament, wenn die christlichen Eheleute im Bewußtsein der wahren Tiefe der „Erlösung des Leibes“ sich „in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus“ (Eph 5, 21) vereinen. 4. Das paulinische Bild von der Ehe, wie es in dem „tiefen Geheimnis“ Christi und der Kirche festgehalten ist, stellt die erlösende Dimension der Liebe der hochzeitlichen an die Seite. Es verbindet gewissermaßen diese beiden Dimensionen zu einer einzigen. Christus ist zum Bräutigam der Kirche geworden, er hat sich mit der Kirche, seiner Braut, vermählt, weil „er sich für sie hingegeben hat“ (Eph 5, 25). Mittels der Ehe als Sakrament (als eines der Sakramente der Kirche) durchdringen diese beiden Dimensionen der Liebe, die hochzeitliche und die erlösende, zusammen mit der Gnade des Sakraments das Leben der Eheleute. Die hochzeitliche Bedeutung des Leibes in seinem Mannsein und Frausein, die zum ersten Mal im Schöpfungsgeheimnis vor dem Hintergrund der ursprünglichen Unschuld des Menschen offenbar wurde, wird im Büd des 213 Audienzen und Angelus Epheserbriefes mit der Erlösungsbedeutung verbunden und auf diese Weise bestätigt, ja gewissermaßen „neu geschaffen“. 5. Das ist von Bedeutung im Hinblick auf die Ehe, auf die christliche Berufung der Gatten und Gattinnen. Der Text des Epheserbriefes (5, 21-33) wendet sich direkt an sie und spricht vor allem zu ihnen. Doch jene Verbindung der hochzeitlichen Bedeutung des Leibes mit seiner erlösenden Bedeutung ist ebenso wesentlich und gültig für die Sinndeutung des Menschseins überhaupt: für das grundlegende Problem des Verständnisses und Selbstverständnisses seines Seins in der Welt. Wir können aus diesem Problem natürlich nicht die Frage nach dem Sinn, nach der Bedeutung unserer Leiblichkeit, warum wir als Leib Mann und Frau sind, ausschließen. Diese Fragen sind zum ersten Mal bei der Analyse des menschlichen „Anfangs“ im Rahmen des Buches Genesis gestellt worden. Das verlangte der Zusammenhang selbst; das verlangt auch der „klassische“ Text des Epheserbriefes. Und wenn uns das „tiefe Geheimnis“ von der Verbundenheit Christi mit der Kirche dazu verpflichtet, die hochzeitliche Bedeutung des Leibes im Zusammenhang mit seiner erlösenden Bedeutung zu sehen, finden die Eheleute in diesem Zusammenhang die Antwort auf die Frage nach dem Sinn ihrer Leiblichkeit, aber nicht nur sie, wenngleich dieser Text aus dem Brief des Apostels vor allem an sie gerichtet ist. 6. Das paulinische Bild vom „tiefen Geheimnis“ Christi und der Kirche spricht indirekt auch von der „Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen“, wo sich beide Dimensionen der Liebe, die hochzeitliche und die erlösende, in einer von der Ehe verschiedenen Weise und in einem anderen Verhältnis miteinander verbinden. Ist jene hochzeitliche Liebe, mit der Christus „die Kirche - seine Braut - geliebt und sich für sie hingegeben hat“, nicht zugleich die vollkommenste Verkörperung des Ideals der „Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen“ (Mt 19, 12)? Finden nicht in ihr alle jene - Männer und Frauen - Stütze und Rückhalt, die durch ihre Entscheidung für dieses Ideal die hochzeitliche Dimension der Liebe mit ihrer erlösenden Dimension nach dem Vorbild Christi selber verbinden wollen? Sie wollen mit ihrem Leben bekräftigen, daß die hochzeitliche Bedeutung des Leibes - in seinem Mann- oder Frausein -, die zutiefst der Wesensstruktur der menschlichen Person eingeschrieben ist, von Christus und durch das Vorbild seines Lebens auf neue Weise für die mit der Erlösung des Leibes verbundene Hoffnung erschlossen wurde. So trägt also die Gnade des Erlösungsgeheimnisses auch - ja in besonderer Weise - in der Berufung zur Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ ihre Früchte. 214 Audienzen und Angelus 7. Der Text des Epheserbriefes (5, 22-33) spricht nicht ausdrücklich davon. Er ist an die Eheleute gerichtet und nach dem Bild der Ehe gestaltet, das durch seine Ähnlichkeit den Bund Christi mit der Kirche erklärt: ein Bund erlösender und hochzeitlicher Liebe zugleich. Ist es nicht gerade diese Liebe, die als lebendiger Ausdruck des Erlösungsgeheimnisses über den begrenzten Kreis der Adressaten des Briefes hinausgeht, wie er aufgrund des Vergleiches mit der Ehe angesprochen war? Schließt sie nicht jeden Menschen, ja gewissermaßen die ganze Schöpfung ein, wie der Paulustext über die „Erlösung des Leibes“ im Römerbrief feststellt (vgl. Röm 8, 23)? So verstanden ist das „sacramentum magnum“ geradezu ein neues Sakrament der Menschen in Christus und in der Kirche: das Sakrament des Menschen und der Welt, so wie die Schöpfung des Menschen als Mann und Frau nach dem Ebenbild Gottes am Anfang das Sakrament des Menschen und der Welt war. In dieses neue Sakrament der Erlösung ist die Ehe organisch einbeschlossen, so wie sie in das Ur-Sakrament der Schöpfung einbeschlossen war. 8. Der Mensch, der seit dem „Anfang“ Mann und Frau ist, muß den Sinn seiner Existenz und seines Menschseins suchen, indem er durch die Wirklichkeit der Erlösung bis zum Geheimnis der Schöpfung vordringt. Dort findet sich auch die wesentliche Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des menschlichen Leibes, nach der Bedeutung des Mann- und Frauseins der menschlichen Person. Die Verbindung Christi mit der Kirche läßt uns begreifen, in welcher Weise die hochzeitliche Bedeutung des Leibes durch seine erlösende Bedeutung ergänzt wird, und das im Verlauf der verschiedenen Lebenswege und -Situationen: nicht nur in der Ehe oder in der Ehelosigkeit (d.h. in Jungfräulichkeit oder Zölibat), sondern zum Beispiel auch in den vielfältigen Formen menschlichen Leidens, ja sogar in der Geburt und im Tod des Menschen. Durch das „tiefe Geheimnis“, von dem der Epheserbrief handelt, durch den neuen Bund Christi mit der Kirche wird die Ehe aufs neue in jenes „Sakrament des Menschen“ einbezogen, das das Universum umfaßt, in das Sakrament des Menschen und der Welt, das sich kraft der „Erlösung des Leibes“ nach dem Vorbild zur Kirche bis zur endgültigen Erfüllung im Reich des Vaters verwirklicht. Die Ehe als Sakrament bleibt ein lebendiger Teil dieses Heilsprozesses. 215 Audienzen und Angelus Grundentscheidung der Menschheit vor der Krippe von Betlehem Ansprache bei der Generalaudienz am 22. Dezember Liebe Brüder und Schwestern! 1. Wir stehen bereits auf dem Höhepunkt des Advents! Die Kirche hat uns in diesen Tagen der Gnade durch ihre Liturgie über das Geheimnis der doppelten Ankunft Christi nachdenken lassen: die Ankunft in der Niedrigkeit unserer menschlichen Natur und die endgültige Wiederkunft am Ende der Tage. Die Liturgie empfiehlt uns daher, daß der Herr uns im Gebet wachend und sein Lob jauchzend antrifft, denn er schenkt uns die Gnade, uns mit Freude auf das Geheimnis seiner Geburt vorzubereiten (vgl. 2. Adventspräfation). Wir Christen sind in dieser Zeit aufgerufen, die wunderbaren und geheimnisvollen Ereignisse der Menschwerdung des Sohnes Gottes zu betrachten, der sich in der ergreifenden Gestalt eines Kindes, in Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt, sich erniedrigt und arm und hinfällig wird. Aber gerade dieses Kind leitet, orientiert und kennzeichnet das Verhalten, die Entscheidungen und das Leben jener Personen, die ihm nahe sind oder sich von seiner Gegenwart ergreifen lassen. Elisabeth hat in ihrem Alter in ihrem Schoß wunderbarerweise das Leben eines Sohnes, den sie seit Jahren ersehnte, aufblühen sehen als Gnade des Herrn: Johannes der Täufer wird der Vorläufer des Messias sein, und ihr Mann Zacharias, dessen Zunge sich löst, wird die Großtaten Gottes für sein Volk besingen. Hirten können den Erlöser betrachten; Weise, die seit Jahren in den Zeichen der Gestirne des Himmels nach dem Absoluten suchen, werfen sich anbetend vor dem Neugeborenen nieder. Der greise Simeon, der ebenfalls seit langem auf den Messias gewartet hat: „Licht der Heiden und Herrlichkeit Israels“ (vgl. Lk 2, 32), und Anna, die ehrwürdige Prophetin, jubeln über die „Erlösung Jerusalems“ (vgl. Lk 2, 38); da ist Josef, der schweigende, wachsame, aufmerksame, zärtliche und väterliche Hüter und Beschützer des zarten Kindes; da ist endlich und vor allem sie, Maria, die Mutter, die sich vor dem unaussprechlichen Ratschluß Gottes in ihre Armseligkeit versenkt hat, indem sie sich „Magd des Herrn“ nennt und sich voll dem Plan Gottes zur Verfügung stellt. Um dieses Kind sind aber leider nicht nur Personen versammelt, die es erwartet, gesucht, geliebt und angebetet haben; da ist auch die gleichgültige Menge der Pilger und der Einwohner von Betlehem oder sogar der 216 Audienzen und Angelus mächtige und mißtrauische König Herodes, der, um seine Macht zu bewahren, unschuldige Kinder ermordet in dem Versuch, den mutmaßlichen Thronanwärter auszuschalten. 2. Vor der Krippe von Betlehem - wie später vor dem Kreuz von Golgata - trifft die Menschheit bereits ihre Grundentscheidung gegenüber Jesus; eine Entscheidung, die der Mensch letztlich unausweichlich Tag für Tag vor seinem Gott, Schöpfer und Vater, treffen muß. Dies geschieht vor allem und an erster Stelle in der Tiefe des persönlichen Gewissens. Hier vollzieht sich die Begegnung zwischen Gott und Mensch. Es handelt sich hier um das dritte Kommen, von dem die Väter sprechen, oder um die „Zwischenankunft“, die der hl. Bernhard theologisch und aszetisch entfaltet hat: „Bei seinem ersten Kommen ließ das Wort sich auf der Erde erblicken, und es verweilte unter den Menschen, als sie, wie es selbst sagt, es sahen und haßten. Bei seinem letzten Kommen ,wird alles Fleisch das Heil Gottes schauen und ,auf den schauen, den sie durchbohrt haben4. Verborgen dagegen ist die Zwischenankunft, bei der nur die Auserwählten ihn in ihrem Innern sehen und ihre Seelen gerettet werden“ {Sermon V, De medio adventu et triplici innovatione, 1. Opera, Ed. Cisterciensis IV, 1966, S. 188). Dieser Advent, in den der Mensch, von der Gnade getragen, sich einfügt, indem er die inneren Haltungen jener nachahmt, die Jesus erwartet, gesucht, an ihn geglaubt und ihn geliebt haben, wird lebendig durch beständige Betrachtung und Aneignung des Wortes Gottes, das für den Christen in seinem geistlichen Leben erster und grundlegender Bezugspunkt bleibt; er wird fruchtbar und beseelt durch Gebet, Anbetung und Lob Gottes, für das die Gesänge des „Benedictus“ von Zacharias, des „Nunc dimittis“ von Simeon, besonders aber das „Magnifikat“ der Gottesmutter unvergleichbare Vorbilder sind. Dieser innerliche Advent wird unterstützt durch den ständigen Empfang der Sakramente, zumal der Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie, die uns läutern und mit der Gnade Christi beschenken und uns so zu „neuen Menschen“ machen, gemäß der dringenden Aufforderung Jesus: „Bekehrt euch!“ (vgl. Mt 3, 2; 4, 17; Lk 5, 32; Mkl, 15). In diesem Sinn kann und muß für uns Christen täglich Advent sein, kann und muß täglich Weihnachten sein. Je mehr wir also unsere Herzen reinigen, je mehr wir in unserem Herzen der Liebe Gottes Raum geben, desto mehr kann Christus kommen und in uns geboren werden. „Elisabeth - schreibt der hl. Ambrosius - wird vom Heiligen Geist erfüllt, nachdem sie empfangen hat; Maria zuvor . . . Du merkst gut, daß Maria nicht gezweifelt, sondern geglaubt hat. Deswegen hat sie die Frucht ihres 217 Audienzen und Angelus Glaubens erhalten. ,Selig, die du geglaubt hast.“ Selig seid aber auch ihr, die ihr gehört und geglaubt habt: Deirn jedes Herz, das glaubt, empfängt und gebiert das Wort Gottes und versteht sein Wirken. In jedem möge die Seele Mariens leben, um den Herrn zu preisen, in jedem möge der Geist Mariens wirken, um Gott zu loben“ {Expos. Ev. sec. Lucam II, 23, 26; CCL 14, S, 41, 42). 3. Wir dürfen daher das Weihnachtsfest nicht umdeuten und entwerten dadurch, daß wir es zu einem Fest unnützer Verschwendung, zum Ausdruck oberflächlichen Konsumdenkens machen. Weihnachten ist das Fest der Demut, der Armut, der Entäußerung und Erniedrigung des Sohnes Gottes, der kommt, um uns seine unermeßliche Liebe zu schenken; es muß daher begangen werden in einem echten Geist des Teilens und der Anteilnahme mit den Brüdern, die unsere liebevolle Hilfe nötig haben. Es muß ein wesentlicher Abschnitt für die Betrachtung unseres Verhaltens gegenüber dem „Gott, der kommt“ sein; diesem Gott, der kommt, können wir in einem wehrlosen und weinenden Kind begegnen; in einem Kranken, der die Kräfte seines Körpers mehr und mehr dahinschwinden sieht; in einem alten Menschen, der sein ganzes Leben gearbeitet hat und sich nun an den Rand gedrängt und nur geduldet sieht in unserer modernen Gesellschaft, die sich auf Leistung und Erfolg gründet. In der Vesper richtet die Kirche heute an Christus jenes wunderbare Gebet: Oh, Christus, König der Völker, seit Jahrhunderten erwartet und ersehnt von der Menschheit, die durch die Sünde verwundet und zerrissen ist; du bist der Eckstein, auf dem die Menschheit sich neu erbauen und von dem sie eine endgültige, lichtvolle Führung auf ihrem Weg durch die Geschichte empfangen kann; du hast durch deine Opferhingabe an den Vater die getrennten Völker vereint; komm und rette den Menschen, der zugleich elend und groß ist, von dir „aus dem Staub der Erde“ gebildet, der in sich dein Bild und Gleichnis trägt! Mit diesen Gedanken richte ich an euch alle, die ihr hier anwesend seid, meinen aufrichtigen und herzlichen Glückwunsch: Frohe Weihnachten! Mit meinem Apostolischen Segen. 218 Audienzen und Angelus Die Eltern: ein Beispiel reifer Menschlichkeit Vor dem Angelus am 26. Dezember „Dann kehrte er mit ihnen nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam. Seine Mutter bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen“ (Lk 2, 51). Das Geheimnis der Geburt des Herrn verbirgt in sich das Evangelium von der Familie. Und heute enthüllt und verkündet es dieses in besonderer Weise. Der Sonntag in der Weihnachtsoktav ist der Verehrung der Heiligen Familie: Jesus, Maria und Josef, geweiht. Durch dieses göttliche Geheimnis betrachten wir heute jede Menschenfamilie als kleine Hauskirche, in der die tiefsten menschlichen Werte hochgehalten werden: die Werte des Lebens und der Liebe, aus denen die Menschlichkeit aller Menschen wächst und sich entwickelt. 2. Die Worte des Lukasevangeliums sprechen von den Grundgesetzen dieser Entwicklung. Da ist Jesus, der nach Nazaret zurückkehrt und Maria und Josef gehorcht. Dieser „Gehorsam“ ist ein kindlicher Gehorsam, aber zugleich eine gehorsame Öffnung für die Menschlichkeit, die man immer lernen muß, vor allem in der Famüie. Die Eltern müssen sich so verhalten, daß ihre Kinder in ihnen ein lebendiges Beispiel reifer Menschlichkeit finden - und auf dieser Grundlage ihre eigene menschliche und christliche Reife entwickeln können. So heißt es in der Tat in den letzten Worten des heutigen Evangeliums: „Jesus aber wuchs heran, und seine Weisheit nahm zu, und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen“ (Lk 2, 51). 3. Diesem ersten Gesetz der Entwicklung des Menschen in der Familie entspricht ein zweites. Der Evangelist sagt: „Seine Mutter bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen“ (Lk 2, 51). Damit sich die Persönlichkeit in der Familie entfalten kann, ist eine große Sensibilität gegenüber den andern notwendig. Zunächst die der Mutter und des Vaters gegenüber dem Kind, aber auch die Sensibilität, die man in allen gegenseitigen Beziehungen einander schuldet. Diese gesunde Sensibilität schafft ein Klima der Liebe, in dem sich der Mensch entwickelt. Wie eine Pflanze Licht und Wärme zu ihrer Entwicklung braucht, so braucht der Mensch Liebe. 4. Heute wollen wir beim Angelus für alle Familien der Welt beten -besonders für die, die sich in Schwierigkeiten befinden. Beten wir für die Heiligkeit des Familienlebens. Beten wir darum, daß das Apostolische Schreiben Familiaris consortio, die Frucht der letzten Bischofssynode, der Sache der Familie in Kirche und Welt gute Dienste leiste. 219 Audienzen und Angelus Jeden Sonntag erinnere ich an meine Brüder im Bischofsamt, die im Laufe des Jahres zum „Ad-hmina“-Besuch hier waren. Heute möchte ich die Bischöfe der Kirche meines Vaterlandes erwähnen, die mit den Bischöfen Europas dieser Pflicht nachgekommen sind. Möge ihr bischöfliches Dienstamt in Polen reiche Frucht tragen, wo die Kirche seit über tausend Jahren tief mit der Nation verbunden ist. Verbunden, weil sie immer um das geistliche Wohl der ganzen Nation besorgt war, mit der die Kirche die Schicksalsfälle des Lebens geteilt hat. Verbunden, weil die Nation selbst immer auf die Kirche als Garantin ihrer Erwartungen und Hoffnungen geschaut hat, als Schützerin ihrer vielhundertjährigen Traditionen und ihrer menschlichen und christlichen Werte. Die Liturgie zeigt Sinn der Zeit und Geschichte Ansprache bei der Generalaudienz am 29. Dezember 1. Die letzte Generalaudienz des Jahres steht ganz unter dem Licht von Weihnachten, das wir gerade gefeiert haben. Andererseits führt sie uns zum Übergang vom alten in das neue Jahr, der für die Menschen so viel Bedeutung hat. Vom Geheimnis des menschgewordenen Gottes, unseres Herrn Jesus Christus, erleuchtet, gewinnt die Geschichte des Menschen eine entschiedene Orientierung zur göttlichen Welt hin. Das Weihnachtsfest gibt den menschlichen Ereignissen und Gefühlen, Plänen und Hoffnungen einen christlichen Sinn. Es erlaubt, in dem rhythmischen, scheinbar mechanischen Ablauf der Zeit nicht nur die Tendenzlinien menschlichen Wandems zu finden, sondern auch die Zeichen, Prüfungen und Appelle der göttlichen Vorsehung und Güte. 2. Gehen wir auf ein besseres Jahr zu? Gehen wir auf ein schlechteres Jahr zu? Für den Christen gibt es keinen Zweifel: Die Erlösung durch Christus, die in der Heiligen Nacht beginnt, führt die erlöste - und die Erlösung annehmende - Menschheit immer weiter zum Triumph über das Böse und den Tod. Gewiß, je mehr wir auf Gott zugehen, desto mehr wachsen die Prüfungen und Schwierigkeiten. Das gilt für den Weg der Kirche wie für den der einzelnen Christen. Die Kräfte, die der Wahrheit und Gerechtigkeit entgegenstehen - und von denen die Geheime Offenbarung spricht -, 220 Audienzen und Angelus wachsen im Lauf der Geschichte und damit ihre Machenschaften und ihre Gewalttätigkeit gegen die, die dem Weg des Erlösers folgen wollen. Trotzdem gelangt die Geschichte, ungeachtet der Risiken und zeitweiligen Niederlagen, schließlich zum Triumph des Guten, zum Endsieg Christi. 3. Der historische Fortschritt ist also für den Christen eine Wirklichkeit und eine sichere Hoffnung. Aber er ist nicht einfach das Resultat einer dialektischen Entwicklung, die sich im persönlichen Einsatz für Gerechtigkeit und Heiligkeit erschöpft. Er ist das Ergebnis unserer Ausheferung an den Strom göttücher Gnade, die uns durch die Erlösung zum Reich Gottes hinführt, aber bei keinem von uns die bedauernswerte Möglichkeit, uns freiwillig der wohlwollenden Kraft des göttüchen Einflusses zu entziehen, ausschließt. In seiner tiefsten Bedeutung kann der wahre historische Fortschritt, der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (Gaudium et spes, Nr. 39) das Reich Gottes vorbereitet, nur das Ergebnis menschlicher Bemühungen sein, die von der Erlösungskraft des Blutes Christi getragen werden. Das menschgewordene Göttliche Wort hat die Zeit und die Geschichte erlöst, indem es sie zum Heil des Menschen und seiner Seligkeit in der Schau der Seligen führt und ihnen eine unaufhaltsame, wenn auch bekämpfte, fortschreitende Richtung gegeben. 4. Wir haben am letzten Sonntag das Fest der Heiligen Familie von Nazaret gefeiert, des Vorbildes aller christlichen Familien. Für die Familie stellt sich ganz allgemein die Frage: Sind die Werte der Familie im Verfall? Gewinnen die Werte der Familie wieder an Kraft? Auch hier kann unsere Antwort des Glaubens nur eine Antwort der Hoffnung und eines gesunden christlichen Optimismus sein, der die Augen nicht vor der Schwere der echten mit ihr verbundenen Probleme schließt, aber auch die Phänomene des Wachstums sieht; der aus den Schwierigkeiten, die gewisse Verfallserscheinungen liefern, die Gelegenheit zu einem entschiedenen Streben nach Heiligkeit und einem mutigen Zeugnis ergreift, auch in diesem grundlegenden Bereich des Lebens wie dem der Familie. Das liturgische Jahr mit seinen periodischen Festen will uns die Ecksteine des christlichen Denkens und Handelns in Erinnerung bringen und erleben lassen, und es ist deshalb ein unschätzbares Geschenk Gottes, der in der Geschichte gegenwärtig ist: ein Geschenk des Weihnachtsfestes könnte man sagen. Die liturgischen Feste stützen so unsere Treue zur Botschaft des Evangeliums und erlauben uns gleichzeitig, aus seiner unendlichen Kraft beständig Nutzen zu ziehen. 221 Audienzen und Angelus Das Fest der Heiligen Familie ist einer dieser Lichtpunkte der Liturgie auf unserem Erdenweg. Durch sie können wir die Endbedeutung der Zeit erkennen und wie der am Kreuz erhöhte Christus in Wahrheit alles an sich zieht (vgl. Joh 12, 32). 5. Die Liturgie, von der wir in diesen Tagen einige besonders eindrucksvolle Momente erleben, zeigt uns so den Sinn der Zeit und Geschichte. Wenn in uns der Eindruck entsteht, das Böse wachse und triumphiere, führt sie uns durch das Geheimnis von Weihnachten zum Geheimnis des Kreuzes hin. Nein, das Böse wächst nicht: Die Prüfungen mehren sich. Und, nachdem Gott uns mit den Prüfungen auch die Kraft gibt, sie zu bestehen (vgl. 1 Kor 10,13), wird die Überhandnahme des Bösen, das uns treffen und verführen will, sich in den Überfluß des Guten und der Herrlichkeit verwandeln. Deshalb konnte Paulus sagen, daß „wo die Sünde mächtig wurde, die Gnade übergroß ist {Röm 5, 20). Im Lauf der Zeit wachsen die Angriffe gegen das Reich Gottes und gegen die, die Christus fromm folgen wollen. Aber auch die Gabe der Tapferkeit wächst, die ihnen vom Heiligen Geist geschenkt wurde, bis am Ende alles seine Lösung findet in dem Sieg, der denen Vorbehalten ist, die ausharren. Das, hebe Schwestern und Brüder, ist die Sicht, mit der wir dem kommenden neuen Jahr entgegengehen müssen. Das Leben hier unten ist für sich genommen kein bequemer und sicherer Weg zum Guten. Wenn wir vom Beginn unseres Lebens an die Augen offen gehalten haben, wissen wir das. Aber es ist sicher eine reale Perspektive: Die Menschheit, geführt vom Volk Gottes, geht in die gute Richtung. Aber für jeden von uns ist dieser Weg zum Besseren nicht frei von Risiken und Schwierigkeiten; er unterüegt der Prüfung unseres Verantwortungsbewußtseins, er muß zur freien Entscheidung werden. Das Licht von Betlehem, das Licht der Krippe, zeigt uns den Weg zum Guten, es spricht zu uns vom Endsieg des Guten, es ermutigt uns, voll Hoffnung und ohne Furcht voranzuschreiten, „ohne nach rechts oder links abzuweichen“ (Jos 23, 6). Danken wir der Heiligen Dreifaltigkeit für dieses Licht. Danken wir Maria, der Mutter des Herrn, die es durch ihr Ja ermöglichte, daß sich dieses Licht auf die Erde senkte. Danken wir für die vergangenen Prüfungen, und seien wir bereit, männlich zu handeln als wahre Söhne des Lichts. 222 II. Predigten und Ansprachen bei den Reisen Zweite apostolische Reise nach Afrika (12. bis 19. Februar) Reisen „Ich komme zu euch im Namen Jesu Christi“ Ansprache bei der Ankunft in Nigeria auf dem Flughafen von Lagos am 12. Februar Herr Präsident! Eure Eminenz Kardinal Ekandem, .meine Brüder im Bischofsamt! Verehrte Regierungsmitglieder, geschätzte Würdenträger und ihr alle, Bewohner von Nigeria! Ich bin glücklich, euer geliebtes Land zu betreten. Seit langem wollte :ich euch diesen Besuch abstatten, und nun geht dieser Wunsch meines Herzens in Erfüllung. Es ist für mich ein Augenblick großer Freude; vor mir tut sich ein Bild der Hoffnung auf. 1. Ich bin gekommen, Menschen verschiedener religiöser Überzeugungen - sowohl einzelnen wie Gemeinschaften — zu begegnen, und ich hoffe ernstlich, daß meine Anwesenheit unter euch die Liebe und Achtung zum Ausdruck bringen wird, die ich für euch alle empfinde, sowie meine Wertschätzung für die edlen religiösen Werte, an denen ihr festhaltet. Ich möchte meine brüderliche Solidarität mit allen Menschen dieser Nation zum Ausdruck bringen, die in ihrer Konstitution fest und feierlich beschlossen haben, in Einheit und Harmonie unter Gottes Schutz zu leben und für das Wohl aller zu arbeiten. Es ist mein Wunsch, dem Beispiel Nigerias zu Gerechtigkeit, Frieden und Entwicklung in Afrika und darüber hinaus Anerkennung zu zollen und alle laufenden Bemühungen zu unterstützen, die dem Aufbau einer Gesellschaft gelten, die in steigendem Maße brüderlich und menschlich ist. 2. Zu den Katholiken sage ich: Ich komme zu euch im Namen Jesu Christi; es ist ein rein pastoraler Besuch. Ich komme, um euch zu begegnen, euch zuzuhören, mit euch und für euch die heilige Eucharistie zu feiern. Ich komme, mitten unter euch Jesus Christus zu verkünden und euch in eurem Glauben und in eurer Liebe zu Gott und zu euren Brüdern und Schwestern zu stärken. Ich komme, um meine Brüder im Bischofs- und Priesteramt bei der Evangelisierungsarbeit und in ihrem hochherzigen Dienst an der Menschheit zu stärken. 3. Ich richte meine Worte der Freundschaft an alle Mitglieder der nationalen Gesellschaft. Besonders gehen meine Gedanken und meine Liebe zu den kranken, den alten und den behinderten Menschen und zu allen, auf denen Kummer und Leid lastet. Ich hoffe, daß ich euch 226 Reisen nahe sein kann, um euch zu trösten. Ich warte auf die Gelegenheit, die Jugend zu ermutigen und anzuspornen und allen Bürgern Nigerias Ehre zu erweisen. Ich bin euch zutiefst dankbar für die Einladung, euer Gast zu sein, und ich bitte Gott, euch für diesen herzlichen Empfang zu belohnen. Gott gewähre uns allen Tage froher Begegnung in der gemeinsamen Festfeier und im Gebet. Gott, der Allmächtige und Barmherzige, schenke Nigeria reichen Segen wahren Glücks und Friedens. Gott segne Nigeria! „Sie gingen hin unter Tränen, um zu säen“ Predigt beim Gottesdienst im Stadion von Lagos am 12. Februar Gelobt sei Jesus Christus! 1. Es ist eine große Freude, bei euch allen in Lagos zu sein. Ich danke Gott für diesen Tag und die Gelegenheit, mit euch in eurem geliebten Land die Eucharistie zu feiern. Ich habe mit großer Vorfreude auf diesen Augenblick gewartet. Ja, mit froher Erwartung habe ich der Begegnung mit den Gliedern der Kirche Nigerias entgegengesehen. Und nun bin ich glücklich über diese Gelegenheit, euch besser kennenzulernen, mit euch zu sprechen, euch im Glauben zu stärken und mit euch zusammen zu beten. Wir wollen unsere Stimmen vereinen in Danksagung und Lobpreis der Heiligsten Dreifaltigkeit. 2. Zu Beginn dieser Tage meiner pastoralen Pilgerreise in eurem Land kommt mir gleich das große Werk der Evangelisierung in den Sinn, das unter euch vollbracht wurde und das weiterhin einen glücklichen Fortgang nimmt. Gott will, daß alle Menschen gerettet werden, daß alle an seinen Gaben der Einheit und Gerechtigkeit, der Rechtschaffenheit und des Friedens teilhaben. Ursprung und Fundament der Evangelisierung ist das Heilshandeln Gottes selbst, die rettende Liebe des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, die sich über die ganze Menschheit ergoß. Unser Herr und Erlöser Jesus Christus wurde von seinem Vater gesandt. Christus wiederum teilte den Hauch des Geistes seinen Aposteln mit und sandte sie und ihre Nach- 227 Reisen folger aus, den Menschen jedes Alters und jeder Kultur, jeder Nation und Rasse die Frohbotschaft von der Erlösung zu bringen. Es war der Heilige Geist, der alle apostolischen Arbeiten inspirierte und zur Vollendung brachte. Davon spricht Jesus im Evangelium des heutigen Tages, wenn er sagt: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26). 3. Und so erreichte im Laufe der Zeit und nach dem tiefen Geheimnis des Planes Gottes die Frohbotschaft von der Erlösung schließlich Nigeria, als sie vor ungefähr 500 Jahren erstmals in das Königreich Benin gelangte. Dieser erste Evangelisierungsversuch kam zum Erlöschen. Das bleibende Werk der Glaubensverbreitung konnte erst 1863 beginnen, als Missionare der Gesellschaft für die Afrikanischen Missionen Lagos erreichten. Im Jahre 1885 kamen dann die Väter vom Heiligen Geist nach Onitsha, und kurz darauf traf die Gesellschaft für die Afrikanischen Missionen in Lokoja und Shendam ein. Der Mut und die heroischen Anstrengungen dieser ersten Missionare sind euch wohlbekannt. Manche von ihnen starben bereits zwei Wochen nach ihrer Ankunft. Die anderen fuhren fort, mit unerschütterlichem Glauben, beharrlicher Liebe und apostolischer Entschlossenheit Christus zu verkündigen, vom Heiligen Geist immer wieder erneuert und erleuchtet. Das Ergebnis ihrer mühevollen Arbeit ist die reiche Ernte, die wir heute sehen. Sie gingen hin unter Tränen, um zu säen, und kommen wieder mit Jubel und bringen ihre Garben ein (vgl. Ps 126,6). Ihrer Hingabe und ihrem Einsatz wie auch der Offenheit und hochherzigen Antwort eurer Vorfahren ist es zu danken, daß wir heute hier am Altar des Herrn versammelt sind, wo wir unseren einen Glauben an Gott bekennen und seinem heiligen Namen die Ehre geben. Die Annahme des christlichen Glaubens hier in Nigeria war in der Tat bemerkenswert. Mit großer Bereitwilligkeit im Herzen habt ihr Generationen von eifrigen Missionaren freundlich in eurem Land willkommen geheißen. Ihr habt von ihnen die großartige Kunde von Jesus gehört und ihn durch den Glauben und das Sakrament der Taufe in euer Leben aufgenommen. Genährt durch die Eucharistie und das Wort Gottes, habt ihr zu leben begonnen, wie Christus es euch lehrte. Ihr habt in eurem privaten und öffentlichen Leben, in euren Familien und Häusern, am Arbeitsplatz und bei der Erholung euren Glauben in die Praxis umgesetzt. Ihr habt auch eure Jugend Christus 228 Reisen und der Kirche zur Verfügung gestellt, damit sie zu Priestern, Ordensmännern und -frauen und pflichtbewußten, einsatzfreudigen Laien ausgebildet werde. Eure Katecheten haben mit großem Erfolg lokale katholische Gemeinschaften angeregt, jung und alt Gebete und Lieder gelehrt und im Glauben unterrichtet; sie waren unerläßliche Helfer für die Priester. Besondere Anerkennung verdienen die katholischen Lehrer. In den Anfangszeiten haben sie so viele Opfer gebracht und mit solchem Eifer gearbeitet, und immer blieben sie Christus im Dienst der Kirche treu. Ja, dieses Land verdankt seinen treuen Lehrern viel. Mögen sie ihm nie fehlen! Ihre Namen sind in das Buch des Lebens eingeschrieben. Die Kirche in eurem Land wird nun großenteils von nigerianischen Bischöfen und Priestern geführt, obwohl ihr den wichtigen Beitrag der Missionare noch immer aufrichtig begrüßt. Meine heutige Anwesenheit hier ist die Anerkennung an eure Missionare - die früheren wie die jetzigen - und an euch, die ihr den Glauben angenommen und euch zu eigen gemacht habt. Vor allem aber sind wir hier versammelt, um den Heiligen Geist, die Quelle des Lebens und der Wahrheit, zu preisen. 4. Das Werk der Evangelisierung schließt eine Anzahl von Tätigkeiten ein: die Verkündigung des Evangeliums, die Glaubenshilfe für andere, damit sie an Jesus als den Sohn Gottes glauben können, und die Spendung der Taufe und der anderen Sakramente. Ein weiteres unverzichtbares Element ist das stille Zeugnis von Christus im gewöhnlichen Alltag und im Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit. Die schweigende Verkündigung des Evangeliums durch das christliche Zeugnis im Alltag ist eine mächtige und wirksame Weise der Christusverkündigung. Darauf hat der hl. Paulus hingewiesen, als er die Kolosser ermahnte: „Bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht“ (Kol 3,12-14). Jeder kann auf diese Weise zur Sendung der Kirche beitragen. Denn um Zeugnis zu geben, brauchen wir nur den Glauben, den wir empfangen haben, glaubwürdig zu leben. Es bedeutet, daß wir die Worte Jesu beachten: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten“ (Joh 14,23). Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit ist in der Tat ein wichtiger Teil des Zeugnisses für das Evangelium. Als Nachfolger Jesu bekennen 229 Reisen wir nicht nur mit unseren Worten unseren Glauben, sondern auch durch die Art, wie wir ihn in die Praxis umsetzen. Mit der Hilfe des Heiligen Geistes suchen wir das Reich Gottes zu fördern und eine Gesellschaft aufzubauen, die gekennzeichnet ist von Redlichkeit, Einheit, Gerechtigkeit und Frieden. Das, wofür wir arbeiten und wonach wir uns sehnen, kommt in der Prophezeiung des Jesaja, die wir in der ersten Lesung gehört haben, zum Ausdruck: „Mein Volk wird an einem Ort des Friedens wohnen, in sicheren Wohnungen, an stillen und ruhigen Plätzen“ (Jes 32,18). 5. Ich bin glücklich zu erfahren, daß ihr hier in Nigeria darauf bedacht wart, das Evangelium durch echtes Zeugnis und durch den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit zu fördern. Ihr, die nigerianischen Katholiken, habt nicht ein Leben, abgeschnitten von der Gesellschaft, geführt. Ihr seid in der Tat ganz und gar ein Teil dieses Landes, das ihr liebt. Ihr habt viel dazu beigetragen, Nigeria zu der großen Nation aufzubauen, die es jetzt ist. So hat die Kirche zum Beispiel das Schulwesen gefördert, das seinerseits eine allseitige Entwicklung begünstigte: auf sozialem, kulturellem, politischem und wirtschaftlichem Gebiet. Ihr seid euren Brüdern und Schwestern auch mit Programmen zur Gesundheitsfürsorge, mit der Einrichtung fahrbarer Kliniken in den ländlichen Gegenden, mit der Errichtung von Entbindungsheimen und Krankenhäusern zu Hilfe gekommen. Und ihr habt die sozialen Dienste für die Waisen, die Alten, die Behinderten und die Armen nicht vergessen. Besondere Erwähnung verdienen auch eure Bemühungen, den Schulabsolventen so wichtige Kenntnisse und Fertigkeiten beizubringen wie Schreinern, Weben, Stricken, Autoschlosserei, das Schusterhandwerk, Säuglingspflege und Hauswirtschaft. Auf diese Weise habt ihr viele junge Leute dazu befähigt, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Durch diese vielfältigen Bemühungen gebt ihr Zeugnis von Christus, der „nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen“ (Mt 20,28). 6. Lobende Erwähnung verdienen auch eure Bemühungen auf ökumenischem Gebiet. Denn wenn ihr euch auf den Dialog mit anderen Christen einlaßt, arbeitet ihr mit, den Wunsch des Zweiten Vatikanischen Konzils nach der vollen Einheit unter allen Christen zu verwirklichen. Dieser Wunsch des Konzils ist Ausdruck des inständigen Verlangens Christi selbst, daß „alle eins sein sollen“ (Joh 17,21). Aber ein noch größerer Beitrag für die Sache der christlichen Einheit ist der des Gebets und der Buße. Die Umkehr der Herzen ist wahrlich 230 Reisen ein wirksames übernatürliches Mittel. Das Konzil wollte, daß wir die Macht des „geistlichen Ökumenismus“ und seine Beziehung zum Gottesgeschenk der Einheit verstehen: „Alle Christgläubigen sollen sich bewußt sein, daß sie die Einheit der Christen um so besser fördern, ja sogar einüben, je mehr sie nach einem reinen Leben gemäß dem Evangelium streben“ ( Unitatis redintegratio, Nr. 7). Ich spreche euch mein Lob aus für eure Initiativen zur Zusammenarbeit mit den Angehörigen anderer Religionen, insbesondere den Muslimen, bei der Förderung von Frieden, Einheit und Menschenrechten. 7. Ich freue mich außerordentlich, daß ihr begonnen habt, Missionare in andere Länder zu senden, noch ehe ihr genug Arbeiter für euren eigenen Weinberg habt. Ich bin glücklich zu erfahren, daß ihr nigerianische Priester in Sierra Leone, Liberia, der Volksrepublik Kongo, Sambia und, noch weiter entfernt, in Granada habt. Einen nigerianischen Ordensmann gibt es in Kenia. Ordensfrauen aus Nigeria sind in Ghana, Sierra Leone, Liberia, Gabun, Angola, Kenia und Sambia; auch in Turin sind Ordensfrauen eingesetzt. Ein weiteres sichtbares Zeichen eures Verlangens, den Glauben weiterzugeben, ist die 1977 erfolgte Errichtung eures nationalen Missionsseminars. Möge Gott alle diese Anstrengungen segnen! 8. Meine Brüder und Schwestern in Christus, unser Glaube ist in der Tat ein unvergleichlicher Schatz; er ist die kostbare Perle (vgl. Mt 13,44-46). Er ist ein Geschenk vom Herrn, das dann anderen weitergegeben werden soll, weitergegeben durch echtes, glaubwürdiges Zeugnis im Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit; weitergegeben durch freimütige Verkündigung, durch Katechismusunterricht, Lehren von Liedern und Gebeten; weitergegeben von allen Gliedern der Kirche, wenn sie ihre persönliche Berufung mit einem tiefen Gefühl der Freude erfüllen. Mit dankbarem Herzen für dieses Geschenk unseres Glaubens wollen wir trachten, dem Herrn immer in einem Geist der Liebe, der Heiligkeit und des Friedens zu dienen. Und durch die Treue unseres Christenlebens wollen wir verkünden, daß Jesus der Herr ist! 231 Reisen „Ein Land voller Hoffnung“ Ansprache bei der Begegnung mit dem nigerianischen Präsidenten Alhaji Shehu Shagari in Lagos am 12. Februar Herr Präsident! 1. Ich bin zutiefst dankbar für die freundlichen Worte, die Sie an mich gerichtet haben und in denen Sie mir im Namen aller Bürger von Nigeria ein herzliches Willkommen in Ihrem Land entbieten. Sie werden mir gestatten, daß ich die Empfindungen, die in diesem Augenblick mein Herz bewegen, mit einem Zitat aus Ihrem Gedicht „Wakar Nigeriya“ ausdrücke: „Und Gott sei gedankt, daß er uns einen Platz unter dem Volk von Nigeria gab!“ Diese Worte, die von den Lippen so vieler Ihrer Mitbürger kamen, sind jetzt sehr geeignet, das feste Band zwischen der ganzen Nation und mir zu beschreiben. Wie Sie möchte ich dem allmächtigen Gott danken, daß er mich heute in Nigeria sein läßt und mir den langersehnten Besuch bei dem Volk dieser großen Nation geschenkt hat. Ich danke auch Ihnen, Herr Präsident, für die freundliche Einladung, die Sie mir zukommen ließen. Daß Sie es im Namen von ganz Nigeria getan haben, ist schon in dem begeisterten Empfang sichtbar geworden, den mir das Volk bereitet. Ich möchte Sie bitten und tue es heute mehr denn je, mich als einen der Ihren zu betrachten, denn ich komme in dieses Land als Freund und Bruder all seiner Bewohner. 2. Bei diesem meinem zweiten Besuch in Afrika möchte ich den wesentlich religiösen Charakter meiner Reise betonen, die in sehr passender Weise in Nigeria beginnt. Ich komme, um meine Brüder im Bischofsamt, die mir ebenfalls eine herzliche Einladung sandten, in ihren pastoralen Aufgaben zu stärken; ich komme, um zusammen mit meinen katholischen Brüdern zu beten und Gottesdienst zu feiern. Ich komme, um mit anderen Mitchristen und mit meinen Brüdern und Schwestern anderer Glaubensgemeinschaften unseren gemeinsamen Glauben an die Güte und Barmherzigkeit des allmächtigen Gottes zu bekennen. Meine Botschaft ist eine Botschaft des Friedens und der Liebe, der Brüderlichkeit und des Glaubens. Des Glaubens an Gott, ja, aber auch des Glaubens an die Menschheit, des Vertrauens auf die wunderbaren Möglichkeiten jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes. 232 Reisen Und so ist meine Begegnung hier mit Ihnen, Herr Präsident, und mit den Regierungsmitgliedern mehr als eine bloße Geste der Höflichkeit, die den Gastgebern - wie sie es verdienen - für die hochherzige Gastfreundschaft und den guten Willen, den alle Verantwortlichen bei der mit hohen Anforderungen verbundenen Vorbereitungen dieses Besuches zeigten, gebührend danken will. Von großer Bedeutung für mich ist auch die mir gebotene Gelegenheit zu einem Gedankenaustausch mit den staatlichen Autoritäten über unsere gemeinsame Sorge um die Menschheit. In ihrem je eigenen Bereich sind politische Gemeinschaft und Kirche autonom und unabhängig, aber ihre gemeinsame Sorge für den Menschen bringt sie einander nahe und lädt sie zur Zusammenarbeit zum Wohl aller ein. 3. Es ist daher angebracht, daß ich Ihnen, Herr Präsident, und den Regierungsmitgliedern, ja allen Menschen dieses großen Landes meine aufrichtige Hochschätzung ausspreche für das, was das Volk von Nigeria seit Erlangung der Unabhängigkeit vor mehr als zwei Jahrzehnten nicht immer ohne Leiden und Opfer vollbracht hat. Ich empfinde tiefe Freude darüber zu sehen, daß Nigeria mit vielen anderen afrikanischen Staaten die volle nationale Souveränität erlangt hat und seine Zukunft in die eigenen Hände nehmen kann, so, wie es dem Reichtum seiner Fähigkeiten entspricht und unter Berücksichtigung der eigenen Kultur und in Übereinstimmung mit seinem Sinn für Gott und für geistliche Werte. Ich bin überzeugt: Wenn ganz Afrika - ohne Einmischung und Druck von seiten irgendwelcher außenstehenden Mächte oder Gruppen - seine Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen kann, wird es nicht nur die übrige Welt durch seine Leistungen in Erstaunen setzen, sondern auch seine Weisheit, seinen Sinn für das Leben, seine Ehrfurcht vor Gott mit anderen Kontinenten und Nationen teilen und so in gegenseitiger Achtung jenen Austausch und jene Partnerschaft zustande bringen können, die für den wahren Fortschritt der ganzen Menschheit notwendig sind. 4. Darum möchte ich meine Bewunderung aussprechen zu dem bedeutenden Beitrag, den das Volk von Nigeria vor allem für den afrikanischen Kontinent geleistet hat und noch leistet. Ihr tretet wirksam ein für die politische Freiheit und für das Recht aller Völker auf Selbstbestimmung. Ihr scheut keine Mühe, wenn es darum geht, die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Farbe, ihrer Rasse, ihrer Sprache oder ihrer sozialen Stellung zu beenden. Ihr habt Ländern, die in größerer Not waren, Hilfe angeboten und setzt euch für brüderliche Beziehungen und wirtschaftliche Zusammenarbeit unter 233 Reisen den afrikanischen Staaten ein. Man erwartet von Nigeria eine führende Rolle in der Entwicklung einer hochherzigen Politik in der Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge, in ihrer humanen Rückführung oder in entsprechenden Hilfsprogrammen zur Besserung ihrer Lage. Und ihr habt anderen Ländern ein Beispiel dafür gegeben, wie Brüder sich versöhnen, wenn es ernste Mißverständnisse zwischen ihnen gegeben hat. Durch die Festigung der nationalen Einheit im eigenen Land stärkt ihr die Einheit Afrikas, und das ist der Grundstein zum Einsatz Nigerias für Afrika und für die Welt. Wenn ihr im Rahmen einer ganz Afrika umfassenden Zusammenarbeit gemeinsam handelt, tragt ihr nicht nur dazu bei, die Stimme Afrikas im Konzert der Mächte in steigendem Maß vernehmbar zu machen, sondern fördert auch wirksam die internationale Solidarität zwischen den Völkern der Welt. 5. Nigeria wurde vom Schöpfer mit einer Fülle an menschlichen Möglichkeiten und mit Reichtümern der Natur gesegnet. Wenn solche Geschenke mit demütiger Dankbarkeit angenommen werden, sind sie auch eine beständige Herausforderung, denn die Güter dieser Welt sind vom Schöpfer zum Wohl aller gegeben. Die führenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sind mit dem hohen Auftrag betraut worden, diese Reichtümer im bestmöglichen Interesse des Volkes einzusetzen, d. h. zum größeren Nutzen und einer besseren Zukunft aller. Es ist auch nötig, Land, Meer, Wasser und Luft vor Verschmutzung und vor der Ausplünderung durch die industrielle Entwicklung zu schützen, eben um die Würde und die Vorherrschaft des Menschen zu schützen. Ich wurde ferner darüber unterrichtet, Herr Präsident, daß Ihre Bundesregierung und die staatlichen Behörden dem Wohnungsproblem, der Landwirtschaft, dem Erziehungswesen und den Sozialdiensten den Vorrang geben. Mögen diese hervorragenden Ziele wirklich zum Wohl unzähliger Menschen und der Gesellschaft als ganzer erreicht werden. Ich ermutige alle, denen das Wohl ihrer Mitmenschen anvertraut ist, von ganzem Herzen, die menschliche Person als Maßstab für alle Bemühungen um Fortschritt zu nehmen. Entwicklungsprojekte müssen immer ein menschliches Gesicht haben. Sie dürfen nicht zu einem materialistischen oder bloß wirtschaftlichen Unternehmen absinken. Die Person des Menschen muß immer als der letzte Maßstab für die Durchführbarkeit und den Erfolg eines wirtschaftlichen oder sozialen Programms betrachtet werden. Der Fortschritt ist deshalb nicht zu trennen von der Würde der menschlichen Person und der Respektierung ihrer Grundrechte. 234 Reisen Im Streben nach Fortschritt, totalem Fortschritt, muß alles zurückge-wiesen werden, was der Freiheit und der Menschenrechte des einzelnen und des ganzen Volkes unwürdig ist. Dinge wie Korruption, Bestechung, Veruntreuung öffentlicher Mittel, Herrschaftsanmaßung über die Schwachen, Härte gegen die Armen und Behinderten sind also abzulehnen. Teilnahme am politischen Leben des Landes, Religionsfreiheit, Redefreiheit, Versammlungsfreiheit, der Schutz eines gut funktionierenden Rechtssystems, Respektierung und Förderung des Geistigen und Kulturellen, Wahrheitsliebe: Das alle sind Bestandteile des wahren und wirklich menschlichen Fortschritts. Ich zweifle nicht daran, daß die leitenden Persönlichkeiten und das Volk von Nigeria sich dieser Herausforderungen und dieser Werte voll bewußt sind. Ich habe das Vertrauen, daß sie im Streben nach echter wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung, die eng mit der Frage der Würde des Menschen verbunden ist, immer Zusammenarbeiten werden. 6. Herr Präsident, Ihr Land ist ein vielversprechendes Land, ein Land voll Hoffnung. In seinen Entwicklungsbemühungen muß es auch den Druck aushalten, der sich sooft aus widersprüchlichen Anforderungen und einfach aus der Größe der Aufgabe ergibt. Eines der Entwicklungsprobleme ist eine übermäßige Verstädterung, die Elendsviertel schaffen, die Mittellose und weniger Begüterte an den Rand der Gesellschaft drängen und aus Armut und Verelendung Verbrechen und Verlust von sittlichen Werten hervorrufen kann. Nur die gemeinsame Anstrengung aller Bürger unter einer klugen Führung kann solche Schwierigkeiten überwinden. Nur die Anspannung aller Kräfte zum gemeinsamen Wohl wird, bei wahrer Achtung vor den höchsten Werten des Geistes, eine Nation groß und zur Stätte des Glücks für ihre Bevölkerung machen. Das Wohlbefinden, der Friede und die Freude anderer, die ihr unterstellt sind, ist die Ehre einer Regierung. Diesen hoffnungsvollen Ausblick möchte ich heute mit Ihnen teilen. Das ist mein Wunsch an Sie, Herr Präsident, und an Sie verehrte Herren der Regierung. Das ist mein Gebet für euch alle, geliebtes Volk von Nigeria. Es ist mein Gebet zum allmächtigen und barmherzigen Gott. 235 Reisen ,,Familie, werde, was du bist!“ Predigt beim Gottesdienst mit den christlichen Familien in Onitsha am 13. Februar Christliche Familien Nigerias! Mit dem Apostel Paulus sage ich euch: „Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Liebe, Geduld! Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander“ (Kol 3,12-13). Mit diesen Worten grüße ich euch als Ehemänner und Ehefrauen, Väter, Mütter und Kinder. Ich grüße euch, Familien Nigerias, und in euch grüße ich die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft des nigerianischen Volkes. Der Papst kommt heute zu euch im Namen Christi, der für Petrus betete, damit dieser, in seinem Glauben gestärkt, seine Brüder stärken kann. Ich komme zu euch im Namen des Sohnes Gottes, der Mensch geworden ist und unter uns, in einer Menschenfamilie, lebte. Jesus ist mit den Freuden und Sorgen des Familienlebens vertraut. Er versteht die Hoffnungen und Enttäuschungen der Familie und nimmt an den Begebenheiten anteil, aus denen sich die Geschichte jeder Familie zusammensetzt. Bei dieser Eucharistiefeier möchte ich die Liebe, die Einheit, das Erbarmen, die Vergebung, die Geduld, die Hoffnungen und Sehnsüchte, die Arbeit, die Leiden und Sorgen sämtlicher Familien Nigerias gleichsam sammeln, um sie unserem himmlischen Vater durch seinen Sohn Jesus Christus und in Einheit mit dem Kreuzesopfer Christi als geistliches Opfer darzubringen. Ich will mit euch und für euch beten, um Jesus zu zeigen, daß wir an die Macht der Liebe glauben, die das Übel ausmerzt und aus unseren Herzen verbannt. Es war mein Wunsch, zu euch zu kommen, um euch zur Befolgung der Weisung des hl. Paulus zu ermutigen, nämlich euch „mit der Liebe zu bekleiden“, damit der Friede Christi in euren Herzen herrsche (vgl. Kol 3,14-15). 1. Brüder und Schwestern, eure Familien haben so viele positive und lobwürdige Werte, die auf euren Familientraditionen aufbauen. Ihr habt starke familiäre Bindungen. Kinder werden als ein Segen angesehen und sind als Krönung der Ehe erwünscht. Das System der Großfamilie schafft eine liebevolle menschliche Umgebung für die Betreuung der Waisen, der Alten und Armen. 236 Reisen Freilich gibt es manchen Schatten. Herkömmlicherweise hat eure Kultur Polygamie nicht ausgeschlossen, auch wenn die meisten Ehen Einehen waren und sind. Manchmal wurden die Frauen bestimmter Rechte beraubt. Und die modernen Feinde der Familie, die verwirrende Herabsetzung einiger Grundwerte wie Scheidung, Empfängnisverhütung und Abtreibung, haben euer Land nicht verschont. Mein Appell und meine Aufforderung an euch, christliche Familien Nigerias, sind derselbe Appell und dieselbe Aufforderung, die ich in meinem jüngsten Apostolischen Schreiben Familiaris consortio an alle christlichen Familien der Welt gerichtet habe: „Familie, werde, was du bist!“ 2. Die Familie kommt von Gott. Der Schöpfer hat den Liebesbund zwischen einem Mann und einer Frau eingerichtet. Er hat ihre Liebe gesegnet und ihren Bund zu einer Quelle gegenseitiger Hilfe gemacht. Er hat sie fruchtbar gemacht und ihren Fortbestand bis zum Tod angeordnet. Im Plan des Schöpfers ist die Familie eine Gemeinschaft von Personen. Deshalb beruht die Grundform des Lebens und der Liebe innerhalb der Familie auf gegenseitiger Achtung, auf der Achtung für jedes Mitglied der Familie. Ehemänner und Ehefrauen, achtet und behandelt einander mit dem größten Respekt! Eltern, respektiert die einzigartige Persönlichkeit eurer Kinder! Kinder, erweist euren Eltern gehorsamen Respekt! Alle Familienmitglieder müssen sich angenommen und respektiert fühlen, weil sie sich geliebt fühlen müssen. Das gilt ganz besonders für die Alten und Kranken. Respekt in seinem tiefsten Sinn bedeutet Treue. Respekt bedeutet gegenseitiges Annehmen, Vertrauen und Anhänglichkeit, Geduld und, wenn nötig, Verzeihung jenseits und trotz persönlicher Schwierigkeiten, die einen Mangel an Liebe niemals rechtfertigen können. Ehemänner und Ehefrauen, liebt einander! Opfert euch füreinander und für eure Kinder auf! Widersteht allen Versuchungen, euch gegenseitig zu betrügen! 3. Da die Liebe der Ehegatten in einzigartiger Weise am Leben Gottes selbst teilhat, sollte sie für neues Leben wirklich und selbstlos offen sein. Sie sollte offen sein für alle, deren Leben von Nöten der einen oder anderen Art beeinträchtigt oder bedroht wird. Christliche Familien Nigerias, laßt euer Beispiel vor der ganzen Welt leuchten. Setzt euch ein für das Leben! Findet euch nicht mit einer lebensfeindlichen Haltung ab, an deren Wurzel sich oft „eine Zersetzung von Begriff und Erfahrung der Freiheit findet, die 'nicht als die Fähigkeit aufgefaßt wird, den Plan Gottes für Ehe und Familie zu verwirkli- 237 Reisen chen, sondern vielmehr als autonome Kraft der Selbstbehauptung -für das eigene, egoistisch verstandene Wohlergehen und nicht selten gegen die Mitmenschen“ (Familiaris consortio, Nr. 6). Ihr werdet eurem Land, der Kirche und der ganzen Menschheit einen großen Dienst erweisen, wenn ihr auf jede nur mögliche Weise versucht, die Liebe zum Kind zu schützen, die zu eurer Kultur und euren Familienüberlieferungen gehört. Liebt eure Kinder, so wie Maria und Josef Jesus geliebt, beschützt und erzogen haben. Ich weiß, daß in eurem Land kinderlose Ehepaare ein schweres Kreuz zu tragen haben, ein Kreuz, das mit Mut durch das ganze Leben getragen werden muß. Ehepaaren, die keine eigenen Kinder haben können, möchte ich sagen: Von Gott werdet ihr keineswegs weniger geliebt; eure Liebe zueinander ist vollkommen und fruchtbar, wenn sie offen ist für andere, für die Bedürfnisse des Apostolats, für die Nöte der Armen, für die Not der Waisen, für die Bedürfnisse und Erfordernisse der Welt. 4. Und wenn wir nun die Familien Nigerias fragen: Was ist euer besonderer Beitrag für euer Land? Dann sage ich wiederum: Werdet, was ihr seid, die Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft... In der Familie wachsen ja die Bürger heran, und dort finden sie auch ihre erste Schule für jene sozialen Tugenden, die das Leben und die Entwicklung der Gesellschaft von innen her tragen und gestalten“ (Familiaris consortio, Nr. 42). Die Familie ist es, die jeden Mann und jede Frau aus der Anonymität herausholt und ihnen ihre persönliche Würde bewußt macht, indem sie sie mit tiefen menschlichen Erfahrungen bereichert und sie in ihrer Einzigartigkeit in die Gesellschaft hineinstellt. Brüder und Schwestern, wenn ihr euer Land liebt, dann liebt euer Familienleben! Wenn ihr eine Gesellschaft vermeiden wollt, die Gefahr läuft, in zunehmendem Maße entpersönlicht und genormt und somit unmenschlich und menschenunwürdig zu werden, dann stärkt die Strukturen des Familienlebens! Liebt eure Familien! Achtet sie! Und ihr, junge Leute, bereitet euch durch Gebet, Selbstdisziplin, gegenseitige Achtung und Keuschheit auf die Ehe vor. Denn die volle und echte Selbsthingabe kann nur in bleibender ehelicher Liebe erfolgen. 5. Christliche Familien Nigerias! Eure Würde und Verantwortung als Jünger Jesu ergibt sich aus der Tatsache, daß ihr zur Heiligkeit berufen seid und dazu, der Kirche und der Welt zu helfen, heilig zu werden. Hören wir noch einmal die Worte des hl. Paulus aus der zweiten 238 Reisen Lesung: „Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch. Belehrt und ermahnt einander in aller Weisheit!“ (Kol3,16). Werdet heilig durch die göttliche Gnade des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, durch das persönliche und das Familiengebet, durch liebendes Vertrauen in unseren himmlischen Vater, durch gutes Beispiel, durch das von den Sakramenten genährte und gestärkte Leben der Gnade. Werdet heilig, indem ihr am Leben der Kirche in euren Ortsgemeinden, Pfarreien, Diözesen voll Achtung und Liebe für eure Priester und Bischöfe teilnehmt. Werdet heilig im „Dienst der Liebe“ - der Liebe zu Gott und zu euren Mitmenschen, insbesondere euren Familien. Werdet heilig und tragt dazu bei, das Leben und die vielen Tätigkeiten eurer sozialen und nationalen Gemeinschaften heilig zu machen. Ich spreche mein Lob aus und danke allen, die für die Förderung der Familie tätig sind, besonders euren Bischöfen und euren Priestern, die die heiligen Geheimnisse feiern, die unterweisen, segnen, Rat, Trost und Versöhnung spenden. Ich danke den Katecheten und allen, die im Laienapostolat arbeiten. Und ganz besonders den Ordensmännern und Ordensfrauen, die das Zeugnis echter evangelischer Werte leben. Ich bin glücklich, von der hervorragenden Arbeit zu hören, die von der „Pro-Life Association of Nigeria“ (PLAN) für eine verantwortete Elternschaft in Übereinstimmung mit den Lehren der Kirche geleistet wird. Ich freue mich auch, von euren Eheschulungsprogrammen zu erfahren. Gott segne diese Initiativen! Ich lobe alle Familien, die zusammen beten. Christliche Familien Nigerias, der Papst bittet euch heute, das Gebet in der Familie, das tägliche Beten in der Familie zu verstärken: das Beten der Ehemänner und -frauen miteinander und der Eltern mit ihren Kindern. Haltet besonders am Rosenkranz fest. Betet zu Maria, der Mutter Christi und Mutter der Kirche, der Mutter der christlichen Familien. Gott wird es nicht versäumen, die Familie, die miteinander betet, im Namen seines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, zu segnen. 6. Meine Brüder und Schwestern, ich bin überzeugt, daß unsere heutige Begegnung hier von einer neuen Ausspendung des Geistes Gottes auf die Kirche Nigerias gekennzeichnet sein wird. Ich bin hier unter euch im Gehorsam gegen Jesu Gebot: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ In wenigen Minuten werde ich eine Gruppe von Katechumenen, die die verschiede- 239 Reisen nen Diözesen Nigerias vertreten, taufen und firmen. Der Same, der in diesem Land durch die gläubige Verkündigung der Frohbotschaft vom Heil durch die Kirche gesät worden ist, hat Früchte getragen. Durch Jesus Christus, in dem wir Erlösung durch sein Blut haben, gewinnen wir neue Glieder an seinem Leib, der Kirche. Diese Brüder und Schwestern werden nun mit Wasser durch die Kraft des lebendigen Wortes gereinigt (vgl. Eph 5,26), das sie zu Teilhabern an Gottes Leben (vgl. 2 Petr 1,4) und zu seinen Kindern macht (vgl. Röm 8,15; Gal 4,5). Sie - und wir alle mit ihnen - werden den Glauben der Kirche an die Kraft des Leidens, des Todes und der Auferstehung des Herrn bekennen. In der Taufe werden wir nicht nur mit Christus begraben; wir werden auch mit ihm auferweckt, weil wir an die Kraft Gottes glauben, der ihn von den Toten auferweckt hat (vgl. Kol 2,12). In der Firmung werden diese unsere Brüder und Schwestern gestärkt, um aktive Glieder der Kirche zu sein und den Leib Christi in Glauben und Liebe aufzubauen. Sie werden mit den Gaben des Heiligen Geistes ausgestattet für den Dienst an der Kirche in Liebe. Brüder und Schwestern, diese heiligen Handlungen zur Aufnahme in das Christentum - Taufe, Firmung und eucharistisches Opfer - bringen uns in Erinnerung, daß wir alle Zeugen für Christus sind. Möge er unsere Herzen zu immer größerer Liebe aufrütteln. Zu ihm, dem Herrn des Lebens, bete ich für alle Familien Nigerias: für jene, die versuchen, das Glaubenszeugnis zu leben, für jene Familien, die unseren Glauben nicht teilen, aber die hohen Ideale des Familienlebens in Ehren halten, für die Familien, die getrennt sind, und solche, die sich in Schwierigkeiten befinden, für die Witwen und die Waisen. Die Heilige Familie von Nazaret, Jesus, Maria und Josef, segne alle Familien Nigerias. Amen. 240 Reisen „Ein guter Christ ist ein guter Bürger“ Ansprache an die nigerianische Jugend in Onitsha am 13. Februar Liebe Jugend Nigerias! Heute nachmittag gehört der Papst euch! Ich bin wirklich überglücklich, euch heute hier zu vielen Tausenden aus allen Teilen eures ausgedehnten Landes zu sehen. Ihr habt mir eure jugendliche Behendigkeit, eure faszinierenden akrobatischen Kunststücke, eure Freude und euren Optimismus vorgeführt. Schon lange, ehe wir einander begegneten, wart ihr in meinen Gedanken und Gebeten. Und nun ist der Zeitpunkt für eine persönliche Begegnung gekommen. Erlaubt mir einige gemeinsame Überlegungen. 1. Die Jugend ist die Zeit der Hoffnung, der Verheißung, der Begeisterung, der Pläne und Ideale. Die Jugend ist nicht gewillt, angesichts von Schwierigkeiten aufzugeben. Die Jugend will sich nicht mit den Unzulänglichkeiten der jetzigen Situation abfinden. Die Jugend glaubt an eine bessere Welt und ist entschlossen, einen Beitrag zum Aufbau dieser besseren Welt zu leisten. Ihr sollt bekannt werden durch eure Hochherzigkeit und Offenheit anderen gegenüber. Ihr sollt euren Eltern dankbar sein. Ihr sollt sie lieben, sie achten, sie unterstützen und ihnen gehorchen. Ihr sollt eure Lehrer anerkennen, sie respektieren und ihre Weisungen befolgen. Ihr sollt bekannt werden durch Opferbereitschaft, Fleiß im Studium oder in der Arbeit und durch gewissenhafte Pflichterfüllung. Ihr sollt euch selbstlos einsetzen in katholischen Organisationen des Laienapostolats, um Zeugnis zu geben von Christus. Ihr müßt pflichtbewußte Laien sein und voll Eifer eure Sendung erfüllen, indem ihr Christus bekanntmacht. Einige von euch werden berufen sein, Priester, Ordensmänner oder -frauen zu werden mit einem besonderen Auftrag zum Dienst im Reiche Gottes. 2. Meine lieben, jungen Leute von Nigeria, ihr müßt euch besonders auszeichnen durch Disziplin, Charakterstärke und Zuverlässigkeit. Das soll sich in verschiedener Weise zeigen. Ihr sollt keusch sein. Ihr sollt allen Versuchungen Widerstand leisten, die sich gegen die Heiligkeit eures Körpers richten. Ihr sollt eure Keuschheit in das Priestertum, das Ordensleben oder die Ehe einbringen. Ihr werdet viele Gelegenheiten haben, in christlichem Maßhalten Selbstbeherrschung 241 Reisen zu üben. Die Reize und Zwänge der Welt verleiten junge Menschen oft zur Nachgiebigkeit gegen sich selbst oder Flucht vor der Wirklichkeit. Versuchungen zu übermäßigem Trinken oder Drogenmißbrauch kommen von allen Seiten auf euch zu. Wer auf wirklich menschliche Weise zu handeln versucht, braucht eine Willenskraft, die aus demütigem Gebet Kraft schöpft. 3. Eine bedeutende Entscheidung für euch ist die Wahl eines endgültigen Lebensstandes. Für die meisten von euch wird es die Ehe sein. Aber für viele von euch kann es das Priestertum oder das Ordensleben sein. Ihr werdet den Rat eurer Priester, eurer Eltern und eurer Lehrer brauchen. Ihr werdet Gottes Führung brauchen. Betet! Vertraut auf Christus! Öffnet ihm eure Herzen! Öffnet eure Herzen weit für Christus! Habt keine Angst. Seid hochherzig. Wer spärlich gibt, wird spärlich ernten. Wer hochherzig gibt, wird eine reiche Ernte ein-bringen. Ihr könnt mit Gottes Gnade rechnen. 4. Ein guter Christ ist ein guter Bürger. Ihr müßt euer Land lieben, seine Gesetze befolgen, eure Führer achten und eure Steuern zahlen. Ihr seid aufgerufen, in angemessener Weise am politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben teilzunehmen. Wenn ihr das Wahlalter erreicht habt, solltet ihr bei politischen Wahlen eure Stimme abgeben und euch auch wählen lassen. Ich möchte diese Gelegenheit wahmehmen, um dem nationalen Programm des Jugenddienstes Anerkennung zu zollen. Ich spreche den jungen Männern und Frauen mein Lob aus, die sich hochherzig für diese Zeit des Dienstes außerhalb ihres Herkunftsortes zur Verfügung stellen, neue Bande der Freundschaft knüpfen, brüderliche Solidarität und die nationale Einheit stärken. Zugleich bin ich dankbar für die Rücksichtnahme auf Priester und Ordensleute, deren Aufgabenbereich nicht mit ihrem priesterlichen oder Ordensstand in Konflikt geraten soll. 5. Als junge Menschen solltet ihr euch unablässig darum bemühen zu erkennen, woran eure Gesellschaft krankt, ob an Bestechung und Korruption, Unterschlagung von Regierungsgeldern oder Geldern von Unternehmen, an verschwenderischen, unproduktiven Ausgaben, am Zurschaustellen des Wohlstandes, der Vernachlässigung der Armen und Einsamen, an Verwandten- oder Stammesbegünstigung, politischen Feindseligkeiten oder Rechtsverweigerung gegenüber den Armen, an Abtreibung, Empfängnisverhütung und anderen Übeln, die auch in anderen Ländern verheerende Auswirkungen haben. Als echte junge Menschen werdet ihr sehen, urteilen und dann entsprechend den Grundsätzen des Evangeliums Jesu Christi handeln. 242 Reisen 6. Bei allem werdet ihr Freude, Frieden, Brüderlichkeit, Optimismus und die Hoffnung auf ein besseres Nigeria ausstrahlen. Das ist euer Beitrag als Christen; das ist es, was ihr vom Herrn lernt. Das ist die Herausforderung seines Wortes, das in eurem Leben Wurzel schlagen und Fürchte tragen soll. Erinnert euch, wie Jesus euch im Evangelium immer wieder herausfordert: „Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden...“ (Mt 5,7-9). Ich möchte meine Anerkennung zeigen den vielen Formen des organisierten katholischen Jugendapostolats auf den verschiedenen Ebenen (nationaler, diözesaner, Pfarr- und Stationsebene). Ich bin voll des Lobes für die zahlreichen Bereinigungen, durch die ihr eure Verpflichtung zum Laienapostolat erfüllt und euren Wunsch beteuert, der Menschheit im Namen Christi zu dienen. Meine Anerkennung gilt euren Kaplänen, die euch so sehr helfen, den Ordensmännern und -frauen wie auch den Laien, die euch dabei behilflich sind, eure Organisation zu einem wesentlichen Ausdruck kirchlichen Lebens zu machen. 7. Jugend Nigerias, ich bin gekommen, euch in dem großen Auftrag zu ermutigen, beim Aufbau einer besseren Welt und Ausbreitung des Reiches „Christi“, des Reiches der Wahrheit und des Lebens, der Heiligkeit und Gnade, der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens, mitzuhelfen. Auf ihn möchte ich euren Blick lenken. So wie den frühen Christen gesagt wurde: „Laßt uns auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens“ (Hebr 12,2). In seinem Namen - in dem heiligen Namen Jesu, des Heilands der Welt, des Erlösers des Menschen, des Freundes der Jugend - will ich euch die Empfindungen zum Ausdruck bringen, die ich mit jungen Männern und Frauen überall auf der Welt geteilt habe: Junge Nigerianer, ihr besitzt eine unvergleichliche Würde als Kinder Gottes, als Brüder und Schwestern Christi. Jugend Nigerias, Christus ist für euch gestorben, um euch zu erlösen. Christus liebt euch, und auch ich liebe euch! Jugend Nigerias, „wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott“ (J Joh 4,7). 243 Reisen „Ihr habt den Wert der Großfamilie“ Ansprache an die Kranken und Alten im St.-Borromäus-Krankenhaus in Onitsha am 13. Februar Liebe Freünde! Ich bin glücklich, heute nachmittag bei euch kranken und alten Menschen zu sein. In Gottes Augen seid ihr wertvoll. Euer Leben hat einen tieferen Sinn für die Gesellschaft und für mich. Meine Freude ist um so größer, weil ich mit euch in diesem berühmten Krankenhaus Zusammentreffen kann, das nach dem hl. Karl Borromäus benannt ist, dessen Namen mir meine Eltern bei der Taufe gegeben haben. Mein Vorgänger Paul VI. besuchte diese Stätte im Jahr 1962, als sie noch eine Baustelle war, und er hat zum Aufbau beigetragen. Die liebevolle Aufmerksamkeit der Kirche in Onitsha kann ich daran erkennen, daß sie dieses Krankenhaus nach dem hl. Karl Borromäus benannte, dem Apostel von Mailand und Namenspatron des ersten Erzbischofs von Onitsha, Charles Heerey, CSSp, der im Jahre 1967 starb. 1. Solange unser Erdenweg währt, wird es Leiden und Krankheit geben. Sie gehören zu unserer menschlichen Kondition und sind letztlich Folge der Erbsünde, aber sie sind nicht notwendigerweise die Schuld des einzelnen. Es gibt viele Menschen verschiedener Altersstufen, die nicht durch eigene Schuld leiden. Besonders Kinder sind für Leiden anfällig, die oft von der Gedankenlosigkeit und Unachtsamkeit Erwachsener hervorgerufen werden. Krankheit und Unterernährung im Leben von Millionen von Kindern sind eine Tatsache, die Aufmerksamkeit und Aktion verlangt. Und der Zustand des unterentwickelten Kindes läßt uns über den eigentlichen Sinn menschlichen Lebens nachdenken. Auch das vorgerückte Alter bringt seine Schwierigkeiten und körperlichen Schwächen mit sich. 2. Obgleich Gott das Leiden in der Welt zuläßt, erfreut er sich nicht daran. Ja, unser Herr Jesus Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, liebte die Kranken; den Großteil seines Dienstes auf Erden widmete er der Heilung der Kranken und dem Trost der Betrübten. Unser Gott ist ein Gott des Erbarmens und des Trostes. Und er erwartet von uns, daß wir die üblichen Maßnahmen ergreifen, um Leiden und Krankheit zu verhüten, zu erleichtern und zu beseitigen. Deshalb haben wir Pläne einer vorbeugenden Gesundheitsfürsorge; 244 Reisen wir haben Ärzte, Krankenschwestern, die verschiedensten paramedizinischen und medizinischen Einrichtungen. Die medizinische Wissenschaft hat große Fortschritte gemacht. Das alles sollten wir nutzen. 3. Aber trotz all dieser Bemühungen wird es immer Leiden und Krankheit geben. Ein Christ sieht im Leiden einen Sinn. Er trägt sein Leiden mit Geduld, Gottesliebe und Großmut. Er bringt alles Gott dar, durch Christus, insbesondere während des Meßopfers. Wenn der Kranke die heilige Kommunion empfängt, vereinigt er sich mit Christus, dem Opferlamm. Wenn das Leiden mit der Passion und dem Erlösungstod Christi verbunden wird, dann kommt ihm großer Wert zu für den einzelnen, für die Kirche und für die Gesellschaft. Das ist der Sinn jener wunderbaren Worte des hl. Paulus, über die wir immer wieder nachsinnen müssen: „Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt“ (Kol 1,24). Ich weiß auch persönlich (aus eigener Erfahrung), was Kranksein und langer Krankenhausaufenthalt bedeuten und wie man andere, die das Los, an das Bett gefesselt zu sein und zu leiden, teilen, trösten und aufrichten kann und wie notwendig es ist, für den Kranken zu beten und ihnen liebende Anteilnahme zu zeigen. Ich bin glücklich zu sehen, daß ihr in diesem Krankenhaus eine schöne Kapelle mit dem Allerheiligsten besitzt und daß hier ständig ein Kaplan zur Verfügung steht. Jesus selbst will euer Trost und eure Kraft sein durch seine Gegenwart in der Eucharistie und durch den Dienst seiner Priester. 4. Ihr im vorgerückten Alter gehört zu den ältesten Bürgern. Ihr habt die Glut des Tages im Lebenskampf ertragen und habt viel Wissen, Weisheit und Erfahrung gesammelt. Bitte, laßt die jüngere Generation hochherzig daran teilhaben! Ihr habt der Welt etwas sehr Wichtiges anzubieten; und euer Beitrag wird durch die Geduld und Liebe, die euch eigen ist, wenn ihr mit Christus verbunden seid, geläutert und bereichert. Das Alter verlangsamt die Körperfunktionen und bringt Schwäche und manchmal Krankheit mit sich. Dem kommen wir entgegen mit ärztlicher Hilfe und christlicher Geduld. In der Verbundenheit mit Christus seid ihr aufgerufen, Gott, dem Vater, dafür zu danken, daß er euch das menschliche Leben geschenkt und euch dazu berufen hat, in dieser Welt und auf ewig vereint mit Christus zu leben. 5. In Nigeria habt ihr den schönen kultuellen Wert der Großfamilie. 245 Reisen Die Alten und Kranken werden von ihren Kindern, ihren Neffen und Nichten, ihren Vettern und Cousinen und anderen Verwandten nicht verlassen. Unter dem weiten Schirmdach der Liebe haben alle Platz. Das ist ein kostbares Erbe, das erhalten werden muß. Dieses Ideal wird besonders in den Städten stark beeinträchtigt, wo die alten Menschen manchmal von der Großfamilie getrennt werden. Verlassenheit und Einsamkeit erfahren die alten Menschen dann, wenn ein großer Kulturwert aufgegeben und durch etwas völlig Unafrikanisches ersetzt wurde. 6. Den Ärzten, den Krankenschwestern, den Arzthelfern und allen anderen, die für die Kranken in Nigeria Sorge tragen, wobei die verschiedenen freien und amtlichen Vereinigungen der Ärzte und Krankenschwestern nicht vergessen sein sollen, spreche ich meine Anerkennung und meine Dankbarkeit aus. Eure humanitäre Sorge verdient großes Lob. Eure christliche Nächstenliebe verdient als Lohn das ewige Leben. Jesus selbst betrachtete die Sorge um die Kranken als etwas, wovon Gottes Gericht über uns und die ewige Belohnung abhängen: „Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist. Denn... ich war krank, und ihr habt mich besucht“ (Mt 25,34.36). „Ich vertraue euch alle Maria an(< Ansprache an die nigerianischen Priester und Seminaristen im Seminar von Enugu am 13. Februar Liebe Brüder im Priesteramt, meine lieben Seminaristen! „In eurem Herzen herrsche der Friede Christi“ (Kol 3,15). Ich schätze mich glücklich, euch Priester und Seminaristen von Nigeria heute zu treffen. Ihr seid zu unmittelbaren Mitarbeitern eurer Bischöfe berufen. Von euch hängt in hohem Maß die Verbreitung der Frohbotschaft in diesem Land ab. Erlaubt mir, euch einige Gedanken über den heiligen Dienst des Priestertums mitzuteilen. 1. Der Priester ist von Christus und seiner Kirche gesandt, das Evangelium der Erlösung zu verkünden, vor allem in der Feier der Eucha- 246 Reisen ristie. Der Priester ist geweiht, um das Meßopfer darzubringen und so das Ostermysterium unseres Herrn Jesus Christus zu erneuern. Als Diener Christi ist der Priester berufen, das Volk Gottes durch Wort und Sakrament zu heiligen. Er teilt die Hirtensorge des Guten Hirten, die sich im häufigen Gebet für die Herde ausdrückt. Als Priester sind wir, ihr und ich, berufen, das Wort Gottes mit Klarheit, lebendigem Glauben und persönlicher Bindung, mit Rechtgläubigkeit und Liebe zu predigen und zu lehren. Wir sind berufen, das Volk Gottes zu sammeln, um den Leib der Kirche aufzubauen. In Übereinstimmung mit dem Willen Christi übt der Priester sein Apostolat unter der Leitung seines Bischofs und in Gemeinschaft mit den anderen Priestern aus. 2. Eure junge Kirche in Nigeria ist voll von Leben und Kraft. Mit apostolischer Dynamik legten eure Missionspriester starke Funda-mente durch Gebet, Lleiß, Keuschheit und hingebungsvolle Liebe. Die einheimischen Priester und Bischöfe haben die Mission übernommen und gefestigt. Gerade jetzt sind viele Initiativen im Gange, um die Kirche in eurer Kultur mehr heimisch zu machen. Ich lobe die Harmonie, mit der die nigerianischen Diözesanpriester, die Missionspriester und die nigerianischen Ordenspriester Zusammenarbeiten zur Verbreitung des Königreiches Christi. 3. Ich weiß, daß die meisten von euch schwer überarbeitet sind. Einige von den Pfarrgeistlichen haben 10 000 Katholiken zu betreuen; manche von euch sogar viel mehr. Auf einen einzelnen Priester können bis zu 15 Außenstationen kommen. Die meisten von euch feiern an jedem Sonntag zwei oder drei Messen an weitentfernten Orten, geben Glaubensunterweisung und erteilen den sakramentalen Segen. Euer Volk drängt sich geradezu zum Sakrament der Versöhnung. Ihr erfüllt geduldig und liebevoll diesen Dienst. Ich weiß, daß an manchen Orten alle Priester der benachbarten Pfarreien sich im gemeinsamen Bemühen vereinigen, um den Empfang dieses Sakraments zu ermöglichen. Ihr geht zusammen in Gruppen von zehn bis zwanzig zu den verschiedenen Nachbarpfarreien in den Hauptbeichtzeiten wie zu Weihnachten und zu Ostern. Meine lieben Brüder im Priestertum, das ist ein ausgezeichneter Weg zur Erfüllung des Willens Christi, seinem Volk zu dienen. Damit bietet ihr euren Pfarrgemeinden eine gute Auswahl an Beichtvätern, und ihr gebt ein stilles Zeugnis für das eine Priestertum Christi und für eure brüderliche Verbundenheit. Der Papst ist erfreut über eure Treue in diesem äußerst wichtigen sakramentalen Dienst, in dem die vergebende und heilende Macht Christi die Menschenherzen ergreift. 247 Reisen 4. Auch der Vorbereitung der Anwärter auf die anderen Sakramente und der allgemeinen Förderung der Katechese schenkt ihr große Aufmerksamkeit. Ihr ermuntert und koordiniert die Arbeit der Katecheten, katholischen Lehrer und Religionslehrer. Eure Bischofskonferenz hat vor kurzem die Wichtigkeit des Katechumenats hervorgehoben und Richtlinien für die Gestaltung der Sakramente der christlichen Initiation erlassen. Gepriesen sei Jesus Christus, der durch euch und eure Katecheten weiterhin für die tiefe Verwurzelung der Kirche in der Kraft des Gotteswortes sorgt. 5. Ich möchte meine Wertschätzung für das Apostolat jener Priester ausdrücken, die in Zusammenarbeit mit ihren Bischöfen in diözesa-nen pastoralen und katechetischen Zentren arbeiten, in Konvikten und Priesterseminaren, in sozialen Werken, im katholischen Sekretariat von Lagos, in Schulen, Kollegien und Universitäten, in den Massenmedien, in Missionsaufgaben außerhalb der Diözese und sowohl innerhalb wie außerhalb von Nigeria und in ähnlichen Aufgaben. Auch diese Priester dienen Christus in lebenswichtigen Bereichen. Die Kirche braucht ihren besonderen Beitrag für ihre pastorale Sendung; das Ziel all dieser Tätigkeiten ist, das Evangelium zu verkünden, Christus anderen mitzuteilen. 6. Gott hat Nigeria mit vielen Schülern bzw. Studenten in den Konvikten und Priesterseminaren gesegnet. Das „Bigard Memorial Semi-nary“ in Enugu und Ikot Ekpene ist eines der größten in der Welt. Eure Seminarprofessoren haben sich durch ihren Eifer, das Wort Gottes zu lehren, und durch ihre unermüdliche Arbeit ausgezeichnet. Möge Gott alle belohnen - Laien, Ordensleute, Priester und Bischöfe die dies ermöglichen. Möge er die Kongregation für die Glaubensverbreitung segnen, die euch moralisch, finanziell und technisch unterstützt. Die hohe Zahl eurer Seminaristen darf niemals ein Grund sein, eine geringere Qualität der Ausbildung zu akzeptieren. Von erster Wichtigkeit im Seminar muß die Freundschaft mit Christus sein, die ihre Mitte in der Eucharistie hat und besonders durch Gebet und Meditation des Gotteswortes genährt wird. Diese echte Freundschaft mit Christus drückt sich durch Opfer, Nächstenliebe, Güte und apostolischen Eifer aus. Ebenso verlangt sie Treue zum Studium und einen gewissen Abstand zu den Dingen dieser Welt. Für eure Seminaristen wird eine größere Zahl von Spiritualen gebraucht. Ein zum Dienst in einem Seminar berufener Priester sollte sich über diesen besonderen Auftrag freuen. Er soll sich durch Wort und Beispiel bemühen, den 248 Reisen Seminaristen die höchsten Ideale des Priestertums vorzustellen. Was für ein großes Vorrecht ist es, junge Menschen zu einer größeren Erkenntnis und Liebe Jesu Christi, des Guten Hirten, zu führen. Seminaristen, die wirklich nicht geeignet sind für die Weihe, sollen entschieden und fürsorglich beraten werden, einer anderen Berufung zu folgen. 7. Kein Priester kann seinen Dienst gut erfüllen, wenn er nicht in Gemeinschaft mit Christus lebt. Wie das Leben Christi, so muß auch sein Leben geprägt sein von Selbstaufopferung, Eifer für die Verbreitung des Gottesreiches, unbefleckter Keuschheit und grenzenloser Liebe. Das ist nur möglich, wenn der Priester ein Mann des Gebetes und der eucharistischen Frömmigkeit ist. Wenn er in Gemeinschaft mit der Kirche das Stundengebet verrichtet, wird er Kraft und Freude für das Apostolat finden. Im stillen Gebet vor dem Allerheiligsten wird seine Weihe an Christus immer wieder erneuert und seine Bindung an die priesterliche Ehelosigkeit gestärkt. Durch die Anrufung Mariens, der Mutter Jesu, wird der Priester gestützt in seinem großzügigen Dienst an allen Brüdern und Schwestern Christi in der Welt. Ja, der Priester darf den vorübergehenden Notwendigkeiten des aktiven Apostolats nicht erlauben, sein Gebetsleben zu verdrängen. Er darf von der Arbeit für Gott nicht so in Anspruch genommen sein, daß er in Gefahr ist, Gott selbst zu vergessen. Er soll sich daran erinnern, daß unser Heiland uns gewarnt hat, daß wir ohne ihn nichts tun können. Ohne ihn können wir die ganze Nacht fischen und dennoch nichts fangen. 8. Kein Priester kann ganz allein arbeiten. Er arbeitet mit seinen Brüdern im Priesteramt und unter der Leitung des Bischofs, der ihr Vater, Bruder, Mitarbeiter und Freund ist. Der wahre Priester bewahrt die Liebe und Einheit des Presbyteriums. Er verehrt seinen Bischof und gehorcht ihm, wie er am Tag seiner Weihe feierlich gelobt hat. Das Presbyterium des Bischofs mit all seinen Priestern, Diözesan-und Ordenspriestern, soll eine Familie sein, die von Freude, gegenseitigem Verständnis und brüderlicher Liebe gekennzeichnet ist. Das Presbyterium besteht, damit durch die Erneuerung des Opfers Christi das Mysterium der Erlöserliebe Christi in das Leben des Gottesvolkes Eingang finden kann. Die Priester dürfen nicht vergessen, ihren Mitbrüdern zu helfen, die in moralischen, spirituellen, finanziellen oder anderen Schwierigkeiten sind. Die kranken und die alten Priester sollen in der Wärme eurer brüderlichen Liebe Trost und Stütze finden. 249 Reisen 9. Kein Lebensstand kann Versuchungen entgehen, und ihr werdet versuchen, eure eigenen zu erkennen. Mit der Gnade Gottes und mit ausdauernder Anstrengung müßt ihr euch bemühen, jeder Versuchung zu widerstehen, die euch begegnet: sei es z. B. Laxheit in der Disziplin oder Trägheit, Unbeständigkeit, Mangel an Verfügbarkeit, zu häufige Reisen oder Vergeudung der apostolischen Energie. Im Vertrauen auf die Gnade werdet ihr Versuchungen gegen den Zölibat durch Wachsamkeit, Gebet und Abtötung zurückweisen. Ihr werdet euch nicht von der Anziehungskraft materieller Dinge einnehmen lassen und eure Freude nicht in Geld, großen Autos und einer hohen gesellschaftlichen Position finden. Parteipolitik ist nichts für euch. Sie ist vielmehr das eigentliche Gebiet des Laienapostolats. Vielmehr könnt ihr die geistlichen Berater der Laien sein, die in politischen Angelegenheiten ihre spezifische Rolle übernehmen sollen (vgl. Gaudium et spes, Nr. 43). Als Stärkung gegen die Versuchung hat das Sakrament der Buße große Bedeutung für jeden Priester. Hier können wir, die Diener der Versöhnung, für unser Leben das heilende und helfende Handeln Christi, seine vergebende und barmherzige Liebe finden. 10. Die Nigerianer studieren gern. Das ist gut. Gebildete Priester sind notwendig, um den Anforderungen der Kirche und der Gesellschaft zu entsprechen. Jeder Priester soll sich ständig durch das private Studium von Theologie, Katechetik und anderen Wissenschaften vervollkommnen. Bemüht euch, für ein solches Studium oft Zeit zu finden. Wenn es sich nach eurer Weihe darum handelt, an die Universität oder ein ähnliches Institut innerhalb oder außerhalb von Nigeria zu gehen, so ist das ein Auftrag, der nur einer bestimmten Anzahl von Priestern gegeben wird, entsprechend diözesanen Notwendigkeiten und Planungen, für die der Bischof die letzte Verantwortung trägt. Tut nichts ohne euren Bischof oder gar gegen ihn, besonders in dieser Frage. Priester, die sich selbst in eine solche unrechtmäßige Lage gebracht haben, sollen das rückgängig machen und so den Gewissensfrieden finden. Ebenso sollt ihr der Versuchung widerstehen, irgendwo eine Anstellung ohne oder gegen euren Bischof zu suchen. Wir alle haben teil am einen Priestertum Christi. Laßt uns seine Einheit und Liebe erhalten. 11. Der Priester muß Sauerteig sein in der heutigen Gesellschaft von Nigeria. In einem Land, in dem viele übermäßig mit Geldverdienen beschäftigt sind, muß der Priester durch Wort und Beispiel die Aufmerksamkeit auf höhere Werte lenken. Der Mensch lebt nicht vom 250 Reisen Brot allein. Der Priester muß sich mit den Armen identifizieren, damit er imstande ist, ihnen die erhebende Botschaft Christi zu bringen. Erinnert euch, daß Jesus von sich selbst sagte: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt... damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe“ (LA: 4,18). Da „das Werk der Verkündigung nicht vollkommen wäre, wenn es nicht dem Umstand Rechnung tragen würde, daß sich im Lauf der Zeit das Evangelium und das konkrete, persönliche und gemeinschaftliche Leben des Menschen gegenseitig fordern“ (Evangelii nun-tiandi, Nr. 29), ist der Priester zutiefst damit befaßt, das Licht des Evangeliums und die Kraft des Gottesvolkes mit den vielen verschiedenen Problemen des Familienlebens, der grundlegenden Rechte und Pflichten des Menschen - Gerechtigkeit und Frieden, Fortschritt und Freiheit, Kultur und Bildung - in Berührung zu bringen. Er wird bestrebt sein, Christus und die Kirche auf den Gebieten der Künste und der Wissenschaft, der Kultur und des Berufslebens präsent zu machen. Ich freue mich besonders über die Eröffnung des Katholischen Instituts von Westafrika in Port Harcourt durch die Bischöfe von Nigeria, Ghana, Sierra Leone, Liberia und Gambia; dieses Institut soll höheren kirchlichen Studien dienen. Die Priester, die in den Massenmedien arbeiten, haben eine einzigartige Gelegenheit, Christus mit anderen zu teilen, ebenso auch die geistlichen Berater der Ordensleute und der Laien, die der Organisationen des Laienapostolats und die Priester, die sich um Berufungen zum Priestertum und zum Ordensleben bemühen. Euch allen sage ich: „Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Durch ihn dankt Gott, dem Vater!“ (Kol 3,17). Geliebte Priester und zukünftige Priester von Nigeria, als Bischof von Rom und euer Mitbruder im Priesteramt segne ich euch von Herzen. Ich umarme jeden von euch mit tiefer Zuneigung in Jesus Christus -der euer einziger Meister und euer nächster Freund ist und der jeden von euch mit ewiger Liebe liebt. Ich vertraue euch alle Maria an, der Mutter Jesu, unseres Hohenpriesters. 251 Reisen Maria, Mutter der Völker Weihe Nigerias an die Gottesmutter nach dem Angelus in Kaduna am 14. Februar 1. „0 Mutter der Menschen und der Völker... Du warst mit der Kirche zu Beginn ihrer Sendung, tritt für sie ein, damit sie hinausgehe in alle Welt, alle Völker ohne Unterlaß zu Jüngern mache und jeder Kreatur das Evangelium verkünde.“ 2. Mit diesen Worten, mit denen ich zusammen mit den Bischöfen der ganzen Welt Dich, o Gottesmutter, Theotokos, in Rom am vergangenen Pfingstfest grüßte, möchte ich Dich heute zusammen mit den Bischöfen der Kirche Nigerias, des Landes, das ich in diesen Tagen besuche, grüßen. 3. Und Dir, Mutter der Kirche, will ich in besonderer Weise die Kirche in Nigeria weihen und anvertrauen, wie ich Dir am Pfingsttag die Kirche unter allen Nationen und Völkern der Erde - die Kirche und die Welt - weihte und anvertraute. 4. In der heutigen Weihe vertraue ich Dir alle an, die auf diesem afrikanischen Kontinent leben und arbeiten, alle, die der himmlische Vater von Ewigkeit an in Jesus Christus geliebt hat und die er durch das am Kreuz vergossene Blut Christi retten will. 5. O Mutter der Kirche! Mögen die neugeweihten Priester, Söhne dieses Landes, „Auserwählte unter den Menschen“, zum Wohl aller zu „wahren Dienern Christi und Verwaltern der Geheimnisse Gottes“ (7 Kor 4,1) werden. Mögen sie das apostolische Werk, das hier vor Generationen von den Missionaren begonnen wurde, voranbringen. 6. Das Wort Gottes ist durch das Wirken des Heiligen Geistes in Deinem jungfräulichen Schoß Fleisch geworden. Möge Gottes Wort nun wachsen und sich verbreiten zur Rettung der ganzen Welt. Amen. 252 Reisen „Das Stundengebet vereint uns mit der Kirche“ Predigt bei der feierlichen Messe und Priesterweihe in Kaduna am 14. Februar Liebe Brüder und Schwestern in Christus! Das ist der Tag, den der Herr gemacht hat, laßt uns fröhlich sein und uns darüber freuen. 1. Es ist wirklich eine Freude, heute in Kaduna zu sein. Ich danke Gott für diese glückliche Gelegenheit, mit euch allen die Eucharistie zu feiern und diese große Zahl von Diakonen aus verschiedenen Diözesen Nigerias zu Priestern unseres Herrn Jesus Christus zu weihen. Das Leben dieser Weihekandidaten bietet große Hoffnung für das stetige Wachstum der Kirche in diesem geliebten Land und gibt dem lebendigen Werk der Evangelisierung neuen Auftrieb. Mit allen Gläubigen in Nigeria und mit der Kirche in der ganzen Welt preise ich den Herrn der Ernte, der diese neuen Arbeiter in seine Ernte sendet. 2. Laßt mich an diesem Freudentag das Wort in besonderer Weise an die Weihekandidaten richten. Meine Brüder, ihr alle habt vom Herrn die Berufung empfangen, Priester zu werden, und damit das Privileg, Diener Jesu Christi genannt zu werden. Die Priesterweihe verleiht die Vollmacht und den Auftrag, das Evangelium zu verkündigen und im Namen der Kirche zu predigen. Als Priester werdet ihr bei der Feier der Eucharistie den Vorsitz haben und im Bußsakrament im Namen Christi Sünden vergeben. Trachtet bei diesen und vielen anderen Tätigkeiten, durch die ihr der Kirche Gottes die Hirtensorge zuteil werden laßt, immer danach, daß ihr als Dienende angesehen werdet. Mögen die Worte des Zweiten Eucharistischen Hochgebetes eure ständige Dankbarkeit für eure Berufung zum Ausdruck bringen: „Vater, wir danken dir, daß du uns für würdig erachtet hast, in deiner Gegenwart zu stehen und dir zu dienen.“ Ihr seid berufen, den Herrn und Meister, den ihr liebt, nachzuahmen, dem Beispiel des Menschensohnes zu folgen, der „nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ {Mt 20,28). Denkt auch daran, daß Jesus seinen Jüngern erklärt hat, daß sie nicht Herren ihrer Gefährten sein oder diese ihre Autorität fühlen lassen sollen. Wie der hl. Paulus erachten wir es als einen Vorzug, Diener Jesu Christi genannt zu werden (vgl. Röm 1,1). 253 Reisen 3. Eines der eindrucksvollsten Merkmale des irdischen Lebens Jesu war der Vorrang, den er dem Gebet einräumte. Der hl. Lukas berichtet uns, daß „die Menschen von überall herbeiströmten. Sie alle wollten ihn hören und von ihrer Krankheit geheilt werden. Doch er zog sich an einen einsamen Ort zurück, um zu beten“ (Lk 5,15-16). Während er großes Mitleid mit der Menge empfand und glühenden Eifer, zu verkündigen, daß das Reich Gottes nahe sei, suchte Jesus doch regelmäßig und oft einen ruhigen Platz auf, um allein zu sein mit seinem himmlischen Vater. Manchmal verbrachte er auch die ganze Nacht im Gebet. Der Verfasser des Hebräerbriefes berichtet uns von der Intensität des Gebetes Jesu: „Als er auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte“ (HebrS,l). Mit seinem ganzen Herzen und seiner ganzen Seele rief Jesus wegen der Not der Menschen seinen Vater an und bat um die Kraft, sein menschliches Handeln dem Willen des Vaters gleichförmig zu machen. Meine Brüder, niemals dürfen wir diese Lektion vergessen, die uns unser Erlöser durch sein Wort und Beispiel hinterlassen hat. Das Gebet ist ein wesentlicher Bestandteil des christlichen Lebens und einer der wichtigsten Wege, auf denen ein Priester seinem Volk dient. Durch das Gebet bewahren und vertiefen wir auch unsere persönliche Liebe zu Christus und gelangen dahin, daß wir Gottes Willen für uns erkennen und annehmen. Die Zeit, die wir im Gebet verbringen, ist nicht Zeit, die wir unserem Volk wegnehmen. Es ist vielmehr Zeit, die wir für diese Menschen bei Gott verbringen, der die Quelle alles Guten ist. Deshalb zögert die Kirche auch nicht, ihre geweihten Diener aufzufordern, die Stundenliturgie zu beten. Bleibt dieser Verpflichtung immer treu, denn das Stundengebet vereint uns mit der Kirche in der ganzen Welt in dem großen Werk des Lobes und der Anbetung des lebendigen Gottes. 4. Der Brief an die Hebräer unterrichtet uns auch darüber, daß unser Herr und Meister während seines Erdenlebens „durch Leiden den Gehorsam gelernt hat“ (Hebr 5, 8). Leiden gehört unvermeidlich zur Jüngerschaft. Deshalb sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein“ (Lk 14,27). Damit soll nicht die Tatsache vergessen oder übersehen werden, daß der Glaube an Christus die Quelle tiefer Freude ist (vgl. Joh 15,11) und daß Jesus seinen Jüngern einen Frieden verheißt, den die Welt nicht zu geben vermag (vgl. Joh 14,27). Aber es bleibt wahr, daß 254 Reisen das Leiden zum Dienst für Christus gehört. Und Leiden ist aufs engste mit Gehorsam verbunden, denn wenn wir das Leiden, das die göttliche Vorsehung zuläßt, annehmen, machen wir uns dem Willen des himmlischen Vaters gleichförmig. Heute gelobt ihr nicht nur mir, sondern auch eurem Bischof Gehorsam und Achtung. Durch dieses Versprechen stellt ihr ein besonderes Band des Vertrauens zu eurem Bischof und seinen Nachfolgern her. Ihr habt erklärt, daß ihr mit ihm Zusammenarbeiten und seine Weisungen und Anordnungen zum Wohl der Ortskirche im Geiste der Liebe und Achtung durchführen werdet. Damit ahmt ihr Christus nach, der nicht gekommen war, um seinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der ihn gesandt hat (vgl. Joh 6,38). Denkt daran, daß unser Heil durch das Erlösungswerk des Gottessohnes vollbracht wurde, der sich entäußerte, wie ein Sklave wurde und gehorsam war bis zum Tod (vgl. Phil 2,7-9). 5. Die erste Lesung der heutigen Messe enthält eine Beschreibung des Dienstamtes, die Jesus zu Beginn seines öffentlichen Wirkens auf sich selbst anwandte (vgl. Lk 4,16 ff.) und die jeder Priester sich zu eigen machen kann, gleichgültig wie viele Jahre er schon geweiht ist: „Der Geist Gottes des Herrn, ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe und alle heile, deren Herz bedrückt ist, damit ich die Entlassung der Gefangenen verkünde und die Befreiung der Gefesselten“ (Jes 61,1). Beachtet, daß die Gesalbten des Herrn zu den Armen gesandt sind, zu den Gefangenen, zu denen, deren Herz bedrückt ist. Mit anderen Worten, die Gesalbten Gottes werden zu Menschen gesandt, die in besonderer Weise das Erbarmen Gottes brauchen. Deshalb habe ich in meiner Enzyklika Dives in misericordia geschrieben: „Die Kirche muß für das Erbarmen Gottes, das Christus in seiner gesamten mes-sianischen Sendung offenbart hat, Zeugnis ablegen, indem sie es zunächst als heilbringende Glaubenswahrheit bekennt, die zugleich für ein Leben notwendig ist, das mit dem Glauben übereinstimmen soll, und dann sucht, dieses Erbarmen sowohl in das Leben ihrer Gläubigen als auch nach Möglichkeit in das aller Menschen guten Willens einzuführen und dort Fleisch werden zu lassen“ (Nr. 12). Als Priester habt ihr eine einzigartige Möglichkeit und Verantwortung, das Erbarmen Gottes zu verkünden. Durch eure pastorale Güte und euer Mitleid zeigt ihr den Menschen die Güte und Freundlichkeit Christi, durch euer eifriges Predigen und Lehren verkündet ihr 255 Reisen Gottes Güte und berichtet von seiner Heilsmacht. Als Verwalter der Sakramente, besonders der Eucharistie und des Sakramentes der Versöhnung, führt ihr sie zu unserem Herrn, der reich an Erbarmen ist. 6. An diesem Freudentag darf ich nicht unterlassen, ein Wort über den großen Mangel an Ordens- und Priesterberufen zu sagen. Denn die Worte unseres Erlösers geben uns zu denken: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Mt 9,37-38). Wenn wir uns heute über die Weihe dieser Neupriester freuen, erkennen wir in ihren Herzen, die so eifrig darauf bedacht sind, zu dienen, eine große Hoffnung für die Zukunft der Kirche. Zugleich appelliere ich an das Volk Gottes, sich der großen Notwendigkeit bewußt zu sein, zu Priester- und Ordensberufen zu ermutigen. Unser Herr Jesus Christus wird es nicht unterlassen, für das Leben seiner Kirche Sorge zu tragen, aber er bittet um das Gebet und die Mitarbeit jedes einzelnen. Christliche Familien spielen eine ganz besondere Rolle bei der Bildung einer Glaubensatmosphäre, in der sich Berufungen entwickeln können. Und ihr, Neupriester des heutigen Tages, seid euch stets der Bedeutung eures Beispiels und des freudigen Zeugnisses eures ehelosen Lebens bewußt. Ich vertraue euch heute Maria, der Mutter Gottes, an. Möge sie euch stets nahe sein und euch für immer in der Liebe ihres Sohnes, unseres Hohenpriesters Jesus Christus, bewahren! „ Christliche Prinzipien in zeitliche Ordnung übersetzen“ Ansprache an die Laienrepräsentanten, die Katecheten und die katholischen Frauenvereinigungen in Kaduna am 14. Februar Liebe Laienrepräsentanten Nigerias, liebe Katecheten, liebe katholische Frauen! Es freut mich, heute mit euch zusammenzutreffen. Diese Begegnung gibt mir Gelegenheit, mit euch über euren Dienst am Evangelium zu sprechen und über eure gemeinsame Berufung in der Kirche. Jeder von euch hat von Christus selbst den Auftrag erhalten, an der Heilssendung seiner Kirche teilzunehmen (vgl. Lumen gentium, Nr. 33). 256 Reisen 1. Ich schätze die Arbeit, in der ihr, die Laien von Nigeria, mit euren Bischöfen und Priestern zusammenarbeitet, um das Evangelium zu verkünden und Christus den anderen mitzuteilen. Eine wesentliche Bedingung für den übernatürlichen Erfolg eurer Bemühungen ist in der Tat die Einheit mit den Hirten der Kirche. Ihrer Leitung unterstehen der Nationale Laienrat und die Katholische Frauenvereinigung auf allen Ebenen: der nationalen, regionalen, diözesanen, der Ebene der Pfarrei und der Missionsstation. Die Aktivität ist breitgefächert, und es gibt viele wertvolle Vereinigungen. Bei all dem wetteifert ihr darin, die Gnade eurer Taufe und Firmung wirksam zu machen. Ihr seid von Christus selbst berufen und deshalb seine auserwählten Mitarbeiter am Evangelium. Das veranlaßt euch, die Sorge der Kirche für eine religiöse Erziehung aller katholischen Kinder in allen Er-ziehungs- und Schuleinrichtungen zu teilen. Ihr seid euch wahrhaftig des Geheimnisses der Kirche bewußt, daß wir alle, in Christus getauft, einen Leib bilden, die Kirche. In dieser Kirche gibt es verschiedene Apostolate und Dienste, aber nur eine Sendung: das Reich Gottes auszubreiten. Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien - alle haben ihren spezifischen Beitrag zu leisten. 2. Als Laien wißt ihr, daß euer besonderes Apostolat darin besteht, die christlichen Prinzipien in die zeitliche Ordnung zu übersetzen, d. h., den Geist Christi in solche Bereiche des Lebens wie Ehe und Familie, Handel und Gewerbe, Handwerk und Beruf, Politik und Regierung, Kultur und nationale wie internationale Beziehungen hineinzutragen. In all diesen Bereichen muß, nach einem Ausdruck des Zweiten Vatikanischen Konzils, das Laikat seine spezifische Rolle spielen (vgl. Gaudium et spes, Nr. 43). Von den Priestern empfangt ihr das Wort Gottes und die sakramentale Kraft. So gestärkt, tretet ihr auf den Kampfplatz des täglichen Lebens und bekennt hier Christus. 3. In der Gesellschaft seid ihr zu einem Leben für Christus berufen: Christus in der Schule, in der Verwaltung, im Industriebetrieb, im Freizeit-Club, im Verein für Stadtentwicklung, in Senioren-Treffen, an der Universität, auf dem Markt, in der Gewerkschaft und in der Politik zu bezeugen. In all diesen weltlichen Bereichen werdet ihr Gerechtigkeit, Einigkeit, Ehrenhaftigkeit und Öffentlichkeitsgeist fördern. Gemeinsam werdet ihr von Gott inspirierte und konkrete Antworten auf die Probleme der Bestechung, Korruption, Disziplinlosigkeit, der Stammesfehden und ähnliche Ärgernisse suchen. In euren kirchlichen Organisationen werdet ihr Vorbilder der Einig- 257 Reisen keit, Disziplin, des Arbeitseifers, der Loyalität gegenüber euren Führern, des Selbstverzichts sein und euch freuen über die gute Leistung anderer, nicht nach Ruhm suchen, sondern nur nach dem Reich Christi, nicht um den ersten Platz in der Gesellschaft kämpfen oder euch Lehrer nennen lassen: „Denn nur einer ist euer Lehrer, Christus“ (Mt 23,10). Vor allem in der Familie werdet ihr Christus mitteilen können. Ihr werdet beispielhafte Ehemänner und -frauen sein, eine Lebens- und Liebesgemeinschaft aufbauen und als Väter und Mütter einen wirklichen Dienst durch die Erziehung eurer Kinder leisten. Durch euch wachsen dem Leib Christi Glieder zu und Anwärter auf das Priesteramt und das Ordensleben. Nigeria schaut mit Vertrauen auf euch, daß ihr sie zu guten Staatsbürgern erzieht. 4. Bei eurem Engagement in euren zahlreichen Apostolatsinitiativen werdet ihr dem Gebet und der Einheit mit Christus großen Wert beimessen. Ich bin glücklich zu wissen - was eure Kapläne betonen -, daß ihr oft das Bußsakrament empfangt, daß die heilige Eucharistie der Mittelpunkt eures christlichen Lebens und eurer ganzen Tätigkeit ist. In der Tat ist vor allem die Eucharistie die Quelle eures Eifers für das Evangelium. Mit Gottes Gnade können euch so die Einkehrtage und die jährlichen Exerzitien, die ihr zu eurer geistlichen Erneuerung haltet, helfen, weiter in dem Glauben zu wachsen, den ihr empfangen habt. 5. Ein besonderes Grußwort an euch, liebe Katecheten Nigerias. Eure Rolle zu Beginn und bei der Weiterführung der Evangelisation ist so wichtig, daß ich keine Pilgerreise nach Nigeria machen kann, ohne das Glück zu haben, mit euch zusammenzutreffen. Seit die ersten Missionare vor über 100 Jahren nach Nigeria kamen, wart ihr ständige und notwendige Mitarbeiter der Priester. Ihr habt sie auf allen Wegen begleitet. Wenn sie der Ortssprachen unkundig waren, wart ihr Dolmetscher. Ihr habt die Leute auf die Sakramente vorbereitet. Ihr habt die Sterbenden getauft, wenn kein Priester erreichbar war. Ihr habt die katholische Ortsgemeinde lebendig erhalten und den Sonntagsgottes dienst geleitet, wenn kein Priester da war. Ihr habt viele kirchliche Entwicklungsprojekte in Gang gebracht. Bei all dem habt ihr in reichem Maß zur Verbreitung des Evangeliums beigetragen. Euer besonderer Zuständigkeits- und Arbeitsbereich ist die Katechese, und die verfolgt „das doppelte Ziel, den anfänglichen Glauben reifen zu lassen und den wahren Jünger Christi durch eine vertiefte 258 Reisen und mehr systematische Kenntnis der Person und Botschaft unseres Herrn Jesus Christus weiterzubilden“ (Catechesi tradendae, Nr. 19). Ihr führt den Täufling in den Glauben ein, ob er jung, mittleren Alters oder alt ist. Ihr vermittelt die katholische Lehre, Gebete und Lieder. Ihr helft ihm, an der heiligen Liturgie teilzunehmen, vor allem an der Eucharistiefeier. Ihr besucht die Kranken in Vertretung der ganzen Kirche. Ihr nehmt Kontakt mit den Nichtchristen auf. Ihr beseelt die Laienapostolatsvereinigungen auf breiter Ebene. Ihr bringt Pfarr- und Diözesanver-sammlungen in Gang und helft Brücken bauen zur Verständigung. Ihr helft der Jugend, reife Christen zu werden durch den Appell an ihre Selbstlosigkeit und Keuschheit. Ihr entdeckt Anwärter für das Priesteramt und Ordensleben und führt sie zum Priester. Ihr macht es den Leuten leichter, Kontakt mit dem Priester aufzunehmen. Ihr seid oft von besonders wertvoller Hilfe, wenn kein Priester da ist. Hierfür und für all diese Dienste spreche ich euch den Dank der ganzen Kirche aus. Liebe Katecheten, die Kirche braucht euch. Sie braucht euch auch weiterhin. Soviel Priester und Ordensleute die Kirche auch haben mag, ihr bleibt unersetzlich. Ihr steht den Laien am nächsten. Ihr gebt ihnen eine Vorstellung von der Kirche als geschlossener Einheit. Ihr bietet ihnen ohne Worte Vorbilder zur Nachahmung. Ihr zeigt ihnen, daß Glaube und Opfer durch den Laien möglich sind und nicht nur den Klerikern und Ordensleuten. 6. Ich bin glücklich zu wissen, daß eure Diözesen Programme für eure Fortbildung anbieten in Form von jährlichen Seminaren für alle Katecheten, dann für einige von ihnen vertiefte und längere Ausbildungskurse und sogar mehrjährige Fortbildungskurse in katecheti-schen Institutionen mit mehr Einrichtungen, als sich die einzelne Diözese leisten kann. Ich danke euch für eure Mitarbeit bei alledem. Ich danke euren Bischöfen und Priestern, die das ermöglichen. Ich danke auch den nationalen Direktoren für religiöse Erziehung, die hier einen wichtigen Beitrag leisten. Katecheten Nigerias, der Papst liebt euch. Er vertraut euch, und er wird immer auf eure Hilfe bei dem großen Werk der Evangelisierung rechnen. Er segnet euch im Namen Jesu. 7. Es freut mich auch, die Leiterinnen der Katholischen Frauenvereinigungen Nigerias begrüßen zu dürfen. Auch wenn ihr in mein Zusammentreffen mit dem Nationalen Laienrat eingeschlossen seid, ist diese spezielle Begegnung mit euch doch gerechtfertigt durch den ein- 259 Reisen zigartigen Platz, den ihr in der Familie, der Kirche und der Gesellschaft einnehmt. Ihr seid überzeugte katholische Frauen, gute Ehefrauen und geachtete Mütter. Ihr habt gelernt, eure Ehemänner zu lieben, für eure Kinder zu sorgen, und ihr teilt eure Liebe allen Gliedern eurer Großfamilie und der Gesellschaft insgesamt mit. Ihr erzieht eure Kinder mit Sorgfalt und helft ihnen, sich auf ihren Lebensberuf vorzubereiten. Vor allem erzieht ihr sie zu Liebe und Keuschheit, Selbstlosigkeit und Zucht. Dies sind wahrhaft lebenswichtige Aufgaben für euch. Ich bin darüber informiert, daß ihr als gut organisierte, disziplinierte und leistungsfähige Gruppe auf den verschiedensten Ebenen arbeitet. Eure Leiterinnen gehören der Weltunion der katholischen Frauenvereinigungen an, deren Präsidentin an eurer Nationalversammlung in Onitsha im April vergangenen Jahres teilgenommen hat. Ihr organisiert Schulungskurse für Leiterinnen, Haushaltsseminare und Glaubensvorträge. Für all das spreche ich euch mein Lob aus. 8. Ihr seid besonders in verschiedenen Initiativen zugunsten der Familie tätig. Ihr helft, Ehevorbereitungskurse für Mädchen zu organisieren und zu veranstalten. Ihr arbeitet in diözesanen Eheberatungsstellen. Ihr helft Familien, die in Schwierigkeiten sind. Ihr verteidigt das Leben in allen Altersstufen, vom Augenblick der Empfängnis an. Ich lobe euch vor allem wegen eurer festen Haltung gegnüber der Abtreibung. Abtreibung ist Mord an unschuldigen Kindern. Sie muß von der Gesellschaft verurteilt werden. Ich lobe auch eure Bemühungen, unverheirateten Müttern zu helfen und ihnen eine annehmbare Alternative für die Abtreibung anzubieten. In all dem spiegelt sich menschliches Feingefühl und die Liebe Jesu Christi und seiner Mutter. Euer Kampf für die katholische Kindererziehung verdient starke Unterstützung. Die Religion ist der Mittelpunkt der Erziehung. Die Kirche muß in die Erziehung der Jugend einbezogen werden. Um das tun zu können, braucht sie eure Hilfe. Verehrte Leiterinnen der Katholischen Frauenvereinigungen Nigerias, durch euch ist die Kirche in der Lage, großen Einfluß auf die Gesellschaft auszuüben. Durch diese vielen und mannigfachen Aktivitäten kommt „die Fülle der wahren fraulichen Menschlichkeit“ (Fa-miliaris consortio, Nr. 23) zum Ausdruck; ihr seid in der Lage, zur Veränderung der Welt beizutragen - die ganze Schöpfung mit dem Geist Christi zu durchdringen. 9. Liebe Laien, Katecheten, katholische Frauen, die Fruchtbarkeit all 260 Reisen dieser und anderer Initiativen hängt von Christus ab. Er - Jesus Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, der Sohn der Jungfrau Maria -ist die Quelle all eurer Bemühungen. Das letzte Kriterium eurer Dynamik ist nicht menschliche Begabung, Aktivität, Organisation. Es läßt sich in der Einheit mit Jesus Christus finden, vor allem im eucharistischen Gottesdienst. Der wahre Beweis christlicher Aktivität im Dorf, in der Pfarrei, in der Diözese und Nation findet sich in der Antwort auf die Frage: Welchen Platz nimmt die heilige Eucharistie in eurem Leben ein? Durch die Teilnahme am Paschamysterium seines Todes und seiner Auferstehung macht uns Jesus zu wirksamen Mitarbeitern bei der Ausbreitung seines Reiches auf Erden. Es ist wirklich die Messe, auf die es ankommt. Denn durch die Eucharistie lenkt Christus unser Leben und baut unsere Gemeinschaften der Liebe, des Verstehens und des Erbarmens auf. Heute bitte ich unsere Mutter Maria, euch alle das eucharistische Geheimnis ihres Sohnes entdecken zu lassen und euch für immer in ihrer Liebe zu bewahren. „ Unter der Sonne des einen barmherzigen Gottes“ Ansprache an die Bevölkerung und im besonderen an die Moslems in Kaduna am 14. Februar Herr Gouverneur, meine Herren! Diese Ansprache, dieser Text war für die religiösen Führer der Moslems bestimmt. Ich richte jetzt diese Worte an Sie, die Sie die gesamte Bevölkerung des Staates Kaduna und im besonderen die Moslems repräsentieren. Liebe Freunde! 1. Ich bin glücklich über diese Begegnung mit Ihnen, den religiösen Führern der Moslems in Nigeria. Ich begrüße Sie herzlich und sende durch Sie meine Grüße an die vielen Millionen Moslems in diesem großen Land. Ich bin nach Nigeria gekommen, um meine Brüder und Schwestern von der katholischen Kirche zu besuchen; aber ohne diese Begegnung wäre meine Reise unvollständig. Seien Sie daher ver- 261 Reisen sichert, daß ich mich sehr über die Möglichkeit freue, Ihnen meine Gefühle brüderlicher Hochachtung und Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen. 2. Wir alle, Christen und Moslems, leben unter der Sonne des einen barmherzigen Gottes. Wir glauben beide an einen Gott, der der Schöpfer des Menschen ist. Wir erkennen Gottes Souveränität an und verteidigen die Würde des Menschen als Diener Gottes. Wir beten Gott an und bekennen uns zur vollkommenen Unterwerfung unter ihn. So können wir uns gegenseitig im wahrsten Sinne des Wortes Brüder und Schwestern im Glauben an den einen Gott nennen. Und wir sind für diesen Glauben dankbar, denn ohne Gott wäre das Leben des Menschen wie der Himmel ohne die Sonne. Wegen dieses Glaubens an Gott haben Christentum und Islam vielerlei gemeinsam: das Vorrecht des Gebets, den Dienst an der Gerechtigkeit, begleitet vom Erbarmen und Almosengeben, und vor allem eine heilige Achtung vor der Würde des Menschen, die den Grundrechten jedes einzelnen Menschen zugrundeliegt, einschließlich dem Recht des ungeborenen Kindes auf Leben. Wir Christen haben von Jesus, unserem Herrn und Meister, das Grundgesetz der Gottes- und Nächstenliebe empfangen (vgl. Mt 22,37-39). Ich weiß, daß dieses Gebot der Liebe auch in Ihren Herzen tiefen Widerhall findet, denn in Ihrem heiligen Buch werden Sie zusammen mit der Aufforderung zum Glauben gemahnt, sich durch gute Werke auszuzeichnen (vgl. Sure 5,51). 3. In der heutigen Welt gibt es viele Gefahren, welche die Familie bedrohen, jenen wertvollen Kern der Gesellschaft, in dem jedes Menschenleben seinen Anfang nimmt und sich entfaltet. Ich möchte Ihnen versichern, daß die Christen für die Familie, deren Einheit, Entfaltung und Schutz ganz besonderes Interesse haben. Ich spreche zu Ihnen von diesem Interesse, weil ich überzeugt bin, daß auch Sie sich der Bedeutung der Werte der Familie bewußt sind und mit den Christen bei den Bemühungen zur Stärkung und Unterstützung des Familienlebens Zusammenarbeiten wollen. Erlauben Sie mir, einige zusätzliche Bereiche zu nennen, in denen Christen und Moslems mehr Zusammenarbeiten könnten. Wir könnten einen Dialog beginnen, um zu besserem gegenseitigen Verständnis auf wissenschaftlicher Ebene wie in den Beziehungen von Mensch zu Mensch, in der Familie sowie am Arbeitsplatz und in der Freizeit zu kommen. 262 Reisen Wir könnten mehr Rechtschaffenheit und Disziplin im privaten und öffentlichen Leben fördern, mehr Mut und Klugheit in der Politik, die Beseitigung politischer Gegensätze und die Abschaffung von Diskriminierungen aus Gründen der Rasse, Hautfarbe, ethnischen Herkunft, Religion oder des Geschlechts. Wir könnten beide als Vorkämpfer des Grundsatzes und der praktischen Verwirklichung der religiösen Freiheit auftreten, indem wir deren Anwendung insbesondere in der religiösen Erziehung der Kinder sicherstellen. Wenn das Recht jedes Kindes, Gott anzubeten und zu verehren, durch das Recht des Kindes auf religiöse Erziehung ergänzt wird, dann erfährt die gesamte Gesellschaft eine Bereicherung, und ihre Glieder werden für das Leben gut gerüstet. Der religiösen Erziehung kommt heute wachsende Bedeutung zu, da gewisse Elemente in der Gesellschaft den geistlichen Aspekt des Menschen zu übersehen oder gar zu zerstören trachten. 4. Warum spreche ich mit Ihnen über diese Probleme? Weil Sie Moslems sind und wie wir Christen an den einen Gott glauben, der die Quelle aller Rechte und Werte der Menschheit ist. Zudem bin ich überzeugt, daß wir viel Gutes vollbringen könnten, wenn wir uns im Namen Gottes die Hand reichen. Wir könnten gemeinsam für Eintracht und nationale Einheit arbeiten, in Offenheit und größerem gegenseitigen Vertrauen. Wir könnten zur Förderung von Gerechtigkeit, Frieden und Entwicklung Zusammenarbeiten. Ich habe die ernsthafte Hoffnung, daß unsere brüderliche Solidarität in Gott die Zukunft Nigerias und ganz Afrikas wirklich fördern und zur guten Ordnung der Welt als einer universalen Gesellschaft im Zeichen der Liebe beitragen wird. Möge der allmächtige und barmherzige Gott Ihnen sein Antlitz zuwenden und Sie segnen! Möge er Sie leiten! Möge er Sie mit Frieden erfüllen und Ihren Herzen Freude schenken! 263 Reisen ,, Wissen und Forschung im Dienst des Menschen“ Predigt bei der Eucharistiefeier für die Professoren, Studenten und Akademiker in der Universität von Ibadan/Nigeria am 15. Februar In unserem Herrn Jesus Christus geliebte Brüder und Schwestern! Mit großer Freude grüße ich euch alle, die Universitätsgemeinschaften von Nigeria, die Akademiker, die Männer und Frauen aus Wissenschaft, Kultur und Kunst. Unsere Begegnung findet in Ibadan statt, der Wiege des Universitätslebens in eurem Land. Jetzt, da es in Nigeria mehr als 25 Universitäten und ähnliche Lehr- und Forschungsinstitute und so viele hochspezialisierte und namhafte Männer und Frauen der Wissenschaft und Kultur gibt, ist es wohl angebracht, daß der Papst mit euch Zusammentreffen, euch seine große Achtung zum Ausdruck bringen, euch besser kennenlernen und ermutigen soll. Vor allem will ich mit euch zusammen zu Gott, dem ewigen Vater, beten. Er ist es, der uns - in den Worten, die wir soeben aus dem Buch der Weisheit vernommen haben - wahres Wissen schenkt, in die Weisheit einführt und die Weisen leitet. 1. Meine lieben Freunde, ihr seid in einem äußerst wichtigen menschlichen Unternehmen beteiligt. Ihr steht durch Wissen und Forschung im Dienst des Menschen. Als Männer und Frauen in Lehre und Forschung leistet ihr einen sehr bedeutsamen Beitrag zum Fortschritt und der Entwicklung Nigerias und in der Tat ganz Afrikas. Ihr lehrt und bildet Studenten aus und führt sie in die vielfältigen Aspekte der Welt des Wissens ein. Ihr bildet Lehrer für eure zahlreichen höheren Schulen und Lehrerakademien aus. Ihr bemüht euch, die breitere Gesellschaft an eurem schönen intellektuellen, wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Besitz teilnehmen zu lassen. Ihr antwortet auf die Bedürfnisse eures rasch wachsenden Landes durch entsprechende Forschungen auf dem Gebiet der Medizin, der Metallurgie, der Biologie, der Biochemie und in anderen Bereichen. Ihr liefert das Fundament, das für die Infrastruktur notwendig ist, deren die Wirtschaft eures großen Landes bedarf, um nicht nur vorwärtszukommen, sondern auch bei Regressionen standzuhalten. Als Ergebnis dieser Bemühungen verfügt Nigeria über fachkundiges Personal. Ihr habt gut ausgebildete Lehrer, Professoren, Ärzte, Chi- 264 Reisen rurgen, Architekten, Städteplaner, Ingenieure, Ökonomen, Verwaltungsbeamte und Techniker. Und auch die Bereiche der Kunst - Musik, Malerei, Bildhauerei und viele andere Aspekte menschlicher Kreativität - habt ihr nicht vernachlässigt. Manche von euch engagieren sich in den Humanwissenschaften, andere in den anspruchsvollen Gebieten des philosophischen und theologischen Denkens. Mit all diesen Maßnahmen helft ihr, die Lage eures Volkes zu verbessern. Ihr helft Nigeria, seinen rechtmäßigen Platz unter den Nationen der Welt einzunehmen. Mit all diesen Bemühungen steht ihr unmittelbar im Dienst des Menschen durch Wissen und Forschung. Ihr und eure Gefährten seid die Urheber und Promotoren der kulturellen Atmosphäre, in der die Bürger Nigerias dazu erzogen werden, zu leben und sich selbst zu verwirklichen. Das ist eure Größe und Bedeutung, euer Anrecht auf Wertschätzung und Respekt, aber auch eure ernste Verantwortung. Männer und Frauen aus Wissenschaft und Kunst! Das Wort des Papstes an euch bei diesem willkommenen Treffen ist ein Wort der Achtung und der Ermutigung. Ihr seid die Künstler und Schöpfer der kulturellen Atmosphäre eurer Gemeinschaft. Eure inspirierte und verantwortungsbewußte Hingabe an Wissen, Forschung und Kunst ist von größter Bedeutung für das geistige und moralische Wachstum des nigerianischen Volkes. Seid ein Licht, das vor den Menschen leuchtet, damit sie eure guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen! 2. Die kulturelle Umgebung, die ihr so sorgfältig schafft und fördert - im Klassenzimmer, im Laboratorium, im Atelier, in den Medien -, ist der-Schlüssel, der den Männern und Frauen Nigerias, besonders der Jugend, die Tür zu persönlichem Wachstum und Fortkommen öffnet. Als Christen seid ihr überzeugt, daß wirtschaftlicher Fortschritt, so wichtig er ist, allein nicht ausreicht, um den Menschen aus den vielen unvollkommenen Bedingungen und Situationen zu befreien, die seine Persönlichkeit und sein Leben in der Gesellschaft bedrängen. Einzig und allein eine Erziehung, die alle Dimensionen des Lebens und der Persönlichkeit des Menschen einbezieht und aufhellt, kann jeden Mann und jede Frau befähigen, deren Unwissenheit zu überwinden und aus der Lethargie auszubrechen, die von der persönlichen Frustration oder dem Mangel an Aufstiegsmöglichkeiten im gesellschaftlichen Leben herrührt. Nur eine kulturelle Atmosphäre, die ihren Teilnehmern und Empfängern erlaubt, stärker danach zu streben, „mehr zu sein“ als „mehr zu haben“, ist imstande, allen Män- 265 Reisen nern, Frauen und Kindern zu helfen, ihren richtigen Platz in der Gesellschaft zu finden und dadurch in wirksamer Weise ihre einzigartige und unverletzliche menschliche Würde zur Geltung zu bringen. 3. Als die Schöpfer dieser kulturellen Umwelt mit all ihrer befreienden Kraft dürft ihr euch nicht entmutigen lassen, wenn ihr seht, daß es noch immer viel zu tun gibt und ein weiter Weg zurückzulegen ist, bis alle eure nigerianischen Brüder und Schwestern und in der Tat alle Afrikaner an den Vorteilen eures Wissens und eurer Kreativität und den Ergebnissen eurer Forschung teilhaben. Unterdessen darf die kulturelle Unterentwicklung einiger - und das gilt überall in der Welt - nicht für ideologische, wirtschaftliche oder soziale Parteiziele mißbraucht werden. Die zynische Ausnutzung menschlichen Elends und menschlicher Unwissenheit für Ziele, die nichts mit Menschenwürde und der Förderung des einzelnen und der Gesellschaft zu tun haben, ist ein schweres Verbrechen gegen das Werk des Schöpfers. Ihr werdet vor derartigen Versuchungen sicher sein, wenn eurer Wissen, euer Forschen und eure Kunst ein Ausdruck eurer persönlichen und aufrichtigen Liebe für die einzigartige und unwiederholbare Würde aller Menschen ist. 4. Verehrte Männer und Frauen aus Wissenschaft, Lehre und Kultur! Oft führen euch die Methoden eurer Wissenschaften und eure künstlerische Kreativität dahin, die Welt im Sinne allgemeiner Prinzipien zu betrachten, die das menschliche Leben in seinen vielfältigen Dimensionen beherrschen - sei es auf dem Gebiet von Biologie und Medizin, sei es in den Bereichen wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und künstlerischer Aktivitäten, um nur einige zu nennen. Vergeßt nicht, daß die Anwendung eures Wissens und eurer technischen Fähigkeiten Männer und Frauen in ihrem persönlichem Leben betrifft. Ich appelliere an euch und an die Männer und Frauen der Wissenschaft überall, sucht nach Wegen, eure Forschung so anzuwenden, daß die persönliche Würde, die legitimen Freiheiten und die moralischen und religiösen Überzeugungen von Männern und Frauen immer respektiert werden. 5. Brüder und Schwestern Nigerias, vielleicht mehr als in anderen Teilen der modernen Welt ist der künftige „Stil“ eurer Gesellschaft noch in eurer Hand. Technischer Fortschritt und industrielle Entwicklung haben noch nicht die kontrollierbaren Grenzen überschritten. Euphorie und einseitige Begeisterung für größeren materiellen Wohlstand um jeden Preis haben noch nicht überhandgenommen. Das ist nun die Stunde, in der ihr euch selbst - wie ich es in meiner 266 Reisen Enzyklika Redemptor hominis vorgeschlagen habe - mit absoluter Ehrlichkeit, Objektivität und Sinn für moralische Verantwortung die entscheidenden, wesentlichen Fragen stellen müßt, die die Lage des Menschen heute und in der Zukunft betreffen: „Überwiegt unter den Menschen, ,in der Welt des Menschen, die von sich aus das Gute und das Böse enthält, das Gute vor dem Bösen? Wachsen tatsächlich in den Menschen und untereinander die Nächstenliebe, die Achtung vor den Rechten des anderen - sei es der einzelne, eine Nation oder ein Volk - oder nehmen vielmehr die Egoismen verschiedener Art und die übertriebenen Nationalismen anstelle einer echten Vaterlandsliebe zu sowie das Streben, andere über die eigenen legitimen Rechte und Verdienste hinaus zu beherrschen, wie auch die Tendenz, allen materiellen und wirtschaftlichen Fortschritt allein zu dem Zweck auszunützen, um die Vorherrschaft über andere zu besitzen oder diesen oder jenen Imperialismus zu fördern?“ (Nr. 15). Männer und Frauen der Kultur, der künftige „Stil“ des bürgerlichen Lebens eures Landes wird in der kulturellen Atmosphäre vorbereitet, die ihr durch euer Wirken schafft. Ich fühle die Notwendigkeit, euch gegenüber eine Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils über die wahre Weisheit zu wiederholen - eine Aussage, die zu wiederholen ich bereits zuvor Gelegenheit hatte: „Unsere Zeit braucht mehr als die vergangenen Jahrhunderte diese Weisheit, damit humaner wird, was Neues vom Menschen entdeckt wird. Es gerät nämlich das künftige Geschick der Welt in Gefahr, wenn nicht weisere Menschen entstehen“ (Gaudium et spes, Nr. 15). Männer und Frauen der Kultur! Seid voll Weisheit! Euer Land, Afrika, die ganze Welt braucht euch! 6. Liebe Freunde, ich muß zu euch über den Vorrang der geistlichen Werte in allen Bereichen der kulturellen Umwelt, in der ihr lebt und arbeitet und zu der ihr auf so bedeutsame Weise beitragt, sprechen. Ohne geistliche Werte ist der Mensch nicht mehr länger er selbst, weil er ohne sie seine wesentliche Abhängigkeit von der wahren Quelle seines Daseins, seinem Schöpfer, als dessen Ebenbild er geschaffen wurde und da ist, leugnet oder ignoriert. Wie ihr, steht auch die Kirche im Dienst am Menschen durch die Verkündigung des Evangeliums und seine befreienden und erhebenden Einflüsse. Wissenschaft und Religion sind beide Geschenke Gottes, der ewigen Wahrheit. Wahrheit widerspricht nicht sich selbst, Wissenschaft und Religion stehen nicht nur nicht im Gegensatz, sondern verstehen sich, arbeiten zusammen und stehen beide im Dienst am Menschen und an der Wahrheit. 267 Reisen Ich bin glücklich zu erfahren, daß einige eurer Universitäten Abteilungen für religiöse Studien besitzen. Eine Universität, in der einander verschiedene Denkströmungen begegnen und jede das Bürgerrecht anstrebt, braucht die Religion für den Dialog, für das gegenseitige Verständnis und für eine unerläßliche Betrachtung der Grundwahrheit vom Menschen. Erziehung ohne Religion ist unvollkommen und in Gefahr, verzerrt zu werden, in Gefahr, sich in ein menschenfeindliches Instrument zu verwandeln. Aus eben diesem Grund bin ich glücklich festzustellen, daß fast alle eure Universitäten über Kapellen und Universitätskapläne verfügen. Ich grüße und ermutige alle, die sich in diesem Apostolat engagieren. Als Universität und als Akademiker genießt ihr akademische Freiheit. Sie gibt euch die Möglichkeit, mit der Kirche zusammenzuarbeiten bei der Suche nach Wahrheit, in der Verteidigung und Betonung der menschlichen Grundrechte und der Anprangerung menschenunwürdiger Situationen, wenn die Umstände das rechtfertigen. Universitätslehrer und Studenten, Akademiker, Wissenschaftler, Männer und Frauen der Kultur: Wie das Evangelium, das wir vorhin gehört haben, sagt, seid ihr das Salz der Erde. Ihr dürft eure Würze nicht verlieren. Ihr seid die Stadt auf dem Berge. Ihr seid das Licht auf dem Leuchter. Richtet auf! Erzieht! Erleuchtet! Ermutigt! Regt an! Die Kirche versteht euch und achtet euch. Die Kirche bietet euch die Hand zur Freundschaft und Zusammenarbeit an. Wir sind jetzt um den Altar des Lehrers versammelt, dessen Worte seine Zuhörer sooft durch ihre Weisheit in Erstaunen versetzten. Laßt uns alle zu ihm beten um das Geschenk der Weisheit. Bei dieser Eucharistiefeier heißt Christus euren Dienst am Menschen durch die Kultur gut und nimmt ihn an; er nimmt die Früchte eures intellektuellen und künstlerischen Wirkens an; er bietet sie dem Vater als ein gefälliges Opfer dar. Möge Jesus Christus, die menschgewordene Weisheit Gottes, für jeden von euch das Licht eures Lebens sein. Möge seine Wahrheit in eurem Verstand leuchten und auf euren Lippen Ausdruck finden. Möge seine Wahrheit euch mit Freude erfüllen und euch zum ewigen Leben führen. Amen. 268 Reisen „Ihr seid ein Trost für die Kirche“ Ansprache an die Ordensleute im Seminar von Ibadan am 15. Februar Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Es freut mich überaus, mit euch, Männer und Frauen der verschiedenen Diözesen Nigerias, zusammenzutreffen, die ihr im Jesus Christus geweihten Ordensstand lebt. Durch euer Streben nach der Vollkommenheit der Liebe setzt ihr ein Zeichen für die Hoffnung der Kirche und werdet zu ihrer Krone und ihrer Ehre. Ihr seid ein Trost für sie. Ihr seid ihre Gesandten. Wir durften die Gelegenheit zu dieser Begegnung nicht vorübergehen lassen. Schon durch die Taufe Gottes geweiht, gebt ihr durch euren Verzicht auf die Ehe um des Himmelreiches willen, auf irdischen Besitz und auf das Handeln nach eigenem Willen noch ein besonderes Zeugnis für Christus und die Kirche in der Welt. In euren Gelübden bringt ihr dieses Opfer aus freiem Willen, aus Liebe zu Gott und zu euren Mitmenschen und im Geist der Hingabe und des Dienens. Die gottgeweihte Keuschheit hat eine große Zeugniskraft in einer Welt, in der Selbstsucht und sexueller Mißbrauch überhandnehmen. Außerdem ist gerade in Nigeria und in ganz Afrika der Verzicht auf Vater- bzw. Mutterschaft durchaus nicht einfach. Die Armut ist ein Anruf an die Menschen, die Abhängigkeit an das Geld und an das, was man mit Geld kaufen kann, aufzugeben. Und der Gehorsam schwimmt gegen den Strom von Auflehnung, Stolz, Selbstgefälligkeit und Unterdrückung. Nach den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils macht der Ordensstand die Erhabenheit des Gottesreiches gegenüber allem Irdischen und seine höchsten Ansprüche in besonderer Weise offenkundig (vgl. Lumen gentium, Nr. 44). Noch wichtiger als die verschiedenen Werke, die ihr ausübt, ist das Leben, das ihr lebt, mit anderen Worten: das, was ihr seid. Ihr seid gottgeweihte Menschen, die danach streben, Christus mit großer, inständiger Liebe zu folgen. 2. Eure Liebe zu Gott und eure Vereinigung mit ihm im Gebet finden sichtbaren Ausdruck im praktischen Apostolat. Ihr seid aufgerufen, auf vielerlei Weise an der Evangelisierung mitzuwirken. Durch eine Vielfalt von Werken bemüht ihr euch, Christus zu verkünden und in seinem Namen euren Dienst anzubieten. Ihr verfolgt das Endziel der 269 Reisen Katechese: „die Menschen nicht nur in Kontakt, sondern in Gemeinschaft, in Lebenseinheit mit Jesus Christus zu bringen“ (Catechesi tra-dendae, Nr. 5) durch ein ganzes Netz von kirchlichen Initiativen. Wo immer ein Kind in Not ist, wo jemand leidet, wo ein Bruder oder eine Schwester sich einsam oder ausgestoßen fühlt, haben die Ordensleute Gelegenheit, für das Reich Gottes zu arbeiten. Doch bleiben Gebet und Gottverbundenheit immer die Seele eures Apostolates. Ohne Jesus könnt ihr nichts tun. 3. Ich schätze euer Bemühen um theologische und spirituelle Weiterbildung eurer Mitglieder, eure Initiativen im Hinblick auf Ausbildungszentren nach dem Noviziat, auf regelmäßige Versammlungen eurer Höheren Obern und die Gebietstreffen, die alle Ordensleute einbeziehen. Solche Unternehmungen können euch zu tieferer Besinnung über das Ordensleben, zu wachsendem Verständnis der Nächstenliebe und der Bedeutung eurer Sendung verhelfen, eure Einheit untereinander festigen und euer Apostolat koordinieren. In Glauben und Liebe erfrischt und erneut, seid ihr dann imstande, euch mit immer größerer Verfügbarkeit in den Dienst eurer Ortskirche und der ganzen Kirche zu stellen. 4. Ich möchte noch besonders die Ordensbrüder nennen und sie loben und ermutigen. Eure Berufung, meine lieben Brüder, ist nicht leicht, vor allem deshalb nicht, weil der Geist der Welt die evangelische Armut und den demütigen Dienst nicht schätzt. Ihr seid berufen, Christus in einem Leben totaler Hingabe zu folgen, und das trägt für gewöhnlich keinen öffentlichen Beifall ein. Viele Menschen haben für eure Berufung kein Verständnis, denn sie können nicht begreifen, wie die Einladung Christi: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mt 16,24), wenn sie angenommen wird, wirklich Freude und tiefe Erfüllung bringen kann. Christus, der sich selbst entäußerte, ist euer Vorbild und eure Stärke. Ihr selber dürft nie an eurer Identität zweifeln. Eure Auffassung von eurer Berufung, euer durchscheinendes Glück und euer ansteckender Friede, eure eifrige Hingabe an euer Apostolat zum Wohl der Menschen, denen ihr dient, sind ein beredtes Zeugnis für die Macht der Gnade Christi und den Vorrang seiner Liebe. 5. Alle Ordensleute, Brüder und Schwestern, müssen wissen, daß sie nicht von Versuchungen verschont bleiben. Eure drei Gelübde werden früher oder später der Feuerprobe von Problemen, Krisen und Gefahren unterworfen. Eure starke Liebe zu Christus und seiner Kir- 270 Reisen che wird es euch eingeben, wie ihr treu bleiben könnt. Vor allem werdet ihr in einem Land, in dem die Kluft zwischen reich und arm sich ständig vertieft, versuchen müssen, immer glaubwürdiger ein Leben evangelischer Armut zu leben. Im heutigen Nigeria erwartet man ferner von euch, daß ihr durch den Geist demütigen Dienstes, besonders unter den Armen, ein Sauerteig in der Gesellschaft seid. Ein so gearteter Dienst von Ordensleuten ist das Gegenteil von Selbstgefälligkeit, Anmaßung und Vorrangstellung. Beim Planen eures Apostolats und bei der Berufsausbildung eurer Mitglieder sollte jede Kongregation ganz und gar die Ortskirche oder Diözese berücksichtigen. Die Diözese ist eine geistliche Familie, der Bischof ist ihr Vater und Haupt, und die Ordensleute müssen es vermeiden, Programme durchzuführen, die mit denen der Diözese parallel laufen. Vielmehr sollte die ganze Diözese, Priester, Ordensleute und Laien, ihre Apostolatspläne und ihr Vorgehen koordinieren und so in Verbundenheit Zeugnis für Christus geben. 6. Ein besonderes Wort möchte ich noch an die Mönche und die klausurierten Nonnen in Nigeria richten wegen des besonderen Beitrags, den ihr Lebensstil für die Kirche und das Land darstellt. Mit Recht legt ihr besonderen Nachdruck auf das göttliche Offizium, auf Gebet und Kontemplation. Die Kirche selbst bestätigt eure Berufung, weil sie überzeugt ist, daß apostolische Fruchtbarkeit ein Geschenk Gottes ist. In beharrlichem Gebet seid ihr mit Jesus verbunden, der „allezeit lebt, um für die einzutreten, die durch ihn vor Gott hintreten“ (vgl. Hebr 1,25). Mit Jesus in seiner Fürbitte verbunden, könnt ihr Gnaden für das tätige Apostolat und für die ganze Welt erlangen. Ich persönlich baue auf eure Hilfe. Ihr führt ein Leben echter Selbsthingabe. Dadurch gebt ihr allen Christen, ja allen Menschen ein schweigendes, aber beredtes Zeugnis von der Hoheit Gottes und von der Vorrangstellung Christi in eurem Leben. In eurer Handarbeit und eurem geistigen Schaffen zeigt ihr die enge Beziehung zwischen Arbeit und Gebet. Zugleich drückt ihr eure Solidarität der Arbeit mit all euren Brüdern und Schwestern in der ganzen Welt aus. Durch das monastische Stillschweigen helft ihr, eine Atmosphäre zu schaffen, die es den Menschen ermöglicht, auf Gott zu hören und seine Anregungen aufzunehmen. Kein Wunder, daß Priester, Ordensleute und Laien zur Liturgiefeier, zu Gebet, geistlichen Exerzitien und Einkehrtagen, zum Ratholen oder auch einfach zu einer Ruhepause in eure Klöster kommen. So könnt ihr dazu beitragen, daß die Men- 271 Reisen sehen in eurem Land durch das Ostermysterium von Christi Tod und Auferstehung zu immer größerer Reife gelangen. 7. Euch alle, meine lieben Ordensleute in Nigeria, möchte ich meiner tiefen Zuneigung in Christus Jesus versichern. Ich bin euch sehr dankbar für euer gottgeweihtes Leben und all euren hochherzigen Dienst an der Kirche. Ich bitte um euer ständiges Gebet für die Anliegen des Apostolischen Stuhls und die Bedürfnisse der ganzen Kirche. Möge Maria, unsere Mutter, unser Vorbild in der Liebe zu Jesus und in der Hingabe an ihn, euch helfen, eure Berufung der Liebe und des Glaubens, der Freude und der Hoffnung treu zu leben. Denn nach dem Wort des hl. Petrus habt ihr Jesus nicht gesehen, „und dennoch liebt ihr ihn; ihr seht ihn auch jetzt nicht; aber ihr glaubt an ihn und jubelt in unsagbarer, von himmlischer Herrlichkeit verklärter Freude“. Liebe Brüder und Schwestern, „setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch bei der Offenbarung Jesu Christi geschenkt wird“ (7 Petr 1,8.13). „Ein Spiegelbild der Einheit“ Ansprache an das Vorbereitungskomitee des Papstbesuches in Lagos am 15. Februar Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Bevor ich euer Land verlasse, freue ich mich wirklich über dieses Treffen mit euch, den Vertretern der vielen, die diesen meinen Besuch in Nigeria vorbereitet haben. Viele Monate lang habt ihr geplant, das Programm überprüft, Tagungen gehalten in Rom, in Lagos und in den Zentren eurer Provinz, auf diözesaner Ebene und in anderem Rahmen. Ihr habt Kontakt mit der Regierung aufgenommen, mit verschiedenen Vereinigungen, Unternehmen und Einzelpersonen. Das Ergebnis war der wirklich gut abgestimmte und glatte Ablauf des Programmes, das schon seinen vierten Tag erreicht hat. Ich spreche euch meine hohe Wertschätzung aus. Eure zahlreichen Opfer haben dazu beigetragen, den Glauben zu stärken, die Liebe zu vermehren und Freundschaften zu festigen. Ihr habt viel für das 272 Reisen kirchliche Leben in Nigeria, für die Freude und das Wohl zahlreicher eurer Mitbürger getan. 2. Eure Anordnungen haben es mir ermöglicht, meine pastorale Sendung als Diener des Evangeliums Christi und als universaler Hirte des Volkes Gottes wahrzunehmen. Durch eure Mitarbeit war es mir möglich, hier in Nigeria Christus, das Licht der Welt, zu verkünden. 3. Eure Zusammenarbeit ist ein Spiegelbild der Einheit der Kirche; ihr habt gezeigt, wie sehr ihr tatkräftige Solidarität schätzt und wie sehr ihr wünscht, wie die ersten Christen „ein Herz und eine Seele“ zu sein (ApgA-,32). Ich hoffe, daß euch das Beispiel der Zusammenarbeit und des harten Einsatzes, dem ihr bei der Vorbereitung meines Besuches gefolgt seid, auch weiterhin anspornt in eurem Wirken in den Ortskirchen und in der ständigen Unterstützung eurer Bischöfe und Priester, zu der ihr aufgefordert seid. Um mit den Worten des hl. Paulus zu sprechen: Ich werde immer „dankbar sein, daß ihr euch gemeinsam für das Evangelium eingesetzt habt... Ich vertraue darauf, daß er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu. Es ist nur recht, daß ich so über euch alle denke, weil ich euch ins Herz geschlossen habe“ (Phil 1,5-7). „Eine neue Ära der Evangelisierung“ Ansprache an die nigerianischen Bischöfe in Lagos am 15. Februar Meine lieben Brüder im Bischofsamt! „Gnade, Erbarmen und Friede von Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Herrn“ (7 Tim 1,2). Übergroß ist meine Freude, heute unter euch weilen zu dürfen. Im vergangenen Monat wart ihr meine Gäste im Vatikan, während dieser Tage bin ich nun euer Gast. Wir verstehen einander. Wir lieben einander. Wir verkehren in Freiheit miteinander. Mein kurzer Besuch eures weit ausgedehnten Landes erfüllt mich mit Freude und Hoffnung. Ich bedaure es, nicht mehr Städte besuchen zu können, doch 273 Reisen ihr kennt die Gründe, warum das Programm eingeschränkt werden mußte. Überall habt ihr ausgezeichnete Vorbereitungen getroffen. Euer Volk ist begeisterungsfähig, gastfreundlich und voll Glauben. Sie verstehen, welch unermeßlicher Schatz der Gnade ihnen in unserem Herrn Jesus Christus zuteil geworden ist. Ich preise seinen Vater, der eurem Volk tiefe Glaubenseinsichten in Dinge geschenkt hat, die „den Weisen und Klugen“ verborgen sind (Mt 11,25). 1. Ich zolle euch Lob und spreche euch meine brüderliche Solidarität aus für euren täglichen Dienst in dieser Kirche, in der ihr Hirten der Herde seid. Ihr habt den Missionaren Ehre erwiesen, die dieses gute Werk vor hundert Jahren begannen. Eure Seminare sind gefüllt, eure Ordensgemeinschaften verzeichnen einen ständigen Zustrom von Kandidaten, und die Organisationen eures Laienapostolates sind sehr aktiv. Ihr liebt den, der in der Liebe der Universalen Kirche vorSteht, ebenso wie jene, die mit ihm bei den Aufgaben der Kongregation für die Evangelisierung der Völker Zusammenarbeiten. Ihr fördert die rechtgläubige Lehre und die offiziell zugelassenen liturgischen Formen. Ihr setzt euch für die Disziplin der Priester ein. Priester- und Ordenskleidung stehen in eurem Land in Ehren. Ihr nehmt auch mit Eifer euer Lehramt wahr in den Predigten, Hirtenbriefen und anderen Äußerungen. Mit Freude nehme ich zur Kenntnis, daß euer pastoraler Eifer auch im Katholischen Sekretariat von Nigeria seinen Ausdruck gefunden hat, im Nationalen Missionsseminar, im Katholischen Institut von Westafrika, im Symposion der Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar, in eurer Zusammenarbeit mit der Römischen Kurie und der Bischofssynode. Für diese und alle anderen Beweise eurer apostolischen und pastoralen Liebe danke ich euch im Namen Jesu Christi, des Einen, den wir alle mit Petrus als „Oberhirten der Herde“ (1 Petr 5,4), anerkennen. In einer großen Bischofskonferenz wie der euren ist es immer gut, die Wichtigkeit der Einheit und der Koordinierung der Aktionen zu betonen. Die Erfordernisse des Apostolats in eurem Volk sind noch sehr vielfältig, und ihr könnt nicht allen entsprechen, wenn ihr nicht zusammensteht und gemeinsam vorgeht. Beispiele sind die gemeinsamen Objekte, die ich eben erwähnt habe. Hinzu kommen eure regionalen und interdiözesanen kleinen und großen Seminare, eure Beziehungen zu den nationalen und regionalen zivilen Autoritäten, eure pastorale Planung und so weiter. Auch Schwierigkeiten erfordern ein wohlüberlegtes, gemeinsames Vorgehen: Das gilt für den Mangel an 274 Reisen Disziplin, der bei einzelnen Priestern auftreten mag, für das Problem der Stammesfehden oder ethnischen Differenzen ebenso wie für die nationalen Probleme wie Bestechung und Korruption, Unehrlichkeit und Gewaltanwendung. Ich bin mir bewußt, daß das Apostolat der Schule in Nigeria für die Evangelisierung sehr gute Ergebnisse gebracht hat, daß die Lage der kirchlichen Schulen aber auch schwere Probleme schuf, vor allem in den letzten fünfzehn Jahren. Die religiöse Kindererziehung innerhalb und außerhalb der Schule ist von größter Wichtigkeit. In den verschiedenen Staaten eurer weit ausgedehnten Föderation seid ihr bemüht, eurer Verantwortung als Bischöfe gerecht zu werden, indem ihr euch für die Rechte und Bedürfnisse so vieler katholischer Kinder einsetzt. Als geistliche Führer und wachsame Hirten, die sich auf die volle Unterstützung eurer Priester, Ordensleute und Laien verlassen können, versucht ihr, die Zielsetzungen katholischer Erziehung deutlich zu machen und den Eltern bei der Erfüllung ihrer gottgegebenen Aufgabe als hauptsächliche Erzieher ihrer Kinder zu helfen. In dieser Hinsicht möchte ich eure Aufmerksamkeit auf das richten, was ich in meinem jüngsten Apostolischen Schreiben ausführte: „Das Recht der Eltern auf die freie Wahl einer Erziehung, die mit ihrem religiösen Glauben in Einklang steht, muß unbedingt gewährleistet sein. Der Staat und die Kirche haben die Pflicht, den Familien alle möglichen Hilfen zu geben, damit sie ihre Erziehungsaufgaben in angemessener Weise wahrnehmen können. Dafür müssen beide jene Institutionen und Aktivitäten schaffen und fördern, die die Familien berechtigterweise fordern; die Hilfe muß der Hilfsbedürftigkeit der Familien entsprechen. Dabei dürfen alle jene, denen in der Gesellschaft die Schulen anvertraut sind, niemals vergessen, daß die Eltern von Gott selbst als die ersten und hauptsächlichen Erzieher der Kinder bestellt sind und daß ihr Recht ganz und gar unveräußerlich ist“ (Fa-miliaris consortio, Nr. 40). Ja, liebe Brüder in Christus, bei all eurem Pastoralen Eifer für die Laien und den Klerus bin ich euch in der Liebe Jesu Christi nahe. Ich danke euch für euer Missionsbewußtsein und für eure Initiative, nigerianische Priester und Ordensleute in eine Reihe von anderen Ländern Afrikas und Westindiens zu senden. Ich bin dankbar für die Brüderlichkeit, die ihr gegenüber euren priesterlichen Brüdern zeigt; es ist in der Tat eine großartige Praxis, die jährlichen geistlichen Exerzitien und die monatlichen Einkehrtage mit ihnen gemeinsam zu halten. In all dem zeigt ihr die Einheit des Priestertums in der Einheit der Kirche Christi. 275 Reisen 2. Als eure erste Gruppe im vergangenen Monat in Rom war, hatte ich bereits Gelegenheit, über meinen Besuch in Nigeria, der eine Erfahrung unserer Einheit in Christus und der Kirche sein soll, zu sprechen. Die Einheit, die ihr in euren Ortskirchen lebt, erfahren wir nun gemeinsam. Diese Einheit ist eine Einheit des Glaubens, die sich auf das Wort Gottes, das Evangelium, gründet - ein Evangelium, das geglaubt, gelebt und verbreitet werden muß. Aus diesem Grund habe ich Einheit und Evangelisierung als das zweifache Anliegen meines Pastoralbesuches in der geliebten Kirche von Nigeria bezeichnet. Eleute feiern wir in Lagos in aller Wahrheit das Wort Gottes, das uns eint; wir feiern das menschgewordene Wort Gottes, das starb, um „die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (Joh 11,52). Wir feiern das Evangelium als „Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt“ (Röm 1,16). Wir rufen uns in Erinnerung, wie das Wort Gottes durch die Gnade Christi und die Verdienste seines kostbaren Blutes im Leben eures Volkes Wurzeln geschlagen, sie in Gemeinschaften des Glaubens geeint und unter ihnen immer wieder Früchte der Gerechtigkeit zum Heil hervorgebracht hat. 3. Wenn wir den dynamischen Prozeß der Evangelisierung bedenken, der hier stattgefunden hat, dann wird uns klar, daß er unablässig weitergehen muß. Wir sind uns bewußt, daß die Leute nicht an Christus glauben werden, „wenn sie nicht von ihm gehört haben; sie können aber nicht von ihm hören, wenn niemand verkündigt; es kann aber niemand verkünden, wenn er nicht gesandt ist“ (vgl. Röm 10,14-15). Und so, liebe Brüder in Christus, überlegen wir heute die Worte Jesu: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Ich bin von Christus gesandt, und ihr seid von Christus gesandt. Und gemeinsam mit allen übrigen Mitgliedern des Bischofskollegiums in aller Welt sind wir gesandt, Christus zu verkünden, Christus zu predigen, Christus und sein Evangelium der Welt mitzuteilen. So habe ich schon vor diesem Pastoralbesuch die Hoffnung ausgesprochen, er möchte „eine neue Ära der Evangelisierung“ einleiten. Dies ist mein ständiges Gebet: Der Eifer für die Evangelisierung möge die Kirche hier in Nigeria erfassen. Warum? Weil Evangelisierung die wesentliche Sendung der Kirche, ihre Berufung und ihre tiefste Identität darstellt (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 14). Hier spiegelt die Kirche, erfüllt von Christus (vgl. Eph 1,23), getreu die Sendung Christi wider, der von sich selbst gesagt hat: „Ich muß... das Evangelium vom Reich Gottes verkünden; denn dazu bin ich gesandt worden“ (Lk 4,43). 276 Reisen Praktisch bedeutet die Berufung der Kirche zur Evangelisierung vor allem, immer tiefer das Evangelium zu leben. Sie bedeutet, Jesu Ruf zur Umkehr anzunehmen und die Forderungen des von Jesus gepredigten Glaubens zu bejahen. Der Ruf zur Umkehr war das Thema der Predigt Johannes’ des Täufers (vgl. Mt 3,2), und Jesus verkündete ausdrücklich: „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe!“ (Mt 4,17). Es war ebenso die Botschaft Petri am Pfingstfest: „Bekehrt euch“ (Apg 2,38). So verstanden, gehört zur Evangelisierung ein Prozeß zur Reinigung und inneren Wandlung, der unsere Ortskirchen erfaßt. Gemeint ist Bekehrung zum Heil: Die Gemeinschaft der Kirche muß immer mehr eine Gemeinschaft lebendigen Glaubens, Gemeinschaft des Gebetes, ein Zentrum der Einheit werden, das die liebende Sorge um die Armen und Kranken, die Einsamen, Verlassenen und Behinderten ausstrahlt, die Sorge um die Aussätzigen und die Glaubensschwachen, um alle, die Hilfe brauchen und nach jemand Ausschau halten, der ihnen die Liebe Christi sichtbar macht. Da sie selber das Evangelium angenommen hat, ist die Kirche berufen, es in Wort und Tat mitzuteilen. Die Katholiken haben unter eurer pastoralen Führung die Gelegenheit, das Glück und die Pflicht, in der Kultur, in der sie leben, gemeinsam Zeugnis für das Evangelium Christi zu geben. Sie sind in der Lage, das Evangelium in den Kern der Kultur einzupflanzen, in den täglichen Alltag. Vor allem, wenn die christlichen Familien gründlich evangelisiert worden sind und sich ihre Aufgabe, auch ihrerseits zu evangelisieren, bewußtgemacht haben, kann es zu einer wirksamen Evangelisierung der Kultur kommen - zu einer wirksamen Begegnung zwischen Evangelium und Kultur. Dies wäre äußerst nötig, denn - um mit den Worten meines Vorgängers Paul VI. zu sprechen - „der Bruch zwischen Evangelium und Kultur ist ohne Zweifel das Drama unserer Zeitepoche“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 20). Ein wichtiger Aspekt eurer Rolle bei der Evangelisierung betrifft den ganzen Bereich der Inkulturation des Evangeliums im Leben eures Volkes. Hier bietet ihr zusammen mit euren priesterlichen Mitarbeitern eurem Volk die bleibende Botschaft der göttlichen Offenbarung an - „die unermeßlichen Reichtümer Jesu Christi“ (Eph 3,8) -, zugleich helft ihr ihm aber auch auf der Grundlage dieses „ewigen Evangeliums“ (Offb 14,6), „aus ihrer eigenen lebendigen Überlieferung heraus originelle Ausdrucksformen christlichen Lebens, Feierns und Denkens hervorzubringen“ (Catechesi tradendae, Nr. 53). 277 Reisen Die Kirche respektiert in der Tat die Kultur eines jeden Volkes. Wenn sie die Botschaft des Evangeliums anbietet, will sie nichts Gutes und Schönes zerstören oder beseitigen. Vielmehr erkennt sie zahlreiche kulturelle Werte an und reinigt durch die Kraft des Evangeliums gewisse Elemente des Brauchtums, um sie in den christlichen Gottesdienst aufzunehmen. Die Kirche will Christus bringen, nicht die Kultur einer fremden Rasse. Evangelisierung heißt, die Kultur mit der Kraft des Evangeliums zu durchdringen und zu erheben. Anderseits wissen wir, daß Gottes Offenbarung die Einsichten jeder Kultur übersteigt, auch die sämtlicher Kulturen der Welt zusammengenommen. Mit dem hl. Paulus sollten wir den göttlichen Eleilsplan preisen: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie uner-forschlich seine Wege!“ (Röm 11,33). Die Tiefe der göttlichen Offenbarung wird im Geheimnis der Menschwerdung offenbar, das seinerseits das Leben der Heiligsten Dreifaltigkeit, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, offenbart. Es ist daher klar, wie ich vorhin sagte, daß „die Kraft des Evangeliums überall umgestaltend und erneuernd wirkt. Wenn sie eine Kultur durchdringt, was sollte es wundern, wenn sie davon auch zahlreiche Elemente korrigiert?“ (Catechesi tradendae, Nr. 53). Gleichzeitig wird nach der Vorsehung Gottes der göttlichen Botschaft durch die Kultur eines jeden Volkes eine konkrete Form gegeben und so mitgeteilt. Es bleibt für immer wahr: Der Weg der Kultur ist der Weg des Menschen, und auf diesem Weg begegnet der Mensch dem Einen, der die Werte aller Kulturen in sich trägt und den Menschen jeder einzelnen Kultur sich selber erst voll erkennen läßt. Das Evangelium Christi, des menschgewordenen Wortes, findet seine Heimstatt auf dem Weg der Kultur, und auf diesem Weg bietet es weiterhin seine Botschaft vom Heil und vom ewigen Leben an. Wegen dieser wichtigen Erwägungen, liebe Brüder in Christus, möchte ich erneut vom Heiligen Geist jene „neue Ära der Evangelisierung“ erflehen, von der ich zu euch in Rom gesprochen habe. Sie wird natürlich ein Geschenk Gottes sein - ein weiteres Geschenk in der endlosen Liste der Gunsterweise, die eurem Volk durch die barmherzige und liebevolle Güte unseres Gottes zuteil geworden sind. Unsererseits müssen wir freilich die tiefe Überzeugung hegen, daß unser Dienst als Bischöfe tatsächlich ein Dienst der Evangelisierung ist, der auch die Evangelisierung der Kultur umfaßt. Wie ich in Rom erwähnte, sagt uns Jesus selbst, daß Evangelisierung unsere „höchste Priorität“ ist. 278 Reisen 4. Bevor ich schließe, möchte ich noch ein Wort über zwei wichtige Aspekte unseres Dienstes am Evangelium sagen. Wenn wir ausdrücklich verkünden, daß Gott sein Heil schenkt, zur Umkehr aufruft, barmherzig vergibt und erlösende Liebe zu uns in sich trägt, so tun wir das im Zusammenhang mit den Sakramenten der Buße und der heiligen Eucharistie. In Nigeria sind eure Leute dem Geheimnis der Versöhnung und des Erbarmens treu geblieben, wie es aus ihrer Praxis, zur Beichte zu gehen, ersichtlich ist. Diese Treue ist in sich selbst schon eine Gabe Gottes. In zahlreichen Gebieten der Kirche in der Welt wird das Sakrament der Buße aus verschiedenen Gründen weniger als früher empfangen. Das Zweite Vatikanische Konzil und seine Durchführung von seiten des Hl. Stuhls wollte bestimmten Aspekten des Sakramentes neuen Nachdruck geben. Dazu gehört z. B. der Dienst der Kirche bei der Vergebung der Sünden, die Auswirkung der Sünde auf den ganzen Leib Christi, die Rolle der Gemeinschaft bei der Feier der Buße und beim Werk der Versöhnung. Das Zweite Vatikanische Konzil und der Apostolische Stuhl wollten aber in keiner Weise eine Entwicklung einleiten, bei der große Gruppen von Katholiken den Empfang des Sakramentes aufgeben oder es in der Praxis derart vernachlässigen, daß damit seine Bedeutung für das christliche Leben nicht anerkannt wird. Die kommende Bischofssynode wird dem Lehramt der Kirche ausgezeichnete Gelegenheiten bieten, kollegial die lebenswichtige Rolle dieses Sakramentes und seinen rechten Gebrauch gemäß den approbierten Normen der Kirche neu herauszustellen. Diese Normen passen sich dem göttlichen Gebot an und bringen jene echte Erneuerung zum Ausdruck, die das Zweite Vatikanische Konzil und der Apostolische Stuhl gewollt haben. Inzwischen bitte ich euch, liebe Brüder, alles euch Mögliche zu tun, um die Bedeutung der kirchlichen Natur des Bußsakramentes zu betonen, was nicht nur mit dem Einzelbekenntnis und der Absolution in Einklang steht, sondern diese geradezu erfordert, ausgenommen jene sehr seltenen Fälle, in denen die Kirche eine Generalabsolution gestattet. Wenn ihr eure Gläubigen zu ständiger Umkehr aneifert, das Erbarmen und die Vergebung des Heilands verkündet, den Gemeinschaftsaspekt der Versöhnung unterstreicht und den guten Gebrauch der Einzelbeichte und -absolution bei ihnen fördert, leistet ihr nicht nur euren Ortskirchen, sondern ebenso der Gesamtkirche einen äußerst wertvollen Dienst. Ihr rühmt das Geheimnis der Erlösung und vertei- 279 Reisen digt eines der heiligsten Rechte eurer Gläubigen. In meiner ersten Enzyklika habe ich festgestellt: „Die Kirche verteidigt also, indem sie die jahrhundertealte Praxis des Bußsakramentes bewahrt - die Praxis der individuellen Beichte in Verbindung mit dem persönlichen Akt der Reue und dem Vorsatz, sich zu bessern und wiedergutzumachen das besondere Recht der menschlichen Seele. Es ist das Recht zu einer mehr persönlichen Begegnung des Menschen mit dem gekreuzigten Christus,... der verzeiht... Offenkundig ist es gleichzeitig auch das Recht Christi selbst hinsichtlich eines jeden Menschen, der von ihm erlöst worden ist. Es ist das Recht, jedem von uns in jenem entscheidenden Augenblick des Lebens der Seele, nämlich dem der Bekehrung und des Verzeihens, zu begegnen“ (Redemptor hominis, Nr. 20). 5. Euer Dienst der Evangelisierung erreicht schließlich seinen Höhepunkt in der Eucharistie, die zugleich Mittelpunkt alles sakramentalen Lebens ist. Hier wird das Evangelium im Vollsinn verkündet; hier wird den Gläubigen vollkommene Vereinigung mit Jesus angeboten. Hier kann jeder Christ die heilbringende Kraft der Erlösung in ihrer Fülle empfangen. Und hier, im eucharistischen Opfer, erreicht auch eure eigene pastorale Sendung ihre Fülle. Hier seid ihr wahrhaft eins mit Christus, dem Guten Hirten, dem obersten Hirten der Herde. Alle Bekehrung ist auf die Vereinigung hingeordnet, die nur in der Eucharistie in vollem Maße möglich ist. Alle Evangelisierung zielt diesen Mittelpunkt an, der zugleich Quelle und Gipfel ist (vgl. Presbyterorum ordinis, Nr. 5). In der Eucharistie finden auch wir selber als Bischöfe der Kirche Gottes unsere pastorale Kraft und Freude, um Gottes Volk auf den Weg des Heils und des ewigen Lebens zu führen. Hier versammeln wir in Christi Namen seine pilgernde Kirche auf ihrem Weg zum Vater, „dem Vater der Erbarmungen und Gott allen Trostes“ (2 Kor 1,3). Hier zeigen wir unserem Volke Jesus und schreiten mit ihm in Heiligkeit und Wahrheit der ewigen Umarmung durch die Liebe des Vaters entgegen, zur vollen Lebensgemeinschaft mit der Heiligsten Dreifaltigkeit. Dies, meine Brüder im Bischofsamt, ist mein und euer Dienst - unser Dienst der Evangelisierung - für Gottes Volk in Nigeria und wohin immer seine gnädige Vorsehung euren missionarischen Eifer lenken mag. Gelobt sei Jesus Christus, gelobt sei seine Erlöserliebe, gelobt sei sein Evangelium des Heiles! 280 Reisen Ich möchte euch bei dieser Gelegenheit, gleichsam als Geschenk an eure Konferenz, noch einen Blick in mein Herz, auf meinen Ursprung, meine Hoffnung tun lassen: meine Hoffnung auf die Zukunft der Kirche, die Zukunft der Menschheit und jeder menschlichen Familie in jeder Nation (besonders meiner Nation). Ich danke euch sehr für eure Teilnahme; von ganzem Herzen danke ich euch für eure Vorbereitung. Ich habe euren Mitarbeitern und der ganzen Konferenz bereits meinen Dank ausgesprochen, nun wiederhole ich ihn an jeden einzelnen von euch und an die ganze Nigerianische Bischofskonferenz. Daß der Besuch so gut verläuft, ist eine Frucht der Gnade Gottes, des Segens unseres Herrn; aber es ist auch das Ergebnis eures Dienstes, eures apostolischen, brüderlichen Wunsches und des Geistes der Einheit unter euch und mit dem Bischof von Rom. Ich danke jedem von euch herzlich dafür und für die Fülle an geistlicher Vorbereitung: Diese letztere fällt vielleicht nicht so in die Augen wie die äußere Vorbereitung. Aber im Grunde ist alle äußere Vorbereitung nur ein Spiegel, der das geistige Bild sichtbar hervortreten läßt. Ich danke euch für die geistliche Vorbereitung eurer Kirche, eurer Menschen, ich danke euch für die besondere Mission. In eurem Land Nigeria gab es viele Missionare, besonders aus Irland. Nun können wir dieses Land beglückwünschen, daß es selbst so viele seiner Söhne der Mission der ganzen Kirche zur Verfügung gestellt hat, vor allem in eurem eigenen Land. Der Besuch des Papstes ist eine besondere missionarische Erfahrung. Ich möchte allen früheren Generationen von Bischöfen, Priestern und Missionaren danken, deren Arbeit schon eine Vorbereitung auf diese besondere Erfahrung war, und zusammen mit euch danke ich unserem Herrn und seiner Mutter. „Euer Land wurde reich beschenkt“ Predigt beim Gottesdienst für die Industriellen und Arbeiter in Lagos am 16. Februar <15> <15> „Ich bin bei euch alle Tage“ (Mt 28,20). Diese Worte unseres auferstandenen Erlösers Jesus Christus in der heutigen Lesung des Evangeliums haben für uns, die wir hier heute morgen zusammengekom- 281 Reisen men sind, um seinen Namen zu preisen und seine Eucharistie zu feiern, eine besondere Bedeutung. Christus ist bei uns. Durch den Glauben und das Wasser der Taufe hat er in unseren Herzen Wohnung gefunden. Er kommt zu uns durch sein Wort und unter den Gestalten von Brot und Wein. Durch Gottes Gnade sind wir zu lebendigen Tempeln des Heiligen Geistes geworden (vgl. 1 Kor 3,16-17), zu Mitbürgern und Hausgenossen Gottes (vgl. Eph 2,19). 2. In der ersten Lesung der heutigen Liturgie spricht der Prophet Sacharja von einem Bittruf, der von den Völkern aufsteigt: „Wir wollen mit euch gehen; denn wir haben gehört: Gott ist mit euch“ (Sach 8,23). Ist diese Bitte auch heute noch zu vernehmen? Gibt es nicht unzählige Menschen jeder Nation auf Erden, die sich in der Tiefe ihres Herzens danach sehnen, den Herrn kennenzulernen und bei ihm zu sein? Wir können nicht taub sein für ihre Bitte. Denn sie ist an euch und an mich, an jeden von uns gerichtet. Wir haben den Herrn kennengelernt und sind eingeladen worden, in seinem Haus zu wohnen. Nun müssen wir unserseits unseren Glauben mit anderen teilen, damit auch sie glauben, daß Jesus Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist, daß er der Herr und immer bei uns ist. Durch uns will der Herr sein Heil verbreiten. „Ich habe dich zum Licht für die Völker gemacht, bis an das Ende der Erde sollst du das Heil sein“ (Apg 13,47). 3. Ich möchte meine Worte jetzt an die Glieder der Kirche in Nigeria richten, die Industrielle und Arbeiter, Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind. Ihr spielt eine lebenswichtige Rolle im Leben eurer Nation, und das Volk erwartet viel von euch. Auch die Kirche blickt mit großer Hoffnung auf euch. Sie weiß, daß ihr in der Lage seid, an euren Arbeitsplätzen und unter allen Menschen, die im Dienst an der Menschheit mit euch Zusammenwirken, ein machtvolles Zeugnis für das Evangelium zu geben. 4. Menschen, die arbeiten, erfreuen sich einer von Gott geschenkten Würde. Gott hätte alles auf Erden in seiner endgültigen Form schaffen können, aber er beschloß es anders. Denn Gott will, daß wir vereint mit ihm zur Vervollkommnung der von ihm geschaffenen Dinge beitragen. Durch unsere Arbeit nehmen wir an Gottes Schöpfung teil. Dasselbe galt für Christus in seiner menschlichen Natur. Wie ich in meiner jüngsten Enzyklika feststellte: „Die Sprache des Lebens Christi ist eindeutig. Er gehört zur ,Welt der Arbeit, anerkennt und achtet die menschliche Arbeit. Man kann sogar sagen: Er schaut mit Liebe auf die Arbeit und ihre verschiedenen Formen, deren jede ihm ein be- 282 Reisen sonderer Zug in der Ähnlichkeit des Menschen mit Gott, dem Schöpfer und Vater, ist“ (Laborem exercens, Nr. 26). Arbeit ist auch die Weise, wie der Mensch seinem Nächsten hilft. Die Arbeit des einen berührt den anderen, und Zusammenarbeit hilft die Gesellschaft als ganze aufzubauen. Menschen, die arbeiten, können sagen: Wenn wir gewissenhaft arbeiten, leisten wir einen echten Beitrag für eine bessere Welt. Unsere Arbeit ist ein Akt der Solidarität mit unseren Brüdern und Schwestern. 5. Alle arbeitenden Menschen, ob sie ledig sind oder verheiratet, fachlich ausgebildet, oder nicht, haben wichtige Rechte und Verantwortlichkeiten. Zum Beispiel hat jeder das Recht auf angemessenen Lohn und annehmbare Arbeitszeiten, einschließlich des Urlaubs. Und die Arbeit sollte keinen an der Ausübung seiner religiösen Freiheit hindern. Die Arbeit ist für den Menschen, nicht der Mensch für die Arbeit da. Daher darf es nicht zugelassen werden, daß die Arbeit die Person, die sie leistet, entmenschlicht. Zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer können mitunter Unstimmigkeiten auftreten. Diese müssen behoben werden, aber nicht durch Gewalt, harte Worte und Feindseligkeiten, sondern durch gegenseitige Achtung, Bereitschaft zum Hören und zum geduldigen Dialog. Arbeiter haben das Recht, Vereinigungen zu bilden und angemessene Arbeitsbedingungen zu verlangen. Aber sie haben auch die Pflicht, ihren Dienst loyal zu leisten, und die Arbeitgeber haben das Recht, daß die Dienste, für die sie zahlen, auch tatsächlich geleistet werden. Arbeiter sollen nicht zu leichtfertig Zuflucht zu Streiks nehmen, die gewöhnlich für viele Menschen große Unannehmlichkeiten verursachen; Streiks sollten außerordentliche Maßnahmen zur Verteidigung der Menschenrechte bleiben. 6. Als Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Industrielle und Arbeiter könnt und müßt ihr eurem Land durch energische Anstrengungen auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Entwicklung dienen. Euer Land wurde von Gott mit landwirtschaftlichen Reserven und Bodenschätzen reich beschenkt. Nützt sie zum Besten und zum Vorteil aller, besonders der Armen, der Waisen, der Kranken, der Behinderten und der Alten und aller, die im Kampf um wirtschaftlichen Aufstieg überholt werden. Unternehmt nichts, um die Wirtschaft eures Landes zu sabotieren! Nichts kann eure fleißige, tüchtige und ehrliche Arbeit ersetzen. 7. Manche Leute sind arbeitslos, weil sie in die großen Städte strömen und das Land nicht mehr bebauen wollen. Deshalb ist die Mo- 283 Reisen dernisierung landwirtschaftlicher Methoden und die Installierung von Wasser-, Strom- und Telefonanlagen auf dem Land erforderlich, damit die jungen Menschen dazu überredet werden können, auf dem Land zu bleiben. Manche Leute sind arbeitslos, weil sie keine entsprechende Ausbildung erhalten haben oder weil ihre Erwartungen von der Art der Arbeit, die sie wünschen, nicht erfüllt werden. Fachlich zuständige und eifrige Wirtschaftsfachleute, staatliche Planer und Soziologen sind nötig, um diese Probleme lösen zu helfen. 8. Meine Worte heute gelten besonders euch, den Industriellen und Arbeitern, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, ihr seid alle Brüder und Schwestern in unserem Herrn Jesus Christus. Jeder von euch hat eine wesentliche Aufgabe in der Mission der Kirche zu erfüllen, eine Aufgabe, die ihr in der Mühe und Arbeit eures Alltags durchführt. Seite an Seite mit euren Arbeitsgefährten nehmt ihr teil an der Schöpfungstätigkeit Gottes, knüpft Bande der Brüderlichkeit und Freundschaft und fördert, wie der Sauerteig des Evangeliums, unauffällig, aber wirksam das Reich Gottes. Durch eure Arbeit und die Heiligkeit eures Lebens, die darin besteht, daß ihr Gottes Willen tut, könnt ihr einen großen Beitrag zur Sendung der Kirche leisten, der ganzen Welt die Frohbotschaft zu verkünden. Woher findet ihr die Kraft für diese Sendungen? Was ist die Quelle eurer Inspiration? Das ist immer Christus. Denkt an die Worte des Evangeliums: „Ich bin bei euch alle Tage“ (Mt 28,20). Ja, Christus ist bei uns, besonders in der Eucharistie. Und heute morgen bringt Christus in seinem Opfer uns und unsere ganze Arbeit seinem Vater im Himmel dar. Auf diese Weise verleiht er aller Arbeit einen immer noch tieferen Wert. Er schenkt unserem Leben einen ganz neuen Sinn. In Jesus Christus, unserem Erlöser und Herrn, und in seiner Eucharistie finden wir die Quelle unserer Kraft und die Ursache unserer Freude. 284 Reisen Baumeister der internationalen Gemeinschaft Ansprache an das Diplomatische Korps in Lagos am 16. Februar Exzellenzen! Meine Damen und Herren! 1. Es ist mir eine große Freude, hier so viele angesehene Mitglieder des bei der Bundesregierung von Nigeria akkreditierten Diplomatischen Korps zu treffen. In Ihnen grüße ich nicht nur die hervorragenden Vertreter verschiedener Regierungen, sondern auch alle Angehörigen Ihrer Nationen. Überall, wohin ich reise, nehme ich die Gelegenheit zu einer Begegnung mit den Mitgliedern der Diplomatengemeinde wahr. Während Sie Ihre jeweiligen Regierungen unmittelbar vertreten, gehören Sie und Ihre Kollegen auch zu den führenden Baumeistern einer internationalen Gemeinschaft, die über die Grenzen jedes einzelnen Gebietes hinausreicht. Sie sind in der Tat dazu aufgerufen, das Gemeinwohl der Weltgemeinschaft über legitime nationale Interessen hinaus zu fördern. 2. Ich habe bei vielen Anlässen meiner tiefen Wertschätzung für den Dienst, den Diplomaten leisten, Ausdruck gegeben. Der Hl. Stuhl selbst, der stets auf die Förderung friedlicher und fruchtbarer Beziehungen zu den staatlichen Autoritäten bedacht ist, ist immer froh, wenn zwischen ihm und den Staaten, die das wünschen, stabile Beziehungen hergestellt werden. Der Apostolische Nuntius und Pro-Nuntius gehören zu meinen meistgeschätzten Mitarbeitern, und die beim Hl. Stuhl am Vatikan akkreditierten Missionschefs sind hochgeschätzte Partner bei unserer gemeinsamen Suche und unseren Bemühungen, unter allen Menschen guten Willens ein Klima der Brüderlichkeit und Solidarität zu fördern. Bei gegenseitiger Rücksichtnahme auf die jeweiligen Vorrechte von Kirche und Staat kann in offenem Dialog und loyaler Zusammenarbeit soviel für das Wohl der Menschheit - für das Wohl jedes einzelnen Menschen - erreicht werden. Niemand, der ernsthaft auf die Förderung des Wohlergehens der menschlichen Person bedacht ist, kann sich der internationalen Zusammenarbeit entziehen. Ich weiß, meine Damen und Herren, daß Sie sich zutiefst der Notwendigkeit bewußt sind, alle Mittel und Anstrengungen zu vereinigen, um für die Menschheit eine Weltordnung des Friedens und der Gerechtigkeit aufzubauen. 285 Reisen 3. Ihnen obliegt eine erhabene Sendung und eine ständig neue Herausforderung. Ihre Aufgabe ist verschiedentlich beschrieben worden als die hohe Kunst, das politisch Mögliche zu tun, um entgegengesetzte oder sogar unvereinbare Interessen zwischen Ländern miteinander in Einklang zu bringen, die Rolle Ihres eigenen Landes auf internationaler Ebene zu vertreten und Brücken zu schlagen zwischen Völkern verschiedener Herkunft und unterschiedlicher kultureller Identität. Was immer als charakteristisches Wesensmerkmal Ihrer Mission hervorgehoben werden mag, es liegt auf der Hand, daß Diplomaten sich immer als Spezialisten in Dialog und Partnerschaft auszeichnen müssen. Wir stehen an der Schwelle zum dritten Jahrtausend und leben in einer aufregenden Geschichtsepoche mit ungeahnten Möglichkeiten auf wissenschaftlichem und technischem Gebiet, aber auch mit Widersprüchen und wiederholtem Stillstand der gegenseitigen Beziehungen. Es ist unbedingt notwendig, jene Stellungnahmen oder festgefahrenen Positionen zu überwinden, die den Dialog erschweren oder unmöglich machen. Das wird erreicht, wenn man die Würde der menschlichen Person - jedes Menschen - zur Grundlage und zum Ausgangspunkt für bessere Beziehungen macht. Ja, der Mensch als Person steht an der Spitze, aber er ist auch Angehöriger einer bestimmten Gruppe oder Nation, hält gewisse Werte hoch, die zu seinem geschichtlichen und kulturellen Erbe gehören, und paßt sich bestimmten Lagen an. Das ist normal und natürlich. Daher gibt es eine Vielfalt sozialer Strukturen und politischer Optionen, die das Gemeinwohl fördern können und die menschliche Würde wirklich achten. Aber künstliche und unnötige Widerstände laufen leicht auf Polarisierung hinaus und behindern den Dialog und die echte Partnerschaft, die imstande wären, Hindernisse zu überwinden und Stillstände zu lösen. Der Dialog zwischen Völkern und Nationen - trotz wirtschaftlicher, finanzieller und materieller Ungleichheiten - muß auf der Grundlage der Gleichheit in Würde und Souveränität erfolgen. Wirtschaftliche oder finanzielle Überlegenheit, der Besitz materieller Güter und Mittel oder technische Leistungsfähigkeit rechtfertigen nicht die politische oder soziale, kulturelle oder moralische Vorherrschaft eines Volkes oder einer Nation über eine andere. Das bedeutet außerdem, daß jede Position, die eine solche angebliche Überlegenheit auf einer ideologischen oder philosophischen Grundlage zu rechtfertigen sucht, kein gültiger Standpunkt sein kann und abgelehnt werden 286 Reisen muß. Echter Dialog und Partnerschaft fordern eine ständige Bezugnahme auf die fundamentale Wahrheit über den Menschen: die Würde und Gleichheit der menschlichen Person als einzelner und als Glied der Gesellschaft. 4. Ihre Mission, meine Damen und Herren, erhält eine besondere Dimension und Dringlichkeit, weil sie Sie in die Dritte Welt gestellt hat. Die Notlage vieler Länder der Dritten Welt bleibt eine beständige Mahnung, daß das Entwicklungsproblem keineswegs tot ist, auch wenn man bisweilen den Eindruck hat, daß es nicht mehr mit der Vordringlichkeit betrachtet wird, die ihm eigentlich noch immer zukäme. Viele Regierungen der Welt scheinen heute mit anderen Problemen, wie Inflation und militärische Sicherheit, stärker beschäftigt zu sein. Und doch, trotz des eindrucksvollen Standes des wirtschaftlichen Wachstums, den einige Entwicklungsländer in den letzten Jahrzehnten erreicht haben, bleiben noch immer Millionen von Menschen in einer Armut gefangen, die nicht bloß niedrige Einkommen bedeutet, sondern Unterernährung, Hunger, Analphabetentum, Mangel an Erziehung, anhaltende Arbeitslosigkeit und herabgesetzte Lebenserwartung. In meiner jüngsten Enzyklika lenkte ich die Aufmerksamkeit auf diese Situation, besonders, als ich feststellte, daß „die unausgeglichene Verteilung von Reichtum und Elend, der Unterschied zwischen entwickelten und nichtentwickelten Ländern und Kontinenten eine Angleichung und eine Suche nach Wegen für die gerechte Entwicklung aller fordern“ (Laborem exercens, Nr. 2). Ich bezog mich auf eine „erschütternde Tatsache ungeheuren Ausmaßes: Während einerseits beträchtliche Naturschätze ungenützt bleiben, gibt es anderseits Scharen von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten und ungezählte Massen von Hungernden“ (ebd., Nr. 18). Volle menschliche Entwicklung verdient auch insofern besondere Beachtung, als ihr eine lebenswichtige Funktion in dem großen Anliegen des internationalen Friedens zukommt. Friede auf der ganzen Welt ist nur dann möglich, wenn in jedem Land der innere Friede herrscht. Und der innere Friede wird solange nicht erreicht werden, bis jede Nation der Förderung einer gerechten Entwicklung, die allen ihren Bürgern zugute kommt, hinreichend Beachtung schenkt. Auch dieses Jahrzehnt muß auf die prophetischen Worte Pauls VI. hören, der vor fünfzehn Jahren verkündete, daß der „neue Name für Frieden Entwicklung ist“. Mit diesen Worten rief er Millionen von Menschen auf, neue Verantwortung für den Frieden zu übernehmen und gab den Notleidenden und Unterdrückten auf der Welt neue Hoffnung. 287 Reisen Man muß also auf Wege sinnen, um die Regierungen zu drängen, bei ihrer Formulierung von neuen politischen Linien und Programmen weiterhin dem Entwicklungsproblem äußersten Vorrang einzuräumen. Ebenso wichtig ist es, auf einer Entwicklung zu bestehen, die die Würde und die unveräußerlichen Rechte des Menschen achtet und nicht bloß eine technische oder wirtschaftliche Entwicklung im Auge hat. In diesem Rahmen ist die vollmenschliche Entwicklung eng verbunden mit dem Streben nach Gleichheit und Gerechtigkeit und mit einer' aufrichtigen Sorge für die schwächsten und ärmsten Mitglieder der Gesellschaft. 5. Wie der Friede, so erfordert auch die ganzheitliche Entwicklung das ruhige Klima menschlicher Freiheit. Auch hier müssen Sie als Diplomaten eine unveränderliche Überzeugung haben und sich unwiderruflich verpflichtet fühlen. Der einzelne Mensch muß seine Freiheit in der Ausübung seines Entscheidungsvermögens, in der verantwortlichen Bestimmung seiner Handlungen und in jener Selbstbehauptung zum Ausdruck bringen, die äußeren Zwang ausschließt. So müssen auch ganze Völker in der Lage sein, sich wirklich der rechtmäßigen Autonomie und Unabhängigkeit zu erfreuen und sie in nationaler Souveränität, ohne äußere Einmischung, auszuüben. Und es ist Ihre eigene nationale Souveränität, die Sie bestrebt sind, innerhalb der einen, alle Nationen umfassenden Familie der Menschheit so verdienstvoll zu vertreten. 6. Meine Damen und Herren, Sie sind in hervorragender Weise dazu bestimmt, Dialog und echte Partnerschaft zu fördern und Brücken der gegenseitigen Verständigung zum Wohl aller zu bauen. In einer Welt und auf einem Kontinent, die so voller Verheißungen sind und doch so sehr von Feindseligkeiten, Zwietracht, Ausbeutung, Ungerechtigkeit, Mißhelligkeiten und aller Art von Friedensbedrohungen verwüstet werden, haben Sie eine großartige Rolle zu spielen: Sie müssen die Gerechtigkeit fördern, für Versöhnung arbeiten und die menschliche Solidarität stärken. Sie sind aufgerufen, prominente Friedensstifter zu sein, großherzige Diener Ihrer Mitmenschen in der Sache der Entwicklung und treue Verteidiger wahrer Freiheit. Gott segne Sie in diesem hohen Auftrag! 288 Reisen „Für unsere und eure Freiheit“ Ansprache an die polnische Gemeinde in Lagos am 16. Februar Herzlich danke ich dem Herrn Botschafter für die kurzen, herzlichen Worte, mit denen er die Gedanken und Gefühle aller Teilnehmer unserer Begegnung zum Ausdruck gebracht hat. Ich danke Gott, daß diese heutige Begegnung stattfinden konnte. Es ist gewissermaßen die abschließende, wenn auch gewiß nicht die erste Begegnung während meines Aufenthaltes in Nigeria, denn bereits am ersten Nachmittag meines Besuches konnte ich bei der ersten heiligen Messe, die ich hier in Lagos im Nationalstadion feierte, mit meinen Landsleuten Zusammentreffen ebenso wie auf den folgenden Etappen in Onitsha, Enugu und vor allem im Norden, in Kaduna, wo sich unter Hunderttausenden von Teilnehmern, die dort zur Priesterweihe herbeigeströmt waren, eine Gruppe Polen durch Fahnen, Spruchbänder und auch polnische Gesänge bemerkbar machte, an denen sich übrigens auch Nichtpolen beteiligten: Ein nigerianischer Studentenchor sang „Sto lat“. Und ich dankte polnisch, denn für „Sto lat“ kann man schwer in einer anderen Sprache danken; zugleich aber habe ich meinen Landsleuten gedankt. Gestern schließlich hatte ich während meines Besuches in Ibadan Gelegenheit, mit einer weiteren Gruppe von Landsleuten zusammenzutreffen, die an den Universitäten des Landes tätig sind; mit einigen von ihnen konnte ich mich länger unterhalten, wie dies auch in Kaduna der Fall war. Ich freue mich über die heutige Begegnung auch deshalb, weil ich mit euch wieder in einem anderen Land der Welt und vor allem in einem afrikanischen Land Zusammentreffen kann. Dies ist eine Folge der Auswanderung, die eine gewisse Zerstreuung der Kräfte zu sein scheint, aber auch als Mission und damit als Dienst betrachtet werden muß. Die Welt ist so organisiert, daß keine Nation jemals in völliger Isolierung lebt, ja, es wäre schlecht, wenn sie so lebte. In Wirklichkeit leben - wie jeder Mensch für die anderen lebt - auch die Nationen in wechselseitiger Beziehung, und die Auswanderung ist, wenn sie entsprechend den moralischen, sozialen, politischen und internationalen Voraussetzungen richtig verstanden wird, ein Ausdruck dieser gegenseitigen Dienstleistungen der Gesellschaft und der Nationen. 289 Reisen Ich glaube, daß die polnische Emigration hier in Nigeria genau diesen Charakter aufweist; das zeigt die Zusammensetzung der Landsleute, die hier leben, ihr sozialer und beruflicher Stand. Und noch etwas möchte ich hinzufügen: Die ersten Berichte über euch Polen hier habe ich von den Bischöfen Nigerias erhalten, als diese zu ihrem „Ad-limina“-Besuch nach Rom kamen, um den Papst über die Probleme ihrer Kirche zu informieren. Alle, einer nach dem anderen, sprachen von den Polen, die in diesem Land leben, und sie sprachen von ihnen als einem lebendigen Teil der Kirche in Nigeria. Das ist ein besonderes Zeugnis, das auch unserer Heimat gegenüber erbracht wird; nicht allein gegenüber der Kirche in Polen, sondern ganz einfach Polen gegenüber. Denn bekanntlich ist die Geschichte unserer Heimat seit 1000 Jahren aufs engste mit der Kirche und dem Christentum verbunden. Die vergangenen schwierigen Jahrhunderte sind eine besondere Zeit der Prüfung für diesen Bund zwischen Nation und Kirche. Hinzufügen würde ich: ganz besonders die letzten Jahre. Ich möchte euch sagen, daß ich als der erste Sohn polnischer Erde, der Nachfolger Petri, erster nicht nur polnischer, sondern slawischer Papst werden sollte, eine besondere Verpflichtung meiner Heimat und damit allen meinen Landsleuten gegenüber empfinde. Ich glaube, daß die Heimat, ihre Geschichte, die Geschichte der Kirche, die Geschichte der Nation mich in einzigartiger Weise darauf vorbereitet haben, mit den verschiedenen Nationen der Welt solidarisch zu sein. Nicht umsonst haben die Polen im Laufe ihrer Geschichte Bündnisse gesucht, haben sich mit ihren engsten Nachbarn verbündet; nicht umsonst kämpften sie sodann „für unsere und eure Freiheit“. Das alles gehört zum geistigen Erbe des Papstes, der aus Polen kam. Und eben dank dieses Erbes fällt es mir leicht, besondere Solidarität gegenüber jenen Völkern, jenen Nationen zu empfinden, die leiden, die innerhalb der großen Völkerfamilie in irgendeiner Weise diskriminiert, unterdrückt, ihrer Freiheit, der nationalen Souveränität beraubt werden, die im täglichen Leben oder aufgrund eines ganzen Systems einer hinreichenden sozialen Gerechtigkeit beraubt werden; es fällt mir leicht, unmittelbar mit ihnen zu fühlen, weil ich schon als Kind gelernt habe, im Einklang mit unserer Nation zu stehen, die keine leichte Geschichte hatte und deren gegenwärtige Geschichte auch keineswegs leicht ist. Da ich mit euch zusammentreffe und mit euch spreche, nehme ich die Gelegenheit wahr, euch diese Dinge zu sagen. Denn auch ihr habt an dem allen Anteil; und seitdem auch ihr fern der Heimat lebt, so wie 290 Reisen der Papst fern der Heimat ist, könnt ihr es besonders gut verstehen. Ich darf hinzufügen, daß ich, obwohl fern der Heimat, ständig in Rom und mitunter außerhalb Roms, trotzdem meiner Heimat sehr nahe bin, zutiefst an allem Geschehen, das sich dort zuträgt, vor allem an den schwerwiegenden Ereignissen, innerlich teilnehme und mit lauter Stimme das ausspreche, worauf die Polen bei ihren Nachbarn und allen Nationen, vor allem jenen Nationen, mit denen sie die Geschichte unseres Kontinents von Anfang an verbunden hat, ein Recht haben. Das habe ich während der letzten Monate und Wochen hinsichtlich des Ausnahmezustandes, des Kriegsrechts in Polen ausgesprochen; das habe ich bekundet, indem ich mich sowohl an die staatlichen Behörden als auch an sämtliche Vertreter der Staaten und Nationen wandte, insbesondere jener Staaten, von denen es hauptsächlich abhängt, daß die Rechte der Menschen und Nationen respektiert werden. Liebe Landsleute, liebe Brüder und Schwestern, diese Rechte sind für uns ein jahrhundertealtes Erbe. Wir haben sie nicht erst mit der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg kennengelernt. Wir haben sie im Laufe der Jahrhunderte gelernt. Mit dieser Botschaft wandte sich Pawel Wlodkowic an das Konzil von Konstanz. Ohne dieses Erbe in sich zu tragen, ist es kaum möglich, Pole zu sein. Zum Abschluß dieser Überlegungen, die, wie ihr seht, sich auch an unser gemeinsames Vaterland und an seinen Platz in der Welt beziehen, möchte ich mich an euch wenden, die ihr fern der Heimat lebt und hier in Nigeria Polen und alles, was polnisch ist, vertretet. Mein Wunsch ist, daß ihr diese Vertretung in der bestmöglichen und fruchtbarsten Weise für eine Gesellschaft.erfüllen könnt, die sich auf dem Weg der Entwicklung befindet, eine Gesellschaft, die bereits großartige Erfolge erzielt hat, die sich aber immer noch am Beginn ihres geschichtlichen Weges als Staat, nämlich als Bundesstaat Nigeria, befindet. Ich wünsche euch, daß ihr diesen Dienst gut erfüllen.könnt, denn auf diese Weise werdet ihr ebenso dem Dienst an eurer Heimat nachkommen. Das ist eine Lehre, die ich aus meinem eigenen Leben und zugleich aus meiner Sendung ziehe. Ich glaube, daß ich auch meiner Heimat diene, soweit ich dazu imstande bin, wenn ich meine Sendung auf dem Stuhl Petri auf bestmögliche Weise erfülle. Das ist unser Recht und unsere Pflicht. Möge Gott einem jeden von uns gewähren, sich dieses Rechtes be- 291 Reisen wußt zu werden und es in die Tat umzusetzen. Dem füge ich meine herzlichsten Wünsche und meinen Segen hinzu, der allen gilt, die hier anwesend sind, aber auch denen, die nicht an unserer Begegnung teilnehmen. Natürlich ist die Zahl der Abwesenden größer als die derjenigen, die hierherkommen konnten. Ungefähr 2000 Polen sollen in ganz Nigeria leben und arbeiten. Ich möchte meine Wünsche an jeden einzelnen von euch gesondert richten und ganz besonders an eure Familien und an die jungen Leute, die ich hier sehe. Ich möchte mich sozusagen mit jeder einzelnen Familie, mit jedem meiner Landsleute direkt treffen, aber auch mit allen, die erst durch einen Landsmann Polen geworden sind. Denn ich sehe vor mir auch Ehepaare von Polen und Nigerianern oder Polen und Staatsbürgern anderer Länder. Und nun ist es mein Wunsch, daß wir unsere Begegnung mit einem gemeinsamen Gebet beschließen und ihr den Segen empfangt, den ich euch bei dieser Gelegenheit erteile. In Verbundenheit mit allen meinen Landsleuten bete ich, soweit das möglich ist, jeden Tag den „Engel des Herrn“. Daher will ich auch jetzt mit euch zusammen dieses Gebet sprechen. „Seid loyal zu Nigeria“ Ansprache bei der Begegnung in Lagos mit den Ausländern in Nigeria am 16. Februar Liebe Freunde! Ich freue mich über diese Begegnung mit euch, mit allen Nichtnigerianern, die in diesem großen Land leben und arbeiten. Viele von euch kommen aus Europa, auch aus meiner lieben Heimat. Doch ein Großteil von euch stammt aus anderen afrikanischen Nationen. 1. Ihr lebt und arbeitet in Nigeria, weil Nigeria euch willkommen heißt und weil ihr Nigeria schätzt und achtet. Ihr nehmt in diesem Land verschiedene Aufgaben wahr. Einige von euch arbeiten in der Ölindustrie, andere in großen staatlichen Bauunternehmen und größeren Industriekonzernen. Etliche von euch sind Angehörige oder Leiter internationaler Organisationen. Wieder andere sind in akade- 292 Reisen mischen Berufen als Lehrer, Ärzte, Verwaltungsbeamte oder im Handel und in der Wirtschaft tätig. Manche von euch arbeiten unabhängig. 2. Eure Anwesenheit und eure Tätigkeiten in Nigeria sind Zeichen für eine universale Brüderlichkeit. Ihr und die Nigerianer reicht euch gegenseitig die Bruderhand, lebt in Freundschaft, Zusammenarbeit und Solidarität. Ihr gebt und empfangt. Auch die Nigerianer geben und empfangen. Seid daher loyal zu Nigeria, das euch willkommen heißt! Liebt Nigeria! Helft Nigeria! Tut nichts, was Nigeria schaden könnte! Gehorcht seinen Gesetzen! Achtet seine Führungskräfte! Helft Nigeria, emporzukommen! Werdet Freunde der Nigerianer! Ihr seid alle zugleich inoffizielle Botschafter eurer verschiedenen Länder. Bedenkt das! Verhaltet euch so, daß eure Länder davon nur Ehre, Frieden, Freude und festgegründete internationale Beziehungen haben. 3. Ihr möchtet eure nationale Identität nicht verlieren, und ihr tut recht daran. Die Kulturen eurer Heimat treffen auf die Kultur Nigerias in Freundschaft, die immer auf besseres gegenseitiges Verständnis bedacht ist. Das bereichert beide Seiten. Vergebt nicht die Religion und ihre Ausübung, wenn ihr euch außerhalb eures Heimatlandes befindet! Wo die Sprache zum Problem wird, sprecht bitte mit den Bischöfen, Priestern und anderen religiösen Führern, wie eurer Gruppe am besten gedient wird. Ihr alle, Nichtnigerianer, die ihr in Nigeria arbeitet: Der Papst hegt ein tiefes Interesse für euer Wohlergehen und das eurer Familien, zumal wenn ihr voneinander getrennt leben müßt. Macht Nigeria und euren Heimatländern immer Ehre! Möge Gottes überreicher Segen auf euch alle herabkommen. 293 Reisen „ Wir alle sind auf Christus getauft“ Ansprache bei der Begegnung mit den Repräsentanten christlicher Bekenntnisse in Lagos am 16. Februar Liebe Freunde in unserem Herrn Jesus Christus! 1. Mit großer Freude treffe ich hier mit Ihnen, verehrte Bischöfe und Leiter der verschiedenen christlichen Religionsgemeinschaften in Nigeria zusammen. Mein Pastoralbesuch sollte schon seiner Planung nach eine ökumenische Dimension haben, denn ich betrachte die Arbeit für die Einheit aller Christen als wesentliches Element meines eigenen Dienstes als Bischof von Rom und Hirt der katholischen Kirche. Diese Begegnung erfüllt daher einen meiner liebsten Wünsche. Mit großer Freude grüße ich Sie in der Liebe unseres gemeinsamen Herrn: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch allen“ (2 Thess 3,17). Die katholische Kirche hat mit ihren verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften vieles gemeinsam. Wir sind alle auf Christus getauft, den wir als unseren Herrn und Heiland bekennen. Wir erkennen ihn auch als „den einen Mittler zwischen Gott und den Menschen“ (7 Tim 2,5) an. Die Bibel und zumal die Evangelien sind uns allen teuer, weil sie Wort Gottes und Offenbarung seiner rettenden Liebe sind. Unsere religiöse Grundrichtung ist unser Glaube an Christus, unsere Liebe zu ihm und unser Verlangen, bei der Ausbreitung seines Reiches in den Herzen aller Menschen, aller Völker und aller Zeiten mitzuwirken. Gemeinsam ist uns ferner die Sicht der menschlichen Grundrechte, der Gerechtigkeit und des Friedens, der Entwicklung und des Bedürfnisses in Übereinstimmung mit dem eigenen Glauben zu leben. Wir glauben, daß es keine Trennung zwischen der Botschaft des Evangeliums und dem christlichen Leben geben darf. 2. Wenn es auch wahr ist, daß in Nigeria wie in der Welt weithin die traurige Erscheinung der christlichen Uneinigkeit weiterbesteht, so ist doch ebenso wahr, daß auf dem Gebiet des Ökumenismus in diesem Land und international Ergebnisse zu verzeichnen sind. Die katholische Kirche steht auf internationaler Ebene in fruchtbarem Dialog mit zahlreichen Kirchen und konfessionellen Gruppen, die Sie vertreten; und hier in Nigeria gibt es heute ebenfalls weit mehr amtlichen und nichtamtlichen Dialog unter Ihnen selber und auch zwischen Ih- 294 Reisen nen und der katholischen Kirche als früher. Es kommt ferner auf Weltebene zu einer wachsenden Zusammenarbeit in den Werken des christlichen Dienstes und der christlichen Liebe. Das zeigt sich auch in Ihrem eigenen Land. Die Vereinigung der Christlichen Kirchen Nigerias, die 1980 feierlich gegründet wurde, arbeitet mit beachtlichem Erfolg auf nationaler, regionaler und staatlicher Ebene. Die Christliche Gesundheitsorganisation Nigerias ist ein fester Verband aller medizinischen Institutionen in diesem weit ausgedehnten Land. Er hat viel Gutes geleistet, zumal in gemeinsamen Unternehmen mit der Regierung und Projekten der Produktion mit Verteilung von Medikamenten zu herabgesetzten Preisen. All das ist ein gemeinsames Zeugnis christlicher Liebe. Ihre gemeinsame Arbeit mit der katholischen Kirche in der Bibelgesellschaft Nigerias hat sich gelohnt, speziell bei gemeinsamen Projekten von Bibelübersetzungen in ihre vielen Sprachen und der Verbilligung von Bibelausgaben, so daß auch die Armen sie erwerben können. Diese Bemühungen sind Ausdruck echten Eifers dafür, daß „das Wort des Herrn sich ausbreitet und verherrlicht wird“ (2 Thess 3,1). Sie geben außerdem gemeinsame Erklärungen heraus, wenn die Lage es erfordert. Sie setzen sich gemeinsam ein für die Rolle von Kirche und Religion in den Schulen Nigerias. Sie fördern schließlich noch auf viele andere Weisen die nationale Einheit und das gegenseitige Verständnis. Möge Gott all diese Bemühungen segnen! 3. Meine Hoffnung geht dahin, daß Sie, die Christen von Nigeria, noch eifriger darum beten, daß der Heilige Geist Ihnen die Gnade der vollkommenen Einheit in Christus schenkt. In der Zwischenzeit ist es notwendig, ihre gemeinsamen Projekte der Bibelübersetzungen, des Dialogs und des gemeinsamen Zeugnisses für Christus in der Vereinigung Christlicher Kirchen Nigerias fortzusetzen. Fördern Sie mehr und mehr das gemeinsame Studium der christlichen Lehre und der sittlichen Anforderungen, die das christliche Leben an die echten Jünger stellt. Vor allem lieben wir einander, wie Christus uns geliebt hat. Das ist sein besonderes Gebot. Auf all diese Weisen beten und arbeiten, hoffen und warten wir auf den Tag, den Gott allein kennt, wenn wir in Christus voll eins sein werden, wenn wir gemeinsam die eine heilige Eucharistie feiern und aus dem gleichen heiligen Kelch trinken. Ich danke Ihnen. Ich schätze Sie. Ich bitte Gott, Sie überreich zu segnen. Möge der Friede Christi in Ihren Herzen wohnen. 295 „Die Mittel des wahren Fortschritts“ Ansprache an die Repräsentanten der Massenmedien in Lagos am 16. Februar 1. Zum erstenmal seit dem 13. Mai vergangenen Jahres ist mir heute ein direkter Kontakt mit einer Gruppe von Vertretern der Presse, des Radios und des Fernsehens möglich. Und ich freue mich, daß es eine Begegnung mit Ihnen ist, die mich während meiner Afrikareise begleiten, der ersten Reise außerhalb Italiens, die ich seit dem Anschlag auf mein Leben unternommen habe. Viele von Ihnen waren im letzten Sommer in Rom, um Ihre Leser, Zuschauer und Hörer über den Verlauf meiner Genesung zu informieren. Ich möchte Ihnen noch einmal für die Sorge und das Interesse danken, die Sie während jenes Geschehens bewiesen haben. Seinen glücklichen Ausgang schreibe ich dem besonderen Schutz Gottes und der Fürsprache seiner heiligen Mutter zu. 2. Und nun hat es Gottes Vorsehung gefügt, daß ich innerhalb von weniger als zwei Jahren dem afrikanischen Kontinent einen zweiten Besuch abstatten sollte. Diese Begegnung mit Ihnen, insbesondere mit den Journalisten und den Vertretern von Radio und Fernsehen afrikanischer Länder, bietet mir Gelegenheit, mit Ihnen gemeinsam über die Bedeutung der Mittel der sozialen Kommunikation im heutigen Afrika nachzudenken. Hier befinden Sie sich in den Anfangsstadien der Entwicklung Ihrer Massenmedien, während die stärker industrialisierten Länder bereits ein hohes Entwicklungsniveau auf diesem Gebiet erreicht haben. Diese Situation erhöht Ihre Verantwortung, bietet Ihnen aber zugleich eine einzigartige Gelegenheit. Durch Ihre Tätigkeit, durch Ihre berufliche Rechtschaffenheit und durch Ihre Hingabe an die Sache der Wahrheit können Sie diesem Kontinent einen maßgebenden Beitrag liefern. Afrika kann, wenn es die Massenmedien völlig auf den Dienst am Menschen und auf die Vermittlung einer objektiven Information einstellt, seine zukünftige Entwicklung bestimmen. 3. Wir wissen, daß es heute auf diesem Gebiet wie auch auf anderen gefährliche Unausgeglichenheiten gibt und daß verschiedene internationale Organisationen sich deutlich gegen sie ausgesprochen haben. In der Welt der Presse, des Radios und des Fernsehens besteht eine Tendenz zur Ausübung eines Drucks von außen, wobei von seiten der 296 Reisen stärkeren Länder nicht nur die Technik, sondern auch Ideen auferlegt werden. Aus diesem Grund erachte ich es für wichtig, Nachdruck darauf zu legen, daß die nationale Souveränität durch den korrekten Gebrauch der Kommunikationsmittel geschützt wird, da ja gerade diese Medien zu Instrumenten ideologischen Drucks werden können. Und dieser ideologische Druck ist gefährlicher und heimtückischer als viele augenfällige Zwangsmaßnahmen. 4. Die katholische Kirche wird weiterhin die Aufmerksamkeit auf die Rolle der sozialen Kommunikationsmittel lenken. Sie hat seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ihre Anstrengungen auf diesem Gebiet vermehrt. In dieses Jahr fällt der zehnte Jahrestag der Veröffentlichung der Pastoralinstruktion Communio etprogressio. In diesem Dokument treten besonders drei Worte hervor: Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit und Wahrheit. Wenn es jedem von Ihnen gelingt, in seinem eigenen Kompetenzbereich diese drei Prinzipien tatsächlich zu verwirklichen, dann werden die Mittel der sozialen Kommunikation wahrhaftig für die gesamte Menschheit zu den Mitteln der sozialen und kulturellen Förderung werden - zu den Mitteln des wahren Fortschritts. Diese Hoffnung begleitet den Ausdruck meiner Dankbarkeit für alle die Opfer, die Sie gebracht und die Dienste, die Sie während meiner Pastoraireise nach Nigeria, die jetzt zu Ende geht, so hochherzig geleistet haben. Gott segene Sie und Ihre Familien und lasse Sie alle seine Liebe kennenlernen und seinen Frieden erfahren! „Gottes Liebe in den Augen der Kinder“ Ansprache vor dem Abflug von Lagos am 17. Februar Herr Präsident, Eminenz, meine Brüder im Bischofsamt, meine Herren der Regierung und ihr lieben Menschen Nigerias! 1. Die Stunde ist gekommen, euch Lebewohl zu sagen. Mich erfüllt Dankbarkeit. Mein Herz ist voll Freude. Ihr habt keine Mühe gescheut, um alles für meine Reise, die Feiern und Begegnungen wirklich schön zu gestalten. 297 Reisen Ich danke dem Herrn Präsidenten, dem Vizepräsidenten und allen Regierungsbeamten auf allen Ebenen für den sehr herzlichen Empfang, die Gastfreundschaft und ihre großzügige Hilfe. Ich danke den katholischen Bischöfen und allen katholischen Komitees, die so fachkundig und hingebungsvoll gearbeitet haben. Meine Dankbarkeit gilt ebenso den Piloten, Fahrern, Sicherheitskräften und allen Männern, Frauen und Kindern, die eine so herzliche Gastlichkeit und so waches Interesse gezeigt haben. 2. Ich nehme eine sehr lebendige Erinnerung an eine große Nation mit, an ein hochherziges Volk, eine dynamische Kirche, eine hochbegabte und warmherzige Jugend, an ein Land, das die Familie in Ehren hält, die Älteren achtet und Kinder als einen Segen betrachtet. Kurz, ich nehme die unvergeßliche Erinnerung an ein Land mit, das viel für Afrika, für die Welt und für die Kirche Jesu Christi verspricht. Obwohl ich nun Abschied nehmen muß, bleibt doch mein Herz bei euch allen. Werde ich irgendwann in der Zukunft noch einmal nach Nigeria kommen können? Wird es die Vorsehung des allmächtigen und barmherzigen Gottes fügen, daß ich zurückkehren und euren Boden küssen, eure Kinder umarmen, eure Jugendlichen ermuntern und mich noch einmal inmitten all der Liebe und Zuneigung der edlen Menschen eures Landes bewegen darf? Überlassen wir die Zukunft Gott, seiner Weisheit und seiner väterlichen Sorge. Ihm, unserem Gott, der unser Schöpfer und unser aller Vater ist, vertraue ich die Zukunft und das Schicksal Nigerias an. 3. Nun möchte ich zum Schluß mein Wort an eine besondere Person richten, die sich überall, wohin ich schaue, in eurer Mitte befindet. Ich meine das nigerianische Kind: jeden Jungen und jedes Mädchen, das nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist. Dem Kind dieses großen Landes, dem Kind, das menschliche Würde und unveräußerliche Rechte in sich trägt, dem Kind, das in seinen Augen Gottes Liebe widerspiegelt und sie in seinem Lächeln ausdrückt, hinterlasse ich meine Botschaft der Brüderlichkeit, Freundschaft und Liebe. Ich bitte dich, liebes Kind - denn ich weiß, daß ihr mir alle zuhört -, gib diese Botschaft an deine Brüder und Schwestern weiter, auch an alle Kinder, die nach dir geboren werden. Wer immer du bist, diese Botschaft der Liebe gehört zu deiner Religion, wie sie zur meinen gehört. Was ich zu sagen habe, lautet: Du und jedes andere Kind, ihr seid von Gott geliebt und der Liebe würdig. Diese Liebe aber muß überall verbreitet werden und von jedem 298 Reisen einzelnen Herzen Besitz ergreifen. Die Liebe, von der ich spreche, meint, daß ihr als Entgelt für seine Liebe Gott lieben müßt; ihr tut das aber, indem ihr jedes andere Kind Gottes auf dieser Erde liebt. Diese Liebe bedeutet, daß es in dieser Welt keinen Platz gibt für Selbstsucht, Lüge, Niedrigkeit, Haß, Diskriminierung und Gewaltanwendung. Sie bedeutet, daß du und jedes Kind sonst auf Erden an Würde vor Gott gleich seid, was immer euer Alter, eure Rasse, eure Nationalität sein mag, ob du Junge oder Mädchen bist, reich oder arm, stark oder schwach, gesund oder krank oder behindert. Die Liebe, die ihr jedem Bruder und jeder Schwester, jeder lebenden Person nach meinem Wunsch erweisen sollt, ist die Liebe der Hochherzigkeit und Freundlichkeit, die Liebe des Opfers, der Freundschaft und des Friedens. Was ich sage, kann man in wenigen Worten zusammenfassen oder auf verschiedene Weise sagen. Doch laßt es mich euch auf meine Weise sagen, so wie ich es gelernt habe, so wie es mich meine Mutter gelehrt hat, als sie zu mir als Kind sagte: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden möchtest“ (Mt 7,12). Liebes Kind von Nigeria: Wenn du so handelst, hast du größere Macht als alle Atomkraftwerke in der Welt, weil du die Kraft hast, der Welt Frieden und Glück zu bringen. Ich spreche von der Macht, die du durch Gott besitzt, die Macht der Liebe, die Macht, jedes andere Kind zu lieben. Liebes Kind: Gott hat dich geliebt; jetzt mußt du deinerseits lieben. Auf Wiedersehen, und Gott segne ganz Nigeria! ,,Missionare kamen nicht als Kolonisatoren ihres Vaterlandes“ Ansprache bei seiner Ankunft in Cotonou (Benin) am 17. Februar Herr Präsident, liebe Brüder im Bischofsamt und ihr alle, Söhne und Töchter von Benin, ich grüße euch mit großer Freude. Ich danke euch, daß ihr mich bei euch so herzlich willkommen geheißen habt. Mein Aufenthalt wird kurz sein, doch dank eurer Bemü- 299 Reisen hungen sehr ausgefüllt. Es war ein guter Gedanke, daß ich bei euch Zwischenstation machen sollte, denn ihr habt es dringend gewünscht, eure Verdienste sind wirklich groß, und euer großer Glauben ist in Rom wohlbekannt. Ich möchte das Land Benin umarmen, denn es ist vor Gott kostbar. Ja, Gott liebt es. Er liebt alle seine Bewohner, mit anderen Worten: Er segnet sie. Er will auch aus diesem Land eine Stätte des Heils machen, das durch das Evangelium Wirklichkeit wird. Ich komme als Freund des Friedens, und alles, was wahrhaft menschlich ist, liegt mir am Herzen. Ich möchte allen Bürgern dieses Landes begegnen, nicht zuletzt seinen Regierenden. Mit ihnen wünsche ich, daß ihr Volk alle seine Möglichkeiten unter den besten Bedingungen entwickelt, in Gerechtigkeit, Frieden und Brüderlichkeit. Ich weiß auch, daß die Mehrheit der Einwohner Benins Gott anbetet und ihn mit aufrichtigem Herzen anruft. Besonders verbunden fühle ich mich mit denen, die den christlichen Glauben haben und untereinander gute Beziehungen pflegen. Ganz besonders möchte ich die gläubigen Katholiken ermuntern, die mit ihren Brüdern und Schwestern in der ganzen Welt eine einzige Familie, einen einzigen Leib bilden in unserem geliebten Erlöser Jesus Christus. Vor 120 Jahren hatte Benin noch keine Möglichkeit, diesen Glauben kennenzulernen. Doch am 18. April 1861 landeten zwei Missionare der Afrikamission von Lyon hier in der Nähe, in Ouidah. Aber sie kamen nicht als Kolonisatoren im Namen ihres Vaterlandes, war doch der eine von ihnen ein Spanier, der andere ein Italiener; der dritte, ein Franzose, war vor der Ankunft gestorben. Sie kamen im Namen Jesu Christi, der jedem Volk sein Licht und seine Liebe zugedacht hat und sich unter allen Rassen Brüder und Schwestern erwählt. Absicht dieser Missionare war, hier Söhne und Töchter der Kirche zu gewinnen, Vollmitglieder, die alle ihre von den Ahnen ererbten Werte entfalten konnten, wenn sie mit dem Evangelium vereinbar waren. Sie sollten zur Kirche werden mit eigenen Priestern, Ordensleuten, Bischöfen. Kaum hundert Jahre später war dieses Ziel mit der Ernennung von Msgr. Bernardin Gantin zum Bischof erreicht. Und wenn auch noch eine langwierige Arbeit in der Evangelisierung zu leisten ist, die Kirche von Benin ist ein fest eingepflanzter Baum, ein Baum des Landes. Aber in der katholischen Kirche stehen die Christengemeinden nie allein. Sie müssen mit denen der ganzen Welt im gleichen Glauben und in der gleichen Liebe vereint bleiben und gemeinsam die großen gei- 300 Reisen stigen Probleme in Angriff nehmen. Sie müssen sich auch gegenseitig beistehen, wie es die Tatsache bezeugt, daß weiter Priester, Ordensleute und Laien aus anderen Ländern herkommen und hier einen äußerst nützlichen Dienst leisten; wie es auch umgekehrt die wertvolle Zusammenarbeit bezeugt, die mir Kardinal Gantin in Rom oder von Rom aus der ganzen Kirche leistet. Die Gemeinschaft aber schart sich um den Nachfolger des Petrus. Der Papst kommt heute zu euch, um diese gegenseitigen Bande zu stärken. Es ist das erste Mal in der Geschichte von Benin. Ich bin Bischof von Rom, jener Kirche, die von den Aposteln Petrus und Paulus gegründet wurde. Der Herr Jesus hat Petrus und seinem Nachfolger als Stellvertreter Christi die Aufgabe übertragen, der Einheit der ganzen Kirche in Glaube und Liebe vorzustehen. Der Herr gibt ihm die Autorität des Oberhauptes zum Dienst an seinen Brüdern. Ich bin also unter euch Zeichen und Fundament dieser Einheit. Es macht mir - wie dem Apostel Paulus - Freude, jene Kirchen zu besuchen, die nicht ich gegründet habe, denn ich möchte mich an ihrem Fortschritt freuen und ihren Weg des Glaubens bekräftigen in Einheit mit den Hirten, die hier sind. Möge Gott alle segnen, die mich heute willkommen heißen! Möge er alle segnen, denen ich jetzt auf meinem Weg und bei unserem Gottesdienst begegne. Möge Gott ganz Benin segnen! Christen stehen in der ersten Reihe Predigt beim Gottesdienst in Cotonou (Benin) am 17. Februar Liebe Brüder und Schwestern! 1. Laßt uns Gott danken! Möge die Frohbotschaft Jesu immer Cure Freude sein! Möge sein Evangelium stets mit seinem Licht und seiner Kraft den innersten Grund eurer Herzen, eure Familien, eure Bräuche, die ganze Wirklichkeit eures Lebens in Benin durchdringen! Möge es euch zum Heil gereichen! Möge es euch in größter Einheit bewahren! Liebe Christen von Benin, das ist die Botschaft, über die wir nach- 301 Reisen denken wollen. Aber zuerst ein Wort herzlicher Begrüßung. Ihr seid bekannt für eure auserlesene Gastfreundschaft. In ihren Genuß komme ich heute vormittag. Erlaubt mir nun meinerseits, zunächst die Ausländer zu begrüßen, die eure Gäste sind, unsere Freunde aus Togo- Liebe Söhne und Töchter aus Togo, ihr seid, wie vor zwei Jahren in Accra, eigens mit euren Bischöfen gekommen, um mit dem Papst zu beten. Ich lese in eurem Blick ein wenig Trauer: Leider werde ich diesmal nicht zu euch kommen können. Ich hoffe, es später tun zu können, so Gott will. Ich weiß, daß ihr in eurem Land zahlreiche und lebendige christliche Gemeinden habt. In meinem Denken und in meinem Herzen seid ihr aber höchst gegenwärtig. Sagt das nach eurer Rückkehr auch euren Landsleuten. Und die Predigt, die ich jetzt an eure Nachbarn von Benin richten will, läßt sich großenteils auch auf euch anwenden. 2. „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,19). Liebe Söhne und Töchter von Benin, die Frohbotschaft, die Christus am Tag der Himmelfahrt seinen Aposteln anvertraut hat, ist bis hierher gelangt. Nach so vielen anderen Völkern hat Benin seinerseits, wie das Volk von Rom, dessen Bischof ich bin, wie das polnische Volk, aus dem ich stamme, die Überbringer der Frohbotschaft aufgenommen. „Wie sind die Freudenboten willkommen, die Gutes verkündigen!“ heißt es in der vom hl. Paulus (Röm 10,15) wiedergegebenen Schriftstelle. Das war vor nunmehr 120 Jahren. Die Missionare, die bei euch eintrafen, kamen nicht aus eigenem Antrieb: Sie wurden gesandt. „Wie soll aber jemand verkündigen, wenn er nicht gesandt ist?“ (ebd.). Sie wurden von der Kirche gesandt im Namen Christi, der gesagt hatte: „Geht zu allen Völkern“ (Mt 28,19). Gebt unentgeltlich, was ihr selbst unentgeltlich empfangen habt. Euer Land hatte lange Zeit gelebt, ohne das Evangelium zu kennen. „Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündigt?“ (Röm 10,14). Trotzdem war sein langer Weg nicht ohne menschliche Werte, nicht ohne religiöse Werte gewesen. Eine alte, von den Vorvätern überlieferte Weisheit bestimmte die familiären Beziehungen und das Leben in Dorf und Stadt. Ein tiefreligiöser Geist war und ist noch immer kennzeichnend für die Bewohner dieses Landes. Gott stand keinem von ihnen fern, denn auch sie waren von seiner Art, wie der hl. Paulus von den Athenern gesagt hatte. Ihre tausendjährige Geschichte, 302 Reisen die sich in der Nacht der Zeit verliert, ihre verschiedenen Heimsuchungen hatten sie reif werden lassen und vorbereitet. Ein Geheimnis der Vorsehung, das jedenfalls erlaubte, daß ihnen das wahre Gesicht des Erlösers geoffenbart wurde, um die Schatten und Ungewißheiten zu beseitigen, um das umzuwandeln, was wie bei anderen Völkern, die einer Naturreligion anhingen, berichtigt, geläutert; und erhöht werden mußte, um die Herzen in der Liebe Gottes und der Liebe zu den Brüdern zu verankern, wie Jesus sie gelehrt hat. Es begann ein neuer Abschnitt ihrer Geschichte. 3. Heute danken wir Gott vor allen Dingen für diese 120 Jahre der Evangelisierung. Bereits mein Vorgänger Johannes XXIII. richtete am 8. September 1961 anläßlich der Hundertjahrfeier einen schönen Brief an euch, den euch der Kardinaldekan des Heiligen Kollegiums überbrachte. Ich machte mir seine Botschaft zu eigen. Heute kommt der Papst persönlich in eure Mitte, um die Geheimnisse Gottes zu feiern und euch auf eurem Glaubensweg zu stärken. Die Vorsehung hat es zugelassen, weil sie mich nach dem Attentat vom 13. Mai letzten Jahres rettete, und auch dafür sagt mit mir zusammen Dank. Wer wird jemals die verborgenen Anstrengungen, die Freuden und Opfer der Wegbereiter des Evangeliums und ihrer Nachfolger im Laufe dieser christlichen Periode nennen können? Ihnen wurde viel Geduld, viel Glaube, vor allem viel Liebe zu euch abverlangt, um euch nach und nach zur Fülle des christlichen Lebens und der Verantwortung in der Kirche zu führen. Ihre Leiber ruhen in der Erde dieses Landes. „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Joh 12,24). Heute ist die Kirche wie ein fest verwurzelter Baum aus den Kindern dieses Volkes angewachsen. Sie hat nunmehr ihre im Land geborenen Priester und Bischöfe, ihre einheimischen Ordensleute. Und sogar ein Mitglied im Kardinalskollegium! Ohne ihre ganze Geschichte wieder aufzuführen, wollen wir die Kirche in Benin betrachten, wie sie sich uns jetzt darstellt. Es heißt nicht, in Triumphalismus verfallen, wenn man die positiven Aspekte hervorhebt, die diese, Gott sei Dank, kennzeichnen und Grund zur Hoffnung sind, auf die sich der weitere Weg stützen muß. Die Kirche in Benin hat Rückschläge, Prüfungen, Versuchungen erfahren müssen, vielleicht haben manche sie auch verlassen. Sie ist sich ihrer Schwächen und Mängel klar bewußt. Aber gewinnt sie nicht neue Kraft, neue Lebenskraft zurück? Unter euch, liebe Brüder und Schwestern in Benin, ist weiter eine Bekehrungsbewegung im 303 Reisen Gange. Bei vielen von euch festigt, vertieft sich der Glaube; ihr empfindet stärker das Bedürfnis danach. Ihr habt ihn kennengelernt und werdet ihn noch besser kennenlernen, euch klarer darüber werden. Ihr wißt um den Wert und die Lebensnotwendigkeit der Teilnahme an den religiösen Feiern. Man sieht, wie sich die Gebetsgruppen von Jugendlichen und Erwachsenen vermehren. Die Zahl der Priesterberufe - und das ist ein gutes Zeichen - ist im Zunehmen begriffen. Viele Laien übernehmen es, unentgeltlich als Katecheten ihrer Brüder zu wirken. Andere bereiten sich auf ein Apostolat in ihrem Milieu, als Studenten, Arbeiter oder Bauern, vor. Die katechetischen Wege erfahren eine Erneuerung durch Benutzung eurer eigenen Talente, siehe das berühmte Königslied „hanye“. Ebenso lebendig ist die Liturgie mit ihren ausdrucksvollen Riten, wobei alles sehr würdig und im Stil des Gebetes bleibt. Das Zeugnis der Liebe wird weiterhin in verschiedenen Bereichen des sozialen Lebens geübt, wo das möglich ist, insbesondere im Gesundheitswesen, in den Krankenhäusern und Ambulatorien. Ihr seid mit euren Landsleuten stärker bemüht, die Gerechtigkeit, den Frieden und die Wohlfahrt eures Landes zu fördern. Muß man erst sagen, daß sich für diese Kirche ein neuer Frühling eröffnet? Ich wünsche es mit euch aus ganzem Herzen. Vertrauen wir es der Gnade Gottes an. Und eben das ist es, weshalb ich vor allem zu euch komme und euch auffordere, diesen Frühling zu entfalten und zu festigen. 4. Doch, liebe Brüder und Schwestern in Benin, seid wachsam! Eine neue Epoche tut sich vor euch auf. Die Evangelisierung muß weitergehen, sie muß auch andere erfassen, und sie muß vor allem tiefer die Wirklichkeit eures eigenen Lebens durchdringen. Habt ihr nicht viele Landsleute, die das Evangelium noch nicht wirklich kennen und die ihm daher nicht ihren Glauben schenken können? Sicher, der Glaubensgehorsam (vgl. Röm 10,16) muß sich immer im Geheimnis des Gewissens vollziehen, ohne jeden äußeren Zwang. Aber wie soll einer sich freiwillig der Kirche Christi anschließen, wenn er nie Gelegenheit hatte, die Verkündigung des Glaubens zu hören und vor allem ihn von einer Gemeinschaft von Nachbarn, von Freunden gelebt zu sehen? Ich denke hier im besonderen an manche Gegenden im Norden des Landes, wo noch nicht einmal die erste Evangelisierung stattgefunden hat. Selbst wenn, Gott sei Dank, ausländische Missionare euch eine wertvolle Hilfe leisten, liegt es zunehmend an euch, vor allem an den Priestern und Ordensleuten, eu- 304 Reisen ren Landsleuten die Frohbotschaft zu bringen, von Diözese zu Diözese, ja sogar - warum nicht - über eure Grenzen hinaus, zum Beispiel anderen Afrikanern. Zu dieser Verbreitung des Glaubens fordere ich =" euch auf. Ist die Tatsache, daß Kardinal Gantin nach Rom berufen wurde - zuerst in den Dienst der Kongregation für die Glaubensverbreitung, dann um die Gerechtigkeit und den Frieden in allen Ländern zu fördern -, für eure Kirche nicht ein Ansporn, in zunehmendem Maße missionarisch zu sein? 5. Aber ich will noch mehr von der zweiten Etappe der Evangelisierung sprechen. Der hl. Paulus trifft sicher das Wesentliche, wenn er sagt: „Wenn du mit deinem Mund bekennst: Jesus ist der Herr, und in deinem Herzen glaubst: Gott hat ihn von den Toten auferweckt, so wirst du gerettet werden“ (Röm 10,9). In diesem Glauben seid ihr getauft worden. Aber derselbe Apostel besuchte oft die Gemeinden, die er gegründet hatte, damit die Taufe, das heißt die Einführung des Christen, Auswirkung auf das ganze Leben habe, und er widmete den zweiten Teil seiner Briefe der Beschreibung des Fortschritts der christlichen Sitten. Jesus selbst hatte nicht nur gesagt „tauft“, sondern „lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,20). Evangelisieren soll also heißen, mit dem Geist der Seligpreisungen -Einfachheit des Lebens, Rechtschaffenheit, Lauterkeit, Gerechtigkeit, Frieden, Mut und vor allem Liebe - die täglichen Beziehungen der Menschen untereinander und mit Gott, der Gruppen untereinander, der Familien und der Gesellschaft durchdringen; und das, bis die innersten und am stärksten verwurzelten Wirklichkeiten, die Gewohnheiten, die Urteilskriterien, die bestimmenden Werte, die Interessen, die Denkgewohnheiten, die Quellen der Inspiration und die Lebensmodelle in der Tiefe und bis zu ihren Wurzeln von dem Licht und der Kraft des Evangeliums geprägt werden, ohne die Institutionen, die sie beeinflussen, mit einem Wort, die Kultur, auszunehmen (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, Nr. 19-20). Die Weitergabe des Evangeliums läßt den mit afrikanischem Lebenssaft genährten Baum neue Früchte tragen. Dann werden die Männer und Frauen ihre authentische menschliche und christliche Persönlichkeit gewinnen in Übereinstimmung mit sich selbst, das heißt hier mit ihrer afrikanischen Seele. So muß sich zum Beispiel die Evangelisierung der einzelnen auf die Familien oder vielmehr auf das ganze Familienleben ausweiten, damit diese - neben den anderen überlieferten Tugenden, wie der Soli- 305 Reisen darität zwischen den Familien und der Freude am Kindersegen - immer stärker die persönliche Liebe der Ehegatten, die in der gegenseitigen Achtung, der Einheit und der unauflöslichen Treue gelebt wird, die Sorge um die Erziehung und alles das widerspiegeln, was aus dem Evangelium stammt, wie ich nach der Synode in meinem letzten Apostolischen Schreiben ausgeführt habe. Die Evangelisierung muß ebenso die Gesamtheit der Bräuche und Traditionen, von denen die Seele eurer Landsleute so stark erfüllt ist, klären, läutern und erhöhen, um alles das aufzunehmen, was zu einem christlicheren und schließlich menschlicheren Leben beitragen kann. Bei dieser Unterscheidung muß das Gewissen der einzelnen sorgfältig gebildet werden: So werden die Gläubigen, frei von-Furcht, den Weg des Friedens fortsetzen können,, indem sie: ihr Bestes zur Entfaltung bringen mit den kulturellen Reichtümern, die sie bewahren können und sollen, aber die Forderungen und notfalls Verzichte akzeptieren, die das Evangelium verlangt. So werden die Christen Christi wahrhaftig würdig sein, indem sie die Kraft des Salzes oder des Sauerteiges bewahren und ihr Glaube nicht in der Zweideutigkeit eines gefährlichen Synkretismus schal wird. Zu evangelisieren gilt es auch die Welt der Arbeit und des sozialen Lebens. Die Christen sollen klar sehen hinsichtlich des Materialismus und der übermäßigen Sorge um das Geld, wodurch sie nicht nur Gefahr laufen, ihre Seele zu verlieren (vgl. Populorum progressio, Nr. 40-41), sondern die sozialen Beziehungen zu verschlechtern, Lüge und Trug zu fördern, das Berufsethos zu zerstören, das Pflichtbewußtseinzu verlieren - jeder fordert nur seine Rechte -, den Gemeinsinn und die Unentgeltlichkeit in den menschlichen Beziehungen, die den Beninern so teuer ist, zu verlernen. Ja, die Christen müssen aufgrund ihres Glaubens und ihrer Liebe zum Vaterland in der ersten Reihe derer stehen, die Seite an Seite diese Werte fördern oder wieder zur Geltung bringen, ohne die die Gesellschaft auseinanderfallen würde. Sie müssen auch beispielhaft sein in der Sorge für die Armen, indem sie wirksam dazu beitragen, daß diese immer etwas zu essen und anzuziehen haben, im Krankheitsfall betreut werden, Unterricht erhalten und als Kinder Gottes leben können. 6. Wenn mir Zeit dazu bliebe, würde ich mich gern im Dienst der Evangelisierung mit entsprechenden Ermutigungen an alle Gruppen des Volkes Gottes wenden. Aber eure Bischöfe, die mein ganzes Vertrauen besitzen, werden Sorge dafür tragen, dieses Gespräch im selben Geist fortzuführen. Ich bin sehr glücklich, von Msgr. Christophe 306 Reisen Adimou, dem Erzbischof von Cotonou, seinem Koadjutor, Msgr. Isidore de Souza, von Msgr. Lucien Agboka, dem Bischof von Abomey, Msgr. Nestor Assogba, Bischof von Parakou, Msgr. Vincent Mensah, Bischof von Porto Novo, Msgr. Robert Sastre, Bischof von Lokossa, und Msgr. Patient Redois, Bischof von Natitingou, umgeben zu sein. Ich beschränke mich jetzt darauf, euch mit ihnen zu sagen: Liebe Priester, erneuert voll Freude das wunderbare Geschenk eures Lebens im Herrn. Das Christenvolk verehrt euch, es liebt euch und es zählt auf euch. Seid daher mit dem Herrn gute Hirten, ganz bereit und eurem Volk nahe, den Tausenden einfacher Menschen ebenso wie den Gebildeten. Hört auf die christlichen Laien, deren Vertrauen und Hochherzigkeit ein Sprungbrett für euer Priestertum sein wird. Vertieft auch das Studium der Wirklichkeit und der Kulturen, denen ihr begegnet, um zusammen mit euren Bischöfen eine ständige Seelsorge und den Dialog zu betreiben, der mit allen angebracht ist, die an Gott glauben. Liebe Seminaristen, ich freue mich, eure Zahl wachsen zu sehen, sowohl im großen Seminar von Ouidah wie in den kleinen Seminaren von Adjatopka, Dijme und Parakou: Das ist das Kapital für die Zukunft der Kirche. Und welches Zusammentreffen der Vorsehung: Heute sind es genau 68 Jahre, daß das Seminar von Ouidah, das ich so gern besuchen würde, eröffnet wurde! Es hat praktisch alle eure Vorgänger ausgebildet, alle Priester, sieben Bischöfe von Benin - ich sage sieben, denn man muß wohl auch Kardinal Gantin dazuzählen -und die Bischöfe von Togo. Man erkennt den Baum an seinen Früchten! Ich erinnere auch an großartige Priestergestalten, die zu Gott heimgekehrt sind: P. Thomas Moulero, P. Gabriel Kiti, P. Dominique Adeyemi, P. Lucien Hounongbe und den ehrwürdigen Msgr. Moise Durand, der uns vor kurzem verlassen hat. Würdigt es als große Gnade, dem Volk Gottes im Priesteramt dienen zu dürfen, ohne nach anderem zu streben, als euch voll und ganz dem dringenden Werk der Evangelisierung zu widmen, über das ich soeben gesprochen habe, und euren Landsleuten selbst das Leben Gottes zu vermitteln. Mögen auch die Diakone und die Ordensbrüder voll Eifer ihren Dienst fortsetzen, dem ein wichtiger Platz in der Kirche zukommt. Und euch, liebe Schwestern, sage ich ein besonderes Wort: Zu der Freude, die so spontan im Herzen und auf dem Gesicht der Christen Von Benin aufstrahlt, fügt ihr offensichtlich jene Freude hinzu, frei zu 307 Reisen sein, um den Herrn mit ungeteiltem Herzen zu lieben, ein schlichtes, vom Evangelium, vom Gottvertrauen, der Liebe zu den Armen, dem Dienst an der Kirche, dem missionarischen Sinn geprägtes Leben zu führen. Möge euer Zeugnis immer stärker zum Leuchten kommen! Ich vergesse nicht die kontemplativen Orden, die Trappisten in Ko-koubou und die Benediktiner in Zagnanado, die Trappistinnen in Pa-rakou und die Benediktinerinnen in Toffo. Danken wir diesen Männern und Lrauen, daß sie Tag und Nacht für Benin und die ganze Kirche beten in diesen erhabenen Stätten der Anbetung und der Für-sprache, die die Gnadenhaftigkeit der Liebe Gottes zum Ausdruck bringen. Liebe christliche Laien, Lamilienväter und Mütter, Kinder und Jugendliche, Katecheten, Animatoren der Gemeinschaften, Männer und Trauen, die das Apostolat auf vielfache Weise ausüben, die Kirche zählt sehr auf euch. Ich ermutige euch, die Ausbildung zu vervollkommnen, die euch ermöglicht, euren Dienst an der Kirche noch besser zu erfüllen. Gebt weiter furchtlos Zeugnis von eurem Glauben, der die Achtung und die Wertschätzung aller eurer Mitbürger verdient. Übernehmt in Übereinstimmung mit euren Priestern die Verpflichtungen, die notwendig sind, um den Glauben, das Gebet und das christliche Handeln eurer Brüder und Schwestern zu stärken, um die konkrete Alltags Wirklichkeit, die euer Los ist, zu evangelisieren. Ich denke hier besonders an die großartige Rolle, die die Trauen im Haus, in der Pfarrei und bei anderen afrikanischen Trauen erfüllen können. Schließlich sollen sich alle jene, die von Krankheit, von physischem oder moralischem Leiden, von Prüfungen jeder Art, von Inhaftierung heimgesucht werden, dem Herzen des Papstes nahe fühlen, der ihnen gern den Trost bringen möchte, den Jesus vor allem den Heimgesuchten zuteil werden ließ. Keines ihrer Leiden und Schmerzen ist in der Gemeinschaft der Heiligen verloren! 7. Ehe ich schließe, hinterlasse ich euch eine Weisung, die die letzte Weisung Jesu ist und so oft von den Aposteln Petrus und Paulus wiederholt wurde: Seid untereinander einig. Darauf achtet drinnen und draußen! Ja, möge unter euch die Einheit des Glaubens und der Liebe siegen über die Unterschiedlichkeit der Methoden, über die Ärgernisse, die unter Christen auftreten können, die Eifersüchteleien, den Sektengeist, der die Kirche zerstören würde! Und erinnert euch, daß die Kirche vom Anbeginn ihrer Geschichte wie heute Schwierigkeiten und Prüfungen aller Art erlebt hat, von denen die Spaltung nicht ge- 308 Reisen rade die kleinste gewesen ist. Zu dulden, daß Gärstoffe des Mißtrauens und der Opposition unter Christen sich breit machen, ist für die Christengemeinden, die früher oder später dadurch geschwächt oder verletzt werden, immer eine fatale Sache. Zeugt vielmehr in Frieden und ohne persönlichen Haß von eurer brüderlichen Solidarität! Seid untereinander geeint, geeint um eure Bischöfe, geeint um den Nachfolger Petri, den Garanten der Glaubenstreue und der Einheit. Schließlich ermutige ich die Katholiken, gute Beziehungen zu denjenigen zu unterhalten, die den Glauben an Christus teilen. 8. Ist dieses ganze Programm zu ehrgeizig und zu schwierig? Für unsere menschlichen Kräfte könnte es so scheinen. Aber Christus hat uns im heutigen Evangelium gesagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Und der Brief des hl. Paulus sagte auch: „Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen“ (Röm 10,11). Wenn ihr an Christus glaubt, wird er euch nicht verlassen. Er wird nicht aufhören, in geheimnisvoller Weise an eurem gesamten Evangelisationswerk mitzuarbeiten. Fürchtet euch nicht. Mit ihm dürft ihr in der Hoffnung, im Frieden, ich wage zu sagen, in der Freude sein, in jener Freude der Christen, die euch bereits sichtbar beseelt. Kardinal Gantin erinnert sich - zweifellos mit vielen anderen in Benin - dreier Schlüsselwörter, die Msgr. Parisot, sein Vorgänger auf dem Bischofssitz von Cotonou, gerne wiederholte. Sie erheben nicht den Anspruch, das christliche Geheimnis zusammenzufassen, aber sie sind bezeichnend für ein tiefes geistliches Leben: „Das Kreuz, die Hostie, die Jungfrau.“ Das Kreuz: Ihr werdet es mit Sicherheit tragen, ihr tragt es schon, aber nicht allein: mit Christus, mit allen euren Brüdern der Universalkirche, von denen manche die Prüfung sehr wohl kennen, und es wird dann zur Quelle des Lebens. Die Jungfrau: Ihr betet zu ihr, besonders in der Grotte Unserer Lieben Frau von As-sa, ihr werdet immer besser beten; sie führt ihre Kinder sicher auf den Weg ihres Sohnes; sie erwirkt ihnen den Heiligen Geist; sie wird über euch wachen, wie sie über mein Land wacht. Die Hostie: ist sie nicht der Höhepunkt unseres Gottesdienstes? Es ist der lebendige Christus, der uns jetzt versammelt, der sich für uns hingibt, der uns sein Leben vermittelt. E ni kpa Mawu! E ni kpa Gesü Christü! E ni kpa Maria! (Gelobt sei Gott! Gelobt sei Jesus Christus! Gelobt sei Maria!) Amen! 309 Reisen „Katholiken erbitten keine Privilegien!“ Ansprache bei der Begegnung mit dem Präsidenten der Volksrepublik Benin, Mathieu Kerekou, in Cotonou am 17. Februar Herr Präsident! 1. Sie sehen mich sehr glücklich, meine Brüder und Schwestern in der Volksrepublik Benin wenigstens kurz besuchen zu können, und zwar in Begleitung einiger meiner engsten Mitarbeiter, des Herrn Kardinalstaatssekretärs und des Herrn Kardinal Bernardin Gantin, Sohn Ihres Landes, auf den Benin stolz sein kann. Deshalb danke ich Eurer Exzellenz, daß Sie mir die Verwirklichung und den guten Ablauf meines Besuches ermöglicht haben. Und in Ihrer Person, die mit Ihrer Regierung die höchste Verantwortung für die zeitlichen Angelegenheiten dieses Landes trägt, grüße ich mit Dank für die freundliche Aufnahme das ganze Volk von Benin ohne Unterschied der Stämme und der Religion. Dieses Land hofft - mit Hilfen, die in brüderlicher Achtung vor seiner Eigenart geleistet werden müßten - seine ganzen materiellen und menschlichen Möglichkeiten entwickeln zu können, um ein immer würdigeres Leben führen und frei seinen Platz im Konzert der Nationen einnehmen zu können. Ich verstehe diesen Wunsch und schließe mich ihm gern an, denn er entspricht dem Willen Gottes. Das wird das Werk der ganzen Nation und all ihrer Mitglieder sein, denen ich meine Sympathie, meine guten Wünsche und meine Ermutigung zu der Arbeit für ihr Vaterland ausspreche. 2. Die Katholiken haben Anteil daran und besitzen - wie Sie, Herr Präsident, wissen - die Fähigkeit, zu diesem wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aufschwung der Nation einen wichtigen Beitrag zu leisten, schon durch ihre Zahl und durch die Qualität ihrer Sicht der Dinge, die ebenso tief wie offen für alle Aspekte des Lebens ist. In den 120 Jahren Evangelisation wurden eure ererbten hohen Qualitäten von der Kirche nicht negiert und nicht behindert, vielmehr vom christlichen Glauben gestärkt und, wo nötig, gereinigt, verfeinert und bereichert. Dieser konnte die Kinder des Landes von einer gewissen Hemmung befreien, ihre Seele dem Frieden des Schöpfers anheimzugeben. Dieser mahnte sie unablässig zur Loyalität, zur Achtung vor der Liebe und dem Leben, zur solidarischen Arbeit, zum Teilen, zum 310 Reisen uneigennützigen Dienst, zur Verzeihung, zum Mut in Prüfungen, zur Hoffnung. Und die Christen legten spontan großes Gewicht auf die Erziehungsarbeit und die Krankenpflege. Die Früchte dieser Arbeit sind echt afrikanisch und christlich. Gewiß sind sie noch begrenzt in ihrem Ausmaß und unvollkommen. Andererseits weiß die Kirche, daß es sich um eine dringende Arbeit handelt, die unablässig wieder begonnen werden muß, denn es geht ihr hier vor allem um die geduldige Erziehung des Geistes und des Herzens, um sie zu befähigen, all ihre Pflichten als verantwortliche Männer und Frauen zu erfüllen. Nun, es ist viel leichter, sich von ideologischen Beweggründen motivieren zu lassen oder einfach von Nachlässigkeit. Aber man beurteilt einen Baum nach seinen Früchten. 3. Deshalb erbitten die Katholiken mit ihren Oberhirten, sich dieses Einsatzes wohl bewußt und ihrem Vaterland treu verbunden, keine Privilegien, sondern möchten voll und frei am ganzen Leben der Nation und der Verantwortung, die sich daraus ergibt, wie alle ihre Mitbürger teilnehmen. Sie sind sich sicher, daß sich allein hier der wirkliche Fortschritt für alle findet. Und sie möchten gleichzeitig alles entfalten können, was ihr Glaube auf der Ebene des Gebets, der Glaubenserziehung, der religiösen Praxis, des Familienlebens, der Gruppenarbeit, der notwendigen Zusammenkünfte erfordert. Sie können keinen Unterricht akzeptieren, der im Gegensatz zu ihrem Gewissen steht. Sie wissen, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt, und ihre persönlichen und gemeinsamen Beziehungen zu Gott sind für sie das wichtigste. Sie beweisen das nicht anders als mit mehr Eifer, in einer Atmosphäre des Vertrauens dafür zu arbeiten, allen das tägliche Brot zu beschaffen. Sie zählen auf Eure Exzellenz, daß Sie ihnen auch weiterhin alle diese Garantien geben. Es gehört zur Rolle des römischen Sitzes der Universalkirche, den Katholiken bei diesem Bewußtsein zu helfen. Und es ist immer die Ehre der Regierenden, die tiefen Bedürfnisse des Volkes und der Gläubigen, die zu ihrem Volk gehören, zu begreifen. 4. Herr Präsident, Sie hatten die Güte, die Bemühungen des Hl. Stuhls zur Förderung von Frieden und Gerechtigkeit in der ganzen Welt zu erwähnen - zwei Worte, die die Arbeit der Kommission umreißen, der Kardinal Bernardin Gantin vorsteht -, um so die Verständigung und Zusammenarbeit auf gleicher Ebene und in gegenseitiger Achtung zu begünstigen. Ja, das ist es, was wir zum Wohl aller Völker, die wir gleicherweise lieben, wollen. Wir denken hier dasselbe. 311 Reisen Mit diesen Gefühlen wünsche ich der ganzen Nation von Benin aufrichtig Frieden. Ich wünsche ihr Wohlstand, Glück, sozialen und geistigen Fortschritt. Ich wünsche ihr möglichst viel Freiheit und Würde in ihrem Verhältnis zu den anderen Mächten wie in den inneren Beziehungen zwischen den Bürgern. Und diese glühenden Wünsche, die mir die Liebe des Evangeliums diktiert, vertraue ich Gott an, der das Wohl aller will und der Richter der Gewissen der Herr der Geschichte bleibt. Möge er Benin segnen! Herr Präsident, ich danke Ihnen noch einmal für Ihre liebenswürdige Gastfreundschaft. „Gott ist mit euch“ Ansprache vor dem Abflug von Cotonou (Benin) am 17. Februar Noch einmal danke ich dem Herrn Präsidenten und allen staatlichen Autoritäten für die freundliche und gut vorbereitete Aufnahme hier. Ich danke allen, die bei der Vorbereitung und dem Verlauf dieser großen Zusammenkunft mit dem Papst beteiligt waren, mit allen, die sich im Land durch ihr Gebet und das Opfer ihrer Leiden beteiligt haben. Besonders danke ich meinen Brüdern im Bischofsamt. Liebe Bürger von Benin, ihr seid in Afrika angesehen wegen eurer herzlichen Gastfreundschaft. Nun habe ich sie auch bewegten Herzens erfahren. Danke! Danke! Ich wünsche dem edlen Land Benin den wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, moralischen und geistigen Fortschritt, den alle seine Bewohner gemeinsam in einem Klima des Vertrauens und des Friedens vorbereiten möchten. Ich wünsche den Christen Freude an ihrem Glauben und den Eifer des Evangeliums: Gott ist mit euch! Meinerseits danke ich Gott für alles, was ich unter euch gesehen und gehört habe, obwohl ich nur die Küste eures Landes betreten konnte. Ihr werdet in meinem Gebet einen weiten Raum einnehmen. Betet auch für mich, damit Gott meinen Dienst an der Wahrheit, an der Gemeinschaft und am Frieden segnet. Ich bin glücklich, an der Spitze eurer Diözesen Hirten zurücklassen 312 Reisen zu können, die mein volles Vertrauen besitzen. Doch gestattet mir, den ältesten, Kardinal Gantin, mitzunehmen. Man braucht ihn in Rom. Gott segne Benin! „Jeder Hirte muß seine Schafe kennen“ Ansprache bei der Ankunft in Libreville (Gabun) am 17. Februar Herr Präsident, liebe Brüder im Bischofsamt und ihr alle, liebe Christen, liebe Söhne und Töchter von Gabun! 1. Afrika ist ein derart weiter Kontinent, daß ich ständig reisen müßte, um es ganz besuchen zu können. Jedes Land hat seine besondere Geschichte, sehr alt und ganz neu, eine menschliche und eine religiöse, die besser bekannt, geschätzt und geliebt zu werden verdiente. Ich bin sehr glücklich, hier wiederholen zu können, daß mein erster Pastoralbesuch in Afrika im Mai 1980 mich viel gelehrt und in mir unvergeßliche Erinnerungen hinterlassen hat. Ich bleibe allen Völkern tief dankbar, die mich damals so begeistert empfangen haben. Doch jetzt bin ich endlich in Gabun! Eure Erwartung hat sich erfüllt und die meinige auch. Danken wir also der göttlichen Vorsehung, die alles zu dem von ihr bestimmten Zeitpunkt so gefügt hat, daß diese historische Begegnung möglich und fruchtbar werden konnte. 2. Ich bin tief bewegt, wenn ich meine Arme und mein Herz euch allen und jedem einzelnen von euch öffnen darf, wie ein Bruder seinen Brüdern, ein Freund seinen Freunden, der Vater denen, die Söhne und Töchter der katholischen Kirche sind. Ich wende mich vor allem an Sie, Herr Präsident, und ich danke Ihnen sehr herzlich dafür, daß Sie alles in Ihrer Macht Stehende getan haben, um mir diesen Besuch zu ermöglichen, der wesentlich pastoralen Charakter hat. Ich grüße brüderlich den Herrn Erzbischof von Libreville sowie die Bischöfe von Franceville, Mouila und Oyem. Ich grüße alle Delegationen der christlichen Gemeinschaften. Ihr begeisterter und tröstlicher Empfang erinnert mich an die Menschenmenge, die jede Woche die Audienzhalle oder den Petersplatz in Rom füllt, und an die großen Versammlungen bei meinen früheren apostolischen Reisen zu euch in 313 Reisen Afrika, nach Nord- und Südamerika, in Europa und in den Fernen Osten. Die Kirche Christi ist sehr lebendig, und ein großer Atem brüderlicher Gemeinschaft beseelt sie mehr und mehr, der durch die modernen Kommunikationsmedien begünstigt wird. Ich richte daher einen frohen Gruß an alle Bewohner Gabuns, die durch ihre Pflichten in den Dörfern und auf den Feldern festgehalten sind, die mich aber im Radio oder im Fernsehen hören und sehen können. Ich gedenke auch eurer Ahnen und aller Generationen, die die Geschichte eures Volkes geprägt haben. Und wie ihr 1976 bei seinem 100. Todestag, so möchte auch ich der Person und dem entscheidenden Wirken von Bischof Jean-Remy Bessieux alle Ehre erweisen. War er es doch, der nach seiner Landung in Fort d’Aumale am 28. September 1844 die Mission in Gang gebracht hat und damit zugleich den kulturellen Aufschwung eures Landes, das als erstes in Schwarzafrika das Evangelium empfangen hat. Euer treues Andenken an Bischof Bessieux wird immer eine der Quellen eurer Einheit sein. 3. Ohne diese Ansprüche allzusehr auszudehnen, möchte ich doch betonen, in welchem Geist ich zu euch komme. Ich komme einzig als Hirte, der als Nachfolger des Apostels Petrus und all seiner Nachfolger den besonderen Auftrag hat, über die Einheit aller Kirchen im Glauben und in der Liebe zu wachen. Jeder Hirte muß seine Schafe kennen und sich ihnen bekannt machen. Jesus hat diese Pflicht ganz ausdrücklich betont (vgl. Joh 10,11-17). Ich muß wie eure Bischöfe die konkreten Wirklichkeiten kennen, die euer Leben in Gabun ausmachen. Sie bedingen ganz sicher eure Annahme und Praxis des Evangeliums, aber damit auch die geeignete Pastoral, die eure Bischöfe durchzuführen suchen. Ich komme, um kennenzulernen und zu empfangen, ich habe euch aber auch etwas zu geben. Ich möchte, daß meine bescheidene Präsenz, die den Dienst eurer Hirten stärkt, neues Zeichen dafür ist, daß Gott euch liebt und daß er euch immer einen Bund mit ihm anbietet, damit euer Herz und euer Geist frei werden. Das bleibt die wesentliche Vorbedingung dafür, daß ihr euch immer mehr vom Druck des zeitgenössischen Materialismus und anderer sozialer Übel freimachen könnt. Ich möchte auch, daß ihr mehr die Wohltat und Sicherheit schätzt, die eure Treue zum Zentrum des Katholizismus darstellt. Ich möchte euch schließlich spüren lassen, daß ihr einen vollwertigen Platz im großen Konzert der Ortskirchen einnehmt und daß die Qualität eures kirchlichen Lebens auf die Schwesterkirchen Einfluß hat. Kurz, während dieser Tage der Begegnung wird die Wahrheit, die wir 314 Reisen austauschen, das geistliche Wachstum der Personen und Gemeinden fördern und die Gemeinschaft zwischen euch und mir, zwischen der Kirche von Gabun und den Kirchen der ganzen Welt vertieft werden dank der symbolischen, aber wirksamen Präsenz des Nachfolgers Petri inmitten eurer eigenen Bischöfe, die seine Brüder und ebenfalls Nachfolger der Apostel sind. Ich wünsche und bete zu Gott, daß wir in diesem Geist alle unsere Begegnungen erleben. Ich vertraue ferner den guten Willen aller und meinen Dienst bei euch dem Schutz der Jungfrau Maria an, die in der ältesten Kirche von Libreville besonders verehrt wird. Die Frömmigkeit und Sorge des unvergeßlichen Bischofs Bessieux hat sie errichtet. Gott segne Gabun! Der Priester darf kein autoritärer und blasierter Funktionär werden Ansprache an den Klerus, die Ordensleute und die Laienhelfer in Libreville am 17. Februar Liebe Söhne und Töchter der Kirche in Gabun! 1. Jedes Volk ist mit Recht stolz darauf, auf seinem Boden Stätten und Denkmäler zu besitzen, die an große Augenblicke seiner Geschichte zeugnishaft erinnern und die kommenden Generationen auffordern, das Band zwischen Vergangenheit und Gegenwart fester zu knüpfen. In dem Maß, in dem sie ihrer Geschichte treu bleiben, erfüllen sie eine Pflicht der Gerechtigkeit und der Ehre, festigen oder finden sie ihre Einheit und werden fähig, diese Geschichte fortzuführen, indem sie klug die Werte der Vergangenheit mit der verführerischen Neuheit der folgenden Epochen, die freilich manchmal zweideutig ist, verbinden. Gerade die Marienkathedrale von Libreville ist ein Brennpunkt eurer Geschichte. Hier feierte am 29. September 1844 der unvergeßliche Pater Bessieux zum ersten Mal auf dem Boden von Gabun das Opfer Christi. Dieser heilige Bau ist gleichsam die symbolische Wiege eurer Nation. Ich beglückwünsche euch dazu, daß ihr an seinen Innenmauern rechts vom Eingang ein Wort eingemeißelt habt, das ein ebenso 315 Reisen bewegtes wie wahres Zeugnis ist: „Von hier aus begann das Licht des Evangeliums über den Ländern Afrikas zu leuchten.“ 138 Jahre sind seitdem vergangen! Ich bin glücklicher als meine Vorgänger aus dem vergangenen Jahrhundert, Pius IX. und Leo XIII., die diesen Versuch der Evangelisierung ermutigten, denn mir ist das unermeßliche Glück vergönnt, in dieser zahlreichen Versammlung die Ergebnisse der geduldigen Mühe der Arbeiter der ersten Stunde und all jener, die sie weitergeführt haben, zu erblicken. Die Lehre, die Christus in Gleichnissen von der künftigen Ausbreitung des Evangeliums verkündete, betraf auch euren Kontinent. Ihr seid heute etwa 500 000, die von der Frohbotschaft gehört und die christliche Taufe empfangen haben. Ihr seid heute das lebendige Gleichnis vom Senfkorn, das ein großer Baum geworden ist (vgl. Mt 13,31-33). Bei dieser denkwürdigen Begegnung fühle ich mich gedrängt, alle zu stärken, die Christus geheimnisvoll zur Aufgabe der Evangelisierung in Gabun berufen hat. In dankbarem Gedenken an die Pioniere des vergangenen Jahrhunderts und in Treue zu ihnen setzen sie das gleiche Werk fort, wenn auch in den neuen Methoden der Kirche unserer Zeit. Daher wende ich mich an erster Stelle an die Priester von Gabun und an die Väter vom Hl. Geist, die Salesianer, Claretiner und „Fidei Donum“, die ihnen so wertvolle Hilfe bieten. Dann wende ich mich an die Ordensmänner und -frauen (ich weiß, daß 18 Genossenschaften in den vier Diözesen dieses Landes arbeiten), dann natürlich auch an die zahlreichen christlichen Laien, die als Katecheten oder Leiter der Apostolatsbewegungen arbeiten oder in ihren christlichen Gemeinden große Verantwortung tragen. 2. Euch, liebe Brüder im Priesteramt, die ihr euch gewiß Sorgen macht wegen eurer kleinen Zahl und zuweilen vor schweren Fragen steht, die auch hier in Afrika der Identität und Sendung des Priesters gestellt werden, möchte ich einige Dinge anvertrauen, die mir sehr am Herzen liegen. Vor allem folgendes: Ohne irgendwie das äußerst ernste Problem des Priesternachwuchses, von dem wir noch sprechen werden, aus dem Auge zu verlieren, glaubt ihr nicht - und das gilt auch für viele andere Gebiete der Welt daß die Priester Christi mehr als je berufen sind, ein priesterliches Leben von sehr hoher Qualität zu führen? Es gibt Augenblicke, in denen die Qualität notwendigerweise die Quantität ersetzen muß! Anderseits können die Probleme, auf die ich anspiele und die sicher sehr belastend und schwächend sind, uns auch die Sicherheit geben - und sie müssen sie geben daß das Priestertum ein wahres Mysterium im christlichen 316 Reisen Sinn des Wortes ist, d. h. eine Wirklichkeit, von der wir die eine Seite sehen, während die andere uns entgeht, weil sie von Gott kommt und mit Gott verbunden ist. In der Sprache der Kirchenväter hatten die Worte Mysterium und Sakrament oft die gleiche Bedeutung. Liebe Brüder - und ich sage es auch für die ganze Versammlung hier -, von uns allen wird verlangt, an das Priestertum zu glauben, so wie wir an die Taufe und die heilige Eucharistie glauben. Oder können wir jemals die Bedeutung der Taufe ausschöpfen: Kinder Gottes in der Liebe werden, mit Christus der Sünde sterben, zu einem neuen Leben auferstehen, immer mehr Glieder des Volkes Gottes werden in der Hoffnung, die Seligpreisungen zu erfahren? Hier stehen Reichtum und Tiefe der Gnade Gottes vor uns! Das gleiche gilt vom Priestertum. Freuen wir uns, wenn es Fragen aufgibt und keine Definition uns je voll befriedigen kann, weil man seine Tiefe nie bis auf den Grund ausloten kann. Auf jeden Fall möchte ich unterstreichen, daß die erste Treue, die von einem Priester verlangt wird - welche Lebensart und welches Apostolat er auch immer pflegt -, diejenige ist, fortzufahren, an sein eigenes Geheimnis zu glauben. Er muß im Glauben an dieses Geschenk Gottes, das er empfangen hat, verharren, auch wenn die unvermeidliche Routine und andere Hindernisse ihn stören könnten. Daran erinnert der Apostel Paulus eindringlich seinen Schüler Timotheus (2 Tim 1,6). Wenn man noch in nicht ferner Vergangenheit lyrische Seiten über die Größe des Priesters schreiben konnte, gerät man heute, wenn man sagt, der Priester müsse ein Mensch wie alle anderen sein, in Gefahr, das Sakrament, das er empfangen hat, zu relativieren und das unauslöschliche Merkmal zu verschleiern, von dem die traditionelle Theologie spricht, die durch das Konzil von Trient und das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt wurde. In echt theologischer Sicht ist man entweder Priester fürs ganze Leben, oder man ist es nicht, so wie man getauft ist oder nicht. Nur die Diensttätigkeit erfolgt im Ablauf der Zeit. Dies war immer der Glaube der katholischen Kirche, aber auch der orientalischen Kirchen. Deshalb möchte ich in euren Herzen die Treue zu eurer priesterlichen Sendung stärken, die eine Treue der Liebe zur Verkündigung des Evangeliums, zum Dienst an den Sakramenten, zur Erhaltung der christlichen Gemeinden in unverbrüchlicher Treue zur Kirche und ihren Leitern ist. Der Ausruf des hl. Paulus: „Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündige!“ (1 Kor 9,16), wird nie genug die physischen, geistigen und geistlichen Energien eines Priesters mobilisie- 317 Reisen ren. In den Annalen von Gabun bewahrt ihr mit berechtigtem Stolz das Andenken an den ersten aus eurem Volk hervorgegangenen Priester, Msgr. Raponda-Walker. Ja, bewußt oder unbewußt erwarten die Menschen, daß der Priester, der zu ihnen von: Gott spricht, das ebenso überzeugend wie demütig tut. An Gelegenheiten fehlt es dazu ja nicht, angefangen von der Sonntagsliturgie und den Kursen der Vorbereitung auf die Sakramente bis zur Animation der apostolischen oder karitativen Bewegungen, dazu die Stunden, die auf die äußerst schwere Verpflichtung zur katechetischen Unterweisung verwendet werden. Auf die ausdrückliche Verkündigung des Evangeliums zu verzichten, um sich sozialen und gesellschaftlich-beruflichen Aufgaben zu widmen, käme einer Verstümmelung des apostolischen und priesterlichen Ideals gleich. Ich möchte hinzufügen, daß die Spendung der Sakramente immer einen integralen Teil des Amtspriestertums ausmacht und daß Christen, die um Gehör bitten, auch verstanden und über den wahren Sachverhalt aufgeklärt werden müssen. Der Priester darf nicht zu einem autoritären und blasierten Funktionär werden, der vergißt, daß die Sakramente und alle liturgischen Handlungen nicht nur wirksame Zeichen des Glaubens, sondern auch - für Spender wie für Empfänger - Appelle zu besserem Beten und zu größerer Liebe sind. Alle Menschen, die kommen, um das Licht und die Kraft Gottes zu empfangen, bilden menschliche und christliche Gemeinschaften, die gewiß recht verschieden, aber alle angewiesen sind auf die Treue des Priesters zu seiner Sendung und zu seinen übernommenen Aufgaben. Es mag Tage geben, in denen der Glaube an den Ruf Christi sich verdunkeln und die Versuchung zu einem anderen Leben drängend werden mag. Doch der Blick auf junge, erwachsene und alte Menschen, von denen er weiß, daß sie ihn brauchen und daß sie ihm Vertrauen schenken, ist zweifellos ein Grund unter anderen, seiner Sendung treu zu bleiben. Am Ende meiner Worte an die Priester möchte ich noch betonen, daß die Treue, von der ich sprach, nicht ausreicht, wenn nicht die Treue brennender Liebe zum Mysterium der Kirche hinzukommt, zu immer neuer Vertiefung in dieses Geheimnis unter seinen ebenso göttlichen wie brüderlichen Aspekten. Das Mysterium der Kirche, dessen Juwel vielleicht die Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils ist! Daher kommt es, daß die Sendung des Priesters, ob er verloren in der Sahara lebt wie Charles de Foucauld oder vergessen im afrikanischen Busch wie zahlreiche Missionare es waren 318 Reisen und sind, immer in der Sendung der Kirche steht. Priester Jesu Christi, Priester von Gabun, der Papst liebt euch aus ganzem Herzen, und er betet für euch, für eure Treue und euren Eifer. 3. Bei der Vorbereitung meiner Pastoraireise konnte ich feststellen, daß in Gabun zahlreiche Ordensgenossenschaften arbeiten und daß die am längsten hier eingewurzelten - die Väter vom Hl. Geist, die Schwestern von der Unbefleckten Empfängnis von Castres und die Brüder vom hl. Gabriel - einen einzigartigen Beitrag zum Aufbau der Kirche von Gabun wie zur menschlichen Entwicklung dieses Landes geleistet haben. In eurem Namen muß ich allen, zumal der einheimischen Kongregation der Kleinen Schwestern Unserer Lieben Frau von Gabun, für ihren Mut, ihre Einfachheit und ihre Nähe zum Volk von Gabun danken. Meine Glückwünsche und meine Ermutigung gelten allen 18 Instituten, die hierhergekommen sind, um euch zu dienen. Liebe Brüder und Schwestern, schätzt das, was ihr seid, und das, was ihr tut, weiter hoch! Ihr seid Christen und Christinnen inmitten der anderen. Euch wurde die Gnade zuteil, den Appell zur radikalen Befolgung des Evangeliums zu hören, der heute wie gestern durch die Gelübde der Armut, der Ehelosigkeit und des Gehorsams gekennzeichnet ist. Eine radikale Praxis, die euch Jahr für Jahr verfügbarer macht für den Herrn wie für eure menschlichen Brüder und Schwestern, wie die, die hier eure Antwort erwarten. Dabei muß das persönliche und gemeinschaftliche Zeugnis der Loslösung und Verfügbarkeit zusammenstimmen und sich gegenseitig stützen. Eben das braucht die moderne Gesellschaft, weil sie versucht ist, sich in einem praktischen Materialismus zu verkapseln, der oft das Gesicht der Vergötzung der Macht, des Geldes oder der Sexualität annimmt. Wenn euch dieses Zeugnis oft schwer und begrenzt scheint, kehrt mit Hilfe der Gnade zum Geist eurer Gründer und Gründerinnen zurück, die von Liebe zu Christus und seiner Kirche brannten. Zu bedenken ist auch, was ihr konkret tut. Viele von euch geben Unterricht in Schulen oder Gymnasien, viele arbeiten in der Pfarr- und Diözesanseelsorge auf dem Gebiet der Katechese und der Liturgie, der apostolischen Bewegungen, der ständigen Weiterbildung von Jugendlichen und Erwachsenen, in karitativen Werken usw. Ich freue mich sehr darüber und beglückwünsche euch alle im Namen der Kirche. Vielleicht ist die Zeit gekommen, daß ihr als Ordensmänner und -frauen aus verschiedenen Genossenschaften noch mehr zusammenarbeitet, auch mit den Diözesanverantwortlichen für die Gesamtpa- 319 Reisen storal. Eine konzentrierte Aktion erlaubt oft eine Einsparung von Personal und technischen wie finanziellen Mitteln. Sie gibt allzu isolierten Werken neuen Elan und neue Effizienz. In diesem Punkt muß ich die von der Bischofskonferenz unternommenen Bemühungen um eine Pastoral der Priester- und Ordensberufe unterstützen. Ich weiß, daß die Ergebnisse im Augenblick noch nicht ermutigend sind. Doch sollte der Anstieg der Berufungen in vielen Seminaren und Noviziaten Afrikas zuversichtlich und hoffnungsvoll stimmen. In den Berichten, die ihr mir in den letzten Wochen zugestellt habt, lese ich, daß mehrere Jugendbewegungen und Jugendzentren erneut Anlaß zur Hoffnung geben. Ich habe ebenfalls gelesen, daß zahlreiche Jugendliche, enttäuscht von der Konsumgesellschaft, nach dem Absoluten suchen oder jedenfalls nach neuen Lebensidealen. Die verschiedenen Organe der Pastoral der Berufungen schenken diesem komplexen Phänomen, das man mehr und mehr in den Überflußgesellschaften beobachtet, größte Aufmerksamkeit. Für einige kann es der Weg zu einem radikalen Engagement in der Nachfolge Christi werden. Mir scheint auch, daß die Priester-, Brüder- und Schwesterngenossenschaften, die sichtbar nach dem Evangelium leben und Jugendlichen wie auch ihren Eltern einen selbstlosen Einblick darin öffnen, ein Element dieser Pastoral sind. Einige von ihnen wie auch mehrere christliche Gemeinschaften nehmen bereitwillig Jugendliche, die am Ordensleben interessiert sind, zu Tagen der Einkehr und der Mitarbeit auf. Hier finden sich viele überlegte, verbesserte und geduldige Initiativen zusammen, die es der Kirche von Gabun erlauben werden, in ihrem eigenen Schoß einen guten Teil der Arbeiter für das Evangelium zu finden, die sie so dringend braucht. Ich verspreche euch, diese Absicht weiter mit meinem Gebet zu unterstützen. 4. Doch nun wende ich mich an die christlichen Laien, die so großherzig vielfache Verantwortung in den Diözesen und Pfarreien von Gabun tragen. Ich beglückwünsche sie und danke ihnen von Herzen im Namen der ganzen Kirche für die Arbeit, die sie im Dienst des Evangeliums geleistet haben und weiter leisten. Viele Länder Europas sind weit entfernt davon, so zahlreiche engagierte und, was noch mehr zählt, spontane und freiwillige Laienkräfte zu besitzen. Die Lektüre der Berichte, die mich auf meinen Besuch vorbereitet haben, ver-halfen mir zu dieser Überzeugung. Ich konnte feststellen, daß die Ausdrücke „Katecheten“ und „Verantwortlicher“ alle Arten von Funktionen umfassen, die von den Bischöfen und den- Mitchristen 320 Reisen anerkannt sind: die eigentliche Glaubensunterweisung, das Katechu-menat, die Leitung von Gebetsgruppen, Apostolatsbewegungen und anderer Vereinigungen, die Mitverantwortung für Land- und Stadtpfarreien, immer in Zusammenarbeit mit dem Priester und in Achtung vor seiner Verantwortung und seinem besonderen Dienst. Ich habe auch gute Hoffnung, daß mein Pastoralbesuch neue Mitarbeiter gerade unter den Jugendlichen in der Stadt weckt. Ich ermutige euch alle, liebe Laien, euren vollen Platz in der Organisation und Leitung eurer christlichen Gemeinden zu übernehmen. Ich ermutige euch ebenso, möglichst weitgehend alle Möglichkeiten zu ständiger Weiterbildung zu nützen, die die Bischofskonferenz eingerichtet hat: hier ein Wochenende monatlich, dort eine zehntägige Tagung alle zwei Monate usw. Eure theologische, pädagogische und geistliche Qualifikation ist unerläßlich für euch selber, für die Ausstrahlung eurer Arbeit und für die Möglichkeit, andere Katecheten und Verantwortliche heranzubilden. In diesen Gruppen engagierter junger Laien müßten normalerweise auch Berufungen aufblühen. Mein letztes Wort sei eine herzliche Ermutigung der Priester, den Ordensmänner und -frauen, die Arbeit der Laien zu unterstützen und ihnen noch mehr Vertrauen zu schenken; dazu kommt eine ebenso herzliche Ermutigung der Laien, ihren Priestern und ihren Brüder-und Schwestergemeinschaften mit Achtung, Freundschaft und dem Geist der Zusammenarbeit zu begegnen. Ich bitte den Herrn, daß mein Aufenthalt bei euch das gegenseitige Verständnis aller und eine beharrliche gegenseitige Hilfe wachsen lasse. Das wird der Kirche in Gabun den von so vielen Christen gewünschten Elan geben und dieser Missionskirche noch mehr das Gesicht einer wahren Ortskirche schenken, die im Konzert der Gesamtkirche ihren vollen Platz einnimmt. Ein Wachstum ohne Bruch und Überstürzung wünsche ich mir und erhoffe ich heiß für die vier Diözesen Gabuns und ihrer Gläubigen. Möge Gott euch reich mit seinem Segen beschenken, und möge die Jungfrau Maria, die an dieser Stätte besonders verehrt wird, das Apostolat aller Arbeiter für das Evangelium in Gabun unterstützen. 321 Reisen „Seid, stolz, Gabuner zu sein!“ Ansprache bei der Begegnung mit dem Präsidenten von Gabun, Omar Bongo, in Libreville am 17. Februar Herr Präsident! 1. Es ist mir besonders angenehm, Ihnen hier, an Ihrem Wohnsitz, für die Gesten der Höflichkeit zu danken, die Sie gegenüber meinem Vorgänger Paul VI. wie auch mir selbst gegenüber wiederholt erwiesen haben, als Sie in den Vatikan kamen, um mit dem Papst zu sprechen. Durch diese Besuche Eurer Exzellenz hat Gabun bereits seinen Wunsch bezeigt, seine immer engeren Bande zum Hl. Stuhl zu bewahren, und deshalb grüße ich heute, wenn ich mich an die höchste Autorität des Staates wende, nicht ohne innere Ergriffenheit die ganze Nation von Gabun. 2. Gabun zeichnet sich aus durch das Bestreben, dem es auf Ihren Anstoß hin zugestimmt hat, rasch seine wirtschaftliche Entwicklung, ausgehend von seinen großen natürlichen Reichtümern, sicherzustellen. Wer würde Sie dazu nicht beglückwünschen? Das ist ein beachtlicher Trumpf für seinen Unterhalt und seinen Fortschritt, für seine Zukunft. Ich spreche die besten Wünsche für seinen Erfolg aus. Dieses Bestreben, dessen sich besonders die Regierung und die verschiedenen für das Leben des Landes Verantwortlichen annehmen, ist in der Tat das Bestreben aller Gabuner, denn die schwierige Aufgabe, die die Entwicklung erfordert, wenn sie vollkommen sein, jeden Menschen erreichen und allen Menschen zugute kommen soll, betrifft letzten Endes jeden Staatsbürger. In der Tat gründet sich ein solcher Fortschritt nicht nur auf den Reichtum und die Arbeit, sondern ebenso auf die anderen Werte, wie soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Gemeinsinn, Rechtschaffenheit, Solidarität mit den Ärmsten. Ein wirtschaftlicher Aufschwung, der sich nicht auf solche Tugenden stützen könnte, würde seine Zielsetzung in Gefahr bringen: die Förderung einer brüderlichen Gesellschaft, die imstande ist, die jungen Generationen und die verschiedenen Stämme des Landes harmonisch zu integrieren und die Ausländer anzunehmen. All das hängt von dem Teil an Verantwortung ab, den jeder in der Gesellschaft zu übernehmen bereit ist. Die Kirche ihrerseits beteiligt sich daran, indem sie an diese Notwendigkeit erinnert und ihren Beitrag dazu leistet. Es ist in der Tat Gottes Plan, daß der Mensch sich dank seiner gut ge- 322 Reisen leisteten Arbeit und seinem sittlichen Empfinden in seinen familiären und sozialen Beziehungen mit jedem Tag mehr entfaltet. Die Anbetung, die er nach seinem Gewissen mit seiner Gemeinschaft zusammen dem Schöpfer erweist, drückt den Gehorsam aus, den er ihm schuldet. Ich weiß, daß es bei Ihnen nicht an Beispielen für die erfolgreiche Entfaltung des afrikanischen Menschen mangelt. Es gilt, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen, ohne von ihm abzuweichen. Und ich bin gekommen, um Sie dazu zu ermutigen! 3. Eines der Wesensmerkmale der Nation ist die Kultur. Sie liefert dem Menschen unter anderem eine Weise des Miteinander-Lebens und Miteinander-Fühlens. Man ist glücklich, hier in seinem Land oder hierhin zurückgekehrt zu sein, denn man erlebt hier das Gefühl, zu einer großen Familie zu gehören. Die Kultur eines Volkes ist das, was es an Eigenständigem besitzt, das, was es von seinen Nachbarn unterscheidet, ohne es von ihnen zu trennen, und das, was es dazu aufruft, den anderen seinen Beitrag zu leisten. Die afrikanische Kultur, von der die Kultur Gabuns eine einzigartige Ausdrucksform ist, ist ein kostbares Gut. Sie muß die Traditionen der Vorväter in dem, was sie an Gutem besitzen, einschließen können und sich nicht vor dem Neuen fürchten, wenn sie sich stark genug weiß, sie selber zu bleiben. Vor allem entwickelt sie in jedem der Söhne der Nation ein Gefühl des Stolzes, das die Achtung vor dem anderen nach sich zieht. Seid also stolz, Gabuner zu sein! 4. Hat es Ihr Land nicht verstanden, in diesen letzten lahren eine vielbeachtete Rolle im Konzert der Völker und besonders in Afrika zu übernehmen? Möge Ihr Wirken dazu beitragen, ihm trotz der Hindernisse sozialer, ethnischer, wirtschaftlicher und ideologischer Art den Frieden zu bringen, den es so dringend braucht, damit so eine fruchtbare Zusammenarbeit von Volk zu Volk entstehe, die die unterschiedlichen Empfindungen respektiert und sich auf die großen Zielsetzungen konzentriert, die jene der diesen Ländern angemessenen Entwicklung bleiben müssen! Das ist es, was sich der Hl. Stuhl für seinen Teil im Rahmen seiner geistlichen Sendung zur Aufgabe macht, wenn er, soweit es nur irgendwie möglich ist, alles unterstützt, was den Frieden, die Verständigung, die Achtung der Menschenrechte, das Wachstum der jungen Nationen berührt. 5. Ich weiß, und ich freue mich, es hier zu bezeugen, daß die katholische Kirche in Gabun die Freiheit und das Ansehen der staatlichen Autoritäten genießt. Es stimmt, daß sie reichlich ihren Teil beigetragen und dabei häufig selbst die Initiative ergriffen haben zu den Wer- 323 Reisen ken, die Unterricht und Erziehung, die Verbesserung des Gesundheitswesens, die Hilfe für die Ärmsten, die Ausbildung verschiedener bürgerlicher Verantwortlichkeiten zum Ziele hatten. Sie ist bereit, diese Beteiligung im Rahmen ihrer Möglichkeiten fortzusetzen, wie sie es seit fast eineinhalb Jahrhunderten getan hat. Wie Eure Exzellenz selbst freundlicherweise und im passenden Augenblick betont haben, hat die Kirche in großem Maße zur Reifung des modernen Gabun beigetragen. Herr Präsident, das Verständnis und die Hilfe, die Sie persönlich dem katholischen Schulwesen entgegengebracht haben, zeigen zur Genüge, wie hoch Sie diese Rolle schätzen. Tatsächlich bedeutet der Beitrag der Kirche zur Erziehung der Jugend für alle zugleich mit der Garantie der Gewissensfreiheit eine Öffnung des Geistes und des Herzens junger Menschen für die sittlichen und geistigen Werte, die grundlegend sind, wie ich zu Beginn sagte. Das gilt ebenso, wenn der Mehrzahl der Menschen, wie das in Gabun der Fall ist, konkret die Möglichkeit geboten wird, über den Rundfunk oder im Fernsehen kirchliche Sendungen zu verfolgen. Dafür möchte ich Ihnen meine Dankbarkeit aussprechen. Herr Präsident, ich darf Ihnen sowie allen öffentlichen Autoritäten heute ganz besonders meinen Dank versichern für den großartigen Empfang, der mir Vorbehalten war, und für alle Erleichterungen, die mir mit soviel Feingefühl geboten wurden, damit ich meinen Pastoral-besuch unter den bestmöglichen Bedingungen durchführen könne. Gott segne Gabun! Und er erhöre und erfülle alle Wünsche, die ich am heutigen Tag für Gabun und seine Führer ausspreche! „Ich weiß sehr wohl um euer schweres Los in der Vergangenheit“ Ansprache bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Malabo (Äquatorialguinea) am 18. Februar Geliebte Brüder und Schwestern! Es ist mir eine große Freude, im Lauf meiner apostolischen Reise auf dem Boden Afrikas auch diese Nation und die Insel besuchen zu 324 Reisen können, auf der die Hauptstadt Malabo gelegen ist. Vor allem danke ich Gott, der es mir erlaubt hat, hierherzukommen. In erster Linie möchte ich dem Herrn Präsidenten für seine Anwesenheit auf diesem Flughafen und für den höflichen Empfang danken, den er mir Vorbehalten hat. In Erwartung der bevorstehenden persönlichen Begegnung möchte ich Ihnen versichern, daß ich diese Ihre Aufmerksamkeit, der sich die staatlichen Autoritäten angeschlossen haben, hochschätze; auch ihnen gilt der Ausdruck meiner tiefempfundenen Anerkennung. Besonders schätze ich die Anwesenheit eures geliebten Oberhirten, des Bischofs Rafael Maria Nze Abuy. Ihm und euch allen entbiete ich meinen herzlichen Gruß: Der Friede sei allzeit mit euch! Mein Aufenthalt in dieser Stadt kann nicht so lange dauern, wie ich es gewünscht hätte; dennoch wollte ich unter euch weilen, um euch allen, geliebte Brüder und Schwestern dieser schönen Insel, zu begegnen, seid ihr doch meinetwegen hierhergekommen. Und da viele von euch keine weiten Reisen unternehmen konnten, besuche ich euch; dieser mein Besuch gilt auch allen Bewohnern der benachbarten Inseln, die zu eurem Land gehören. Mein Aufenthalt in Malabo und dann in Bata soll ein Beweis meiner tiefen Liebe zu euch und zu allen Söhnen und Töchtern dieses Landes sein, mögen sie nun auf den Inseln, auf dem Festland oder im Ausland leben, sowie meines Gedenkens, das euch bei vielen Gelegenheiten begleitet und zum Gebet für eure Nöte und Anliegen wird. Meine Reise soll ausschließlich der Evangelisierung dienen; ich bin gekommen, euren Glauben zu stärken und euch in eurer Treue zu Christus und der Kirche zu ermutigen. Ich weiß sehr wohl um euer schweres Los, das ihr in der Vergangenheit oft ertragen mußtet. Deshalb gebe ich meine Freude über die Ausdauer kund, mit der ihr die Treue zu Christus bewiesen habt als Kinder des gemeinsamen Vaters, der uns alle gleichermaßen liebt, uns in jedem Augenblick unseres Daseins begleitet und uns die Kraft gibt, sogar durch den Martyrertod für ihn Zeugnis abzulegen. Zum Gedenken an meinen Besuch hinterlasse ich euch die Worte, mit denen der hl. Paulus die Christen seiner Zeit ermutigte: „Ihr habt Christus Jesus als Herrn angenommen. Darum lebt auch in ihm! Bleibt in ihm verwurzelt und auf ihn gegründet, haltet an dem Glauben fest“ (Kol 2,6 f.). Da ihr eine mehrheitlich katholische Nation Afrikas seid, müßt ihr stets beispielgebend sein in der Eintracht un- 325 Reisen tereinander, in der gegenseitigen Liebe, in der Versöhnungsbereitschaft, in der wahren Respektierung der Rechte des einzelnen Bürgers, der Familie, der Gesellschaftsgruppen. Achtet und fördert die Würde aller, die in eurem Land leben, ihre Würde als Menschen und Kinder Gottes. Möge Er euch stets beistehen, und möge die seligste Jungfrau, die Mutter Jesu und unsere Mutter, euch auf dem Weg des Fortschritts im Glauben und in der Praxis des christlichen Lebens in einem Klima des Friedens, der Rechtschaffenheit des einzelnen und der Gesellschaft und des wachsenden Wohlstands begleiten. Seid bestrebt, als loyale Staatsbürger am Aufbau eines Vaterlandes mitzuarbeiten, in dem Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit herrschen, so wie wir es alle ersehnen. Mit diesen Wünschen umarme ich euch alle in der Liebe Christi und erteile euch - insbesondere den Priestern, Ordensleuten, Katecheten, denjn der kirchlichen Arbeit engagierten Laien und vor allem den Kindern und Kranken - meinen Apostolischen Segen. „Die Nation der Kirche näherbringen“ Ansprache bei der Begegnung mit dem Präsidenten von Äquatorialguinea, Teodoro Obiang Ngueme, in Malabo am 18. Februar Herr Präsident! Mit großer Freude antworte ich auf Ihr Grußwort, das sich auf die Bedeutung meines Besuches in dieser Nation bezog. Ich danke für Ihre edlen Worte und erwidere sie, indem ich Ihnen, Exzellenz, meine Hochschätzung bekunde, die ich für das geliebte Volk Äquatorialguineas, für seine Werte, sein Leben, seine historisch erwachsene Gemeinschaft und seine Zukunftshoffnungen hege. Deshalb ist es mir eine Freude, Sie, Exzellenz, begrüßen zu können, sind Sie doch als Präsident der Nation der symbolische Mittelpunkt, auf den sich die hoffnungsvollen Erwartungen eines Volkes konzentrieren; Erwartungen, die ein soziales Klima echter Freiheit, der Gerechtigkeit, der Achtung und Förderung der Rechte jedes einzelnen 326 Reisen und der Gruppen sowie bessere Lebensbedingungen zum Inhalt haben, damit alle ihre Selbstverwirklichung als Menschen und Kinder Gottes finden. Die freundliche Einladung, Äquatorialguinea zu besuchen, habe ich in der Absicht angenommen, diese Nation der Kirche näherzubringen, die mit tiefer Sympathie auf ihre Kinder blickt und sie in ihrem Streben nach dieser besseren Zukunft, nach der sie sich mit Recht sehnen, ermutigen möchte. In diesem historisch bedeutsamen und schwierigen Augenblick, den ihr Vaterland erlebt, möchte ich Ihnen, Herr Präsident, versichern, daß die Kirche in Äquatorialguinea loyal am Gemeinwohl mitarhei-ten möchte, indem sie ihre Hilfe bei dem moralischen Aufstieg der Menschen anbietet, ihre Mitwirkung an der Versöhnung der Menschen und ihren Dienst auf erzieherischem und sozialem Gebiet. Indem sie all das anbietet, möchte die Kirche der Sache des Friedens und der Hebung der Menschenwürde in all ihren Aspekten dienen, ohne etwas anderes zu fordern als das gerechte Klima der Freiheit, des Verständnisses und der Achtung, das ihr die friedliche Entfaltung ihrer spirituellen und zutiefst menschlichen Mission gestatten möge. Die wohlbekannten schmerzlichen Ereignisse der Vergangenheit haben den Willen der Kirche, Gutes zu tun, nicht verdunkelt. Beweis dafür sind die zahlreichen Initiativen in der Erziehung, der Sozialfürsorge u. a., die so viele vom Ideal des Dienstes am Evangelium beseelte Menschen, vereint mit den Söhnen und Töchtern dieses Landes in dieser verdienstvollen Aufgabe und in Liebe zu ihren Brüdern in Äquatorialguinea, unternommen haben. Ihre Arbeit ist ein Beweis für ihre im Glauben begründete Überzeugung, die, um ständige und auch in Zukunft sichere brüderliche Hilfe leisten zu können, wohl nur einen entsprechenden rechtlichen Status anstrebt, vor allem auf dem Gebiet des Unterrichtswesens. Ich bin überzeugt, daß die seelischen Reserven dieses geliebten Volkes ein solches Klima der gegenseitigen Zusammenarbeit und der Einheit der Absichten fördern werden, dient es doch der Hebung der privaten und öffentlichen Sittlichkeit, die einen echten spirituellen und materiellen Fortschritt herbeiführen soll. An dieser Aufgabe können alle Söhne und Töchter des Landes mitarbeiten, ob sie nun im Land selbst oder außerhalb des Landes leben, sowie alle, die bestrebt sind, über eventuelle Schranken hinweg für das Land zu arbeiten. Ich vertraue fest darauf, daß dank dem Beitrag aller, durch ihren festen Willen, durch das entschiedene Engagement der Verantwortli- 327 Reisen chen des öffentlichen Lebens und die Mithilfe der fähigsten Ratgeber und Mitarbeiter sowie durch die Hilfe der befreundeten Länder Äquatorialguinea die schwierigen Augenblicke überwinden und den Platz finden wird, der ihm in der afrikanischen und internationalen Völkerfamilie zusteht. Mit diesen inständigen Wünschen bitte ich Gott, er möge die Geschicke dieses Landes lenken und dessen Verantwortlichen und Bewohnern seinen reichen Segen schenken. ,, Überwindet alle Ängste und Unsicherheiten“ Predigt bei der Messe in Bata am 18. Februar Geliebte Brüder und Schwestern! 1. Wir sind im Namen Jesu auf diesem „Platz der Freiheit“ versammelt, um sein Wort zu vernehmen, das uns ständig die Frohbotschaft des Heils mitteilt, und um unseren gemeinsamen Glauben an ihn zu bekennen und seine erneuerte Gegenwart in der Eucharistie zu feiern, die zur Speise auf unserer Pilgerfahrt zur ewigen Heimat wird. Es ist tröstlich zu wissen, daß Christus, der Meister, in unserer Mitte ist. Er ist mit dem Papst, der mit Freuden zum erstenmal zu euch gekommen ist; er ist mit eurem geliebten Oberhirten, Bischof Rafael Maria Nze, der soviel für die Kirche gelitten hat; mit den aus Äquatorialguinea gebürtigen Priestern und Ordensleuten; mit den Missionaren, die gekommen sind, um euch brüderlich im Dienst des Evangeliums zu helfen; mit euch allen, geliebte Brüder und Schwestern aus Äquatorialguinea, vom Festland und von den Inseln: mit euch, die ihr hier anwesend seid und mit denen, die durch die Medien mit uns verbunden sind. Alle grüße ich mit dem Apostel Paulus und wünsche: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (7 Kor 1,3). 2. Ja, der Herr ist hier mit uns, die wir in der Liebe zum gemeinsamen Vater vereint und von der Gnade seines Geistes gedrängt sind. Er begleitet uns, die wir Glieder der weltumspannenden Kirche Christi sind, denn „in allen Völkern der Erde wohnt (...) dieses eine Got- 328 Reisen tesvolk, da es aus ihnen allen seine Bürger nimmt, eines Reiches, freilich nicht irdischer, sondern himmlischer Natur“ (Lumen gentium, Nr. 13). Es ist dies ein erstes Gefühl, das uns alle aus ganzem Herzen freut und uns neues Vertrauen einflößt, weil diese kirchliche Gemeinde eine Dimension der Katholizität hat, die für sie wesentlich ist, die nicht übersehen werden kann und die geographischen Grenzen überschreitet, innerhalb deren sie sichtbar zum Ausdruck kommt. Eben deshalb kann sich, wenn man in einer solchen ekklesialen Haltung lebt, der spirituelle Horizont nicht auf die Grenzen einer Gruppe, einer Diözese oder eines Gebietes beschränken, sondern muß für die weiten, brüderlichen Dimensionen offen sein, die grundgelegt sind in Christus, „der als Haupt alles überragt (und) über die Kirche gesetzt (ist). Sie ist sein Leib und wird von ihm erfüllt, der das All ganz und gar beherrscht“ (Eph 1,22 f.). 3. Der Papst wollte zu euch kommen, um das Werk der Evangelisierung auch in eurem Land zu fördern, dieser Evangelisierung, die Wachstum im Glauben, großmütigen Einsatz für die Hebung der Würde jedes Menschen und Treue zu Christus und seiner Kirche bedeutet. Ich besuche euch als Bruder und Freund, als Stellvertreter Christi, an den ihr bereits glaubt, als „Gefangener“ seiner Heilsbotschaft, um eure christliche Gemeinde mit neuem Mut zu erfüllen. Gedrängt von der Verpflichtung, die mir auferlegt ist, das Evangelium zu verbreiten, komme ich in diese Kirche, die ein Teil der Herde Christi und mir als Nachfolger Petri anvertraut ist. Mit seiner Hilfe möchte ich dem Apostel Paulus nacheifern und mich eurer Treue zum Evangelium erfreuen, denn „ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet, den ich euch verkündet habe“ (1 Kor 15 f.). 4. Heute wollen wir Gott dafür danken, daß der Same, den die ersten Missionare im Jahr 1645 aussäten und der erst viel später ständige weitere Verbreitung fand, reiche Frucht getragen hat. Diese kommt in der Tatsache zum Ausdruck, daß die meisten Bewohner der Diözesen Bata und Malabo Katholiken sind. Ich kann mir gut vorstellen, welche Mühen und Opfer die verschiedenen Missionare - Kapuziner, Diözesanpriester, Jesuiten und vor allem Claretiner - auf sich nehmen mußten, die, treu dem Gebot des Herrn, alle Völker zu lehren (vgl. Mt 28,19), große Anstrengungen un- 329 Reisen ternahmen, um ihren Brüdern den Weg des Heils zu weisen. Wir schulden ihnen hier einen Ausdruck des Dankes und der Wertschätzung für diese umfassende Evangelisierung, dank derer die Kirche sich nach und nach unter euch ausbreiten konnte. 5. In diesem Augenblick müssen wir jedoch dem Herrn einen zweifachen Dank sagen, weil die Zahl derer, die an Jesus Christus glauben, nicht nur den derzeitigen hohen Stand erreicht hat, sondern weil sie auch von einem Hirten geleitet wird, der Sohn eures Landes ist, sich meines Vertrauens und eurer Liebe erfreut und weil die Diözesen von Malabo und Bata bereits über 14 Priester, 8 Ordensmänner und zahlreiche Ordensfrauen verfügen, die aus Äquatorialguinea gebürtig sind. Damit kann jedoch den Erfordernissen der Situation nicht Genüge geleistet werden, und deshalb haben sich ihnen etwa 20 Claretiner-Missionare sowie mehr als 100 Ordensleute angeschlossen, welche von den Vereinigungen der spanischen Ordensleute für das Unterrichts- und Gesundheitswesen entsandt worden sind und in Erziehung und Sozialfürsorge wertvolle Hilfe leisten. Euch allen, geliebte Brüder aus Äquatorialguinea und aus anderen Ländern, möchte ich aus ganzem Herzen für den Eifer danken, mit dem ihr euch der Evangelisierung widmet. Inständig bitte ich den Herrn, er möge eure Herzen erleuchten, „damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt“ (Eph 1,18). 6. Einheimische und Wahlguineer, ihr seid einer Aufgabe verpflichtet, zu der euch Gott ohne Unterschied berufen hat. Die Kirche, in deren Dienst ihr so hochherzig euer Leben stellt, ist ja der Schafstall, der Christus zur Türe hat (vgl. Joh 10,1-10), das Ackerland Gottes (vgl. 1 Kor 3,9), Gottes Bau (vgl. 1 Kor 3,9), die Braut Christi (vgl. Eph 5, 25 f.), sein mystischer Leib (vgl. 2 Kor 5,17), das Volk Gottes (vgl. Lumen gentium, Nr. 9). Diese Überlegung muß alle Begeisterung und Einsatzbereitschaft wachrufen, deren ihr fähig seid in der Überzeugung, Gott und nicht den Menschen zu dienen. Um seinetwillen in der Erfüllung einer Aufgabe vereint, die allen gemeinsam ist und niemanden ausschließt, sollt ihr vor allem das höchste Wohl der Kirche und den bestmöglichen Dienst am Nächsten im Auge haben. Was mich betrifft, so bin ich überzeugt, daß ihr „dem Gebot (folgend), das ihr von Anfang an hattet: die gegenseitige Liebe“ (wie es uns der hl. Johannes in der ersten Lesung der heutigen Messe in Erinnerung ruft), großmütig die 330 Reisen Mitarbeiter aufnehmt, die von auswärts kommen, um euch bei der Evangelisierung zu helfen, und daß sie euch ihre Hilfe mit hochherziger Dienstbereitschaft anbieten und darauf bedacht sein werden, die echten Werte dieses Landes zu fördern. Die Mühen der Evangelisierung zielen von sich aus darauf ab, jede Kirche in die Lage zu versetzen, sich ihrer eigenen Kräfte zu bedienen, freilich nicht um sich den anderen zu verschließen, sondern um selbst die anderen Kirchen evangelisieren zu können. So erweist jede ihre volle Reife im Glauben, indem sie das weitergibt, was sie selbst während ihres Wachstums empfangen hat. Gebe Gott, daß die Kirche Äquatorialguineas bald dazu in der Lage sei. 7. In Erwartung des Tages, an dem eure Kirche Kräfte für die Evangelisierung freimachen kann, gibt sie schon jetzt Beweise einer tröstlichen Reife und Treue zum Herrn. Nicht wenige Brüder haben es verstanden, auch inmitten der Verfolgung mutig für ihren christlichen Glauben einzutreten. Wenn auch manche schwach geworden sind, so waren doch die bewundernswerten Beispiele der Treue zu den tiefverwurzelten religiösen Überzeugungen vorherrschend. Diese Beispiele sollen euch neuen Mut für die Befolgung der Lehren des Evangeliums zusprechen: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? ... All das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat“ (Röm 8,35.37). Gebt auch mit der Hilfe des Herrn, in dem ihr alles vermögt, einem in allen Aspekten christlichen Leben neuen Impuls. Wie es uns der hl. Paulus in dem vor einigen Augenblicken gelesenen Brief in Erinnerung ruft, dürft ihr nicht in Ehebruch, Begierde, Götzendienst, Neid, Eifersucht und Ungerechtigkeit leben, sondern sollt Früchte des Geistes, der Liebe, der Eintracht und der gegenseitigen Dienstbereitschaft tragen. Und da ihr Christen seid, sollt ihr als erste im Geist der Bergpredigt leben und durch euer Leben Erbarmen, Gerechtigkeit, Sittlichkeit und Werke des Friedens fördern. Möge euch niemand etwas vorwerfen, weder mangelnde Ehrlichkeit, noch mangelnde Achtung vor dem Nächsten, noch Gleichgültigkeit euren persönlichen, familiären oder sozialen Pflichten gegenüber; wenn man jedoch Übles von euch spricht, während ihr Gutes tut, seid über die Verteidigung eurer Rechte mit allen zulässigen Mitteln hinaus davon überzeugt, daß euch im Himmelreiche Belohnung zuteil wird. Das Wort Christi, das wir im heutigen Evangelium gehört haben, verbürgt uns dies. 331 Reisen 8. Ich möchte diese Predigt nicht beschließen, ohne die verschiedenen kirchlichen Gruppen zu erneuter Treue in ihrem Evangelisierungsauftrag aufzurufen. Ihr, Priester und Ordensmänner, werdet euch eurer Verantwortung und erhabenen Mission in der Kirche, deren Verwirklichung zu einem großen Teil von eurem eifrigen Wirken abhängt, immer besser bewußt. Laßt zu dem Zweck jeden Tag die Gnade, die ihr in euch tragt, aufs neue wirksam werden, durch die Handauflegung und durch euren hochherzigen Einsatz für ein Ideal, für das es sich zu leben lohnt. Von eurer Identität und von den Motivierungen, auf die sie sich gründet, überzeugt, sollt ihr euch ohne Zögern in erster Linie für die Förderung der Berufungen zum Priestertum und zu einer besonderen Weihe an Gott einsetzen, damit diese Personen euch später bei der Erfüllung eurer Heilssendung ablösen können. Ihr Ordensmänner, die ihr keine Priester seid, könnt ebenfalls wertvolle Arbeit für die Kirche vollbringen, indem ihr auf den zahlreichen Gebieten, die eurem Apostolat und eurem Zeugnis offenstehen, euren verdienstvollen Beitrag leistet. Euch Ordensfrauen steht ein weites Gebiet offen, auf dem ihr als Frauen eure besten Energien und Fähigkeiten entfalten könnt. Viele Leistungen können von euch abhängen. Erneuert deshalb, in erneuter Liebe zu Christus, eure Absicht des treuen Einsatzes für die Kirche, für diese Kirche in eurem Land, indem ihr stets den Weisungen eures Hirten folgt, dem ich empfohlen habe, mit besonderem Interesse alles das zu verfolgen, was sich auf euer Leben und eure Eingliederung in die Ortskirche bezieht. Ihr Laien, die ihr in Apostolatsbewegungen, insbesondere im „Cursil-lo“ tätig seid, leistet einen immer entschiedeneren Beitrag zum Leben der Kirche, ohne euch durch die Schwierigkeiten entmutigen zu lassen, denen ihr auf eurem Weg begegnet. Ihr Katecheten oder Verantwortliche der Gemeinden oder Sektoren des kirchlichen Lebens, arbeitet weiterhin am Wohl der Kirche mit, könnt ihr doch in eurem Verantwortungsbewußtsein viel für sie leisten und gleichzeitig den Glauben eurer Mitmenschen unterstützen. Die beste Arbeit, den Sinn eurer christlichen Berufung zu vertiefen, ist der Einsatz für die Festigung des religiösen Lebens der anderen. Ihr Familienväter und -mütter, die ihr mit Freude eure Berufung lebt, Mitarbeiter Gottes bei der Weitergabe des Lebens zu sein, gebt euren Kindern und der Gesellschaft das Beispiel der Achtung für die religiösen und menschlichen Werte, die in eurem Lebensbereich mit be- 332 Reisen sonderer Klarheit zum Ausdruck kommen sollen. Pflegt innerhalb und außerhalb des Hauses eine klare Sittlichkeit, indem ihr treu die immerwährende Einheit der Ehe bewahrt, wie sie der Herr verkündet hat. Möge jedes eurer Heime eine echte Hauskirche werden, wo die Werte und Haltungen klar in Erscheinung treten, welche das Apostolische Schreiben Familiaris consortio aufgezeigt hat. Geliebte Brüder und Schwestern in Christus! Überwindet alle Ängste und Unsicherheiten und baut so mit wachsender Kraft in eurem Land und eurem Herzen die Kirche der Treue, die Kirche der Einheit, die Kirche der Hoffnung. Unsere seligste Mutter Maria möge euch stets dabei helfen. Amen. ,,Bleibt dem Glauben treu!“ Ansprache vor dem Abflug von Bata am 18. Februar Nach diesen wenigen, aber erfüllten Stunden des Aufenthalts in eurem Land ist der Augenblick des Abschieds gekommen. Ich danke euch für die herzliche Aufnahme und für die ständigen Kundgebungen eurer Liebe zu mir, die mich vom ersten Augenblick auf dem Boden Äquatorialguineas bis zu diesem Augenblick des Abschieds begleitet haben. Ich versichere euch meines tiefen Wohlwollens, das immer größer geworden ist, je besser ich euch kennenlernen konnte in euren Straßen und auf euren Plätzen oder in gemeinsamem Gebet vor dem Altar des Herrn. Bleibt dem Glauben treu, den ihr empfangen habt, und pflegt die hohen sittlichen Werte, die allzeit eure Schritte auf dem Weg des Guten führen sollen. Die lebhafte Erinnerung an eure christliche Begeisterung und Herzlichkeit, an das Lachen der Kinder, die hoffnungsvollen Blicke der Jugendlichen, die frohen und leidvollen Erfahrungen der Erwachsenen, die Vorsätze der gottgeweihten Personen begleiten mich. Für alle werde ich weiterhin den gemeinsamen Vater im Himmel anflehen, er möge euch Frieden und Freude schenken, damit ihr stets gute Christen und gute Bürger sein könnt. 333 Reisen Indem ich dem Herrn Präsidenten und den Autoritäten der Nation meinen achtungsvollen Gruß übermittle, gedenke ich aller Bewohner Äquatorialguineas, der Inseln und des Festlandes, und flehe auf alle mit gleicher tiefer Liebe den Segen Gottes und den fortwährenden Schutz Mariens, unserer Mutter, herab. „ Werdet ihr diesen Schritt tun?“ Ansprache an die Angehörigen der freien Berufe, der Hochschulen, die Arbeiter und die Jugend von Gabun in Libreville am 18. Februar 1. Ganz herzlich möchte ich euch dafür danken, daß ihr mich so zahlreich und mit soviel Wärme empfangen habt! Dank auch für die Willkommensgrüße, die eure Vertreter mir eben in eurem Namen ausgesprochen haben! Ihr vergegenwärtigt die wichtigsten Lebensbereiche eures Landes, das wie die meisten Länder Afrikas sich in einem wirtschaftlichen und kulturellen Umbruch befindet, dessen Leben folglich gekennzeichnet ist von eindeutigen Erfolgen und hartnäckigen Schwierigkeiten, von Hoffnungen und Risiken. In diesen Zusammenhang möchte ich meine Worte stellen und euch helfen, eurer persönlichen und gemeinsamen Verantwortung besser zu entsprechen. Ich weiß, daß die meisten von euch der katholischen Kirche angehören, doch möchte ich auch alle jene meiner Hochachtung versichern, die zwar nicht mit uns den christlichen Glauben teilen, aber trotzdem nichts sehnlicher wünschen, als ihren Mitbürgern ohne jede Einschränkung zu dienen. Mein inniger Wunsch ist, daß diese freundschaftliche Begegnung für alle zu einem erhellenden Erlebnis werde, da wir gemeinsam nachdenken wollen über unsere Aufgaben, von denen, erlaubt mir, dies festzustellen, die meine nicht die leichteste ist. Ohne daß ich durch die gewählte Reihenfolge irgendwem den Vorzug gebe - denn ihr habt alle das gleiche Recht auf meine Wertschätzung und Freundschaft -, will ich mich zuerst an die Welt der freien Berufe wenden. Diese vielfältigen und doch in wechselseitiger Beziehung stehenden Berufe sind ein Dienst an eurem Land. Ein jeder von euch hält damit gleichsam einen Schlüssel für die Entwicklung Gabuns in 334 Reisen der Hand, und alle zusammen seid ihr verantwortlich für den inneren Wert dieser Entwicklung. Wie ihr wohl wißt, beargwöhnt die Kirche keineswegs die gesellschaftliche Entwicklung. Vielmehr leidet sie darunter, daß viele, zu viele Länder noch unterentwickelt sind oder bloß des ideologischen Einflusses oder des wirtschaftlichen Profits wegen unterstützt werden. In einer berühmt gewordenen Enzyklika Papst Pauls VI., die nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat, hat die Kirche mit Nachdruck auf diesen Grundsatz hingewiesen: „Entwicklung ist nicht einfach gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Wachstum. Wahre Entwicklung muß umfassend sein. Sie muß den ganzen Menschen im Auge haben und die ganze Menschheit“ (Populorum progres-sio, Nr. 14). Für euch in Gabun, einem Land in kraftvollem Aufstieg, stellt sich nicht nur das Problem, die Stetigkeit und Dauerhaftigkeit dieses Entwicklungsprozesses zu gewährleisten, sondern auch und vor allem, wie dieser Prozeß gelenkt werden soll. Wenn ich so spreche, dann deshalb, weil ich meine, darin eure Sorgen zu erkennen, die ihr angesichts der jetzt entstehenden Gesellschaft empfindet, welche geprägt wird durch stets größer werdende Städte und Landflucht. Es genügt nicht, diese Fehlentwicklungen zu befürchten und zu bejammern. Die Zeit ist gekommen, daß ihr euch zusammenschließt, um die ethischen Grundwerte zu verteidigen und zu fördern, ohne die die Wohlfahrt und Sicherheit eines Volkes über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt sind; davon zeugen bestür-zende Beispiele aus der alten wie der jüngeren Geschichte. Zu diesen bleibenden Grundwerten gehören die heilige Ehrfurcht vor dem Leben, die unverletzliche Würde jeder Person, die Freiheit des Gewissens, der Gedanken und der Religion, die gerechte Verteilung des Reichtums, auch Arbeitseifer und Berufsethos, Brüderlichkeit und Solidarität zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen und den Nationen. Diese Werte, die, bewußt oder unbewußt, im Gewissen der einzelnen wie der Völker verwurzelt sind, müssen ständig und überall geweckt, neu ausgedrückt, besser gelebt werden. Die Generation der Heranwachsenden beginnt übrigens die Leere und gar Sinnlosigkeit zu spüren, die kennzeichnend ist für eine Welt, die sich in das triste Paradies von Produktion und Konsum einschließen läßt. Lassen wir uns warnen durch dieses Zeichen der Vorsehung! Ihr Frauen und Männer, die ihr wichtige Stellungen innehabt in Staat und Politik, Wirtschaft und Industrie, Justiz und Verwaltung, im Gesundheits- und Unterrichtswesen, ihr Christen vor allem, die ihr am Anfang eures Lebens die kostbare Lehre unseres Glaubens 335 Reisen empfangen habt: daß nämlich der Wert des Menschen in seiner Gottebenbildlichkeit gründet und die individuelle wie die universale Geschichte daher ihren Sinn bekommt, weil der Mensch als Mitarbeiter Gottes die Welt aufbaut - ihr alle, reicht einander die Hände, um in Gabun eine neue Gesellschaft aufzubauen, deren Grundlage Menschlichkeit und Solidarität sind! Ich finde es auch wünschenswert, daß ihr von Zeit zu Zeit Gesprächsrunden organisiert zu freundschaftlichen Begegnungen und gemeinsamem Studium, zusammen mit Sachverständigen christlicher oder zumindest übernatürlicher Weltanschauung, um eure Ansichten zu vertiefen und euren Unternehmungen eine klare Ausrichtung zu geben. 2. Was ich eben gesagt habe, gilt auch für die hier anwesenden Angehörigen der staatlichen Universität und ihre Studenten, an die ich jedoch noch speziell einige ermunternde Worte richten möchte. Eure Abordnung erinnert mich an die überaus glückliche Zeit, da ich Studentenseelsorger und Professor für Moral an den katholischen Universitäten von Lublin und Krakau war. Eure Probleme sind mir also gewissermaßen aus eigener Erfahrung bekannt. So erlaube ich mir denn, in voller Hochachtung vor euren Überzeugungen, euch einige meiner Ansichten vorzutragen. Ein Land ohne Hochschulen kann sich nicht entwickeln, weshalb ich eurer vielversprechenden Universität alles Gute wünsche. Jede Universität, die diesen Titel zu Recht tragen will, muß an dem festhalten, was seit jeher und überall das Wesen ihrer Sendung ausmacht, nämlich zu lehren, nicht zu in-doktrinieren, die Wahrheit zu bezeugen, nicht zu verschweigen, die freie Auseinandersetzung der Ideen zu fördern und nicht dem Zwang der Ideologien nachzugeben. Auf diese Weise erwerben sich die Universitäten die Achtung der Staaten und Völker, von denen sie getragen werden. Darf ich noch eine tiefe Überzeugung aussprechen? Die Hochschulstudien dürfen nicht nur dazu dienen, Wissen aufzuhäufen, Diplome zu erwerben, sich einträgliche Stellen zu verschaffen: Wollen sie ihr eigentliches Ziel erreichen, müssen sie den Studenten hinführen zur vollen Reife des Geistes und des Gewissens; sie müssen ihn also zum ehrlichen und selbstlosen Forscher nach der Wahrheit des Menschen heranbilden, der den wahren Fragen des Menschen nachgeht, dem Ursprung, Weg und Ziel seiner Existenz. Dieses Wachstum in der Wahrheit, diese Reifung der innersten Kräfte des Menschen ist es, welche am ehesten dazu befähigt, den verantwortungsschweren Einsatz zu leisten, den heutzutage der Dienst am Gemeinwohl erfordert. Ich bin zutiefst davon überzeugt: Solche Men- 336 Reisen sehen werden in der Gesellschaft am dringendsten gebraucht - in Afrika und anderswo. Es macht die Ehre und Verantwortung der Universität aus, diese Menschen ausbilden zu dürfen. Diese Menschen sind es auch, die in vielfältiger Weise beitragen werden, die Kultur eures Landes aufzubauen, eine Kultur, von der ihr wünscht, daß sie ganz und gar afrikanisch sei, offen, lebenswert, umfassend, also das, „wodurch der Mensch, insofern er Mensch ist, mehr Mensch wird, mehr ,ist‘, vertieften Zugang zum ,Sein‘ findet“. Ich hatte am 2. Juni 1980 Gelegenheit, dieses Thema zu entfalten, als ich anläßlich meines Besuches in Frankreich vor der UNESCO sprach. Liebe Professoren und Studenten, meine besten Wünsche begleiten euch in euren verschiedenen Aufgaben! Ihr werdet mir erlauben, daß ich in ganz besonderer Weise die Verantwortlichen, Lehrer und Schüler der katholischen Schulen begrüße und ermutige. Seit mehr als 130 Jahren leisten die zahlreichen Ordensgemeinschaften Beachtliches auf dem schulischen Sektor in Gabun. Über diesen geschichtlichen Tatbestand seid ihr alle gleicher Meinung, so sehr, daß ihr gewiß gern bereit seid, euren verdienten Erziehern von einst und von heute kräftigen Applaus zu spenden. Wie bereits meine Vorgänger, insbesondere Papst Paul VI., habe ich des öfteren klar und eindeutig daran erinnert, daß die Erziehungsaufgabe schon immer mit der Sendung der Kirche verbunden war. Sie war es, die während des Mittelalters und auch später in allen Teilen Europas Universitäten erstehen ließ. Sie unterstützte vor allem seit dem 16. Jahrhundert die Entwicklung der kleinen Schulen und Kollegien, was sie als Dienst an ihrem Auftrag verstand. Und auch heute ist ihr sehr daran gelegen, diesen Beitrag zu leisten, wo immer ihre Tätigkeit gewünscht und respektiert wird. Dies um so mehr, als niemand der Familie das grundlegende Recht streitig machen darf, ihre Kinder in jene Schulen zu schicken, die ihrer Weltanschauung entsprechen. Freilich kommt es verschiedenen Orts vor, daß das friedliche Nebeneinander von konfessionellen und öffentlichen Schulen immer wieder in Frage gestellt wird. Hoffen wir, daß allenthalben die Verantwortlichen um eine echte Demokratie besorgt und weitsichtig genug sind, nicht irgendwelchen Wunschbildern von einer allgemeinen Gleichschaltung anzuhangen, die sich sehr bald als Verarmung erweisen könnte. Wir wollen auch wünschen, daß die beiden Teile zum besseren gegenseitigen Verständnis finden, zu Gespräch und Zusammenarbeit, da sie ja, ohne ihre Eigenart zu verlieren, sich sehr wohl gegenseitig er- 337 Reisen gänzen können. Auch hier muß vermieden werden, daß Krisen und Auseinandersetzungen auf dem Rücken der Jugend ausgetragen werden; das wäre nämlich ihrer wunderbaren Bereitschaft zur Brüderlichkeit und zum Neuen sehr abträglich. Mein dringender Wunsch geht also noch einmal dahin, daß eure Schulen und Universitäten wahre Stätten gründlicher menschlicher und christlicher Bildung seien. 3. An euch alle, die ihr in den Fabriken und auf den Bauplätzen arbeitet, in den Bergwerken, in der Forst- und Landwirtschaft, richte ich meinen besonders herzlichen Gruß. Viele, die hier zugegen sind, kommen von Port-Gentil, Moanda, Bakumba, Mounana und aus allen Provinzen Gabuns. Viele andere, die nicht kommen konnten, sind mit uns über Radio und Fernsehen verbunden: auch ihnen gilt mein freundschaftlicher Gruß. Jedesmal, wenn ich mit Arbeitern zusammenkomme, muß ich ihnen mit innerer Bewegung bekennen, daß es eine sehr große Gnade in meinem Leben war, fast vier Jahre lang in einem Steinbruch und in der Fabrik gearbeitet zu haben. Vierzig Jahre liegt das nun zurück, doch ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Diese Erfahrung des Arbeiterlebens, seiner schönen Seiten und seiner Mühen, wie auch, auf einer anderen Ebene, der Schrecken, als meine polnischen Landsleute in die KZ verschleppt wurden, haben meine Existenz tief geprägt. Seither bin ich nicht mehr davon losgekommen, dauernd dem Geheimnis, das der Mensch ist, nachzusinnen, und ich fühle mich unwiderstehlich gedrängt, für die Ehrfurcht vor dem Menschen und seiner Würde einzutreten, darin getragen vom Geheimnis Christi, von ihm, der Gott ist und zugleich unser Bruder, um uns zu retten. Deshalb stellte ich an den Beginn meines Dienstes als Bischof von Rom und Nachfolger des Apostel Petrus die Enzyklika Redemp-tor hominis, worin es mir ein Herzensanliegen war, die Christen und alle Menschen guten Willens auf das wahre Angesicht des Menschen hinzuweisen, das so oft entstellt ist durch einen platten Humanismus. Im Namen der Kirche und in Treue zu ihrem Gründer wollte ich die Wahrheit über den Menschen verkünden, indem ich das entscheidende Merkmal seines eigentlichen Wesens hervorhob: die Suche nach dem Unendlichen, seine Empfänglichkeit für das Absolute, seine geheimnisvolle Ausrichtung auf Christus, den Erlöser, der den Menschen den Menschen offenbart. Der Gott-Mensch ist sozusagen der Spiegel, in dem jeder Mensch seine eigenen Züge wiedererkennen 338 Reisen kann, seine Würde, den Wert seiner Handlungen, den tiefen Sinn seines Lebens (vgl. Redemptor hominis, Nr. 10). Aus diesem Grund habe ich letzthin in einem anderen Schreiben - auf den Spuren der großen Päpste, welche sich zum Problem der Arbeiter in den modernen Industriegesellschaften geäußert hatten - versucht, in die Welt der Arbeit das Licht und die Zuversicht Christi und seiner Kirche zu tragen, wo doch so viele Arbeiter häufig in ihrer Würde und ihren Rechten verletzt und den Sachzwängen des wirtschaftlichen Wachstums geopfert werden. Ich will von der Enzyklika Laborem exercens sprechen. Ohne die Ungerechtigkeiten zu verharmlosen, unter denen die Arbeiter zu leiden haben, lag mir doch daran, ihnen die Frohbotschaft in Erinnerung zu rufen und daß es ein „Evangelium der Arbeit“ gibt. Damit meine ich die Berufung des Menschen, die Erde sich untertan zu machen und sich so als Mensch zu verwirklichen. Wir werden nie genug alle Werke - seien sie bescheiden oder großartig - bewundern, die der Mensch im Laufe der Zeit und auf jedem Erdteil geschaffen hat in seiner Einbildungskraft, dank seinem Mut und seiner Hingabe, im Verlangen, das Ergebnis seiner Arbeit mit den anderen zu teilen. Staunen überwältigt uns auch angesichts einer anderen Seite dieses „Evangeliums der Arbeit“, die wir gemeinsam betrachten wollen. Es geht um die kostbare und geheimnisvolle Teilhabe am Erlösungswerk Christi, indem wir die der Arbeit innewohnenden Mühen in der Verborgenheit aufopfern. Der gläubige Arbeiter, der sich im Geist mit Christus, dem Erlöser, verbindet, erreicht mit ihm, durch ihn und in ihm jene Ebene, auf der das Leiden zur liebenden Hingabe an Gott und die Menschen wird und neues Leben zeugt. Ohne diese menschliche und christliche Sicht der Arbeit muß unverständlich bleiben, weshalb der Arbeitseifer eine Tugend sein sollte. Und doch ist es diese Tugend, die dem Menschen dazu verhilft, mehr Mensch zu werden, ihm ermöglicht, eine Familie zu gründen und zu ernähren, ihm auch erlaubt, zur Wohlfahrt und zum Wachstum seines Landes und aller Menschen der Erde beizutragen (vgl. Laborem exercens, Nr. 9-10; Ansprache in Saint Denis/Frankreich vom 31. 5. 1980). Auf der anderen Seite ist festzuhalten, daß die Entstehung der industrialisierten Gesellschaft mit all ihren Folgen dazu geführt hat, daß die Arbeiter sich zusammenschlossen; sie wollten die Entmenschlichung überwinden, die überall dort sich breitmachte, wo das neue soziale und wirtschaftliche Gefüge allzusehr, ja gelegentlich ausschließlich auf das Profitdenken gegründet war. Wenn die Kirche sich nicht 339 Reisen scheut, die Arbeiter zur Pflichterfüllung anzuhalten, so hilft sie ihnen doch auch furchtlos, wenn es darum geht, daß sie ihre Rechte erlangen und durchsetzen: Achtung für jeden Arbeiter, sei er im eigenen Land oder im Ausland, Recht auf einen Arbeitsplatz, auf Sicherheit und Gesundheit, Recht auf eine den menschlichen Bedürfnissen angemessene Arbeitszeit, auf genügend Freizeit, auf gerechten Lohn, auf Sozialfürsorge, auf Respektierung seiner politischen und religiösen Überzeugung, auf gewerkschaftlichen Zusammenschluß usw. Die Kirche weiß sich verpflichtet, mit den Armen und Unterdrückten eins zu sein. Gewiß begreift sie, daß die zweitrangigen Ansprüche nicht sofort und in vollem Umfang befriedigt werden können. Man muß den tatsächlichen, jetzt gültigen Möglichkeiten Rechnung tragen, muß Solidarität üben mit der Nation in ihrer Gesamtheit, muß sich der Eigenart und dem Entwicklungsstand jedes einzelnen Landes anpassen. Und in jedem Fall bleibt die Kirche überzeugt davon, daß die Anwendung von Gewalt die soziale Frage weder wirksam noch dauerhaft zu lösen vermag. Ohne also die Spannungen oder gar die Konflikte übersehen zu wollen, die in der Arbeitswelt bestehen, fördert die Kirche jene Wege, welche zur Begegnung der Sozialpartner führen, zum Dialog, zur aufrichtigen und steten Suche von Übereinkünften, die zwar oft mangelhaft sind, aber doch neue Hoffnungen in sich bergen. Diese Wege der Vernunft, ja mehr noch: Die Wege des Evangeliums sind es, welche die Beziehungen von Mensch zu Mensch in der Tiefe zu verändern vermögen. Ich wünsche dringend, daß in eurer jungen Nation Arbeitnehmer und Arbeitgeber stets auf dem Wege des gegenseitigen Verständnisses und des Einklanges gehen, damit die Entwicklung des Landes wirklich mit dem ganzheitlichen Fortschritt des Menschen Hand in Hand geht. 4. Endlich richte ich mich nun an euch, liebe Jugendliche! Lange habt ihr warten müssen! Ich habe sogar festgestellt, daß ihr meinen Ausführungen bis hierher aufmerksam gefolgt seid - alle Achtung! Schon immer habe ich die Jugendlichen sehr geliebt - damals, als ich in eurem Alter war, aber auch später als Priester und als Bischof und auch jetzt, da mir der Herr aufgetragen hat, ihm an der Spitze der Kirche zu dienen. Ich liebe die jungen Leute, denn sie sind wie der Frühling, der allenthalten anbricht auf der Erde und in jedem Land, voll Licht und reich an Verheißungen. Die Jugendlichen, denen ich begegnet bin, weckten in mir die Gewißheit, daß unsere Welt dank ihnen eine Zukunft hat. Ich habe dies erfahren in Italien, in Mexiko, Polen und Irland, in den Vereinigten Staaten, in Frankreich, Brasilien 340 Reisen und Deutschland, auf den Philippinen und in Japan, und auch bei euch, als ich zum erstenmal nach Afrika kam. Woher kam mir dieser Eindruck? Weil mir schien, daß so viele Jugendliche gesund und hochherzig sind und sich, zum Glücke ernsthaft Sorgen machen um die Grenzen unserer genußsüchtigen Wegwerfgesellschaft mit all ihren Ungleichheiten. Wenn auch die Jugendlichen gelegentlich dem verfallen, weil sie ihrer natürlichen Neigung nachgeben, alles zu erleben und der vorherrschenden Strömung zu folgen, so überwinden doch viele diesen Irrtum wieder. Zur Zeit blühen überall kleine Gemeinschaften von Jugendlichen auf, die durch Nachdenken und im Gebet den Mut finden, gegen den Strom zu schwimmen und sich einer Mentalität und einem Lebensstil entgegenzustellen, die unweigerlich auf die Zerstörung der menschlichen Person und der Gesellschaft hinauslaufen. Ihr jungen Leute von Gabun, die ihr noch zur Schule geht oder bereits im Berufsleben steht, die ihr, zum Teil wenigstens, verschiedenen kirchlichen Bewegungen angehört - der J.E.C., der J.O.C., den Pfadfindern, den GEN, den „Coeurs Vaillants“ und „Ämes Vaillan-tes“ - ich setze mein Vertrauen auf euch, und darum wage ich es, euch alle zusammen und jeden einzelnen aufzurufen, wieder ganz Christus zu folgen. Vielleicht führt ihr als Getaufte ein eifriges Christenleben, und das freut mich. Vielleicht jedoch seid ihr in die Mittelmäßigkeit oder gar in die Gleichgültigkeit abgeglitten. Was vorbei ist, ist vorbei. Jesus hat, wenn er Menschen in seine Nachfolge rief, sich nie um ihre Vergangenheit gekümmert; er hat ihnen vielmehr sein Vertrauen geschenkt und eben dadurch die Zukunft eröffnet. Die Geschichte der Christenheit ist glücklicherweise reich an derartigen Beispielen. Wir wissen, was Jesus aus Petrus gemacht hat, aus ihm, dem Verleugner, was aus Paulus, dem Verfolger der ersten Christen, geworden ist, aus Augustinus, dem Gefangenen eines philosophischen Systems und der eigenen Leidenschaften, und wie Franz von Assisi, schon verstrickt in die Geschäftswelt, sich Frau Armut antraute ... Und auch heute, in unserer Zeit, ist es eindrucksvoll, wie viele junge Leute zu Christus zurückfinden, nach einer gewissen Zeit oder vielleicht nach Jahren der Gleichgültigkeit und Verzagtheit. Oft bieten Gebetsgruppen oder Jugendwallfahrten die Gelegenheit, sich zu entscheiden. Werdet ihr den Schritt tun - frei, hochherzig? Habt keine Angst! Christus ist kein Gaukler, er ist vielmehr der Retter! Er ist gekommen, damit ihr das Leben habt (vgl. Joh 10,10). 341 Reisen Er ist es, der die wahren Antworten auf die eigentlichen Fragen von Sinn und Gestaltung des Lebens zu geben vermag. Euer Leben ist so kostbar! Euer Land braucht eine gesunde, selbstbewußte und mutige Jugend! Eure Pfarrgemeinschaften und Jugendbewegungen haben eure frohe und vorwärtsdrängende Mitarbeit nötig. Die Priesterseminare und Ordensgemeinschaften brauchen Menschen, die bereit sind, „alles zu lassen, um Christus zu folgen“ (vgl. Mt 4,22; 19,21). Wirklich, ich erhoffe mir viel von Gabuns Jugend; darum will ich euch Christus empfehlen und seiner heiligen Mutter. Noch einmal und von ganzem Herzen: Dank allen! Und möge diese Begegnung reiche Frucht bringen für die Kirche in Gabun und für euer geliebtes Land! Erste Aufgabe: die Brüder stärken! Ansprache bei der Begegnung mit den Bischöfen von Gabun in Libreville am 18. Februar Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Mir fehlt die Zeit, die Diözesen Franceville, Mouila und Oyem zu besuchen. Alle Begegnungen finden in der Erzdiözese Libreville, in der Hauptstadt, statt, aber ich wende mich natürlich an alle eure Priester, Ordensleute, Gläubigen und bitte euch, sie meiner Zuneigung zu versichern. Gabun hatte diesen Pastoralbesuch verdient, denn die Evangelisierung der meisten Länder Äquatorial- und Westafrikas ist von hier ausgegangen. Und ich habe nicht die eindrucksvolle Karte vergessen, die mir euer Vorsitzender, Msgr. Felicien Makouaka, gebracht hat, um den Fortschritt zu illustrieren, der Bewunderung auslöst. Bewunderung für den Eifer der Missionare, die mit Ungeduld das Evangelium ihren afrikanischen Brüdern verkündet haben; Bewunderung auch für die Bewohner des Landes, die an das Evangelium geglaubt und die Taufe angenommen haben. Mit einem Wort, ihr seid die Erstlinge des Evangeliums in dieser ganzen Region. Ich teile euren Stolz. 2. Die Kirche von Gabun bleibt auch bemerkenswert durch den rela- 342 Reisen tiv hohen Anteil ihrer Mitglieder an der Gesamtbevölkerung, durch das Netz ihrer christlichen Schulen, ihrer katholischen Verbände und durch die Freiheit, deren sie sich erfreut. Aber ihr seid euch der Grenzen dieser positiven Aspekte voll bewußt, und ihr habt mir in euren schriftlichen Berichten und mündlich eure Pastoralsorgen einfach mitgeteilt: den Mangel an einheimischen Priestern und Ordensleuten, die fehlende Treue zur Berufung, den Mangel an echten christlichen Erziehern, die schwindende religiöse Praxis bei vielen, die mangelnde Entschlußkraft zur christlichen Ehe, die Schwierigkeit, auf das moralische und soziale Klima Einfluß zu nehmen, den noch ungenügend einheimischen Charakter der Kirche. Ihr befürchtet gleichzeitig die Wiederbelebung gewisser heidnischer Bräuche und den schädlichen Einfluß gewisser Aspekte der europäischen Mentalität, die, weit entfernt davon, ein Fortschritt zu sein, in Wirklichkeit ein Verfall des Glaubens und der Sitten sind. In dieser Situation müssen wir uns an die positiven Zeichen halten, und es gibt sie, wie ich in all meinen Ansprachen betone. Ohne die Forderungen des Evangeliums auf ein Minimum herabzuschrauben, müssen wir eine lebendige Hoffnung bewahren: die Hoffnung, daß Gott große Dinge in seiner Kirche wirken kann, nach dem Maß unseres Glaubens und unserer Treue; ich werde in meiner Predigt in der Messe morgen darauf zurückkommen. Erlaubt mir, bei euch vier Punkte zu nennen. 3. Zunächst die Laien: Wie sollte man sich nicht über die Lebendigkeit gewisser Gebetsgruppen, sehr verschiedener Laienbewegungen freuen? Vor allem bemerkt man bei einer wachsenden Zahl von Gläubigen den Wunsch, in Übereinstimmung mit dem Priester und ohne sich dessen spezifische Rolle anzueignen, in den christlichen Gemeinschaften die ganze Verantwortung für Katechese und Animation zu übernehmen, und auch den Wunsch, die Verbindung von Glauben und beruflichem wie gesellschaftlichem Engagement stärker zu empfinden. Freuen wir uns, wenn die Laien anspruchsvoll sind in ihrem christlichen Denken und den Initiativen, die sie ergreifen möchten! Und tun wir alles für die spirituelle und theologische Vertiefung; die sie brauchen. Helfen wir ihnen auch, den Sinn der Sakramente zu entdecken, besonders der regelmäßigen und aktiven Teilnahme an der Sonntagsmesse: Sie müssen lernen, daß sich hier ihre Vereinigung mit Jesus Christus, die Vereinigung für das ganze Leben, vollzieht, die eine Voraussetzung der Heiligung, aber auch ein Mittel, ein Heilmittel für ihre Schwäche ist. Bemühen wir uns, daß die Liturgie mit Würde und in echtem Gebetsgeist vollzogen wird. 343 Reisen 4. Zum zweiten Aspekt: Die Familienpastoral verlangt ebensoviel Unterscheidungsvermögen wie Entschiedenheit. Ihr habt die verwik-kelte Situation der Familien im Licht der römischen Synode sorgfältig analysiert. In der gegenwärtigen Sicht bleiben viele Fälle zweifellos schwierig, und man darf zu ihrer Lösung das, was zum christlichen Sakrament der Ehe und seinen Forderungen gehört, nicht auf ein Minimum einschränken, aber keine Familie darf sich von der Kirche ausgeschlossen fühlen und unfähig, den entscheidenden Weg zur christlichen Fülle der ehelichen Liebe einzuschlagen, wie ich in meinem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio betont habe. Wichtig ist vor allem, das Ideal der christlichen Familie aufleuchten zu lassen, nicht nur in der Theorie, sondern so wie es am häuslichen Herd gelebt wird. Ihr könnt nie genug für die Familienpastoral tun: Ist die Familie nicht der Ort schlechthin, wo die christlichen Tugenden - die die Katechese weiter entwickeln wird - und auch die bürgerlichen Tugenden Wurzeln fassen? 5. Aber die Sorge, die euch mit Recht besonders am Herzen liegt, betrifft die Priester und Ordensberufe. Es ist erschreckend genug, daß die Bemühungen so vieler Jahre - P. Bessieux sorgte sich schon seit seiner Ankunft darum, und 1856 wurde ein Konvikt eröffnet - so wenig Früchte getragen haben. Ich wiederhole: Hier liegt wirklich ein fundamentales Problem, der Test auf die religiöse Lebenskraft und die Bedingung für diese Lebenskraft. Ich weiß, wie sehr ihr nach einer Lösung sucht, auch wenn im Augenblick „expatriierte“ Priester -wie ihr sie nennt, euch helfen, um manchmal fast die ganze Seelsorge sicherzustellen, wie in der Diözese Lranceville. Ich freue mich auch über die brüderliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die zwischen allen besteht. Aber eine stärkere Afrikanisierung des Klerus muß baldmöglichst in Angriff genommen werden. Zur Vorbereitung von Berufen gehört zunächst, den Priesterberuf erstrebenswert zu machen. Dazu trägt das Zeugnis eines eifrigen, ausstrahlenden, selbstlosen Priesterlebens am meisten bei. Es ist wichtig, die Notwendigkeit und die Schönheit des apostolischen Dienstamtes, das der tiefen Erwartung der Gläubigen entspricht, verständlich zu machen. Vor allem aber ist es wichtig, eine große Liebe zu Christus zu wecken, einen Geist des Gebets, eine Atmosphäre der Hochherzigkeit, die den Verzicht auf das Familienleben und eine zweifellos besser bezahlte weltliche Existenz annehmbar machen, um Gott und den Brüdern den höchsten Dienst zu leisten. Vielleicht ist es richtig, eure einheimischen Priester noch mehr an der kirchlichen Verantwortung 344 Reisen teilnehmen zu lassen, denn es ist nötig, daß sie sich daran gewöhnen, die Ablösung auf allen Ebenen zu übernehmen. Möchten sie doch die Überzeugung gewinnen, daß es ungesund wäre, die zweifelhaftesten Aspekte der Diskussion über das Priestertum von gewissen Teilen der Kirche in Europa und anderswo nach Afrika zu übertragen! Wäre das nicht wie eine „Fremdenlegion“ in eurem Land, ohne jeden Zusammenhang mit seinen Problemen? Manche dieser Bemerkungen, die gewiß auch eurer eigenen Überzeugung entsprechen, gelten auch für die einheimischen Ordensfrauen bei euch. Welche wunderbare Rolle könnten sie bei den afrikanischen Frauen spielen durch ihre Verfügbarkeit, wenn sie zahlreicher wären und genügend Nachwuchs hätten! 6. Schließlich eure Verantwortung als Bischöfe: Liebe Brüder, ich ermutige euch, eure Kräfte in einer immer tieferen, herzlicheren und wirksameren Weise zu vereinigen. Ich weiß, daß ihr zahlreiche Probleme habt: Ihr müßt vielen Aufgaben gewachsen sein, mit knappen Mitteln! Aber das könnte eine Aufforderung sein, eure Aktivitäten auf die bischöflichen zu beschränken. Ebenso wie ihr zweifellos eure Priester bittet, sich von gewissen Aufgaben zu befreien, um sich ganz der Evangelisierung zu widmen, möchte ich, daß ihr Wege findet, euch so weit wie möglich von reinen Verwaltungsaufgaben zu befreien - die Priester und kompetente Laien für euch übernehmen könnten - und euch ganz dem zu widmen, was für den Bischof das wichtigste ist: Predigt, Pastoralbesuche, herzliche spirituelle und theologische Stützung eurer Priester, der einheimischen und der anderen, Gespräch mit den im Apostolat Tätigen, damit diese sich bei der Auswahl und Übernahme ihrer Unternehmungen ermutigt und unterstützt fühlen. Eure erste Aufgabe ist, wie die meinige, eure Brüder zu stärken. Ich werde all eure pastoralen Sorgen in mein Gebet aufnehmen und segne euch mit meiner ganzen brüderlichen Liebe. 345 Reisen „Suchen wir noch tiefer nach Einheit“ Ansprache bei der Begegnung mit den Repräsentanten christlicher Bekenntnisse in Libreville am 18. Februar Liebe Brüder und Schwestern in Christus! Es ist für mich eine echte geistliche Freude, im Verlauf meiner apostolischen Reise zu meinen katholischen Brüdern und Schwestern in Gabun mit Ihnen zusammenzutreffen. Die Begegnung mit den Brüdern der Kirchen und Kirchengemeinschaften, die nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, gehört zum Programm meiner apostolischen Reisen und ist ein Zeichen des Willens der katholischen Kirche, ihr Engagement in der ökumenischen Bewegung entschlossen fortzusetzen, erst recht nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Diese Begegnungen wollen, obwohl sie nur kurz sind, auch vor denen, die nicht unseren christlichen Glauben teilen oder Nichtglaubende sind, ein gemeinsames Zeugnis unserer Zugehörigkeit zu Christus, dem Herrn, geben. 2. Das Konzil hat in mehreren seiner Dokumente, vor allem im Dekret über den Ökumenismus, die Zusammenarbeit betont, die unter den christlichen Brüdern überall in der Welt bestehen sollte. Und im Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche heißt es nachdrücklich dazu: „Den religiösen Verhältnissen entsprechend soll man die ökumenische Bewegung so fördern, daß die Katholiken mit den von ihnen getrennten Brüdern, gemäß den Richtlinien des Dekretes über den Ökumenismus, brüderlich Zusammenarbeiten im gemeinsamen Bekenntnis des Glaubens an Gott und an Jesus Christus, ebenso im Zusammenwirken in sozialen und technischen sowie kulturellen und religiösen Dingen, wobei man jeden Anschein von Indifferentismus und Verwischung sowie ungesunder Rivalität vermeiden muß. Der Grund für diese Zusammenarbeit sei vor allem Christus, ihr gemeinsamer Herr. Sein Name möge sie zueinanderbringen! Diese Zusammenarbeit soll nicht nur zwischen Privatpersonen stattfinden, sondern nach dem Urteil des Ortsordinarius auch zwischen den Kirchen oder Kirchengemeinschaften und ihren Unternehmungen“ {Ad gen-tes, Nr. 15). Was mich betrifft, so habe ich in Ausübung meines Lehramts diesen Aspekt oft hervorgehoben. In meinem Apostolischen Schreiben über 346 Reisen die Katechese z. B. habe ich die ökumenische Dimension dieser wichtigen Aufgabe der Kirche unterstrichen und die Bedeutung, die unter diesem Gesichtspunkt eine gesunde Zusammenarbeit mit den christlichen Brüdern besitzt. 3. Ich weiß, daß sich diese in eurem Land auf verschiedenen Ebenen verwirklicht und so die guten Beziehungen zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche von Gabun beweist. Ich denke vor allem, wegen der Bedeutung, die sie hat, an die langjährige Zusammenarbeit zwischen Katholiken und evangelischen Protestanten im Bereich von Rundfunk und Fernsehen. Ich freue mich darüber von ganzem Herzen, denn hier wird ein gemeinsames Zeugnis gegeben, und das dient auch der Sache der Einheit aufs höchste. Ich weiß auch, daß die Gebetswoche für die Einheit der Christen hier jedes Jahr sehr ernst genommen wird. Ich sagte vor einem Monat in der wöchentlichen Generalaudienz, die mir Gelegenheit gibt, zu den Pilgern und Besuchern, die nach Rom kommen, zu sprechen, daß die Gebetswoche „begründete Anlässe zur Freude und Hoffnung bietet“, daß wir aber auch die bittere Erfahrung machen, daß noch nicht alle Divergenzen überwunden sind. Die Worte, die ich damals an die Pilger und Besucher französischer Sprache richtete, möchte ich heute wiederholen, liebe christliche Brüder und Schwestern in Gabun: „Man muß wirklich beten, den Heiligen Geist anflehen, wenn man in einer zureichenden Katechese sich dessen bewußt geworden ist, daß die Spaltung gegen den Willen Gottes ist ... Wir müssen vor dem Herrn, seinem Willen gehorchend, weiter auf die Einheit zugehen.“ Ja, wir dürfen auf diesem Weg nicht haltmachen. Verwirklichen wir unsere Zusammenarbeit soweit wie möglich. Suchen wir noch tiefer nach der Einheit, die der Herr will. Und bekehren wir deshalb unsere Herzen immer mehr entsprechend den Erfordernissen seines Reiches. Mit diesen Gefühlen erflehe ich über euch und über alle, die euch lieb sind, den Segen des allmächtigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Laßt uns nun gemeinsam das Vaterunser beten. 347 Reisen Die Kirche ist „Salz und Sauerteig“ Predigt beim Gottesdienst im Sportstadion von Libreville am 19. Februar Liebe Brüder und Schwestern in Gabun! Ihr seid von der Macht des Bösen befreit worden, weil ihr Gott, unserem Guten Hirten, Glauben schenkt: Lebt zuversichtlich in seiner Liebe! Ihr seid als vollwertige Glieder in die Kirche aufgenommen worden: Übernehmt nun eure Verantwortung, um bei euch dieses geistliche Haus zu errichten! In eurem Familienleben nehmt ihr teil am Geheimnis der Liebe Gottes und am Geschenk seines Lebens: Dieses Geheimnis ist groß! Wie den hl. Petrus fordert euch Christus auf, eure Ängste und Schwächen zu überwinden, um ihm auf dem anspruchsvollen Weg der Seligpreisungen zu folgen: Schreitet voran in der Hoffnung, mit der Kraft des Heiligen Geistes! Das sind vier Aspekte der Frohbotschaft Jesu Christi, über die ich mit euch nachdenken möchte. 1. Der Apostel Petrus, zu dem der auferstandene Jesus am Ufer des Sees in Galiläa gesagt hat: „Weide meine Schafe“, hat, wie ihr wißt, sein Erdenleben in Rom mit dem Martyrium, das er aus Treue zur Liebe Christi erlitt, beendet. Aber ebenso wie über seinem Grab eine prachtvolle Basilika errichtet wurde, so stützt sich auf seinen Glauben seit 2000 Jahren die unermeßliche Kirche Jesu Christi. Aus Krakau hat Gott mich, seinen unwürdigen Diener, nach Rom gerufen, damit ich die Verantwortung des Petrus übernehme, nämlich, die zerstreuten Schafe um Christus, den wahren Hirten, zu sammeln. In Durchführung dieser Mission möchte ich euch einige Worte vorlesen, die eben der Apostel Petrus von Rom aus an Christen in Kleinasien schrieb, die sich vom Heidentum bekehrt hatten: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat. Einst wart ihr nicht sein Volk, jetzt aber seid ihr Gottes Volk; einst gab es für euch kein Erbarmen, jetzt aber habt ihr Erbarmen gefunden“ (7 Petr 2,9-10). Liebe Brüder und Schwestern, das ist eine ermutigende Botschaft, ei- 348 Reisen ne Botschaft des Friedens! Sie ist auch für euch bestimmt, die ihr Christus euren Glauben geschenkt habt. Sicher war Gott euren Vorfahren nie fern, die im übrigen natürlich Tugenden besaßen; aber sie kannten nicht wie ihr das Antlitz des Erlösers. Ihr kennt es. Ihr wurdet auf seinen Namen getauft, im tiefsten Grund eurer Seele vom Einfluß des Bösen befreit, der seit dem Sündenfall den Menschen in Sklaverei und Bosheit in Lüge und Furcht hält. Ihr habt den Heiligen Geist empfangen, der euch die Möglichkeit gibt, euch an Gott zu wenden, indem ihr wie Jesus ihn anruft: „Abba! Vater“ (Röm 8,15). Schon der Prophet Ezechiel verkündete uns einen Gott, der sich um alle seine Schafe kümmert, indem er die verirrten Tiere sucht, die verletzten pflegt und die kranken stärkt (vgl. Ez 34,16). Und Jesus hat uns besser als sonst irgendwer das Antlitz seines Vaters enthüllt, ein Antlitz des Erbarmens, das unter der Sünde leidet, aber bereit ist, dem Sünder zu vergeben, ihn aufzurichten und in das Vaterhaus zurückzuführen. Was er in erster Linie fordert, ist die Liebe, wie Jesus zu Petrus sagte: „Liebst du mich wirklich?“ Ja, Jesus ermöglicht, daß wir uns diesem barmherzigen Gott nähern, daß wir ihn vertrauensvoll bitten, uns weiterhin vom Bösen zu befreien, indem wir selbst uns in Erbarmen üben. Natürlich unterliegt unser Leben, wie das Leben aller Menschen und aller Christen, weiterhin zahlreichen Prüfungen. Durch die Erbsünde wurde das Menschengeschlecht zum Erben einer geschichtlichen Situation der Unordnung, des Bruches mit Gott, wie ihn die Bibel auf globale und geheimnisvolle Weise offenbart; und die unmittelbaren und konkreten Ursachen dieser Prüfungen sind in den normalen Grenzen dieser geschaffenen Welt zu suchen, bisweilen in den schwierigen klimatischen Bedingungen, in unserem Zustand als sterbliche Geschöpfe, in unseren Unachtsamkeiten und Nachlässigkeiten und manchmal auch in den von anderen auferlegten sozialen Ungerechtigkeiten. Mit Christus, dem „Schmerzensmann“, können sie mutig ertragen, geopfert und überwunden werden; man muß vermeiden, sich von der Feindseligkeit anderer beherrschen zu lassen, und noch mehr, eine krankhafte Furcht vor Gott zu haben, „der seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse und es regnen läßt über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 5,45). Liebe Brüder und Schwestern, verbannt, wenn ihr euch von der Sünde - dem einzigen, das zu fürchten ist! - lossagt, jeden Fatalismus, jede unnütze Furcht. Während ihr leidenschaftlich an der Beseitigung der Leiden und natürlichen Schwierigkeiten des Lebens mit eben all 349 Reisen den Mitteln arbeitet, die Gott euch geschenkt hat, setzt euer Vertrauen immer auf den Erlöser, auf ihn allein, indem ihr euch in aller Schlichtheit an ihn wendet. Und zählt auf das gemeinschaftliche Leben eurer Nächsten und besonders der Christen, die Gott aufgerufen hat, wie Brüder zu leben. Das also ist der erste Aspekt der Frohbotschaft: der Friede in Gott. 2. Macht es euch zur Aufgabe, die Kirche in Gabun aufzubauen, „in der die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche wahrhaft wirkt und gegenwärtig ist“, wie in jeder Teilkirche (Christus Dominus, Nr. 11). Die eine Kirche Christi ist euch vorangegangen. Sie ist von ihm gegründet worden und hat sich am ersten christlichen Pfingstfest in Jerusalem zu entfalten begonnen. Sie hat „zum Fundament die Apostel und die Propheten und den Eckstein, der Christus selbst ist“, wie der hl. Paulus uns gesagt hat. Sie ist eine einzige, wenn auch die Christen leider manchmal gespalten sind. Sie schickt manche ihrer Mitglieder in die Mission, um neue Gemeinden zu gründen, so wie es die Missionare vor fast 140 Jahren bei euch getan haben. „Ihr seid in den Bau eingefügt worden..., damit auch ihr durch den Heiligen Geist zur Wohnung Gottes werdet. Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Eph 2,19-22). Die, die euch das Evangelium gebracht haben, so wie sie es selbst empfangen hatten, haben das aus Liebe zu euch getan. Im Glauben wart ihr für sie keine Fremden. Glücklicherweise kommt euch noch immer die brüderliche Hilfe dieser Missionare zugute, die aus einem anderen Land gekommen waren; aber diese Kirche, die aus den Kindern dieses Landes und für sie aufgebaut wurde, muß sich auch und immer mehr auf eure Verantwortlichkeit gründen: auf eure Bischöfe - der Hl. Stuhl legte Wert darauf, daß sie jetzt alle gebürtige Gabuner sind - und auf eure Priester, auf die Ordensmänner und Ordensfrauen dieses Landes, auf die Laien, die Katecheten oder die Verantwortlichen aller Art, kurz, auf alle im Apostolat Tätigen, zu denen ich vorgestern in der Kathedrale gesprochen habe, aber auch auf alle übrigen Getauften und Gefirmten, die ihre Verantwortung in christlichem Geist in ihrer Familie, ihrer Schule, ihrem Beruf, in Gesellschaft und Staat wahrnehmen. Denn jeder beteiligt sich auf seine Weise am Aufbau der Kirche in Gabun. Es geht um ihre dauerhafte Einwurzelung. Es geht um ihre Lebenskraft. Es geht um ihre Authentizität, damit sie zutiefst an die gabunische Seele rührt und Früchte bringt, die den Geschmack dieses Landes an sich haben. 350 Reisen Das Thema dieser Messe ist genau das der Ortskirche. Jede Ortskirche ist, vor allem wenn sie im Gebet um ihren Bischof, den Nachfolger der Apostel und Stellvertreter Christi in ihrer Mitte, versammelt ist, die wichtigste Bekundung des Geheimnisses der Kirche (vgl. Sa-crosanctum Concilium, Nr. 41). In der Person von Msgr. Fernand An-guille, Erzbischof von Libreville, Msgr. Fehden Makouaka, Bischof von Franceville, Msgr. Cyriaque Obamba, Bischof von Mouila, Msgr. Franqois Ndong, Bischof von Oyem, und seines Koadjutors, Msgr. Basile Mve Engone, grüße ich herzlich all eure Teilkirchen, die zusammen die Kirche von Gabun bilden. Diese Ortskirchen werden es selbstverständlich vermeiden müssen, sich auf sich selbst zurückzuziehen. Ihr begreift ja sehr wohl - und dazu beglückwünsche ich euch - die Notwendigkeit eurer Gemeinschaft mit den anderen Kirchengemeinden der ganzen Welt und mit demjenigen, der im Bischofskollegium den Vorsitz innehat, dem Nachfolger Petri. Diese Gemeinschaft bedeutet praktisch auch, daß alle denselben Glauben, dieselbe christliche Ethik, dieselben Sakramente und die wesentliche der ganzen Kirche gemeinsame Disziplin teilen. Diese Bande sollen im übrigen für euch selber immer eine Voraussetzung eurer Treue zum Evangelium, der Authentizität eurer Zugehörigkeit zur katholischen Kirche sein. Aber im Rahmen dieser Bande muß eure gabunische Persönlichkeit zur Entfaltung kommen. Manche werden vielleicht sagen: Wie können wir die Wege zur Übernahme unserer Kirche finden, solange wir nicht selbst über genügend Hirten, Ordensschwestern, pädagogische Mittel, finanzielle Möglichkeiten verfügen, die wir unbedingt brauchen? Der Übergang kann zweifellos nur schrittweise vor sich gehen. Aber das ist nicht so sehr eine Frage größerer Mittel: Viele Kirchen mußten sich heute wie im Anfang und wie bei jeder geschichtlichen Krise, die die Kirche durchmachte und auf die eine Erneuerung folgte, mit bescheidenen Mitteln begnügen. Es ist vielmehr eine Frage der inneren Kraft, der geistlichen Lebenskraft, wie bei dem edlen Lebenssaft eurer prächtigen Bäume, der ihr Laubwerk sprießen läßt - und siehe, damit habt ihr bereits die geistlichen Mittel. Es kommt auch darauf an, daß ein Klima des Vertrauens und der Mitverantwortung herrscht, das es denen ermöglicht, sich an den Initiativen des Apostolats zu beteiligen, die sich damit zufriedengegeben haben, eine Hilfe - oft aus dem Ausland - zu erhalten. Ist das nicht der Weg, den Gott sei Dank, eine gewisse Anzahl von Laien bei euch einzuschlagen begonnen hat oder einzuschlagen hofft? 351 Reisen Gott will, daß sie die geistliche Unterstützung, derer sie bedürfen, finden und aus ihnen recht viele Priester- und Ordensberufe wachsen! Ja, der Geist Gottes wird diese Reife nach dem Maß eures Glaubens zeitigen können. 3. Nach dem Frieden, der von Gott kommt, und der Vitalität der Ortskirche komme ich auf den dritten Aspekt der Frohbotschaft zu sprechen. Es gibt nämlich einen Platz, wo die Kirche ihren bevorzugten Ausdruck finden soll: Das ist die Familie. Das Zweite Vatikanische Konzil zögerte nicht, die christliche Familie als „Hauskirche“, als Kirche im kleinen, zu bezeichnen. Die von den Ahnen ererbten Bräuche in Gabun wie in vielen afrikanischen Ländern prägen noch zutiefst das Wohl der Familien. Sie haben ihnen eine ganze Reihe von Werten in die Wiege gelegt, die für die christlichen Eheleute sehr kostbar sein können; insbesondere verhindern sie, daß sich das Ehepaar auf eine allzu individualistische Sicht beschränkt, weil sie die Eheleute zur Solidarität mit den Familien des Partners verpflichten: Diese können ihren Teil zur Gründung der neuen Familien beitragen und bleiben dafür aufgeschlossen, ihr weiterhin bei der Erziehung der Kinder oder bei auftretenden Prüfungen Hilfe zu leisten. In dem Maße, wie eine derartige Praxis die Stabilität und Einheit der Ehepaare fördert und den Brautleuten die Freiheit ihrer Einwilligung und der persönlichen Verpflichtung läßt, kann sich die Kirche darüber nur freuen. Das, was die Kirche die Christen zu verstehen bittet, ist die unvergleichliche Würde der Verbindung von Mann und Frau im ursprünglichen Plan Gottes und der Sinn des christlichen Ehesakraments: Dieses hat zum Ziel, den Bund der Ehegatten zu erheben nach dem Beispiel des Liebesbundes zwischen Christus und seiner Kirche, sie teilnehmen zu lassen an der Dynamik des Paschamysteriums des Erlösers und so ihr ganzes Leben als Ehegatten zu heiligen und ihm eine Ausstrahlung zu verleihen, die auf sie selbst, auf ihre Kleider, auf das Leben der Kirche und der Gesellschaft zurückfällt. Es fehlt mir die Zeit, hier zu wiederholen, was ich vor kaum zwei Jahren den christlichen Familien von Kinshasa ausführlich dargelegt habe, was die Bischöfe der ganzen Welt auf der Synode im Herbst 1980 bezeugten und was ich selbst für die ganze Kirche in meinem jüngsten Apostolischen Schreiben schriftlich niedergelegt habe. Ich verlasse mich auf eure Bischöfe, daß sie euch die konkreten Möglichkeiten geben, euch mit dem Wesen der christlichen Ehe vertraut zu machen und schon jetzt danach zu leben. 352 Reisen Denkt zum Beispiel an die wahre eheliche Liebe, Quelle und Kraft einer unauflöslichen Gemeinschaft, deren Treue an die unerschütterliche Treue Gottes zu seinem Bund mit den Menschen erinnert. Denkt an die Sorge, die die Kirche dafür tragen muß, daß der Mensch - insbesondere die Frau - weder als „Lustobjekt“ noch als bloßes Mittel der Fruchtbarkeit behandelt wird, sondern daß sie verdient, um ihrer selbst willen vom Gatten geliebt zu werden, auch wenn sie bedauerlicherweise die Fleimsuchung der Unfruchtbarkeit erlebt. Denkt außerdem an die Werte der Achtung, Rücksichtnahme, Verzeihung, des Erbarmens, deren christliches Verständnis die Ehe bereichert. Denkt an die Würde der Vater- und Mutterschaft, in der die Eheleute zu Mitarbeitern des Schöpfergottes werden, weil sie das Leben schenken, und an ihre gemeinsame Pflicht, die Kinder, die sie in die Welt gesetzt haben, zur affektiven und geistigen Reife zu erziehen. Um all das zu schützen, erinnert die Kirche an die Forderungen, die gewiß ernsten Forderungen, die ihren Grund im Evangelium haben und die Anstrengungen und eine Umkehr des Herzens notwendig machen. Aber sie will, daß die Christen zuerst das Ehesakrament als eine Gnade erkennen. Sie umarmt diejenigen mit Erbarmen, die Schwierigkeiten haben, dem voll zu entsprechen, und will nicht den „erzieherischen Weg des Wachsens“ behindern, der die Eheleute weiterführen soll, „zu einer reicheren Kenntnis und einer volleren Einbeziehung dieses Geheimnisses in ihr Leben“ (Familiaris consortio, Nr. 9). Den Familien in Gabun sage ich, wie ich in dem Apostolischen Schreiben geschrieben habe: „Familie, werde, was du bist!“ (Nr. 17). Ich beglückwünsche die christlichen Familien, die bereits dieses schöne Zeugnis geben: Es gibt eine ganze Anzahl davon in diesem Land. Und ich fordere sie auf, die anderen Familien in ihr Kielwasser hineinzuziehen - durch ein Apostolat von Ehepaar zu Ehepaar, so wie ich die ganze Kirche in Gabun auffordere, eine geeignete Familienpastoral zu fördern. 4. Zum Abschluß, liebe Brüder und Schwestern - und das ist der Höhepunkt der Frohbotschaft, die ich euch verkündige -, bitte ich den Herrn für euch um eine lebendige Hoffnung auf dem Weg der Seligpreisungen. Wir haben soeben einige Forderungen des christlichen Lebens erwähnt. In den letzten Tagen habe ich andere verschiedene Schichten des Gottesvolkes daran erinnert, doch immer mit Zuversicht und in einem positiven Ton. Alle diese Forderungen konkretisieren das zweifache Grundgebot: Gott zu lieben mit allen Kräften und den Näch- 353 Reisen sten wie uns selbst, oder besser, wie Jesus uns geliebt hat. Es versteht sich von selbst, daß das Gebet, die Teilnahme an den Sakramenten und besonders an der Eucharistiefeier am Sonntag dafür Ausdruck und wichtigste Nahrung sind. Manche sind versucht, die Kirche um Lockerung ihrer Forderungen zu bitten, zum Beispiel im Hinblick auf die christliche Ehe oder das Priestertum. In Wirklichkeit würde die Kirche - das ahnt ihr wohl alle - dann aufhören, das Salz und der Sauerteig zu sein, von dem Jesus sprach; sie wäre unglaubwürdig, ihre Botschaft wäre schal, zwielichtig und ihr Zeugnis kraftlos. Christus hat uns nicht den bequemen Weg angeboten, sondern den steilen Pfad, die enge Pforte der Seligpreisungen, die in den Augen mancher Menschen eine Torheit darstellt, die aber Gottes Weisheit und Gottes Kraft ist: den Geist der Armut, die Reinheit, den Durst nach Gerechtigkeit, die Freundlichkeit, das Erbarmen, das Trachten nach Frieden, die Geduld in der Prüfung, das Ausharren in der Verfolgung um Jesu willen und überdies die Freude, ja die tiefste Freude: „Selig seid ihr!“ Seht, das kann die heutige Welt erneuern, die an ihrer Unsicherheit oder ihrem Ersatzglück krankt. Die Kirche kann also nicht auf das Geld, die Macht und die Verlockung der Bequemlichkeit setzen, um ihre Probleme zu lösen, sondern auf die Anwendung geistlicher Mittel, die den Seligpreisungen entsprechen. Und wenn sie den Mut hat, das zu glauben und sich dafür einzusetzen, dann eröffnet sich vor ihr ein neuer Horizont, ein neues Pfingsten. Der Weg, der sie in den Fatalismus, in die Entmutigung zu führen schien, der sie in ihrer „Krise“ hätte belassen können, geht in eine andere Richtung. Alles ist möglich, auch wenn die Sünde noch greifbar nahe ist, auch wenn die Versuchungen fortbestehen, auch wenn man sich noch immer schwach fühlt, wenn man nur demütig und voll Vertrauen ist. Und das bestätigte uns die Szene aus dem Evangelium, die wir soeben betrachtet haben. Der Apostel Petrus hat sich gerade erst von seiner Demütigung während der Passion Christi erholt. Es kommt zu einem tiefen Gespräch mit dem auferstandenen Jesus, eine Art von Gespräch, das in eine dreimalige Versicherung einmündet. Jesus kennt seine Schwäche. Aber angesichts des dreifachen Liebesbe-kenntnisses sagt er zu ihm: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe!“ Und er vertraut ihm den Weg der ganzen Herde, der ganzen Kirche an. Der Herr vertraut euch, liebe Bischöfe von Gabun, heute den Weg eurer Kirche an. Was mich betrifft, so bin ich hier, um euch in eurem Glauben, auf eu- 354 Reisen rem Weg zu stärken und die Bande der Gemeinschaft zwischen euch und der Universalkirche, die solidarisch mit euch ist, noch enger zu weben. Ein letztes Wort soll euch den Sinn meiner Mission erläutern. Als der Apostel Petrus vor dem Gelähmten an der Schönen Pforte in Jerusalem stehen blieb, sagte er zu ihm: „Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazaräers, geh umher!“ (Apg 3,6). Im geistigen Sinn sagt heute der Nachfolger Petri, der euren guten Willen sieht, zur ganzen Kirche in Gabun: Ich bin nicht gekommen, um Silber oder Gold zu bringen. Aber fürchte dich nicht. Habe Vertrauen. Im Namen Jesu Christi, geh umher! Amen. Gott segne Afrika und alle Afrikaner! Botschaft an Gabun und ganz Afrika vor seinem Abflug von Libreville am 19. Februar In dem Augenblick, da ich im Begriff bin, dieses Land zu verlassen, möchte ich noch einmal meiner Befriedigung Ausdruck geben. Es war richtig, auf meiner afrikanischen Rundreise einen Pastoralbesuch in Gabun vorzusehen, dem Ausgangspunkt der Evangelisierung in dieser ganzen Region Afrikas: Der Baum der Kirche entwickelte sich tatsächlich von diesem Land aus. Es gehörte sich auch, diese Nation zu ehren, die über beachtliche Fähigkeiten verfügt und sich bemüht, auf allen Gebieten einen Aufschwung zu nehmen. Ich spreche nochmals allen meinen Dank aus, die diesen großartigen Empfang des Papstes organisiert haben: Sr. Exz. dem Herrn Präsidenten der Republik, den Mitgliedern der Regierung und der Verwaltung, den Behörden dieser großen Stadt Libreville, der gesamten Bevölkerung, die mir Wertschätzung, Herzlichkeit und Aufmerksamkeit für meine Worte bekundet hat; den im Glauben so nahestehenden Christen und vor allem den Katholiken, die so glücklich waren, den Stellvertreter Christi zu empfangen. Ich grüße insbesondere die Bischöfe, meine Brüder, und danke ihnen. Im Laufe dieser drei Tage habe ich euch mein Herz geöffnet, um euer Zeugnis entgegenzunehmen und euch mein Bestes zu geben. Möge sich nun jeder von euch 355 Reisen dem Papst näher, von ihm geliebt, gestärkt und ermutigt fühlen auf dem Weg des Guten! Und ich werde euch wahrlich nicht vergessen. Wie ein Sprichwort in der mbede-Sprache sagt: „Otewi holwodo mvudu a nde ha moni“ („Der Kopf denkt an den Menschen, den er gesehen hat“). Gott segne Gabun! Laßt mich jetzt noch eine Botschaft an ganz Afrika hinzufügen, da ich von hier aus am Ende meiner zweiten Reise den Kontinent verlasse. Dieser Aufenthalt hat die Eindrücke bekräftigt, die ich am 12. Mai 1980 beim Abflug von Abidjan geäußert habe. In Rom - bedenkt das wohl - verfolgen wir sehr genau das Leben der afrikanischen Länder durch die Besuche, die wir erhalten, durch die Berichte, die uns die Bischöfe und päpstlichen Vertreter zusenden. Aber ein Besuch bei den Bewohnern erlaubt uns, eine neue Sensibilität zu erwerben. Und dafür danke ich Gott. Euer Kontinent, liebe afrikanische Freunde, unternimmt bewundernswerte Anstrengungen zur Entwicklung in vieler Hinsicht. Das war auffallend in Nigeria, das ist hier und in einer Reihe anderer Länder offenkundig. Die lange Zeit brachliegender Naturschätze wird genutzt, manchmal freilich durch ausländische Gesellschaften. Die hygienischen Schutzmaßnahmen machen Fortschritte, was in diesen Ländern am Äquator mit ihrem drückenden Klima ein wenig Hoffnung bietet. Die politische Reife festigt sich trotz häufiger Schwankungen. Die Städte entwickeln sich, oft leider zum Schaden der ländlichen Zonen, deren Produkte sehr nützlich wären. Viele finden den Zugang zur Bildung nach einem weiterverbreiteten Modell, das häufig von außen importiert wird; gleichzeitig aber gewinnt eine afrikanische Kultur an Selbstbewußtsein. Die zwischenstaatlichen Beziehungen werden auf der Ebene der Regionen, des Kontinents und dann der übrigen Welt enger. Überall lassen sich der Wunsch nach Fortschritt und ein gewisser Enthusiasmus feststellen. Doch außer den Grenzen des Fortschritts trifft man auch auf Befürchtungen und mitunter Ermüdung und Überdruß, Enttäuschungen, sogar ein Nachlassen des Enthusiasmus. Im Namen der Kirche, die sich im Menschen auskennt, stelle ich überall, wohin ich komme, die grundlegenden Fragen: Welchen Fortschritt sucht ihr? Welche Bedürfnisse des Menschen wollt ihr befriedigen? Welchen Menschen wollt ihr heranbilden? Ich spreche hier die Christen, aber auch alle Menschen guten Willens an. Denn alle spüren die zwingende Notwendigkeit, diese Entwicklung unter Kontrolle zu bringen. 356 Reisen Der afrikanische Mensch, wie übrigens die anderen auch, aber mit seinen besonderen Wesensmerkmalen und in einem intensiveren Grad, braucht einen Raum der Freiheit und Kreativität; zugleich hat er einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn, in der Familie, im Stamm, im Volk. Ohne die Wärme der Freundschaft verkümmert er. Die Anonymität mancher Städte, das Fernsein von den Seinen sind für ihn besonders deprimierend und erniedrigend. Für ihn sind die Probleme des Hungers in zahlreichen Gegenden Afrikas noch lange nicht gelöst, vor allem, wenn zu diesem Drama noch die Dürrekatastrophe oder die grauenhaften Auswirkungen von Kriegen hinzukommen. Aber er sehnt sich auch danach, besser geachtet, in seinem afrikanischen Wesen besser respektiert und in seinen Werten besser gewürdigt zu werden. Er braucht Bildung, um seinen Geist zu entfalten und sich auf einen interessanten und für sein Land nützlichen Beruf vorzubereiten. Er muß noch eine Reife erlangen, die mit seiner überlieferten Kultur harmoniert. Er besitzt einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und möchte in Frieden leben. Das menschliche Leben ist für ihn ein großes Gottesgeschenk. Alle, die in ihm rassischen oder ideologischen Widerstand schüren, ja sogar Haß, Krieg und die Lust am Töten entfachen, erinnern an die schlechten Hirten, von denen Christus sprach, die kommen, um zu töten und zu zerstören, statt aufzubauen und das Leben zu fördern. Der afrikanische Mensch besitzt darüber hinaus einen tiefen Sinn für das Mysterium, das Heilige, das Absolute. Auch wenn dieser Instinkt bisweilen der Läuterung und Erhöhung bedarf, ist er doch ein beneidenswerter Reichtum. Er sehnt sich also danach, im Einklang mit dem Herrn der Natur zu leben, befreit von entfremdenden Ängsten, und er ist bereit, in tiefe Gemeinschaft mit dem Gott des Friedens zu treten. Wir fügen noch eine letzte Beobachtung hinzu: Was im Bereich des Dorfes, des Stammes, der Sprachgemeinschaft verhältnismäßig leicht zu lösen war, muß jetzt seine menschliche Lösung in den viel weiteren Beziehungen auf nationaler und sogar internationaler Ebene finden. Das ist ein schwieriges Programm, das eine erweiterte Ethik erfordert. Es geht um die Qualität der Menschen und ihrer Zivilisation. Das sind, in großen Zügen, die Einsichten, die mir bei unseren afrikanischen Freunden die wichtigsten scheinen. Das heißt, es ist normal, 357 Reisen daß die Afrikaner angesichts von Gesellschaftsmodellen, die ihnen die anderen Länder präsentieren, einem reduzierten Humanismus mißtrauen. Sie werden gern die brüderliche, humanitäre, wirtschaftliche und kulturelle Hilfe, die sie brauchen, annehmen, aber nur unter der Achtung ihrer Würde und ihres Ideals; und sie wollen, daß ihnen die Fähigkeit zuerkannt wird, ihrerseits anderen ihr Bestes zu geben. Ich hoffe, daß unsere Sorgen von einer großen Anzahl von Menschen guten Willens auf diesem ganzen Kontinent geteilt werden. Alle die Gott mit aufrichtigem Herzen verehren, sollten besonders sensibel für die Wünsche sein, die Seinem Willen entsprechen. Diejenigen, die den christlichen Glauben teilen, finden in ihm den stärksten Ansporn, um dem Menschen zu dienen, mit dem Christus sich identifiziert hat, und Christus im Menschen zu dienen. Was die Söhne und Töchter der katholischen Kirche betrifft, so bin ich sicher, daß sie mit ihren Kräften diese ganzheitliche Entwicklung fördern werden. An alle meine herzlichen Wünsche für Glück und Frieden! Ich sage heute nicht adieu, sondern auf Wiedersehen! Gott segne Afrika und alle Afrikaner! Verheißungen für ein besseres Morgen Ansprache bei seiner Rückkehr aus Afrika auf dem römischen Flughafen Leonardo da Vinci am 19. Februar <16> <16> Herr Ministerpräsident, ich danke herzlich für die freundlichen Worte, die Sie mir im Namen des Herrn Präsidenten der Republik und der Regierung Italiens bei meiner Rückkehr nach Italien von der Pilgerreise zu den geliebten Völkern Nigerias, Benins, Gabuns und Äquatorialguineas gewidmet haben. Ich danke auch den Mitgliedern des Kardinalskollegiums, die hier anwesend sind, wie auch den Mitgliedern des Diplomatischen Korps, dem Oberbürgermeister von Rom und allen übrigen Autoritäten der Provinz und der Region. Ich danke auch den Vertretern von Presse, Rundfunk und Fernsehen, die mich in diesen Tagen so aufmerksam begleitet haben, ferner den Direktoren, Piloten und dem ganzen Per- 358 Reisen sonal der Luftfahrtgesellschaften Alitalia und Air Gabon, die alles getan haben, um die Flüge sicher und angenehm zu machen. Dankbar bin ich besonders allen, die mich mit ihrem Gebet begleitet haben, um vom Herrn einen guten Ausgang meiner zweiten Pastoraireise nach Afrika zu erwirken. 2. In meinem Herzen bewahre ich eine lebendige Erinnerung an den kurzen, aber eindrucksvollen und reich gefüllten Aufenthalt in jenen Ländern, die reich sind an Naturschönheiten, kulturellen und folklo-ristischen Überlieferungen, besonders aber an lebendigen Impulsen, die eine immer bessere geistige, soziale und wirtschaftliche Entwicklung begünstigen können. Ich danke den staatlichen Autoritäten sowie den verehrten Brüdern im Bischofsamt für die herzliche Aufnahme, die freundliche Aufmerksamkeit, die meiner Person galt, und die gute Organisation, die sie bei den verschiedenen religiösen Kundgebungen sicherzustellen wußten. Mein dankbares Gedenken richtet sich auch an die muslimischen Gemeinschaften, denen ich meine Empfindungen der Freundschaft und die Bereitschaft der katholischen Kirche zu einem echten Dialog in gegenseitiger Achtung zum Ausdruck bringen wollte. Mein Dank gilt in gleicher Weise den führenden Vertretern der getrennten Kirchen, bei denen ich einen hochherzigen Einsatz auf der Suche nach Wegen zur vollen Einheit in der einen Kirche Christi gefunden habe. 3. Die über 14 000 Kilometer, die ich in diesen Tagen zurücklegte, haben mir einen direkten Eindruck von der menschlichen und christlichen Wirklichkeit in den Städten Lagos, Enugu, Onitsha, Kaduna, Ibadan, Cotonou, Libreville, Malabo und Bata vermittelt, von den Schwierigkeiten, mit denen sie noch ringen, aber auch von dem starken Willen, durch geeignete Initiativen auf nationaler und internationaler Ebene ein besseres Morgen aufzubauen. Ich konnte zu meiner großen Befriedigung feststellen, daß das Fundament, oder besser, das einigende Element dieser edlen afrikanischen Völker eine geistliche Sicht des Lebens, die Vorstellung von Gott als erster Ursache aller Dinge, die Respektierung der Menschenwürde und der Sinn für die Familie ist. Doch was mich noch mehr ermutigt hat, ist die Feststellung, daß die Triebkraft des Evangeliums die Werte der afrikanischen Tradition immer mehr belebt und zugleich zu ihrer Entwicklung, Erneuerung und Vervollkommnung beiträgt. Viel davon verdanken wir dem klugen Wirken der Missionare, die beim Ausstreuen des Samens des Gottesreiches gute Arbeit geleistet haben, aber auch der Bereitschaft der edlen afrikanischen Erde, die das Keimen und Fruchttragen außerordentlich begünstigt hat. 359 Reisen 4. Auch diese apostolische Reise - wie im übrigen auch die vorhergegangenen - hatte kein anderes Ziel, als den göttlichen Samen in dieser für die religiöse und bürgerliche Geschichte jener Länder so bedeutenden Stunde weiter auszustreuen. Ich bin dorthin gereist, um das Evangelium Jesu Christi zu verkünden und mit diesen Gläubigen die Gemeinschaft der katholischen Kirche zu feiern; um Zeugnis zu geben von dem Licht, das es dem Menschen erlaubt, Gott und sich selbst zu entdecken; seine ewige Bestimmung, alles das, was ihn zum Menschen macht, seine Existenz auf Erden, ist wert, gelebt zu werden: unter Achtung der unveräußerlichen Werte, in Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden - und Liebe. Ich bin nämlich überzeugt, daß die geistigen und sozialen Probleme, die ein Volk berühren, nur im Licht des Evangeliums eine angemessene Lösung finden können. Durch die Evangelisierung, durch die Mitteilung der Kraft des Evangeliums Christi werden die Ortskirchen geläutert und befähigt, immer mehr Gemeinschaften des Glaubens zu werden, in denen die Armen und Leidenden, die Kranken und Behinderten, die Unterdrückten und Benachteiligten, die Flüchtlinge endlich brüderliche Liebe, Solidarität und Unterstützung finden. 5. Der Herr Jesus möge diese Absichten und Wünsche zum Wohl der Seelen und zum gegenseitigen Verständnis zwischen den einzelnen und den sozialen Klassen fruchtbar werden lassen. Möge er die geliebten Völker, die ich besuchen durfte, weiter umsorgen und beschützen wie auch die Menschen des gesamten afrikanischen Kontinents, der so reich ist an Verheißungen und Hoffnungen für die Zukunft. Auf sie und auf euch, die hier Anwesenden, wie auch auf das ganze italienische Volk rufe ich die reichen Gaben des Glücks und des Friedens herab und spende als Unterpfand dafür von Herzen meinen Segen. 360 Apostolische Reise nach Portugal (12. bis 15. Mai) Reisen „Kleines Vaterland eines großen Volkes“ Ansprache bei seiner Ankunft in Lissabon am 12. Mai Exzellenz, Herr Staatspräsident, Herr Kardinal-Patriarch und meine Herren Erzbischöfe und Bischöfe, sehr geehrte Damen und Herren, liebe portugiesische Freunde! 1. Ich danke Gott, und ich danke allen für die große Freude, mit der ich heute den Boden Portugals betrete. Ich danke Ihnen, Exzellenz, Herr Staatspräsident, für Ihre ehrenvolle Anwesenheit in Ihrem persönlichen Namen und als Repräsentant des gastfreundlichen und angesehenen Volkes dieses edlen „Landes der hl. Maria“, an das ich durch Eure Exzellenz diese meine erste Botschaft richte. Gelobt sei Jesus Christus! Mit diesen Worten der Versöhnung und des Friedens, zur Erneuerung der Herzen und des Geistes in der Liebe habe ich mein Amt als Bischof von Rom und Oberhirte der Universalkirche angetreten; mit ihnen möchte ich euch zu Beginn dieser meiner Pilgerreise nach Portugal begrüßen. Sozusagen als symbolische Begrüßung habe ich soeben den Heimatboden Portugals geküßt. Es ist eine einfache, sich wiederholende, aber bedeutungsvolle Geste, die mich jedesmal neu tief bewegt, die aber einen festen, gleichbleibenden Grund - die eine Liebe Jesu Christi - hat. Den neuen Freunden, denen ich jeweils begegne, weist sie wohl Unterschiede auf. Zunächst bedeutet diese Geste meinerseits Freundschaft, die geweckt wird durch die Freundschaft, die mich umgibt und die in mir eine tiefe Dankbarkeit weckt. Euch allen meinen herzlichen Dank! Ich wünsche, daß dieser Dank von allen angenommen wird, die hier unter verschiedenen Titeln Portugal vertreten und sich um das Zustandekommen meiner Reise bemühten, indem sie mich eingeladen haben und an der Organisation dieser Reise mitarbeiteten; das gilt insbesondere für die kirchlichen Amtsträger, meine Brüder im Bischofsamt, die hierhergekommen sind, um mich im Namen der Kirche dieses Landes, das ich so sehr liebe, willkommen zu heißen. 2. Ich bin nach Portugal gekommen, um einen Wunsch zu verwirklichen, den ich als Mann der Kirche schon lange hege, und mit dem Anliegen, Fatima unmittelbar kennenzulernen; ich bin hier, um den freundlichen Einladungen meiner Brüder im Bischofsamt und Seiner Exzellenz des Herrn Staatspräsidenten nachzukommen und um dem Wunsch vieler Portugiesen zu entsprechen, den diese in zahlreichen Briefen, die mich in 362 Reisen letzter Zeit erreichten, wie auch mündlich zum Ausdruck brachten; ich bin heute hier dank Gott, der „reich ist an Erbarmen“. Diese meine Pilgerfahrt steht unter dem einen Gedanken: Fatima; anschließend werde ich meine Marienpilgerfahrt fortsetzen nach Vila Vicosa, Sameiro und Cidade da Virgem (Stadt der Jungfrau). Auf dem Hinweg nach Fatima und auf dem Rückweg wiederhole ich im Herzen den Dankeshymnus Unserer Lieben Frau, weil Gott mir beim Attentat am 13. Mai des vergangenen Jahres das Leben gerettet hat. So will ich anbetend wiederholen: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter“ (Lk 1, 46—47). Weil mein Besuch auch pastoraler Natur ist, möchte ich gemeinsam mit meinen Brüdern im Bischofsamt und dadurch, daß ich sie stärke, die Gemeinschaft fördern und in Demut und Schlichtheit Christus und seine Botschaft verkündigen und vermitteln: die „menschliche Dimension“ des Erlösungsgeheimnisses kundtun, in der der Mensch die Größe, die Würde und den Wert seines Menschseins finden kann. So empfinde ich, als Hirt mit den Hirten und als Pilger mit der pilgernden Kirche in Portugal, in diesem Augenblick das Bedürfnis, meiner größten Anerkennung und Wertschätzung für die christlichen Traditionen dieses gesegneten Landes Ausdruck zu geben, des kleinen Vaterlandes eines großen Volkes, das stolz ist auf kühne und gar abenteuerliche Taten, die es im Laufe seiner Geschichte vollbracht hat. Diese bot den Söhnen dieser Nation Gelegenheit und providentiellen Anlaß, den Glauben zu verbreiten, den sie in der Wiege empfangen hatten, in einem Werk der Evangelisierung, das die katholische Welt — und nicht sie allein — anerkennt, bewundert und für das sie dankt: Von den Urwäldern des Amazonas bis zu den nördlichen Regionen Japans, über Afrika und Indien wurde der Name Christi von hochherzigen portugiesischen Missionaren verkündet. 3. Aber da man nicht evangelisieren kann, wenn man nicht evangelisiert worden ist, spreche ich hier auch der lebendigen und dynamischen Kirche, die identisch ist mit der Mehrheit des portugiesischen Volkes, meine Anerkennung aus; sie vermochte im Laufe der Jahrhunderte durch Treue zum Erlöser des Menschen - der hier vor allem in seinen Geheimnissen der Passion und der Eucharistie verehrt wird —, durch die Verehrung Unserer Lieben Frau, die zur Königin und Schutzpatronin Portugals proklamiert wurde, und in Treue zum Hl. Stuhl in Rom ihre Entscheidung für Christus aufrechtzuerhalten und der Welt Heilige vom Format eines hl. Antonius von Lissabon zu schenken; ich komme auch, um diesem 363 Reisen universalen Heiligen in diesem Antonius-Gedenkjahr meine Huldigung zu erweisen. Sei gegrüßt Portugal, mit deinem ehrlichen, hochherzigen, geduldigen, arbeitsamen und würdevollen Volk, Land der Märtyrer, Heiligen und heldenmütigen Diener des Evangeliums Christi! Diese kurze Erinnerung und Würdigung deiner Vergangenheit verbindet sich in mir in dieser Stunde der Freude mit dem hoffnungsvollen Blick in deine Gegenwart, von der wir in diesen Tagen sprechen werden, und in deine Zukunft, von der ich wünsche, daß sie für alle deine Söhne, von Minho bis Algarve, von den verschiedenen Inselregionen und wo immer sie sich befinden, erfolgreich, friedlich und glücklich sein möge; ebenso für die über die Welt zerstreuten Auswanderer und für jene, die in die Heimat zurückgekehrt sind und hier ihr Leben neu aufzubauen versuchen; schließlich ergehen an alle ohne Ausnahme meine besten Wünsche. Diese Wünsche vertraue ich jetzt schon im Gebet Unserer Lieben Frau von Fatima an, der Gottesmutter, der Mutter der Kirche und der Völker, unter deren Schutz ich diesen meinen Besuch in Portugal stelle. Zugleich rufe ich auf dieses so geliebte Land den Segen des allmächtigen und barmherzigen Gottes herab. „In tiefer Gemeinschaft mit der Hierarchie“ Ansprache an die Repräsentanten der Laienorganisationen in der Kathedrale von Lissabon am 12. Mai Gelobt sei unser Herr Jesus Christus! Vielen Dank, Brüder und Schwestern, für die Freundschaft und die Freude dieser Begegnung hier, im Herzen des alten und herrlichen, geschichtsträchtigen und von Leben pulsierenden Lissabon! Ich danke Eurer Eminenz Herrn Kardinal-Patriarchen Dom Antonio Ribeiro! Er hat mich soeben mit freundlichen Worten begrüßt und den Gefühlen nicht nur der Gläubigen der Kirche des Patriarchats Lissabon - das hier so ehrenvoll vertreten ist - Ausdruck gegeben, sondern aller, die gern an dieser Begegnung mit dem Papst, der ersten im engeren kirchlichen Rahmen, in der berühmten „casa Lusitania“ teilnehmen würden. Es ist ein Augenblick des Jubels und der Dankbarkeit, sagte Eure Eminenz; und ich wünsche aus ganzem Herzen, daß es auch ein Augenblick der Glückseligkeit und der inneren Erfüllung für alle sein möge, die sicher 364 Reisen sind, daß der Herrn bei uns ist, die wir hier „in seinem Namen“ versammelt sind (vgl. Mt 18, 20). 1. Von der Liebe Christi dazu bewegt, komme ich zu einem Besuch, der pastoraler Natur ist; und ich komme vor allem als Pilger nach Fatima, um dort in Verehrung und Dankbarkeit „das Erbarmen des Herrn“ mit Maria, der Magd des Herrn, zu preisen. Jeder Ort und jede Begegnung -mir ohne Zweifel sehr willkommen - sind auch eine Etappe auf meiner Pilgerreise, um der Gottesmutter zu danken und mit ihr und durch sie dem Allmächtigen, der „Großes an mir getan hat“ (vgl. Lk 1, 49). Historische Sendung in der Weltgeschichte Bei der Vorbereitung auf diese große Begegnung in der herrlichen alten Kathedrale dachte ich an euch und betete mit großer Liebe für euch; und während ich mich über diese Stadt informierte, versuchte ich mir die Figuren der Vergangenheit und der Gegenwart auf dieser Bühne vorzustellen, wo sich allmählich das Reich Christi durchgesetzt hat, woran die eindrucksvolle Statue erinnert, die nicht in der Geste der Macht, sondern der Hingabe jetzt die Stadt beherrscht; Herrschen heißt, für Christus dienen und lieben. 2. In meinem Lob an Gott für das Evangelisierungswerk, das hier vollbracht oder hier begonnen wurde, habe ich an die Festigkeit jahrhundertealter Wurzeln der Katholiken Portugals gedacht, deren Vorfahren ihnen mit der Erfüllung ihrer historischen und religiösen Sendung in der Weltgeschichte - die ohne diese heldenmütigen Vorkämpfer vielleicht anders aussähe - eine an Ruhm und Verantwortung reiche Erbschaft übertragen haben: ein Ruhm, dem ich in dieser Stunde Bewunderung zolle; und eine Verantwortung, die ich, was ihre kirchliche Dimension betrifft, hier hervorheben möchte. Es sei mir gestattet, diese Überlegungen im besonderen an die katholischen Laien zu richten. Seht, Brüder und Schwestern, die ihr hier die Laien vertretet, ich bezweifle nicht, daß ihr um diese Vergangenheit wißt und daß ihr es in ihrem Licht als Ehre empfindet, die Gegenwart zu erleben, und euch bemüht, eine Zukunft zu bauen, die immer mehr dem Plan Gottes, des Schöpfers, Erlösers und Herrn der Geschichte, entspricht. Auf diese Gewißheit, die sich mit der Gewißheit von der Macht des Meisters und Herrn der Kirche verbindet, der „feststehendes Prinzip und beständiges Zentrum des Auftrags ist, den Gott selbst den Menschen anvertraut hat“ (Redemptor hominis, Nr. 11), gründet sich die große Hoffnung, mit der ich auf die katholischen Laien eures Landes blicke. 365 Reisen Die Kirche Gottes in ihrer Gesamtheit und unmittelbar jene, die im ganzen gesegneten „Land der hl. Maria“ lebt, betet, kämpft und hofft, baut auf euch, die ihr bereit seid, mit Christus zusammenzuarbeiten, der nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen (vgl. Mt 20, 28), aus Treue gegenüber dem Vater und aus Treue gegenüber dem Menschen. 3. Ihr habt euch für Christus in der Kirche entschieden; diese Wahl, die mit dem Empfang des unschätzbaren Geschenkes der Taufe ein für allemal getroffen wurde, wurde euch am Tag der Erstkommunion bewußt, durch das Sakrament der Firmung bestätigt und in der Folge durch das ganze sakramentale Leben, dessen „Quelle und Höhepunkt immer die Eucharistie ist“ {Lumen gentium, Nr. 11), gestärkt. Worin besteht nun eure Berufung, Verantwortung und Sendung als Laien? Das wißt ihr wohl: Der Laie gehört zum Volk Gottes, das in dieser Welt auf dem Weg zur himmlischen Heimat ist. Ihr seid von Christus erworben und geheiligt worden, der euch um einen großen Preis losgekauft hat: nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem kostbaren Blut (vgl. 1 Petr 1, 18). Und ihr seid zur Heiligkeit berufen worden, wobei ihr Christus selbst in seiner Ganzhingabe an den Vater und an die Brüder als Vorbild habt: „Wie er, der euch berufen hat, heilig ist, so soll auch euer ganzes Leben heilig werden“ (1 Petr 1, 15). Aber achtet darauf, daß die Heiligkeit weniger ein Verdienst als eine Gnade ist, die euch gewährt wurde: Die Liebe Gottes ist ausgegossen in eure Herzen durch den Heiligen Geist, der euch gegeben ist (vgl. Rom 5, 5). Die Christen haben sich von Anfang an als die in großem Maße vom Herrn Bevorzugten verstanden. Sie kamen zusammen, um zu danken, indem sie gemeinsam das Geschenk schlechthin - die Eucharistie -feierten. Diese Zusammenkunft ist von solcher Bedeutung, daß die Christen sich bald nach ihr benannt haben. Sie selbst sind die Kirche,, und symbolisch gaben sie auch dem Ort der Zusammenkunft den Namen Kirche. Ihr seid von Gott zum Leben in der Gemeinschaft der Kirche berufen worden. Und wiederum handelt es sich um eine Gnade: es war der Herr, der euch in der Kirche zusammenrief, der euch zur Kirche machte, verbunden mit dem ganzen Leib der Kirche, der über die ganze Welt verstreut ist. Die Gnade Gottes, die euch zuteil wurde, ist Zeichen dafür, daß ihr von ihm geliebt werdet. Christsein bedeutet also nicht zunächst die Übernahme einer Menge von Aufgaben und Verpflichtungen, sondern heißt: 366 Reisen sich von Gott lieben zu lassen wie Christus, der vom Vater geliebt wird und sich von ihm geliebt fühlt: „Der Vater liebt mich“ (Joh 10, 17). Unser Glaubensbekenntnis beginnt mit den Worten: „Ich glaube an Gott, den Vater.“ Darin ist die ganze christliche Haltung zusammengefaßt: uns von Gott lieben lassen wie von einem Vater. Jeder von uns wird von Gott geliebt und als sein Kind anerkannt. Deshalb ist es immer möglich, sich vertrauensvoll an ihn zu wenden. Das hat uns Christus, gleichsam als älterer „Bruder“, gelehrt. 4. Als von Gott Geliebte werdet ihr sicher fragen: Was müssen wir als Laien tun? Der Christ darf sich niemals auf eine rein passive Haltung beschränken, darauf, nur zu empfangen. Einem jeden ist aber im Einklang mit der Ausgießung des Geistes zum Nutzen der Gemeinschaft eine verschiedene Gabe gegeben. Von daher, aus der Natur der Getauften selbst, rührt die Forderung nach dem Apostolat in der Kirche, die Sakrament ist, von Christus eingesetzt, um alle Menschen zu erreichen, und deshalb unaufhörlich vom Heiligen Geist beseelt wird. Eure Sendung als Laien ist daher im wesentlichen die Heiligung der Welt durch eure persönliche Heiligung mit dem Ziel, die Welt zu erneuern. Das Zweite Vatikanische Konzil, das sich eingehend mit den Laien und ihrer Rolle in der Kirche befaßt hat, betonte sehr deutlich ihre Ausrichtung auf die Welt. Der Laie ist der Christ, der in der Welt lebt, der verantwortlich ist für den christlichen Aufbau der irdischen Ordnung in ihren verschiedenen Bereichen: u. a. in Politik, Kultur, Kunst, Industrie, Handel, Landwirtschaft. Apostolat des einzelnen Laien Die Kirche muß in allen Bereichen der menschlichen Tätigkeit präsent sein, und nichts Menschliches darf ihr fremd sein. Und ihr seid es in der Hauptsache, liebe Laien, die ihr sie präsent machen müßt. Würde man die Kirche anklagen, in irgendeinem Bereich zu fehlen oder sich um ein menschliches Problem nicht zu kümmern, wäre das gleichbedeutend damit, über das Fehlen kluger Laien oder die mangelnde Mitarbeit von Christen in jenem bestimmten Bereich des menschlichen Lebens bekümmert zu sein. Deshalb richte ich einen inständigen Appell an euch: Laßt nicht zu, daß die Kirche in irgendeinem Bereich des Lebens eurer geliebten Nation fehlt! Alles muß von dem Sauerteig des Evangeliums Christi durchdrungen und von seinem Licht erleuchtet werden. Das zu tun ist euer Auftrag! 367 Reisen 5. Mit dem Apostolat des einzelnen Laien, das in persönlichen Aktivitäten und vor allem im christlichen Zeugnis besteht, müssen sich die Gemeinschaftsformen des Apostolats verbinden, in denen sich die Laien zusammenschließen, um gemeinsam bestimmte Zielsetzungen zu verwirklichen. Die beiden Formen schließen sich gegenseitig nicht aus, sondern ergänzen einander. Keine Gemeinschaftsform des Apostolats ist ohne das persönliche Zeugnis aller Mitglieder wirksam. Andererseits ist angesichts der modernen Anforderungen, die weit über die Fähigkeiten und Möglichkeiten des einzelnen hinausgehen, eine gemeinsame Anstrengung erforderlich, um die Frohbotschaft in das Herz der Zivilisation hineinzutragen. Es gibt viele Bewegungen und Organisationsformen des Laienapostolats; alle sind wichtig und nützlich, wenn sie von echtem Geist kirchlichen und christlichen Dienstes durchdrungen sind. Jede dieser Bewegungen hat ihre eigenen Ziele, mit eigenen Methoden auf ihrem Gebiet und in ihrem Bereich; aber es ist unumgänglich, sich der Komplementarität bewußt zu bleiben und Bande der Liebe untereinander zu knüpfen, so daß der Dialog eine gewisse Verbundenheit der Bemühungen und eine tatsächliche Zusammenarbeit bewirkt. Wir gehören zu ein und derselben Kirche. Wir müssen uns gegenseitig zum Guten anspornen. Wir alle müssen gemeinsam für dieselbe Sache arbeiten. Christus ist nur einer. Auch wenn es viele Dienste und Tätigkeiten gibt, arbeiten wir alle für das gleiche Ziel: nämlich, daß Christus verkündet werde, daß die Menschen zum Heil gelangen, daß dem gemeinsamen Wohl gedient und schließlich daß Gott in allen Dingen verherrlicht werde. In Treue zur Wahrheit 6. Das selbstlose Erleben und mutige Zeugnis eurer Identität geht, das wissen wir, über die bloßen gesellschaftlichen Qualifikationen hinaus; es fordert etwas zutiefst Persönliches, das euch in die „Seinsgemeinschaft“ der Jünger Christi, in den „Weinstock“, der Christus selbst ist, einbezieht, damit ihr mit ihm und mit den Brüdern „eins“ seid und eine Einheit der Kräfte und Absichten bildet, damit das eigene Leben göttlich und menschlich fruchtbar wird und sich die Tätigkeiten gemeinsam entwickeln. Als unerläßliche Forderungen lassen sich schon erkennen: die Pflege des Glaubens und des religiösen Lebens, der häufige Empfang der Sakramente, die Pflicht zu ständigem Gebet und die über den einfachen Nutzen hinausgehende Notwendigkeit der Treue gegenüber dem Stuhl Petri, der 368 Reisen tiefen Gemeinschaft mit der Hierarchie, indem ihr euch gut in die Vorhaben der Ortskirche einfügt, euren Bischöfen anhängt und mit den nationalen Bischofskonferenzen, dem Klerus und den Ordensleuten zusammenarbeitet; dann die Forderung nach wirklichkeitsnah organisierten und von der Liebe geprägten Vereinigungen: „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe“ {Joh 13, 34-35). Der Dialog, die Präsenz und die Eingliederung in die Welt, mit der sich das letzte Konzil so eingehend befaßte, können Furcht auslösen oder in Versuchung führen. Aber ihr wißt, Brüder und Schwestern, daß der Herr auch an die Zeit, in der wir heute leben, dachte, als er voll Liebe empfahl: „Euer Herz beunruhige sich nicht“ (Joh 14, 27). Und als er sich in diesem Zusammenhang an den Vater wandte, betete er für jeden von uns mit den Worten: „Vater, heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit“ {Joh 17, 17). In Treue zur Wahrheit, Brüder und Schwestern, haben wir weiter teil am Königtum Christi, indem wir unseren Dienst tun, wie der Herr und Meister es getan und gelehrt hat. Das ist der Weg: Christen in der Innigkeit persönlicher Vertrautheit; Christen am häuslichen Herd, als Eheleute, Väter, Mütter und Kinder in der Familie, der „Hauskirche“; Christen auf der Straße, als Männer und Frauen, die sich zufällig dort befinden; Christen im Leben der Gemeinschaft, am Arbeitsplatz, in der Begegnung mit Berufskollegen und Unternehmern, in der Gruppe, in der Gewerkschaft, bei der Unterhaltung, in der Freizeit; Christen in der Gesellschaft, ob sie nun ein hohes Amt bekleiden oder einfache Dienste verrichten; Christen in der Anteilnahme am Schicksal ihrer minder begünstigten Brüder; Christen in der Teilnahme am sozialen und politischen Leben und schließlich immer Christen in der Gegenwart und Verherrlichung Gottes, des Herrn über Leben und Geschichte. Und so wünsche ich, Brüder und Schwestern, das Herz erfüllt von Zuversicht und Liebe, daß ihr „auf das, was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert ist, bedacht seid! . . . und der Gott des Friedens wird mit euch sein“ {Phil 4, 8-9). Wenn ihr nun in euer Heim zurückkehrt, bringt euren Familien den Segen des Papstes. Habt Mut! Voll Liebe in Christus erteile ich euch den Apostolischen Segen. 369 Reisen „Das Gebet ist die Seele der Evangelisierung“ Ansprache in der Antonius-Kirche in Lissabon am 12. Mai Sehr geehrter Herr Präsident und geehrte Mitglieder des Stadtrates von Lissabon! Liebe Söhne des hl. Franziskus, meine Brüder und Schwestern! 1. Dankbar für die ehrenvolle Anwesenheit des verehrten Stadtrats und für eure Anwesenheit begrüße ich alle in franziskanischer Freude. Und mit dem Wort des Apostels wende ich mich sofort an die geliebten Franziskaner: „Zunächst danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, weil euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird“ (Röm 1, 8). Und dazu hat in außerordentlicher Weise der hl. Antonius beigetragen, den wir in dieser Stunde und an diesem Ort verehren. Hier, in diesem Haus, das bei passender Gelegenheit in ein Oratorium für die Mitglieder des Lissaboner Stadtrats umgewandelt wurde, ist am Ende des 12. Jahrhunderts der hl. Antonius von Lissabon geboren, der auch Antonius von Padua heißt. Nach einem zutreffenden Ausspruch meines Vorgängers Leo XIII. ist er „der Heilige der ganzen Welt“. Im Monat Mai, genau am 30. Mai, begehen wir den 750. Jahrestag seiner Heiligsprechung, ein Ereignis, mit dem viele volkstümliche Traditionen verbunden sind.) In diesem Jahr wird in der ganzen Welt auch die 800-Jahr-Feier der Geburt des hl. Franz von Assisi gefeiert. Wir haben also doppelt Grund, uns zu freuen. Und ich möchte in dieser Stunde die Worte Papst Pius’ XII. zu meinen eigenen machen und ausrufen: „Exulta, Lusitania felix! Freue dich, glückliches Portugal!“ Insbesondere ihr, Franziskaner und Franzis-kanerinnen Portugals, freut euch! Freuen sollen sich die Autoritäten und die Bevölkerung von Lissabon! Freut euch, alle Portugiesen, über die ganze Welt hin! 2. Die franziskanische Bewegung - und das ist für mich Grund zur Genugtuung und Freude - hat sich tief in die Seele der Bevölkerung Portugals eingeprägt; und keineswegs nur in die des einfachen und ungebildeten Volkes: Wie bekannt hat sich der Heilige Stuhl mehrmals an die Söhne des hl. Franziskus gewandt, damit sie als seine Vermittler und Wortführer vor den Monarchen und dem Adel Zwistigkeiten schlichteten und die Beteiligten mit Demut mehr als mit Härte an ihre Pflichten erinnerten. Die missionarische Berufung der portugiesischen Franziskaner in unmit- 370 Reisen telbarer Nachfolge des hl. Antonius wird in der Tat von Fra Lourengo aus Portugal im 13. Jahrhundert bezeugt, nachdem er von Papst Innozenz IV. in den Orient entsandt worden war.2) Und man weiß, daß die Ordensregel der Minderbrüder ein ganzes Kapitel über die Missionen enthält.) Dieser Geist führte sie nach Afrika, Indien, Brasilien, nach Ceylon und in den Fernen Osten. So weist die Anwesenheit der Söhne und Töchter des hl. Franziskus in Portugal, in den Ländern protugiesischer Sprache auf den verschiedenen Kontinenten reiche Werke der Glaubensverkündigung, der sozialen Hilfe, des Schulunterrichts und Pfarrdienstes auf. Ich möchte hier die Bedeutung der kleinen, bescheidenen Klausurklöster hervorheben, wo der lebendige Geist des Gründers und der hl. Klara fortlebt, wo sie unaufhörlich darum beten, daß die vielfältige und aktive Arbeit der anderen Brüder und Schwestern „nicht den Geist des Gebets und der Frömmigkeit auslösche, dem alle übrigen Dinge dienen sollen“, wie es die Regel sagt.) Wie würde ich mich freuen, wenn ich Zeit hätte, mit euch Betrachtungen über diesen Punkt anzustellen! Das Gebet ist immer die Seele der Evangelisierung, die Seele des ganzen Apostolats, unsere große geistliche Kraft. 3. Inspiriert von der ausstrahlenden Begeisterung für den hl. Antonius auch unter der Jugend gingen vor allem im vorigen Jahrhundert von Portugal verdienstvolle Initiativen zugunsten der Jugend aus, die sich dann auf andere Teile der Welt ausweiteten. Möge diese Erinnerung an den hl. Antonius Ansporn sein, um das franziskanische Interesse für die Jugend zu verstärken im Einklang mit den Weisungen der Universalkirche und im Geiste der Zusammenarbeit mit den Ortskirchen, im Sinn der Ausrichtung des hl. Franziskus und des hl. Antonius. Und ich möchte nicht ohne ein wohlwollendes Wort für den Dritten Orden schließen, von dem ich weiß, daß er unter euch tätig ist und sich erneuert. Es ist die Hoffnung der Kirche und die Zuversicht des Papstes, daß sich der Orden in Übereinstimmung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil durch neue Kräfte und mit dem Enthusiasmus dessen erneuert, der sich als „Sauerteig in der Masse“ und Teilhaber an der Sendung Christi fühlt. 4. Die Biographie des weltweit verehrten wundertätigen Heiligen aus Portugal ist euch, geliebte Söhne und Töchter des hl. Franziskus, wohlbekannt: Von der Domschule hier'nebenan zieht er nach Säo Vicente de Fora und weiter nach Santa Cruz de Coimbra, in Liebe zum Evangelium und zu Gott, auf der Suche nach einer größeren Verinnerlichung und Verlebendigung des Ordensideals, dem er als ganz junger Mann bei den Augustinermönchen gefolgt war. Nach der Priesterweihe in Coimbra läßt 371 Reisen sein sehnsüchtiger Wunsch nach einer radikaleren Antwort auf den göttlichen Anruf in ihm den Vorsatz größerer Hingabe und Liebe zu Gott reifen in dem brennenden Verlangen, Missionar und Märtyrer in Afrika zu werden. Mit diesem Vorsatz wurde er Franziskaner. Die Vorsehung jedoch schickte Bruder Antonius nach Italien und Frankreich. In seinen ersten Erfahrungen als Franziskaner nimmt er, dem Ideal getreu, die Widrigkeiten an und antwortet voll Freude auf die göttlichen Pläne, im vollen Einsatz hochherzigen Dienstes; er predigt und lehrt die Brüder Theologie, in geduldiger Haltung wie der Bauer, der geduldig wartet, bis der Früh- und Spätregen fällt, bis irgendwann der Herr kommt (vgl. Jak5, 7). Was für eine schöne Lebenslehre, Brüder und Schwestern! Er beendet dann sein kurzes Leben, indem er als demütiger Diener das Amt des Ministers oder Obern im Orden ausübte. Zu seinem Tod im Alter von kaum vierzig Jahren könnte man die Worte aus dem Buch der Weisheit wiederholen: „Früh vollendet, hat der Gerechte doch ein volles Leben gehabt“ ( Weish 4, 13). Seine Lehre und seine Predigt sowie sein Leben als Ordensbruder und Priester sind gekennzeichnet von seiner Liebe zur Kirche, wie sie von der Regel empfohlen wird. „Ein kundiger Ausleger der Heiligen Schrift, ein ausgezeichneter Theologe bei der Erforschung der Dogmen, ein berühmter Lehrer und Meister bei der Behandlung von asketischen und mystischen Themen“, wie Papst Pius XII. schrieb65, verkündet er mit aller Eindringlichkeit das Wort Gottes (vgl. 2 Tim 4, 2), getrieben vom Wunsch des Verkündigers, „die Verirrten auf die rechten Wege zurückzuführen“. Er tut dies jedoch mit der Freiheit des Herzens eines Armen, treu gegenüber Gott und treu seiner Antwort an Gott, in Anhänglichkeit an Christus und in Übereinstimmung mit den Weisungen der Kirche. Eine wahre Gemeinschaft mit Christus verlangt, daß in der Praxis ein wirklich harmonischer Einklang mit der von den legitimen Hirten geleiteten Kirche gepflegt wird und besteht. 5. Der „Doctor Evangelicus“ spricht auch zu den Menschen unserer Zeit, indem er sie vor allem auf die Kirche als Werkzeug des Heils Christi hinweist. Die ehrliche Sprache des Heiligen und seine wunderbar wiedergefundene Stimme scheinen die Ewigkeit seiner Botschaft sicherzustellen. Die Stimme von Bruder Antonius ist durch seine Predigten noch immer lebendig und durchdringend; insbesondere seine Leitlinien enthalten einen lebendigen Appell an die Ordensleute unserer Tage, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil dazu aufgerufen wurden, die Heiligkeit der Kirche und die Treue zu Christus als Mitarbeiter der Bischöfe und Priester zu bezeugen.75 372 Reisen Sehr bekannt ist der Grußbrief des hl. Franziskus an Bruder Antonius, wo er schreibt: „Es freut mich, daß du die Brüder Theologie lehrst, wenn du nur bei diesem Studium den Geist des Gebets und der Frömmigkeit nicht auslöschst, wie er in der Regel enthalten ist“.85 Und ein hochgeschätzter Theologe versichert, daß der „Doctor Evangelicus“ diesem Prinzip treu zu bleiben vermochte: „. . . das Beispiel Johannes des Täufers begeisterte ihn; und aus dieser Begeisterung wurde Licht: eine Lampe, die brannte und leuchtete“.95 Aus diesem Grund erscheint der hl. Antonius in der Geschichte als Vorläufer der Franziskanischen Schule, die von der theoretischen und praktischen Zielsetzung des Wissens bestimmt ist. 6. Liebe Brüder und Schwestern! Ich weiß, daß der Herr Kardinal-Patriarch, der Stadtrat von Lissabon und die franziskanische Ordensfamilie Anstrengungen unternehmen, um in dieser Stadt eine große Kirche zu errichten, die künftige Kathedrale, die dem hl. Antonius geweiht sein soll, auch um der Verehrung der über die Welt verstreuten portugiesischen Gemeinden ein Denkmal zu setzen. Eine schöne und lobenswerte Initiative! Gebe Gott, daß sie alle Portugiesen um den großen hl. Antonius versammle, in Einheit des Glaubens und im Einklang der Herzen zur Ehre Gottes. Doch dieser irdische Tempel muß vor allem Ausdruck euer selbst sein, die „ihr euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen laßt“ (vgl. 1 Petr 2, 5), mit dem Leben, dem apostolischen Amt und Dienst, die immer Träger der Werte des Evangeliums sein müssen. Möge das Beispiel des hl. Antonius euer Herz tief durchdringen, damit ihr als Verkünder des Heiles und der Güte Christi und als Diener seiner Kirche durch das Zeugnis und die Verkündigung der Frohbotschaft sein Werk fortsetzt. Euer geweihtes Leben und eure Mitwirkung bei der Verbreitung des Evangeliums sind für mich in meiner Sendung als Oberhirte der Gesamtkirche Grund zu Ermutigung und Freude. Möge Gott euch beistehen und viele andere dazu berufen, Christus im Ordensleben nachzufolgen im Geist des „Poverello von Assisi“, so wie der hl. Antonius sich mit diesem Geist zu identifizieren wußte. Durch seine Fürsprache erbitte ich allen „Friede und Heil“ mit meinem Apostolischen Segen. Anmerkungen ') vgl. Leon de Kerval, Sancti Antonii de Padua Vitae duae (Paris 1904), 116-117. 2) Vgl. Antonio Franchi, La svolta politico-ecclesiastica tra Roma e Bisanzio 1249-1254 (Rom 1981), 15, 16, 37, 74, 123, 127, 128, 161, 214. 3) Regula Bullata, cap 12, Regula non Bullata, cap, 16, ed. Caietanus Esser OFM, Opuscula Sanctis Patris Francisci Assisiensis (Grottaferrata 1978), 237-238, 268-271. 373 Reisen J) Regula Bullata, cap 5. ed Esser. Opuscula. 231. 5) Regula non Bullata, cap. 17, ed. Esser, Opuscula, 271. 6) Papst Pius XII., Apostol. Schreiben Exulta Lusitania Felix, AAS 38 (1964) 201. Lopes, S. Antonio de Lisboa. 296-297. 7) S. Antonii Patavini. O. Min. Doctoris Evangelici Sermones Dominicales et Festivi, Dominica II de Adventu (II, Padua 1979), 478^-91. Henrique Pinto Rema OFM. Santo Antonio de Lisboa. Obras Completas, III (Lissabon 1970), 39-43. 8) Epist. ad Sanctum Antonium, ed. critica Esser. Opuscula cap IV, 95. Henrique Pinto Rema OFM, Santo Antonio de Lisboa. Obras Completas, I (Lissabon 1970), XVII. 9) Vgl. Francisco da Gama Caeiro, Santo Antonio de Lisboa, I (Lissabon 1967), 147-148. Der Sendungsauftrag Portugals Grußbotschaft an den portugiesischen Staatspräsidenten in Lissabon am 12. Mai Hochverehrte Exzellenz Herr General Antonio Ramalho Eanes, Präsident der portugiesischen Republik! 1. Ich bin Ihrer Exzellenz sehr dankbar für die feinfühlige Gastfreundschaft, mit der Sie mich soeben empfangen haben. Und ich möchte Ihnen in diesem Augenblick noch einmal für Ihre ehrenvolle Anwesenheit auf dem Flugplatz bei meiner Ankunft in Portugal danken. Durch Ihre Exzellenz danke ich auch dem ganzen geliebten portugiesischen Volk und seinen hervorragenden Repräsentanten für den Einsatz und die Bereitschaft, mit der sie meine Reise in das „Land der Heiligen Maria“ möglich gemacht haben. Was diese Bereitschaft angeht, möchte ich die Einladung hervorheben, die von Ihrer Exzellenz an mich persönlich ergangen ist; Sie haben sich dem Wunsch der Bischöfe Portugals angeschlossen, der schon vor langem vom Herrn Kardinal-Patriarchen von Lissabon, Msgr. Antonio Ribeira, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Portugiesischen Bischofskonferenz ausgesprochen worden war. Die ganze spürbare Hochachtung - diese Einladungen und Ehrenbezeigungen, mit denen man den Nachfolger des hl. Petrus auf dem Römischen Stuhl ehren wollte - bezieht sich natürlich nicht auf meine Person: Die Ehrerbietung gilt dem Oberhirten der Universalkirche, der persönlich Portugal besucht; sie gilt letzten Endes dem Herrn und Meister der Kirche, Jesus Christus, der ein unauslöschliches Heimatrecht in der Geschichte des Menschen besitzt. 374 Reisen Ich bin zu einem Pastoralbesuch in Portugal; und vor allem auf einer Pilgerfahrt nach Fatima; und gleichzeitig freue ich mich, den Geboten der Freundschaft nachkommen zu können, der alten Freundschaft, die zwischen diesem geliebten Land und dem Heiligen Stuhl in Rom besteht. Historische Beziehungen zu Rom 2. Die Bande zwischen Portugal und dem Römischen Stuhl des Petrus sind in der Tat sehr alt. Der Augenblick, da in der Heimat der lusita-nischen Stämme zur Römerzeit auf der Iberischen Halbinsel zum ersten Mal der gesegnete Name Christi erklang, verliert sich im Nebel der Geschichte. Und damals haben die Stämme Lusitaniens mit dem christlichen Glauben auch die Kirche angenommen, die Jesus Christus selbst auf dem „Felsen“ Petrus errichten wollte, dem er die Verantwortung für das Lehramt und den Dienst am ganzen über die Erde verstreuten Volk Gottes anvertraut hat. Schrittweise wurden organische Beziehungen hergestellt als Ausdruck der Liebe und Treue zu der einen, katholischen Kirche bei den Gläubigen der Diözesen dieser Regionen zwischen Braga und Ossonoba, in den Grenzen des Gebietes, das heute von Minho bis Algarve reicht. Rückblickend glaube ich behaupten zu können, daß die Liebe der Gläubigen dieser Gebiete zum Römischen Papst nur übertroffen worden sein dürfte von ihrer frommen Verehrung für Christus, den Erlöser - in den Geheimnissen der Passion und Eucharistie —, und zur Muttergottes, die unter dem Titel eines ihrer schönsten Vorrechte - der Unbefleckten Empfängnis — zur „Königin“ und Schutzpatronin Portugals bestimmt und ausgerufen wurde); diese Frömmigkeit beseelt ständig den Gottesdienst und das Festhalten an den übrigen religiösen Pflichten, die tiefe Zeichen in der Geschichte und im Leben des geliebten portugiesischen Volkes hinterlassen haben. Wie man weiß, möchte die Kirche überall, wo man ihr begegnet, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung ihrer Mitglieder dienen können, die ja zugleich Mitglieder einer bestimmten politischen Gemeinschaft sind. Aufgrund ihrer geistlichen Sendung und Zuständigkeit verbindet sie sich natürlich nicht mit einer bestimmten Gesellschaft und bindet sich an kein politisches System; aber sie will überall Zeichen sein für die transzendentale Bestimmung des Menschen; und das tut sie, indem sie die Wahrheit des Evangeliums verkündet und durch ihre Lehre und das Zeugnis ihrer Gläubigen alle Bereiche menschlichen Wirkens erhellt.2) 375 Reisen In dieser Sicht stellen sich also die Beziehungen der portugiesischen Nation zum Stuhl Petri dar, die, wie man weiß, im Laufe der Zeit die feste Form der Anerkennung und Verbindlichkeit angenommen haben (vor drei Jahren konnte ich in diesem Sinne zu meiner Freude in der Kirche des hl. Antonius der Portugiesen in Rom am Festgottesdienst zu seiner 800-Jahr-Feier teilnehmen). Der Pflicht bewußt, die ihr von der Sendung auferlegt wird, den Menschen zu helfen, die nach einer Antwort auf die ewige Frage nach dem Sinn des gegenwärtigen und zukünftigen Lebens und der Beziehung zwischen beiden suchen, hat die Kirche auch hier immer versucht, mit dem Menschen zu gehen, aus dem Wunsch heraus, ihm einen Dienst zu erweisen. In diesem Licht ist der Weg zu sehen, der von der Kirche und von Portugal durch seine freundschaftlichen Beziehungen zum Römischen Stuhl gemeinsam zurückgelegt wurde und der dem Land in der Person seiner Könige durch meinen Vorgänger Benedikt XIV. den Ehrennamen der „treuesten“ Nation eingebracht hat.3) 3. Wie das anderswo und bei anderen Völkern vorkommt, zeigt sich auch die Geschichte Portugals nicht frei von dem Wechsel aus Licht und Schatten in den verschiedenen Aspekten des Lebens seiner Bevölkerung, doch auf dem Grund von all dem bestehen gleichsam als Koordinaten viele Dinge weiter, die nicht geändert wurden und nicht geändert werden können. Die Kirche glaubt - wie man weiß - wirklich, daß „der Schlüssel, der Mittelpunkt und das Ziel der ganzen Menschheitsgeschichte in Jesus Christus gegeben ist, der derselbe ist gestern, heute und in Ewigkeit“.4) Und Portugal hat sich insgesamt, mit der Mehrheit seiner Bevölkerung, in den grundsätzlichen geschichtlichen Entscheidungen für Christus, den Erlöser des Menschen, entschieden, wie die Wappenfelder der Nationalflagge und das Kreuz auf seiner Karavelle in der Heldenzeit der Entdek-kungen zu beweisen scheinen. Immer ist Christus das Angebot der Kirche, die in die Zeit und den Raum der Welt gestellt ist und dadurch mit dem Menschengeschlecht und seiner Geschichte wirklich und aufs engste verbunden ist; sie hat den Wunsch, dem Menschen in seiner Würde und seiner Öffnung für den Geist, in der vollen Wahrheit seiner Existenz, seines persönlichen und zugleich gemeinschaftlichen Seins, zu dienen.5) Unter den wechselvollen Ereignissen, die in der Geschichte und im Leben Portugals hervorragen, fällt an erster Stelle das Phänomen der Abwanderungen ins Auge, die in ferne Zeiten zurückreichen: Viele seiner Söhne verließen in der Vergangenheit wie auch heute die Heimat unter Trennungsschmerz und Momenten der Unsicherheit, um anderswo nach einer 376 Reisen Verbesserung der Lebensbedingungen zu suchen. Der Verlust dieser Söhne, zweifellos ein Verlust für dieses Land, brachte für die Länder, in denen sie sich niederließen, gewöhnlich einen Vorteil mit sich. Unter denen, die, um zu überleben, oder aus anderen Gründen von hier aufbrachen, befanden sich auch Tausende, die leidenschaftlich begeistert von ihrem Ideal Christus waren - die portugiesischen Missionare -, die mit dem Schiff von hier aufbrachen, um das Christentum in die verschiedenen Kontinente zu tragen. Ein historisches Denkmal dafür, das - wie ich unterrichtet wurde - noch immer besteht, ist der sogenannte „papiar christiano“, was in einigen Gegenden Südostasiens soviel heißt wie „portugiesisch sprechen“, der es erlaubt, in allen Teilen der Welt zahllose Männer und Frauen als von den Portugiesen christianisierte Katholiken und ihre Nachkommen auszumachen. Diese tapferen Missionare, die Diener Christi und seiner Kirche und der Ruhm Portugals waren, brachten mit ihrem glühenden Eifer, mit ihrer totalen, hochherzigen Hingabe so vielen in der Welt verstreuten Brüdern geistliche Hilfe, versäumten es dabei aber nicht, auch zu ihrer Entwicklung beizutragen, indem sie ihnen behilflich waren, Fortschritte in der Befriedigung ihrer grundlegenden Lebensbedürfnisse zu machen und die Menschenwürde hochzuhalten. Während sie also die Frohbotschaft vom Heil verkünden, bieten sie zugleich einen menschlichen Dienst an; und auch dafür verdienen sie unsere Bewunderung und Anerkennung. 4. Die Portugiesen, die zu Hause gebheben sind, haben ihre Geschichte nicht ohne Schwierigkeiten erlebt, aber sie vermochten im Verlauf dieser Geschichte außergewöhnliche Eigenschaften, wie Mut, Widerstandsfähigkeit in Prüfungen und Gefahren und Ausdauer, an den Tag zu legen, Eigenschaften, welche die sittliche Verfassung und die geistige Kraft kennzeichnen, die heute wie gestern den Söhnen und Töchtern dieser Nation in ihrem Lebenskampf helfen und sie beseelen müssen, während sie erhobenen Hauptes mit Würde und Hoffnung in die Zukunft blicken. Mit der verantwortungsbewußten Teilnahme und dem hochherzigen Beitrag zum Gemeinwohl aller müssen weiterhin die Beseitigung der Armut, die Hilfe für die Randgruppen der Gesellschaft oder die völlig Entwurzelten, die Aussicht auf Arbeit für alle - insbesondere die lebhaften Jugendlichen dieses Landes -, die Strukturierung der Lebensverhältnisse, Hilfe und Sicherheit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, was für das Gesundheitswesen, Unterricht, Arbeit, Familie und Alter gilt, ein entschiedenes gemeinsames Engagement eines Volkes darstellen, das sich der typischen Werte seiner Gemeinschaft bewußt und stolz darauf ist, diese Werte im politischen und gesellschaftlichen Leben zu bezeugen. 377 Reisen Das Geschichtsbewußtsein und der christliche Glaube der Portugiesen, der sich nicht von der Forderung nach einer ehrlichen Beziehung zur Wahrheit als Vorbedingung der echten Freiheit trennen läßt, sollten sie auch heute unbedingt davon überzeugen, daß nur die Liebe aufbauen kann, ohne deshalb den berechtigten gesunden und verantwortlichen Pluralismus auszuschalten; und daß der Schlüssel auch zur Lösung ihrer Probleme und ihres Glücks in dem menschlichen und christlichen Sinn der Werte besteht, sich an der Gerechtigkeit erwärmt und in der Solidarität, Brüderlichkeit und Liebe unter den Menschenbrüdern sein Maß findet. Eine Kraft für die Verständigung der Völker 5. Es ist mein Wunsch, daß Portugal, seiner geschichtlichen Leitlinie folgend, mit seinem Charisma der Universalität und der mühelosen Integration auch weiterhin eine Kraft für die Verständigung zwischen den Völkern sein möge, besonders zwischen denen, die enge kulturelle Verwandtschaft zu ihm besitzen. Die portugiesischen Emigranten und Missionare sind in alle Teile der Welt gegangen und haben, wo sie eintrafen, den Namen ihres Landes geliebt und hochgehalten. Möge das auch weiterhin Quelle der menschlichen und geistlichen Inspiration für ihren Platz in der Welt sein und Portugal den Ruhm seiner leuchtendsten Tage erhalten. Die „Casa Lusitana“, das „portugiesische Heim“, hat noch immer einen edlen Sendungsauftrag. Und möge sein durch die Jahrhunderte hindurch bewahrtes und gepflegtes christliches Glaubenserbe in den heutigen Ausdrucksformen seiner Identität, die aus ihm das „schöne, am Meer gelegene Vaterland eines heroischen Volkes“ machte, „das mit Gottes Gnade singt . . - wie einer eurer Dichter sagt -, ein ständiger Impuls bleiben, der dieses edle Land zu einem Wohlstand gelangen läßt, der das Glück aller Portugiesen in einem Klima arbeitsamer Harmonie, des Wohlergehens und des Friedens zum Ausdruck bringt! Noch einmal danke ich Ihrer Exzellenz für den liebevollen und ehrenvollen Empfang; und auf das ganze geliebte portugiesische Volk, daß Sie zu seinem Repräsentanten gewählt hat, rufe ich die reichsten Segnungen des allmächtigen und barmherzigen Gottes herab. Anmerkungen ') Vgl. „Auto da aclamafäo de N. Senhora da Concei^äo como Padroeira de Portugal“, pelas Cortes de Lisboa em 1646. 2) Vgl. Gaudium et spes, Nr. 76. 378 Reisen ’) Vgl. Breve Apostolicum vom 23.12.1748: BullariumRomanum, VenetiisTip.Gatti/1778, t. m, S. 1. J) Gaudium et spes, Nr. 10. 5) Vgl. Redemptor hominis, Nr. 14. „Die Hoffnungen des portugiesischen Volkes“ Grußbotschaft an die Autoritäten der Republik Portugal in Lissabon am 12. Mai Herr Ministerpräsident! Herr Parlamentspräsident! Meine Herren Minister, sehr geehrte Damen und Herren, Exzellenzen! 1. Ich fühle mich geehrt und dankbar für die Möglichkeit, in der Person Eurer Exzellenzen die Inhaber der Exekutive und Legislative dieser edlen Nation zu begrüßen, die mich bei meiner Pilgerfahrt nach Fatima und meinem Pastoralbesuch auf portugiesischer Erde mit großer Begeisterung und Hochherzigkeit empfängt. Das für meinen Besuch bewiesene Interesse, die ehrende Anwesenheit bei meiner Ankunft und jetzt diese Begegnung haben mich überzeugt, daß man über meine Person hinaus demjenigen huldigen wollte, den ich hier als Hirt der Universalkirche zu vertreten habe; voll Bewegung möchte ich für alle Aufmerksamkeiten und die gute Aufnahme danken, in der ich sogleich die bekannte Religiosität und den tiefverwurzelten christlichen Glauben der gebebten Portugiesen erkennen konnte. Gelobt sei Gott! Und während ich hier meiner Dankbarkeit Ausdruck gebe, sehe ich in Euren Exzellenzen alle Personen und Institutionen vertreten, denen — aus jeweils verschiedenen Gründen - Dank dafür gebührt. 2. Da ich in diesem glücklichen Augenblick mit einer so erlesenen Vertretung Portugals zusammenkomme, möchte ich Sie vor allem der großen Wertschätzung für die hohe Sendung versichern, mit der Sie im Dienst des Gemeinwohls der ganzen Nation betraut sind. Gebe Gott, daß Sie sich bei der Erfüllung Ihres Auftrags immer von einem Verständnis des Menschen mit allen seinen Werten und seiner Würde und von einem Verlangen leiten lassen, konkret allen Portugiesen zu dienen, die Sie mit dieser ehrenvollen Sendung, die zugleich eine Verpflichtung ist, beauftragt haben. 379 Reisen Der großen Sache des Menschen dienen Auf Sie richten sich die Erwartungen und Hoffnungen des gelobten portugiesischen Volkes, das mit Recht stolz ist auf eine ruhmreiche erlebte und erlittene Geschichte, in der seine Identität als Volk zum Ausdruck kommt, in der Verheißungen enthalten sind und sich das Kraftpotential abzeichnet für. den Aufbau einer immer würdigeren Zukunft, in Treue zur eigenen Seele und ohne Unterbrechung der historischen Kontinuität. 3. Meine Reisen haben, wie man weiß, immer einen vorwiegend apostolischen Charakter mit bestimmten apostolischen Zielsetzungen; es ist meine Absicht, mit ihnen eine Initiative fortzusetzen, die meine Vorgänger begonnen haben, vor allem Papst Paul VI., den zu empfangen Portugal einmal die Freude hatte. Da das einen wichtigen Teil meiner Sendung als Nachfolger des Apostels Petrus ausmacht, hat mein Wunsch, die über die Welt verstreute Kirche durch meine Präsenz anzuregen, mich heute zur Begegnung mit der Kirche in Portugal geführt, wo die katholische Kirche die große Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert. Wenn ich mich im Namen Christi und aus Liebe zu Christus, dem Erlöser des Menschen und Mittelpunkt des Universums und der Geschichte, als Pilger auf diese Reisen begebe, fühle ich mich immer als Überbringer einer Botschaft über den Menschen in seiner ganzen Wahrheit. Während die Kirche ihre eigene geistliche Sendung entfaltet und immer die größte Achtung für die notwendigen und berechtigten Institutionen der zeitlichen Ordnung zu bewahren wünscht, unterläßt sie niemals, alles zu würdigen und sich über alles zu freuen, was die Kraft, die vollständige Wahrheit des Menschen zu leben, fördert; sie kann nicht umhin, zu den Bemühungen zu gratulieren, die zum Schutz und zur Verteidigung der Grundrechte und Grundfreiheiten aller Menschen unternommen werden; und sie freut sich und dankt dem Herrn des Lebens und der Geschichte, wenn Planungen und Programme - politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Charakters - sich an der Achtung und der Liebe der Menschenwürde inspirieren bei der Suche nach der „Gesellschaft im Zeichen der Liebe“. 4. In dieser Haltung und mit Freude über jedes erfolgreiche Zusammenwirken, das darauf hinzielt, jedes Ungleichgewicht zu beheben, das die Gesellschaft und die ganze Menschheit bedroht - Störungen, die bei den Betroffenen Angst sowie deprimierende und oft erniedrigende Entbehrungen hervorrufen -, weiß die Kirche die Menschen zu würdigen, die die Aufgabe haben, die Prozesse zur Überwindung einer solchen Situation 380 Reisen einzuleiten und durchzuführen. Neben sachlicher Zuständigkeit und gutem Willen ist nicht weniger die Fähigkeit zu schätzen, diese entscheidenden Prozesse unter dem Druck „entgegengesetzter Zeichen“ zum guten Ende zu führen. In ihrer Treue zu dem Menschenverständnis, das ihr von ihrem Herrn und Meister Jesus Christus anvertraut wurde, läßt die Kirche nicht davon ab, das zu empfehlen, was der großen Sache des Menschen dienen kann. Während sie von den technischen Seiten der Reformen oder Veränderungen absieht, bleibt sie bei der Überzeugung, die sich im Geist, im Herzen und im freien Willen der Menschen findet, und besteht darauf, daß man vor allem einen Wandel herbeiführen müsse, damit die Neuerungen an das Gemeinwohl gebunden werden, denn es wird nur dann eine Verbesserung geben können, wenn alle einbezogen sind. Unumgänglich ist darum eine ständige Bildung der Menschen, ein Wachsen in Menschlichkeit im Sinne der Mitverantwortung bei der Leitung der eigenen Geschicke, angefangen von Unterweisung und Information auf allen Ebenen, über die sogenannte „Lebensqualität“, die Kultur und alles, was zu den täglichen Notwendigkeiten des Daseins gehört, bis hin zur Mitwirkung innerhalb der legitimen Freiheit und eines Pluralismus, der immer erleuchtet ist von einem unerläßlichen gegenseitigen Verständnis, das die gemeinsame Suche nach dem größeren Wohl für alle zu befruchten sucht. 5. Ich weiß: Sie sind sich der Tatsache bewußt, daß trotz der Mitverantwortung aller an der Gesellschaft, die gewahrt bleiben und ständig wachsen muß, die Initiative und die menschlich vernünftige Richtung der Lebensvorgänge großenteils von den Regierenden abhängt. Sie wissen, daß Uneigennützigkeit und Unterscheidungsvermögen Hand in Hand gehen müssen, um bei der Wahrnehmung des Auftrags gefährliche Verwirrungen auszuschließen: nämlich durch Parteimeinungen, die die volle Wahrheit über den Menschen verkürzen oder ignorieren und die echte menschliche Solidarität preisgeben durch Manipulationen, die sich von selber durch die Interessen verraten, die sie zum Schaden des Menschen vertreten oder bezwecken. Meine Herren! Dem Herzen aller Menschen guten Willens wird immer all das willkommen sein, was für die edle Sache des Menschen getan wird: - um jedem Menschen zu erleichtern, immer mehr Mensch zu werden, indem er sich bemüht, die Spaltung zu überwinden, die er dann in sich erfährt, wenn er sich einerseits in seinen Wünschen und Hoffnungen auf ein besseres Leben unbegrenzt fühlt und andererseits unter dem Zwang vielfältiger Notwendigkeiten seiner irdischen Existenz steht; 381 Reisen - um den Armen zu helfen, den am Rand der Gesellschaft Lebenden und allen, die von Unglück und Heimsuchungen verschiedener Art betroffen sind, die oft unverdient sind und ihnen nicht erlauben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen; - um denen beizustehen, die sich gezwungen sehen, das „notwendige Übel“ der Auswanderung zu wählen, um ein besseres persönliches, familiäres und gesellschaftliches Leben zu finden, damit sie keine großen moralischen Schäden erleiden; - um jedem zu ermöglichen, seiner Berufung zu folgen, und, falls er sich für die Familie entscheidet, die Heiligkeit all ihrer Werte und all ihrer Aufgaben bei der Zeugung und Erziehung ihrer Kinder respektieren zu können; - um zu verhindern, daß die Jugend, vor allem die entrechtete und weniger vom Glück begünstigte, die menschliche Würde und den Sinn für die sittlichen Werte verliert, indem sie Wege einschlägt, die sie an den Rand der Gesellschaft drängt, dorthin, wo Armut und Elend sich mit Verkommenheit und Verbrechen verbinden, bis zu den Extremen der Revolte und Gewalttätigkeit; - um allen Arbeit zu sichern und die Nachteile der Urbanisierung zu vermindern, die, wenn sie aus verschiedenen Gründen unproportioniert wächst, nicht mehr dem Menschen angemessen ist; - schließlich um jedem Menschen die Achtung vor den Rechten Gottes möglich zu machen, des Schöpfers aller Dinge und Herrn der Geschichte, der - es sei mir gestattet, das in diesem Augenblick auszusprechen - uns in Christus den „Schlüssel“ zu dem „Geheimnis“ gegeben hat, das der Mensch für den Menschen ist. Es geht um das Allgemeinwohl So ist also Ihre Aufgabe unermeßlich, aber wunderbar; Ihre Sendung ist edel und sie verdient allen Einsatz, allen Stolz und alle Begeisterung. Es geht um das Allgemeinwohl; es geht darum, eine Nation immer größer und aus dem Vaterland eine annehmbare Wohnung für das eigene Volk zu machen. Die gute Arbeit der Inhaber und Verwalter der Macht läßt sich - ein Gedanke, den ich hier wiederhole - am Wohlbefinden, am Glück, am Frieden und an der Freude derer erkennen, denen die Macht dient. Ich wünsche Euren Exzellenzen alles Gute; und indem ich meinen Dank wiederhole, wünsche ich Ihnen, daß Sie in einem immer mehr vom Ideal echter menschlicher und brüderlicher Beziehungen beseelten und glück- 382 Reisen licheren Portugal die Früchte Ihrer Sendung und Ihres Dienstes erkennen können, mit dem Schutz der Muttergottes von Fatima und dem Segen des allmächtigen und barmherzigen Gottes. „Seid konsequent, hütet das Erbe des Glaubens!“ Ansprache bei der Gebetsstunde in Fatima am 12. Mai Hochwürdigster Herr Bischof von Leiria Alberto Cosme do Amaral, hochwürdigste Herren Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe, meine lieben Brüder und Schwestern! Gelobt sei Jesus Christus! 1. Und gelobt sei seine Mutter, die allerseligste Jungfrau Maria! Ja, mit und durch Maria strömt in diesem Augenblick aus meinem Herzen das Gebet, das hier so oft wiederholt und gesungen wird: Mein Gott, ich glaube, ich bete an, ich hoffe und ich liebe Dich! Dieser erste Gruß, den ich anbetend auf diesem gesegneten Boden von Fatima ausspreche, gilt der Heiligsten Dreifaltigkeit: Gelobt sei Gott, der voll Erbarmen ist, für die große Liebe, mit der er uns geliebt hat! Wir, die wir in seinem Wort, dem Sohn, erschaffen und durch das Blut desselben Sohnes gerettet wurden, sind seine Hausgenossen geworden und wurden auf dem Fundament der Apostel aufgebaut, um im Heiligen Geist zur Wohnung Gottes erbaut zu werden (vgl. Eph 2, 4ff.); wir müssen ohne Unterlaß wiederholen: Mein Gott, ich glaube, ich bete an, ich hoffe und ich liebe Dich. Gegrüßet seist Du, Maria! Gebenedeit bis Du! Gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes, Jesus! Um Deine Verheißung zu erfüllen, o Herrin, möchte ich beim Betreten Deines Fatima-Heiligtums Dich, geliebte Mutter, mit den Worten grüßen, die Du uns gelehrt hast, damit wir sie vor unseren Brüdern verkünden: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter“ (Lk 1, 46-47). 2. Und nun möchte ich euch alle, liebe Brüder und Schwestern, die ihr mich hört, herzlich grüßen. Ich möchte an euch einen brüderlichen Friedensgruß richten und meiner großen Freude Ausdruck geben, hier, an diesem Ort, bei euch sein zu dürfen. Alle Dankbarkeit, die mich erfüllt, will ich mit euch teilen. Die Dankbarkeit, die mich hierherführte, um euch nicht nur am Evangelium, sondern auch an meinem eigenen Leben teilnehmen zu lassen (vgl. Tess 2, 8). 383 Reisen Ja, in dieser Haltung - die ja auch die eure ist - möchte ich euch danken. Ihnen, Herr Bischof von Leiria, danke ich, daß Sie die Empfindungen aller zum Ausdruck brachten; ich danke für die herzlichen Willkommensworte sowie für die wiederholten Einladungen, die Sie an mich gerichtet haben, dieses Fatima-Heiligtum zu besuchen. Allen danke ich für die herzliche Aufnahme, die sie mir bereitet haben. 3. Dankbarkeit, Gemeinschaft, Leben! Diese drei Worte geben den Sinn meines Hierseins an diesem Tag wieder. Und sicher darf ich auch eure Anwesenheit im gleichen Sinn deuten. Fatima ist der Höhepunkt meiner Portugalreise. Darum möchte ich euch jetzt etwas anvertrauen: Schon seit längerem hatte ich die Absicht - wie ich bei Gelegenheit meiner Ankunft in Lissabon sagte -, nach Fatima zu kommen. Aber nach dem Attentat auf dem Petersplatz vor einem Jahr eilten meine Gedanken, kaum hatte ich das Bewußtsein wiedererlangt, sofort zu diesem Heiligtum, um dem Herzen Mariens, das mich aus der Gefahr errettet hat, meinen Dank zu bringen. Ich werde nicht müde, zu wiederholen, daß ich alles, was geschehen ist, als einen besonderen Schutz der Gottesmutter betrachte. Und den Zufall - es gibt ja im Plan der Vorsehung keine reinen Zufälle - habe ich als einen Anruf gesehen und vielleicht sogar als einen Hinweis auf die Botschaft, die vor 65 Jahren durch drei Kinder des einfachen Landvolkes, die drei Hirtenkinder von Fatima, wie sie weltweit bekannt sind, von diesem Ort aus verkündet wurde. 4. Und so bin ich nun unter euch, als Pilger unter Pilgern, eingegliedert in diese Gemeinschaft der pilgernden, der lebendigen, der heiligen und sündigen Kirche, um dem Herrn zu danken, „denn seine Huld währt ewig“ (Ps 135, 1). Ich möchte heute in eurer Gegenwart, geliebte Brüder und Schwestern, noch einmal wiederholen, was ich bei der ersten Audienz nach dem Attentat am 17. Oktober 1981 bereits sagen durfte. Diese Worte sind ein Widerhall dessen, was an jenem 13. Mai des vergangenen Jahres geschehen ist. Sie sind Ausdruck meiner Dankbarkeit gegenüber dem Höchsten, gegenüber unserer Mutter und Herrin, gegenüber den heiligen Schutzpatronen und allen, die mittelbar oder unmittelbar dazu beigetragen haben, mein Leben zu retten und meine Gesundheit wiederherzustellen: Dank dem Herrn ist mein Leben nicht vernichtet worden. Ja, „sein Erbarmen ist nicht zu Ende“ (Klgl 3, 22). So habe ich zum ersten Mal am Rosenkranzfest bekannt. Ich wiederhole es heute in Fatima, an diesem Ort, an dem so vieles uns an den Rosenkranz erinnert - an das Rosenkranzgebet -, wie die kleinen Hirten es beteten. Der Rosenkranz, der Psalter, ist und wird immer wieder ein Gebet des Dankes, der Liebe und 384 Reisen der vertrauensvollen Bitte bleiben: das Gebet zur Mutter der Kirche! 5. Wie die meisten von euch, meine lieben Pilger, komme auch ich als Pilger nach Fatima: in meinen Händen den Rosenkranz, auf meinen Lippen den Namen Mariens und in meinem Herzen das Lied auf die Barmherzigkeit Gottes: Auch an mir hat der Mächtige Großes getan . . . Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht. In der Vorbereitung auf diese Begegnung mit euch konnte ich mir der althergebrachten und tiefen Tradition eurer Marienverehrung bewußt werden. Sie kommt nicht nur in den großen Glaubenskundgebungen oder in den großen Stunden der Geschichte dieses geliebten protugiesischen Volkes, sondern auch und vor allem im Alltagsleben und in den Gebräuchen der Menschen, der Familien und der Gemeinschaften zum Ausdruck, so daß sie eure ganze Kultur durchdringt. Jahrhundertelang, ja wir können sagen, immer schon wollten die Religion und das christliche Leben, besonders beim einfachen Volk und vom Grund der portugiesischen Tradition auf, eine gültige Interpretation der Kultur, der Sprache und der Lebensgewohnheiten des Volkes sein. Im gewissen Sinn war das Leben auf den Glaubensvollzug ausgerichtet und organisiert; und in diesem Glaubensvollzug steht die Gottesmutter im Vordergrund. Solche Erkenntnisse waren mir ein Grund zur Freude. Und nun, da ich mit eigenen Augen eure innige Marienliebe sehe, wird meine Freude um so größer. Seid konsequent, hütet das Erbe des Glaubens, der geistigen Werte und der Rechtschaffenheit des Lebens, das ihr von euren Vorfahren im Licht und mit dem Segen der heiligen Jungfrau empfangen habt; es ist ein reiches und ein gutes Erbe. Und laßt mich euch ein Geheimnis in Erinnerung rufen, das euch helfen wird, dieses Erbe zu wahren. Es ist sehr einfach und eigentlich kein Geheimnis mehr: „Betet, betet viel; betet jeden Tag den Rosenkranz.“ 6. Dankbarkeit, Gemeinschaft, Leben: Das sind die Empfindungen, die uns, die wir als Pilger hierherkamen, einen. Wir, die wir hier an demselben Ort vereint sind, wir, die wir die gegenwärtige Generation der Kirche bilden, für die Pfingsten schon Wirklichkeit geworden ist; wir sind vereint „mit Maria, der Mutter Jesu“, und möchten bekunden, daß wir „an der Lehre der Apostel . . ., an der Gemeinschaft und am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ festhalten (vgl. Apg 2, 42). Wir sind gekommen „im Geist des Gebetes und der Buße“ zu diesem Ort, den mein Vorgänger Paul VI., dessen wir in dankbarer Verehrung gedenken, schon mit seiner Gegenwart geehrt hatte. Wir sind gekommen zu 385 Reisen diesem Ort, der geheiligt ist durch die Gebete und Opfer vieler Generationen von Pilgern. In der einen Haltung und in der einen Liebe sind wir gekommen, vor allem um zu danken und um das göttliche Erbarmen anzurufen: Wir wollen beten um die Treue zu Gott und um die Treue in Christus zu den Menschen, unseren Brüdern; wir wollen beten, daß Friede und Liebe herrschen im Schoß der Kirche unter denen, die sich als Christen bekennen, und in der großen Menschheitsfamilie. In der frohen Erwartung, bei der morgigen Eucharistiefeier all das voll verwirklichen zu dürfen, laßt uns von diesem Augenblick an diese unsere Wallfahrt in der Eucharistie leben und uns Gott durch das Unbefleckte Herz Mariens in Bereitschaft und Danksagung darbringen. Laßt uns in Christus, dem Erlöser, Gott unsere Opfer darbringen und das Gebet der Sühne und Stellvertretung wiederholen: Herr, „Jesus, aus Liebe zu dir, zur Sühne für die Sünden und für die Bekehrung der Sünder“. Mögen morgen alle, nach diesen Stunden des Zwiegesprächs mit Christus, mit „dem Vater, der im Himmel ist“, und mit Maria, unserer Mutter, erneuert durch den Heiligen Geist, „der uns gegeben ist“, von dieser Pilgerfahrt voll Freude zurückkehren, Gott loben und die Beliebtheit des ganzen Volkes erlangen (vgl. Apg2,47); derer, die nicht kommen konnten, und derer, die nicht kommen wollten, denen aber in gleicher Weise unser herzlicher Gruß, unser Wohlwollen und unser Gebet gelten. 7. Ihr wißt sicher, daß ich schon in meiner Jugend gern Wallfahrten gemacht habe. Und in meinen apostolischen Reisen als Nachfolger Petri - von Mexiko bis Äquatorialguinea - waren die Besuche der Marienwallfahrtsorte immer Höhepunkte meiner Begegnungen mit dem Volk Gottes, das auf dieser Erde verstreut ist, und mit allen unseren Brüdern und Schwestern in der großen Menschheitsfamilie. Jedesmal lege ich alles, was ich im Dienst der heiligen Kirche Gutes getan haben mag oder was ich noch werde tun können, in die Hände der seligsten Jungfrau Maria. Und jedesmal bewegt mich dies so tief wie beim ersten Mal. Jetzt schon möchte ich hier in diesem Fatima-Heiligtum in eurer aller Anwesenheit wiederholen: Totus Tuus - Dir, o Mutter, ganz zu eigen! Ich bitte Dich, bring mich selbst und alle diese Brüder und Schwestern dem Vater des Erbarmens als eine Gabe der Dankbarkeit dar und bedecke Du unsere Armut mit Deinem und Deines göttlichen Sohnes Verdienst. Mögen wir alle angenommen, gesegnet und in unseren guten Vorsätzen gestärkt werden, die wir Dir gleichsam als geistliches Blumengebinde schenken. Wir wollen Dein Wort, o Mutter, befolgen; „was er euch sagt, das tut!“ (vgl. Joh 2, 4). Und nun, o unsere Herrin, gib uns Deinen mütterlichen Segen! 386 Reisen Kirchliche Einheit aufbauen, ohne Konflikte zu ignorieren Ansprache an die portugiesischen Bischöfe in Fatima am 13. Mai Hochwürdige und liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Der Nachfolger Petri hat heute das Glück und die Freude, mit euch hier in Fatima, wo eure Bischofskonferenz ihre Vollversammlungen zu halten pflegt, zusammenzukommen. Diese Tatsache, die in sich sekundär ist, hat dennoch eine eigene Bedeutung: Die Tatsache, daß ich hier physisch unter euch bin, bringt konkret zum Ausdruck, daß ich geistig schon öfter hier war und von nun an jedesmal, wenn ihr euch an diesem Ort versammeln werdet, geistig in eurer Mitte sein werde. Diese Stunde brüderlichen Zusammenseins mit euch im Rahmen meiner Wallfahrt nach Fatima und eines Pastoralbesuches in Portugal möchte ich dazu benutzen, um mit euch über einige Gesichtspunkte eurer Sendung als Hirten eures Volkes und als Bischofskonferenz nachzudenken. Wie ihr wißt, hat das Zweite Vatikanische Konzil die Bedeutung der Bischofskonferenzen als Elemente der Gemeinschaft und Ausdruck der brüderlichen Liebe des Episkopates unter sich in Unterordnung und in Einheit mit dem Nachfolger Petri neu ins Licht gestellt. Und in dieser tiefen Einheit möchte ich euch heute hier mit dem Friedenskuß begrüßen, liebe Brüder. Ich grüße den Vorsitzenden, Herrn Bischof Manuel de Almeida Trindade, und jeden von euch Bischöfen, die ihr die Portugiesische Bischofskonferenz bildet. Die in diesem Heiligtum besonders lebendige und erfahrbare Nähe Unserer Lieben Frau trägt dazu bei, unsere Zusammenkunft zu einem ausdrucksvollen Abbild jenes „Obergemaches“ zu machen, in dem nach der Apostelgeschichte die Elf einmütig im Gebet verharrten mit Maria, der Mutter Jesu (vgl. Apg 1, 14), und wo aller Wahrscheinlichkeit nach am Pfingstmorgen Petrus und die anderen Apostel mit Maria beisammen waren. Möge dieser kurze, aber intensive Augenblick, den wir hier „mit Maria“ erleben, für uns alle und für die Kirche in Portugal ein wahres Pfingsten sein. Möge der Heilige Geist bei uns sein mit seinem Licht und seiner Kraft, der Geist des Vaters und des Sohnes. 2. Soweit ich durch Kontakte, die ich mit einigen von euch und mit euren Gläubigen in Rom hatte, die menschliche Wirklichkeit eures Landes 387 Reisen kennenlernen konnte, haben einige Gesichtspunkte im Zusammenhang mit dem konkreten geschichtlichen Augenblick besonderen Eindruck bei mir hinterlassen. Herausforderungen beantworten Es handelt sich hier ohne Zweifel um einen Übergang. Wie bei allen Übergängen, vor allem wenn sie sehr rasch und tiefgehend verlaufen, haben wir es auch mit einem kulturellen Wandel zu tun. Dabei zeigen sich - teils getrennt, teils vermischt - Begeisterung und Unsicherheit, Mut und Angst, optimistische Offenheit der Zukunft gegenüber und das Bedürfnis, feste Werte der Vergangenheit zu bestätigen, wenn nicht zurückzugewinnen. Und dies, weil sehr oft solche Werte im Augenblick des Überschwangs geopfert werden. In diesem Portugal, das ein modernes Land sein' möchte im Rahmen des Europas unseres Jahrhunderts, bewundere ich das eigenartige Zusammenspiel typisch traditioneller Momente, die in einer langen und traditionsreichen Geschichte wurzeln zusammen mit anderen Eigenschaften, die bedingt sind durch die Öffnung auf die Zukunft hin. Was die Problematik der Pastoral angeht, die notwendigerweise von den Ereignissen in der Gesellschaft und auf politischer Ebene beeinflußt wird, überrascht es mich nicht, daß im Portugal von heute neben einer tiefen Religiosität, von der die Menschenmassen, die ich jetzt in Fatima sehe, nur einen Teilaspekt bilden, die aber im Leben der Pfarreien in bestimmten Teilen des Landes noch stärker zum Ausdruck kommt, auch ein unverkennbares Zeichen dessen zu sehen ist, was ich zusammenfassend hier Säkularismus nennen möchte: Agnostizismus unter den Akademikern, Studenten und in breiten Kreisen der Jugend; eine gewisse Lebensauffassung oder ein gewisser Humanismus ohne Gott; große Probleme im Bereich der Familien, vor allem, was die Unauflöslichkeit der Ehe angeht; eine Aufweichung der Gewissen und der damit zusammenhängende Verfall der Sitten; das Streben nach Wohlstand um jeden Preis. Die Kirche kann diese Tatsachen nicht einfach ignorieren, weil sie eine geistliche und religiöse, eine ethische und humane Dimension haben. Die Kirche besitzt Kriterien und Prinzipien, die sie zur Stellungnahme zwingen angesichts der vielen konkreten Probleme, die im Kontext dieses Umbruchs oder, genauer, dieses Wandels zutage kommen. Sie ist darum besorgt, von den Widersprüchen und Herausforderungen eines solchen Kontextes nicht überrollt zu werden. Sie versucht im Gegenteil, diese Herausforderungen deutlich zu machen und sie zu beantworten, bevor sie zu unlöslichen Problemen werden. 388 Reisen Geistige Strömungen kritisch überprüfen 3. In dieser Hinsicht haben die Hirten der Kirche eine Sendung von großer Bedeutung, die, aufgrund ihres bischöflichen Charismas und eines spezifischen göttlichen Auftrags, nur sie erfüllen können. Wenn sie sich dieser Aufgabe nicht stellen, wird niemand es an ihrer Statt tun. Diese Aufgabe des Bischofs steht im inneren Zusammenhang mit seinem Hirtencharisma, einem der wichtigsten Charismen seines Amtes. Wenn die Zeit nicht so kurz und das Programm nicht so ausgefüllt wäre, würde ich dem Wunsch nachgeben und gründlicher mit euch über dieses Charisma sprechen, das uns vom hl. Johannes im wunderbaren zehnten Kapitel seines Evangeliums beschrieben wird. In einem Gleichnis und seiner Erklärung spricht Jesus über den Hirten im Licht seines eigenen Auftrags als guter Hirt. Sehr viel wäre zu sagen über den Hirten, der die Schafe bei ihren Namen ruft; der sein Leben für sie hingibt; der sie gegen die Räuber oder gegen den Wolf verteidigt. Wir könnten zusammen einige der schönsten Seiten vom hl. Augustinus oder dem hl. Gregorius dem Großen lesen., in denen der erste das Hirtenamt als „officium amoris“ (Liebesdienst) und der zweite im Hinblick auf die Seelsorge als „ars artium“ (Kunst der Künste) bezeichnet. Hier möchte ich nur eine der Aufgaben des Hirten heraussteilen: die Leitung der Herde. Leiten heißt vorausgehen. Vorausgehen, um den Weg auszukundschaften: Um die Tiefe der Wasserströme zu ermessen, um Gefahren aufzusprüren, um das Vorwärtskommen zu sichern; vorausgehen, um die Richtung zu zeigen und zu vermeiden, daß man auf Irrwege gerät. Gerade in Zeiten der Unsicherheit und des Wandels ist dieser kostbare Dienst der Leiter unersetzlich, und gesegnet ist das Volk, das in seinen Bischöfen solche Führer findet. Wenn die Bischöfe eines Landes durch die Gnade des Heiligen Geistes, durch die Tugend, durch die Gaben, die sie mit Eifer und Gebet gepflegt haben, und durch eine solide Ausbildung fähig sind, klar zu unterscheiden und die Zeichen der Zeit zu deuten, werden viele in ihnen den finden, der inmitten zweideutiger Wirklichkeiten die Situationen, Strömungen des Geistes und Ideologien kritisch überprüfen kann und so die Zweifel auf dem Weg beseitigt. Wenn sie nicht nur Führer, sondern auch Väter sind, werden sie imstande sein, neue, wenn auch schwierige Wege zu zeigen und ihre Herde zu ermutigen, diese einzuschlagen und die Anziehungskraft der leichteren, aber meist trügerischen Wege zu überwinden. Die Kirche, vor allem die Kirche in Portugal und im besonderen der Teil, auf dem die Last des höchsten Hirtenamtes ruht, weiß, daß ihr portugiesi- 389 Reisen sehen Bischöfe euch eurer Sendung als Hirten und Führer bewußt seid. Zögert nicht, sie weiter auszuführen. Vor allen Dingen, wenn es darum geht, inmitten einer verwirrenden Vielfalt von möglichen Richtungen den sicheren Weg zu weisen. In diesem Zusammenhang habe ich schon oft wiederholt, daß die Kirche nicht das Recht für sich in Anspruch nimmt, jemandem ihre Lehre aufzuzwingen, aber das Recht und die Pflicht hat, sie in Demut und Liebe anzubieten. Einen Gedanken aufnehmend, den Paul VI. in Evangelii nuntiandi aussprach, möchte ich sagen: Wenn wir, die Bischöfe, mutig den Weg der Kirche verkünden, können die, die unser Angebot nicht annehmen, weil sie es verachten oder weil sie voreingenommen sind, irren, aber unser Gewissen wird uns nichts vorzuwerfen haben. Wenn wir dagegen aus Müdigkeit oder Furcht, aus Menschenfurcht oder Unsicherheit gegenüber unseren eigenen Überzeugungen das, was wir für Wahrheit halten, anzubieten versäumen, und aus diesem Grund jemand das Evangelium und Christus nicht kennenlernt, wird dieser nicht in die Irre gehen, aber wir werden nicht ohne Schuld sein. 4. An einem gewissen Punkt trifft sich das Charisma des Hirten und Leiters mit dem des Erziehers im Glauben. Einen Menschen oder eine Gemeinschaft führen, einem Wandlungsprozeß in der Ausführung des Bischofsamtes die Richtung geben bedeutet, zum Glauben zu erziehen. Je mehr ich den Glauben eures Volkes in mich aufnehme, vor allen Dingen den Glauben des einfachen Volkes, um so mehr bewundere ich diesen Glauben wegen der tief in der Tradition verankerten Seele dieses Volkes. Ich bewundere seine Spontaneität und Schlichtheit. Ich bewundere die konkreten Taten, die er auslöst, die Haltungen, die er in bezug auf Gott und seinen Sohn Jesus weckt, auf das Leid und den Tod, auf die anderen Menschen und die Ereignisse, auf die heutige Welt und die Zukunft. Auf der anderen Seite sehe ich, daß dieser Glaube gefährdet ist und, wie Paul VI. schon in Evangelii nuntiandi geschrieben hat, sogar von vielen schädlichen Kräften angegriffen wird, daß er in seiner Integrität, ja sogar in seiner Existenz bedroht ist; und das, weil aufgrund von geschichtlichen Gegebenheiten, die wir hier nicht untersuchen können, die Festigkeit dieses Glaubens nicht seiner Spontaneität entspricht und seine Tiefe nicht seiner Echtheit. Eure erste Pflicht gegenüber dem Glauben eures Volkes ist, ihn anzuerkennen und zu schätzen; seine authentischen Ausdrucksformen zu respektieren; ihn zu verteidigen gegen die Kräfte, die ihn gefährden, ihn zu festigen; ihn von möglichen Elementen des Aberglaubens zu befreien 390 Reisen und ihm einen tieferen theologischen Gehalt zu geben. Alles in allem, es ist eure Pflicht, diesen Glauben im Licht des Wortes Gottes und des Lehramtes der Kirche zu bilden, ihn durch eine wirkliche Katechese zu nähren. Ich erkenne die Mühen, die ihr in diesem Sinn auf euch genommen habt und immer auf euch nehmt, an, und ich möchte euch ermutigen, auf diesem Wege weiter voranzuschreiten, vor allen Dingen, was die Initiativen im Hinblick auf die christliche Bildung der Jugend und der Erwachsenen angeht. Aber auch der Glaube der Söhne und Töchter dieses Landes, die eine Ausbildung auf dem Gebiet der Wissenschaften, der Technik und der Künste erhalten haben, ist nicht weniger bedroht; sie brauchen einen Glauben, der dem Niveau ihres menschlichen Wissens entspricht. Das um so mehr, als sie dank ihres geistigen Niveaus dazu berufen sind, verantwortungsvolle, einflußreiche und entscheidende Positionen in der Gesellschaft einzunehmen. Die Forderungen und die Mittel, den Glauben zu vertiefen, sind im ersten und im zweiten Fall verschieden. Aber die Pflicht der Hirten bleibt die gleiche. Die Mühen, die ihr auf euch genommen habt und weiter auf euch nehmen werdet als Erzieher zum Glauben, damit diejenigen, die euch anvertraut sind, einen bewußteren und sichereren Glauben erlangen, damit dieser Glaube tiefer verwurzelt und nicht mehr so oberflächlich, damit er mehr engagiert und nicht so individualistisch ist, damit dieser Glaube sich mehr in Initiativen und weniger introvertiert ausdrückt, kommen nicht nur euren Gläubigen, sondern der ganzen Gesellschaft zugute. Das gilt besonders für viele eurer Christen, die in den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens große Verantwortung tragen. Der an sich richtige Gedanke, daß es nicht eure Sache als Bischöfe ist, technische, politische oder wirtschaftliche Beiträge zum sozialen Wandel eures Landes zu leisten, darf euch nicht lähmen. Seid sicher, daß ihr -wenn ihr euer Amt ausübt und die Menschen und Gemeinschaften, die Gott euch anvertraut, im Glauben erzieht - Christen vorbereitet, die, innerlich umgewandelt, die Welt durch technische Lösungen umwandeln werden, die sie ihrer Rolle entsprechend der Gemeinschaft anbieten. In diesem Sinn besitzt die Kirche und kündet sie einen Humanismus, der in der geoffenbarten Wahrheit verankert ist, eine Weltanschauung, die im Evangelium gründet, eine Wertskala, die vom Glauben erleuchtet ist. Fürchtet euch nicht und zögert nicht, euch all diesen Wahrheiten zu stellen. Seid gewiß, daß ihr als Erzieher im Glauben einen Dienst am Menschen leistet. 391 Reisen 5. Hier soll nun auch ein anderer, sehr bedeutungsvoller Aspekt der Sendung der Bischöfe herausgestellt werden. Ich meine eure Aufgabe als Erzieher, Garanten und Bewahrer der kirchlichen Gemeinschaft. Einige Hoffnungen Der göttliche Meister hat in der Stunde des Abschieds von seinen Aposteln mit eindeutigen und eindringlichen Worten den theologischen und geistlichen Wert der Einheit der Kirche herausgestellt. Die Geschichte hat ihrerseits öfter gezeigt, daß die Kirche Trägerin eines großen Kräftepotentials ist und daß sie auf wunderbare Weise ihre Sendung erfüllt, wenn sie Zeugnis von der Einheit gibt; daß sie aber leider gelähmt bleibt, wenn ihr das Zeugnis der Einheit fehlt. In der dogmatischen Konstitution Lumen gentium beschreibt das Zweite Vatikanische Konzil sehr deutlich diese Dimension des kirchlichen Lebens, wenn es die Kirche definiert als Zeichen der Einheit der Menschen mit Gott und der Menschen untereinander, damit sie Samen, Prinzip und Sauerteig der Einheit im Schoß der Menschheit werden kann. Eure Sendung als Bischöfe besteht darin, Prinzip und Zeichen dieser Einheit, ihre geduldigen und beharrlichen Bauleute zu sein. Es ist offensichtlich, daß diese Einheit zuerst unter den Bischöfen und im Schoß der Bischofskonferenz existieren muß. Euer pastoraler Dienst setzt voraus, daß eine tiefe, feste Gemeinschaft unter euch herrscht. Fundamente dieser Gemeinschaft, stärkere Fundamente als alles, was sie zerstören könnte, sind der eine Herr, der euch berufen hat, die eine Wahrheit, der ihr dient, das eine Heil in Jesus Christus, das ihr verkündet, und die brüderliche Liebe, die euch in dieser Einheit zusammenhält. Möge dieses kollegiale Engagement in der Mitarbeit, von dem ihr so oft in der Vergangenheit Zeugnis gegeben habt, euch weiterhin motivieren, gemeinsam euren Dialog über Initiativen auf Lokal- und Nationalebene fortzuführen im Geist wahrer und verantwortungsvoller Gemeinschaft. Im Schoß eurer Priesterkollegien muß sich der Aufbau dieser kirchlichen Gemeinschaft fortsetzen. Die Konzilsdokumente stellen die alte Wahrheit des Priesterkollegiums, das bei der Leitung der Teilkirchen um den Bischof versammelt ist, in ein neues Licht. Wenn es die Konstituierung von Priesterräten empfiehlt und andere Arten der Zusammenarbeit nahelegt, möchte das Konzil, daß die Harmonie zwischen dem Bischof und seinen Priestern, welche die Liturgie und die Theologie immer in wunderbarer Weise zum Ausdruck gebracht haben, sich in konkrete Taten und Handlungen umsetzt. 392 Reisen Damit diese Gemeinschaft zugleich affektiv und effektiv sei, muß sie jeden Tag gesucht und gepflegt werden. Sie verlangt von beiden Seiten Anstrengung und nicht selten auch die Überwindung von Barrieren und Widerstand. Das klare und sichtbare Zeugnis dieser Gemeinschaft weckt die Einheit auf anderen Ebenen. An zweiter Stelle denke ich an die Einheit, die ihr durch eure Priester unter den Gläubigen aufbauen müßt. Viele Spannungen gefährden und verunsichern diese Einheit. Das Etikett „konservativ“ oder „progressiv“ und Entscheidungen für eine spirituelle Sicht der Kirche oder eine andere, die von größerem Engagement geprägt ist, oder die Vorliebe für diese oder jene kirchlichen Bewegungen: all das und noch viel schwerwiegendere Fragen werden nicht selten zum Anlaß tiefer Uneinigkeit in der kirchlichen Gemeinschaft. Nicht zu reden von der immer neuen Versuchung, es in der Kirche zu Oppositionen und Klassenkämpfen kommen zu lassen, wie sie sich zum großen Nachteil in der Gesellschaft entwickeln. Es ist Pflicht der Bischöfe, in Einheit mit ihren Priestern nicht nur den Ursachen dieser Uneinigkeit abzuhelfen, sondern die einheitsfördernden Elemente zu stärken. Ihr wißt gut, daß der Aufbau der kirchlichen Einheit nicht darin besteht, Konflikte zu ignorieren oder ihre Tragweite nicht sehen zu wollen, die die Saat der Uneinigkeit sind. Der Aufbau der kirchlichen Einheit besteht darin, die einigenden Kräfte zu entdecken und zu fördern, den Sauerteig der Einheit zu schaffen und lebendig zu erhalten, damit die Dinge, die zur Einheit führen, zum guten Schluß stärker sind als solche, die die Trennung hervorrufen. In dieser Hinsicht werden die Mühen eines Bischofs um den Aufbau der Einheit belohnt durch den Beweis dieser Einheit. 6. Ich möchte diese Überlegungen nicht schließen, ohne euch einige Hoffnungen anzuvertrauen in der Gewißheit, daß sie euren Erwartungen entsprechen und daß diese Begegnung dazu dienen wird, euch zu ermutigen, euch weiter für die Dinge einzusetzen, die ich jetzt in Erinnerung rufen möchte. Das erste Feld ist das der Priester- und Ordensberufe. Die Kirche hat sich daran gewöhnt, von eurem Land sehr viele Priester und Ordensleute zu erhalten, die verfügbar sind für den Dienst an der Kirche, sei es in eurer Heimat, sei es in der Mission anderer Länder. Es wäre unsinnig, zu denken, daß Gott in Portugal und in anderen Ländern nicht mehr nach jungen, fähigen und hochherzigen Christen ruft, um sie zum Priesteramt oder zum Ordensleben zu führen. Es ist notwendig und sogar dringend, daß wir verstehen, diese Jugend anzusprechen, ihr 393 Reisen ein anspruchsvolles Ideal anzubieten, eine klarumrissene Identität, ein Tätigkeitsfeld, das sie anregt, ihr ganzes Leben dafür hinzugeben. Mehr als irgend jemand sonst sind die Bischöfe dazu aufgerufen, an so viele Jugendliche wie möglich, die Einladung Jesu Christi weiterzugeben; ihnen kommt auch die nicht geringere Pflicht zu, dieser Jugend die entsprechenden Ausbildungsmöglichkeiten anzubieten, sie in ihrem Ideal zu unterstützen und ihnen das Leben in einer solchen Perspektive zu zeigen, daß sie sich dafür begeistern. Schenkt weiterhin eure ganze Aufmerksamkeit der Katechese. Nur sie kann, wenn sie gut orientiert ist, was die Methode und den Inhalt angeht, eurem Volk die Möglichkeit schenken, im Glauben zu wachsen. Ihr habt in den portugiesischen Bischöfen der älteren und jüngeren Vergangenheit vorbildliche Hirten, die die Erfordernisse der Katechese erkannt und sich eingesetzt haben, sie unter ihren Gläubigen zu fördern, die Sinn für ihre Zweckmäßigkeit hatten, die es verstanden, sorgfältig die Wahrheiten zu vermitteln und die eine pastorale Sensibilität besaßen in der Suche nach einer den Empfängern der Katechese angemessenen Ausdrucksweise. Als Symbol möchte ich die Gestalt des ehrwürdigen Fra Bartolomeu dos Martires in Erinnerung rufen, des großen Erzbischofs von Braga, einer Hauptfigur des Konzils von Trient, reich an Tugend und apostolischem Eifer. 7. Schließlich möchte ich meine pastorale Sorge für die Familie und ihre authentischen Werte mit euch teilen. Ich bin mir bewußt, in einem Land zu sein, das im Lauf der Geschichte die Institution der Familie und ihre authentischen Werte immer für einen Grundpfeiler seiner Kultur gehalten hat. Es ist bekannt, daß im Mittelpunkt der Kultur, die Portugal über seine Grenzen hinaus bis in die neue Welt hinein, die es entdeckte, ausgestahlt hat, immer die Liebe und die Ehrfurcht vor den Werten der Familie gestanden hat. Wie ich es im Apostolischen Schreiben Familiaris consortio betonen konnte, haben diese Werte nichts an Bedeutung für die Gegenwart verloren: Der Weg zu einem vollen und christlichen Humanismus geht notwendigerweise über sie; und die Vernachlässigung dieser Werte ist sicher eine der Wurzeln der schweren moralischen Krise, die uns alle beunruhigt. Der Umbruch, den ich oben erwähnt habe und der charakteristisch ist für die augenblickliche geschichtliche Situation Portugals, berührt in der Hauptsache die Familie. Er fordert sie heraus, damit sie ihre wahren Werte anerkennt und bestätigt und auf die falschen verzichtet, die vielleicht in sie eingedrungen sind. Er berührt sie auch empfindlich in ihrem 394 Reisen eigentlichen Wesen: in der interpersonellen Einheit, der Liebe als Hingabe der eigenen Person, als gegenseitige Hilfe, als Vergebung und Selbstüberwindung, in der Einheit, der Stetigkeit, der Treue und der Fruchtbarkeit dieser Liebe, der Intimität und der Hochherzigkeit, der Ehrfurcht und der Liebe in der Erziehung der Kinder usw. Ich möchte euch dazu auffordem, der Familie in eurer Sorge als Hirten und Führer immer einen vorrangigen Platz einzuräumen. Setzt eure gemeinsamen Überlegungen fort, um die Situation der Familie in den verschiedenen sozialen Schichten dieses Landes klären zu können: die großen Werte, die sie besitzt, die Übel, die sie bedrohen, und die Hilfen, die sie braucht. Und mit der breiten Mitarbeit der verschiedenen kirchlichen Instanzen oder sogar der außerkirchlich zuständigen Instanzen geht daran, auf lange Sicht hin einen Plan auszuarbeiten, nicht nur zur Verteidigung und Rettung der Familie, sondern auch und vor allen Dingen zu ihrer positiven Förderung. Schließt in diese Familienpastoral alle Bereiche ein, von der Erziehung zur Liebe bis hin zur Hilfe, die den Familien zukommt, die in Krisen geraten, die mehr oder weniger tief und schwerwiegend sind. Sichtbares Prinzip der Einheit Ihr wißt, wenn ihr alles in dieser Beziehung schon Verwirklichte fortsetzt, leistet ihr der Kirche im Rahmen eurer spezifischen Sendung einen großen Dienst, denn die Familien sind ja ihre lebendigen Zellen; und indirekt wird euer Dienst in diesem Bereich auch der portugiesischen Gesellschaft zum Vorteil gereichen. Hoch würdige und liebe Brüder! Ich danke Gott, der mir in seiner Gnade die Gelegenheit dieser Begegnung mit euch geschenkt hat. Ich brauche euch nicht zu wiederholen, daß im Rahmen des Lebens und der Tätigkeit des Papstes die Augenblicke, die er mit seinen Brüdern im Bischofsamt verbringt, um mit ihnen über wesentliche Fragen des Lebens und der Tätigkeit der Kirche in wahrer, verantwortlicher Kollegialität nachzudenken, zu den intensivsten gehören. Der Papst kann nie vergessen, daß er in Lumen gentium als sichtbares Prinzip der Einheit bezeichnet wird unter der Hinzufügung, daß er dies vor allen Dingen im Hinblick auf die Bischöfe ist. Darum möchte ich, nachdem ich Gott gedankt habe, auch euch danken, daß ihr diese Zusammenkunft gewünscht habt. Jedem von euch und der Ortskirche, die er repräsentiert: das Presbyterium eines jeden, seine Ordensleute, seine Familien und alle Menschen, die ihm anvertraut sind, 395 Reisen grüße ich von Herzen und segne sie von Herzen im Herrn. Ich bitte Gott, daß er über euch wacht, über eure pastoralen Sorgen, eure Erfolge und eure Mühen. Möge Gott euch in eurer Arbeit beistehen und immer segnen. Und möge von dieser Höhe von Fatima aus Unsere Liebe Frau euch beschützen mit ihrem mütterlichen Blick, wenn ihr im ganzen Land euch für das Reich ihres Sohnes einsetzt. „Die Gottesmutter ist Mutter des Menschen geworden“ Predigt bei der feierlichen Messe in Fatima am 13. Mai 1. „Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (Joh 19, 27). Mit diesen Worten schließt das Evangelium der heutigen Liturgie in Fatima. Der Name jenes Jüngers war Johannes. Gerade er, Johannes, Sohn des Zebedäus, Apostel und Evangelist, hörte vom Kreuz herab die Worte Christi: „Siehe, deine Mutter.“ Zuvor hatte Christus zu seiner Mutter gesagt: „Frau, siehe, dein Sohn.“ Dies war ein wunderbares Testament. Beim Verlassen dieser Welt gab Jesus seiner Mutter einen Menschen, der für sie wie ein Sohn sein sollte: Johannes. Ihn vertraute er. ihr an. Und infolge dieses Geschenkes und dieser Überantwortung wurde Maria die Mutter des Johannes. Die Gottesmutter ist Mutter des Menschen geworden. Von jener Stunde an nahm Johannes sie zu sich und wurde der irdische Beschützer der Mutter seines Meisters; es ist ja Recht und Pflicht der Söhne, für ihre Mutter zu sorgen. Vor allem aber wurde Johannes durch den Willen Christi der Sohn der Gottesmutter. Ja, in Johannes wurde jeder Mensch zu ihrem Sohn. 2. „Er nahm sie zu sich“, das kann auch bedeuten, wenn man es wörtlicher übersetzt: „in seine Wohnung.“ Ein besonderes Zeichen für die Mütterlichkeit Mariens den Menschen gegenüber sind die Orte, wo sie ihnen begegnet, die Häuser, in denen sie wohnt, Häuser, -in denen man eine besondere Nähe der Mutter spürt. Solche Orte und Häuser gibt es in sehr großer Zahl. Und von ganz unterschiedlicher Art: von den kleinen Altären in den Wohnungen und den Kapellen an den Straßen, in denen das Antlitz der Gottesmutter 396 Reisen aufleuchtet, bis zu den größeren Kapellen und Kirchen, die zu ihrer Ehre errichtet wurden. Einige Orte jedoch gibt es, an denen die Menschen besonders lebhaft an die Gegenwart der Mutter erinnert werden. Manchmal strahlen solche Orte ihr Licht in große Entfernungen aus und ziehen die Menschen von weither an. Ihr Ausstrahlungsbereich können eine Diözese sein, ein ganzes Land, manchmal auch mehrere Länder und sogar mehrere Kontinente. Das sind die marianischen Heiligtümer. An all diesen Orten verwirklicht sich auf wunderbare Weise jenes einmalige Testament unseres gekreuzigten Herrn: Hier weiß sich der Mensch übergeben und überantwortet an Maria; dorthin eilt der Mensch, um mit ihr wie mit der eigenen Mutter zusammen zu sein; ihr öffnet der Mensch sein Herz und sagt ihr alles: „Er nimmt sie bei sich auf“, d. h. mitten in seine Lebensprobleme, die zuweilen schwierig sein können - persönliche Probleme oder solche von anderen, Probleme der Familie, der Gesellschaft, der Völker, der ganzen Menschheit. 3. Ist es nicht so im Wallfahrtsort Lourdes im nahen Frankreich? Nicht genauso in Jasna Göra in Polen, dem Heiligtum meines Volkes, wo in diesem Jahr das 600jährige Jubiläum gefeiert wird? Es scheint, daß dort wie in so vielen anderen Marienheiligtümern in aller Welt besonders echt und kraftvoll die Worte der heutigen Liturgie widerhallen: „Du bist . . . der Stolz unseres Volkes“ (Jdt 15, 9) und auch jene anderen: „. . .in der Not unseres Volkes . . . hast du entschlossen den Untergang von uns abgewehrt, du bist vor unserem Gott auf geradem Weg gegangen“ (Jdt 13, 20). Diese Worte erklingen in Fatima wie ein besonderes Echo auf die Erfahrungen nicht nur des portugiesischen Volkes, sondern auch zahlreicher anderer Völker und Nationen auf diesem Erdball. Ja sie sind sogar ein Echo der Erfahrung der gesamten heutigen Menschheit, der ganzen Menschheitsfamilie. 4. Ich bin heute hierhergekommen, weü genau am selben Tag des vergangenen Jahres auf dem Petersplatz in Rom das Attentat auf das Leben des Papstes geschehen ist, ein Ereignis, das auf geheimnisvolle Weise zusammentraf mit dem Jahrestag der ersten Erscheinung von Fatima, die am 13. Mai des Jahres 1917 stattfand. Diese beiden Daten sind derart zusammengetroffen, daß ich glaube, darin einen besonderen Ruf zu diesem Besuch heute und hier zu erkennen. Und so bin ich nun hier. Ich bin gekommen, um der göttlichen Vorsehung an diesem Ort zu danken, den die Gottesmutter in so auffallender Weise erwählt zu haben scheint. „Misericordiae Domini, quia non sumus con-sumpti“ - „Der Barmherzigkeit Gottes ist es zu danken, daß wir nicht 397 Reisen dahingerafft wurden“ (Klgl 3, 22, Vulgata), so rufe ich noch einmal mit den Worten des Propheten. Ich bin hierhergekommen, um vor allem die Ehre Gottes selbst zu preisen: „Gepriesen sei der Herr, unser Gott, der Himmel und Erde geschaffen“, so rufe ich mit den Worten der heutigen Liturgie (Jdtl3, 18). Und an den Schöpfer des Himmels und der Erde richte ich auch jenen besonderen Lobpreis, der sie selbst ist, die reine Mutter des menschgewordenen Wortes Gottes: „Meine Tochter, du bist von Gott, dem Allerhöchsten, mehr gesegnet als alle anderen Frauen auf der Erde . . . Die Erinnerung an dein Vertrauen soll in Ewigkeit nicht aus den Herzen der Menschen entschwinden, die sich an die Macht Gottes erinnern. Gott möge dir ewigen Ruhm schenken und dich reich mit seinem Segen belohnen“ (Jdt 13, 18-20). Die Grundlage dieses Lobgesanges, den die Kirche in ihrer Freude hier wie an so vielen Orten der Erde emporsteigen läßt, liegt in der einmaligen Erwählung einer Tochter des Menschengeschlechtes zur Gottesmutter. Darum sei vor allem Gott selbst angebetet: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Hochgepriesen und verehrt sei Maria, das Urbild der Kirche, als „Wohnstatt der Heiligsten Dreifaltigkeit“. 5. Seit der Stunde, da Jesus, am Kreuze sterbend, zu Johannes sprach: „Siehe, deine Mutter“, und seit dem Tage, da „der Jünger sie zu sich nahm“, hat sich das Geheimnis der geistigen Mutterschaft Mariens in einer grenzenlosen Weite geschichtlich verwirklicht. Mutterschaft bedeutet Sorge für das Leben des Kindes. Wenn nun Maria die Mutter aller Menschen ist, dann ist ihre Sorge für das Leben des Menschen auf alle gerichtet. Die Sorge einer Mutter umfaßt den ganzen Menschen. Die Mutterschaft Mariens beginnt mit ihrer mütterlichen Sorge für ihren Sohn Jesus. Für ihn hat sie unter dem Kreuz Johannes angenommen und hat so jeden Menschen und den ganzen Menschen angenommen. Im Heiligen Geist umfängt Maria alle mit einer einzigartigen Sorge. Er ist es ja, wie wir im Credo bekennen, der „das Leben gibt“. Er gibt die Fülle des Lebens, das zur Ewigkeit führt. Die geistige Mutterschaft Mariens ist deshalb eine Teilhabe an der Kraft des Heiligen Geistes, an dem, der „das Leben gibt“. Zugleich ist sie der demütige Dienst derer, die von sich sagt: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn“ (Lk 1, 38). Im Lichte des Geheimnisses der geistigen Mutterschaft Mariens versuchen wir die außerordentliche Botschaft zu verstehen, die von Fatima aus mit dem 13. Mai 1917 in der Welt zu erschallen begann und über fünf Monate hin bis zum 13. Oktober desselben Jahres weiter zu hören war. 398 Reisen 6. Die Kirche hat immer gelehrt und verkündigt es noch, daß die Offenbarung ihre Vollendung gefunden hat in Jesus Christus, der ihre Erfüllung ist, und daß „keine neue öffentliche Offenbarung mehr zu erwarten ist vor der Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus in Herrlichkeit (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogm. Konst, über die göttliche Offenbarung, Nr. 4). Darum wertet und beurteilt die Kirche Privatoffenbarungen nach dem Maß ihrer Übereinstimmung mit jener einen öffentlichen Offenbarung. Wenn die Kirche die Botschaft von Fatima angenommen hat, dann vor allem darum, weil sie eine Wahrheit und einen Ruf enthält, die in ihrem wesentlichen Inhalt die Wahrheit und der Ruf des Evangeliums selbst sind. „Kehrt um, (tut Buße) und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1, 15): Das sind die ersten Worte des Messias, die er an die Menschheit richtet. Die Botschaft von Fatima ist in ihrem wesentlichen Kern der Ruf zur Umkehr und Buße, wie im Evangelium. Dieser Ruf ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts ergangen; er richtet sich darum in besonderer Weise an dieses Jahrhundert. Die Hohe Frau dieser Botschaft liest gleichsam die „Zeichen der Zeit“ mit besonderer Eindringlichkeit, die Zeichen unserer Zeit! Der Ruf zur Buße ist mütterlich sanft und zugleich stark und bestimmt. Die Liebe, die sich „an der Wahrheit freut“ (vgl. 1 Kor 13, 6), versteht es, klar und entschieden zu sein. Der Ruf zur Buße verbindet sich wie immer mit dem Ruf zum Gebet. In Übereinstimmung mit der Tradition vieler Jahrhunderte weist die Frau der Botschaft von Fatima auf den Rosenkranz hin, den man zu Recht „das Gebet Mariens“ nennen kann: das Gebet, durch das sie sich in vorzüglicher Weise mit uns verbunden fühlt. Sie selbst betet mit uns. Dieses Gebet umfaßt die Probleme der Kirche, auch die des Hl. Stuhls, die Probleme der ganzen Welt. Ferner wird an die Sünder erinnert, damit sie sich bekehren und gerettet werden, sowie an die Seelen der Verstorbenen im Fegfeuer. Die Worte der Botschaft richteten sich damals an Kinder im Alter von 7 bis 10 Jahren. Kinder, wie auch Bernadette von Lourdes, sind bei diesen Erscheinungen der Gottesmutter besonders bevorzugt. Daraus erklärt sich auch, daß ihre Sprache einfach ist, nach dem Maß der Auffassungskraft jener Kinder. Die Kinder von Fatima sind die Gesprächspartner der Frau der Botschaft geworden und sogar ihre Helfer. Eines von ihnen lebt noch heute. 7. Mit den Worten am Kreuz: „Frau, sieh, dein Sohn“ öffnet Jesus in neuer Weise das unbefleckte Herz seiner Mutter und offenbart ihr die neue Dimension und Tragweite der Liebe, zu der sie im Heiligen Geist durch die Kraft des Kreuzesopfers berufen war. 399 Reisen Die Worte von Fatima klingen wie ein Echo dieser Dimension der mütterlichen Liebe, die mit ihrem Schein den ganzen Weg des Menschen zu Gott umfängt: den Weg hier auf Erden und den Weg, der durch den Ort der Läuterung über die Erde hinausführt. Die Sorge der Mutter des Heilandes ist die Sorge um das Heilswerk, um das Werk ihres Sohnes, ist die Sorge um das Heil, das ewige Heil aller Menschen. 65 Jahre nach jenem 13. Mai 1917 kann man schwerlich übersehen, daß diese Heilsliebe der Mutter in besonderer Weise unserem Jahrhundert gilt. Im Licht der mütterlichen Liebe verstehen wir die ganze Botschaft der Frau von Fatima. Was sich dem Weg des Menschen zu Gott direkt entgegenstellt, ist die Sünde, das Verharren in der Sünde und schließlich die Leugnung Gottes; die geplante Streichung Gottes aus der Gedankenwelt des Menschen, die Abtrennung aller irdischen Tätigkeit von ihm, die Zurückweisung Gottes von seiten des Menschen. Das ewige Heil des Menschen ist jedoch nur in Gott zu finden. Die Zurückweisung Gottes durch den Menschen führt, wenn sie endgültig wird, notwendig zur Zurückweisung des Menschen durch Gott (vgl. Mtl, 23; 10, 33), zur Verdammung. Kann die Mutter, die mit der ganzen Kraft ihrer vom Heiligen Geist genährten Liebe das Heil eines jeden ersehnt, zu dem, was dieses Heil von Grund auf gefährdet, schweigen? Nein! Sie kann nicht schweigen! Deshalb ist die mütterliche Botschaft der Frau von Fatima zugleich so kraftvoll und entschieden. Sie wirkt streng — wie die Predigt Johannes des Täufers am Jordan. Sie ruft und mahnt: zur Buße, zum Gebet, zum Rosenkranz. Diese Botschaft wendet sich an jeden Menschen. Die Liebe der Mutter des Heilandes reicht so weit wie das Heilswerk. Sie bemüht sich um alle Menschen unserer Zeit und zugleich um die Gesellschaft, die Nationen, die Völker, um die von Glaubensabfall und sittlichem Verfall bedrohte Gesellschaft. Der Zusammenbruch der Sittlichkeit führt aber zum Niedergang der Gesellschaft. 8. Christus sagte am Kreuz: „Frau, siehe, dein Sohn.“ Mit diesem Wort eröffnete er in neuer Weise das Herz seiner Mutter. Wenig später durchbohrte die Lanze des Soldaten die Seite des Gekreuzigten. Dieses durchbohrte Herz wurde Zeichen der im Tod des Lammes geschehenen Erlösung. Das unbefleckte Herz Mariens, das durch die Worte „Frau, siehe, dein Sohn“ geöffnet wurde, steht in geistlicher Verbindung zum Herzen des Sohnes, das von der Lanze des Soldaten geöffnet wurde. Das Herz Mariens ist von derselben Liebe zum Menschen und zur Welt geöffnet 400 Reisen worden, mit welcher Christus den Menschen und die Welt geliebt hat und sich am Kreuz dahingab bis zum Lanzenstoß des Soldaten. Die Welt dem unbefleckten Herzen Mariens weihen heißt, daß wir uns mit der Fürsprache dieser Mutter dem Lebensquell selber nahen, der auf Golgatha entsprang. Aus dieser Quelle sprudelt ununterbrochen Erlösung und Gnade. Andauernd geschieht in ihr Genugtuung für die Sünden der Welt. Andauernd ist sie Ursprung neuen Lebens und neuer Heiligkeit. Die Welt dem unbefleckten Herzen der Mutter weihen heißt, sich wieder unter das Kreuz ihres Sohnes stellen, ja diese Welt dem durchbohrten Herzen des Heilandes weihen, sie wieder zur Quelle der Erlösung bringen. Die Erlösung ist immer größer als die Sünde des Menschen und die „Sünde der Welt“. Die Macht der Erlösung übersteigt unendlich alle Formen des Bösen im Menschen und in der Welt. Das Herz der Mutter weiß darum wie sonst keines im ganzen Kosmos, dem sichtbaren und dem unsichtbaren. Und deshalb ruft sie! Und zwar nicht nur zur Umkehr; sie ruft, daß wir uns von ihr, der Mutter, helfen lassen bei der Rückkehr zur Quelle der Erlösung. 9. Sich Maria weihen heißt, sich von ihr helfen lassen bei der Überantwortung seiner selbst und der Menschheit, an Ihn, der heilig ist, unendlich heilig; das heißt, sich helfen lassen von ihr, deren Mutterherz unter dem Kreuz für die Liebe zu jedem Menschen, zur ganzen Welt geöffnet wurde; sich helfen lassen, die Welt, den Menschen, die Menschheit, alle Völker dem unendlich Heiligen darzubringen. Die Heiligkeit Gottes wurde offenbar in der Erlösung des Menschen, der Völker, der ganzen Welt; und diese Erlösung geschah durch das Opfer am Kreuz. „Für sie heilige ich mich“, hatte Jesus gesagt (Joh 17, 19). Durch die Macht der Erlösung wurden Welt und Mensch geheiligt, dem unendlich Heiligen geweiht. Sie wurden der erbarmenden Liebe selbst dargebracht und anvertraut. Die Mutter Christi lädt uns nachdrücklich ein, uns in dieser Weihe der Welt mit der Kirche des lebendigen Gottes zu verbinden in jener Überantwortung, durch welche die Welt, die Menschheit, die Völker, jeder einzelne in der Kraft der Erlösungstat Christi dem ewigen Vater dargebracht werden — im durchbohrten Herzen des gekreuzigten Erlösers. Die Mutter des Erlösers mahnt und verhilft zu diesem Mitvollzug der Weihe, der Überantwortung der Welt, der uns dem durchbohrten Herzen des Gekreuzigten aufs innigste verbindet. 10. Der Weckruf von Fatima ist inhaltlich im Evangelium und in der ganzen Tradition so tief verwurzelt, daß sich die Kirche dieser Botschaft verpflichtet fühlt. Ihre Antwort gab der Diener Gottes Pius XII. (dessen Bischofsweihe genau am 13. Mai 1917 stattfand), als er die Menschheit 401 Reisen und besonders die Völker Rußlands dem unbefleckten Herzen Mariens weihte. Hat er damit nicht die rechte Antwort auf den im Evangelium gründenden Ruf von Fatima gegeben? Das Zweite Vatikanische Konzil hat in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche (Lumen gentium) und in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute (Gaudium et spes) ausführlich die Gründe für die Beziehung erörtert, die die Kirche mit der Welt von heute verbindet. Zugleich ist seine Lehre über die besondere Gegenwart Mariens im Geheimnis Christi und der Kirche in jenem Akt zur vollen Entfaltung gelangt, mit dem Paul VI. Maria auch „Mutter der Kirche“ genannt hat und dadurch auf tiefste Weise den Charakter ihrer Einheit mit der Kirche und ihrer Sorge für die Welt, für die Menschheit, für jeden Menschen und für alle Nationen aufgezeigt hat, nämlich ihre Mutterschaft. In dieser Weise ist das Verständnis für den Sinn der Weihe noch vertieft worden, welche die Kirche vollziehen soll, indem sie zum Herzen der Mutter Christi und unserer Mutter ihre Zuflucht nimmt. 11. Wie tritt heute Johannes Paul II., der Nachfolger Petri, der das Werk von Pius, Johannes, Paul fortsetzt und besonderer Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils ist, vor die Mutter des Sohnes Gottes in ihrem Heiligtum in Fatima? Er tritt vor sie hin, indem er noch einmal mit Bangen jenen mütterlichen Ruf zur Buße und Umkehr liest: jenen eindringlichen Ruf des Herzens Mariens, der vor 65 Jahren in Fatima erklungen ist. In der Tat, er liest ihn mit bangem Herzen, weil er sieht, wie viele Menschen und Gesellschaftsgruppen, wie viele Christen in die entgegengesetzte Richtung gegangen sind, als sie ihnen von der Botschaft von Fatima angegeben worden ist. Ein solch starkes Bürgerrecht hat die Sünde in der Welt gefunden, und so weit hat sich die Leugnung Gottes in den Ideologien, Auffassungen und Programmen der Menschen ausgebreitet! Aber gerade deswegen ist die Einladung zu Buße und Umkehr im Geist des Evangeliums, die durch die Worte Mariens an uns gerichtet worden ist, immer aktuell. Heute noch aktueller als vor 65 Jahren und dazu noch dringlicher. Deswegen wird dies auch das Thema der nächsten Bischofssynode im kommenden Jahr sein, auf die wir uns schon vorbereiten. Der Nachfolger Petri tritt auch auf als Zeuge der ungeheuren Leiden der Menschen, als Zeuge der fast apokalyptischen Bedrohungen, die über den Nationen und über der Menschheit lasten. Diese Leiden sucht er mit seinem eigenen schwachen menschlichen Herzen zu umfangen, während er dem Geheimnis des Herzens Mariens, des unbefleckten Herzens Mariens, gegenübertritt. Im Namen dieser Leiden und eingedenk des 402 Reisen Bösen, das sich in der Welt ausbreitet und den Menschen, die Nationen, die Menschheit bedroht, kommt der Nachfolger Petri hierher mit einem um so größeren Glauben in die Erlösung der Welt, in die Liebe des Erlösers, die immer stärker, immer mächtiger ist als alles Böse. Wenn das Herz sich zusammenkrampft wegen der Sünde in der Welt und der Vielfalt der Bedrohungen, die sich über der Menschheit zusammenballen, so weitet sich dasselbe menschliche Herz andererseits in der Hoffnung, wenn wir noch einmal vollziehen, was schon meine Vorgänger getan haben: nämlich die Welt dem Herzen der Mutter weihen, ihr besonders jene Völker weihen, die dessen vor allem bedürfen. Dieser Akt will besagen: die Welt demjenigen zu weihen, der unendlich heilig ist. Diese Heiligkeit bedeutet Erlösung, bedeutet Liebe, die stärker ist als das Böse. Keine „Sünde der Welt“ kann jemals diese Liebe überwinden. Ein weiteres Mal soll dies geschehen. Denn der Ruf Mariens gilt nicht nur für ein einziges Mal. Er bezieht sich auch auf die neuen Generationen entsprechend den immer neuen „Zeichen der Zeit“. Man muß stets darauf zurückkehren. Man muß diesen Ruf immer wieder von neuem auf greifen. 12. Der Verfasser der Geheimen Offenbarung schrieb: „Ich sah die Heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie ein Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat. Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: Seht das Zelt Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein; und Gott selbst wird mit ihnen sein“ (Offb 21, 2 ff.). Aus diesem Glauben lebt die Kirche. Mit diesem Glauben wandert das Gottesvolk. „Das Zelt Gottes unter den Menschen“ befindet sich schon auf der Erde. In ihm findet sich das Herz der Braut und der Mutter Maria, geschmückt mit dem Juwel der unbefleckten Empfängnis: das Herz der Braut und Mutter, das unter dem Kreuz durch das Wort des Sohnes für eine neue große Liebe zum Menschen und zur Welt geöffnet worden ist; das Herz der Braut und Mutter, das um alle Leiden der Menschen und der Gesellschaft in dieser Welt weiß. Das Volk Gottes ist auf Pilgerschaft auf den Straßen dieser Welt in Richtung auf die Endzeit. Es pilgert nach dem ewigen Jerusalem, zum „Zelt Gottes unter den Menschen“. Dort „wird (Gott) jede Träne aus ihren Augen wischen: Der Tod wird nicht mehr sein, nicht Trauer noch Klage noch Mühsal. Denn die alte Welt ist vergangen“ (Offb 21, 4). Jetzt aber dauert „die alte Welt“ noch fort. Gerade sie bildet den zeitlichen Raum für unsere Pilgerschaft. Deswegen schauen wir auf den, „der auf 403 Reisen dem Thron sitzt und spricht: Siehe, ich mache alles neu“ (vgl. ebd., Vers 5). Zusammen mit dem Evangelisten und Apostel suchen wir mit den Augen des Glaubens „den neuen Himmel und die neue Erde“ zu sehen, da der frühere Himmel und die frühere Erde schon vergangen sind. Dennoch bestehen „der Himmel von früher und die Erde von früher“ um uns und in uns auch noch weiter. Wir können das nicht ignorieren. Dies läßt uns erkennen, welch immense Gnade dem Menschen gegeben worden ist, als inmitten dieser Pilgerschaft am Horizont des Glaubens in unserer Zeit dieses „große Zeichen: eine Frau“ (vgl. Offb 12, 1), aufgeleuchtet ist. In der Tat, zu Recht können wir wiederholen: „Gesegnet bis du, Tochter, vor dem höchsten Gott mehr als alle Frauen, die auf Erden leben! . . . durch dein rechtes Verhalten vor unserem Gott. . . hast du unseren Sturz überwunden“ (Jdt 13, 18-20). Du bist wahrhaft gesegnet! Hier und in der ganzen Kirche, im Herzen eines jeden Menschen und in der ganzen Welt: Sei gepriesen, o Maria, unsere liebe Mutter! „Umfange unsere Welt mit Deiner mütterlichen Liebe“ Weiheakt an die Gottesmutter in Fatima am 13. Mai 1. „Unter Deinen Schutz und Schirm fliehen wir, o heilige Gottesmutter!“ Mit den Worten dieses Gebetes auf den Lippen, mit denen sich die Kirche Christi seit Jahrhunderten an Dich wendet, knie ich heute an diesem Ort, den Du, Mutter, erwählt hast und in besonderer Weise liebst. Dabei weiß ich mich mit allen Oberhirten der Kirche durch jenes besondere Band geeint, durch das wir eine Körperschaft und ein Kollegium bilden, so wie Christus die Apostel mit Petrus geeint sehen wollte. In solcher Einheit verbunden, spreche ich die Worte dieses Weiheaktes, in den ich noch einmal die Hoffnungen und Ängste der Kirche in der Welt von heute einschließen möchte. Vor vierzig Jahren und zehn Jahre danach hat Dein Diener, Papst Pius XII., angesichts der schmerzlichen Erfahrungen der Menschheitsfamilie die ganze Welt und vor allem jene Völker, denen Deine besondere Liebe und Sorge galt, Deinem unbefleckten Herzen anvertraut und geweiht. 404 Reisen Diese Welt der Menschen und Völker habe auch ich heute vor Augen, da ich die Überantwortung und Weihe, die von meinem Vorgänger auf dem Stuhl Petri vollzogen wurde, erneuern möchte: die Welt des zweiten Jahrtausends, das sich seinem Ende zuneigt, die Welt unserer Zeit, unsere heutige Welt! Der Worte des Herrn eingedenk: „Geht zu allenVölkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern . . . Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28, 19-20), ist sich die Kirche auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil ihrer Sendung in dieser Welt neu bewußt geworden. Darum, o Mutter der Menschen und Völker, die Du „alle ihre Leiden und Hoffnungen kennst“ und mit mütterlichem Herzen an allen Kämpfen zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis, Anteil nimmst, die unsere heutige Welt erschüttern, höre unser Rufen, das wir unter dem Antrieb des Heiligen Geistes direkt an Dein Herz richten, und umfange mit Deiner mütterlichen und dienenden Liebe diese unsere Welt, die wir Dir anvertrauen und weihen, erfüllt von Sorge um das irdische Heil der Menschen und Völker. Vor allem überantworten und weihen wir Dir jene Menschen und Völker, die dieser Überantwortung und Weihe besonders bedürfen. „Unter Deinen Schutz und Schirm fliehen wir, o heilige Gottesmutter!“ Verschmähe nicht unser Gebet in unseren Nöten! Verschmähe es nicht! Nimm an den Akt unseres demütigen Vertrauens und unserer Überantwortung! 2. „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3, 16). Diese Liebe hat bewirkt, daß der Gottessohn sich selbst geweiht hat: „Für sie heilige ich mich, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh 17, 19). Kraft dieser Weihe sind die Jünger aller Zeiten dazu berufen, sich für die Rettung der Welt einzusetzen und für den Leib Christi, die Kirche, zu ergänzen, was an seinen Leiden noch fehlt (vgl. 2 Kor 12, 15; Kol 1, 24). Vor Dir, Mutter Christi, vor Deinem unbefleckten Herzen, möchte ich mich heute zusammen mit der ganzen Kirche unserem Erlöser in dieser seiner Heiligung für die Welt und die Menschen verbinden; nur in seinem göttlichen Herzen findet ja solche Heiligung die Kraft, Verzeihung zu erlangen und Sühne zu leisten. Die Kraft dieser Weihe dauert durch alle Zeiten und erreicht alle Menschen, Völker, Nationen; sie überwindet alles Böse, welches der Fürst der Finsternis im Herzen des Menschen und in seiner Geschichte wecken kann und in unseren Zeiten auch tatsächlich weckt. 405 Reisen Mit dieser Weihe unseres Erlösers verbindet sich durch den Dienst des Nachfolgers Petri die Kirche, der mystische Leib Christi. Wie notwendig ist doch diese in Einheit mit Christus vollzogene Weihe für die Menschheit und für die Welt, für unsere heutige Welt! Die Erlösungstat Christi muß ja von der Welt mitvollzogen werden durch die Kirche. Wie weh tut uns alles, was sich in der Kirche und in jedem von uns der Heiligkeit und der Weihe entgegenstellt! Wie weh tut es uns, daß die Einladung zu Buße, Umkehr und Gebet nicht jene Aufnahme fand, die ihr zukam! Wie weh tut es uns, daß viele so halbherzig die Erlösungstat Christi mitvollziehen! Daß unser irdisches Leben so ungenügend ergänzt, „was an den Leiden Christi noch fehlt“ (1 Kol 1, 24)! Selig all jene, die dem Ruf der ewigen Liebe Folge leisten! Selig jene, die in nimmermüder Hochherzigkeit sich Tag für Tag von Dir, o Mutter, bewegen lassen, zu tun, was Dein Jesus sagt (vgl. Joh 2, 5) und Kirche und Welt das zuversichtliche Zeugnis eines Lebens geben, das sich am Evangelium ausrichtet. Selig über alles Du, Magd des Herrn, die dem göttlichen Anruf in vollkommenster Weise folgt! Sei gegrüßt, die Du der erlösenden Weihe Deines Sohnes Dich ganz verbindest! Mutter der Kirche! Erleuchte das Volk Gottes auf den Wegen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe! Hilf uns, die Wahrheit der Weihe Christi für die gesamte Menschheitsfamilie und die heutige Welt in ihrer ganzen Fülle zu leben! 3. Wenn wir Dir, o Mutter, die Welt, alle Menschen und alle Völker, anvertrauen, so vertrauen wir Dir dabei auch diese unsere Weihe für die Welt an und legen sie in Dein mütterliches Herz. O unbeflecktes Herz, hilf uns, die Gefahr des Bösen zu überwinden, das sich so leicht in den Herzen der heutigen Menschen einnistet und dessen unvorstellbare Auswirkungen über unserer Gegenwart lasten und den Weg in die Zukunft zu versperren scheinen. Von Hunger und Krieg: befreie uns! Von Atomkrieg, unkontrollierbarer Selbstzerstörung und jeder Art des Krieges: befreie uns! Von den Sünden gegen das Leben des Menschen von seinen Anfängen an: befreie uns! Vom Haß und von der Mißachtung der Würde der Söhne und Töchter Gottes: befreie uns! Von jeder Ungerechtigkeit im sozialen, nationalen und internationalen Leben: befreie uns! Von leichtfertiger Übertretung der Gebote Gottes: befreie uns! 406 Reisen Vom Versuch, in den Herzen der Menschen die Wahrheit Gottes zu ersticken: befreie uns! Von den Sünden gegen den Heiligen Geist: befreie uns, befreie uns! Höre, Mutter Christi, diesen Hilfeschrei, in welchem die Not aller Menschen zu Dir ruft, die Not ganzer Völker! Noch einmal zeige sich in der Geschichte der Welt die unendliche Macht der erbarmenden Liebe. Daß sie dem Bösen Einhalt gebiete! Daß sie die Gewissen wandle! In Deinem unbefleckten Herzen offenbare sich allen das Licht der Hoffnung! „In einer Epoche wahren Säkularismus“ Ansprache an die Priester, Ordensleute und Seminaristen in Fatima am 13. Mai Liebe Priester, Brüder und Schwestern! 1. Gnade sei mit euch, Barmherzigkeit und Friede in der Wahrheit und in der Liebe des Heiligen Geistes, der uns gegeben ist (vgl. 1 Thess 1,1; Röm 5, 4). Diese Worte des hl. Paulus bringen die Wünsche zum Ausdruck, die ich an diesem Nachmittag bei dieser Begegnung an euch richten möchte; in diesem Augenblick, der für mich und sicher auch für euch sehr bedeutungsvoll ist. Es ist mir eine große Freude, es ist schön, mit euch -Priestern, Ordensleuten und Seminaristen von Portugal - zusammenzukommen, euch begrüßen und das Wort an euch richten zu dürfen. Jede Begegnung mit gottgeweihten Menschen oder mit Menschen, die sich auf die Ganzhingabe an Gott vorbereiten, erfüllt mich mit Freude, Dankbarkeit und Hoffnung; es ist, als würde ich jedesmal eine einmalige und sehr tiefe Begegnung mit Menschen, die mir sehr nahe stehen, erfahren. Auch ich bin Priester durch die Gnade Jesu Christi; und täglich wächst meine Liebe und Hochschätzung für das Priestertum und das gottgeweihte Leben, für das, was sie für die Sendung, das Leben und den Schatz der Kirche, des mystischen Leibes des Herrn, bedeuten. Der Papst liebt euch alle im Herrn! Der mütterliche und liebevolle Blick Mariens umfängt uns, die wir in diesem brüderlichen Einklang der Herzen für das ganze Leben verbunden sind und hier in gewisser Weise die geheimnisvolle Wirklichkeit erleben, 407 Reisen „Leib“ unserer Kirche zu sein. Hier in Fatima, an diesem Ort, an dem die Mutter Jesu so geliebt und verehrt wird, grüße ich sie von Herzen, und ich fordere euch alle auf, ihr leuchtendes Vorbild zu betrachten. Als der „ältere Bruder“ erbitte ich im Namen aller ihren mütterlichen Segen und wiederhole: „Mutter der Barmherzigkeit, zeige uns Jesus, die gebenedeite Frucht Deines Leibes.“ Mit ihrem Segen und unter ihrem Schutz erheben wir vertrauensvoll unsere Herzen zu Gott, unserem Vater, um ihm zu danken und ihn zu loben: weil er uns liebt und weil er uns zuerst geliebt hat (vgl. 1 Joh 4,10); nicht wir und nicht unsere Eltern haben die Initiative ergriffen, haben entschieden, daß wir geschaffen und getauft wurden, daß wir der Kirche eingegliedert wurden. Die Initiative ist ausgegangen von der „Urliebe“, dem ursprungslosen Ursprung, aus dem der Sohn gezeugt wird und der Heilige Geist durch den Sohn hervorgeht. Ja, es war unverdiente Initiative des übergroßen Erbarmens und der Güte Gottes, des Vaters, daß wir aus freien Stücken geschaffen und überdies gnadenhaft berufen wurden, Anteil zu haben an seinem Leben und an seiner Herrlichkeit in dieser Gemeinschaft der Kirche, die die unsere ist (vgl. Ad gentes, Nr. 2). Gepriesen sei der Herr! 2. Und nun, weil unsere Herzen sich Gott zugewandt haben, wenden wir unseren Blick nochmals hin zur Mutter. Stellen wir uns vor, welche liebevolle und segensreiche Antwort sie uns gibt: „Jesus Christus? Du kannst ihn in seinen Zeichen entdecken. Und es gibt viele solcher Zeichen!“ Und in diesem Augenblick wird vielleicht sie, Maria - zu meiner Beschämung -, hinzufügen: „Das Zeichen ist der Papst. Geh über seine Person hinaus, denn er leiht sie ihm nur: Jesus Christus.“ Mit diesem Bild möchte ich in aller Schlichtheit zum Ausdruck bringen, wie tief ich meine Grenzen empfinde und zugleich wie sehr ich mich Christus und euch gegenüber verantwortlich fühle. Ich denke jetzt an die Augenblicke, die der Herr in Vertrautheit mit „den Seinen“ verbrachte, mit jenen, die er nicht mehr „Knechte, sondern Freunde“ (vgl. Joh 15, 14) nannte; denen er seine Geheimnisse anvertraute und für die er sein Herz öffnete: denen er sein Mitleid mit den Volksscharen anvertraute, die waren wie „die Schafe, die keinen Hirten haben“ {Mt 9, 36), wie die Ernte, für die es nur „wenige Arbeiter“ gibt {ebd. Vers 37); denen er die Voraussetzungen des Ja zu dieser Arbeit beschrieb - nicht materielle Sicherheit (vgl. Mt 10, 9), nicht persönliche Fähigkeiten (vgl. ebd. Vers 20), nicht einfach guter Wille (vgl. Joh 15,14), aber die Bereitschaft, die aus einem einfachen Herzen quillt, das Vertrauen auf Gottes Kraft (vgl. Mt 10, 16) voll von Furcht und Mut (vgl. 408 Reisen ebd. Vers 27). Ja, zu seinen Freunden sprach Jesus offen und über das, was sie interessierte. Und genau das möchte der Papst heute tun, ohne etwas anderes sein zu wollen als „Zeichen“, als euer aller großer Freund. 3. Ihr Priester und Ordensleute habt in Hochherzigkeit euer Leben dem Dienst des Evangeliums geweiht. Ihr seid „erwählt“ (Joh 15, 16); und heute seid ihr die, die Gott gerufen hat; euch hat er die wunderbare Gabe dieser besonderen Berufung anvertraut für seine ganze Kirche, damit ihr hingeht und Frucht bringt, eine Frucht, die bleibt (vgl. ebd.). Ihr seid Gottesgabe an die Kirche von Portugal. Ich freue mich mit euch und ich danke Gott für eure hochherzige Präsenz auf diesem ständig reifendem Feld, für eure Mitarbeit im Dienst und in der Verkündigung der Frohbotschaft. Ihr könnt sicher sein, Gott kennt gut eure Schwierigkeiten, das Ertragen der „Last der Arbeit“ und der „Hitze“ über den ganzen Tag (Mf 20,12); und er ist treu, er wird es nie an der notwendigen Gnade der Beharrlichkeit fehlen lassen, damit ihr der Berufung eure stets frohe Antwort geben könnt. Und ich bin sicher, daß euch nie die Hochherzigkeit und Bereitschaft fehlen wird. Und es könnte auch nicht anders sein. Nachdem wir so viele und vielfältige Gnaden empfangen haben und noch so viele andere von Gott erwarten, würden wir uns nicht schämen — so fragt ein heiliger Bischof — ihm das einzige Entgelt zu verweigern, um das er bittet: die Liebe zu ihm und zu unserem Nächsten? Würden wir es wagen, unser Herz dem Vater gegenüber zu verschließen und uns weigern, in Wahrheit seine Kinder zu sein und den anderen, unseren Brüdern, zu dienen? (vgl. Gregor von Nazianz, Predigten, De pauperum amore, 23; PG 35, 887). 4. Wie gern würde ich jedem von euch persönlich begegnen, um mit ihm über seinen liebevollen Dialog mit Gott zu sprechen; über diese persönliche Geschichte, diese sicher wunderbare Geschichte, die am Tag eurer Taufe angefangen hat und sich fortsetzte bis zu dem Tag, an dem ihr alles „verlassen habt“, um Christus zu folgen; diese Geschichte, die dann weitergeht auf eurem Weg mit ihm als von Gott Gerufene. Aber weil das nicht möglich ist, möchte ich hier euch allen sagen, was ich jedem einzelnen anvertraut hätte: Christus ist der einzige Sinn, das Maß und das Ziel eures Lebens; der Christus der Seligpreisungen, der radikalen Ganzhingabe „um des Himmelreiches willen“. Und so könnten wir jede einzelne der Seligpreisungen betrachten. Weil dies aber den Rahmen unserer Möglichkeiten sprengt, nehmen wir als Beispiel den Geist der Armut: „Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich“ {Mt 5, 3). 409 Reisen In einer Gesellschaft, die das Haben so hoch einschätzt, in der die immer neue Suche nach Wohlstand vorzuherrschen scheint, die sich so oft vom Luxus faszinieren läßt, der in unmittelbarem Kontrast zu schreiendem Elend steht, ist die Armut, vor allem der Geist der Armut, eine Herausforderung. Eine Herausforderung für alle: für die Reichen und für die materiell Armen, eine Herausforderung in besonderer Weise für jene, die die evangelische Armut gelobt haben. Die evangelische Armut ist mehr als der einfache Verzicht auf materielle Güter; sie ist das Sich-Preisgeben, das „Sich-Verlieren“ in Gott. Christus hat einmal von einem Kaufmann erzählt, der eine kostbare Perle auswählte. Um sie zu erwerben, verkaufte er alles, was er hatte (vgl. Mt 13, 46). Er verdeutlichte so, wie jene, die weise zu handeln wissen, die Gabe der Unterscheidung bekommen für die Güter, die einen größeren Wert haben. Nach einer solchen Wahl wagte es Petrus eines Tages, Christus zu fragen, welche diese höheren Werte sind, für die er alles verlassen hatte, um dem Meister zu folgen; und er erhielt die bekannte Antwort: das Hundertfache und das ewige Leben (vgl. Mt 19, 27-29). Wenn wir die Wahl, die auch wir getroffen haben, im Licht dieser Antwort, die Petrus erhielt, neu überdenken, werden wir es dann wagen, wir und die anderen, zu prüfen, ob die Verheißung des Herrn sich erfüllt hat? Sind unsere innere Haltung und unser äußeres Verhalten ein Ausdruck des ruhigen Besitzes dieses „Hundertfachen“ und der Hoffnung auf das ewige Leben? Oder wird es eher scheinen, als verließen wir nicht „alles“ - Fragen, „Hypothesen“ ohne Hypothese, menschliche „Sicherheiten“, „Bindungen“, die uns nicht erlauben, uns in das Meer der Risiken zu stürzen - und „erhielten“ deshalb nicht mehr als jeder andere, der nicht erwählt wurde und der seine ganze Kraft für das diesseitige Leben einsetzt? 5. Wie ihr wißt, Brüder und Schwestern, ist es nicht damit getan, alles zu verlassen: Wir müssen Christus folgen und uns ständig darum bemühen, uns mit ihm und mit seiner Sache zu identifizieren. Wir sind in der Welt, sind aber nicht von dieser Welt; wir sind bestellt, unter den Menschen Zeichen der Wahrheit und der Gegenwart Christi für die Welt zu sein. Wir haben ihm unser ganzes Sein zur Verfügung gestellt, unser konkretes Tun, damit er weiter umherzieht und Gutes tut (vgl. Apg 10, 38). Diese unsere Hingabe, diese „Übereignung“, hat uns ein Merkmal aufgeprägt, das nunmehr unsere Identität ausmacht. Mit unserer ganzen Würde als Person gehören wir Christus. Alle, die uns sehen, müssen ohne Schwierigkeiten erkennen können, was diese unsere einzige Identität ist. Um das gegenseitige Kennenlernen zu erleichtern, ist es heute üblich, daß 410 Reisen bei Treffen und Konferenzen die Teilnehmer eine sichtbare Karte tragen mit ihrem Foto und ihren Personalien; so kann ohne Schwierigkeiten jeder einzelne identifiziert und bei seinem Namen gerufen werden. So müßte es auch mit uns sein: Die anderen müßten in Stille oder in Offenheit einen Dialog mit uns eingehen können, mit dem Priester, dem Ordensmann oder der Ordensfrau und sogar mit dem Seminaristen, nachdem sie diese identifiziert haben, nachdem sie sie bei ihrem Namen, als „von Gott Erwählte“, gerufen haben, weil diese im äußeren Verhalten und in der Haltung erkenntlich geworden sind. So wie es schwer ist, in einer Konsumgesellschaft die evangelische Armut zu leben und zu bezeugen, ist es auch schwer, in einer Epoche des wahren Säkularismus Zeichen des Religiösen, des absoluten Gottes zu sein. Die Tendenz zur Nivellierung, ja sogar zur Umkehrung der Werte fördert die Anonymität der Person: Man möchte wie die anderen sein, man möchte nicht auffallen. Es ist jedoch charakteristisch für den Ruf Christi, „Salz“ und „Licht“ für die Welt zu sein (vgl. Mt 5, 13 ff.); und das gilt in besonderer Weise für die, die sich ihm ganz weihen. Auch bleibt die ganze Kraft seiner Verheißung noch erhalten: „Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen“ (Mt 10, 32). Liebe Brüder und Schwestern! Wegen seiner Einzigartigkeit wurde der Meister mit wenig schmeichelhaften Bezeichnungen genannt (Mt 10, 24). Und der Jünger ist ja nicht mehr als der Meister. Die ersten Jünger hatten uns bezeugt, daß sie sich freuten, „weil sie gewürdigt worden waren, für seinen Namen Schmach zu erleiden“ (Apg 5, 42); und die jetzige Generation der Kirche muß Trägerin dieses Zeugnisses sein. 6. Die Treue zu Gott und den Menschen setzt innere und geistige Freiheit voraus; sie ist auch unersetzliche Bedingung für die fruchtbare Teilhabe an der Sendung Christi. Unsere Berufung ist Gabe auf diese Sendung hin. Ihr seid gerufen, für das Reich Gottes zu arbeiten. Bei diesen Gedanken möchte ich ein wenig verwehen und mit euch über das apostolische und pastorale Engagement nachdenken. Die Aufgaben der Kirche und in der Kirche sind vielfältig: vom Amt bis hin zu den einfachen und verborgenen Diensten und zu den Arbeiten, die eine gewisse Ausbildung voraussetzen; bei Menschen verschiedener Stände, aber immer für die Menschen. Aus diesem Grund rief der Heilige Geist viele Initiativen hervor, um den verschiedenen Herausforderungen und Bedürfnissen der Zeiten und Orte zu entsprechen. Ein rascher Blick auf alle, die hier versammelt sind, genügt, um die Vielfalt dieser Dienst- 411 Reisen formen im Reiche Gottes zu erkennen; ihr alle, die ihr hier versammelt seid, gebt Zeugnis von der ständigen Lebendigkeit der Kirche; von ihrer Sorge für die Menschen, die die Stifter der Ordensfamilien und apostolischen Bewegungen - jeder in seiner Art und mit seinen eigenen Verdiensten - zum Ausdruck gebracht haben. Aber der gemeinsame Nenner, das hervorragende Mittel und der beste Weg, um als Glied der Kirche an der Sendung Christi teilzuhaben, ist die einzelne Person und das Zeugnis ihres Lebens. Die anderen Mittel und Wege, die in den verschiedenen Werken und Initiativen zum Ausdruck kommen und bei den Adressaten der Evangelisierung mehr oder weniger Anklang finden, sollten das, was ihr seid, nie in den Schatten stellen oder gar in Vergessenheit geraten lassen: Ihr seid Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen. Selbst dort, wo ihr aus berechtigten Gründen weltliche Berufe auszuüben habt, soll das nur subsidiär geschehen und immer eurem eigentlichen Stand und eurer Aufgabe untergeordnet sein. Nie und um keinen Preis dürft ihr diese Identität verkürzen. Niemals dürft ihr das genaue Ziel des apostolischen Amtes und Dienstes, zu denen ihr gerufen wurdet, vergessen: unsere Brüder, die Menschen unserer Tage, zur Gemeinschaft mit der Heiligsten Dreifaltigkeit führen. Der Trend, im Eigentum, in der Wissenschaft, im Ansehen und in der Macht die Sicherheit des Lebens zu suchen, wird in unseren Tagen immer größer. Die Treue zu allen Verpflichtungen, die ihr mit der Priesterweihe und mit der Hingabe eures Lebens an Gott übernommen habt, euer hochherziges Leben in der Armut, der Jungfräulichkeit und dem Gehorsam, ist für die Menschen eine Warnung vor dieser falschen Sicherheit. Euer Leben erinnert die Menschen an ihre eschatologische Dimension; ihr seid ein Hinweis auf das „Himmelreich“, dem ihr eure Liebe geweiht habt. 7. Eure pastorale und apostolische Fruchtbarkeit wird immer abhängen von dem Maß eurer Treue zu Christus, zu dieser Verpflichtung zur Liebe. Diese Treue ist es, die das Herz frei macht und den Geist mit der Liebe zu Christus und zu seinen Brüdern in der Welt entzündet (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 1 und 12). Das Fundament dieser Treue ist die Pflege der Einheit mit dem Herrn; die ständige und tiefe Erneuerung durch das Gebet und das sakramentale Leben, um der Gnade im eigenen Leben Raum zu geben. „Denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“, sagt der Herr (Joh 15, 5). Diese Gedanken, Brüder und Schwestern, bilden den Kern meiner heutigen Botschaft an euch: Wenn das vollkommene Gleichgewicht zwischen eurem Leben mit Gott und eurer Tätigkeit bei den Menschen nicht erhalten bleibt, ist euer Engagement in der Evangelisierung, ja, seid ihr 412 Reisen selbst als Evangelisierte gefährdet. Das Gebet ist die Seele eures Einsatzes für das Reich: das liturgische Gebet, zentriert um die Eucharistie; das Empfangen der Eucharistie in jener Reinheit des Gewissens, die den Empfang des Bußsakramentes in seiner ganzen Tiefe, ohne jegliche Verkürzung, voraussetzt; das Stundengebet, das den Rhythmus einer ständigen Anbetung bestimmt, „im Geist und in der Wahrheit“, bewußt vollzogen in Anwesenheit der Jungfrau Maria, die im Gebet verharrt, der Magd des Herrn, des Vorbilds aller, die dem Herrn dienen wollen. 8. Diese Forderung des Lebenszeugnisses macht uns aufmerksam und wachsam für die Pflicht, das Heil in Christus zu verkündigen, so, wie es Petrus zum Ausdruck bringt: „Wir können unmöglich schweigen“ (Apg 4, 20). Immer wird sich irgendeine Gelegenheit bieten, die Saat auszustreuen; aber es kann sich immer nur um die Saat der Wahrheit und des Guten handeln; und sie wird nur Frucht bringen, wenn sie begleitet wird vom ständigen Gebet und der Betrachtung, vom Studium des Wortes Gottes, entsprechend dem authentischen Lehramt der Kirche. Heute informieren die großartigen Kommunikationsmittel über alles, aber nicht immer mit gebührender Distanz und Objektivität; darum bedürfen viele eines klärenden Wortes, der Orientierung und der Hilfe, um unterscheiden zu können. Bleibt darum immer offen für die Vertiefung des Wissens und das Festhalten an der Wahrheit, die ihr in Christus schon erkannt habt (vgl. Joh 14, 6); in dieser Liebe und Treue zur Wahrheit richtet euch aus nach dem Motto des hl. Franz von Assisi: den Glauben dorthin bringen, wo Zweifel herrscht. Es ist vor allem die Wahrheit, durch die man Einheit schafft; aus der Einheit der Geister wird leicht die Einheit der Herzen, die Einheit der Ausrichtungen auf das eine Ziel. Ein Reich, das in sich selbst gespalten ist, kann nicht bestehen (vgl. Lk 11, 17). Geteiltes Apostolat zerstört sich selbst. Und wir wissen, daß das Apostolat sich teilen wird, wenn es der Versuchung des Exklusivismus unterliegt, wenn es sich gegen die berechtigte Verschiedenheit der Gaben und Charismen richtet. Oder auch, wenn es der Versuchung der Isolierung erliegt im Hinblick auf die Arbeit der anderen, ohne sich in gemeinsame Pastoralprogramme oder -pläne einzuordnen. Selbst wenn es eine Verschiedenheit der Gaben, Dienste und Werke gibt, ist der Ursprung derselbe: „Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt“ (7 Kor 12, 7). 9. Als ich eure schöne Sprache erlernte, habe ich mir einen Satz aus der Volksweisheit gemerkt: „Wenn man miteinander redet, versteht man einander.“ Die Einheit der Kräfte der Arbeiter der Evangelisierung setzt Eintracht voraus; und diese kann nur entstehen durch den wahren Dialog, 413 Reisen in dem auch die affektive Komponente eine Rolle spielt. Wie schön und wichtig ist es, einander als Brüder zu begegnen auf einer Ebene, die tiefer liegt als die Mitteilung rein abstrakter Begriffe: einander begegnen auch in Freundschaft, um geistige Güter miteinander zu teilen und sich als Mensch verstanden zu fühlen in der freiwilligen und echten Armut des Geistes. Jedesmal, wenn eine solche Begegnung zustande kommt mit den Amtsbrüdern, mit denen, die das gleiche Leben und das gleiche Apostolat teilen - die Erfahrung wird es euch gewiß lehren -, wird unser Sinn für die Teilhabe am Leben und an der Sendung Christi erneuert. Der Herr und Meister selber hat es uns ja gesagt: „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13, 35). Und hier könnten wir unsere Überlegungen weiterführen über den Wert dieses Dialogs der Liebe in verschieden spezifischen Lebensbedingungen und Situationen. Ich möchte nur zwei von ihnen herausgreifen: - Die alten Menschen (Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen) in diesem Internationalen Jahr der Alten und der Behinderten: An sie alle richte ich ein Wort herzlicher Teilnahme und brüderlichen Grußes und ich möchte ihnen sagen: Ihr seid heute noch genauso wichtig und bedeutungsvoll für die Kirche Christi, wie ihr es gestern gewesen seid. Mit dem hl. Petrus Chrysolokus bitte ich euch, macht eure Herzen zu einem Altar und mit eurem ganzen Vertrauen bietet Gott euren Leib dar als Opfer in Glaube und Hochherzigkeit! Der Papst liebt euch und segnet euch! - Die Beziehungen zu den koordinierenden Autoritäten: Hier bringt der Dialog, der auf der Bereitschaft zu loyaler und gehorsamer Mitarbeit gründet, unermeßliche Vorteile für beide Teile, indem sie sich gegenseitig persönlich bereichern können und so den geistlichen Schatz der Kirche und die Wirksamkeit der Evangelisierungsarbeit fördern. Wenn ich den Begriff des Dialogs erweitern darf, möchte ich sagen, daß wir, damit wir der Gefahr einer fortschreitenden Verarmung unseres Priester- oder Ordenslebens entkommen, die Kontakte mit den Quellen unserer ursprünglichen Formung und Ausbildung erhalten müssen, ja, uns um Fortbildung bemühen müssen. Wenn unsere Verkündigung der frohen Botschaft zeitgemäß sein soll, ist der Dialog mit der Kultur unseres Milieus unerläßlich. Damit die Gründe der Hoffnung, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3, 15) und die wir anderen vermitteln möchten, angenommen werden, müssen wir um eine ständige Aktualisierung unserer Ausdrucksformen ringen. 10. Die Freude dieser unserer Begegnung wäre nicht vollkommen, wenn wir nicht einen kurzen geistigen Besuch den Brüdern und Schwestern machen würden, die ihr Leben der Kontemplation geweiht haben, die in 414 Reisen stiller Sammlung und Klausur der eigenen Ganzhingabe „um des Himmelreiches willen“ leben. Was wollen wir ihnen sagen? Wir wollen ihnen zuallererst unseren brüderlichen Dank zum Ausdruck bringen für das, was sie sind und was sie für uns bedeuten; für das, was sie sind und was sie für die Sendung der Gemeinschaft der Kirche und für die Welt bedeuten. Sie sind ja in besonderer Weise im Herzen und im Geheimnis der Kirche verankert. Das beschauliche Leben ist von vitaler Bedeutung für die Kirche und für die Menschheit, denn diese brauchen den lebenspendenden Sauerstoff der erneuernden Gnade, die durch das Gebet und das verborgene Opfer unserer lieben beschaulichen Brüder und Schwestern vermittelt wird. Ihr stilles Opfer ist eine Proklamation des absoluten Gottes, und es fordert die Menschen, ihre Brüder und Schwestern, heraus, nach dem Sinn des Lebens zu fragen, ihre Liebe, die in der Anbetung und im Gebet zum Ausdruck kommt, ergießt sich über die Geschichte der Menschen: der Menschen, die den Herrn der Geschichte schon kennen und solcher, die ihn und das Heil, das er für uns bereithält, noch nicht erkennen; die einen und die anderen müssen ja im menschlichen Zusammenleben ständig neu die Gerechtigkeit und die Brüderlichkeit aufbauen nach den Plänen Gottes. Und jetzt, während meiner Wallfahrt nach Fatima, möchte ich wiederholen, was mir immer in den Sinn kommt, wenn ich zu Kontemplativen spreche: Betet und opfert für uns und für alle, die auch beten, für diejenigen, die nicht beten können, für diejenigen, die nie zu beten gelernt haben, und für die, die nicht beten wollen! Und möge der Gott des Friedens immer bei euch sein! 11. Und an die neuen Brüder - die Seminaristen und jene, die sich auf die Ganzhingabe ihres Lebens an Gott vorbereiten - möchte ich auch ein besonderes Wort der Ermutigung, der Brüderlichkeit und des Vertrauens richten. Ihr habt einen besonderen Platz im Herzen des Papstes, in der Hoffnung der Kirche und besonders in der Kirche dieses Landes, die eine so reiche Tradition an Priester- und Ordensberufen hat. In euch sehe und grüße ich alle zum priesterlichen oder Ordensleben Berufenen ganz Portugals. Ich kann euch sagen, mit welcher Sehnsucht ich zurückdenke an die Zeit meines Theologiestudiums und wie sehr ich mich freue, heute bei euch sein zu dürfen! Aber selbst diese Freude wird auch hier in Portugal getrübt durch Schatten, die uns erinnern an den Ausspruch des Herrn: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter“ (Lk 10, 2). Und, ausgehend von dieser Erinnerung, möchte ich mich an alle richten, die von dieser Frage 415 Reisen berührt werden — und das ist im Grunde das ganze Volk Gottes —, damit sie sich mit aller Kraft dem Apostolat der geistlichen Berufe widmen: durch inständiges Gebet, durch das gute Beispiel vor allem jener, die schon erwählt wurden; durch eine angemessene pastorale Tätigkeit, die in der Familie anfängt und über die verschiedenen Gemeinschaften wie die Schule sich erstreckt bis zu den Plänen und Programmen der Gesamtpa-storal. Ich weiß, daß ihr in dieser Hinsicht schon viel tut, und ich möchte, daß meine Worte euch trösten und ermutigen, weiterzumachen. Und all denen, die in den Priesterseminaren und Ausbildungsstätten ihre ganze Kraft einsetzen, um im Sinn der Mutter Kirche diese hoffnungsvollen Berufe zu pflegen, damit sie Frucht bringen in heiligen Priestern und Ordensleuten, möchte ich meine ganze Hochschätzung zum Ausdruck bringen und wiederholen, was sie sicher schon wissen: Ihr seid nicht allein, die ganze Kirche begleitet euch in eurer hochherzigen und kostbaren Tätigkeit. Ihr wißt, daß der Papst euch unterstützt und schätzt, wie es auch eure Bischöfe und Ordensobern tun. Möge auf eurer Mitarbeit ständig der Segen Gottes ruhen! Und ihr, meine jungen Freunde, strebt nach diesen Idealen. Lebt das Leben und setzt ihm ein edles Ziel. Ihr steht in einem Lebensabschnitt, in dem ihr sehr viel mit Gott über die Menschen sprechen müßt, damit ihr später mit den Menschen über Gott sprechen könnt. Sicher ist euch ein Sprichwort bekannt, das ich aber dennoch in Erinnerung rufen möchte: „Viel Studium viel Wissen; viel Nachdenken viel Weisheit; viel Tugend viel Frieden.“ Nur Mut! Brüder und Schwestern! Der Arme im Geiste ist der, der glaubt, der sich dem Evangelium von der Liebe und dem Erbarmen Gottes hingibt und es in seinem Alltag lebt; der wahrhaft Geweihte ist derjenige, der in sich selbst und in seinem Leben die absolute Herrschaft Gottes zum Tragen kommen läßt, der „über alles und in allem“ sein möchte (i Kor 15, 28); der Bote des Evangeliums ist der, der die frohe Botschaft, die er in seinem Herzen trägt und die ihn innerlich verwandelt und geistig frei macht, verkündet. Seid eurer hohen Berufung treu! Und möge die Jungfrau Maria, die Mutter der Kirche, Unsere Liebe Frau von Fatima, immer in eurem Leben gegenwärtig sein mit ihrem Vorbild und ihrem Schutz. Möge sie euch Ausgewogenheit, Trost und Freude von ihrem Sohn, Jesus Christus, erflehen, in dessen Namen ich euch von ganzem Herzen segne. 416 Reisen „Ich weiß um den Wert eurer Dienste“ Ansprache an die Mitarbeiter des Heiligtums in Fatima am 13. Mai Liebe Brüder und Schwestern im Herrn! 1. Aus dem Herzen kommt mir ein Wort großer Sympathie und Anerkennung für euch alle, Dienerinnen Unserer Lieben Frau von Fatima, und andere Mitarbeiter, die hier den Pilgern behilflich sind, und auch für euch, Arbeiter, die ihr eure Kräfte für die Werke dieser großartigen Einrichtung einsetzt. Es will mir scheinen, als hätte an der tiefen und unvergeßlichen Freude über meine Pilgerfahrt nach Fatima etwas gefehlt, wenn ihr nicht einen tiefempfundenen, anregenden und herzlichen „Willkommensgruß“ entboten hättet. Die Meßfeier heute vormittag hat in mir wieder die dankbare Erinnerung an viele andere Pilgerreisen wachgerufen, an denen ich in meinem Heimatland - vor allem zum Heiligtum von Jasna Gora und Tschenstochau -und auf meinen apostolischen Reisen durch die Welt - von Guadalupe bis Fatima - zu meiner Freude teilnehmen konnte. Ich weiß aus unmittelbarer Erfahrung gut um den Wert eurer Dienste und eurer Hingabe, durch die ihr den Pilgern beisteht und helft, daß sie sich an diesem gesegneten Ort wohl fühlen können. Aber ich kenne auch und schätze noch mehr das, was ihr, bewußt oder unbewußt, voll Großmut und Opfergeist tut, um ihnen die Gelegenheit zu einer liebevollen Begegnung durch die Himmelskönigin mit dem Vater im Himmel zu bieten und im Herzen jedes Pilgers den Glauben und die christliche Lebenshaltung zu bestärken. Oft entsteht hieraus eine Neubegegnung mit sich selbst und eine zunehmende Gelehrigkeit gegenüber der Stimme Mariens, deren mütterliche Anrufe sich konzentrieren in: „Was er (Christus) euch sagt, das tut“ (Joh 2, 5). Und wie viele, wie viele kehren dank eurer Hilfe und Anteilnahme mit der inneren Bereitschaft heim, neue oder auch vergessene Wege der Buße, des Gebetes, der Redlichkeit, der Güte, der Gerechtigkeit und der Gnade zu gehen. 2. Nachdem ihr euch kindlich Unserer Lieben Frau geweiht habt, seid ihr durch euren Dienst an euren Brüdern, besonders den Kranken und Bedürftigsten, auch Werkzeuge des barmherzigen Gottes; und das gereicht euch zum Heil, denn ihr hört das Wort des Meisters im Hinblick auf das ewige Leben: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ {Mt 25, 40). Und außerdem vollbringt ihr 417 Reisen mit euren sichtbaren Taten der Menschlichkeit und Nächstenhebe das Werk der Evangelisierung: „den Armen wird das Evangelium verkündet“ (Lk 7, 22). Glaubt nicht, daß es anders geschehen soll: Die Frohbotschaft muß vor allem durch das Zeugnis verkündet werden, verbunden mit der Bereitschaft, zu verstehen und anzunehmen; ferner auch durch die ganz einfache und spontane Bekundung und Ausstrahlung des Glaubens an Werte, die über den allgemeingängigen Werten stehen, und der Hoffnung auf etwas, das man nicht sieht und das man sich nicht vorstellen kann. Kraft dieser Bezeigung der Liebe ohne Worte werden gewiß im Herzen derer, die eure „guten Werke“ sehen, folgende Fragen aufkommen: Warum sind sie und handeln sie so? Was ist es oder wer ist es, der sie beseelt und sie so gütig sein läßt? (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 21) Gebe Gott, daß ihr euch weiterhin von dieser „Hoffnung, die euch erfüllt“ {1 Petr 3, 15), erleuchten laßt und diese euch ermutigt, auch in Zukunft mit Ausgewogenheit, Freude und Liebe eure hochherzig übernommenen Aufgaben als eure christliche Berufung zu erfüllen; trachtet danach, daß diese Aufgaben Ausdruck eurer kindlichen Verehrung für die Muttergottes und unsere Mutter seien. 3. Und euch, meine lieben Arbeiter, meine Brüder, möchte ich sagen: Seid gewiß, daß für das, was ihr seid und was ihr hier repräsentiert, der Papst euch hochschätzt; der Papst ist, wie ihr wohl wißt, der Stellvertreter Christi, des Erlösers, der es nicht unter seiner Würde hielt, das Evangelium, das Wort der ewigen Weisheit, zu verkündigen; im Gegenteil, der es mit ganzer Liebe in seinen Werken verwirklicht hat, das Evangelium, das auch „Evangelium der Arbeit“ ist, weil der, der als Zimmermann „es verkündete, selbst ein Mann der Arbeit war, der Handwerkerarbeit“ (vgl. Laborem exercens, Nr. 26). Ihr wißt, daß ich vor kurzem ein langes Schreiben — eine Enzyklika — über die menschliche Arbeit verfaßt habe, aus welcher ihr ersehen könnt, welchen Wert ich der Arbeit und vor allem allen arbeitenden Menschen im Rahmen meines Sendungsauftrages beilege, insbesondere wenn sie die Arbeit mit einem Gott zugewandten Herzen verrichten und sich bewußt sind, daß sie mit ihrer Arbeit das Schöpfungswerk, das Er in seiner Güte für uns vollbracht hat, fortsetzen und daran mitarbeiten. Deshalb hinterlasse ich euch als Erinnerung an diese kurze Begegnung, als Unterpfand der Freundschaft, von der ich möchte, daß sie immer zwischen uns bestehen bleibt, weil Gott unser gütiger Vater ist und wir alle in Christus Brüder sind, folgende Gedanken: 418 Reisen Wenn ihr für euch und für eure Familien den Lebensunterhalt verdient, denkt immer daran, daß Gott euch sieht; übt eure Tätigkeit aus wie einer, der an der Vervollkommnung der göttlichen Schöpfung mitarbeitet, wie einer, der einen persönlichen Beitrag zur Verwirklichung der Pläne Gottes in der Geschichte leistet. Verherrlicht darum stets Gott, indem ihr ihm eure Arbeit so darbringt, daß ihr sie in Nächstenliebe und in einen Dienst an der Gesellschaft verwandelt, deren Glied ihr seid. Eure Arbeit ist nicht nur für den irdischen Fortschritt wichtig, sondern auch für das Reich Gottes, zu dem wir alle berufen sind und an dem teilzuhaben ich euch wünsche - jetzt in dieser Zeit und auf ewig im Himmel. Ich bete für euch und hoffe, daß ihr eurerseits dasselbe tut; ich erbitte für euch — durch die Fürsprache Unserer Lieben Frau von Fatima — reiche Gnaden an Güte, Gelassenheit und Leben in Christus. Und in dieser Gesinnung erteile ich euch und durch euch allen euren Lieben aus ganzem Herzen meinen Apostolischen Segen. Mutter des göttlichen Erbarmens Ansprache beim Abschied von Fatima am 13. Mai Liebe Brüder und Schwestern! Jetzt ist für mich der Augenblick gekommen, wo ich Fatima verlassen muß, um meine apostolische Reise, meine pastorale Mission in eurem Heimatland fortzusetzen. Ich bin zu einem „Magnifikat“ mit euch gekommen, das alle Handlungen und Zeremonien dieser Pilgerfahrt durchzieht; die Muttergottes sollte den Vorsitz führen; ich als ihr Sohn, Bruder unter Brüdern, habe daran teilgenommen, um meine Brüderlichkeit im Glauben zu bekräftigen und als Nachfolger des hl. Apostels Petrus Herold und Sprecher der Muttergottes und unserer Mutter zu sein, indem ich das Erbarmen des Allerhöchsten, das Geheimnis der Beziehung zwischen Gerechtigkeit und göttlicher Liebe, das im Tod und in der Auferstehung Jesu Christi geoffenbart wurde, verkünde (vgl. Dives in misericordia, Nr. 4). Ich habe die Pilgerreise mit dem Hymnus auf das Erbarmen Gottes im Herzen begonnen; und beim Abschied will ich euch sagen, daß dieser Hymnus in meiner Seele noch immer nachklingt: „Von den Taten deiner Huld, Herr, will ich ewig singen“ (Ps 89, 2), im Chor mit der heutigen 419 Reisen Generation der Kirche, dessen erste Solistin die Mutter des göttlichen Erbarmens ist. Durch das Opfer ihres Herzens, vor allem zu Füßen des Kreuzes, hat sie in einzigartiger Weise teil an der Offenbarung des Erbarmens: Sie will uns immer auf den Wegen des Erbarmens zur Hoffnung führen: zu „Jesus Christus, unserer Hoffnung“ (1 Tim 1, 1). Wir kommen hierher, um in der Haltung dankbarer Liebe zu dem Herrn zu beten, „der voll Erbarmen und Mitleid ist“ (Jak 5, 11). Da wir uns bewußt sind, wie sehr wir es persönlich nötig haben, uns auch weiterhin an das göttliche Erbarmen zu wenden, beten wir: „Erlaß uns, Herr, unsere Schuld“ (vgl. Mt 6, 12); und da wir uns zutiefst bewußt sind, wie sehr die Menschen unserer Zeit ihn beleidigen und ablehnen, beten wir mit Christus am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23, 34). Aber wir beten auch, bewegt vom Impuls der Liebe, zu allen Menschen, die unsere Brüder sind, und wünschen das wahrhaft Gute für sie alle ohne Ausnahme: Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Familienväter, Alte und Kranke, wo überall auf der weiten Welt sie sich befinden mögen. Und wir möchten, daß sie das wissen. Ja, wir wünschen, daß die ganze Menschheitsfamilie von dem erfahre, was „Gott uns schenkt“ (vgl. Joh 4, 10) in Jesus Christus, von der Gabe der Liebe und des Erbarmens, daß sie sich angespornt fühle, Erbarmen zu üben, was für den Weg des Friedens unerläßlich ist, und das Wort zu hören, das auf diesem Berg von Fatima erklingt und von jenem Berg in Galiläa herkommt: „Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden“ (Mt 5, 7). „Immer wird in meiner Seele“, dessen könnt ihr sicher sein, „dieser unsterbliche Ruf ,Fatima, lebe wohl!““ lebendig sein, nachdem wir hier gemeinsam unsere Gebete zum Himmel emporgesandt haben, wobei wir uns vom Glauben, von der Hoffnung und der Liebe leiten ließen. Die Stunde des Abschieds ist gekommen. Aber ich glaube, daß wir auch weiterhin in der Liebe Christi eng verbunden sein werden, wenn wir jetzt in Freude voneinander scheiden und unsere „Buße und unser Gebet“, ein Gebot dieser Liebe, erfüllt haben. Ich bin euch allen zutiefst dankbar, die ihr euch hier in Fatima engagiert und mit Fleiß und Begeisterung dafür gearbeitet habt, diese Pilgerfahrt bis in die kleinsten Einzelheiten zu organisieren. Gewiß habt ihr das alles zur Verherrlichung Gottes und in Verehrung für die Muttergottes getan; aber bestimmt wird auch die Liebe zum Papst eine Rolle gespielt haben: Ich danke allen! Und damit die Freude dieser Begegnung anhalte und sich immer wieder erneuere, hinterlasse ich euch, während ich euch „Gott befohlen!“ sage, 420 Reisen mit meinem Segen zum Abschied die Worte der Mutter: „Was er -Christus - euch sagt, das tut!“ Vergebt das nicht! Es segne euch Gott, der Allmächtige, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist! Betet für den Papst! Lebt wohl! Auf Wiedersehen bis zum nächsten Mal! „Die portugiesische Kultur: Schlüssel zum Verständnis großer Völker“ Ansprache an das Diplomatische Korps in Lissabon am 13. Mai Exzellenzen! Meine Damen, meine Herren! 1. Ich bin in dieses teure Land Portugal vor allem aufgrund einer Pilgerfahrt zur Muttergottes von Fatima gekommen wie auch zu einem Pastoral-besuch bei den Söhnen und Töchtern dieses Landes, die fast einhellig dem katholischen Glauben angehören, und zu einer Begegnung mit ihren Regierenden, die gleichfalls die Freundlichkeit hatten, mich einzuladen und herzlich zu empfangen. Es war mein Wunsch, mich wenigstens in einigen größeren Städten aufzuhalten und mit den verschiedenen Schichten in Kontakt zu treten. Aber ich legte darüber hinaus Wert darauf, einen Augenblick den bei der portugiesischen Regierung akkreditierten ausländischen Diplomaten vorzubehalten, da ich mir der Bedeutung Ihrer Mission für den Frieden, die Sicherheit und die brüderlichen Beziehungen zwischen den Völkern lebhaft bewußt bin. Ich freue mich, in Ihrer Person alle von Ihnen vertretenen Länder begrüßen zu können; ich hatte die Freude, dank der freundlichen Einladung der staatlichen B ehörden und der Ortsbischöfe bereits eine Reihe dieser Länder zu besuchen, und bewahre die Erinnerung an die freundliche Aufnahme durch Ihre Landsleute. Im übrigen haben viele von Ihnen Kollegen, die für ihre Länder eine diplomatische Vertretungbeim Hl. Stuhl wahrnehmen. Mit ihnen zusammenzutreffen und ihnen die Sorgen der Kirche, insbesondere was den internationalen Frieden betrifft, anzuvertrauen, ist für mich immer willkommen und ergiebig. Ich erlaube mir, auch mit Ihnen darüber zu sprechen. 2. Zunächst stelle ich fest, daß Sie Ihre Aufgabe in einem Land wahrnehmen, das Ihrem Auge und Ihrem Herzen sehr anziehende Aspekte bietet, 421 Reisen die geeignet sind, Ihre Erfahrung zu bereichern. Die Geschichte Portugals ist in einer alten Kultur verwurzelt, die sich im Einflußbereich der lateinischen Länder entfaltet hat und daher von christlichen Werten geprägt ist. Gleichzeitig aber hat sich Portugal den fernsten und verschiedenartigsten Horizonten anderer Kontinente geöffnet. So hat die portu-giesiche Nation weiten Gebieten Südamerikas, Afrikas und selbst Asiens ihr Zeichen aufgeprägt. Wenn sie nun in immer engerer Verbindung mit den Ländern dieses Kontinentes, an dessen geistiger und wirtschaftlicher Einheit sie Anteil hat, im besonderen ihre europäische Zugehörigkeit betont, bleiben ihre weit vertreitete Kultur und Sprache ein Schlüssel zum Verständnis der Geschichte und vieler aktueller Züge der großen Völker, die - jenseits der Weltmeere - nun ihr Schicksal selbst in die Hand genommen haben. Zugleich denke ich an die nähergelegenen Länder, die heute so viele portugiesische Gastarbeiter aufnehmen. Ich wünsche daher, daß die Zeit Ihrer diplomatischen Mission in Lissabon Sie nicht nur mit den politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten dieses Landes vertraut macht, sondern auch mit allen kulturellen Reichtümern, die dieses dynamische Volk hervorgebracht hat. Möge Ihre Sympathie auch alle jene einschließen, die in der Welt in den Genuß der portugiesischen Kultur gekommen sind! 3. Sie selbst vertreten im Namen Ihrer Regierungen beim portugiesischen Staat Ihre Heimatländer mit ihren unterschiedlichen Interessen. Der diplomatische Weg, der Ihre Aufgabe ist, setzt ausgeprägtes Beobachtungsvermögen und Hellhörigkeit voraus sowie die Kunst der Verhandlung, um Verständigung, Einvernehmen und Zusammenarbeit durch vernünftige Mittel zu fördern. Die Diplomaten sind also berufen, ihrem Land zu dienen, aber auch - und das wünsche ich von Herzen - dem Wohl aller Völker, das heißt den Voraussetzungen, die die Sicherheit und den Fortschritt aller gewährleisten. Denn jedes Land trägt seinerseits aus gutem Grund dafür Verantwortung, daß die Elemente des friedlichen internationalen Zusammenlebens sich immer weniger voneinander trennen lassen. Das setzt eine gewisse Zahl von Überzeugungen voraus, von denen ich bereits mehrmals vor Diplomaten oder Verantwortlichen der internationalen Gemeinschaft gesprochen habe und die ich mir heute Ihnen in Erinnerung zu bringen erlaube. 4. Da ist zunächst der normale Zugang der Völker zur politischen Unabhängigkeit, die ihren Repräsentanten die Möglichkeit gibt, die Angelegenheiten ihrer Nation frei zu führen im Interesse und mit der Verantwortung all ihrer Landsleute. Allerdings muß diese Freiheit echt sein, und es 422 Reisen darf keine Einmischung anderer Nationen geben, auch nicht auf dem Umweg über landfremde Ideologien. Jede politische Macht hat in der Tat nur im Streben nach dem Gemeinwohl aller Sinn und Berechtigung. Und sie findet ihre Begrenzung in der Annahme internationaler Vereinbarungen und der Achtung vor den Grundrechten des Menschen, von denen keines verletzt werden darf und die vom Gewissen des Menschen und, für die Gläubigen, vom Schöpfer des Gewissens, dem Schöpfer des Menschen, garantiert werden. Die Diplomatie befaßt sich insbesondere mit den Kontroversen, die zwischen den Völkern entstehen. Sie können tatsächlich zu örtlichen Konflikten ausarten, die wegen des Verlustes an Menschenleben, wegen der sinnlosen Zerstörungen und der Gefühle der Feindschaft, die sie manchmal nachhaltig zwischen den Nationen entfachen, sehr zu bedauern sind. Sie könnten sogar ausgedehntere Kriege zur Folge haben mit kaum kalkulierbaren Gefahren einer Vernichtung. Solche Kontroversen haben im allgemeinen ernste Grundlagen, aber sie nehmen einen solchen Umfang an, weil sie häufig von den Leidenschaften angestachelt werden, Leidenschaften, die die Situation komplizieren und keine objektive Sicht der realen Wirklichkeit mehr erlauben. Eben hier ist die Rolle der Diplomaten wichtig, damit die Probleme ruhig erörtert und vernünftige Lösungen gefunden werden, ohne das Recht zu mißachten und den legitimen Nationalstolz zu verletzen. Im übrigen wird es schwer sein, den Frieden aufrechtzuerhalten, solange die Kluft, die zwischen den wohlhabenden Völkern und jenen klafft, die oft nicht einmal über das Lebensminimum verfügen, sich noch weiter vergrößert. Es ist eure Ehre und eure Pflicht als Sachverständige, die ersten zu sein, die die Bedeutung solcher Dinge - ich denke z. B. an die Nord-Süd-Beziehungen - erfassen und dazu beitragen, das ihrer Umgebung begreiflich zu machen. 5. Der Rahmen dieser kurzen Begegnung erlaubt mir nicht, noch weiter und ausführlicher an viele ernste Probleme zu erinnern, die sich im Bereich der Gerechtigkeit, des Friedens und der Entwicklung stellen. Aber ich muß wenigstens die schwierige und traurige Situation derjenigen hervorheben, die dem Boden ihres Heimatlandes entrissen wurden. Was Portugal betrifft, so mußte und konnte es eine beträchtliche Anzahl protugiesischer Staatsbürger aufnehmen, die die Überseegebiete verlassen hatten, als diese die Unabhängigkeit erlangten, und man kann sich unschwer die schwierige Situation dieser Menschen vorstellen und die enorme Belastung für dieses Land, das größte Anstrengungen unternahm, um sie zu integrieren und ihnen einen neuen Lebensraum zu bieten. 423 Reisen An manchen Orten der Welt ist die Situation der Männer, Frauen und Kinder, die keine Heimat mehr haben, besonders schwierig, ja ich möchte sagen, tragisch. Ich möchte von den Flüchtlingen sprechen, die wegen ihrer politischen Meinungen, ihrer religiösen Empfindungen, ihrer anderen Volkszugehörigkeit oder einfach infolge der durch Kriege und Revolutionen herbeigeführten Umwälzung solcher Angst, solchem Druck oder solchen Existenzschwierigkeiten, solchem Mangel an Freiheit oder gar Bedrohungen ausgeliefert sind, daß sie praktisch gezwungen sind, in ein Exil fern ihrer Heimat zu gehen, d. h. manchmal unter Lebensgefahr zu fliehen und, in Flüchtlingslagern zusammengepfercht, darauf zu warten, daß sie in einer eventuellen Wahlheimat völlig mittellos in irgendeiner Weise ein anderes Leben aufnehmen können. Das ist eine der schrecklichen Wunden, an denen unsere heutige Zeit leidet, als wären die Menschen nicht mehr imstande, einen Lebensplatz für ihresgleichen bereitzustellen. Eine Situation, die all jenen am Herzen liegen muß, die in den internationalen Angelegenheiten Verantwortung tragen. Wie bereits am 6. Mai 1980 vor dem Diplomatischen Korps in Nairobi und bei anderen Gelegenheiten wiederhole ich meinen Appell an die Autoritäten jeder Nation, sie mögen es sich zur Ehre anrechnen, allen ihren Mitbürgern zu gestatten, in gerechter Freiheit bei ihnen zu leben, ohne sie zum Exil zu zwingen, während ich die Aufnahmeländer und die internationale Gemeinschaft herzlich ermutige, den jetzigen Flüchtlingen zu einem wahrhaft menschlichen Leben zu verhelfen. Exzellenzen, meine Damen und Herren, eben Sie sind dazu berufen, für die Vorbereitung immer menschlicherer Wege zu arbeiten, wie das Ihrer vornehmen Mission entspricht. Ich bete zu Gott, er möge Ihnen sein Licht und seine Kraft schenken, damit Sie so gut als möglich hierzu beitragen können, und bitte ihn, Sie persönlich, Ihre Familien und Ihre Länder zu segnen. Allen und jedem einzelnen spreche ich noch einmal meine herzlichen Wünsche aus und danke Ihnen, daß Sie so freundlich waren, an dieser Begegnung teilzunehmen. 424 Reisen ,, Von schöpferischem Geist und gesunder Konkurrenz getragen“ Predigt bei der Messe mit dem Landvolk in Vila Vigosa am 14. Mai Lieber Bruder Maurilio de Gouveia, Erzbischof von Evora, liebe Brüder im Bischofsamt, Exzellenzen, liebe Brüder und Schwestern und liebe Bauern und Landarbeiter auf portugiesischem Boden! 1. „Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist“ {Mt 20, 4). In diesen so wie in anderen Abschnitten des Evangeliums drückt Jesus seine Gedanken durch Gleichnisse aus, deren Inhalt aus seiner Umwelt genommen ist. Sehr oft nimmt der göttliche Meister in ihnen Bezug auf die Landarbeit. So geschieht es in dem Text, den wir im heutigen Wortgottesdienst gehört haben, dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Christus nimmt seine Beispiele aus der Welt, die seinen Hörern bekannt ist, um sie in die übernatürliche und unsichtbare Wirklichkeit des Reiches Gottes einzuführen. In dieser Weise wollte er den Menschen sein geistliches Reich nahebringen. Der Mann, der in Rechtschaffenheit als freies und vernunftbegabtes Wesen arbeitet, setzt das Schöpfungswerk fort und verwirklicht seine Gemeinschaft mit Gott; er wird des Heiles teilhaftig und kommt nach und nach zur vollen Teilhabe am göttlichen Leben. In dieser Perspektive möchten wir eine Betrachtung über dieses Gleichnis mit euch allen anstellen, liebe Söhne aus dem Land Portugal, vor allen Dingen aus den Gebieten von Ribatejo, Alentejo und Algarve, und auch mit euch, liebe Zigeuner und Wallfahrer, die ihr von anderen portugiesischen Städten oder aus dem Nachbarland Spanien kommt. Ich danke dem Herrn Erzbischof von Evora für seine freundlichen Begrüßungsworte und auch dem jungen Arbeiter, der seine und seiner Mitarbeiter Gefühle zum Ausdruck gebracht hat. Auch ich grüße euch und möchte euch allen, die ihr schwere Landarbeit verrichten müßt, sagen: Meine Gegenwart hier sowie die Gegenwart des Herrn Erzbischofs von Evora und der anderen portugiesischen und spanischen Bischöfe ist ein konkretes Zeichen dafür, daß die Kirche eure berechtigten Anliegen der Gerechtigkeit, des Fortschritts und des Friedens in der Ausübung eures Berufes versteht und anerkennt. Die Kirche, der Papst, die Bischöfe Portugals sind mit euch. Sie möchten euch helfen, 425 Reisen Unverständnis und Ungerechtigkeit zu überwinden, um den Ärmsten und Schutzlosesten ihre Hand zu reichen im Rahmen ihres Sendungsauftrags, damit alle am Fortschritt und den hohen menschlichen und christlichen Werten einer würdigen und fruchtbaren Arbeit teilnehmen können. Hier, im Heiligtum Unserer Lieben Frau von Vila Vigosa, unter dem Blick der „Königin Portugals“, gekrönt von König Johannes IV., möchten wir unsere Gedanken vortragen und den Heiligen Geist, den Geist der Wahrheit und der Liebe, bitten, uns zu erleuchten und uns beizustehen. 2. Das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg, das wir eben gehört haben, enthält zwei wichtige Wahrheiten der übernatürlichen Ordnung. Die erste dieser Wahrheiten ist, daß die Gerechtigkeit des Reiches Gottes auch hergestellt wird durch Menschenwerk, durch die Arbeit der Menschen im Weinberg des Herrn. Jeder ist zu dieser Arbeit aufgerufen, damit er auf verschiedene Weise in den vielfältigen Augenblicken und Situationen des irdischen Lebens der Menschen die Welt aufbaue. Die zweite Wahrheit ist, daß die Gabe des Gottesreiches, das der Menschheit geschenkt wurde, jedes Maß übersteigt, das Menschen benutzen, um das Verhältnis zwischen Verdienst und Belohnung, zwischen Arbeit und Lohn zu messen. Diese Gabe transzendiert den Menschen. Weil sie übernatürlich ist, kann sie nicht mit rein menschlichen Kriterien gemessen werden. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg und die anderen, die wir im heutigen Wortgottesdienst gehört haben, regen uns zu Überlegungen über die menschliche Arbeit an, vor allen Dingen über die Landarbeit in der Perspektive der Ordnung und der Gerechtigkeit, die in der Gesellschaft herrschen sollten. Wie ihr wißt, hat die Kirche sehr viel an ihrer Aufmerksamkeit den Problemen der sogenannten sozialen Frage geschenkt, vor allen Dingen im Laufe des letzten Jahrhunderts. Obwohl die Kirche ihre Aufmerksamkeit in erster Linie der Industrie und der Industriearbeit geschenkt hat, stellt die Arbeit der Landarbeiter ebenfalls einen ausdrücklichen und bedeutenden Teil der Lehre der Kirche seit der Ezyklika Rerum novarum Leos XIII. dar. So hat schon Pius XI. den negativen Einfluß des Industriekapitalismus auf die Landwirtschaft festgestellt, und er bedauerte die Situation so vieler Landarbeiter, die „unter schlechteren Lebensbedingungen zu leiden hätten, bar jeder Hoffnung, Anteil am Grund und Boden zu gewinnen, und infolgedessen zum Proletarierdasein verurteilt waren, wenn nicht angemessene und wirksame Mittel eingesetzt werden“ (Quadragesimo anno III, Nr. 59). Aber es war vor allen Dingen Papst Johannes XXIII., der selber dem Landvolk entstammte und den Problemen des Landlebens besondere 426 Reisen Aufmerksamkeit schenkte, indem er der Landwirtschaft die Stellung einräumte, die ihr gebührt. In Mater et magistra empfiehlt er nicht nur die Überwindung der Unterschiede zwischen den einzelnen Bereichen innerhalb eines jeden Landes, sondern er behandelt auch die Frage auf internationaler Ebene. Er zeigt die Notwendigkeit, nach einem neuen Gleichgewicht zu suchen unter der solidarischen Zusammenarbeit der reichen Industrieländer mit den armen Ländern, die noch in Entwicklung begriffen sind und deren Landwirtschaft noch rückständig ist. In unserer Zeit, die gekennzeichnet ist durch soziale und wirtschaftliche Spannungen, herrscht immer noch eine einseitige Sicht des Fortschrittes, die vor allen Dingen die Industrialisierung im Blick hat. Aber es ist tröstlich festzustellen, daß man immer mehr die Dringlichkeit betont, der Landwirtschaft die ihr gebührende Stellung im Rahmen der Entwicklung eines jeden Landes und des internationalen Fortschritts einzuräumen. Noch vor kurzer Zeit haben eure Bischöfe im Licht der Enzyklika Laborem exercens die Notwendigkeit aufgezeigt, „entschieden gegen die chronischen Schwierigkeiten der Landwirtschaft Portugals anzugehen im Flinblick auf die Anerkennung der Würde und der Rechte der Männer, der Frauen und der Familien auf dem Land“. Mit Recht stellten sie fest, „daß es nicht genügt, die Rechte zu proklamieren“, sondern daß man dringend „wirtschaftliche, soziale und kulturelle Bedingungen schaffen muß, damit diese Rechte respektiert werden können und die Landarbeiter, vor allen Dingen die Jugend, ermutigt werden, sich auf dem Land niederzulassen und Landarbeit zu verrichten“. Es ist eine Herausforderung für alle, und die Landarbeiter selbst können nicht umhin, auf diese Herausforderung zu antworten, indem sie sich neuen Formen des Zusammenschlusses und der Zusammenarbeit sowie angemessenen Initiativen zur technischen und kulturellen Modernisierung öffnen. 3. Damit unsere Sicht der Probleme der Landwirtschaft der Wirklichtkeit entspricht, müssen wir - in Fortsetzung der Tradition der Soziallehre der Kirche — von der Würde und Stellung des Menschen in der Welt ausgehen. Der Mensch ist es ja, der die Arbeit verrichtet, und um der Menschen willen muß die menschliche Arbeit auf der Gerechtigkeit gründen, die von einer wahren und echten Liebe zum Nächsten inspiriert und verwirklicht werden muß. Der achte Psalm, den wir eben gebetet haben, hilft uns verstehen, was der Mensch in Gottes Gedanken und in der Schöpfungsordnung ist. In der Gegenwart des Herrn fragt sich der Psalmist: Was ist der Mensch? In einer gewissen Weise wird die Frage Gott selbst gestellt: 427 Reisen „Sehe ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst, das Menschenkind, daß du dich seiner annimmst?“ (Vers 4 ff.). Diese Zeilen sprechen von der Kleinheit des Menschen im Vergleich zu den großen Werken der Schöpfung. Gleichzeitig verkünden sie seine unvergleichliche Würde. In der Tat denkt Gott an den Menschen und sorgt für ihn trotz seiner Kleinheit. Die Würde des Menschen tritt noch klarer hervor in dem Satz, den der Psalmist hinzufügt: „Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt“ (Vers 7). In der Enzyklika Laborem exercens habe ich die herausragende Gestalt des „Menschen, der arbeitet“, rühmen wollen. Dieser ist der wesentliche Schlüssel zum Verständnis und zur Lösung der sozialen Probleme. Mit dem Wort „Arbeit“ bezeichne ich jede menschliche Tätigkeit, von der einfachsten und bescheidensten bis zur höchsten. Die Kriterien und allgemeinen Prinzipien, die in dieser Enzyklika dargelegt werden, müssen auch auf die Landarbeit angewandt werden; der „Würde der Landarbeit“ habe ich einige Seiten meiner Ezyklika gewidmet (Nr. 21). 4. Liebe Landarbeiter, Männer und Frauen, liebe Jugend und liebe alte Menschen! Auch an euch richtet der Herr des Weinbergs, des Evangeliums die Einladung: „Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist.“ Dieser Satz, auch kurz, führt uns doch hin zur Betrachtung verschiedener Probleme, deren Lösung nur erreicht werden kann, wenn grundsätzliche ethische Prinzipien universaler Geltung, auf denen der echte Fortschritt der Gesellschaft gründet, angewandt werden. In ihrer Anwendung muß man die besonderen Situationen, die verschiedenen Weisen und Entwicklungen jeder menschlichen Zone berücksichtigen. Das heißt, man muß auf die Forderungen der Gerechtigkeit schauen, moralisch das an die erste Stelle zu setzen, was aus der ganzheitlichen Wahrheit vom Menschen folgt. Die heutige Welt lebt trotz des riesigen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts in der Furcht vor einer großen Katastrophe, die ihre großen Erfolge ins Gegenteil umkehren könnte, wenn der Krieg die Oberhand gewinnt über den Frieden. Darum müssen die Rüstungsausgaben reduziert werden, damit in allen Ländern ein Mindestmaß an Bedingungen, die für ihre ganzheitliche Entwicklung erforderlich sind, zur Verfügung steht vor allen Dingen im Bereich der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelversorgung. Die Situation äußerster Armut einiger menschlicher Gruppen in vielen Ländern, die eine unterentwickelte Land- 428 Reisen Wirtschaft besitzen, beleidigt die Würde von Millionen von Menschen, die gezwungen werden, in entwürdigendem Elend zu leben. Es ist darum dringend notwendig, den Landarbeitern die Möglichkeit zu geben, auf konkrete Weise ihre fundamentalen Menschenrechte wahrzunehmen. 5. In der ersten biblischen Lesung, die aus dem Buch des Propheten Amos entnommen ist, spricht man vom Wiederaufbau von Ruinen, also von „Wiederaufbau“. Wenn es schwierig ist zu bauen ist es noch viel schwieriger, nach einer gewissen Zeit des Abstiegs neue Formen des Gleichgewichts und der Erneuerung zu finden, um überalterte Vorstellungen oder Entwicklungen zu überwinden und mehr und besser zu produzieren. Innerhalb des gesamten Entwicklungsplans des Landes, der den konkreten Gegebenheiten und der eigenen Kultur angemessen ist, muß die harmonische und fortschreitende Entwicklung der Landwirtschaft im Rahmen eines Gesamtprogramms für die verschiedenen Sektoren der Volkswirtschaft, das die fundamentalen menschlichen Ziele berücksichtigt, gesehen werden; das heißt, nicht nur die effektive Steigerung der Produktion, sondern auch die gerechte Verteilung des Arbeitsproduktes muß berücksichtigt werden. Bei einer solchen Eingliederung in ein Gesamtprogramm muß man darauf bedacht sein, geeignete Infrastrukturen zu gewährleisten, geeignete Kredite, moderne Verkehrs- und Arbeitsmittel mit entsprechendem landwirtschaftlichen Binnen- und Außenhandel, getragen von schöpferischem Geist und gesunder Konkurrenz. 6. „Ich werde euch geben, was recht ist“, sagt der Herr des Weinbergs im Gleichnis des Evangeliums. Das sind Worte von grundlegender Bedeutung, denn sie stehen in Beziehung zu der schweren Problematik des gerechten Lohns, der Menschenrechte und der Würde des Landarbeiters (Laborem exercens, Nr. 16-23). Bei diesem Punkt ist es unerläßlich, die wichtige Stellung des Landarbeiters anzuerkennen, möge es sich um Landbesitzer oder um einfache Landarbeiter ohne Besitz handeln. Die großen Unternehmen müssen das Land nutzen, um mit angemessener Beteiligung der Landarbeiter immer mehr zu produzieren, wobei der Ertrag und der Nutzen dem Anrecht eines gerechten Lohnes derjenigen untergeordnet wird, die zur Produktion beitragen, ohne die soziale Funktion des Eigentums aus dem Blick zu verlieren. Darum müssen die Initiativen und die gemeinsamen Aktionen großer landwirtschaftlicher Genossenschaften geschätzt werden, ohne daß man den wirtschaftlichen Wert kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe von Familien und sogar von Einzelpersonen unterschätzt, die die Möglichkeit haben, ihren eigenen Landbesitz zu bebauen. Das Beste wäre, wenn die 429 Reisen Landarbeiter ihren eigenen Grund und Boden bebauen könnten und landwirtschaftliche Betriebe entstünden, die wirklich funktionierten. 7. Liebe Landwirte und Landarbeiter! Im Geist wahrer Zusammenarbeit müßt ihr den Fortschritt der Landwirtschaft voranbringen und diese als einen wesentlichen Faktor der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung eures Vaterlandes sehen. Versucht darum, Initiative zu entwickeln, indem ihr die Einstellung fähiger junger Arbeiter in euren landwirtschaftlichen Betrieben fördert. Erlaubt mir, euch in Erinnerung zu rufen, daß die in Laborem exercens angeführten Grundaussagen über den Menschen, der arbeitet, insbesondere über den Landarbeiter, auch auf die Frau, die auf dem Land arbeitet, anzuwenden sind. Wie ihr sehr gut wißt, gibt es keinen landwirtschaftlichen Fortschritt ohne die notwendige Berufsausbildung, die Schritt hält mit der Modernisierung der Methoden und Mittel der Landwirtschaft. Darum möchten wir hier die Mühe aller derer herausstellen, die in Portugal auf diesem Gebiet arbeiten. In dem schon zitierten Dokument erinnern eure Bischöfe an die Tatsache, daß die Bodenreform nicht benutzt werden darf, um parteiliche Ziele zu erreichen, denn sie berührt das Leben der Menschen, die in der Landwirtschaft in einer solchen Weise und Tiefe engagiert sind, daß es kriminell wäre, sie in ein Parteiinstrument umzuwandeln. Die Bodenreform muß die Reform der Landwirtschaft in Portugal sein im Sinne einer personbezogenen Landarbeit. Es ist wichtig, hier zu unterstreichen, daß diejenigen, die die Autonomie und die verantwortungsvolle Teilnahme der Landarbeiter und aller Bürger bei der Schaffung der sozialen Gerechtigkeit zur Anwendung bringen, die Freiheit des anderen respektieren. 8. Noch einmal, liebe Landarbeiter, greifen wir zurück auf das Gleichnis des Weinbergs. Es zeigt uns, daß der Mensch nicht allein in der Welt, in der Gesellschaft, in einem Staat oder in einem Land lebt, sondern daß er zugleich berufen ist, im Reich Gottes zu leben, von dem das Bild vom Weinberg spricht. Die menschliche Arbeit auf dem Land (und für das Land) und der Aufbau des Reiches Gottes stimmen miteinander überein und bilden die Einheit. Das Gottesreich kann nicht mit Dimensionen gesellschaftlicher und irdischer Ordnung gemessen werden. Es entsteht nicht nur durch Verdienst, sondern auch durch die Gnade, vor allem durch die Gnade, die jedes Verdienst erst möglich macht. Als Frucht der Gnade und des Verdienstes ist das Reich Gottes eine Belohnung, die nicht dem Verdienst entspricht, wie es der Lohn für geleistete Arbeit wäre. Das Reich Gottes ist in erster 430 Reisen Linie eine übernatürliche Gabe: eine Gabe, die jedes Verdienst übersteigt. Wir alle sind Bürger unserer himmlischen Heimat. Unsere Arbeit ist von außerordentlicher Bedeutung für das Erreichen des Gemeinwohls. Aber wir sind auch Bürger des Reiches Gottes, das nicht von dieser Welt ist und das zu uns als göttliche Gabe und als christliche Berufung kommt. Der Herr lädt uns ein, dieser Berufung zu antworten und uns mit ihm zu vereinen durch das Gebet, das unserer Arbeit als Christen Würde verleiht. „Ora et labora - Bete und arbeite“, so lautet ein altes Prinzip, das der hl. Benedikt seinen Mönchen schenkte. Wenn wir der Arbeit das Gebet hinzufügen, wird das Gebet uns Mut, Ausdauer und Ruhe geben, um die Schwierigkeiten und das Unverständnis zu überwinden; es wird unsere Arbeit froher gestalten mit einer größeren Ausstrahlung in unser christliches Leben für den Aufbau einer besseren und glücklicheren Gesellschaft. Ich freue mich hier, euch die traditionelle und christliche Gestalt des Landarbeiters auf diesem portugiesischen Boden in Erinnerung zu rufen. So, wie man mir erzählt hat, hat er beim Läuten des Angelus am Morgen oder am Nachmittag oder am Abend, wenn er schon zu Hause ist, für einige Augenblicke seine Arbeit unterbrochen, um seine Gedanken auf Gott zu richten und zu dem zu beten, der Spender aller Gaben ist. 9. O Herr, unser Gott, wie groß ist Dein Name auf der ganzen Erde! Hier, in diesem Heiligtum der heiligen Jungfrau Maria, der Immacolata, erhebt der Bischof von Rom heute zu Dir seine Hände, seine Gedanken und sein Herz, geeint mit allen Söhnen und Töchtern des Landes Portugal, geeint in besonderer Weise mit denen, die mit der Arbeit ihrer Hände und im Schweiße ihres Angesichts auf dem Land arbeiten. In Einheit mit ihnen erflehe ich, o Vater der Güte und Herr des Weltalls, Deinen Segen für ihre harte Arbeit. Segne, o Herr, ihre Felder und ihre Mühen! Möge Dein Segen herabkommen auf ihre Familien und alle ihre Gemeinden! Segne, Herr, ihre Heimat! Segne Portugal! O Schöpfer der Welt, Frucht der Arbeit dieser Menschen sind das Brot und der Wein, die wir Dir täglich im eucharistischen Opfer darbringen, damit sie umgewandelt werden in den Leib und das Blut Deines Sohnes Jesus Christus. Es ist eine Arbeit, die notwendig ist für die heilige Eucharistie! Mögen diese Länder, mögen alle Felder Portugals, von Minho und Träs-os-Montes und Algarve, gesegnet werden mit reicher Ernte! Möge die Gnade Deines Reiches die Herzen und all ihre Bewohner erfüllen! In Deinem Reich der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe gib, Herr, 431 Reisen daß sie alle die ewige Belohnung erlangen. Du bist diese Belohnung und zugleich das heiligende Band, das sie in Liebe und Frieden für immer einen wird. „Die ganze und vollständige Wahrheit präsentieren“ Ansprache beim Besuch der Katholischen Universität in Lissabon am 14. Mai Herr Kardinal Großkanzler, Herr Rektor, meine Herren Professoren und Studenten der Portugiesischen Katholischen Universität, liebe Brüder und Schwestern in Christus! „Daher beuge ich meine Knie vor dem Vater ... und bitte ..., daß ihr in eurem Innern durch seinen Geist an Kraft und Stärke zunehmt. Durch den Glauben wohne Christus in eurem Herzen. So werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt“ (Eph 3, 14 ff.). 1. Für mich ist es ein Grund zur Freude, euch persönlich hier am Hauptsitz der Portugiesischen Katholischen Universität begrüßen zu können. Es ist die Freude dessen, der sich unter der Jugend wohl fühlt und in sie große Hoffnungen setzt, es ist eine Freude über eure Freude, die auf mich ansteckend wirkt, Freude aber auch, weil die Katholische Universität Teil meines eigenen Lebens ist, als ewige Dankbarkeit für all das, was sie mir gegeben hat und was sie vor allem in Krakau mir ermöglichte zu geben, und Freude als Gruß. Ich bin gewissermaßen hier, um ein Wiedersehen zu feiern. Vielen Dank! In euch und durch euch sehe ich die vielen katholischen Professoren und Studenten, die über das ganze Vaterland verstreut in den verschiedenen Universitäten und höheren Lehranstalten lehren und lernen. Allen gilt mein herzlicher Gruß, meine Sympathie, Hochachtung und Anerkennung dafür, daß sie auf das gleiche Ideal ausgerichtet sind, nämlich mit Christus zu gehen und dazu beizutragen, in ihrem Bereich sein Reich zu verwirklichen. Ich wende mich hauptsächlich an die jungen Menschen, denen ich sagen möchte: Auf euch richten sich Blicke voller Hoffnung, die ihr sicherlich nicht enttäuschen werdet. Ihr gebt euren Eltern, Verwandten und Freunden Anlaß, auf euch stolz zu sein; von euch erwartet man Festigkeit in der durch die Ausstrahlung der christlichen Kultur und Zivilisation nicht von moralischen und religiösen Werten zu trennenden Gesamtvorstellung vom Menschen, vom Leben, von der Gesellschaft. So wie ihr seid, stellt ihr 432 Reisen das Versprechen für eine gerechtere, menschlichere und mehr brüderliche Welt dar; das ist ein Versprechen, das ihr dann einlösen werdet, wenn ihr euch dessen bewußt und interessiert seid, eure Entscheidung, eure Verpflichtung mit Christus so zu leben, „daß ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert“ (7 Kor 5, 6). 2. Wir begegnen uns heute in dieser jungen Universität. Sie ist eine Institution, die notwendig war für „ein Land mit katholischer Tradition, wo das Christentum das vorherrschende geistige Klima bestimmt, aus dem das Bewußtsein der Portugiesen seine Nahrung zieht“, so schrieben meine Brüder, die Bischöfe, bei der feierlichen Eröffnung im Jahre 1967. Obwohl jung an Jahren, hatte sie sich bald nach der Entstehung mit einer alten Tradition und einem kostbaren Erbe beladen, das zugleich der Ruhm der Nation war und immer auf dem hohen Ansehen in der Welt der Philosophen- und Theologenschulen von Coimbra und den beim Konzil von Trient beteiligten Theologen basierte. Schon wegen dieses Erbes war die Gründung der Katholischen Universität in Portugal auch eine weitblickende Tat; dies drückte der Episkopat selbst 1965 mit folgenden Worten aus: Man beschließt, die Katholische Universität zu gründen „angesichts dessen, was bereits als ,geistiger Zerfall von Europa“ bezeichnet wurde, um auf Universitätsebene und mit Hilfe der wissenschaftlichen Methode die ganze und vollständige Wahrheit, nach der unser Herz verlangt, und die Schlüssel zur Erschließung des ,Mysteriums“ anzubieten, das der Mensch kennenlernen möchte, wenn er fragt, wer er ist, woher er kommt und wohin er geht; die ganze Problematik der menschlichen Kultur - der Humanismus, die soziale Ordnung, der Sinn der Geschichte - hängt von der Antwort auf diese Fragen ab“ (iSchreiben vom 16. Januar 1965). Trotz der Schwierigkeiten nicht nur finanzieller Art, von denen ich bei den Vorbereitungen zu diesem Treffen erfahren habe, ist die göttliche Vorsehung dem guten Willen derer, die auf sie vertrauen, zu Hilfe gekommen. Gebe Gott, daß dies weiterhin der Fall sein wird, damit die Katholische Universität zur Verwirklichung ihrer Ziele ihren Weg fortsetzen kann und in zunehmendem Maß an Achtung gewinnt. 3. Wie ihr euch erinnert, habe ich zu Beginn meines Pontifikats an die gesamte Kirche eine Apostolische Konstitution, Sapentia christiana, gerichtet, in der die Definition der Ziele und einige Richtlinien für die katholischen höheren Bildungsanstalten enthalten sind. Die Forschungsund Lehrtätigkeit, eingefügt in das Leben der kirchlichen Gemeinschaft und den Bedingungen der gegenwärtigen, sich schnell und grundlegend wandelnden Welt angemessen, muß in einem ständigen Überdenken des 433 Reisen Wissenschaftsbereichs zusammenlaufen, um in christlichem Sinn die Kultur zu informieren. Wenn es zutrifft, daß das Ziel der Universität die Bildung der Menschen durch den Menschen und für den Menschen ist, dann muß auch eine Katholische Universität die Bildung von Menschen zum Ziel haben, welche diese, weil sie eine Stellung zugunsten des Menschen beziehen, zur Begegnung mit Christus führt, für den und durch den alles geschaffen wurde, „denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen . . ., der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut“ (Kol 1, 19-20). Hüterin der Offenbarung 4. Ich habe schon bei anderen Anlässen gesagt, daß es eine wichtige Plattform gibt, die auf dem „Eckpfeiler“ Christus, dem „Zentrum des Kosmos und der Geschichte“, ruht (Redemptor hominis, Nr. 1), und auf der das Gebäude einer Universität oder höheren Lehranstalt, die sich als katholisch bezeichnet, errichtet werden muß. Das erste Element oder die Grundlage dieser gesamten Plattform wird sich aus Kompetenz und Ernsthaftigkeit der Forschung und der Lehre zusammensetzen mit dem umfassenden Grundgedanken des Menschen als Person in Beziehung zu Gott und zur Natur, eingegliedert in die Menschheitsfamilie; dies ist eine Wirklichkeit, die ein adäquates Verständnis der Geschichte und einen klaren und kritischen Realismus bei der Prüfung der Fakten und der Probleme fordert, ohne je das echte Wohl der Gemeinschaft und der ganzen Gesellschaft aus den Augen zu verlieren. Das zweite Element muß in dem gemeinsamen Ziel liegen, auf das sich die Dynamik solcher Universitäten und Institutionen richtet: Allen, die diese besuchen, muß eine solide Ausbildung durch die Vermittlung hervorragendster Kenntnisse von Wissenschaft und Technik gegeben werden, die sie zusammen mit christlicher Bildung befähigen, eine persönliche Synthese von Kultur und Glauben zu finden, so daß sie gerüstet sind, verantwortungsvolle Aufgaben in der Gesellschaft zu übernehmen, wo sie als Christen Zeugnis geben müssen. Damit die beiden vorgenannten Elemente verwirklicht werden, müssen die Katholischen Universitäten und ähnliche Einrichtungen in ihrem eigenen Bereich unter ihren Angehörigen - Professoren, Studenten und allen dort Tätigen - über einen Gemeinschaftsgeist hinaus echte Gemeinschaften bilden, in denen gelebtes Christentum sich die Sympathie aller erringt: eine Gemeinschaft, in der das Studium und die wissenschaftliche 434 Reisen Forschung ernsthaft, mit der Wahrheit als Ziel, im Rahmen und in der Atmosphäre des gemeinsamen christlichen Lebens betrieben werden. Ich bin sicher, daß ihr vom Sinn eurer Identität beseelt seid, die euch als Katholiken ausweist und keine soziale Qualifizierung sein darf, sondern sich in Leben und Zeugnis umsetzen muß. Die Bejahung Gottes und seiner Rechte als Schöpfer und Herr, seiner Offenbarung und der katholischen Kirche als Hüterin und Deuterin dieser Offenbarung, ausgestattet mit einem lebendigen Lehramt, sind das Fundament, auf das der baut, der mit Christus „sammelt“ und nicht „zerstreut“ (Lk 11, 23). Die stete Bewußtmachung des kirchlichen Charakters eurer Institutionen muß euch dazu veranlassen, euch immer zu bemühen, zum Besten der Universalkirche und eurer Ortskirchen, in deren Einzugsbereich ihr lebt und arbeitet, zu wirken. 5. Aufgrund langjähriger Erfahrung als Universitätslehrer hebe ich immer wieder die Aufgabe der Universität an deren beiden „Werkbänken“ hervor, nämlich, dort wo gearbeitet wird und wo sich ihre Vitalität manifestiert: jene der Forschung und jene der wissenschaftlichen Lehre. Beide Tätigkeiten entwachsen dem Wunsch zu wissen, einem aus dem innersten Herzen des Menschen kommenden Verlangen nach mehr Wahrheit durch Fülle der Liebe. Um ihre Zielsetzung zu erreichen, braucht sie entsprechende Arbeitsinstrumente; sie muß ununterbrochen ihre Methoden auf den neuesten Stand bringen, damit sie Ansehen in der Kulturwelt genießt; sie muß auf Glaubwürdigkeit achten und auf wissenschaftlichem Gebiet jenen Beitrag leisten, den die Kulturwelt und die Kirche von ihr erwarten. Von zufälligen Faktoren kann man nie Wahrheiten und echtes Wissen erwarten; sie sind Errungenschaften, für die man die geeigneten Mittel haben muß, wobei Ernsthaftigkeit und Eifer in der kontinuierlichen, geduldigen und koordinierten Forschung die Voraussetzung sind. Ist der Gegenstand der Forschung aber der Mensch - das habe ich mehrfach schon hervorgehoben -, dann darf man in der Gesamtheit seiner Natur niemals die geistige Dimension aus dem Auge verlieren, da man sonst Gefahr läuft, sich in eine verarmte Vorstellung vom Menschen selbst zu verlieren. Es ist Pflicht des Christen, in seiner Forschung und in seiner Lehre verkürzte Vorstellungen von der menschlichen Wirklichkeit abzulehnen und sich bei seiner Arbeit vom Glauben an die Schöpfung des Menschen durch Gott und an die von Christus verwirklichte Auferstehung leiten zu lassen. 6. Wie man wohl weiß, hat die Kirche in Treue zu ihrem göttlichen Stifter, der die Wahrheit als Weg echter Befreiung bezeichnete (Joh 8, 435 Reisen 32), immer Institutionen unterstützt, die mit der Lehre und der Suche nach Wahrheit sowie der Bezwingung der Welt durch die Wissenschaft befaßt waren; in historischer Sicht kann man sogar sagen, daß ihr der ehrwürdige Titel „Universitätsgründerin“ zusteht, wobei die auf sie zurückgehenden Universitäten im Laufe der Zeit zu Musterbeispielen für diese Art von Instituten geworden sind. Wie das Zweite Vatikanische Konzil nachdrücklich hervorgehoben hat, gibt es zwischen Kultur und Glauben keinen Widerspruch, im Gegenteil, es kann zu einer gegenseitigen Erleuchtung und Bereicherung kommen. Hier ergibt sich nun eine besondere Verantwortung für die christlichen Wissenschaftler und die katholischen höheren Bildungseinrichtungen, nämlich, dazu beizutragen, das große Ungleichgewicht zwischen der allgemeinen Kultur und der Vertiefung des Glaubens zu beseitigen, das sich in nicht wenigen Fällen frühzeitig verhärtet hat und zu unvermeidbaren Auswirkungen im christlichen Verhalten und seiner Präsenz in der Welt geführt hat. Mehr als Vermittlung von Wissen 7. In einer Katholischen Universität steht jede Aktivität unter dem unerläßlichen Vorzeichen der intellektuellen Aufrichtigkeit und akademischen Gewissenhaftigkeit im Rahmen des Evangelisierungsauftrags der Kirche. Wie ihr in der bereits angeführten Apostolischen Konstitution Sapientia christiana lesen konntet, hat dieser Evangelisierungsauftrag das Ziel , „die Frohe Botschaft allen Schichten der Bevölkerung zu bringen . . . und mit dem Licht des Evangeliums ihre Werke, ihre Initiativen und ihr ganzes Leben zu durchdringen“ (ebd., Proemia, Nr. 1). So wird es hier für jeden einzelnen der Protagonisten des akademischen Lebens sein bei der Einfügung in die Rolle, die ihm bei diesem gemeinsamen Werk gebührt. Ich weiß, daß ihr euch dieser Aufgabe bewußt seid und daß es -um euch zu helfen, mit Christus in der Kirche zu gehen - auch bei euch nicht an Initiativen zu einem pastoralen Bildungsplan fehlen wird; ich bin sicher, daß Bischöfe, Priester, Ordensleute und engagierte Laien - kurz alle seelsorgerisch Tätigen - höchstes Interesse für die menschliche und christliche Förderung der Universitätsmitglieder aufbringen werden, um Gott Eingang in die Programmierung und Durchführung der akademischen Tätigkeiten zu verschaffen, damit von hier das religiöse Lob der Weisheit sich erheben kann. 8. Wenn ich an den Professor schlechthin, insbesondere aber an den Lehrer heiliger Disziplinen und vor allem an den Theologen denke, dann 436 Reisen glaube ich, daß es allgemeine Überzeugung und Erwartung ist, in ihm etwas mehr als einen einfachen Vermittler von Wissen zu sehen, d. h. einen Erzieher zum christlichen Leben. Tatsächlich sollte ein Mann oder eine Frau, die in einem katholischen Lehrinstitut erzogen wurden, normalerweise vorbereitet sein, das Leben nicht nur mit beruflicher Kompetenz und Schaffensdrang in Angriff zu nehmen. Sie müssen sich als Christen fühlen. Vor allem als Christen, denen bewußt ist, daß der eigene Bildungsstand und die Berufsausbildung als persönlicher erworbener Wert auch dafür von Gott geschenkt werden, um der Gemeinschaft dort zu dienen, wohin sie zu wirken gerufen werden. Diese Überzeugung müßten sie auch aus der Lehre und dem Zeugnis der Professoren gewinnen können. Ich wende mich besonders an die Theologen und möchte noch einmal die Gelegenheit benutzen, ihnen meinen Dank und meine Anerkennung für ihre Arbeit auszusprechen. Diese Arbeit, ebenfalls geleitet von der Idee, daß theologisches Wissen „ein Talent“ ist (Mt 25, 16), wie auch von der sozialen Funktion der Wissenschaft als einem persönlichen Gut, verfügt über einen Raum wissenschaftlicher Autonomie und über Wege legitimer Freiheit, jener Freiheit, zu der Christus uns befreit (Gal 5, lff.); aber alle diese Wege führen über den Glauben, der, der Wahrheit gehorsam, durch die Liebe wirkt. Dieser obligatorische Durchgang läßt diese Wege zusammenfließen in die Bindung mit dem Lehramt und der Hierarchie, was die Freiheit der Forschung, der persönlichen Meinung und wissenschaftlicher Debatten nicht aufhebt. Wie man weiß, braucht die Hierarchie, während sie die Richtlinien der katholischen Einheit gibt, gleichzeitig die theologische Arbeit, der sie vieles entnehmen kann. Dem Reich Gottes dienen Weiter werden diese Wege bestimmt durch das Recht der kirchlichen Gemeinschaft darauf, informiert und im Sinn des Glaubens geformt zu sein. So kann man unter einem nichtspezialisierten Publikum keine Hypothesen oder frei zwischen Experten und Fachleuten diskutierte Auffassungen verbreiten, die dann von den Gläubigen nicht ohne Beunruhigung aufgenommen werden. Auch wenn es zwischen der Ebene der Evangelisierung und der Ebene der theologischen Forschung eine Verbindung gibt, darf man nicht vergessen, daß es eine Pädagogik und Imperative in der Abstufung der Botschaft gibt. Die Sorge, dem Reich Gottes mit aller Liebe zu dienen, muß den Weg der Theologen in ihrer Arbeit leiten. Wenn immer dieser Liebe andere, 437 Reisen weniger konstruktive oder klare Ziele übergeordnet werden, könnte die Benutzung dieses Gutes, das man besitzt, zum Mißbrauch führen und Rückwirkungen im Bereich der Nächstenliebe haben, die niemals ungebührlich ist noch ihren Vorteil sucht . . ., „sondern sich freut an der Wahrheit“ (1 Kor 13,6). Dies natürlich, ohne die Autonomie in Frage zu stellen, die der Wissenschaft zusteht, welche nicht einfach Helferin des Glaubens ist. Das soeben dargelegte Prinzip mit seinen praktischen Implikationen gilt nicht nur für die Theologen und die Diener der Sakralwissenschaften, sondern für alle: Je größer das kulturelle Gut eines Menschen ist, desto mehr muß es als Wert „für die anderen“ bewußt aktiv, verantwortlich und christlich genutzt werden. Denken und geistig schaffen ist eine Verantwortung; und für die intellektuell tätigen Katholiken ist es ein unumstößliches Prinzip, gut zu denken, und zwar im Licht der menschlichen Würde und in dem Licht, das der Meister, die ewige Weisheit, uns in seiner Person gegeben hat, als er sagte: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen“ (Joh 8, 12). Liebe Brüder und Schwestern! Ihr werdet euch sicher an eine Frage erinnern, die ich mir zu Anfang meines Pontifikats stellte, die ich mit der gesamten Kirche - mit einem vom Zweiten Vatikanischen Konzil beseelten und erweiterten Bewußtsein - in der Phase des Suchens, auf vielen Gebieten, teilen wollte: „In welcher Weise muß man es fortsetzen?“ In die damals gegebene Antwort, die ständig in meinem Geist lebendig ist, legte ich die Zusammenfassung all dessen, was ich euch mitteilen wollte: „Die einzige Ausrichtung des Geistes, die einzige Zielsetzung des Intellekts, des Willens und des Herzens ist für uns dieses: hin zu Christus, dem Erlöser des Menschen; zu Christus, dem Erlöser der Welt“ (Redemptor hominis, Nr. 7). Ich möchte euch noch einmal meine Freude zum Ausdruck bringen, die ich bei diesem Besuch und Treffen empfing und möchte euch versichern, daß ich euch in Freundschaft verbunden bleiben werde; ich hoffe, daß auch ihr mich als Freund betrachten werdet; im Gebet werden wir unsere Freundschaft pflegen. Ich bitte die Gottesmutter, den Sitz der Weisheit, welche Portugal mit besonderer Liebe im Heiligtum von Fatima - dem Ziel meiner jetzigen apostolischen Pilgerreise - verehrt, daß sie euch mit ihrem mütterlichen Mantel beschütze und spende euch von Herzen meinen Segen. 438 Reisen Dem Weg des Erbarmens folgen Ansprache bei der ökumenischen Begegnung mit Vertretern der christlichen, islamischen und jüdischen Bekenntnisse am 14. Mai in Lissabon Verehrte Herren und meine Brüder! 1. Voll Dankbarkeit für die ehrenden Worte und die Wünsche, die an mich gerichtet wurden, will ich die hier anwesenden Vertreter der christlichen Gemeinschaften, des Judentums und des Islams begrüßen, indem ich allen meine brüderliche Achtung und Wertschätzung zum Ausdruck bringe. Die Tatsache, daß wir heute gemeinsam den Glauben an den einen, lebendigen, allmächtigen und barmherzigen Gott, den Schöpfer aller Dinge, bekennen können, würde schon hinreichen, mir diese Begegnung angenehm zu machen; ich freue mich, daß uns diese Gelegenheit zum Zeugnis geboten wurde, die zugleich ein Akt der Huldigung und der Demut vor unserem Gott ist. Uns verbindet in gewisser Weise der Glaube und ein in vielen Punkten ähnliches Engagement, nämlich durch gute Werke die Kohärenz unserer jeweiligen religiösen Einstellung zu beweisen, und auch der Wunsch, daß unsere Verehrung des Schöpfers aller Dinge anderen Beispiel und Hilfe sein könne bei ihrer Suche nach Gott, bei der Öffnung für das Überirdische, bei der Anerkennung des geistigen Wertes der menschlichen Person und manchmal auch bei der Klarstellung der Grundlage und bleibenden Quelle ihrer Rechte. Das ist - wie wir wissen - die Vorbedingung zur Bildung von Kriterien für die Wertschätzung der menschlichen Person, die sich nicht auf die „praktische Nützlichkeit“ beschränken, sondern die unantastbare Würde des Menschen zu schützen vermögen. Was die Christen betrifft, stellt der gemeinsame Glaube an Christus, den Erlöser, ein besonderes Motiv der Einheit und des Zeugnisses dar. 2. Die moderne Gesellschaft erscheint uns gespalten oder sogar in großem Umfang geneigt, von Gott und von der Religion „abzusehen“, und ganz den materiellen und irdischen Dimensionen des Menschen und des Lebens zugewandt: bewunderswürdige Fortschritte auf allen Gebieten sorgen für großen Wohlstand, scheinen aber bei einigen eine Umkehrung und den Ersatz von Werten zu fördern. Durch die Anerkennung und Verkündigung der geistigen und religiösen Werte werden wir gewiß eine allgemeine lebendige Vorahnung und unter Menschen in normalen Ver- 439 Reisen hältnissen eine gewisse begriffliche Vorstellung von der Wirklichkeit eines existenten Schöpfers wecken und leiten können. Andererseits gibt es in Treue zu der Religion, zu welcher man sich bekennt, immer einen Freiraum menschlicher Solidarität, weil wir, überzeugt von dem Gut, das der Glaube an Gott für uns darstellt, den spontanen Wunsch spüren, dieses Gut mit anderen zu teilen. Mit aller Ehrfurcht gesagt, können wir uns zum Zeichen des Allmächtigen machen, der für viele der „unbekannte Gott“ ist, für andere sich trügerisch in irdischen Kräften zeigt, die unerbittlich von Tod und Vergänglichkeit gekennzeichnet sind. 3. Unsere Kontakte, der Dialog und die Anerkennung der unleugbaren geistlichen Reichtümer jeder Religion, die christliche Zusammengehörigkeit und, wenn möglich, das gemeinsame Gebet können die Konvergenz der Bemühungen begünstigen, der Selbsttäuschung, eine neue Welt ohne Gott aufbauen zu können und der Leere eines rein anthropozentrischen Humanismus zuvorzukommen. Ohne die religiöse Dimension und, was noch schlimmer ist, ohne religiöse Freiheit verarmt der Mensch oder wird um eines seiner Grundrechte betrogen. Und diese Verarmung des Menschen wünschen wir alle zu vermeiden. So werden wir, wenn wir auch von menschlicher Solidarität motiviert über das Gebet, die Befolgung der Gebote und die Beobachtung der Gerechtigkeit zu einem konsequenten religiösen Leben gelangen, durch unsere Hilfe bei der Suche nach Gott zum Wohl unseres Nächsten und zum Gemeinwohl der Menschheit beitragen. Und das läßt sich verwirklichen: - durch persönliche Redlichkeit und durch Beobachtung der Sitten im privaten und öffentlichen Leben, indem wir der zunehmenden Lockerung der Prinzipien von Moral und Gerechtigkeit sowie der sittlichen Laxheit Einhalt gebieten; - durch Respektierung des Lebens und der Familie und ihrer Werte, indem wir die Förderung unserer Mitmenschen, was ihr Menschsein und ihre Würde betrifft, und die Festigung der unersetzlichen Fundamente eines geordneten Zusammenlebens in der Gesellschaft begünstigen; - durch Pflege des echten Sinnes und der praktischen Handhabung der menschlichen Arbeit sowie durch mutige und kluge Beteiligung am gesellschaftlichen und politischen Leben, wobei wir das Wohl aller und den Aufbau der Gesellschaft und der Welt überall auf der Erde immer konformer mit den Plänen und Weisungen Gottes suchen, denn nur so kann es für uns eine gerechtere, friedlichere und von brüderlicher Liebe erfüllte Welt geben. 440 Reisen 4. Wie Sie wissen, komme ich als Pilger nach Portugal, um vor allem Gottes Erbarmen zu preisen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß der barmherzige Gott diese seine Eigenschaft immer mehr in der ganzen Menschheitsfamilie widergespiegelt sehen möchte; das echte Erbarmen scheint mir unentbehrlich dafür zu sein, den Beziehungen unter den Menschen eine Form und Festigkeit zu geben, die von tiefer Achtung für alles Menschliche und für die Brüderlichkeit inspiriert sind. Die Christen sind in der Tat dazu aufgefordert, dem Herrn Jesus, dem Vorbild des Erbarmens, nachzufolgen. Auch das Judentum betrachtet das Erbarmen als ein grundlegendes Gebot. Und der Islam erkennt in seinem Glaubensbekenntnis Gott diesen Beinamen zu. Abraham, unser gemeinsamer Vorfahre, lehrt alle - Christen, Juden und Muslime -, diesem Weg des Erbarmens und der Liebe zu folgen. Es sei mir gestattet, meine Worte mit einem Gebet an den barmherzigen Gott zu beschließen: O Unaussprechlicher, von dem die ganze Schöpfung spricht, o Allmächtiger, der die Menschheit niemals nötigt, sondern sie nur zum Guten einlädt und anleitet, o von Mitleid Erfüllter, der das Erbarmen unter allen Menschen verbreitet sehen möchte: möge er uns stets auf seinen Wegen führen, möge er unsere Herzen mit seiner Liebe seinem Frieden und seiner Freude erfüllen und uns segnen! „Keine Evangelisierung ohne ein jugendliches Herz“ Predigt bei der Meßfeier mit der Jugend in Lissabon am 14. Mai <17> <17> Das Reich Gottes ist nahe! Ja! „Sagt den Leuten: das Reich Gottes ist euch nahe!“ (Lk 10, 9). Mit diesen Worten hat Jesus Christus die 72 Jünger bei der Aussendung ermahnt, die Botschaft zu verkünden, wie wir es gerade im Evangelium gehört haben. Aber diese Worte sind auch an die Christen aller Zeiten gerichtet: vor allem an uns, die wir hier im Namen des Herrn versammelt sind in Kontinuität mit den Jüngern, die sie direkt hörten. Sie sind besonders an euch Jugendliche gerichtet, die ihr an diesem Nachmittag voll Begeisterung und voll Freude in so großer Zahl hier 441 Reisen versammelt seid, um eure Verfügbarkeit für Christus und den Wunsch, eine menschlichere und christlichere Welt aufzubauen, zum Ausdruck zu bringen. Ihr seid die Träger dieser großen Hoffnung der Menschheit, der Kirche und des Papstes. Gott hat mir die Gnade gegeben, die Jugend sehr zu lieben. Deshalb würde ich gern zu euch sprechen, wie ein Freund zu seinem Freund spricht, mit jedem einzelnen, von Auge zu Auge, von Herz zu Herz. „Das Reich Gottes ist nah!“ Und fast möchte ich sagen: Diese Worte gelten besonders euch jungen Portugiesen, Kinder eines Volkes von Missionaren, die diese Botschaft verbreitet haben, wie Herr Kardinal-Patriarch Antonio Ribeiro hervorgehoben hat. Herr Kardinal, Dank für Ihre Worte. Sie ermutigen mich, und ich nehme sie als Versprechen der Kontinuität an und grüße alle, deren Empfindungen sie ausgedrückt haben. Und in dieser Stunde bezeuge ich im Namen der gesamten Kirche den Dank für das große Evangelisierungswerk der Missionare von Portugal. Das Reich Gottes ist wirklich nahe! Es hat sich dem Menschen endgültig genähert. Es ist unter uns und in uns. Die Nähe des Reiches Gottes besteht vor allem in der Tatsache, daß Gott gekommen und Mensch geworden ist. Er ist nahe in Christus; er ist nahe durch Christus, in ihm ist tatsächlich das Reich uns so nahe, daß es in gewissem Sinn schwierig wird, sich eine größere und innigere Nähe vorzustellen. Kann Gott dem Menschen näher sein als durch seine Menschwerdung? Obwohl so nahe in Christus, unserem Herrn und Erlöser, steht das Reich Gottes immer dem Menschen gegenüber. Es wird den Menschen als eine Aufgabe, die erfüllt, ein Ziel, das erreicht werden muß, vorgestellt. Die Menschen können in den verschiedenen Dimensionen ihrer Existenz sich ihm nähern oder von ihm entfernen. Vor allem können sie dazu gelangen, es in sich selbst zu erfahren und es in sich selbst aufzubauen. Aber sie können es auch aus den Augen verlieren, von der Zukunftsaussicht abirren. Sie können sich sogar dagegenstellen. Sie können auch versuchen, es vom Menschen zu entfernen; sie können den Menschen von ihm entfernen und es ihm entziehen. Christus kam jedoch in die Welt, um die Menschen in das Reich Gottes zu führen, um das Reich in ihren Herzen und unter ihnen zu errichten. Mehr noch: Christus selbst vertraute dieses Reich den Menschen an. Er rief sie, für das Reich Gottes zu arbeiten. Und diese Arbeit trägt den Namen ,,Evangelisierung <18> ‘. <18> Das Reich Gottes ist nahe! Ja! „Sagt den Leuten: das Reich Gottes ist euch nahe!“ (Lk 10, 9). Mit diesen Worten hat Jesus Christus die 72 Jünger bei der Aussendung ermahnt, die Botschaft zu verkünden, wie wir es gerade im Evangelium gehört haben. Aber diese Worte sind auch an die Christen aller Zeiten gerichtet: vor allem an uns, die wir hier im Namen des Herrn versammelt sind in Kontinuität mit den Jüngern, die sie direkt hörten. Sie sind besonders an euch Jugendliche gerichtet, die ihr an diesem Nachmittag voll Begeisterung und voll Freude in so großer Zahl hier 2. Das Wort „Evangelisierung“ kommt von „Evangelium“, was „Frohe Botschaft“ heißt. Das Reich Gottes wird auf diesem Fundament der 442 Reisen Frohen Botschaft errichtet. Mehr noch: es ist selbst die Frohe Botschaft. Es ist die Verkündigung der endgültigen Erlösung des Menschen. Und hier könnte man fragen: Was ist „Erlösung“? Halten wir uns an die Worte von Jesaia, die wir in der ersten Lesung der heutigen Messe gehört haben: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren Herz zerbrochen ist, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Gefesselten die Befreiung, damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Jes 61, 1-2). Diese Worte des Propheten warteten viele Jahrhunderte auf den Augenblick, in der Synagoge von Nazaret von dem gelesen zu werden, der als „Sohn des Zimmermanns“ galt: Jesus von Nazaret. Nachdem er sie gelesen hatte, sagte er: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4, 21). Die Worte des Jesaia, die Jesus von Nazaret als Programm seiner Mission auffaßte, enthalten genau die gute Nachricht von der Erlösung. Was ist also die Erlösung? Sie ist der Sieg des Guten über das Böse, verwirklicht im Menschen in allen Dimensionen seiner Existenz. Die eigentliche Überwindung des Bösen hat bereits Erlösungscharakter. Die endgültige Form der Erlösung besteht für den Menschen darin, sich vom Bösen ganz zu befreien und die Fülle des Guten zu erlangen. Diese Fülle heißt und ist in der Tat die ewige Erlösung. Sie verwirklicht sich im Reiche Gottes als eine eschatologische Wirklichkeit des ewigen Lebens. Sie ist eine Realität der „zukünfigen Zeit“, die durch das Kreuz Christi mit seiner Auferstehung begann. Alle Menschen sind zum ewigen Leben gerufen. Sie sind zur Erlösung gerufen. Seid ihr euch dessen bewußt? Seid ihr, meine jungen Freunde, euch dessen bewußt? Daß alle Menschen berufen sind, mit Gott zu leben, und daß sie ohne ihn den Schlüssel zu ihrem eigenen Geheimnis verlieren? 3. Dieser Aufruf zum Heil kommt von Christus. Er hat für den Menschen „Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6, 68) und wendet sich an den Menschen, so wie er unter den gegebenen Umständen ist; er wendet sich an den konkreten Menschen, der auf der Erde lebt. Er wendet sich besonders an den leidenden Menschen. Wie wir in der ersten Lesung gehört haben, kommt er, damit er „alle heile, deren Herz zerbrochen ist ... den Trauernden . . . Schmuck bringe anstelle von Schmutz, Freudenöl statt Trauergewand, Jubel statt der Verzweiflung“ (Jes 61, 2-3). Aber er wendet sich auch an euch Jugendliche! 443 Reisen Ja, an euch Jugendliche: weil euer Geist in besonderer Weise von der wesentlichen Problematik des Heils mit all ihren Hoffnungen und Spannungen, Leiden und Siegen geprägt ist. Man weiß, wie sehr ihr gegen die Spannung zwischen Gut und Böse empfindlich seid, die in der Welt und in euch besteht. In eurem Inneren leidet ihr beim Anblick des Triumphes der Lüge und Ungerechtigkeit; ihr leidet, weil ihr euch nicht in der Lage fühlt, Wahrheit und Gerechtigkeit siegen zu lassen; ihr leidet, weil ihr entdeckt, gleichzeitig hochherzig und egoistisch zu sein. Ihr möchtet nützlich sein und euch immer bei Unternehmungen zugunsten der Unterdrückten einsetzen, aber ... ihr fühlt euch von so vielen Dingen verraten und von anderen angezogen, die euch die Flügel stutzen. Spontan lehnt ihr das Böse ab und wünscht das Gute. Manchmal aber habt ihr Schwierigkeiten beim Feststellen und Annehmen der Tatsache, daß es, um zum Guten zu gelangen, notwendig ist, Verzicht auf sich zu nehmen, Anstrengung, Kampf und das Kreuz; so erging es jenem jungen Mann, der nach der Vollkommenheit suchte und Jesus folgen wollte, der aber nicht verstehen und annehmen konnte, daß er dafür auf die materiellen Güter verzichten sollte. Vor allem, liebe Jugend, habt ihr neben diesen Spannungen eine fast natürliche Begabung zur Evangelisierung. Man kann nicht ohne jugendliche Begeisterung evangelisieren, ohne jugendliches Herz, ohne das Zusammenspiel von Eigenschaften, die die Jugend im Überfluß besitzt: Freude, Hoffnung, Klarheit, Mut, Kreativität, Idealismus ... Ja, eure Empfindsamkeit und eure spontane Hochherzigkeit, der Hang zu allem, was schön ist, machen jeden von euch zu einem „natürlichen Verbündeten“ Christi. Darüber hinaus findet ihr nur in Christus die Antwort auf eure Probleme und Beunruhigungen. Und ihr wißt warum: Er war der Mensch, der am meisten liebte; er hat uns ein „Gesetz“ der Liebe, sein Evangelium, hinterlassen, das, der Sprache des Konzils nach, „die Freiheit der Kinder Gottes verkündet; jede Art von Knechtschaft verwirft, die letztlich aus der Sünde stammt; sorgfältig die Würde des Gewissens und seine freie Entscheidung respektiert; unablässig dazu mahnt, alle menschlichen Talente im Dienst an Gott und zum Wohl der Menschen Frucht bringen zu lassen; alle endlich der Liebe aller empfiehlt“ (Gaudium et spes, Nr. 41). Erlösung ist ein Sendungsauftrag Letzlich rettet nur die Liebe. Und ich wiederhole: Heilsproblematik -d. h. der Sieg des Guten über das Böse - ist ein Grundthema des 444 Reisen menschlichen Lebens. Das menschliche Leben verläuft ganz in seinem Umkreis. Deshalb ist das „Heil“ eines jener Themen, die besonders in die Seele der Jugend eingeschrieben sind. Mit Scharfsinn muß man es zu lesen verstehen und es ehrlich leben und Tat werden lassen. 4. Die Erlösung ist ein Sendungsauftrag. Christus ist gekommen, um uns zu sagen, daß das Heil - d. h. das Reich Gottes - ein Sendungsauftrag ist. Er ist auch gekommen, uns zu lehren, wie wir es erlangen können. Zu den 72 Jüngern, die er ausschickte, „zu zweit voraus in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte“, sagte Christus: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Lk 10, 2). Die Kirche erinnert uns oft an diese Worte. Sie erinnert uns vor allem daran, um uns zum Gebet für die Priester- und Ordensberufe aufzufordern, für die Berufung zum Missionsdienst. Liebe Jugend, es genügt aber nicht zu beten, daß der Herr Berufungen erwecke. Man muß selbst auf den Ruf hören, den er an uns richten möchte, und es darf uns nicht an Mut fehlen, hochherzig auf diesen Ruf zu antworten. Die christlichen Gemeinden brauchen Priester, die sie mit dem Wort und dem Leib Christi nähren: Sie brauchen das Ordensleben, das Zeichen Gottes und die Hingabe an Gott zum Wohl der Brüder. Möchtet ihr nicht die Gegenwart des Herrn in der heutigen Welt weiterführen, „den Kindern antworten, die ,um Brot betteln und keiner bricht es ihnen“ (Klgl 4, 4)? Von der Evangelisierung sprechen, an die missionarischen Aufgaben hier in Portugal erinnern heißt, sich einen der positivsten Aspekte der Geschichte eures Landes zu vergegenwärtigen. Von hier sind viele Missionare, eure Vorfahren, ausgezogen, welche die frohe Botschaft der Erlösung anderen Menschen brachten, nach Osten und Westen (Japan, Indien, Afrika, Brasilien . . .); und noch heute sind die Früchte dieser Missionare sichtbar. Und viele dieser Missionare waren so jung wie ihr. Wie sollte man hier in Lissabon nicht u. a. des Beispiels von San Joäo de Brito, des jungen Mannes aus Lissabon, gedenken, der das bequeme Hofleben aufgab und nach Indien zog, um die Heilsbotschaft den Allerärmsten und den Ausgestoßenen zu bringen, der sich mit ihnen identifizierte und seine Treue zu Christus und den Brüdern mit dem Zeugnis des Martyriums besiegelte. Jungen und Mädchen von Portugal: Erhebt die Augen und schaut „die goldenen Felder der Ernte“, die auf die Arbeiter warten. 5. Wir haben vom Priesteramt, dem Ordensleben und der Missionsarbeit als Formen der Berufung gesprochen, die eine besondere Bedeutung 445 Reisen für die Evangelisierung haben und für die die Kirche besonders betet. Man fühlt sich zu diesem Gebet durch die Worte des Herrn gerufen: „Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Lk 10, 2). Aber die Worte des Herrn Jesus über die „große Ernte“ und die Arbeiter müssen wir noch in einem viel grundlegenderen und gleichzeitig breiteren Rahmen verstehen als in jenem, in dem wir die Formen der Berufung in der Kirche eben erwähnt haben. „Arbeit in uns selbst“ Wenn Christus von der „Ernte“, von der „großen Ernte“ und den „Arbeitern“ spricht, will er uns, seinen Zuhörern, zunächst zu verstehen geben, daß das „Reich Gottes“, d. h. das „Heil“, die große Aufgabe aller Menschen ist. Jede Person muß sich als „Arbeiter“ fühlen, als verantwortlich für das eigene Heil: als zur „Ernte“ gerufener Arbeiter. Jeder Mensch muß sich das Heil ehrlich „verdienen“. Das ist wesentlich für das gesamte Werk der Evangelisierung. „Ernte“ heißt also, sich selbst missionieren. Jeder ist durch das Wort Gottes zu dieser Arbeit gerufen, insbesondere jeder Junge und jedes Mädchen. Wir können nicht andere bekehren, wenn wir zuvor nicht uns selbst bekehrt haben. Wir können nicht zum Heil anderer beitragen, solange wir nicht selbst auf dem Heilsweg sind. Wir haben diesen langen Heilsweg mit dem Tag unserer Taufe begonnen, als wir mit der Verwerfung des Bösen das Gute in Jesus Christus gewählt haben; wir haben damit begonnen, das neue Leben zu leben, die Frucht seines Todes und seiner Auferstehung. Dieses Leben muß sich ständig weiter entfalten. Dafür ist er bei uns geblieben, in der Kirche: er blieb vor allem in den Sakramenten; er blieb in der Eucharistie und in der Buße. Ihr alle, meine lieben jungen Freunde, wißt ihr die Quellen des Lebens zu schätzen? Wißt ihr der Einladung Jesu - des Brotes des Lebens! - zu entsprechen, indem ihr bewußt an der Eucharistie teilnehmt mit dem Wunsch, in der Fülle zu leben, das Böse zu besiegen und das Gute zu erringen? Und wenn es wegen der Sünde, der Unvollkommenheit oder der Schwäche notwendig ist, wißt ihr den Weg der Umkehr und der Versöhnung zu gehen, indem ihr das Bußsakrament, die Vergebung und das Leben sucht? Bildet euer Gewissen und seid dem Herrn treu, der liebt und verzeiht. 6. Während wir mit der „Arbeit in uns selbst“ beginnen, sehen wir klar, daß wir nicht „Arbeiter am eigenen Heil“ sein können, ohne gleichzeitig 446 Reisen an die anderen zu denken. Das Problem des eigenen Heils ist mit der Frage des Heils der anderen organisch verbunden. Auch dies ist wesentlich für die Evangelisierung. Der Mensch beginnt sein Leben als Empfangender. Mit der Geburt findet er sich in einer von anderen, vor allem von den Nächststehenden bereiteten Welt: Eltern, Brüder und Schwestern. Dort empfängt das Kind alles, von der Nahrung bis zur Bildung. Es lernt dort sprechen, gehen und Zusammenleben. Wenn der junge Mensch sich seines Reichtums und seiner Fähigkeiten bewußt wird, dann versucht er von der kindlichen Phase des Nehmens in die Phase des Gebens hinüberzuwechseln. Die Vorgefundene Welt befriedigt ihn nicht, er will „seine Welt“ schaffen. Es ist der Zeitpunkt der großen Entscheidung im Leben. Es ist der Augenblick, wo sich die grundlegende Orientierung abzeichnet und vorbereitet, die den Rest des Lebens kennzeichnen wird. Dieser Übergang vom Nehmen zum Geben, von der Abhängigkeit zur Eigenverantwortlichkeit geschieht nicht ohne Krise. Es ist vorwiegend eine Krise des Wachstums und der Reife. Oft wird der Jugendliche nicht verstanden und versteht sich selbst nicht. Er will nicht mehr als Kind behandelt werden, fühlt sich aber noch nicht als Erwachsener. Oft schwankt er in seinem Inneren. Anderseits scheint alles in ihm in Gärung zu sein; er entdeckt Werte, die Geschlechtlichkeit, die Liebe und Ideale; und er entdeckt auch die wahre Dimension des Glaubens. Eine großartige Entdeckung für euch, liebe Jugend! Die Welt erscheint euch nun nicht mehr ein Mythos, sondern eine große Aufgabe, die sich euch stellt; euer Leben ist nun nicht mehr ein Geschenk. Es wird eine Verpflichtung. Eure Einstellung ist nicht eingeschränkt durch die Erwartung, alles vorbereitet zu finden. Zwei große Sorgen rücken mit der Aussicht auf die Zukunft auf euch zu: die Vorbereitung auf den Beruf und die Vorbereitung auf den Lebensstand. Diese beiden Sorgen beschäftigen euch bisweilen so sehr, daß ihr ungeduldig werdet. Eure jugendliche Spannung kann man zusammenfassend definieren als eine Spannung zwischen dem „schon“ und dem „noch nicht“. Ihr fühlt bereits die Verantwortung, habt aber noch keine Gelegenheit, sie zu beweisen. Ihr wollt schon zum Allgemeinwohl beitragen, sei es mit Ideen oder Taten, aber noch bietet sich dazu keine Chance. Das ist nun genau der Augenblick, der große Augenblick der Entscheidung und der Vorbereitung eurer Zukunft, in dem ihr Christus noch mehr braucht. Von ihm geleitet, könnt ihr euren Beruf und eure Zukunft wählen, indem ihr das Allgemeinwohl und die Forderungen des Gottesreiches, die Forderungen des Glaubens bejaht. Ihr seid aufgerufen, für das 447 Reisen Heil der anderen zu „arbeiten“, und zwar zur gleichen Zeit, in der ihr für euer Heil arbeitet. Ihr seid aufgerufen, Apostel zu sein, die gute Nachricht zu verkünden, ungeachtet eurer Zukunftsentscheidungen. Seid hochherzig: Wählt mit Liebe und bereitet euch gut vor. Bereitet euch aufrichtig und würdig auf den Beruf vor; bereitet euch auf den von euch gewünschten Lebensstand vor; wenn ihr die Ehe anstrebt, dann seid ernsthaft und respektvoll gegen den Menschen, der eines Tages mit euch das Leben und die Ideale der Familie im Sinne Gottes teilen wird. 7. Wahrlich, die „Ernte ist groß“. Wichtig ist nur, daß jeder von uns zum „Arbeiter“ im Sinn des Evangeliums wird. Die „Ernte“ bezeichnet die Frucht der menschlichen Arbeit. Sie bezeichnet zur gleichen Zeit die Gabe, die uns durch die Schöpfung erreicht. Das Heil, von Christus dem Menschen als seine Aufgabe gestellt, ist gleichzeitig und vor allem eine Gabe. „. . . ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1, 8). Das sind die letzten Worte, die der auferstandene Christus nach der Apostelgeschichte auf der Erde vor seiner Himmelfahrt gesprochen hat. Hier befinden wir uns in dem liturgischen Abschnitt, der von der Auferstehung bis Pfingsten reicht: Deshalb sind diese Worte für uns von besonderer Aktualität. Vom Heiligen Geist erhielten die Menschen die Kraft, ihr Heil zu wirken; d. h., das Heil ist für die Menschen eine persönliche und gemeinschaftliche Aufgabe, die mit der Kraft des Heiligen Geistes verwirklicht werden muß. Deshalb bedeutet sie vor allem eine Gabe. Es ist eine große Gabe, über die Gott mit dem Menschen etwas teilt, was wesentlich das Seine ist. In einem gewissen Sinn „gibt er sich selbst dem Menschen“: Er schenkt sich selbst in Christus. Er schenkt sich, um die Kraft der Wahrheit und der Liebe zu sein, die den „neuen Menschen“ formt, der fähig ist, die Welt zu verwandeln: Kraft der Wahrheit, die sich als Forderung des Gewissens und der menschlichen Würde manifestiert, die die Entscheidungen der Liebe fällt; der Liebe, die sich nähert, vereint, erhebt, aufbaut und heilt, wenn wir anderen die Hand in menschlicher, christlicher und kirchlicher Brüderlichkeit reichen. Er schenkt sich insbesondere in den Sakramenten — Taufe, Firmung, Buße, Eucharistie -, durch die die Gnade gespendet oder vermehrt wird, die vom Abendmahlssaal bis zu uns gekommen ist als das lebendige Brot, und als „Kraft“, die uns Tag für Tag bis zu unserer Auferstehung zum ewigen Leben (vgl. Joh 6, 51.58) Christus schenkt, um mit dem Vater zu leben. Deshalb müssen wir immer das Heil als Gnade erfahren und uns ihm wie 448 Reisen einer Aufgabe widmen. Je mehr wir um die Größe dieser Gnade wissen, desto glühender werden wir uns dieser Sendung hingeben, desto ernsthafter werden wir die „Erntearbeiter“ sein. Hier liegt der Grund des Problems; das ist der lebendige Kontext der Evangelisierung. 8. Der auferstandene Christus beruft seine Jünger zur Evangelisierung, indem er ihnen sagt: „Ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1, 8). Das ist das Schlüsselwort! Wir werden Zeugen Christi, wenn in uns - wie in den Jüngern des Evangeliums - das Problem des Heils reift, das Problem der Berufung in das Reich Gottes. Wenn wir uns ihm stellen und es uns zu eigen machen, dann identifizieren wir uns mit ihm: wenn es unserem ganzen Leben und unserem Handeln eine Richtung gibt. Jugendliche, Jungen und Mädchen, Söhne und Töchter des Portugals von heute: Schaut auf die vielen, die euch vorausgegangen sind, auch sie sind Kinder dieses Vaterlandes, Kinder seiner Kultur und seiner Sprache, seiner Leiden und seiner Siege. Wie viele von ihnen sind dem Ruf Christi in völliger Hingabe ihres Lebens gefolgt! Von der heiligen Königin Isabel bis Johannes de Deus, von Antonius bis Joäo de Brito - um nur von den kanonisierten Heiligen zu sprechen -, auf verschiedenen Wegen haben alle sich in der Liebe Gottes bewegt, liebten das Ideal der Wahrheit und Liebe und ließen sich vom Geist Christi führen. Und wer möchte behaupten, daß euch jungen Portugiesen von heute mit eurer Begeisterung und Freude Christus weniger am Herzen liegt, daß ihr weniger verfügbar und ihm weniger ergeben seid als die Menschen der Vergangenheit? Ja, Christus vertraut euch! Die Kirche vertraut euch! Der Papst vertraut euch! Hört, liebe Jugend, hört noch einmal den Ruf Christi: Seid seine Zeugen! „Die Tradition von Coimbra Hochhalten“ Ansprache bei der Ankunft in Coimbra am 15. Mai Gelobt sei unser Herr Jesus Christus! 1. Ich danke dem Herrn Bischof von Coimbra, Msgr. Joäo Alves, für seine herzlichen Begrüßungsworte! Ich danke Ihren Exzellenzen für Ihre ehrenvolle Anwesenheit! Dank meinen Brüdern im Bischofsamt! Dank allen Brüdern und Schwestern in Christus! 449 Reisen Wenn ich etwas von dieser berühmten Stadt Coimbra las oder hörte, verbanden sich in meinem Geist stets folgende Gedanken: Heiligkeit und Schönheit, Geschichte und Leben. - Heiligkeit, die sich vor allem mit den Namen des hl. Teutonius und der hl. Königin Isabella und irgendwie auch mit dem hl. Antonius verbindet; - Schönheit, mit welcher Gott diese Gegend des portugiesischen Landes ausgestattet hat, und Schönheit, die vom Menschen in Kunst, Literatur und Musik geschaffen wurde; - Geschichte, die unter dem Rost der Jahrhunderte verlorenging: vom „Conimbriga“ der Römer über die Anfänge der Nation bis zu den 800 Jahren portugiesischen Lebens und portugiesischer Kultur; - Leben schließlich, das mit dieser sympathischen Bevölkerung in Zusammenhang steht, aus welcher die jungen Studenten dieses berühmten „portugiesischen Athen“ hervorragen, die sogenannte „Combric-cola“, der ich - wenn es gestattet ist - sagen möchte: Seht, der Papst zählt auf euch! Oder, besser, Christus zählt auf euch! 2. Aber jetzt liegt Coimbra vor meinen Augen und ist an die Stelle der Vorstellungen und Ideen getreten. Coimbra, das seid ihr. Ihr alle: der Klerus, die Ordensleute und die Gläubigen dieser Diözese; ihr Seminaristen; ihr Väter und Mütter, Jugendliche und Kinder; ihr, denen bedeutende Aufgaben obliegen, und ihr, die ihr einfache Dienste verrichtet; ihr, „die Geringsten“ - wie euch der Herr genannt hat -, ihr alle, die ihr an Leib oder Seele leidet, wobei ich besonders an die Kranken in den verschiedenen Krankenhäusern der Stadt denke; alle, alle, ohne daß ich irgend jemanden vergessen möchte. Der Papst grüßt alle, er will alle ermutigen und segnen. Coimbra, das seid ihr! In euch sehe ich konkret Schönheit und Leben ausgedrückt; und in der Hoffnung, die sich in eurer Geschichte bestätigt, sehe ich die Heiligkeit, die ich euch wünsche und durch die Fürsprache eurer Schutzheiligen für euch erbitte, deren Andenken ihr gewiß hochhal-ten wollt, wenn ihr die Tradition von Coimbra hochhaltet durch die Treue zu Gott, durch Christus, in der heiligen Kirche. 3. Aber es sei mir gestattet, meinen Horizont zu erweitern und die Gefühle meiner Seele zum Ausdruck zu bringen, um die ganze Region -das Zentrum von Portugal - von Leiria bis Castelo Branco und Guarda und von Aveiro bis Viseu zu umarmen, die hier gut vertreten ist: durch ihre Bischöfe und die Gläubigen der Diözese (mir scheint, sie sind zahlreich), die zur Begegnung mit dem Papst, dem Nachfolger des hl. Petrus, hierhergekommen sind. Ich grüße alle ganz herzlich! Allen wünsche ich alles Gute! Für alle wiederhole ich - und ich möchte es als 450 Reisen Erinnerung hinterlassen - ein Wort, das der erste Papst geschrieben hat, der Apostel und Fischer aus Galiläa; ich spreche es hier, in Portugal, und in einer Gegend, wo es viele Fischer gibt, denen meine ganze Sympathie gehört: Durch Christus „seid ihr zum Glauben an Gott gekommen . . ., so daß ihr an Gott glauben und auf ihn hoffen könnt. Der Wahrheit gehorsam, . . . hört nicht auf, einander von Herzen zu lieben“ (1 Petr 1, 21 ff.). Und seid gewiß, daß der barmherzige Gott euch sehr liebt. Indem ich euch alle mit „dem Kuß der Liebe“ begrüße, erbitte ich für alle durch die Fürsprache der heiligen Jungfrau Gottes Gnade. Mit meinem Apostolischen Segen. Dem Verlust der Kultur liegt eine Krise der Wahrheit zugrunde Ansprache an die Repräsentanten von Wissenschaft und Kultur beim Besuch der Universität von Coimbra am 15. Mai Eure Magnifizenz, meine Herren Professoren und Studenten dieser Universität, meine Damen und Herren! 1. Es ist für mich ein Augenblick großer Freude, hier in dieser Universität zu sein, die eine der ältesten von Europa und eng mit dem Wirken der Kirche verbunden ist. Von Beginn an unter den Schutz Gottes und der allerseligsten Jungfrau gestellt, hat sie im Laufe ihrer Geschichte auch eine formelle Verpflichtung für die Verteidigung der Lehre von der Unbefleckten Empfängnis der allerseligsten Jungfrau Maria übernommen. Deswegen spüre ich hier das Pochen einer langen Tradition mariani-scher Verehrung, die auf die höchste Stufe nationaler Kultur erhoben ist. Ich begrüße besonders seine Magnifizenz, den Herrn Rektor, der mich empfangen hat; ich begrüße den Lehrkörper - die ordentlichen und außerordentlichen Professoren und Assistenten — sowie die lieben Studenten und alle, die mit der Gemeinschaft der geistigen Arbeit an dieser berühmten Universität verbunden sind. Ich begrüße sehr herzlich alle Kulturschaffenden dieser edlen Nation, die hier anwesend oder vertreten sind. Ich erkenne den Wert ihrer Arbeit zum Besten der Menschen an, ich komme und begegne Ihnen mit Hochachtung und habe an die langen Jahre gedacht, in denen ich in meiner Universität gearbeitet habe, und an 451 Reisen die glücklichen Erfahrungen, die dieses Zusammenleben mir gab. Wir sind alle überzeugt, daß eine neue Zivilisation in Einklang mit den Bestrebungen und Erfordernissen unserer Epoche zuerst durch den Verstand und danach erst durch die Hände geformt werden muß. Kulturschaffende, euch obliegt die grundlegende Aufgabe, für die Zukunft zu planen, sie auf den unschätzbaren Werten eurer kulturellen Tradition und dem unerschöpflichen Reichtum der portugiesischen Seele aufzubauen. Ich bin hier als Freund, der sein Herz mit Vertrauen in der Bereitschaft zur Anregung für die gemeinsamen Probleme öffnet. 2. Sie wissen sicher, wie sehr die Kirche der Kultur dankbar ist und wie sie deren Förderung anerkennt. Sie ist außerordentlich an der Kultur interessiert, da sie wohl weiß, was diese für den Menschen bedeutet. Weder auf individueller noch auf gesellschaftlicher Ebene wird sich die menschliche Persönlichkeit voll entfalten können, das ist nur über die Kultur möglich. Kontakte mit neuen Welten Dies scheint einleuchtend, wenn wir bedenken, daß die Kultur in ihrer tiefsten Wirklichkeit nur die besondere Weise ist, die ein Volk hat, um die eigenen Beziehungen zur Natur, zwischen seinen Angehörigen und mit Gott zu pflegen, um ein wahrhaft menschliches Lebensniveau zu erreichen; es ist der „Stil des Gemeinschaftslebens“, der ein bestimmtes Volk charakterisiert. Unter den verschiedenen Kulturen nimmt die portugiesische Kultur einen Ehrenplatz ein. Sie ist eine reiche und jahrhundertealte Kultur mit ganz bestimmten Zügen, die sie klar von anderen Völkern unterscheidet. Sie drückt die eigene Art der Portugiesen, „in der Welt zu sein“, ihre eigene Lebensvorstellung und ihre religiöse Daseinsdeutung aus. Es ist eine im Verlauf von 800 Jahren — solange die Nation besteht — geschmiedete Kultur, die durch die vielen und langen Kontakte, die Portugal in seiner Geschichte mit den verschiedensten Völkern mehrerer Kontinente gehabt hat, Bereicherungen erfahren hat. An dieser Stelle möchte ich an die bewundernswerte zivilisatorische Leistung erinnern, welche die Portugiesen zusammen mit der Evangelisierung über Jahrhunderte hinweg in allen Teilen der Welt, in die sie gekommen sind, vollbracht haben. In diesem Rahmen der Kontakte mit neuen Welten und in diesem kulturellen Kontakt muß man sich Luis de Camöes und seine „Lusiaden“ vorstellen, sein Hauptwerk, das mit vollem Recht zu den Standardwerken der Weltliteratur zählt. Ich möchte auch auf den bedeutenden Beitrag hinweisen, den Ihr Land durch die Entdek- 452 Reisen kungen für die Entwicklung der Wissenschaft geleistet hat. Von den vielen Namen, die wir zitieren könnten, möchte ich nur Pedro Nunes, den Erfinder des „Nonius“, und den Arzt und Naturwissenschaftler Garcia de Horta anführen. Selbst im Bereich der Kunst hat diese Begegnung von Zivilisationen in eurem unverwechselbaren „Stile manuelino“ ihren Ausdruck gefunden. 3. Die Kultur ist dem Menschen eigen, sie kommt vom Menschen und ist für den Menschen bestimmt. Die Kultur ist dem Menschen eigen. Wenn man in der Vergangenheit den Menschen definieren wollte, berief man sich fast immer auf die Vernunft oder die Freiheit oder die Sprache. Neue Fortschritte der kulturellen und der philosophischen Anthropologie zeigen, daß man eine nicht weniger genaue Definition der menschlichen Wirklichkeit erhält, wenn man sich auf die Kultur bezieht. Diese charakterisiert den Menschen und unterscheidet ihn von anderen Wesen nicht weniger klar als der Verstand, die Freiheit und die Sprache. Solche Wesen haben tatsächlich keine Kultur, sie sind nicht Schöpfer der Kultur; sie sind höchstens passive Empfänger kultureller Anstöße, die der Mensch in die Tat umgesetzt hat. Um heranzuwachsen und zu überleben, sind sie von der Natur mit gewissen Instinkten und bestimmten Flilfsmitteln sowohl für das Überleben als auch für die Verteidigung ausgerüstet; der Mensch dagegen besitzt statt dessen den Verstand und die Hände, welche das Organ seiner Organe sind, da der Mensch mit ihrer Hilfe sich mit Werkzeugen ausrüsten kann, um seine Zielsetzungen zu erreichen. Kultur bedeutet Gesamtheit der Werte Die Kultur kommt vom Menschen! Dieser erhält unentgeltlich von der Natur eine Gesamtheit von Fähigkeiten, von Talenten, wie das Evangelium sie bezeichnet, und mit seiner Intelligenz, seinem Willen und seiner Arbeit muß er sie entwickeln und nutzbringend anwenden. Die Pflege der Talente, sowohl von seiten des Individuums als auch von seiten der sozialen Gruppe, mit der Absicht, sie und sich selbst zu vervollkommnen und die Natur zu beherrschen, baut die Kultur auf. So verwirklicht der Mensch mit der Bebauung des Landes den Schöpfungsplan Gottes; mit der Pflege der Wissenschaften und der Künste arbeitet er für die Erhöhung der menschlichen Familie und um zur Kontemplation Gottes zu kommen. Die Kultur ist für den Menschen. Dieser ist nicht nur Schöpfer von Kultur, sondern darüber hinaus ihr Hauptempfänger. In den zwei grundlegenden 453 Reisen Bedeutungen, Bildung des Individuums und geistige Bildung der Gesellschaft, hat die Kultur die Verwirklichung der Person in allen ihren Dimensionen, mit allen ihren Fähigkeiten im Auge. Das höchste Ziel der Kultur ist, den Menschen als Mensch, den Menschen als Persönlichkeit, d. h. jeden Menschen als einziges und unwiederholbares Exemplar der menschlichen Familie, zu entwickeln. In dieser Weise verstanden, umfaßt die Kultur das ganze Leben eines Volkes: die Gesamtheit der Werte, die es beseelen und, da alle Bürger daran teilhaben, diese verbindet auf der Basis des gleichen „persönlichen und kollektiven Bewußtseins“; die Kultur umfaßt auch die Formen, in denen die Werte sich ausdrücken und Gestalt annehmen, d. h. die Sitten, die Sprache, die Kunst, die Literatur, die Institutionen und die Strukturen des sozialen Zusammenlebens. 4. Der Mensch ist als kulturelles Wesen - Sie wissen das, meine Damen und Herren - nicht vorgefertigt. Er muß sich mit eigenen Händen formen. Aber nach welchem Plan? Welches Modell, falls es eines gibt, muß er vor Augen haben? Es hat im Verlauf der Geschichte nicht an Vorschlägen zu einem solchen Modell gefehlt. Und hier tritt, wie man weiß, die Bedeutung der philosophischen Anthropologie in den Vordergrund. Um gültig zu sein, muß ein kulturelles Projekt der geistigen Dimension den Primat einräumen, jener Dimension, die ein Mehr an „Sein“ höher achtet als ein Mehr an „Haben“. Ich erlaube mir bei dieser Gelegenheit an das, was ich den Vertretern der UNESCO sagte, zu erinnern: „Kultur ist das, wodurch der Mensch als solcher mehr Mensch wird, mehr Mensch ist, besser zum ,Sein‘ gelangt. Das ist auch die Grundlage für die fundamentale Unterscheidung zwischen dem, was der Mensch ,ist‘, und dem, was er hat, zwischen Sein und Haben. Die Kultur steht immer in wesentlicher und notwendiger Beziehung zu dem, was der Mensch ist, während ihre Beziehung zu dem, was er hat, zu seinem ,Haben, nicht nur zweitrangig, sondern völlig relativ ist. Das ganze ,Haben des Menschen ist nur so weit bedeutsam für die Kultur, ist nur in dem Maß ein Kultur schaffender Faktor, wie es dem Menschen als Hilfsmittel zu einem volleren ,Sein‘ als Mensch dient, wie es ihm verhilft, in vollerem Sinne Mensch in allen Dimensionen seines Daseins und in allem, was seine Menschlichkeit auszeichnet, zu sein“.35 Das Ziel der kulturellen Wahrheit ist folglich, aus dem Menschen eine Persönlichkeit zu machen, einen vollkommen entwickelten Geist, der fähig ist, die allseitige Verwirklichung seiner Fähigkeiten anzustreben. 454 Reisen Geschichtlich gesehen versuchte jede Gesellschaft, jede Nation, jedes Volk ein menschliches Projekt auszuarbeiten, ein Menschheitsideal, um die Bürger nach ihm zu bilden, wobei allgemein den geistigen Werten die Vorrangstellung zuerkannt wird. Wie Sie wissen, hat die Kirche ebenfalls einen Plan der Menschlichkeit, der vom Zweiten Vatikanischen Konzil wiederbelebt und vorgelegt wurde. In voller Übereinstimmung mit den Forschungsergebnissen der philosophischen und kulturellen Anthropologie hat das Konzil bestätigt, daß die Kultur ein wesentliches Bildungselement ist und deswegen mit allen Mitteln gefördert werden muß. Dies sind die Worte des Konzils: Die Kultur muß die Perfektion des Menschen anstreben, denn „wenn er sich den verschiedenen Fächern, der Philosophie und Geschichte, der Mathematik und Naturwissenschaft, widmet und sich künstlerisch betätigt, dann kann er im höchsten Grad dazu beitragen, daß die menschliche Familie zu den höheren Prinzipien des Wahren, Guten und Schönen und zu einer umfassenden Weltanschauung kommt“.' Anregungen durch den Glauben 5. Mit dem Vorschlag ihres Menschheitsideals beabsichtigt die Kirche nicht, die Autonomie der Kultur zu verneinen. Ganz im Gegenteil, sie achtet sie hoch, so wie sie den Menschen hochachtet; für beide verteidigt sie offen die freie Initiative und die autonome Entwicklung. Da die Kultur unmittelbar der rationalen und sozialen Natur des Menschen entspringt, braucht sie konstant, um sich entwickeln zu können, wahre Freiheit und echte Selbständigkeit. Mit Grund also, da die Rechte der Person und der Einzel- und Gesamtgemeinschaft - wie evident ist - immer geschützt sind, braucht die Kultur einen Freiheitsraum, muß sie respektiert werden und muß ihre Unabhängigkeit in bezug auf politische und wirtschaftliche Kräfte bewahren können.' Die Geschichte jedoch lehrt uns, daß der Mensch und die von ihm geschaffene Kultur die Autonomie mißbrauchen können, auf die sie ein Anrecht haben. Die Kultur wie ihre Schöpfer können in Versuchung geraten, für sich selbst eine absolute Unabhängigkeit vor Gott zu beanspruchen. Sie können sogar versuchen, sich gegen ihn aufzulehnen. Für uns, die wir das Glück des Glaubens an Gott haben, ist diese Feststellung schmerzlich. Die Kirche ist sich dieser Realität bewußt. Diese ist ein Teil - Sie wissen das, meine Damen und Herren — des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse. Von Natur aus ist die Kirche berufen, auf das Gute hinzuweisen und 455 Reisen das Böse zu heilen oder auszurotten. Von Christus erhielt sie den Auftrag, den konkreten Menschen, den geschichtlichen Menschen in seinem ganzen Wesen, äußerlich und innerlich, persönlich und gesellschaftlich, geistig, moralisch und kulturell, vor dem Bösen zu retten. Einer der Wege zur Erfüllung dieses Sendungsauftrags der Kirche ist die Förderung der Kultur, verstanden als Bildung der Persönlichkeit, als geistige Grundlage, als soziale Information. In der Sicht der Kirche ist Kultur keine Sache, die mit dem Glauben nichts zu tun hat, sondern eine, die von diesem tiefe und fruchtbare Anregungen empfangen kann. Man darf die Beziehung der Kultur zum Glauben nicht rein passiv auf fassen. Die Kultur ist nicht nur Träger der Erlösung und Erhöhung, sondern kann auch Mittlerin und Mitarbeiterin sein. So bediente sich Gott einer besonderen Kultur, als er sich dem auserwählten Volk offenbarte; das gleiche tat Jesus Christus, der Sohn Gottes: Seine Menschwerdung war zugleich eine kulturelle Inkarnation. „In gleicher Weise nimmt die Kirche, die im Lauf der Zeit in je verschiedener Umwelt lebt, die Errungenschaften der einzelnen Kulturen in Gebrauch, um die Botschaft Christi in ihrer Verkündigung bei allen Völkern zu verbreiten und zu erklären, um sie zu erforschen und tiefer zu verstehen, um sie in der liturgischen Feier und im Leben der vielgestaltigen Gemeinschaft der Gläubigen besser Gestalt werden zu lassen“.) In unserer Zeit sucht die Kirche - ohne ihre Tradition aufzugeben, aber ihres universellen Auftrags bewußt - den Dialog mit den verschiedenen Formen der Kultur: Sie bemüht sich, das zu finden, was das herrliche Erbe des menschlichen Geistes verbindet, und läßt nichts unversucht, um allen Kulturen, allen ideologischen Vorstellungen und allen Menschen guten Willens näherzukommen, auch wenn der Einklang der Kultur mit dem Glauben nicht immer ohne Schwierigkeiten möglich ist. Kultureller Fortschritt durch Zivilisation? 6. Meine Damen und Herren! Sie alle haben erkannt, daß mehr oder weniger überall die Lebensbedingungen des heutigen Menschen auf sozialem und kulturellem Gebiet tiefgreifende Veränderungen erfahren haben. An diesem Punkt kann man von einer „neuen Ära der menschlichen Geschichte sprechen“.) Die Entwicklung und der Fortschritt der Zivilisation, durch die Vorherrschaft der Technik gekennzeichnet, bieten für die Verbreitung der Kultur neue Möglichkeiten, welche durch die erstaunliche Entwicklung in den Natur-, Human- und Sozialwissenschaften und 456 Reisen durch die außerordentliche Perfektionierung und Koordinierung der Kommunikationsmittel gegeben sind. Wir freuen uns aus erklärlichen Gründen darüber und sind der Wissenschaft und ihren Hauptgestalten dafür sehr dankbar. Aber dieser große Fortschritt, dem man schwerlich die Anerkennung echter menschlicher Größe verweigern kann, ruft auch Bedenken hervor. Nicht selten drängt sich uns die Frage auf: Macht dieser Fortschritt, dessen Urheber und Schrittmacher der Mensch ist, das Leben auf der Erde „menschlicher“? Wird der Mensch als solcher durch all diesen Fortschritt besser? Das heißt: Stellt er sich geistig reifer dar, ist er seiner Würde bewußter, verantwortungsvoller, aufgeschlossener gegenüber den anderen - insbesondere gegenüber den Schwächsten und Bedürftigsten -und schließlich bereitwilliger, allen zu helfen?^ Krise der Metaphysik Es scheint heute kein Zweifel darüber zu bestehen, daß die moderne Kultur, seit Jahrhunderten Seele der westlichen Gesellschaft und - durch diese - weitgehend auch anderer Gesellschaften, eine Krise durchmacht: Sie stellt sich bereits nicht mehr als beseelendes Prinzip der Gesellschaft dar, die sich ihrerseits als aufgelöst und in Schwierigkeiten befindlich darbietet, wenn es um die Durchführung ihrer eigentlichen Aufgabe geht, nämlich den Menschen innerlich in seinem ganzen Sein wachsen zu lassen. Diesem Verlust der Kultur an Kraft und Einfluß scheint eine Krise der Wahrheit zugrunde zu hegen. Der Sinn der Wahrheit hat allerseits eine ernsthafte Erschütterung erfahren. Bei näherer Betrachtung erweist sich, daß es sich im Grunde um eine Krise der Metaphysik handelt. Ihr folgt die Entwertung des Wortes, dessen Geringschätzung ihren Ursprung in einer gewissen Unschlüssigkeit und im Mißtrauen zwischen den Personen hat. Ängstlich fragt sich der Mensch: Wer bin ich eigentlich? Die objektive Betrachtung der Wahrheit findet man oft durch eine mehr oder weniger spontane, subjektive Anschauung ersetzt. Die objektive Moral macht einer individuellen Ethik Platz, in der jeder für sich die Handlungsnorm bestimmen und verlangen kann, daß er nur dieser Norm folgt. Die Krise verschärft sich, wenn die Leistungsfähigkeit die Funktion eines Wertes übernimmt. Die Folge sind dann Manipulationen aller Art, und der Mensch fühlt sich mehr und mehr verunsichert; er hat den Eindruck, in einer Gesellschaft zu leben, die keine Gewißheit und Ideale zu bieten hat und deren Wertvorstellungen verwirrt sind. 457 Reisen 7. In der Durchführung der Mission, die mir durch den geheimnisvollen Plan der Vorsehung anvertraut worden ist, bei meinen apostolischen Pilgerreisen in die Welt, beseelt mich immer der Wunsch, Träger einer Botschaft zu sein und mit dem bescheidenen, für mich aber unentbehrlichen Anteil, der in meiner Macht steht, dazu beizutragen, daß als Punkt der Begegnung aller, die guten Willens sind, beim Aufbau einer menschenwürdigen Welt im Geist und im Herzen ein echtes Bewußtsein vom Menschen vorherrsche. Im Prozeß dieser Konvergenz der guten Willen nehmen die Zentren und Menschen der Kultur einen besonderen Platz ein. Es handelt sich in der Tat darum, das Bewußtsein der Menschen zu beeinflussen und die Gesellschaft geistig anzuregen; hierbei werden nicht nur Institutionen wie die von mir hier vertretene Kirche, sondern auch Zentren und Strukturen, deren Aufgabe die Schaffung und Förderung der Kultur ist, eine führende Rolle spielen. Sie kennen meine Gefühle großer Hochachtung und Anerkennung für die Verantwortung, die ich den Universitäten unserer Zeit zuerkenne. Sie sind für mich einer jener Orte, vielleicht sogar der wichtigste, in dem die Berufung des Menschen zur Erkenntnis wie auch die grundlegende Bindung des Menschen an die Wahrheit als Ziel der Erkenntnis tägliche Realität, gewissermaßen tägliches Brot wird für die, die sie besuchen, und für viele andere, die die Realität der sie umgebenden Welt und die Geheimnisse ihrer Menschlichkeit zu erkennen suchen.9) Gründe zur Hoffnung Meine Damen und Herren, Intellektuelle und Menschen der portugiesischen Kultur: Die Situation mag verzweifelt, als Vorläuferin einer neuen Apokalypse erscheinen. Aber in Wirklichkeit ist es nicht so. Für die Menschheit des Jahres 2000 gibt es bestimmt eine Lösung und viele Gründe zur Hoffnung. Es genügt, daß alle Menschen guten Willens, vor allem diejenigen, welche sich zum Glauben an Christus bekennen, sich ernsthaft um eine tiefgreifende Erneuerung der Kultur im Licht einer gesunden Anthropologie und der Prinzipien des Evangliums bemühen. Ich glaube, daß Sie bereits vom Verlangen beseelt sind - und das sind auch die Wünsche, die ich ausspreche -, einen Aspekt des Menschen und ein echtes Bewußtsein von der menschlichen Person in Ihrer edlen Arbeit zu kultivieren. In Ihrer Tradition bewahren Sie so viele Zeichen, so viele Elemente der Universalität, der Öffnung gegen andere Völker, der Schätzung und Anerkennung edler Gefühle. Es scheint, daß man über die 458 Reisen Jahrhunderte hinweg dem Herzen mehr Gewicht gibt als den intellektuellen Konstruktionen. Die von Portugal in der Welt verbreitete Zivilisation hat, das kann man sagen, der Person besondere Beachtung geschenkt. Darauf vertrauend möchte ich hier einen Appell wiederholen, der Ihnen, wie ich annehme, bekannt ist: „Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus. Öffnet . . . die weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts seiner rettenden Macht! Habt keine Angst! Erlaubt Christus, zum Menschen zu sprechen“10), auch in Portugal, dem ich, wie auch Ihnen allen, viel Glück wünsche. Anmerkungen ') Vgl. Thomas, S. Theol. I, 76, 5 ad 4. 2) Evangelii nuntiandi, Nr. 18. 3) Ansprache an den Exekutivrat der UNESCO, 2. 6. 1980, Nr. 7. 4) Gaudium et spes, Nr. 57. 5) Vgl. Gaudium et spes, Nr. 59. 6) Gaudium es spes, Nr. 58. 7) Gaudium et spes, Nr. 54. 8) Vgl. Redemptor hominis, Nr. 15. 9) Vgl. Ansprache an den Exekutivrat der UNESCO, Nr. 19. '") Homitie bei Übernahme des obersten Hirtenamtes, 22. 10. 1978. „Die Zukunft des Menschen hängt von der Familie ab“ Predigt bei der Eucharistiefeier mit den Familien im Wallfahrtsort Sameira (Braga) am 15. Mai <19> <19> „Fürchte dich nicht, Abram, ich bin dein Schild, dein Lohn wird sehr groß sein! Abram antwortete: Herr, mein Herr, was willst du mir schon geben? Ich gehe doch kinderlos dahin, und Erbe meines Hauses ist Elieser aus Damaskus. Und Abram sagte: Du hast mir ja keinen Nachkommen gegeben; also wird mich mein Haussklave beerben. Da erging das Wort des Herrn an ihn: Nicht er wird dich beerben, sondern dein leiblicher Sohn wird Erbe sein. Er führte ihn hinaus und sprach: Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst! Und er sprach zu ihm: So zahlreich werden deine Nachkommen sein!“ (Gen 15, 1-5). 459 Reisen Die wunderbare Geschichte Abrahams, des „Vaters unseres Glaubens“, die die Lesung der heutigen Liturgie in Erinnerung ruft, stellt zwei wesentliche Wahrheiten heraus. Ihnen sollen unsere Aufmerksamkeit und unser Gebet während dieser Eucharistiefeier gelten. Die erste Wahrheit ist, daß die Zukunft des Menschen auf der Erde an die Familie gebunden ist. Die zweite ist, daß der göttliche Heilsplan und die Heilsgeschichte durch die Familie hindurchgeht. Zu einem „Familientreffen“ - einem Treffen der Familie der Kinder Gottes - sind wir zusammengekommen, um das eucharistische Opfer zu feiern und diese Wahrheiten zu vertiefen. Gestattet mir, daß ich an erster Stelle die portugiesischen Familien grüße, die hier von einer großen Zahl von Eheleuten und Familien der Stadt und Erzdiözese Braga und verschiedener Gegenden Portugals vertreten werden. Ich bin gekommen, um hier ein Wort der Ermutigung zu sagen, die wesentlichen Werte der Ehe in besonderer Weise herauszustellen. Ein Grußwort möchte ich auch an die Bewegungen und Organisationen richten, die im Bereich der Familie arbeiten, vor allem solche kirchlichen Charakters, die sich einsetzen bei der Ehevorbereitung, andere bei der Vertiefung der Ehespiritualität, andere bei der Lösung der Probleme, die im Schoß der Familie selbst entstehen. Ich möchte sie ermutigen, diese solide, weite und gut artikulierte Familienpastoral weiterzuführen, die vielen protugiesischen Heimen zum Wohl gereicht. Mögen die Familien dieses Landes sich in der Liebe und in der Reinheit als Abbild der Liebe Christi zu seiner Kirche (vgl. Eph 5, 25) festigen und so weiterhin die Sendung erfüllen, die Gott ihnen anvertraut hat. Laßt uns in diesem Sinne bei dieser Eucharistiefeier beten in der Überzeugung, daß auch für Portugal die Zukunft über die Familie geht (vgl. Familiaris consortio, Schluß). 2. In der Familie wurzelt und von der Familie ist mehr als von anderen Gesellschaften, Institutionen oder Umfeldern die Zukunft des Menschen abhängig. Diese wesentliche Wahrheit ergab sich aus dem Gespräch Abrahams mit Gott, das wir vor einigen Augenblicken in dieser eindrucksvollen Passage der Genesis gehört haben. „Dein Lohn wird sehr groß sein“, so versprach der Herr seinem Freund, „Herr, mein Herr, was willst du mir schon geben? Ich gehe doch kinderlos dahin“, so fragte Abraham mit einer gewissen Skepsis (Gen 15, 2). Dieser trostlosen Niedergeschlagenheit Abrahams folgte seine Freude, als „zu der Zeit, die Gott angegeben hatte“ (Gen 21,2), Sara ihm einen Sohn schenkte. 460 Reisen Die Zukunft des Menschen ist vor allem der Mensch selbst. Es ist der Mensch, der aus dem Menschen geboren wird: von einem Vater und einer Mutter, von einem Mann und einer Frau. Darum entscheidet sich die Zukunft des Menschen in der Familie. Die Ehe ist das Fundament der Familie, so wie die Familie das Endziel der Ehe ist. Es ist unmöglich, die eine von der anderen zu trennen. Man muß sie zusammen im Licht der Zukunft des Menschen betrachten. Das ist eine offensichtliche Wahrheit, und dennoch ist sie eine bedrohte Wahrheit. Aus vielerlei Gründen neigt die Menschheit dazu, ihre eigene gegenwärtige und zukünftige Existenz mehr nach Kategorien der Produktivität, d. h. nach Kategorien von Mitteln, als in der Dimension des dem Menschen entsprechenden Ziels zu werten. Verschiedene Gegebenheiten scheinen ein solches Denken zu erklären und zu rechtfertigen. Man kann sogar sagen, daß der Mensch so denkt „mit Rücksicht auf den Menschen“, weil er besorgt ist, seine Existenz auf Erden zu sichern. Soviel läßt sich in dieser Hinsicht aus den augenblicklichen Veröffentlichungen auf den Gebieten der Demographie oder der Wirtschaft herauslesen. Dennoch begehen wir beim Nachdenken über den Menschen und über seine Zukunft auf der Erde einen wesentlichen Fehler, wenn wir von Kategorien seiner Produktivität und der Produkte, die er auf der Erde herstellt, ausgehen. Der Mensch ist dann nicht mehr der wesentliche und erste Wert. Er ist nicht mehr Ziel, sondern Mittel. So weicht unser Denken vom Denken des Schöpfers ab, der den Menschen als einziges Geschöpf um seiner selbst willen geschaffen hat (vgl. Gaudium et spes, Nr. 24). Und gerade in diesem Punkt ist die Aufgabe der Familie und ihre Berufung unersetzüch. Auch die Familie möchte von ihrem Wesen her den Menschen um seiner selbst willen in den Mittelpunkt stellen; sie formt sich als Gemeinschaft von Personen um des Menschen willen: des konkreten Menschen, der immer einzig und unwiederholbar ist, Mann, Frau, Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Darum ist die Familie in der Atmosphäre unserer gegenwärtigen Welt -vor allen Dingen der „reichen Welt“, der Welt der hohen materiellen Kultur - bedroht. Sie bleibt dennoch die Quelle der Hoffnung für die Welt. Trotz allem wird in ihr die Zukunft des Menschen entschieden; und gestattet mir, präziser zu sagen, des Menschen in Portugal, der sich dafür einsetzt, die Fundamente zu vertiefen, auf denen Fortschritt, Gleichgewicht, Eintracht und Frieden gründen. 461 Reisen 3. „Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst... So zahlreich werden deine Nachkommen sein“ (Gen 15, 5), spricht der Herr zu Abraham. Der Sohn, der geboren werden soll, wird der Anfang der Familie und des Geschlechtes sein, der Gründer des Stammes und des Volkes. Der Mensch ist nicht dazu bestimmt, allein zu sein. Er kann nicht bestehen auf der Erde, wenn er allein ist. Er ist dazu berufen, sein Leben in Gemeinschaft zu verbringen. Darum kommen Gemeinschaften zustande, die erste und fundamentalste von ihnen ist eben die Familie. Und durch diese Gemeinschaften, von denen die erste die Familie ist, wächst der Mensch und reift er als Mensch heran. Der Mensch, der in der ehelichen Gemeinschaft zwischen Mann und Frau zur Welt kommt, verdankt also seine Erziehung der Familie. Die Erziehung zielt dahin, die tiefste Bedeutung dieses Wortes zu verwirklichen, den Menschen zu „vermenschlichen“. Der Mensch, der vom ersten Augenblick seiner Empfängnis im Mutterschoß Mensch ist, lernt nach und nach „Mensch zu sein“; und dieses wesentliche Lernen ist mit der Erziehung identisch. Der Mensch ist die Zukunft der Familie und der ganzen Menschheit, aber seine Zukunft ist unlöslich mit der Erziehung verbunden. Die Familie hat das erste und grundlegende Recht, zu erziehen, aber sie hat auch die erste und grundlegende Pflicht, zu erziehen. In Erfüllung dieser wesentlichen Pflicht, die mit ihrer Berufung eng verbunden ist, nährt sich die Familie von den Quellen des großen Schatzes der Menschheit, der die Kultur ist; und, genauer noch, die Kultur des Umfeldes, in dem sie wurzelt. Die Ehe: Zeichen der treuen Liebe Gottes So wird der Mensch Erbe der Vergangenheit, die sich in ihm nach und nach umwandelt in Zukunft: nicht nur in die Zukunft der eigenen Familie, sondern auch die Zukunft des eigenen Volkes und der ganzen Menschheit. Parallel mit diesem normalen Zyklus der Familie, der Geburt und Erziehung des Menschen, verläuft organisch der göttliche Heilsplan, der von Anfang an auf den Menschen zugeschnitten ist mit dem ehelichen Bund und der - nach dem Sündenfall - in Jesus Christus bestätigt und erneuert wurde. In Jesus Christus erreicht der göttliche Heilsplan seiner Vollendung. 462 Reisen 4. Liebe Brüder und Schwestern! Mein Wunsch ginge dahin, daß ich in dem Augenblick, da ich euch diese allgemein gültigen Prinzipien in Erinnerung rufe, nichts anderes tun mußte, als Gott zu danken und mich mit den portugiesischen Familien zu freuen, weil diese Wahrheiten von ihnen beachtet und angewandt werden: - die Prinzipien, die den Menschen in den Mittelpunkt der Institution Familie stellen; - die Verpflichtungen und die praktischen Weisungen hinsichtlich der Rolle der Kultur und der Aufgabe der Erziehung. Aber angesichts der raschen Verbreitung sozialer Ereignisse, die die Mentalität und das Verhalten der lebendigen Zellen unserer Gesellschaft und der Menschen beeinflussen, kann ich nicht umhin, hier an das menschliche und christliche Gewissen zu appellieren, denn die große Sache der Familie steht im Mittelpunkt des Interesses aller; ich appelliere an die Einsatzbereitschaft der für die Kultur unmittelbar Verantwortlichen, vor allen Dingen für die sogenannte „Massenkultur“, der für die Erziehung Verantwortlichen, der Pastoralarbeiter; schließlich möchte ich mich an alle wenden, die dazu beitragen können, der Ehe und Familie günstige Lebensbedingungen zu erhalten; diese haben ja mit der Gabe, Leben weiterzugeben, die schwere Pflicht, ihre Kinder zu erziehen. Und ihr, liebe Familienväter und -mütter, die ihr euch bewußt seid, daß euer Heim die erste Schule ist, in der die Kinder, die Gott euch geschenkt hat, die menschlichen Werte erlernen, seid ihr euch auch der anderen großen Pflicht bewußt, die euch auferlegt wurde? Daß ihr alles tut und auch alles fordert, damit eure Kinder sich im Leben harmonisch entwik-keln, damit sie wachsen können und getragen werden von einer menschlichen und christlichen Ausbildung? „Die Kirche“ begrüßt darum „jene weltlichen Autoritäten und Gemeinwesen, die dem Pluralismus der heutigen Gesellschaft Rechnung tragen, für die gebührende religiöse Freiheit sorgen und so den Familien dazu verhelfen, daß ihren Kindern in allen Schulen eine Erziehung nach den sittlichen und religiösen Grundsätzen der Familie erteilt werden kann“ (Gravissimum educationis, Nr. 7). 5. Die erste Wahrheit über die Familie, die soeben dargestellt wurde, wird durch das Ereignis der Darstellung Jesu im Tempel ins Licht gerückt. Das Ereignis, das wir eben im Bericht des hl. Lukas gehört haben. Vergegenwärtigen wir uns, was geschah: Nach dem Gesetz des Alten Testaments wird ein Kind vierzig Tage nach seiner Geburt in den Tempel gebracht. Maria brachte ihr Kind in den Tempel, um sich dem gesetzlich festgelegten Ritus der Reinigung der Mutter, die empfangen hat, zu unterwerfen. Mit ihr geht auch Josef zum Tempel, um das bei solchen 463 Reisen Gelegenheiten vorgeschriebene Opfer darzubringen. Das Kind, das in der Nacht von Bethlehem geboren wurde, das Kind Mariens, wurde so des geistlichen Erbes Israels, seines Volkes, teilhaftig. Gleichzeitig brachte dieses Kind ein anderes geistiges Erbe mit: das Erbe der ewigen Liebe des Vaters, der „die Welt so sehr geliebt (hat), daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (vgl. Joh 3, 16). Mit Jesus Christus wird das göttliche Erbe des ewigen Lebens nicht nur in das Leben Israels, sondern auch in das Leben der ganzen Menschheit aufgenommen. Diese Wirklichkeit kommt in den prophetischen Worten zum Ausdruck, die Simeon, als er das Kind erblickte, spricht: „Nun läßt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2, 29-32). Derselbe Simeon deutet in seinen inspirierten und prophetischen Worten an, daß es zugleich ein schwieriges Erbe ist, das man empfängt. Er sagt zur Mutter des Neugeborenen: „Dieser ist dazu bestimmt, daß in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden. Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2, 34). 6. Die göttliche Gabe des Bundes und der Gnade sind von Anfang an mit der Familie verbunden. Darum ist die Ehe in einem gewissen Sinn von Anfang an Sakrament, als Symbol der künftigen Menschwerdung des Wortes Gottes. Sakrament, das Christus im Wort des Evangliums und im Geheimnis seiner Erlösung bestätigt und zugleich erneuert hat. In der Kraft des Heiligen Geistes schließen Mann und Frau miteinander den Ehebund, der durch göttlichen Beschluß „von Anfang an“ unlösbar ist. Diese Unlöslichkeit wurzelt in der natürlichen Ergänzung von Mann und Frau, und sie wird durch die gegenseitige Verpflichtung persönlicher Ganzhingabe besiegelt und für das Wohl der Kinder gefordert. Im Licht des Glaubens wird auch ihr letzter Sinn erkenntlich. Er besteht darin, Frucht, Zeichen und Anspruch der absolut treuen Liebe zu sein, „die Gott dem Menschen, die Christus seiner Kirche entgegenbringt“. Mit diesen Worten habe ich die traditionelle Lehre der Kirche in dem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio (vgl. Nr. 20) neu dargelegt, um der Bitte der Bischöfe aus allen Teilen der Erde zu entsprechen, die bei der Synode in Rom die Probleme der christlichen Familie in der heutigen Welt studierten. 464 Reisen Sicher stimmt diese Lehre nicht mit dem Denken so vieler unserer Zeitgenossen überein, die es für unmöglich halten, eine Verpflichtung zur Treue für das ganze Leben auf sich zu nehmen. Die Synodenväter waren sich bewußt, daß die aktuellen, ideologischen Strömungen ihrem Denken entgegengesetzt sind. Sie erklärten dennoch, daß es spezifische Aufgabe der Kirche ist, „die Frohbotschaft von der Endgültigkeit jener ehelichen Liebe einzuprägen, die ihr Fundament und ihre Kraft aus Jesus Christus hat“ (ebdNr. 20), und sie erklärten, daß eine solche Sendung nicht allein von der Hierarchie übernommen werden kann; auch ihr, christliche Eheleute, seid dazu berufen, in der Welt ein immer neues Zeichen zu setzen „für die unerschütterliche Treue, mit der Gott in Jesus Christus alle Menschen und jeden Menschen liebt!“ (ebd,.). 7. Jedem Menschen: auch dem oder denjenigen, die sich der Tatsache einer gescheiterten Ehe stellen müssen. Gott hört nicht auf, die zu heben, die sich getrennt haben, auch die nicht, die eine neue, unerlaubte Verbindung eingegangen sind. Er begleitet weiterhin solche Menschen mit der bleibenden Treue seiner Liebe. Er weist unentwegt hin auf die Heiligkeit des verletzten Gesetzes, und zugleich fordert er dazu auf, die Hoffnung nicht aufzugeben. Als Widerschein der Liebe Gottes schließt auch die Kirche die getrennten und wiederverheirateten Eheleute nicht von ihrer pastoralen Sorge aus: Ganz im Gegenteil, sie stellt ihnen die Heilsmittel zur Verfügung. Sie hält zwar an der Praxis fest, die in der Heiligen Schrift begründet ist, solche Menschen nicht zur eucharistischen Gemeinschaft zuzulassen, weil ihre konkrete Lebenssituation objektiv dem entgegengesetzt ist, was die Eucharistie bedeutet und wirkt. Aber die Kirche fordert sie dazu auf, das Gotteswort zu hören, die heilige Messe zu besuchen, im Gebet und in den Werken der Liebe auszuharren, ihre Kinder im christlichen Glauben zu erziehen, den Geist und die Werke der Buße zu pflegen, um auf diese Weise die Gnade Gottes auf sich herabzuflehen und sich auf ihren Empfang vorzubereiten (vgl. Familiaris consortio, Nr. 84). Die Kirche ist sich dessen bewußt, daß sie mit dieser Lehre in der Welt „Zeichen des Widerspruchs“ ist. Die prophetischen Worte, die Simeon angesichts des Kindes gesprochen hat, können auf Christus in seinem Leben und auch auf die Kirche in ihrer Geschichte angewandt werden. So oft sind Christus und sein Evangelium und die Kirche „zum Zeichen des Widerspruchs“ geworden. Vor allen Dingen im Hinblick auf das, was im Menschen nicht „von Gott“ ist, sondern von der Welt oder sogar vom Fürsten der Finsternis. 465 Reisen Selbst wenn er das Übel bei seinem Namen nennt und ihm entschieden Widerstand leistet, kommt Christus immer der menschlichen Schwäche entgegen. Er sucht das verlorene Schaf. Er heilt die Wunden der Seelen. Er tröstet den Menschen mit seinem Kreuz. Das Evangelium enthält keine Forderungen, denen der Mensch mit der Gnade Gottes und mit seinem eigenen Willen nicht entsprechen kann. Ganz im Gegenteil, die Forderungen des Evangliums haben das Wohl des Menschen zum Ziel, seine wahre Würde. 8. Die Sicht der Ehe und der Familie, nach der ihr euch ausrichten sollt, liebe Brüder und Schwestern, muß geprägt werden von dem Licht, das Christus gebracht hat. Diese Sicht muß Frucht eines lebendigen Lebens sein. „Aufgrund des Glaubens gehorchte Abraham dem Ruf, wegzuziehen in ein Land, das er zum Erbe erhalten sollte; und er zog weg, ohne zu wissen, wohin er kommen würde“ (Hebr 11, 8). Dieser göttliche Ruf, den Abraham eines Tages vernommen hat, ist auch an jeden von uns gerichtet, an erster Stelle durch die Taufe. Durch die Taufe sind wir dazu berufen, Miterben der göttlichen Verheißung zu sein und unser Leben als eine Pilgerfahrt in das verheißene Land oder in die ewige Stadt, deren Architekt und Erbauer Gott selber ist, zu betrachten. Ihr wißt, daß die Kirche von dieser Lebensauffassung aus sich ständig darum bemüht, zu verkünden, daß die Rechte des Menschen den Rechten Gottes, des höchsten Herrn, untergeordnet sind; und unter diesen Rechten nimmt das Recht auf Leben immer den ersten Rang ein. In der Ehe sind Mann und Frau dazu berufen, den Schatz des Lebens anderen Menschen weiterzugeben durch eine menschlich verantwortete Vater-und Mutterschaft. In der Folge der vom Zweiten Vatikanischen Konzil bestätigten Normen und der Enzyklika Humanae vitae und in der Absicht, die Meinung der Synodenväter während der letzten Synode festzuhalten, habe ich in dem kürzlich herausgegebenen Apostolischen Schreiben Familiaris consortio wieder in Erinnerung gerufen, daß es zu den Grundrechten der Eltern gehört zu bestimmen, wie viele Kinder sie haben möchten und gleichzeitig das Notwendige für ihren Unterhalt und eine würdige Erziehung zu erhalten. Darum verurteilt die Kirche als eine schwere Verletzung der menschlichen Würde und der Gerechtigkeit alles, was die Freiheit der Eheleute im Hinblick auf die Weitergabe des Lebens und die Erziehung der Kinder in irgendeiner Weise beeinträchtigt. Ich fühlte mich dazu verpflichtet, auch eine „lebensfeindliche Haltung“ zu verurteilen, die das heutige Denken mehr und mehr durchdringt. 466 Reisen Gott sagt jedem Menschen: Nimm das Leben, das du selber empfangen hast, an! Er sagt es durch seine Gebote und durch die Stimme der Kirche; er sagt es uns direkt durch die Stimme des menschlichen Gewissens, eine mächtige Stimme, die nicht überhört werden darf trotz anderslautender Stimmen, trotz all dem, was man unternimmt, um die Stimme des Gewissens zum Schweigen zu bringen. Der zugleich leibliche und geistliche Charakter der ehelichen Vereinigung, die immer von der persönlichen Liebe getragen werden muß, muß dazu führen, die Sexualität zu achten und zu fördern „in ihrer echten und voll menschlichen Dimension und sie niemals als Objekt zu ,benutzen, damit die personale Einheit von Leib und Seele nicht aufgelöst und so die Schöpfung Gottes in ihrer intimsten Verflechtung von Natur und Person nicht verletzt wird“ (ebd. 32). Die Verantwortung bei der Zeugung menschlichen Lebens - des Lebens, das in einer Familie zur Welt kommen soll - ist groß vor Gott! 9. Mit Hilfe der Mitwirkung der Eltern an der Schöpfertätigkeit möchte Gott Vater jedesmal neu einen neuen Nachkommen des Menschengeschlechts ins Leben rufen. Er möchte auch ihn dazu bringen, Miterbe der göttlichen Verheißung zu werden und sich aufzumachen auf den Weg in das Land, das in Jesus Christus allen Menschen verheißen wurde. Die Familie ist der Ort der göttlichen Berufung des Menschen. Die christlichen Eheleute und Eltern müssen sich dieser Verantwortung bewußt sein, und sie müssen nach bestem Willen zur göttlichen Berufung dieses neuen Menschen beitragen, indem sie ihm eine christliche Erziehung schenken, vor allen Dingen jene „Katechese“, die das Vorbild des Lebens ist. Auch die Berufe, die zur Verwirklichung der Heilssendung der Kirche unerläßlich sind, wachsen in christlichen Familien, der Wiege künftiger Priester, Ordensleute, Missionare und Apostel! Wenn auch das Werk der Erziehung heute von großen Schwierigkeiten begleitet ist, müssen die christlichen Eltern mutig und vertrauensvoll ihre Kinder aufgrund der wesentlichen Werte des menschlichen Lebens formen, und sie dürfen nie vergessen, daß sie verantwortlich sind für die Hauskirche, ihre Heime; daß sie berufen sind, in den Kindern die große Kirche zu erbauen (vgl. Familiaris consortio, Nr. 38) und, wer weiß, sie zu erbauen durch ihre Kinder, die von Gott berufen werden. Und wenn Gott tatsächlich eure Kinder zum Dienst in seinem Reich beruft, liebe Väter und Mütter, seid hochherzig ihm gegenüber, so wie er euch gegenüber hochherzig gewesen ist. 10. Ich freue mich, diese Eucharistie mit euch zu feiern und mit euch über die Familie nachzudenken, ausgerechnet hier im Heiligtum von Sameiro, 467 Reisen einem Denkmal der Liebe des portugiesischen Volkes zur allerseligsten Jungfrau Maria, die hier verehrt wird unter dem Titel der Unbefleckten Empfängnis. Die vielen Brautleute, die hier ihre Hochzeit in diesem Heiligtum feiern möchten, tun es sicher in der Absicht, ihr künftiges Heim unter den besonderen Schutz der Gottesmutter zu stellen. Möge diese Frömmigkeit ein Garant sein für die Tragfähigkeit der christlichen Familien dieser Gegend und bestätigen, was der Herr Erzbischof vorhin gesagt hat: daß in dieser Gegend im allgemeinen die Familien auf einem christlichen Fundament gründen und daß in ihnen häufig Priester-, Ordens- und missionarische Berufe geweckt werden. Ich danke Gott dafür. Ich danke auch dem Herrn Bischof Eurico Dias Nogueira für die herzlichen und freundlichen Worte, die er an mich gerichtet hat. Auch Sie grüße ich, Herr Erzbischof, so wie alle Autoritäten, alle Bürger der Stadt Braga ebenso wie die Bewohner dieser schönen Gegend von Minho und Träs-os-Montes (der Diözesen Viana do Castello, Braganga, Miranda und Vila Real), alle ohne Ausnahme: Bischöfe, Priester, Ordensleute und Gläubige - ohne die zahlreichen Spanier zu vergessen, die mit ihren Hirten aus dem benachbarten Galizien hierhergekommen sind. Und so richte ich meine herzlichen Grüße in Christus Jesus auch an alle Auswanderer der portugiesischen Familien. Wenn ich an das denke, was ich für die Geschichte der Stadt und der Erzdiözese in mich aufgenommen habe, möchte ich mit besonderer Freude heraussteilen, wie hoch der Prozentsatz der christlichen Praxis unter dem Volk, der Besuch der Sonntagsmesse und der Empfang der anderen Sakramente ist. Möge es auch in Zukunft so bleiben, hier und in ganz Portugal. Möge die Treue zu Gott in der Treue zur Vergangenheit erhalten bleiben. Und hier hat die Familie eine unersetzliche Aufgabe zu erfüllen. Brüder und Schwestern! Das Sakrament der Ehe, das eure Familien gründete und sie lebendig erhält, ist groß! Die Sendung eurer Familien ist groß: - die Zukunft des Menschen auf der Erde hängt von der Familie ab; - der göttliche Heilsplan und die Heilsgeschichte gehen über die menschliche Familie. Unbefleckte Jungfrau, Unsere Liebe Frau von Sameiro, Mutter des „Kindes“, das gesetzt wurde zum „Zeichen des Widerspruchs“: Mit Deinem Sohn Jesus Christus, dessen Worte Du in Deinem Herzen bewahrt und betrachtet hast, schenke allen Familien Portugals die Gnade, das Wort Gottes hören und im Herzen treu bewahren zu können! Mutter des göttlichen Wortes in der heiligen Familie von Nazaret, erflehe 468 Reisen diesen Familien die Harmonie, die Liebe und die Gnade! Daß in ihnen „das Zeichen“ nie zum Widerspruch werde, daß der Liebe des barmherzigen Gottes nie widersprochen werde, die in Jesus Christus offenbar wurde! Amen. In der Arbeit ahmt der Mensch den Schöpfer nach Ansprache bei der Begegnung mit den Arbeitern in Porto am 15. Mai Lieber Bruder Erzbischof-Bischof von Porto, liebe Brüder im Bischofsamt, Exzellenzen, liebe Brüder und Schwestern, Arbeiter Portugals! 1. Ich weiß die freundlichen und herzlichen Worte lebhaft zu schätzen, mit denen mich der Herr Erzbischof-Bischof von Porto soeben willkommen geheißen hat, und ebenso das Grußwort des Arbeiters, der gesprochen hat. Sie haben sich damit zu Interpreten der feinfühligen Empfindungen der Diözesangemeinde und der Arbeiter gemacht. Herzlichen Dank! Friede dieser Versammlung! Friede dieser Stadt und allen, die hier wohnen! Mit diesen Worten und mit großer Freude richte auch ich herzliche Grüße an alle: an die Stadt Porto, diese „alte, sehr edle, immer treue und unbesiegte Stadt Porto“ - wie auf ihrem Wappen zu lesen ist; die Ortskirche von Porto, den Bischof, die Weihbischöfe, Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und alle Gläubigen der Diözese und die ganze hochherzige Bevölkerung von Porto sowie auch die lebhafte und arbeitsame Bevölkerung dieser nördlichen Region, die hier anwesend und vertreten ist. Mein Gruß gilt aber speziell den Vertretern der Arbeitswelt: besonders euch Männern und Frauen, die in der Industrie, im Handel und in den Dienstleistungsbetrieben arbeiten. Es ist eine große Freude für mich, heute diese Augenblicke in eurer Mitte zu erleben. Ich bewahre als tiefe persönliche Erfahrung, daß ich selbst der konkreten Welt der Arbeit angehörte. Und ich bin Gott dafür dankbar. Der Mensch als Mittelpunkt der Schöpfung Gestern bin ich in Vila Vigosa mit den Landarbeitern Portugals zusammengetroffen; da durfte eine Begegnung mit den Arbeitern eurer Berei- 469 Reisen che nicht fehlen. Diese Begegnung will die Liebe und die Hoffnung bekunden, durch die der Papst sich mit den Arbeitern verbunden fühlt: Liebe und Hoffnung, die aus der tiefen Überzeugung kommen, daß die christlichen Werte in lebendiger und zunehmender Weise auch in der Welt der Arbeit gegenwärtig sein müssen. Ihr nehmt einen besonderen Platz in meinem Herzen ein. Eure legitimen Rechte und eure Wünsche, eure Ängste und eure Freuden, die Sorge um eure Familien und der selbstlose Eifer, von dem ihr bei der Suche nach dem Gemeinwohl beseelt seid, sind in meinem Geist gegenwärtig. 2. Ihr seid Arbeiter! Schon dieses Wort allein ruft in mir eine ganze Welt von Gedanken wach. Eure Anwesenheit spricht bereits vom Wert der Arbeit und läßt mich an euren Gesichtern die Botschaft ablesen, die ich in dieser Stunde an euch richten möchte. In euren Gesichtszügen erkenne ich die Züge Christi, der als der Zimmermann aus Nazaret bekannt war; in euren Gesichtszügen, die in diesem Augenblick von festlicher Freude erstrahlen, erkenne ich den Ausdruck des Vertrauens; eingeprägt in eure Gesichtszüge sehe ich aber auch das Leid und das Kreuz der täglichen harten Arbeit. Nicht so sehr ich, sondern ihr, liebe Arbeiter, sprecht heute durch eure Identität. Gern würde ich in diesem Augenblick allen die schwieligen Hände drücken, um sie wie einen Beweis für eure Berufsarbeit zu spüren. Wenn ihr jemandem zum Zeichen der Freundschaft die Hand gebt, laßt ihr damit den Gesprächspartner die Last und den Wert eurer Arbeit spüren. Edel ist die Hand, die arbeitet! Die Hand, die die Welt verwandelt! Die Hand, die eine neue Wirklichkeit für eine menschlichere Gesellschaft errichtet. Die wohltuende Hand, die zum Vorteil und Wohl der Menschheit arbeitet. Ich bin nach Porto gekommen, um die Arbeit zu ehren und zu preisen. Ich weiß gut, daß die Bevölkerung dieser Stadt und dieser Region und ganz Portugals immer stolz auf ihre Gewissenhaftigkeit in der Arbeit, auf ihre Hochschätzung der Arbeit gewesen ist. Es wurde mir berichtet, daß Porto als „Stadt der Arbeit“ bekannt ist. Was also könnte ich hier anderes tun, als die „Frohe Botschaft“, das „Evangelium der Arbeit“ verkünden? 3. In meiner jüngsten Enzyklika über die menschliche Arbeit, die anläßlich des 90. Jahrestages von Rerum novarum, dem großen Dokument Papst Leos XIII. über die soziale Frage, herauskam, wollte ich in besonderer Weise „dem Menchen im weitgespannten Rahmen jener Wirklichkeit, die die Welt der Arbeit darstellt“, Anerkennung zuteil werden lassen, und zwar im Lichte des Geheimnisses Christi, um den Reichtum und zugleich die ganze Mühsal der menschlichen Existenz zu enthüllen. 470 Reisen Die Kirche, die an den Menschen glaubt und für den Menschen denkt, sieht es als Teil ihrer Sendung an, „immer wieder auf die Würde und die Rechte der arbeitenden Menschen hinzuweisen und die Situationen anzuprangern, in denen diese Würde und diese Rechte verletzt werden, und auch ihren Teil dazu beitragen, diesen Änderungen eine solche Richtung zu geben, daß dabei ein echter Fortschritt für den Menschen und die Gesellschaft entsteht“ (Laborem exercens, Nr. 1). Denn gemäß dem ursprünglichen Plan Gottes ist der Mensch ja dazu berufen, Herr der Erde zu sein und durch die Überlegenheit seines Verstandes und die Arbeit seiner Hände diese Erde „zu beherrschen“ (Gen 1, 28): Er ist der Mittelpunkt der Schöpfung. „Der erste Grundpfeiler des Wertes der Arbeit - und somit ihrer Würde - ist der Mensch selbst.“ Die Würde des arbeitenden Menschen muß Ausgangsbasis und Richtschnur sein, wenn es darum geht, irgendeine Form manueller oder geistiger Arbeit zu bewerten. Hauptperson und Ziel der Arbeit, ihr eigentlicher Schöpfer und Urheber, auch in ihren bescheidensten und einförmigsten Tätigkeiten, ist tatsächlich immer der Mensch als Person. Also der „als Bild Gottes“ erschaffene Mensch. 4. Das Überhandnehmen der materialistischen Zivilisation in unserer Welt neigt dazu, die subjektive Dimension der Arbeit, die sich auf die Würde des Menschen gründet, auf den zweiten Platz zu verdrängen. In dieser Lage besteht die Gefahr, daß die Arbeiter zu Maschinen werden, zu gesichtslosen Wesen, zu einer gestaltlosen, entpersönlichten Masse, mächtigen Kräften ausgeliefert, die keineswegs immer die Interessen dessen im Auge haben, der arbeitet: die Interessen des Menschen, der Familie und der Gemeinschaft. Das Problem ist nicht neu, wie ihr wißt. Die Erfindung der Maschine hat der menschlichen Arbeit natürlich eine neue Dimension gegeben. Wenn die Verwendung des Werkzeuges eine Verlängerung und Verstärkung des menschlichen Armes darstellte, so trachtete die Maschine, ihn zu ersetzen. Durch die Erfindung der Maschine hoffte der Mensch, den Gebrauch der Muskelkraft auszuschalten und sich einer Last zu entledigen. Obgleich die Maschinen die Lebensbedingungen der Arbeiter verbessert haben, mußte man nach dem ersten Überschwang der Neuerung feststellen, daß die mechanische Präzision und die Geschwindigkeit, die täglich beschleunigt wurde, neue Lebensbedingungen für den Menschen schaffen. Die Maschine legt dem Menschen ihren Rhythmus auf; bei der großen Fülle von Nachteilen, die daraus erwachsen, hat niemand mehr für etwas Zeit. 471 Reisen Das sollte aber nicht so sein. Auch wenn man seine Lebensverhältnisse und seinen Lebensstandard verbessern will, widerspricht es seiner Würde, den „als Bild und Ebenbild Gottes“ geschaffenen Menschen einer Produktionskraft zu unterwerfen, die ausschließlich auf den materiellen Wohlstand und den Gewinn ausgerichtet ist, indem sie sich den Perspektiven der menschlichen und geistlichen Ordnung verschließt. Wenn die Arbeit für den Menschen und nicht der Mensch für die Arbeit da ist, muß die fortschrittliche Lösung der Probleme der Welt der Arbeit in dem Bemühen gesucht werden, ein gerechteres, christlicheres und menschlicheres Bewußtsein entstehen zu lassen. 5. Nur mit diesem Bewußtsein als Grundlage wird man die Probleme der Welt der Arbeit, angefangen von dem schwierigen und heiklen Problem der Beziehung zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Eigentümer und Arbeiter, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, in geeigneter Weise in Angriff nehmen können. Keine der beiden Elemente des Problems darf unterschätzt werden: Ohne Kapital gibt es keine Arbeit. Darum leisten die Besitzer oder Bereitsteller des Kapitals ein großes Werk zugunsten des Gemeinwohls, wofür sie die Anerkennung und Achtung aller verdienen, weil sie neue Möglichkeiten der Arbeit und Beschäftigung erschließen. Andererseits darf die menschliche Arbeit nicht nur als Kapital gesehen werden. Sie geht absolut darüber hinaus. Der Mensch ist nicht für die Maschine, sondern die Maschine für den Menschen gemacht worden. Das Argument, daß die Maschinen nicht Stillstehen dürften, kann nicht den Versuch rechtfertigen, den Menschen zum Sklaven der Maschine und ihres Arbeitstempos zu machen und ihn dadurch der verdienten Erholung und einer wahrhaft menschlichen Lebensweise zu berauben. Tiefgreifende Veränderungen in der jüngsten Zeit lassen zwar einerseits den echten Willen erkennen, ein Klima wirtschaftlichen Wohlstandes und immer vollkommenerer sozialer Gerechtigkeit zu schaffen, verbergen jedoch nicht die unvermeidlichen Spannungen, die Ratlosigkeit und Schwäche, welche die Suche nach Lösungen und Anpassungen in der Folge der großen Veränderungen im sozialen und politischen Bereich bisweilen begleiten. Unter diesen Umständen muß jeder Bürger die Verpflichtung übernehmen, durch ernsthafte und getreue Arbeit ehrlich am Aufbau einer immer besseren nationalen Gemeinschaft mitzuarbeiten, wo die soziale Gerechtigkeit - so lautet der neue Name für das Gemeinwohl - gefördert und zu allen Zeiten die Würde der Person respektiert werden soll. Im Licht dieses Gemeinwohls muß die Zweckmäßigkeit und Berechtigung mancher 472 Reisen Ansprüche und Forderungen beurteilt werden, die, während sie die legitimen Interessen der Arbeiter zu verteidigen scheinen, nicht selten der ganzen Gemeinschaft schweren Schaden zufügen. Einsatz für ein gerechtes Gut 6. Es ist sicher, hebe Arbeiter, daß ihr niemals die beste Lösung für eure Probleme erreichen könnt, wenn jeder von euch isoliert bleibt. Damit ihr an der Lösung der sozialen Probleme teilnehmen könnt, habt ihr auch das Recht, Vereinigungen oder Verbände zu bilden mit dem Ziel, die Lebensinteressen der in den verschiedenen Berufszweigen beschäftigten Menschen zu verteidigen. Diese Interessen sind bis zu einem gewissen Punkt für alle die gleichen; aber jede Arbeit, jeder Beruf besitzt seine eigene Besonderheit, die sich in diesen Organisationen widerspiegeln sollte. Wie ihr euch denken könnt, beziehe ich mich hier auf die Gewerkschaften. Die katholische Soziallehre vertritt nicht die Ansicht, daß die Gewerkschaften nur Ausdruck der Klassen-Struktur der Gesellschaft seien, und sie ist auch nicht der Ansicht, daß sie Exponenten eines Klassenkampfes seien, der unvermeidlich das gesellschaftliche Leben beherrsche. Freilich nehmen sie am Kampf zugunsten der sozialen Gerechtigkeit, der berechtigten Ansprüche der Arbeitenden in den verschiedenen Berufen teil. Dieser Kampf muß jedoch, wie ich bereits in der zitierten Enzyklika Laborem exercens gesagt habe, „als ein normaler Einsatz für ein gerechtes Gut angesehen werden: in diesem Fall für das Wohl, das den Bedürfnissen und Verdiensten der nach Berufen zusammengeschlossenen Arbeitnehmer entspricht. Es ist aber kein Kampf ,gegen andere“ (Nr. 20). Es liegt daher auch in eurer Hand, nach einer Lösung für eure Probleme zu suchen. Niemals jedoch mit Haß oder Gewaltanwendung. Das Christentum lehrt uns, alle Menschen zu lieben, auch wenn wir unsere Interessen verteidigen und um die Anerkennung unserer Ansprüche kämpfen. Man darf nicht bloß an sich selbst und an seine eigene soziale Klasse denken. Alles muß dem Gemeinwohl untergeordnet werden. Es ist weder gerecht noch christlich, daß eine Klasse, weil sie aufgrund der Stellung, die sie innerhalb der Gesellschaft einnimmt, und aufgrund der Kampfkraft, die sie zu erlangen vermochte, über größere Möglichkeiten zur Druckausübung verfügt, den anderen überlegen ist und dabei die legitimen Rechte der anderen mißachtet. Jeder Mensch und jede Klasse muß, wenn sie Gerechtigkeit für sich fordert, in gleicher Weise die Förderung der Gerechtigkeit und der Rechte der anderen im Auge haben. 7. In diesem Gedankengang taucht am Ende die Situation derjenigen auf, 473 Reisen die „keine Gelegenheit haben“ und denen es darum auch versagt ist, „Stimme“ zu besitzen: die Arbeitslosen. „Es ist bekannt — schrieben kürzlich eure Bischöfe in einem Hirtenbrief daß in unserem Land eine ernste Beschäftigungskrise herrscht, die unerträgliche Situationen im persönlichen, familiären und sozialen Bereich mit sich bringt.“ Die Worte, mit denen sie fortfahren, mache ich mir jetzt zu eigen: „Es muß alles versucht werden, um in möglichst kurzer Zeit dieses entscheidende Problem zu lösen oder zu verringern ... Es ist ein echtes Gebot der Vaterlandsliebe und der Moral, daß alle interessierten Kräfte Meinungsverschiedenheiten, gegenseitige Beschuldigungen und Konflikte beiseitelegen und sich in konzentrierter Anstrengung um einen Plan zur raschen Verringerung der Arbeitslosigkeit bemühen, der wirklich die nationale Gemeinschaft als ganze verpflichtet. Bei dieser Zielsetzung darf sich niemand davon befreit halten, die notwendigen Opfer zu bringen.“ Man spürt in unseren Tagen die allgemeine Hoffnung auf Arbeit. Arbeiten heißt, sich aktiv in den menschlichen Entwicklungsprozeß eingliedern und dadurch in Beziehung zu den anderen nützlich werden. Dieser Wunsch zur Mitarbeit an den großen Werken der Gemeinschaft, der sie angehört, ist der menschlichen Person angeboren. Jeder scheint seinen Teil der Verantwortung wahrzunehmen. In der Tat muß jeder Mensch, der in diese Weit eintritt, seinen realen B eitrag zum menschlichen Fortschritt in dem Sinne leisten, daß die Welt selbst den wahren Bestrebungen des Menschen vollkommener gerecht werden kann. Deshalb verlangt die Erwägung der subjektiven und der sozialen Werte der Arbeit, daß in jeder politischen Gemeinschaft nicht nur die Bedeutung und Wichtigkeit der Arbeit selbst, sondern auch das Recht auf Arbeit anerkannt werden und daß alles versucht wird, die Arbeitslosigkeit und die Unterbeschäftigung zu beseitigen. 8. In Beziehung zu diesem Problem der Arbeitslosigkeit steht irgendwie auch das Problem der gerechten Entlohnung. Ohne je zu vergessen, daß das Privatvermögen immer unter sozialer Hypothek steht und daher dem Gemeinwohl dienen muß, scheint es hier angebracht, an die Kriterien für die Festsetzung des gerechten Lohnes zu erinnern. Das bleibt auf alle Fälle der konkrete Nachweis für jedes sozialwirtschaftliche System. Aber ich bin sicher, daß man es nicht unterlassen wird, ihm stets die gebührende Aufmerksamkeit zu widmen. Ich zweifle gleichfalls nicht daran, daß man versuchen wird, sich noch mit einem anderen Phänomen zu konfrontieren, das in verschiedenen Ländern enorme Ausmaße angenommen hat und das in Portugal sehr stark zu spüren ist: die Emigration mit allen ihren Auswirkungen und im Zusammenhang damit das Phänomen der Urbanisierung. 474 Reisen Es ist, liebe Brüder und Schwestern, jedoch höchste Zeit, daß wir unser Gespräch zum Abschluß bringen. Und ich will das nicht ohne einen besonderen Hinweis auf eure Familien tun. Während ich euch, Arbeiter, sehe, denke ich auch an die Menschen, die euch lieb und teuer sind: an eure Ehefrauen, eure Mütter, eure Kinder und eure Kranken. Ich denke an alle, die zu eurem Zuhause und zur Familie gehören. Ihr, die ihr euch bei der Arbeit müht, um euer häusliches Heim zu erhalten und eure Kinder zu ernähren, bleibt weiterhin den gesunden überlieferten Werten der portugiesischen Familie treu! Liebt weiterhin eure Familie! Denn auch ihr braucht eure Familie! Laßt nicht zu, daß die Arbeit zur Zersetzung des Familienlebens führt. Laßt nicht zu, daß ein bestimmter Lebensstil Eltern und Kinder auseinanderreißt. Laßt nicht zu, daß euer Heim nur mehr ein Ort ist, wo man die Mahlzeiten einnimmt und schläft! Ihr müßt die Erzieher eurer Kinder sein! Einen wichtigen Platz nimmt die Mutter ein. Von ihr hängt großenteils das Wohlergehen der Familie ab. Sie soll sich nicht aus Geldmangel, wegen der niedrigen Löhne, dazu gezwungen sehen, die Zeit opfern zu müssen, die sie unter normalen Umständen dem Haushalt und der Erziehung der Kinder widmen würde. Sie soll niemals das Opfer unmenschlicher Zustände werden. Und wenn sie eine Arbeit außerhalb des Hauses annehmen muß, soll das nicht auf Kosten tieferer Güter gehen und sie nicht vom häuslichen Herd, vom Ehemann und den Kindern entfernen! Noch ein letzter Appell an euch Arbeiter! Öffnet eure Familien Christus, dem Arbeiter! Die Gegenwart des Herrn wird eure Häuser erleuchten, sie wird euch eure Würde als Arbeiter und eure Sendung in der Familie besser verstehen lassen. 9. Liebe Arbeiter! Zum Abschluß erinnere ich euch noch einmal an den hohen Adel eurer Arbeit: Ich wünsche euch, daß sie euch nie mißfällt; daß ihr niemals einer leichtfertigen Demagogie nachgebt und euch von Ideologien täuschen laßt, die sich dem Religiösen verschließen. Ihr träumt von einer wenig menschlichen Welt, wenn ihr nur darum bemüht seid, jeden Tag mehr zu haben. Als Menschen, als Personen und als Arbeiter soll euch stets das Ideal anspornen, immer mehr zu sein. Wie schon bei anderen Gelegenheiten rufe ich auch hier die Seligpreisung in Erinnerung: „Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich.“ Die Besitzenden müssen in innerer Umkehr, ohne die keine gerechte und stabile Gesellschaftsordnung zu erreichen ist, den 475 Reisen Armen ihr Herz öffnen; und jene, die über keine Güter verfügen, müssen auch lernen, die Armut im Geist zu leben, damit die materielle Armut sie nicht ihrer Menschenwürde beraubt, die stets wichtiger ist als alle irdischen Güter. Das „Evangelium der Armut“ in seiner erregendsten und schönsten Form ist von Christus geschrieben und verkündet worden. Er, der Gott war, ist in allem, die Sünde ausgenommen, uns gleich geworden und widmete die meisten Jahre seines Erdenlebens der manuellen Arbeit, womit er die Arbeit und die Erholung in das Erlösungswerk aufnahm, zu dessen Verwirklichung er in die Welt gekommen war. „Ähnlichkeit“ mit Gott Aber in Gottes Plan ordnete sich die Arbeit „von Anfang an“ ein in die großartige Perspektive des „Laßt uns Menschen machen als unser Abbild“ (Gen 1, 26), wie wir am Anfang des Buches Genesis lesen. Begegnen wir nicht bereits hier der ersten Formulierung des „Evangeliums der Arbeit“? Die Begründung für die Würde der Arbeit liegt in dieser „Ähnlichkeit“ mit Gott. Darum ahmt der Mensch, wenn er arbeitet, Gott, seinen Schöpfer, nach, weil er - und nur er - in sich eingeprägt die Ähnlichkeit und Ebenbildlichkeit mit Gott trägt. Um zu arbeiten, muß man Mensch, muß man Person sein; um zu arbeiten, muß man „Abbild und Ebenbild“ Gottes sein. Daraus folgt, daß die Würde der Arbeit sich nicht nur auf den natürlichen Aspekt, sondern auch auf die geistliche Dimension stützt. Sie ist natürlich ein Vorrecht des Menschen als Person; sie ist ein Faktor der menschlichen Selbstverwirklichung und sie ist Dienst an der Gemeinschaft der Menschen. Meine Pilgerfahrt zu den verschiedenen Stätten und Orten in Portugal war ganz gekennzeichnet von der Gegenwart Mariens: Fatima, Vila Vi§osa, Sameiro! Wenn ich diese apostolische Reise in der Stadt Porto beende, so tue ich das wiederum im Schatten Mariens. Ist Porto etwa nicht die „civitas Virginis“, die Stadt der heiligen Jungfrau, die in ihrem Wappen das Bild der Muttergottes zeigt? Unserer Lieben Frau vertraue ich alle an, die hier leben und am Aufbau einer menschlicheren und christlicheren Welt arbeiten, ihr vertraue ich die Arbeiter Portugals an, indem ich sie bitte, sie möge alle zu Jesus Christus, dem Erlöser des Menschen, führen! 476 Reisen „Ich nehme eine kostbare Bereicherung mit“ Ansprache vor dem Abflug von Porto am 15. Mai Exzellenz, sehr geehrter Herr Staatspräsident! Liebe Freunde in Portugal! Meine lieben Brüder und Schwestern in Jesus Christus! 1. Die Stunde des Abschieds, des Abschiedsgrußes an euch ist gekommen. Das ist immer ein Augenblick voller Erinnerungen und Gefühle. Wir wollen ihn dazu benützen, die Zeit, die wir miteinander verbracht haben, noch einmal lebendig zu machen, um die Freundschaft zu bekräftigen und schließlich nicht zu vergessen, alles uns Mögliche zu tun, damit wir uns nahe bleiben. Bei alledem überwiegt in mir in diesem Augenblick das Gefühl der Dankbarkeit: der aufrichtigen Dankbarkeit für die große Herzlichkeit, mit der ich überall empfangen wurde, wo ich während dieser kurzen, aber intensiven Pilgerreise durch Portugal vorüberkam oder Station machte. Bevor ich fortreise, möchte ich allen meine aufrichtige Dankbarkeit zum Ausdruck bringen: Sr. Exz. dem Herrn Staatspräsidenten, der mich mit seiner Anwesenheit hier in diesem Augenblick beehrt; meinen Brüdern, den Bischöfen Portugals, die mir in so vielfältiger Weise ihre brüderliche Liebe bezeigt haben, indem sie diese Begegnung als günstige Gelegenheit benutzten, die Gemeinschaft, die uns in der einen Kirche Christi verbindet, fester zu knüpfen; der Regierung und allen zivüen und militärischen Autoritäten, die sich mit Umsicht und Freundlichkeit darum bemühten, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, damit das Programm meines Pastoralbesuches verwirklicht werden konnte, und all ihre Hilfe und ihren Einsatz dafür aufgeboten haben. Allen heben Freunden in Portugal herzlichen Dank! Bei diesem Dank und diesem Abschiedsgruß möchte ich niemanden vergessen. Ich kann mich unmöglich an alle Personen, Gruppen und Institutionen wenden, denen ich meine Dankbarkeit ausdrücken möchte. Mögen sich alle Portugiesen und besonders die gläubigen Katholiken, alle Männer und Frauen, alle Söhne und Töchter dieses „Landes der Gottesmutter“, die, denen ich zu meiner Freude persönlich begegnet bin, und die, die mich in irgendeiner Weise mit Hilfe der Massenmedien - denen ich gleichfalls danken will - begleitet haben, mögen sie alle sich in meine Hochachtung eingeschlossen fühlen. 477 Reisen 2. Im Herzen nehme ich das Hochgefühl mit mir, das ich bei den unaufhörlichen Äußerungen der Zuneigung empfunden habe, mit denen ihr mich in diesen Tagen umgeben habt, Äußerungen einer so spontanen und begeisterten Herzlichkeit, die ich niemals werde vergessen können. Es wurde mir erzählt, daß in Portugal auf dem Land die Türen immer offenstehen. Ich habe die Türen der Herzen offen gefunden. Stellt euch vor, ich sei eingetreten und hätte jeden von euch mit eurem typischen „Salve-os-Deus! - Grüß Gott!“ begrüßt. Beim Verlassen dieses Landes, wo sich die glorreichen Traditionen der Vergangenheit in mutiger Öffnung auf eine vielversprechende Zukunft mit den wichtigen Neuerungen der Gegenwart verbinden, möchte ich meine hohe Wertschätzung für die verschiedenen Komponenten der Gesellschaft wiederholen, indem ich meine bestenWünsche ausspreche, daß dank der einträchtigen und treuen Zusammenarbeit der ständige Fortschritt in Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden immer weiter verwirklicht werde. Dem Land Portugal hat die Jungfrau Maria eine einzigartige Vorliebe reserviert, die Anlaß zu Ruhm und Ehre gibt und zugleich Grund zu einer besonders festen Anhänglichkeit an das Evangelium ist. Alle Gläubigen sollten sich dessen lebhaft bewußt sein und sich um die Pflege der menschlichen und christlichen Werte bemühen, die diese Nation groß gemacht haben. Ich habe in diesen Tagen persönlich die Schätze an Güte, Herzlichkeit und Glauben feststellen können, die dieses starke und liebenswerte Volk auszeichnen. Insbesondere in Fatima, zu Füßen Mariens, habe ich die Seele der ganzen Nation schwingen gespürt. Ja, die Seele des katholischen Portugals: Wieviel hat sie mir in diesen Tagen auch ohne Worte gesagt! Und wieviel habe auch ich ihr mitteilen wollen - durch Worte, Handlungen und durch Schweigen! Es war für mich eine außerordentlich tiefe geistliche Erfahrung, an die ich im Innersten meines Herzens eine schöne Erinnerung bewahre. Und im Herzen bewahre ich auch eure Gesichter, liebe Brüder und Schwestern in Portugal, die flehenden Blicke eurer Kranken und das sanfte Lächeln eurer Kinder. Es ist eine kostbare Bereicherung, die ich mit mir nehme und von der ich bei der Ausübung meines täglichen pastoralen Dienstamtes Gebrauch machen werde. Mit der Versicherung meiner Gebete, in denen ich den Herrn darum anflehe, daß die großen christlichen und humanen Grundprinzipien, die diese Nation geleitet haben, weiterhin ihr Leben mit dem Sinn für Gott und für die Solidarität erleuchten mögen, steigt aus der Tiefe meiner Seele diese Bitte: 478 Reisen Auf alle Portugiesen komme der Segen Gottes herab, der reiche Gaben des Lichtes, der Freude und des Friedens mit sich bringen möge! Und damit wir diese Gnaden erlangen, werde uns die Fürsprache derjenigen zuteil, die Portugal eine einzigartige Bekundung hebevoller Aufmerksamkeit ihres mütterlichen Herzens Vorbehalten hat, der Muttergottes von Fatima. Auf Wiedersehen! Lebt wohl! ANHANG Grußbotschaften des Papstes Im Verlauf seiner Portugalreise sandte der Papst folgende Telegramme an die Staatsoberhäupter der Länder, die er überflog. Sr. Exz. Sandro Pertini Präsident der Italienischen Republik Rom In dem Augenblick, in dem ich den Boden des geliebten Italiens verlasse, um meine apostolische Pilgerreise nach Portugal anzutreten, richten sich in geziemender Weise meine Gedanken, verbunden mit herzlichen Wünschen, auf Ihre Person und das italienische Volk, über das ich vom Herrn die Gnade des Friedens und eines wirksamen Fortschritts herabrufe. Sr. Majestät Don Juan Carlos I. König von Spanien Madrid Beim Überfliegen Spaniens während meiner Pilgerreise nach Fatima sende ich Ihnen, Majestät, und dem geliebten spanischen Volk meine herzlichsten Grüße und besten Wünsche für Frieden und Wohlstand in Christus. Während ich mit tiefer Freude und Hoffnung an meinen bevorstehenden und langersehnten Besuch in Spanien denke, erteile ich aus ganzem Herzen meinen Apostolischen Segen. PAPST JOHANNES PAUL II. 479 Pastoralbesuch in Großbritannien (28. Mai bis 2. Juni) Reisen Versöhnung dringend notwendig Ansprache bei der Ankunft auf dem Londoner Flughafen Gatwick am 28. Mai Gelobt sei Jesus Christus! 1. Ich weiß die herzliche Begrüßung im Namen Ihrer Majestät der Königin durch Seine Hoheit den Herzog von Norfolk sehr zu schätzen. Und voll Dank an Gott für die Gelegenheit, in den kommenden Tagen unter euch weilen zu können, spreche ich dem ganzen britischen Volk meine Grüße der Freundschaft und des Friedens aus. Ihr wißt, daß ich diese Pilgerfahrt des Glaubens unternommen habe, um der katholischen Kirche hier einen Pastoralbesuch abzustatten. Die Vorbereitungen für die Reise sind bereits seit langem im Gang, und ich habe mich voll froher Erwartung darauf gefreut, mit den katholischen Gläubigen der Ortskirchen die Eucharistie und die anderen Sakramente zu feiern. Ich bin auch dankbar für die ökumenischen Begegnungen, die während dieser Glaubensreise stattfinden werden. Die Förderung der christlichen Einheit ist von großer Bedeutung, denn sie entspricht dem Willen unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus. Das Zeichen der Einheit unter allen Christen ist gleicherweise Weg und Mittel einer wirksamen Evangelisierung. Darum mein inständiges Gebet, daß der Herr unsere Bemühungen zur Erfüllung seines Willens segnen möge: „Ut omnes unum sint - Alle sollen eins sein“ (Joh 17, 21). 2. Mein Besuch fällt in eine Zeit der Spannung und bangen Sorge, eine Zeit, in der sich die Aufmerksamkeit der Welt auf die schwierige Lage des Konflikts im Südatlantik konzentriert. In den vergangenen Wochen hat es Versuche gegeben, den Streit durch diplomatische Verhandlungen beizulegen, aber trotz der ehrlichen Bemühungen vieler hat sich die Lage zu einer bewaffneten Auseinandersetzung entwickelt. Sie hat zahlreiche Menschenleben gefordert und ist Gefahr gelaufen, noch viel schrecklichere Ausmaße anzunehmen. Diese tragische Situation ist zu einer sehr ernsten Sorge für mich geworden, und ich habe wiederholt die Katholiken in aller Welt und alle Menschen guten Willens ersucht, sich meinem Gebet für eine gerechte und friedliche Beilegung des Konflikts anzuschließen. Ich habe auch an die Autoritäten der beteiligten Nationen, an den Generalsekretär der 482 Reisen Vereinten Nationen und andere einflußreiche Staatsmänner appelliert. In jedem Fall habe ich versucht, eine Lösung anzuregen, die Gewaltanwendung und Blutvergießen vermeiden würde. So wie ich heute hier stehe, erneuere ich meinen aufrichtigen herzlichen Appell und bete darum, daß der Streit recht bald eine solche Schlichtung finden möge. 3. In diesem Augenblick der Geschichte haben wir Versöhnung dringend nötig: Versöhnung zwischen den Nationen und den Völkern verschiedener Rassen und Kulturen; Versöhnung des Menschen mit sich selbst und mit der Natur; Versöhnung unter Menschen verschiedener sozialer Schichten und Glaubensbekenntnisse, Versöhnung unter den Christen. In einer von Haß und Ungerechtigkeit entstellten und durch Gewalt und Unterdrückung gespalteten Welt will die Kirche Sprecherin sein für die lebenswichtige Aufgabe der Förderung von Harmonie und Einheit und der Knüpfung neuer Bande der Verständigung und Brüderlichkeit. Und so beginne ich meinen Pastoralbesuch in Großbritannien mit den Worten unseres Herrn Jesus Christus: „Friede sei mit euch!“ Der Gott des Friedens und der Versöhnung sei mit euch allen. Er segne eure Familien und Heime mit seinem tiefen, beständigen Frieden! „Möge mein Besuch der Einheit dienen“ Predigt bei der Messe in der Kathedrale von Westminster am 28. Mai „Herr, du weißt alles; du weißt, daß ich dich liebe!“ Meine Brüder und Schwestern! 1. Lob und Dank unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus, der mir die Gnade gewährt hat, heute zu euch zu kommen! Zum ersten Mal in der Geschichte setzt heute ein Bischof von Rom seinen Fuß auf englischen 483 Reisen Boden. Ich bin tief bewegt bei diesem Gedanken. Dieses schöne Land, einst ein entfernter Außenposten der heidnischen Welt, ist durch die Verkündigung des Evangeliums zu einem beliebten und mit Gaben ausgestatteten Teil des Weinberges Christi geworden. Ihr besitzt eine Tradition, die eingebettet ist in die Geschichte der christlichen Kultur und Zivilisation. Die Rolle eurer Heiligen und eurer großen Männer und Frauen, eure literarischen und musikalischen Schätze, eure Kathedralen und Colleges, eurer reiches Gemeinschaftsleben geben Kunde von eurer Glaubenstradition. Und diesem noch immer lebendigen Glauben eurer Väter möchte ich durch meinen Besuch Anerkennung zollen. Ich bin glücklich, daß ich diese Eucharistie zusammen mit meinen Brüdern im Bischofsamt feiern kann, die wie ich Nachfolger der Apostel sind und deren Aufgabe darin besteht, den ihrer pastoralen Sorge anvertrauten Teil der Kirche zu heiligen und zu leiten (vgl. Lumen gentium, Nr. 19). 2. Wir wollen nun über die geistliche Bedeutung dieses Augenblicks nachdenken. Christus, „der oberste Hirte“ (7 Petr 5, 4), übertrug dem Petrus - wie wir In dem Abschnitt aus dem Johannesevangelium gehört haben - die Aufgabe, seine Brüder in ihrem Glauben und ihrem Hirtenamt zu stärken: „Weide meine Lämmer . . . Weide meine Schafe!“ (Joh 21, 15-16). In Erwiderung auf dieses Gebot des Herrn komme ich zu euch. Ich komme, um den Glauben meiner bischöflichen Brüder zu stärken. Ich komme, um alle Gläubigen, die heute Erben des Glaubens ihrer Väter sind, daran zu erinnern, daß in jeder Diözese der Bischof das sichtbare Zeichen und die Quelle der Einheit der Kirche ist. Ich komme zu euch als das sichtbare Zeichen und die Quelle der Einheit für die ganze Kirche. Ich komme im Dienst der Einheit in der Liebe; in der demütigen und wahren Liebe des reumütigen Fischers: „Herr, du weißt alles; du weißt, daß ich dich liebe!“ Durch alle Zeiten hin reisten Christen immer wieder in jene Stadt, wo die Apostel Petrus und Paulus als Zeugnis für ihren Glauben starben und begraben sind. Aber im Laufe von 400 Jahren wurde der stete Strom englischer Pilger zu den Apostelgräbern zu einem dünnen Rinnsal. Rom und euer Land waren einander fremd geworden. Und nun kommt der Bischof von Rom zu euch. Ich komme wirklich im Dienst der Einheit in 484 Reisen der Liebe, aber ich komme auch als Freund und bin zutiefst dankbar für eure Begrüßung. Ich habe stets eure Freiheitsliebe bewundert, eure hochherzige Gastfreundschaft für andere Menschen in Not; als Sohn Polens habe ich einen gewichtigen, ganz persönlichen Grund, euch zu bewundern und euch zu danken. Was Petrus in der frühen Kirche tat 3. Von diesen Gefühlen erfüllt, freue ich mich besonders, das zu tun, was Petrus in der frühen Kirche tat. Ich soll heute früh hier die Taufe spenden und mit euch über ihre Bedeutung meditieren. Auf geheimnisvolle, aber wirkliche Weise wird an diesem geheiligten Ort jener Augenblick aus dem Leben der frühen Kirche wiederholt und aufs neue gegenwärtig gemacht, als - wie wir aus der Apostelgeschichte gehört haben - „Petrus auftrat, zusammen mit den Elf, seine Stimme erhob“ (Apg 2, 14) und über die Notwendigkeit, sich taufen zu lassen und die Gabe des Heiligen Geistes zu empfangen, zu sprechen begann. Die Folge war, daß viele „sein Wort annahmen“ und sich taufen ließen und so zur Zahl derer, die zur Familie des lebendigen Gottes gehören, hinzukamen. 4. Durch die Taufe werden wir Christus einverleibt. Wir nehmen seine Verheißung und seine Gebote an. Die Bedeutung der Taufe spiegelt sich im Symbolcharakter des sakramentalen Ritus wider. Wasser, das über uns gegossen wird, spricht von der erlösenden Kraft des Leidens, des Todes und der Auferstehung Christi, die das Erbe der Sünde hinwegwäscht und uns aus dem Reich der Finsternis in das Reich des Lichts und der Liebe versetzt. Durch die Taufe werden wir wahrhaftig in den Tod Christi eingetaucht - getauft auf seinen Tod, wie der hl. Paulus sagt -, um mit ihm in seiner Auferstehung auferweckt zu werden (vgl. Röm 6, 3-5). Die Salbung unseres Hauptes mit Öl bedeutet, daß wir in der Kraft Christi gestärkt und zu lebendigen Tempeln des Heiligen Geistes werden. Wir stehen unmittelbar vor dem Pfingstfest, dem Fest des Heiligen Geistes, der in der Taufe auf uns herabkommt. Einer der schönsten Teile der Pfingstliturgie ist von einem Engländer, Stephen Langton, Erzbischof von Canterbury, geschrieben worden. In sechs kurzen Zeilen von intensiver Lebendigkeit ruft er den Heiligen Geist an, in uns tätig zu werden. „Was befleckt ist, wasche rein, / Dürrem gieße Leben ein, / heile du, wo 485 Reisen Krankheit quält. / Wärme du, was kalt und hart, / löse, was in sich erstarrt / lenke, was den Weg verfehlt“ (Pfingstsequenz). Viele Übel unserer Zeit und aller Zeiten können in dieses Gebet einbezogen werden. Es spiegelt ein grenzenloses Vertrauen in die Macht des Geistes wider, den es anruft. 5. Durch die Taufe werden wir der Kirche einverleibt. Der Pfarrer, unsere Eltern und Paten machen uns das Kreuzzeichen, das stolze Banner Christi, auf die Stirn. Damit wird deutlich, daß die gesamte Versammlung der Gläubigen, die ganze Gemeinde Christi uns in dem neuen Leben des Glaubens und des Gehorsams beisteht, das aus unserer Taufe, unserer Wiedergeburt in Christus, folgt. In der Taufe werden wir in die Gemeinschaft des Glaubens einbezogen. Wir werden Glieder des pilgernden Gottesvolkes, das zu allen Zeiten und an allen Orten voller Hoffnung auf die Erfüllung der „Verheißung“ zugeht. Es ist unsere Aufgabe, mit Verantwortung und Liebe unseren Platz an der Seite derer wahrzunehmen, die von Anfang an „festhielten an der Lehre der Apostel und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2, 42). Ein sakramentales Band, das alle verbindet 6. Die Taufe schafft ein sakramentales Band der Einheit, das alle verbindet, die durch sie wiedergeboren sind. Aber die Taufe an sich ist nur der Anfang, der Ausgangspunkt, da sie ihrem ganzen Wesen nach auf die Erlangung der Fülle des Lebens in Christus hinzielt (vgl. Unitatis redinte-gratio, Nr. 22). Die Taufe ist das Fundament der Einheit, die alle Christen in Christus haben: eine Einheit, die wir zu vervollkommnen trachten müssen. Wenn wir mit aller Klarheit das Vorrecht und die Pflicht des Christen betonen, fühlen wir uns beschämt, daß wir nicht alle imstande waren, die volle Einheit des Glaubens und der Liebe, die Christus seiner Kirche gewünscht hat, zu bewahren. Wir Getauften haben gemeinsam als Brüder und Schwestern in Christus für diese Einheit zu wirken. Die Welt braucht Jesus Christus und sein Evangelium - die Frohbotschaft, daß Gott uns hebt, daß Gott, der Sohn, geboren, gekreuzigt wurde und gestorben ist, um uns zu retten, daß er auf erstanden ist und wir mit ihm auf erstehen und daß er uns in der Taufe zum ersten Mal mit dem Zeichen des Geistes besiegelt und in eine Gemeinschaft der Liebe und des Zeugnisses für seine Wahrheit auf genommen hat. 486 Reisen Dies sind meine Gedanken jetzt, da wir gemeinsam an diesem historischen Ort das Sakrament der Taufe feiern. Diese herrliche Kirche, in der wir zusammengekommen sind, ist ein Symbol des Glaubens und der Kraft der englischen katholischen Gemeinschaft in der heutigen Zeit. Ihre Architektur ist für dieses Land ungewöhnlich: Sie erinnert an andere Teile der christlichen Welt und damit an unsere Universalität. Morgen wird man mich in der viel älteren Kathedrale von Canterbury empfangen, wo der hl. Augustinus, der von meinem Vorgänger, dem hl. Gregor, hierhergesandt wurde, zuerst eine kleine Kirche errichten ließ, deren Grundmauern noch vorhanden sind. Dort spricht in der Tat alles von alten gemeinsamen Überlieferungen, die wir in der heutigen Zeit miteinander betonen wollen. Auch ich möchte in diesem Sinne sprechen - um die lange Entfremdung zwischen den Christen zu beklagen, mit Freude das heilige Gebet unseres Herrn und sein Gebot zu hören, daß wir vollkommen eins sein sollen, um ihm für die Inspiration des Heiligen Geistes zu danken, die uns mit der Sehnsucht erfüllt hat, unsere Spaltungen hinter uns zu lassen und nach einem gemeinsamen Zeugnis für unseren Herrn und Erlöser zu streben. Mein tiefer Wunsch, meine brennende Hoffnung und mein Gebet gehen dahin, daß mein Besuch der Sache der christlichen Einheit dienen möge. 7. Noch an einen anderen Aspekt der Taufe, der vielleichfder allgemein bekannteste ist, möchte ich erinnern. In der Taufe erhalten wir den Namen - wir nennen ihn unseren christlichen Namen. In der Tradition der Kirche handelt es sich dabei um einen Heiligennamen, den Namen eines heldenhaften Jüngers Christi - eines Apostels, eines Märtyrers, eines Ordensgründers, wie des hl. Benedikt, dessen Mönche die nahegelegene Westminster-Abtei gegründet haben, wo eure Könige gekrönt werden. Die Annahme solcher Namen erinnert uns wiederum daran, daß wir einbezogen werden in die Gemeinschaft der Heiligen, und zugleich daran, daß große Vorbilder christlichen Lebens vor uns hingestellt werden. London ist besonders stolz auf zwei hervorragende Heilige, zwei auch nach weltlichen Maßstäben große Männer, die zu eurem nationalen Erbe beigetragen haben: John Fisher und Thomas More. John Fisher, der Renaissancegelehrte aus Cambridge, wurde Bischof in Rochester. Mit seiner Glaubenstreue und seiner hingebungsvollen Sorge für die Menschen seiner Diözese, besonders die Armen und Kranken, ist er allen Bischöfen ein Vorbild. Thomas More war ein vorbildlicher Laie, der ganz nach dem Evangelium lebte. Er war ein feinsinniger Gelehrter und machte seinem Beruf Ehre, ein liebevoller Ehemann und Vater, 487 Reisen bescheiden im Glück, mutig im Unglück, humorvoll und fromm. Zusammen dienten sie Gott und ihrem Land - der Bischof und der Laie. Zusammen starben sie, Opfer eines unseligen Zeitalters. Heute haben wir alle die Gnade, ihre Größe zu verkündigen und Gott dafür zu danken, daß er England solche Männer geschenkt hat. In diesem England schöner und edler Geister wird niemand der katholischen Gemeinschaft den Stolz auf ihre eigene Geschichte mißgönnen. Deshalb spreche ich zuletzt noch von einem anderen christlichen Namen, der zwar nicht so berühmt ist, deshalb aber nicht weniger Ehre verdient. Bischof Richard Challoner leitete die Katholiken des Distrikts London im 18. Jahrhundert, im, wie es scheint, tiefsten Punkt ihrer Geschichte. Es waren nur wenige. Es hatte den Anschein, ihre Gemeinde würde nicht überleben. Doch Bischof Challoner erhob mutig seine Stimme, um seinen Leuten eine bessere Zukunft zu prophezeien. Und nun, 200 Jahre später, habe ich das Privileg, hier zu stehen und zu euch zu sprechen, nicht in einem Geist des Triumphes, sondern als ein Freund, dankbar für euren freundlichen Empfang und voller Liebe für euch alle. Bischof Challoners Mut möge uns alle daran erinnern, wo die Gründe des Mutes liegen, woher das Vertrauen in die Erneuerung kommt. Durch Wasser und Heiligen Geist wird ein Neues Volk geboren, wie dunkel auch immer die Zeiten sein mögen. 8. Wie uns die Lesung aus dem Propheten Ezechiel in Erinnerung ruft, ist der Herr selbst der treue Hirte dieses Neuen Volkes. Er selbst weidet seine Schafe. Er zeigt ihnen, wo sie ruhen sollen: „Wie ein Hirt sich um die Tiere seiner Herde kümmert. . . , so kümmere ich mich um meine Schafe. Ich hole sie zurück von all den Orten, wohin sie sich am dunklen, düsteren Tag zerstreut haben . . . Die verirrten Tiere will ich suchen, die vertriebenen zurückbringen, die verletzten verbinden und die schwachen kräftigen“ (Ez 24, 12.16). Mögen diejenigen von uns, die heute unser Taufgelübde erneuern, sowie diejenigen, die jetzt getauft werden sollen, unsere Bitte zu unserem himmlischen Vater emporsenden durch Jesus Christus, seinen Sohn, unseren Herrn: „Du Hirte Israels, höre, der du Josef weidest wie eine Herde! Gott der Heerscharen, wende dich uns wieder zu! Blick vom Himmel herab und sieh auf uns! Sorge für diesen Weinstock und für den Garten, den deine Rechte gepflanzt hat. Erhalt uns am Leben! Dann wollen wir deinen Namen anrufen und nicht von dir weichen“ (Ps 80, 1-2, 15-16, 19). Amen. 488 Reisen Meine lieben Brüder und Schwestern! Wenn wir nun fortfahren, die Geheimnisse unseres Glaubens zu feiern, dürfen wir nicht vergessen, daß ein bewaffneter Konflikt im Gang ist. Brüder in Christus bekämpfen sich in einem Krieg, der den Frieden in der Welt gefährdet. In unseren Gebeten wollen wir der Opfer beider Seiten gedenken. Wir beten für die Toten - sie mögen in Christus ruhen -, für die Verwundeten und für alle betroffenen Familien. Ich bitte euch, mich auf jedem Schritt meiner Pastoraireise zu begleiten mit eurem Gebet für eine friedliche Lösung des Konfliktes, daß der Gott des Friedens die Herzen der Menschen rühre, damit sie die tödlichen Waffen beiseite legen und den Weg des brüderlichen Dialogs beschreiten. Mit unserem ganzen Herzen flehen wir zu Jesus, dem Friedensfürsten. Die Kranken - Menschen in unserer Mitte Predigt bei der Messe für die Kranken in der Kathedrale von Southwark am 28. Mai Meine Brüder und Schwestern! 1. Gelobt sei Jesus Christus! Gelobt sei Jesus Christus, der uns einlädt, durch unsere Taufe an seinem Leben teilzuhaben. Gelobt sei Jesus Christus, der uns aufruft, unsere Leiden mit den seinen zu vereinigen, damit wir eins mit ihm sind, wenn er dem Vater im Himmel Ehre und Lobpreis darbringt. Heute begrüße ich euch im Namen Jesu. Ich danke euch allen für den Empfang, den ihr mir bereitet habt. Ihr sollt wissen, wie sehr ich mich auf diese Begegnung mit euch gefreut habe, insbesondere mit denjenigen von euch, die krank, behindert oder gebrechlich sind. Ich hatte selbst meinen Anteil am Leiden und habe die körperliche Schwäche, die mit einer Verletzung und Krankheit einhergeht, kennengelernt. 2. Eben weil ich das Leiden erfahren habe, bin ich in der Lage, mit immer tieferer Überzeugung zu bestätigen, was der hl. Paulus in der zweiten Lesung sagt: „Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe 489 Reisen noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe , Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8, 38-39). In unserem Leiden einen Sinn finden Liebe Freunde, es gibt keine Gewalt oder Macht, die Gottes Liebe zu euch hindern könnte. Krankheit und Leiden scheinen allem zu widersprechen, was Würde und Wert besitzt, allem, wonach der Mensch verlangt. Und doch kann keine Krankheit, keine Behinderung, kein Gebrechen euch jemals eurer Würde als Kinder Gottes, als Brüder und Schwestern Jesu Christi berauben. 3. Durch seinen Kreuzestod zeigt uns Christus, wie wir in unserem Leiden einen Sinn finden können. In seiner Passion finden wir die Erleuchtung und die Kraft, uns von jeder Versuchung zum Ressentiment abzuwenden und durch den Schmerz in ein neues Leben hineinzuwachsen. Das Leiden ist eine Einladung, dem Sohn, der den Willen des Vaters tut, immer ähnlicher zu werden. Es bietet uns eine Gelegenheit, Christus, der gestorben ist, um die Menschheit von der Sünde zu befreien, nachzuahmen. So hat der Vater bestimmt, daß das Leiden den einzelnen und die ganze Kirche zu bereichern vermag. 4. Wir glauben, daß die Krankensalbung dem ganzen Menschen zum Besten gereicht. Diesen Punkt finden wir in den liturgischen Texten für die Feier des Sakraments veranschaulicht: „Mache dieses Öl zu einem Heilmittel für alle, die damit gesalbt werden; heile sie an Leib, Seele und Geist und befreie sie von jedem Schmerz.“ Die Krankensalbung ist darum eine Quelle der Kraft für Seele und Leib. Das Gebet der Kirche bittet darum, daß die Sünde und die Reste der Sünde hinweggenommen werden (vgl. DS 1969). Es bittet auch um die Wiederherstellung der Gesundheit, aber immer so, daß die körperliche Heilung durch die Zunahme der Gnade zu einer größeren Einheit mit Gott führt. In ihrer Lehre über dieses Sakrament spricht die Kirche die Wahrheit aus, die in unserer ersten Lesung aus dem Jakobusbrief enthalten ist: „Ist einer von euch krank? Dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. Das gläubige Gebet wird den Kranken retten, und der Herr wird ihn auf richten; wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben“ (Jak 5, 14-15). 490 Reisen 5. Diesem Sakrament sollte man sich im Geist großen Vertrauens nähern, so wie der Aussätzige im Evangelium, das wir gerade vorhin gehört haben. Auch die Hoffnungslosigkeit seiner Lage hielt den Mann nicht davon ab, sich voll Vertrauen Jesus zu nähern. Auch wir müssen an die heilende Liebe Christi glauben und aufs neue beteuern, daß uns nichts von jener Liebe trennen wird. Ganz bestimmt möchte Jesus sagen: „Ich will es -werde rein!“ (Mt 8, 3); sei geheilt, sei stark; werde gerettet. Meine lieben Brüder und Schwestern, wenn ihr die Passion Christi lebt, stärkt ihr durch das Zeugnis eures Glaubens die Kirche. Ihr verkündet durch eure Geduld, eure Ausdauer und eure Freude das Geheimnis der erlösenden Macht Christi. Inmitten eurer Krankheit und eures Leidens werdet ihr den gekreuzigten Herrn finden. 6. So wie Veronika Christus auf seinem Gang nach Golgata zu Diensten war, so haben die Christen die Sorge für diejenigen, die Leiden und Schmerz erfahren, als Chance erfaßt, Christus selbst zu dienen. Allen, die sich in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Zentren für Sterbende der Kranken und Sterbenden annehmen, spreche ich meine Anerkennung aus und segne sie. Euch - Ärzten, Pflegerinnen, Kaplänen und dem ganzen übrigen Krankenhauspersonal - will ich sagen: Ihr habt eine edle Berufung. Denkt daran, daß es Christus ist, dem ihr in den Leiden eurer Brüder und Schwestern dient. 7. Aus ganzem Herzen unterstütze ich jene, die Gottes Gesetz, von dem das menschliche Leben gelenkt wird, anerkennen und verteidigen. Wir dürfen nie vergessen, daß jeder Mensch, vom Augenblick der Empfängnis bis zum letzten Atemzug ein einmaliges Kind Gottes ist und ein Recht auf Leben hat. Dieses Recht sollte durch die aufmerksame Pflege und Fürsorge seitens der Ärzte und des Pflegepersonals und durch den Schutz des Gesetzes verteidigt werden. Jedes Menschenleben ist von unserem himmlischen Vater gewollt und ist Teil seines liebenden Planens. Kein Staat hat das Recht, sittliche Werte in Abrede zu stellen, die in der Natur, des Menschen selbst verwurzelt sind. Diese Werte sind das kostbare Erbe der Kultur und Zivilisation. Wenn die Gesellschaft anfängt, den Wert eines einzelnen Individuums zu leugnen oder die menschliche Person pragmatischen oder utilitaristischen Betrachtungsweisen unterzuordnen, beginnt sie die Vorkehrungen zu zerstören, die ihre eigenen grundlegenden Werte schützen sollen. 8. Ich richte heute eine dringende Bitte an diese Nation. Vernachlässigt 491 Reisen nicht eure Kranken und alten Menschen! Wendet euch nicht ab von den Behinderten und Sterbenden! Verstoßt sie nicht an den Rand der Gesellschaft! Denn wenn ihr das tut, werdet ihr nicht begreifen, daß sie eine bedeutsame Wahrheit darstellen. Die Kranken, die Alten, die Behinderten und die Sterbenden lehren uns, daß Krankheit und Schwäche eine schöpferische Seite des menschlichen Lebens ist und daß das Leiden ohne Verlust an Würde angenommen werden kann. Ohne die Anwesenheit dieser Menschen in eurer Mitte könntet ihr versucht sein, Gesundheit, Kraft und Macht für die einzigen wichtigen Werte zu halten, die im Leben erstrebenswert sind. Doch die Weisheit Christi und die Macht Christi sind in der Schwachheit derer zu erkennen, die teilhaben an seinen Leiden. Bewahren wir den Kranken und Behinderten einen Platz inmitten unseres Lebens. Ehren wir sie und erkennen wir dankbar die Schuld an, die wir ihnen gegenüber haben. Wir beginnen bei der Vorstellung, daß wir ihnen etwas geben; und am Ende werden wir gewahr, daß sie uns bereichert haben. Gott segne und tröste alle, die leiden. Jesus Christus, der Erlöser der Welt und Heiler der Kranken, lasse sein Licht in der menschlichen Schwachheit erstrahlen als ein Leuchtfeuer für uns und für die ganze Menschheit. Amen. Liebe Brüder und Schwestern in Christus! Wenn wir von Leid, Schmerz und Tod sprechen, können wir diejenigen nicht vergessen, die während des bewaffneten Konflikts im Südatlantik gelitten haben und gestorben sind. Laßt uns im Gebet der Opfer beider Seiten gedenken. Der Vater des Erbarmens und allen Trostes stehe den Verwundeten bei und allen von Trauer betroffenen Familien. Er schenke allen, die in Christus gestorben sind, ewige Ruhe und den Trauernden christliche Hoffnung. Laßt uns beten, daß die Verhandlungen den Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden bereiten. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen. 492 Reisen Gemeinsam verkünden, daß Friede möglich ist Ansprache an die Bischöfe von England und Wales in Westminster am 28. Mai 1. Bei unserer Zusammenkunft an diesem Abend richten wir unsere Gedanken unmittelbar auf unseren Herrn Jesus Christus. In den Evangelien sagt Christus uns, daß er nicht allein ist. Er erfährt die Gemeinschaft mit seinem Vater: „Er, der mich gesandt hat, ist bei mir; er hat mich nicht allein gelassen . . {Joh 8, 29). Bei anderer Gelegenheit sagt er: „Ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir“ (Joh 16, 32). Das Bewußtsein, mit dem Vater eins zu sein, durchdringt Leben und Sendung Christi. Es ist für ihn eine Quelle der Kraft. Sogar auf dem Gipfel seines Leidens weiß er, daß er nicht verlassen ist, obwohl er in seiner menschlichen Natur die ganze Not des Alleinseins durchleidet. 2. Christus weiß auch, daß seine Jünger das gleiche Bedürfnis haben wie er: daß sie ihre Sendung nicht allein auf sich nehmen müssen. Und so gibt er seine Verheißung, eine Verheißung, die das Leben der ganzen Kirche für immer erfüllt: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ {Mt 28, 20). Diese Verheißung war das Echo von vielen Verheißungen, die Gott früher gegeben hatte. Mose hatte Gott sagen gehört: „Ich bin mit dir“ {Ex 3,12). Es war eine Verheißung, die ihm gerade dazu gegeben wurde, Gottes Volk in die Freiheit zu führen. Jeremia, der angesichts der Größe seiner Prophetenaufgabe in Furcht geriet, erhielt von Gott die Zusicherung: „Ich bin mit dir, um dich zu retten“ {Jer 1, 8). Auch der Apostel Paulus hörte ermutigende Worte: „Fürchte dich nicht! Rede nur, schweige nicht! Denn ich bin mit dir . . .“ (Apg 18, 9). 3. Heute aber, im Kontext der Kollegialität, die wir erfahren, möchte ich euch Christi Verheißung, bei seiner Kirche zu bleiben, Christi Versicherung, daß ihr nicht allein seid, zur Betrachtung empfehlen. Der Grundsatz der Kollegialität zeigt uns, wie Christi eigene Überzeugung von sich selber - „Ich bin nicht allein“ - auch uns angeht. Durch das Wirken seines Heiligen Geistes ist Christus mit euch und in euch, da ihr als seine Stellverteter (vgl. Lumen gentium, Nr. 27) den Vorsitz über die Kirchen führt, die eurer Hirtensorge anvertraut sind. Er ist ferner eng mit euch verbunden durch den Dienst dessen, dem die Kirche in besonderer 493 Reisen Weise die Titel „Stellvertreter Christi“ und „Diener der Diener Gottes“ verliehen hat. 4. Als Konferenz wißt ihr alle - die Ordinarien des lateinischen Ritus und Bischof Hornyak, der geliebte Hirte der Gläubigen des ukrainischen Ritus - um die Solidarität des Bischofs von Rom mit euch im Gebet und in der brüderlichen Liebe. Als Mitglieder des weltweiten Bischofskollegiums aber seid ihr euch der Unterstützung des Nachfolgers des Apostels Petrus bewußt, der als „immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft eingesetzt“ wurde, „damit der Episkopat selbst einer und ungeteilt sei“ {Lumen gentium, Nr. 18). In den letzten Wochen war der Papst eng mit euch verbunden, wie er verbunden war mit euren argentinischen Brüdern im Bischofsamt, weil eure beiden Völker sich infolge des bewaffneten Konflikts im Südatlantik in großer pastoraler Not befanden. Zugleich wurden euch und den Bischöfen Argentiniens das Gebet und die brüderliche Unterstützung eurer Brüder im Bischofsamt in der ganzen Welt versprochen. Die konzelebrierte heilige Messe in St. Peter am 22. Mai war neben anderen Aspekten ein Beispiel für die kraftvolle Kollegialität, die naturgegebene Grenzen, Sprachen, Kulturen und sogar Generationen übersteigt. Der bei dieser Gelegenheit formulierte Aufruf zum Frieden war ein kollegialer Akt für die gesamte Kirche und Menschheit. Das Bischofskollegium gründet sich auf seine einzelnen Mitglieder. Wie euch die Erfahrung lehrt, sind die Probleme der einzelnen Bischöfe und Bischofskonferenzen Sorge des ganzen Gremiums. Ihr seid nicht allein. 5. Ihr seid aber eurerseits zur Mitarbeit am Wohl der gesamten Kirche auf gerufen. Einige von euch durften wie ich am Zweiten Vatikanischen Konzil teilnehmen. Ihr alle habt auf die eine oder andere Weise an der Arbeit der Bischofssynode oder an der eurer Bischofskonferenz teilgenommen. Einige von euch haben sich auch an den kollegialen Aktivitäten beteiligt, die von der Römischen Kurie koordiniert werden. 6. Gleichzeitig arbeitet der Gesamtepiskopat, mit dem ihr für das Wohl der ganzen Kirche gesorgt habt, mit dem Bischof von Rom in wichtigen Fragen, die eure Ortskirchen betreffen, zusammen. Auch dieser Aspekt ist ein lebenswichtiger Teil der Kollegialität: Ihr arbeitet nicht nur mit zum Wohl anderer, sondern ihr nehmt auch die Mitarbeit des Kollegiums in eurem eigenen Dienst an. Diese Zusammenarbeit erfolgt auf 494 Reisen verschiedene Weise, oft in nichtjuridischer Form, und sie ist eine große Hilfe für euch. Unter diesem Aspekt hilft die Kollegialität euch, die „Zeichen der Zeit“ richtig zu lesen und klar zu unterscheiden, „was der Geist den Gemeinden sagt“ (Offb 2,1). Im Zusammenhang der Kollegialität sehen wir, wie die Ortskirchen und ihre Hirten der gesamten Kirche ihren Beitrag leisten und wie sie die übereinstimmend erlangten Erkenntnisse des Gesamtepiskopates übermittelt bekommen. Diese Erkenntnisse helfen den Ortsbischöfen, immer mehr um das Wohl der ganzen Kirchen besorgt zu sein; zugleich helfen sie den Bischöfen, in ihren Ortskirchen jene Einheit des Glaubens und der Disziplin aufrechtzuerhalten, die der ganzen Kirche gemeinsam (Lumen gentium, Nr. 23) und von ihrer universalen Autorität zu schützen sind. Im Grundsatz der Kollegialität finden die Bischöfe zugleich brüderliche Unterstützung und einen Wertmaßstab für ihre heilige Sendung. Die Worte Jesu sind also für uns, seine Diener, gewiß bedeutungsvoll: Ich bin nicht allein. 7. Von eurem Dienst als Bischöfe wißt ihr darum, wie sehr eure Priester von euch abhängen und wie sehr ihr wiederum von euren Priestern abhängig seid. Gemeinsam - und nicht allein - habt ihr den Auftrag erhalten, das Evangelium zu verkünden und den Leib Christi aufzubauen. Die Priester sind eure Brüder und Mitarbeiter in eurem bischöflichen Dienst. Eure Brüderlichkeit ihnen gegenüber wird euren Dienst wirksam machen, und ihre Einheit mit euch wird ihre Einheit mit Christus sichern. 8. Nun ein Wort über die Ordensleute. Das Zweite Vatikanische Konzil und die Dokumente zu seiner Durchführung haben ausführlich den eigentlichen Platz der Ordensleute im Apostolat der Ortskirchen bestimmt. Auch hier ist eure Aufgabe sehr wichtig, nicht nur, was die Koordinierung der Pastoralarbeit betrifft, sondern auch um sicherzustellen, daß der glänzende Beitrag männlicher und weiblicher Ordensleute im Geist gemeinsamer Verantwortlichkeit für das Evangelium entsprechend nutzbar gemacht wird, „damit das Wort des Herrn sich ausbreitet und verherrlicht wird (2 Thess 3, 1). Die geordnete und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Bischöfen und Ordensleuten wird euch in eurem pastoralen Eifer immer neu die frohmachende Erfahrung schenken, beim Werk der Evangelisierung und Katechese nicht allein zu sein. 9. Und was soll ich über die Laien sagen? Ich bin zutiefst überzeugt, daß auch der wachsende Aufgabenbereich des Laienapostolates eine Quelle 495 Reisen besonderer Kraft für euch als Hirten des Volkes Gottes ist. Das Zweite Vatikanische Konzil hat mit Nachdruck herausgestellt, wieviel die Laienschaft zum Wohl der ganzen Kirche beiträgt. Im gleichen Zusammenhang lehrt es: „Die geweihten Hirten wissen sehr wohl, daß sie von Christus nicht bestellt sind, um die ganze Heilsmission der Kirche an der Welt allein auf sich zu nehmen“ (Lumen gentium, Nr. 30). Nach Gottes Plan soll die Laienschaft in Erfüllung ihrer eigenen Aufgabe einen großen Dienst liebevoller Unterstützung ihrer Hirten in Christus leisten. In all diesen Dingen ist die Aufgabe der Bischöfe gewaltig. Es geht um einen Dienst mit großer Verantwortung, doch wiegen die Gegenwart Christi und das rechte Maß geteilter Verantwortung, die die Gemeinschaft übernimmt, mehr als genug, um uns alle als Bischöfe zu überzeugen: Wir sind nicht allein. 10. Es gibt so viele Weisen, in denen wir Bischöfe zu dienen berufen sind, so viele individuelle Bereiche für unseren Seelsorgsauftrag: als Lehrer sollen wir Gottes Volk „auf rechten Pfaden, treu seinem Namen“ leiten (Ps 23, 3); als Leiter des liturgischen Gottesdienstes sollen wir „danken in großer Gemeinde“ (PsSö, 18); als liebe- und mitleidvolle Hirten kennen wir unsere Schafe, und sie kennen und lieben uns. Auf all diesen verschiedenen Gebieten findet der Grundsatz der Kollegialität seine klare Anwendung, Leben und Dienst des Bischofs aber sind gekennzeichnet durch die Erfahrung Christi, des höchsten Hirten, der der Welt unablässig ■Verkündet: Ich bin nicht allein. <20> <20> Heute, liebe Brüder, möchte der Bischof von Rom gerade diesen Punkt stark betonen: Ihr seid wie Christus nicht allein. Mit euch ist der Bischof von Rom, der Hirte des Volkes Gottes, und für euch ist er der universale dienende Hirt. So wie er euch im Glauben bestärkt, so ermutigt er auch euch und euer Volk - und ebenso eure argentinischen Mitbrüder und ihr Volk - bei jedem Bemühen um volle Versöhnung und um Frieden. Mit dem Apostel Petrus wiederhole ich: „Friede sei mit euch allen, die ihr in Christus seid“ (7 Petr 5, 14). Liebe Brüder im Bischofsamt, gemeinsam, nicht allein müssen wir verkünden, daß Friede möglich ist, daß er eine menschliche und christliche Pflicht ist, daß Versöhnung der Weg zum Frieden ist und daß Christus selber unsere Gerechtigkeit und unser Friede ist. In Freuden und Ängsten, in Hoffnung und Leid ist der katholische Episkopat als ganzer Christus gegenüber verantwortlich für den Weg, auf dem er in seinem 496 Reisen Namen und in seinem Auftrag das Evangelium des Friedens verkündet und seinen „Dienst der Versöhnung“ (2 Kor 5, 18) ausübt. Mit unserem Klerus, den Ordensleuten, den Laien und untereinander geeint laßt uns die Botschaft des Evangeliums vom Heil und von der Versöhnung verkünden in der tiefen Überzeugung, daß wir - wie Jesus und mit Jesus — nicht allein sind. In der Kollegialität des katholischen Episkopates wollen wir neue Kraft und neuen Antrieb finden, um Gottes Volk zu leiten. In Christus Jesus aber wollen wir uns immer bewußt machen: Wir sind nicht allein. Die Klöster: „Saatbeete von Kultur und Zivilisation“ Ansprache bei der Begegnung mit den Ordensleuten im Digby-Stuart-College in London am 29. Mai Meine lieben Brüder und Schwestern in Christus! 1. Ich möchte meiner besonderen Freude über diese Begegnung Ausdruck geben. Ihr seid in so großer Zahl hier als Vertreter aller Ordensleute von England und Wales. Ihr seid hier an der Pfingstvigil zusammengekommen, um eure Ordensgelübde zu erneuern. Mit dem Papst, dem Nachfolger Petri, werdet ihr vor der ganzen Kirche erklären, daß ihr an eure Weihe glaubt; daß es eure Berufung ist, Christus zu folgen, der eure Freude und euer Frieden ist. „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit!“ (Phil 4, 4). 2. Ihr setzt in würdiger Weise eine Tradition fort, die in den Beginn der christlichen Geschichte Englands zurückreicht. Augustinus und seine Gefährten waren Benediktinermönche. Die großen Klostergründungen der angelsächsischen Zeit und des Mittelalters waren nicht nur Missionszentren; sie waren auch die Zentren der Gelehrsamkeit und Saatbeete von Kultur und Zivilisation. Orte wie Canterbury, Jarrow, Glastonbury und St. Albans weisen auf die Rolle hin, die das Mönchtum in der englischen Geschichte spielte. Männer wie Beda von Jarrow, Bonifatius von Devon, der der Apostel der Deutschen wurde, und Dunstan von Glastonbury, der 960 Erzbischof von Canterbury wurde; Frauen wie Hilda von Whitby, Walburga und Lioba und viele andere - das sind berühmte Namen in der 497 Reisen englischen Geschichte. Vergessen können wir auch nicht Anselm und Nicholas Breakspear, der, in Abbots Langley geboren, 1154 als Hadrian IV. Papst wurde. In der normannischen Zeit kam diese Heerschar Christi zu neuer glanzvoller Größe durch die Gründung der Zisterzienser-, Dominikaner-, Franziskaner-, Karmeliter- und Augustinerklöster. Später hat das Ordensleben schwer gelitten. Englische Ordenskommunitäten wurden zerstreut und vernichtet oder flüchteten ins Ausland. Es ist unmöglich, hier die Namen aller Ordensmänner und -frauen dieser Zeit anzuführen, die unserem Herrn nachfolgten und zur Verteidigung ihres Glaubens ihr Leben hingaben. In diese unglückselige Zeit gehört auch eine außergewöhnliche Frau aus Yorkshire, Mary Ward, die zur Wegbereiterin der aktiven, nicht klausurierten Frauenkongregationen wurde. Das vergangene Jahrhundert erlebte eine erstaunliche Wiedergeburt des Ordenslebens. Hunderte von Ordenshäusern, Schulen, Waisenhäusern, Krankenhäusern und anderen Sozialdiensten wurden eingerichtet. Missionsorden verbreiteten den Glauben in fernen Ländern. In unserer Zeit hat das Vatikanische Konzil euch zu angemessener Erneuerung des Ordenslebens durch die Rückkehr zum ursprünglichen Charisma der einzelnen Institute und ein gesundes Aggiornamento aufgerufen (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 2). Ein Zeugnis für den Sieg der Gnade 3. Meine Brüder und Schwestern, wir können sehen, was die Kirche und die Gesellschaft insgesamt heute von euch erwartet. Die Menschen unserer Zeit blicken auf euch und wiederholen, was die griechischsprachigen Besucher Jerusalems zum Apostel Philippus sagten: „Herr, wir möchten Jesus sehen“ (Joh 12, 21). Ja, in euch will die Welt Jesus sehen. Euer öffentliches Bekenntnis der evangelischen Räte ist eine radikale Antwort auf den Ruf des Herrn, ihm zu folgen. Dementsprechend ist euer Leben bestimmt, ein klares Zeugnis von der Wirklichkeit des Reiches Gottes zu geben, das bereits in der Geschichte der Menschen und Nationen gegenwärtig ist. Da ihr heute vormittag hier vor Gott und der Kirche im Anblick von Millionen eurer Landsleute eure Ordensgelübde erneuert, will ich gemeinsam mit euch die Größe und Würde eurer Berufung betrachten. 4. Den meisten Leuten seid ihr durch das bekannt, was ihr tut. Besucher in euren Abteien und Ordenshäusern sehen euch die Liturgie feiern oder 498 Reisen folgen euch in Gebet und Kontemplation. Menschen aller Altersstufen und aus allen Schichten ziehen direkte Vorteile aus euren verschiedenen Diensten an der kirchlichen und zivilen Gesellschaft. Ihr erteilt Unterricht; ihr sorgt für die Kranken; ihr kümmert euch um die Armen, die Alten, die Behinderten; ihr bringt das Wort Gottes zu den Menschen nah und fern; ihr führt die Jugend zu menschlicher und christlicher Reife. 5. Die meisten Menschen wissen also, was ihr tut, und bewundern und schätzen euch deshalb. Eure wahre Größe besteht freilich in dem, was ihr seid. Was ihr seid, ist vielleicht weniger bekannt und wird weniger verstanden. In der Tat, was ihr seid, kann nur im Lichte des vom auferstandenen Herrn geoffenbarten „neuen Lebens“ begriffen werden. In Christus seid ihr eine „neue Schöpfung“ (vgl. 2 Kor 5, 17). Manchmal in eurem Leben wurde der Ruf des Herrn zu einer besonderen Initimität und Einheit mit ihm in seiner Heilssendung so klar, daß ihr euer Zögern überwandet. Ihr habt eure Zweifel und Schwierigkeiten beiseite geschoben und euch zu einem Leben vollkommener Treue zu den höchsten Idealen des Evangeliums verpflichtet. Eure freie Entscheidung wurde von der Gnade unterstützt, und euer Ausharren durch die Jahre ist ein großartiges Zeugnis für den Sieg der Gnade über die Kräfte, die bestrebt sind, euer neues Leben in Christus zu beflecken. Dieses „neue Leben“ ist ein Geschenk Christi an seine Kirche. Es ist ein Beweis für die Heiligkeit der Kirche, ein Ausdruck ihrer Lebenskraft. Leitstern in einer verstörten Welt 6. Durch das Bekenntnis der evangelischen Räte seid ihr in besonderer Weise mit der Kirche verbunden (vgl. Lumen gentium, Nr. 44). Laßt mich euch sodann an einige Aspekte eures geweihten Lebens erinnern, die unter den gegenwärtigen Umständen des pilgernden Gottesvolkes besonders bedeutsam sind. Heute besteht eine weitverbreitete Versuchung zu Unglauben und Hoffnungslosigkeit. Ihr anderseits seid verpflichtet, Männer und Frauen von tiefem Glauben und unablässigem Gebet zu sein. An euch besonders möge die Aufforderung des hl. Paulus an Timotheus gerichtet sein: „Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, zu dem du berufen worden bist und für das du vor vielen Zeugen das gute Bekenntnis abgelegt hat“ (1 Tim 6, 12). Glaubt an den auferstandenen Herrn! Glaubt an eure eigene Berufung! Glaubt, daß Christus euch berufen hat, weil er euch hebt! Glaubt in Augenblicken der Dunkelheit und des Schmerzes, daß er euch nur um so mehr hebt. Glaubt 499 Reisen an die besondere Inspiration und das Charisma eures Instituts! Glaubt an eure Sendung in der Kirche! Laßt euren Glauben vor der Welt leuchten wie eine Lampe in der Dunkelheit; laßt ihn leuchten wie einen Leitstern, der eine verstörte Gesellschaft zur richtigen Würdigung der wesentlichen Werte führen wird. Möge die geistliche Freude eures persönlichen Lebens und euer gemeinsames Zeugnis echter christlicher Liebe eine Quelle der Inspiration und der Hoffnung sein. Macht eure Ordensweihe kenntlich. Gebt euch als Ordensmänner und -frauen zu erkennen. Die säkularisierte Gesellschaft braucht lebendige Zeugen wie euch. 7. Heute sind viele Leute versucht, in einer falschen Wertordnung zu leben. Ihr hingegen seid Männer und Frauen, die die wertvolle Perle entdeckt haben (vgl. Mt 13, 46), einen Schatz, der nicht abnimmt (vgl. Lk 12, 22-34). Durch die Armut, die ihr in der Nachfolge Christi freiwillig auf euch nehmt - jeder einzelne und alle gemeinsam müssen in der Gesinnung und tatsächlich arm sein (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 13) -, sucht ihr Befreiung von den Zwängen der Konsumgesellschaft. Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ {Mt 19, 12) ist ein besonderes Geschenk Christi an euch und von euch an die ganze Kirche. Jungfräulichkeit ist nicht nur eine besondere Liebe zum Herrn, sondern auch ein Freisein zur totalen Selbsthingabe in allgemeinem Dienst, bedingungs-und unterschiedslos. Wenn eure Ehelosigkeit von echter Hochherzigkeit und Freude gekennzeichnet ist, lehrt sie andere, zwischen wahrer Liebe und ihren vielen Nachahmungen zu unterscheiden. Durch euren Gehorsam, der eine vollkommene Hingabe euer selbst an den Willen Gottes ist, trachtet ihr, „Christus in seiner vollendeten Gestalt darzustellen“ {Eph 4,13). Paradoxerweise wachst ihr durch Selbstverzicht zu menschlicher und christlicher Reife und Verantwortung. Ihr beweist, daß viele aktuelle Freiheitsideen verbogen sind. Ihr helft mit, die Gesellschaft von den Auswirkungen zügelloser Selbstsucht zu befreien. 8. Eine besondere Dimension besitzt das Zeugnis der Ordensweihe für diejenigen unter euch, die die kontemplative Form des Ordenslebens leben. Euer Leben ist mit Christus in Gott verborgen. Schweigend und durch Gebet und Buße bringt ihr ihm ein Lobopfer dar. Ihr ruft seine Gnaden und Segnungen auf das Volk Gottes herab (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 7). Viele Menschen haben eine vage Vorstellung von dem, was ihr tut, die meisten aber, die Katholiken eingeschlossen, erkennen nicht im geringsten die Größe eurer besonderen Berufung und ihre unersetzliche 500 Reisen Rolle im Leben der Kirche. Das kontemplative Leben verleiht dem Volk Gottes „eine geheimnisvolle apostolische Fruchtbarkeit“ (ebd.). Das beschauliche Gebet unterstützt die Kirche in ihrem Bemühen, die Menschheit zu richtigem Verständnis menschlicher Würde und geistlicher Werte hinzuführen. Ich bitte euch, betet immer noch mehr für das pilgernde Gottesvolk und die Welt. Und für alle, die sich zum kontemplativen Leben berufen fühlen, wiederhole ich die Einladung Jesu an die beiden zögernden Jünger: „Kommt und seht!“ Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben bei ihm (vgl. Joh 1, 39). 9. Das „verborgene Zeugnis“ der beschaulichen Orden wird gestützt von dem mächtigen apostolischen Block der aktiven Ordensgemeinschaften. In den Fußstapfen des Meisters zeigt ihr voll Eifer für den Willen seines Vaters und voll Vertrauen in euer besonderes Charisma „die überragende Größe, der Herrscherkraft Christi und die wunderbare, unbegrenzte Macht des Heiligen Geistes in der Kirche“ (Lumen gentium, Nr. 44). Ordensgemeinschaften haben die besondere Verantwortung, empfänglich für die Zeichen der Zeit zu sein und den Bedürfnissen nachzukommen, die die der Kirche eigenen Aufgaben betreffen. Ahmt den Glauben und den Mut eurer Gründer nach! Seid bereit, euch selbst hinzugeben, wie sie es getan haben. Helft den Bischöfen in ihrem pastoralen Dienst im Vertrauen auf die Verheißung Christi, daß er seine Kirche schützen und leiten wird. 10. Ordensmänner und Ordensfrauen, erhebt eure Herzen! Dankt dem Herrn für eure wunderbare Berufung. Durch euch will Jesus sein beschauliches Gebet auf dem Berg fortsetzen. Er will sichtbar machen, wie er das Reich Gottes verkündet, die Kranken heilt, Sünder bekehrt, Kinder segnet, allen Gutes tut und immer dem Willen des Vaters gehorcht, der ihn gesandt hat (vgl. Lumen gentium, Nr. 46). In euch müssen die Kirche und die Welt den lebendigen Herrn sehen können. Fürchtet euch nicht, öffentlich vor der übrigen Kirche, insbesondere der Jugend, zu verkündigen, daß sich euer Lebensweg und seine Schönheit lohnt. Der katholischen Gemeinschaft muß das hohe Privileg vor Augen geführt werden, dem Ruf Christi ins Ordensleben zu folgen. Die Jugend muß euch besser kennenlernen. Die jungen Menschen werden zu euch kommen, wenn sie euch als hochherzige und frohe Jünger Jesu Christi sehen, deren Lebensweg keine materiellen Vorteile bietet und sich nicht den Maßstäben der Welt anpaßt. Sie werden angezogen werden von der kompromißlosen, aufrüttelnden Aufforderung Christi, alles zu verlassen, um ihm zu folgen. 501 Reisen Freuet euch im Herrn! 11. Abschließend möchte ich die Ordensleute der anglikanischen Kirchengemeinschaft, die hier anwesend sind, begrüßen. Auch ihr seid inspiriert von dem evangelischen Ruf nach immer engerer Nachfolge Christi. Ihr habt den Wunsch ausgesprochen, den Papst willkommen zu heißen und ihn sprechen zu hören. Ich danke euch. Ich empfehle euren Gebeten den brennenden Wunsch von Millionen Christen überall in der Welt: daß wir ganz eins seien im Glauben und in der Liebe. Euch allen spreche ich meine Dankbarkeit und Achtung aus. Ich vertraue alle Ordensleute aus England und Wales dem liebevollen Schutz Mariens an, der Mutter der Kirche, dem erhabensten Vorbild der Jüngerschaft. Der Heilige Geist erfülle eure Herzen mit seinen Gaben. Freut euch im Herrn allezeit! Und wieder sage ich: Freut euch! Möge die öffentliche Erneuerung eurer Ordensgelübde dazu helfen, ein neues Pfingsten in euer Leben und in die Kirche dieses Landes zu bringen! Gelobt sei Jesus Christus! „Die Liebe wächst durch die Wahrheit“ Ansprache bei der ökumenischen Feier in der Kathedrale von Canterbury am 29. Mai <21> <21> Der Abschnitt, der soeben verlesen wurde, ist dem Johannesevangelium entnommen und enthält die Worte unseres Herrn Jesus Christus am Abend seines Lebens. Während er mit seinen Jüngern beim Abschiedsmahl saß, betete er: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast“ (Joh 17, 21). Diese Worte sind in besonderer Weise vom Paschamysterium unseres Erlösers, von seinem Leiden, seinem Tod und seiner Auferstehung gekennzeichnet. Obwohl sie nur einmal gesprochen wurden, dauern sie durch alle Generationen fort. Christus betet unaufhörlich für die Einheit seiner Kirche, weil er sie mit derselben Liebe hebt, mit der er die Apostel und Jünger liebte, die beim Letzen Abendmahl bei ihm waren. „Aber ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben“ (Joh 17, 20). Christus offenbart eine göttliche Perspektive, 502 Reisen in welcher der Vater und der Sohn und der Heilige Geist gegenwärtig sind. Gegenwärtig ist auch das tiefste Geheimnis der Kirche: Die Einheit in der Liebe, die zwischen dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist besteht, durchdringt das Herz des Volkes, das Gott zu dem seinen erwählt hat, und wird zur Quelle seiner Einheit. Die Worte Christi ertönen heute in besonderer Weise in dieser geheiligten Kathedrale, die an die Gestalt des großen Missionars und Heiligen Augustinus erinnert, den Papst Gregor der Große hierhergesandt hat, damit durch seine Worte die Söhne und Töchter Englands zum Glauben an Christus finden. Liebe Brüder, wir alle sind für diese Worte des Hohenpriesterlichen Gebets Christi besonders empfänglich geworden. Die Kirche unserer Zeit ist die Kirche, die in besonderer Weise an dem Gebet Christi für die Einheit teilnimmt und nach Wegen zu dieser Einheit sucht, indem sie dem Geist gehorcht, der aus den Worten des Herrn spricht. Wir wollen gehorsam sein, besonders heute, an diesem historischen Tag, auf den Jahrhunderte und Generationen gewartet haben. Wir wollen ihm gehorsam sein, den Christus den Geist der Wahrheit nennt. 2. Am Pfingstfest des vergangenen Jahres haben sich Katholiken und Anglikaner mit Orthodoxen und Protestanten sowohl in Rom wie in Konstantinopel getroffen, um durch das Bekenntnis ihres gemeinsamen Glaubens an den Heiligen Geist, den Herrn und Lebensspender, des Ersten Konzils von Konstantinopel zu gedenken. Wieder sind wir am Vorabend des großen Pfingstfestes im Gebet versammelt, um unseren Vater im Himmel zu bitten, erneut den Heiligen Geist, den Geist Christi, über seine Kirche auszugießen. Denn es ist die Kirche, von der wir in den Worten des Glaubensbekenntnisses jenes Konzils bekennen, daß sie das Werk des Heiligen Geistes schlechthin ist, wenn wir sagen, „wir glauben an die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“. Die heutigen Evangeliumsabschnitte haben die Aufmerksamkeit im besonderen auf zwei Aspekte der Gabe des Heiligen Geistes gelenkt, den Jesus auf seine Jünger herabrief: Er ist der Geist der Wahrheit und der Geist der Einheit. Am ersten Pfingsttag kam der Heilige Geist auf die kleine Jüngerschar herab, um sie in der Wahrheit des Heils zu stärken, das Gott durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes der Welt zuteil werden ließ, und sie zu dem einen Leib Christi, der die Kirche ist, zusammenzuschließen. Daher wissen wir: Wenn wir beten, „alle sollen eins sein“, wie Jesus und sein Vater eins sind, geschieht dies eben darin, daß „die Welt glaubt“ und durch diesen Glauben gerettet wird (vgl. Joh 503 Reisen 17, 21). Denn unser Glaube kann nur der Glaube von Pfingsten sein, der Glaube, in dem die Apostel durch den Geist der Wahrheit bestärkt wurden. Wir glauben, daß der auferstandene Herr Macht hat, uns vor der Sünde und den Mächten der Finsternis zu retten. Wir glauben auch, daß wir berufen sind, „ein Leib und ein Geist in Christus zu werden“ (2. Eucharistisches Hochgebet). Der Glaube ist nicht frei von den Narben der Trennung 3. In wenigen Minuten werden wir zusammen unser Taufgelübde erneuern. Wir wollen dieses Ritual, an dem wir als Anglikaner und Katholiken gemeinsam teilnehmen, als klares Zeugnis für das eine Sakrament der Taufe vollziehen, durch das wir mit Christus verbunden worden sind. Zugleich sind wir demütig dessen eingedenk, daß der Glaube der Kirche, auf den wir uns berufen, nicht frei von den Narben unserer Trennung ist. Wir werden miteinander unsere Absage an die Sünde erneuern, um klarzustellen, daß wir glauben, daß Jesus Christus die Macht des Satans über „die Welt“ überwunden hat. Wir werden erneut unsere Absicht bekennen, uns von allem, was böse ist, abzuwenden und uns Gott zuzuwenden, der der Stifter alles Guten und die Quelle alles Heiligen ist. Wenn wir wieder unser Glaubensbekenntnis an den dreieinigen Gott -den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist - ablegen, finden wir große Hoffnung in der Verheißung Jesu: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14, 26). Die Verheißung Christi schenkt uns Vertrauen in die Macht dieses Heiligen Geistes, daß er die Spaltungen heilen möge, die im Laufe der Jahrhunderte seit dem ersten Pfingsttag in die Kirche eingeführt worden sind. Auf diese Weise wird die Erneuerung unseres Taufgelübdes zur Herausforderung, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um mit der Gnade des Heiligen Geistes zusammenzuarbeiten, der allein uns zu dem Tag führen kann, wo wir miteinander die Fülle unseres Glaubens bekennen. 4. Wir können vertrauensvoll unser Gebet für die Einheit heute an den Heiligen Geist richten, denn nach der Verheißung Christi wird der Geist, der Beistand, immer bei uns sein (vgl. Joh 14, 16). Voll Zuversicht wagte es Erzbischof Fisher, während des Zweiten Vatikanischen Konzils Papst Johannes XXIII. einen Besuch abzustatten, und voll Zuversicht besuchten die Erzbischöfe Ramsey und Coggan Papst Paul VT. Mit nicht weniger Zuversicht bin ich der Stimme des Heiligen Geistes gefolgt, um heute bei euch in Cänterbury zu sein. 504 Reisen 5. Meine lieben Brüder und Schwestern der anglikanischen Kirchengemeinschaft, „die ich liebe und nach denen ich mich sehne“ {Phil4, 1), wie glücklich bin ich, daß mir die Möglichkeit gegeben ist, heute in dieser großartigen Kathedrale direkt zu euch zu sprechen! Der Bau selbst ist ein beredtes Zeugnis sowohl für die langen Jahre unseres gemeinsamen Erbes als auch für die traurigen Jahre der darauffolgenden Spaltung. Unter diesem Dach erlitt der hl. Thomas Becket den Märtyrertod. Hier erinnern wir uns der Heiligen Augustinus, Dunstan und Anselm und aller jener Mönche, die einen so eifrigen Dienst in dieser Kirche leisteten. Die großen Ereignisse der Heilsgeschichte werden auf den alten bunten Glasfenstern über uns wiedergegeben. Und wir haben hier die Bibelhandschrift bewundert, die vor 1300 Jahren von Rom nach Canterbury gesandt wurde. Ermutigt durch das Zeugnis so vieler, die im Laufe der Jahrhunderte ihren Glauben an Jesus Christus bekannt haben - oft auf Kosten ihres eigenen Lebens, ein Opfer, das selbst heute nicht wenigen abverlangt wird, woran uns die neue Kapelle, die wir besuchen werden, erinnert —, rufe ich an diesem heiligen Ort euch alle, meine christlichen Brüder, und besonders die Mitglieder der Kirche von England und die Mitglieder der anglikanischen Kirchengemeinschaft überall in der Welt auf, die Verpflichtung anzunehmen, die Erzbischof Runcie und ich uns heute vor euch erneut auferlegen. Es ist die Verpflichtung, zu beten und für die Versöhnung und kirchliche Einheit zu wirken entsprechend dem Geist und Herzen unseres Erlösers Jesus Christus. 6. Bei diesem ersten Besuch eines Papstes in Canterbury komme ich in Liebe zu euch - in der Liebe des Petrus, zu dem der Herr sagte: „Ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du wieder zurückgefunden hast, dann stärke deine Brüder“ (Lk 22, 32). Ich komme zu euch auch in der Liebe des Papstes Gregor, der den hl. Augustinus hierhergesandt hat, damit er die Herde des Herrn weide (vgl. 1 Petr 5; 2). Wie es jeder Diener des Evangeliums tun muß, spreche ich heute die Worte des Meisters nach: „Ich aber bin unter euch wie der, der bedient“ (Lk 22, 27). Ich bringe euch, liebe Brüder und Schwestern der anglikanischen Kirchengemeinschaft, die Hoffnungen und Wünsche, die Gebete und den guten Willen aller mit, die mit der Kirche Roms in Einheit stehen, von der seit den frühesten Zeiten gesagt wurde, daß sie „den Vorsitz in der Liebe führt“ (Ignatius, Ad Romanos, Prooem.). 7. In wenigen Augenblicken wird sich Erzbischof Runcie mir anschließen 505 Reisen und die Gemeinsame Erklärung unterzeichnen, in welcher wir die Schritte anerkennen, die wir auf dem Weg zur Einheit bereits unternommen haben, und die Pläne darlegen, die wir Vorhaben, sowie die Hoffnungen, die wir für den nächsten Abschnitt unseres gemeinsamen Pilgerweges in uns tragen. Und doch werden diese Hoffnungen und Pläne sich zerschlagen, wenn unser Bemühen um Einheit nicht in unserer Einheit mit Gott seine Wurzeln hat. Denn Jesus sagte: „An jenem Tag werdet ihr erkennen: Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir, und ich bin in euch. Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren“ (Joh 14, 20-21). Diese Liebe Gottes wird in der Person des Heiligen Geistes, des Geistes der Wahrheit und der Einheit, über uns ausgegossen. Wir wollen uns seiner mächtigen Liebe öffnen, wenn wir darum beten, daß wir, indem wir die Wahrheit in Liebe verkünden, alle in jeder Weise auf den hin wachsen mögen, der das Haupt ist: unser Herr Jesus Christus (vgl. Eph 4, 15). Möge uns der von uns begonnene Dialog zum Tag der vollen Wiederherstellung der Einheit im Glauben und in der Liebe hinführen! 8. Am Abend seines Leidens sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“ (Joh 14,15). Wir fühlten uns gedrängt, heute hier zusammenzukommen in Gehorsam gegenüber dem großen Gebot: dem Gebot der Liebe. Wir wollen es in seiner Gesamtheit umfassen, ganz aus ihm leben und die Kraft dieses Gebots in Übereinstimmung mit den Worten des Meisters erfahren: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, weil er bei euch bleibt und in euch sein wird“ (Joh 14, 16-17). Die Liebe wächst durch die Wahrheit, und die Wahrheit nähert sich dem Menschen durch die Liebe. Dessen eingedenk richte ich an den Herrn das folgende Gebet: O Christus, mögen alle, die an der heutigen Begegnung teilnehmen, aus dem Geist der Wahrheit geboren werden und durch die Liebe Früchte tragen. Siehe unsere Vergangenheit und unsere Zukunft! Siehe das Sehnen so vieler Menschenherzen! Du, der Herr der Geschichte und der Herr der Menschenherzen, stehe uns bei! Christus Jesus, ewiger Sohn Gottes, bleibe bei uns! Amen. 506 Reisen Nach jenem Tage Ausschau halten . . . Ansprache bei der Begegnung mit den Vertretern des Britischen Rats der Kirchen in Canterbury am 29. Mai Liebe Brüder in Jesus Christus! 1. Tief befriedigt erlebe ich die Begegnung, die der Herr uns heute geschenkt hat. Sie ist eine Ergänzung zum Dienst des Gebetes und des Gotteslobes, der uns eben in der Kathedrale von Canterbury vereint hat, und weist klar auf das Werk der Versöhnung hin, das uns allen auf gegeben ist. „Das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat“ (2 Kor 5,18). „Das alles kommt von Gott“ — sein Werk ist es, das wir zu vollbringen, sein Wille, den wir zu erfüllen suchen. Durch die Taufe und das hohe Maß an gemeinsamem Glauben, das wir eben in der Kathedrale feierlich zum Ausdruck gebracht haben, hat er unter uns schon eine gewisse Gemeinschaft geschaffen, die ebenso wirklich wie begrenzt ist. Sie ist in der Tat eine geistliche Gemeinschaft, „die Gemeinschaft des Heiligen Geistes“ (2 Kor 13, 13), dessen Herabkunft auf die Kirche wir morgen erneut begehen. 2. Doch kann und darf diese Gemeinschaft im Geist nichts Abstraktes bleiben. Sie muß ihren Ausdruck im Leben unserer Kirchen und Gemeinschaften finden. Sie muß ausreichend sichtbar sein, um auch heute ein Zeugnis zu sein, das wir gemeinsam von unserem Willen zur Einheit der Christen geben in einer Welt, die so tragisch gespalten und deren Frieden von so vielen Seiten her bedroht ist. Aus diesen Gründen ist es eine Freude für mich, von euch von euren Hoffnungen auf ein Hineinwachsen der Christen dieser Länder in eine tiefere Gemeinschaft zu hören, ein Wachsen, das uns allen durch Gottes Gnade aufgegeben ist, ein Wachsen, das wir alle zu fördern entschlossen sind, welche Schwierigkeiten uns auch immer begegnen mögen. Ich habe mit herzlicher Freude von der Zusammenarbeit der katholischen Kirche nicht nur mit einzelnen Kirchen und Gemeinschaften, sondern auch in zahlreichen Initiativen des Britischen Rates der Kirchen erfahren. Mit Freude habe ich weiter zur Kenntnis genommen, welch vertrauensvolle Beziehungen zwischen den katholischen Bischöfen und den Leitern anderer Kirchen und Gemeinschaften bestehen, denn das erleichtert sehr 507 Reisen die Zusammenarbeit bei der Evangelisierung auf Gebieten, in denen das bereits möglich ist. 3. Sie haben zu mir freimütig von Ihren Hoffnungen und Problemen gesprochen. Doch können wir bei einer kurzen und informellen Begegnung wie dieser natürlich nicht alles diskutieren. Ich hoffe aber - und ich bin sicher, Sie tun es auch -, daß unsere Begegnung heute morgen nicht das Ende dieses fruchtbaren Austausches ist, sondern vielleicht mehr Beginn. Gern möchte ich annehmen, daß einige von Ihnen in nicht allzu ferner Zeit an einen Rombesuch gemeinsam mit Vertretern der Bischofskonferenzen Großbritanniens denken, um weitere Gespräche mit dem Sekretariat für die Einheit der Christen und mit anderen Ämtern der Römischen Kurie zu führen. Damit soll es uns, so Gott will, gelingen, auf dem heute so glücklich gelegten Fundament weiterzubauen. 4. Noch einmal danke ich Ihnen für die Freundlichkeit, daß Sie gekommen sind, um mit mir zusammenzutreffen. Ich bin mir bewußt, daß Sie deshalb eine wichtige vom Britischen Rat der Kirchen organisierte Tagung unterbrochen haben. Wenn Sie dorthin zurückkehren, versichern Sie bitte allen Teilnehmern, daß der Papst nach jenem Tag Ausschau hält, wo wir in Erfüllung des Willens Christi alle eins sein werden - eins mit ihm und eins untereinander. Gebe Gott, daß dieser Tag nicht mehr lange auf sich warten läßt. „Friede sei mit den Brüdern, Liebe und Glaube von Gott, dem Vater, und Jesus Christus, dem Herrn. Gnade und unvergängliches Leben sei mit allen, die Jesus Christus, unseren Herrn, lieben“ (Eph 6, 23—24). Amen. „Licht“ und „Salz“ für die Welt sein! Predigt bei der Messe im Londoner Wembley-Stadion am 29. Mai Meine Brüder und Schwestern in Christus! 1. Nach der Himmelfahrt Christi kehrten die Apostel in das Obergemach zurück, wo Jesus die Eucharistie eingesetzt und wo er erklärt hatte, daß das Gesetz der Liebe das erste und wichtigste seiner Gebote sei. Dort 508 Reisen „verharrten sie einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern“ (Apg 1, 14). In einer ähnlichen geistlichen Atmosphäre sind wir heute abend hier zusammengekommen. Am Abend vor Pfingsten feiere ich mit euch diese Messe. Wir wollen gemeinsam unsere Tauf versprechen erneuern - und uns so selbst unserem himmlischen Vater im Anschluß an das Opfer Christi in der Eucharistie darbringen. Wir wollen miteinander über das Wort Gottes nachdenken. Die Apostel in dem Obergemach hatten Angst. Sietbeteten. Und auch wir beten, denn wir werden von Ängsten und Schwächen bedrängt. „Auch wir . . . seufzen in unserem Herzen und warten auf die Erlösung unseres Leibes“; auch wir harren aus in Geduld und warten auf den Geist, der kommen wird, um uns in unserer Schwachheit beizustehen (vgl. Rom 8, 22-26). Bedauerlicherweise sind nicht alle Jünger des Herrn voll und ganz eins im Glauben und in der Liebe. Das ist einer der Gründe, warum ich nach Großbritannien gekommen bin und warum ich heute eine Pilgerfahrt zur Kathedrale nach Canterbury unternommen habe. Vor allem aber bin ich gekommen, um der katholischen Gemeinschaft einen Pastoralbesuch abzustatten; um die Kirche in England und in Wales zu besuchen; um mit euch unsere gemeinsame Liebe und Begeisterung für das Evangelium Jesu Christi zu erneuern; um euch in eurem Glauben zu stärken und an eurer Freude und euren Hoffnungen, an euren Sorgen und euren Ängsten teilzunehmen. Die einzigartige Würde eines jeden Menschen 2. Wenn ich auf diese große Versammlung blicke, bin ich voll Achtung für jeden von euch. Ihr seid Gottes Söhne und Töchter; er liebt euch. Ich glaube an euch. Ich glaube an die ganze Menschheit. Ich glaube an die einzigartige Würde jedes Menschenwesens. Ich glaube, daß jede Person einen Wert besitzt, der niemals unbeachtet gelassen oder aufgehoben werden kann. Doch ich weiß auch, daß oft, allzuoft, Menschenwürde und Menschenrechte nicht geachtet werden. In sinnlosen Konflikten steht Mensch gegen Mensch, Klasse gegen Klasse. Einwanderer, Leute anderer Hautfarbe, Religion oder Kultur leiden unter Diskriminierung und Anfeindung. Das Herz des Menschen ist ruhelos und von Sorgen geplagt. Der Mensch erobert den Weltraum, aber ist unsicher in bezug auf sich selbst; er ist bestürzt über die Richtung, die er eingeschlagen hat. Es ist tragisch, daß unsere Beherrschung der Technik größer ist als unser Wissen von uns 509 Reisen selbst. Das alles muß geändert werden. „Herr, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen . . . Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde“ (Ps 104, 24.30). Laßt uns darum bitten: daß wir durch die Kraft des Heiligen Geistes in der Tiefe unserer Herzen erneuert werden. 3. Wir wollen gemeinsam unser Taufversprechen erneuern. Wir werden der Sünde und dem falschen Glanz des Bösen und Satan, dem Vater der Sünde und Fürsten der Finsternis, widersagen. Wir werden uns zu unserm Glauben an den einen Gott, an seinen Sohn, unseren Retter und Erlöser Jesus Christus, an das Kommen des Heiligen Geistes, an die Kirche, an das ewige Leben bekennen. Und wir werden Verantwortung übernehmen für das, was wir sagen, und durch einen Bund eng mit unserem Gott verbunden sein. 4. Brüder und Schwestern! Um diesem Bund treu zu sein, müssen wir ein Volk des Gebets und tiefer Spiritualität sein. Unsere Gesellschaft muß wieder ein Gefühl für die liebende Gegenwart Gottes und ein neues Gefühl der Achtung für seinen Willen gewinnen. Laßt uns das von Maria, unserer Mutter, lernen. In England, „der Mitgift Mariens“, pilgerten die Gläubigen jahrhundertelang zu ihrem Heiligtum in Walsingham. Heute kommt Walsingham ins Wembley-Stadion, und die Statue der Muttergottes von Walsingham, die hier anwesend ist, erhebt unsere Herzen und läßt uns über unsere Mutter nachdenken. Sie hat Gottes Willen furchtlos gehorcht und durch die Kraft des Heiligen Geistes den Sohn Gottes geboren. Treu zu Füßen des Kreuzes wartete sie dann im Gebet auf den Heiligen Geist, der auf die junge Kirche herabkommen sollte. Maria ist es, die uns lehren wird, wie wir schweigend verharren, wie wir inmitten einer geschäftigen, lauten Welt auf die Stimme Gottes hören sollen. Es ist Maria, die uns helfen wird, Zeit zum Gebet zu finden. Durch den Rosenkranz, das große evangelische Gebet, wird sie uns helfen, Christus kennenzulernen. Wir müssen leben wie sie, in der Gegenwart Gottes, indem wir unsere Sinne und Herzen zu ihm erheben in unserem Alltagsleben und unseren Alltagssorgen. Mögen eure Heime Schulen des Gebets für Eltern und Kinder werden. Gott sollte das lebendige Herz eures Familienlebens sein. Haltet den Sonntag heilig. Geht jeden Sonntag zur Messe. Bei der Messe versammelt sich das Volk Gottes in Einheit um den Altar zu Gottesdienst und Fürbitte. Bei der Messe machen wir das große Vorrecht unserer Taufe 510 Reisen geltend: Gott zu preisen in Vereinigung mit Christus, seinem Sohn; Gott zu preisen in Vereinigung mit seiner Kirche. Besonders wichtig ist für euch, daß ihr mit euren Bischöfen vereint seid. Sie sind die Nachfolger der Apostel; sie sind die Hüter und Lehrer des wahren Glaubens. Liebt und achtet sie und betet für sie; ihnen wurde die Aufgabe übertragen, euch zu Christus zu führen. Und ihr, meine heben Brüder im Priesteramt, habt eine besondere Verantwortung. Ihr müßt den Leib Christi aufbauen. Ihr müßt die Laien in ihrer besonderen Berufung in der Gesellschaft ermutigen. Ihr müßt ihnen dabei helfen, „Christus anzugehen“. Ihr müßt ihnen in ihrem Christenleben beistehen und sie zu immer größerer Heiligkeit herausfordern. Öffnet eurem Volk die Schätze der Liturgie der Kirche. Feiert die Messe mit Verständnis, Ehrfurcht und Liebe. Weist weiterhin auf die Wichtigkeit des häufigen Kommunionempfanges hin. Ermutigt zum regelmäßigen Beichten. Die Beichte ist ein Sakrament von bleibender Kraft und Bedeutung. Schafft in euren Pfarreien eine Atmosphäre ryid Praxis innigen Gebets und intensiven Gemeindelebens. 5. Brüder und Schwestern, um unserem Bund mit Gott treu zu sein, müssen wir nicht nur ein Volk sein, das betet, sondern auch ein Volk, das den Willen des Vaters im Himmel tut. Auch hier lehrt uns wieder Maria, wie wir das tun sollen. Durch ihren Gehorsam nahm sie den gesamten Plan Gottes für ihr Leben an. Und dadurch gelangte sie zur Größe. „Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1, 45). Wir bringen unsere tatsächliche Annahme des Wortes Gottes dadurch zum Ausdruck, daß wir die sittlichen Forderungen unserer christlichen Berufung respektieren. Und die Erfüllung dieser Forderungen ist ein Akt liebenden Gehorsams gegenüber der Person Jesu Christi, dem menschgewordenen Wort Gottes. Wenn unser Glaube stark ist, werden die moralischen Forderungen des christlichen Lebens — auch wenn sie bisweilen nicht leicht zu erfüllen sind und sie immer Bemühung und Gnade erfordern - weder unvernünftig noch unmöglich erscheinen. Sicher wird uns unsere Treue zum Evangelium in Gegensatz zum Geist „der heutigen Zeit“ bringen. Ja, wir befinden uns in der Welt, ja, wir sind als Jünger Christi in die Welt gesandt worden, aber, wir sind nicht von der Welt (vgl. Joh 17, 16.18). Der Konflikt zwischen bestimmten Werten der Welt und den Werten des Evangeliums gehört unvermeidlich zum Leben der Kirche, so wie er unvermeidlich zum Leben eines jeden von uns gehört. Hier müssen wir die „Geduld“ anlegen, von der der hl. Paulus zu uns in der 511 Reisen zweiten Lesung sprach. Wir seufzen in unserem Herzen und warten auf unsere Rettung in Hoffnung und in Geduld (vgl. Röm 8, 23-25). Als Bild und Gleichnis Gottes geschaffen 6. Ich habe schon oft über den Verfall der Achtung vor den moralischen Grundwerten gesprochen, die unentbehrlich sind für das christliche Leben. Ja, moralische Werte sind unentbehrlich für das Leben aller Menschen als frei Handelnde, die als Bild und Gleichnis Gottes geschaffen wurden und für eine höhere Schöpfung bestimmt sind. Die Welt hat weitgehend die Achtung vor dem menschlichen Leben vom Augenblick der Empfängnis an verloren. Sie ist schwach bei der Aufrechterhaltung der unauflöslichen Einheit der Ehe. Sie versäumt es, für die Beständigkeit und Heiligkeit des Familienlebens einzutreten. Es gibt eine Krise der Wahrheit und Verantwortung in den menschlichen Beziehungen. Selbstsucht, Egoismus überwiegen. Sexuelle Permissivität und Drogensucht zerstören das Leben von Millionen Menschen. Die internationalen Beziehungen werden von Spannungen belastet, oft wegen übergroßer Ungleichheiten und ungerechter wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und politischer Strukturen und wegen der verlangsamten Anwendung der notwendigen Gegenmittel. Dem allen liegen oft eine falsche Auffassung vom Menschen und seiner einzigartigen Würde und eher Machtgier als der Wunsch zu dienen zugrunde. Sollen wir Christen uns mit einer solchen Lage der Dinge abfinden? Sollen wir das Fortschritt nennen? Sollen wir die Achseln zucken und sagen, es könne eben nichts getan werden, um das alles zu ändern? Meine Brüder und Schwestern, das Wesen unserer christlichen Berufung besteht darin, daß wir für die Welt, in der wir leben, „Licht“ und „Salz“ sind. Haben wir keine Angst: „Der Geist nimmt sich unserer Schwachheit an“ {Röm 8, 26). Denkt immer an das Bild von Maria und den Aposteln, die zu Pfingsten in Jerusalem versammelt waren. Denkt daran, daß derselbe Heilige Geist, der ihre Herzen und Sinne erfüllte, heute die ganze Kirche erfüllt. Und er bringt uns die schönsten und wirksamsten Gaben: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“ {Gal 5, 22). Laßt uns die Worte Jesu tatsächlich annehmen: „Wer Durst hat, komme zu mir und trinke“ {Joh 7, 37). Dann werden wir seine Gabe empfangen: „Aus unserem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen . . . Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn 512 Reisen glauben“ (ebd.). Durch die Kraft des Geistes werden wir zu einem Volk werden, das betet: denn der Geist selber wird in uns und für uns beten (vgl. Röm 8, 26). Und wir werden ein heiliges Volk werden. Meine heben Brüder und Schwestern in Christus! Verwirklicht die Größe eurer christlichen Berufung! Christus hat euch aus der Dunkelheit in sein wunderbares Licht gerufen. Denkt nach über das, was Gott für euch in der Taufe gewirkt hat, und erhebt eure Augen und seht die endgültige Herrlichkeit, die auf euch wartet. „Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, wie groß bist du! Herr, wie zahlreich sind deine Werke! Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde“ (Ps 104, 1.24.30). Amen. Die Opfer unserer Brüder nicht vergebens Ansprache bei der Begegnung mit der polnischen Gemeinde im Sportzentrum „Crystal-Palace“ in London am 30. Mai Liebe Brüder und Schwestern, liebe Landsleute! 1. Mit wunderbarer Kraft haben sich mir die Worte von Kardinal Heenan, des damaligen Primas von England, ins Gedächtnis eingeprägt, als er während des Konzils die polnischen Bischöfe besuchte, die im Kolleg auf dem Aventin wohnten, und seine Rede begann mit den Worten: „Die polnischen Flieger haben Großbritannien gerettet!“ Ich beziehe mich heute auf diese Worte, weil mir scheint, daß man in ihnen eine Antwort auf die Frage nach eurer Identität hier suchen sollte. Wer seid ihr? Seid ihr nur eine Gemeinschaft von Emigranten, ähnlich vielen anderen, die es auf der ganzen Erde gibt? Das gewiß. Und sicher läßt sich hier die Analogie zu der großen Auswanderungsbewegung des vorigen Jahrhunderts suchen, die sich vor allem auf Frankreich konzentrierte. Und doch ist da etwas Besonderes, das es in gewisser Hinsicht nicht erlaubt, an euch in den Kategorien der „Emigration“ zu denken; ja, dies gilt zumindest für diejenigen, die Kardinal Heenan vor Augen hatte, als er sagte: „Die polnischen Flieger haben Großbritannien gerettet!“ Man kann also nicht vom Begriff „Emigration“ aus an euch denken; man muß von der Wirklichkeit „Vaterland“ ausgehen. Es stimmt, daß es schon 513 Reisen vor dem Zweiten Weltkrieg in England eine bestimmte Anzahl polnischer Emigranten gab. Diejenigen jedoch, die im Rahmen der Kriegsereignisse dorthin kamen, waren keine Emigranten. Polen war von Grenzlinien, von seinen Schlachtfeldern zerrissen. Das Polen, das erst 20 Jahre zuvor wieder zu unabhängigem Dasein erwacht war; das Polen, das dabei war, sich aus den jahrhundertealten Zerstörungen und Schäden wiederaufzurichten; das Polen schließlich, das man erneut wie im 19. Jahrhundert zu teilen versuchte, indem man mit den übermächtigen Kräften der Invasoren ihm einen schrecklichen und mörderischen Krieg auferlegte. So ist es. Was wir heute üblicherweise als „englisches Polen“ bezeichnen, wurde der innerste Kern von Polen, das für die heilige Sache seiner Unabhängigkeit kämpfte. Dieses Polen waren die Flieger, die die britischen Inseln verteidigten; die Divisionen und Brigaden, die bei Narvik kämpften; die Divisionen und Brigaden, die aus den Sowjetrepubliken Osteuropas und Asiens über Persien, den Nahen Osten, Ägypten und Libyen auf die Apenninenhalbinsel nach Monte Cassino gelangten und zur Wiederherstellung der Freiheit Italiens beitrugen. Ich habe auch noch das Spruchband vor Augen, das über der Straße angebracht war, welche in Bologna vom Gefallenenfriedhof zum Stadtzentrum führt und durch die ich am 18. April dieses Jahres fuhr; auf dem Spruchband hieß es: „Auf dieser Straße kamen Deine Landsleute und brachten uns die Freiheit - auf derselben Straße bringst Du uns den Glauben.“ 2. Was ich sage, ergibt sich aus dem lebendigen Sinn der Geschichte. Ihr, die ihr das heutige „englische Polen“ geschaffen habt, seid für mich vor allem keine Emigranten, sondern in erster Linie der lebendige Teil von Polen, das, obgleich es fern von der Heimat ist, doch immer es selbst bleibt. Ja, es lebt in der Überzeugung, daß in ihm, in diesem Teil, in besonderer Weise das ganze Polen lebt. Wenn ich mich als Pilger, als päpstlicher Pilger und zugleich als Sohn desselben Landes wie ihr auf englischem Boden eingefunden habe, muß ich vor allem dieser Wahrheit über euch Ausdruck geben: der Wahrheit, die ich immer empfunden habe. Ich habe ihre organische Echtheit und zugleich ihre tiefe Tragik empfunden. 3. Denn man kann nicht, wenn man euch das unwiderrufliche Recht zuerkennt, ursprünglich ein besonderer Teil Polens zu sein; Regierung, Heer, Verwaltung, Machtstrukturen für das Land und außerhalb von ihm, man kann nicht, sage ich, besonders im Laufe der Jahre, die schmerzliche physische „Abwesenheit“ unberührt lassen, in die sich eure so lebendige 514 Reisen und so glänzende, historisch unersetzbare Anwesenheit Polens - außerhalb Polens - verwandeln sollte. Man muß nochmals an die Große Emigration und an jene großen, ganz großen Geister erinnern, die sich vom Gefühl für die lebendige Anwesenheit leiten ließen und, zur abwesenden Heimat gewandt, beteten: „Meine Heimat! Du bist wie die Gesundheit: dich voll und ganz zu schätzen, lernt nur derjenige, der dich verloren hat! Heute sehe und beschreibe ich deine Schönheit in ihrem ganzen Glanz, weil ich im Exil bin, verzehre ich mich nach dir!“ Irgendwie hat ein wunderbares Geheimnis der Gewissen und Herzen im vergangenen Jahrhundert seinen Anfang genommen und ist dabei, sich in diesem Jahrhundert zu wiederholen. Polen ist eines der meistgeprüften Länder auf Erden. Eines der am tiefsten vom Leid heimgesuchten und zugleich eines der am meisten geliebten Heimatländer. Mit dem Geheimnis dieser ungewöhnlichen Liebe zum Vaterland steht wahrscheinlich jene wunderbare geistliche Entrückung im Zusammenhang: Für viele ihrer Söhne und Töchter, und oft gerade für die besten, ist die Heimat auch bei physischer Abwesenheit geistig präsent. Und für diejenigen, die im Land leben, ist diese Abwesenheit nicht bloß Abwesenheit. Sie ist eine Herausforderung. Die „Abwesenden“ haben nicht nur „keine Gründe“; sie geben zugleich ein geschichtliches Zeugnis. Sie sprechen von Polen, wie es war und wie es sein muß. Sie sprechen davon, was sein wahrer Preis gewesen ist und was er bleibt. Darum sind eure Opfer und eure Mühe, das Blut so vieler unserer Brüder und Schwestern, auch wenn sie die Ziele, für die sie gekämpft haben, nicht voll erreichen konnten, doch nicht nutzlos gewesen. Die Geschichte, vor allem die Geschichte unseres Vaterlandes, ist voll edler Werke. Wir erkennen sie auch in der heutigen Zeit. Man weiß, daß die Bemühungen, deren Ziel die Freiheit, die Achtung der Menschenwürde, die Respektierung seiner Arbeit, die Möglichkeit, in Frieden nach dem eigenen Gewissen und den eigenen Überzeugungen zu leben, die gesteckten Ziele anscheinend nicht erreicht haben. Dennoch haben sie die Seele der Nation, ihr Bewußtsein verändert. Sie erheben die Seele. Sie zeigen, daß es im Leben noch andere - geistliche, sittliche - Werte gibt, die sich nicht mit den materiellen Werten vergleichen lassen, sondern entscheidende Werte in der echten Hierarchie des menschlichen Daseins sind. 4. Woher entspringt diese innere Kraft der polnischen Emigration? Ihre Quellen müssen an der Weichsel, im Glauben der Polen und in ihrer Kultur gesucht werden. Sie ist, wie ich auf meiner Pilgerreise in die 515 Reisen Heimat in Gnesen gesagt habe, „Ausdruck des Menschen. Der Mensch schafft sie - und durch sie schafft er sich selbst. . . Und zugleich bringt er in Gemeinschaft mit anderen die Kultur hervor . . . Die polnische Kultur ist ein Gut, auf das sich das geistige Leben der Polen stützt. Sie unterscheidet uns als Nation. Sie prägt mehr als wirtschaftliche Kraft, mehr auch als politische Grenzen. Es ist bekannt, daß die polnische Nation für mehr als 100 Jahre durch die schwere Prüfung verlorener Unabhängigkeit gegangen ist - und inmitten dieser Prüfung blieb sie sich treu. Geistig unterlag sie nicht, denn sie hatte ihre Kultur, mehr noch, sie hatte diese in der Zeit der Teilungen sogar noch bereichert und vertieft, denn Kultur kann man nur bewahren, wenn man sie schafft“ (Ansprache an die Jugendlichen in Gnesen am 3. Juni 1979, in: „Stark im Glauben. Johannes Paul II. in Polen", S. 47f.). Heute muß man sagen, daß es nach dem Zweiten Weltkrieg gleichfalls so war. Allgemein bekannt sind die Verdienste eurer Emigration auf dem Gebiet der Forschungen und Veröffentlichungen, die die Geschichte Polens betreffen, insbesondere seine Geschichte im vorigen Jahrhundert. Das ist ein großer Beitrag zur Kenntnis der wahren Geschichte der Nation. Würde dieser Beitrag an Forschung und Veröffentlichungen fehlen, wäre das Wissen um die Vergangenheit der nationalen Geschichte nicht vollständig. Ein schwieriges Erbe mutig übernehmen 5. In Gnesen habe ich auch gesagt, daß die polnische Kultur deutlich christliche Merkmale an sich trägt und daß nicht zufällig das älteste literarische Denkmal, das uns davon Zeugnis gibt, der Gesang „Boguro-dzica“ (Gottesgebärerin) ist. Zu diesen christlichen Wurzeln müssen wir immer wieder zurückkehren und aus ihnen in jedem Zeitalter neu wachsen, denn das ist die Wahrheit über den Menschen. Er muß sie immer aufs neue entdecken. Die Emigration wird ihre Sendung um so wirksamer erfüllen, je höher ihre sittliche Stufe sein wird, je eindeutiger Christus den Mittelpunkt ihres Lebens und Handelns bilden und je mehr sie glauben wird, daß allein er „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist (Joh 14, 6). In der Enzyklika Redemptor hominis habe ich geschrieben, daß „Jesus Christus dem Menschen jeder Epoche, auch der unseren, mit den gleichen Worten entgegengeht: ,Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ . . . Auch heute, nach 2000 Jahren, erscheint 516 Reisen uns Christus als der, der dem Menschen die Freiheit bringt, die auf der Wahrheit begründet ist. . (Nr. 12). Man muß sagen, daß ihr die Notwendigkeit der Verbindung mit dem Glauben und mit der Kirche begriffen habt und weiterhin begreift. Und darum umfaßte diese Emigration als Teil der Nation alle Schichten mit dem gesamten gesellschaftlichen Profil, mit den politischen, kulturellen, wissenschaftlichen und beruflichen Institutionen, aber auch mit der ganzen kirchlichen Organisation. Die Kirche war vom ersten Augenblick an mit ihren Strukturen zur Stelle; da war der Bischof, der unvergeßliche Erzbischof Jözef Gawlina und spätere Leiter der polnischen Mission in England; da waren die Priester und die religiösen Organisationen, die sich entwickelten. Diese Zentren gehörten zu denen, die als erste organisiert wurden. Dank des Verständnisses und des Wohlwollens von seiten der örtlichen Hierarchie, vor allem aber dank eurer Selbstlosigkeit und der opfervollen Arbeit der Priester sind so viele polnische Kirchen und Kapellen entstanden, die gerade der Vertiefung der Bindungen an Christus dienen und euch in die göttlichen Geheimnisse einführen, indem sie euch mit ihm verbinden. Bei den Pastoralzentren sind die polnischsprachigen Schulen eingerichtet worden. 6. Die Verbindung zur polnischen Kultur wird im Elternhaus, im religiösen Leben und im Vereinsleben hergestellt. Hingegen stellen die Schule, die höheren Studien und das Berufsleben die Verbindung zur Kultur des Aufenthaltslandes her. Die Bindung zwischen dem Land der Väter und dem Gastland verwirklicht sich auf der Ebene der Kultur. Diese gibt eine richtige Perspektive des Zusammenlebens und bereitet durch die Erziehung einen jungen Menschen sowohl auf die Aufgaben in der Emigration wie auf eine angemessene Lebenshaltung vor. Eine der wichtigsten Aufgaben ist daher die Weitergabe der eigenen Ideen an die jungen Generationen. Die Emigration muß der Erziehung des ganzen Menschen entsprechen. Nur dann wird die junge Generation fähig, die Idee der Freiheit und der Wahrheit von der ab tretenden Generation zu übernehmen. Die Erziehung des ganzen Menschen — die Erziehung zur Wahrheit und die Erziehung in der christlichen und polnischen Tradition - beginnt in der Familie. Der heutige Stand der öffentlichen Moral gewährleistet der Familie und insbesondere den Eltern nicht immer die notwendige Autorität, die ihnen zusteht. Dazu tragen verschiedene Ursachen bei. Die Familie bedarf also einer besonderen pastoralen Fürsorge. Nur die Familie, die auf Gott baut, die 517 Reisen sich ihrer christlichen Verpflichtungen bewußt ist, ist imstande, die Aufgaben der Erziehung des ganzen Menschen zu übernehmen, da, wie ich bei anderer Gelegenheit gesagt habe, „die Erziehung des Menschen sich nicht nur mit Hilfe von Institutionen, organisierten und materiellen Mitteln vollzieht, mögen diese auch ausgezeichnet sein . . . das Wichtigste ist immer der Mensch, der Mensch und seine moralische Autorität, die sich aus der Wahrheit seiner Prinzipien und der Übereinstimmung seiner Handlungen mit diesen Prinzipien ergibt“ (Ansprache an den Exekutivrat der UNESCO in Paris am 2. Juni 1980, Nr. 11). Ich erhebe heute an diesem Ort meine Stimme mit den Worten des Apostolischen Schreibens Familiaris consortio: „Familie, entdecke diesen unüberhörbaren Appell, der in dir selbst vorhanden ist! Familie, ,werde“, was du ,bist‘! Vom göttlichen Wort und Sakrament als Hauskirche zusammengeführt, wird die Familie wie die große Kirche zugleich zur Mutter und Lehrerin!“ (vgl. Nr. 17, 38). 7. Ihr wolltet, daß unsere heutige Begegnung mit eurer Hauptwallfahrt aus Anlaß der 600-Jahr-Feier des wundertätigen Gnadenbildes in Jasna Göra zusammentrifft. Wir wissen, was dieses Heiligtum, dieses Bild von Jasna Göra für die polnische Nation bedeutet hat und bedeutet. Indem ich mich dieser eurer gemeinsamen Absicht anschließe und sie zur meinen mache, erlaubt mir, die große Gestalt des verstorbenen Primas von Polen, Kardinal Stefan Wyszynski, in Erinnerung zu rufen. Ich tue dies bei unserer Zusammenkunft am ersten Jahrestag seines Todes und Begräbnisses, seines Hinübergangs aus diesem irdischen Vaterland, dem er so ungebrochen diente, in das Haus des Vaters. Ich tue dies bei der heutigen Zusammenkunft mit derselben Liebe, die alle Polen in der Heimat und im Ausland zu ihm hegten; sie sahen in ihm den Mann der Vorsehung, der dem Vaterland in Zeiten schwieriger Entscheidungen und in der Zeit des neuen Weges geschenkt worden war. In ihm sehe ich, wie ihr alle, den Menschen, der in der Tiefe seiner Seele mit dem Geheimnis der Mutter von Jasna Göra verbunden ist, das im Leben ihrer Kinder und im Leben unserer Nation gegenwärtig ist. Diejenigen, die die Heimat, sei es auf der Suche nach Brot, sei es aus anderen Gründen, verließen, trugen das Bild von Jasna Göra oder Ostro-brama bei sich. Es war ein äußeres Zeichen ihres Glaubens und ihrer Anhänglichkeit an Christus und an Polen. Die ersten Emigranten in diesem Land im vorigen Jahrhundert haben das Bild der Muttergottes von Tschenstochau nach Manchester und hierher nach London gebracht. Als 518 Reisen Kardinal August Hlond die erste Kirche in Devon weihte, weihte er sie der Muttergottes von Tschenstochau. Dieses Bild gab es während des letzten Krieges nahezu in allen Kapellen auf den Schlachtfeldern, und dieselben kleinen Bildchen fanden sich oft in den Uniformen der polnischen Soldaten. Die Bilder der Herrin von Tschenstochau finden sich in jeder Kirche, wo ihr euch zum Gebet und besonders zur Sonntagsmesse einfindet. Es ist nahezu in jedem Heim der Emigranten zu finden. Das Jubiläumsjahr ist das Jahr einer besonderen Erneuerung des Glaubens, des Familienlebens. Mit dem Blick auf Maria müssen sich die Eltern erneut ihrer Verantwortlichkeit und ihrer erzieherischen Aufgaben bewußt werden. Gewiß sprechen viele Familien den Appell von Jasna Gora, jenes: „Maria, Königin Polens, ich bin Dir nahe, ich denke an Dich, ich wache.“ Wir wollen ihr nahe sein und wachen! Ihr nahe sein und wachen müssen die Alten. Wachen müssen die Jungen. An euch, liebe, junge Freunde, wende ich mich in besonderer Weise. Habt den Mut, dieses schwierige Erbe zu übernehmen und zu entfalten! Es gibt heute so viele Probleme, so viele Werte, die verlangen, daß wir darüber wachen, daß der Mensch in sich, in seinen Bindungen und gesellschaftlichen Beziehungen nicht das Bild und Gleichnis Gottes auslöscht, das ihm vom Schöpfer eingeschrieben und von Christus erneuert wurde; daß er es nicht in den anderen auslöscht! 8. Nicht zufällig findet diese heutige, ungewöhnliche Begegnung am heiligen Pfingstfest statt. „Komm, o Geist der Heiligkeit, aus des Himmels Herrlichkeit sende deines Lichtes Strahl!“ Überzeuge uns, was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist (vgl. Joh 16, 8). Führe uns in die ganze Wahrheit ein (vgl. Joh 16, 13). Verherrliche Christus in uns, nimm von dem, was sein ist, und verkündige es uns (vgl. Joh 16, 14). Erinnere uns an alles, was Christus uns gesagt hat (vgl. Joh 14, 26). Unser Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht (vgl. Joh 14, 27). 519 Reisen Der Friede — auf gebaut wie eine Kathedrale Predigt bei der Messe am Flughafen von Coventry am 30. Mai Meine lieben Brüder und Schwestern in Jesus Christus! 1. Friede sei mit euch! An diesem hohen Pfingstfest grüße ich euch alle, die ihr aus so vielen Pfarreien in der Provinz Birmingham und darüber hinaus gekommen seid. Ich grüße auch unsere geliebten Brüder und Schwestern aus anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Ihre Anwesenheit bezeugt unsere eine Taufe in Jesus Christus und unsere Offenheit gegenüber dem einen Heiligen Geist. Und so ist mein erstes Wort an euch alle: „Friede sei mit euch!“ Wir befinden uns nahe bei der Stadt Coventry, einer im Krieg zerstörten, aber hoffnungsvoll wiederaufgebauten Stadt. Die Ruinen der alten Kathedrale und das neuerbaute Gotteshaus gelten weltweit als Symbol christlicher Versöhnung und christlichen Friedens. In dieser Messe beten wir: „Sende aus deinen Geist, o Gott, und das Gesicht der Erde wird neu.“ In diesem Gebet rufen wir Gott an, uns fähig zu machen, daß wir nicht nur im Symbol Versöhnung und Frieden zustande bringen, sondern auch in Wirklichkeit. 2. Unsere Welt ist durch Krieg und Gewalt entstellt. Die Ruinen der alten Kathedrale erinnern unsere Gesellschaft beständig an ihre Fähigkeit zu zerstören. Und heute ist diese Fähigkeit größer denn je. Die Menschen müssen unter dem düsteren Drohen nuklearer Gewalt leben. Und doch sehnen sie sich überall nach Frieden. Männer und Frauen guten Willens möchten gemeinsame Sache machen in ihrem Streben nach einer weltweiten Gemeinschaft der Brüderlichkeit und des Verstehens. Sie sehnen sich nach Gerechtigkeit, ja, aber nach erbarmender Gerechtigkeit. Weil wir uns in der Nähe von Shakespeares Geburtsort befinden, tun wir gut daran, folgendes zu beachten: „Daß nach dem Lauf des Rechts unser keiner zum Heile käm’; wir beten all’ um Gnade, und dies Gebet muß uns der Gnade Taten auch üben lehren“ (W. Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig, IV. Aufzug, 1). Worin besteht dieser Friede, nach dem wir uns sehnen? Was bedeutet dieser Friede, für den die neue Kathedrale von Coventry ein Symbol ist? Friede ist nicht nur Abwesenheit von Krieg, Er schließt gegenseitige Achtung und Vertrauen zwischen den Völkern und Nationen ein. Er 520 Reisen schließt Zusammenarbeit und bindende Verträge ein. Wie eine Kathedrale, so muß der Friede aufgebaut werden, geduldig und in unerschütterlichem Glauben. Wo immer die Starken die Schwachen ausbeuten, wo immer die Reichen die Armen ausnutzen, wo immer Großmächte nach Vorherrschaft streben und Ideologien auf drängen wollen, da wird nicht am Werk des Friedens gebaut, da wird die Kathedrale des Friedens wieder zerstört. Die moderne Kriegsführung - mit oder ohne Nuklearwaffen - wird heute aufgrund ihres Ausmaßes und ihrer Schrecken durchaus unannehmbar als Mittel, Differenzen zwischen Nationen auszutragen. Der Krieg sollte zur tragischen Vergangenheit, zur Geschichte gehören; in Zukunft sollte er in der Agenda der Menschheit keinen Platz mehr finden. Und so lade ich euch heute morgen ein, mit mir für die Sache des Friedens zu beten. Laßt uns inständig beten für die in Kürze beginnende Sondersitzung der Vereinten Nationen über das Thema der Abrüstung. Die Stimmen der Christen verbinden sich mit anderen, um die Verantwortlichen in der Welt dringend aufzufordern, die Konfrontation aufzugeben und sich von politischen Vorhaben abzuwenden, die den Nationen große Geldsummen für Massenzerstörungswaffen abverlangen. Wir beten an diesem Pfingstfest, der Heilige Geist möge die Verantwortlichen der Welt zur Aufnahme eines fruchtbaren Dialogs anregen. Möge der Heilige Geist sie führen, daß sie zum Schutz der Freiheit friedliche Wege beschreiten, auf denen nicht die Verwicklung in mögliche nukleare Katastrophen droht. Die Kathedrale des Friedens wird aber aus vielen kleinen Steinen aufgebaut. Jeder Mensch muß zu einem Baustein in diesem wunderbaren Bauwerk werden. Alle müssen sich überlegt und entschlossen für den Frieden einsetzen. Mißtrauen und Zwietracht zwischen den Völkern fangen im Herzen des einzelnen Menschen an. Das Werk des Friedens beginnt dann, wenn wir auf den drängenden Ruf Christi hören: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1, 15). Wir müssen umkehren vom Herrschen zum Dienen; wir müssen umkehren von der Gewalt zum Frieden; wir müssen uns von uns selbst weg zu Christus hin wenden, der allein uns ein neues Herz, ein neues Verstehen geben kann. Es ist Sache eines jeden, in diesem oder jenem Augenblick seines Lebens diesen Ruf Christi zu hören. Die Antwort eines jeden führt entweder zum Tod oder zum Leben. Der Glaube an Christus, das menschgewordene Wort Gottes, wird uns auf den Weg des Friedens führen. 3. Nun möchte ich gern noch besonders zu den jungen Leuten sprechen, die nachher das Sakrament der Firmung empfangen sollen. Das heutige 521 Reisen Evangelium ist für euch von besonderer Bedeutung, denn es sagt: „Jesus kam, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, daß sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!“ (Joh 20, 19-22). Die Gabe Christi, der Heilige Geist, soll nun in einer besonderen Weise auch über euch ausgegossen werden. Ihr werdet die Worte hören, die die Kirche über euch spricht und in denen sie den Heiligen Geist anruft, daß er euren Glauben festige, euch in eurer Liebe stärke und euch ausrüste zu seinem Dienst. Dann werdet ihr mit vollem Bürgerrecht im Gottesvolk euren Platz unter den Mitchristen der ganzen Welt einnehmen. Ihr werdet für die Wahrheit des Evangeliums im Namen Jesu Christi Zeugnis geben. Ihr werdet so leben, daß alles menschliche Leben heilig wird. Zusammen mit allen Gefirmten werdet ihr lebendige Steine in der Kathedrale des Friedens werden. Ja, ihr seid von Gott berufen, Werkzeuge seines Friedens zu sein. 4. Heute müßt ihr begreifen, daß ihr nicht allein seid. Wir sind ein Leib, ein Volk, eine Kirche Christi. Der Pate an eurer Seite vertritt für euch die ganze Gemeinschaft. Zusammen mit einer großen Schar von Zeugen jeden Alters und aus allen Völkern stellt ihr Christus dar. Ihr seid junge Menschen, die von Christus eine Sendung erhalten haben, denn er sagte heute zu euch: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Laßt mich kurz an zwei große Engländer erinnern, die euch heute in eurem Eifer bestärken können. Lernt vom Beispiel des heiligen Bonifa-tius, geboren in Crediton in Devon, einem eurer größten Landsleute wie auch einem der größten Missionare der Kirche. Der Heilige Geist, den er in den Sakramenten der Taufe und der Firmung empfing, stärkte Bonifa-tius in seiner persönlichen Liebe zu Christus und brachte ihn zur Reife des Glaubens. Dieser Glaube durchstrahlte sein ganzes Leben. Er verlangte danach, ihn mit andern zu teilen, auch mit Menschen in anderen Ländern. Und so half er in vollkommenem Vertrauen auf Gott und mit Mut und Ausdauer die Kirche auf dem europäischen Festland gründen. Auch ihr seid heute durch die Gabe des Heiligen Geistes innerlich gestärkt worden, so daß jeder von euch auf seine eigene Weise seinen Freunden und Gefährten die Frohe Botschaft bringen kann. Auch ihr müßt Mut und Ausdauer zeigen, um in allen Lebensverhältnissen nach der Richtschnur des Evangeliums zu leben. 522 Reisen Ich kann nicht in die Midlands kommen, ohne den großen Mann Gottes, den Pilger nach der Wahrheit, Kardinal John Henry Newman, zu erwähnen. Sein Suchen nach Gott und der vollen Wahrheit - Zeichen für das Wirken des Heiligen Geistes in ihm - machte ihn so sehr zum Beter und erfüllte ihn mit einer solchen Weisheit, daß wir heute noch Anregung davon empfangen. Ja, die vielen Jahre, in denen Kardinal Newman nach einem tieferen Verständnis des Glaubens suchte, sind ein Widerschein seines beharrlichen Vertrauens auf die Worte Christi: „Ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Er ist der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt“ (Joh 14, 16-17). Und so empfehle ich euch sein Beispiel standhaften Glaubens und Verlangens nach der Wahrheit. Er kann euch helfen, Gott näher zu kommen, in dessen Gegenwart er lebte und dessen Dienst er sich vollkommen hingab. Seine Lehre hat heute auch große Bedeutung bei unserem Streben nach der Einheit der Christen, nicht nur hier in diesem Land, sondern in der ganzen Welt. Ahmt seine Demut nach und seinen Gehorsam gegen Gott, betet um eine Weisheit gleich der seinen, eine Weisheit, die nur von Gott kommen kann. 5. „Jesus hauchte sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.“ An jenem ersten Pfingstfest gab unser Erlöser den Aposteln die Gewalt, Sünden zu vergeben, als er ihre Herzen mit der Gabe des Heiligen Geistes erfüllte. Der gleiche Heilige Geist kommt heute im Sakrament der Firmung zu euch, um euch noch tiefer in den Kampf der Kirche gegen die Sünde und ihre Sendung zur Förderung der Heiligkeit einzubeziehen. Er kommt, um euer Herz noch mehr zu erfüllen und bei euch zu bleiben, um euch zum Kampf gegen das Böse zu stärken. Meine lieben jungen Menschen, die Welt von heute braucht euch, denn sie braucht Männer und Frauen, die vom Heiligen Geist erfüllt sind. Sie braucht euren Mut und eure Hoffnungsfreude, euren Glauben und eure Beharrlichkeit. Die Welt von morgen wird von euch aufgebaut. Heute empfangt ihr die Gabe des Heiligen Geistes, damit ihr mit tiefem Glauben und mit ausdauernder Liebe ans Werk gehen könnt und dazu beitragt, der Welt die Früchte der Versöhnung und des Friedens zu bringen. Gestärkt durch den Heiligen Geist und seine vielgestaltigen Gaben, verpflichtet euch aus ganzem Herzen der Kirche in ihrem Kampf gegen die Sünde. 523 Reisen Strebt danach, selbstlos zu sein, bemüht euch, nicht von materiellen Dingen besessen zu sein. Seid aktive Mitglieder des Volkes Gottes; lebt versöhnt miteinander und in Hingabe an das Werk der Gerechtigkeit, das auf Erden Frieden stiften wird. 6. „Wie zahlreich sind deine Werke, Herr!“ (Ps 104, 24). Diese Worte des Antwortpsalms wecken Dankbarkeit in unseren Herzen und ein Loblied auf unseren Lippen. In der Tat, wie zahlreich sind die Werke des Herrn, wie groß ist das, was der Heilige Geist in der Firmung bewirkt! Wenn dieses Sakrament gespendet wird, erfüllen sich die Worte des Psalmisten unter uns: „Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Gesicht der Erde“ (Vers 30). Am ersten Pfingsfest kam der Heilige Geist auf die Apostel und auf Maria herab und erfüllte sie mit seiner Kraft. Heute gedenken wir dieser Stunde und öffnen uns selbst aufs neue für die Gabe dieses selben Heiligen Geistes. In diesem Geist sind wir getauft. In diesem Geist wurden wir gefirmt. In diesem Geist sind wir berufen, an der Sendung Christi teilzuhaben. Ja, in diesem Geist werden wir das pfingstliche Volk, die Apostel unserer Zeit. „Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe!“ Amen. Ein Symbol der Zuversicht Anspräche bei der Ankunft am Flughafen in Liverpool am 30. Mai Meine Brüder und Schwestern in Jesus Christus! 1. Ich danke euch für euren freundlichen Empfang. Ich danke dafür, daß ihr hierhergekommen seid, um mich zu begrüßen. Ich, meinerseits, grüße euch mit den Worten des Auferstandenen: Friede sei mit euch! Friede sei in euren Heimen, und der Friede Christi möge in eurem Geist und in euren Herzen herrschen. Es ist gut, hier zu sein. Ich freue mich, meinen ersten Besuch diesem Teil Englands und der Stadt Liverpool abstatten zu können, auf die ihr so stolz seid. Die Nähe des Meeres erinnert mich daran, daß ihr eine Seefahrernation 524 Reisen seid. Jahrhundertelang haben die Menschen dieser Inseln über das Meer Handel getrieben, über das Meer Entdeckungen gemacht und vom Meer gelebt. Ich denke auch an die vielen Missionare - Priester, Ordensschwestern und -brüder sowie Laien -, die von euren Häfen abfuhren, um ihren Teil zum Aufbau der Kirche in anderen Ländern beizutragen. Diese Männer und Frauen sind ein Zeichen der Lebendigkeit des Glaubens, den ihr erhalten und liebgewonnen habt. Ihre Fahrt auf das Meer ist ein Symbol der Zuversicht und des Vertrauens, das Christus von all seinen Jüngern fordert. Die Kirche teilt alle Härten und Leiden Es ist auch gut, wenn wir in unseren Gebeten derer gedenken, die auf dem Meer ihr Leben verloren haben und deren letzte Ruhestätte weder ein Grabstein noch ein Denkmal kennzeichnet. Mögen sie in Gottes Frieden ruhen. Eure Stadt Liverpool war schon vor langer Zeit ein großer Hafen. Menschen aus vielen Ländern ist sie zur Heimat geworden. In den vergangenen Jahrhunderten hat hier die Bevölkerung viel Leid erfahren aufgrund von Übeln wie Sklaverei und bitterer Armut. Ihr seid auch Zeugen der Errungenschaften der Technik und der menschlichen Entwicklung gewesen. Euer kostbarstes Erbe sind aber vielleicht alle diejenigen, die hier gekämpft haben, um die Übel der Gesellschaft zu besiegen und die Brüderlichkeit zu verwirklichen. Man hat mir gesagt, daß ihr auf diesem Gebiet euren eigenen Bahnbrecher habt, nämlich Pater Nugent. 2. In diesem Zusammenhang möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen und die Hochherzigkeit bestätigen, für die Großbritannien seit langem bekannt ist. Obwohl die Bindungen zwischen dieser Nation und anderen Teilen der Welt sich im Lauf der Zeit verändert haben, werden noch immer viele Hilfssendungen an Bedürftige, insbesondere in Entwicklungsländern, und seit kurzem in mein Heimatland geschickt. Ich erinnere mich, wie Kardinal Heenan, der einmal Erzbischof von Liverpool war, während des Zweiten Vatikanischen Konzils zu den polnischen Bischöfen sagte: „Es waren die polnischen Piloten, die im Krieg England gerettet haben.“ Seine Worte und eure jetzige Hilfe für Polen beweisen die starken Interessen- und Freundschaftsbande, die seit Jahren zwischen Polen und Großbritannien bestehen. Ich bete dafür, daß diese Bande ständig vertieft und erneuert werden. Ich hoffe, daß trotz aller Schwierigkeiten der Edelmut eurer Herzen nicht 525 Reisen nachläßt. Ich hoffe, daß ihr über Einrichtungen wie „Catholic Fund for Overseas Development“ fortfahren werdet den Armen zu helfen, die Hungrigen zu speisen und die Entwicklung zu fördern. Haltet immer eure biblische Tradition der liebenden Teilnahme und des Dienstes am anderen im Namen Jesu lebendig. 3. Unsere Zeit stellt uns viele Aufgaben und Probleme. Eine besondere Schwierigkeit möchte ich herausgreifen, nämlich die Arbeitslosigkeit. Ich weiß, daß ihr in Liverpool davon stark betroffen seid; sie ist eines der größten Probleme, das die Gesellschaft als ganze betrifft. Die Arbeitslosigkeit ist in vielen Ländern rapide angestiegen und hat für die einzelnen und die Familien Härten gebracht. Sie kann zu Bitterkeit, Zwietracht und sogar zu Gewalt führen. Jugendliche, die keine Arbeit finden können, fühlen sich um ihre Träume betrogen, während gekündigte Arbeiter sich abgelehnt und überflüssig fühlen. Diese Tragödie betrifft jede Seite des Lebens, von der materiellen und physischen bis hin zur geistigen und geistlichen. Darum ist die Kirche sehr bekümmert darüber, weil sie alle Härten und Leiden wie Freuden und Hoffnungen der Männer und Frauen unserer Zeit zu den ihrigen macht. Dies ist eine lebenswichtige Angelegenheit, und deshalb gelten ihr die Aufmerksamkeit und das Gebet aller Menschen guten Willens. 4. Ich begrüße sehr herzlich all die Behinderten, die heute zu mir hierhergekommen sind. Ihr habt einen besonderen Platz in meinem Herzen und in der Liebe Christi. Und ich versichere euch, daß ihr in der Kirche eine sehr wichtige Rolle spielt. Ihr und die Kranken und Gebrechlichen baut das Reich Gottes auf Erden, wenn ihr eure Leiden geduldig ertragt und sie mit Christus, unserem himmlichen Vater, als ein gefälliges Opfer darbietet. Wie der hl. Paulus sagte, helfen eure Leiden, „für seinen Leib“, die Kirche, „das zu ergänzen, was an den Leiden Christi noch fehlt“ (Kol 1, 24). Man hatte mir gesagt, daß ich bei meiner Fahrt durch Liverpool die „Hope Street“ entlangfahren werde. In diesem Namen sah ich spontan einen Ausdruck der Erwartungen der hier lebenden Menschen, einen Ausdruck ihrer Hoffnung für die Zukunft, besonders die Zukunft ihrer Kinder und ihrer Kindeskinder. Unsere heutige Jugend ist von vielen Gefahren und Problemen bedroht. Von der Arbeitslosigkeit habe ich schon gesprochen. Darüber hinaus gibt es Übel wie Alkoholismus und Drogenabhängigkeit, Pornographie, falsche Vorstellungen von Sexualität und zunehmende Kriminalität und Gewalt. 526 Reisen Wenn wir nicht die Hoffnung, nicht ein tiefes und unerschütterliches Vertrauen in die Macht und das Erbarmen Gottes hätten, könnten alle diese Krankheiten der Gesellschaft uns Enttäuschung, ja sogar Verzweiflung bringen. Und deshalb brauchen unsere Jugendlichen und wir alle mit ihnen die Tugend der Hoffnung, nicht eine Hoffnung, die auf Phantasie und Träumen oder auf dem Sichtbaren ruht, sondern eine Hoffnung, die aus dem Glauben an Gott erwächst, der uns liebt und unser gütiger und gnädiger Vater ist. „Er aber, der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können, er werde verherrlicht durch die Kirche und durch Jesus Christus in allen Generationen, für ewige Zeiten. Amen“ (Eph 3, 20-21). Das Geschenk der Versöhnung mit Gott Predigt bei der Messe in der Kathedrale von Liverpool am Pfingstsonntag, 30. Mai Gelobt sei Jesus Christus! 1. Nun da der Pfingstsonntag zu Ende geht, sind wir in diese Kirche, die Christ-Königs-Kathedrale hier in Liverpool gekommen, um die heilige Eucharistie zu feiern, die Quelle und der Höhepunkt des christlichen Lebens und das Sakrament der Einheit und Liebe. Auf meiner apostolischen Pilgerreise durch Britannien habe ich die Freude, nicht nur die Eucharistie zu feiern, sondern den Gläubigen der Ortskirchen auch andere Sakramente zu spenden. Ich hatte bereits Gelegenheit, zu taufen und zu firmen und das Sakrament der Krankensalbung zu spenden. Obwohl es heute abend nicht möglich ist, das Bußsakrament zu spenden, möchte ich dennoch die Bedeutung der Buße und Versöhnung im Leben der Kirche und im Leben ihrer einzelnen Mitglieder hervorzuheben. Vor zwei Jahren versammelte sich in dieser Kathedrale der Nationale Pastoralkongreß, um seine Arbeit mit einem Bußgottesdienst zu beginnen. Die Teilnehmer beteten damals um Heil und Erbarmen und um die Gnade, Gottes Willen treu zu sein. Sie beteten um Licht und Weisheit, die ihre Beratungen leiten und ihre Liebe zur Kirche vertiefen sollten. Heute abend sind wir um denselben Altar versammelt, um dem Herrn Ehre und 527 Reisen Lob darzubringen und unseren Gott zu preisen, der reich ist an Erbarmen. Wir sehen, wie dringend notwendig Umkehr und Versöhnung sind. Wir beten auch um Verständigung dort, wo Uneinigkeit und Zwietracht herrscht. Wir erbitten Einheit von demselben Heiligen Geist, der den Gläubigen verschiedene Gaben und der Kirche verschiedene Ämter gewährt. 2. Vor dem ersten Pfingsten sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ (Joh 20, 22-23). Diese Worte unseres Erlösers erinnern uns an das grundlegende Geschenk unserer Erlösung: das Geschenk der Vergebung unserer Sünden und der Versöhnung mit Gott. Der Nachlaß der Sünden ist ein völlig freiwilliges und unverdientes Geschenk, ein neues Leben, das wir uns nie verdienen könnten. Gott schenkt es uns aus Erbarmen. Wie der hl. Paulus schrieb: „Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat“ (2 Kor 5, 18). Es gibt keine Sünde, die nicht vergeben werden kann, wenn wir uns mit demütigem, reuevollem Herzen dem Thron des Erbarmens nähern. Kein Übel ist so mächtig oder mächtiger als das grenzenlose Erbarmen Gottes. Durch seine Menschwerdung ist Jesus ganz in unsere menschliche Erfahrung eingetreten, so weit, daß er die endgültige und grausame Auswirkung der Macht der Sünde erlitt - den Tod am Kreuz. Er ist wirklich in allem uns gleich geworden außer in der Sünde. Aber das Böse mit all seiner Macht hat nicht die Oberhand gewonnen. Durch seinen Tod hat Christus unseren Tod vernichtet; durch seine Auferstehung hat er uns unser Leben zurückgegeben. Deshalb zeigte der Herr, als er nach der Auferstehung den Jüngern erschien, seine Hände und seine Seite. Er wollte, daß sie sehen, daß der Sieg errungen wurde; daß sie sehen; daß er, der auf erstandene Christus, die Zeichen der Sünde und des Todes in Symbole der Hoffnung und des Lebens umgewandelt hat. 3. Durch den Sieg seines Kreuzes hat Jesus Christus uns die Vergebung unserer Sünden und die Versöhnung mit Gott erwirkt. Und diese Gaben bringt uns Christus dar, wenn er der Kirche den Heiligen Geist mitteilt, denn er sagte zu den Aposteln: „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben“ (Joh 20, 22-23). Durch die Macht des Heiligen Geistes setzt die Kirche das Werk Christi, die Welt mit sich zu versöhnen, fort. Die Kirche bleibt zu allen Zeiten die Gemein- 528 Reisen schaft derer, die mit Gott versöhnt worden sind, die Gemeinschaft derer, die die Versöhnung empfangen haben, die von Gott, dem Vater, gewollt und durch das Opfer seines geliebten Sohnes erlangt wurde. Die Kirche ist auch ihrer Natur nach immer versöhnlich, indem sie das Geschenk, das sie selbst empfangen hat, an andere weitergibt, das Geschenk der Vergebung und des Einswerdens mit Gott. Sie tut das auf vielfältige Weise, besonders aber durch die Sakramente und vor allem durch das der Buße. In diesem Sakrament führt sie jeden Gläubigen einzeln zu Christus, und durch das Amt der Kirche schenkt Christus selbst Vergebung, Kraft und Erbarmen. Durch dieses in höchstem Grade persönliche Sakrament begegnet Christus auch den Männern und Frauen unserer Zeit. Er stellt wieder Ganzheit her, wo Spaltung war, er spendet Licht, wo Finsternis herrschte, und er gibt Hoffnung und Freude, die die Welt niemals geben könnte. Durch dieses Sakrament verkündet die Kirche der Welt die unendlichen Reichtümer von Gottes Erbarmen, jenes Erbarmens, das die Schranken niedergerissen hat, die uns von Gott und voneinander getrennt haben. An diesem Pfingsttag, wo die Kirche das Versöhnungswerk Jesu Christi und die Macht seines Heiligen Geistes verkündet, appelliere ich an alle Gläubigen in Großbritannien - und an alle anderen Mitglieder der Kirche, die vielleicht meine Stimme hören oder meine Worte lesen: Innig geliebte Söhne und Töchter, legen wir in unserem eigenen Leben größeres Gewicht auf das Sakrament der Buße! Bemühen wir uns um die Wahrung dessen, was ich in meiner ersten Enzyklika als das Recht Christi beschrieben habe, „das Recht, jedem von uns in jenem entscheidenden Augenblick des Lebens der Seele, nämlich dem der Bekehrung und des Verzei-hens, zu begegnen“ (Redemptor hominis, Nr. 20). Und insbesondere bitte ich euch, meine Brüder im Priesteramt, so eng und so wirksam ihr nur könnt, mit dem Erlöser bei dem göttlichen Werk der Versöhnung zusammenzuarbeiten. Sollten aus Zeitmangel auch manche wertvollen Tätigkeiten aufgegeben oder verschoben werden müssen, mit dem Dienst im Beichtstuhl darf das niemals geschehen. Gebt stets eurer spezifisch priesterlichen Rolle dadurch Vorrang, daß ihr im Bußsakrament den Guten Hirten vertretet. Und wenn ihr das wunderbare Wirken des Heiligen Geistes in den Herzen der Menschen bezeugt und preist, werdet ihr euch selber zu weiterer Bekehrung und zu tieferer Liebe zu Christus und seiner Herde aufgerufen fühlen. 4. Wenn Christen heute bestrebt sind, Quellen für die Versöhnung in der Welt zu sein, spüren sie vielleicht dringender als je zuvor die Notwendig- 529 Reisen keit, ganz miteinander versöhnt zu sein. Denn die Sünde der Uneinigkeit unter den Christen, die seit Jahrhunderten bei uns herrscht, lastet schwer auf der Kirche. Der Ernst dieser Sünde wurde auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit aller Klarheit herausgestellt, als es erklärte: „Eine solche Spaltung widerspricht aber ganz offenbar dem Willen Christi, sie ist ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen“ (Unitatis redintegratio, Nr. 1). Die Wiederherstellung der Einheit unter den Christen ist eines der Hauptanliegen der Kirche im ausgehenden 20. Jahrhundert. Und es ist eine Aufgabe für uns alle. Niemand kann sich von dieser Verantwortung freisprechen lassen. Denn jeder kann einen Beitrag leisten, mag er noch so klein erscheinen, und alle sind zu jener inneren Umkehr aufgerufen, die die wesentliche Voraussetzung für den Ökumenismus ist. Wie das Zweite Vatikanische Konzil gelehrt hat: „Diese Bekehrung des Herzens und die Heiligkeit des Lebens ist in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit der Christen als die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung anzusehen; sie kann mit Recht geistlicher Ökumenismus genannt werden“ (ebdNr. 8). Der Heilige Geist, der die Quelle aller Einheit ist, versieht den Leib Christi mit „verschiedenen Gnadengaben“ (1 Kor 12, 4), damit er aufgebaut und gestärkt werde. Wenn der Heilige Geist den Aposteln die Gabe des „Zungenredens“ (d. h. des Sprechens in anderen Sprachen) verlieh, so daß alle, die an jenem ersten Pfingsten in Jerusalem versammelt waren, das eine Evangelium Christi hören und verstehen konnten, sollten wir dann nicht von demselben Geist erwarten, daß er uns die Gaben verleiht, die wir brauchen, um das Heilswerk fortzusetzen und als ein Leib in Christus wiedervereint zu werden? Darauf vertrauen wir und darum beten wir voll Vertrauen in die Macht, die der Geist der Kirche zu Pfingsten gegeben hat. 5. „Sende deinen Geist aus . . . und erneuere das Antlitz der Erde!“ (Ps 104, 30). Diese Worte des Psalmisten sind heute unser inständiges Gebet, wenn wir Gott, den Allmächtigen, bitten, durch die lebenspendende Kraft des Geistes das Antlitz der Erde zu erneuern. Sende deinen Geist aus, o Herr, erneuere unsere Herzen und Sinne durch die Gaben dieses Lichts und der Wahrheit. Erneuere unsere Heime und Familien durch die Gaben der Einheit und der Freude. Erneuere unsere Städte und unsere Länder durch wahre Gerechtigkeit und beständigen Frieden.' Erneuere deine 530 Reisen Kirche auf Erden durch die Gaben der Buße und der Versöhnung, durch Einheit im Glauben und in der Liebe. Sende deinen Geist, o Herr, und erneuere das Antlitz der Erde! „Ihr seid Gottes besondere Freunde“ Predigt bei der feierlichen Messe und Priesterweihe im Heaton-Park von Manchester am 31. Mai Liebe Brüder und Schwestern in Jesus Christus! 1. Ich grüße euch in der Freude des Heiligen Geistes! Die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Kirche ist für jeden Christen eine Zeit der Feier und eine Gelegenheit zu geistlicher Erneuerung. Wie freue ich mich, hier in Manchester zu weilen, dieses große Fest feiern zu dürfen und mit euch darum zu beten, daß die lebenspende Kraft des göttlichen Trösters den Gliedern dieser Kirche helfe, ihrer Verantwortung als „eine neue Schöpfung“ gerecht zu werden. Eine neue Schöpfung zu sein, ist die Berufung aller Getauften. Der hl. Paulus erinnert uns daran in den Worten der zweiten Lesung von heute: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, Neues ist geworden“ (2 Kor 5, 17). Wir müssen daher die alte Ordnung des Fleisches, der Sünde und des Lebens für uns selbst aufgeben. Wir müssen leben „für den, der (für uns) starb und auferweckt wurde“ (2 Kor 5, 15). Jeder Glaubende ist zur Jüngerschaft berufen. Durch Beharrlichkeit im Gebet, durch Mitleid mit den Notleidenden, durch Eintreten für Gerechtigkeit im menschlichen Zusammenleben üben die Christen das Priesterum der Gläubigen aus, eine lebendige Jüngerschaft in Christus, und bringen Gott, unserem Vater, Preis und Ehre dar. Die Priesterweihe sondert euch von der Welt aus 2. Doch wenn wir die Eigenschaften dieser neuen Schöpfungsordnung auf das Priestertum der Gläubigen anwenden können, um wieviel gebieterischer legt sich diese Anwendung dann für das Dienst- oder hierarchische Priestertum nahe, das für die Heiligung des Volkes Gottes bestimmt ist. 531 Reisen 3. Liebe Brüder, Anwärter auf das Priestertum! Für euch erneuert Christus heute sein Gebet zum Vater: „Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit“ (Joh 17, 17). Diese Weihe macht euch erst zu einer „neuen Schöpfung“. Sie sondert euch von der Welt aus, so daß ihr völlig Gott geweiht seid. Sie schenkt euch die Sendung, als Bote Christi für die Versöhnung der Welt mit Gott zu wirken. Dazu ist Jesus vom Vater zu uns gekommen, geboren aus Maria, der Jungfrau. Diese gleiche Sendung aber hat Christus seinen Jüngern anvertraut: „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh 17, 18-19). In diesem wichtigen Augenblick eures Lebens sage ich zu euch jungen Menschen: Seid euch bewußt, wie tief Jesus danach verlangt, daß ihr selbst geheiligt seid, wie er geheiligt ist. Bedenkt, wie eng euch das Band des Priestertums mit Christus verbindet. Erweist euch der Auszeichnung würdig, die ihr empfangt, der Auszeichnung, die Gaben der Liebe Gottes seinem Volk mitzuteilen und Gott die betende Antwort des Volkes darbringen zu dürfen. 4. Ihr müßt Männer Gottes und seine besonderen Freunde sein. Ihr müßt bei euch Gewohnheiten täglichen Betens entfalten, und die Buße muß regelmäßig zu eurem Leben gehören. Gebet und Buße werden euch helfen, höher zu würdigen, daß ihr die Kraft zu eurem Dienst beim Herrn findet, nicht in menschlichen Kraftquellen. England kann sich glücklich schätzen, weil es das außerordentliche Vermächtnis heiliger Priester besitzt. Viele seiner Söhne haben in harten Zeiten Heimat und Vaterland verlassen, um sich auf das Priestertum vorzubereiten. Nach der Weihe kehrten sie nach England zurück, um sich ihres Glaubens wegen der Gefahr und oft dem Tod auszusetzen. Manchester ist mit Recht stolz auf seinen großen heiligen Märtyrer, den Benediktiner Ambrosius Barlow. Das katholische Lancashire ehrt seine weiteren Märtyrer: den hl. Edmund Arrowsmith und die Heiligen mit Namen John: John Almond, John Plessington, John Rigby und John Southworth. Doch über eure Märtyrer hinaus erfreut euch das Gedenken an viele heilige Priester aus dieser Region, die jeden Tag die Fülle ihrer Berufung lebten. Nicht weit von hier, in Sutton, St. Helens, ist das Grab des seligen Dominic Barberi, eines Passionisten aus Italien, der John Henry Newman in die Kirche aufgenommen hat. Er ist nur ein Beispiel für zahllose andere Priester, die für den Klerus von heute als Beispiel der Heiligkeit fortleben. 5. Ihr müßt versuchen, jeden Tag eure Freundschaft mit Christus zu vertiefen. Ihr müßt auch lernen, die Hoffnungen und Freuden, die Trüb- 532 Reisen sale und Enttäuschungen der eurer Sorge anvertrauten Gläubigen zu teilen. Bringt ihnen die Heilsbotschaft der Versöhnung. Besucht eure Pfarrangehörigen daheim. Das war einmal eine Stärke der Kirche in England. Es ist eine pastorale Praxis, die nicht vernachlässigt werden sollte. Und vergeßt nicht all jene in besonderen Nöten, vor allem jene, die im Gefängnis sind, und ihre Familien. Im Evangelium setzt sich Christus mit den Gefangenen gleich, wenn er sagt: „Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.“ Und denkt daran, daß er keinen Unterschied macht zwischen Unschuldigen und Schuldigen. Weil ihr an Christi Stelle getreten seid, kann niemand von eurer seelsorglichen Liebe ausgeschlossen werden. Ich bitte euch, gemeinsam mit euren Mitbrüdern, in alle Gefängnisse Britanniens meine Grüße zu bringen, besonders in die große Strafanstalt von Manchester. Durch euch will Jesus Christus den Gewissensfrieden und die Sündenvergebung anbieten. Durch euch will Jesus Christus in den Herzen wieder neue Hoffnung entzünden. Durch euch will Jesus Christus jene lieben, für die er gestorben ist. Lehrt eure Gläubigen, daß ihr an diese treue Liebe glaubt, und zwar durch die Treue, mit der ihr euer Leben lebt. Ihr müßt das Evangelium durch euer Leben verkünden. Wenn ihr ihnen in entscheidenden Augenblicken ihres Lebens die Sakramente spendet, helft ihr ihnen, auf die Gnade und das Erbarmen zu bauen, das Christus versprochen hat. Wenn ihr das Erlösungsopfer der heiligen Eucharistie darbringt, helft ihnen zum Verständnis der Notwendigkeit, diese große Liebe in Werke der Liebe zu verwandeln. 6. Meine Brüder, denkt an die Wirkung des Lebenszeugnisses auf andere. Eure Weihe ist eine Quelle des Trostes für jene, die bereits viele Jahre im priesterlichen Dienst verbracht haben und von denen viele heute hier anwesend sind. Der Herr ist dankbar für ihre Mühen, und er segnet sie heute mit der Versicherung, daß er auch weiter für die Zukunft der Kirche sorgen wird. Mögen alle diese Priester wieder die frohe Begeisterung ihrer ersten Berufsjahre gewinnen und sich weiter hochherzig dem priesterlichen Werk Christi hingeben, die Welt mit dem Vater zu versöhnen. Ich weiß, daß viele Priester aus Gründen des Alters oder der Krankheit nicht hier sein können. Auch ihnen sende ich den Ausdruck meiner Liebe in Christus Jesus. Ihre Gebete, ihre Weisheit und ihr Leiden sind für die Kirche reiche Schätze, aus denen überreicher Segen fließt. 7. Und was soll ich von euren Altersgenossen sagen? Zweifellos ist eure Weiterführung der Sendung Christi für jene ein klares Zeugnis, die noch 533 Reisen nicht sicher wissen, was der Herr von ihnen will. Ihr zeigt ihnen, daß die Weihe zum Dienst Gottes eine erhabene Berufung ist, die Glauben, Mut und Selbstverleugnung fordert. Ich bin sicher, daß sich diese Eigenschaften in der Jugend Großbritanniens finden. Zu ihnen sage ich daher: Seid gewiß, daß der Ruf Christi zum Priester- oder Ordensleben auch einigen von euch gilt. Seid gewiß, daß, wenn ihr auf seinen Ruf hört und ihm im Priester- oder Ordensstand folgt, ihr große Freude und viel Glück finden werdet. Seid hochherzig, habt Mut und erinnert euch an seine Verheißung: „Mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht“ {Mt 11, 30). Auch die Kirche muß eine Familie sein 8. Endlich möchte ich auch die Eltern und Familienangehörigen der Weihekandidaten grüßen. Ich sage euch Dank für eure Hochherzigkeit, und zwar im Namen der Kirche und mit meinen Mitbischöfen. Ihr habt diese Männer zur Welt gebracht. Ihr habt ihnen zuerst den Glauben und die Werte vermittelt, die ihnen geholfen haben, so daß sie heute am Altar Gottes stehen. Auch die Kirche muß eine Familie sein. Bischöfe, Priester, Diakone, Ordensleute und Laien, in der jeder dem anderen hilft und seine gottgegebenen Gaben mit ihnen teilt. Jeder Priester ist auf den Glauben und die Talente seiner Pfarrgemeinschaft angewiesen. Ist er weise, so wird er nicht nur die Freude an der Ausspendung von Gottes Gnade erfahren, sondern auch jene andere, diese durch seine Pfarrangehörigen im Übermaß zu empfangen. Die Partnerschaft zwischen Priester und Volk baut auf Gebet, Zusammenarbeit sowie gegenseitiger Achtung und Liebe auf. Dies war immer auf diesen Inseln Tradition. Möge sie nie verlorengehen.' 9. Durch diese Weihe setzt der Herr wirklich und wahrhaft sein Werk der „Neuschöpfung“ fort. Er sendet weiter seine Botschaft über die ganze Erde und spricht persönlich zu den Weihekandidaten: „Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen, und was ich dir auftrage, das sollst du verkünden. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten - Spruch des Herrn“ {Jer 1, 7-8). Amen. 534 Reisen „In der Wiege der Familie geboren“ Predigt bei der Eucharistiefeier im Knavesmire-Stadion in York am 31. Mai Meine Brüder und Schwestern! 1. Am heutigen Fest der Heimsuchung der seligen Jungfrau Maria grüße ich euch im Herrn. Ich bin glücklich, bei euch in dieser historischen Stadt York zu sein. Wir befinden uns sozusagen im Schatten des schönen Münsters und in der geistigen Gesellschaft so vieler heiliger Männer und Frauen, die diesen nördlichen Grafschaften zur Zierde gereichten. Zutiefst dankbar bin ich für die Anwesenheit zahlreicher christlicher Brüder hier. Ich freue mich, daß wir in einer gemeinsamen Taufe und in unserer erneuten Suche nach der vollen christlichen Einheit miteinander verbunden sind. Ich grüße alle Bürgervertretungen aus den verschiedenen Städten Nordenglands. Ich danke euch allen für euren Willkommensgruß. Die Geschichte, besonders die religiöse Geschichte dieses Teils von England ist mir bekannt. Ich weise hin auf die Heilige Insel, Lindisfarne, wohin Aidan und Cuthbert den katholischen Glauben brachten. Ich erinnere an Beda, der so anziehend das Leben der jungen Kirche in England beschrieben hat. Ich denke daran, daß 1000 Jahre später in dieser Gegend Männer und Frauen für den Glauben, den sie liebten, ihr Leben hingaben. Mary Ward lehrte die Engländer im Exil das Evangelium Jesu Christi; Margaret Clitheroe opferte hier in der Stadt York ihr Leben. Diese heiligen Frauen inspirieren die Frauen von heute, den ihnen zustehenden Platz im Leben der Kirche einzunehmen, wie es ihrer Gleichberechtigung und besonderen Würde entspricht. Zur gleichen Zeit trug der Priester Nicholas Postgate das Evangelium durch die Heide- und Moorlandschaft und ließ sein Leben ebenfalls an diesem Ort. Vor den Augen der ganzen Welt Heute früh wurden in Manchester junge Männer zum heiligen Priesteramt Christi geweiht. Sie antworteten auf den Ruf der Liebe Gottes. Für viele Menschen, wie z. B. für Margaret Clitheroe, kommt dieser Ruf von Gott über die Ehe und das Familienleben. Das ist auch unser Thema. Bei unserem Gottesdienst, der uns an die Macht der Heilsgnade Gottes 535 Reisen erinnert, werdet ihr Ehepaare eingeladen, die Versprechen zu erneuern, die ihr zum ersten Mal an eurem Hochzeitstag gegeben habt. 2. In der Ehe verpflichten sich Mann und Frau gegenseitig zu einem unzerbrechlichen Bündnis totaler wechselseitiger Selbsthingabe. Die Ehe ist eine vollkommene Einheit der Liebe. Liebe, die nicht eine vorübergehende Gefühlsaufwallung oder zeitweilige Verliebtheit ist, sondern die verantwortliche und freie Entscheidung, sich „in guten und schlechten Zeiten“ vollständig an den Partner zu binden. Sie ist die Selbsthingabe an den anderen. Sie ist eine Liebe, die vor den Augen der ganzen Welt kundgetan werden soll. Sie ist bedingungslos. Zu solcher Liebe fähig sein erfordert sorgfältige Vorbereitung von der frühen Kindheit bis zum Hochzeitstag. Es erfordert, während sich diese Liebe entfaltet, ständige Hilfe von seiten der Kirche und Gesellschaft. Die Liebe des Ehemannes und der Ehefrau führt in Gottes Plan über sich selbst hinaus, neues Leben wird hervorgebracht, eine Familie entsteht. Die Familie ist eine Liebes- und Lebensgemeinschaft, ein Heim, in dem Kinder heranreifen. 3. Die Ehe ist ein heiliges Sakrament. Diejenigen, die im Namen des Herrn Jesus getauft wurden, werden auch in seinem Namen getraut. Ihre Liebe ist Teilhabe an der Liebe Gottes. Er ist ihre Quelle. Der Ehebund der christlichen Paare, der heute erneuert und gesegnet wird, ist das irdische Abbild des Wunders Gottes, der liebenden, lebenspendenden Gemeinschaft der drei Personen in dem einen Gott, und des Bundes Gottes in Christus mit der Kirche. Die christliche Ehe ist ein Heilssakrament. Sie ist für alle Glieder einer Familie der Weg zur Heiligkeit. Darum lege ich von ganzem Herzen Nachdruck darauf, daß eure Heime Zentren des Gebets sein sollen; Heime, wo die Familien sich in der Gegenwart Gottes wohl fühlen; Heime, in welche andere eingeladen werden, um an Gastfreundschaft, Gebet und Gotteslob teilzuhaben: „Singt Gott in eurem Herzen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie sie der Geist eingibt, denn ihr seid in Gottes Gnade. Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Durch ihn dankt Gott, dem Vater!“ (Kol 3, 16.17). In eurem Land gibt es viele Ehen zwischen Katholiken und anderen getauften Christen. Mitunter erfahren diese Eheleute besondere Schwierigkeiten. Zu diesen Familien sage ich: Ihr erlebt und lebt in eurer Ehe die Hoffnungen und Schwierigkeiten des Weges zur christlichen Einheit. Gebt dieser Hoffnung im gemeinsamen Gebet, in der Einheit der Liebe 536 Reisen Ausdruck. Ladet miteinander den Heiligen Geist der Liebe in eure Herzen und in eure Heime ein. Er wird euch dabei helfen, in gegenseitigem Vertrauen und Verständnis zu wachsen. 4. Brüder und Schwestern, „in euren Herzen herrsche der Frieden Christi.. . Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch“ {Kol 3, 15.16). Vor kurzem schrieb ich ein Apostolisches Schreiben an die gesamte katholische Kirche über die Rolle der christlichen Familie in der Welt von heute. In diesem Schreiben unterstrich ich die positiven Aspekte des heutigen Familienlebens, zu welchen gehören: ein lebendigeres Bewußtsein von der persönlichen Freiheit und größere Beachtung der zwischenmenschlichen Beziehungen in der Ehe, mehr Aufmerksamkeit für die Förderung der Würde der Frau, für verantwortliche Elternschaft, für die Erziehung der Kinder. Gleichzeitig mußte ich aber auf die negativen Erscheinungen hinweisen: der Verfall der Idee und Erfahrung der Freiheit und daraus folgender Egoismus in den menschlichen Beziehungen; ernste Mißverständnisse bezüglich der Beziehung zwischen Eltern und Kindern; die steigende Zahl von Ehescheidungen; die Geißel der Abtreibung; die weiterverbreitete Empfängnisverhütung und „lebensfeindliche“ Haltung. Neben diesen zerstörerischen Kräften gibt es soziale und wirtschaftliche Verhältnisse, von denen Millionen von Menschen betroffen sind und die den Bestand und die Dauer der Ehe und des Familienlebens untergraben. Hinzu kommt der kulturelle Druck gegen die Familie von seiten derer, die das Leben in der Ehe als „unnütz“ und „überholt“ angreifen. Das alles ist eine ernsthafte Herausforderung für die Gesellschaft und die Kirche. Wie ich damals schrieb: „Die Geschichte ist nicht einfach ein notwendiger Fortschritt zum Besseren, sondern vielmehr ein Ereignis der Freiheit, ja ein Kampf zwischen Freiheiten, die einander widerstreiten“ (Familiaris consortio, Nr. 6). Liebe Ehepaare, ich spreche zu euch von den Hoffnungen und Idealen, auf die sich die christliche Sicht der Ehe und des Familienlebens stützt. Ihr werdet die Kraft finden, in eurer Liebe zu Gott und eurer Liebe zueinander und zu euren Kindern eurem Eheversprechen treu zu sein. Laßt diese Liebe den Fels sein, der sicher und fest steht in jedem Sturm und in jeder Versuchung. Welchen besseren Segen könnte der Papst euren Familien wünschen, als was der hl. Paulus den Christen von Kolossä wünschte: „Bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem 537 Reisen anderen etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem aber liebt einander . . (Kol 3, 12-14). 5. Die Elternschaft bringt heute Sorgen und Schwierigkeiten mit sich ebenso wie Freuden und Genugtuungen. Eure Kinder sind euer Schatz. Sie lieben euch, auch wenn es ihnen manchmal schwerfällt, diese Liebe auszudrücken. Sie warten auf Unabhängigkeit und sträuben sich gegen alle Anpassung. Bisweilen möchten sie sämtliche Traditionen der Vergangenheit verwerfen und weisen sogar ihren Glauben zurück. In der Familie müssen Brücken gebaut, nicht abgerissen werden; und aus der Begegnung von Erfahrung und Prüfung können sich neue Ausdrucksformen der Weisheit und Wahrheit ergeben. Ihr habt einen echten, eigenen Dienst in der Kirche. Öffnet die Türen eurer Heime und eures Herzens für alle Generationen eurer Familie. 6. Wir können nicht die Tatsache übersehen, daß manche Eltern scheitern. Aber auch da ist es unsere Pflicht, den wahren Plan Gottes für jede eheliche Liebe zu verkünden und auf der Treue zu diesem Plan zu bestehen, weil wir auf die Fülle des Lebens im Himmelreich zugehen. Vergessen wir nicht, daß Gottes Liebe zu seinem Volk, die Liebe Christi zu seiner Kirche immer währt und nie zerbrechen kann. Und der Bund zwischen einem Mann und einer Frau, die in einet christlichen Ehe miteinander verbunden sind, ist unauflöslich und unwiderruflich wie diese Liebe (vgl. AAS, 71, 1979, S. 1224). Diese Wahrheit ist ein großer Trost für die Welt, und weil manche Eltern scheitern, besteht für die Kirche und all ihre Mitglieder eine immer größere Notwendigkeit, diese Wahrheit getreu zu verkünden. Christus selbst, der lebendige Quell der Gnade und des Erbarmens, ist jenen nahe, deren Ehe Prüfung, Schmerz oder Angst erfahren hat. Durch alle Zeiten haben ungezählte Eheleute aus dem Paschamysterium des Kreuzes und der Auferstehung Christi die Kraft geschöpft, ein christliches Zeugnis von der Unauflöslichkeit der christlichen Ehe zu geben — was manchmal sehr schwerfiel. Und alle Bemühungen der Christen, trotz ihrer menschlichen Schwachheit das Gesetz Gottes getreu zu bezeugen, sind nicht vergebens gewesen. Im Frieden der Liebe Diese Bemühungen sind die durch die Gnade bewirkte menschliche Anwort — an einen Gott, der uns zuerst geliebt hat und sich für uns hingegeben hat. 538 Reisen Wie ich in meinem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio ausführte, ist die Seelsorge an den Familien in schwierigen Situationen ein besonderes Anliegen der Kirche. Wir müssen mit Liebe - mit der Liebe Christi - diejenigen zu erreichen suchen, die den Schmerz des Versagens in der Ehe erfahren; diejenigen, die verlassen und auf sich allein gestellt eine Familie unterhalten müssen; diejenigen, deren Familienleben von tragischen Geschehnissen, geistigen oder körperlichen Krankheiten beherrscht wird. Ich spreche allen denen meine lobende Anerkennung aus, die den leidenden Menschen, deren Ehe gescheitert ist, helfen, indem sie ihnen das Erbarmen Christi zeigen und sie der Wahrheit Christi entsprechend beraten. 7. Den öffentlichen Autoritäten und allen Männern und Frauen guten Willens sage ich: Hegt eure Familien! Schützt ihre Rechte. Unterstützt die Familie durch eure Gesetze und eure Verwaltung. Verschafft in eurer Politik der Stimme der Familie Gehör. Die Zukunft eurer Gesellschaft, die Zukunft der Menschheit führt über die Familie. 8. Meine Brüder und Schwestern in Christus, die ihr nun im Begriff seid, die Versprechen eures Hochzeitstages zu erneuern, mögen eure Worte noch einmal der Wahrheit in eurem Herzen Ausdruck geben und mögen sie treue Liebe in euren Familien hervorrufen. Laßt eure Familien wirklich Gemeinschaft der Liebe sein! Laßt diese Liebe andere Menschen in der Nähe und Ferne erreichen. Macht, daß diese Liebe insbesondere die einsamen und bedrückten Menschen in eurer Nachbarschaft erreicht, die Armen und alle, die am Rande der Gesellschaft leben. Auf diese Weise werdet ihr eure Gesellschaft in Frieden aufbauen, denn Frieden erfordert Vertrauen, und Vertrauen ist das Kind der Liebe, und die Liebe wird in der Wiege der Familie geboren. Heute und immer segne Gott euch alle und alle Familien Großbritanniens. Amen. Und wie könnten wir nicht der vielen Familien Großbritanniens und Argentiniens gedenken, die die schwere Zeit des Schmerzes und der Sorge wegen des Verlustes ihrer Lieben im Südatlantik tragen. Während wir Gott bitten, sie in ihrem Leid zu trösten, wollen wir für den Frieden beten, einen baldigen und dauerhaften Frieden, damit anderen Familien die Leiden des Krieges erspart bleiben, damit nicht weitere Ehemänner, Ehefrauen und Kinder das hingeben und auf das verzichten müssen, was das Heiligste in der Gemeinschaft der Familie ist: Liebe und Leben. Amen. 539 Reisen Haltet freudig am Glauben fest! Ansprache bei der Begegnung mit der Jugend von Schottland in Edinburgh am 31. Mai Liebe Jugend von Schottland! 1. Dank für die warmherzigen Willkommensworte. Ich freue mich, meinen ersten Kontakt mit euch zu haben, dem Stolz eurer geliebten Heimat und der Verheißung für ihre Zukunft! Ihr seid an einem Scheideweg des Lebens angelangt und müßt nun bestimmen, wie ihr eure Zukunft glücklich leben könnt, und ihr müßt bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, die ihr auf euren Schultern zu tragen hofft, um eine aktive Rolle in eurer Umwelt zu spielen. Als erstes sage ich euch: Ihr dürft nie glauben, daß ihr allein seid, wenn ihr über eure Zukunft entscheidet! Und zweitens: Wenn ihr über eure Zukunft entscheidet, dürft ihr nicht nur für euch selbst entscheiden! Im Leben des hl. Andreas, des Schutzpatrons von Schottland, gibt es eine Episode, die als Beispiel für das dienen kann, was ich euch sagen möchte. Jesus hatte zu einer Menge von 5000 Menschen über das Reich Gottes gesprochen. Sie hatten ihm den ganzen Tag aufmerksam zugehört, und als der Abend kam, wollte er sie nicht hungrig wegschicken, und so bat er seine Jünger, ihnen zu essen zu geben. Aber er sagte das nur, um sie auf die Probe zu stellen, denn er selbst wußte, was er tun wollte. Einer der Jünger - es war der hl. Andreas - sprach: „Hier ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; doch was ist das für so viele?“ Jesus nahm die Brote, segnete sie und teilte sie an die Leute aus, die herumsaßen und warteten; er tat das gleiche mit den Fischen und gab so viel sie wollten. Später sammelten die Jünger zwölf Körbe mit übriggebliebenen Brotstücken (vgl. Joh 6, 1-14). Ohne den Heiligen Geist sind wir hilflos Was ich betonen möchte, ist dies: Der hl. Andreas gab Jesus alles, was zur Verfügung stand, und Jesus sättigte durch ein Wunder diese 5000 Menschen und hatte noch etwas übrig. Ebenso ist das mit eurem Leben. Sich allein den schweren Anforderungen des heutigen Lebens zu stellen, führt zum Bewußtsein eigener Unzulänglichkeit und zu Angst vor der Zukunft. 540 Reisen Er wird euch annehmen und euch segnen und von eurem Leben einen Gebrauch machen, der bei weitem eure Vorstellungen übertrifft! Mit anderen Worten, gebt euch, wie die vielen Brote und Fische in die allmächtigen und starken Hände Gottes, und ihr werdet „als neue Menschen leben“ (Röm 6, 4), in der Fülle des Lebens (vgl. Joh 1, 16). „Wirf deine Sorge auf den Herrn, er hält dich aufrecht!“ (Ps 55, 23). 3. Es ist nicht von erstrangiger Bedeutung, welche Laufbahn euch naturgemäß anzieht - Industrie, Handel, Wirtschaft, Technik, Medizin oder Krankenpflege, das Priester- und Ordensleben, Rechtswissenschaft oder Unterricht oder irgendeine andere Form des öffentlichen Dienstes -, das Prinzip bleibt immer dasselbe, vertraut Jesus die Führung eures Lebens an und überlaßt es ihm, euch zu wandeln, um das beste Ergebnis zu erhalten, das er sich von euch wünscht. Nur das Christentum hat der Arbeit eine religiöse Bedeutung gegeben und hat den geistigen Wert des technischen Fortschritts anerkannt. Es gibt keine Berufung, die religiöser ist, als die Arbeit! Der hl. Benedikt pflegte zu seinen Mönchen zu sagen, daß jedes Arbeitsgerät im Kloster als heiliger Gegenstand anzusehen sei. Ein katholischer Mann oder eine katholische Frau nimmt die Arbeit ernst. Warum? Weil, wie der hl. Paulus sagt, „nicht mehr ich lebe, sondern Christus in mir lebt“ (Gal 2, 20); „denn für mich ist Christus das Leben“ {Phil 1, 21). 4. Wie ist das möglich? Das ist eine gute Frage. Unsere heilige Mutter, Maria von Nazaret, hat die gleiche Frage gestellt, als ihr Gottes Plan für ihr Leben zum ersten Mal erklärt wurde. Und die Antwort, welche Maria vom allmächtigen Gott erhielt, ist die gleiche, die er euch gibt: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten ... für Gott ist nichts unmöglich“ {Lk 1, 34-37). Der gleiche Heilige Geist kommt bei der Taufe auf euch herab und dann mit erhöhter Kraft bei der Firmung, um euch für die Aufgaben des Lebens vorzubereiten und euch zu stärken. Keiner von euch ist ohne ihn. Keiner von euch darf sich jemals allein fühlen. Der Geist des Herrn ruht auf euch! (vgl. Lk 4, 18). Wer ist dieser Heilige Geist? Er ist Gott selbst. Die dritte Person der Heiligsten Dreifaltigkeit. Er ist zu jedem von uns durch den Vater und durch den Sohn gesandt. Er ist ihr größtes Geschenk und bleibt immer bei uns. Er wohnt in uns. Für unseren Verstand ist es schwierig, sich eine Vorstellung vom Heiligen Geist zu machen. Es ist jedoch von allerhöchster Wichtigkeit, daß wir seinen Einfluß und sein Wirken in unserem Leben verstehen. 541 Reisen 5. Die klarste Beschreibung vom Wirken des Heiligen Geistes hat uns der hl. Paulus gegeben, der sagt, daß die Früchte des Heiligen Geistes Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue sind {Gal5, 22). In jedem Augenblick des Lebens und in allen Situationen sind diese ideale Eigenschaften: mit euren Eltern und Geschwistern zu Hause, mit euren Lehrern und Freunden, in der Fabrik oder in der Universität, mit allen Menschen, denen ihr begegnet. Auch der Prophet Jesaja schrieb dem Heiligen Geist besondere Gaben zu: „der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rats und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht“ {Jes 11, 2). Der hl. Paulus hat recht, wenn er sagt: „Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen“ {Gal 5, 25). 6. Mit Gaben und Eigenschaften wie diesen sind wir allen Aufgaben gewachsen und gegen Schwierigkeiten gewappnet. Und doch bleibt unser Leben das unsrige, und in jedem von uns wirkt der Geist auf verschiedene Art, jeweils im Einklang mit unserer individuellen Persönlichkeit, den von den Eltern geerbten Charakterzügen und unserer Erziehung. Wenn ihr einen Moment einhaltet, um nachzudenken, dann werdet ihr euch langsam bewußt, wie oft ihr die Gegenwart des Heiligen Geistes in eurem Leben spürt, besonders durch die Güte und Freundlichkeit anderer euch gegenüber, auch wenn man den Geist nicht wirklich sehen kann. Der Heilige Geist ist ein lebendiger Geist, und sein Wirken ist mit allen Realitäten unseres Lebens verwoben, so daß wir ihm täglich in anderen Menschen begegnen, ihn aber auch bei besonderen Ereignissen und in der Natur finden, die ohnehin unsere Gedanken so häufig auf Gott lenkt. Mein heutiger Besuch bei euch, unser Zusammentreffen, ist ein Werk des Heiligen Geistes. 7. Weil er uns so nah und doch immer so zurückhaltend ist, sollten wir uns bei unseren Schwierigkeiten instinktiv an den Heiligen Geist wenden und ihn bitten, er möge uns leiten und beistehen. Gott hat ihn uns geschickt, weil wir hilflos sind, so wie der hl. Paulus das ausgedrückt hat: „So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können“ {Röm 8, 26). Was kann Gott noch mehr für uns tun? Können wir mehr als dies von Gott erwarten? 8. Wenn uns der Heilige Geist entzogen würde, dann könnten wir sofort den Unterschied feststellen. Paulus sagt uns, was geschieht, wenn wir uns 542 Reisen nicht vom Heiligen Geist führen lassen: „Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben -Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Mißgunst, Trink- und Eßgelage und ähnliches mehr. Ich wiederhole, was ich euch schon früher gesagt habe: Wer so etwas tut, wird das Reich Gottes nicht erben“ (Gal 5, 19—21). Auch das gehört zu der befreienden frohen Botschaft des Evangeliums. Wenn wir die Lehren Jesu richtig auslegen, dann können wir auf die an uns gestellten Anforderungen im Leben kreativ und kooperativ reagieren, ohne Angst haben zu müssen, falsch und allein zu handeln, sondern in der Gewißheit, in jedem Augenblick und in wichtigen oder nebensächlichen Angelegenheiten unter dem leitenden Einfluß seines Heiligen Geistes zu stehen. 9. All denjenigen, die ihr Leben Jesu hingeben, ist diese außerordentliche göttliche Hilfe zugesichert. Der Heilsplan Gottes, des Vaters, umfaßt die ganze Menschheit; sein Heiliger Geist ist all denen als Geschenk gegeben, die bereit sind, ihn im Glauben zu empfangen. Wir alle sind Teil des umfassenden göttlichen Plans. Die Erlösung als eine ausschließlich persönliche und private Angelegenheit aufzufassen, ist nicht christlich und zeugt von einer grundlegend falschen Denkweise. Daraus ergibt sich, daß ihr euer Leben nicht isoliert leben dürft und auch bei der Wahl eurer Zukunft immer an eure Verantwortung als Christen für die anderen denken müßt. Es gibt in eurem Leben keinen Platz für Interesselosigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber der Mitwelt. In der Kirche gibt es keinen Platz für Egoismus. Ihr müßt euch gewissenhaft dafür einsetzen, daß die Leitbilder der Gesellschaft dem Plan Gottes entsprechen. Christus zählt auf euch, damit die Kraft seines Heiligen Geistes über euch auf andere ausstrahlt und auf diese Weise jeden Aspekt des öffentlichen und privaten Bereiches des nationalen Lebens durchdringt. „Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt“ (1 Kor 12, 7). Laßt euch nicht entmutigen! 10. Laßt euer Vertrauen auf Jesus durch nichts erschüttern, nicht durch das Bild einer aus den Fugen geratenen Welt und noch weniger durch die Gefahr eines Atomkrieges. Erinnert euch immer an seine Worte: „Habt Mut: Ich habe die Welt besiegt“ (Joh 16, 33). Laßt euch nicht von 543 Reisen Versuchungen entmutigen, laßt euch nicht von Fehlschlägen lähmen. Es gibt nichts, das ihr nicht mit der Hilfe dessen meistern könnt, der euch Kraft gibt (vgl. Phil 4, 13). 11. Folgt dem Beispiel unserer heiligen Mutter, dem vollkommenen Vorbild des Gottvertrauens und der uneingeschränkten Mitarbeit im göttlichen Heilsplan für die Menschheit. Erinnert euch an ihren Rat, den sie den Dienern in Kana gab: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2, 5). Jesus wandelte bei diesem Anlaß für seine Mutter Wasser in Wein. Durch ihre Fürbitte wird er euer Leben wandeln. Ich muß nun meine Pilgerfahrt durch euer geliebtes Schottland fortsetzen. Ich verabschiede mich von euch und bin glücklich bei dem Gedanken, daß eure jungen Herzen auf meiner Reise bei mir sind und ich die Hilfe eurer täglichen Gebete habe. Jeden einzelnen von euch möchte ich nachdrücklich meiner Liebe zu Jesus Christus versichern. Jugend von Schottland, ich danke euch allen. Haltet freudig am Glauben fest. Mein Segen ist mit euch. Den Menschen wirksam dienen Ansprache an die Priester und Ordensleute in der Kathedrale von Edinburgh am 31. Mai Meine Brüder und Schwestern in Christus! 1. Da die Kirche den großen Lobgesang Mariens an Gott, das Magnifikat, feiert, bin ich sehr glücklich, heute in dieser ihrem Namen geweihten Kathedrale unter euch zu sein. Ich danke Gott für eure Christusliebe und euren Einsatz für seine Kirche. Ihr vertretet alle Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen von Schottland. Ihr seid die engsten Mitarbeiter der Bischöfe in ihrem pastoralen Dienst. Ihr seid in allen Bereichen des Gemeindelebens präsent und beschleunigt das Kommen des Reiches Gottes durch euer Gebet und eure Arbeit. In euch fühle ich den Herzschlag der ganzen kirchlichen Gemeinschaft. In eurem Leben lese ich die Geschichte der Kirche in diesem Land, eine Geschichte voll Glauben und Liebe. Ich spreche meine Anerkennung 544 Reisen für den Beitrag aus, den Priester und Ordensleute aus anderen Ländern, besonders aus Irland, geleistet haben, um die katholische Gemeinde hier zu unterstützen. Eure Präsenz spricht von Hoffnung und Lebenskraft für die Zukunft. Bei den Pastoralbesuchen in den verschiedenen Ländern der Welt sind die Begegnungen mit den Priestern und Ordensleuten Augenblicke von besonderer kirchlicher B edeutung. Auch heute kann ich wiederum meine Aufgabe erfüllen, euch im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22, 31) und euch mit dem hl. Petrus daran zu erinnern, daß ihr zu einer lebendigen Hoffnung neu geboren seid, zu einem unvergänglichen Erbe (vgl. 1 Petr 1, 3.4). Treue zu dem, der um berufen hat Mein Gruß gilt in erster Linie den Diözesan- und Ordenspriestern, die an dem einen Priestertum Christi, des Hohenpriesters, Anteil haben, „ausgewählt und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott, um Gaben und Opfer für die Sünden darzubringen“ (Hebr 5, 1). Eure Präsenz erfüllt mich mit großer Freude und schenkt mir brüderliche Hilfe. In euch erkenne ich den guten Hirten, den treuen Knecht, den Sämann, der ausgeht, den guten Samen zu säen, den Arbeiter im Weinberg, den Fischer, der sein Netz zum Fang auswirft. Ihr seid gute Freunde Christi: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut“ (Joh 15, 15). Als Priester müssen wir das Geheimnis der Gnade in unserem Leben erkennen. Wie der hl. Paulus sagt, wurde uns dieser Dienst „durch Gottes Erbarmen“ übertragen (2 Kor 4, 1). Es ist ein Geschenk. Es ist ein Akt des Vertrauens von seiten Christi, der uns dazu beruft, „Verwalter von Geheimnissen Gottes“ zu sein (2 Kor 4, 1). Es ist eine sakramentale Gleichgestaltung mit Christus, dem Hohenpriester. Wir haben das Priestertum nicht empfangen, um damit zu tun, was uns beliebt. Wir können seine Bedeutung nicht nach unseren persönlichen Ansichten neu erfinden. Wir haben dem treu zu sein, der uns berufen hat. Das Priestertum ist eine Gabe an uns. Aber in uns und durch uns ist das Priestertum eine Gabe an die Kirche. Laßt uns nie unser priesterliches Leben und unseren priesterlichen Dienst aus der vollen und rückhaltlosen Gemeinschaft mit der ganzen Kirche loslösen. Brüder im priesterlichen Dienst, was erwartet die Kirche von euch? Die Kirche erwartet, daß ihr und eure Brüder und Schwestern, die Ordensleute, die ersten sind, die sie lieben, die auf ihre Stimme hören und ihren Anregungen folgen, so daß den Menschen unserer Zeit wirksam gedient werden kann. 545 Reisen 3. Als Priester steht ihr im Dienst Christi, des Lehrers (vgl. Presbyte-rorum ordinis, Nr. 1). Das Predigen und das Lehren der christlichen Botschaft stellt einen sehr bedeutenden Teil eures Dienstamtes dar. In dem Abschnitt, den ich schon erwähnt habe, beschreibt der hl. Paulus seine eigene Haltung zu seinem Dienstamt: „Wir verfälschen das Wort Gottes nicht, sondern lehren offen die Wahrheit. So empfehlen wir uns vor dem Angesicht Gottes jedem menschlichen Gewissen“ (2 Kor 4, 2). Wir dürfen Gottes Wort nicht verfälschen. Wir müssen danach trachten, die Frohe Botschaft auf die stets wechselnden Verhältnisse in der Welt anzuwenden, aber wir müssen mutig und um jeden Preis der Versuchung widerstehen, ihren Inhalt zu verändern oder sie neu zu interpretieren, um sie dem Zeitgeist anzupassen. Die Botschaft, die wir predigen, ist nicht Weisheit dieser Welt (vgl. 1 Kor 1, 20), sondern es sind Worte des Lebens, die dem irdisch gesinnten Menschen wie Torheit Vorkommen (vgl. ebd., 2, 14). „Denn der Gott dieser Weltzeit hat das Denken der Ungläubigen verblendet. So strahlt ihnen der Glanz der Heilsbotschaft nicht auf, der Botschaft von der Herrlichkeit Christi, der Gottes Ebenbild ist“ (2 Kor 4, 4). Er fährt fort: „Wir verkündigen nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn“ (Vers 5). Wir sollten also nicht überrascht sein, wenn unsere Botschaft von Bekehrung und Leben nicht überall gut aufgenommen wird. Tut alles, was in eurer Macht steht, um das Wort so wirksam wie möglich darzubieten, glaubt an die Macht des Wortes selbst und werdet nie entmutigt: „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst, und der Mann weiß nicht, wie“ (Mk 4, 26-27). Doch in einer anderen Hinsicht wissen wir, wie die Saat wächst: Es ist „Gott, der wachsen läßt“ (7 Kor 3, 7). In diesem Sinn sind wir „Gottes Mitarbeiter“ (Vers 9). Mit welcher Sorgfalt müssen wir predigen! Die Predigt sollte die Fortsetzung unseres Gebetes sein. 4. Wir Priester nehmen teil am Priestertum Christi. Wir sind seine Diener, seine Werkzeuge. Aber Christus ist es, der in den Sakramenten, besonders in der Eucharistie, der Menschheit göttliches Leben anbietet (vgl. Presbyterorum ordinis, Nr. 5). Mit welcher Sorgfalt, mit welcher Liebe müssen wir die heiligen Geheimnisse feiern! Die Heiligkeit dessen, was in unseren liturgischen Feiern geschieht, darf nicht verdunkelt werden. Diese Feiern müssen für alle, die daran teilnehmen, eine Erfahrung des Gebetes und der kirchlichen Gemeinschaft sein. 546 Reisen Ich weiß von den vielen Bemühungen, die unternommen werden, um die kirchliche Erneuerung nach den Weisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils zu gewährleisten. Ich ermutige euch, auch weiterhin unter den Laien den Sinn für ihren Anteil an der Verantwortung im liturgischen und apostolischen Leben eurer Pfarreien zu entwickeln. Durch ihr geistiges Priestertum sind die Laien berufen, ihren eigenen Platz im Leben der Kirche einzunehmen, je nach der Gnade und den Charismen, die dem einzelnen geschenkt wurden. Führt sie im Glauben. Regt sie an und ermutigt sie, für das Wohlbefinden und das Wachsen der kirchlichen Familie zu arbeiten; ihr Beitrag ist äußerst bedeutsam. Ermutigt die Jugend, vor allem „nach den höheren Gnadengaben“ zu streben (2 Kor 12, 31)! Arbeitet eng mit ihnen zusammen und zeigt ihnen die Herausforderung und das Anziehende des Priestertums und des Ordenslebens. 5. Euer Leben im Dienst des Volkes Gottes zu verschwenden, im Dienst am Wort und Sakrament: das ist eure große Aufgabe, eure Ehre, euer Schatz. Aber wiederum ist es der hl. Paulus, der uns daran erinnert: „Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen“ (2 Kor 4, 7). Es ist die persönliche Erfahrung eines jeden von uns, daß unsere Freude und unsere Fruchtbarkeit im Priesterleben aus einer vollen Annahme unserer priesterlichen Identität kommen. Wir müssen unsere Berufung und unsere Sendung heben. Aber man muß uns auch ansehen, daß wir unser Priestertum lieben. Laßt eure Leute sehen, daß ihr Männer des Gebetes seid. Laßt sie sehen, daß ihr die heiligen Geheimnisse mit Liebe und Ehrfurcht behandelt. Laßt sie sehen, daß euer Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Wahrheit echt, vorbehaltlos und mutig ist. Laßt jeden sehen, daß ihr die Kirche hebt und daß ihr eines Sinnes und eines Herzens mit ihr seid. Was auf dem Spiel steht, ist die Glaubwürdigkeit unseres Zeugnisses! Totus tuus ego sum — Ich bin ganz dein 6. Brüder und Schwestern, Mitglieder der Ordensfamilien! Wie gern würde ich jeden von euch persönlich begrüßen! Von jedem von euch die „magnalia Dei“, die Großtaten Gottes, hören, wie der Heilige Geist in eurem Leben am Werk ist! In der Tiefe eures Herzens, im Kampf zwischen Gnade und Sünde, in den verschiedenen Augenbhcken und Umständen eures Glaubensweges — wie hat Christus da auf mannigfaltige Weise zu euch gesprochen und gesagt: „Komm, folge mir!“ Könnte der Papst nach Schottland kommen, ohne zu sagen: „Ich danke euch, daß ihr auf den Ruf geantwortet habt?“ Natürhch nicht! Darum: Dank euch im 547 Reisen Namen der Kirche! Dank euch für das besondere Zeugnis, das ihr gebt, und für all die Gaben, die ihr beisteuert. Weil ihr eure Taufgnade in euch in einer Weise zur Entfaltung gebracht habt, daß ihr in der Ordensweihe euch „dem über alles geliebten Gott vollständig zu eigen“ gabt (vgl. Lumen gentium, Nr. 44), seid ihr Zeichen für ein höheres Leben geworden, ein Leben, „das wichtiger ist als die Nahrung“, einen „Leib, wichtiger als die Kleidung“ (Lk 12, 23). Durch das Leben nach den evangelischen Räten seid ihr ein prophetisches Zeichen für das ewige Reich des Vaters geworden. Mitten in der Welt weist ihr hin auf das eine, das notwendig ist“ (Lk 10, 42), auf den Schatz, der nicht abnimmt“ (Lk 12, 33). Ihr besitzt die Quelle der Inspiration und der Kraft für die verschiedenen Formen apostolischer Arbeit, die eure Ordensgemeinschaften auszuführen berufen sind. 7. Diejenigen unter euch, die kontemplativen Gemeinschaften angehören, dienen „im Herzen Christi“ dem Volk Gottes. Ihr erinnert jene, die im Einsatz für den Aufbau der irdischen Stadt stehen, prophetisch daran, daß sie, wenn sie das Fundament nicht im Herzen legen, vergeblich gearbeitet haben (vgl. Lumen gentium, Nr. 46). Ihr gebt ein eindrucksvolles Zeugnis für die Botschaft des Evangeliums, das um so notwendiger ist, als die Menschen heute dem Schöpfer gegenüber oft einem falschen Autonomiegefühl verfallen. Euer Leben bezeugt den absoluten Vorrang Gottes und des Königtum Christi. 8. Und ihr, Brüder und Schwestern, deren Berufung die aktive Arbeit im Dienst der Kirche ist, ihr müßt die Kontemplation mit eurem apostolischen Eifer verbinden. Durch das kontemplative Gebet sucht ihr im Geist und im Herzen Gott anzuhangen, durch die eifervolle apostolische Liebe verbindet ihr euch mit dem Werk der Erlösung und breitet das Reich Gottes aus (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 5). In eurem Dienst an der menschlichen Familie müßt ihr achthaben, daß ihr das Regnum Dei, das Reich Gottes, nicht mit dem Regnum hominis, dem Reich des Menschen, verwechselt, so als ob politische, soziale und wirtschaftliche Befreiung dasselbe wären wie die Erlösung in Jesus Christus (vgl. Papst Johannes Paul I. Ansprache bei der Generalaudienz am 20. September 1978). Eure prophetische Rolle in der Kirche sollte euch dazu führen, den tiefsten Sinn aller menschlichen Tätigkeit zu entdecken und zu verkündigen. Nur wenn das Tun des Menschen seine Beziehung zum Schöpfer bewahrt, behält es seine Würde und kommt zu seiner Erfüllung. Eure Gemeinschaften waren in den Prozeß der Erneuerung einbezogen, die das Zweite Vatikanische 548 Reisen Konzil wünschte. Ihr versucht, eurer Rolle in der Gemeinschaft der Kirche in Übereinstimmung mit euren besonderen Charismen immer treuer zu entsprechen. Ausgehend von der ursprünglichen Inspiration eurer Gründer und dem Lehramt der Kirche folgend, seid ihr vorzüglich in der Lage, die Eingebungen des Heiligen Geistes hinsichtlich der Bedürfnisse der Kirche und der heutigen Welt richtig zu erkennen. Durch angemessene äußere Anpassung, begleitet von beständiger innerer Bekehrung, werden euer Leben und eure Tätigkeit im Bereich der Ortskirche und der gesamten Kirche zu einem wunderbaren Ausdruck der Lebendigkeit und Jugend der Kirche selbst. Ein Leben, das wichtiger ist als die Nahrung Mit den Worten des hl. Paulus sage ich: „Ich danke meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, weil euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird“ (Röm 1, 8). 9. Brüder und Schwestern, eine ist da, die auf dem Weg der Jüngerschaft uns zur Seite geht: Maria, die Mutter Jesu, die alles in ihrem Herzen bedachte und immer den Willen des Vaters tat (vgl. Lk 2, 51; Mk 3, 35). In dieser Metropolitankathedrale, die ihr geweiht ist, möchte ich zu den Gedanken und Empfindungen zurückkehren, die am 13. Mai in Fatima mein Herz erfüllten. Dort weihte ich ihr noch einmal mich selbst und meinen Dienst: „Totus tuus ego sum - Ich bin ganz dein.“ Ihr weihte ich aufs neue die Kirche und die ganze Welt, die so sehr der Weisheit und des Friedens bedarf, und vertraute sie ihrem mütterlichen Schutz an. Einige der Anrufungen, die ich in Fatima an das Unbefleckte Herz Mariens richtete, sind folgende: Von Hunger und Krieg: befreie uns! Von Atomkrieg, unkontrollierbarer Selbstzerstörung und jeder Art des Krieges: befreie uns! Von den Sünden gegen das Leben des Menschen von seinen Anfängen an: befreie uns! Vom Haß und von der Mißachtung der Würde der Söhne und Töchter Gottes: befreie uns! Von jeder Ungerechtigkeit im sozialen, nationalen und internationalen Leben: befreie uns! Von leichtfertiger Übertretung der Gebote Gottes: befreie uns! Vom Versuch, in den Herzen der Menschen die Wahrheit Gottes zu ersticken: befreie uns! 549 Reisen Von den Sünden gegen den Heüigen Geist: befreie uns, befreie uns! Höre, Mutter Christi, diesen Hilfeschrei, in welchem die Not aller Menschen zu Dir ruft, die Not ganzer Völker! Noch einmal zeige sich in der Geschichte der Welt die unendliche Macht der erbarmenden Liebe. Daß sie dem Bösen Einhalt gebiete! Daß sie die Gewissen wandle! In Deinem unbefleckten Herzen offenbare sich allen das Licht der Hoffnung! Und jedem Priester und Diakon, jedem Ordensbruder, jeder Ordensschwester, jedem Seminaristen hinterlasse ich ein Wort der Ermutigung und eine Botschaft der Hoffnung. Mit dem hl. Paulus sage ich zu euch: „Dafür arbeiten und kämpfen wir, denn wir haben unsere Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt. . .“ (1 Tim 4, 10). Ja, liebe Brüder und Schwestern, unsere Hoffnung ist im lebendigen Gott verankert! Hoffnung für eine gespaltene Welt Begegnung mit dem Moderator der Schottischen Kirche und anderen Kirchenführern in Edinburgh am 1. Juni „Die Gnade Jesu Christi, unseres Herrn, sei mit eurem Geist, meine Brüder“ (Gal 6, 18). <22> <22> Ich freue mich, heute früh mit Ihnen zusammenzutreffen, und ich bin sehr dankbar für Ihre Liebenswürdigkeit, zu so früher Stunde hierherzukommen. Kurz nach meiner Ankunft in Schottland hatte ich gestern das Glück, vom Moderator der Generalversammlung der Kirche Schottlands, Professor John Mclntyre, begrüßt zu werden. In dieser Hinsicht muß ich an die erste historische Begegnung im Jahr 1961 zwischen dem damaligen Moderator Dr. Archibald Craig und meinem Vorgänger Johannes XXIII. erinnern; oder an die Freundlichkeit von Dr. Peter Brodie, der während seines Jahres als Moderator 1978 sowohl meinem Amtsantritt als dem Johannes Pauls I. bewohnte. Ich bin mir auch der Bedeutung des glücklichen Treffens gestern abend bewußt im Bereich der Versammlungshalle selbst, des Sitzes des Obersten Gerichtshofes der Kirche Schottlands, und auch des Ortes jener bedeutsamen Tagung der Weltmissionskonferenz im Jahre 1916, die allgemein als Beginn der modernen ökumenischen Begegnung betrachtet wird. 550 Reisen 2. In eben diesem Geist einer vom Gebet getragenen ökumenischen Arbeit hatte ich am vergangenen Samstag die große Freude, mit den Vertretern der Kirche Schottlands und der schottischen Episkopalkirche sowie mit anderen britischen Kirchenführern zusammenzutreffen. Ich bin sicher, daß Sie mit mir darin übereinstimmen, daß Begegnungen wie diesen eine ganz besondere Bedeutung zukommt; schon allein die Tatsache, daß sie stattfinden, ist vor der Welt ein Zeugnis dafür, daß trotz der bedauerlichen Geschichte der Spaltung unter den Jüngern Christi wir alle, die wir zu dem einen wahren Gott beten, heute im Namen Gottes Zusammenarbeiten und Zusammenwirken wollen zur Förderung der menschlichen Werte, deren wahrer Urheber er ist. 3. Ganz besonders erfreut war ich, von den fruchtbaren Dialogen zu erfahren, die zwischen der katholischen Kirche in diesem Land und der Kirche von Schottland, der Episkopalkirche Schottlands sowie anderen Kirchen bestehen, wie auch über ihre Zusammenarbeit mit dem Schottischen Kirchenrat in vielen Aspekten seiner Arbeit. Besonders erwähnen möchte ich die gemischten Kommissionen über die Lehre und die Ehe mit der Kirche von Schottland und die gemischte Studiengruppe mit der Schottischen Episkopalkirche; Mitglieder dieser Gruppen sind heute früh auch hier zugegen. Ich möchte Ihnen meine Anerkennung für Ihre geduldige und gewissenhafte Arbeit im Namen Christi aussprechen. Auch hier haben wir ein Beispiel jenes gemeinsamen Zeugnisses, das sowohl ein Ausdruck des Grades der begrenzten, aber wirklichen Einheit ist, deren wir uns durch Gottes Gnade bereits erfreuen, als auch unseres aufrichtigen Wunsches, den Wegen zu folgen, die Gott uns zu jener vollständigen Einheit führt, die allein er geben kann. Wir haben, wenn wir diesem Weg folgen, noch zahlreiche Hindernisse zu überwinden, die von der betrüblichen Geschichte vergangener Feindseligkeiten verursacht sind; wir haben noch wichtige Lehrprobleme zu lösen; doch die gegenseitige Liebe und unser Wille zur Einheit können bereits ein Zeichen der Hoffnung für eine gespaltene Welt sein - nicht zuletzt in diesen Tagen, in denen der Friede so sehr gefährdet ist. Ich habe mich auf diese Begegnung gefreut. Auch wenn sie nur kurz ist, bietet sie uns doch Gelegenheit, uns gegenseitig als Brüder zu grüßen und, was das Allerwichtigste ist, uns im Gebet darum zusammenzuschließen, daß er, der dieses gute Werk bei uns begonnen hat, es auch vollenden wird (vgl. Phil 1,6). Ich bin glücklich, auch den Vertreter der Jüdischen Gemeinde in Schottland begrüßen zu können, der durch seine Anwesenheit hier die tiefen 551 Reisen geistlichen Bande symbolisiert, die unsere beiden Religionsgemeinschaften so eng miteinander verbinden (vgl. Nostra aetate, Nr. 4). In gleicher Weise heiße ich die Vertreter der islamischen Gemeinschaften in diesem Land willkommen und bin glücklich, an die religiösen Werte erinnern zu können, die uns im Glauben an den einen allmächtigen und barmherzigen Gott gemeinsam sind (vgl. Nostra aetate, Nr. 3). Möge Er uns Sein Antlitz zuwenden und uns Frieden schenken! „. . . es ging eine Kraft von ihm aus“ Ansprache beim Besuch des Saint-Joseph’s-Hospitals in Edinburgh am 1. Juni Meine lieben Freunde und Kinder in Jesus Christus! 1. Ich freue mich, in das Saint-Joseph’s-Hospital, Rosewell, zu kommen, und das aus verschiedenen Gründen. Zuerst möchte ich die geistig und körperlich behinderten Patienten des Krankenhauses begrüßen wie auch die Vinzentinerinnen, die das Krankenhaus leiten zusammen mit den Ärzten, dem Pflege- und Hilfspersonal, den Kaplänen und freiwilligen Helfern für die Behinderten, den Eltern und Angehörigen der hier zur Spezialbehandlung untergebrachten Patienten. Ein anderer Grund meines Besuches ist der, die der Kirche von Christus übertragene Mission zu bezeugen, die in der Sorge für das ganze Volk Gottes und insbesondere die Bedürftigen besteht. Ich habe erfahren, daß es in der alten gälischen Sprache Schottlands einen sehr bezeichnenden Ausdruck gibt: „corramaich for chüram Dhe“, der die Behinderten als die Schützlinge Gottes bezeichnet - „Gottes Behinderte“. Solch eine feinfühlige Benennung oder Bezeichnung schließt eine große Vielfalt tiefer christlicher Einsichten in den Sinn des Lebens und seiner Würde, eines Lebens, das wir alle vom Schöpfer erhalten haben und dessen Verlauf individuell verschieden ist, ein. Für den Getauften ist dies ein neues Leben der Gnade in und durch Jesus Christus, den Erlöser der Welt. 2. Alle diejenigen, denen nicht die Fülle des sogenannten normalen Lebens vergönnt ist - durch geistige oder schwere physische Behinderung -, werden häufig mit Eigenschaften belohnt, die die Menschen unter dem 552 Reisen Einfluß der materialistischen Gesellschaft oft als nutzlos oder sogar als Fehlhaltungen ansehen: Dinge, wie ausstrahlende Liebe - transparent, unschuldig und sehnsuchtsvoll — und die Anziehungskraft liebevoller und selbstloser Fürsorge. Was dies betrifft, finden wir in den Evangelien oft das erquickende Beispiel Jesu, das herzliche Band der Liebe zwischen ihm und den Kranken und Behinderten; so viel hat er für sie getan, die großen Worte des Glaubens hat er an sie gerichtet und ihnen geholfen, „denn es ging eine Kraft von ihm aus“ (Lk 6, 16; vgl. Mk 1, 32-43). Manchmal tat er ein übriges und identifizierte sich selbst mit den Kranken und Unglücklichen, er, der selbst so großes Leid und den Tod erfahren mußte: „Ich war krank und ihr habt mich besucht. . . was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25, 36-40). Zeichen der Gemeinschaft 3. Diese Worte Jesu sind auch eine Quelle großen Trostes für alle diejenigen, welche die Kranken und Behinderten pflegen: Pflegepersonal und Ärzte, Ordensfrauen und Kapläne, Eltern, freiwillige Helfer und Freunde. Denn eure liebevolle Fürsorge und Selbstaufopferung werden oft Quelle eigener Leiden, durch Übermüdung, seelische und geistige Beanspruchung oder sonstige Belastungen. Wenn ihr euch bei eurer liebevollen Pflege und eurem umsichtigen Dienst mit den Behinderten identifiziert, dann gilt für euch die Feststellung des Paulus: „Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt“ (Kol 1, 24; vgl. 2 Kor 1, 5; 12, 9). Und wenn ihr euch wirklich am Tiefpunkt fühlt, dann hat unser Herr selbst eine weitere und sehr persönliche Botschaft des Trostes: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht“ (Mt 11, 28-30). Diese Worte der Ermutigung, die Christus uns hinterlassen hat und die ich in seinem Namen an euch weitergebe, gelten auch für diejenigen, die zu Hause die Behinderten betreuen und versuchen, ihnen ein möglichst normales Familienleben zu bieten. 4. Ich weiß von Kardinal Gray, daß die Erzdiözese von St. Andrews und Edinburgh wie auch andere Diözesen in Schottland durch besondere Messen und Versammlungen für Behinderte und ihre Helfer in regelmäßigen Abständen und in verschiedenen Pfarrzentren Sorge tragen. 'In die- 553 Reisen sem Geist des christlichen Dienstes und der Zusammenarbeit folgt ihr in bewundernswerter Weise dem Aufruf, mit den Fröhlichen sich zu freuen und mit den Weinenden zu weinen (vgl. Röm 12,15). Das ist nicht nur ein Ansporn zu einer wahrhaft humanen und humanisierenden inneren Einstellung, sondern auch ein Zeichen der Gemeinschaft, das die Gebenden gleichermaßen wie die Nehmenden bereichert. 5. Eine Reise nach Rosewell wäre nicht vollständig ohne die Erwähnung einer jungen Frau, deren heiliges Leben und deren Leiden der Botschaft der Heiligen Schrift, von der ich heute früh sprach, vollen Ausdruck gab: Es ist die ehrwürdige Margaret Sinclair, die in ihrem Ordensleben später als Schwester Mary Francis von den fünf Wundmalen bekannt war und von 1900 bis 1925 lebte. Margaret kam an einem Feiertag mit anderen Mitgliedern ihrer Familie von Edinburgh nach Rosewell. Man kann sie als eines der Kinder Gottes bezeichnen, die - durch ihre Demut - von Gott mit der Kraft echter Heiligkeit des Lebens berührt wurden, ob als Kind, als junge Frau, als Lehrling, als Arbeiterin, als Gewerkschaftsmitglied oder als Ordensschwester. Es ist nur recht und billig, Rosewell als Ort des Mary-Sinclair-Zentrums zu wählen, dessen Zweck es ist, ihr ermutigendes Beispiel bekanntzumachen und den Prozeß ihrer Seligsprechung zu fördern. Ich würdige voll und ganz die Initiativen der Katholiken von Schottland und anderswo zur Verwirklichung dieses Zieles, und ich weiß, daß ihr dafür betet. Mit der Erinnerung und der Inspiration der ehrwürdigen Margaret Sinclair verlasse ich euch nun. Indem Jesus uns zur. Liebe und Hilfe für die Behinderten führt, berührt er unser Leben mit seiner Kraft und belohnt uns gemäß seinem Versprechen: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ {Mt 25, 40). Gelobt sei Jesus Christus! 554 Reisen „Synthese von Kultur und Glauben“ Ansprache beim Besuch des St.-Andrew’s-College in Glasgow am 1. Juni Meine Brüder und Schwestern in Jesus Christus! 1. Es ist mir eine große Freude, Sie hier in dem schönen Campus des Saint-Andrew’s-College in Bearsden, Glasgow, begrüßen zu können. Ich möchte meine Achtung auch gegenüber den Vertretern der Zivil- und Erziehungsbehörden von Schottland zum Ausdruck bringen, die hier mit dem Lehrkörper und den Schülern des College, deren Eltern, Priestern und Ordensleuten sowie den Kollegen der Schulen, Universitäten, Fortbildungsinstitute und anderer Institutionen des Bildungswesens anwesend sind. Wie ich erfahren habe, ist das Saint-Andrew’s-College in jüngerer Zeit von zwei hervorragenden Traditionen der Lehrerbildung geformt worden: dem Notre Dame College of Education hier in Bearsden und Dowanhill, Glasgow, und dem Craiglockhart College of Education in Edinburgh. Als nationales College hat es heute den gleichen Schutzpatron wie Schottland, nämlich den Apostel Andreas, den Bruder des Simon Petrus, mit dem er vor fast 2000 Jahren vom Herrn die wichtige Aufforderung erhielt: „Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen“ (Mk 1, 17). Heute befindet sich der Nachfolger des hl. Petrus hier in eurem schönen Schottland in der angenehmen Gesellschaft der geistigen Söhne und Töchter des Andreas. Und obgleich auch ich ein „Mann aus einem fernen Land“ bin, bin ich mir des reichen Vermächtnisses Schottlands, der großen Stadt Glasgow und der umliegenden Region von Strathclyde bewußt. Glasgow, die Stadt des hl. Kentigern oder Mungo, „der gute Mann“, den die Geschichte als ihren ersten Bischof ansieht, geht auf das sechste Jahrhundert zurück. Eine Stadt, deren berühmte mittelalterliche Universität als Wappenspruch die eigenen Worte Christi hat - „Via, Veritas, Vita“ -, der wahrhaftig „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ ist (Joh 14, 6). Dieser schöne Ort veranlaßt uns, einmal über die Bedeutung nachzudenken, die man in Schottland seit langem schon der Förderung sorgfältiger Erziehung beimißt, und dann deren Folgen für die Gegenwart und die unmittelbare Zukunft zu betrachten. 555 Reisen 2. Um einige der großen Errungenschaften der Vergangenheit zu erwähnen, sei erinnert an den Beitrag der hl. Margareta im elften Jahrhundert, der Königin und Schutzpatronin Schottlands, an die Gründung der Universitäten Saint Andrew’s, Glasgow, und Aberdeen (King’s College) im 15. Jahrhundert; den Chor der Sängerschulen und Gymnasien in der gleichen Zeit und die späteren Pfarrschulen im ganzen Land, wo der „Dominie“ oder Schulmeister die „lad o’pairts“ ermunterte. Schließlich brachten die Söhne und Töchter Schottlands die Erziehung in die entlegenen Länder des Commonwealth, und nicht wenige Führer der Entwicklungsländer wurden in euren alten Universitäten, einschließlich Edinburgh, und neueren Gründungen wie Strathclyde, Stirling und Heriot-Watt ausgebildet. Besonders hervorzuheben ist das stetige Interesse der schottischen Staatskirche für die Bereitstellung von Erziehungseinrichtungen aller Stufen, und wir freuen uns über die zunehmende Zusammenarbeit zwischen ihren Komitees und der katholischen Kirche, besonders auf dem Gebiet der religiösen Erziehung. Konstituierender Teil des Staatssystems Ich glaube, daß hier die Statuten des „Education Act“ von 1918 (Schottland) nachdrücklich erwähnt werden müssen, wonach die katholischen Schulen ein konstituierender Teil des Staatssystems mit wesentlichen Garantien für die religiöse Erziehung und die Ernennung der Lehrer sind. In diesem Zusammenhang möchte ich den Lehrern aus dem Ordens- und Laienstand meine Anerkennung aussprechen, weil ihr Einsatz den Weg für dieses System geebnet hat, ohne den Weitblick der Zivil- und kirchlichen Behörden, die es ermöglicht haben, wie auch die besonnene Klugheit bei seiner Durchführung zu vergessen. Während die katholischen Lehrer und ihre Kollegen mit Recht auf zurückliegende Erfolge stolz sein können, bin ich sicher, daß ihr Realismus nicht geringer ist als jener von Thomas Reid und der schottischen „Common Sense“-Schule der Philosophie; denn schon der gesunde Menschenverstand würde jede Verlockung zu Selbstgefälligkeit ausschließen, zumindest angesichts der raschen Entwicklung in der Sozial- und Wirtschaftsordnung. Selbstverständlich muß jede gültige Erziehungsphilosophie all dies in Betracht ziehen. 3. Es scheint, daß in der modernen Zeit der Erfolg aller Erziehungsprogramme oder -Systeme weitgehend an der Qualifikation gemessen wird, die Sie für die Berufslaufbahn bereithalten. Das macht sich besonders in 556 Reisen den Sekundarschulen bemerkbar, wo die zukünftige Berufswahl entscheidend ist. Deshalb liegt, jedenfalls bis jetzt, das Hauptgewicht auf dem zeugnisorientierten Curriculum, bei dem die Noten als echte Garantie für die Berufslaufbahn angesehen werden. Diese Einstellung hat dazu geführt, eine auf das „Äußere“ gerichtete Linie in der Erziehung voranzutreiben - an sich keine schlechte Sache, aber ein gewisser Sinn für Gleichgewicht und Perspektive ging verloren, nämlich die Perspektive der Gesamtperson, ihres inneren Selbst wie auch ihrer äußeren Erwartungen. Wir wissen nur zu gut, daß heute der Besitz eines Zeugnisses nicht automatisch einen Arbeitsplatz verschafft. Die rauhe Wirklichkeit hat unter den jungen Menschen, die oft hart gearbeitet haben, zur Frustration geführt, aber auch im Erziehungswesen selbst ein Gefühl des Unbehagens ausgelöst. Daher die Frage: Wo liegt der Fehler? Was hat die Spezialisierung heute in Wirklichkeit, in bezug auf das Leben, gebracht? Wo findet sich der Ausweg? Die Eltern: erste Erzieher der Kinder Wir sollten vielleicht über die hinter der Erziehung stehende Philosophie nachdenken: Erziehung ist die Vervollkommnung der Person. Erzogen sein heißt, besser für das Leben gerüstet zu sein, eine größere Fähigkeit zur Bewertung des Lebens zu haben: was dieses ist, was es bieten muß und was die Person der menschlichen Gesellschaft schuldet. Würden wir für diese Philosophie unser modernes erzieherisches Können und unsere Möglichkeiten einsetzen, dann könnte es uns gelingen, unseren Schülern und Studenten etwas von bleibendem Wert zu geben, ein Gegengift gegen die oft unmittelbaren Aussichten auf Frustrierung und Langeweile, von der Ungewißheit der ferneren Zukunft ganz zu schweigen. Es wurde mir gesagt, daß die Erzieher und die Erziehungsbehörden von Schottland sich bereits mit diesem Problem auseinandergesetzt haben und daß sie den Schwerpunkt der Erziehung auf die Entwicklung der Gesamtperson legen; nicht allein intellektuelle Fähigkeit, sondern auch emotionale, physische und soziale Entwicklung. Diese ganzheitlichen Aspekte sind, glaube ich, in den offiziellen Berichten ein ständig wiederkehrendes Thema. Ich möchte Ihnen heute morgen moralische Unterstützung und Mut für die ständige Verwirklichung dieser Empfehlungen auf jeder Schulstufe geben, sowohl in der Primär- als auch in der Sekundarschule. Ich habe auch erfahren, daß diese Aufgabe der erzieherischen Entwicklung durch schwere wirtschaftliche Faktoren behindert wird, was sich in 557 Reisen fehlendem Lehrpersonal und Lehrmitteln auswirkt. Aber man muß die durch die pädagogische Entwicklung selbst sichtbar gemachten ermutigenden Faktoren anerkennen und begrüßen. Wichtig und vorrangig muß die zunehmende Einbeziehung der Eltern sein, insbesondere auf dem Primär- und Sekundarsektor, etwas weniger auf dem dritten. In gewisser Weise ist das durch die Strukturen der Eltern-Lehrervereinigungen oder ähnlicher Einrichtungen verwirklicht worden, durch das Konzept der „community-schools“, durch Öffnung der Schulbibliothek und der Freizeiteinrichtungen für die Eltern, und so bot sich eine gute Gelegenheit für die Erwachsenen- und Weiterbildung mit dem Ziel der vollen Entwicklung der Person und ihrer gottgegebenen Fähigkeiten. Es ist sehr richtig, wenn die Eltern mehr in die Erziehungsstrukturen mit einbezogen werden. Sind die Eltern nicht, in der Sicht Gottes, die ersten Erzieher ihrer Kinder? Dieses Grundprinzip ist beim Zweiten Vatikanischen Konzil unterstrichen worden, insbesondere in der Erklärung über die christliche Erziehung: „Da die Eltern ihren Kindern das Leben schenken, haben sie die überaus schwere Verpflichtung zur Kindererziehung. Daher müssen sie als die ersten und bevorzugten Erzieher ihrer Kinder anerkannt werden“ (Gravissimum educationis, Nr. 3). Die Förderung der „ganzheitlichen, persönlichen und gesellschaftlichen“ Erziehung ist also, das brauchen wir nicht zu betonen, notwendige und ergänzende Aufgabe der Schule. Und hier, bei dem täglichen Fortschritt auf diese Ziele hin, findet man auch echte Elemente der Ermutigung. Ist man sich dessen bewußt, daß die Berücksichtigung der „Gesamtperson“ auch eine geistige Dimension einschließt, dann entdeckt man, daß die Erziehungsbehörden in Schottland neben bereits genehmigten Kursen und Fachausbildungen für Fachlehrer für religiöse Erziehung große Aufmerksamkeit anderen Einrichtungen wie dem Staatsexamen und dem Inspektorat Ihrer Majestät schenken. Es ist besonders erfreulich zu wissen, daß das Erziehungskomitee der Generalversammlung der Kirche von Schottland und die römisch-katholische Erziehungskommission gemeinsame Schritte hinsichtlich der wichtigsten Aspekte dieser Überlegung unternommen haben. 5. Die oben beleuchteten Punkte, insbesondere die Entwicklung der Gesamtperson, die geistige Dimension der Erziehung, die Einbeziehung der Eltern, waren immer grundlegend für das Ethos der katholischen Schule. Dies gilt ganz besonders für die Primarschule mit der engen Verbundenheit zwischen Familie, Schule, Pfarrgemeinde und örtlicher Behörde. Es trifft etwas weniger für die komplexe Situation der Sekun- 558 Reisen darstufe zu, wo die Diözese oft Kapläne stellt, besonders für die Schule als eine auf die Eucharistie zentrierte Glaubensgemeinschaft und, wo möglich, als pastorales Band mit den Ortspfarreien. Immer auf ständige Verbesserung bedacht, sollte die katholische Schule jedoch vollen Gebrauch von passenden und neuen Möglichkeiten machen, schon allein um ihre Identität und ihre Rolle zu erfüllen. Und hier wollen wir daran erinnern, was genau Identität und Ziel der katholischen Schule ist. Das unter dem Titel „Die katholische Schule“ im März 1977 von der Kongregation für das katholische Bildungswesen veröffentlichte Dokument mahnt uns in passender Weise: „Die katholische Schule ist . . . an die Entwicklung der Gesamtperson gebunden, da in Christus, dem vollkommenen Menschen, alle menschlichen Werte ihre Erfüllung und Einheit finden. Hierin liegt der spezifisch katholische Charakter der Schule. Ihre Pflicht, die menschlichen Werte in ihrem eigenen legitimen Recht zu pflegen in Übereinstimmung mit ihrer besonderen Mission, nämlich allen Menschen zu dienen, hat ihren Ursprung in der Gestalt Christi. . . Ihre Aufgabe ist grundsätzlich eine Synthese von Kultur und Glauben und eine Synthese von Glauben und Leben“ (ebd35-37). In dieser Beziehung ist für die katholische Schule der Imperativ des christlichen Engagements von seiten der Lehrer implizit. Die katholische Schule „muß eine Gemeinschaft sein, deren Ziel die Weitergabe von Werten für das Leben ist. Ihre Arbeit wird als Förderung einer Glaubenserziehung mit Christus, in dem alle Werte ihre Erfüllung finden, angesehen. Aber Glaube wird grundsätzlich aufgenommen durch Kontakt mit Menschen, deren tägliches Leben ihn bezeugt“ (ebd., 53). Bei der Beleuchtung des Wertes der katholischen Schule und der Bedeutung der katholischen Lehrer und Erzieher ist es notwendig, mit Nachdruck auf den zentralen Punkt der katholischen Erziehung hinzuweisen. Katholische Erziehung ist vor allem eine Frage der Verkündigung Christi, ein Beitrag dazu, Christus im Leben anderer lebendig zu machen. Die Getauften müssen daran gewöhnt werden, ihr neues, christliches Leben in Gerechtigkeit und Heiligkeit der Wahrheit zu leben. Die Sache der katholischen Kirche ist die Sache Jesu Christi und seines Evangeliums im Dienst am Menschen. Das Idealbild vom gebildeten Menschen schwindet Wir dürfen auch nicht die Integrität der katechetischen Botschaft außer acht lassen, die sagt: „Der Mensch, der ein Jünger Christi ist, hat das Recht, ,das Wort des Glaubens (Rom 10, 8) nicht verstümmelt, verfälscht 559 Reisen oder verkürzt zu empfangen, sondern voll und ganz . . . Daher ist auch kein wahrer Katechet berechtigt, nach eigenem Gutdünken das Glaubensgut aufzuteilen und zu trennen zwischen dem, was er für wichtig hält, und anderem, was ihm unwichtig erscheint, und dann das eine zu lehren und das andere zu unterschlagen . . . Methode und Sprachform, die man verwendet, müssen wirklich Werkzeuge bleiben, und die Gesamtheit und nicht nur einen Teil der ,Worte des ewigen Lebens (Joh 6, 68; cit. Apg5, 20; 7, 38) und der ,Wege des Lebens“ (Apg 2, 28, cit. Ps 16, 11) mitzuteilen“ (Catechesi tradendae, Nr. 30-31). 6. Auch wenn sich ein großer Teil meiner Ansprache auf das entscheidende Gebiet der Schule bezieht samt dem daraus folgernden Thema der Lehrerausbildung, hoffe ich doch, daß die hier anwesenden Universitätsangehörigen mit einem ehemaligen Universitätsprofessor die Bedeutung der Schule für die Universität erkennen: nicht nur als Bereich zukünftiger Universitätsstudenten, sondern als einen wesentlichen Teil des durchgängigen Erziehungsprozesses. Was die Universität selbst angeht, so möchte ich nur einige vor der Generalversammlung der UNESCO, vor Universitätsgruppen in Rom und im April in Bologna hervorgehobene Punkte erwähnen. Insbesondere halte ich die zuletzt erwähnten für besonders passend, da man mir sagte, daß die Universität Bologna einige bedeutsame Elemente ihrer großen Tradition an die alten schottischen Universitäten weitergegeben hat. Von ihrem Beginn an und aufgrund ihrer Institution besteht das Ziel der Universität im Erwerb einer wissenschaftlichen Kenntnis der Wahrheit, der ganzen Wahrheit. In dieser Weise ist sie eines der fundamentalen Mittel, das der Mensch für einen Bedarf an Wissen geschaffen hat. Aber wie das Zweite Vatikanische Konzil bemerkt, ist es „heute schwieriger als früher, die verschiedenen Wissenschaften und Künste in eine Synthese zu bringen. Denn einerseits nimmt die Menge und Vielfalt der Elemente zu, die die Kultur ausmachen, andererseits verringert sich die Fähigkeit der einzelnen, diese zu erfassen und organisch zu ordnen, so daß das Idealbild eines universal gebildeten Menschen immer mehr schwindet“ (Gaudium et spes, Nr. 61). Deshalb gilt jede Interpretation von Wissen und Kultur, die das geistige Wesen des Menschen ignoriert oder schmälert, seine Bestrebungen nach der Fülle des Seins, sein Durst nach der Wahrheit und dem Absoluten, die Fragen, die er sich selbst vor den Rätseln des Leidens und Todes stellt, als unzureichend gegenüber seinen tiefsten und echtesten Bedürfnissen. In der Universität erleben die jungen Menschen den Höhepunkt ihrer Bil- 560 Reisen düng, und deshalb sollten sie nicht nur Antworten über die Legitimität und das Ziel der Wissenschaft finden können, sondern auch solche über höhere sittliche und geistige Werte - Antworten, die ihr Vertrauen auf das erworbene Wissen und den Gebrauch der Vernunft zu ihrem eigenen Wohl und dem Wohl der Gesellschaft erneuern. 7. Zusammenfassend möchte ich wiederholen, was ich im vergangenen November in dem Apostolischen Schreiben über die Auf gaben der christlichen Familie in der Welt von heute geschrieben habe: „Es ist demnach notwendig, daß alle das Wissen um den Vorrang der sittlichen Werte, welche die Werte der menschlichen Person als solcher sind, wiedergewinnen. Den letzten Sinn des Lebens und seine Grundwerte wieder zu erfassen ist die große Aufgabe, die sich heute für die Erneuerung der Gesellschaft stellt“ (Familiaris consortio, Nr. 8). Und als Christen glauben wir, daß der letzte Sinn des Lebens und seine Grundwerte in Jesus Christus offenbart wurden. Er ist es - Jesus Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch -, der uns sagt: „Ihr sagt zu mir Meister und Herr, und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es“ (Joh 13, 13-14). Warum nicht Hand in Hand gemeinsam gehen? Predigt bei der Messe im Bellahouston-Park von Glasgow am 1. Juni Liebe Söhne und Töchter der katholischen Kirche in Schottland! 1. Die Heilige Schrift bietet uns ein beredtes Zeugnis für den unerschütterlichen Glauben, den eine Generation der Menschheit nach der anderen Gott entgegengebracht hat. Seit den Zeiten Abrahams blieb dieser Glaube die Jahrhunderte hindurch fest gegründet auf Gottes Verheißung, einen Retter zu senden, der sein Volk erlösen sollte. Von allen Ausdrucksformen des Glaubens war keine mehr spontan als jene, die Andreas, der Fischer von Galiläa, stammelte: „Wir haben den Messias gefunden“ (Joh 1, 41). Bei ihrer ersten Begegnung machte Jesus einen derart tiefen Eindruck auf ihn, daß Andreas früh am nächsten Morgen, als er seinen Bruder traf, ihm sagte: „Wir haben den Messias 561 Reisen gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus). Er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: „Du bist Simon der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet Fels (Petrus)“ (vgl. Joh 1, 41-42). Es war Andreas, der himmlische Patron eures geliebten Schottlands, der Petrus zu Jesus führte! 2. Der heutige Tag bildet einen weiteren bedeutenden Augenblick in der Geschichte unseres Heils: Der Nachfolger des Petrus kommt, um die geistlichen Kinder des hl. Andreas zu besuchen! Wir sind miteinander durch ein Band übernatürlicher Bruderschaft verbunden, das stärker ist als Blutsbande. Hier und jetzt bezeugen wir, daß wir den gleichen Glauben an Jesus bekennen, und wir hoffen fest, auch andere zu diesem Glauben hinführen zu können. Dieses gemeinsame Bekenntnis des Glaubens ist der eigentliche Beweggrund meines Pastoralbesuchs in eurer Heimat. 3. Liebe Brüder und Schwestern! Laßt uns ein wenig nachdenken über die Texte der Heiligen Schrift, die im Wortgottesdienst verkündet wurden. Der neue Gesetzgeber bietet neues Leben an Wir sind hier in dieser schottischen Hügellandschaft zur Feier der heiligen Messe versammelt. Sind wir nicht wie jene ersten Jünger und Nachfolger Jesu, die auf dem Hügel bei Kafarnaum zu seinen Füßen saßen? Was lehrte Jesus sie? Was wollte unser göttlicher Meister uns lehren, jeden einzelnen von uns, und zwar heute? Mit einfachen und klaren Worten legte Jesus die Bedingungen der Zulassung zu seinem himmlischen Reich dar. Er bot Überlegungen zu jedem Aspekt des täglichen Lebens an. Jesus legte einen neuen Lebensentwurf vor. In den kurzen Einleitungsworten zu seiner Bergpredigt gab er das Grundmotiv der neuen Ära an, die zu verkünden er gekommen war. Der neue Geist bedeutet freundlich, hochherzig, einfach und vor allem aufrichtig zu sein. Zu vermeiden sind Anmaßung, Überheblichkeit und Selbstsucht. Die Jünger des neuen Reiches müssen ihr Glück sogar inmitten von Armut und Entbehrung, Tränen und Unterdrückung suchen. Nach dem Reich streben erfordert einen radikalen Wandel der Auffassung, der Mentalität, des Verhaltens und des Verhältnisses zu den anderen. Wie das Gesetz dem Mose auf dem Berg Sinai offenbart wurde, so bietet Jesus, der neue Gesetzgeber, in der Bergpredigt der ganzen 562 Reisen Menschheit einen neuen Lebensweg an, eine Magna Charta christlichen Lebens. Wie erstaunt müssen die damaligen ersten Hörer beim Vernehmen dieser dramatischen Worte Christi gewesen sein! Zumal jene, die arm vor Gott, freundlich, traurig, erniedrigt oder unterdrückt waren, jetzt aber hörten, wie sie als zum Eintritt in ein himmlisches Königreich erwählt seliggepriesen wurden. 4. Die liebevolle Vaterschaft Gottes erfüllt jedes Wort Jesu. Die ganze Bergpredigt hindurch ruft er seine Hörer auf, dem Vater eine Antwort kindlicher Liebe zu geben. Jeder, der sich von diesem neuen Geist beleben läßt, ist ein Kind Gottes. Es ist nicht der Geist der Sklaven, der weitere Furcht in unser Leben hineinbringt; es ist vielmehr der Geist von Söhnen, und er läßt uns rufen: „Abba, Vater“ (Röm 8, 14-15). Liebe kann mehr kosten als Furcht je verlangen kann. Liebe aber wird die Hauptquelle der neuen Zeit sein. Jesus bekräftigt das bei einer späteren Gelegenheit: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhal-ten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen“ (Joh 14, 23). 5. In den Eigenschaften, die von den wahren Jüngern Jesu gefordert werden, können wir das Bild Jesu selber erblicken, wie es die Propheten des Alten Testamentes entworfen haben, wie es aber in diesen Seligpreisungen neu beschrieben ist. Es war die sehr klare Absicht Jesu: das Leben seiner Jünger sollte nach dem seinen gestaltet werden. „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig“ {Mt 11, 28-29). Anderswo aber sagt er: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ {Joh 14, 6). 6. Für uns ist wesentlich zu verstehen, daß Jesus für jeden einzelnen von uns eine besondere Lebensaufgabe hat. Jeder von uns ist bei der Hand genommen und beim Namen gerufen - von Jesus! Niemand unter uns steht ohne göttliche Berufung da! Dies aber schreibt der hl. Paulus in seinem Brief an die Epheser, den wir vor wenigen Augenblicken gehört haben. „Jeder von uns empfing die Gnade in dem Maß, wie Christus sie ihm geschenkt hat. Und er gab den einen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi“ {Eph 4, 7. 11-12). 563 Reisen Zuerst und vor allem hat Gott uns ins Dasein gerufen, er hat uns ins Sein gerufen. Er hat uns durch seinen Sohn Jesus Christus zur Erkenntnis berufen, daß er unser liebevoller Vater ist. Er hat uns berufen, seine Kinder zu sein. Er hat uns aufgerufen, in unserem persönlichen Leben seinen ewigen Heilsplan zu erfüllen, wobei Jesus uns leiten soll. Er hat uns zu Mitarbeit mit Jesus in sein himmlisches Reich berufen! Was Gott, unser Vater, uns also durch seinen Sohn schenkt, ist ein neues Leben als seine wirklichen Kinder mit Jesus, unserem Bruder; es ist zugleich ein dringender Aufruf zu lieben, zu leben und für das Kommen des Reiches zu arbeiten. Und wenn wir angesichts der Größe unserer Aufgabe zögern, bietet sich Jesus selbst-uns als Führer an und sagt: „Komm, folge mir!“ (Lk 9, 59). 7. Geliebte in Christus! Welche Antwort hat Schottland in der Vergangenheit auf Gottes Einladung gegeben? Die Geschichte des Christentums erzählt uns, daß seit frühen Zeiten, vielleicht schon seit der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts, Schottland das Evangelium Jesu Christi angenommen hat. Uber 1500 Jahre lang ist Jesu heiliger Name in diesem Lande angerufen worden. Der hl. Ninian, der hl. Columba und der hl. Kentigern haben als erste das Evangelium hier den Heiden verkündigt, und sie errichteten eine frühe christliche Kirche. Nach den dunklen Jahrhunderten, in denen es den eingefallenen Wikingern nicht gelang, das Licht des Glaubens zu löschen, eröffnete Königin Margaret ein neues Kapitel in der Geschichte der Kirche in Schottland, die frische Kraft empfing einmal durch eine neue innere Organisation, dann auch durch engeren Kontakt mit der Universalkirche. Obwohl geographisch am äußersten Ende Europas gelegen, wurde die Kirche in Schottland den Päpsten besonders lieb und teuer, und sie verliehen ihr vom Zentrum und Herzen der Christenheit aus den außergewöhnlichen Titel „Specialis Filia Romanae Ecclesiae - Besondere Tochter der römischen Kirche“. Welch herrliche Bezeichnung! Die Kirche war in den Kampf um die nationale Unabhängigkeit eng verwickelt mit Bischöfen wie Robert Wishart von Glasgow, die in der vordersten Front eurer Patrioten standen. Während es späteren Mittelalters blühte unser heiliger Glaube weiter in diesen Gegenden, herrliche Kathedralen und Kollegiatskirchen wurden gebaut, und zahlreiche Klöster verteilten sich kreuz und quer über das Land. Die Namen der Bischöfe Wardlaw, Turnbull und Elphinstone bleiben unzertrennlich verbunden mit der Gründung eurer Universitäten, auf die ihr als kleine Nation immer mit Recht so stolz wart. Schottische Gelehrte, wie Duns 564 Reisen Scotus, Richard von Sankt Viktor und John Major gewannen in der Wissenschaft internationales Ansehen und machten ihrem Heimatland Ehre. Das 16. Jahrhundert fand Kirchenmänner und Laien unvorbereitet auf den damaligen religiösen Umsturz, der die mittelalterliche Kirche von Schottland gewaltsam hinwegfegte und von ihr kaum Spuren hinterließ. Die Hierarchie wurde ausgelöscht, und die übriggebliebenen Gläubigen wurden zerstreut. Schottland blieb von den durch das Konzil von Trient verfügten Reformen ausgeschlossen. Doch auch dies war am Ende ein Teil von Gottes Vorsehung: Die folgenden Jahrhunderte bezeugen nämlich einen gewaltigen Kampf ums Überleben, angesichts von Verfolgung und Exil. Um dem Mangel an Priestern abzuhelfen, gründete Papst Clemens VIII. in Rom ein Kolleg für eure jungen Landsleute, und ähnliche Seminare wurden auch an anderen sicheren Plätzen auf dem Kontinent gegründet, um Arbeiter zurück in die „schottische Mission“ zu senden. Auch die Orden gaben ausgebildete Mitglieder frei zur Mitarbeit an diesem Werk. Wer hat nicht vom hl. John Ogilvie, dem Jesuiten, gehört, der nur wenige Meilen von dem Ort entfernt, wo ich jetzt stehe, sein Leben zum Zeugnis für den Glauben an Christus hingab! Die Apostolischen Vikare, denen die Organisation dieser missionarischen Tätigkeit anvertraut war, bezeugten in ihren Briefen nach Rom die Anhänglichkeit der Handvoll schottischer Katholiken an den Glauben ihrer Väter, den Stuhl Petri und die Person des Papstes. All diese Jahre hindurch sorgfältig aufbewahrt, spiegeln diese Dokumente nun deutlich das edle Antlitz der schottischen katholischen Gemeinde wider mit unverkennbaren Zeichen der Armut und Not, doch ebenso leuchtend vor Erwartung, es möge doch nach Gottes Ratschluß einmal ein neuer Tag für die Kirche in Schottland anbrechen. Liebe Katholiken von Schottland! Die Gebete eurer Väter blieben nicht unerhört! Ihre feste Hoffnung auf die göttliche Vorsehung wurde nicht enttäuscht! Vor anderthalb Jahrhunderten wandelte sich die Zeit der Unterdrückung, und die kleine Gemeinschaft der Katholiken gewann neue Lebenskraft. Die Ankunft zahlreicher, aus dem benachbarten Irland ausgewanderter Katholiken und die eifriger irischer Priester gab ihr eine breitere und reichere Spiritualität. Dies aber veranlaßte Papst Leo XIII., die katholische Hierarchie in Schottland wieder zu errichten - es war der allererste Akt seines Pontifikates -, und von da an vollzog sich ein schneller und ständiger Fortschritt. 565 Reisen 8. Ihr seid die Erben eines heiligen Erbes. Eure Vorväter haben euch das einzige Erbe hinterlassen, das ihnen wirklich wert und teuer war, unseren heiligen katholischen Glauben! Vom Himmel her würden sie euch nur eins herzlich nahelegen: „Euch muß es um sein Reich gehen“ (Lk 12, 31). Wendet euch dankbaren Herzens zu Gott und dankt ihm, daß für die katholische Kirche in Schottland ruhige Tage gekommen sind. 9. Was vor einem Jahrhundert noch Traum war, ist heute Wirklichkeit geworden. In Schottland hat sich das katholische Leben völlig geändert, und die Katholiken Schottlands nehmen ihren berechtigten Platz auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens ein, bekleiden sogar höchst wichtige und angesehene Ämter in diesem Land. Ist es nicht das, was uns der hl. Paulus heute im Epheserbrief zu sagen hat: „So wächst der Leib und wird in Liebe aufgebaut“ (Eph 4, 16)? Eure Ursprünge hegen in einer glorreichen Vergangenheit, doch ihr lebt nicht in der Vergangenheit. Ihr gehört zur Gegenwart, und eure Generation darf sich nicht einfach damit begnügen, auf den Lorbeeren auszuruhen, die eure Voreltern und Ahnen erworben haben. Ihr müßt eure Antwort auf Christi Ruf geben, in seine Nachfolge treten und als Miterben mit ihm eintreten in das himmlische Reich seines Vaters. Doch wir finden es heute schwerer, Christus zu folgen, als es anscheinend früher war. Will man im modernen Leben Zeugnis für ihn geben, bedeutet das täglichen Protest, der keineswegs so schnell und so endgültig endet wie bei den Märtyrern früherer Zeiten. Als Glaubende sind wir ständig dem Druck der modernen Gesellschaft ausgeliefert, der uns zur Anpassung an die Lebensformen unserer Zeit veranlassen, neue Prioritäten setzen und unsere Erwartungen zurückschrauben möchte bis zur Gefahr, dabei unser christliches Gewissen zu verraten. 10. Der Geist dieser Welt möchte unsere Kapitulation bei den fundamentalsten Grundsätzen unseres christlichen Lebens. Heute werden wie nie zuvor die Grundlehren des Glaubens in Frage gestellt: Das Wertsystem der christlichen Moral wird angegriffen und lächerlich gemacht. Dinge, die man eine Generation vor uns noch verabscheute, finden sich heute in den Gesetzbüchern der Gesellschaft verbrieft! Es sind Themen von größter Wichtigkeit, auf die aber keine einfache Antwort möglich ist; aber sie zu ignorieren, ist auch keine Antwort. Dinge von derart umfassender Bedeutung verlangen die vollste Aufmerksamkeit unseres christlichen Gewissens. 566 Reisen Im Namen aller Hirten der Herde Christi 11. Antwort auf solche Fragen zu geben, ist eine Aufgabe, die entmutigen könnte. Für die Mehrzahl der Gläubigen wäre es eine unmögliche Herausforderung, ohne Hilfe eine Antwort zu versuchen. Doch seid ihr nicht allein. Der Geist Gottes wirkt in der Kirche. Nie zuvor ist die Lehre der katholischen Kirche wie in den letzten Jahren in solchem Umfang neu formuliert worden, zumal bei den Themen, die das angesprochene moderne Gewissen quälen. Es genügt, die Liste der modernen Themen aufzuzählen, bei denen die Päpste, das ökumenische Konzil, die Bischofssynode und die verschiedenen nationalen Bischofskonferenzen, eingeschlossen die Schottische, autoritative und klare Feststellungen des katholischen Glaubens und der Praxis zur Leitung der Gläubigen in unserer Zeit abgegeben haben. Im Namen aller Hirten der Herde Christi, denen Gott selber das Amt der Hirten und Lehrer anvertraut hat (vgl. Eph 4, 11), versichere ich euch, daß wir genaue Kenntnis von den Problemen haben, mit denen ihr im Leben ringen müßt. Wir kennen auch die Angst, die so oft eure Herzen erfüllt. 12. In Erfüllung des feierlichen Auftrags, die Herde zum ewigen Leben zu führen, müssen wir uns immer die Worte des Apostels Paulus an Timotheus vor Augen halten: „Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht; weise zurecht, tadele, ermahne, in unermüdlicher und geduldiger Belehrung ... verkünde das Evangelium, erfülle treu deinen Dienst“ (2 Tim 2.5). Liebe Brüder und Schwestern! Die Predigt der Frohbotschaft von Jesu ist mein Lebenswerk. Darüber hinaus habe ich jetzt in der Kirche einen weiteren Dienst als Nachfolger des Simon Petrus zu erfüllen, zu dem Jesus selbst gesagt hat: „Ich habe für dich gebetet, Simon, daß dein Glaube nicht erlischt ... du aber stärke deine Brüder“ (Lk 22, 32). Zu diesem Zweck bin ich von Rom nach Schottland gekommen. Dazu habe ich voll Freude die Einladung eurer Bischöfe angenommen, zu kommen und euch in eurem katholischen Glauben zu stärken, den uns die Apostel überliefert haben. 13. Gestattet mir daher, mir die Mahnung, die der hl. Paulus in der heutigen Liturgie an euch richtet, zu eigen zu machen: „Ich ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging“ {Eph 4, 1). Oder in Christi eigenen Worten: „Ihr seid das Salz der Erde . . . Ihr seid das Licht der Welt“ {Mt 5, 13—14), von Gott, unserem Vater, berufen, seine Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer für 567 Reisen die Männer und Frauen der heutigen Generation zu sein, die ihr zu Jesus führen müßt, ebenso wie einst Andreas seinen Bruder Simon Petrus zu ihm hinführte. Laßt sie die Anziehungskraft des Beispiels eures täglichen Lebens spüren. Euer Einsatz für die sicheren Wege christlichen Lebens könnte entscheidend sein dafür, daß viele das Heil erlangen. Die Welt erkennt immer noch echte Güte als das, was sie ist. Pflegt loyal das Andenken eurer bedeutenden Vorläufer im Glauben. Laßt es euch angelegen sein, das euch anvertraute geistliche Erbe unversehrt weiterzugeben, bleibt treu eurem täglichen Gebet, der heiligen Messe und dem Bußsakrament, um regelmäßig Jesus, eurem liebevollen und barmherzigen Erlöser, zu begegnen. Verteidigt die Heiligkeit des Lebens und die Heiligkeit der Ehe. Versteht euren heiligen katholischen Glauben und lebt nach seiner Lehre. Nehmt die schweren Herausforderungen des modernen Lebens mit christlicher Tapferkeit und Geduld an. Hat nicht Jesus selber seinen Jüngern gesagt: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mt 16, 24; Mk 3, 34)? 14. Liebe Söhne und Töchter! Ich bin eingehend informiert worden über die sorgfältigen monatelangen Vorbereitungen zu meinem Pastoralbesuch in Schottland. Mit Bewunderung und Befriedigung habe ich das intensive Programm verfolgt, das die Bischöfe für eine geistliche Erneuerung der katholischen Gemeinschaft vorgeschlagen haben, um sicherzustellen, daß mein Besuch bleibende Früchte zeitigt. Aus tiefstem Herzen danke ich jedem einzelnen von euch für die Gebete, von denen diese Vorbereitungen begleitet waren, und für jede Bemühung, ihren Erfolg zu garantieren. „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen jubeln und uns an ihm freuen“ (Ps 118, 24). Ich empfehle euch alle, Bischöfe, Klerus, Ordensleute und Laien, der mütterlichen Fürsprache Mariens, der unbefleckten Mutter Gottes und Mutter der Kirche. 15. Bevor ich schließe, möchte ich kurz auch die breitere Gemeinschaft der Christgläubigen ansprechen, die mit meinen katholischen Brüdern und Schwestern die Auszeichnung teilen, Schotten zu sein, gleiche Söhne und Töchter dieser alten Nation. Ich weiß, wie sehr ihr die Heiligen Schriften verehrt und sie annehmt als das, was sie sind: Wort Gottes, nicht Menschenwort. Ich habe es bis jetzt aufgespart, möchte nun aber für euch die restlichen Worte aus dem Brief des hl. Paulus an die Epheser vorlesen: „Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, 568 Reisen ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alle und in allem ist“ (.Eph 4, 4-6). Dieser Text zeigt klar den Willen Gottes für die Menschheit, einen Plan, dem menschlicher Wille sich widersetzen mag, den er aber nicht vereiteln kann. Es ist Gottes Plan für uns alle, „denn wir haben hier keine Stadt, die bestehenbleibt, sondern wir suchen die künftige“ (Hebr 13, 14). Wir sind nur Pilger auf dieser Erde und wandeln dem himmlischen Reich entgegen, das uns als Gotteskinder verheißen ist. Liebe Brüder in Christus, können wir nicht künftig diese Pilgerreise Hand in Hand gemeinsam machen, „indem wir einander in Liebe ertragen, in völliger Selbstlosigkeit, Friedfertigkeit und Geduld“ und alles tun, um „die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der uns zusammenhält“ (vgl. Eph 4, 2-3)? Das würde gewiß den Segen Gottes, unseres Vaters, auf unseren Pilgerweg herabrufen. Wenn wir jetzt die Feier des eucharistischen Opfers Christi fortsetzen, laßt uns all jener - auf beiden Seiten - gedenken, die von dem Konflikt im Südatlantik betroffen sind. In der Freude der heutigen Feier können wir nicht umhin, der Kriegsopfer zu gedenken, der Toten und der Verwundeten sowie des Schmerzes vieler Familien. Laßt uns den Gott des Erbarmens anflehen, er möge uns Frieden in unseren Tagen geben, den Frieden Christi, unseres Herrn. Amen. 16. Liebes Volk von Schottland, zum Abschluß wünsche ich euch und euren Lieben, wo immer sie weilen mögen, die Fülle göttlichen Segens, auf daß eure Familien gedeihen und Friede und Harmonie in euren Heimen herrschen. Mögen die Gebete der hll. Apostel Petrus und Andreas dies für euch erlangen! Auf euer heißgeliebtes Heimatland Schottland aber möchte ich die Worte anwenden und mir zu eigen machen, die vielen von euch vertraut sind: „Herr, laß Schottland blühen durch die Predigt deines Wortes und den Lobpreis deines Namens!“ Amen. 569 Reisen „ Vorbilder für die Herde“ sein! Ansprache an die Schottische Bischofskonferenz in Edinburgh am 1. Juni Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Wir sind heute abend im Namen Jesu Christi zusammengekommen, des „Hirten und Bischofs unserer Seelen“ (/ Petr 2, 25), des „obersten Hirten“ der Herde (1 Petr 5,4). Wir sind hier, um über unser Bischofsamt nachzudenken und es durch Christus, unseren Herrn, in dessen Namen wir es ausüben, dem Vater darzubringen. Es gibt natürlich viele Faktoren, die unser Dienstamt betreffen und unsere Antwort als Führer des Gottesvolkes verlangen. Und eine ganze Reihe dieser Faktoren haben wir besonders jetzt vor Augen, wenn in unserem Geist und Sinn die Sorge um Frieden und Versöhnung so sehr im Vordergrund steht. Bei einer Gelegenheit wie dieser nehmen wir viele Pflichten wahr, die uns auferlegt sind, weil wir eben mit „dem Dienst der Versöhnung“ beauftragt sind (2 Kor 5, 18), weil wir aufgerufen sind, ein Evangelium des Friedens zu verkündigen. Der Bischof: lebendiges Zeichen Jesu Christi 2. Aber grundlegend für die Gesamtidentität eines Bischofs ist die Tatsache, daß er das lebendige Zeichen Jesu Christi sein soll. „In den Bischöfen ist also inmitten der Gläubigen der Herr Jesus Christus, der Hohepriester, anwesend“, stellt das Zweite Vatikanische Konzil fest (Lumen gentium, Nr. 21). 3. Diese Grundwahrheit gewährt uns einen tiefen Einblick in uns selber und unseren dringenden Bedarf an Heiligkeit des Lebens. Die übernatürliche Wirksamkeit unseres Amtes ist in vieler Hinsicht mit unserem Grad der Heiligkeit verknüpft - mit dem Grad, in dem wir durch Liebe und Gnade Christus gleichförmig geworden sind. Wir sollten deshalb die Aufforderung des hl. Paulus als vor allem an uns selbst gerichtet verstehen: „Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4, 24). Wie Jesus sind wir aufgerufen, Umkehr zu predigen, den Worten Widerhall zu verschaffen, die er gleich zu Beginn seines öffentlichen Wirkens verkündet hat: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1, 15). 570 Reisen Aber auch hier hängt unsere Wirksamkeit von unserem Offensein für die Gnade ab; wir selbst müssen die Bekehrung erfahren, die wir verkündigen. Heiligkeit wird somit für uns - wie ich vor einer anderen Gruppe von Bischöfen bei anderer Gelegenheit sagte - „zur größten Dringlichkeit in unserem Leben und in unserem Dienstamt“ (AAS, 71, 1979, S. 1220). 4. Es besteht kein Zweifel: Unsere Treue zur Liebe Jesu und unsere Freundschaft mit ihm sind für sämtliche apostolischen Arbeiten, die zu unserem täglichen Leben gehören, wesentlich. Diese Treue zur Liebe, diese Freundschaft mit Christus, dessen Reich wir verkünden, muß durch unser eigenes Gebetsleben genährt werden. Nur Einheit mit Christus macht es uns möglich, wirksame Diener des Evangeliums zu sein. Denken wir an die Worte Jesu: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht“ (Joh 15, 5). 5. Als Bischöfe müssen wir über die Heiligkeit Christi nachdenken. Ja, unser Volk verlangt mehr von uns als das: Es wünscht und braucht das Zeugnis einer prophetischen Vorwegnahme der Heiligkeit, zu der wir es auffordern. Die Leute bitten uns, ihre Führer in der Heiligkeit zu sein, klar und deutlich für sie den Weg zu finden, auf dem sie Christus folgen können. Wir müssen also, um mit dem hl. Petrus zu sprechen, „Vorbilder für die Herde“ sein (1 Petr 5, 3) -, indem wir darin vorangehen, ja zu sagen zu Gott, zu den anderen, zu den höchsten Idealen des christlichen Lebens. 6. Weil die Forderung groß ist, ist auch die Macht der Gnade Christi groß. In der Anbetung der Eucharistie werdet ihr Licht und Kraft finden, Fröhlichkeit des Herzens, Erleuchtung und die wichtigsten Mittel zur Heiligkeit. Und als der oberste Priester, der sein zur Anbetung versammeltes Volk leitet, werdet ihr im eucharistischen Opfer die Vollendung eures bischöflichen Dienstamtes finden. In der Anwendung des Bußsakraments auf euch selbst werdet ihr erneuten Kontakt zu Christus finden, dessen mitleidende Vertreter ihr seid und der euch persönlich zu immer neuer Umkehr und Heiligkeit des Lebens aufruft. Ihr werdet die Mittel und Wege finden, euren Priestern und Gläubigen aufs neue Gewißheit zu geben von der außerordentlich hohen Bedeutung dieses Sakraments in der heutigen Kirche. Durch die ganze Art eures Lebens — eines Lebens der Einheit mit Gott durch Gebet und Buße - werdet ihr noch eifriger Prediger des Mysteriums von der Erlösung und dem ewigen Leben werden: „Ex abundantia enim cordis os eius loquitur - Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund“ (Lk 6, 45). 571 Reisen 7. Denn alles in eurem Leben, das ganze Apostolat Schottlands, wird von dem günstigen Ausgangspunkt der Freundschaft mit Christus betrachtet werden, der euch auserwählt hat, seinen „unergründlichen Reichtum“ (Eph 3, 8) zu verkünden, für den Frieden zu beten und euer Leben für die Herde hinzugeben, wie er es getan hat. Zur Ehre der Dreifaltigkeit Liebe bischöfliche Brüder, bei diesem kollegialen Treffen heute abend haben wir die wunderbare Gelegenheit, uns miteinander wieder unserem bischöflichen Amt im Dienst Christi und seiner Kirche zu weihen. Und in der Sicht, die wir von diesem Amt haben, müssen wir immer daran denken, daß Jesus Christus den ersten Platz in unserem Leben einnimmt. Christus hat die Zwölf eingesetzt, „die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte . . .“ (Mk 3, 14). 8. Das ist auch für immer unsere Berufung: bei Christus zu sein und von ihm ausgesandt zu werden - miteinander -, um die Frohbotschaft vom Reich Gottes zu verkünden. Durch eure Heiligkeit und die Heiligkeit der Ortskirchen, denen ihr vorsteht und denen ihr dient, möge diese Frohbotschaft überall in Schottland weite Verbreitung finden zur Ehre der Heiligsten Dreifaltigkeit - des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Maria, die Königin des Friedens und Mutter der Kirche, lege Fürsprache ein für euch und für alle, die durch euer Wort an den Namen ihres Sohnes Jesus Christus glauben werden. Die heilige Kommunion — Brot des ewigen Lebens Predigt beim Gottesdienst auf den Pontcanna Fields in Cardiff am 2. Juni Liebe Freunde in Christus! 1. Heute grüßt der Bischof von Rom die Bevölkerung von Wales zum ersten Mal in ihrem herrlichen Land. Es ist mir eine große Freude, hier bei euch in Cardiff sein zu können. Ich danke Gott, daß es mir beschieden ist, mit euch die Eucharistie zu feiern und in eure Lobpreisung Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiliges Geistes einzustimmen. 572 Reisen Bei dieser Meßfeier sind Vertreter aller katholischen Pfarreien von Wales sowie Glieder der Kirche aus England anwesend. Gleichzeitig grüße ich die Vertreter der anderen christlichen Gemeinschaften in Wales. In der Liebe Christi grüße ich euch alle. Die Bevölkerung von Wales kann auf eine lange Tradition der Treue zu Christus zurückblicken. Seit den frühesten christlichen Zeiten verkündet ihr die Liebe zu Christus und seid gleichzeitig bemüht, diese Liebe durch den Dienst am Nächsten und die Treue zum Wort Gottes zum Ausdruck zu bringen. Der Same des Wortes Gottes kam zuerst aus Rom zu euch; nachdem er Wurzeln geschlagen hatte, brachte er Blüten und Früchte hervor. Das Wort Gottes fand in eurer Literatur seinen Niederschlag und hinterließ in eurer Geschichte seine Spuren; es blieb im Herzen aller Generationen von den Zeiten der Römer bis in unsere Tage lebendig. Es ist dies das gleiche Evangelium, das ich euch heute verkünde - das Evangelium unseres Erlösers Jesus Christus, der Herr der Geschichte und Brot des Lebens für eine heilsbedürftige Welt ist. 2. Die Lesungen der heutigen Messe sind eine Einladung zum Nachdenken über das Geheimnis der Eucharistie. Dieses große Geheimnis war bereits im Alten Bund vorgebildet worden, als Gott in der Wüste die Israeliten mit Manna nährte. In der ersten Lesung hören wir die Worte, die Mose zum Volk sprach: „Du sollst an den ganzen Weg denken, den der Herr, dein Gott, dich während dieser 40 Jahre in der Wüste geführt hat ... er ... hat dich dann mit dem Manna gespeist, das du nicht kanntest und das auch deine Väter nicht kannten. Er wollte dich erkennen lassen, daß der Mensch nicht nur von Brot lebt, sondern daß der Mensch von allem lebt, was der Mund des Herrn spricht“ (Dtn 8, 2-3). Gott lehrte das Volk, daß er allein sein Herr war. Er allein konnte es aus der Sklaverei befreien. Er allein wollte für dieses Volk in all den Schwierigkeiten und Bedrängnissen Sorge tragen, denen es auf dem Weg in das verheißene Land ausgesetzt war. Als die Israeliten hungrig und durstig waren, versorgte er sie mit Manna vom Himmel und Wasser aus dem Felsen. Was im Alten Bund vorgebildet worden war, fand in Jesus Christus seine Erfüllung. Als er der Kirche die Eucharistie zum Geschenk machte, gab er denen, die ihm nachfolgen würden, Nahrung für den Pilgerweg im Glauben. Jesus selbst ist die neue geistliche Nahrung, denn die Eucharistie ist sein Leib und sein Blut, die unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig gemacht werden. Er selbst sagt im Evangelium: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“ (Joh 6, 35). 573 Reisen Hier in Wales nahm die Eucharistie seit den ältesten Zeiten einen Ehrenplatz in der Kirche ein. Dies beweisen die christlichen Symbole der Eucharistie, die bei den archäologischen Ausgrabungen in der römischen Festung Caerleon ans Licht kamen. Glücklicherweise wurde diese große Tradition von der Frühzeit bis in unsere Tage fortgesetzt. Das sollte uns nicht überraschen, da doch die Eucharistie im christlichen Leben eine so zentrale Stellung einnimmt und das Geheimnis der Eucharistie in enger Verbindung zum Geheimnis der Kirche steht, denn für jede Generation der Kirche ist die Nahrung des Volkes Gottes die Eucharistie, der Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus. 3. Welch wunderbares Gebet ruft das heutige Evangelium in Erinnerung! Nachdem Jesus zum Volk über das wahre Brot gesprochen hat, das vom Himmel kommt und der Welt Leben spendet, ruft die Menge aus: „Herr, gib uns immer dieses Brot!“ (Joh 6, 34). Dieses Gebet bringt den tiefempfundenen Hunger des Volkes zum Ausdruck, einen Hunger, der sich nicht auf die Speise beschränkt. Er ist das Verlangen nach Vollkommenheit und Erlösung und die Sehnsucht nach der Fülle des Lebens — der Hunger nach dem Einswerden mit Gott. Christus ist die Antwort Gottes auf dieses Gebet, die Antwort Gottes auf den tiefsten Hunger des menschlichen Herzens. Alle angsterfüllten Rufe der Menschheit zu Gott seit dem Sündenfall von Adam und Eva finden im menschgewordenen Gottessohn ihre Erfüllung. Jesus sagt weiter: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“ (Joh 6, 35). Möge dieses Gebet — „Gib uns immer dieses Brot“ - auch oft unser Gebet sein. Mögen wir vom Tag unserer Erstkommunion an bis zu unserem Tod eine tiefe Sehnsucht nach Christus, dem wahren Brot, das der Welt das Leben schenkt, in uns tragen. 4. Und nun möchte ich mich an die Kinder wenden, die in Kürze zum ersten Mal die heilige Kommunion empfangen werden. Liebe Kinder! Jesus kommt heute auf neue und ganz besondere Weise zu euch. Er möchte in euch leben. Er möchte in euren Herzen zu euch sprechen. Er möchte den ganzen Tag bei euch sein. Jesus kommt zu euch in der Eucharistie, damit ihr das ewige Leben habt. Die heilige Kommunion ist keine gewöhnliche Speise. Sie ist das Brot des ewigen Lebens. Sie ist kostbarer als Gold und Silber, wertvoller als alles, was ihr euch vorstellen könnt, denn dieses heilige Brot ist der Leib und das Blut Jesu. Jesus hat versprochen, daß ihr, wenn ihr sein Fleisch eßt 574 Reisen und sein Blut trinkt, das Leben in euch haben und in Ewigkeit leben werdet. Ihr tretet heute glaubend und betend zum Altar. Versprecht mir, daß ihr versuchen wollt, immer nahe bei Jesus zu sein und ihm nie den Rücken zu kehren. Wenn ihr älter werdet, sollt ihr noch mehr von Jesus lernen, indem ihr auf sein Wort hört und im Gebet mit ihm sprecht. Wenn ihr ihm nahe bleibt, werdet ihr immer glücklich sein. Liebe Eltern dieser Kinder! Eure Liebe zu Christus hat diesen Tag ermöglicht, denn ihr seid die ersten Lehrer eurer Kinder auf dem Weg des Glaubens. Durch euer Wort und euer Tun lehrt ihr sie die Wahrheiten unseres Glaubens und die Werte des Evangeliums. Das ist nicht nur eure heilige Pflicht, sondern auch eine Gnade und ein großer Vorrang. Viele andere Glieder der Kirche teilen diese Aufgabe mit euch, aber die größte Verantwortung für die religiöse Erziehung eurer Kinder ruht auf euren Schultern. Seid daher bestrebt, euer Zuhause zu einem wahrhaft christlichen Zuhause zu machen. Helft euren Kindern zu wachsen und zu reifen wie Jesus in Nazaret, von dem geschrieben steht: „Seine Weisheit nahm zu, und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen“ (Lk 2, 52). Laßt nicht zu, daß andere die Unerfahrenheit und das geringere Wissen der Kinder ausnützen. Wie ihr an ihrem persönlichen Pilgerweg zu Gott teilnehmt, sollt ihr stets mit ihnen im Gebet, im Gottesdienst und in der demütigen Liebe zu Gott und seinem Volk vereint sein. 5. Liebe Lehrer unserer katholischen Schulen! Auch ihr verdient bei der heutigen Feier einen Ehrenplatz. Gemeinsam mit den Eltern helft ihr, die Kinder auf den würdigen Empfang der Sakramente und auf eine aktivere Rolle in der christlichen Gemeinschaft vorzubereiten. Ihr führt sie zur Verehrung und zur Kenntnis des Wortes Gottes, erklärt ihnen die Lehre der Kirche und helft ihnen auf diese Weise, nach und nach die Reichtümer des Heilsgeheimnisses zu begreifen. Ihr seid Erben einer großen Tradition Ihr seid Erben einer großen Tradition, und das Volk Gottes verdankt euch viel. Bei eurem wichtigen Auftrag in dieser außerordentlichen Glaubensgemeinschaft, welche die katholische Schule ist, erfülle euch tiefe Liebe zur Kirche. Eure Liebe zur Kirche möge von all euren verschiedenen Aktivitäten ausstrahlen und sich in eurer treuen Weitergabe des heiligen Glaubens widerspiegeln. 575 Reisen 6. Geliebte Brüder im Priesteramt! Heute ist auch für euch ein Freudentag, denn diese Kinder gehören den Pfarreien an, denen ihr dienen dürft. Gemeinsam mit ihren Familien und ihren Lehrern führt ihr die Kinder in die größere christliche Gemeinschaft ein und helft ihnen, zur vollen Reife in Christus heranzuwachsen. Ihr seid bestrebt, als Hirt für sie und für die ganze Pfarrei zu sorgen. Mögt ihr zu den besten Hirten gehören und in eurem Leben unseren Herrn und Erlöser nachahmen! Ich weiß, daß eure Bischöfe bestrebt sind, in ganz England und Wales praktische Programme für die Glaubenserziehung der Erwachsenen durchzuführen, und beschwöre euch, an diesen für die Lebenskraft der Kirche so wichtigen Bemühungen mit besonderem Eifer teilzunehmen. Auch ermutige ich euch, bei der Erfüllung eures seelsorglichen Auftrags der würdigen Feier der Eucharistie den ersten Platz einzuräumen. Erinnert euch der Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Mit der Eucharistie stehen die übrigen Sakramente im Zusammenhang; auf die Eucharistie sind sie hingeordnet; das gilt auch für die anderen kirchlichen Dienste und für die Apostolatswerke. Die Heiligste Eucharistie enthält ja das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst, unser Osterlamm und das lebendige Brot“ (Presbyterorum ordinis, Nr. 5). Kein anderes Tun ist von größerer Bedeutung für die Kirche oder ein wichtigerer Dienst für euer Volk, ist doch die Feier des eucharistischen Opfers die Quelle und der Höhepunkt jedes christlichen Lebens. Sorgt dafür, daß die Messe mit tiefer Verehrung und Sammlung gefeiert wird, und scheut keine Mühe, um die aktive Teilnahme der Laien zu fördern. Bezeugt den Glauben der Kirche an die wahre Gegenwart Christi durch eure tägliche Anbetung der Eucharistie (vgl. a. a. O., Nr. 18). Mögen alle eure Pfarreien durch die vom Konzil gewollte liturgische Erneuerung zu lebendigen Gemeinschaften des Glaubens und der Liebe werden. Meine Brüder und Schwestern in Christus, sooft wir uns zur Eucharistie zusammenfinden, haben wir Anteil am großen Geheimnis des Glaubens. Wir empfangen das Brot des Lebens und den Kelch des ewigen Heils. Dies ist die Ursache unserer Freude und die Quelle unserer Hoffnung. Weil wir vom Leben und vom Brot des Lebens sprechen, laßt uns auch jener gedenken, die Opfer der Konflikte in der ganzen Welt geworden sind: in dem Konflikt im Südatlantik, in dem Konflikt zwischen Iran und Irak, an jedem Ort, wo menschliches Blut vergossen wird. Und in der Kraft des Blutes Christi mögen wir alle Frieden, Versöhnung und ewiges Leben finden. Amen. 576 Reisen Geschenk von Gottes Gnade Ansprache bei der Begegnung mit den Repräsentanten der christlichen Kirchen von Wales und Cardiff am 2. Juni Liebe Brüder! „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (2 Thess 1, 2). Weil mein Besuch in eurer Stadt kurz ist, können wir uns nur für wenige Minuten treffen, und ihr habt ganz richtig vorgeschlagen, diese wenigen Minuten einem gemeinsamen Gebet für die Einheit zu widmen. So sollte es sein, denn die Einheit ist Gottes Gnadengeschenk, und alle unsere Bemühungen, Seinen Willen zu tun, sind vergebens, wenn sie nicht in der Bekehrung des Herzens, in der Heiligkeit des Lebens und im Gebet für die Einheit verwurzelt sind: Das ist die wahre Seele der ökumenischen Bewegung (vgl. Unitatis redintegratio, Nr. 8). Ich bin glücklich, von dem Ausmaß der Zusammenarbeit zu erfahren, die zwischen den Katholiken und den Mitgliedern anderer Kirchen und Gemeinschaften in Wales besteht, und von der Rolle, die die katholischen Konsultoren und Beobachter bei der Arbeit des Kirchenrates in Wales spielen. Am vergangenen Samstag hatte ich in Canterbury Gelegenheit zu einer längeren Begegnung mit einer Gruppe englischer Kirchenführer, darunter auch den Vertretern der Kirchen dieses Landes. Solche Begegnungen sind wichtig, denn sie geben Zeugnis von unserem Verlangen, Gottes Willen bezüglich unserer Einheit mit ihm und untereinander in seinem Sohn, unserem Herrn und Heiland Jesus Christus, zu erfüllen. Dieses Zeugnis ist um so nötiger in diesen sorgenvollen Tagen, in denen der Friede der Welt so sehr bedroht ist. Laßt uns dann miteinander beten, wie unser Erlöser uns gelehrt hat. 577 Reisen Im Gebet eine neue Luft atmen! Ansprache an die Jugend im Minian-Park von Cardiff am 2. Juni Mein Besuch in Großbritannien geht zu Ende, und es freut mich, daß dieses letzte Zusammentreffen euch gilt - der Jugend von England und Wales, euch, die ihr die Hoffnung von morgen seid. Ich bin als pilgernder Hirte in dieses Land gekommen, als Diener Jesu Christi. Ich bin gekommen, um das Evangelium Christi, das Evangelium des Friedens und der Versöhnung zu verkünden, um sein Heilswirken in den Sakramenten der Kirche zu feiern. Ich bin gekommen, um euch zu Christus zu rufen. 1. Bevor ich dieses Land verlasse, möchte ich noch etwas wirklich Wichtiges betonen, etwas, das in engem Zusammenhang mit den Sakramenten steht, die ich gefeiert habe; etwas, das unbedingt zur Botschaft des Evangeliums gehört und das für euer christliches Leben wesentlich ist. Es handelt sich um das Gebet. Dieses ist so wichtig, daß Jesus selbst uns sagt: „Bleibt immer wach und betet“ {Lk 21, 36). Er will, daß wir um Licht und Kraft beten. Er will, daß wir zu seinem Vater beten, wie er selbst es getan hat. Das Evangelium berichtet uns, daß Jesus die ganze Nacht im Gebet verbrachte, bevor er seine Apostel auswählte (vgl. Lk 6, 12). Später, während seiner Passion, im Augenblick der ärgsten Leiden, betete er „noch inständiger“ {Lk 22, 44). Jesus lehrte uns auch das Beten 2. Jesus gab uns nicht nur das Beispiel des Gebetes; er lehrte uns auch das Beten. In einer der ergreifendsten Szenen des Evangeliums sehen wir Jesus mit seinen Jüngern, die er beten lehrt: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“ Jesus lehrt seine Jünger den Wert des Gotteslobes, die Bedeutung seines Namens, seines Reiches und seines heiligen Willens. Gleichzeitig sagte er ihnen, sie sollten um Brot, um Verzeihung und um Hilfe in der Versuchung bitten. „Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigem, und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“ (vgl. Mt 6, 9-13; Lk 11, 2-4). 578 Reisen 3. Meine lieben jungen Freunde, gerade durch das Gebet führt uns Jesus zum Vater. Im Gebet verändert der Heilige Geist unser Leben. Im Gebet lernen wir Gott kennen; wir entdecken so seine Gegenwart in unserer Seele, vernehmen seine Stimme durch unser Gewissen und schätzen seine Gabe der persönlichen Verantwortung für unser Leben und unsere Welt in ihrem echten Wert ein. Durch das Gebet können wir unsere Aufmerksamkeit auf die Person Jesu Christi konzentrieren und die Bedeutung seiner Lehre für unser Leben verstehen. Jesus wird zum Vorbild für unser Handeln, für unser Leben. Wir beginnen, die Dinge auf seine Art zu sehen. Das Gebet verwandelt unser persönliches Leben und das der Welt. Liebe junge Männer und Frauen, wenn ihr Christus im Gebet begegnet, wenn ihr sein Evangelium kennenlernt und im Zusammenhang mit euren Hoffnungen und Zukunftsplänen darüber nachdenkt, dann wird alles neu. Alles ist anders, wenn ihr beginnt, die Gegebenheiten des täglichen Lebens im Licht der Werte zu überprüfen, die Jesus gelehrt hat. Diese Werte sind in der Bergpredigt klar festgelegt: „Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“ (Mt 5, 7-9). Im Gebet, in Vereinigung mit Jesus - eurem Bruder, eurem Freund, eurem Erlöser, eurem Gott - beginnt ihr, eine neue Luft zu atmen. Ihr setzt euch neue Ziele, glaubt an neue Ideale. Ja, in Christus beginnt ihr, euch selbst besser zu verstehen. Das wollte das Zweite Vatikanische Konzil hervorheben, wenn es feststellte: „In Wirklichkeit leuchtet nur im Geheimnis des menschgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf“ (Gaudium et spes, Nr. 22). Mit anderen Worten, Christus offenbart dem Menschen nicht nur Gott, sondern auch den Menschen selbst. In Christus erfassen wir das Geheimnis unserer eigenen Menschheit. 4. Aber das ist noch nicht alles. Durch das Gebet erfahrt ihr die Wahrheit, die Jesus gelehrt hat: „Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und Leben“ (Joh 6, 63). In Jesus, den ihr im Gebet kennenlernt, werden eure Träume von Gerechtigkeit und Frieden deutlicher und fordern praktische Verwirklichung. Wenn ihr mit dem Friedensfürsten in Verbindung seid, begreift ihr, daß Gewalt, Terrorismus, Haß und Krieg total im Widerspruch zu seiner Botschaft stehen. In ihm erfahrt ihr die volle Bedeutung einer zwischenpersönlichen Beziehung, die auf hochherziger Liebe beruht. Christus bietet euch eine Freundschaft an, die nicht enttäuscht; eine Treue, die über jeden Vergleich erhaben ist. 579 Reisen 5. Durch den Kontakt mit Jesus im Gebet wird euch ein Wissen um eure Sendung zuteil, das durch nichts abgeschwächt werden kann. Eure christliche Identität wird auf diese Weise bekräftigt und der Sinn eures Lebens bleibt für immer an die Heilsmission Christi gebunden. Durch das Gebet erkennt ihr schärfer die Dringlichkeit der Verpflichtungen, die ihr mit der Taufe und der Firmung übernommen habt. Es wird euch bewußt, daß ihr dazu berufen seid, die Heilsbotschaft Christi zu verbreiten (vgl. Apostoli-cam actuositatem, Nr. 3). Im Gebet mit Christus vereint, werden euch die Nöte eurer Brüder und Schwestern nachhaltiger bewußt. Ihr werdet die Last der Leiden und Schmerzen besser einschätzen, die das Herz zahlloser Menschen bedrückt. Durch das Gebet, besonders durch das Gespräch mit Jesus bei der Kommunion, werdet ihr vieles begreifen, was die Welt und ihre Beziehungen zu ihm betrifft und werdet auch in der Lage sein, das richtig zu erkennen, was man die „Zeichen der Zeit“ nennt. Vor allem werdet ihr denen etwas zu bieten haben, die sich in ihren Nöten an euch wenden. Durch das Gebet werdet ihr Christus besitzen und in der Lage sein, ihn anderen mitzuteilen. Das ist das Größte, was ihr in eurem Leben vollbringen könnt: Christus der Welt mitteilen. Im Gebet werdet ihr die Kraft erhalten, deren ihr bedürft, um dem Geist der Welt zu widerstehen. Ihr werdet die Fähigkeit empfangen, mit allen Menschen Erbarmen zu üben - gerade so, wie Jesus es getan hat. Durch das Gebet werdet ihr an der Heilsgeschichte teilhaben, wie sie sich in eurer Generation entfaltet. Das Gebet gibt euch Zugang zum Herzen Jesu und läßt euch seine Gefühle für seine Kirche verstehen. Mit Hilfe der Psalmen, des Gebetbuchs Jesu, könnt ihr, vom Heiligen Geist angeregt, das Lob und den Dank wiederholen, die Gott durch Jahrhunderte von seinem Volk dargebracht wurden. In allen Lebenslagen werdet ihr feststellen können, daß Jesus mit euch ist - daß er euch im Gebet nahe ist. Gerade das Gebet wird euer Leben mit Freude erfüllen und wird euch helfen, die Hindernisse zu überwinden, die sich einer christlichen Lebenshaltung entgegenstellen. Gedenkt der Worte des heiligen Jakobus: „Ist einer von euch bedrückt? Dann soll er beten“ {Jak 5, 13). Meine lieben jungen Freunde, es ist leicht zu verstehen, warum Christus uns gesagt hat, wir sollen unablässig beten, und warum der heilige Paulus so sehr darauf bestanden hat (vgl. Lk 21, 36; Röm 12, 12; 1 Thess 5, 7). Letzten Endes ist es das Gebet, in dem Gott uns mit sich vereint, durch unseren Herrn Jesus Christus, seinen Sohn, der mit ihm und dem Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit. 580 Reisen In der Kirche von heute die Hoffnung von morgen 6. Wenn ihr euch im Gebet an Jesus wendet - und durch ihn an den Vater - werdet ihr dafür immer bei Maria Anregung finden. Mit allen Generationen von Jüngern werdet ihr mit ihr beten lernen und werdet mit ihr das Wirken des Heiligen Geistes in eurem Leben erwarten (vgl. Apg 1, 14). Heute, bei meiner Rückkehr nach Rom, hege ich die Hoffnung, daß ihr euch erinnern werdet, warum ich zu euch gekommen bin. Solange ihr euch an diesen Besuch erinnert, sollt ihr euch auch daran erinnern, daß ich, Johannes Paul II., nach Großbritannien gekommen bin, um euch zu Christus zu rufen, um euch zum Gebet aufzufordern! Liebe junge Freunde, das erklärt euch, warum ihr in der Kirche von heute die Hoffnung für morgen seid. So beschwöre ich euch mit den Worten des hl. Paulus: „Betet jederzeit im Geist. . . auch für mich: Daß Gott mir das rechte Wort schenkt, wenn ich mich anschicke, mit freiem Mut das Geheimnis des Evangeliums zu verkünden ... Daß ich .. . freimütig zu reden vermag, wie es meine Pflicht ist . . . Gnade und unvergängliches Leben sei mit allen, die Jesus Christus, unseren Herrn, lieben“ (Eph 6, 18-20, 24). Amen. „Ich kam als Herold des Friedens“ Ansprache vor dem Abflug von Cardiff am 2. Juni Liebe Freunde! 1. Mein Pastoralbesuch in den Länder Britanniens geht nun zu Ende. Ich kam hierher als Herold des Friedens, um eine Frohbotschaft des Friedens, eine Botschaft der Versöhnung und Liebe zu verkünden. Ich kam ferner als Diener - Diener Jesu Christi, meines Erlösers; endlich auch als Diener des christlichen Volkes. Als ich durch England, Schottland und endlich Wales reiste in Erfüllung meiner pastoralen Pflicht, meine Brüder zu stärken, wollte ich die Katholiken an das gesamte Heilswerk Christi, des Erlösers, unseres auferstandenen Herrn, erinnern. In jedem Land durfte ich die Brüder anderer christlicher Gemeinschaften treffen und mit ihnen beten. Für diese wundervollen Gelegenheiten sowie das freundschaftliche und brüderliche Willkommen, das ich überall fand, preise ich Gott und danke euch allen. 581 Reisen 2. Den staatlichen Autoritäten der Länder und Städte, die ich besucht habe, möchte ich meine tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Die Hilfe, Unterstützung und Zusammenarbeit, die ihr den Katholiken in euren Gebieten geschenkt habt, sowie die Art, wie ihr geeignete Plätze für meinen Pastoralbesuch zur Verfügung gestellt habt, waren für die Welt ein Hinweis auf den großen Segen gegenseitigen Verstehens und Respekts, die zum Erbe Britanniens gehören. Danken möchte ich ferner der Polizei und all jenen, die für die öffentliche Ordnung zuständig waren sowie für den reibungslosen Verlauf der Veranstaltungen der vergangenen Tage. 3. Nun, wo ich mich anschicke, nach Rom zurückzukehren, spreche ich noch einmal allen Menschen Großbritanniens meine guten Wünsche aus, im besonderen Ihrer Majestät, der Königin, auch deswegen, weil sie heute den Jahrestag ihrer Krönung feiert. Wenn ich euch verlasse, so geschieht es mit dem Gebet, daß Gott alle Menschen dieser Länder segnen möge. Dem Volk von Wales, unter dem ich diesen denkwürdigen Tag verbracht habe, sage ich: Benedith duw arnoch! Allen Menschen von England, Schottland und Wales jedoch sage ich: Gott segne euch alle! Möge er euch zu Werkzeugen seines Friedens machen, und möge der Friede Christi in euren Herzen und euren Heimen herrschen. 582 Reisen ANHANG Fortschritte im Versöhnungswerk Gemeinsame Erklärung von Papst Johannes Paul II. und dem Primas der anglikanischen Kirchengemeinschaft, Erzbischof Robert Runcie, in der Kathedrale von Canterbury am 29. Mai 1. In der Kathedrale und Kirche Christi in Canterbury trafen am Vorabend des Pfingstfestes der Papst und der Erzbischof von Canterbury zusammen, um Gott für den Fortschritt zu danken, der in dem Versöhnungswerk zwischen unseren Gemeinschaften erreicht worden ist. Gemeinsam mit den Leitern anderer christlicher Kirchen und Gemeinschaften haben wir Gottes Wort gehört; gemeinsam haben wir an unsere eine Taufe erinnert und unser Taufgelübde erneuert; gemeinsam haben wir das Zeugnis derer anerkannt, die in der Vergangenheit wie in neuerer Zeit ihr Glaube veranlaßt hat, im Dienst für andere selbst das kostbare Geschenk des Lebens hinzugeben. 2. Das Band unserer gemeinsamen Taufe in Christus bewog unsere Vorgänger dazu, einen ernsthaften Dialog zwischen unseren Kirchen einzuleiten, einen Dialog, der auf das Evangelium und die alten gemeinsamen Überlieferungen gegründet ist, einen Dialog, der die Einheit zum Ziel hat, um welche Christus zu seinem Vater betete, „damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“ (Joh 17, 23). Im Jahr 1966 gaben unsere Vorgänger, Papst Paul VI. und Erzbischof Michael Ramsey, in einer Gemeinsamen Erklärung ihre Absicht bekannt, einen ernsthaften Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und der anglikanischen Kirchengemeinschaft aufzunehmen, der „nicht nur theologische Dinge, wie Heilige Schrift, Überlieferung und Liturgie, umfassen sollte, sondern auch Fragen praktischer Schwierigkeiten, die auf beiden Seiten empfunden werden“ (Gemeinsame Erklärung, Par. 6). Nachdem dieser Dialog bereits drei Erklärungen (Statements) über die Eucharistie, über Dienstamt und Ordination und über die Autorität in der Kirche erbracht hatte, nahmen Papst Paul VI. und Erzbischof Donald Coggan in ihrer Gemeinsamen Erklärung von 1977 die Gelegenheit wahr, zur Vervollständigung des Dialogs über diese drei wichtigen Fragen zu ermutigen, damit die Kommissionsergebnisse von den jeweiligen Autoritäten entsprechend den jeder Gemeinschaft eigenen Verfahrensweisen bewertet werden können. Die internationale anglikanische/ römisch-katholische Kommission hat jetzt die ihr übertragene Aufgabe mit der Veröffentlichung ihres Abschlußberichtes beendet, und während unsere beiden Gemeinschaften die notwendige Bewertung vornehmen, danken wir gemeinsam den Mitgliedern der Kommission für ihre Aufopferung, ihre Gelehrsamkeit und 583 Reisen ihre Integrität bei einer langwierigen Aufgabe, die große Anforderungen stellt und die sie aus Liebe zu Christus und um der Einheit seiner Kirche willen auf sich genommen haben. 3. Der Abschluß dieser Kommissionsarbeit läßt uns den nächsten Abschnitt unseres gemeinsamen Weges in Glaube und Hoffnung hin zur Einheit, nach welcher wir uns sehnen, ins Auge fassen. Wir sind einig darin, daß es nun an der Zeit ist, eine neue internationale Kommission aufzustellen. Ihre Aufgabe wird es sein, die bereits begonnene Arbeit weiterzuführen: insbesondere im Licht unserer jeweiligen Stellungnahmen zum Schlußbericht die bekannten Lehrdifferenzen, die uns noch trennen, im Hinblick auf ihre mögliche Behebung zu prüfen; alles zu untersuchen, was der gegenseitigen Anerkennung der geistlichen Ämter unserer Gemeinschaften im Wege steht, und die praktischen Schritte zu empfehlen, die notwendig werden, wenn wir auf der Grundlage unserer Einheit im Glauben in der Lage sind, an die Wiederherstellung der vollen Einheit zu gehen. Wir sind uns dessen wohl bewußt, daß die Aufgabe dieser neuen Kommission nicht leicht sein wird, aber wir fühlen uns ermutigt durch unser Vertrauen auf die Gnade Gottes und durch alles, was wir von der Macht dieser Gnade in der ökumenischen Bewegung unserer Zeit wahrgenommen haben. 4. Während diese unerläßliche Arbeit der theologischen Klarstellung weitergeht, muß sie von dem eifrigen Wirken und dem inständigen Gebet der römischen Katholiken und der Anglikaner in der ganzen Welt begleitet werden, die in gegenseitigem Verständnis, brüderlicher Liebe und gemeinsamem Zeugnis für das Evangelium zu wachsen suchen. Noch einmal wenden wir uns deshalb an die Bischöfe, den Klerus und das gläubige Volk unserer beiden Gemeinschaften in allen Ländern, Diözesen und Pfarreien, wo unsere Gläubigen Seite an Seite leben. Wir fordern sie alle dringend auf, für dieses Werk zu beten und jedes nur mögliche Mittel zu ergreifen, um es durch ihre Mitwirkung in tiefer Treue zu Christus und im Zeugnis für ihn vor der Welt zu fördern. Nur durch eine solche Mitwirkung und durch Gebet können die Erinnerung an die vergangene Feindschaft geheilt und unsere vergangenen Gegensätze überwunden werden. 5. Unser Ziel beschränkt sich nicht auf die Einheit unserer beiden Gemeinschaften unter Ausschluß anderer Christen, sondern erstreckt sich weiter auf die Erfüllung des Willens Gottes für die sichtbare Einheit seines ganzen Volkes. Sowohl in unserem gegenwärtigen Dialog wie auch in den Gesprächen, die von anderen Christen untereinander und mit uns geführt werden, erkennen wir in den Übereinstimmungen, die wir erzielen können, wie in den Schwierigkeiten, auf die wir stoßen, eine erneute Herausforderung, uns völlig der Wahrheit des Evangeliums zu überlassen. Wir sind daher glücklich, diese Erklärung heute in der willkommenen Gegenwart so vieler christlicher Brüder abzugeben, deren Kirchen und Gemeinschaften bereits mit uns für die Einheit aller beten und wirken. 584 Reisen 6. Mit ihnen wollen wir der Sache des Friedens, der menschlichen Freiheit und menschlichen Würde dienen, damit Gott in der Tat in allen seinen Geschöpfen verherrlicht werde. Mit ihnen grüßen wir im Namen Gottes alle Menschen guten Willens, ob sie an ihn glauben, oder ob sie noch auf der Suche nach ihm sind. 7. Dieser heilige Ort erinnert uns an die Vision Papst Gregors, als er den hl. Augustinus als Apostel nach England sandte, der voll Eifer das Evangelium verkündete und sich als Hirte der Herde annahm. Am Vorabend dieses Pfingstfestes wenden wir uns wieder im Gebet an Jesus, den Guten Hirten, der versprochen hat, den Vater zu bitten, daß er uns einen anderen Beistand geben möge, der für immer bei uns bleiben soll, den Geist der Wahrheit (vgl. Joh 14,16), der uns zu der vollen Einheit führen soll, zu der er uns beruft. Im Vertrauen auf die Macht dieses Heiligen Geistes verpflichten wir uns von neuem zu der Aufgabe, mit festem Glauben, erneuter Hoffnung und immer tieferer Liebe für die Einheit zu wirken. 585 „Pilgerreise des Friedens“ nach Argentinien (11. und 12. Juni) Reisen „Eine Reise der Liebe, der Hoffnung und des guten Willens“ Ansprache bei der Zwischenlandung in Rio de Janeiro am 11. Juni Herr Außenminister! Herr Kardinalerzbischof von Rio de Janeiro und meine Brüder im Bischofsamt! Herr Minister für Zivilluftfahrt und andere Autoritäten! Meine Damen und Herren, liebe Brasilianer! 1. Während ich, wenn auch nur für wenige Augenblicke bei dieser technisch bedingten Zwischenlandung auf meiner Reise nach Argentinien, den Fuß auf brasilianischen Boden setze, erfüllen so viele Gefühle und dankbare Erinnerungen mein Herz. Ich wollte, daß die große Freude und Zuneigung, die mein Empfinden und meine Erinnerung hervorrufen, von jedem Schatten der Sorge frei wären; jedenfalls grüße ich jetzt herzlichst mit großer Freude durch die Anwesenden das geliebte brasilianische Volk! Friede gründet auf der Wahrheit Ich danke für eure Anwesenheit, die wegen der nächtlichen Stunde, in der sie stattfindet, noch an Bedeutung gewinnt und mich mit Rührung erfüllt. Ich danke allen: dem Herrn Außenminister persönlich sowie auch den Persönlichkeiten, die er hier vertritt, insbesondere dem Herrn Staatspräsidenten; ich danke den Herren Kardinälen und Bischöfen, die mir hier durch den geliebten Bruder Eugenio de Araüjo Sales Zeugnis geben von der lebendigen Präsenz der Kirche in Brasilien, die auch von der Diöze-sangemeinschaft von Rio de Janeiro und anderen Gläubigen aus verschiedenen Diözesen vertreten wird. Rio de Janeiro! Brasilien! Welche Erinnerungen lassen diese Namen in diesem Augenblick und an diesem Ort wieder in mir aufleben. Erinnerungen an meinen zwölftägigen Pastoralbesuch im Land des Heiügen Kreuzes; von der unvergeßlichen Begegnung mit der Kirche dieser geliebten Nation, von Rio de Grande do Sul bis Belem do Para und zum Herzen des Amazonas! Dank sei Gott für alles. Besonders deutlich erinnere ich mich aller Brasilianer, mit denen ich 588 Reisen damals zusammengetroffen bin und die mich so herzlich aufgenommen haben; in ihrem Antlitz habe ich das Antlitz Christi gesucht: den Christus der Seligpreisungen, Christus, den Erlöser und Herrn, Christus, den Friedensfürsten. Denn der Friede, Fundament alles Guten, ist noch immer die Frucht einer steten Erziehung, die auf der Wahrheit gründet und auf die Freiheit achtet, und das den Menschen anvertraute Geschenk Gottes. 2. Wovon das Herz voll ist, davon fließt der Mund über, liebe Brüder und Schwestern Brasiliens: und in meinem Herzen herrschen Gedanken des Friedens. In Brasilien, das ich vor zwei Jahren besuchte - ein Besuch, der wie jener, den ich Argentinien abzustatten mich gerade anschicke, sich durch seinen pastoralen und kirchlichen Charakter auszeichnete und keine politische Absicht hatte —, habe ich jedes Volk dieses Kontinents der Hoffnung in den Friedensgruß eingeschlossen, wie ich es auch bei der vorangegangenen Reise nach Mexiko getan hatte; und in der Gemeinschaft der einen und universalen Kirche habe ich mit den Bischöfen ganz Lateinamerikas für das Kommen einer friedlicheren, gerechteren und menschlicheren Welt gebetet (vgl. Ansprache nach der Ankunft in Rom am 31. 1. 1979). Ich habe bei meiner Ankunft in Brasilia diese tiefe Friedenssehnsucht nicht verschweigen können. Ich sagte damals, daß der Papst seine Schritte auch deshalb dorthin gelenkt habe, um alles, was hier für die Förderung des Friedens getan werde, zu ermutigen; ich sagte, daß er, „der als wichtigen Gesichtspunkt seiner Mission den Aufbau des Friedens hat“, dies „auch mit seiner Gegenwart“ tun wolle (vgl. Ansprache nach der Ankunft in Brasilia am 30. 6. 1980). Meine heutige Reise nach Argentinien — als Weiterführung der apostolischen Reise, die ich Großbritannien abgestattet habe und bei der ich unaufhörlich für den Frieden betete - ist auch eine Fortsetzung der beiden vorangegangenen Reisen, die ich zu diesem geüebten lateinamerikanischen Kontinent machte, und gehört in den Rahmen der ständigen Sorge der „Kirche, die zwar gegenüber jeder einzelnen Nation ihre Liebe wahrt, jedoch nicht umhin kann, die weltumspannende Einheit, den Frieden und das gegenseitige Verständnis zu schützen“ (Brief des Papstes an die Argentinier vom 25. Mai 1982, Nr. 5). 3. Es ist eine Reise der Liebe, der Hoffnung und des guten Willens, die Reise eines Vaters im Glauben, der zu seinen leidenden Kindern kommt, beseelt von Gedanken der Liebe, der Versöhnung und des Friedens, als Vertreter des Friedensfürsten; und er kommt, um den engagierten Einsatz 589 Reisen aller Menschen guten Willens zu wecken und zu einen mit dem tiefen Wunsch, das Christus, der Retter, uns selbst zu Hilfe kommt, und daß schon bald von dieser unserer Welt der Gesang der Engel der Nacht von Betlehem emporsteigen kann: „Ehre sei Gott in der Höhe“, und Friede auf Erden unter den Menschen guten Willens (vgl. Lk 2, 14). Und während der Blick über den Konflikt hinausgeht, der gegenwärtig den im Südatlantik kriegführenden Völkern Verheerung und Tod bringt, leidet mein Herz mit all denen, die in anderen Teilen der Welt vom Übel des Krieges heimgesucht werden. Mit größter Wertschätzung richte ich daher an alle Söhne und Töchter der geliebten brasiüanischen Nation die Aufforderung, für den Weltfrieden zu arbeiten und in Solidarität für den allgemeinen Frieden zu wachsen; mit besonders herzlicher Eindringlichkeit fordere ich die Kirche Brasiliens auf, unablässig Gebete für den Frieden zu Gott emporzusenden in Gemeinschaft mit dem Papst, und das ganz besonders bei diesem kurzen Besuch: Frieden im Geist, im Zusammenleben der Menschen untereinander und Frieden zwischen den Völkern in der großen Menschheitsfamilie. Frei von düsteren Schatten der Gewalt Mit Hochachtung und Liebe, erneuere ich hier die aufrichtigen Wünsche für den wachsenden Wohlstand des geliebten brasilianischen Volkes, frei von düsteren Schatten der Gewalt und stets von Achtung vor dem Leben, vom Sinn für Gerechtigkeit und Eintracht gekennzeichnet und im Dienst der Sache des internationalen Friedens. Diese Wünsche werden in meinem Herzen zum Gebet, um durch die Fürsprache Unserer Lieben Frau von Aparecida von jedem Brasilianer die Gnade Gottes zu erflehen. Ich lade euch ein, hier mit mir, als Brüder derselben Familie vereint, zu beten: Beten wir zu Gott, unserem Vater, so wie Christus uns gelehrt hat, damit die Welt immer mehr zu einer Menschheitsfamilie in Liebe und Frieden werde: Vater, unser . . . Gelobt sei unser Herr Jesus Christus. 590 Reisen „Lösung nur über den Verhandlungstisch“ Ansprache bei der Ankunft auf dem Flughafen von Buenos Aires am 11. Juni Gelobt sei Jesus Christus! Nochmals wiederholen wir: „Meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch“ (Joh 14, 27). 1. Gesegnet sei der Herr, der mich in das geliebte argentinische Land kommen üeß. Ich wollte hierherkommen, um euch mündlich die Gefühle auszudrücken, von denen ich in dem persönlichen Brief sprach, den ich Ende des vorigen Monats, unmittelbar vor Antritt meiner Pastoraireise zu den Kirchen in England, Schottland und Wales, an euch, liebe Söhne und Töchter der argentinischen Nation, richtete. 2. Wenn während dieses apostolischen Besuches, der ein anhaltendes Gebet für den Frieden sein sollte und auch war und gleicherweise im Dienst der Sache des Ökumenismus und des Evangeliums stand, meine Gedanken und Gefühle auch bei euch weilten, so soll meine heutige Anwesenheit hier den sichtbaren Beweis dieser Liebe bedeuten in einem für euch so schmerzlichen Augenblick der Geschichte wie dem jetzigen. Ich komme, getrieben von der Liebe Christi und der zwingenden Sorge, die ich als Nachfolger des Apostelfürsten der einen und universalen Kirche schuldig bin, die in allen Völkern, Nationen und Kulturen verkörpert ist, um das Heil in Jesus Christus und die Gemeinsamkeit der Bestimmung zu verkünden, die jeder Mensch unter einem gemeinsamen Vater hat. Deshalb und auch im vollen und freudigen Bewußtsein der Katholizität dieser geliebten Nation wird mein Besuch in vollkommenem Anschluß an meine voraufgegangene apostolische Reise von demselben pastoralen und kirchlichen Charakter gekennzeichnet sein, der ihn über jegüche politische Absicht stellt. Es ist einfach eine Begegnung des Vaters im Glauben mit seinen leidenden Kindern; des Bruders in Christus, der ihn erneut als Weg des Friedens, der Versöhnung und der Hoffnung zeigt. 3. Mein Aufenthalt auf argentinischem Boden, der aus bekannten Gründen nur kurz ist, wird vor allem eine inständige gemeinsame Bitte mit 591 Reisen euch an den sein, in dem alles im Himmel und auf Erden seinen Ursprung hat, daß er die Herzen aller mit Gefühlen der Brüderlichkeit und Versöhnung erfülle. In diesem Geist gestattet mir, daß ich von diesem Augenblick an auf alle Opfer beider Seiten des kriegerischen Konfliktes zwischen Argentinien und Großbritannien den Frieden Christi herabrufe; daß ich allen Familien, die den Verlust eines geliebten Menschen beweinen, meine Liebe zu erkennen gebe; daß ich die Regierungen und die internationale Gemeinschaft um geeignete Maßnahmen ersuche, damit größere Schäden vermieden, die Wunden des Krieges geheilt, die Wiederherstellung des Raumes für einen gerechten und dauerhaften Frieden und die wachsende Ruhe der Seelen gefördert werden. Sie, für die jeder einzelne Mensch einen Namen hat: den des Sohnes; die Mutter Christi und die Mutter der Kirche, zu deren Füßen in ihrem Heiligtum in Lujän ich niederknien werde, bitte ich, daß sie die vielen Tränen trocknet; daß sie alle ermutigt, die unter der Last der Prüfung zusammenbrechen; daß sie auf nationaler und internationaler Ebene neue Kräfte des Guten weckt, die die gegenwärtigen Schmerzen und Schwierigkeiten lindern können, damit man mit hoffnungsfroher Gelassenheit in die Zukunft blicken kann; damit die Wünsche der beiden Völker, die den Frieden herbeisehnen, Wirklichkeit werden. 4. Diese Wünsche sind das stärkere Wort meiner herzlichen Begrüßung, die ich an jeden einzelnen von euch, hebe Brüder und Schwestern in Argentinien, an jede Familie oder soziale Schicht richte: und besonders an die Brüder im Bischofsamt, die Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und Seminaristen. Mit besonderer Ehrerbietung möchte ich ein solches Wort der achtungsvollen Begrüßung an den Herrn Präsidenten richten, der die Liebenswürdigkeit hatte, hierher zu meinem Empfang zu kommen, und damit den Wünschen aller Söhne und Töchter dieser katholischen Nation entsprach. Ich danke ihnen wie allen Argentiniern herzlich für die sofortige und freudige Annahme meines Besuches trotz der praktischen Schwierigkeiten, die er wegen der knappen Zeit, die zur Verfügung stand, aufgeworfen hat. Und über die argentinischen Grenzen hinaus richte ich meinen Friedensgruß in herzlicher Wertschätzung an alle Völker und Länder Lateinamerikas. Dieser kurze Besuch bringt mir wieder die beiden vorangegangenen Besuche in Erinnerung, die ich diesem Kontinent abgestattet habe und an die ich so unauslöschliche Erinnerungen bewahre. Zugleich mit diesem 592 Reisen Gruß gebe ich der Zuversicht Ausdruck, daß dieser Kontinent der Hoffnung der Kirche zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wo sich am Horizont Probleme und unbekannte Faktoren im Hinblick auf die Zukunft abzeichnen, Inspiration und gemeinsame Motivierungen für einen Frieden und einen Fortschritt finden wird, die aus seinen gemeinsamen christlichen Wurzeln stammen. 5. Aber getreu meiner Rolle als demütiger Diener in der Sache des Friedens und der Verständigung unter den Menschen muß ich meinen Blick von hier aus über die ganze Welt streifen lassen. Das traurige Schauspiel der Verluste von Menschenleben mit allen sozialen Konsequenzen, die bei den vom Krieg betroffenen Völkern lange Zeit anhalten, lassen mich tiefbekümmert an die Sogwelle von Tod und Verzweiflung denken, die bewaffnete Konflikte immer hervorrufen. Wir stehen noch nicht vor so schrecklichen Schauspielen wie denen von Hiroshima oder Nagasaki; doch immer, wenn wir das Leben des Menschen aufs Spiel setzen, lösen wir damit Mechanismen aus, die zu solchen Katastrophen führen können, und schlagen gefährliche reaktionäre und unmenschliche Wege ein. Darum muß sich die Menschheit in dieser Stunde einmal mehr die Frage nach der Absurdität und des immer ungerechteren Phänomens des Krieges stellen, auf dessen Bühne voll Tod und Schmerz nur der Verhandlungstisch übrig bleibt, der ihn verhindern kann und muß. Wolle Gott, daß der Konflikt, den wir beklagen, die bestehenden Kriege zwischen dem Iran und Irak und im Libanon, außerdem die mehr oder weniger verborgenen Konflikte, die andere Weltteile heimsuchen, die letzten unheilvollen Beispiele seien, die gültige Lektion, in der die Welt lernt, die Achtung vor der Heiligkeit des Lebens immer und unter allen Umständen über alles zu stellen; die Anwendung des Krieges, des Terrorismus oder anderer Gewaltmethoden der Vergessenheit anheimzugeben und entschlossen den Weg der Verständigung, der Eintracht und des Friedens zu folgen. 6. Mit diesen Wünschen im Gebet - dem anzuschließen ich euch alle einlade - erflehe ich den göttlichen Schutz und Trost für jeden einzelnen und jede Familie der geliebten argentinischen Nation, vor allem für die Waisen, die Opfer des Krieges, für diejenigen, die unter Krankheit oder in Ungewißheit über das Schicksal eines ihrer Lieben leiden. Unterpfand meines allgemeinen Wohlwollens und der Versöhnung der Geister soll der Apostolische Segen sein, den ich aus ganzem Herzen allen erteile. 593 Reisen „Den Dienst der Versöhnung üben“ Ansprache an die Priester und Ordensleute in der Kathedrale von Buenos Aires am 11. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich grüße euch herzlich, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen, Mitglieder kirchlicher Institute, Seminaristen und Jugendliche, die für die Nachfolge Christi geformt werden. Ich treffe mit euch in dieser Kathedrale von Buenos Aires, die der Heiligsten Dreifaltigkeit geweiht ist, zusammen, nur wenige Tage, nachdem wir unmittelbar vor dem Fronleichnamsfest feierlich das Fest des Trinitätsgeheimnisses begangen haben. Das veranlaßt uns, Betrachtungen über die tiefe Bedeutung der Eucharistie in Beruf und Leben des Priesters und der geweihten Seelen anzustellen. Der hl. Paulus stellt uns ausdrücklich den außerordentlichen ekklesiologi-schen Gehalt vor Augen, der für unser Dasein aus der Eucharistie erwächst: „Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot“ (2 Kor 10, 17). Hier haben wir in knappen Worten das theologische Daseinsfundament Umrissen, das uns vom eucharistischen Geheimnis aus zur Wirklichkeit des Glaubens, der kirchlichen Einheit, der Antwort auf jene Liebe führt, in der unsere Weihe ihre Wurzel hat. Ihr seid die, die sich Christus und der Kirche, der uneigennützigen Liebe zu ihm und einem Leben, das auf dem Glauben gründet, geweiht haben, ihr seid Diener und Zeugen des Glaubens, Verfechter des Glaubens und die Hoffnung der anderen. Das weist euch als Personen aus, die in engem Kontakt mit den Menschen und der Gesellschaft, ihren Schmerzen und Hoffnungen leben. Aber es unterscheidet euch durch die Weise, euer eigenes Dasein zu empfinden und zu leben. Das Priestertum ist in der Tat eine Weihe an Gott in Jesus Christus, um „den vielen zu dienen“ (vgl. Mk 10, 45). Diese Weihe ist, wie wir wissen, ein unauslöschliches sakramentales Geschenk, ein durch den Bischof verliehenes Zeichen und Quelle der Gnade. Die Hingabe der Ordensleute ist ihrerseits eine von der Kirche für ihren Dienst angenommene Selbsthingabe. Das begründet eine besondere 594 Reisen Weihe, „die zutiefst in der Taufweihe wurzelt und diese voller zum Ausdruck bringt“ (Perfectae caritatis, Nr. 5). Die eine und die andere Form der Hingabe, die in uns persönlich und in der Gemeinschaft, der wir dienen, mehr oder weniger wirksam ist, folgt also der Treue, der wir durch unser ganzes inneres und äußeres Leben in Übereinstimmung mit der empfangenen Gabe und der übernommenen Verpflichtung nachleben. Um diese Hingabe begreifen und getreu leben zu können, brauchen wir die Hilfe der Gnade. Ein Priester oder ein Ordensangehöriger muß deshalb Zeit finden, mit Gott allein zu sein und zu hören, was er ihm in der Stille zu sagen hat. Es muß daher betende, eucharistische Seelen geben. 2. Und wenn es sich um Menschen handelt, die eine besondere Weihe empfangen haben, müssen es Männer und Frauen mit einem großen Empfinden für die kirchliche Einheit sein, die die Eucharistie darstellt und verwirklicht. Da wir in Einheit mit dem Bischof in der Kirche und für sie, in der konkreten Kirche und für sie leben, sind wir nicht autonom oder unabhängig, wir sprechen weder im eigenen Namen noch repräsentieren wir uns selbst, sondern wir sind „Träger des Geheimnisses“ (7 Tim 3, 9), das unendlich weit über uns hinausgeht. Die Gewähr für den kirchlichen Charakter unseres Lebens ist die Gemeinschaft und Verbundenheit mit dem Bischof und dem Papst. Diese treue und immer wieder erneuerte Gemeinschaft kann mitunter schwierig sein und sogar Verzicht und Opfer erfordern. Aber zögert nicht, einander anzunehmen, wenn es notwendig ist. Das ist der „Preis“, das „Lösegeld“ (vgl. Mk 10, 45), um das der Herr euch bittet, für ihn und mit ihm, zum Heil der „vielen“ (ebd.) und zu eurem eigenen Heil. Weil jeder Diözesan- wie Ordenspriester aufgrund der Priesterweihe und des Dienstamtes mit dem Bischofskollegium verbunden ist und entsprechend der Berufung und Gnade des einzelnen dem Heil der ganzen Kirche dient (vgl. Lumen gentium,'Nt. 28), ist auch der Ordensmann seinerseits zur Eingliederung in die Ortskirche entsprechend seinem eigenen Charisma berufen, zur Liebe und Achtung gegenüber den Hirten, zum kirchlichen Einsatz und zur Sendung eben dieser Kirche (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 6). 3. Diese gemeinsamen Bande innerhalb der Kirche müssen: zu einer engen Verbundenheit auch unter euch selbst führen. Die Eucharistie, die höchste Quelle kirchlicher Einheit, muß ihre beständigen Früchte aktiver 595 Reisen Gemeinschaft spürbar zum Tragen bringen, indem sie diese Gemeinschaft täglich in der Liebe Christi mehr erneuert und stärkt. Und so sei, über die Unterschiede und Besonderheiten jedes einzelnen, jeder Gruppe oder kirchlichen Gemeinschaft hinaus, das eucharistische Mahl der bleibende Mittelpunkt unserer Gemeinschaft in dem einen „Leib“ (vgl. 1 Kor 10, 17), in der einen Liebe, in dem einen Leben dessen, der sterben und seine heilbringende Gegenwart erneuern wollte, auf daß wir sein Leben haben (vgl. Joh 6, 51). 4. Die konkrete Weise der Verwirklichung der Gemeinschaft, die die Eucharistie verlangt, muß die Herstellung einer echten, wahren Bruderschaft sein; der sakramentalen Bruderschaft, von der das letzte Konzil, an die Priester gewandt, handelt (vgl. Presbyterorum ordinis, Nr. 8) und von der bereits der hl. Ignatius von Antiochia als einem Erfordernis des katholischen Priestertums spricht (vgl. ad Mag. 6; ad Phil. 5). Eine Brüderlichkeit, die fester Grund für alle sein muß, die dasselbe Ideal des Lebens, der Berufung und der kirchlichen Sendung teilen. Ganz besonders aber müssen sich, wie das Evangelium lehrt, diejenigen als „Brüder“ fühlen, die besondere Titel führen (vgl. Mt 23, 8). Eine Brüderlichkeit, die zur Präsenz des Lebens und des Dienstes an den Brüdern werden muß - in der Pfarrei, auf dem Lehrstuhl, in der Schule, in der Kaplanei, im Krankenhaus, im Ordenshaus, im Armenviertel und an jedem anderen Ort. Eine Brüderlichkeit, die in der Wirklichkeit des Alltags in Gefühle, Handlungen und Gesten umgesetzt wird. Wenn sie so gelebt wird, gehört sie zu unserem Zeugnis der Glaubwürdigkeit vor der Welt. Spaltungen und Parteiungen dagegen behindern den Weg des Herrn. Aber denken wir daran, daß diese Brüderlichkeit, Frucht der Eucharistie und des Lebens in Christus, sich nicht auf den Bereich der eigenen Gruppe, Gemeinde oder Nation beschränkt. Sie weitet sich aus und muß die gesamte universale Wirklichkeit der Kirche umfassen, die an jedem Ort und in jedem Land, das Jesus Christus gehört, für alle, die die Familie der Kinder Gottes bilden, das Heil vergegenwärtigt. 5. Die Notwendigkeit, eine solche Atmosphäre der Brüderlichkeit zu schaffen, führt uns natürlich dazu, über die Versöhnung in Kirche und Gesellschaft zu sprechen. Insbesondere in den schwierigen gegenwärtigen Augenblicken, die eine solche Versöhnung um so verpflichtender und dringender machen. Wir alle wissen um die Spannungen und Wunden, die, verschärft durch die jüngsten Ereignisse, ihre Spur in der argentinischen Gesellschaft hinter- 596 Reisen lassen haben und die man baldmöglichst zu überwinden versuchen muß. Als Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen kommt es euch zu, für den Frieden und den gemeinsamen Aufbau zu arbeiten (vgl. Röm 14,19), indem ihr dafür sorgt, Einhelligkeit des Sinnes untereinander herzustellen (vgl. Röm 12, 16), und lehrt, das Böse durch das Gute zu besiegen (vgl. Röm 12, 21); und indem ihr euer Inneres der göttlichen Liebe erschließt, der ersten Quelle zur Verständigung und Umwandlung der Herzen (vgl. Jes 41, 8; Joh 15, 14; 2 Petr 1, 4). Eure Sache ist es, den „Dienst der Versöhnung“ (vgl. 2 Kor 5, 18) zu üben, indem ihr das „Wort von der Versöhnung“ verkündet, das euch anvertraut worden ist (2 Kor 5, 19). So werdet ihr eurem Volk helfen, sich um die echtesten Werte des Friedens, der Gerechtigkeit, der Hochherzigkeit und Aufnahmebereitschaft zu sammeln, die seiner christlichen Tradition und der Lehre des Evangeliums zugrunde hegen. So werdet ihr der Kirche dienen, indem ihr die Quelle der zum Leben gewordenen Liebe, die die Eucharistie ist, in euch und in den anderen Frucht bringen laßt. So werdet ihr in der Gesellschaft eine Atmosphäre wachsender Ruhe und hoffnungsvoller Aussicht auf die Zukunft fördern. 6. In dieser Perspektive steht mein jetziger Besuch in Argentinien, der ein Ausnahmefall ist und sich völlig von einem normalen apostolischen Pastoralbesuch unterscheidet, der zu einer passenden Gelegenheit weiter in Aussicht steht. Die Beweggründe für diese Reise habe ich in dem Brief vom 25. Mai dargelegt, den ich an die Söhne und Töchter der argentinischen Nation gerichtet habe. Heute komme ich, um inmitten der wichtigen und schwierigen Ereignisse, die schon seit einigen Wochen im Gange sind, mit euch zu beten. Ich komme, um für alle zu beten, die ihr Leben verloren haben, für die Opfer auf beiden Seiten, für die leidenden Familien, so wie ich es auch in Großbritannien getan habe. Ich komme, um für den Frieden zu beten, für eine würdige und gerechte Lösung des bewaffneten Konflikts. Ihr, die ihr in diesem argentinischen Land in ganz besonderer Weise als Männer und Frauen des Gebets wirkt, betet sowohl persönlich wie gemeinschaftlich mit um so größerer Beharrlichkeit zu Gott. Mein Wunsch war es, gerade in diesen beiden Tagen bei euch zu sein, um mit euch zu beten. Wir wollen das Gebet vor allem auf zwei Dinge konzentrieren: auf die Gottesmutter in ihrem Heiligtum in Lujän und die Feier des Allerheiligsten Leibes und Blutes Christi. 597 Reisen 7. Ich weiß um den guten kirchlichen und Ordensgeist, der euch beseelt. Ihr seid in sehr großer Zahl gekommen, um an dieser Handlung teilzunehmen. Doch ihr vertretet auch die anderen Priester oder Ordensfamilien des Landes, die die bedeutendsten lebendigen Kräfte der Kirche in dieser geliebten Nation darstellen. Allen vertraue ich dieses wichtige Anliegen an. Ganz besonders den gottgeweihten Seelen in der stillen Abgeschiedenheit der Klöster. In diesen schwierigen, unruhigen Tagen ist die Präsenz der betenden Kirche in Argentinien unbedingt notwendig, der Kirche, die Zeugnis gibt von der Liebe und vom Frieden. Möge dieses Zeugnis vor Gott und vor den Menschen in den Kontext der bedeutsamen Ereignisse eurer derzeitigen Geschichte eingehen. Möge es die Herzen erheben. Denn mit allen Ereignissen der Menschheitsgeschichte ist auch die Heilsgeschichte verknüpft. Möge das Zeugnis der Anwesenheit des Bischofs von Rom und eurer Verbundenheit mit ihm der Heilsgeschichte in eurem Vaterland einen neuen Anstoß geben. Mit diesen Wünschen und in tiefer Liebe zu allen Priestern, allen Ordensmännern und -frauen, allen Seminaristen und Mitgliedern kirchlicher Institute in Argentinien, ob sie anwesend oder abwesend sind, erteile ich euch von Herzen den Apostolischen Segen. „Auf das Kreuz Christi blicken“ Predigt bei der Messe im Marienwallfahrtsort Lujän am 11. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Vor der schönen Basilika von Lujän, die der Reinen und Unbefleckten Empfängnis geweiht ist, sind wir heute nachmittag zusammengekommen, um gemeinsam am Altar des Herrn zu beten. Wir wollen die Mutter Christi und unser aller Mutter bitten, ihrem Sohn die Not unserer bedrängten, nach Frieden dürstenden Herzen vorzustellen. Sie, die seit dem Jahr 1630 hier mütterlich alle aufnimmt, die sich 598 Reisen hilfesuchend an sie wenden, wollen wir heute um Mut, Hoffnung und Brüderlichkeit anrufen. Vor diesem Gnadenbild Mariens, dem meine Vorgänger Urban VIII., Clemens XI., Leo XIII., Pius XI. und Pius XII. ihre Verehrung erwiesen haben, will der Nachfolger Petri auf dem Römischen Stuhl, in kindlicher Liebe zu ihr mit euch verbunden, niederknien. 2. Die Liturgiefeier an diesem heiligen Ort, zu dem die Söhne und Töchter Argentiniens pilgern, stellt allen das Kreuz Christi auf Kalvaria vor Augen: „Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala“ (Joh 19, 25). Als Pilger bin ich in schweren Zeiten hierhergekommen und möchte nun in Verbundenheit mit euch die Botschaft dieser so bekannten Worte wieder lesen, die in den verschiedenen Gegenden der Erde gleichen und doch auch verschiedenen Klang haben. Es sind stets dieselben Worte, doch in den verschiedenen Augenblicken der Geschichte sprechen sie uns in unterschiedlicher Weise an. Von der Höhe des Kreuzes, dem erhabensten Lehrstuhl des Leidens und der Liebe, sprach Jesus zu seiner Mutter, und er sprach zum Jünger. Zur Mutter sagte er: „Frau, siehe, dein Sohn!“ Dann sagte er zu dem Jünger: „Siehe, deine Mutter!“ (Joh 19, 26-27). „Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind“ In diesem Marienheiligtum der argentinischen Nation in Lujän spricht die Liturgie von der Erhöhung des Menschen durch das Kreuz: von der ewigen Bestimmung des Menschen in Jesus Christus, dem Sohn Gottes und Sohn der Maria von Nazaret. Diese Bestimmung wird deutlich durch das Kreuz auf Kalvaria. 3. Von dieser ewigen und höchsten Bestimmung des Menschen, die in das Kreuz Christi eingeschrieben ist, gibt der Verfasser des Briefes an die Epheser Zeugnis: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel“ (Eph 1, 3). Diesen Christus sehen wir im Mittelpunkt der Liturgie, die wir hier in Lujän feiern, am Kreuz erhöht, einem schmachvollen Tod ausgeliefert. In diesem Christus sind auch wir zu einer Höhe emporgehoben, zu 599 Reisen welcher der Mensch nur durch die Macht Gottes erhöht werden kann: durch den „Segen seines Geistes“. Die Erhöhung durch die Gnade verdanken wir der Erhöhung Christi am Kreuz. Nach den ewigen Plänen der Liebe des Vaters verwirklicht sich im Erlösungsgeheimnis das eine allein durch das andere, und nur durch dieses. Es verwirklicht sich also in Ewigkeit, da ja die Liebe des Vaters und die Hingabe des Sohnes ewig sind. Es verwirklicht sich aber auch in der Zeit: Das Kreuz auf Golgota bezeichnet ja einen konkreten Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte. 4. Wir sind in Christus erwählt worden: „vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott“ {Eph 1,4). Die Erwählung bedeutet die ewige Bestimmung in der Liebe. Er hat uns im voraus dazu bestimmt, „seine Söhne zu werden durch Jesus Christus“ (Eph 1, 5). Der Vater hat uns in seinem „geliebten Sohn“ die Würde der Sohnschaft als seine Adoptivkinder verliehen. Das ist die ewige Entscheidung des Willens Gottes. Darin tut sich „die Herrlichkeit seiner Gnade“ kund (vgl. Eph 1, 6). Und vor all dem spricht das Kreuz zu uns. Das Kreuz, das die heutige Liturgie in den Mittelpunkt der Erwägungen und Empfindungen aller Pilger stellt, die aus den verschiedenen Teilen Argentiniens im Wallfahrtsort Lujän zusammengekommen sind. Heute ist der Bischof von Rom bei ihnen, als Pilger inmitten der besonderen Ereignisse, die so viele Herzen mit Sorge erfüllt haben. 5. Ich bin also bei euch, liebe Brüder und Schwestern, und zusammen mit euch lese ich wieder diese tiefe Wahrheit von der Erhöhung des Menschen in der ewigen Liebe des Vaters: eine Wahrheit, die vom Kreuz Christi bezeugt wurde. „Durch ihn sind wir auch als Erben vorherbestimmt und eingesetzt. . . ; wir sind zum Lob seiner Herrlichkeit bestimmt, die wir schon früher auf Christus gehofft haben“ {Eph 1, 11-12). Wir müssen mit den Augen des Glaubens auf das Kreuz Christi blicken und in ihm das ewige Geheimnis der Liebe Gottes entdecken, von dem der Verfasser des Epheserbriefes spricht. Das ist nach den Worten, die wir soeben gehört haben, der „Plan dessen, der alles so verwirklicht, wie er es in seinem Willen beschließt“ {Eph 1, 11). Der Wille Gottes ist die Erhöhung des Menschen zur Würde der Gotteskindschaft durch das Kreuz Christi. 600 Reisen Wenn wir auf das Kreuz blicken, sehen wir in ihm das Leiden des Menschen: den Todeskampf Christi. Das Wort der Offenbarung und das Licht des Glaubens lassen uns durch das Leiden und Sterben Christi die Erhöhung des Menschen entdecken. Die Fülle seiner Würde. 6. Wenn wir also das Kreuz Christi mit diesem Blick umfangen, erhalten die Worte, die von der Höhe dieses Kreuzes an Maria gerichtet wurden, für uns noch größere Bedeutung: „Frau, siehe, dein Sohn!“ (Joh 19, 26). Und an Johannes: „Siehe, deine Mutter!“ (Joh 19, 27). Diese Worte gehören gleichsam zu einem Testament unseres Erlösers. Er, der durch sein Kreuz den ewigen Plan der Liebe Gottes verwirklicht hat, der uns durch das Kreuz wieder in die Würde der Adoptivkinder Gottes einsetzt, er vertraut uns am Höhepunkt seines Opfers seiner Mutter als Kinder an. Denn wir glauben ja, daß der Satz „Siehe, dein Sohn“ sich nicht bloß auf den einen Jünger bezieht, der beim Kreuz seines Meisters ausharrte, sondern auch auf alle Menschen. 7. Die Tradition des Heiligtums von Lujän hat diese Worte in den Mittelpunkt der Liturgie gestellt, zu der sie alle Pilger einlädt. So, als wollte sie sagen: Lernt auf das Geheimnis zu blicken, diese großartige Schau auf das Schicksal und die Bestimmung des Menschen auf Erden und nach dem Tod. Versteht es, Söhne und Töchter dieser Mutter zu sein, die Gott in seiner Liebe seinem eigenen Sohn zur Mutter gegeben hat. Lernt, so zu sehen, vor allem in schwierigen Augenblicken und unter Umständen, die größere Verantwortung fordern; tut es auch in dieser Stunde, in der der Bischof von Rom als Pilger bei euch weilt und zu Füßen der Muttergottes von Lujän, dem Wallfahrtsort der argentinischen Nation, betet. 8. Während ich über das Geheimnis der Erhöhung jedes Menschen in Christus, jedes Sohnes und jeder Tochter dieser Nation, jedes Sohnes und jeder Tochter der Menschheit nachdenke, wiederhole ich mit euch die Worte Mariens: Großes hat der Allmächtige an uns getan (vgl. Lk 1, 49), „und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen ... Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unsern Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig“ {Lk 1, 49-55). 601 Reisen Söhne und Töchter des Volkes Gottes! Söhne und Töchter Argentiniens, die ihr in diesem Wallfahrtsort Lujän versammelt seid, dankt dem Gott eurer Väter für die Erhöhung eines jeden Menschen in Christus, dem Sohne Gottes! Von diesem Ort aus, an welchem mein Vorgänger Pius XII. auf „den Seelengrund des großen argentinischen Volkes“ zu dringen meinte (Rundfunkbotschaft vom 12. Oktober 1947 an den Ersten Nationalen Marianischen Kongreß), wachset im Glauben und in der Liebe zum Menschen! Und Du, Mutter, höre Deine Söhne und Töchter des argentinischen Volkes, die die vom Kreuz herab gesprochenen Worte: Siehe, dein Sohn! Siehe, deine Mutter! als an sie gerichtet annehmen. Durch Deine Fürsprache, o Königin des Friedens Im Geheimnis der Erlösung hat Christus selbst uns Dir anvertraut, uns alle und jeden einzelnen. Im Geist dieser Hingabe sind wir heute in den Wallfahrtsort Lujän gekommen. Und ich - der Bischof von Rom - komme, um diesen Akt der Überantwortung aller und jedes einzelnen an Dich auszusprechen. In besonderer Weise vertraue ich Dir alle jene an, die aufgrund der jüngsten Ereignisse ihr Leben verloren haben: Ihre Seelen empfehle ich der ewigen Ruhe im Herrn. Ebenso vertraue ich Dir jene an, die die Gesundheit eingebüßt haben und in Krankenhäusern sind. Schenke ihnen Trost in der Prüfung und im Schmerz. Ich empfehle Dir alle Familien und die Nation. Mögen alle an dieser Erhöhung des Menschen in Christus, wie sie von der heutigen Liturgie verkündet wurde, teilhaben. Mögen sie die Fülle des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe leben als Söhne und Töchter, die der Ewige Vater in seinem Sohn als Kinder angenommen hat. Mögen durch Deine Fürsprache, o Königin des Friedens, die Wege zu einer Lösung des gegenwärtigen Konfliktes in Frieden, in Gerechtigkeit und unter Achtung der Würde jeder Nation gefunden werden. Höre Deine Kinder, zeige ihnen Jesus, den Erlöser, als den Weg, die Wahrheit, das Leben und die Hoffnung. Amen. 602 Reisen „Mit meiner Gegenwart die tiefe Zuneigung bestätigen“ Ansprache an die argentinischen Bischöfe in Buenos Aires am 12. Juni Meine Herren Kardinäle und hebe Mitbrüder im Bischofsamt! 1. Ich bin sicher, daß ihr in meiner Seele Empfindungen ablesen könnt, die Worte nicht hinreichend auszudrücken vermögen: vor allem, ein wie großer Trost für mich dieses Zusammentreffen mit euch auf argentinischer Erde ist. Mit euch, die der Heilige Geist zu Hirten (Apg 20, 28) der zahlreichen Teilkirchen bestellt hat, die ihren Glauben und ihre Hoffnung auf dem Boden dieser geliebten Nation in ihrer ganzen Ausdehnung leben. Mit euch schließlich, die ihr als Vertreter der Bischofskonferenzen anderer benachbarter Länder und von CELAM hierher geeilt seid, um euch dem Gebet und den Friedenswünschen eurer argentinischen Mitbrüder anzuschließen. Euch allen einen von Herzen kommenden Gruß mit den Worten des ersten Bischofs von Rom: „in fraternitatis amore“ — in „aufrichtiger Bruderliebe“ (2 Petr 5, 14) und „in osculo sancto“ - „mit dem Kuß der Liebe“ (1 Petr 5, 14). 2. Zum dritten Male leitet die göttliche Vorsehung meine Schritte nach Lateinamerika. Hier in Argentinien kehren aufs neue die Gefühle wieder, die schon die früheren Besuche der Kirche — ihrer Hirten und Gläubigen — in diesem großen Subkontinent begleiteten: in Santo Domingo, Mexiko und Brasilien. Gleichwohl besitzt die gegenwärtige Begegnung eine Blickrichtung und eine Bedeutung, die sie von den vorhergehenden deutlich unterscheiden. In einem Augenblick der inneren Unruhe und des Leidens dieser Nation und ihres Volkes fühlte ich mich gedrängt, diese unerwartete Reise anzutreten. Das Motiv meines Kommens stellte jene Gesamtheit von Gründen dar, die ich den Söhnen und Töchtern Argentiniens durch den Brief habe erklären wollen, den ich ihnen mit soviel Zuneigung und Vertrauen am vergangenen 25. Mai schrieb. Ich bin gekommen, weil ich Eile hatte, mit meiner Gegenwart die tiefe Zuneigung zu bestätigen, die ich euch gegenüber hege, sowie mit euch meine tiefe Sehnsucht nach Frieden und Eintracht unter den Menschen der ganzen Welt zu teilen. 603 Reisen Wesentliche Reichtümer der Verschiedenheit 3. Während ich mit euch zusammen, meine Brüder Bischöfe, diese Stunde tiefer innerer Gemeinschaft verbringe, erhebt sich vor dem Auge meines Geistes ein überwältigendes Bild der Kirche: das Bild des Volkes Gottes, das so großartig im zweiten Kapitel von Lumen gentium gezeichnet worden ist. In diesem Volke Gottes leuchtet als eine seiner bewundernswürdigsten Dimensionen die Katholizität oder Universalität auf. In der Tat bilden es Menschen und Völker, die über den weiten Umkreis der Erde zerstreut leben, aber zusammengerufen und vereint sind durch Jesus, Haupt dieses Volkes, und durch den Heiligen Geist, der die Seele dieses Volkes, das Prinzip seines Lebens und seines Zusammenhaltes ist. So erscheint also das Volk Gottes nicht begrenzt auf den notwendigerweise eingeengten Raum einer Nation, Rasse oder Kultur, sondern es erstreckt sich auf den ganzen Erdkreis. Doch verkennt es die Nationen, Rassen oder Kulturen nicht. Seine Größe und Originalität besteht eben gerade darin, in einer lebendigen, organischen und dynamischen Einheit die verschiedensten Völker zu verschmelzen; und zwar in der Weise, daß weder die Einheit Brüche erleidet noch die Verschiedenheit ihre wesentlichen Reichtümer verliert. Aus einer Betrachtung über das Kapitel 2, insbesondere dessen Nummer 13, vom Lumen gentium können wir stets mit wiederauf lebender geistlicher Freude neue und fruchtbare Lehren mit sehr tiefem theologischem Inhalt gewinnen. Ich möchte mich hier auf zwei Überlegungen beschränken, die den Umständen, in denen wir leben, am angemessensten sind. 4. Die erste besagt, daß sich im Licht der Theologie des Volkes Gottes die doppelte Kondition des Christen nicht entgegengesetzt, sondern sich ergänzend in größerer Klarheit leuchtend darstellt. Tatsächlich ist er Glied der Kirche, die den Widerschein der Stadt Gottes und das Vorspiel zu dieser darstellt. Und gleichzeitig ist er Bürger eines konkreten irdischen Vaterlandes, von dem er so viele Reichtümer der Sprache und Kultur, der Überlieferung und Geschichte, des Charakters und der Art und Weise, das Dasein, die Menschen und die Welt zu erleben, empfängt. Jene Art christlichen und geistlichen Bürgertums schließt die andere, menschliche, weder aus, noch zerstört sie sie. Vielmehr erscheint die charakteristische Bürgerschaft des Volkes Gottes - die ja aufgrund ihrer Natur eine universale Bürgerschaft ist und fähig, Grenzen zu überschreiten - um so reicher, je mehr die verschiedenen Antlitze und Identitäten aller Völker, die sie bilden, gegenwärtig sind. 604 Reisen 5. Die zweite Überlegung, die in Lumen gentium ausdrücklich erwähnt ist, besitzt für uns besondere Bedeutung. Gerade weil das Volk Gottes Einheit in der Vielfalt ist, Gemeinschaft verschiedener Menschen und Völker - „linguarum multarum“ (vieler Sprachen), um es mit der Liturgie des Pfingstfestes auszudrücken -, die ihre Verschiedenheit nicht einbüßen, stellt es sich als Vorzeichen und Modell dar; mehr noch, als Samen und Lebensprinzip des Weltfriedens. Die harmonische Gemeinschaft in der Vielfalt, die im Volke Gottes existiert, ruft nämlich das Verlangen wach, dasselbe möge auch im universalen weltlichen Bereich Wirklichkeit werden. Mehr noch: Was sich im Volke Gottes ereignet, dient als Grundlage dafür, daß dasselbe unter den Menschen geschaffen werde. 6. In diesem Sinne ist die Universalität, wesenhafte Dimension im Volke Gottes, dem Patriotismus weder entgegengesetzt, noch tritt sie in einen Konflikt mit ihm ein. Im Gegenteil, sie integriert ihn und verstärkt gleichzeitig die Werte, die er enthält: insbesondere die Vaterlandsliebe, die sich, falls die Notwendigkeit besteht, bis zum Opfer steigert; jedoch gleichzeitig öffnet sie den Patriotismus eines jeden dem Patriotismus der anderen, damit sie sich gegenseitig durchdringen und bereichern. Der wahre und dauerhafte Friede muß die reife Frucht einer gelungenen Integration von Patriotismus und Universalität sein. 7. Diese Wahrheiten, um die man sich bisher kaum Mühe gemacht hat, werfen ein neues Licht auf die Sendung der Bischöfe. Tatsächlich ist kraft des geistlichen Amtes, das er im Angesicht des Volkes Gottes ausübt — eines konkreten Volkes Gottes, das in einem bestimmten Teil der Menschheit Gestalt angenommen hat -, jeder Bischof durch Berufung und Charisma Zeuge der Katholizität, sei es auf diözesaner, nationaler oder universeller Ebene; doch gleichzeitig ist er Zeuge dessen, was wir Patriotismus nennen und hier als Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk mit seinen ureigensten geistigen und kulturellen Reich-tümern verstehen. Hieraus ergeben sich die beiden Dimensionen der bischöflichen Sendung: diejenige des Dienstes am Teilbereich - an seiner Diözese und, ausgeweitet, an der Ortskirche seines' Landes - und diejenige der Öffnung zum Katholischen hin, zum Universalen auf kontinentaler oder Weltebene. Durch den Heiligen Geist auf den Konvergenzpunkt zwischen beiden Dimensionen gestellt, besitzt der Bischof die Verpflichtung und das Vorrecht, die Freude und das Kreuz, Förderer der unaufgebbaren Identität und der verschiedenen Wirklichkeiten zu sein, die sein Volk formen; 605 Reisen ohne zu vergessen, sie zu jener Einheit hinzuführen, ohne die das Volk Gottes nicht besteht. Auf solche Weise hilft er diesen verschiedenen Wirklichkeiten, sich in der Begegnung, mehr noch, in der gegenseitigen Beeinflussung zu bereichern. 8. Und genau deswegen besitzt die Sendung des Bischofs immer einen Aspekt, den ich nicht verheimlichen möchte. Herold und Diener der Versöhnung Es ist leicht und könnte manchmal bequem sein, die verschiedenen Dinge in ihrer Zerstreuung zu belassen und aufzugeben. Es ist leicht, sich zum anderen Extrem zu begeben und mit Gewalt die Verschiedenheit auf eine monolithische und unterschiedslose Uniformität zu reduzieren. Hingegen ist es schwierig, die Einheit zu erreichen und dabei die rechte Verschiedenheit zu bewahren, mehr noch, sie zu fördern. Es geht darum, legitime Werte der verschiedenen Komponenten in eine Harmonie bringen zu können und die natürlichen Widerstände, die häufig dabei aufkeimen, nacheinander zu überwinden. Aus diesem Grund wird der Bischof stets Baumeister der Harmonie, des Friedens und der Versöhnung sein. Daher können wir mit so viel Gewinn den Text des zweiten Briefes an die Korinther vernehmen, in dem der hl. Paulus, wenn er sich damit befaßt, die ganze Weite der apostolischen Berufung zu beleuchten, unter anderen Gesichtspunkten den folgenden aufweist: „. . . Gott, der . . . uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat . . . und uns das Wort von der Versöhnung (zur Verkündigung) anvertraute“ (2 Kor 5, 18-19). Nicht zufällig, sondern gewiß mit einer bestimmten Absicht bezieht der hl. Paulus sich auf das Wort Versöhnung, d. h. Verkündigung, Aufforderung, Ansage, Auftrag, den jeder Apostel und jeder Nachfolger der Apostel mit einem Dienst der Versöhnung, sei es ein Werk, seien es konkrete Schritte oder Anstrengungen, verbinden muß. Beide Dinge sind notwendig und unentbehrlich: Das Wort vollendet sich durch den Dienst. 9. Vielleicht mag es nicht überflüssig sein, in dieser Hinsicht ein grundlegendes Element zu unterstreichen. Es ist gerade im Herzen der Kirche, Gemeinschaft der Gläubigen, wo der Bischof vor allem sich als Versöhner erweist; durch seine ununterbrochene Anstrengung, mit Wort und Dienst Frieden und Gemeinschaft, leider stets bedroht, zu schaffen und neu zu schaffen; um nicht die 606 Reisen Spaltungen infolge der menschlichen Schwäche, auch solche unter den Anhängern und Brüdern Jesu Christi, zu erwähnen. Aber vergessen wir dies nie: Die Kirche muß „Form der Welt“ sein, zumal auf der Ebene des Friedens und der Versöhnung. Deswegen darf der Hirt der Kirche das „Wort der Versöhnung“ nicht verschweigen, noch kann er sich vom „Dienst an der Versöhnung“ befreien, zumal in einer Welt, in der Spaltungen und Trennungen, Haß und Zwietracht unaufhörlich die Einheit und den Frieden stören. Er wird hier nicht mit den Werkzeugen der Politik, sondern mit der demütigen und überzeugenden Sprache des Evangeliums wirken. 10. Als Nachfolger des Apostels Petrus, euer älterer Bruder und Diener der Einheit, sollte ich vor euch nicht verkünden, daß ich angesichts der traurigen Ereignisse im Südatlantik den Wunsch verspürte, ebenso wie ihr und mit euch zusammen Herold und Diener der Versöhnung zu sein? Ich wußte wohl, daß, als ich meine Schritte - in Ausübung einer ausschließlich pastoralen Mission nicht nur des Papstes, sondern der gesamten Kirche - nach Großbritannien lenkte, der eine oder andere diese Mission vielleicht im politischen Sinne deuten und sie ihrem rein evangeliumsgemäßen Charakter hätte entfremden können. Trotzdem war ich der Auffassung, daß die Treue zu meinem eigenen Dienst von mir verlangte, mich nicht von möglichen falschen Auslegungen abhalten zu lassen, sondern den Auftrag, mit Milde und Festigkeit das „Wort der Versöhnung“ zu verkünden, durchzuführen. Bewegendes Zeugnis der Gemeinschaft In Wahrheit hatte ich den Wunsch, mich zuvor und zu wiederholten Malen mit bevollmächtigten Vertretern der Episkopate Argentiniens und Großbritanniens zu treffen, um ihre Meinungen und Ratschläge in dieser Frage von solch großer Bedeutung für die betroffenen Nationen und die Kirchen, die in ihnen bestehen, zu vernehmen. Anschließend war es mein Wunsch, in der Petersbasilika eine feierliche Eucharistie zusammen mit einigen Oberhirten der beiden in den Konflikt verwickelten Nationen zu zelebrieren. Das bewegende Zeugnis der Gemeinschaft, das diese Oberhirten noch inmitten des Streites zwischen ihren Ursprungsländern „im selben Kelch und im selben Brot“ ablegten, erhielt noch eine weitere Bereicherung durch die gemeinsame Erklärung, welche sie nach der Messe Unterzeichneten. Unnötig, hier einen Kommentar zu dem von meiner eigenen Hand 607 Reisen unterschriebenen Brief zu geben, den ich, wie der hl. Paulus es zu tun gewohnt war, „an die geliebten Söhne und Töchter der argentinischen Nation“ richtete. Das war ein Wort, welches von Herzen kam in einer Stunde des Leidens für euer Volk, und das dem Ziele diente, mein brennendes Verlangen anzukündigen, hierherzukommen und mit euch zusammenzutreffen. Es freut mich sehr, daß eure bischöflichen Brüder Großbritanniens während meiner Reise zu jenen Völkern die noble und rücksichtsvolle Geste vollbrachten, euch zu schreiben, um noch stärker jenes „Band des Friedens“ zwischen Hirten zu besiegeln. Gebe Gott, daß das „Band des Friedens“ stets zwischen euren Völkern und Nationen erreicht werde. Wie könnte man nicht in all diesen Gesten den deutlichen Ausdruck des „Wortes der Versöhnung“, vereint mit dem „Dienst der Versöhnung“ sehen? 11. Heute, liebe Brüder, findet uns das Hochfest vom Leib und Blut unseres Herrn Jesus vereinigt in der Einheit, die aus der Kommunion in dem einen Herrn und dem einen Brot erwächst. Ich komme, um meine Stimme und mein Gebet mit dem eurigen zu vereinen. Wie ich in Großbritannien sagte, komme ich, um für die in dem Konflikt GefaUenen zu beten, um so vielen vom Tod eines ihrer Lieben betroffenen Familien Stärkung und Trost zu bringen. Doch komme ich vor allem, um mit euch und mit euren Gläubigen dafür zu beten, daß der gegenwärtige Konflikt mit einer friedlichen und dauerhaften Lösung beendet werde, die die Gerechtigkeit und die Würde der beteiligten Völker achtet. Und wie es Aufgabe des Bischofs von Rom ist, die Einheit unter den Brüdern zu fördern, so ist es mein Wunsch, euch zu bestärken in eurer eigenen Sendung als Vermittler. Dabei hebe ich hervor, daß diese Sendung sehr groß und dringend ist, mag sie auch noch so schwierig und mühsam sein. Ich bitte euch gleichzeitig, mit mir in der Erfüllung dieser Aufgabe entschlossen auszuharren und sie mir auf diese Weise zu erleichtern. 12. Von Herzen danke ich euch für euren Empfang, für alle eure Bemühungen und Leiden. Und bitten wir vereint den Heiligen Geist, den Urheber echter Einheit, er möge uns seine Gnade und Ausdauer in dem Bemühen um Liebe und Frieden in der argentinischen Gesellschaft verleihen. Doch nicht nur in ihr, in dieser Stunde, in der ganz Lateinamerika den 608 Reisen Nachweis eines größeren Zusammenhaltes erbringt, in der es mühsam seine tiefste Identität und seinen eigenen Charakter sucht, ist die versöhnende Gegenwart der Kirche notwendig, durch die ein Erdteil, der „einen echten katholischen Untergrund“ (Puebla, 412) besitzt, die Leitideen bewahrt, die ihn geformt haben. Inmitten der Hoffnungen und Gefahren, die am Horizont sichtbar werden, und angesichts der latenten Spannungen, die von Zeit zu Zeit auf tauchen, ist es notwendig, einen Dienst der Befriedung im Namen des Glaubens und der gegenseitigen Verständigung anzubieten, durch den die religiösen und geistlichen Reichtümer, wahre GrundfesteiFder Einheit, weit stärker sein mögen denn jeder Same der Zwietracht. 13. Darin möge euch die Jungfrau Maria, Königin des Friedens, bestärken und anregen. Zu Füßen dieser gütigen Mutter haben wir uns gestern in ihrem Heiligtum von Lujän getroffen, im marianischen Herzen Argentiniens. Gemeinsam haben wir um den Frieden gebetet. Nicht nur um jenen Frieden, der im Schweigen der Waffen besteht, sondern ebenso für jenen, der ein Kennzeichen der Herzen ist, die versöhnt sind und frei von feindseligen Gefühlen. Daher richten wir nun an die hl. Maria von Buenos Aires die Bitte, sie möge allen und jedem einzelnen der Bischöfe Argentiniens die Gnade gewähren, Jesus und seiner Kirche mit einer Hingabe voll innerer Freude zu dienen. Mit dieser Anrufung erteile ich euch, lieben Brüdern, meinen besonderen Apostolischen Segen. Ich bitte euch, euch mit mir zu vereinen, um diesen Segen jedem argentinischen Heim weiterzugeben, vor allem denjenigen, in denen der Krieg Tränen verursacht hat. Ihnen schenke der Herr Trost und Frieden. 609 Reisen Die Eucharistie: der größte Schatz der Kirche Predigt bei der feierlichen Messe in Buenos Aires am 12. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. An diesem schönen Denkmal für die Spanier, in Buenos Aires, sind wir zusammengekommen, um Christus in der Eucharistie unsere Ehrerbietung darzubringen; um die Liebe zu preisen, die vereint, versöhnt und die Würde des Menschen erhöht. Es ist dies ein Ort, der nicht nur an das Gedächtnis der Hundert-Jahr-Feier eurer Unabhängigkeit gebunden ist oder ein wichtiger Mittelpunkt für das tägliche Leben der Bewohner - der Erwachsenen und Kinder - der Hauptstadt eurer Nation darstellt. Dieser Platz ist darüber hinaus ein Stück Erinnerung an den XXIII. Eucharistischen Weltkongreß von 1934, ein Ereignis, das für das Wiedererwachen des katholischen Lebens in Argentinien von großer Bedeutung war und an dem als Päpstlicher Legat der damalige Kardinal Pacelli und spätere Pius XII. teilnahm. Das große Kreuz, das so sehr in Erinnerung geblieben ist und das mit seinen Balken dieses Monument verdeckte, war ein beredtes Symbol des Kreuzes Christi, das eure Geschichte überschattete und in frohen und schwierigen Augenblicken Zeichen der Erlösung und der Hoffnung gewesen ist. An diesem Ort wollen wir heute das Gedächtnis des Liebesgeheimnisses des Leibes und Blutes des Herrn feiern. Fronleichnam: Fest des Neuen Bundes 2. „Pange lingua gloriosi corporis mysterium, sanguinisque praetiosi. . . Preise, Zunge, das Geheimnis dieses Leibes voll Herrlichkeit und des unschätzbaren Blutes . . .“ Gestern haben wir im Heiligtum der Gottesmutter in Lujän, im Nationalheiligtum Argentiniens, den Worten der Liturgie folgend über das Geheimnis der Erhöhung des Menschen durch das Kreuz Christi meditiert. Von der Höhe des Kreuzes herab vernimmt jeder von uns die Worte: „Frau, siehe, dein Sohn“ - „Siehe, deine Mutter“ (Joh 19, 26-27). Wir haben diese Worte in unsere Herzen eindringen lassen, als Vorbereitung 610 Reisen auf das heutige Fest: das Fest des heiligsten Leibes und Blutes Christi. Wir blicken erneut auf das Kreuz, auf den Leib Christi, der im Todeskampf leidet, und lenken dann unseren Blick auf die Mutter, auf diese Mutter, welche die Söhne und Töchter Argentiniens im Heiligtum von Lujän verehren. „Ave verum corpus natum de Maria virgine, vere passum immolatum in cruce pro homine . . . Wahrer Leib, sei uns gegrüßt, den Maria uns gebar; er hat unsere Schuld gebüßt, sterbend auf dem Kreuzaltar . . .“ Heute verehren wir gerade diesen Leib, den göttlichen Leib des Menschensohnes, des Sohnes Mariens; das heiligste Sakrament des Neuen Bundes; den größten Schatz der Kirche; den Glaubensschatz des ganzen Volkes Gottes. 3. Der feierliche Charakter dieses Tages lädt uns ein, auf den Abendmahlssaal vom Gründonnerstag zu blicken. „Wo ist der Raum, in dem ich mit meinen Jüngern das Paschalamm essen kann?“ (Mk 14, 14). So fragten die Jünger Jesus von Nazaret einen Mann, dem sie auf der Straße begegneten. Sie fragten, den Anweisungen des Meisters folgend, und diesen Anweisungen gemäß „bereiteten (sie) das Paschamahl vor“ (Mk 14, 16). Während des Mahles „nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib . . .“ (Mk 14, 22). In jenem Augenblick, als sie sein Gebot befolgten, erinnerten sich die Jünger vielleicht der Worte, die Jesus einst in der Nähe von Kafarnaum gesprochen hatte: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot ißt, wird in Ewigkeit leben“ (Joh 6, 51). An jenem heiligen Tag im Abendmahlssaal wurde es ihnen vielleicht klar, daß die Zeit der Erfüllung dieses Versprechens von Kafarnaum gekommen war, eines Versprechens, das vielen schwer begreiflich erschien. Christus sagt: „Nehmt, das ist mein Leib . . .“, und gibt ihnen Brot zu essen. Dieses Brot verwandelt sich in seinen Leib, in jenen Leib, der am nächsten Tag im Kreuzesopfer hingegeben wird; in den gepeinigten Leib, aus dem Blut fließen wird. Christus nimmt im Abendmahlssaal den Kelch, und nachdem er das Dankgebet gesprochen hat, reicht er ihn zum Trinken und sagt: „Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“ (Mk 14, 24). Unter der Gestalt des Weines empfangen die Jünger das Blut des Herrn 611 Reisen und haben gleichzeitig am Neuen und Ewigen Bund Anteil, der mit dem Blut des Lammes Gottes geschlossen wird. Das Fronleichnamsfest - das Fest der Eucharistie - ist gleichzeitig das Fest des Neuen und Ewigen Bundes, den Gott durch das Blut seines Sohnes mit der Menschheit geschlossen hat. 4. Dieser - Neue und Ewige - Bund war im Alten Bund angekündigt und begonnen worden; davon spricht die heutige dem Buch Exodus entnommene Lesung. Der Alte Bund war durch das Blut der geopferten Tiere geschlossen worden, mit dem Moses die Kinder Israels besprengte. Das mit dem Blut besprengte Volk versprach Treue zum Wort des Herrn, wie es im Buch des Bundes enthalten war: „Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun; wir wollen gehorchen“ (Ex 24, 7). Der Neue und Ewige Bund, dessen Sakrament während des Ostermahls eingesetzt worden war, gründet sich nicht auf das im Buch geschriebene Wort. Das Wort ist Fleisch geworden. Der Neue Bund vollzieht sich durch den göttlichen Leib des Menschensohnes. Er vollzieht sich durch das auf dem Kreuz und während der Passion vergossene Blut. Der Neue Bund wird zum Sakrament des Leibes und des Blutes Christi. Der Leib, der im Leiden und im Tod hingegeben wurde, und das vergossene Blut sind das Opfer der Versöhnung. In diesem Opfer des geliebten Sohnes wurde der endgültige Bund mit Gott geschlossen: der Neue und Ewige Bund. Heute feiern wir auf ganz besondere Weise die Zeichen dieses Bundes: den Leib und das Blut des Herrn. 5. Dieser ein einziges Mal in Christus vollzogene Bund, der ein einziges Mal als Sakrament im Abendmahlssaal eingesetzt wurde, bleibt unangetastet. Jesus Christus - so sagt der Autor des Briefes an die Hebräer - ist ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen . . . und hat uns so eine ewige Erlösung erwirkt (vgl. Hebr 9, 12). Das Blut des Lammes wird zum Quell des Lebens Man kann auch sagen, daß Jesus-Christus unaufhörlich in dieses Heiligtum hineingeht, in dem das ewige Schicksal des Menschen in Gott entschieden wird und in dem sich seine endgültige Erhöhung zur Würde des angenommenen Sohnes vollzieht. Hierin besteht tatsächlich die „ewige Erlösung“. 612 Reisen Dieses Opfer ist viel mehr als jedes andere; so ruft der Autor des Briefes an die Hebräer aus: „Wieviel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst kraft ewigen Geistes Gottes als makelloses Opfer dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen“ (Hebr 9, 14). Der göttliche Leib trägt den Neuen Bund im Blut Christi in sich. Dieses Blut, das auf Golgota aus dem gekreuzigten Leib hervorquillt, trägt den Tod und gleichzeitig das Leben in sich. Der Tod spendet Leben! Dieses Leben hat seinen Ursprung nicht im sterblichen Leib, sondern im unsterblichen Geist: im ewigen Geist. Er, der Gott ist, der dem Vater und dem Sohn wesenhaft gleicht, „spendet das Leben“ (wie wir seit der Zeit des Konzils von Konstantinopel im Glaubensbekenntnis beten). Dank seines lebenspendenen Einflusses werden die Werke der menschlichen Gewissen lebendig: sie werden lebendig im Angesicht des lebendigen Gottes. Auf diese Weise wird das Blut des Lammes Gottes, das einmal auf Golgota vergossen wurde, zum ewigen Heiligtum der göttlichen Bestimmung des Menschen, zum Quell des Lebens. Er, Christus (sein göttlicher Leib und sein göttliches Blut), ist also der Mittler des Neuen Bundes, damit durch den (auf Golgota erlittenen) Tod „die Berufenen das verheißene ewige Leben erhalten“ {Hebr 9, 15). 6. Wir stehen hier vor dem Geheimnis des Leibes Gottes und seines heiligsten Blutes, vor dem Geheimnis, das ich gemeinsam mit euch, geliebte Söhne und Töchter der argentinischen Nation, betrachten durfte. Gestern haben wir im Heiligtum Unserer Lieben Frau von Lujän, der Liturgie folgend, über die Erhöhung des Menschen durch das Kreuz Christi und die Würde des von Gott angenommenen Sohnes meditiert. Heute begegnen wir in der Liturgie des Fronleichnamsfestes dem gleichen Geheimnis als Mittelpunkt des Neuen und Ewigen Bundes. Dieses Geheimnis ist eine unvergängliche Tatsache, die immer und ohne Ausnahme zwischen dem unendlichen Gott und jedem Menschen stehen wird und uns alle umfaßt. Unvergängliche Wahrheiten unseres Glaubens Wir sind auch alle berufen und eingeladen, das Sakrament des Leibes und Blutes zu empfangen, dem die ganze Wahrheit und Wirklichkeit des Neuen und Ewigen Blutes eingeprägt ist. Die Erhöhung des Menschen durch das Kreuz Christi wird in der Speise 613 Reisen und im Trank bekräftigt, die das Maß dieser Erhöhung angeben. Die Eucharistie kündet uns jedesmal von dieser Erhöhung im sakramentalen Zeichen des Bundes mit den Menschen, deren Lösegeld Jesus Christus mit seinem Leib und seinem Blut gezollt hat. Sein Leiden und sein Tod sind zum Anfang der Auferstehung und des Lebens geworden. 7. Geliebte Söhne und Töchter Argentiniens! Als Pilger betrachte ich mit euch diese unvergänglichen Wahrheiten unseres Glaubens. Es ist mir eine große Freude, daß unsere kurze Begegnung zu dieser Gelegenheit im Zeichen des Festes des heiligsten Leibes und Blutes Christi steht. Es war mir sehr an dieser Begegnung gelegen, unabhängig von einem normalen Pastoralbesuch bei der Kirche Argentiniens, an den ich weiterhin denke; mir war daran gelegen im Licht der schwierigen und wichtigen Ereignisse der letzten Wochen. Die Wahrheit vom Leib und Blut Christi - Zeichen des Neuen und Ewigen Bundes - möge als Licht allen Söhnen und Töchtern Argentiniens und auch Großbritanniens leuchten, die im Lauf der Kriegsereignisse den Tod erlitten und ihr Blut vergossen haben. Möge diese lebenspendende, an die Gewißheit der Erhöhung des Menschen durch das Kreuz Christi gebundene Wahrheit niemals auf hören, alle Söhne und Töchter zu beseelen, die in diesem Land leben und dessen Gegenwart und Zukunft mit viel gutem Willen aufbauen wollen. Mögen der Leib und das Blut Christi nie aufhören, für alle Speise auf diesem langen Weg zu sein, der euch durch die irdische Heimat führen soll im Geiste der Liebe und des Dienens, damit die Würde der Nation immer und überall die Würde jedes einzelnen Menschen und seiner göttlichen Sohnschaft zur Grundlage habe. Mögen schließlich von diesem Ort, wo ihr mit der Hymne des großen Eucharistischen Kongresses den Gott der Herzen angefleht habt, damit er den Nationen seine Liebe kundtue, auch jetzt Liebe und Achtung für alle Menschen, Verständnis und Friede ausstrahlen und die Herzen aller Argentinier erfüllen. Amen. Aber ehe ich euch verlasse, kann ich nicht umhin, ein eigenes Wort an die argentinische Jugend zu richten. Liebe Freunde: Ihr hattet in diesen Tagen ständig einen Platz in meinem Herzen. Ich habe euren Empfang, euer Verhalten ganz besonders zu schätzen gewußt. Und ich habe in euren Blicken die brennende Bitte um Frieden erkannt, die aus eurem Herzen kommt. Schließt euch der Jugend Großbritanniens an, die in den vergangenen 614 Reisen Tagen Beifall gespendet hat und gleichfalls für jede Bitte um Frieden und Eintracht empfänglich war. In diesem Zusammenhang überbringe ich euch mit wahrer Freude eine für euch bestimmte Botschaft. Denn sie selbst (die Jugend) hat mich vor allem bei der Begegnung in Cardiff gebeten, euch ihren aufrichtigen Wunsch nach Frieden zu übermitteln. Laßt nicht zu, daß der Haß die edlen Kräfte und die Fähigkeit zur Verständigung mit allen, die ihr besitzt, zum Welken bringt. Schmiedet mit euren Händen - zusammen mit der lateinamerikanischen Jugend, die sich in Puebla der besonderen Sorge der Kirche anvertraute - eine Kette der Einheit und Verbundenheit, die stärker ist als die Ketten des Krieges. Auf diese Weise werdet ihr junge Menschen und Vorbereiter einer besseren Zukunft sein; so werdet ihr Christen sein. ,,Aussöhnung ist mehr als Waffenruhe“ Ansprache vor dem Abflug von Buenos Aires am 12. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich bin im Begriff, den Besuch in eurem geliebten Land zu beenden, den ich im Namen des Friedens in einem schmerzlichen Augenblick eurer Geschichte unternommen habe. Diese Reise und die andere, die ich vorher nach Großbritannien gemacht habe, erlaubten mir, meine Pflicht als oberster Hirte der Universalkirche zu erfüllen und gleichzeitig an die Gewissen zu interpellieren, damit in dem gegenwärtigen kriegerischen Zusammenstoß beide in den Konflikt verwickelte Parteien sich wieder von Gefühlen der friedlichen Versöhnung leiten lassen, die mehr sind als eine bloße Waffenruhe. Ich bitte Gott, daß die tiefe Überzeugung von der Notwendigkeit, alle überhaupt möglichen Mittel einzusetzen, um einen gerechten, ehrenvollen und dauerhaften Frieden herzustellen, wirksame Tatsache wird. Bei den Kontakten, die ich bei diesen Gelegenheiten hatte, konnte ich feststellen, daß beide Völker voll Schmerz über die Zerstörungen des Krieges und vor allem tiefbekümmert über den Verlust junger Menschenleben, die so vielen Familien Trauer und Tränen bringen, den Frieden herbeisehnen und inständig darum beten. Mögen darum die Verantwortlichen beider Länder und der internationa- 615 Reisen len Gemeinschaft, welche gleichfalls mit begründeter Sorge den gegenwärtigen Zeitpunkt der Spannungen und Kämpfe betrachtet, vor allem den Familien der beiden Nationen das zurückgeben, was sie am meisten und sehnlichsten wünschen: das Leben und die Zufriedenheit ihrer Söhne oder Angehörigen, ehe neue Opfer zu den bisherigen hinzukommen. Man zögere nicht, nach Lösungen zu suchen, die die Ehre beider Seiten wahren und den Frieden wiederherstellen. 2. Als Frucht meines Besuches bei der edlen argentinischen Nation hinterlasse ich euch die Botschaft, die ich vor euren Bischöfen, den gottgeweihten Seelen und euch allen verkündet habe. Möge das Gebet zur Muttergottes von Lujän und die Liebe, die aus der Eucharistie fließt, ständige Inspiration sein auf den Wegen der Treue zu Christus, um die er uns bittet. Für diese Anliegen will ich weiter mit euch ohne Unterlaß beten, damit die gegenwärtige Prüfung rasch ihr Ende erreicht. Den höchsten Autoritäten und allen Argentiniern, von denen ich so viele Beweise der Liebe und Achtung erhalten habe und die mir während meines Besuches so herzlich nahe waren, bin ich zutiefst dankbar für alle Zeichen vorzüglicher Aufmerksamkeit, die in mir Gefühle eines ununterbrochenen Wohlwollens für die Söhne und Töchter dieses geliebten Volkes wecken. 3. Ich danke euch für die rührende Begeisterung, die mir trotz des schwierigen Augenblicks, den eure Nation durchlebt, einen so beredten und herzlichen Empfang verschafft hat. Die herzlichen und großartigen Bekundungen der Liebe und Zuneigung, die ich an der Kreuzung eurer Straßen und Plätze - an der Avenida des 9. Juli und der Rivadavia - empfangen habe, und vor allem eure Präsenz an den Stätten des Gebets, haben in mir einen Eindruck hinterlassen, der sich tief in meine Seele eingeprägt hat. Eure Gebete, euer Beifall, euer Lächeln waren eine dauernde flehentliche Bitte um den Frieden, ein dauernder Beweis eurer Friedenshebe. Folgt dem Weg, zu dem ich euch unaufhörlich auf gefordert habe! Auf einem Spruchband entlang meiner Fahrstraße stand geschrieben: „Wir wollen Deine Freude sein!“ Liebe Freunde: Seid mit eurer Glaubenstreue die Freude Christi; seid die Freude der Kirche, seid die Freude der Jugend der Welt; indem ihr unablässig euren Einsatz für den Frieden lebt und verkündet. Seid die Freude des Papstes, der euch als glaubwürdige junge Menschen, Überwinder des Hasses und Erbauer einer besseren Welt wissen möchte. 616 Reisen Mit einem „Auf Wiedersehen bis auf bald!“ verabschiede ich mich von allen, indem ich noch einmal alle Argentinier segne; vor allem die Kranken und alle, die wegen der Opfer des Krieges leiden und trauern. Gott segne Argentinien, Gott segne Lateinamerika, Gott segne die Welt! 617 Besuch bei internationalen Organisationen in Genf (15. Juni) Reisen „Eine neue Solidarität ohne Grenzen“ Ansprache an die Teilnehmer der 68. Tagung der Internationalen Konferenz für Arbeit in Genf am 15. Juni Herr Präsident! Herr Generaldirektor! Meine Herren Minister! Meine Damen und Herren Delegierten! Meine Damen und Herren! 1. Ich möchte vor allem meiner Freude Ausdruck geben über die Gelegenheit, mich heute hier einfinden und vor dieser illustren Versammlung, die zur 68. Tagung der Internationalen Konferenz für Arbeit zusammengekommen ist, das Wort ergreifen zu können. Die Ihnen bekannten Ereignisse haben mich daran gehindert, der Einladung zur Teilnahme an der Tagung im Vorjahr nachzukommen, die der Generaldirektor an mich gerichtet hatte. Ich danke Gott, der mir das Leben gerettet und meine Gesundheit wiederhergestellt hat. Die Unmöglichkeit, 1981 hierherzukommen, hat den tiefen Wunsch, mit Ihnen zusammenzutreffen, noch verstärkt, denn ich fühle mich mit der Welt der Arbeit durch viele Bande verbunden. Das gewiß nicht geringste davon ist das Bewußtsein einer besonderen Verantwortung für die zahlreichen Probleme, die mit der Wirklichkeit der menschlichen Arbeit Zusammenhängen: bedeutende, oft schwierige, immer aber grundlegende Probleme, die der Grund für das Bestehen Ihrer Organisation sind. Die Einladung, die der Generaldirektor nach meiner Genesung erneut aussprach, hat mich deshalb besonders gefreut. Inzwischen habe ich meine Enzyklika über die menschliche Arbeit, Laborem exercens, veröffentlicht mit dem Ziel, einen Beitrag zur Entwicklung der Soziallehre der katholischen Kirche zu leisten, deren große Dokumente, angefangen mit Rerum novarum Papst Leos XIII., auf den Kongressen der Internationalen Arbeitsorganisation, die für die verschiedenen Aspekte der breiten Problematik der menschlichen Arbeit im Laufe der verschiedenen historischen Etappen ihres Bestehens und ihres Wirkens immer empfänglich war, ein achtungsvolles Echo und wohlwollende Zustimmung gefunden haben. Es sei mir hier gestattet, für Ihre Einladung und den herzlichen Empfang, den Sie mir bereitet haben, zu danken. Gleichzeitig möchte ich Ihnen sagen, wie sehr ich die freundlichen Worte zu schätzen weiß, die der 620 Reisen Generaldirektor soeben an mich gerichtet hat; dank dieser Worte fällt es mir leichter, meinerseits das Wort an Sie zu richten. Als Gast dieser Versammlung spreche ich zu Ihnen im Namen der katholischen Kirche und des Apostolischen Stuhles, wobei ich seine universale Mission vertrete, die vor allem religiösen und ethischen Charakter besitzt. Die Kirche und der Heilige Stuhl teilen daher die Sorge Ihrer Organisation, was ihre Grundziele angeht, und stimmen zugleich mit der ganzen Familie der Nationen darin überein, zum Fortschritt der Menschheit beizutragen. Würdigung der menschlichen Arbeit 2. Wenn ich mich an Sie, sehr geehrte Damen und Herren, wende, möchte ich durch Ihre Person vor allem der Arbeit des Menschen Anerkennung zollen, jeder Arbeit, welche auch immer das sein mag und wo auch immer auf dem weiten Erdkreis sie getan wird, jeder Arbeit - und jedem Mann und jeder Frau, die sie tun —, ohne Unterschied ihrer spezifischen Merkmale, ob es sich um „körperliche“ oder um „geistige“ Arbeit handelt; ohne Unterschied ihrer besonderen Bestimmungen, ob es sich um „schöpferische“ oder „reproduktive“ Arbeit handelt, ob es sich um theoretische Forschungsarbeit handelt, die die Grundlagen für die Arbeit der anderen liefert, oder um Arbeit, die darin besteht, die Voraussetzungen und Strukturen herzustellen, oder schließlich um die Arbeit der Führungskräfte oder der Arbeiter, die die für die Realisierung der festgelegten Programme notwendigen Aufgaben durchführen. In jeder dieser Formen verdient die Arbeit besondere Achtung, weil sie Werk des Menschen ist, weil hinter jeder Arbeit immer ein lebendiges Wesen steht: die menschliche Person. Daraus leiten sich Wert und Würde der Arbeit ab. Im Namen der Würde, die jeder menschlichen Arbeit eigen ist, möchte ich zugleich auch meiner Wertschätzung für Sie alle, meine Damen und Herren, und für die konkreten Institutionen, Organisationen und Behörden, die Sie hier vertreten, Ausdruck geben. In Anbetracht des universalen Charakters der Internationalen Arbeitsorganisation ergreife ich die Gelegenheit, durch diese meine Intervention allen hier vertretenen Gruppen Anerkennung auszusprechen, und würdige das Bemühen, mit dem jede von ihnen auf die Entfaltung ihrer Möglichkeiten abzielt, um das gemeinsame Wohl aller Ihrer Mitglieder verwirklichen zu können: der von Generation zu Generation auf den verschiedenen Arbeitsplätzen vereinten Männer und Frauen. 621 Reisen Zielsetzung der IAO - Hmmanisierung der Arbeit 3. Schließlich will ich - und ich glaube, hier der Sprecher nicht nur des Heiligen Stuhls, sondern gewissermaßen aller Anwesenden zu sein — eine besondere Hochachtung und Dankbarkeit für die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) selbst zum Ausdruck bringen. Ihre Organisation nimmt wirklich sowohl wegen ihres Alters als auch wegen ihrer edlen Ziele einen wichtigen Platz im internationalen Leben ein. 1919 durch den Versailler Vertrag gegründet, hat sie es sich zur Aufgabe gestellt, durch die Förderung der sozialen Gerechtigkeit zu einem dauerhaften Frieden beizutragen, wie es die Präambel ihrer Konstitution besagt: „In Anbetracht dessen, daß ein weltweiter und dauerhafter Frieden nur auf die Grundlage der sozialen Gerechtigkeit gründen kann . . .“ Dieses grundlegende Engagement für den Frieden hat gleichfalls der Generaldirektor anläßlich des Anfang April von der Päpstlichen Kommission „Justitia et Pax“ in Rom veranstalteten Symposions in Erinnerung gerufen, als er sich auf das in den Grundstein des Gebäudes des Internationalen Arbeitsamtes eingeschlossene Pergament bezog, auf dem geschrieben stand: „Si vis pacem, cole iustitiam“ („Willst du den Frieden, pflege die Gerechtigkeit“). Die Verdienste Ihrer Organisation werden offenkundig sichtbar in den zahlreichen internationalen Abmachungen und Empfehlungen, die die internationalen Arbeitsnormen festlegen, „neue Regeln für das soziale Verhalten“, damit „sich die persönlichen Interessen der umfassenderen Sicht des Gemeinwohls unterordnen“ (Paul VI., Ansprache an die IAO, Nr. 14 u. 19: AAS 61, 1969, S. 497 u. 499). Ihre Verdienste lassen sich auch an zahlreichen anderen Aktivitäten erkennen, die unternommen werden, um die neuen Bedürfnisse zu befriedigen, welche mit der Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen zutage traten. Schließlich werden sie offenkundig, wenn man die tägliche und beharrliche Arbeit der Funktionäre des Internationalen Arbeitsamtes (IAA) und der Behörden betrachtet, die man ihm angeschlossen hat, um sein Wirken zu verstärken, wie das Internationale Institut für Sozialstudien, die Internationale Vereinigung für soziale Sicherheit und das Internationale Zentrum für berufliche und technische Fortbildung. Wenn ich mir erlaubte, in meiner Enzyklika Laborem exercens die Internationale Arbeitsorganisation zu erwähnen, so deshalb, um die Aufmerksamkeit auf ihre vielfältigen Beziehungen zu lenken wie auch ihren Einsatz für eine größere Humanisierung der Arbeit zu ermutigen. Außerdem wollte ich die Tatsache hervorheben, daß in einer Linie, die darauf 622 Reisen abzielt, die menschliche Arbeit auf das wahre Gute zu gründen - was den objektiven Grundsätzen der Sozialethik entspricht die Ziele der Internationalen Arbeitsorganisation denjenigen sehr nahe kommen, welche die Kirche und der Heilige Stuhl in ihrem Bereich und mit den ihrem Auftrag entsprechenden Mitteln verfolgen. Das ist übrigens von meinen Vorgängern, den Päpsten Pius XII. und Johannes XXIII., wiederholt unterstrichen worden, insbesondere aber von Paul VI. im Jahre 1969 anläßlich des Besuches, mit dem er an der Feier des 50jährigen Gründungsjubi-läums der Internationalen Arbeitsorganisation teilgenommen hat. Heute wie zuvor freuen sich die Kirche und der Apostolische Stuhl über die ausgezeichnete Zusammenarbeit, die mit Ihrer Organisation besteht, eine Zusammenarbeit, die, nachdem sie schon ein halbes Jahrhundert gedauert hatte, 1967 mit der Akkreditierung eines ständigen Beobachters beim Internationalen Arbeitsamt ihren formellen Abschluß gefunden hat. Durch eine derartige Entwicklung wollte der Apostolische Stuhl seinen ständigen, festen Willen zur Zusammenarbeit und das lebhafte Interesse bekräftigen, das die katholische Kirche, auf das wahre Wohl des Menschen bedacht, den Problemen der Arbeit entgegenbringt. Immer bleibt der Mensch Mittelpunkt 4. Das Wort, das Sie, meine Damen und Herren, von mir erwarten, kann sich nicht von dem unterscheiden, was ich bei anderen Veranstaltungen verkündet habe, wo die Vertreter der Völker aller Nationen der Welt versammelt waren: die Vollversammlung der Vereinten Nationen, die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) und die UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO). Meine Überlegungen inspirieren sich konsequent an derselben Grundidee und derselben Sorge: an der Sache des Menschen, seiner Würde und den unveräußerlichen Rechten, die daraus folgen. Bereits in meiner ersten Enzyklika Redemptor hominis habe ich mit Nachdruck betont, daß „der Mensch der erste Weg ist, den die Kirche bei der Erfüllung ihres Auftrags beschreiten muß: er ist der erste und grundlegende Weg der Kirche, ein Weg, der von Christus selbst vorgezeichnet ist. . .“ (Nr. 14). Aus eben diesem Grund wollte ich anläßlich des 90. Jahrestages von Rerum novarum ein Hauptdokument meines Pontifikats der menschlichen Arbeit, dem arbeitenden Menschen widmen: „Homo laborem exercens.“ Denn die Arbeit trägt nicht nur das Merkmal des Menschen, sondern in der Arbeit entdeckt der Mensch den Sinn seines Daseins: in jeder Arbeit, die als menschliche Tätigkeit verstanden wird, was auch immer die 623 Reisen konkreten Kennzeichen sein mögen, die sie annimmt, oder die Umstände, unter denen sie ausgeübt wird. Die Arbeit enthält „jene grundlegende Dimension menschlicher Existenz, die Tag für Tag das Leben des Menschen aufbaut, aus der es die ihm eigene Würde bezieht, die aber gleichzeitig das nie fehlende Maß menschlicher Mühen, des Leidens und auch der Benachteiligung und Ungerechtigkeit in sich trägt, welche das gesellschaftliche Leben innerhalb der einzelnen Nationen und auf internationaler Ebene zutiefst durchdringen“ (Laborem exercens, Nr. 1). Die Solidarität der Welt der Arbeit 5. In der Problematik der Arbeit - einer Problematik, die sich in so vielen Lebensbereichen und auf allen Ebenen, der persönlichen, der familiären, der nationalen und der internationalen, auswirkt - gibt es ein Wesensmerkmal, das zugleich Forderung und Programm ist und das ich heute vor Ihnen herausstellen möchte: die Solidarität. Ich fühle mich vor allem deshalb veranlaßt, Ihnen diese Überlegungen darzubieten, weil die Solidarität auf verschiedene Weise in das Wesen der Arbeit selbst eingeschrieben ist, aber auch wegen der Zielsetzungen Ihrer Organisation und vor allem wegen des Geistes, der sie beseelt. Der Geist, in welchem die Internationale Arbeitsorganisation ihre Mission von Anfang an verfolgt hat, ist ein Geist des Universalismus, der sich auf die grundlegende Gleichheit der Nationen und auf die Gleichheit der Menschen stützt und der zugleich als Ausgangs- und Endpunkt jeder Sozialpolitik zu verstehen ist. Es ist auch ein humanistischer Geist, darauf bedacht, alle materiellen und geistigen Möglichkeiten des Menschen zu entfalten. Und schließlich ist es ein Gemeinschaftsgeist, der sich in der Dreiteilung Ihrer Strukturen glücklich ausdrückt. Ich mache mir deshalb die Worte, die Paul VI. bei seinem Besuch 1969 hier gesprochen hat, zu eigen: „Ihr ursprüngliches und organisches Instrument ist es, die drei in der menschlichen Dynamik der modernen Arbeit vorhandenen Kräfte: die Regierenden, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, eine gleichsam konspirative Gemeinschaft miteinander bilden zu lassen. Und Ihre Methode - künftig ein typisches Paradigma - ist es, diese drei Kräfte miteinander in Einklang zu bringen, nicht mehr zuzulassen, daß sie sich gegeneinander stellen, sondern daß sie sich in einer mutigen und fruchtbaren Zusammenarbeit durch einen ständigen Dialog miteinander des Studiums und der Lösung der Probleme annehmen, die immer wieder entstehen und unaufhörlich erneuert wer- 624 Reisen den“ (Ansprache an die IAO vom 10. Juni 1969, Nr. 15: AAS 61, 1969, S. 498). Die Tatsache, daß man erkannt hat, daß die Probleme der Arbeit dank des Einsatzes aller beteiligten Parteien durch friedliche Verhandlungen, die das Wohl des arbeitenden Menschen und den Frieden zwischen den gesellschaftlichen Klassen im Auge haben, gelöst werden können, beweist, daß Sie sich der Forderung nach der Solidarität bewußt sind, die Sie über die tatsächlich bestehenden Unterschiede und immer möglichen Spaltungen hinaus in gemeinsamer Bemühung vereint. Die Arbeit eint 6. Diese grundlegende Intuition, welche die Gründer der Internationalen Arbeitsorganisation in so reichem Maße in die Struktur der Organisation eingebracht haben und deren logische Folge es ist, daß die verfolgten Ziele nur in einer gemeinsamen und solidarischen Bemühung verwirklicht werden können, entspricht der Wirklichkeit der menschlichen Arbeit. Denn in ihren tiefsten Dimensionen ist die Wirklichkeit der Arbeit an jedem Punkt des Erdballs, in jedem Land und jedem Kontinent dieselbe; bei den Männern und Frauen, die verschiedenen Rassen und Nationen angehören, die verschiedene Sprachen sprechen und verschiedene Kulturen vertreten; bei den Männern und Frauen, die sich zu verschiedenen Religionen bekennen oder in verschiedenster Weise ihr Verhältnis zur Religion und zu Gott zum Ausdruck bringen. Die Wirklichkeit der Arbeit ist dieselbe trotz einer Vielfalt von Formen: die manuelle und die geistige Arbeit; die Arbeit in der Landwirtschaft und in der Industrie; die Arbeit im Dienstleistungssektor und in der Forschung; die Arbeit des Handwerkers, des Technikers und des Erziehers, des Künstlers oder der Hausfrau und Mutter; die Arbeit im Werk und die der mittleren und oberen Führungskräfte. Ohne die spezifischen Unterschiede zu verschleiern, die bestehen bleiben und die oft die Männer und Frauen, die diese vielfältigen Aufgaben ausführen, von Grund auf unterscheiden, vereint die Arbeit - die Wirklichkeit der Arbeit - alle in einer Tätigkeit, die dieselbe Bedeutung und dieselbe Quelle hat. Die Arbeit ist für alle eine Notwendigkeit, eine Pflicht, eine Aufgabe. Für alle und jeden ist sie ein Mittel, das Leben, das Leben der Familie in seinen tragenden Grundwerten sicherzustellen; sie ist auch der Weg, der zu einer besseren Zukunft führt, der Weg zum Fortschritt, der Weg zur Hoffnung. In der Vielfalt und Universalität ihrer Formen vereint die menschliche Arbeit 625 Reisen die Menschen, denn jeder Mensch sucht in der Arbeit „die Verwirklichung seines Menscheins . . die Erfüllung seiner Berufung zum Personsein, die ihm eben aufgrund seines Menschseins eigen ist“ (Laborem exercens, Nr. 6). Ja, „die Arbeit trägt ein besonderes Merkmal des Menschen und der Menschheit, das Merkmal der Person, die in einer Gemeinschaft von Personen wirkt“ (Laborem exercens, Vorwort). Die Arbeit trägt das Merkmal der Gemeinschaft und der Solidarität. Im übrigen ist es schwer — wenn ich hier, vor dieser Versammlung, eine so breite, so differenzierte und zugleich so universale Darstellung der Arbeit der ganzen Menschheitsfamilie im Überblick vornehme -, nicht im Grunde des Herzens die Worte aus dem Buch Genesis zu vernehmen, wo die Arbeit dem Menschen als Aufgabe aufgetragen wurde, damit er mit Hilfe dieser Arbeit sich die Erde untertan mache und sie beherrsche (vgl. Gen 1, 28). Die Arbeit: Sinn des menschlichen Lebens 7. Der eigentliche Grund, der mich veranlaßt, Ihnen das Thema Solidarität zu unterbreiten, liegt also im Wesen der menschlichen Arbeit selbst. Das Problem der Arbeit ist aufs tiefste mit dem Problem des Sinnes des menschlichen Lebens verknüpft. Durch diese Verknüpfung wird die Arbeit zu einem Problem geistiger Art, und das ist sie ja auch. Diese Feststellung schmälert keineswegs die anderen Aspekte der Arbeit, Aspekte, die, so könnte man sagen, leichter meßbar sind und mit denen auf Organisationsebene verschiedene Strukturen und Vorgänge „äußeren“ Charakters verbunden sind; im Gegenteil, diese Feststellung erlaubt eben, die menschliche Arbeit, wie immer sie vom Menschen ausgeführt wird, wieder in das Innere des Menschen zu versetzen, das heißt in sein tiefstes Menschsein, in das, was ihm eigen ist, in das, was ihn zum Menschen und authentischen Träger der Arbeit macht. Die Überzeugung, daß ein wesentlicher Zusammenhang zwischen der Arbeit jedes Menschen und dem Gesamtsinn des menschlichen Daseins besteht, liegt der christlichen Lehre über die Arbeit - man kann sagen dem „Evangelium von der Arbeit“ — zugrunde und durchdringt auf verschiedene Weise die Lehre und das Wirken der Kirche in jedem Abschnitt ihrer bisherigen historischen Mission. „Nie wieder die Arbeit gegen den Arbeiter, sondern immer die Arbeit... im Dienst des Menschen“: Es scheint angebracht, heute diese Worte zu wiederholen, die vor 13 Jahren hier, an dieser Stelle, von Papst Paul VI. gesprochen worden 626 Reisen sind (Ansprache an die IAO am 10. Juni 1969, Nr. 11: AAS 61, 1969, S. 495). Wenn die Arbeit immer dem Wohl des Menschen dienen soll, wenn das Programm des Fortschritts sich nur durch die Arbeit verwirklichen läßt, dann besteht ein grundlegendes Recht, den Fortschritt nach folgendem Kriterium zu beurteilen: Dient die Arbeit wirklich dem Menschen? Entspricht sie seiner Würde? Erfüllt sich durch sie der eigentliche Sinn des menschlichen Lebens in seiner Fülle und seiner Vielfalt? Wir haben das Recht, die Arbeit des Menschen so zu verstehen; ja, wir sind dazu auch verpflichtet. Wir haben das Recht und die Pflicht, den Menschen nicht als den zu sehen, der brauchbar oder unbrauchbar für die Arbeit ist, sondern die Arbeit in ihrer Beziehung zum Menschen, zu jedem Menschen zu sehen, also die Arbeit unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, ob sie für den Menschen von Nutzen ist oder nicht. Wir haben das Recht und die Pflicht, über die Arbeit nachzudenken, unter Berücksichtigung der verschiedenen Bedürfnisse des Menschen in den Bereichen des Geistes und des Körpers, und somit Erörterungen über die Arbeit des Menschen in jeder Gesellschaft und in jedem System anzustellen, in den Zonen des Wohlstandes, und noch mehr dort, wo Not herrscht. Wir haben das Recht und die Pflicht, diese Art der Behandlung der Arbeit in ihrer Beziehung zum Menschen - und nicht umgekehrt - als grundlegendes Kriterium zur Bewertung des Fortschritts selbst aufzufassen. Denn der Fortschritt erfordert immer eine Bewertung und Beurteilung: man muß sich fragen, ob der Fortschritt hinreichend „menschlich“ ist und zugleich hinreichend „universal“; ob er dazu dient, die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten auszugleichen und eine friedliche Zukunft der Welt zu fördern; ob in der Arbeit für jeden einzelnen, für jede Familie, für jede Nation die Grundrechte sichergestellt sind. Mit einem Wort, man muß sich ständig fragen, ob die Arbeit der Verwirklichung des Sinnes des menschlichen Lebens dient. Auch wenn man bei der Analyse der sozialwirtschaftlichen Entwicklungen in ihrer Gesamtheit nach einer Antwort auf diese Fragen sucht, darf man die Elemente und den Inhalt, die das „Innere“ des Menschen ausmachen, nicht unbeachtet lassen: die Entwicklung seiner Erkenntnis und seines Gewissens. Die Verknüpfung zwischen der Arbeit und dem eigentlichen Sinn des menschlichen Daseins ist immer Beweis dafür, daß der Mensch durch die Arbeit nicht entfremdet, daß die Arbeit zum Verbündeten seines Menschseins geworden ist, daß sie ihm hilft, in der Wahrheit und in der Freiheit zu leben: in der Freiheit, die auf der Wahrheit aufbaut und ihm ermöglicht, im ganzen ein menschenwürdiges Leben zu führen. 627 Reisen Eine neue, auf die Arbeit gegründete Solidarität ist notwendig 8. Angesichts der aus den Systemen des vergangenen Jahrhunderts erwachsenen schreienden Ungerechtigkeiten haben vor allem die Industriearbeiter reagiert, indem sie über das Elend hinaus zugleich die Kraft zu allgemeinen Aktionen entdeckten. Selbst Opfer der Ungerechtigkeiten, haben sie sich zu diesem Vorgehen zusammengeschlossen. In meiner Enzyklika über die menschliche Arbeit habe ich diese Reaktion „eine berechtigte soziale Reaktion“ genannt; diese Situation „hat unter den arbeitenden Menschen, in erster Linie unter den Industriearbeitern, geradezu einen Sturm der Solidarität ausgelöst. Der Aufruf zu Solidarität und gemeinsamem Handeln, der an die Arbeiter — vor allem an jene in eintöniger, nur in Teilvorgängen bestehender, abstumpfender Arbeit industrieller Großbetriebe, wo die Maschine immer mehr den Menschen beherrscht - ergangen ist, war vom Standpunkt der Sozialethik wertvoll und ausdrucksstark. Es war die Reaktion gegen die Erniedrigung des Menschen als des Subjekts der Arbeit. . . Diese Reaktion hat die Arbeitswelt zu einer durch große Solidarität gekennzeichneten Gemeinschaft zusammengeschlossen“ (Laborem exercens, Nr. 8). Trotz der seit damals errungenen Verbesserungen, trotz der größeren und wirksameren Beachtung der Grundrechte der Arbeiter in vielen Ländern haben verschiedene auf Ideologie und Macht gegründete Systeme krasse Ungerechtigkeiten weiterbestehen lassen oder neue geschaffen. Zudem macht das wachsende Empfinden für soziale Gerechtigkeit neue Unrechtsituationen ausfindig, die durch ihre geographische Verbreitung oder durch die Mißachtung der unveräußerlichen Würde der menschlichen Person wahre Herausforderungen an die Menschheit bleiben. Heute muß es zur Bildung einer neuen Solidarität kommen, die sich auf die wahre Bedeutung der menschlichen Arbeit gründet. Denn nur von einer richtigen Auffassung der Arbeit her wird es möglich sein, die Ziele festzulegen, die diese Solidarität verfolgen soll, und die verschiedenen Formen und Gestalten, die sie annehmen muß. Eine Solidarität für die soziale Gerechtigkeit 9. Die Welt der Arbeit, meine Damen und Herren, ist die Welt aller Männer und Frauen, die durch ihre Tätigkeit versuchen, dem Appell, sich die Erde zum Wohl aller untertan zu machen, nachzukommen. Die Solidarität der Welt der Arbeit muß daher eine Solidarität sein, die die Horizonte erweitert, um mit den Interessen der einzelnen und besonderer 628 Reisen Gruppen das Gemeinwohl der ganzen Gesellschaft sowohl auf der Ebene der Nation wie auf internationaler und Weltebene zu umfassen. Es wird eine Solidarität für die Arbeit sein, die sich im Kampf für die Gerechtigkeit und die Wahrheit des gesellschaftlichen Lebens äußert. Kann es in der Tat Rechtfertigung einer Solidarität sein, sich im Kampf unnachgiebiger Opposition gegenüber den anderen, im Kampf gegen die anderen zu erschöpfen? Natürlich kann der Kampf für die Gerechtigkeit die legitimen Interessen der Arbeiter nicht unbeachtet lassen, die der gleichen Berufsgruppe angehören oder in besonderer Weise von bestimmten Formen der Ungerechtigkeit betroffen sind. Er übersieht nicht, daß es zwischen den Gruppen Spannungen gibt, die oft zu offenen Konflikten zu werden drohen. Die wahre Solidarität strebt den Kampf für eine gerechte Sozialordnung an, wo alle Spannungen aufgefangen werden können und die Konflikte - auf Gruppen- wie auf nationaler Ebene - leichter gelöst werden können. Um eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens erstehen zu lassen, muß die Solidarität die Fundamente des Hasses, des Egoismus, der Ungerechtigkeit niederreißen, die allzuoft zu ideologischen Prinzipien oder zum wesentlichen Lebensgesetz der Gesellschaft erhoben werden. In ein und derselben Arbeitsgemeinschaft führt die Solidarität zur Entdeckung der Forderungen nach Einheit, die mit dem Wesen der Arbeit unzertrennlich verbunden sind, und nicht zu Tendenzen der Unterscheidung und Opposition. Sie lehnt es ab, die Gesellschaft als Kampfort und die sozialen Beziehungen als unnachgiebigen Klassenkampf aufzufassen. Eine Solidarität, die ihren Ursprung und ihre Kraft im Wesen der menschlichen Arbeit und daher im Vorrang der menschlichen Person vor den Dingen hat, wird die Mittel des Dialogs und der Verständigung schaffen können, die die Auflösung der Opposition ermöglichen, ohne daß sie deshalb versuchen wird, den Gegner zu vernichten. Nein, es ist keine Utopie, zu behaupten, daß man aus der Welt der Arbeit eine Welt der Gerechtigkeit machen kann. Eine Solidarität ohne Grenzen 10. Die Notwendigkeit, daß der Mensch versucht, die Wirklichkeit seiner Arbeit zu verteidigen und sie von jeder Ideologie zu befreien, um erneut auf den wahren Sinn menschüchen Tuns hinzuweisen, diese Notwendigkeit wird besonders dann offenkundig, wenn man die Welt der Arbeit und die Solidarität betrachtet, die im internationalen Rahmen erforderlich ist. Das Problem des arbeitenden Menschen stellt sich heute in einer so 629 Reisen weltweiten Perspektive dar, daß man es nicht mehr übersehen kann. Alle großen Probleme des Menschen in der Gesellschaft sind nunmehr Weltprobleme! Sie müssen im weltweiten Maßstab und gewiß in einem realistischen Geist, aber auch in einem Geist, der Änderungen verlangt, überdacht werden. Ob es sich um Probleme der Rohstoffquellen, der Entwicklung oder der Beschäftigung handelt, die entsprechende Lösung kann nur unter Berücksichtigung internationaler Gesichtspunkte gefunden werden. Vor fünfzehn Jahren, 1967, bemerkte Paul VI. in der Ezyklika Popo-lorum progressio: „Heute ist - darüber müssen sich alle klar sein - die soziale Frage weltweit geworden“ (Nr. 3). Eine Reihe von Ereignissen haben diese Feststellung seit damals noch eindeutiger gemacht. Die Weltwirtschaftskrise mit ihren Rückschlägen in allen Regionen der Welt zwingt uns zuzugeben, daß der Problemhorizont zunehmend ein Welthorizont geworden ist. Die Hunderte Millionen hungernder oder unterernährter Menschen, die auch ein Recht haben, aus ihrer Armut herauszukommen, müssen uns begreiflich machen, daß die grundlegende Wirklichkeit nun die gesamte Menschheit ist. Es gibt ein Allgemeinwohl, das sich nicht mehr auf einen mehr oder weniger zufriedenstellenden Kompromiß zwischen besonderen Ansprüchen und ausschließlich wirtschaftlichen Forderungen beschränken ließe. Neue sittliche Entscheidungen drängen sich auf; es muß ein neues Weltgewissen gebildet werden; jeder muß, ohne deshalb die Zugehörigkeit und Verwurzelung in seiner Familie, seinem Volk und seiner Nation noch die Verpflichtungen, die sich daraus ergeben, zu leugnen, sich als Glied dieser großen Familie, der Weltgemeinschaft, sehen. Das, meine Damen und Herren, heißt, daß bei einer in weltweitem Zusammenhang gesehenen Arbeit gleichfalls die neuen Bedeutungen der menschlichen Arbeit aufgedeckt und in der Folge neue Aufgaben festgelegt werden müssen. Es heißt auch, daß das allgemeine Wohl der Welt eine neue Solidarität ohne Grenzen erfordert. Wenn ich das sage, will ich nicht die Bedeutung der Bemühungen verringern, die jede Nation aufgrund ihrer eigenen Souveränität, ihrer eigenen kulturellen Tradition und nach Maßgabe ihrer Bedürfnisse unternehmen muß, um das Modell sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung zu schaffen, das den unverkürz-baren Charakter jedes ihrer Mitglieder und des ganzen Volkes respektiert. Man darf freilich auch nicht allzu leichtfertig annehmen, daß das Solidaritätsbewußtsein bereits ausreichend entwickelt ist bloß aufgrund der Tatsache, daß alle sich an Bord desselben Raumschiffes, das die Erde ist, befinden. Einerseits muß die notwendige Komplementarität der Bemü- 630 Reisen hungen sichergestellt werden können, die jede Nation von ihren geistigen und materiellen Möglichkeiten her unternimmt, und anderseits die Forderungen nach weltweiter Solidarität und den sich daraus ergebenden strukturellen Konsequenzen sichtbar gemacht und bekräftigt werden. Es gilt hier, eine fruchtbare Spannung aufrechtzuerhalten, um zu zeigen, wie diese beiden Wirklichkeiten von innen her aufeinander ausgerichtet sind, denn wie die menschliche Person, so ist die Nation eine unverkürzbare Individualität und zugleich offen für den anderen. 11. Die Solidarität der Arbeitswelt, der arbeitenden Menschen, äußert sich in mehren Dimensionen. Da ist einmal die Solidarität der Arbeiter untereinander; dann die Solidarität mit den Arbeitern; und vor allem in ihrer tiefsten Wirklichkeit die Solidarität mit der Arbeit, gesehen als eine Grunddimension des menschlichen Daseins, von der auch der Sinn eben dieses Daseins abhängt. So verstanden, wirft die Solidarität ein besonderes Licht auf das Beschäftigungsproblem, das eines der Hauptprobleme der heutigen Gesellschaft darstellt, und bei dem man allzuoft zu vergessen geneigt ist, daß es für die Arbeiter dramatisch ist, vor allem, wenn sie keinerlei Unterstützung der Gesellschaft erfahren; dramatisch für die Entwicklungsländer insgesamt, und das schon seit langem; dramatisch für die Landbevölkerung, deren Lage oft prekär ist, ob sie nun auf dem Land bleibt, wo sie immer weniger Arbeit hat, oder versucht, in die Stadt zu übersiedeln auf der Suche nach einer Arbeit, die sich nur schwer finden läßt; dramatisch schließlich für die Intellektuellen, denn in verschiedenen Kategorien und Bereichen der Welt der Arbeit laufen sie Gefahr, zu einem neuen Typ des Proletariats zu werden, wenn wegen der Veränderung der Gesellschaftssysteme oder der Lebensbedingungen ihr spezifischer Beitrag nicht mehr seinem richtigen Wert nach geschätzt wird. Eine Solidarität mit der Arbeit: das Problem der Arbeitslosigkeit Wie man weiß, können die Ursachen der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit vielfältig und verschieden sein und sind es auch tätsächlich. Eine dieser Ursachen ist in der Vervollkommnung der Maschinen zu suchen, wodurch die direkte Beteiligung des Menschen am Produktionsprozeß allmählich eingeschränkt wird. Man kehrt so aufs neue zu der Antinomie zurück, die die Gefahr in sich birgt, die menschliche Arbeit dem „Kapital“ entgegenzusetzen, das als die Gesamtheit der Produktionsmittel - einschließlich der Rohstoffquellen und auch der Mittel, durch welche der Mensch sich 631 Reisen die Reichtümer, die ihm unentgeltlich gegeben sind, aneignet und sie seinen Bedürfnissen entsprechend weiterverarbeitet - verstanden wird. So wird ein neues Problem aufgeworfen, das jetzt erst in allen seinen Dimensionen und Konsequenzen sichtbar zu werden beginnt. Es zu erkennen - wenn auch in noch vagen und ungenauen Umrissen - bedeutet, bereit zu sein, sofort nach einer Lösung zu suchen, ohne so lange zu warten, bis es sich durch das Ausmaß der Schäden, die es verursacht, gewissermaßen aufzwingt. Die Lösung muß in der Solidarität mit der Arbeit gefunden werden, das heißt in der Annahme des Prinzips des Primats der menschlichen Arbeit über die Produktionsmittel, des Primats der arbeitenden Person über die Produktionsforderungen und die rein ökonomischen Gesetze. Die menschliche Person ist das erste und letzte Kriterium für die Beschäftigungsplanung; die Solidarität mit der Arbeit ist der höchste Beweggrund bei allen Lösungsversuchen und öffnet dem Einfallsreichtum und der Hochherzigkeit des Menschen ein neues Feld. 12. Aus diesem Grund habe ich in Laborem exercens die Behauptung gewagt, daß die Arbeitslosigkeit „in jedem Fall ein Übel ist und, wenn sie große Ausmaße annimmt, zu einem echten sozialen Notstand werden kann. Ein besonders schmerzliches Problem wird sie, wenn sie vor allem die Jugendlichen trifft“ (Nr. 18). Mit Ausnahme einiger weniger privilegierter Länder macht die Menschheit zur Zeit die betrübliche Erfahrung dieser traurigen Tatsache. Macht man sich immer das Drama klar, das sie für so viele Jugendliche darstellt, die „ihren ehrlichen Arbeitswillen und ihre Bereitschaft, die ihnen zukommende Verantwortung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Gesellschaft zu übernehmen, schmerzlich frustriert sehen“ (ebd..)? Kann man eine Situation hinnehmen, die die Gefahr in sich birgt, die Jugendlichen ohne die Aussicht zu lassen, eines Tages Arbeit zu finden, oder die jedenfalls droht, sie für ein Leben lang zu zeichnen? Es handelt sich hier um ein vielschichtiges Problem, dessen Lösung nicht leicht fällt und natürlich nicht für alle Situationen und für alle Gebiete einheitlich sein kann. Der Herr Generaldirektor hat das in dem Bericht, den er dieser 68. Tagung der Internationalen Konferenz für Arbeit vorgelegt hat, unterstrichen, und im Laufe Ihrer Beratungen werden diese Probleme sicherlich in ihrer ganzen Komplexität aufgegriffen werden. Die Suche nach Lösungen, sei es auf der Ebene der Nation oder auf der Ebene der weltweiten Gemeinschaft, wird sich an dem Kriterium der menschlichen Arbeit inspirieren müssen, die als ein Recht und eine Verpflichtung für alle verstanden wird, der menschlichen Arbeit, die die Würde des 632 Reisen Menschen zum Ausdruck bringt und sie sogar vermehrt. Außerdem wird die Suche nach Lösungen von der Solidarität aller getragen sein müssen. Die Solidarität und die arbeitslose Jugend Ja, die Solidarität ist auch hier der Schlüssel zum Beschäftigungsproblem. Ich betone das mit Nachdruck: Sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene setzt die positive Lösung des Beschäftigungsproblems, und insbesondere das der Arbeitsplätze für die Jugend, eine ganz starke Solidarität der Gesamtheit der Bevölkerung und aller Völker voraus: daß jeder bereit ist, die notwendigen Opfer auf sich zu nehmen; daß jeder an der Aufstellung von Programmen und Vereinbarungen mitarbeitet, deren Ziel es ist, die Wirtschafts- und Sozialpolitik zu einem greifbaren Ausdruck der Solidarität zu machen; daß alle mithelfen, die entsprechenden wirtschaftlichen, technischen, politischen und finanziellen Strukturen zu schaffen, wie sie die Errichtung einer neuen Sozialordnung der Solidarität unbestreitbar erfordert. Ich weigere mich zu glauben, daß die heutige Menschheit, die so großartige wissenschaftliche und technische Leistungen zu erbringen vermag, nicht imstande sein sollte, durch eine schöpferische Bemühung, die vom Wesen der menschlichen Arbeit und der alle Menschen einenden Solidarität inspiriert ist, gerechte und wirksame Lösungen für ein wesentlich menschliches Problem, wie es das Problem der Arbeitsplätze ist, zu finden. Die Solidarität und die gewerkschaftliche Freiheit 13. Eine solidarische Gesellschaft wird jeden Tag aufgebaut, indem sie zuerst die wirksamen Bedingungen für die freie Teilnahme aller am gemeinsamen Werk schafft und sie dann verteidigt. Jede Politik, die sich das Gemeinwohl zum Ziel setzt, muß das Ergebnis des organischen und feiwilligen Zusammenhalts der sozialen Kräfte sein. Es gibt da noch eine Form einer bestimmten Solidarität, die das Gebot der gesellschaftlichen Ordnung ist, eine Solidarität, die besonders durch das Bestehen und das Wirken der Vereinigungen der Sozialpartner zutage tritt. Das Recht zum freien Zusammenschluß ist ein Grundrecht für alle, die mit der Welt verbunden sind und die die Gemeinschaft der Arbeit bilden. Dieses Recht bedeutet für jeden arbeitenden Menschen, daß er weder allein noch isoliert ist; es drückt die Solidarität aller bei der Verteidigung der Rechte aus, die ihnen zustehen und die sich aus den Forderungen der 633 Reisen Arbeit ergeben; es bietet gewöhnlich die Möglichkeit zur aktiven Beteiligung an der Verwirklichung der Arbeit und all dessen, was zu ihr gehört, wobei es sich zugleich von der Sorge um das Gemeinwohl leiten läßt. Dieses Recht setzt voraus, daß die Sozialpartner wirklich frei sind sich zusammenzuschließen, der Vereinigung ihrer Wahl beizutreten und sie zu leiten. Obwohl das Recht auf die gewerkschaftliche Freiheit unbestritten eines der allgemein anerkannten Grundrechte ist - und die Konvention Nr. 87 (1948) der Internationalen Arbeitsorganisation bestätigt das -, ist es doch ein sehr bedrohtes, manchmal verhöhntes Recht, und das sowohl in seiner Grundlage wie - was noch öfter der Fall ist - in dem einen oder anderen seiner wesentlichen Aspekte, so daß die gewerkschaftliche Freiheit dadurch entstellt und verzerrt wird. Es scheint wichtig, daran zu erinnern, daß die Zusammenarbeit der gesellschaftlichen Kräfte - die immer wünschenswert ist - das Ergebnis einer freien Entscheidung der Beteiligten sein muß, die in voller Unabhängigkeit gegenüber der politischen Macht getroffen und in voller Freiheit, die innere Organisation, die Arbeitsweise und die eigentliche Tätigkeit der Gewerkschaften zu bestimmen, durchgeführt wird. Der arbeitende Mensch muß selbst die Verteidigung der Wahrheit und der wahren Würde seiner Arbeit übernehmen. Der arbeitende Mensch darf folglich nicht daran gehindert werden, diese Verantwortung auszuüben mit der Verpflichtung, auch das Gemeinwohl aller zu berücksichtigen. Folgerung: der Weg der Solidarität 14. Sehr geehrte Damen und Herren, jenseits der Systeme, der Regime und der Ideologien, die die sozialen Beziehungen zu bestimmen versuchen, habe ich Ihnen einen Weg vorgeschlagen, den der Solidarität, den Weg der Solidarität der Welt der Arbeit. Es handelt sich um eine aufgeschlossene und dynamische Solidarität, die auf dem Verständnis der menschlichen Arbeit gründet und in der Würde des Menschen in Übereinstimmung mit dem vom Schöpfer erhaltenen Gebot das erste und letzte Kriterium ihres Wertes sieht. Möge Ihnen diese Solidarität bei Ihren Debatten und bei den Realisierungen Ihrer Programme als Richtschnur dienen! Die Internationale Arbeitsorganisation verfügt bereits über ein gewaltiges Erbe an Realisierungen auf ihrem Wirkungsgebiet. Sie haben zahlreiche internationale Erklärungen und Vereinbarungen ausgearbeitet, und Sie werden weitere ausarbeiten, um sich mit immer neuen Problemen auseinanderzusetzen und immer geeignetere Lösungen zu finden. Sie haben 634 Reisen Richtlinien formuliert und vielfältige Programme aufgestellt, und Sie sind Ihrerseits entschlossen, dieses hohe Wagnis der Humanisierung der Arbeit weiterzuführen. Im Namen des Apostolischen Stuhles, der Kirche und des christlichen Glaubens möchte ich Ihnen noch einmal aus ganzem Herzen meine Anerkennung und meine Glückwünsche für die Verdienste Ihrer Organisation aussprechen. Und zugleich spreche ich den Wunsch aus, daß das Wirken Ihrer Organisation, alle Ihre Bemühungen und Ihre gesamte Arbeit weiterhin der Würde der menschlichen Arbeit und dem echten Fortschritt der Menschheit dienen. Ich wünsche Ihnen, daß Sie ständig beitragen zur Errichtung einer Zivilisation der menschlichen Arbeit, einer Zivilisation der Solidarität, ja, ich würde sogar sagen, einer Gesellschaft im Zeichen der Liebe zum Menschen. Möge sich der Mensch dank seiner beachtlichen und vielfältigen Bemühungen die Erde wirklich untertan machen (vgl. Gen 1, 28) und selbst die Fülle seines Menschseins erreichen, die ihm von der ewigen Weisheit und von der ewigen Liebe bestimmt wurde! „Leitmotiv: soziale Gerechtigkeit“ Ansprache an die Repräsentanten der Internationalen Arbeiterorganisation in Genf am 15. Juni Liebe Freunde! Eure Gruppe ist in dieser Umgebung ein Zeichen der Hoffnung. Eure Anwesenheit trägt dazu bei, diese Einrichtung zu einer besonders bemerkenswerten zu machen, die den Willen und die Möglichkeit zur Zusammenarbeit und zur Versöhnung aller Menschen im Zeichen der Würde und des Strebens nach Gerechtigkeit für alle zum Ausdruck bringt. Die Geschichte der Arbeiterbewegung gibt in eindrucksvoller Weise Zeugnis von den unermüdlichen Bemühungen eurer Väter, die sich nicht mit einem „unverdienten Elend“ zufriedengaben, wie Leo XIII. zu schreiben wagte, sondern mit den Mitteln der Solidarität und der Verbrüderung mit allen Arbeitskameraden den Ärmsten und ihren Familien den Zugang zu einer würdigen Lebenshaltung ermöglichen wollten und in diesem Punkt tatsächlich einen Fortschritt des moralischen Gewissens der 635 Reisen Menschheit erzielen konnten. Ihr wißt, daß dieses Bemühen um die Gerechtigkeit den Lehren der großen Sozialenzykliken entspricht oder, um einen Ausdruck von Albert Thomas aufzugreifen, der „großen Bewegung“, die in der katholischen Kirche von der Enzyklika Rerum novarum ausgegangen ist. Heute morgen habe ich von der Notwendigkeit gesprochen, die Solidarität unaufhörlich auf alle jene auszudehnen, die an der Wirklichkeit der menschlichen Arbeit teilhaben, also auf die anderen Arbeitnehmer, die anderen sozialen Gruppen und die anderen Länder. Euch gegenüber erlaube ich mir zu einer besonderen Sorge um die Ärmsten und Rechtlosesten aufzurufen. In vielen eurer Länder sind bemerkenswerte Fortschritte erzielt worden - das muß man zugeben und darüber muß man sich freuen -, welche die Lebensbedingungen der Arbeitnehmer auf zahlreichen Gebieten verbessern. Es gibt jedoch jene, die man als „vierte Welt“ der Armut und des Randdaseins bezeichnet, und zwar in den Vororten der Städte und auf dem Land. Kämpft für eine Politik, die euren Wunsch, die materielle Entwicklung und den geistlichen Fortschritt aller Arbeitnehmer und ihrer Familien und somit auch der Ärmsten zu fördern, Wirklichkeit werden läßt. Das Leitmotiv, das mit Recht hier wiederkehrt, ist die soziale Gerechtigkeit. Für die Glaubenden, die ich vertrete, hat diese Solidarität ihre Wurzeln in der Liebe. Wir laden unsere Brüder und alle Menschen guten Willens ein, für die Versöhnung unter den Menschen zu arbeiten und jede Gleichgültigkeit den Ärmsten gegenüber, die Diskriminierung des Schwachen und den Haß für das, was anders ist, zu überwinden. Möge dieser Geist, der von Gerechtigkeit untrennbar ist, die neue soziale Ordnung beseelen, die wir alle herbeisehnen! Mit guten Gründen — in erster Linie wegen des Beispiels des Handwerkers Jesus von Nazaret, und vielleicht auch wegen meiner Erfahrungen in der Vergangenheit — besuche ich gern die Arbeitnehmer in den verschiedenen Ländern. Ich habe das u. a. in Italien in Terni und Livorno, in Frankreich in Saint-Denis, in Brasilien, in Portugal getan. Heute ist es eine große Freude für mich, euch als Vertreter der Arbeitnehmer und der Arbeitnehmerverbände so vieler Länder begrüßen zu können. Möge Gott euch, eure Familien und alle eure Freunde segnen! 636 Reisen Die einzelnen vor der Übermacht des Staates schützen Ansprache an die Delegierten der Arbeitgeber in Genf am 15. Juni Meine Damen und Herren! Es ist mir eine große Freude, ein Wort an Sie persönlich richten zu können. Ihre Beteiligung an den Arbeiten dieser Organisation beweist, daß es möglich ist, von Versöhnung und Zusammenarbeit unter den sozialen Gruppen bei der gemeinsamen Suche nach mehr Gerechtigkeit zu sprechen. Soweit ich das sehe, ist der Weg, den Sie gehen, eine sichere Garantie der Hoffnung. Ihre Präsenz hier war nicht von allen vorgesehen, als die Internationale Arbeitsorganisation gegründet wurde. Aber die ersten Arbeitgeber, die an den Sitzungen der IAO teilnahmen, erklärten sich gern bereit, die juridischen Mechanismen für eine ständige und immer engere Zusammenarbeit mit allen sozialen Kräften festzusetzen. Sie sind die Erben dieser Pioniere. Und heute sieht die Mehrheit der Unternehmerorganisationen in der organischen Beteiligung aller Gruppen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens eine Garantie des Fortschritts und Friedens in der ganzen Gesellschaft. Ihre Verantwortung als Arbeitgeber bleibt heute von erstrangiger Wichtigkeit und wird zweifellos immer komplexer. Ich denke an die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, welche die Konkurrenz und die ökonomische Krise Ihren Unternehmen auflasten, was von Ihrer Seite ein Mehr an Phantasie, straffer Führung und Mut verlangt. Sie besitzen das Privileg der Unternehmens- und Entscheidungsfreiheit, die so wichtig für die Würde des Menschen ist; Ihre Berufsorganisationen können in der modernen Industriegesellschaft einen Freiheitsraum schaffen, weil sie als „Zwischenorganismen“ dazu beitragen, die einzelnen vor der Übermacht des Staates und der Wirtschaftsbürokratie zu schützen. Die Gesellschaft hat die Pflicht, die Funktion der Arbeitgeber anzuerkennen. Aber solche Vorteile bringen für Sie große Verantwortung mit sich. Ihre gesellschaftliche Aufgabe muß sich immer mehr in die Rechte anderer eingliedern, um der wechselseitigen Abhängigkeit von dem Rechnung zu tragen, den ich in meiner Enzyklika den „indirekten Arbeitgeber“ nenne. Man erwartet von Ihnen die größte Anstrengung, um Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten, unter Arbeitsbedingungen und einer Mitbestim- 637 Reisen mung, die den gerechten Forderungen der Arbeiter heute entsprechen wie auch den Möglichkeiten jeder Nation. Denn das Kriterium ist, wie ich heute morgen gesagt habe, daß die Arbeit im Dienst des Menschen steht und die ganze Wirtschaft im Dienst des Menschen verbleibt, und nicht umgekehrt. Die organische Mitarbeit, die Sie hier an der Seite der Regierungs- und Arbeitervertreter übernommen haben, ist ein guter Weg. Ich würdige das Verdienst Ihrer Bemühungen und das Verdienst der vielen anderen Arbeitgeber, die Sie hier vertreten, unbeschadet der Herausforderung, die das mit sich bringt. Ich bitte Gott, Sie zu inspirieren und zu segnen und mit Ihnen Ihre Familien und alle, die Ihnen teuer sind. Für neue internationale Sozialordnung Ansprache an die Regierungsdelegationen bei der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) in Genf am 15. Juni Sehr geehrte Damen und Herren! Ihrer Gruppe fällt eine wichtige Rolle innerhalb der Internationalen Arbeitsorganisation zu, da Sie die Regierungen vertreten, die für die Anwendung der hier verabschiedeten Maßnahmen entscheidende Verantwortung tragen. Ich freue mich, mit Ihnen zusammenzutreffen und durch Sie jede Ihrer Nationen zu grüßen. Alles in allem ist es im guten Sinne des Wortes die „Politik“ der Arbeit, die Sie weiterzutreiben versuchen: wie den arbeitenden Menschen Arbeitsbedingungen garantiert werden können, die ihnen ein annehmbares Leben und die Entfaltung ihrer Fähigkeiten erlauben bei gleichzeitigem Wohlstand ihrer Länder; und wie auf diesem Weg zur Lösung der akuten Probleme der Arbeitslosigkeit, der Armut und des Hungers beigetragen werden kann. „Politik der Arbeit“ Ihre Regierungen bemühen sich gewiß in diesem Sinne in Ihren jeweiligen Ländern durch eine Reihe von Maßnahmen und Gesetzen, die der Situation entsprechen und den geltenden politischen und wirtschaftlichen Systemen gerecht werden. Was übrigens schwierig ist, denn die wirtschaft- 638 Reisen liehen, sozialen und kulturellen Probleme lassen sich schwer wirklich erkennen und meistern. Aber es gibt mehr und mehr für all diese Probleme eine internationale Dimension, wie ich bereits heute morgen betont habe, und Sie müssen zusammen mit den Arbeitgebern und Arbeitnehmern aller Länder die rechtlichen Mechanismen finden, die über Ihre persönlichen und nationalen Sorgen hinausgehen und allen Völkern die Möglichkeit geben, auf dem Weg einer wirksameren Solidarität und einer größeren Gerechtigkeit voranzukommen. Und ich wünsche, daß die Mittel gefunden werden, dieser neuen internationalen Sozialordnung Respekt und Autorität zu verschaffen. Das wäre übrigens logisch, denn welche Regierung würde es nicht wagen, einen wesentlichen Teil ihres Programms unter das Zeichen der Gerechtigkeit zu stellen? Ich meinerseits wiederhole Ihnen gegenüber meine volle Ermutigung. Ich weiß, daß unter Ihnen auch Vertreter der Sonderorgane der Vereinten Nationen sind, die dort ständig arbeiten, um in der ganzen Welt die Bedingungen für Sicherheit, Freiheit, Frieden, Gesundheit voranzubringen. Sie ermutige ich gleichfalls. Möge Gott Sie alle in diesem Dienst erleuchten und stärken! Ich empfehle ihm von ganzem Herzen Sie, Ihre Familien und Ihre Heimatländer. Und jetzt will ich versuchen, Sie einzeln zu begrüßen. Eine offene Geisteshaltung erforderlich Ansprache an die Funktionäre des Internationalen Arbeitsamtes in Genf am 15. Juni Meine Damen und Herren! 1. Mit großer Freude habe ich diesem Plan einer besonderen Begegnung mit Ihnen zugestimmt, gibt sie mir doch die Möglichkeit, einen persönlichen Dialog über Sinn und Wert Ihrer Arbeit im Dienst der großen Sache der sozialen Gerechtigkeit aufzunehmen. Vor allem möchte ich Ihnen sagen, wie sehr ich Ihren Beruf als internationale Funktionäre schätze, die im Dienst einer so angesehenen Einrichtung stehen, wie sie das Internationale Arbeitsamt ist. Mit Ihnen begrüße ich voll Achtung alle Fachleute, die für die soziale Gerechtigkeit auf internationaler Ebene arbeiten. Die Ausübung Ihres Berufes erfordert ein har- 639 Reisen monisches Zusammenspiel menschlicher Qualitäten, fachlicher Ausbildung, beruflicher Kompetenz, Erfahrung, konstruktiver und selbstloser Zusammenarbeit, und all das im Hinblick auf das Ideal der Gerechtigkeit und des Friedens. Wenn jede Funktion ihren Sinn und Wert von dem Ziel erhält, auf das sie hingeordnet ist, dann ist Ihre zweifellos sehr edel. Ich hoffe, daß diese oft schwere, vielfältige Büroarbeit, von der Sie manchmal nur Teilaspekte kennen, niemals in Ihnen das Ideal der sozialen Gerechtigkeit verkümmern läßt, welches zur Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation führte und das Ideal mehrerer Generationen von Menschen war, die sich leidenschaftlich für Gerechtigkeit, Frieden und Dienst am Menschen einsetzten. Wie könnte man es hier unterlassen, an Albert Thomas, den ersten Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes, zu erinnern, dessen fünfzigsten Todestag wir dieses Jahr begehen? 2. Als internationale Funktionäre haben Sie eine Gerechtigkeit zu fördern, die in den Rahmen des internationalen Gemeinwohls gehört, das nicht die Summe des Wohls von Einzelmenschen ist, sondern die Gesamtheit von Bedingungen, welche für die Entfaltung jedes Menschen und für das geordnete und friedvolle Leben der Völker wesentlich sind. Ungeachtet der Probleme Ihres Ursprungslandes wird von Ihnen die Pflege einer offenen Geisteshaltung, einer weltumspannenden Sicht gefordert; Sie müssen auf einer höheren Ebene stehen, die nach der Gerechtigkeit - der ganzen Gerechtigkeit - für alle strebt. Sie müssen der vielschichtigen Wirklichkeit des tatsächlichen Wohls der einzelnen Personen und bestimmter Gruppen Rechnung tragen, und das über die Interessen dieser oder jener Gruppe hinaus, jenseits einer nur wirtschaftlichen oder politischen Zielsetzung und auch jenseits der einseitigen oder unvollständigen Auffassung der Ideologien oder bestimmter Wissenschaften. Deshalb ist es unter anderem gut, daß Sie einen ständigen Stab internationaler Funktionäre bilden, die für dieses internationale Gemeinwohl besonders sensibilisiert sind und diese Sensibilität denen mitteilen, deren Horizont enger ist. Sie erweitern den Horizont. Beim Studium der Fragen stellen Sie Aspekte heraus, die Gefahr laufen, unbeachtet zu bleiben oder nicht in ihrer echten Bedeutung erkannt zu werden. Sie sind klug darauf bedacht, auseinanderstrebende Interessen miteinander in Einklang zu bringen und lähmende Gegensätze auszugleichen. 3. In Ihrem Beruf stehen Sie stets Auffassungen, Systemen und Gruppen gegenüber, die sicher einander ergänzende Aspekte aufweisen, manchmal 640 Reisen jedoch im Gegensatz zueinander stehen. Diese Situation erfordert die Anwendung der Methode des Zusammenspiels und der Zusammenarbeit mehrerer Personen, einer Methode, die im übrigen der Vielschichtigkeit unserer Gesellschaft entspricht. Die Suche nach einer Verhandlungsbasis und nach einem gemeinsamen Nenner sollte jedoch nicht in einer Art neutralem Agnostizismus erfolgen, sondern vielmehr vom Willen beseelt sein, eine höhere objektive Wahrheit zu erreichen, jenseits der vereinfachenden Ideologien, deren sich die egoistischen und blockierenden Haltungen bedienen. Der Kampf für die soziale Gerechtigkeit ist dieses Namens würdig, wenn er ein Kampf für die Wahrheit des Menschen ist und von der Liebe zum Menschen ohne jede Diskrimination beseelt wird. 4. Das Christentum fügt sich in diesen Rahmen mit seinem historischen und originalen Beitrag ein. Albert Thomas hatte das wohl verstanden, als er, der einer anderen sozialen Bewegung angehörte, von Anfang an die christlich orientierten Kräfte bei der Verwirklichung seines großen Ideals der internationalen Gerechtigkeit zu Hilfe rief. Die Kirche und die Christen sind der Meinung, daß es ihre Pflicht ist, loyal und im Geist brüderlicher Zusammenarbeit mit ihren Anschauungen und ihrem Eifer einen Beitrag zum Aufbau einer internationalen Wirtschaftsordnung zu leisten, die auf der Gerechtigkeit gründet und von der Liebe beseelt ist. Ihrer Auffassung entsprechend stellen sie den Menschen an die erste Stelle, wie ich heute morgen sagte: ja, den Menschen als Subjekt betrachtet, als Mittelpunkt und Ziel jeder wirtschaftlichen Aktivität. Mit ihrem Zeugnis und ihrem Einsatz sind sie bemüht, dem Beispiel ihres Meisters folgend, sich besonders um die Armen und um die Entwicklungsländer zu kümmern. Deshalb ist es mein Wunsch, daß die Zusammenarbeit zwischen der Internationalen Arbeitsorganisation und der Kirche, die bereits zur Tradition geworden ist, verstärkt werde und reichere Früchte trage, zum Wohl der internationalen Gemeinschaft. 5. Allen, die die Freundlichkeit hatten, mich hier zu empfangen und auf meine Worte zu hören, danke ich aufrichtig und wünsche aus ganzem Herzen in erster Linie eine gute und zufriedenstellende Arbeit und viel Erfolg für alle Ihre Bemühungen um das Internationale Arbeitsamt: Möge der Geist der Zusammenarbeit — ich wage zu sagen, der Brüderlichkeit - unter all jenen herrschen, die in diesem Haus arbeiten und alle einschließen, die Ihnen teuer sind. Ich denke dabei an Ihre Familien, an Ihre geliebten Kinder, die ich jetzt mit Freude begrüße. All diesen 641 Reisen Jugendlichen wünsche ich, sie mögen heranwachsen in der Freude und im Geist des Dienens, mit der Bereicherung und der Aufgeschlossenheit, die das Leben im internationalen Milieu von Genf schenken können, und, ich möchte hinzufügen, in der Freundschaft mit Gott, der keinem von uns jemals fern ist. Möge Gott Ihnen seinen reichen Segen spenden! „Ein Feld für christlichen Mut“ Ansprache an die Repräsentanten der Internationalen Katholischen Organisationen in Genf in der Kirche Saint Nicolas am 15. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich freue mich, in Genf wie anderswo, z. B. in New York und in Paris, die Vertreter der Internationalen Katholischen Organisationen und die Mitglieder des Koordinierungszentrums zu begrüßen. Besonders danke ich dem Vorsitzenden der Konferenz der OIC für seine Grußadresse und für die Überzeugungen, die ihn beseelen. Die Internationalen Organisationen, die von den Vereinten Nationen abhängig sind - braucht man das in Genf und vor Ihnen, die Sie sich dessen voll bewußt sind, überhaupt zu sagen? -, üben auf der Ebene der Gemeinschaft der Nationen eine sehr wichtige Funktion der Konfrontation und Zusammenarbeit aus, die zu Vereinbarungen, Empfehlungen und Aktionen führt, welche für das Schicksal der Völker im Bereich der Menschenrechte, der sozialen Gerechtigkeit, der Hygiene usw. sehr nützlich sind. Auch wenn es sich um unvollkommene und nicht immer sehr wirksame Mittel handelt, mit Ergebnissen, denen es nicht an Kritik fehlt, so bringt die Kirche, wie Sie wissen, den humanitären Zielen all dieser Institutionen große Hochachtung entgegen und sieht in ihnen einen verpflichtenden Weg der Menschheit auf der Suche nach ihrer Einheit. Mein Besuch heute vormittag bei der Internationalen Arbeitsorganisation ist Ausdruck dafür, aber ich vergesse auch nicht den Genfer Sitz der UNO und die verschiedenen Spezialinstitute, mit deren Leitern ich vorhin zusammengetroffen bin. 642 Reisen 2. Die Kirche setzt also Vertrauen in die Männer, die ihrem Gewissen entsprechend dafür verantwortlich sind, und sie spart nicht mit ihrer Ermutigung zum ethischen Fortschritt, der damit verbunden sein kann. Sie wünscht eindeutig, daß die Christen, daß ihre katholischen Söhne und Töchter den Einsatz für ein solches Werk verstehen und persönlich ihre Mitarbeit beisteuern, mit ihrer ganzen erforderlichen Sachkenntnis und christlichem Empfinden für die Realitäten dieser Welt. Zeugnis und Mitarbeit in internationalen Organisationen Darum habe ich mit Freude vorhin die Mitglieder der katholischen Gruppe der internationalen Organisationen begrüßt, denn ich glaube, daß diese Gruppe Sie in Ihrem Glauben und Ihrer Freundschaft unterstützt, indem sie Ihnen hilft, als christliche Laien Ihre Verantwortung in Ihrem internationalen Dienst persönlich besser wahrzunehmen. Aber natürlich hat eine organische Präsenz der Kirche hier vorrangige Bedeutung. Offiziell ist der Heilige Stuhl durch seinen ständigen Beobachter vertreten, und ich konnte mit ihm den Mitarbeitern dieser ständigen Mission danken, die trotz ihrer kleinen Zahl wertvolle Arbeit leisten. Auf einer anderen Ebene aber ist die Kirche hier durch Sie als Vertreter der OIC präsent, deren Zeugnis und Mitarbeit in den internationalen Organisationen besonders wichtig ist, wo man Ihnen im übrigen den Beraterstatus von regierungsunabhängigen Organisationen zuerkennt. Mehrere dieser internationalen katholischen Organisationen haben hier ihr Generalsekretariat, andere haben zumindest einen qualifizierten Vertreter in Genf oder Umgebung, der damit beauftragt ist, die Tätigkeiten der Vereinten Nationen im Namen seiner Organisation zu verfolgen und auch das Wort zu ergreifen. 3. Ich kann hier nicht alle diese internationalen katholischen Organisationen aufzählen, noch die Leitlinie des Vorgehens einer jeden darlegen, denn das ist sehr vielfältig und komplementär. Aber ich möchte Ihnen meine Ermutigung und meine Wünsche ausdrücken und Sie versichern, daß ohne die OIC der fruchtbaren Lebenskraft der Kirche und ihrer apostolischen und prophetischen Sendung in der modernen internationalen Gemeinschaft etwas fehlen würde. Mit einem Wort, ich möchte Ihre Originalität klar herausstellen. Was bedeutet die Katholizität der OIC? Es bedeutet, daß sie ihre Lebensdyna- 643 Reisen mik vor allem in den Quellen des in kirchlicher Gemeinschaft gelebten Evangeliums finden. Zugleich stellt das Adjektivum „katholisch“ Ihre Organisationen in organische Beziehung zur Kirche und ihrem Lehramt. In diesem Sinne haben Sie eine besondere Verbindung zum Heiligen Stuhl als Instrument des Sendungsauftrages des Bischofs von Rom gegenüber der Weltkirche. Aber Sie nehmen da einen besonderen Platz ein, der ein eigenes Engagement verlangt. Es handelt sich um das, was ich als Phase der Vermittlung zwischen dem Evangelium und der modernen Gesellschaft, zwischen der Universalkirche und der Gemeinschaft der Nationen bezeichnen würde. Die OIC sind aufgrund ihrer Existenz und ihrer Präsenz ein Element dieser Vermittlung, sozusagen eines der Scharniere, der Verbindungsstellen zwischen der katholischen Kirche und der internationalen Gemeinschaft, wenn die Kirche als solche nicht eingreifen kann, weil es sich um technische Bereiche handelt, und wo Sie eingreifen müssen. 4. Sie können das verwirklichen, weil Ihre aus christlichen Laien gebildeten internationalen Vereinigungen es Ihnen ermöglichen, dank der Beiträge aus allen kirchlichen Gemeinschaften eine beachtliche Summe christlicher Gedanken, Erfahrungen und Kräfte in Ihrem besonderen Bereich zu vereinigen und bei den zwischenstaatlichen Organisationen in verantwortlicher und freier Weise davon Gebrauch zu machen. Ich will jetzt nicht näher auf die vielfältigen Initiativen und punktuellen Interventionen eingehen, die Sie sich im Hinblick auf bestimmte.Projekte zum Ziel gesetzt haben. Aber ich erlaube mir hinzuzufügen, daß über dieses konkrete christliche Engagement hinaus, oder besser, um es überhaupt zu ermöglichen, Ihre OIC der Ort für eine vertiefte, bei der Arbeit im internationalen Maßstab unentbehrliche Reflexion sein könnten, zum Beispiel über eine philosophische und rechtliche Konzeption der internationalen Gemeinschaft, über eine Theorie und erzieherische Bewegung im Dienst des Friedens, über eine Ethik, die sich auf die neue internationale Wirtschaftsordnung und den Nord-Süd-Dialog anwenden läßt, über eine christliche Anthropologie zur Unterstützung der Menschenrechte, über den Schutz und das Funktionieren der Familie und der verbindenden Gruppen, über die Einbeziehung des Gesetzes der Nächstenliebe in den Bereich der internationalen Beziehungen, über die Erziehung des Gewissens und der internationalen öffentlichen Meinung in verschiedenen wichtigen Bereichen - alles Themen, die zugleich ein treues Bekenntnis zu den christlichen Prinzipien und eine gründliche Erfahrung in den konkreten Anwendungsbereichen erfordern. 644 Reisen Also ein unermeßliches und erhebendes Feld, das sich hier Ihrem besonderen Apostolat, Ihrem christlichen Mut öffnet. Sie werden es den internationalen Behörden, den anderen internationalen katholischen Organisationen und dem Heiligen Stuhl selbst zugute kommen lassen. 5. Information, Ansporn und Möglichkeit zur Zusammenarbeit finden die Internationalen Katholischen Organisationen im katholischen Koordinierungszentrum, dessen Verantwortlichem und dem ganzen. Personal ich besonders danken will. Ich muß hier an das Werk des so betrauerten P. Henri de Riedmatten erinnern, der lange Jahre Berater dieser Gruppe und dann ständiger Beobachter war. Und ich bin- auch sicher, daß das Zeugnis dieses Zentrums bei den anderen regierungsunabhängigen Organisationen und selbst bei den großen internationalen Organisationen in Genf seine Bedeutung hat. Erziehung des Gewissens der öffentlichen Meinung 6. Schließlich sind wir hier Gäste einer sympathischen Pfarrei, die den Namen des bewundernswürdigen Heiligen und Baumeisters des Friedens in der Schweiz, des heiligen Nikolaus von Flüe, trägt. Ich bin über alles unterrichtet, was die Verantwortlichen dieser Pfarrei tun, um sich in entsprechender Weise der Aufnahme, der Pflege und Erziehung des Glaubens zu widmen. Ich weiß, daß zahlreiche Menschen aus den internationalen Kreisen sich hier wohlfühlen und die geistliche und freundschaftliche Unterstützung finden, die sie suchen. Mir fehlt diesmal die Zeit, andere Pfarreien in der Schweiz zu besuchen. Aber die Gelegenheit dazu wird sich bestimmt finden. Wenigstens aber kann ich von hier aus allen Pionieren der internationalen katholischen Bewegung, die in der Schweiz blühende Initiativen auf mehreren Gebieten kennt, meinen Dank aussprechen. Der Herr erleuchte Ihren Geist und öffne Ihre Herzen in einer grenzenlosen Liebe! Er stehe Ihnen in der Arbeit bei und lasse sie Frucht tragen! Er stehe Ihren Internationalen Katholischen Organisationen bei der Erfüllung der Rolle bei, die man in der Kirche von ihnen erwartet! Von Herzen segne ich Sie, Ihre Familien und alle Menschen, die Ihnen lieb sind. 645 Reisen Sich den Leidenden aufopfern! Ansprache an das Internationale Komitee des Roten Kreuzes in Genf am 15. Juni Herr Präsident, meine Damen und Herren! 1. Für die Worte, die Sie soeben dem Wirken des Heiligen Stuhls und meinen persönlichen Bemühungen gewidmet haben, danke ich Ihnen recht herzlich. Mit besonderer Aufmerksamkeit habe ich das verfolgt, was Sie über mein Heimatland, über El Salvador, den Nahen Osten und den Frieden im allgemeinen gesagt haben, handelt es sich doch um Situationen, die den Katholiken, die ich vertrete, besonders am Herzen liegen und deren ich auch stets im Gebet gedenke. 2. Es ist mir eine große Freude, am Sitz des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes die qualifizierten Vertreter einer Organisation zu begrüßen, der die Menschheit so viel schuldet! Tatsächlich hat diese Organisation, die ihre Entstehung einigen hochherzigen Schweizer Bürgern verdankt, seit ihrer Gründung durch Henri Dunant vor etwas mehr als hundert Jahren in der ganzen Welt ein Echo gefunden, zu dem man sich beglückwünschen muß. Es ist dem Papst eine Freude, durch Sie allen jenen Männern und Frauen seine Ehrerbietung zu erweisen, die im Rahmen des Roten Kreuzes nur den einen Wunsch haben, aus Menschlichkeit ihren leidenden Brüdern und Schwestern zu dienen, denen die Unmenschlichkeit anderer Menschen, absurde Konflikte oder Naturkatastrophen Leid zugefügt haben. Wer könnte sich schon weigern, die Grundprinzipien zu unterschreiben, die das Rote Kreuz anläßlich seiner 20. Konferenz angenommen hat, insbesondere die Verpflichtung, „das Leben zu schützen“, „sich für die Achtung des Menschen einzusetzen“ und ohne jede Diskriminierung „das gegenseitige Verstehen, die Freundschaft, die Zusammenarbeit und einen dauerhaften Frieden unter den Völkern“ zu fördern? 3. Zweifellos verbietet es mir der Geist, der die Gründer des Roten Kreuzes und ihre ersten Mitarbeiter beseelte, allzu ausführlich die zahlreichen Wohltaten hevorzuheben, die der Initiative des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes zu verdanken sind, und ich denke selbstverständlich auch an das bewundernswerte Werk der nationalen Organisationen des Roten Kreuzes und ihrer internationalen Föderation. Das Rote 646 Reisen Kreuz hat diese Hilfe inmitten zahlreicher Kriege und Katastrophen geleistet, zugunsten der zivilen und militärischen Opfer der Kriege, für die Verwundeten oder Kranken auf allen Schlachtfeldern, für die Flüchtlinge, die Gefangenen und die zerstreuten Familien. Sein Geist ist der der Selbstverleugnung, der seinen Lohn im Wissen um den geleisteten Dienst und in der Hilfsbereitschaft findet, die manchmal nicht vor dem höchsten Opfer zurückschreckt und oft in der Ausführung verborgener, aber unendlich wichtiger Aufgaben zum Ausdruck kommt. Mission der Hilfe, der Pflege und des Trostes Durch die Erfüllung seiner Mission der Hilfe, der Pflege und des Trostes, bei der es den Initiativen auf örtlicher Ebene Impuls und Unterstützung zuteil werden läßt, seinem Vorsatz der Neutralität treu bleibt, der als Kennzeichen den Gründern vorschwebte, und mit Achtung, aber gleichzeitig Nachdruck seinen Einsatz inmitten der Konflikte anbietet, hat sich das Rote Kreuz in aller Welt eine moralische Autorität erworben. Die Wirksamkeit Ihrer Initiativen beschränken sich nicht auf die zahlreichen Dienstleistungen zur Linderung aller physischen und moralischen Übel; vielmehr bringt das Verständnis, das die Kriegführenden normalerweise -unter Achtung der internationalen Konventionen - Ihrer Mission schulden, für Sie moralische Verpflichtungen mit sich, die den Raum noch erweitern, innerhalb dessen Sie Ihre Verantwortung gegenüber den Staaten und internationalen Organisationen ausüben. Ja, Sie tragen zur Entwicklung des internationalen humanitären Rechts bei, um dessen immer ausgedehntere Anwendung Sie bemüht sind. 4. In diesem Zusammenhang, im Rahmen der Menschenrechte, erlaube ich mir, noch auf die Folterung und andere unmenschliche Verfahren hinzuweisen. Die Regierungen, die die Genfer Konvention anerkennen, haben sich übrigens verpflichtet, solche Verfahren zu verbieten und den Delegierten des Roten Kreuzes den Besuch und ein Gespräch unter vier Augen mit den Häftlingen zu gestatten. Ich wünsche Ihnen, daß auch diese Mission in allen Ländern gute Aufnahme finde, damit dieser Schandfleck der Menschheit verschwindet. So tragen Sie mit Ihren spezifischen Mitteln zur Respektierung der Grundrechte des Menschen und seiner Würde bei und vereinigen auch unterschiedslos Glaubende und Nichtglaubende, die sich für dieses Ideal begeistern. 647 Reisen 5. In diesem Dienst am Menschen schließen sich die Christen unschwer den Zielen und Aktivitäten des Roten Kreuzes an. Sie haben in ihrem Glauben einen Ansporn und zusätzliche Beweggründe, um im Verletzten, Betrübten oder Notleidenden unabhängig von seiner Identität einen Nächsten zu sehen, der geliebt und dem geholfen werden muß; sie nehmen in ihm sogar das Antlitz Christi wahr, der sich mit dem Gefangenen, dem Kranken, dem Fremdling, dem aller Güter Entblößten identifizierte. Wie viele Seiten des Evangeliums sind, in diesem Zusammenhang von packender Ausdruckskraft, angefangen beim Gleichnis des guten Samariters! Was nun die Folterung betrifft, so kennt der Christ seit seiner Kindheit die Leidensgeschichte Christi. Mit dem Gedanken an den entblößten, gegeißelten, bis zu seiner Todesqual verhöhnten Jesus sollte er eine derartige Behandlung eines seiner menschlichen Brüder immer ablehnen. Der Jünger Christi lehnt spontan jedes Zurückgreifen auf solche Mittel ab, die durch nichts gerechtfertigt werden können und die die Würde des Menschen - des Gefolterten und seines Folterers -verletzen. 6. Die katholische Kirche arbeitet gern mit Ihren Organisationen zusammen. Während der beiden letzten Weltkriege z. B. kam es zur Zusammenarbeit zwischen dem Roten Kreuz und den karitativen katholischen Organisationen; diese Zusammenarbeit wurde als Hilfe für die nach dem Krieg hungerleidenden Völker und die Opfer von Naturkatastrophen zwischen den verschiedenen von der Kirche unterstützten Werken und dem Internationalen Komitee und den einzelnen Rot-Kreuz-Organisatio-nen fortgesetzt. Die Beziehungen auf diesem Gebiet sind sehr engmaschig, und zu meiner Freude kann ich auch sagen, daß der Heilige Stuhl und das Internationale Komitee des Roten Kreuzes im Begriff sind, die Möglichkeit weiterer Formen der Zusammenarbeit im Dienst des Friedens zu prüfen. 7. Um schließlich die gesteckten Ziele zu erreichen, muß das Rote Kreuz der Beobachtung der internationalen Konventionen und der Zusatzprotokolle durch die verschiedenen Staaten und der Behörden sicher sein, denen die Anwendung dieser weisen Bestimmungen obliegt. Gemeinsam mit Ihnen richte ich an sie alle einen dringenden Appell zur ehrlichen und genauesten Beobachtung der humanitären Vorschriften, die in diesen Konventionen enthalten sind, und fordere sogar, wo nötig, zu ihrer Ergänzung durch internationale Rechtsmittel auf, die gegen unmensch- 648 Reisen liehe Behandlung und insbesondere gegen die FolteT angewandt werden können. Diese können wirksame Garantien zum physischen und psychischen Schutz der Opfer liefern und ihnen den gebührenden Respekt sichern. Jedermann sollte jederorts mit solchen Garantien rechnen können. Es ist die Pflicht aller auf das Wohl seiner Bürger bedachten Staaten, solche Dokumente ohne Vorbehalt zu unterschreiben und sich ihre praktische Anwendung angelegen sein zu lassen. 8. Es freut mich, daß ich Ihnen meine Hochachtung aussprechen und Sie ermutigen konnte, das begonnene Werk fortzusetzen, und so bitte ich nun Gott, den Gott, der „reich an Erbarmen“ ist, alle jene zu segnen, die im Dienst des Roten Kreuzes, im Sinn der christlichen Nächstenliebe, sich den Leidenden mit Achtung und segensreicher Aufopferung widmen, auch andere für diese Werke begeistern und so unsere gequälte und zerrissene Welt vermenschlichen. Auch bitte ich ihn, daß sich diese Gefühle in immer stärkerem Maße unseren Zeitgenossen mitteilen. Möge die Menschheit immer klarer den bewegenden Aufruf Henri Dunants vernehmen: „Wir alle sind Brüder!“ Wissenschaft erfordert Reife des Glaubens Ansprache an die Forscher im Europäischen Zentrum für Kernforschung (CERN) in Genf am 15. Juni Herr Generaldirektor, meine Damen und Herren, liebe Freunde! 1. Es ist mir eine Ehre, Sie heute besuchen zu können. Ich danke Ihnen für Ihre Einladung und den Empfang, den Sie mir hier im Zentrum der Europäischen Organisation für Kernforschung bereitet haben. Ja, ich bin über dieses Zusammentreffen mit Ihnen und Ihren Familien sehr glücklich. Die erstaunlichen Dinge, die Sie mir soeben gezeigt und erklärt haben, helfen mir, die wesentliche Aufgabe besser zu verstehen, die dieses Zentrum für Kernforschung seit fast 30 Jahren erfüllt: Es handelt sich darum, den Wissenschaftlern - ich glaube, es sind mehr als 2000 aus 140 Universitäten oder nationalen Laboratorien - Forschungseinrichtungen 649 Reisen für Kernphysik zur Verfügung zu stellen, die die einzelnen Länder mit den ihnen verfügbaren möglichen Mitteln nicht bereitstellen könnten. CERN ist also das wichtigste europäische Zentrum für Grundlagenforschung über die Zusammensetzung der Materie; es gehört zu den größten Zentren der Welt in diesem Bereich. Kommunikation auf weltweiter Ebene 2. Was Sie vor allem kennzeichnet, ist die Tatsache, daß Sie Forscher sind. Das Element, das Sie als Forscher und Techniker verbindet, ist Ihre Kompetenz im Dienst einer völlig uneigennützigen Sache: der reinen Forschung, mit dem einzigen Ziel, die wissenschaftliche Erkenntnis zu fördern. Sie bedienen sich bei Ihren Arbeiten der hochentwickelten Instrumente, die zu Ihrer vollen Verfügung stehen, insbesondere der Beschleuniger der Atomteilchen und der Speicherringe; was Sie jedoch dabei leitet, ist die Leidenschaft für die Forschung. 3. Sie verfolgen das edle Ziel der wissenschaftlichen Forschung gemeinsam. Heute wäre das auf einem Gebiet, das so viele Instrumente, eine solche Kompetenz und eine so große Summe von vorgesehenen Informationen voraussetzt, zweifellos gar nicht anders möglich. Man kann sich isolierte Forscher nicht mehr vorstellen. Ich glaube jedoch, die umfassende Mitteilung, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit hervorheben zu können und die offene Geisteshaltung, die das Arbeitsklima von CERN besonders kennzeichnen und ihm zur Ehre gereichen. Selbst die Lage Ihres Laboratoriums ist symbolisch, liegt es doch teilweise auf französischem, teilweise auf schweizerischem Hoheitsgebiet. Sie kommen aus zwölf Mitgliedstaaten, die dieses angesehene Unternehmen großzügig unterhalten. Sie nehmen jedoch auch andere Wissenschaftler aus Ost und West auf, die politisch sehr verschieden orientierten Ländern entstammen. Unabhängig von Ihren politischen oder persönlichen Interessen, sind Sie alle als Gruppe mit der gleichen Forschung beschäftigt und so in der Lage, Kommunikation auf wirklich weltweiter Ebene zu schaffen. Ja, hier wird tatsächlich einer der schönsten Aspekte der Wissenschaft Wirklichkeit: ihre Fähigkeit, die Menschen zu verbinden. 4. Ich möchte jedoch einen Augenblick bei dem verweilen, was der spezifische Gegenstand Ihrer Forschung ist: nämlich die innerste Struktur der Materie immer besser zu erforschen, also das, was man als das 650 Reisen „unendlich Kleine“ bezeichnet, an der Grenze dessen, was im Mikrokosmos meßbar ist, der Atome, Elektronen, Kerne, Protonen, Neutronen, Quarks. Was Sie zu erklären suchen, sind also die Geheimnisse der Materie, ihrer Zusammensetzung und ihrer Grundenergie. Deshalb sind alle wissenschaftlichen Bereiche, aber auch die gesamte kulturelle Welt, die sich mit diesen Problemen befassen möchte, ja, man kann sagen, alle Menschen daran interessiert oder zumindest davon betroffen, denn was sich hier enthüllt, ist ein Teil ihres eigenen Geheimnisses. 5. Ich sage „ein Teil“, denn angesichts der Unermeßlichkeit und Vielschichtigkeit der Dinge, die auf diesem Gebiet noch zu entdecken sind, bleiben Sie als echte Wissenschaftler demütig. Gibt es letzte und unteilbare Elemente der Materie? Welche Kräfte sind zwischen ihnen am Werk? Diese Fragen werden immer hintergründiger, je mehr Fortschritte Sie machen. Vor allem erheben sich neue und für die Erkenntnis immer grundlegendere Fragen, die jedoch an der Grenze der „exakten Wissenschaften“, der Naturwissenschaften, oder vielmehr jenseits ihrer Grenzen im Bereich der Philosophie liegen. Ihre Wissenschaft gestattet sogar, sie für die Philosophen und die Glaubenden besser zu formuüeren: Was ist der Ursprung des Kosmos? Und warum finden wir in der Natur eine Ordnung? Wenn es einst eine Zeit gab, in der die Wissenschaftler versucht waren, sich in einer vom Szientismus beeinflußten Haltung zu verschließen - der freilich mehr eine philosophische Entscheidung als eine naturwissenschaftliche Haltung war und andere Formen der Erkenntnis ignorieren wollte —, so scheint sich das heute geändert zu haben. Die meisten Wissenschaftler geben zu, daß die Naturwissenschaften mit ihrer auf Experimenten und der Wiedergabe ihrer Resultate beruhenden Methode nur einen Teil der Wirklichkeit erfassen, oder, besser gesagt, daß sie diese nur unter bestimmten Aspekten berühren. Die Philosophie, die Kunst, die Religion - vor allem die Religion, die sich bewußt von einer transzendenten Offenbarung herleitet - nehmen andere Aspekte der Wirklichkeit des Weltalls und vor allem des Menschen wahr. Schon Pascal sprach, wenn auch in einem anderen Sinn, von drei Größenordnungen beim Menschen, der Macht, der Intelligenz und der Liebe, wobei jede die voraufgehende unendlich übersteigt und sich im übrigen auf jenen Anderen bezieht, der Schöpfer und Vater aller Menschen ist und ihr Ursprung und Anfang, denn „der Mensch überragt den Menschen unendlich“. 651 Reisen Den grundlegenden Fragen nicht ausweichen 6. Übrigens rücken auch Sie die Größe und das Geheimnis des Menschen besonders ins Licht. Die Größe seines Forschungsvermögens, seiner Vernunft, seiner Fähigkeit, eine höhere Wahrheit zu finden, die Macht seines Willens beim hochherzigen Beschreiten eines Weges, der nicht Eigeninteressen dient. Sein Geheimnis und vielleicht auch die abgründige Neuheit der reinen Forschung über die Natur der Materie sind letzten Endes weniger wichtig als das erregend Neue an der Haltung des Menschen, der sich vor diesen Entdeckungen ganz klein vorkommt. Welche Veränderung hat die wissenschaftliche Vorstellung von der Welt erfahren gegenüber der, die wir von unseren Vorfahren übernommen haben und die diese selbst von den Generationen empfangen hatten, die ihnen in der großen Gemeinschaft der Menschen vorangegangen waren! Aber gleichzeitig gestatten Sie mir als gläubigem Menschen, in aller Schlichtheit zu sagen: Welche Kontinuität im Schöpferplan Gottes, der den Menschen „als sein Bild und Gleichnis“ geschaffen und ihm aufgetragen hat, sich die ganze Welt zu „unterwerfen“, die er aus Liebe geschaffen hat und von der der Autor des ersten Buches der Bibel, der Genesis, unaufhörlich mit Staunen wiederholt: „Gott sah, daß es gut war, Gott sah, daß alles, was er gemacht hatte, sehr gut war“ (Gen 1, 4 ff.). 7. Sie als Physiker müssen hier all Ihre Energien und ihre fachliche Kompetenz mit rein naturwissenschaftlichen Methoden einsetzen. Als Menschen jedoch können Sie nicht umhin, sich diese anderen grundlegenden existentiellen Fragen zu stellen, von denen ich gesprochen habe und auf die die philosophische Weisheit und der Glaube eine Antwort wissen. Ich wünsche Ihnen, auch auf diesem Gebiet Forscher sein zu können, nachdem Sie wissen, daß es hier keinen Gegensatz zwischen den verschiedenen Fachbereichen, sondern Harmonie geben kann; Menschen, die offen für die Fülle der Wahrheit sind! Es ist mir im übrigen bekannt, daß unter Ihnen eine gewisse Anzahl Glaubender ist, die die Überzeugungen des christlichen Glaubens teilt, ohne daß der Ernst der wissenschaftlichen Arbeit oder die gegenseitige Achtung, die unter Ihnen herrschen muß, darunter leiden. Enthüllt nicht vielmehr die Grundstruktur der Materie eine logische Ordnung, die einer transzendenten philosophischen Deutung der Naturphänomene näherzuliegen scheint als einer rein materialistischen Auffassung? Den Christen sage ich das, worauf ich bereits vor den Studenten und Professoren des Institut Catholique in Paris bestanden habe: Möge euch gelingen, „mit eurer geistigen Arbeit zwei Ordnungen der Wirklichkeit 652 Reisen existentiell zu verbinden, die man allzuoft einander entgegenzustellen geneigt ist, als handle es sich um Gegensätze: die Suche nach der Wahrheit und die Gewißheit, die Quelle der Wahrheit bereits zu kennen“ (Ansprache im Institut Catholique in Paris am 1. Juni 1980, Nr. 4). 8. Die Kirche besteht auf der spezifischen Unterscheidung wissenschaftlicher und religiöser Erkenntnisse und ihrer Methoden. Sie ist aber auch von deren tiefer Harmonie rings um den gleichen Schöpfer und Erlöser des Menschen, Gott, überzeugt und davon, daß sie einander ergänzen. Es ist ihr daran gelegen, jedes Mißverständnis auf diesem Gebiet zu beseitigen. Die Kirche achtet in ihrem Bereich die Naturwissenschaften und betrachtet diese nicht als Gefahr, sondern vielmehr als eindrucksvolle Offenbarung des Schöpf er gottes; die Kirche betrachtet den Fortschritt der Naturwissenschaften mit Befriedigung und ermutigt daher Sie, meine Damen und Herren, Ihre Forschungen in dem Geist, von dem wir gesprochen haben, fortzusetzen. Sie gibt im übrigen zu, daß die wissenschaftliche Kultur von heute von den Christen eine Reife des Glaubens, eine Öffnung für die Sprache und die Fragen der Wissenschaftler und einen Sinn für die Verschiedenheit der Wissensbereiche und der Annäherung an die Wahrheit fordert. Kurz gesagt, sie wünscht, daß der Dialog zwischen Wissenschaft und Glauben, selbst wenn er in der Vergangenheit Spannungen kannte, in eine immer positivere Phase eintrete und sich auf allen Ebenen intensiviere. Die Liebe zu der in Demut gesuchten Wahrheit ist einer der hohen Werte, die die Menschen fähig machen, sich heute über die verschiedenen Kulturen hinweg zu vereinen. Die wissenschaftliche Kultur steht keineswegs im Gegensatz zur humanistischen oder mystischen. Jede echte Kultur ist auf das Wesentliche hin geöffnet, und es gibt keine Wahrheit, die nicht allgemein werden könnte. So habe ich erst kürzlich in Rom einen Päpstlichen Rat für die Kultur errichtet im Bewußtsein dieser fundamentalen Wirklichkeit, die alle Menschen eint, und ich wollte ausdrücklich, daß dieser Rat allen Forschern und Forschungszentren offenstehe. Damit möchte ich Ihnen auch sagen, wie sehr es mich befriedigt, daß CERN allen offensteht, die an seinen Forschungen teilhaben wollen, auch wenn diese Forscher nicht seine direkten Mitarbeiter sind. Die echte Forschung verbindet ebenso wie die Kultur die menschlichen Gemeinschaften über alle Grenzen und Hindernisse hinweg. 9. Ich habe es schon eingangs gesagt: Sie widmen sich der reinen Forschung. Hier stehen auch die Techniker im Dienst der Wissenschaft. Ich selbst war nur auf dem Gebiet der kulturellen Forschung tätig. 653 Reisen Gestatten Sie mir jedoch, zum Schluß noch auf die möglichen Anwendungen Ihrer Forschungen hinzuweisen, selbst wenn diese über Ihre Arbeit, Ihre Verantwortung und den Zweck dieses Zentrums hinausgehen. Die Geschichte lehrt nämlich, daß die Entdeckung neuer Phänomene mit der Zeit zu erstaunlichen und oft völlig unerwarteten Anwendungen führt. Zweifellos verfolgen in Ihren Ländern bereits die Regierungen und Techniker Ihre Forschungen mit einem Interesse, das um so größer ist, je mehr sie früher oder später mit deren intensiver praktischer Verwendung rechnen. Welche Verwendung kann man nun vorhersehen, wenn man von der Struktur des Atoms und seiner möglichen Spaltung ausgeht? Die Menschen können daraus das Beste und das Schlechteste machen. Das Beste für den Dienst am Menschen, seine Entwicklung und seine Gesundheit, seine Ernährung, seine Energieversorgung und den Schutz der Natur; das Schlechteste wäre eine Störung des ökologischen Gleichgewichts, eine gefährliche Radioaktivität und vor allem Vernichtungsmechanismen, die schon jetzt durch Kraft und Zahl gefährlich genug sind. Ich sagte es vor der UNESCO am 2. Juni 1980, ich wiederholte es vor den Forschern der Universität der Vereinten Nationen in Hiroshima am 25. Februar 1981: Wir stehen vor einer großen moralischen Herausforderung, die darin besteht, die von der Wissenschaft vermittelten Werte der Technik mit denen des Gewissens in Einklang zu bringen. „Die Gewissen müssen mobilisiert werden!“ Der Sache des Menschen wird dann ein Dienst erwiesen, wenn Wissenschaft und Gewissen sich miteinander verbünden. Anders ausgedrückt: Es ist notwendig, mit größter Sorgfalt über die Art und Weise und über die Absichten zu wachen, mit denen sich der Mensch bei der Verwendung seiner Entdeckungen entscheidet. Die Kirche hat genügend über die Gefahr der Atomwaffen gesprochen, und ich selbst habe so viele Initiativen in diesem Sinn ergriffen, daß ich jetzt nicht mehr darauf zurückkommen will. Aber selbst was die friedliche Verwendung der Kernenergie betrifft, wünscht die Kirche mit vielen anderen Menschen guten Willens - wie ich das am 14. November 1980 den Mitgliedern der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften in Erinnerung rief daß alle ihre möglichen Folgen eingehend in Erwägung gezogen werden, etwa radioaktive Tätigkeit, Genetik, Umweltverschmutzung, Speicherung der Abfälle, daß strenge Garantien geleistet werden und daß die Information auf der Höhe des Problems steht. Der Heilige Stuhl selbst hat einen ständigen Vertreter bei der Internationalen Atombehörde in Wien, um so sein Interesse für die friedliche und sichere Verwendung der Atomenergie zum Ausdruck zu bringen. Das alles fällt nicht in Ihre direkte Verantwortung. Dennoch verstehen Sie 654 Reisen besser als andere, was hier auf dem Spiel steht, und es obliegt daher besonders Ihnen, die Information auf diesen Gebieten zu fördern - vor allem den Verantwortlichen für die technische Anwendung gegenüber -sowie darauf zu bestehen, daß die an sich so großartigen Ergebnisse der Wissenschaft auf der Ebene der Technologie sich nie gegen den Menschen kehren, sondern nur zum Wohl der Menschheit verwendet werden, und zwar durch Leute, die von größter Liebe zum Menschen erfüllt sind. 10. Zum Abschluß möchte ich Ihnen einen Wunsch anvertrauen. Ich möchte, daß der Wissenschaftler auf der Ebene seiner Bildung den Sinn für die Transzendenz des Menschen über die Welt und die Transzendenz Gottes über den Menschen wachhält und daß er auf der Ebene seines Handelns das universale Kulturverständnis, das ihn kennzeichnet, mit dem universalen Verständnis brüderlicher Liebe verbinde, die Christus der Welt so anziehend gemacht hat. Ich wiederhole unter diesem Aspekt meinen Appell an die UNESCO: „Ja, der Friede der Welt hängt vom Primat des Geistes ab! Ja, die friedliche Zukunft der Menschheit hängt von der Liebe ab!“ (Nr. 23). Eine brüderliche Menschheit schaffen Predigt bei der Eucharistiefeier im Park des Ausstellungspalastes in Genf am 15. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Nach den vielfältigen, bedeutsamen Begegnungen, zu denen mir dieser allzu kurze Tag in Genf Gelegenheit gab, nach den verschiedenen Ansprachen, die wir ausgetauscht haben, nach den Wünschen aller Art, die wir je nach der Zweckbestimmung der besuchten Institutionen ausgesprochen haben, war es gut, jetzt, wo der abendliche Friede in diese Stadt einkehrt, uns unter den Gläubigen innerlich zu sammeln bei dieser Begegnung mit Christus; die Worte zu hören, die vom Propheten Jesaja und vom Sohn Gottes im Namen Gottes verkündet wurden; selbst einzutreten in den Bund, der durch die Teilhabe am Leib und Blut des Herrn, die zur Erneuerung der ganzen Welt geopfert wurden, mehr verpflichtet als alle Gelübde. 655 Reisen Denn wie jede Eucharistiefeier, so ist auch diese, die in eurer Mitte zu leiten ich das Glück und die Gnade habe, die Gegenwärtigsetzung des einmaligen Opfers des Herrn Jesus über Zeit und Raum hinweg: eine Feier, die zwar an einem Punkt der Erde vollzogen, aber immer zugunsten der gesamten Menschheit wiederholt wird. Christen, die ihr vor allem aus Genf, aber auch aus anderen Regionen der Schweiz und den Nachbarländern gekommen seid, machen wir uns gemeinsam die erstaunlichen und geheimnisvollen Wirkungen der Eucharistie bewußt. Die Tatsache, daß wir an diesem Ort der Welt die Eucharistie feiern, kann uns im übrigen helfen, etwas von der unsichtbaren Wirkung des sakramentalen Lebens, des Todes und der Auferstehung des Herrn zu begreifen. Genf, das zugleich reich an einer langen Geschichte und begrenzt auf diesen geographischen Punkt ist, hat eine bestimmte universale Berufung, vor allem wegen der internationalen Organisationen, die hier ihren ständigen Sitz haben und deren Ziel es ist, bei der Lösung der großen Probleme mitzuhelfen, mit denen sich unsere Zeit auseinandersetzt. Für die Gläubigen ist heute - wie gestern, wie immer - der Herr unser Leben und unser Licht. 2. Das erste Licht, das in der Wortliturgie auf scheint, ist, daß es keine wahre Religion gibt ohne Suche nach der Gerechtigkeit unter den Menschen. Jesaja ruft seine Zeitgenossen zur Umkehr auf, zur ernsthaften Wiederaufnahme der Bestimmungen, die den Bund zwischen Gott und seinem Volk ausmachen. Buße und Fasten sind gewiß Ausdruck dieser Bekehrung, aber um wahrhaftig zu sein, um den Menschen zu „rechtfertigen“, um Gott zu erreichen, den man nicht sieht, muß diese Buße und dieses Fasten außerdem ein Engagement für die Gerechtigkeit gegenüber dem Nächsten, den man sieht, einbeziehen: „die Fesseln Unschuldiger lösen“, „der Unterdrückung ein Ende machen“, „jedes Joch zerbrechen“, „die Versklavten freilassen“, „den Hungrigen Brot geben“, „die keine Wohnung haben, aufnehmen“, „die Nackten bekleiden“. Dann wird für dich, der du in dieser schwierigen Welt nach einem Dämmerschein der Hoffnung suchst, „dein Licht aufleuchten wie die Morgenröte, deine Kräfte werden zurückkehren, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen“ (vgl. Jes 58, 6-9). Eine Würde von Kindern Gottes 3. Jesaja und noch mehr Jesus erlauben uns hinzuzufügen: Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Liebe, ohne Nächstenliebe. Sehr oft sind wir uns gar 656 Reisen nicht bewußt, daß wir selber dem Nächsten ungerechte Fesseln angelegt, ihn durch ein schweres Joch unterdrückt, durch böse Worte belastet haben, sondern erst dann, wenn wir uns etwa an einer kollektiv ungerechten Situation beteiligen. Aber was wir immer gefragt werden, ist: Hast du dich vor deinesgleichen versteckt? Hast du die als deine Brüder betrachtet, die nahe oder fern von deinem Haus - heutzutage schrumpfen die Entfernungen rasch - zu den hungernden Völkern gehörten, krank waren, denen es an Pflege und Hygiene fehlte, die als Fremde oder Angehörige eines feindlichen Blocks eingereiht wurden, die im Gefängnis oder in einem Lager zusammengepfercht waren? Das setzt voraus, im anderen, gleich in welcher Not er sich befindet, eine Person zu sehen, deren menschliche Würde der eigenen gleich ist, eine Würde von Kindern Gottes. Es setzt voraus, daß man sich irgendwie an seine Stelle setzt, um sich mit ihm nach einem Zeichen des Trostes, der Hilfe, der Anteilnahme, des Vertrauens zu sehnen. Liebe ist: für den anderen alles wünschen, was man für sich selbst haben möchte (vgl. Mt 7, 12). Nächstenliebe setzt natürlich Gerechtigkeit voraus, aber man kann auch sagen, daß sie die Gerechtigkeit bewahrt und sie zu ihrer ganzen Fülle gelangen läßt. Und nur, wer eine solche Liebe kundtut, sagt Jesus, ist sein Jünger; wer sich in dieser Welt mit dem leidenden Menschen identifiziert, liebt Christus selbst und braucht sein Gericht nicht zu fürchten. 4. Um es noch genauer zu sagen: die Gerechtigkeit und die Nächstenliebe sind nicht mehr als ein Wind, wenn sie nicht konkrete Handlungen gegenüber konkreten Menschen im Auge haben. Zweifellos haben weder Jesaja noch Jesus die Ungerechtigkeiten, die Leiden und Nöte in erschöpfender Weise aufgezählt, die nach Liebe rufen. Diese Ungerechtigkeiten und Nöte haben tausend Gesichter, und unsere moderne Gesellschaft verbreitet unaufhörlich neue: im Hinblick auf die Arbeitslosen, die Flüchtlinge, die Gefolterten, die unschuldig Verfolgten, die aus ideologischen Gründen Unterdrückten. Aber es wäre unzureichend, von Problemen zu sprechen: Man muß präzise Maßnahmen ergreifen, eine präzise Anwendung finden. Jesus spricht von dem, der Hunger hat, von dem, der Durst hat. Der Nächste hat ein menschliches Antlitz. Zum Aufbau einer neuen Welt 5. Schließlich gibt uns die Eucharistie über die Quelle der Liebe und der Gerechtigkeit für uns Glaubende Aufschluß. Die Liebe kommt nicht nur 657 Reisen vom Beispiel Christi, sondern von der Liebe - agape die ihren Ursprung im Vater hat, die im Sohn offenbar wird und sich durch den Heiligen Geist mitteilt. Gott ist Liebe; das ist unser Glaube. Aber damit die Menschen Zugang zu dieser Gerechtigkeit, das heißt zu der aus Gott fließenden Heiligkeit und zu seiner Liebe haben, mußte die Sünde, die Mauer des Hochmuts, des Egoismus und des Hasses durch das Opfer des Gerechten, durch die Liebe des Sohnes beseitigt werden. Die Messe läßt uns auf sakramentale Weise an dieser Befreiung teilhaben. Wir müssen zur Quelle zurückfinden. Wir müssen uns bekehren. Es gibt keine echte christliche Religion, keine christliche Gerechtigkeit, und keine christliche Liebe ohne diese Umkehr, die der Bruch mit der Sünde ist, die Anhänglichkeit an sein Opfer und die Gemeinschaft mit seinem geopferten Leib und seinem vergossenen Blut. Um diesen Preis erlangen die Christen die Dynamik des Evangeliums zum Aufbau einer neuen Welt, werden sie nach und nach durch den gewaltlosen Kampf für das Reich der Gerechtigkeit zu Monstranzen Gottes, seiner trinitarischen Liebe. 6. Aber, so werdet ihr sagen, wie kann die Spiritualität dieser Predigt wieder zur modernen Problematik zurückfinden, der wir in unserem Leben, bei unserer Arbeit, insbesondere in Genf, wo so viele internationale Organisationen ihren Sitz haben, begegnen? Ihr habt zweifellos den Eindruck, in Probleme verstrickt zu sein, die sehr schwierig zu lösen sind! Sie sind um so zahlreicher, je mehr die Kommunikationsmittel und die verstärkte Solidarität euch damit konfrontieren; sie sind so umfassend, daß sie Weltmaßstab besitzen; sie sind so komplex, so verwickelt, weil sie von so vielen Faktoren abhängen, auf die ihr kaum Einfluß habt, abgesehen von dem mitunter bösen Willen und dem Widerstand derer, die andere Interessen vertreten! Wieviel Scharfblick, wieviel Geduld, wieviel Hoffnung braucht es da! Diejenigen z. B., die in den internationalen Institutionen arbeiten, die unermüdlich juridische Maßnahmen, Vereinbarungen, Empfehlungen, Initiativen vorbereiten, die zur Verbesserung der Weltatmosphäre bestimmt sind, wissen vielleicht, daß ihr persönlicher Beitrag zur Gerechtigkeit und zum Frieden noch sehr begrenzt, sehr zerbrechlich, indirr' und lose ist, außer wenn sie wirksam zugunsten einzelner und bestimmter Gruppen von Flüchtlingen oder anderen Menschen in Not eingreifen. Ich denke hier an alle, die bei der UNO für den Frieden, für die Abrüstung oder für die Menschenrechte tätig sind, an alle, die bei der IAO für die soziale Gerechtigkeit, bei der Weltgesundheitsorganisation für die 658 Reisen Gesundheit, beim Hochkommissariat für die Flüchtlinge, beim Roten Kreuz für die Kriegsopfer arbeiten. Die Christen sind mit allen anderen Menschen guten Willens daran beteiligt, und ich spreche ihnen erneut meine Ermutigung aus, vor allem denen, die ich heute nicht besuchen konnte. Sie sollen wissen, daß sie am Werk der Gerechtigkeit und des Friedens teilhaben, das Christus gefordert hat und das die Wege auf Weltebene vorbereitet! Durch viele Hindernisse hindurch flechten sie das Netz der neuen Welt, die unser Glaube erhofft und die hier unten eine Vorstufe des Heils ist, das im Jenseits in seiner Fülle Wirklichkeit wird. Ich vergesse auch nicht alle übrigen Personen aus Genf, der Schweiz oder von anderswo, die bei dieser Messe anwesend sind und innerhalb ihrer Familie, ihres Unternehmens, ihrer Gemeinde, ihrer Heimat, ihrer christlichen Gemeinschaft arbeiten. Viele leben gewiß in Verhältnissen, die man als komfortabel bezeichnen kann, die die Umstände und ihre Arbeit begünstigt haben: Mit ihren Bischöfen finden sie leicht Gelegenheit zu überlegen, wie sie sich in entsprechender Weise in ihrem Land und in der Welt am Fortschritt der Gerechtigkeit, am Teilen, an einer Hilfe, die die Würde der anderen respektiert, an einer weit geöffneten Gastfreunschaft beteiligen können. 7. Wie soll man nun das Eingreifen der Kirche und ihres Lehramtes in diesem Zusammenhang einordnen? Wie Jesaja, wie Jesus liegt es ihr fern, euch eine im eigentlichen Sinn politische Rede zu halten. Mit ihrer vom Herrn überkommenen religiösen Autorität steht es ihr auch nicht zu, technische Lösungen für eure Probleme anzubieten: Die Sorge dafür überläßt sie den christlichen Laien und den christlichen Laienorganisationen, die in der Lage sind, in einem gut gebildeten christlichen Gewissen die Entscheidungen auszudenken, die den konkreten Bedürfnissen entsprechen. Doch Jesus hat nach den Propheten eine Botschaft gebracht, die nicht aufhört, Männer und Frauen vor Fragen zu stellen und zutiefst zu erschüttern angesichts von Ungleichheit, Armut, Ungerechtigkeit und den Folgen der Sünde. Ja, diese Botschaft, die über die Politik und das Gesellschaftliche hinausgeht, auch wenn sie Einfluß darauf hat, enthält eine mahnende Kraft, welche die Welt dringend braucht. Mit Hilfe dieser Botschaft ruft Gott alle gläubigen Menschen und alle Menschen guten Willens auf, mit ihm zusammen wieder eine Menschheit nach seinem Bild und Gleichnis zu schaffen, eine brüderliche Menschheit. Seine Botschaft will sie nicht entmutigen, sondern vielmehr ermutigen und sie in ihren guten Absichten 659 Reisen und Plänen unterstützen; in diesem Sinne fordert sie sie auch auf, ihre vorläufigen Pläne und selbst die festen Strukturen, die sie aufrichtigen Herzens aufgestellt haben, um ihre Probleme besser lösen zu können, gewissermaßen zu relativieren; das heißt, sie sollen sie nach dem Maße der Gerechtigkeit und der Liebe überprüfen, um die ständig neu entstehenden Ungerechtigkeiten und Egoismen hinter sich zu lassen und besser auf die neuen Bedürfnisse zu antworten. Auf den Spuren Christi 8. Liebe Brüder und Schwestern, wenn die Kirche, der Heilige Stuhl und der Papst diese starke Sprache sprechen, wollen sie auch, daß sie als eine demütige Sprache aufgenommen wird. Zunächst haben sie nicht die Absicht, andere Gesetze, andere sittliche Forderungen zu unterbreiten als jene, die sich aus dem Evangelium herleiten lassen, das sie selbst ohne ihr Verdienst empfangen haben. Sodann ist das, was die Kirche beiträgt, weniger eine Verdammung nach Art des Jesaja als vielmehr ein neuer Antrieb auf den Spuren Christi, ein Aufschwung, an dem der Heilige Geist beteiligt ist, eine Hoffnung, kurz, ein positiver Beitrag. Und überdies weiß sie sehr wohl, daß sie diese Botschaft in einem zerbrechlichen Gefäß trägt (vgl. 2 Kor 4, 7); ihre Mitglieder, alle ihre Mitglieder, einschließlich jene der Hierarchie, sind sich bewußt, daß sie persönlich an der Schwäche, den Grenzen des Menschen teilhaben, die immer Sünder und immer Gerettete sind; und sie versuchen, trotz der Lasten und Niederträchtigkeiten, die ihre eigene Geschichte enthalten mag, einen immer besseren Weg einzuschlagen. Aber ihre persönliche Schwachheit darf nicht die von Gott kommende Botschaft der Gerechtigkeit und Liebe trüben. Machen wir uns die demütige und zugleich starke Haltung der Jungfrau Maria zu eigen, die sie am Tag ihrer Heimsuchung in ihrem Magnifikat an den Tag gelegt hat. Wie ich vor den Arbeitern im französischen Saint-Denis in Erinnerung gebracht habe, müssen die Arbeiter — und ich meine, alle, die hier sind, sind Arbeiter - „bereit sein zum edlen Kampf für jede Form der Gerechtigkeit. . . Die Bereitschaft, einen so edlen Kampf aufzunehmen, einen Kampf für das wahre Wohl des Menschen in allen seinen Dimensionen, spricht auch aus den Worten, die Maria vom lebendigen Gott verkündet hat: ,Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“ (Predigt in Saint-Denis am 31. Mai 1980). 660 Reisen Vor Maria, vor ihrem Sohn Jesus, der diese Seligpreisung verkündet hat, müssen wir alle uns fragen: Haben wir genug Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit, nach der Gerechtigkeit Gottes? „ Wir haben so vieles gemeinsam“ Ansprache auf dem Genfer Flughafen vor dem Rückflug am 15. Juni Sehr geehrte Herren, Vertreter des Bundesrates, der Kantonais- und Stadtregierung von Genf! Herr Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation! Und Sie alle, die Sie zu einem Abschiedsgruß gekommen sind! Ich habe allen ganz herzlich zu danken, die mich in diesem gastfreundlichen Land, in dieser mit Recht so berühmten Stadt, am Sitz dieser internationalen Organisationen so freundlich aufgenommen haben. Ich bin der Bundesregierung der Schweizer Eidgenossenschaft sehr dankbar dafür, daß sie die Durchführung dieser Reise nach Genf, der zweiten Reise eines Papstes in die Schweiz nach dem Konzil, unter besten Bedingungen möglich gemacht haben. Zusammen mit ihnen danke ich den Kantonal- und Stadtbehörden von Genf dafür, daß sie alles mit soviel Liebenswürdigkeit und Wirksamkeit arrangiert haben. Ihnen, Herr Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation, schulde ich besonderen Dank, denn Sie waren es, der diese Reise angeregt, mir gegenüber die Einladung erneuert und mir gestattet hat, vor allen Teilnehmern der 68. Konfererenz Ihrer Organisation das Wort zu ergreifen und mit den Delegiertengruppen und Funktionären des Internationalen Arbeitsamtes zusammenzutreffen. Ich danke den Vertretern des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes und des Europäischen Forschungszentrums (CERN), die mich so freundlich bei sich empfangen haben, und auch den Persönlichkeiten weiterer Organisationen, die Wert darauf legten, mich zu begrüßen, und von denen mich einige ebenfalls eingeladen hatten. Ebenso freue ich mich, die Vertreter der anderen christlichen Kirchen zu grüßen. Wie es auch ihr Wunsch ist, wird es uns möglich sein, unsere Kontakte und unsere Begegnungen im Rahmen des Pastoralbesuches, den 661 Reisen ich der Schweiz abstatten will, zu vertiefen. Wir haben so vieles gemeinsam! Für die geliebten Katholiken der Schweiz und alle ihre Bischöfe wiederhole ich den Ausdruck meiner Zuneigung und meine Ermutigung. Ich weiß, daß viele andere Schweizer Diözesen mich empfangen wollten und bereits im vergangenen Jahr mit Sorgfalt meinen Besuch vorbereitet haben, der im letzten Augenblick abgesagt werden mußte. Ich hoffe, daß die Sache nur aufgeschoben ist, denn auch ich würde sehr gern an Ort und Stelle das Zeugnis eurer christlichen Gemeinden empfangen. Ich spreche im Gebet vor Gott die besten Wünsche für Sie alle aus, für dieses geliebte Land des Friedens, für diese Kirche, für diese internationalen Organisationen, die im Mittelpunkt der Weltprobleme stehen. Aus ganzem Herzen rufe ich auf Sie persönlich und Ihr Wirken den Segen Gottes herab, der immer in denen, die treu, verfügbar und hochherzig sind, Meinungen des Friedens, der Gerechtigkeit und der Brüderlichkeit weckt. 662 Apostolische Reise nach Spanien (31. Oktober bis 9. November) Reisen ,, Jenseits aller politischen Interessen“ Ansprache bei der Ankunft am Flughafen Barajas in Madrid am 31. Oktober Majestäten, verehrte Brüder im Episkopat, Autoritäten, geliebtes Volk von Spanien: Gelobt sei Jesus Christus! 1. Mit tiefer Ergriffenheit habe ich soeben spanischen Boden betreten. Gelobt sei Gott, der mir erlaubt hat, bis hierhin zu kommen auf dieser meiner apostolischen Reise. Im Augenblick meiner Ankunft in der Hauptstadt der Nation sende ich meine herzlichsten Grüße an alle Einwohner Spaniens. An diejenigen der Städte und der Dörfer; an diejenigen der Halbinseln oder der Inseln; an diejenigen der großen Städte oder an die des letzten in den Bergen oder in der Ebene verstreuten Bauernhofes; an diejenigen der Zentren, die ich in den nächsten Tagen besuchen werden, und an diejenigen, die ich nicht selbst besuchen kann. Ich habe diesen pastoralen Besuch im Gedanken an alle unternommen, und er gilt allen Söhnen und Töchtern der Nation, trotz seiner unvermeidlichen örtlichen Beschränkung. Deshalb werde ich, wo immer ich den verschiedenen Ebenen oder Gruppen der spanischen Kirche begegne, vor diesen im Geist die ganze Nation ansprechen. Die Gemeinschaft in der Liebe zu Christus, das Fernsehbild und die Radiowellen werden in diesen Tagen unsere konstanten Verbindungen darstellen. Dabei soll immer der ausschließlich religiös-pastorale Charakter meiner Reise beibehalten werden, der diese über alle politischen oder parteilichen Interessen hinaushebt, wie ihr alle, dessen bin ich sicher, es wünscht; und ich bitte euch darum, wirkungsvoll daran mitzuarbeiten, daß dieser Charakter beibehalten wird. 2. Und nun, nach diesem Gruß, möchte ich euch meine tiefe Dankbarkeit ausdrücken. Dankbar bin ich, an erster Stelle, Seiner Majestät dem König Juan Carlos, der mir das Entgegenkommen erwiesen hat, mich hier am Flughafen von Barajas zu empfangen. Hier hat er mir mit innigen und ehrenden Worten ein herzliches Willkommen bereitet, indem er von seinen Gefühlen, denen der Königin und denen des spanischen Volkes sprach. Dankbar bin ich der Regierung, den Autoritäten und den Repräsentanten 664 Reisen des Volkes für ihre willkommene Anwesenheit bei diesem Akt und für ihre vortreffliche Mitarbeit bei den Vorbereitungen dieses Besuches. Dankbar bin ich euch allen, liebe spanische Brüder und Schwestern: für die Wärme eures Empfangs, für die Zuneigung, mit der ihr einem Freund Gastfreundschaft gewährt, vor allem einem, der Spanien durch die ganze Geschichte hindurch innig geliebt hat: dem Papst. 3. Da ich diesen charakteristischen Zug des spanischen Katholizismus gut kenne und in seiner ganzen Bedeutung sehr schätze, möchte ich euch etwas anvertrauen: Ich komme im vierten Jahr meines Pontifikates zu euch. Genau ein Jahr später als geplant, was sich ja wegen der bekannten Gründe nicht anders realisieren ließ. Ich möchte euch jetzt kundtun, daß ich seit den ersten Monaten meiner Wahl auf den Stuhl Petri mit Begeisterung an eine Reise nach Spanien gedacht und mir sogar Gedanken über eine angemessene kirchliche Gelegenheit für einen solchen Besuch gemacht habe. Heute führt mich zu euch der Abschluß - und nicht die Eröffnung - der 400-Jahr-Feier des Todes der hl. Theresia von Jesus, dieser großen spanischen und universalen Heiligen, deren Ruhm darin besteht, immer Tochter der Kirche gewesen zu sein und soviel zum Wohl der Kirche in diesen 400 Jahren beigetragen zu haben. 4. Ich komme deshalb, um dieser außerordentlichen kirchlichen Persönlichkeit Ehre zu erweisen und die Gültigkeit ihrer Glaubensbotschaft und ihres Humanismus erneut zu bestätigen. Ich komme, um mich mit einer christlichen Gemeinschaft zu treffen, die bis in die Zeit der Apostel zurückreicht. In einem Land, das Objekt der missionarischen Sorge des hl. Paulus war, das unter dem Schutz des hl. Jakobus des Älteren steht, dessen Gedächtnis in Pilar de Zaragoza und Santiago de Compostela fortdauert; das für den Glauben durch den missionarischen Eifer der sieben apostolischen Männer erobert wurde; das die westgotischen Niederlassungen um Toledo zum Glauben bekehrte; das das Ziel der großen europäischen Pilgerfahrten nach Santiago war; das die Unternehmung der Reconquista erlebte; das Amerika entdeckte und evangelisierte; das die Wissenschaft von Alcalä und Salamanca erleuchtete und die Theologie von Trient. Ich komme, angezogen durch eine bewundernswerte Geschichte der Treue zur und der Dienerschaft an der Kirche, die in apostolischen Unternehmungen und von so vielen großen Gestalten geschrieben wurde, die die Kirche erneuerten, ihren Glauben stärkten, sie in schwierigen Mo- 665 Reisen menten verteidigten und für sie neue Söhne und Töchter in ganzen Kontinenten gewannen. In der Tat: Dank dieser unvergleichlichen Evangelisationsarbeit spricht und betet heute der zahlenmäßig größte Teil der Kirche auf spanisch zu Gott. Nach meinen apostolischen Reisen, vor allem in die Länder Hispanoamerikas und auf die Philippinen, möchte ich in diesem einzigartigen Moment sagen: Danke, Spanien! Danke, Kirche in Spanien, für deine Treue zum Evangelium und zur Braut Christi! 5. Diese Geschichte ist trotz ihrer menschlichen Lücken und Irrtümer aller Bewunderung und Wertschätzung würdig. Sie muß als Inspiration und Ansporn dienen, um in dem gegenwärtigen Moment die tiefen Wurzeln des Daseins eines Volkes aufzufinden. Nicht, um es in der Vergangenheit leben zu lassen, sondern um ihm ein in der Zukunft zu verfolgendes und zu verbesserndes Beispiel anzubieten. Auf der anderen Seite ignoriere ich nicht die bekannten Spannungen, die manchmal zu offenen Zusammenstößen geführt haben, die sich im Innern eurer Gesellschaft entwickelt und die so viele eurer Schriftsteller studiert haben. In diesem historisch-sozialen Kontext ist es notwendig, daß ihr, spanische Katholiken, es versteht, die volle Kraft eures Geistes, den Mut eines gelebten Glaubens und die durch tiefe Liebe zum Mitmenschen erleuchtete evangelische Klarheit wiederzugewinnen. Damit ihr daraus neue Kraft schöpft, die aus euch immer unermüdliche Schöpfer des Dialogs und Förderer der Gerechtigkeit, Anreger der Kultur und der menschlichen und moralischen Hebung des Volkes mache in einem Klima respektvollen Zusammenlebens mit anderen berechtigten Meinungen, während ihr für eure Meinungen auch den gerechten Respekt verlangt. 6. Damit dieser Besuch die Ergebnisse bringe, die wir alle wünschen, teile ich euch hier die drei Aspekte mit, die die großen Ziele meiner Reise nach Spanien markieren: - als Nachfolger des Petrus meine Brüder im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22, 32); damit das Licht Christi das Dasein jedes einzelnen weiterhin erleuchten und inspirieren möge; damit die Würde jedes Menschen respektiert werde, die in Christus ihre letzte Begründung findet; - die Hoffnung zu stärken, die die Konsequenz aus dem Glauben ist und die uns dem Optimismus öffnen soll. Habt keine Angst! „Öffnet Christus die Tore“, sagte ich zu Beginn meines Pontifikats; das ist die Botschaft der Hoffnung, die ich auch bei diesem Besuch mitbringe; - die Kräfte der Kirche und die Werke der Christen zu ermutigen, damit 666 Reisen sie weiterhin - wie schon im Lauf ihrer gesamten Geschichte - der reiche Früchte der Liebe zu Christus und den Menschen tragende Baum sind. Damit die Christen für den Frieden und die Liebe kämpfen, sich der Solidarität unter den Menschen verpflichten und im gegenwärtigen Moment hochherzig und ausdauernd in Werken des Dienstes sind zum Wohl aller Spanier und der gesamten Kirche. Gott segne Spanien! Gott segne alle Spanier mit Eintracht und Verständnis untereinander, mit Glück und mit Frieden. Ich vertraue mich dem Apostel Jakobus, dem Schutzpatron Spaniens, an. Und ich bitte um den Schutz der heiligen Jungfrau von Pilar, der Patronin Spaniens, damit sie diese Reise segnen möge. Euer geistlicher Reichtum „noch nicht erschöpft“ Ansprache an die Vollversammlung der Spanischen Bischofskonferenz in Madrid am 31. Oktober Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Zu Beginn meiner apostolischen Reise in Spanien habe ich die Freude der Begegnung, die auf allen meinen Pilgerfahrten einen besonderen Platz eingenommen hat: der Begegnung dessen, der durch den geheimnisvollen Plan der Vorsehung Haupt des Bischofskollegiums ist (vgl. Lumen gentium, Nr. 22; Christus Dominus, Nr. 3), mit seinen Brüdern, Mitgliedern eben dieses Kollegiums und einer bestimmten Bischofskonferenz. Der Augenblick, den wir erleben, gibt auf ideale Weise jene Momente wieder, als Petrus sich im Kreis der Brüder erhob (vgl. Apg 1,15) oder „zusammen mit den Elf“ auftrat {Apgl, 14) oder die Ältesten als Ältester ermahnte, die Herde Gottes zu weiden (vgl. 1 Petr 5, 1). Dieser Augenblick ist für den Nachfolger Petri ein großer Augenblick seiner Aufgabe, „das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ zu sein (Lumen gentium, Nr. 23). 2. Der hl. Apostel Johannes wandte sich an die „Engel“ der sieben Kirchengemeinden Asiens, das heißt an diese Kirchen selbst, um ihnen 667 Reisen „die Gnade und den Frieden von Ihm, der ist und der war und der kommt. . zu wünschen, „von Jesus Christus, dem treuen Zeugen“ (Offb 1, 4-5). Auch ich will in der Person ihrer Bischöfe an jede der 65 Diözesen Spaniens einen Gruß richten, der aus tiefstem Herzen kommt. Gott weiß, daß es mein heißer Wunsch wäre, sie alle zu besuchen, große und kleine, alte und junge. Da ich das natürlich aus Zeitknappheit nicht tun kann, möchte ich, daß diese Begegnung gleichsam eine geistige Präsenz in jeder Diöszese Spaniens sein soll. Bei euren jüngsten „Ad-limina“-Besuchen hattet ihr das Bewußtsein, die Mitglieder eurer jeweiligen Teilkirchen mitzubringen. Jetzt kommt Petrus zu euch, um euren Besuch zu erwidern. Gnade also und Friede der Kirche in Barcelona, ihrem Bischof und den Weihbischöfen. Gnade und Friede der Kirche in Burgos, ihrem Oberhirten und den Bischöfen und Diözesen von Bilbao, Osma-Soria, Palencia und Victoria. Gnade und Friede der Kirche Gottes in Granada, ihrem Bischof und den Prälaten der Diözesen Almeria, Cartagena, Guadix, Jaen und Mälaga-Melilla. Friede und Gnade der Kirche in Madrid, ihrem Oberhirten und den Weihbischöfen. Friede und Gnade der Kirche in Oviedo, ihrem Bischof und Weihbischof und den Bischöfen und Diözesen von Astorga, Leon und Santander. Friede und Gnade der Kirche Gottes in Pamplona, ihrem Oberhirten und den Ordinarien und Diözesen von Calahorra-la Calzada und Logrono Jaca und San Sebastian. Gnade und Friede der Kirche in Santiago de Compostela, ihrem Ordinarius und Weihbischof und den Bischöfen von Lugo, Mondonedo-El Ferrol, Orense und Vigo mit ihren jeweiligen Diözesen. Gnade und Friede der Kirche Gottes in Sevilla, ihrem Oberhirten, ihrem Altbischof und den Bischöfen und Diözesen von Badajoz, Cädiz-Ceuta, Cordoba, Huelva, den Kanarischen Inseln, Teneriffa und Jerez de la Frontera. Friede und Gnade der Kirche Gottes in Toledo, ihrem Oberhirten und den Bischöfen und Diözesen von Ciudad Real, Coria-Cäceres, Cuenca, Plasencia und Sigüenza-Guadalajara. Friede und Gnade der Kirche in Valencia, ihrem Ordinarius und den Bischöfen von Albacete, Ibiza, Mallorca, Menorca, Orihuela-Alicante und Segorbe-Castellön mit ihren Diözesen. Friede und Gnade der Kirche Christi in Valladolid, ihrem Bischof und den 668 Reisen Bischöfen von Avila, Ciudad Rodrigo, Salamanca, Segovia und Zamora mit ihren Diözesen. Gnade und Friede der Kirche Gottes in Saragossa und ihrem Ordinarius sowie den Bischöfen und den Diözesen von Bamastro, Huesca, Tarazona und Teruel-Albarracin. Schließlich, Friede und Gnade vom Vater des Erbarmens und Gott allen Trostes (vgl. 2 Kor 1, 3) allen Diözesan-Altbischöfen Spaniens, die heute in der Liebe und im Gebet ihre Hingabe an die Kirche und die ihnen einst anvertraute Herde Christi leben. Diese Grußworte, die nicht bloße Höflichkeitsfloskeln sein wollen, sondern Ausdruck brüderlicher Zuneigung, finden ihre Ausweitung in der Botschaft, die seinen bischöflichen Brüdern dieser Länder Spaniens zu überbringen sich der Bischof von Rom freut. Lassen wir dazu das Zweite Vatikanische Konzil sprechen, dessen Eröffnung vor 20 Jahren wir gedenken und das die Sendung des Bischofs in der Kirche so treffend beschrieben hat. Das Wort haben also die Konzilsdokumente, besonders die großartigen Seiten der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium. Gnadenspender 3. „Die Bischöfe spenden durch Gebet und Arbeit für das Volk vielfältige und reiche Gaben von der Fülle der Heiligkeit Christi aus“ (Lumen gentium, Nr. 26). Diese Aufgabe der Heüigung gehört zur Sendung der Bischöfe. Sie sind aufgrund ihrer Berufung „Führer zur Vollkommenheit“ (vgl. Christus Dominus, Nr. 15). Das heißt, der Bischof ist jemand, der, gereift im evangelischen Leben und in der Nachahmung Jesu Christi, die anderen mitreißt und ihnen hilft, zur selben Reife zu gelangen. Oder genauer: jemand, der durch das Vorbild und das Zeugnis, durch Wort, Gebet und Sakrament den anderen die Fülle des Lebens in Christus mitteilt, die er in sich selbst zu bewahren versucht. Von ihnen erhofft man sich - Gott und die Kirche hoffen es! -, daß „sie darauf bedacht sind, die Heiligkeit der Kleriker, Ordensleute und Laien zu fördern“, wobei sie sich bewußt sind, daß sie dazu „gehalten sind, das Beispiel der Heiligkeit in Liebe, Demut und Einfachheit des Lebens zu geben“ (Christus Dominus, Nr. 15). In der Tat heiligen die Bischöfe ihre Herde nicht nur als Verwalter der Sakramente und Verkünder des geof-fenbarten Wortes, sondern auch durch ihr Beispiel und ihre Heiligkeit. Den Schritten des Guten Hirten folgend, müssen die Bischöfe mit Chri- 669 Reisen stus sagen: „Ich heilige mich für sie, damit sie in der Wahrheit geheiligt sind“ {Joh 17, 19). Gegenüber diesem Werk der Heiligung, das letzten Endes seine erhabenste Aufgabe ist, wird jeder Bischof einige grundsätzliche Fragen spüren, die sich in der Tiefe seines Herzens regen. Um zu wissen, ob sein Bild, das die Gläubigen am meisten beeindruckt, wirklich das eines gottesfürchtigen und sich aufopfernden, vom Evangelium durchdrungenen Gottesmannes ist, das auch ausstrahlende Wirkung hat. Ob er immer und in besonderer Weise Meister des Gebets, der Transparenz und Offenbarung des Angesichts Gottes für den Klerus seiner Diözese ist. Und in welchem Maße ist er und erscheint er als der Liturge seiner Diözese, der seinem Volk vorangeht in der Anbetung des Herrn, der den Gottesdienst in seiner Ortskirche durch Impulse anregt und leitet? Ich bin sicher, daß die größte Freude eines Bischofs der Kirche Jesu Christi, der sich um seine eigene Vollkommenheit bemüht, die ist, daß seine Kinder an Heiligkeit zunehmen. Das schrieb der Apostel Johannes am Ende seines Lebens. „Ich habe keine größere Freude, als zu hören, daß meine Kinder in der Wahrheit leben“ (3 Joh 4). Die bischöfliche Diakonia 4. „Jenes Amt aber, das der Herr den Hirten seines Volkes übertragen hat, ist ein wahres Dienen, weshalb er in der Heiligen Schrift bezeichnenderweise mit dem Wort,Diakonia, d. h. Dienst, benannt wird“, lesen wir wiederum in Lumen gentium (Nr. 24). Die Kirchenvälter, die großen Lehrmeister der Spiritualität, wie der hl. Johannes von Avila, Luis von Granada und viele andere, die wahren Theologen von gestern und heute, sie alle wußten die gehaltvolle Lehre Christi über den pastoralen Dienst aus dem Evangelium hervorzuholen: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen“ {Mt 20, 28 und 23, 11); „und wer bei euch der erste sein will, soll euer Sklave sein“ {Mt 20, 27). Das Konzil dringt in unseren Tagen wieder auf eben diese Berufung zum Geist des Dienstes. Es tut dies mit einem besonderen Ton, wenn es von den Bischöfen spricht. Wenn darum ein Bischof, der Licht für seinen Weg sucht, diese Texte liest und darüber nachdenkt, fühlt er sich dazu auf gefordert - in Einfachheit, Demut und innerer Freude -, an seine Weise, das bischöfliche Dienstamt zu erfüllen, zu denken. Das heißt, seine Mission als Bischof erfüllt sich, wenn er von einem wirklichen Verlangen inspiriert wird, den seiner Sorge anvertrauten Brüdern und Söhnen zu dienen. 670 Reisen Wenn seine konkreten Handlungen diesen Wunsch zum Ausdruck bringen. Wenn diejenigen, deren Bischof er ist, überzeugt sind, in ihm einen wirklichen Diener zu begegnen. Und er muß sich wenigstens im Grunde seines Herzens die ganz dringende Frage stellen: Ob er immer und unter allen Umständen seine Verantwortung als Lehrer und Hirte, so schwer sie auch sein mag, voll empfunden hat. Und ob er versucht, seine Autorität im Geiste des Dienens auszuüben, aber ohne auf die Wahrheit zu verzichten, obwohl das Opfer mit sich bringt. Lehrer und Verkündiger 5. „Unter den hauptsächlichsten Ämtern der Bischöfe hat die Verkündigung des Evangeliums einen hervorragenden Platz“ - so lesen wir wieder in Lumen gentium (Nr 25). Die Priorität, die der Verkündigungsaufgabe des Bischofs eingeräumt wird, ist ein Merkmal der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums. Denn die Bischöfe, fügt das Konzil hinzu, „sind Glaubensboten, die Christus neue Jünger zuführen; sie sind authentische, das heißt mit der Autorität Christi ausgerüstete Lehrer. Sie verkündigen dem ihnen anvertrauten Volk die Botschaft zum Glauben . . . Die Bischöfe, die in Gemeinschaft mit dem römischen Bischof lehren, sind von allen als Zeugen der göttlichen und kathoüschen Wahrheit zu verehren“ (ebd.). Das Volk Gottes braucht Bischöfe, die sich dieser Sendung bewußt und eifrig auf sie bedacht sind: Die Gläubigen, um in ihrem Glauben Fortschritte zu machen; die Zweifelnden oder Verirrten, damit sie wieder Festigkeit und Sicherheit finden; jene, die sich vielleicht entfernt und abgekehrt haben, damit sie sich wieder dem Herrn zuwenden und in seiner Nachfolge leben. Der Bischof muß diesen Dienst an der Wahrheit und am christlichen Glauben ohne alle Zweideutigkeit leisten. Ich freue mich daher, daß dieser Dienst am Glauben als vorrangiges Ziel eurer Bischofskonferenz in den nächsten Jahren zum Thema eurer letzten Vollversammlung gewählt wurde. In diesem Zusammenhang wird ein wichtiger Teil der Aufgabe des Bischofs heute darin bestehen, die Lehren des letzten Ökumenischen Konzils korrekt und ohne Abweichungen - durch Weglassung oder Übertreibung - anzuwenden. Er muß dabei auch den Weisungen Rechnung tragen, die von den seither veröffentlichten päpstlichen Dokumenten, vor allem von denjenigen geliefert wurden, die gleichsam die Frucht der Arbeiten jeder Bischofssynode bilden. Ohne Verklemmung, mit Gelassenheit, aber mit dem lebendigen Bewußt- 671 Reisen sein einer Pflicht, die mit der von Gott empfangenen und durch die sakramentale Weihe besiegelten Sendung verbunden ist, muß jeder Bischof innerlich die Frage an sich stellen, in welchen Handlungen diese Pflicht ihren Ausdruck findet: in der Aufmerksamkeit, dem Glaubensgeist, mit dem er das Wort Gottes verkündet; der Bedeutung, die er den Hirtenbriefen beimißt, indem er versucht, sie nicht nur gehaltvoll, sondern der Sprache des heutigen Menschen angepaßt, verständlich und anziehend zu verfassen; der Weise, wie er die sozialen Kommunikationsmittel einsetzt, damit sie wirklich zu Verbreitern seines menschlichen Wortes und zum Vermittler des Wortes Gottes werden; den Beziehungen, die er zu den Theologen unterhält, sei es, um sie zu ermutigen, sei es, falls notwendig, um ihnen bei der Berichtigung eventueller Abweichungen Hilfe zu leisten. Glücklich der Bischof, der in der aufrichtigen Beantwortung dieser Fragen, wenn schon nicht den Grund zu voller Zufriedenheit, so doch wenigstens Gründe zu innerer Gelassenheit gewinnen kann; Gelassenheit angesichts einer Pflicht, die er furchtlos, ohne sich entmutigen zu lassen und ohne Unterbrechung erfüllt hat. Ein wichtiger Bereich, in dem es gilt, euren Dienst am Glauben zu erfüllen, ist der der theologischen Forschung und der Lehre der geistlichen Wissenschaften. Ihr habt eine ernste Verantwortung, damit die Wahrheit der Lehre und ihre Weitergabe in Übereinstimmung mit dem kirchlichen Lehramt respektiert wird. Infolgedessen dürft ihr die Publikationen theologischer oder moralischer Art nicht vergessen, die so großen Einfluß auf den Glauben des Volkes ausüben. Ich weiß, daß ihr euch für die Erfüllung dieser Aufgabe verantwortlich fühlt. Ich weiß, daß ihr wachsam seid, um so die unverfälschte Lehre in der Katechese und in den für die Schulen bestimmten religiösen Texten zu gewährleisten. Laßt nicht nach in eurem Bemühen! Von dieser Sorge hängt zum guten Teil die christliche Bildung der Jugend und der Erwachsenen ab. Ich weiß, daß ihr aufgeschlossen seid für die Probleme, denen sich euer Volk gegenübersieht und die ihr gut kennt. Ich bitte Gott, daß euer pastoraler Eifer sich immer gedrängt fühlen möge, mit Glaubensklarheit -und unter Respektierung der berechtigten Selbständigkeit der zeitlichen Ordnung - den Fragen der Lehre und der Moral zu begegnen, denen sich in jedem Augenblick der Geschichte die Gläubigen gegenübergestellt sehen müssen. Denn die Christen können nicht in dem Moment, wo sie am Aufbau der irdischen Stadt mitarbeiten, ihren Glauben beiseite lassen. Sie müssen auf seine Stimme hören, die mit den Werten, an die sie glauben, überein- 672 Reisen stimmt und die Überzeugungen der anderen achtet. Man denke nur an die Verteidigung und den Schutz des Lebens vom Augenblick der Empfängnis an, an die Stabilität der Ehe und der Familie, an die Lehrfreiheit und das Recht auf Religionsunterricht in den Schulen, an die Förderung der Werte, die dem öffentlichen Leben ethische Normen geben, und die Einführung der Gerechtigkeit in den Arbeitsbeziehungen. Das sind - unter anderem - äußerst wichtige Bereiche, die ihr Bischöfe mit dem christlichen Licht erleuchten müßt. Denn überall dort, wo der Mensch Schmerz, Ungerechtigkeit, Armut und Gewalt erleidet, dort muß die Stimme der Kirche sein mit ihrer wachsamen Liebe und dem tätigen Einsatz der Christen. Im Dienst der Einheit 6. Jeder Bischof ist in seiner Teilkirche - wie Lumen gentium sagt -„sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit“ (Nr. 23). Das ist der erste unter den wesentlichen Zügen des Erscheinungsbildes des Bischofs, den das Konzil besonders betonte. Und es befindet sich damit in voller Übereinstimmung mit seiner Ekklesiologie. Denn wenn es stimmt, daß die Kirche das Sakrament der Gemeinschaft ist, dann muß der Bischof natürlich vor allem Diener, Befürworter, Förderer und Verteidiger der Einheit in der Kirche sein. Dieser demütige und beharrliche Dienst an der Gemeinschaft ist ohne jeden Zweifel sehr anspruchsvoll und schwierig, jedoch auch sehr wertvoll und unerläßlich. Denn er ist Dienst an einer wesentlichen Dimension der Kirche und ihrer Sendung in der Welt. Diese Gemeinschaft ist nicht bloß Übereinstimmung in statistisch nachweisbaren Tatsachen, sondern vor allem Einheit und Verbundenheit in Christus und in seiner Lehre: im Glauben und in der Moral, in den Sakramenten, im Gehorsam gegenüber der Hierarchie, in den allgemeinen Mitteln der Heiligkeit und in den großen Regeln der Disziplin, ganz nach dem bekannten Prinzip des hl. Augustinus: „in necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus caritas“ (in notwendigen Dingen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem Liebe). Diese tiefe Einheit wird euch darüber hinaus ermöglichen, den vereinten Gebrauch der Kräfte zu intensivieren, damit die Priester, die Ordensleute, die Mitglieder von Säkularinstituten, die apostolischen Gruppen und die kleinen Gemeinschaften stets untereinander verbunden und mit klarem Bewußtsein der Koordinierung der Kräfte handeln, wie sie eine gute 673 Reisen Entwicklung der Ortskirchen verlangt; damit diese sich - ohne deshalb die Sorge um ihre je besondere Problematik aufzugeben - niemals in sich selbst verschließen noch bei sich die universale Perspektive der Kirche aus dem Blick verlieren. Doch vor allem wird sie euch zur notwendigen Eintracht in den Bereichen führen müssen, die heute der Uneinigkeit am meisten ausgesetzt sind: in der Verkündigung bezüglich der Familienmoral, in der notwendigen Einhaltung der liturgischen Richtlinien, die die Feier der heiligen Messe, den eucharistischen Gottesdienst oder die Verwaltung der Sakramente regeln. In diesem Zusammenhang möchte ich an die korrekte Anwendung der auf die Generalabsolution bezüglichen Regelungen hinweisen, damit Mißbräuche, die sich hier einschleichen können, vermieden werden. Wir, die wir vom Herrn als Gewährsmänner für die kirchliche Gemeinschaft eingesetzt wurden, können nicht umhin, uns täglich darüber zu befragen, wie wir diesen Auftrag leben und ausüben, das heißt: Ob wir uns immer lebendig unserer Pflicht bewußt sind, Baumeister der Einheit zu sein. Ob wir uns Rechenschaft darüber geben, daß die Einheit bewahren - und bisweilen inmitten von Konflkiten - nicht heißt, die in Zwist geratenen Parteien geschickt zu beschwichtigen, sondern Einheit bedeutet, diese auf den Wegen des Evangeliums zur Versöhnung, zum gegenseitigen Verständnis und schließlich zur erneuerten Gemeinschaft zurückzuführen als Frucht einer vielleicht schwierigen Suche nach der Wahrheit in der Liebe. Ob wir versuchen, mit dem notwendigen Sinn für Gleichgewicht jenseits der Parteien zu stehen, ohne daß das aber bequeme Neutralität bedeuten würde, um die einen wie die anderen für das eine, wahre Prinzip der kirchlichen Einheit gewinnen zu können. Ob wir es fertigbringen, geduldig und langmütig, beharrlich und opferbereit bei der Suche nach der Einheit zu sein. Opferbereite und wachsame Hirten 7. Unter den vielen erhellenden Worten des Konzils an die Bischöfe möchte ich es nicht unterlassen, mit euch die folgenden zu lesen: „Der Bischof, der vom Hausvater gesandt ist, seine Familie zu lenken, soll sich das Beispiel des guten Hirten vor Augen halten, der nicht gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen . . . Aus den Menschen genommen und mit Schwachheit behaftet, kann er mitleiden mit denen, die in Unwissenheit und Irrtum sind . . . Da er für ihre Seelen Gott wird Rechenschaft ablegen müssen, soll er für sie durch Gebet, Predigt und jederlei Liebeswerk Sorge tragen“ {Lumen gentium, Nr. 27). 674 Reisen Es ist sehr bezeichnend, daß das Konzil den Bischof durch Verbindung zweier verwandter Begriffe Vater und Hirte nennt. Denn in der Tat muß er seinen Gläubigen mit der Liebe des Vaters und der Sorge des Hirten vorangehen. Um die Wege anzuzeigen, den Gefahren zuvorzukommen und die Gläubigen vor einem Hinterhalt zu schützen. In diesem Geist wird er versuchen, so weit das möglich ist, jeden von denen, die ihm anvertraut sind, kennenzulernen, und sich bemühen, alle zu einer immer aktiveren und persönlichen Teilnahme am Leben der Teilkirche zu führen. Wenn der Bischof, um Gott für seine Berufung zum Hirtendienst zu danken oder um dieser Berufung noch treuer zu sein, sein Leben und Wirken einer Überprüfung unterzieht, wird er die Fragen an sich richten müssen, die sein Bemühen um Treue gegenüber dem, der ihn berufen hat und um Hingabe gegenüber denen, die ihm anvertraut wurden, am besten widerspiegeln. Um sich zu vergewissern, daß er für diejenigen, die der Vater ihm anvertraut hat, immer ein väterliches Herz hat; daß er stets die Autorität, die ihm von Gott zukommt, mit Güte, Milde und Mitgefühl verbindet; daß er, wie es sich gebührt, seine Sendung als Vater und Hirte zusammen mit den Priestern, Ordensleuten, Laien, Männern und Frauen, Alten und Jungen, Gebildeten und Ungebildeten, Reichen und Armen ausübt; daß er sich durch einen innigen Kontakt mit dem Guten Hirten darum bemüht, seinen Hirtengeist zu erneuern, indem er neue Initiativen vorbereitet, und in den Fähigkeiten zu wachsen, die von dem verlangt werden, der nicht seine Herde, sondern die Jesu Christi weidet. Liebe Brüder! Während wir im brüderlichem Zusammensein Betrachtungen anstellen und uns über unsere gemeinsame Berufung in der Kirche und in der Welt befragen, kann ich nicht umhin, Gott für euren Eifer in dieser Richtung zu danken. Und zugleich bitte ich den Hohenpriester Jesus, euch reiche Gnaden zu gewähren, die euch bei eurem selbstlosen Dienst und in eurer tiefen Liebe zur Kirche unterstützen sollen. Euer Land, das eine gesellschaftliche und kulturelle Umwandlung größten Ausmaßes durchmacht und nach neuen Wegen des Fortschritts sucht, das die Gerechtigkeit und den Frieden wünscht, das wie die anderen die Gefahr eines Verlustes seiner Identität fürchtet, dieses Land und vor allem die Kirche, die sich in ihm auf dem Pilgerweg zum Vater befindet, werden Gott unendlich dankbar sein, wenn sie in euch stets solche Lehrer, Leiter, Hirten und geistliche Führer antreffen, wie sie das Konzil gezeichnet hat. 675 Reisen 8. Meine Brüder! Wir müssen diese Begegnung beenden. Und ich tue das mit einem nachhaltigen Appell zur Hoffnung. Der Hoffnung, die meine erste Botschaft an die Kirche in Spanien sein soll. Denn - laßt es mich sagen - trotz der Kontraste, der Schatten und der Höhen und Tiefen des Augenblicks habe ich Vertrauen und setze große Hoffnung in die Kirche in Spanien. Ich vertraue auf euch, eure Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen. Ich habe Vertrauen in die Jugend und in die Familien, deren christliche Tugenden wie in der Vergangenheit Quelle von Berufungen sein müssen. Eine Kirche, die imstande ist, der Welt eine Geschichte wie die eure und -am selben Tag - die Heiligsprechung so einzigartiger, universaler Männer und Frauen, wie Theresia von Jesus, Ignatius von Loyola und Franz Xaver (mit vielen anderen vorher und nachher) zu bieten, hat ihren geistlichen und kirchlichen Reichtum noch nicht erschöpft. Beweis für die Kontinuität ist die kommende Seligsprechung von Schwester Angela vom Kreuz. In diesem Vertrauen ermutige ich euch, weiterhin eure Herde zu weiden, wie ihr es in besonderen Augenblicken getan habt; ihr immer mit dem Beispiel voranzugehen, um ihr unter allen Umständen Sicherheit und neuen Mut zu geben. 9. Ein besonderer Grund zur Hoffnung ist für mich die gesunde Verehrung, die dieses Volk mit seinen Bischöfen an der Spitze privat und öffentlich der Mutter Gottes und unserer Mutter entgegenbringt. Ihr gehört zu einem Land, das immer mit Glauben, Wissen und Frömmigkeit die Herrlichkeit Mariens zu verteidigen wußte: von ihrer unbefleckten Empfängnis bis zu ihrer glorreichen leiblichen Aufnahme in den Himmel, im Festhalten an ihrer immerwährenden Jungfräulichkeit. Vergebt diesen ganz wesentlichen Zug nicht! Solange das euer charakteristisches Merkmal ist, seid ihr in guten Händen. Ihr habt nichts zu fürchten. Jesus, das vollkommene Vorbild der Bischöfe, Sohn Mariens, möge euch immer beistehen. In seinem Namen segne ich euch von Herzen. 676 Reisen Die Welt braucht euer Zeugnis Ansprache an die Klausumonnen in Avila am 1. November 1. Ich komme als Pilger auf den Pfaden der hl. Theresia von Jesus mit großer Befriedigung und Freude nach Avila. In dieser Stadt befinden sich so viele Erinnerungen an sie, wie z. B. das Kloster San Jose, einer der ersten von ihr gegründeten „Taubenschläge“, und dieses Kloster der Menschwerdung, wo die hl. Theresia den Karmelitinnenhabit nahm, wo sie ihre Gelübde ablegte, wo sie ihre entscheidende „Bekehrung“ und ihre Ganzhingabe an Christus erfuhr. Man kann gut sagen, daß dieses Kloster hier das Heiligtum des kontemplativen Lebens ist, Ort großer mystischer Erfahrungen und strahlendes Zentrum klösterlicher Gründungen. Ich freue mich deshalb, daß ich mich hier mit euch spanischen Ordensschwestern treffen kann, die ihr die verschiedenen kontemplativen Familien, die die Kirche bereichern, repräsentiert: Benediktinerinnen, Zister-zienserinnen, Dominikanerinnen, Klarissen, Kapuzinerinnen, Konzeptio-nistinnen neben Karmelitinnen. Das heutige Ereignis zeigt, wie die verschiedenen Wege und Charismen des Geistes sich in der Kirche ergänzen. Dies ist eine einzigartige Erfahrung für die Klöster und Konvente, die ihre Tore geöffnet haben, um nach Avila zu pilgern, um mit dem Papst die hl. Theresia, diese äußerordentliche Frau und Kirchenlehrerin, die aber dennoch - wie mein Vorgänger Paul VI. sagte - „völlig umgeben ist von Demut, Buße und Schlichtheit“ (Predigt, 27. 9. 1970), zu ehren. Ich danke Gott für dieses Zeichen kirchlicher Einheit, dafür, daß ich diese ausgedehnte Reise verwirklichen kann, eine Reise zu dem, was vor meinen Augen wie das große Kloster Spaniens erscheint, und das seid ihr. 2. Das beschauüche Leben hat einen Ehrenplatz in der Kirche eingenommen und wird ihn auch weiterhin einnehmen. Es ist dem Gebet und der Stille gewidmet, der Anbetung und der Buße in der Klausur, „euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott“ (Kol 3, 3). Euer geweihtes Leben entfaltet sich auf dem Fundament der Taufgnade. In der Tat, durch dieses Sakrament befreite uns Gott, der uns in Christus erwählte, „vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott“ (Eph 1, 4), von der Sünde, und er nahm uns in Christus und in seine Kirche auf, damit wir „als neue Menschen leben“ (Röm 6, 4). Dieses neue Leben hat in euch durch die radikale Nachfolge Jesu Christi 677 Reisen Früchte getragen, durch die Jungfräulichkeit, den Gehorsam und die Armut, die die Grundlage des kontemplativen Lebens sind. Es ist der Mittelpunkt eures Lebens, der Grund eurer Existenz: „O, mein Jesus, du allerhöchstes Gut!“ {Leben, 21, 5), wie es die hl. Theresia zusammenfaßte. Die Erfahrung des Klosters macht diese Nachfolge noch absoluter bis hin zur Gleichsetzung des Ordenslebens mit Christus: „Unser Leben sei Christus“ {Seelenburg, 2, 4), sagte die hl. Theresia und machte so die Ermahnungen des hl. Paulus zu den ihrigen (vgl. Kol 3, 3). Dieses Sichver-schenken der Ordensfrau in Christus bildet den Mittelpunkt des geweihten Lebens und charakterisiert sie als kontemplativ. In der Stille, im Rahmen eines demütigen und gehorsamen Lebens verwandelt sich das wachsame Warten auf den Bräutigam in reine und echte Freundschaft: „Obgleich er der Herr ist, kann ich doch mit ihm umgehen wie mit einem Freund“ {Leben, 37, 5). Und dieser beharrliche Umgang, Tag und Nacht, ist das Gebet, vornehmliche Beschäftigung der Ordensfrau und unumgänglicher Weg für ihre Identifikation mit dem Herrn: „Ich rede jetzt von solchen, die anfangen, sich in den Dienst der Liebe zu begeben; denn nichts anderes tun wir nach meiner Ansicht, wenn wir uns entschließen, auf dem Weg des Gebetes dem zu folgen, der uns so sehr geliebt hat“ {Leben, 11, 1). 3. Die Kirche weiß sehr genau, daß euer stilles und abgeschiedenes Leben in der äußeren Abgeschiedenheit des Klosters der Sauerteig der Erneuerung und der Anwesenheit des Geistes Christi in der Welt ist. Deshalb sagte das Konzil von den kontemplativen Ordensfrauen, daß sie „im mystischen Leib Christi. . . immer eine hervorragende Stelle einnehmen. Sie bringen Gott ein erhabenes Lobopfer dar und schenken dem Volk Gottes durch überreiche Früchte der Heiligkeit Licht, eifern es durch ihr Beispiel an und lassen es in geheimnisvoller apostolischer Fruchtbarkeit wachsen. So sind sie eine Zier der Kirche und verströmen himmlische Gnaden“ {Perfectae caritatis, Nr. 7). Diese apostolische Fruchtbarkeit eures Lebens kommt von der Gnade Christi, der eure ganze Hingabe im Kloster ausmacht. Der Herr, der euch erwählte, indem er euch in sein österliches Geheimnis einbezog, vereint euch mit sich selbst in dem Werk der Heiligung der Welt. Wie Reben am Weinstock Christi könnt ihr viele Früchte (vgl. Joh 15, 5) der bewundernswerten und geheimnisvollen Wirklichkeit der Gemeinschaft der Heiligen tragen. Dies muß die Perspektive des Glaubens und der kirchlichen Freude sein, 678 Reisen an jedem Tag und bei jedem eurer Werke. In euren Gebeten und Nachtwachen, in eurem Loblied im Gottesdienst, in eurem Leben in der Klosterzelle oder in der Arbeit, in euren vorgeschriebenen oder freiwilligen Kasteiungen, in eurer Krankheit und in euren Leiden alles verbindet ihr mit dem Opfer Christi. Für Ihn, mit Ihm und in Ihm werdet ihr Opfergabe des Lobes und Heiligung der Welt sein. „Damit ihr darüber keinerlei Zweifel habt“, so sagte ich damals zu euren Schwestern im Karmel von Lisieux, „hat die Kirche im Namen Christi selbst eines Tages von all euren Lebens- und Lebenskräften Besitz ergriffen. Das geschah bei eurer Ordensprofeß. Erneuert sie oft! Weiht euch und opfert euch nach dem Beispiel der Heiligen immer mehr, ohne auch nur wissen zu wollen, wie Gott eure Mitarbeit nützt“ (Ansprache an die Klausurschwestern, Lisieux, 2. Juni 1980). Euer Leben in der Klausur, in vollkommener Treue, entfernt euch nicht von der Kirche und ist auch kein Hindernis für ein wirksames Apostolat. Erinnert euch an die geistliche Tochter der Theresia von Jesus, an Theresia von Lisieux, die von ihrer Klausur aus den Missionen und den Missionaren so nahe war. Seid wie sie die Liebe im Herzen der Kirche. 4. Eure jungfräuliche Fruchtbarkeit muß in der Weltkirche und in euren Teilkirchen Leben werden. Eure Klöster sind Gemeinschaften des Gebetes inmitten der christlichen Gemeinden, denen sie Unterstützung, Kraft und Hoffnung geben. Sie sind geheiligte Orte, und sie könnten auch christliche Aufnahmezentren für jene Menschen sein, die öfter ein einfaches und klares Leben suchen, im Gegensatz zu dem Leben, das ihnen die Konsumgesellschaft bietet. Die Welt braucht - mehr als man manchmal glaubt - eure Gegenwart und euer Zeugnis. Deshalb ist es notwendig, einer Welt, die häufig die relativen Werte des Lebens hervorhebt, die authentischen und absoluten Werte des Evangeliums zu zeigen. Diese Welt setzt sich der Gefahr aus, den Sinn für das Göttliche zu verlieren, weil sie erstickt wird von der übertriebenen Wertschätzung des Materiellen, des Vergänglichen, der Dinge, die die Freude des Geistes nicht kennen. Es handelt sich darum, diese Welt der Botschaft des Evangeliums zu öffnen, die euer Leben umfaßt und die in den Worten der Theresia von Jesus widerhallt: „Geht also fort, Güter dieser Welt, . . . auch wenn alles verloren ist, Gott allein genügt“ (Gedichte, 30). 5. Wenn ich heute so viele Klausurschwestern betrachte, kann ich nicht umhin, an die große klösterliche spanische Tradition zu denken, an ihren 679 Reisen Einfluß auf die Kultur, auf die Sitten und Gebräuche, auf das spanische Leben. Ist es nicht hier, wo sich die moralische Kraft finden läßt und der ständige Bezug zum Geist der Spanier? Der Papst ruft euch heute dazu auf, euer geweihtes Leben weiterhin durch die liturgische, biblische und geistliche Erneuerung zu pflegen, den Leitlinien des Konzils folgend. Alles das verlangt eine ständige Formung, die euer geistliches Leben bereichert und ihm ein gesichertes Fundament der Lehre, der Theologie und der Kultur gibt. Auf diese Weise könnt ihr die Antwort des Evangeliums geben, die so viele Jugendliche in unserer Zeit erhoffen, die sich auch heute euren Klöstern nähern, angezogen durch ein Leben der hochherzigen Hingabe an den Herrn. In dieser Hinsicht möchte ich einen Appell an die christlichen Gemeinschaften und ihre Hirten ergehen lassen und sie an den unersetzbaren Stellenwert erinnern, den das beschauliche Leben in der Kirche einnimmt. Wir müssen alle die Hingabe der beschaulichen Seelen an das Gebet, das Lob und das Opfer hoch bewerten und zutiefst schätzen. Sie sind in der Kirche sehr wichtig. Sie sind Propheten und lebendige Lehrerinnen für alle; sie sind die Vorhut der Kirche auf dem Weg zum Gottesreich. Ihre Haltung gegenüber den Realitäten dieser Welt, die sie mit der Weisheit des Geistes betrachten, erleuchtet uns hinsichtlich der entscheidenden Werte und läßt uns den Lohn der Erlöserliebe Gottes fühlen. Ich ermuntere also alle dazu, unter den jungen Mädchen die Neigung zum klösterlichen Leben zu wecken mit der Gewißheit, daß diese Neigungen das ganze Leben der Kirche bereichern werden. 6. Wir müssen diese Begegnung schließen, obwohl es für den Papst so angenehm ist, mit den treuen Töchtern der Kirche zusammenzusein. Ich schließe mit einem Wort der Ermutigung: Bewahrt euren Glauben! Den Glauben an Christus, an eure Berufung zur Kontemplation, an euer Gründercharisma. Töchter des Karmel, seid lebendige Abbilder eurer Mutter Theresia, ihrer Spiritualität und ihrer Menschlichkeit. Seid wirklich das, was sie war und wie sie sich gern nannte - und wie ich möchte, daß man sie nenne. Theresia von Jesus. All ihr beschaulichen Ordensfrauen! Man möge auch an euch eure Gründer und Gründerinnen erkennen. Lebt mit Freude und Stolz eure kirchliche Berufung, betet füreinander und helft einander, betet um die Neigung zum Ordensberuf, für die Priester und die Priesterberufe. Und betet auch für die Fruchtbarkeit des Amtes des Nachfolgers Petri, der zu euch spricht. 680 Reisen Ich weiß, daß ihr das tut, und ich bedanke mich lebhaft dafür. Ich empfehle eure Personen und eure Meinungen dem Herrn, und ich vertraue euch der seligsten Mutter, dem Vorbild aller beschaulichen Seelen, an, damit sie aus euch durch das Kreuz und die Herrlichkeit ihres Sohnes eine freudige Gabe an die Kirche mache. Überbringt meinen freundschaftlichen Gruß euren Schwestern, die nicht nach Avila kommen konnten. Ich segne euch alle mit Liebe im Namen Christi. Alles erinnert an die hl. Theresia Predigt bei der Messe in Avila am 1. November Ehrwürdige Brüder im Bischofsamt, liebe Brüder und Schwestern! 1. „Daher betete ich, und mir wurde Klugheit gegeben. Ich flehte, und der Geist der Weisheit kam zu mir . . . Ich liebte sie mehr als Gesundheit und Schönheit. . . Mit ihr kam alles Gute zu mir, unzählbare Reichtümer waren in ihren Händen. Ich freute mich über sie alle, weil die Weisheit lehrt, sie richtig zu gebrauchen“ ( Weish 7, 7.10-12). Ich bin heute nach Avila gekommen, um die Weisheit Gottes anzubeten. Am Ende dieser 400-Jahr-Feier des Todes der hl. Theresia von Jesus, der von der göttlichen Weisheit einzigartig geliebten Tochter. Ich möchte die Weisheit Gottes anbeten, gemeinsam mit dem Hirten dieser Diözese, mit allen Bischöfen Spaniens, mit den Autoritäten aus Avila und Alba de Tormes unter dem Vorsitz Ihrer Majestäten und der Mitglieder der Regierung, mit allen Söhnen und Töchtern der Heiligen und mit dem ganzen Volk Gottes, das an diesem Allerheiligenfest hier versammelt ist. Theresia von Jesus ist der Bach, der zur Quelle führt, der Glanz, der zum Licht weist. Und ihr Licht ist Christus, der „Lehrer der Weisheit“ (vgl. Weg der Vollkommenheit, 21, 4), das „lebendige Buch“, in dem sie die Wahrheiten lernte (vgl. Leben, 26, 5); es ist dieses „Licht des Himmels“, der Geist der Weisheit, den sie anrief, damit er in ihrem Namen spreche und ihre Feder führe (vgl. Seelenburg, IV, 1, 1; V, 1,1 und 4,1). Laßt uns unsere Stimme mit ihrem ewigen Lobgesang der göttlichen Barmherzigkeit vereinigen (vgl. Ps 89, 2; vgl. Leben, 14, 10-12), um diesem Gott zu danken, der „die Weisheit selbst“ ist ( Weg der Vollkommenheit, 22, 6). 681 Reisen 2. Es freut mich, das in diesem Avila der hl. Theresia tun zu können, das die Geburt dieser Jungfrau von Kastilien erlebte und die innigsten Erinnerungen an sie bewahrt. Eine durch ihre Mauern und Türme, Kirchen und Klöster berühmte Stadt, die in ihrem architektonischen Komplex plastisch die innere und leuchtende Burg ins Gedächtnis ruft, die die Seele des Gerechten ist und in deren Mittelpunkt Gott seine Wohnung hat (vgl. Seelenburg, I, 1, 1.3). Ein Bildnis der Stadt Gottes, mit ihren Toren und Mauern, erleuchtet vom Licht des göttlichen Lammes (vgl. Offb 21, 11-14.23). Alles in dieser Stadt erinnert an ihre auserwählte Tochter, „la Santa“: der Ort ihrer Geburt und ihres Vaterhauses; die Kirche, in der sie getauft wurde; die Kathedrale mit dem Bildnis der Jungfrau der Barmherzigkeit, die ihre frühe Gottesweihe annahm (vgl. Leben, 1, 7); das Kloster der Menschwerdung, das ihre religiöse Berufung annahm und wo sie den Höhepunkt ihrer mystischen Erfahrung erreichte; San Jose, der erste theresianische „Taubenschlag“, von wo sie als „Wanderin Gottes“ auszog, um in ganz Spanien Klöster zu gründen. Auch hier möchte ich noch einmal mehr meine Hingabe an die Heiligen des Karmel, die auf dieser Erde geboren sind, nämlich Theresia von Jesus und Johannes vom Kreuz, bekräftigen. In ihnen bewundere und verehre ich nicht nur die geistlichen Lehrer meines Seelenlebens, sondern auch zwei helle Leuchtfeuer der Kirche Spaniens, die mit ihrer geistlichen Lehre die Pfade meines Vaterlandes Polen erleuchtet haben, seit am Anfang des 17. Jahrhunderts die ersten Söhne des theresianischen Karmel nach Krakau kamen. Der von der göttlichen Vorsehung bestimmte Umstand der Schlußfeier des 400. Jahrestages des Todes der hl. Theresia hat mir erlaubt, diese von mir schon lange gewünschte Reise zu verwirklichen. 3. Ich möchte bei dieser Gelegenheit die Worte wiederholen, die ich zu Beginn dieser Jahrhundertfeier schrieb: „Die hl. Theresia lebt, ihre Stimme erklingt auch heute noch in der Kirche“ (Ep. Virtutis exemplum et magistra: LXXIII, 1981, S. 699). Die Feiern dieses Jubiläumsjahres, hier in Spanien und in der ganzen Welt, haben meine Voraussage bestätigt. Theresia von Jesus, erste Kirchenlehrerin der Weltkirche, hat sich zum lebendigen Wort über Gott gemacht, hat zur Freundschaft mit Christus eingeladen, hat neue Wege des Glaubens und des Dienstes an der heiligen Mutter Kirche geöffnet. Ich weiß, daß sie bis in die Herzen der Bischöfe und Priester vorgedrungen ist, um in ihnen die Wünsche nach Weisheit und Heiligkeit zu erneuern, um „Licht der Kirche“ (vgl. Seelenburg, V, 682 Reisen I, 7) zu sein. Sie hat die Ordensmänner und -frauen ermahnt, „sich in den Dienst der Liebe zu stellen“ {Leben, 11, 1). Sie hat die Erfahrung der Laien mit ihrer Lehre vom Gebet und von der Nächstenliebe erleuchtet, dem universellen Weg der Heiligkeit; denn das Gebet, wie das christliche Leben, besteht nicht „im vielen Denken, sondern im vielen Lieben“, und „alle Seelen sind fähig . . ., Gott zu lieben“ (vgl. Seelenburg, IV, 1, 7 und Gründungen, 5, 2). Ihre Stimme ist auch außerhalb der katholischen Kirche erklungen, sie hat Sympathien auf ökumenischer Ebene hervorgerufen und hat Brücken des Dialogs zu den geistlichen Schätzen anderer religiöser Kulturen geschlagen. Es freut mich insbesondere zu wissen, daß das Wort der hl. Theresia von der Jugend mit Begeisterung aufgenommen wurde. Sie haben sich die fesselnde Losung der Theresia zu eigen gemacht, die ich der Jugend Spaniens als Botschaft anbieten möchte: „Diese Zeiten erheischen starke Gottesfreunde . . .“ {Leben, 15, 5). Für dies alles möchte ich dem spanischen Episkopat, der diese kirchliche Erneuerung vorbereitet hat, meinen Dank ausdrücken. Ich erkenne auch mit Dank die Bemühung der „Junta Nacional del Centenario“ und der Delegationen aus den Diözesen an. Allen, die an der Verwirklichung der Ziele dieser Jahrhundertfeier mitgearbeitet haben, gilt der Dank des Papstes, der der Dank im Namen der Kirche ist. 4. Die Worte des Responsoriums rufen das große Gründungsunternehmen der hl. Theresia ins Gedächtnis zurück: „Wohl denen, die wohnen in deinem Haus, die dich allzeit loben . . . Denn ein einziger Tag in den Vorhöfen deines Heiligtums ist besser als tausend andere ... Er schenkt Gnade und Herrlichkeit; der Herr versagt denen, die rechtschaffen sind, keine Gabe. Herr der Heerscharen, wohl dem, der dir vertraut!“ {Ps 84, 5, 11-13). Hier in Avila erfüllte sich mit der Gründung des Klosters San Jose, dem weitere 16 Gründungen von ihr folgten, ein Plan Gottes für das Leben der Kirche. Theresia von Jesus war das von der göttlichen Vorsehung bestimmte Werkzeug, die Bewahrerin eines neuen Charismas des beschaulichen Lebens, das so viel Früchte tragen sollte. Jedes Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen soll „Winkel Gottes“, „Wohnung“ seines Ruhmes und „Paradies der Freude“ (vgl. Leben, 32, II, 35, 12) sein. Es soll die Oase unseres beschaulichen Lebens sein, „ein kleiner Taubenschlag Unserer Lieben Frau“ (vgl. Gründungen, 4, 5), wo man in Fülle das Geheimnis der Kirche, der Braut Christi, lebt mit dem für das theresianische Erbe charakteristischen Ton der Strenge und der 683 Reisen Freude. Und wo der apostolische Dienst am mystischen Leib nach den Wünschen und Losungen der Gründerin sich immer in einer Erfahrung des Opfers und der Einheit ausdrücken kann: „Alle bringen sich Gott einmütig zum Opfer dar“ {Leben, 39, 10). In Treue zu den Anforderungen des beschaulichen Lebens, an die ich kürzlich in meinem Brief an die Unbeschuhten Karmelitinnen erinnert habe, werden sie immer die Ehre der Braut Christi sein, in der Weltkirche und in den einzelnen Kirchen, wo sie als Heiligtümer des Gebetes anwesend sind. Das gleiche gilt auch für die Söhne der hl. Theresia, für die Unbeschuhten Karmeliten, Erben ihres kontemplativen und apostolischen Geistes, Bewahrer des missionarischen Eifers der Gründerin. Möge diese Jahrhundertfeier auch in euch den Vorsatz der Treue auf dem Weg des Gebets und des fruchtbaren Apostolats in der Kirche stärken, um die Botschaft der hl. Theresia von Jesus und des hl. Johannes vom Kreuz immer lebendig zu halten. „ . . . einen Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht“ 5. Die Worte des hl. Paulus, die wir in der zweiten Lesung dieser Eucharistiefeier gehört haben, führen uns in die Tiefe des christlichen Gebets, aus der die Erfahrung Gottes und die kirchliche Botschaft der hl. Theresia hervorwächst. Wir haben nicht „. . . einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so daß ihr euch immer noch fürchten müßtet, sondern den Geist, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater! Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden“ {Rom 8, 15.17). Die Lehre der Theresia von Jesus befindet sich in vollkommener Übereinstimmung mit der Theologie des Gebetes, die der hl. Apostel Paulus, mit dem sie sich so tief identifizierte, vorstellt. Indem sie dem Lehrer des Gebetes folgte, in vollem Gleichklang mit den Vätern der Kirche, wollte sie durch eine Kommentierung des Vaterunser die Geheimnisse des Gebetes aufzeigen. In dem ersten Wort „Vater“ entdeckte die Heilige den Reichtum, den uns Jesus Christus, Lehrer und Vorbild des Gebetes, anvertraut (vgl. Weg der Vollkommenheit, 26, 10; 27, 1, 2). Im kindlichen Gebet des Christen findet man die Möglichkeit, einen Dialog mit der Dreifaltigkeit zu beginnen, die in der Seele dessen, der im Stand der Gnade lebt, wohnt, so wie es die Heilige oftmals erfuhr (vgl. Joh 14, 23; vgl. Seelenburg, VII, 1, 6): „. . . zwischen einem solchen Sohne und einem solchen Vater“, so schreibt sie, muß „notwendig auch der Heilige Geist 684 Reisen sein, und dieser entflamme euren Willen zur Gegenliebe und fessle euch mit den Banden innigster Liebe . . ( Weg der Vollkommenheit, 27, 8). Das ist die kindliche Treue der Christen: Gott wie einen Vater anrufen zu können, sich durch den Geist leiten zu lassen, um so ganz Kinder Gottes zu sein. 6. Durch das Gebet hat Theresia Christus gesucht und gefunden. Sie hat ihn durch die Worte des Evangeliums gesucht, die schon seit ihrer Jugend „mit solcher Kraft in meinem Herzen wirkten“ {Leben, 3, 5); sie hat ihn gefunden und betrachtete ihn als „in ihr gegenwärtig“ (vgl. Leben, 4, 7); sie hat gelernt, ihn mit Liebe in den Bildnissen des Herrn, denen sie so ergeben war, zu betrachten (vgl. Leben, 7, 2; 22, 4); mit dieser Bibel der Armen - den Bildern - und mit dieser Bibel des Herzens - der Wortmeditation - ist es ihr gelungen, innerlich die Szenen des Evangeliums erneut zu erleben und sich dem Herrn mit unermeßlichem Vertrauen zu nähern. Wie oft hat die hl. Theresia über jene Begebenheiten nachgesonnen, die von den Worten Jesu an die Frauen berichten! Welch freudvolle innere Freiheit, in Zeiten einer betonten Frauenfeindlichkeit, hat ihr dieses freundliche Verhalten des Meisters zu Magdalena, Martha, Maria von Betamen, mit der Kananäerin und der Samariterin, mit diesen Frauengestalten, die die Heilige so oft in ihren Schriften erwähnt, geschenkt. Es besteht kein Zweifel, daß Theresia die Würde der Frau und ihren angemessenen Dienst in der Kirche von dieser evangelischen Perspektive aus verteidigen konnte: „Hast du ja auch, o Herr, als du noch auf Erden wandeltest, die Frauen nicht verachtet, sondern immer mit großem Erbarmen ihnen deine Huld erwiesen“ (Weg, Autograph im Escorial, 3, 7). Die Szene von Jesus mit der Samariterin am Brunnen von Sichar, an die wir uns durch das Evangelium erinnert haben, ist bedeutsam. Der Herr verspricht der Samariterin das lebendige Wasser: „Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt“ {Joh 4, 13-14). Unter den heiligen Frauen der Kirchengeschichte ist Theresia von Jesus ohne Zweifel diejenige, die Christus mit der größten Inbrunst des Herzens geantwortet hat: „Gib mir von diesem Wasser! Sie selbst bestätigt uns das, wenn sie sich an die ersten Begegnungen mit dem Christus des Evangeliums erinnert: „O, wie oft denke ich an jenes lebendige Wasser, von dem der Herr zur samaritanischen Frau sprach! Ich habe darum dieses Evangelium besonders lieb“ {Leben, 30, 17). Theresia von Jesus lädt nun, wie 685 Reisen eine neue Samariterin, alle' ein, sich Christus zu nähern, der der Quell allen lebendigen Wassers ist. Jesus Christus, der Erlöser des Menschen, war das Vorbild der Theresia. In Ihm fand die Heilige den Glanz seiner Göttlichkeit und die Milde seiner Menschlichkeit: „Es ist also wichtig, daß wir, solange wir leben und Menschen sind, den Herrn als Menschen vor Augen haben“ {Leben, 22, 9); sie sah, daß er, obgleich Gott, doch auch Mensch war, der sich nicht über die Fehler der Menschen verwundert. Welche Weite der Vertraulichkeit enthüllt uns Theresia in der Menschlichkeit Christi! Mit welcher Genauigkeit bestärkt sie den Glauben der Kirche an Christus, den wahren Gott und wahren Menschen! So, wie sie es aus der Nähe erlebt: „Im heiligsten Sakrament ist er unser beständiger Gefährte . . .“ (vgl. ebd., 22, 6). Vom Mysterium der hochheiligen Menschlichkeit, die das Tor, der Weg und das Licht ist, ist sie bis zum Mysterium der Heiligsten Dreifaltigkeit (vgl. ebd., VII, 1, 6), Quell und Ziel des menschlichen Lebens, „Muster, nach dem unser Bild geschnitzt ist“ {ebd., 2, 8). Und von der Höhe des göttlichen Mysteriums hat sie den Wert des Menschen, seine Würde, seinen Ruf nach Unendlichkeit verstanden. 7. Sich an das Geheimnis Gottes, an Jesus anzunähern, „Jesus Christus zu vergegenwäritgen“ {Leben, 4, 8), darin besteht ihr ganzes Gebet. Es ist eine persönliche Begegnung mit dem, der der einzige Weg ist, der uns zum Vater führt (vgl. Seelenburg, VI, 7, 6). Theresia wandte sich gegen die Bücher, die die Kontemplation als ein bequemes Versenken in die Göttlichkeit darstellten oder als ein „An-nichts-Denken“ (vgl. Seelenburg, VI, 3,6), und sie sah darin eine Gefahr, sich in sich selbst zurückzuziehen, sich von Jesus, von dem „alle Güter gekommen sind“ (vgl. Leben, 22, 4), zu entfernen. Von daher ihr Ruf: „Aber sich ganz von Christus abzuwenden, . . . das kann ich nicht ertragen“ {Leben, 22, 1). Dieser Ruf gilt auch noch in unseren Tagen für einige Gebetspraktiken, die sich nicht auf das Evangelium beziehen und dazu neigen, von Christus abzusehen zugunsten einer geistigen Leere, die im Christentum keinen Sinn hat. Jede Gebetsweise ist gültig, wenn sie sich von Christus inspirieren läßt und zu Christus, dem Weg, der Wahrheit und dem Leben, führt (vgl. Joh 14, 6). Es ist wohl wahr, daß der Christus des theresianischen Gebets über jede leibliche Vorstellung und bildliche Darstellung hinausgeht (vgl. Leben, 9, 6); es ist der auferstandene, lebendige und gegenwärtige Christus, der die Grenzen von Raum und Zeit überschreitet und gleichzeitig Gott und Mensch ist (vgl. Leben, 27, 7-8). 686 Reisen Aber er ist zugleich Jesus Christus, Sohn der Jungfrau, die uns begleitet und uns hilft (vgl. Leben, 27, 4). Christus begleitet den Weg des theresianischen Gebets von einem Ende bis zum anderen, von den ersten Schritten bis zum Gipfel der vollkommenen Gemeinschaft mit Gott. Christus ist das Tor, durch das die Seele in den mystischen Zustand versetzt wird (vgl. Leben, 10, 1). Christus führt sie in das Geheimnis der Dreifaltigkeit ein (vgl. Leben, 27, 2-9). Seine Gegenwart bei der Entwicklung dieses „freundschaftlichen Umgangs“, der das Gebet ist, ist verpflichtend und notwendig: Er gestaltet und lenkt ihn. Und er ist auch Objekt desselben. Er ist das „lebendige Buch“, Wort des Vaters (vgl. Leben, 26, 5). Der Mensch lernt, in tiefer Stille zu verweilen, während Gott ihn innerlich unterrichtet, „ohne den Lärm der Worte“ (vgl. Weg der Vollkommenheit, 25, 2); er entleert sich innerlich, „indem er zum Kreuz schaut“ (vgl. Seelenburg, VII, 4, 9). Die theresianische Kontemplation besteht nicht darin, verborgene subjektive Möglichkeiten mit reinen Techniken der inneren Läuterung zu suchen, sondern sich in Demut Christus und seinem mystischen Leib, der Kirche, zu öffnen. 8. In meinem pastoralen Amt habe ich mit Nachdruck die religiösen Werte des Menschen, mit dem Christus selbst, sich gleichgesetzt hat, bekräftigt (vgl. Redemptor hominis, Nr. 13, 14, 18). Die hl. Theresia von Jesus besitzt eine sehr klare Anschauung über den unendlichen Wert des Menschen: „O mein Jesus, wie groß ist doch deine Liebe zu den Menschenkindern!“, ruft sie in einem schönen Gebet aus. „Der größte Dienst, den wir erweisen können, ist der, daß wir dich verlassen aus Liebe zu ihnen, um ihres Gewinnes willen. Dadurch erlangen wir zugleich, daß wir dich vollkommener besitzen . . . Wer den Nächsten nicht liebt, der liebt auch dich nicht, o mein Herr! Sehen wir ja doch, welch große Liebe zu den Kindern Adams du durch Vergießung so vielen Blutes bekundet hast {Rufe, 2, 3). Die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten sind unlöslich miteinander verbunden; sie sind die übernatürliche Wurzel der Barmherzigkeit, die die Liebe zu Gott ist mit ihrem konkreten Ausdruck der Nächstenliebe, dem „sichersten Zeichen“, daß wir Gott lieben (vgl. Seelenburg, V, 3, 9). 9. Die Lebensachse der Theresia und der Ausdruck ihrer Liebe zu Christus und ihres Wunsches der Rettung der Menschen war die Kirche. Theresia von Jesus „fühlte die Kirche“, lebte „die Leidenschaft für die Kirche“ als Glied des mystischen Leibes. Die traurigen Ereignisse der Kirche ihrer Zeit waren wie fortschreitende 687 Reisen Wunden, die Wogen des Glaubens und des Dienstes hervorriefen. Sie fühlte zutiefst die Spaltung der Christen wie einen Riß in ihrem eigenen Herzen. Sie antwortete wirkungsvoll mit einer Erneuerungsbewegung, um das Antlitz der heiligen Kirche im Strahlenglanz zu erhalten. Der Horizont ihrer Liebe und ihres Gebets dehnte sich in dem Maße aus, wie sie sich der missionarischen Ausbreitung der katholischen Kirche bewußt wurde; mit Augen und Herz nach Rom, dem Zentrum des Katholizismus, gerichtet mit kindlicher Verbundenheit zum „Heiligen Vater“, wie sie den Papst nennt, die sie sogar dazu führte, einen brieflichen Schriftwechsel mit meinem Vorgänger, Papst Pius V., zu unterhalten. Es bewegt uns sehr, wenn wir das Glaubensbekenntnis lesen, mit dem sie das Buch der Wohnungen unterschreibt: „In allen unterwerfe ich mich dem Urteil der heiligen römisch-katholischen Kirche; in dieser Unterwerfung lebe ich; und in ihr leben und sterben zu wollen, erkläre und gelobe ich“ {Seelenburg, Schluß, 4). In Avila das kirchliche Freudenfeuer entzündet In Avila wurde das kirchliche Freudenfeuer angezündet, das so viele Theologen und Missionare erleuchtete und heftig ergriff. Hier begann jener ursprüngliche Dienst der Theresia an der Kirche ihrer Zeit; in einem angespannten Augenblick von Reformen und Gegenreformen optierte sie für den radikalen Weg der Gefolgschaft Christi, für ein Aufbauen der Kirche aus lebendigen Steinen der Heiligkeit; sie hißte das Banner der christlichen Ideale, um die Führer der Kirche zu ermutigen. Und in Alba de Tormes, am Ende eines langen Stiftungsweges, rief die wahre Christin, die Braut, die bald ihren Gemahl sehen wollte: „Dank sei dir, mein Herr . . ., weil du mich zur Tochter deiner heiligen katholischen Kirche machtest“ (Erklärung der Maria vom hl. Franziskus: Mystische Karmeli-ten-Bibliothek, 19, S. 62-63). Oder, wie sich ein anderer Zeuge erinnert: „Geheiligt sei Gott, . . . daß ich Tochter der Kirche bin“ (Erklärung der Maria von der Menschwerdung: ebd., 18, S. 89). Ich bin Tochter der Kirche! So lautet der Ehrentitel und die Verpflichtung, die uns die Heilige vermacht hat, um die Kirche zu leben und ihr mit Großmut zu dienen! 10. Liebe Brüder und Schwestern, wir haben uns an die leuchtende und immer aktuelle Gestalt der Theresia von Jesus erinnert, an diese von der göttlichen Weisheit einzigartig geliebte Tochter, die Wanderin Gottes, die Erneuerin des Karmels, Glanz Spaniens und Licht der heiligen Kirche, 688 Reisen Ehre der christlichen Frauen, mit einem ausgezeichnetem Platz in der Kultur der Welt. Sie möge die Kirche bis zum Ende aller Zeiten weiterhin begleiten. Sie, die am Sterbebett sagte: „Es ist Zeit, aufzubrechen.“ Ihre mutige Gestalt einer Frau auf dem Weg ruft in uns das Bild der Kirche, der Braut Christi, wach, die auf ihrer Wanderschaft in der Zeit schon die Morgendämmerung des dritten Jahrtausends ihrer Geschichte erreicht hat. Theresia von Jesus, die die Schwierigkeiten der Wege kannte, lädt uns ein, mit Gott im Herzen zu wandern. Um uns auf unserem Weg zu orientieren und uns in unserer Hoffnung zu stärken, verkündet sie diese Losung, die das Geheimnis ihres Lebens und ihrer Mission war: „Laßt uns unsere Augen auf Christus, unser höchstes Gut“, richten (vgl. Seelenburg, I, 2, 12), um ihm nach und nach die Tore des Herzens aller Menschen zu öffnen. Und so wird der leuchtende Christus der Theresia von Jesus in ihrer Kirche „Erlöser des Menschen, Mittelpunkt des Kosmos und der Geschichte“ sein. Die Augen auf Christus gerichtet! (vgl. Weg, 2, 1; Seelenburg, VII, 4, 8; vgl. Hebr 12, 2). Damit auf dem Weg der Kirche wie auf den Wegen der Theresia, die von dieser Stadt Avila ausgingen, Christus der „Weg, die Wahrheit und das Leben“ sei (vgl. Joh 14, 5 und Seelenburg, VI, 7, 6). Amen. „Freundin Gottes und der Menschen“ Worte beim Abschluß der Jubiläumsfeierlichkeiten zum 400. Todestag der hl. Theresia in Alba de Tormes am 1. November Meine lieben Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter der hl. Theresia! 1. Wir befinden uns hier an der Grabstätte, die als kostbaren Schatz die Reliquien der hl. Theresia von Jesus aufbewahrt. Wenn ich nun festlich die Vierhundertjahrfeier schließe, die vor einem Jahr durch meinen Kardinal-Legaten eröffnet wurde, so möchte ich, daß meine Worte eine Anrufung und ein Gebet an Theresia von Jesus seien, die in der Gemeinschaft der Heiligen unter uns anwesend ist. 689 Reisen 2. Zunächst, die Erinnerung an ihren glorreichen Tod! Theresia von Jesus! Ich möchte an deine Worte in den letzten Augenblik-ken des Lebens erinnern: - das demütige Bekenntnis deiner Fehler: „Ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verschmähen“ (Ps 51, 19); - die Ermahnung an deine Töchter, dein geistiges Erbe zu bewahren, die Treue zum Charisma; den Wunsch, Gott zu sehen: „Mein Herr, es ist schon Zeit, daß wir Zusammenkommen; es ist schon Zeit zu gehen“; - das freudige Bekenntnis des Glaubens: „Letztendlich, Herr, bin ich Tochter der Kirche.“ Du übergabst dein Leben dem Herrn, umgeben von der mütterlichen Zuneigung dieser Kirche, als deren Tochter du dich fühltest: mit der Gnade des Sakramentes der Beichte, mit der Wegzehrung der Eucharistie, mit der heiligen Krankensalbung. Dein Tod war ein Tod der Liebe, wie der hl. Johannes vom Kreuz es richtig ausdrückte: „Vollendet durch die lebendige Flamme der Liebe, zerriß die Hülle der süßen Begegnung mit Gott“ (vgl. Lebendige Flamme, 1, 29-30). „Jetzt also sagen wir: Dieser kleine Schmetterling ist schon gestorben . . . In ihm lebt Christus“ (Seelenburg, VII, 1-3). 3. Du lebst mit Christus in der Herrlichkeit und bist in der Kirche anwesend, wanderst mit ihr auf den Pfaden der Menschen. In deinen Schriften formtest du deine Stimme und deine Seele. In deiner Ordensfamilie verewigst du deinen Geist. Du hast uns als Lehre die Freundschaft mit Christus hinterlassen. Du hast uns als Testament die Liebe zu und den Dienst an der Kirche vermacht. „Selig ein Leben, das wie das deine in diesem Dienst endet!“ {Leben, 40, 15). Dein Vaterland ist Spanien, aber deine Heimat ist heute in der ganzen Welt, wo deine Töchter und Söhne wohnen, wo du aus den Seiten deiner Bücher sprichst. Du bist Botschafterin Christi. Du bist das universale Wort der Erfahrung Gottes. Deine lebendige spanische Sprache ist in viele Sprachen übersetzt worden. Deine Schriften haben sich durch unzählige Ausgaben vervielfältigt. Du bist in die religiöse Kultur der Menschheit eingegangen. In der Weltliteratur gereichst du der Kirche zur Ehre. Deine Wünsche, Theresia, dem Herrn ohne Grenzen von Zeit und Raum zu dienen, haben sich erfüllt, bis zum Tag der glorreichen Wiederkunft Jesu! 4. Möge nun das glühende Gebet des pilgernden Papstes durch deine Vermittlung, Theresia von Jesus, zum Vater emporsteigen. 690 Reisen Ich bitte für unsere Mutter Kirche: „Möge das Schiff der Kirche nicht immer in solchem Unwetter umhergetrieben werden“ {Weg der Vollkommenheit, 35, 5). Tritt ein für die Verbreitung des Evangeliums und für ihre Heiligkeit, für ihre Hirten, Theologen und Priester, für die Männer und Frauen, die sich Christus geweiht haben, für die Gläubigen der Familie Gottes. Ich bitte dich um eine Welt in Frieden, ohne Bruderkriege, die dein Herz verletzen. Enthülle allen Christen die innere Welt der Seele, den verborgenen Schatz in uns, die leuchtende Gottesburg. Gib, daß sich in der äußeren Welt die Spur des Schöpfers erhält und sei ein offenes Buch, das uns von Gott spricht (vgl. Leben, 9, 5). Nimm deine Bitte für die Seelen, die Gott in der Stille preisen, für diejenigen, die die große Ehre erhalten haben, Freunde Gottes zu sein, für diejenigen, die Gott in der Dunkelheit suchen, damit sich ihnen das Licht enthüllt, das Christus ist. Segne diejenigen, die Verständnis und Harmonie suchen, die, die Brüderlichkeit und Solidarität fördern, denn „es ist notwendig, daß der eine dem anderen den Rücken deckt“, und „es wächst die Nächstenliebe, wenn sie verbindet“ {Leben, 7, 22). Beschütze die Menschen vom Meer und vom Feld, diejenigen, die arbeiten, und die, die Arbeit geben, beschütze die älteren Menschen, die in dir ein Vorbild der Weisheit und der unerschöpflichen Kreativität finden. Segne die Familien, die jungen Menschen, die Kinder. Damit sie eine Welt in Frieden und Freiheit finden mögen, die der zur Gemeinschaft mit Gott berufenen Menschen würdig ist und in der sie jene menschlichen Tugenden pflegen können, die du zum Glanz der christlichen Heiligkeit führtest: die Wahrheit und die Gerechtigkeit, die Standhaftigkeit und den Respekt vor den Menschen, die Freude und das Entgegenkommen, die Sympathie und die Dankbarkeit. Ich lege in deine Hände das Anliegen der Armen, die du so sehr liebtest. Bewirke, daß sich deine Gerechtigkeitsideale in einer brüderlichen Gütergemeinschaft erfüllen: denn alle Güter gehören Gott, und Er verteilt sie an einige als deren Verwalter, damit sie diese mit den Armen teilen (vgl. Gedanken über die Liebe Gottes, 2, 8). Tritt ein für die Kranken, die bis ans Ende deiner Tage Gegenstand deiner Sorge waren. Stehe den Hilflosen bei, den Randgruppen, den Unterdrückten, damit in ihnen die Wohnung Gottes respektiert und geehrt werde, sein Bild und seine Ähnlichkeit. 691 Reisen 5. Theresia von Jesus, die du weiterhin in diesem Lande Spanien lebst! Ich bitte für alle Völker. Hilf ihnen, daß sie den Reichtum ihrer kulturellen Werte im Geist einer brüderlichen und solidarischen Gemeinschaft leben können. Dir, der du die Freundin Gottes und der Menschen bist und die du mit deinen Schriften Wege der Einigkeit öffnest, dir vertäue ich die Einheit der Kirche und der menschlichen Familie an: unter den Christen der verschiedenen Konfessionen, unter den Mitgliedern der verschiedenen Religionen, unter den Menschen der verschiedenen Kulturen. Damit sich alle so empfinden, wie du sie empfandest: als „Kinder Gottes und Brüder“ (Seelenburg, V, 2, 11). Hilf, damit sich dein Gebet und dein Wort der Hoffnung, geschrieben in der Seelenburg (VII, 2, 7-8), erfüllt. „Als einst Jesus Christus, unser Herr, für seine Apostel betete, sagte er, daß sie eins mit dem Vater und mit ihm sein sollen, so wie Jesus Christus, unser Herr, im Vater und der Vater in ihm ist“ (vgl. Joh 17, 21). Ich weiß nicht, ob es eine größere Liebe gibt als diese! Und lassen wir nicht ab, alle hier einzutreten, denn Seine Majestät sagte: „Ich bitte nicht nur für sie, sondern auch für alle, die an mich glauben.“ Mache, daß wir alle dorthin kommen, wo du hingekommen bist: zur Gemeinschaft mit der Dreifaltigkeit, „wo unser Bild gemeißelt ist“ (ebd..). Theresia von Jesus, höre mein Gebet: Erhebe das kirchliche Dankgebet bis vor den Thron der göttlichen Weisheit, für das, was du geworden bist, was du getan hast, und das, was du noch tun wirst im Volk Gottes, das dich als geistliche Lehrerin und Meisterin ehrt. Ich möchte dies mit deinen eigenen Worten des Lobes und des Segens tun: „Der Herr sei in Ewigkeit gepriesen! Amen“ {Seelenburg, 4). Lehramt und Theologie müssen im Gespräch bleiben Ansprache an die Professoren, Dozenten und Studenten der theologischen Fakultäten Spaniens in Salamanca am 1. November <23> <23> Wie bei meiner Deutschlandreise wollte ich auch bei meinem Spanienbesuch mit den Theologielehrern der theologischen Fakultäten und Semi-narien persönlich Zusammentreffen. Mich verbindet herzlich mit euch, die 692 Reisen Erinnerung an meine Tätigkeit als Universitätslehrer der Theologie und Philosophie in Polen und vor allem die Überzeugung von der wichtigen Aufgabe der Theologie in der Kirche. Deshalb schrieb ich in meiner ersten Enzyklika Redemptor hominis: „Die Theologie ist heute, genauso wie früher, sehr wichtig dafür, daß die Kirche, das Volk Gottes, in kreativer und fruchtbarer Weise an der prophetischen Sendung Christi teilnehmen kann“ (Nr. 19). Zur Begegnung mit euch habe ich die schöne und berühmte Stadt Sala-manca gewählt, die mit ihrer alten Universtität das Zentrum und Symbol der goldenen Zeit der Theologie in Spanien war und die ihr Licht auf das Konzil von Trient ausstrahlte und so kraftvoll zur Eneuerung der ganzen katholischen Theologie beigetragen hat. Die begrenzte Zeit, die mir zur Verfügung steht, erlaubt mir nicht, all die berühmten Gestalten dieser Epoche beim Namen zu nennen. Aber genannt werden müssen wenigstens der Exeget, Theologe und Dichter Fray Luis de Leon, der „Doctor Navarras“ Martin de Azpilcueta, der „Lehrer der Lehrer“ Francisco de Vitoria, und von den Tridentiner Theologen Domingo de Soto und Bartolome de Carranza, Juan de Maldonado in Paris, Francisco de Toledo und Francisco Suarez in Rom, Gregorio de Valencia in Deutschland. Und wie könnte ich die Kirchenlehrer Johannes vom Kreuz und Theresia von Jesus vergessen? In so schweren Zeiten für die Christenheit zeichneten sich die großen Theologen durch ihre Treue und ihre Kreativität aus. Treue zur Kirche Christi und radikalen Einsatz für ihre Einheit unter dem römischen Papst. Kreativität in der Methode und Problemstellung. Mit der Rückkehr zu den Quellen der Schrift und der Tradition öffneten sie sich der neuen Kultur, die in Europa entstand, und den menschlichen (religiösen, ethischen und politischen) Problemen, die mit der Entdek-kung neuer Welten im Westen und Osten aufgetaucht waren. Die unver-letztliche Würde jeder Person, die universale Perspektive des internationalen Völkerrechts und die ethische Dimension als Norm der neuen sozialwirtschaftlichen Strukturen fanden volle Aufnahme in die theologische Arbeit und wurden von ihr in das Licht der christlichen Offenbarung gestellt. Deshalb bleiben die Theologen dieser Zeit in den neuen und schwierigen Zeiten, die wir erleben, für euch die Lehrer einer ebenso kreativen wie gläubigen Erneuerung, die auf die Weisungen des II. Vatikanums antwortet, auf die Bedürfnisse der modernen Kultur und die tiefsten Probleme der heutigen Menschheit. 693 Reisen 2. Die wesentliche und spezifische Aufgabe der theologischen Arbeit hat sich nicht geändert und kann sich nicht ändern. Sie wurde schon im 11. Jahrhundert vom hl. Anselm von Canterbury in einem durch seine Genauigkeit und Kürze bewundernswerten Ausdruck formuliert: „Fides quaerens intehectum“ (Glaube, der verstanden sein will). Der Glaube ist also nicht nur die untrennbare Voraussetzung und fundamentale Grundlage der Theologie: Ihre Verbindung ist viel tiefer und inniger. Der Glaube ist die lebendige und bleibende Wurzel der Theologie, die aus dem Fragen und Forschen im Rahmen des Glaubens erwächst, nämlich aus dem Impuls, sich selbst zu verstehen, sei es in der radikal freien Entscheidung des persönlichen Ja zu Christus, sei es in der Zustimmung zum Inhalt der christlichen Offenbarung. Theologie betreiben ist also eine Aufgabe, die ausschließlich dem Gläubigen als Glaubenden zusteht, eine Aufgabe, die in lebendiger Weise und in jedem Augenblick vom Glauben getragen und gestützt wird und deshalb eine unbegrenzte Frage und Suche ist. Die Theologie bewegt sich immer im Innern des geistigen Prozesses, der vom „Schaffen“ zum „Verstehen“ verläuft. Sie ist wissenschaftliche Reflexion, insofern sie kritisch vorgeht, d. h. im Bewußtsein der Voraussetzungen und Notwendigkeiten ihrer Allgemeingültigkeit; insofern sie methodisch vorgeht, d. h. in Übereinstimmung mit den Normen, die ihr von Gegenstand und Zweck auf erlegt sind; insofern sie systematisch vorgeht, d. h. in Richtung auf ein kohärentes Verständnis der geoffenbar-ten Wahrheiten in ihrer Beziehung zum Mittelpunkt des Glaubens, Christus, und seiner Heilsbedeutung für den Menschen. Der Theologe kann sich nicht darauf beschränken, den ererbten Lehrschatz zu bewahren, sondern muß oft nach einem Verständnis und Ausdruck des Glaubens suchen, die diesen der Denk- und Sprechweise unserer Zeit näherbringen können. Das Kriterium, das die theologische Reflexion leiten muß, ist die Suche nach einem neuen Verständnis der christlichen Botschaft in der Dialektik der „Erneuerung in Kontinuität“ und umgekehrt (vgl. Ansprache an die Bischöfe Belgiens vom 18. September 1982). 3. Die gegenwärtige Kultur, die von den Methoden und Forderungen beherrscht wird, die den Naturwissenschaften eigen sind, ist stark von philosophischen Strömungen beeinflußt, die die ausschließliche Gültigkeit des Prinzips der experimentellen Nachprüfung verkünden, und tendiert dahin, die transzendente Dimension des Menschen zu verschweigen und 694 Reisen deshalb gelegentlich die Frage nach Gott und der christlichen Offenbarung zu übergehen oder zu leugnen. In dieser Situation muß die Theologie ihre Aufmerksamkeit auf ihre grundlegenden und entscheidenden Themen konzentrieren: das Geheimnis Gottes, des Dreifältigen Gottes, der sich in Christus als göttliche Liebe offenbart hat; das Geheimnis Christi, des menschgewordenen Gottessohnes, der durch sein Leben und seine Botschaft, seinen Tod und seine Auferstehung die tiefsten Aspekte des menschlichen Daseins endgültig beleuchtet hat; das Geheimnis des Menschen, der in seiner unüberwindlichen Spannung zwischen der eigenen Endlichkeit und seiner Sehnsucht nach dem Unendlichen in sich die notwendige Frage nach dem letzten Sinn des eigenen Lebens trägt. Die Theologie muß sich selbst dem Problem des Menschen stellen, um ihn als den Empfänger der Gnade und der Offenbarung Christi verstehen zu können. Wenn die Theologie immer die Hilfe der Philosophie gebraucht hat, dann muß die Philosophie heute anthropologisch sein, d. h., sie muß in den wesentlichen Strukturen des menschlichen Daseins die transzendenten Dimensionen suchen, die die eingewurzelte Fähigkeit des Menschen bilden, von der christlichen Botschaft angesprochen zu werden, um sie als Heilsbotschaft zu verstehen, d. h. als volle Antwort auf die Grundfragen des menschlichen Lebens. Das war der Prozeß der theologischen Reflexion des Zweiten Vatikanischen Konzils in der Konstitution Gaudium et spes: die Beziehung zwischen den tiefen und entscheidenden Fragen des Menschen und das neue Licht, das die Person und die Botschaft Jesu Christi auf sie wirft (vgl. Nr. 9-21). Man sieht so, daß die Theologie unserer Zeit Hilfe braucht, nicht nur von der Philosophie, sondern auch von den übrigen Wissenschaften, vor allem den Humanwissenschaften als unerläßlicher Grundlage für die Antwort auf die Frage: „Was ist der Mensch?“ Deshalb dürfen in der theologischen Fakultät interdisziplinäre Kurse und Seminare nicht fehlen. 4. Der christliche Glaube ist kirchlich, d. h. er wächst in Verbundenheit mit der Gemeinschaft derer, die an Christus glauben, die wir Kirche nennen. Als Reflexion aus dem Glauben ist „Theologie kirchliche Wissenschaft, weil sie in der Kirche wächst und auf die Kirche einwirkt. Deshalb ist sie nie Privatangelegenheit eines Spezialisten, der isoliert in einem Elfenbeinturm lebt. Sie steht im Dienst der Kirche und muß sich deshalb dynamisch in die Sendung der Kirche, vor allem in ihre prophetische, eingefügt wissen“ (Ansprache in der Gregoriana am 15. Dezember 1979, Nr. 6). 695 Reisen Die Aufgabe der Theologie besitzt also den Charakter der kirchlichen Sendung als Teilhabe an der Evangelisationsaufgabe der Kirche und hoher Dienst an der kirchlichen Gemeinschaft. Daher die schwere Verantwortung des Theologen, der immer an das Volk Gottes denken muß und vor allem an die Priester und künftigen Priester, die dieses Volk im Glauben bilden müssen und deshalb ein Recht darauf haben, keine zweideutigen oder einschränkenden Erklärungen über die Grundwahrheiten des christlichen Glaubens zu erhalten. „Wir haben Christus vor der Geschichte und der Welt mit tiefempfundener und mutiger Überzeugungskraft zu bekennen, wie Petrus es getan hat: ,Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Das ist die Frohe Botschaft, die in einem gewissen Sinn einzigartig ist: Die Kirche lebt durch sie und für sie, wie sie auch von ihr alles herleitet, was sie den Menschen anzubieten hat“ (Ansprache vor der Konferenz von Puebla am 28. Januar 1979). „Wir müssen den Menschen unserer Zeit dienen. Wir müssen ihnen dienen in ihrem Verlangen nach voller Wahrheit, nach dem Wort Gottes, nach der Einheit unter den Christen“ {Ansprache in der Gregoriana am 15. Dezember 1979, Nr. 6). 5. Die wesentliche Verbindung der Theologie mit dem Glauben, der auf Christus gründet und in ihm seinen Mittelpunkt hat, beleuchtet in aller Klarheit die Bindung der Theologie an die Kirche und ihr Lehramt. Man kann nicht an Christus glauben, ohne an die Kirche, den „Leib Christi“, zu glauben. Man kann nicht mit katholischem Glauben an die Kirche glauben, ohne an ihr notwendiges Lehramt zu glauben. Die Treue zu Christus schließt also die Treue zur Kirche ein; und die Treue zur Kirche verlangt ihrerseits die Treue zum Lehramt. Es ist also notwendig, daß der katholische Theologe sich mit der gleichen radikalen Freiheit, mit der er sich zu Christus bekennt, auch zur Kirche und ihrem Lehramt bekennt. Deshalb ist das kirchliche Lehramt keine der Theologie fremde Instanz, sondern ihr wesentlich zugehörig. Wenn der Theologe vor allem und radikal ein Glaubender und sein christlicher Glaube Glaube an die Kirche und ihr Lehramt ist, kann seine theologische Arbeit gar nicht anders als treu mit seinem Glauben an die Kirche verbunden sein, deren authentischer und bindender Interpret das Lehramt ist. Bleibt also eurem Glauben treu, ohne in die gefährliche Illusion zu verfallen, Christus von seiner Kirche und die Kirche von ihrem Lehramt trennen zu können. „Die Liebe zur konkreten Kirche, die die Treue zum Zeugnis des Glaubens und zum kirchlichen Lehramt einschließt, entfrem- 696 Reisen det den Theologen nicht seiner Arbeit und nimmt dieser nichts von dieser unverzichtbaren Eigenständigkeit. Lehramt und Theologie haben eine unterschiedliche Aufgabe. Darum können sie auch nicht aufeinander reduziert werden (Ansprache an die deutschen Theologen in Altötting am 18. November 1980, Nr. 3). Aber das sind keine entgegengesetzten Aufgaben, sondern sie ergänzen sich. „Insofern das Lehramt und die Theologen der geoffenbarten Wahrheit dienen müssen, sind sie in gleicher Weise an das Wort Gottes gebunden, an den „sensus fidei“ . . ., an die Dokumente der Tradition, in denen sich der gemeinsame Glaube des Gottesvolkes ausdrückt; schließlich an die pastorale und missionarische Aufgabe, der beide verpflichtet sind“ (Ansprache an die Internationale Theologenkommission vom 26. September 1979). Deshalb müssen das Lehramt und die Theologie im Gespräch bleiben, was für beide und für den Dienst an der Kirche fruchtbar sein wird. 6. Liebe Professoren, ihr wißt, daß auch der Papst ein Mann des Studiums und der Universität war. Er kennt die Schwierigkeiten und die enormen Anforderungen eurer Arbeit. Sie ist eine Arbeit, die in Stille und Selbstverleugnung geschieht. Sie verlangt von euch volle Hingabe an die Forschung und den Unterricht. Deshalb läuft ein Unterricht ohne Forschung Gefahr, in die Routine der Wiederholung zu fallen. Bemüht euch darum, jeden Tag kreativ zu sein; dazu müßt ihr über die aktuellen Fragen durch die Lektüre von Publikationen höchster Qualität informiert und durch die harte Arbeit persönlichen Nachdenkens geschult sein. Betreibt Theologie mit der Strenge des Denkens und in der Haltung eines für Christus, seine Kirche und das Wohl der Menschheit entflammten Herzens. Seid hartnäckig und beständig in der fortwährenden Reifung eurer Ideen und der Genauigkeit eurer Fachsprache. Ich möchte, daß ihr diese Worte nicht vergeßt: Eure Sendung in der Kirche ist so schwierig wie wichtig. Sie ist wert, ihr das ganze Leben zu widmen; es geht um Christus, um die Kirche, um die solide Ausbildung der Priester - auch der Ordensleute und Laien -, die mit Treue und Sachkenntnis das Bewußtsein der Gläubigen auf dem sicheren Weg des Heils erziehen sollen. Eure Arbeit war nicht vergebens. Die Zahl und das Niveau der theologischen Fakultäten Spaniens, zusammen mit der Qualität ihrer Publikationen, sichert der spanischen Theologie einen hervorragenden Platz in der gegenwärtigen katholischen Theologie. Ich möchte auch die besondere 697 Reisen Bedeutung der theologischen Zentren für Laien hervorheben: Sie sind eine Verheißung für die Zukunft der Kirche. Mein letztes Grußwort geht an euch, liebe Studenten. Die Kirche vertraut euch und braucht euch. Lernt gründlich zu denken. Schaut auf die Notwendigkeiten der Welt von heute und vor allem die Notwendigkeit, ihr das Heil in der Person und Botschaft Christi zu verkünden. Ihrem Verständnis widmet ihr eure theologische Schulung. 7. Der gemeinsamen Mutter, der Sedes Sapientiae, vertraue ich euch und eure Arbeit an. Möge sie, die ihren Sohn so gründlich kannte und ihm so treu folgte, euch immer den Weg zu Jesus zeigen. Deshalb lebt, was ihr studiert und lehrt, damit im Unterricht und in den Publikationen alles dem Glauben der Kirche und den Weisungen des Lehramts entspricht. Damit ihr die Freude und die kirchliche Verantwortung empfindet, denen die authentische Lehre Christi zu vermitteln, die sie den anderen weitergeben. Deshalb seid wirkliche Diener dessen, der Licht, Wahrheit und Heil ist. In seinem Namen ermutige ich euch und segne euch in Liebe zusammen mit allen Theologieprofessoren Spaniens und ihren Schülern. Die Kirche zeigt den moralischen Weg Ansprache beim offiziellen Empfang im königlichen Palast in Madrid am 2. November Majestäten, meine Damen und Herren! 1. Dieses Treffen mit Ihren Majestäten, mit den Regierungsmitgliedem, den Vertretern des Parlamentes und mit den übrigen geschätzten Mitgliedern der qualifiziertesten Bereiche der spanischen Gesellschaft bereitet mir große Genugtuung. Ich schätze insbesondere die vortreffliche Aufnahme, die in voller Übereinstimmung mit dem tiefen Gefühl der Gastfreundschaft des spanischen Volkes steht, und die entgegenkommenden Worte Ihrer Majestät, die mit soviel Berechtigung die Gefühle der Spanier ausdrücken. 698 Reisen Obwohl meine Reise einen betont religiösen Chrakter hat, so möchte ich doch mit diesem Höflichkeitsbesuch meinen Gruß und meinen Respekt vor den legitimen Repräsentanten des spanischen Volkes ausdrücken, das Sie erwählt hat, um die Geschicke der Nation zu lenken; einen Respekt, den ich schon vor meiner Ankunft außerhalb jedes Zweifels lassen wollte - wenn sich überhaupt bei irgendwem ein solcher Zweifel eingeschlichen haben sollte — und den ich heute im gegenwärtigen politischen Kontext wiederholen möchte. 2. Auf der gleichen Linie wie bei meinen vorherigen apostolischen Reisen komme ich nach Spanien als Botschafter des Glaubens, um das Mandat Christi zu erfüllen und seine Lehre unter den Menschen zu verbreiten. Eine Botschaft, die neu ist für jede Person und Generation und die immer eine frohe Botschaft ist, da sie vom Glauben spricht, von der Liebe unter den Menschen, vom Respekt vor ihrer Würde und ihren Grundwerten, vom Frieden, von der Eintracht, von der Freiheit und vom Zusammenleben, alles Dinge, die für die Förderung des Menschen hilfreich sind und die einen so großen Raum in meinen eigenen Aufgaben einnehmen. Frohe Botschaft auch für die Völker, besonders dann, wenn sie bemüht sind, auf erneuerten Grundlagen ihre Gegenwart und ihre Zukunft zu erbauen. Denn die Kirche, mit Respekt für die Dinge, die nicht die ihrigen sind, signalisiert einen moralischen Weg, der nicht etwa gegenläufig oder konträr, sondern in Übereinstimmung mit den Forderungen nach menschlicher Würde steht und mit den aus diesen Forderungen abgeleiteten Rechten und Freiheiten, die die Plattform einer gesunden Gesellschaft darstellen. Daraus folgt gleichzeitig, daß die Kirche, so wie sie die Autonomie der weltlichen Ordnung respektiert (vgl. Gaudium etspes, 36), um die gleiche Rücksicht für ihre Mission bittet, wenn es sich um Dinge handelt, die mit Gott zu tun haben und die das Bewußtsein ihrer Söhne und Töchter bestimmen in den unterschiedlichen Ausdrucksformen ihres persönlichen, sozialen, privaten und öffentlichen Lebens. 3. Ich bin mir bewußt, daß ich in eine Nation komme, die eine große katholische Tradition besitzt und von der viele ihrer Mitglieder einen starken Anteil an der Humanisierung und Evangelisierung anderer Völker hatten. Auf diesen historischen Seiten spricht man mit großer Hochachtung von Ihrer Vergangenheit. Jetzt sind Sie verantwortlich für eine neue Strukturierung des öffentlichen Gemeinwesens, das die Einheit und die Vielfältigkeit der verschiedenen 699 Reisen Völker, aus denen sich die Nation zusammensetzt, gebührend respektiert. Ohne konkrete Urteile über Aspekte, die nicht in meiner Kompetenz liegen, abgeben zu wollen, bitte ich Gott, daß er Ihnen Sicherheit beim Ergreifen der geeigneten Lösungsmöglichkeiten verleihen möge, damit das harmonische Zusammenleben, die Solidarität, der gegenseitige Respekt und das Wohl aller erhalten bleiben. Dieses Gleichgewicht in Spanien wird in einer positiven Art und Weise auf die geographische Zone, deren Teil Sie sind und in die Sie sich legitimerweise voll und ganz integrieren wollen, zurückwirken. Ein glückliches und friedliches Spanien, das um die Förderung brüderlicher Beziehungen unter seinen Menschen bemüht ist und das nicht seine menschlichen, geistigen und moralischen Wesenszüge vergißt, könnte einen wertvollen Beitrag für die Zukunft in Europa und im Zusammenleben der Nationen liefern; das gilt vor allem für die Nationen, mit denen Spanien durch historische Bande verbunden ist. 4. Ich weiß, daß Sie sich um das Erreichen des Zieles bemühen, eine zivile Lebensgemeinschaft in Freiheit, Beteiligung und Respektierung der Menschenrechte zu schaffen, innerhalb der Vielfalt legitimer Optionen und innerhalb des gebührenden Respektes untereinander, den die spanische Gesellschaft empfindet. Ich wünsche Ihnen, daß die solidarische und verantwortungsvolle Freiheit, diese kostbare Gabe des Menschen und Frucht seiner Würde, immer erhalten bleibe und daß Ihr System der Freiheit sich in jedem Moment auf die Befolgung der moralischen Werte eben dieses Menschen gründen möge. So erst kann er sich individuell und in der Gesellschaft wahrhaft verwirklichen. 5. Ich kann diese Worte nicht beschließen, ohne Seiner Majestät, dem König, und der Regierung erneut meinen Dank auszusprechen: für die Einladung, in dieses ehrenwerte Land zu kommen, und für alle Dienste, die Sie zur besseren Abwicklung dieses Besuches beitragen. Für all dies möchte ich Ihnen meine große Hochachtung ausdrücken. Gott segne die königliche Familie, alle Autoritäten und das geliebte spanische Volk, damit es sich immer eines Klimas des Friedens, des Glücks, der Gerechtigkeit und der Eintracht erfreuen möge. 700 Reisen Ferien — „ Wiederherstellen des Menschen“ Ansprache an die Weltorganisation für Tourismus in Madrid am 2. November Herr Generalsekretär, meine Damen und Herren! Ich habe Ihre freundliche Einladung zum Besuch am Sitz der Weltorganisation für Tourismus, deren Aufgabe es ist, den Tourismus zur Förderung des Verständnisses der Völker untereinander voranzubringen ebenso wie den Frieden innerhalb des Respektes vor den menschlichen Rechten und Freiheiten, ohne Unterschied von Rasse, Sprache oder Religion, gerne angenommen (vgl. Statut der OMT, Nr. 3). Ich freue mich über die dynamische Aktivität, die diese Organisation zugunsten der touristischen Interessen der Länder, die sich auf dem Weg der Entwicklung befinden, realisiert, um in ihnen einen Tourismus zu fördern, der zur sozialen Hebung ihrer Einwohner und zur kulturellen Bereicherung für die Besucher beiträgt. Das ist eine schwierige und komplizierte Aufgabe, wenn man seine Entwicklung sichern will, die sich auf menschlicher Ebene vollzieht und die die gesunden Traditionen der verschiedenen Zivilisationen bewahren soll. Diese Art von Tourismus kann ein besonderes Instrument dazu sein, die gegenseitigen Beziehungen, die die menschliche Gesellschaft bereichern, zu stärken und zu vermehren (vgl. Gaudium et spes, Nr. 61). Er wird dabei mithelfen, die Bande der Solidarität zu knüpfen, die diese von Kriegen erschütterte gegenwärtige Welt so nötig hat. Es ist Ihr Verdienst, es in Zusammenarbeit mit Delegationen aus mehr als hundert Ländern verstanden zu haben, die notwendigen Merkmale aufzuzeigen, die einen Qualitätssprung im Tourismus begünstigen. Die Erklärung von Manila (1980) kann als wichtiger Meilenstein in der Geschichte des Tourismus betrachtet werden. Eine Gefahr bei der Ausbreitung des Tourismus liegt darin, daß seine Entwicklung allein von ökonomischen Interessen bestimmt wird, während sein kultureller Aspekt und der gebührende Respekt vor der Ökologie außer acht gelassen werden; oder durch den Hang, die Zeit totzuschlagen, anstatt ihn als eine Stärkungspause für die bei der Arbeit verbrauchten psychisch-physischen Kräfte zu betrachten. Dagegen sollte man nach Überwindung dieser negativen Tatsachen trachten, um so die möglichen positiven Werte des Tourismus zu begünstigen (vgl. Peregrinans in terra, Nr. 8-12). 701 Reisen Aber das genügt nicht. In der Tat, es ist entscheidend für das Phänomen des Tourismus, daß er den Menschen zum Ziel hat: „den gegenwärtigen Menschen in seiner einzigartigen und unwiederholbaren menschlichen Realität“ (Redemptor hominis, Nr. 10), in der ganzen Wahrheit seiner Existenz, in seinem Wesen als Person und als Teil der Gemeinschaft (vgl. ebd., Nr. 14); in einem Wort: den Menschen in der Würde seiner Person. Denn wenn man das Soziale aufwerten will, ist es angebracht, sich zu vergegenwärtigen, daß das Soziale im Menschlichen enthalten ist. Daran zu erinnern, wie es auf der Weltversammlung in Acapulco beschlossen wurde, daß der Mensch nicht gewinnsüchtigen Manipulationen ausgeliefert werden solle, sondern daß er der „Protagonist seiner Ferien“ sein solle, ist kein Traum und keine Utopie. Das bedeutet, dieses Element in den Mittelpunkt zu rücken, ohne das die Tourismusindustrie in Widerspruch mit der Menschlichkeit geriete, die sie eigentlich unterstützen wollte. Wenn auf der anderen Seite der Tourismus ein Recht ist, so ist gleichzeitig wahr, daß er vom Menschen praktiziert wird und seine Handlungen einschließt. Mehr als einfach eine Erholung oder eine Art von Flucht ist er für den Menschen ein Ausgleich, der ihm helfen soll, sich „wieder-herzustellen“, durch neue Erfahrungen, hergeleitet aus redlichen und freien Entscheidungen. Von daher auch die Notwendigkeit einer angemessenen Ausbildung sowohl des Touristen als als auch des Tourismus-Managers und Reiseleiters, auf dessen Rechtschaffenheit und Fähigkeit er sich verläßt. Das gleiche gilt für denjenigen, der die Gastfreundschaft anbietet. Wie jede soziale Entwicklung, so fordert auch die Entwicklung des Tourismus in seinen unterschiedlichen Formen eine gleichzeitige Entwicklung des moralischen Lebens. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn Sie in Ihrer Organisation die Forderung nach einer solchen effektiven Vorbereitung diskutieren und Vorbringen und an das Verantwortungsbewußtsein aller Erzieher appellieren, ohne das der Tourismus zu einer modernen Form der Entfremdung entarten könnte, Zeit und Geld verschwenden würde, anstatt Mittel einer umfassenden Vervollkommnung der Person zu sein. Was die Arbeit angeht, die zu Recht als notwendige Voraussetzung des Tourismus betrachtet wird, so ist sie nicht einzige Quelle ethischer Werte. Auch die Freizeit - und folglich der Tourismus in seiner Hauptsache -bietet eine Möglichkeit in der Vervollkommnung; und wenn diese gut genutzt wird, wird sie im Menschen zur Fähigkeit der Selbsterziehung und der Kultur; deshalb ist der Tourismus in sich selbst ein Wert und nicht einfacher Bestandteil der Konsumhaltung. Vor einem sozialen Phänomen von solcher Weite und Komplexität ist das 702 Reisen Interesse des Hl. Stuhls nicht verwunderlich. Die Kirche ist in der Tat keine geschlossene Gesellschaft, sondern hat Verständnis dafür, daß sich die kulturellen Formen vermehren. Sie ist Tag für Tag auf dem Weg zur Parusie, immer ,,in der neuen Wirklichkeit des Geistes“ (Röm 7, 6). Deshalb will sie dem Menschen dienen, so wie er sich im Kontext der realen, gegenwärtigen Zivilisation darstellt. Um ihn bei den schnellen Veränderungen zu begleiten (vgl. Gaudium et spes, Nr. 2, 3; 54; 55; Peregrinans in terra, Nr. 1), mit Liebe und in Hoffnung auf ein besseres Morgen, in dem die Völker sich mehr als Brüder erkennen, dank des Friedens, den ein guter Tourismus voraussetzt und fördert. Meine Damen und Herren! Nach Platon ist das Universum, das wir sehen, ein großer Schatten, der die Sonne, die hinter ihm ist, ankündigt. Möge Ihre einmütige Aktivität dazu beitragen, den Tourismus von Mal zu Mal mehr zu vermenschlichen. Möge sie auch ihren Beitrag dazu leisten, die Menschen zu befähigen, hinter den Schatten unseres Jahrhunderts die wahre Sonne der Wahrheit und der Gerechtigkeit, der Liebe und der Unsterblichkeit zu erkennen, diese Sonne, die im Weltraum aufgeht, die ihn erleuchtet und uns alle in ihrem unendlichen Mysterium erwartet. Das eigene und das Wohl der anderen Ansprache an das Diplomatische Korps in Madrid am 2. November Exzellenzen, meine Damen und Herren! 1. Es bereitet mir eine große Genugtuung, daß der pastorale Besuch in dieser Nation mir Gelegenheit bietet, Ihnen den geschätzten Mitgliedern des Diplomatischen Korps, die Sie mit einer so wichtigen Mission in diesem ehrenwerten Land beauftragt sind, hier zu begegnen. Sie bilden ein besonderes Korps, das in seiner Ganzheit und in seinen einzelnen Aktivitäten Ausdruck dieser breitgefächerten Wirklichkeit, nämlich der Gemeinschaft der Nationen, ist. Deshalb, wenn ich Ihnen hier meine aufrichtige Hochschätzung ausdrücke, grüße ich damit gleichzeitig jedes einzelne der Länder und Völker, deren hohe Repräsentanten Sie sind. 703 Reisen Ihre Mission ist sicherlich gewaltig. Wenn es wahr ist, daß die Diplomatie die Kunst des Friedenschaffens ist, dann ist es folgerichtig auch die Kunst, für Gerechtigkeit unter den Völkern und ihr gemeinsames Wohl zu arbeiten. Jede Anstrengung, die zum Sieg der Gerechtigkeit führt, stärkt allein schon den Frieden, der die unabdingbare Voraussetzung für jeden wirklichen Fortschritt, d. h. den geordneten Gebrauch der Güter dieser Erde, ist. Sie haben also von Berufs wegen Anteil an dem großen Werk des Friedens, der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls. Den ethischen Sinn der Geschichte schützen 2. Anderseits wissen Sie gut, daß die Kirche unablässig für das Erreichen dieser Ziele arbeitet von dem Moment an, wo ihr Dienst darauf gerichtet war, in den Eterzen nicht nur das Streben, sondern den entschiedenen Willen zu festigen, unerschrocken bei der Verwirklichung von Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und eines breiten und gerecht verteilten Wohlstandes mitzuhelfen. In der Höflichkeitsgeste Ihrer Anwesenheit glaube ich ein Zeichen der Wertschätzung gegenüber der Kirche, dem Hl. Stuhl und ihren auf eine größere Menschlichkeit zielenden Aktivitäten erkennen zu können. Es ist sicherlich ein Dienst transzendentaler Natur, aber gleichzeitig äußerst konkret, denn er fügt sich in den lebendigen Kontext des menschlichen Zusammenlebens ein. In der Tat, angesichts der gegenwärtigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krisen, angesichts der schmerzvollen Gegensätze zwischen den Nationen, angesichts der Einsamkeit des Menschen bei seiner Suche nach authentischen und ewigen Werten und Bedeutungsmustern, bringt die Kirche ihre Wahrheiten vor, indem sie die Überlegenheit des Geistes bekräftigt, den ethischen Sinn der Geschichte schützt und für transzendentale Ziele lebt. 3. Ihre Mission bringt Sie Tag für Tag in Kontakt mit der mahnenden Realität der internationalen Situation: Sie legt Ihnen die Verpflichtung auf, die legitimen Interessen Ihrer betreffenden Länder zu verteidigen, aber Sie sind sich dessen bewußt, daß diese Interessen mit denen anderer Völker verbunden sind; daß eine enge wechselseitige Abhängigkeit besteht, die wir gut planetarisch nennen können. Die Probleme, die auftreten, ihre tieferen Ursachen und die Lösungsmöglichkeiten, die sich anbieten, haben tatsächlich eine weltweite Dimension erhalten. Ich wage sogar zu behaupten, daß es für alle Länder und jedes 704 Reisen einzelne von ihnen gefährlich wäre, sich außerhalb der so gekennzeichneten universalen Sicht zu stellen. Sie erfordert ihrerseites notwendigerweise Solidarität der Völker untereinander, d.h. gegenseitige Zusammenarbeit. In diesem Sinne sagte ich am 15. Juni dieses Jahres vor der Internationalen Konferenz für Arbeit in Genf: „Um eine Welt der Gerechtigkeit und des Friedens entstehen zu lassen, muß die Solidarität die Fundamente des Hasses, des Egoismus, der Ungerechtigkeit niederreißen, die allzuoft zu ideologischen Prinzipien oder zum wesentlichen Lebensgesetz der Gesellschaft erhoben werden“ (Nr. 9; in: O.R. dt., Nr. 29 vom 16. 7. 82). Wie Sie leicht verstehen werden, wird zuerst die Solidarität verlangt, die auf die Verteidigung der moralischen Werte abzielt; mit dieser muß die Solidarität verbunden sein, die auf die Lösung aller menschlichen Probleme gerichtet ist, darunter natürlich auch die wirtschaftlicher Natur. Ich möchte noch hinzufügen: Die Solidarität ist nicht nur hinsichtlich ihrer Zielsetzungen, sondern auch von sich aus ein ethischer Wert, eine moralische Verpflichtung, nach der jedes Volk bei der Förderung des eigenen Wohls auch um das Wohl der anderen besorgt sein muß. Das ist eine Forderung, die aus dem Prinzip der wechselseitigen Abhängigkeit abgeleitet ist, auf die ich mich vorhin bezogen habe. 4. Anderseits kann die in den internationalen Beziehungen nötige Funktion der Ehtik nicht verwundern; hinter jedem Staat und jeder Regierung stehen immer Völker, menschliche Gruppen, genauer gesagt Personen, die mit geistiger Würde ausgestattet und immer unveräußerlichen Rechten und Pflichten unterworfen sind. Der Mensch mit seinen transzendentalen und unvergänglichen Bedürfnissen ist Kriterium und Maß für alle politischen Bemühungen, einschließlich der internationalen. In dieser Hinsicht erscheinen mir die Worte der Enzyklika Redemptor hominis, die in einem ähnlichen Zusammenhang stehen, angebracht: „. . . Die Rechte der staatlichen Gewalt (können) nicht anders verstanden werden als auf der Grundlage der Achtung der objektiven und unverletzlichen Menschenrechte“ (Nr. 17). Mit anderen Worten: Die staatliche Gewalt und die internationalen Beziehungen müssen auf der Grundlage der von der Würde der Völker und der Menschen abgeleiteten ethischen Normen stehen. Wenn man anderseits anerkennt, daß die Menschen Rechten und Pflichten und einer höheren Bestimmung unterworfen sind, dann heißt das auch, anzuerkennen, daß sie Akteure ihrer eigenen Geschichte und ihrer zunehmenden Humanisierung sind; daß sie Verantwortung tragen für die 705 Reisen Handlungen, die darauf gerichtet sind, die menschliche Berufung zu verwirklichen und ihrem Dasein als menschlichem Dasein einen Sinn zu geben. 5. Exzellenzen, meine Damen und Herren! Wenn ich diese Überlegungen mit Ihnen, Experten des Übereinkommens und Meister des Dialogs, teilen wollte, dann deshalb, weil ich von dem unersetzbaren Beitrag überzeugt bin, den Sie mit dem diplomatischen Dienst zu leisten aufgerufen sind. Die folgenden Wünsche möchte ich für Sie formulieren, die Sie dazu berufen sind, zum Wohl Ihrer Länder zusammenzuarbeiten und gleichzeitig das Wohl aller anderen zu mehren: Mögen Sie Ihre Kräfte, Erfahrungen und Talente entfalten für den Aufbau einer in wachsendem Maß solidarischen und menschüchen Welt. Für Ihre Personen, Ihre ehrenwerten Ziele und Bemühungen, für Ihre Familien und schließlich auch für die, die auf Ihren Dienst vertrauen, bitte ich um den reichen Segen Gottes, des Allmächtigen. „Den Pulsschlag der Zeit auf nehmen“ Ansprache an die Repräsentanten der Medien in Madrid am 2. November Liebe Freunde, Repräsentanten der Medien! 1. Nehmen Sie zunächst meinen herzlichen Gruß entgegen, der erfüllt ist von der Wertschätzung für die wichtige Funktion, die Sie in der modernen Gesellschaft ausüben. Morgen werde ich kurz mit den zahlreichen Journalisten und Fernsehfachleuten Zusammentreffen, die laufend über meinen Spanienbesuch berichten. Heute möchte ich Ihnen als den Repräsentanten der Programmaufnahme und .der Verbreitungszentren der so vielschichtigen Kommunikationswelt in ihren verschiedenen Formen sprechen. Einer Welt, der durch den delikaten Charakter und die Ausweitung dieses Phänomens im Leben unserer Zeit entscheidende Bedeutung zukommt. 706 Reisen In der Tat können Sie durch die von Ihnen abhängigen Einrichtungen den Pulsschlag unserer Zeit aufnehmen und bestimmen. Sie tun das, indem Sie die Tagesereignisse vermitteln und Millionen Menschen daran teilhaben lassen. Es ist eine Tatsache, die uns zur Gewohnheit wird, die aber deshalb nicht weniger aufsehenerregend ist. Heutzutage ist die Welt häufig ein einziger riesiger Zuschauerraum mit einem einzigen Publikum, das die gleichen kulturellen, sportlichen, politischen und religiösen Ereignisse verbinden. Die Information und die Kultur haben das Bedürfnis nach ihrer Steigerung und Vervielfältigung aufkommen lassen, und Sie widmen sich dieser schönen Aufgabe. Es ist ein Dienst von unabsehbarer Bedeutung. Durch die enormen Möglichkeiten, die er einschließt, und die Notwendigkeit, sich nicht auf Informationen zu beschränken, sondern die Güter des Verstandes, der Kultur und des Zusammenlebens zu fördern, indem er zugleich eine zutreffende öffentliche Meinung bildet, so wie es das Zweite Vatikanische Konzil fordert (vgl. Inter mirifica, Nr. 8). 2. Ich habe ein wohlüberlegtes Wort gebraucht: Dienst. Denn mit Ihrer Arbeit dienen Sie in der Tat und sollen Sie der Sache des ganzen Menschen dienen: seinem Leib, seinem Geist, seinem Bedürfnis nach ehrenhafter Zerstreuung und Unterhaltung, nach kultureller und religiöser Nahrung, nach einem korrekten Kriterium für sein individuelles und soziales Leben. Das ist eine edle Aufgabe, die dem, der sie auf würdige Weise ausübt, Ehre macht, weil sie einen wertvollen Beitrag zum Wohl der Gesellschaft, zu ihrer Ausgewogenheit und ihrer Bereicherung leistet. Deshalb mißt die Kirche dem Bereich der sozialen Kommunikation und der Kulturvermittlung so große Bedeutung bei. Darum zögert sie nicht, die Christen aufzufordern, sich die notwendigen technischen Fachkenntnisse anzueignen und mit gutem Gewissen auf diesem hochempfindlichen Gebiet zu arbeiten, wo so hohe Werte auf dem Spiel stehen. Während ich mit Ihnen diese Überlegungen anstelle, muß ich daran denken, daß es viel Gemeinsames zwischen Ihrer und meiner Sendung gibt, insofern wir Diener der Kommunikation unter den Menschen sind. Mir kommt es in besonderer Weise zu, der Menschheit die Frohbotschaft des Evangeliums zu vermitteln und mit ihr die Botschaft von der Liebe, der Gerechtigkeit und dem Frieden Christi. Werte, die Sie bei Ihrem Bemühen, eine in wachsendem Maß einige, friedliche und menschliche Welt zu schaffen, die sich durch Wahrheit und Moralität auszeichnet, entscheidend fördern können. 707 Reisen 3. Ein Bereich, der die Information und Bildung des Menschen und der öffentlichen Meinung berührt, stellt natürlich dringendere Ansprüche in ethischer Hinsicht. Zu ihnen gehört die Forderung, daß diejenigen, die sich dem Kommunikationswesen widmen, „über die Kenntnis der Grundsätze sittlicher Wertordnung und die Bereitschaft verfügen, sie auch in diesem Bereich zu verwirklichen“ (Inter mirifica, Nr. 4), und daß „die Mitteilung inhaltlich stets der Wahrheit entspricht und bei Beachtung der durch Recht und menschliche Rücksichtnahme gezogenen Grenzen vollständig ist“ (ebd., Nr. 5). Man wird also von einer unverkürzten anthropologischen Dimension aus einen Kommunikationsdienst anbieten können, der der tiefen Wahrheit über den Menschen entspricht. Und in der die Normen der Berufsethik ihre Motive für die Übereinstimmung mit der Wahrheit entdecken, die das Christentum enthält. Das Suchen nach der unumgänglichen Wahrheit verlangt ein dauerndes Bemühen, es verlangt, daß man sich auf die entsprechende Stufe der Erkenntnis und kritischen Auswahl stellt. Das ist nicht leicht, wie wir sehr gut wissen. Jeder Mensch bringt seine eigenen Ideen, seine Interessen und auch seine Vorurteile mit. Doch der für die Kommunikation Verantwortliche darf sich nicht hinter dem verschanzen, was man gemeinhin die „Unmöglichkeit der Objektivität“ nennt. Auch wenn eine vollkommene und vollständige Objektivität schwierig ist, gilt das nicht für die Bemühungen, die Wahrheit zu finden, den Entschluß, die Wahrheit anzubieten, die Gewohnheit, die Wahrheit nicht zu manipulieren, die unbestechliche Haltung gegenüber der Wahrheit; einzig aus rechtgeleitetem sittlichem Bewußtsein und ohne die eigenen Überzeugungen aus falschem Prestigedenken, persönlichem, politischem, wirtschaftlichem oder Gruppeninteresse zu verraten. 4. Für die Vertreter Ihres Berufes gibt es zahlreiche deontologische Texte, von denen die meisten mit großem ethischem Einfühlungsvermögen erarbeitet wurden. Sie ermutigen, die Wahrheit zu respektieren, das berechtigte Berufsgeheimnis zu verteidigen, Sensationslust zu vermeiden, der sittlichen Formung der Kinder und Jugendlichen mehr Beachtung zu schenken, das Zusammenleben in einem echten Pluralismus der einzelnen, der Gruppen und der Völker zu fördern. Ich ermutige Sie auch, sich dieser Themen anzunehmen, aber nicht nur als Akteure des Kommunikationswesens, sondern auch als Empfänger, als Hörer oder Zuschauer. Denken Sie an Ihre Familien und an Ihre Kinder, die gleichfalls Empfänger einer Vielzahl von Botschaften sind; einige von 708 Reisen diesen haben keine aufbauende, belehrende Wirkung, sondern vermitteln, um dem sexuellen Permissivismus, der Mode-Ideologie, einer aus altem Groll gewachsenen antireligiösen Kritik oder einer gewissen Nachgiebigkeit gegenüber Erscheinungen wie der Gewalt Rechnung zu tragen, ein entstelltes Bild vom Menschen und seiner Würde. Mit der Stimme des Lehramtes sich identifizieren Vergessen Sie niemals, daß von Ihrer Tätigkeit manchmal - wenigstens zum guten Teil - das moralische Verhalten so vieler Männer und Frauen Ihrer Nation und auch außerhalb von ihr abhängt. Je nach Ihrem Verhalten, je nach dem „Produkt“, das Sie von Ihren Mitarbeitern verlangen bzw. anbieten, wird es Anlaß zu verdienstvoller Würdigung oder zu Vorwürfen geben. Und niemals wird etwas vor Gott, vor Ihrem Gewissen und vor der Gesellschaft der moralischen Bewertung enthoben sein. 5. Ich kann dieses Gespräch nicht abschließen, ohne ein besonderes Wort an die hier anwesenden Priester, Ordensleute und katholischen Laien zu richten, die für Kommunikationseinrichtungen der Kirche in den verschiedenen Bereichen verantwortlich sind. Ihr wißt, daß eure Bischöfe mit Interesse und Wohlwollen diese wertvolle Tätigkeit verfolgen, die unerläßlich ist, damit die Stimme der Kirche in der öffentlichen Meinung durch diese Kommunikationsmedien vernommen wird, die von der Hierarchie selbst, manchen Ordensfamilien, Säkularinstituten oder katholischen Gruppen eingerichtet wurden. Auf Grund eurer konkreten Stellung und des Mediums, in dem ihr arbeitet, können jene, für die eure Dienste bestimmt sind, oft meinen, ihr seid auf die eine oder andere Weise die Stimme der Kirche oder die ihrer Würdenträger. Das legt euch noch größere Verantwortung auf. Von daher ergibt sich die Notwendigkeit eines gesteigerten Einfühlungsvermögens, um sich voll und ganz in grundlegenden dogmatischen und moralischen Fragen mit der authentischen Stimme des Lehramtes zu identifizieren, das heißt einer Haltung der Liebe zur Kirche und der treuen Zusammenarbeit mit ihr. Nur so kann es eine konstruktive Arbeit geben, nur so wird vermieden, die christliche Botschaft zu zersetzen und die Gläubigen durch unannehmbare Einstellung oder zerstörerische Kritik zu verwirren. 6. Liebe Brüder! Laßt mich euch mit tiefer Wertschätzung und Achtung vor eurer gerechten Freiheit in eurer hohen menschlichen und christlichen Sendung ermutigen, dem Menschen zu dienen, der Kind Gottes und 709 Reisen zunehmend Bürger der Welt ist. Die Kirche schätzt und respektiert eure Arbeit. Sie fordert auch die Respektierung des großen Bereiches der sozialen Kommunikation. Gott segne eure die Grenzen des Irdischen übersteigende Arbeit und euer Leben. Das ist mein Gebet für euch, für eure Familien und für alle, die der Würde des Menschen in der erhabenen Sache der Wahrheit dienen. Echte Diener der „Hauskirche“ sein! Predigt bei der Messe für die christlichen Familien in Madrid am 2. November 1. Liebe Brüder und Schwestern! Eheleute und Eltern! Erlaubt mir, daß ich, dem in der heutigen Liturgie verkündeten Gotteswort folgend, euch an den Augenblick erinnere, in dem ihr durch das Sakrament der Kirche vor Gott und vor den Menschen Mann und Frau geworden seid. In einem so bedeutenden Augenblick hat die Kirche vor allem den Heiligen Geist feierlich auf euch herabgerufen, damit er entsprechend der Verheißung, die die Apostel von Christus empfangen haben, bei euch bleibe: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14, 26). Er bringt die Liebe und den Frieden mit sich, und darum sagt Christus: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch“ {Joh 14, 27). Er, der Heilige Geist, ist der Geist der Stärke, und eben deshalb sagt Christus: „Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht“ {Joh 14,27). So seid ihr also durch die Anrufung des Heiligen Geistes und kraft des Sakramentes der Kirche Mann und Frau geworden - und in diesem Sakrament werdet ihr während der Tage, Wochen und Jahre eures Lebens bleiben. In diesem Sakrament werdet ihr, Eheleute, zu Eltern und bildet die grundlegende, aus Eltern und Kindern bestehende menschliche und christliche Gemeinschaft, eine Gemeinschaft des Lebens und der Liebe. Heute wende ich mich vor allem an euch; ich will mit euch beten, euch segnen und euch neu in der Gnade bestärken, an der ihr durch das Ehesakrament teilhabt. 710 Reisen 2. Vor dem sichtbaren Verlassen dieser Welt hat Christus uns seinen Geist verheißen und geschenkt, damit wir seine Worte nicht vergessen. Wir wurden dem Geist anvertraut, damit die Worte des Herrn in bezug auf die Ehe immer im Herzen jedes Mannes und jeder Frau blieben, die in der Ehe miteinander verbunden sind. Heute ist diese Präsenz des Geistes nötiger denn je: eine Präsenz, die den traditionellen Sinn für die Familie unter euch weiterhin stärken möge. Sie lasse euch zutiefst und voll Glück die ständige Anregung erfahren, Ehe und Familienleben nach den Worten und der Gabe Christi auszurichten. Auch dieser innere Impuls des Geistes erweist sich heute als notwendiger denn je. Ihr christlichen Eheleute sollt ja mit seiner Hilfe ein christlich ausgerichtetes Familienleben führen, auch wenn ihr in einer Umwelt lebt, in der die Regeln des christlichen Lebens nicht gebührende Beachtung bzw. im gesellschaftlichen Leben und in den für den häuslichen Bereich leicht zugänglichen Massenmedien nicht den entsprechenden Widerhall finden. Ihr müßt mit der Dynamik eures Glaubens jedem möglichen Gegendruck standhalten und ihn überwinden, müßt imstande sein, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und dürft nicht müde werden, den Geboten des Herrn, an die der Geist euch durch das Lehramt der Kirche ständig erinnert, den gebührenden Gehorsam zu erweisen. Als Jesus, unser Herr, von der Ehe sprach, nahm er Bezug auf den „Anfang“, das heißt auf den ursprünglichen Plan Gottes, auf die Wahrheit von der Ehe (vgl. Mt 19, 8). Einander sich für immer schenken Nach diesem Plan ist die Ehe eine unauflösliche Gemeinschaft der Liebe. „Diese innige Vereinigung als gegenseitiges Sichschenken zweier Personen wie auch das Wohl der Kinder verlangen die unbedingte Treue der Gatten und fordern ihre unauflösliche Einheit“ (Gaudium etspes, Nr. 48). Deshalb steht jeder Angriff auf die Unauflöslichkeit der Ehe zugleich im Gegensatz zum ursprünglichen Plan Gottes und auch im Gegensatz zur Würde und zur Wahrheit der ehelichen Liebe. Man kann also verstehen, daß der Herr, wenn er eine für alle gültige Norm verkündigt, lehrt, daß es dem Menschen nicht gestattet ist zu trennen, was Gott verbunden hat (vgl. Mt 19, 6). Mit eurem Vertrauen in den Geist, der euch ständig an all das erinnert, was Christus uns gesagt hat, seid ihr, christliche Eheleute aufgerufen, Zeugnis zu geben von den Worten Christi. „Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ 711 Reisen Ihr seid aufgerufen, vor den anderen die innere Fülle eurer treuen und beständigen Verbundenheit zu leben, auch angesichts gesetzlicher Bestimmungen, die in andere Richtung weisen können. So werdet ihr zum Wohl der Institution Familie beitragen; und ihr werdet - im Gegensatz zu dem, was mancher denken mag - den Beweis dafür liefern, daß Mann und Frau die Fähigkeit besitzen, einander sich für immer zu schenken und daß die wahre Vorstellung von Freiheit kein Hindernis ist für eine freiwillige und immerwährende Hingabe. Deshalb wiederhole ich für euch, was ich in dem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio gesagt habe: „Den unschätzbaren Wert der Unauflöslichkeit und der ehelichen Treue zu bezeugen, ist eine der wichtigsten und dringlichsten Pflichten der christlichen Ehepaare in unserer Zeit“ (Nr. 20). Außerdem ist nach dem Plan Gottes die Ehe eine unauflösliche Gemeinschaft der Liebe, hingeordnet auf das Leben, das ein Fortbestehen und eine Erfüllung für die Ehegatten ist. Es besteht eine untrennbare Beziehung zwischen der ehelichen Liebe und der Weitergabe des Lebens, auf Grund welcher - wie Paul VI. lehrte - „jeder eheliche Akt offen bleiben muß für die Weitergabe des Lebens” (Humanae vitae, Nr. 11, AAS 60, 1968, 448). Hingegen - so schrieb ich in dem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio - „während die geschlechtliche Vereinigung ihrer ganzen Natur nach ein vorbehaltloses gegenseitiges Sichschenken der Gatten zum Ausdruck bringt, wird sie durch die Empfängnisverhütung zu einer objektiv widersprüchlichen Gebärde, zu einem Sich-nicht-ganz-Schenken. So kommt zur aktiven Zurückweisung der Offenheit für das Leben auch die Verfälschung der inneren Wahrheit ehelicher Liebe“ (Nr. 32). Aber es gibt noch einen anderen, schwerer wiegenden und grundlegenden Aspekt, der sich auf die eheliche Liebe als Quelle des Lebens bezieht: Ich spreche von der absoluten Achtung vor dem menschlichen Leben, die keine Person und keine Institution, sei sie privat oder öffentlich, ignorieren darf. Wer der unschuldigsten und schwächsten menschlichen Person, der menschlichen Person, die bereits empfangen, aber noch nicht geboren wurde, den Schutz verweigern würde, beginge daher eine schwere Verletzung der moralischen Ordnung. Der Tod eines Unschuldigen läßt sich niemals rechtfertigen. Das Fundament der Gesellschaft wäre bedroht. Welchen Sinn hätte es, von der Würde des Menschen, von seinen Grundrechten zu reden, wenn man einen Unschuldigen nicht schützt oder sogar die Mittel bzw. private oder öffentliche Dienste zur Zerstörung ungeschützten menschlichen Lebens liefert? Liebe Eheleute! Christus hat euch seinem Geist anvertraut, damit ihr seine Worte nicht vergeßt. In diesem 712 Reisen Sinn sind seine Worte sehr ernst: „Hütet euch davor, einen von diesen Kleinen zu verachten! Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters“ (Mt 18, 10). Er wollte zum ersten Mal von einem Kind erkannt werden, das noch im Schoße seiner Mutter lebte, ein Kind, das sich freute und vor Freude über seine Anwesenheit im Mutterleib aufhüpfte. 3. Euer Dienst am Leben beschränkt sich aber nicht auf seine physische Weitergabe. Ihr seid die ersten Erzieher eurer Kinder. Wie das zweite Vatikanische Konzil lehrt, „haben die Eltern, da sie ihren Kindern das Leben schenkten, die überaus schwere Verpflichtung zur Kindererziehung. Daher müssen sie als die ersten und bevorzugten Erzieher ihrer Kinder anerkannt werden. Ihr Erziehungswirken ist so entscheidend, daß es dort, wo es fehlt, kaum zu ersetzen ist“ (Gravissimum educationis, Nr. 3). Da es sich um eine auf die ursprüngliche Berufung der Ehegatten gegründete Verpflichtung handelt, am Schöpfungswerk Gottes teilzuhaben, steht ihnen das entsprechende Recht zu, ihre Kinder zu erziehen. Seinem Ursprung nach ist es eine vorrangige Verpflichtung und ein vorrangiges Recht im Vergleich zur erzieherischen Aufgabe anderer; es ist unersetzlich und unveräußerlich, das heißt, es läßt sich nicht vollständig an andere abgeben, noch können andere es sich aneignen. Es besteht kein Zweifel, daß im Erziehungsbereich der öffentlichen, staatlichen Autorität Rechte und Pflichten zufallen, insofern die Erziehung dem Gemeinwohl dienen soll. Der Staat kann jedoch nicht die Eltern ersetzen, denn seine Aufgabe besteht darin, ihnen zu helfen, damit sie ihr Recht und ihre Pflicht der Erziehung ihrer Kinder entsprechend ihren moralischen und religiösen Überzeugungen erfüllen können. Die staatliche Autorität spielt in diesem Bereich eine unterstützende Rolle und verzichtet keineswegs auf ihre Rechte, wenn sie den Dienst der Eltern achtet; im Gegenteü, darin besteht gerade ihre Größe: die freie Ausübung der erzieherischen Rechte zu verteidigen und zu fördern. Deshalb heißt es in eurer Verfassung, daß „die staatliche Macht das Recht der Eltern gewährleistet, daß ihre Kinder die religiöse und moralische Erziehung erhalten, die in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen steht“ (vgl. Art. 27, 3) Konkret muß das Recht der Eltern auf religiöse Erziehung ihrer Kinder besonders gewährleistet sein. In der Tat ist einerseits die religiöse Erziehung die Erfüllung und das Fundament jeder Erziehung, die - wie wiederum eure Verfassung sagt - „die volle Entfaltung der menschlichen 713 Reisen Persönlichkeit“ zum Ziel hat (ebd. 2). Anderseits würde das Recht auf religiöse Freiheit großenteils entkräftet werden, wenn die Eltern nicht die Garantie hätten, daß ihre Kinder in jeder Schule, die sie besuchen, auch in der staatlichen, Religionsunterricht und religiöse Erziehung erhalten. 4. Liebe Brüder und Schwestern! Liebe Eheleute und Eltern! Ich habe einige wesentliche Punkte des Planes Gottes bezüglich der Ehe in Erinnerung gerufen, damit ihr in eurem Herzen leichter auf die Worte hören könnt, die Christus an euch richtet und an die euch der Geist ständig erinnert. „Das Gesetz Gottes ist vollkommen, es stärkt die Seelen . . . , es macht den Einfachen weise. Die Gebote des Herrn sind gerecht.“ Das Gesetz des Herrn, das eure Ehe- und Familienleben lenken muß, ist der einzige Weg des Lebens und des Friedens. Es ist die Schule der wahren Weisheit: „Wer es beachtet, wird reiche Frucht bringen.“ Doch es genügt nicht, das Gesetz, auf dem Ehe und Familie aufgebaut ist, als gerecht anzuerkennen. Wer erkennt nicht seine eigene Alltagserfahrung, wenn er den hl. Paulus sagen hört: „Denn in meinem Innern freue ich mich am Gesetz Gottes, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das mit dem Gesetz meiner Vernunft im Streit liegt“ (Röm 7, 22-23)? Es bedarf einer ständigen Umkehr des Herzens, einer dauernden Offenheit des menschlichen Geistes, damit jedes Leben sich mit dem von der Autorität des Gesetzes gehüteten Gut identifiziert. Darum haben wir in der heutigen Liturgie aus dem Munde des Propheten Ezechiel die folgenden Worte vernommen: „Ich schenke euch ein neues Herz und gebe euch einen neuen Geist. Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch. Ich lege meinen Geist in euch hinein und bewirke, daß ihr nach meinen Gesetzen lebt und meine Gebote achtet und erfüllt“ (Ez 36, 26-27). Der Geist schreibt in eure Herzen das Gesetz Gottes über die Ehe. Es steht nicht nur draußen geschrieben: in der Heiligen Schrift, in den Dokumenten der Überlieferung und des Lehramtes der Kirche. Es steht auch in euch geschrieben. Es ist der Neue und Ewige Bund, von dem der Prophet spricht, der an die Stelle des Alten Bundes tritt und dem ursprünglichen Bund mit der schöpferischen Weisheit, der in das Menschsein jedes Mannes und jeder Frau eingeschrieben ist, seinen anfänglichen Glanz wiedergibt. Es ist der Bund im Geist, von dem der hl. Thomas sagt, daß „das Neue Gesetz die Gnade des Heiligen Geistes selbst ist“ {Summa Theologica, I, II, 9, 108 (od. 109) a.l). Das Leben der Ehegatten, die Berufung der Eltern erfordern ein fortge- 714 Reisen setztes und dauerndes Zusammenwirken mit der Gnade des Geistes, die euch durch das Sakrament der Ehe geschenkt worden ist, damit sie ständig Frucht bringt und nicht wegen unseres Kleinmutes, unserer Untreue oder Gleichgültigkeit erlischt. In der Kirche Spaniens gibt es zahlreiche Bewegungen für Familienspiritualität. Ihre Aufgabe ist es, ihren Mitgliedern zu helfen, daß sie der Gnade des Ehesakraments treu sein und ihre Ehe- und Familiengemein-schaft nach dem Plan Gottes verwirklichen können, und diesen schützt das Gesetz, das der Geist in das Herz der Eheleute eingeschrieben hat. Mit dieser Zielsetzung muß sich ferner stets die umfassendere Aufgabe der Zusammenarbeit verbinden, um die kirchliche Gemeinschaft in echter Weise zu verwirklichen. In diesem Sinne muß alle apostolische Tätigkeit die von der Kirche herausgegebenen pastoralen Kriterien anzupassen und in die Praxis umzusetzen wissen, denen jeder Mitarbeiter der Seelsorge treu sein muß. Die Person um ihrer selbst willen lieben 5. Wenn die Eheleute in der Wahrheit des Planes Gottes bezüglich der Ehe ihren Weg gehen, kommt es zu jener Einheit des Geistes und der Gemeinschaft in der Liebe, von der der hl. Paulus zu den Christen von Philippi spricht. Ich mache mir jetzt die Worte des Apostels zu eigen: „Tut nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei. Sondern in Demut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das des anderen“ (Phil 2, 3-4). Ja, der Gatte soll nicht nur seine eigenen Interessen suchen, sondern auch die seiner Frau und sie die ihres Gatten; die Eltern sollen die Interessen ihrer Kinder suchen und diese ihrerseits die Interessen ihrer Eltern. Die Familie ist die einzige Gemeinschaft, in der jeder Mensch „um seiner selbst willen geliebt wird“ aufgrund dessen, was er ist, und nicht dessen, was er hat. Die Grundnorm der ehelichen Gemeinschaft ist nicht die des eigenen Nutzens und der eigenen Befriedigung. Der andere wird nicht um des Nutzens und der Befriedigung willen geliebt, die er verschafft: Er wird geliebt als der, der er ist und um seiner selbst willen. Die Grundnorm ist also die personalistische Norm; jede Person (die Person des Gatten, der Ehefrau, der Kinder, der Eltern) wird in ihrer Würde als solcher bestätigt und um ihrer selbst willen geliebt. Die Achtung dieser Grundregel erklärt, wie der Apostel lehrt, daß nichts aus Ehrgeiz oder Prahlerei getan wird, sondern in Demut, aus Liebe. Und 715 Reisen diese Liebe, die sich den anderen öffnet, bewirkt, daß die Familienmitglieder echte Diener der „Hauskirche“ sind, in der jeder auf das Wohl und das Glück des anderen bedacht ist und wo alle und jeder die Liebe dadurch verwirklichen, daß sie sich eifrig um dieses Wohl und dieses Glück bemühen. 6. Ihr begreift, warum die Kirche auf die Ehe und die Familie als einen Bereich blickt, den es mit allem nur möglichen Einsatz zu pflegen gilt. Wie großartig ist die Wahrheit der Berufung und des Ehe- und Familienlebens nach den Worten Christi und nach dem Vorbild der Heiligen Familie! Seien wir diesen Worten und diesem Vorbild treu! Zugleich kommt darin die wahre Liebe zu Christus zum Ausdruck, die Liebe, von der er im heutigen Evangelium spricht: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen. . . Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat“ (Joh 14, 23-24). Liebe Brüder und Schwestern! Ehemänner und Ehefrauen! Vater und Mütter! Familien des edlen Spanien: der Nation und der Kirche! Bewahrt in eurem Leben die Lehren des Vaters, die euch der Sohn verkündet hat. Bewahrt diese heiligen Lehren mit der Kraft des Heiligen Geistes, der euch im Sakrament der Ehe geschenkt worden ist. Der Vater, der im Geist zu euch gekommen ist, möge in euren Familien durch dieses Sakrament wohnen, zusammen mit Christus, seinem ewigen Sohn. Durch diese spanischen Familien möge der große göttliche Heilsplan am Menschen auf Erden weitergeführt werden. Amen. Ein unvergeßlicher Lebensstrom Ansprache an die Mitglieder der männlichen Orden und Säkularinstitute in Madrid am 2. November Liebe Brüder! 1. Das Gebetstreffen heute abend hier in Madrid, gleichsam zu Beginn meiner apostolischen Reise in Spanien, ist für mich ein Anlaß überaus großer Freude. Denn es handelt sich um eine Begegnung mit Menschen, 716 Reisen die mir besonders lieb sind, gehört doch ihr Leben, das durch die Gelübde der drei evangelischen Räte geheiligt ist, „unerschütterlich zum Leben und zur Heiligkeit der Kirche“ (Lumen gentium, Nr. 44). Ihr gehört zu diesem unermeßlichen Lebensstrom, der mit solcher Großzügigkeit in den spanischen Landen entsprungen ist und der den Samen des Evangeliums bei vielen Völkern der ganzen Welt auf gehen und reiche Frucht bringen ließ. In Ordensfamilien alter Herkunft und jüngerer Gründung habt ihr hochherzig allen Menschen aller Rassen und aller Sprachen gedient: und einst wie jetzt habt ihr den zweitausendjährigen Stamm der Kirche mit Leben erfüllt. Ich möchte euch mit den Worten des hl. Paulus sagen, daß „ich Gott jederzeit danke euretwegen für die Gnade Gottes, die euch in Christus Jesus geschenkt wurde, daß ihr an allem reich geworden seid in ihm . . . Denn das Zeugnis über Christus wurde bei euch gefestigt“ (1 Kor 1, 4-6). Der Papst ist auch dankbar für die Gelegenheit zu dieser Begegnung, die die hl. Theresia von Jesus mir ermöglicht hat, da sie der Anlaß war, auf den ich so wartete, um ganz persönlich zu euch sprechen zu können. Ihr stellt einen großen Reichtum an Spiritualität und apostolischen Initiativen im Schoße der Kirche dar. Von euch hängt zu einem großen Teil das Schicksal der Kirche ab. Das erlegt euch eine schwere Verantwortung auf und verlangt, daß ihr euch zutiefst der Größe der empfangenen Berufung und der Notwendigkeit bewußt seid, dieser Berufung immer besser zu entsprechen. Ja, es geht darum, Christus nachzufolgen, auf die empfangene Berufung die bejahende Antwort zu geben und der Kirche in einem heiligmäßigen Leben voll Freude zu dienen. 2. Eure Berufung ist eine göttliche Initiative; ein Geschenk an euch und zugleich ein Geschenk für die Kirche. Ihr habt der Treue dessen, der euch berufen hat, und der Kraft seines Geistes vertraut und euch durch die Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams Gott zur Verfügung gestellt, nicht nur für eine bestimmte Zeit, sondern für das ganze Leben, „mit einem unwiderruflichen Gelöbnis“. Ihr habt im Glauben zu allem und für immer ja gesagt. In einer Gesellschaft, in der es oft an Mut zur Übernahme von Verpflichtungen mangelt und viele sich eines Lebens ohne alle Bindungen rühmen, gebt ihr das Zeugnis einer endgültigen Verpflichtung durch eine Entscheidung für Gott, die das Leben einschließt. Ihr seid fähig zu lieben. Die Qualität eines Menschen läßt sich an der Art seiner Bindungen messen. Man darf also, und zwar mit Freude, sagen, daß 717 Reisen sich eure Freiheit in freiwilligem Dienst, in liebevoller Knechtschaft an Gott gebunden hat. Und dadurch ist euer Menschsein zur Reife gelangt. „Menschliche Reife - schrieb ich in der Enzyklika Redemptor hominis -bedeutet den vollen Gebrauch des Geschenkes der Freiheit, das wir vom Schöpfer in dem Augenblick erhalten haben, in dem er den ,nach seinem Bild und Gleichnis' erschaffenen Menschen ins Dasein gerufen hat. Dieses Geschenk findet seine volle Entfaltung in der vorbehaltlosen Hingabe der eigenen menschlichen Person an Christus im Geist bräutlicher Liebe und mit Christus an alle, zu denen er Männer und Frauen sendet, die ihm durch die evangelischen Räte ganz geweiht sind. Dies ist gerade das Ideal des Ordenslebens, das von den alten und neuen Orden und Kongregationen sowie von den Säkularinstituten übernommen worden ist“ (Nr. 21). „Komm und folge mir nach!“ Dankt Gott immer für den geheimnisvollen Ruf, der eines Tages in der Tiefe eures Herzens erklang: „Folge mir“ (vgl. Mt 9, 9; Joh 1, 45). „Geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach“ {Mt 19, 21). Dieser Anruf und eure Antwort, die Gott selber mit seiner Gnade in euer Wollen und auf eure Lippen gelegt hat, liegen eurem persönlichen Weg zugrunde und - vergebt das nie - sie begründen all euer Tun. Laßt im Gebet immer wieder diese persönliche Begegnung mit dem Herrn lebendig werden; er wird während eures ganzen Lebens immer wieder darauf dringen: „Folge mir!“ Mit dem hl. Paulus will ich euch sagen: „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ {Röm 11, 29). Gott, den es nie gereuen wird, euch auserwählt zu haben, ist treu. Und wenn im täglichen Mühen der Askese Reue und Umkehr erforderlich sind, denkt an das Gleichnis vom verlorenen Sohn und an die Freude des Vaters. „Diese Freude weist auf ein unverletztes Gut hin: Ein Sohn hört nie auf, in Wahrheit Sohn seines Vaters zu sein, selbst dann nicht, wenn er sich von ihm trennt; sie weist darüber hinaus auf ein wiedergefun-denes Gut hin: im Fall des verlorenen Sohnes die Rückkehr zur Wahrheit über sich selbst“ {Dives in misericordia, Nr. 6). Pflegt die häufige Beichte mit der Regelmäßigkeit, die eure Regeln und Konstitutionen empfehlen und vorsehen. Eure Berufung bildet einen wesentlichen Teil der tiefsten Wahrheit über euch selbst und über eure Bestimmung. „Nicht ihr habt mich erwählt - 718 Reisen sagt der Herr mit Worten, die sich auf euch anwenden lassen sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt“ (Joh 15, 16). Gott hat euch erwählt! 3. Eure schon vor langer Zeit oder auch erst vor kurzem übernommene Verpflichtung muß im Herrn immer stärker werden. Ich bitte euch um eine erneuerte Treue, die die Liebe zu Christus glühender, eure Hingabe opferbereiter und froher, euren Dienst demütiger machen soll, in dem Wissen, daß - ich will es euch mit den Worten der hl. Theresia von Jesus sagen - „für den, der wirklich beginnt, dem Herrn zu dienen, das eigene Leben das wenigste ist, was er ihm anbieten kann“. Dafür braucht es ein aufmerksames Hören auf das Geheimnis Gottes und das tägliche Eindringen in die Liebe des gekreuzigten Christus durch die beharrliche Pflege des Gebetes unter der sicheren Führung der reinen Quellen christlicher Spiritualität. Lest mit Eifer die Werke der großen Meister des Geistes. Wie viele Schätze der Liebe und des Glaubens stehen euch in eurer schönen Sprache griffbereit zur Verfügung! Und vor allem verkostet voll Glauben und Demut die Heilige Schrift, um zu der „alles übertreffenden Erkenntnis Christi“ {Phil 3, 8) zu gelangen. Allein in ihm, durch seinen Geist werdet ihr die Kraft finden, die notwendig ist, um die immer wieder erlebten Schwächen zu überwinden. Haltet in der tiefen Sicht des Glaubens die Überzeugung lebendig, daß eure Berufung göttlichen Ursprungs ist, und nährt sie im Gebet und in den Sakramenten, besonders durch das heilige Geheimnis der Eucharistie, das Quelle und Höhepunkt jedes echt christlichen Lebens ist. So werdet ihr leicht jede Unsicherheit in bezug auf eure Identität überwinden, und ihr werdet von Treue zu Treue voranschreiten nach dem Geist Christi in den Seligpreisungen, und ihr werdet Zeugen für das Reich Gottes in der heutigen Welt sein. Diese Treue setzt zunächst und vor allem die wachsende Sehnsucht nach dem Dialog mit Gott, nach der hebevollen Vereinigung mit ihm voraus. Gott will, daß der ihm geweihte Mensch - ich sage es euch mit dem hl. Johannes vom Kreuz - „in solchem Maß an ihn gebunden sei, daß er sich von allem anderen löst und alles für ihn tot sei, denn Gott selbst will sein Reichtum, sein Trost, seine Freude und seine Ehre sein“. Diese Sehnsucht nach der Vereinigung mit Gott läßt euch die Wahrheit der Worte des Herrn erfahren: „Mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht“ {Mt 11, 30). Sein Joch ist die Liebe, und seine Last ist die Last-der Liebe. Und eben diese Liebe wird euch seine Last angenehm machen. 719 Reisen 4. Diese Dimension der totalen Hingabe und der ständigen Treue gegenüber der Liebe bildet die Grundlage eures Zeugnisses vor der Welt. Tatsächlich sucht die Welt in euch einen aufrichtigen Lebensstil und eine Form der Arbeit, die dem entspricht, was ihr wirklich seid. Der Zeuge ist nicht ein bloßer Lehrer, der lehrt, was er gelernt hat, sondern er ist jemand, der aus der tiefen Erfahrung dessen, woran er glaubt, lebt und handelt. Als Ordensleute seid ihr vor allem eben durch die Profeß und das Leben nach den evangelischen Räten Gott geweiht; und so muß euer Leben ein wesentlich evangelisches Zeugnis geben. Ihr müßt euch unaufhörlich Christus, dem lebendigen Evangelium, zuwenden und ihn in eurem Leben, in der Art eures Denkens und Arbeitens wiedergeben. Es gilt, das Vertrauen in den Wert und die Aktualität der evangelischen Räte wiederzugewinnen, die in den Worten und im Beispiel Jesu Christi ihren Ursprung haben (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 1). Arm, wie Christus arm war; gehorsam durch Annahme der inneren Haltung Christi, der gekommen ist, die Welt zu erlösen, indem er nicht seinen Willen vollbrachte, sondern den Willen seines Vaters, der ihn gesandt hat; und mit allen Konsequenzen die vollkommene Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen leben, als Zeichen und Ansporn der Liebe und als Quelle apostolischer Fruchtbarkeit in der Welt. Die Welt muß heute das lebendige Beispiel derer sehen, die alles verließen und als Ideal das Leben nach den evangelischen Räten übernommen haben. Die wirkliche Lauterkeit in der radikalen Nachfolge Christi wird Berufe für eure Institute gewinnen, weil die Jugend eben diese evangelische Radikalität sucht. Das Evangelium ist endgültig und unvergänglich. Seine Kriterien haben ewige Gültigkeit. Ihr könnt nicht je nach den Zeiten neue „Lesarten“ des Evangeliums vornehmen, indem ihr euch dem anpaßt, was die Welt verlangt. Im Gegenteil, die Zeichen der Zeit und die Probleme der heutigen Welt müssen im unvergänglichen Licht des Evangeliums gelesen werden (vgl. Ansprache zur Eröffnung der Vollversammlung der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla, I, 4.5). 5. Ein entscheidender Faktor war zu allen Zeiten, in denen die Kirche große Veränderungen und Reformen vornehmen mußte, die Treue der Ordensleute zu ihrer Lehre und zu ihren Vorschriften. Heute erleben wir eine dieser Epochen, wo es notwendig ist, der Welt das Zeugnis eurer Treue zur Kirche zu bieten. Die Christen haben das Recht, vom Ordensangehörigen zu fordern, daß er die Kirche hebt, sie verteidigt, sie stärkt und durch seine Anhänglich- 720 Reisen keit und seinen Gehorsam bereichert. Das darf freilich keine rein äußerliche Treue sein, sondern sie muß in erster Linie innerlich sein, tiefempfunden, von Freude getragen und selbstlos. Ihr müßt alles vermeiden, was die Gläubigen annehmen ließe, daß es in der Kirche ein doppeltes Lehramt gebe, das authentische der Hierarchie und das der Theologen und Denker, oder daß die Vorschriften der Kirche heute ihre Gültigkeit verloren hätten. Nicht wenige von euch widmen sich der theologischen Formung der Gläubigen, der Leitung von pädagogischen oder sozialen Zentren und leiten die Veröffentlichung von Publikationen im Informations- und Bildungsbereich. Durch alle diese Mittel versucht ihr, ganzheitlich zu erziehen, eine tiefe Achtung und Liebe zur Kirche einzuprägen und eine aufrichtige Anhänglichkeit an ihr Lehramt zu nähren. Ihr gebt keine Zweifel oder „Ideologien“ weiter, sondern Glaubens-„Gewißheiten“. Der wahre Apostel und Prediger des Evangeliums - erklärte mein Vorgänger Paul VI. - „muß jemand sein, der selbst um den Preis persönlichen Verzichts und gar Leidens immer die Wahrheit sucht, die er den anderen übermitteln soll. Er wird die Wahrheit niemals verraten noch verbergen, um den Menschen zu gefallen, ihr Staunen zu erregen oder sie zu schockieren, weder durch Originalität noch von Geltungsdrang getrieben. Er verweigert sich der Wahrheit nicht“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 78, in: Wort und Weisung, 1975, S. 599—600). All das müßt ihr besonders dann im Auge haben, wenn eure Zuhörer Ordensfrauen sind, die eure Kurse besuchen und eure Vorträge hören. Vor allem müßt ihr die Lehre der Kirche getreu weitergeben, jene Lehre, die in so reichen Dokumenten wie denen des Zweiten Vatikanischen Konzils ausgedrückt wurde. Bei der Erneuerung des Ordenslebens, die die neuen Zeiten fordern, muß die Treue zum Denken und zu den Normen der Kirche gewahrt bleiben; konkreter gesagt, auf dem Gebiet der Lehre und im liturgischen Bereich gilt es, gewisse kritische Positionen zu vermeiden, die voll Bitterkeit die Wahrheit verdunkeln und die Gläubigen und selbst die Ordensleute verwirren. Die Treue zum Lehramt legt einer richtigen Forschung keine Zügel an, sondern sie ist die notwendige Bedingung für einen echten Fortschritt der wahren Lehre. Kein irdischer Horizontalismus 6. Das Gemeinschaftsleben ist ein wesentliches Element nicht des geweihten Lebens an sich, sondern der Ordensform dieser Weihe. Gott hat die Ordensleute aufgerufen, in Gemeinschaft ein heiligmäßiges Leben zu 721 Reisen führen und zu arbeiten. Das Gemeinschaftsleben hat seinen Grund nicht in menschlicher Freundschaft, sondern in der Berufung Gottes, der euch frei dazu erwählt hat, eine neue Familie zu bilden, deren Ziel die Fülle der Liebe und deren Ausdruck die Beobachtung der evangelischen Räte ist. Elemente eines echten Gemeinschaftslebens sind: der Obere, dem eine Autorität zukommt (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 14), die er in der Haltung des Dienstes ausüben muß; die Regeln und Überlieferungen, die jede Ordensfamilie bestimmen, und schließlich die Eucharistie, die der Anfang jeder christlichen Gemeinschaft ist; in der Tat, wenn wir an der Eucharistie teilnehmen, essen wir alle dasselbe Brot, trinken dasselbe Blut und empfangen ein und denselben Geist. Aus diesem Grund kann der Mittelpunkt unseres Gemeinschaftslebens nur Jesus in der Eucharistie sein. Die Gemeinschaftsdimension muß in eurer apostolischen Arbeit gegenwärtig sein. Der Ordensmann ist nicht dazu aufgerufen, als isolierte Einzelperson oder auf eigene Rechnung zu arbeiten. Heute ist es mehr denn je notwendig, gemeinsam zu leben und zu arbeiten, zunächst innerhalb der Ordensfamilie und dann in Zusammenarbeit mit anderen Ordensleuten und Mitgliedern der Kirche. Der Zusammenschluß verleiht Mut und Kraft. Anderseits bietet das Gemeinschaftsleben ein außergewöhnliches Feld für das persönliche Opfer des einzelnen, zur Selbstentsagung und zum Denken an den Bruder, während man alle in der Liebe Christi umarmt. 7. Der Ordensmann ist jemand, der sich unter Verzicht auf die Welt und Entsagung seiner selbst ganz Gott hingegeben hat und, von Gott erfüllt, sich der Welt zukehrt, um für das Reich Gottes und für die Kirche zu arbeiten. Die Persönlichkeit des Ordensmannes ist tief geprägt von dieser ausschließlichen Zugehörigkeit zu Gott, während das Objekt seines Dienstes die Menschen und die Welt sind. Das Leben und die Aktivität des Angehörigen des geweihten Standes dürfen sich nicht auf einen irdischen Horizontalismus beschränken und dabei diese Aufopferung an Gott und diese Verpflichtung, die Welt mit Gott zu durchtränken, vergessen. Dieses theologische Ziel muß in allen euren Tätigkeiten und Handlungen präsent sein. In der Kirche gibt es verschiedene Charismen und demzufolge verschiedene Dienste, die sich gegenseitig ergänzen. Es ist nicht angebracht, daß die Ordensleute in den Bereich eintreten, für den die Laien zuständig sind: die Heiligung der Welt von innen her (vgl. Lumen gentium, Nr. 31; Gaudium et spes, Nr. 43). 722 Reisen Missionarische Hochherzigkeit wiederherstellen Das bedeutet nicht, daß eure Ordensweihe und eure vorwiegend religiösen Dienste keine tiefe Rückwirkung auf die Welt und auf die Umwandlung ihrer Strukturen hätten. Wenn sich das Herz der Menschen nicht wandelt, werden sich die Strukturen der Welt nicht auf wirksame Weise verändern können (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 18). Dem Dienstanit der Ordensleute obliegt es hauptsächlich, die Bekehrung der Herzen zu Gott, die Schöpfung neuer Menschen zu erreichen und jene Bereiche aufzuzeigen, wo die Angehörigen von Säkularinstituten, die Ordensleute oder gewöhnliche Christen tätig werden können und sollen, um die Strukturen der Welt zu verändern. In diesem Zusammenhang möchte ich denen, die hier anwesend sind, und allen Mitgliedern der männlichen Säkularinstitute Spaniens meine tiefe Anerkennung, begleitet von meinem herzlichen Gruß, zum Ausdruck bringen. Ihr habt eure besondere Form der Weihe und euren eigenen Platz in der Kirche. Durch eine solide Spiritualität genährt, seid ihr dem Ruf Christi und der Kirche treu, nämlich wirksame Werkzeuge für die Umwandlung der Welt von innen her zu sein. Während ich an das Thema der kommenden Synode denke, möchte ich euch, Ordenspriester, auffordern, das Sakrament der Beichte als einen eurer vorrangigsten Dienste zu betrachten. Durch das Hören der Beichte und die Vergebung der Sünden baut ihr in wirksamer Weise die Kirche auf, indem ihr über sie den Balsam ausgießt, der die Wunden der Sünde heilt. Wenn in der Kirche eine Erneuerung des Bußsakraments durchgeführt werden soll, wird der Ordenspriester sich voll Freude diesem Dienst widmen müssen. 8. Ehe ich schließe, möchte ich euch an eine charakteristische Eigenschaft der spanischen Ordensleute erinnern, die vielleicht eine vorübergehende Verdunkelung durchmacht und die es in ihrem vollen alten Glanz wiederherzustellen gilt: Ich meine die missionarische Hochherzigkeit, mit der Tausende spanischer Ordensleute ihr Leben dem apostolischen Wirken zur Errichtung und Festigung der Kirche in den Missionsländern gewidmet haben. Laßt nicht zu, daß die Bande des Fleisches und Blutes oder die Liebe, die ihr mit Recht für die Heimat hegt, wo ihr geboren seid und Christus zu lieben gelernt habt, zu Fangstricken werden, die eure Freiheit verringern (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 69) und eure Ganzhingabe an den Herrn und seine Kirche gefährden. Denkt immer daran, daß der missionarische Geist eines bestimmten Teües der Kirche der Maßstab für ihre Lebendigkeit und Authentizität ist. 723 Reisen 9. Bewahrt schließlich immer eine innige Verehrung für die heilige Gottesmutter. Eure fromme Liebe für sie soll die Einfachheit der ersten Augenblicke bewahren. Die Mutter Jesu, die auch unsere Mutter ist, Vorbild für die Hingabe an den Herrn und seine Sendung, möge euch begleiten, euer Kreuz leicht machen und euch in jeder Lage eures Lebens jene Freude und jenen unerschütterlichen Frieden gewähren, die nur der Herr zu geben vermag. Als Unterpfand dafür erteile ich euch voll Liebe meinen herzlichen Segen. „ Wir haben ein gemeinsames Erbe“ Ansprache an die Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft Spaniens in Madrid am 3. November Verehrte Herren! Schalom! Friede Ihnen und allen Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaft Spaniens! Zunächst möchte ich meinen ausdrücklichen Dank dafür aussprechen, daß Sie während meines Pastoralbesuchs in diesem Land den Wunsch hatten, mit mir zusammenzutreffen. Ihre bedeutsame Geste beweist, daß der brüderliche Dialog, der darauf hinzielt, die gegenseitige Kenntnis und Achtung zwischen Juden und Katholiken zu verbessern, und der in der Erklärung Nostra aetate (Nr. 4) des Zweiten Vatikanischen Konzils gefördert und lebhaft empfohlen wurde, andauert und sich trotz unvermeidlicher Schwierigkeiten immer mehr ausbreitet. Wir haben ein gemeinsames geistliches Erbe; und das neutestamentliche Gottesvolk, d. h. die Kirche, fühlt sich und ist geistlich mit der Nachkommenschaft Abrahams, „unseres Vaters im Glauben“, verbunden. Ich bitte zu Gott, daß die jüdische und christliche Tradition, die auf dem Wort Gottes gründet, das eine tiefe Kenntnis der Würde des Menschen besitzt, der das Bild Gottes ist (vgl. Gen 1, 26), uns zur Anbetung und glühenden Liebe des einzigen und wahren Gott hinführen möge. Und daß sich das in eine wirksame Tätigkeit zugunsten des Menschen, jedes Menschen und aller Menschen umsetze. Schalom! Möge Gott, der Schöpfer und Erlöser, Sie und Ihre Gemeinschaft segnen. 724 Reisen Gemeinsam mit allen, die Christen heißen Ansprache an die Repräsentanten christlicher Bekenntnisse in Madrid am 3. November 1. Liebe Brüder, der Text aus dem Epheserbrief (4, 1-6), den wir eben gehört haben, ist ein Appell an die Christen, in der Einheit der Liebe zu leben. Ich begrüße euch sehr herzlich als Christen anderer Konfessionen, die in Spanien dem Evangelium Jesu Christi folgen wollen. Das gemeinsame Bekenntnis zu diesem Namen macht euch zu wirklichen Brüdern. Zu Beginn unserer heutigen Begegnung wiederhole ich die Worte des Psalmi-sten: „Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen“ (Ps 132, 1). Wie ich es bei meinen apostolischen Reisen gewohnt bin, wollte ich auch bei meinem Pastoralbesuch in Spanien nicht versäumen, mich mit euch zu treffen, um zusammen zu beten und unsere Sorgen um die Wiederherstellung der Einheit aller Christen zu teilen. Von Beginn meines Pontifikats an war und bleibt die Sache des ökumenismus eines meiner vordringlichsten Ziele. 2. Wir sind eng verbunden, durch das gemeinsame Band der Bibel, den Glauben der Apostel, den wir in den großen Glaubensbekenntnissen als den unsern bekennen, und durch das, was in der Taufe geschieht. Das vertiefte Verständnis des Tauf Sakraments öffnet uns außergewöhnliche positive Perspektiven auf dem Weg zur vollen Einheit (vgl. Unitatis redintegratio, Nr. 22). Und ist das Gebet für die Einheit in all unseren Gemeinschaften oder, wenn möglich, in der brüderlichen Einheit der Herzen nicht das beste Mittel, auf die ökumenische Arbeit den Geist der Eintracht herabzurufen, der unseren Willen wandelt und ansprechbar für seine Inspiration macht? Jeder geographische Bereich hat seine eigene Geschichte, und die ökumenische Arbeit weist an den verschiedenen Orten andere und besondere Merkmale auf. Die historische Gestalt eines spanischen Volkes bewirkt, daß auch hier die ökumenische Aufgabe besondere Aspekte hat. Das zahlenmäßige Ungleichgewicht zwischen Katholiken und den Christen anderer Kirchen und Kirchengemeinschaften ist augenscheinlich. Aber das Problem der Kirchenspaltung in Spanien und seine eventuelle Lösung läßt sich nicht getrennt als nur dieses Problem betrachten, denn die schon 725 Reisen begonnenen Versuche einer Lösung stellen sich auf der Weltebene. Es ist für die ganze ökumenische Arbeit sehr wichtig, daß in einer Nation mit katholischer Mehrheit brüderliche Beziehungen zwischen allen bestehen, die sich Christen nennen. 3. Ich weiß, daß ihr aus bekannten historischen Gründen in der Vergangenheit viel gelitten habt, um die Überzeugungen eures Gewissens bewahren zu können. Gott sei Dank ist diese Situation überwunden und hat einer zunehmenden gegenseitigen Annäherung Platz gemacht, die auf der Wahrheit und Liebe gründet. Es wäre angebracht, auch weiter die Erinnerung an die Vergangenheit zu reinigen, um sich einer Zukunft gegenseitigen Verständnisses zuzuwenden. Eure Teilnahme an dieser Begegnung beweist klar, daß ihr in dieser Perspektive arbeitet. Ich weiß - und das gefällt mir sehr -, daß es in Spanien verschiedene Formen der Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche und den anderen Kirchen und Kirchengemeinschaften gibt. Das interkonfessionelle Komitee - das katholischerseits immer von der bischöflichen Kommission für die interkonfessionellen Beziehungen ermutigt wurde - hat sich mit lebendigen und aktuellen Problemen befaßt, die alle Christen interessieren: Militärdienstverweigerung aus Gewissensgründen, Problematik der bekenntnisverschiedenen Ehen, Religionsfreiheit, Recht auf Freiheit des Unterrichts, Organisation und Förderung der ökumenischen Gebetswochen, ökumenische Übersetzung des Neuen Testaments in Kastilisch - eine bewunderungswürdige Arbeit - und anderes mehr. Diese Bemühungen müssen fortgesetzt werden, um den Wunsch des Herrn beim letzten Abendmahl zu erfüllen: „Alle sollen eins sein, damit die Welt glaubt“ (vgl. Joh 17, 21). 4. Ich danke für eure Anwesenheit und entbiete meinen brüderlichen Gruß auch allen Brüdern und Schwestern, die ihr hier vertretet. Ich bete inständig zum Herrn, daß ihr „in dem einen Geist feststeht und einmütig für den Glauben an das Evangelium kämpft“ (Phil 1, 27) zur Ehre des Dreifältigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. 726 Reisen „Spanien war der Schmelztiegel sehr reicher Traditionen“ Ansprache an die Repräsentanten der Universität, der Königlichen Akademien, der Forschung und der Geisteswelt in Madrid am 3. November 1. Es ist mir sehr angenehm, mich heute mit einer so qualifizierten Gruppe von Männern und Frauen, Repräsentanten der Königlichen Akademien, der Welt der Universität, der Forschung, der Wissenschaft und der Kultur Spaniens, treffen zu können. Zunächst und vor allem möchte ich Ihnen meinen freundlichen Dank dafür aussprechen, daß Sie in so großer Zahl gekommen sind, um den Papst zu treffen. Ich möchte Ihnen mit meinem Besuch meinen tiefen Respekt und die große Achtung ausdrücken, die ich für Ihre Arbeit hege. Ich tue dies mit einem besonderen Interesse, da ich mir darüber im klaren bin, daß Ihre Arbeit durch die bestehenden Verbindungen und die Sprachgemeinschaft auch einen wertvollen Beitrag für andere Völker liefern kann, vor allem den Schwesternationen in Iberoamerika. 2. Die Kirche, die den Auftrag erhalten hat, alle Menschen zu lehren, hat nicht aufgehört, den Glauben an Jesus Christus zu verbreiten und hat als eines der in der Geschichte aktivsten zivilisatorischen Fermente gewirkt. Sie hat so zur Schaffung von sehr reichen und eigenständigen Kulturen in so vielen Nationen beigetragen. Denn, so sagte ich schon vor der UNESCO vor zwei Jahren, die Verbindung des Evangeliums mit dem Menschen schafft Kultur auf dessen eigenster Grundlage, weil es ihn lehrt, den Menschen in seiner Menschlichkeit und in seiner außerordentlichen Würde zu lieben. Der Glaube muß Kultur werden Als ich kürzlich den Päpstlichen Rat für die Kultur schuf, bestand ich mit besonderem Nachdruck darauf, daß „die Synthese zwischen Kultur und Glaube . . . nicht nur ein Erfordernis der Kultur, sondern auch des Glaubens ist. . . Ein Glaube, der nicht Kultur wird, ist kein voll angenommener, kein ganz durchdachter und kein treu gelebter Glaube“. 3. Ich möchte mit Ihnen über einige der Verantwortungen nachdenken, die uns auf dem kulturellen Gebiet gemeinsam aufgetragen sind, und 727 Reisen dabei gleichzeitig versuchen, die Mittel zur Bereicherung des Dialogs zwischen der Kirche und neuen Kulturen aufzudecken. Dieser Dialog ist dann besonders fruchtbar, wenn die unabdingbaren Voraussetzungen der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Respekts gegeben sind, wie es sich in der Kulturgeschichte Ihrer Nation zeigt. Ihre Intellektuellen, Schriftsteller, Humanisten, Theologen und Juristen haben in der Weltkultur Spuren hinterlassen und haben der Kirche auf eine vorzügliche Weise gedient. Wie könnte man in dieser Hinsicht vergessen, so außerordentlich einflußreiche Universitätszentren wie Alcalä und Salamanca lobend hervorzuheben? Ich denke vor allem an die Forschungsgruppen, die bewundernswert zur Erneuerung der Theologie und der biblischen Studien beigetragen haben; die auf dauerhaften Fundamenten Prinzipien des internationalen Rechts geschaffen haben, die es verstanden haben, den Humanismus, die Geisteswissenschaften und die alten Sprachen mit so viel Glanz zu kultivieren; die Lehrbücher, Abhandlungen, literarische Monumente, von denen eines der bedeutendsten die „Poliglota Complutense“ ist, zu schaffen vermochten. Im Lichte dieser ehrenwerten Tradition müssen wir über die bleibenden Grundlagen der intellektuellen Kreativität nachdenken. Ich werde mich kurz auf die Freiheit der gemeinschaftlich durchgeführten Forschung, auf die Öffnung zum Universellen, auf das Wissen, begriffen als Dienst am ganzen Menschen, beziehen. 4. In Spanien wie in anderen Ländern Europas haben ganze Generationen von Forschern, Professoren und Autoren eine große Fruchtbarkeit besessen, dank der Freiheit der Forschung, die ihnen autonom geführte Universitätsgemeinschaften sicherten, deren Garanten häufig der König oder die Kirche waren. Diese Universitätszentren, in denen sich in verschiedenen Disziplinen spezialisierte Lehrer sammelten, waren ein für die Kreativität, den Wetteifer und den ständigen Dialog mit der Theologie geeignetes Instrument. Die Universität erschien vor allem als eine innere Angelegenheit der Universitätsangehörigen, und in der ständigen Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Schülern verwirklichten sich die für die Forschung, die Lehre und die Verbreitung des Wissens günstigen Grundlagen. Die Lehrer wußten, daß die Forschung auf dem theologischen Gebiet die Treue zu dem von Jesus Christus offenbarten und der Kirche anvertrauten Wort implizierte. Auch der Dialog zwischen Theologie und Lehrerschaft erwies sich als sehr fruchtbar. Bischöfe und Theologen wußten sich zu verständigen, zum gemeinsamen Vorteil der Hirten und Professoren. 728 Reisen Wenn sich in Zeiten wie denen der Inquisition Spannungen, Irrtümer und Exzesse ergaben - Tatsachen, die die Kirche von heute im objektiven Licht der Geschichte wertet -, so ist es doch notwendig, anzuerkennen, daß die Gesamtheit der spanischen intellektuellen Kreise es verstanden hatte, die Forderungen nach voller Forschungsfreiheit auf bewundernswerte Art und Weise in Einklang zu bringen mit einem tiefen Sinn für die Kirche. Das bezeugen die unzähligen Werke klassischer Schriften, die die Lehrer, Weisen und Autoren Spaniens zum kulturellen Schatz der Kirche beigesteuert haben. 5. Man kann in der intellektuellen Tradition Ihrer Nation auch die Öffnung zum Universellen finden, die Ihren Lehrern soviel Ansehen und Ruhm eingebracht hat. Ihre Gelehrten und Forscher hatten ihre Augen geöffnet vor der klassischen und biblischen Geschichte, vor den übrigen Ländern Europas, vor der antiken und der neuen Welt. Ihre Autoren waren geniale Pioniere der Wissenschaft von den internationalen Beziehungen und dem Völkerrecht. Die rasche Errichtung von Universitäten ähnlich der von Salamanca, davon an die dreißig auf dem sich entwickelnden lateinamerikanischen Kontinent, sind ein anderer Beleg für die Weltoffenheit, die lange Zeit Ihre Kultur charakterisiert hat, die von so vielen Erfindungen und Erfindern und durch den großen Einfluß so vieler Missionare in der ganzen Welt bereichert wurde. Die Rolle, die Ihr Land der Kirche zuerkannt hat, hat Ihrer Kultur eine besondere Dimension verliehen. Die Kirche war auf allen Etappen des Aufbaus und der Entwicklung der spanischen Zivilisation präsent. Ihre Nation war der Schmelztiegel sehr reicher Traditionen, die sich zur einzigartigen Kultursynthese verschmolzen haben. Die charakteristischen Züge der spanischen Gemeinschaften haben sich durch Beiträge aus der arabischen Welt bereichert, wovon Ihre wohlklingende Sprache, Ihre Kunst und Ihre Ortsnamen Zeugnis ablegen, die sich zu einer dem Universellen weit offenstehenden christlichen Zivilisation verbunden haben. Sowohl innerhalb als auch außerhalb seiner Grenzen hat Spanien sich selbst geformt, indem es die Vielseitigkeit des Evangeliums und der großen Kulturströmungen Europas und der ganzen Welt auf genommen hat. 6. Ihre Lehrer und Denker hatten auch das Gefühl, dem ganzen Menschen zu dienen, den psychischen, intellektuellen, moralischen und geistlichen Bedürfnissen entgegenzukommen. Es entstand so eine Wissen- 729 Reisen schaft vom Menschen, an der sowohl Ärzte als auch Philosophen, Theologen, Moralisten und Juristen mitarbeiteten. Zu einem geistlichen Fortschritt berufen Eine Sonderstellung nehmen Ihre großen geistlichen Lehrer ein. Ihr Werk überschritt sehr bald Ihre Grenzen, um sich in der gesamten Kirche zu verbreiten. Denken wir an die hl. Theresia von Jesus und den hl. Johannes vom Kreuz, an den hl. Dominikus, Fray Luis von Granada, den hl. Ignatius von Loyola, diese gigantischen Größen auf spirituellem Gebiet. Sie haben auch der menschlichen Kultur große Dienste erwiesen und eine lange Tradition fortgesetzt, aus der ausgezeichnete Vorgänger wie der hl. Isidor von Sevilla, einer der ersten katholischen Enzyklopädisten, und der hl. Raimund von Penafort, Autor einer der ersten Rechtssynthesen Ihres Landes, herausragen. Alle diese Männer und Frauen sind Lehrer im wahrsten Sinne des Wortes, die es verstanden haben, mit einer außerordentlichen und prophetischen Intelligenz dem Menschen in seinen höchsten Bestrebungen zu dienen. Wer kann ihren Einfluß und die dauerhafte Wirkung ihrer Lehren, Schriften und Schöpfungen messen? Sie sind wunderbare Zeugen einer Kultur, die den Menschen als Bild Gottes begriff, fähig, die Welt zu beherrschen, aber vor allem zu einem geistlichen Fortschritt berufen, dessen makelloses Vorbild Jesus Christus war. 7. Diese Kapitel der Geschichte Spaniens verdienen es, in Erinnerung gebracht zu werden. An erster Stelle, um den Beiträgen, die Ihre Lehrer, Weisen, Forscher und Ihre Heiligen für die gesamte Menschheit geleistet haben, Ehre zu erweisen, denn diese wäre nicht das, was sie heute ist, ohne das hispanische Erbe. Noch ein anderer Grund bringt uns heute, in sehr unterschiedlichen historischen Zusammenhängen dazu, über die Bedingungen nachzudenken, die in unseren Tagen der Förderung von Kultur und Wissenschaft dienlich sein und die Forschungen über den Menschen, die in unserem heutigen Zeitalter so wichtig sind, anregen können. Für die Männer und Frauen der Kultur ist es von großem Nutzen, über die Voraussetzungen der Intellektuellen und der geistigen Kreativität nachzusinnen, die heute wie gestern ein Klima der Freiheit und Zusammenarbeit zwischen den Forschern, eine Haltung der Öffnung zum Universellen und eine ganzheitliche Vorstellung vom Menschen verlangen. 730 Reisen Die Kirche unterstützt die Freiheit der Forschung 8. Die erste Bedingung ist die Sicherung der Freiheit des Geistes. In der Forschung ist es in der Tat notwendig, bei der Suche und der Verkündigung der Ergebnisse frei zu sein. Die Kirche unterstützt die Freiheit der Forschung, die eine der ehrenwertesten Eigenschaften des Menschen ist. Durch die Suche gelangt der Mensch zur Wahrheit: Das ist eines der schönsten Worte, die Gott sich selbst gegeben hat. Denn die Kirche ist überzeugt davon, daß es zwischen Wissenschaft und Glaube keinen wirklichen Widerspruch geben kann, da jede Wirklichkeit letzendlich von Gott, dem Schöpfer, herkommt. So hat es das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt (vgl. Gaudium et spes, Nr. 36). Auch ich habe es bei verschiedenen Gelegenheiten den Männern und Frauen der Wissenschaft in Erinnerung gerufen. Es ist zwar richtig, daß Wissenschaft und Glaube zwei unterschiedliche Erkenntnismethoden darstellen, die in ihren Vorgehensweisen unabhängig voneinander sind, die aber letzlich beim Erkennen der ganzheitlichen Wirklichkeit, die ihren Ursprung in Gott hat, zusammenfinden (vgl. Ansprache im Kölner Dom vom 15. 11. 1980). Seitens der Kirche und seitens der besten modernen Gelehrten beginnt sich eine breite Übereinstimmung in diesem Punkt abzuzeichnen. Die Beziehungen zwischen der Welt der Wissenschaften und dem Hl. Stuhl, gekennzeichnet durch ein gegenseitiges Verständnis, sind von Mal zu Mal dichter geworden. Vor allem seit den Zeiten meiner Vorgänger Pius XII. und dann Paulus VI. sind die Päpste immer häufiger in einen Dialog mit zahlreichen Gruppen von Gelehrten, Spezialisten und Forschern eingetreten, die in der Kirche einen Gesprächspartner gefunden haben, der begierig war, sie zu verstehen, ihre Forschungen anzuregen und der ihnen gleichzeitig seine tiefe Dankbarkeit für den unentbehrlichen Dienst ausdrückte, den die Wissenschaft der Menschheit erweist. Wenn sich in der Vergangenheit ernsthafte Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnisse zwischen den Vertretern von Wissenschaft und Kirche ergaben, so sind diese Schwierigkeiten heute praktisch überwunden, dank der Erkenntnis von Interpretationsfehlern, die die Beziehungen zwischen Glaube und Wissenschaft entstellen konnten, und vor allem dank eines besseren Verständnisses der jeweiligen Wissensgebiete. In unseren Tagen stellen sich der Wissenschaft Probleme auf einer anderen Ebene. Die Wissenschaft und die aus ihr abgeleitete Technik haben tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft, in den Institutionen und auch in den Verhaltensweisen der Menschen hervorgerufen. Die traditio- 731 Reisen nellen Kulturen sind durch die neuen Formen der sozialen Kommunikation, der Produktion, der Experimente, der Ausbeutung der Natur und der Planung der jeweiligen Gesellschaften gänzlich verändert worden. Angesichts dessen muß sich die Wissenschaft in Zukunft noch stärker verantwortlich fühlen. Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab. Männer und Frauen, die Sie die Wissenschaft und die Kultur repräsentieren, Sie können erreichen, daß der Wissenschaftssektor vor allem der Kultur des Menschen dient und nie dazu herabsinkt, zu ihrer Zerstörung benutzt zu werden! Es ist ein Skandal unserer Zeit, daß viele Forscher damit beschäftigt sind, neue Waffen für den Krieg zu perfektionieren, die sich eines Tages als verhängnisvoll erweisen könnten. Die Aufsplitterung der Disziplinen überwinden Man muß die Gewissen wecken. Ihre Verantwortung und Ihre Einflußmöglichkeiten auf die öffentliche Meinung sind überaus groß. Benutzen Sie diese für den Dienst am Frieden und für einen wahren menschlichen Fortschritt! Wieviel wunderbare Dinge könnte diese Welt vollbringen, wenn sich die besten Talente und die besten Forscher die Hand reichten, um die Entwicklungswege aller Menschen und aller Regionen dieser Erde zu erkunden! Deshalb ist in unserer Epoche eine Wissenschaft von Menschen notwendig, ein echtes Nachdenken und eine echte Forschung. An der Seite der physikalischen oder biologischen Wissenschaften ist eine Mitarbeit der Spezialisten aus den Humanwissenschaften vonnöten. Auf dem Spiel steht der Dienst am Menschen, dessen Identität, Würde und moralische Größe man verteidigen muß, da es sich um eine „res sacra“ handelt, wie Seneca schon richtig sagte. 9. Die Breite der vorhegenden Themen könnte isolierte Forscher oder Denker entmutigen. Deshalb muß heute mehr denn je die Forschung gemeinsam vollzogen werden. Die Spezialisierung der Disziplinen ist heute so weit fortgeschritten, daß die Forscher für die Wirksamkeit der Forschung und mehr noch für den Dienst am Menschen gemeinsam arbeiten müssen, nicht nur aus methodischen Gründen, sondern auch, um eine Zersplitterung zu vermeiden und um eine angemessene Antwort auf die komplizierten Probleme, denen sie sich stellen müssen, zu geben. Ausgehend von den Bedürfnissen des individuellen und des sozialen Menschen, müssen die Forschungszentren und die Universitäten die Aufsplitterung der Disziplinen überwinden, wenn notwendig auch methodisch mit dem Ziel, die großen Probleme des modernen Menschen, die „Ent- 732 Reisen Wicklung“, „Hunger in der Welt“, „Gerechtigkeit“, „Frieden“, „Würde für alle“ heißen, mit Sachverstand und Effizienz anzugehen. Die einzelnen Staatswesen und die internationale Gemeinschaft benötigen die Talente aller und müssen mit Ihrer Mitarbeit rechnen können. Die Kirche und die Katholiken wünschen aktiv am gemeinsamen Dialog mit Gelehrten und Forschem teilzunehmen. Zahlreiche Katholiken erfüllen schon wichtige Aufgaben in den verschiedensten Sektoren der Universitätswelt und der Forschung. Ihr Glaube und ihre Kultur bieten ihnen eine starke Motivation für die Weiterarbeit auf ihren wissenschaftlichen, humanistischen oder literarischen Gebieten. Sie sind ein beredtes Zeugnis für den Wert des katholischen Glaubens und des Interesses, das die Kirche an allem, was mit der Kultur und der Wissenschaft zu tun hat, zeigt. Öffnung zum Universellen Die Kirche verfolgt mit einem besonderen Interesse das Leben der Universitätswelt, da sie sich dessen bewußt ist, daß sich dort die Generationen formen, die in der Gesellschaft von morgen die Schlüsselpositionen einnehmen werden. Sie möchte auch ihre eigene Aufgabe auf dem Universitätsgebiet erfüllen und fördert deshalb die Gründung und den Ausbau katholischer Universitäten. In einem Dialog zwischen den Verantwortlichen der Kirche und denen des Staates ist es wünschenswert, zu praktischen Übereinkünften zu gelangen, die es den katholischen Universitäten erlauben, den nationalen Gemeinschaften einen eigenen selbständigen Dienst zu erweisen. Wenn er diesen Beitrag anerkennt, dient der Staat entscheidend der Sache der kulturellen Identitäten, die in der pluralistischen Gesellschaft von heute zahlreich und vielfältig sind. 10. Eine besonders wichtige Bedingung für die kulturelle Erneuerung von heute ist die Öffnung zum Universellen. In der Tat bemerkt man heute oft, daß die Pädagogik sich auf die Berufsvorbereitung der Studenten beschränkt, diese aber nicht für das Leben vorbereitet, weil sich, mehr oder weniger bewußt, manchmal die Erziehung von der Ausbildung losgelöst hat. Trotzdem muß die Universität ihre unerläßliche Aufgabe der Erziehung erfüllen. Das bedeutet, daß die Erzieher es verstehen müssen, den Studenten neben der Wissenschaft die Kenntnis vom Menschen selbst zu vermitteln, also von seiner eigenen Würde, seiner Geschichte, von seiner 733 Reisen moralischen und zivilen Verantwortung, von seiner geistlichen Bestimmung und von den Banden, die ihn mit der gesamten Menschheit verbinden. Dazu ist es notwendig, daß sich die Erziehungspädagogik auf ein zusammenhängendes Verständnis vom Menschen gründet, auf einen Begriff des Universums, der nicht von vorherbestimmten Auffassungen ausgeht und der auch das Transzendente mit einzubeziehen weiß. Für die Katholiken ist der Mensch als Bild Gottes geschaffen und dazu berufen, das Universum zu überschreiten. Die Kulturen, die ihre Wurzeln und ihre Lebenskraft im Christentum fanden, erkannten außerdem die Wichtigkeit der allgemeinen Brüderlichkeit zwischen den Menschen. Der neue Humanismus, den unsere Zeit so sehr braucht, muß die Solidarität aller Menschen stärken. Ohne sie lassen sich die großen Probleme, wie die Wiederherstellung des Friedens, der friedliche Austausch natürlicher Hilfsquellen, die Ökologie, die Suche nach Arbeit für alle und die Schaffung einer sozialen Gerechtigkeit, nicht lösen. In der Familie, der Schule und an der Universität werden die neuen Generationen die Erfordernisse des internationalen Verständnisses, des gegenseitigen Respektes und der wirksamen Zusammenarbeit bei den Entwicklungsaufgaben in der Welt erlernen. Der internationale Frieden, heute ein so inniger Wunsch der Menschheit, wird Frucht dieses universellen Verständnisses sein, fähig, die Vorurteüe, die Revanchegelüste und die Konflikte verstummen zu lassen. Ja, die Wurzeln des Friedens sind die kulturelle und moralische Ordnung. Der Frieden ist eine geistige Errungenschaft des Menschen. 11. Der Fortschritt der Kultur ist schließlich auch eng mit dem moralischen und geistigen Wachstum des Menschen verbunden. Denn der Mensch verwirklicht sich als Mensch durch seinen Geist. Dazu muß man ein ganzheitliches Verständnis vom Menschen haben. „Expertin in Menschlichkeit“ Deshalb fühlt sich die Kirche dafür verantwortlich, den Menschen gegen theoretische und praktische Ideologien zu verteidigen, die ihn zum Objekt der Produktion oder des Konsums reduzieren; gegen fatalistische Strömungen, die die Gemüter lähmen; gegen eine moralische Permissivität, die den Menschen einem leeren Genießertum ausliefert; gegen Sektenideologien, die dahin tendieren, Gott aus der Kultur zu verdrängen. 734 Reisen Es sei mir erlaubt, die Männer und Frauen, die einen wirklichen Fortschritt der Kultur wünschen, dazu aufzurufen, über die klaren Seiten des Zweiten Vatikanischen Konzüs nachzudenken, die für unsere Zeit eine Aussage vom Menschen bereithalten, die in der Lage ist, zum Aufbau einer Gesellschaft zu führen, die der Größe des Menschen würdig ist. Unser Schöpfer und Lehrer sagt uns: „Ich weiß, was im Menschen ist.“ Die Kirche lehrt nun wie er, daß der Mensch, die erhabene Schöpfung Gottes, imstande ist, die Heiligkeit zu erlangen, aber auch jegliche Schandtat zu begehen. Die Kirche, nach den Worten meines Vorgängers Paul VI., „Expertin in Menschlichkeit“, weiß auch, was im Menschen ist. Trotz all seiner Mißerfolge ist er berufen zur moralischen Größe und zum Heil, das sich in Jesus Christus vollzieht, der den Menschen so sehr liebte, daß er dessen Gestalt annahm und ihm seine Hilfe anbot. Das ist der Grund unseres Vertrauens in die Fähigkeit des Menschen, über sich selbst hinauszuwachsen, seine Brüder zu lieben, eine neue Welt und eine neue „Gesellschaft im Zeichen der Liebe“ zu bauen. Die Theologen und die katholischen Intellektuellen ermutige ich dazu, diese grundlegenden Gedanken der christlichen Anthropologie zu vertiefen und der modernen Gesellschaft ihre praktische Bedeutung zu zeigen. Meine Damen und Herren! Wie ich schon vor der UNESCO sagte, ist Ihr persönlicher Beitrag wichtig, lebenswichtig. Fahren Sie so fort (vgl. Ansprache vom 2. Juni 1980). Die Kirche fördert Ihr Bemühen. Mögen Sie in Ihrer wohlerfüllten Pflicht, in Ihrem Dienst an der Menschheit diese totale Wahrheit finden, die dem Menschen und der Schöpfung vollen Sinn gibt: diese Wahrheit, die der letzte Horizont Ihrer Suche ist. Ich habe gesprochen. „Ich glaube weiter an die Jugend“ Ansprache bei der Begegnung mit der Jugend im Stadion „Santiago Bernabeu“ in Madrid am 3. November Liebe Jugendliche! 1. Dies ist eine der Begegnungen, die ich bei meinem Besuch in Spanien am meisten erwartete. Diese Begegnung erlaubt es mir, einen direkten Kontakt mit der spanischen Jugend zu knüpfen, hier im Stadion Santiago Bernabeu, das Zeuge so vieler sportlicher Ereignisse war. 735 Reisen Auf allen meinen pastoralen Reisen in die verschiedenen Teile der Welt wollte ich mich immer mit der Jugend treffen. Ich tue dies wegen der großen Hochachtung, die ich für euch habe und weil ihr die Hoffnung der Kirche, nicht weniger als die Hoffnung der Gesellschaft seid. In der Tat werden diese Hoffnungen in wenigen Jahren zum großen Teil auf euch ruhen. Auf euch und auf so vielen Tausenden eurer Gefährten, die in diesem Moment mit euch vereint sind, aus allen Gebieten Spaniens, aus denen ihr kommt. Ich weiß auch, daß viele von ihnen - die Nachricht erreichte mich in Rom vor meiner Abreise - heute nachmittag auch hier sein wollten. Wegen der Schwierigkeit, Platz für alle zu finden, schickten sie euch als ihre Vertreter. Ich weiß auch, daß viele von ihnen euch ausdrücklich beauftragt haben, dem Papst ihre Grüße auszurichten und ihm zu sagen, daß sie durch das Gebet, durch das Radio und das Fernsehen mit uns zusammen sind, weil sie Durst nach der Wahrheit, nach großen Idealen, nach Christus haben. Liebe Jugend, das bewegt mich; ich sage euch das wie eine vertrauüche Mitteilung, die man einem Freunde macht. Ihr Jugendlichen seid fähig, die Herzen zu erobern mit so vielen von euren Gesten, mit eurer Hochherzigkeit und eurer Spontaneität. So sah eure erste Antwort auf eine meiner Fragen aus, bevor wir uns sahen. In der Tat habe ich mich einmal gefragt: Wird die spanische Jugend fähig sein, mit Mut und Standhaftigkeit zum Guten zu schauen? Wird sie ein Beispiel der Reife beim Gebrauch ihrer Freiheit bieten, oder wird sie sich enttäuscht in sich selber zurückziehen? Wird die Jugend eines Landes, das so reich an Glauben, an Intelligenz, Heldenhaftigkeit, Kunst, an menschlichen Werten, an großen menschüchen und religiösen Unternehmungen ist, wird diese Jugend eine Gegenwart leben wollen, die der christlichen Hoffnung und dem verantwortungsvollen Blick für die Zukunft geöffnet ist? Die Antwort gaben mir die Nachrichten, die mich von euch erreichten. Die Antwort lag vor allem in dem, was ich in diesen Tagen bei so vielen von euch gesehen habe und in eurer Anwesenheit und Haltung an diesem Nachmittag. Ich möchte euch sagen: Ihr habt mich nicht enttäuscht, ich glaube weiterhin an die Jugend, an euch. Ich glaube daran, nicht um euch zu schmeicheln, sondern weil ich mit euch bei der Verbreitung eines neuen Lebenssystems rechnen kann, das geboren wird aus Jesus, Sohn Gottes und Mariens, dessen Botschaft ich euch bringe. 736 Reisen 2. Vor wenigen Augenblicken lud man uns dazu ein, über den Text der Seligpreisungen nachzudenken. Dieser Text hat eine Frage zur Grundlage, die ihr euch mit Unruhe stellt: Warum gibt es das Böse in der Welt? Die Worte Christi sprechen von Verfolgung, von Wehklagen, von Unfrieden und Ungerechtigkeit, von Lügen und Beschimpfungen; und indirekt sprechen sie vom Leid des Menschen in seinem vergänglichen Leben. Aber sie machen dort nicht halt. Sie deuten gleichzeitig auf ein Programm hin, das das Schlechte durch das Gute überwinden soll. In der Tat: die, die weinen, werden getröstet werden; diejenigen, die den Mangel an Gerechtigkeit fühlen und Hunger und Durst nach ihr verspüren, werden gesättigt werden; die Friedensstifter werden Kinder Gottes genannt werden; den Barmherzigen wird Barmherzigkeit zuteil werden; die wegen ihrer Gerechtigkeit Verfolgten werden das Himmelreich erlangen. Ist das nur eine Verheißung für die Zukunft? Bezieht sich die bewundernswerte Gewißheit, die Jesus seinen Schülern vermittelt, nur auf das ewige Leben, auf das Himmelreich nach dem Tod? Wir wissen sehr gut, Hebe Jugend, daß dieses „Himmelreich“ das „Reich Gottes“ ist und daß es „nahe“ ist (Mt 3, 2). Es ist mit dem Tod und der Auferstehung Christi geöffnet worden. Ja, es ist nahe, denn ein guter Teil hängt von uns Christen und Jüngern Jesu ab. Wir sind es, die in Christus Getauften und Gefirmten, die berufen sind, dieses Reich näherzubringen, es in dieser Welt sichtbar und gegenwärtig zu machen als Vorbereitung für seine endgültige Errichtung. Das erreichen wir durch unseren persönüchen Eifer, durch unsere Anstrengung und unser Verhalten gemäß den Weisungen des Herrn, mit unserer Treue gegenüber seiner Person, mit unserer Nachahmung seines Beispiels, mit unserer moraHschen Würde. So besiegt der Christ das Böse; und ihr, spanische Jugend, besiegt das Böse durch das Gute jedesmal, wenn ihr euch aus Liebe zu Christus und nach seinem Vorbild von der Versklavung derer befreit, die danach trachten, mehr zu haben, statt mehr zu sein. Wenn ihr es versteht, in einer Welt, die für die Macht jeden Preis bezahlt, in würdiger Einfachheit zu leben; wenn eure Herzen rein bleiben unter denen, die nur nach sexuellen Begriffen, äußerem Schein oder Heuchelei urteilen; wenn ihr in einer Welt von Gewalt und Krieg Frieden schafft; wenn ihr gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen oder eine Nation durch die andere für die Gerechtigkeit kämpft; wenn ihr mit Hochherzigkeit nicht die Rache sucht, sondern dahin gelangt, euren Feind zu lieben; wenn ihr inmitten des Schmerzes und der Schwierigkeiten nicht die Hoffnung und die Standhaftigkeit im Guten verliert, gestützt auf den 737 Reisen Trost und das Beispiel Christi und auf die Liebe zum Mitmenschen. Dann werdet ihr zu wirkungsvollen und radikalen Veränderern der Welt und zu Schöpfern einer neuen Gesellschaft im Zeichen der Liebe, der Wahrheit und der Gerechtigkeit werden, die Christus als Botschaft bringt. 3. Wenn der Mensch, und vor allem der junge Mensch, das Wort Christi mit der Frage „Warum gibt es das Böse in der Welt?“ auf diese Weise zu verstehen sucht, wenn er die Wahrheit der Seligpreisungen annimmt, dann wird er sich schließlich eine andere Frage stellen: Was tun, um das Böse durch das Gute zu überwinden? Mehr noch: Er kommt schon zu einer Antwort auf diese Frage, die für die menschüche Existenz grundlegend ist. Wir können gut sagen, daß es demjenigen, der diese Antwort findet und sein Verhalten nach ihr auszurichten versteht, gelungen ist, das Evangelium in sein Leben eindringen zu lassen. Er ist ein wahrer Christ. Mit den grundfesten Kriterien, die der junge Mensch aus seiner christlichen Überzeugung gewinnt, weiß er in der Welt des Scheins, der Ungerechtigkeit und des Materialismus, die ihn umgibt, zu reagieren. Angesichts der Manipulation durch Drogen, übersteigerte Sexualität und Gewalt, deren Ziel er sein kann, wird er keinen Ausweg in Methoden suchen, die ihn in die Spirale des Terrorismus führen; diese würde ihn in das gleiche oder ein noch größeres Übel stürzen als das, was er kritisiert und ablehnt. Er wird nicht in Unsicherheit und Demoralisierung verfallen, und er wird sich auch nicht in leere Paradiese der Flucht und der Gleichgültigkeit zurückziehen. Weder die Drogen, noch der Alkohol, noch die Sexualität oder eine resignierte unkritische Passivität - also das, was ihr „pasotismo“ nennt - sind eine Antwort gegenüber dem Bösen. Eure Antwort muß von einer gesunden kritischen Haltung her kommen; von einem Kampf gegen die Vermassung im Denken und im Leben, die man euch manchmal aufzuzwingen versucht und die sich in so vielen Schriften und Medien anbietet. Jugendliche! Freunde! Ihr müßt ihr selbst sein, ohne euch manipulieren zu lassen; dabei müßt ihr grundlegende Verhaltenskriterien besitzen. In einem Wort: mit Lebensmustem, auf die man vertrauen kann, in denen eure große kreative Fähigkeit zum Ausdruck kommt, euer ganzer Durst nach Ehrlichkeit und sozialer Verbesserung, Durst nach dauerhaften Werten, die eurer Wahl würdig sind. Das ist das Programm des Kampfes, um das Böse durch das Gute zu überwinden. Es ist das Programm der Seligpreisungen, die Christus euch vorschlägt. 4. Verbinden wir nun die Reflexion über die Seligpreisungen mit den Worten des hl. Johannes, die wir zuvor gehört haben. 738 Reisen Der Apostel weist darauf hin, daß derjenige, der seinen Bruder liebt, im Licht steht und derjenige, der ihn haßt, in der Finsternis; er wendet sich an beide Generationen: an die Eltern, die Ihn, der seit ewigen Zeiten lebt, kannten; und an die Kinder, an euch junge Leute, die „ihr stark seid, daß das Wort Gottes in euch bleibt und daß ihr den Bösen besiegt habt“ (Joh 2, 13 ff.). Welchen Sinn haben diese Worte? Der hl. Johannes spricht zweimal vom „Sieg über den Bösen“; d. h. vom Anstifter des Bösen in der Welt. Es ist das gleiche Thema wie das, was wir in den Seligpreisungen gefunden haben. Nun, wir wissen, daß es Jesus ist, der „die Welt besiegt“ und das Böse in ihr (vgl. 1 Joh 5, 4 f.), das Böse, das diese Welt charakterisiert; denn „die ganze Welt steht unter der Macht des Bösen“ (ebd. Vers 19). Aber merken wir uns gut die beiden grundsätzlichen Bedingungen oder Voraussetzungen, die das Evangelium für diesen Sieg verlangt: die erste ist die Liebe; die zweite ist das Erkennen Gottes als Vater. Die Liebe zu Gott und zum Nächsten ist das Erkennungsmerkmal des Christen; es ist das „alte“ und das „neue“ Gebot, das die Offenbarung Gottes im Alten und im Neuen Testament kennzeichnet (vgl. Dtn 6, 5; Lev 19, 8; Joh 13, 34). Es ist die Kraft, die unsere menschliche Fähigkeit zu lieben, stärkt und sie über die Liebe zu Gott zur Liebe zum „Bruder“ emporhebt (1 Joh 2, 9-11). Die Liebe hat eine außerordentliche Verwandlungskraft: Sie verwandelt die Dunkelheit des Hasses in Licht. Stellt euch einen Moment dieses großartige Stadion ohne Licht vor. Wir sähen und hörten uns nicht. Welch ein trauriges Spektakel wäre das! Was für eine Veränderung aber, wenn es gut beleuchtet ist! Mit Recht kann der hl. Johannes uns sagen, daß der, „der seinen Bruder liebt, im Lichte steht“, während der, der ihn haßt, sich „in der Dunkelheit“ befindet. Mit dieser inneren Verwandlung besiegt man das Böse, den Egoismus, den Neid, die Heuchelei, und läßt das Gute Oberhand gewinnen. Das geschieht dadurch, daß wir Gott als Vater erkennen (vgl. Joh 2, 14) und den Menschen als Gegenstand der göttlichen Liebe begreifen, als Abbild Gottes mit ewigem Leben, als von Christus erlöst, als Sohn des gleichen Vaters im Himmel. Also nicht als Widersacher, als Gegner, sondern als „Bruder“. Wieviel Kräfte des Bösen, der Zwietracht, des Todes und der fehlenden Solidarität ließen sich besiegen, wenn sich diese Anschauung vom Menschen als „Bruder“, nicht als „Wolf“ des Menschen, wirksam in den Beziehungen der Personen, sozialen Gruppen, Rassen, Religionen und Nationen untereinander festigen könnte. 739 Reisen 5. Aufgrund dessen ist es notwendig, daß wir gegenüber der existentiellen Frage„Warum gibt es das Böse in der Welt?“ in uns die Liebe als Verlangen nach dem Guten entdecken; als „alte“ und „neue“, aktuelle Herausforderung, die auf die einzigartigen und unwiederholbaren Faktoren unseres Lebens, unseres geschichtlichen Augenblicks, unserer Begleiter auf dem Weg zum Vater gerichtet ist. So treten wir in die Schar derer ein, die die Antwort des Evangeliums auf das Problem des Bösen und seiner Überwindung durch das Gute geben. So tragen wir durch die Treue in unserer Beziehung zu Gottvater und zum „neuen Gebot“ Christi, das „in ihm und in euch verwirklicht ist“ (vgl. 1 Joh 2, 8), dazu bei, daß die Finsternis vorüberzieht und das Licht leuchte (ebd.). Das ist der Weg zum Aufbau des Reiches Christi; dort werden die Armen, die Kranken, die Verfolgten einen bevorzugten Platz einnehmen, denn der Mensch wird entsprechend seiner Fähigkeit und seinem Streben nach der Fülle Gottes betrachtet. Ein Reich, in dem die Wahrheit, die Menschenwürde, die Verantwortung und die Gewißheit, Abbild Gottes zu sein, herrschen. Ein Reich, in dem der göttliche Plan in Menschen verwirklicht ist auf der Grundlage von Liebe, wirklicher Freiheit, gegenseitigem Dienst und der Versöhnung der Menschen mit Gott und der Menschen untereinander. Ein Reich, zu dessen Aufbau ihr alle aufgerufen seid, nicht nur einzeln und isoliert, sondern auch verbunden in Gruppen oder Bewegungen, die das Evangelium präsent machen und Licht und Sauerteig für die anderen sind. 6. Meine hebe Jugend! Der Kampf gegen das Böse beginnt im eigenen Herzen und gesellschaftlichen Leben. Christus, Jesus von Nazaret, lehrt uns, wie man es durch das Gute überwindet. Er zeigt es uns und lädt uns ein, es nach Freundesart zu tun; eines Freundes, der nicht betrügt, der das Erlebnis einer Freundschaft anbietet, die die Jugend von heute so nötig hat, denn sie ist so begierig nach ehrlichen und treuen Freundschaften. Macht diese Erfahrung der Freundschaft mit Jesus. Erlebt sie im Gebet mit ihm, in seiner Lehre, in den Weisungen der Kirche, die uns diese Lehre anbietet. Möge euch die seligste Jungfrau Maria, seine und unsere Mutter, auf diesem Weg führen, und möge euch das Beispiel der hl. Theresia, dieser außerordentlichen Frau und Heiligen, Mut einflößen, ebenso wie das Beispiel des hl. Franz Xaver mit seinem hochherzigen Einsatz für das Gute, ebenso wie so viele eurer Landsleute, die ihr Leben damit verbrachten, Gutes zu tun, um jeden Preis, auch seiner selbst. Jugend Spaniens! Das Böse ist eine Realität. Es durch das Gute zu 740 Reisen überwinden, ist eine große Aufgabe. Durch die Schwäche des Menschen wird es neu hervorkeimen. Aber man braucht nicht zu erschrecken. Die Gnade Christi und seine Sakramente stehen euch zur Verfügung. Während wir auf dem Pfad der Seligpreisungen wandeln, besiegen wir das Böse, verwandeln wir die Finsternis in Licht. So möge euer Weg sein; mit Christus, unserer Hoffnung, unserem Pascha. Und immer begleitet von der Mutter aller, der Jungfrau Maria. Amen. Echte Gastfreundschaft für Emigranten Predigt beim Wortgottesdienst in Guadalupe am 4. November Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, liebe Brüder und Schwestern! 1. Gerade haben wir das Wort gehört, das Jahwe an Abraham richtete: „Verlaß dein Land, deine Heimat, dein Vaterhaus und ziehe in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde aus dir ein großes Volk machen“ (Gen 12,1 f.). Abraham antwortete auf diesen göttlichen Anruf und nahm die Unsicherheiten einer langen Reise auf sich, die das charakteristische Zeichen des Volkes Gottes werden sollte. Die an Abraham gerichtete messianische Verheißung ist verbunden mit dem Befehl, seine Heimat zu verlassen. Mit seinem Aufbruch ins Land der Verheißung beginnt der gewaltige geschichtliche Zug der gesamten Menschheit, zu ihrem messianischen Ziel. Die Verheißung wird sich gerade an Abrahams Nachkommenschaft erfüllen, und deshalb ist ihr der Auftrag zugefallen, im Menschengeschlecht den Platz für den Gesalbten des Herrn, Jesus Christus, zu bereiten. Wie ein Echo auf die biblischen Bilder erklärt das Zweite Vatikanische Konzil, daß „die Gemeinschaft der Christen aus Menschen besteht, die, um Christus geschart, durch den Heiligen Geist auf der Pügerfahrt zum Reiche des Vaters geführt werden“ (Gaudium et spes, Nr. 1). Wenn man diese Lesung aus dem Alten Testament hier, beim Heiligtum Unserer Lieben Frau von Guadalupe, hört, ruft sie das Bild so vieler Söhne der Extremadura und ganz Spaniens ins Bewußtsein, die Spanien als Emigranten verlassen haben und aus ihrem Ursprungsland in andere Gegenden und Länder gezogen sind. 741 Reisen 2. In der Enzyklika Laborem exercens habe ich hervorgehoben, daß „es diese althergebrachte Erscheinung“ der Wanderungen im Lauf der Jahrhunderte immer gegeben hat und daß sie in letzter Zeit wegen „der großen Verwicklungen des zeitgenössischen Lebens“ immer größere Dimensionen annahm (Nr. 23). Der Arbeiter hat ein Recht, das eigene Land auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen zu verlassen und auch dorthin zurückzukehren (ebd.). Aber die Auswanderung bringt schmerzliche Begleiterscheinungen mit sich. Deshalb habe ich sie ein „notwendiges Übel“ genannt {ebd.), denn sie stellt einen Verlust für das Land dar, das so viele Männer und Frauen in der Blüte ihres Lebens ziehen lassen muß. Sie verlassen die eigene Kulturgemeinschaft und sehen sich in eine neue Umgebung mit anderen Überlieferungen und manchmal einer anderen Sprache verpflanzt. Vielleicht lassen sie Ortschaften zurück, die zu einer raschen Überalterung der Bevölkerung verurteilt sind, wie dies in einigen spanischen Provinzen der Fall ist. Oft wäre es menschlicher, wie schon mein Vorgänger Johannes XXIII. festgestellt hat, wenn die für die wirtschaftliche Ordnung Verantwortlichen es so einrichten würden, daß das Kapital die Arbeiter sucht und nicht umgekehrt, „um vielen Personen die echte Möglichkeit zu geben, sich eine bessere Zukunft zu schaffen, ohne sich gezwungen zu sehen, die eigene Umgebung zu verlassen mit einer Verpflanzung, die fast notwendigerweise einen schmerzlichen Bruch und schwierige Zeiten menschlicher Anpassung sowie gesellschaftlicher Integration bedeuten“ {Pacem in ter-ris, Nr. 46). Die zugewanderten Arbeiter sind auch Menschen Dieses Ziel stellt eine echte Herausforderung an die Intelligenz und das Können der Regierenden dar: zu versuchen, so vielen Familien schwere Opfer zu ersparen, Familien, die genötigt sind, „eine erzwungene Trennung auf sich zu nehmen, die manchmal den inneren Halt und die Bande der Zusammengehörigkeit der Familie gefährdet und sie oft vor Situationen der Ungerechtigkeit stellt“ {Ansprache an die Bischöfe Galiciens beim „Ad-limina“-Besuch vom 14. Dezember 1981). Eine Herausforderung an die Verantwortlichen auf nationaler und internationaler Ebene, die Ausgleichprogramme für reiche und arme Regionen erstellen. 3. Wir müssen uns vor Augen halten, daß das Opfer der Auswanderer auch ein positiver Beitrag für die Aufnahmeorte und das friedliche 742 Reisen Zusammenleben der Nationen ist, insofern es gesellschaftlich zurückgebliebenen Gruppen wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet und den sozialen Druck verringert, den der Stillstand verursacht, wenn er einen bedeutenden Grad erreicht. Unglücklicherweise wird die Fluktuation der Arbeitskräfte oft nicht von edlen menschlichen Absichten diktiert, noch strebt man dadurch das Wohl der nationalen wie internationalen Gemeinschaft an; häufig sind sie die Antwort auf unkontrollierte Strömungen nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Allzuoft vergessen die Gastregionen und -länder, daß die eingewanderten Arbeiter Menschen sind, die notgedrungen ihrem Geburtsland entrissen wurden. Nicht das bloße Recht auf Auswanderung hat sie in Bewegung gesetzt, sondern das Zusammenwirken wirtschaftlicher Faktoren, die mit dem Emigranten selbst nichts zu tun haben. In vielen Fällen handelt es sich um Personen mit niedrigem Bildungsgrad, denen es große Schwierigkeiten bereitet, sich der neuen Umgebung anzupassen, deren Sprache sie möglicherweise nicht einmal kennen. Wenn sie Diskriminierungen oder Druckanwendungen ausgesetzt sind, geraten sie in sittlich gefährliche Situationen. Auf der anderen Seite haben die politischen Obrigkeiten und die Unternehmer die Pflicht, die Emigranten als Menschen und als Arbeiter nicht auf eine niedrigere Ebene als die der einheimischen Arbeiter am Ort zu stellen. Auch die Bevölkerung muß Äußerungen von Feindseligkeit und Ablehnung vermeiden und die kulturellen sowie religiösen Eigenarten des Emigranten achten. Gelegentüch ist dieser gezwungen, in unwürdigen Behausungen zu leben, sich mit einem diskriminierend niedrigen Lohn zufriedenzugeben oder eine gesellschaftliche und gefühlsmäßige Absonderung zu ertragen, durch die er sich als Bürger zweiter Klasse fühlen muß. Und so verstreichen Monate, selbst Jahre, bevor die neue Gesellschaft ihm ein wirklich menschliches Antlitz zeigt. Diese existentielle Krise wirkt sich zutiefst auf die Religiosität der Auswanderer aus, deren christlicher Glaube vielleicht nur über gefühlsmäßige Stützen verfügte, die in einem entgegengesetzten Klima leicht abbröckeln. 4. Gegenüber diesen Gefahren und Bedrohungen muß die Kirche versuchen, ihre Mitarbeit anzubieten, um eine wirksame Antwort zu finden. Die Lösungen hängen nicht in erster Linie von ihr ab. Doch kann und muß sie durch koordinierte Arbeit der kirchlichen Gemeinschaft am Bestimmungsort der Arbeiter helfen. In den vergangenen Jahren hatte ich selbst Gelegenheit, mich mit vielen meiner Landsleute, die in verschiedene 743 Reisen Länder der Erde emigriert sind, zu treffen, und ich konnte feststellen, wieviel Hilfe und Trost ihnen der religiöse Beistand, der aus dem warmen Mitempfinden der fernen Heimat kommt, bedeutet. Deshalb halte ich es für entscheidend, daß die Emigranten sich möglichst von Kaplänen aus ihrem eigenen Ort oder Land betreut wissen, besonders an Orten, an denen Sprachbarrieren bestehen. Der Priester stellt für die Einwanderer, vor allem für die Neuankömmlinge, einen tröstenden Bezugspunkt dar und vermag ihnen außerdem brauchbare Orientierungshilfen bei den unvermeidüchen anfänglichen Schwierigkeiten zu bieten. In diesem Zusammenhang möchte ich die Kirche Spaniens in ihren Bemühungen ermutigen, mit Hilfe von Sekretariaten für Sonderpastoral die Zigeunergemeinschaft zu integrieren und jede Spur von Diskriminierung derselben auszumerzen. Den Behörden der Nation oder des Ortes der Herkunft fällt es zu, den ausgewanderten Mitbürgern jede mögliche Hilfe anzubieten vor allem dann, wenn sie in fremde Länder gezogen sind. Ein großer Prozentsatz der emigrierten Arbeiter kehrt früher oder später in die Heimat zurück. Sie dürfen sich dann nicht von der Nation, zu der sie gehören und zu der sie zurückkehren wollen, verlassen fühlen. Unter den unverzichtbaren Mitteln, die Beziehungen mit der Heimat aufrechtzuhalten, stehen an erster Stelle die Verbreitung von Informationsmaterial, der zweisprachige Unterricht für die Kinder, Erleichterungen für die Ausübung des Wahlrechts, kulturelle und künstlerische Gastveranstaltungen und ähnliche Initiativen. Vor allem aber müssen die Verantwortlichen der Gastländer großmütige Initiativen zugunsten der Einwanderer mit beruflichen wie wirtschaftlichen und kulturellen Hilfen entwickeln. So wird es vermieden, daß die Arbeiter zu bloßen Rädern im industriellen Getriebe werden ohne Rücksicht auf menschliche Werte. Es läßt sich kaum ein wirksameres Maß für die wahre demokratische Verfaßtheit einer modernen Nation finden, als das ihres Verhaltens zu den Einwanderern. 5. Natürlich muß der Auswanderer sich auch ehrlich um eine Eingliederung in die neue Umgebung bemühen, in der sich ihm die Möglichkeit einer ständigen und gerecht bezahlten Arbeit bietet. Oftmals hängen Beseitigung von Zweifeln und Befürchtungen ebenso wie die Gesprächsund Aufnahmebereitschaft von seinem Verhalten ab. Mit besonderer Rücksicht müssen der Emigrant und die örtlichen Behörden Zusammenarbeiten, wenn es sich um Familien handelt, die aus einer anderen Region Spaniens kommen und die Absicht haben, sich dauernd 744 Reisen in dieser Gegend niederzulassen. Schwierigkeiten können auftauchen, wenn 2wischen dem Herkunfts- und dem Gastort ein Sprachunterschied besteht. Der Auswanderer muß seine tatsächliche Lage wirklich annehmen, seinen Willen zu bleiben, bekunden und versuchen, sich in die kulturelle Eigenart des Ortes oder der Gegend, die ihn aufnehmen, einzugliedern. Für die Behörden besteht die Verpflichtung, den Rhythmus der Eingliederung dieser Familien nicht gewaltsam zu beschleunigen, die Möglichkeit eines allmählichen und gelassenen Übergangs in die neue Atmosphäre zu ermöglichen, den öffentlichen Willen zu zeigen, niemanden aus sprachlichen Gründen zu diskriminieren, die notwendigen schulischen Erleichterungen zu gewähren, damit die Kinder sich in der Schule nicht behindert oder gedemütigt Vorkommen, nämlich: das Angebot zweisprachigen Unterrichts ohne besonderes Schulgeld. Ferner müssen die Autoritäten Initiativen unterstützen, die den Emigranten erlauben, die Kultur der Gegend, aus der sie stammen, lebendig zu erhalten. Auf diese Weise wird man schmerzhafte und nutzlose Gegensätze vermeiden, und das kulturelle Erbe der Gastregion wird sich unmerklich im Geben bereichern durch die Elemente anderer Regionen. Ein besonderes Wort verdient das neue Drama, in das die Emigranten durch die Weltwirtschaftskrise verwickelt werden, die sie zwingt, in die Heimat zurückzukehren, weil sie vorzeitig entlassen werden. Die Industrieländer schulden diesen Arbeitern eine gerechte Behandlung, nachdem diese unter schweren Opfern zur gemeinsamen Entwicklung beigetragen haben. Sie sind auf besondere Weise nützlich gewesen, weit mehr, als man es mit einem einfachen Lohn bezahlen könnte. Sie verdienen als die Schwächsten besondere Aufmerksamkeit, damit nicht ein Kapitel ihres Lebens mit Scheitern endet. „Gesegnet bist du, mehr als andere Frauen!“ Wenn ich an so viele Personen fern der Heimat denke, kommen mir auch die Gefangenen in den Strafvollzugsanstalten in den Sinn. Viele von ihnen haben mir vor meiner Reise nach Spanien geschrieben. Ich möchte ihnen meinen herzlichen Gruß schicken und versichere sie meines Gebetes für sie, für ihre Anliegen und ihre Bedürfnisse. 6. Wie wir vorhin gehört haben, stellt uns der Wortgottesdienst die Gestalt Abrahams vor Augen, unseres Vaters im Glauben. Aber er deutet auch auf Maria hin, die von Nazaret in Galüäa in „eine Stadt Judas“, 745 Reisen gemäß der Überlieferung Ain Karin genannt, wandert. Dort, „im Haus des Zacharias, grüßte sie Elisabeth“, die die bekannten Segensworte sprach. Zusammen mit den Menschen, zusammen mit den Generationen dieses Landes der Estremadura und Spaniens, wanderte auch Maria, die Mutter Christi. In den neuen Siedlungsgebieten grüßte sie in der Kraft des Heiligen Geistes die neuen Völker, die eines Tages mit dem Glauben und der Verehrung der Mutter Gottes antworten würden. Auf diese Weise verbreitete sich die messianische Verheißung an Abraham in der Neuen Welt und auf den Philippinen. Ist es nicht bedeutsam, daß wir uns heute im marianischen Heiligtum von Guadalupe auf spanischer Erde treffen, während zu gleicher Zeit das gleichnamige Heiligtum in Mexiko sich zum Wallfahrtsort für ganz Lateinamerika entwickelt hat? Auch ich hatte die Freude, als Pilger zum mexikanischen Guadalupe zu ziehen, als ich meinen Dienst auf dem Stuhl Petri begann. Und wie klingen doch beständig die Worte weiter - in anderen Spachen, aber vor allem in Spanisch, weil sich ja die große Familie der hispanischen Völker dieser Sprache bedient -, jene Worte, mit denen einmal Elisabeth Maria begrüßte: „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt? In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Selig ist die, die geglaubt hat, daß sich erfüllt hat, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1, 42-45). Gesegnet bis du! Dieser Gruß vereint von Herzen Millionen dieser Regionen von Spanien und anderen Erdteilen, versammelt um Maria in Guadalupe und in so vielen Teilen der Welt. So ist Maria nicht nur die von den Menschen, den Völkern, den Emigranten angerufene Mutter. Sie ist auch das Vorbüd im Glauben und in den Tugenden, die wir während unserer irdischen Pilgerschaft nachahmen müssen. So sei es, mit meinem Apostolischen Segen für alle. 746 Reisen Jeder Gedanke wird Gott geschuldet Predigt beim Wortgottesdienst zu Ehren des hl. Johannes vom Kreuz in Segovia am 4. November 1. „Denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe läßt sich auf ihren Schöpfer schließen . . . Und wenn sie über ihre Macht und ihre Kraft in Staunen gerieten, dann hätten sie auch erkennen sollen, wieviel mächtiger jener ist, der sie geschaffen hat . . wenn sie ... entzückt über ihre Schönheit waren, dann hätten sie auch erkennen sollen, wieviel besser ihr Gebieter ist; denn der Urheber der Schönheit hat sie geschaffen“ (Weish 13, 5.4.3). Wir haben diese Worte aus dem Buch der Weisheit hier, liebe Brüder und Schwestern, im Verlauf dieser Feier zu Ehren des hl. Johannes vom Kreuz neben seinem Grab verkündet. Das Buch der Weisheit spricht vom Erkennen Gottes auf dem Weg über seine Geschöpfe; vom Erkennen der sichtbaren Güter, die auf ihren Schöpfer deuten; es spricht von der Kunde, die über seine Werke zum Schöpfer hinführt. Wir können diese Worte gut dem hl. Johannes vom Kreuz auf die Lippen legen und den tiefen Sinn verstehen, den ihnen der heilige Verfasser gegeben hat. Es sind Worte eines Weisen und eines Dichters, der die Schönheit der Werke Gottes gekannt, geliebt und besungen hat; es sind aber vor allem Worte eines Theologen und eines Mystikers, der seinen Urheber kannte und der mit einer überraschenden Radikalität auf die Quelle des Guten und des Schönen hinwies, den der Anblick der Sünde schmerzte, der Sünde, die das ursprüngliche Gleichgewicht zerstört, die Vernunft verdunkelt, den Willen lähmt und die liebende Betrachtung des Kunstwerks der Schöpfung verhindert. 2. Ich danke der Vorsehung, die es mir erlaubt hat, hierherzukommen, um die Reliquien des hl. Johannes vom Kreuz zu verehren und seine Gestalt und Lehre zu feiern. Ich verdanke ihm in meiner geistlichen Bildung so viel. Ich lernte ihn in meiner Jugend kennen und konnte mit diesem Lehrer des Glaubens, mit seiner Sprache und seinem Denken in einen intensiven Dialog treten, der in meiner Doktorthese gipfelte. Seitdem habe ich in ihm einen Freund und Meister gefunden, der mir das Licht, das in der Dunkelheit leuchtet, gezeigt hat, um immer auf Gott zuzugehen, „wo ich nichts sah von Dingen / und nichts mir Strahlen sandte / als jenes Leitlicht, das im Herzen brannte!“ {Aus dem Gedicht „Dunkle Nacht“, Strophe 3). 747 Reisen Bei dieser Gelegenheit grüße ich herzlich die Mitglieder der Provinz und Diözese von Segovia, ihren Bischof, die Priester, die Ordensmänner und -frauen, die Autoritäten und das ganze Volk Gottes, das hier lebt, unter dem klaren Himmel Kastiliens, und auch die, die aus den Nachbargebieten und anderen Teilen Spaniens gekommen sind. Durch die „dunkle Nacht“ des Glaubens 3. Der Heilige von Fontiveros ist der große Lehrer der Pfade, die zur Einheit mit Gott führen. Seine Schriften sind weiterhin aktuell, und auf eine gewisse Weise erklären und vervollständigen sie die Bücher der hl. Theresia von Jesus. Er gibt die Wege der Erkenntnis durch das Mittel des Glaubens an, denn nur diese Erkenntnis im Glauben bereitet die Einsicht auf die Vereinigung mit dem lebendigen Gott vor. Wie oft sagt er uns mit der Überzeugung, die aus der Erfahrung kommt, daß der Glaube das geeignete und passende Mittel zur Vereinigung mit Gott ist. Es genügt, eine berühmte Passage aus dem zweiten Buch seines Werkes Besteigung des Karmelberges zu zitieren: „Der Glaube dient dem Verstand als nächstes und angemessenes Mittel, die Seele zur göttlichen Liebesvereini-gung zu führen ... Denn so wie Gott unendlich ist, stellt ihn der Glaube unendlich vor; und wie er dreifältig und einfach ist, stellt der Glaube ihn dreifältig und einfach vor... Und so offenbart Gott sich der Seele einzig durch dieses Mittel in göttlichem Licht, das jedes Verstehen übersteigt. Je mehr Glauben also die Seele hat, um so inniger ist sie mit Gott vereint“ (II, 9, 1). Mit diesem Beharren auf der Reinheit des Glaubens wül Johannes vom Kreuz nicht abstreiten, daß sich das Erkennen Gottes nur schrittweise vom Erkennen der Geschöpfe her vollzieht; so zeigt es das Buch der Weisheit und wiederholt es der hl. Paulus im Brief an die Römer (1, 18-21; vgl. Das Lied der Liebe, 4, 1). Der mystische Lehrer zeigt auch, daß man sich im Glauben von den Geschöpfen lösen muß, sowohl von denen, die man über die Sinne wahmimmt, als auch von denen, die man mit dem Verstand erreicht, um sich auf erkennende Weise mit Gott selbst zu vereinen. Dieser Weg, der zur Vereinigung führt, durchquert die „dunkle Nacht“ des Glaubens. Garant der Wahrheit und des Glaubens 4. Der Akt des Glaubens konzentriert sich, wie der Heilige sagt, auf Jesus Christus, der, wie das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt hat, 748 Reisen „zugleich der Mittler und die Fülle der ganzen Offenbarung ist“ (vgl. Dei verbum, Nr. 2). Alle kennen den schönen Text des mystischen Lehrers über Christus als das endgültige Wort des Vaters und als Ganzheit der Offenbarung in diesem Dialog zwischen Gott und den Menschen: „Er ist meine ganze Rede und Antwort, er ist mein ganzes Schauen und meine Offenbarung. Ich habe schon zu euch geredet, euch geantwortet, es kundgemacht und enthüllt, als ich ihn euch zum ersten Bruder gab, zum Gefährten und Meister, als Preis und Lohn“ (Besteigung des Karmelbergs, II, 22, 5). Und so faßt er, indem er bekannte biblische Texte aufgreift, zusamen (vgl. Mi 17, 5; Heb 1, 1): „Er hat uns ja seinen Sohn gegeben, der sein Wort ist - und ein anderes hat er nicht. So sagte er uns alles zusammen auf einmal in diesem einzigen Wort, und mehr hat er nicht zu sagen“ {ebd. 3). Deshalb ist der Glaube die hebende Suche nach dem verborgenen Gott, der sich in Christus, dem Geliebten, offenbart (vgl. Das Lied der Liebe, 1, 1.3.11). Trotzdem vergißt es der Lehrer des Glaubens nicht, deutlich zu machen, daß wir Christus in der Kirche, der Braut und Mutter, finden und daß wir in ihrer Lehre die nächste und sicherste Norm des Glaubens finden, die Medizin für unsere Wunden, die Quelle der Gnade: „In allem müssen wir uns leiten lassen vom Gesetz des Menschen Christus, von seiner Kirche und ihren menschlichen und sichtbaren Dienern. Auf diesem Wege können wir unserer Unwissenheit und geistigen Schwachheit abhelfen, denn für alles werden wir hier reichlich Heilmittel finden“ (Besteigung des Karmelberges, II, 22, 7). 5. In diesen Worten des mystischen Meisters finden wir eine Lehre von absoluter Kohärenz und Aktualität. Dem Menschen von heute, der angstvoll nach dem Sinn seiner Existenz fragt, manchmal gleichgültig gegenüber der Predigt der Kirche, vielleicht skeptisch gegenüber den Meditationen über die Offenbarung Gottes, lädt Johannes vom Kreuz zu einer ehrüchen Suche ein, die ihn bis zur Quelle der Offenbarung führt, die Christus ist, Wort und Gabe des Vaters. Er überredet ihn, auf alles zu verzichten, was Hindernis für den Glauben sein könnte, und führt ihn zu Christus hin, zu ihm, der in der Kirche die göttliche Wahrheit und das göttliche Leben offenbart und anbietet, in der Kirche, die in ihrer Sichtbarkeit und Menschlichkeit immer Braut Christi ist, sein mystischer Leib, absoluter Garant der Wahrheit und des Glaubens (vgl. Die lebendige Flamme, Vorwort, 1). Deshalb fordert er zur Suche Gottes im Gebet auf, damit der Mensch sich 749 Reisen über seine zeitliche Endlichkeit und seine Berufung zur Unsterblichkeit klar wird (vgl. Das Lied der Liebe, 1,1). In der Stille des Gebetes vollzieht sich die Begegnung mit Gott, dort vernimmt man das Wort Gottes, das er in ewiger Stille sagt und das auch in der Stille gehört werden muß (vgl. Sprüche vom Licht und der Liebe, 104). Eine große innere Empfänglichkeit und ein Lossagen, verbunden mit der Inbrunst des Gebetes, öffnen die Tiefen der Seele für die verklärende Macht der göttlichen Liebe. 6. Johannes vom Kreuz folgte den Spuren des Meisters, der sich zum Gebet an einsamen Orten zurückzog (vgl. Besteigung des Karmelberges, III, 44, 4). Er liebte den Wohlklang der Einsamkeit, wo man der Musik des Schweigens lauscht, dem Rauschen der Quelle, die fließt und plätschert, obwohl es Nacht ist. Er machte das in langen Nachtwachen des Gebetes, vor dem eucharistischen Sakrament, diesem lebendigen Brot, das Leben schenkt und zur ersten Quelle der dreifältigen Liebe führt. Unvergeßlich bleibt die weite Einsamkeit von Duruelo, die Dunkelheit und Nacktheit des Gefängnisses von Toledo, die andalusischen Landschaften von La Penuela, el Calvario, los Märtires in Granada. Schön und wohlklingend die segovianische Einsamkeit der Höhleneinsiedelei, des Krähenfelsens vom Kloster, das der Heilige stiftete. Hier haben sich Gespräche der Liebe und des Glaubens bis zu diesem Letzten, Bewegenden vollzogen, das der Heilige dem Herrn anvertraute, der ihm den Lohn für seine Arbeit anbot: „Herr, ich möchte, daß Ihr mir Aufgaben stellt, die ich für Euch erdulden darf, daß ich geringgeschätzt und für unbedeutend gehalten werde.“ So war er bis zur Vollendung seiner Vereinigung mit dem gekreuzigten Christus und seinem freudenreichen Ostern in Ubeda, wo er kundgab, daß er dem Himmel Loblieder singen wolle. 7. Etwas, was in den Schriften des hl. Johannes vom Kreuz am meisten auffällt, ist die Klarheit, mit der er das menschliche Leiden geschildert hat, wenn die Seele von der leuchtenden und reinigenden Wolke des Glaubens umhüllt ist. Seine Analysen versetzen den Philosophen, den Theologen und sogar den Psychologen in Staunen. Der mystische Lehrer zeigt uns die Notwendigkeit einer passiven Reinigung, einer dunklen Nacht, die Gott im Gläubigen hervorruft, damit sein Festhalten am Glauben, an der Hoffnung und an der Liebe reiner werde. Ja, so ist es. Die reinigende Kraft der menschlichen Seele kommt von Gott selbst. Johannes vom Kreuz war sich dieser reinigenden Kraft wie nur wenige bewußt. Gott selbst reinigte die Seele bis in die tiefsten Gründe ihres Daseins, indem er im Menschen die lebendige Liebesglut entzündet: seinen Geist. 750 Reisen Er hat mit einer bewundernswerten Glaubenstiefe und von seiner eigenen Erfahrung der Reinigung des Glaubens das Mysterium des gekreuzigten Christus betrachtet bis zum Gipfel seiner Verlassenheit am Kreuz, wo er sich uns, wie er sagt, als Beispiel und Licht des geistlichen Menschen anbietet. Dort „drängte“ es den vom Vater geliebten Sohn „nach dem Schrei: ,Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ {Mt 21, 46). Es war die tiefste, fühlbare Verlassenheit seines Lebens. Und in ihr wirkte er das größte Werk, das er in seinem gesamten Leben mit Wundern und Taten sowohl auf Erden wie auch im Himmel je vollbrachte, nämlich die Versöhnung und Vereinigung des Menschengeschlechtes „durch die Gnade mit Gott“ {Besteigung des Karmelberges, II, 7, 11). 8. Der moderne Mensch kommt in seiner persönlichen und kollektiven Erfahrung trotz seiner Errungenschaften auch mit dem Abgrund des Verlassenseins, mit der Versuchung des Nihilismus, mit der Absurdität so vieler physischer, moralischer und geistiger Leiden in Berührung. Die dunkle Nacht, die Probe, der einen mit dem Mysterium des Bösen in Kontakt bringt und die nach der Öffnung des Glaubens verlangt, nimmt manchmal epochale Ausmaße und kollektive Proportionen an. Auch der Christ und die Kirche können sich mit dem Christus des hl. Johannes vom Kreuz identifiziert fühlen, auf dem Höhepunkt seines Schmerzes und seiner Verlassenheit. Alle diese Leiden hat Christus in seinem Schmerzensschrei und in seiner vertrauensvollen Hingabe an den Vater auf sich genommen. Im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe verwandelt sich die Nacht zum Tag, das Leiden zur Freude, der Tod zum Leben. Johannes vom Kreuz lädt uns zum Vertrauen ein, dazu, uns von Gott reinigen zu lassen; im hoffnungs- und liebevollen Glauben beginnt die Nacht, „die Dämmerung der Morgenröte“ zu erkennen, wird hell wie die Osternacht - „O vere beata nox! - Oh, wahrhaft selige Nacht!“ - und kündigt die Auferstehung und den Sieg an, die Ankunft des Bräutigams, der den Christen mit sich vereint und ihn verwandelt: „durch den Geliebten verwandelte Geliebte“. Mögen die dunklen Nächte, die über dem Bewußtsein der einzelnen und über den menschlichen Gemeinschaften unserer Zeit schweben, mit reinem Glauben gelebt werden in der Hoffnung, daß „man soviel erreicht, wie man erhofft, mit der flammenden Liebe der Kraft des Geistes, damit sich diese Nächte für unsere schmerzerfüllte Menschheit in leuchtende Tage verwandeln durch den Sieg des Auf erstandenen, der uns mit der Macht seines Kreuzes befreit“! 751 Reisen 9. Wir haben uns bei der Lesung des Evangeliums an die Worte des Propheten Jesaja erinnert, die Christus aufnahm: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn aufrufe“ (Lk 4,18). Auch der „heilige Bruder Johannes“, wie ihn Mutter Theresia nannte, war, wie Christus, ein Armer, der mit außerordentlicher Freude und großer Liebe den Armen das Evangelium verkündete; seine Lehre gleicht einer Erläuterung des Evangeliums von der Befreiung aus der Versklavung und Unterdrückung durch die Sünde von der Heiligkeit des Glaubens, die jede Blindheit heilt. Wenn die Kirche ihn seit 1926 als Lehrer der Mystik verehrt, dann deshalb, weil sie in ihm den großen Meister der lebendigen Wahrheit von Gott und den Menschen erkennt. Seine Werke Besteigung des Karmelberges und Die dunkle Nacht gipfeln in der freudvollen Freiheit der Kinder Gottes, in der Beteiligung am Leben Gottes und der Gemeinschaft mit dem dreieinigen Leben (vgl. Das Lied der Liebe, 39, 3-6). Nur Gott kann den Menschen befreien; dieser erreicht seine Würde und Freiheit nur dann ganz, wenn er - wie Johannes vom Kreuz feststellt - in seiner inneren Tiefe die erlösende, verwandelnde Gnade Christi erfährt. Die wahre Freiheit des Menschen liegt in der Gemeinschaft mit Gott. 10. Das Buch der Weisheit fragt uns: „Wenn sie durch ihren Verstand schon fähig waren, die Welt zu erforschen, warum fanden sie dann nicht eher den Herrn der Welt?“ (Weish 13, 9). Hierin liegt eine ehrliche Herausforderung an den zeitgenössischen Menschen, der die Wege des Universums erforscht hat. Hierin hegt auch die Antwort des Mystikers, der aus Gottes Höhe die hebevolle Spur des Schöpfers in seinen Geschöpfen erkennt und die vorzeitige Befreiung der Schöfung betrachtet (vgl. Röm 8, 19-21). Die ganze Schöpfung, sagt der hl. Johannes vom Kreuz, wird gleichsam vom Licht der Menschwerdung und der Auferstehung überflutet: „Mit der erhöhenden Menschwerdung seines Sohnes und mit dem besehgenden Glanz seiner leiblichen Auferstehung hat der Vater die Geschöpfe nicht nur zum Teil verschönt; er hat sie gänzlich, so können wir sagen, in Schönheit und Würde eingehüllt“ (ebd., 5, 4). Gott, der die Schönheit ist, spiegelt sich in seinen Geschöpfen. In einer kosmischen Umarmung, die Himmel und Erde in Christus 752 Reisen vereint, konnte Johannes vom Kreuz die Fülle des christlichen Lebens ausdrücken: „Du, mein Gott, wirst nicht von mir wegnehmen, was du mir einmal in deinem eingeborenen Sohn Jesus Christus gewährt hast... Mein sind die Himmel, und mein ist die Erde. Mein sind die Völker, die Gerechten sind mein, und mein sind die Sünder. Die Engel sind mein, und Gottes Mutter und alle Dinge sind mein, und Gott selber ist mein und für mich, denn Christus ist mein und für mich“ (Gebet heiliger Liebe). Schmied eines lebendigen Glaubens 11. Brüder und Schwestern: Ich wollte mit meinen Worten dem hl. Johannes vom Kreuz, diesem Theologen und Mystiker, Poeten und Künstler, diesem „himmlischen und göttlichen Menschen“ - wie ihn die hl. Theresia von Jesus nannte -, diesem Freund der Armen und weisen geistlichen Führer der Seelen, meine Ehrerbietung und meinen Dank erweisen. Er ist der Vater und geistliche Meister des ganzen theresiani-schen Karmels, der Schmied dieses lebendigen Glaubens, der in den vortrefflichsten Kindern des Karmels leuchtet: Theresia von Lisieux, Elisabeth von der Dreifaltigkeit, Rafael Kalinowski, Edith Stein. Ich bitte die Töchter des Johannes vom Kreuz, die Unbeschuhten Karme-litinnen, darum, daß sie die kontemplativen Grundzüge dieser reinen Liebe, die so außerordentlich fruchtbar für die Kirche ist, zu leben verstehen mögen (vgl. Das Lied der Liebe, 29, 2-3). Ich empfehle seinen Söhnen, den Unbeschuhten Karmeliten, den treuen Wächtern dieses Klosters und Animatoren des dem Heiligen gewidmeten Zentrums der Spiritualität, die Treue zu seiner Lehre und die Hingabe zur geistlichen Seelenführung ebenso wie zum Studium und zur Vertiefung der spirituellen Theologie. Allen Söhnen und Töchtern Spaniens und dieser ehrenwerten Region von Segovia überlasse ich hier als Garantie für den Wiederaufschwung des kirchlichen Lebens die schöne Losung des hl. Johannes vom Kreuz, die eine universale Bedeutung hat: Klarsicht des Verstandes, um den Glauben zu leben: „Die ganze Welt ist nicht einen einzigen Gedanken des Menschen wert, da ein jeder Gott geschuldet wird“ ( Weisungen der Liebe, 35). Mut im Willen, die Nächstenliebe zu üben: „Und wo keine Liebe ist, da legen Sie Liebe hinein, und Sie werden Liebe herausholen...“ {Brief an Maria von der Menschwerdung, 22). Einen festen und hoffnungsvollen Glauben, der ständig dazu anspornt, Gott und den Menschen wirklich zu 753 Reisen lieben, denn am Ende des Lebens „ist es zu spät, uns in der Liebe zu üben“ (Licht und Liebe, 64). Mit meinem Apostolischen Segen für alle. Den Ärmsten der Armen gedient Predigt bei der feierlichen Messe und Seligsprechung von Sr. Angela de la Cruz in Sevilla am 5. November Liebe Brüder und Schwestern! 1. Heute habe ich die Freude, mich mit euch zum ersten Mal unter dem Himmel Andalusiens zu treffen, dieser schönen Region, der ausgedehntesten und volkreichsten Spaniens, Mittelpunkt einer der ältesten Kulturen Europas. Hier treffen sich verschiedene Zivilisationen verschiedener Herkunft, die die bekannten charakteristischen Eigenschaften des andalusi-schen Menschen ergaben. Ihr habt dem römischen Reich Kaiser, Philosophen und Dichter geschenkt; acht Jahrhunderte arabische Herrschaft haben euer dichterisches und künstlerisches Empfinden verfeinert; hier wurde die Einheit der Nation geschmiedet; von den nahen Küsten zum „tönenden Guadalquivir“ brach das gewaltige Unternehmen der Entdeckung der Neuen Welt auf, starteten die Expeditionen Magellans und Elcanos, die bis zu den Philippinen führten. Ich kenne den apostolischen Ursprung des Christentums von Betica, das fruchtbar wurde durch eure Märtyrer und euren Heiligen seine Erhaltung verdankt: Isidor und Leander, Ferdinand und Johannes von Ribera, Johannes von Gott und dem sei. Johannes Grande, Johannes von Avila und Diego von Cadiz, Franz Solano, Raphael Maria, dem ehrwürdigen Michael von Manara und vielen anderen bedeutenden Gestalten. Die liebevolle Erinnerung an soviel geschichtlichen und geistlichen Reichtum ist mein bester Gruß an euer Volk, euren neuen Erzbischof, an die hier gegenwärtigen geistlichen Hirten und an alle Spanier, vor allem an diejenigen, die von den Kanarischen Inseln gekommen sind; sie ist jedoch vor allem die Stimme, die dem verliehen ist, der eurem Volk soviel gegeben hat; meinem geliebten Bruder, eurem Kardinal, der uns begleitet. 754 Reisen 2. In diesem sevillanischen Rahmen, der wie eure Höfe vom „ländlichen Duft Andalusiens“ umgeben ist, begegne ich dem spanischen Landvolk. Ich tue es, indem ich euch eine demütige Tochter des Volkes vor Augen stelle, die ihm durch ihren Ursprung und ihr Werk so nahesteht. Deshalb war es mein Wunsch, euch eine kostbare Gabe zu hinterlassen, indem ich hier Schwester Angela vom Kreuz verherrliche. Wir haben die Worte des Propheten Jesaja gehört, der dazu einlädt, das Brot mit dem Hungrigen zu teilen, den Elenden aufzunehmen, den Nackten zu kleiden und das Antlitz nicht von dem Bruder abzuwenden (vgl. Jes 58, 7); denn „wenn du dem Hungrigen dein Brot reichst und den Darbenden satt machst, dann geht im Dunkel dein Licht auf, und deine Finsternis wird hell wie der Mittag“ (Jes 58, 10). Gemeinsamer Schatz aller Andalusier Die Worte des Propheten scheinen sich unmittelbar auf Schwester Angela vom Kreuz zu beziehen: mag sie heldenhaft die Nächstenliebe gegenüber den Notleidenden, die Brot, Kleidung und Liebe brauchen, üben, wie es heute geschieht, diese heldenhafte Nächstenliebe, die ihr Licht auf den Altären leuchten läßt, als Beispiel für alle Christen. Ich weiß, daß die neue Selige als gemeinsamer Schatz aller Andalusier betrachtet wird, jenseits jeder gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Trennung. Ihr Geheimnis, die Wurzel, aus der ihre beispielhaften Handlungen der Nächstenliebe hervorgehen, kommt im Wort des Evangeliums zum Ausdruck, das wir soeben gehört haben: „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen“ (Mt 16, 25). Sie nannte sich Angela vom Kreuz. Als wollte sie sagen, daß sie gemäß den Worten Christi ihr Kreuz auf sich genommen hat, um ihm zu folgen (vgl. Mt 16, 24). Die neue Selige hatte jene Wissenschaft vom Kreuz auf hervorragende Weise verstanden und erklärte diese ihren Töchtern mit einem Bild von großer plastischer Ausdruckskraft. Sie stellte sich vor, daß auf dem Kalvarienberg neben dem gekreuzigten Herrn ein anderes Kreuz steht „von derselben Höhe, nicht rechts oder ünks, sondern gegenüber und sehr nahe“. An diesem leeren Kreuz wollten Schwester Angela und ihre Schwestern angenagelt sein und sehnten sich danach, „gegenüber dem Herrn gekreuzigt zu sein“ durch „Armut, Entsagung umd Demut“ (Escritos intimos, Erste Schriften, Blatt 1, S. 176). Vereint mit dem Opfer Christi, konnten Schwester Angela und ihre Schwestern das Zeugnis der Liebe zu den Bedürftigen verwirklichen. 755 Reisen Tatsächlich führten der Verzicht auf irdische Güter und der Abstand von jedem persönlichen Interesse Schwester Angela zu jener idealen Dienstbereitschaft, die sie ausdrucksvoll definierte, indem sie sich als „enteignet zum allgemeinen Nutzen“ bezeichnete. Irgendwie gehörte sie, wie Christus, unser Bruder, schon den anderen. Das strenge, gekreuzigte Dasein der Schwestern vom Kreuz stammt auch von ihrem Einklang mit dem Erlösungsgeheimnis Jesu Christi. Ihr Ziel ist nicht, an Hunger oder Kälte zu sterben; sie wollten Zeugnis geben für den Herrn, der für uns gestorben und auferstanden ist. So vollzieht sich das christliche Geheimnis vollkommen in Schwester Angela vom Kreuz, die „eingetaucht in die österliche Freude“ zu sein scheint, in jene Freude, die sie ihren Töchtern als Testament hinterlassen hat und die alle an ihnen bewundern. Denn die Buße wird gelebt als Verzicht auf eigene Annehmlichkeit, um bereit zu sein für den Dienst am Nächsten; sich lächelnd zu opfern, ohne eine Rechnung zu präsentieren, die die Bedeutung des eigenen Opfers mindert, setzt einen starken Rückhalt im Glauben voraus. 3. Getreu dem Beispiel der Armut Christi, hat Schwester Angela vom Kreuz ihr Institut in den Dienst an den Ärmsten der Armen, den Enterbten, den an den Rand Gedrängten gestellt. Sie wollte, daß die Gesellschaft vom Kreuz sich „in der Armut“ befinde, nicht von außen helfend, sondern durch das Leben unter den gleichen Lebensbedingungen der Armen. Schwester Angela war überzeugt, daß sie und ihre Töchter zur Arbeiterklasse gehören, zu den Demütigen, den Bedürftigen, „sie sind Bettlerinnen, die alles als Almosen empfangen“. Die Armut der Gesellschaft vom Kreuz ist nicht rein kontemplativ, sie dient vielmehr den Schwestern als dynamische Grundlage für die Betreuung der Arbeiter, der obdachlosen Famüien, der Kranken, der Armen, der verwaisten Mädchen ohne Eltern oder Schule, der erwachsenen Analphabetinnen. Sie suchen, jeder Person das zu geben, was sie braucht: Geld, Wohnung, Unterricht, Kleidung, Medikamente; alles wird stets mit Liebe dargeboten. Die Mittel, deren sie sich bedienen, sind ihre persönliche Arbeit und die Almosen, die sie von denen erbitten, die sie geben können. Auf diese Weise schuf Schwester Angela ein Band, eine Brücke zwischen den Bedürftigen und den Mächtigen, den Armen und den Reichen. Es ist offensichtlich, daß sie politische Konflikte und wirtschaftliche Unausgeglichenheit nicht beseitigen konnte. Ihre Aufgabe war die „Nächstenliebe der Dringlichkeit“ jenseits jeder Trennung, die Hilfe dem bringt, der sie gerade nötig hat. Ihre Caritas war jene, von der der Apostel Paulus im 756 Reisen ersten Korintherbrief spricht: „Die Liebe ist langmütig. . . gütig . . . sucht nicht ihren Vorteil, läßt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach...Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand“ (1 Kor 13, 4; 5; 7). 4. Dieses Zeugnis der Nächstenliebe Schwester Angelas übte einen wohltätigen Einfluß aus, der weit über die Peripherie der großen Städte hinausreichte und sich sofort auch im ländlichen Bereich ausbreitete. Es konnte nicht anders sein, denn während der letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, als Schwester Angela ihr Institut gründete, scheiterte in Andalusien der Versuch der Industrialisierung, weshalb eine vorwiegend ländliche Lebensweise erhalten blieb. Viele Männer und Frauen zogen auf der Suche nach einem festen und gut bezahlten Arbeitsplatz zur Stadt, doch ohne Erfolg. Schwester Angela selbst war die Tochter von Eltern, die aus einem kleinen Dorf nach Sevilla gekommen waren, um sich in der Stadt niederzulassen. Hier arbeitete sie einige Jahre hindurch in einer Schuhfabrik. Auch die Gesellschaft vom Kreuz besteht zum größten Teil aus Frauen, die aus Bauernfamilien stammen, aus dem einfachen Landvolk, und bewahrt die charakteristischen Merkmale ihrer Herkunft. Ihre Klöster sind arm, aber sauber; sie sind mit dem typischen Mobiliar bescheidener Bauernhäuser eingerichtet. Zu Lebzeiten der Gründerin eröffneten die Schwestern neun Häuser in ebenso vielen Orten der Provinz Sevilla, vier in der Provinz Huelva, drei in Jaen, zwei in Malaga und eins in Cadiz. Ihre Arbeit am Rand der großen Städte spielte sich in den Familien ab, die oft erst vom Land gekommen waren, in elenden Unterkünften hausten und nicht einmal die notwendigen Mittel besaßen, Krankheiten zu bekämpfen oder sich Lebensmittel und Kleidung zu beschaffen. 5. Heute hat die ländliche Welt Schwester Angelas vom Kreuz den Wandel der bäuerlichen in Industriegesellschaften erlebt, zuweilen mit beachtenswertem Erfolg. Aber diese Anziehungskraft des industriellen Horizonts hatte eine gewisse Mißachtung des Landes zur Folge „bis zu dem Grade, in den Menschen der Landwirtschaft das Gefühl hervorzurufen, sozial ausgestoßen zu sein und bei ihnen das Phänomen der Massenflucht vom Land in die Stadt zu beschleunigen, unglücklicherweise hin zu noch unmenschücheren Lebensbedingungen“ (Laborem exercens, Nr. 21). Diese Mißachtung geht von falschen Voraussetzungen aus, denn viele 757 Reisen Zahnräder der Weltwirtschaft hängen weiterhin vom landwirtschaftlichen Sektor ab, „der der Gesellschaft die notwendigen Güter für den täglichen Nahrungsbedarf liefert“ (ebd.). Auf dieser Linie der Verteidigung des bäuerlichen Menschen verkündet die Kirche den Menschen von heute die Forderungen der Lehre über die soziale Gerechtigkeit, sowohl hinsichtlich der Probleme des ländlichen Lebens als auch jener der Feldarbeit; die Botschaft des Evangeliums von der Gerechtigkeit, die auf die Propheten des Alten Testaments zurückgeht. Der Prophet Jesaja hat uns vorhin daran erinnert: Wenn du dein Brot mit dem Hungrigen teilst, „dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte . . . Deine Gerechtigkeit geht dir voran .. (Jes 58. 8). Ein auch heute aktueller Ruf, denn die Gerechtigkeit und die Nächstenliebe sind immer aktuell. Glücklicherweise wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts einige der Gegebenheiten überwunden, die das Leben auf dem Land früher unmenschlich machten: extrem niedrige Löhne, Elendsunterkünfte, mangelnde Schulen für die Kinder, Grundbesitz in den Händen einiger Weniger, geringe oder schlechte Nutzung des Bodens, Mangel an Sicherheiten, die ein Minimum an Hoffnung für die Zukunft gestatten. Aschenputtel der wirtschaftlichen Entwicklung Die Entwicklung der Gesellschaft und der Arbeit hat dieses gewiß sehr traurige Panorama in der ganzen Welt und auch in Spanien verbessert. Aber das Land bleibt weiterhin Aschenputtel der wirtschaftlichen Entwicklung. Deshalb müssen die Verantwortlichen des öffentlichen Lebens die Lösung der dringenden Probleme der Landwirtschaft in Angriff nehmen, einmal durch eine angemessene Revision von Kosten und Preisen, um den Sektor ertragreich zu machen, zum anderen durch den Aufbau einer Industrie, die die Produkte weiterverarbeitet und so die Landwirtschaft von der Bedrängnis der Arbeitslosigkeit und von der erzwungenen Auswanderung befreit, von der so viele geliebte Söhne dieser und anderer Gegenden Spaniens betroffen sind; sie müssen den Vertrieb der Agrarprodukte rationalisieren und für die Familien, vor allem die jungen, Lebensbedingungen schaffen, die sie veranlassen, sich als Arbeiter mit der gleichen Würde wie die der Industrie zu fühlen. Wir hoffen, daß die nächsten Etappen eures öffentlichen Lebens einen Fortschritt in dieser Richtung bringen werden unter Verzicht auf leichtfertige Demagogie, die das Volk betäubt, ohne seine Probleme zu lösen, und 758 Reisen durch den Aufruf an alle Menschen guten Willens, sich gemeinsam für erfolgreiche Programme einzusetzen. 6. Um auf diesem Wege Fortschritte zu erzielen, ist es notwendig, die geistliche Kraft und die Liebe Schwester Angelas vom Kreuz einzusetzen; jene Liebe, die niemals enden wird (vgl. 1 Kor 13, 8), möge imstande sein, das menschliche und religiöse Leben eines jeden Christen zu formen. Ich weiß, daß Andalusien die kulturellen und religiösen Wurzeln seines Volkes nährt, und zwar dank eines Erbes von Überlieferungen, die vom Vater an den Sohn weitergegeben werden. Alle Welt bewundert die schönen Ausdrucksformen der Frömmigkeit, die das andalusische Volk geschaffen hat, um seine religiösen Empfindungen für die Sinne faßbar zu machen. Anderseits haben die im Laufe der Jahrhunderte gegründeten Bruderschaften einen beträchtlichen Einfluß auf die ganze Gesellschaft ausgeübt. Diese Volksfrömmigkeit muß als Form einer christlichen Zustimmung zu den Forderungen des Evangeliums geachtet und gepflegt werden. Das Wirken der Bruderschaften muß in die erneuerte Pastoral des Zweiten Vatikanischen Konzils eingegliedert werden, indem man sie von dem Mißtrauen dem priesterlichen Dienst gegenüber und von jeglicher eigensüchtigen oder parteüschen Spannung reinigt. Auf diese Weise wird eine solche geläuterte Frömmigkeit ein gültiger Weg zur Fülle des Heüs in Christus sein können, wie ich schon zu euren Oberhirten sagte (vgl. Ansprache an die Bischöfe der Kirchenprovinzen von Sevilla und Granada beim „Ad-limina“-Besuch 1982). 7. Liebe Andalusier, liebe Spanier! Die Gestalt der neuen Seligen steht in ihrer ganzen Beispielhaftigkeit und Nähe zum Menschen, vor allem zum einfachen Menschen vom Land vor euch. Ihr Beispiel ist ein dauernder Beweis für jene Liebe, die nie enden wird (vgl. 1 Kor 13, 8). Sie lebt in ihrem Volk durch das Zeugnis ihrer Liebe weiter, jener Liebe, die ihr Schatz in der ewigen Gemeinschaft der Heiligen ist, die sich durch die Liebe und in der Liebe verwirklichen. Der Papst, der heute Schwester Angela vom Kreuz seliggesprochen hat, bekäftigt im Namen der Kirche die Antwort getreuer Liebe, die sie Christus gegeben hat. Zugleich macht er sich zum Echo der Antwort, die Christus selbst auf das Leben seiner Dienerin gibt: „Der Menschensohn wird mit seinen Engeln in der Hoheit seines Vaters kommen und jedem Menschen vergelten, wie es seine Taten verdienen“ {Mt 16, 27). Heute verehren wir dieses Geheimnis der Wiederkunft Christi, der Schwester Angela so belohnt, „wie es ihre Taten verdienen“. 759 Reisen Die Lektion des hl. Ignatius Predigt bei der Messe in Loyola am 6. November Liebe Brüder im Bischofsamt, liebe Brüder und Schwestern: Gelobt sei Jesus Christus! Euskal Herriko kristau maiteok: Pakea zuei, eta zoriana! 1. Mit großer Freude komme ich nach Loyola, in das Herz dieses mir so teuren Baskenlandes, um allen Söhnen dieser Kirche Christi die Liebe des Papstes zu zeigen. Ich grüße vor allem den Oberhirten der Diözese und die anderen anwesenden Bischöfe. Die Bischöfe hatten den Wunsch, bei dieser meiner Pastoraireise in Spanien möge hier das wichtige Treffen mit den Generalobern und den Höheren Obern der Orden und Kongregationen spanischen Ursprungs stattfinden. Auf diese Weise sollte zugleich ein großer Sohn dieses Landes geehrt werden, der durch das, was er erstrebte und vollbrachte, eine weltweite Ausstrahlung hatte: der hl. Ignatius von Loyola. Seine Gestalt ist es, die diesen Ort in der ganzen Welt bekannt gemacht und ihm große Ehre bereitet hat. Ein Sohn der Kirche, auf den man mit Freude und berechtigtem Stolz schauen darf. In dieses Treffen und den Ehrenerweis für den Gründer des größten Ordens in der Kirche sind auch die Gründer der anderen von Spanien ausgegangenen Ordensfamilien eingeschlossen, hier vertreten durch ihre Generalobern. Allen Mitgliedern ihrer Ordensgemeinschaften gilt der herzliche Gruß des Papstes. Was für ein weiter Horizont öffnet sich vor uns - jenseits dieser schönen, grünen Berge mit ihren Kreuzen und Heiligtümern -, wenn wir an das gesamte Bild der Kirche denken, wie es sich uns hier darbietet! Es ist nicht möglich, die endlose Liste aufzuzählen, doch wie könnte ich versäumen, die geistliche Familie der Söhne und Töchter des hl. Dominikus, die karmelitische der hl. Theresia von Jesus und des hl. Johannes vom Kreuz, die der reformierten Unbeschuhten Franziskaner vom hl. Petrus von Alcantara sowie die Trinitarier, Mercedarier, Hospitalbrüder, Piari-sten und Klaretiner zu nennen? Hinzukommen noch die weiblichen Ordensgemeinschaften von der Anbetung des Heüigsten Altarsakraments, die Annaschwestern, die Gesellschaft von der hl. Theresia, die Dienerinnen des Heiligsten Herzens, die Kleinen Schwestern der Altenfürsorge, die Schwestern Jesu, die Dienerinnen Mariens, die Schwestern der Immaculata und viele andere, nicht 760 Reisen weniger verdiente Kongregationen. Sie alle bilden einen ansehnlichen Teil der etwa 95 000 spanischen Ordensleute, zu denen noch die verschiedenen Säkularinsitute spanischer Herkunft kommen. Wie viele Söhne und Töchter dieses edlen und hochherzigen christlichen Baskenlandes sind unter ihnen! Und wieviel haben sie auf allen Gebieten zum Wohl der Kirche beigetragen! In Liebe gedenke ich ihrer, besonders auch jener, die in den Ländern Lateinamerikas arbeiten und die über das Fernsehen mit uns verbunden sind. In der Stille reifte beispielhaft der bewundernswürdige Bruder Gärate heran, den wir bald zur Ehre der Altäre erhöht zu sehen hoffen. Sein Grab ist hier in Loyola wie auch das der Dolores Sopena. 2. Wenn man in Loyola, an seinem Geburtsort und der Stätte seiner Bekehrung, vom hl. Ignatius spricht, fallen einem unwülkürlich die geistlichen Exerzitien ein, eine soviel geübte, wirksame Methode, Gott näher zu kommen; ferner die Gesellschaft Jesu, die über die ganze Welt verbreitet ist und für das Evangelium so reiche Frucht getragen hat und weiter trägt. Ignatius verstand es, nachdem er von seiner Verwundung genesen war, der Stimme Gottes zu gehorchen, die mit Macht sein Herz getroffen hatte. Er war offen für die Anregungen des Heiligen Geistes, darum begriff er, was zur Heiligung der Übel seiner Zeit noch notwendig war. Immer gehorsam gegenüber dem Stuhl Petri, wollte er ein geeignetes Werkzeug der Evangelisierung in dessen Hände legen. Das ging so weit, daß er diesen Gehorsam als eines der Merkmale zurückließ, die für das Charisma seiner Gesellschaft kennzeichnend sind. Wir haben eben das Wort des hl. Paulus gehört: „Nehmt mich zum Vorbild, wie ich Christus zum Vorbild nehme . . . Auch ich suche allen in allem entgegenzukommen; ich suche nicht meinen Nutzen, sondern den Nutzen aller, damit sie gerettet werden“ (I Kor 11, 1; 10, 33). Wir können dieses Wort des Apostels dem hl. Ignatius in den Mund legen, auch heute, im Abstand von Jahrhunderten. Das Charisma der Gründer muß ja in den Gemeinschaften, die sie gegründet haben, lebendig bleiben. Es muß in jeder Zeit das Lebensprinzip jeder Ordensfanülie sein. Daher wies das letzte Konzil mit Recht darauf hin: „Darum sind der Geist und die eigentlichen Absichten der Gründer wie auch die gesunden Überlieferungen, die zusammen das Erbe jedes Instituts ausmachen, treu zu erforschen und zu bewahren“ (Perfectae caritatis, Nr. 2). Wenn es diese Treue zur eigenen besonderen Berufung innerhalb der Kirche zum Ausgangspunkt nimmt und sie gemäß den von eben diesem Konzil festgesetzten Richtlinien im Geist des Aggiornamento lebt, wird 761 Reisen jedes Institut die vielfältigen, seinen Mitgliedern besonders entsprechenden Tätigkeiten ausüben können. So kann es der Kirche seinen eigenen Reichtum, in der Liebe Christi in Harmonie verbunden, für einen wirksameren Dienst an der Welt von heute zur Verfügung stellen. 3. Loyola ist ein Anruf zur Treue. Nicht nur für die Gesellschaft Jesu, sondern indirekt auch für die anderen Ordensgemeinschaften. Ich bin hier bei den Höheren Obern, die heute eine so große Anzahl von Orden und Kongregationen leiten. Ich möchte euch auffordern, mit hochherziger Hingabe euren evangelischen Dienst zu erfüllen, der darin besteht, die Verbundenheit zu stärken, geistliche und apostolische Anregung zu geben, geistliche Unterscheidung in Treue zu pflegen und für Koordinierung zu sorgen. Ich weiß, daß es heute nicht leicht ist, euren Aufgaben als Obere gerecht zu werden. Darum ermutige ich euch, von eurer Pflicht der Autoritätsausübung nicht abzulassen, sondern sie mit dem tiefen Bewußtsein der Verantwortung wahrzunehmen, die euch vor Gott und vor euren Brüdern auferlegt ist. Verzichtet auch nicht darauf, wenn es nötig sein sollte, mit allem Verständnis und aller Brüderlichkeit geduldige Zurechtweisung zu erteilen, damit das Leben eurer Brüder den Sinn der Weihe an Gott erfülle. Diese unerläßlichen schwierigen Aufgaben sind ein Teil der Hingabe an euren Beruf. Christus, den ihr einst als den besseren Teil erwählt habt, wird weiterhin in euren Ohren das Wort des Evangeliums ertönen lassen, das wir eben gehört haben: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Lk 9, 23). Diese Worte beziehen sich auf jeden Christen und in besonderer Weise auf jene, die die Ordensberufung leben. Von ihr spricht Christus vor allem, wenn er sagt: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten“ (Lk 9, 24). Wir dürfen nicht vergessen, daß die Ordensberufung ihrer tiefsten Wurzel nach aus der evangelischen Rangordnung der Werte erwächst: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?“ (Lk 9, 25). Wir dürfen auch die Tatsache nicht aus dem Auge verlieren, daß das Ordensleben Berufung zu einem besonderen Zeugnis ist, und gerade im Hinblick auf dieses Zeugnis müssen wir das Wort Christi verstehen: „Denn wer sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich der Menschensohn schämen“ (Lk 9, 26). Liebe Brüder und Schwestern: Christus möchte vor dem Vater zugunsten eines jeden von euch Zeugnis 762 Reisen geben (vgl. Mt 10, 32). Seid darauf bedacht, dies zu verdienen, indem ihr „vor den Menschen“ ein Zeugnis gebt, das eurer Berufung würdig ist. 4. Dieses euer Zeugnis muß sowohl euer persönliches wie auch das gemeinsame Zeugnis eurer Ordensgemeinschaft sein. Es muß der Gemeinschaft der Gläubigen, die auf euch schauen, ein gültiges Vorbild für das Leben bieten. Sie braucht die Treue eurer Gemeinschaften, um durch sie ihre eigene Treue zu festigen. Sie braucht den euch eigenen Blick auf die gesamte Kirche, um offen zu bleiben und der Versuchung zu widerstehen, nur sich selbst im Auge zu haben, was zur Verarmung führen würde. Sie braucht eure weitreichende Brüderlichkeit und Annahmebereitschaft, um zu lernen, gegen alle brüderlich und aufnahmebereit zu sein. Sie braucht euer Beispiel der Liebe innerhalb und außerhalb eurer Gemeinschaft, um Schranken der Verständnislosigkeit und des Hasses zu überwinden. Sie braucht euer Beispiel und euer Wort des Friedens, um Spannungen und Gewalt zu beseitigen. Sie braucht das Beispiel eurer Hingabe an die Werte des Reiches Gottes, um die Gefahren des praktischen und des theoretischen Materialismus, die sie bedrohen, abzuwehren. Diese Öffnung und Verfügbarkeit könnt ihr wirksam betätigen durch die Eingliederung in die Gemeinden der Ortskirche, wobei ihr darauf achtet, daß eure Freistellung als Ordensleute euch nicht zum Vorwand werde, die diözesanen und nationalen Pastoralpläne unbeachtet zu lassen. Vergeßt nicht, daß euer Beitrag auf diesem Gebiet für die Neubelegung der Diözesen und der christlichen Gemeinschaften entscheidend sein kann. Er wird es sein, wenn diese christliche Gemeinschaft des Baskenlandes wie auch jene Spaniens und der Länder außerhalb seiner Grenzen bei euch eine Lebensantwort finden kann. Wenn ihr auf die Frage Christi: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ gleichsam als Echo der Apostel antworten könnt: „Wir sind es, die deine Gegenwart in der Welt von heute fortsetzen, Christus, du Messias Gottes“ (vgl. Lk 9, 20). 5. Diese zweifache Aufgabe: Nachfolge Christi und Vorbüd für die heutige Welt, muß die Ausrichtung eurer Ordensgemeinschaften bestimmen. Um ihr zu entsprechen, müssen eure Gemeinschaften ihren Mitgliedern bestimmte Haltungen einprägen. Die Welt der Orden lebt ja mitten in einer Gesellschaft und einer Umwelt, deren menschliche und religiöse Werte sie schätzen und fordern muß, denn der Mensch und seine Würde sind der Weg der Kirche, und das Evangelium muß jedes Volk und jede Kultur durchdringen. Doch ohne die Ebenen oder die Werte zu verwech- 763 Reisen sein! Gottgeweihte Menschen wissen - wie uns die Liturgie dieses Tages lehrt daß ihre Tätigkeit ihren Mittelpunkt weder in der zeitlichen Wirklichkeit hat noch in dem, was Aufgabe der Laien ist und was sie ihnen überlassen müssen. Sie müssen sich vor allem Gott und seiner Sache verpflichtet wissen: „Ich will den Herrn allezeit preisen, immer sei sein Lob in meinem Mund“ (Ps 33, 2). Die Wege des Ordenslebens folgen nicht menschlicher Berechnung und richten sich nicht nach dem Maßstab von Macht, Reichtum und Vergnügen. Ordensleute wissen, daß ihre Kraft darin besteht, von Gott angenommen und ihm hingegeben zu sein: „Da ist ein Armer; er rief, und der Herr erhörte ihn“ (Ps 33, 7). Gerade diese Armut wird so zur Öffnung für das Göttliche, zur Freiheit des Geistes, zur Verfügbarkeit ohne Grenzen. Als Wegzeichen auf den Straßen der Welt weisen die Ordensleute den Weg zu Gott. Darum ist das flehende Gebet eine dringende Notwendigkeit: „Schreien die Gerechten, so hört sie der Herr“ (Ps 33, 18). In einer Welt, in der die Sehnsucht nach dem Transzendenten gefährdet ist, sind Menschen notwendig, die sich dem Gebet widmen und die solche, die beten, bei sich aufnehmen, Menschen, die dieser Welt etwas mehr an Geist geben, die sich jeden Tag Gott zur Verfügung stellen. Vor allem anderen muß das Ordensleben das unablässige Verlangen nach Vervollkommnung aufrechthalten. In täglich erneuerter Bekehrung muß dieser Vorsatz an Kraft gewinnen. Welche erhebende und den Menschen formende Kraft steckt in den Worten des Antwortpsalms: „Meide das Böse und tu das Gute; suche Frieden und jage ihm nach“ (Ps 33,15). Das ist ein Programm für jeden Christen und noch mehr für jene, die die Gelübde der Hingabe an das Gute, an den Gott der Liebe, des Friedens und der Eintracht abgelegt haben. Gewalt ist kein Mittel zum Aufbau Ihr, liebe Obern und Oberinnen, hebe Ordensmänner und Ordensfrauen, seid alle berufen, diese herrliche Wirklichkeit zu leben. Von Ignatius von Loyola können seine Söhne, kann jede Ordensgemeinschaft, jeder Ordensmann und jede Ordensfrau eine eindringliche Lektion lernen: nämlich, die der absoluten Treue zu Gott, zu einem Ideal ohne Grenzen, zum Menschen ohne Unterschied und ohne Verweigerung, in tiefer Liebe zur eigenen Heimat und ihren Werten und voll Achtung gegenüber jener der anderen. 6. Ich kann diese Predigt nicht beenden, ohne ein besonderes Wort an die Söhne und Töchter der Kirche im Baskenland zu richten, zu denen ich 764 Reisen aber auch bei den anderen Begegnungen mit den Gläubigen Spaniens spreche. Ihr seid ein Volk, reich an christlichen, menschlichen und kulturellen Werten: eure jahrtausendalte Sprache, eure Überlieferungen und Einrichtungen, die Standhaftigkeit und der nüchterne Charakter eurer Menschen, die edlen und zarten Empfindungen, die in so schönen Liedern zum Ausdruck kommen, die menschliche und christliche Ausrichtung der Familie, die beispielhafte Dynamik so zahlreicher Missionare und der tiefe Glaube der Menschen. Ich weiß, daß ihr vom sozialen und religiösen Gesichtspunkt aus in schwierigen Zeiten lebt. Ich kenne die Bemühungen eurer Ortskirchen, der Bischöfe und Priester, der Ordensleute und Laien, um eurem Leben durch Evangelisation und Katechese eine christliche Ausrichtung zu geben. Ich ermutige euch von Herzen zu diesen Bemühungen und auch zu dem, was ihr tut, um die Geister zu versöhnen. Das ist ja eine wesentliche Dimension des christlichen Lebens, des ersten Gebotes Christi, nämlich des Gebotes der Liebe. Eine Liebe, die verbrüdert und darum keine Schranken und Trennungen aufrichtet. Denn die Kirche ist und muß als das eine Volk Gottes (vgl. Lumen gentium, Nr. 9) immer Zeichen und Sakrament der Versöhnung in Christus sein. In Ihm „gibt es nicht mehr Juden und Griechen,. . . nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid,einer in Christus Jesus“ {Gal 3, 28). Ich kann es mir nicht versagen, ganz besonders an euch junge Menschen zu denken. Viele haben großen Idealen nachgestrebt und Bewundernswertes vollbracht, früher und heute: Sie sind in großer Mehrzahl. Ich möchte euch loben und euch diese Ehre geben angesichts möglicher Verallgemeinerungen oder ungerechter Anschuldigungen. Doch leider gibt es auch solche, die sich von Ideologien des Materialismus und der Gewalt in Versuchung führen lassen. Ich möchte ihnen mit Liebe und Festigkeit sagen - und meine Stimme ist die von einem, der persönlich Gewalt erlitten hat -, sie mögen über ihren Weg nachdenken; sie mögen ihre Hochherzigkeit und Selbstlosigkeit nicht als Werkzeug gebrauchen lassen. Gewalt ist kein Mittel zum Aufbau: Sie ist eine Beleidigung Gottes, sie verletzt den, der sie erleidet, und den, der sie ausübt. Ich wiederhole noch einmal, daß das Christentum für den edlen und gerechtfertigten Kampf um die Gerechtigkeit auf allen Ebenen Verständnis hat und ihn anerkennt, es aber verbietet, Lösungen auf Wegen des Hasses und Todes zu suchen (vgl. Predigt in Drogheda, 29. September 1979). 765 Reisen Liebe Christen des Baskenlandes, ich möchte euch versichern, daß ihr in meinem Gebet und in meiner Liebe euren Platz habt, daß eure Freuden und Leiden die meinen sind. Schaut vorwärts, liebt nichts ohne Gott und haltet die Hoffnung hoch! Ich möchte wünschen, daß in euren schönen Tälern und Bergen das Echo meiner Stimme voll Liebe und Freundschaft widerhalle, wenn ich euch wiederhole: „Guztioi nere agurrik beroena! Pakea zuei!“ Ja, meinen herzlichsten Gruß euch allen! Der Friede sei mit euch! Möge die Jungfrau Maria, die in so zahlreichen Bildern in eurem Land verehrt wird, euch immer begleiten. Amen. Beim „Apostel der neuen Völker“ Predigt beim Wortgottesdienst zur Aussendung der Missionare in Javier am 6. November Ehrwürdige Brüder im Bischofsamt, hebe Brüder und Schwestern! 1. An diesem Ort, wo alles zu uns vom hl. Franz Xaver spricht, dem großen Heiligen Navarras und ganz Spaniens, begrüße ich vor allem den Bischof der Diözese, die Bischöfe, die aus anderen Gegenden Spaniens hierhergekommen sind, die Priester, die Missionare und Missionarinnen mit ihren Verwandten und die Kommunität und apostolische Schule der Gesellschaft Jesu, die sich mit solchem Eifer dieses Stammhauses und Heiligtums annimmt. Bei dieser vom Volk und von den Missionaren bestimmten Begegnung mit euch, Söhne und Töchter Navarras und Spaniens, will ich dem Erbe der edlen menschlichen Werte und der zuverlässigen christlichen Tugenden der Menschen dieses Landes huldigen. Und ich will der Kirche Spaniens den tiefen Dank des Hl. Stuhls für ihr großes Evangelisierungswerk aussprechen; ein Werk, zu dem die Söhne und Töchter Navarras einen so hervorragenden Beitrag geleistet haben. Die spanische Kirche, Pionierin der Glaubensverkündigung in so vielen Regionen - nicht nur in den von Xaver erschlossenen, sondern vor allem in Lateinamerika, auf den Philippinen und in Äquatorialguinea -, leistet auch heute noch mit ihren gegenwärtig 23 000 in allen Gegenden der Welt 766 Reisen wirkenden Missionaren und Missionarinnen einen hervorragenden Beitrag zu dieser Evangelisierung. Die spanische Kirche hat sich den Dank des Apostoüschen Stuhles auch deshalb verdient, weil sie zu denen gehört, die durch personelle und materielle Hilfe die Strategie der Zusammenarbeit mit der Weltmission am meisten unterstützt und durch ihr Bemühen die Mission belebt und beseelt; eine Initiative von hoher Bedeutung und großer Tragweite bei diesem Bemühen stellt das hier bestehende „Missionszentrum Javier“ dar. Hauptbaumeister dieses Zusammenwirkens und dieser Beseelung sind die Päpstlichen Missionswerke gewesen, der lebendige Ausdruck des missionarischen Bewußtseins der Kirche in Zusammenarbeit der Ordensund Missionsinstitute. Die Bischofskonferenz ihrerseits hat vor drei Jahren mit dem Dokument „Missionarische Verantwortung der spanischen Kirche“ der missionarischen Belebung der Seelsorge einen neuen Impuls gegeben. 2. Ich weiß, daß die Kampagne des jüngsten Weltmissionstages unter dem Leitwort stand: „Der Papst, der erste Missionar.“ Ja, in der ihrem Wesen nach missionarischen Kirche fühlt sich der Papst als erster Missionar und verantwortlich für die Missionstätigkeit, wie ich in meiner Botschaft von Manaus in Brasilien bekundet habe. Eben weil ich diese einzigartige persönliche und kirchliche Verantwortung spüre, wollte ich nach Javier kommen, der Wiege und dem Heiligtum des „Apostels der neuen Völker“ und des „himmlischen Patrons aller Missionare und Missionarinnen und aller Missionen“ (vgl. AAS, 1928, 147 f.; ASS, 1903-1904, 580 ff.) und auch Patron des Werkes der Glaubensverbreitung. Ich komme, um seinen missionarischen Geist aufzunehmen und seinen Beistand für die Missionspläne meines Pontifikats zu erbitten. Xaver hat zudem eine besondere Beziehung zum obersten Hirten und Verantwortlichen der Kirche; wenn also jeder Missionar, da er von der Kirche ausgesandt wird, gewissermaßen Gesandter des Papstes ist, so trifft das auf Xaver als Nuntius bzw. päpstlichen Delegaten im Fernen Osten mit besonderem Recht zu. Sinn für lokale Anpassung und Inkulturation 3. Der Wortgottesdienst, den wir feiern, um den neuen Missionaren und Missionarinnen in Anwesenheit ihrer Eltern und Angehörigen das Kreuz zu überreichen, erneuert die Begegnung Jesu mit seinen Aposteln -Petrus und Andreas, Jakobus und Johannes - und ihre Berufung am See 767 Reisen von Galiläa. Sie waren Fischer, und Jesus sagte zu ihnen: „Kommt, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen“ (Mt 4, 19). Christus hat ihnen damals nicht das Missionskreuz ausgehändigt, wie wir es jetzt mit diesen neuen Missionaren tun werden. Sie hörten nur auf den Ruf: „Folgt mir nach!“ Am Ende ihres irdischen Pilgerweges mit Jesus würden sie freilich ihr Kreuz als Zeichen des Heils empfangen. Als Zeugnis des Weges, der Wahrheit und des Lebens; als Zeugnis, das sie mit ihrer Verkündigung, mit ihrem Leben des Dienstes und mit ihrem eigenen Opfertod bestätigen sollten. Die Apostel mußten Zeugnis davon geben - und sie taten das auch -, daß „Jesus der Herr ist“, wie der hl. Paulus im Römerbrief in Erinnerung bringt (Röm 10, 19); und zu diesem Glauben sollten sie alle Menschen hinführen, weil Jesus der Herr aller ist. Wie läßt sich dieses Heilswerk verwirklichen? Darauf antwortet der Apostel: „Wer mit dem Herzen glaubt und mit dem Mund bekennt, wird Gerechtigkeit und Heil erlangen“ (Röm 10, 10). So wie die als erste berufenen Apostel, so sollt auch ihr, liebe Missionare, die ihr heute, den Spuren des großen Franz Xaver folgend, das Missionskreuz empfangt, zusammen mit diesem Kreuz aus ganzem Herzen den Dienst des Glaubens und der Erlösung auf euch nehmen. In bezug auf das Heüswerk stellt der hl. Paulus einige Fragen von großer Aktualität: „Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündigt? . . . Der Glaube - so fügt er weiter unten hinzu - gründet in der Botschaft, die Botschaft im Wort Christi“ (Röm 10, 14.17). Mit welcher Verfügbarkeit und mit welchem Einsatz hast du, hl. Franz Xaver, Sohn dieser Erde, auf diese Worte geantwortet! Und wie viele Nachahmer hast du im Laufe der Jahrhunderte unter deinen Landsleuten und unter den anderen Söhnen und Töchtern der Kirche bei anderen Völkern gefunden! Wahrhaftig, „auf der ganzen Erde war ihre Stimme zu hören, und bis an die Enden der Welt ihr Wort“ (Röm 10, 18). 4. Liebe Missionare und Missionarinnen, die ihr im Begriffe seid, im apostolischen Geist Xavers das Kreuz entgegenzunehmen: Macht euch zu seinen Nachahmern, wie er Christus nachgeahmt hat! Franz Xaver ist der Prototyp der Missionare, getreu der universalen Sendung der Kirche. Seine Motivierung ist die evangelische Liebe zu Gott und den Menschen, wobei er dem besondere Beachtung schenkt, was im Menschen vorrangigen Wert hat: seiner Seele, wo die ewige Bestimmung 768 Reisen des Menschen auf dem Spiel steht: „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt?“ (Mk 8, 36). Dieses Prinzip des Evangeliums ist Ansporn für sein Innenleben.Der Eifer für die Seelen wird in ihm zur leidenschaftlichen Ungeduld. Gleichsam wie ein zweiter Paulus fühlt er den unbezähmbaren Drang eines Bewußtseins der vollen Verantwortlichkeit für den Missionsauftrag und die Liebe Christi (vgl. 2 Kor 5, 14), bereit, sein irdisches Leben für das geistliche Heil seiner Brüder hinzugeben (vgl. Cartas y escritos de San Francisco Javier, F. Zubillaga, doc. 54, 4): „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten“ (Mt 8, 35). Das ist die unbezähmbare Triebfeder, die die erstaunliche missionarische Dynamik des Franz Xaver beseelt. Er ist sich mit aller Klarheit dessen bewußt, daß der Glaube ein Geschenk Gottes ist, und gründet sein Vertrauen auf das Gebet, das er eifrig und begleitet von Opfern und Bußübungen vollzieht; und auch die Adressaten seiner Briefe bittet er um Gebetshilfe. Seiner Identität verleiht er Gestalt in der vollen Annahme des Willens Gottes und in der Gemeinschaft mit der Kirche und ihren Repräsentanten, die nach einer vortrefflichen Unterscheidung im Gehorsam und in der Treue des Boten ihren Ausdruck findet; und er handelt immer aus universaler Sicht und in einer Gesamtperspektive, im Einklang mit der Sendung der Kirche, dem universalen Heilssakrament. Er stellt der Verkündigung und der Katechese, die er als grundlegende Arbeit ausübt, ein heiligmäßiges Leben voran, das von Demut und dem totalen Vertrauen in Jesus Christus und in die heilige Mutter Kirche gekennzeichnet ist. Seine Liebe und die Methoden der Glaubensverkündigung, und das heißt konkret sein Sinn für lokale Anpassung und Inkulturation, wurden von der Kongregation der „Propaganda Fide“ vorgeschlagen, die in der Instruktion für die ersten Apostolischen Vikare in Siam, Tongking und Kotschinchina das Leben und vor allem die Briefe Franz Xavers als sichere Orientierung für die Missionsarbeit empfahl (vgl. Instructio, 1659, in: S.C. de Propaganda Fide memoria rerum, 1976, III/2, 704). 5. Eure tröstliche Präsenz, Eltern und Familien der Missionare und Missionarinnen, vertritt hier die kathoüsche Familie, die in Konsequenz ihres Glaubens missionarisch sein muß. Wenn ich euch den innigen Dank der Kirche ausspreche, möchte ich damit auch die Familien sämtlicher Missionare und Missionarinnen erreichen, die im Weinberg des Herrn arbeiten. 769 Reisen Die christliche Familie, die bereits als Missionarin handelt, wenn sie ihre Kinder der Kirche zur Taufe darbietet, muß den Dienst der Evangelisierung und Katechese fortsetzen, indem sie ihre Kinder vom zartesten Alter an in missionarischem Bewußtsein und im Geist kirchlicher Zusammenarbeit erzieht. Die Pflege der missionarischen Berufung in den Söhnen und Töchtern von seiten der Eltern wird die beste Mitarbeit an der göttlichen Berufung sein. Und wie oft führt dieses wachsende missionarische Bewußtsein der christlichen Familie sie dazu, durch zeitliche Dienste je nach ihren Möglichkeiten direkt missionarisch tätig zu werden. Christüche Familien! Vergleicht euch mit dem Vorbild der Heiligen Familie, die behutsam und sorgfältig die stufenweise sich offenbarende Äußerung der Heils-, wir können sagen, der missionarischen Sendung Jesu förderte. Und nehmt euch auch ein Beispiel an der. erhebenden Handlungsweise der Eltern Xavers, besonders seiner Mutter, die es fertigbrachte, ihre Familie zu einer vorbildlichen Hauskirche zu machen. Die Gewohnheiten jener Familie spiegeln eine tiefgehende Beachtung des Glaubenslebens wider, verbunden mit einer betonten Verehrung für die Heiligste Dreifaltigkeit, für das Leiden und Sterben Christi und die Gottesmutter. Dem Beispiel der Familie Xavers folgend, sind die Familien dieser Kirche des hl. Fermin bis vor kurzem ein fruchtbares Reservoir für Priester-, Ordens- und Missionsberufe gewesen. Geliebte Familien von Navarra! Ihr müßt ein so erhabenes Erbe der Tugend und des Dienstes an der Kirche und an der Menschheit zurückgewinnen und eifersüchtig hüten! 6. Der Papst muß sich zum ständigen Wortführer des Missionsauftrags Christi machen. Ich halte es jedoch für meine Pfücht, ganz besonders heute daran zu erinnern, wenn ich neben der tröstlichen Entwicklung der Kirche bei so vielen Völkern jüngster katholischer Tradition — die ihrerseits bereits missionarisch tätig sind - einen Kreis von Dreiviertel der Menschheit - größtenteils junger Menschen - feststellen muß, die nichts von Jesus, noch von seinem Programm des Lebens und der Erlösung des Menschen wissen; und den beunruhigenden Anblick so vieler, die die christliche Botschaft aufgegeben oder sich als unempfänglich für sie erwiesen haben. Dieser Anblick und die wachsende Zunahme der Nichtchristen sind ein zunehmender Klageruf an die Kirche unmittelbar am Ende des zweiten Jahrtausends ihres Bestehens. Die Reflexion des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Situation des Menschen in der heutigen Welt erweckte in der Kirche das Bewußtsein ihrer missionarischen Verpflichtung zu neuem Leben; eine Verpflichtung, 770 Reisen die alle ihre Mitglieder und ihre Gemeinden im Hinblick auf alle Menschen und Völker betrifft. Angesichts des zwanzigsten Jahrestages der Konzilseröffnung mußte sich die gesamte Kirche - der Papst, die Bischöfe, die Priester, die Ordensmänner, die Ordensfrauen und die Laien, das ganze Volk Gottes - nach ihrer Antwort auf den nachdrücklichen missionarischen Ruf des Heiligen Geistes durch jenes Konzil fragen. Anderseits haben die Boten des Evangeliums niemals mehr und bessere Möglichkeiten und Mittel zur Evangelisierung der Menschheit - wenn auch inmitten nicht geringer Schwierigkeiten - besessen. 7. Der anklagende Ruf Jesu im Evangelium, „die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter“ (Mt 9, 37), beunruhigt heute auch die Kirche. Der merkliche Rückgang an Berufen in diesen letzten Jahrzehnten in vielen Teilkirchen mit reicher missionarischer Tradition, auch in dieser Erzdiözese und in anderen Diözesen und Ordens- und Missionsinstituten Spaniens und anderer Länder, muß alle Bischöfe und Seelsorger sowie auch die christlichen Familien dazu bewegen, die Jugend für die Bereitschaft zur Mitarbeit an der Verkündigung des Evangeliums zu sensibilisie-ren, indem sie den Jugendlichen helfen, den Anruf Jesu zu erkennen und ihn als Gnade besonderer Erwählung anzunehmen. Denn ihr, Hebe Jugend, seid die Hoffnung der Kirche. Wollt ihr euren Glauben konsequent leben und verwirklichen? Wenn qin Katholik sich seines Glaubens bewußt wird, wird er zum Missionar. Da ihr in den mystischen Leib Christi einbezogen seid, könnt ihr euch dem Heil der Menschen gegenüber nicht gleichgültig fühlen. An Christus glauben heißt, an sein Programm des Lebens für uns glauben. Christus lieben heißt, jene heben, die er liebt, und sie so lieben, wie er sie hebt. Christus allein hat Worte des ewigen Lebens. Und es gibt keinen anderen Namen, in dem die Menschen und Völker gerettet werden können. Sucht ihr die Motivierung für das Werk größerer menschhcher Solidarität gegenüber euren Brüdern? Es gibt keinen Dienst am Menschen, der sich mit dem missionarischen Dienst gleichsetzen heße. Missionar sein heißt, dem Menschen helfen, in Freiheit Baumeister seiner vollen Entwicklung und seines Heils zu sein. Wollt ihr ein Lebensprogramm, das eurem Leben vollen Sinn verleiht und eure edelsten Bestrebungen erfüllt? Hier hat Xaver, jung wie viele von euch, sich den Werten und Wundern des irdischen Lebens geöffnet, bis er das Geheimnis des höchsten Wertes des christhchen Lebens entdeckte; 771 Reisen und er wurde zum Boten der Liebe und des Lebens Christi unter seinen Brüdern, den großen Völkern Asiens. Jugend von Navarra! Eure alljährliche Wallfahrt zum Heiligtum von Javier, die „javierada“, und das ebenfalls jährliche Treffen der neuen Missionare Spaniens zur Entgegennahme des Kreuzes sind zum „Camino de Javier“, zum „Pilgerzug nach Javier“, geworden; wo eure Begegnung mit dem heiligen Weltmissionar erfüllt wird von der Versöhnung der österlichen Erneuerung und der Verpflichtung zum Leben und zu einer auch missionarischen - Zusammenarbeit mit Jesus Christus. Jugendliche Studenten und Arbeiter, Söhne und Töchter der ganzen katholischen Familie! Die gewaltigen Horizonte der nichtchristlichen Welt stellen eine Herausforderung an den Glauben und den Humanismus eurer Generation dar. Der Geist Gottes ruft heute alle zu einer hochherzigen und koordinierten missionarischen Anstrengung im Zeichen der Kirche auf, um alle Völker zu einer einzigen Famiüe, der Kirche, zu machen. Franz Xaver schrieb auch für euch den nachdrücklichen Appell seiner Briefe an die Universitäten seiner Zeit, wo er die Professoren und Studenten um missionarisches Bewußtsein und Zusammenarbeit bat: „Oft bewegt mich der Gedanke, ich sollte in. die Universitäten dieser Gegend gehen und schreien wie einer, der den Verstand verloren hat; vor allem zur Universität von Paris, der sogenannten Sorbonne...: Wie viele Seelen versäumen es, zur Herrlichkeit zu gelangen, und gehen wegen ihrer Nachlässigkeit in die Hölle ein!“ {Cartas y escritos, ebd., doc. 20, 8). Junge Menschen! Christus braucht euch und ruft euch, damit ihr Milhonen eurer Brüder helft, voll Mensch zu sein und sich zu retten. Lebt mit diesen edlen Idealen in eurer Seele und gebt nicht der Versuchung der Ideologien des Hedonismus, des Hasses und der Gewalt nach, die den Menschen entwürdigen. Öffnet euer Herz Christus, seinem Gesetz der Liebe; ohne Bedingungen für eure Bereitschaft zu stellen, ohne Furcht vor entschiedenen Antworten, denn die Liebe und die Freundschaft vergehen nicht. Für das große Volk Chinas 8. Wenn ihr auf den Anruf des Geistes durch die Kirche antwortet, vergeßt das nicht, was in der Reihe der Werte und Mittel den ersten Platz einnimmt: das Gebet und die Darbietung eurer Opfer. Der Glaube und die Erlösung sind ein Geschenk Gottes, um das wir bitten müssen. Hand in Hand mit dem Gebet geht die Anstrengung und das Opfer, um täglich die Wunder der christlichen Liebe zu leben. 772 Reisen Im hl. Franz Xaver und in der hl. Theresia von Lisieux haben wir zwei große Fürsprecher. Wenn die hl. Theresia, wie sie selbst ihren Schwestern anvertraut hat, durch den hl. Franz Xaver die Gnade empfangen hat, daß sich ein Rosenregen vom Himmel auf die Erde ergoß, und der Kirche in ihrem missionarischen Wirken soviel geholfen hat, warum sollten wir uns dann nicht ebensoviel von dem heiligen Missionar erhoffen? Franz Xaver hat seine letzten Gebete auf Erden und das Opfer seines Lebens auf chinesischem Boden, in Sanciän, zweifellos für das große Volk Chinas dargebracht, das er so liebte und das zu evangelisieren er sich mit kühner Hoffnung anschickte. Vereinen wir unsere Gebete mit seiner Fürsprache für die Kirche in China, die ein Objekt besonderer Solidarität und Hoffnung der ganzen katholischen Familie ist. Der machtvollen Fürsprache der beiden Schutzpatrone für die Missionen empfehlen wir heute: den Plan zu einem kraftvollen Evangelisierungsim-puls der ganzen Kirche, das fruchtbare Aufkeimen von Missionsberufen und die edle Bereitschaft aller Völker, den höchsten Wert und die höchste Hoffnung, die Christus und seine Kirche für alle Menschen darstellen, zu erproben. 9. Für die Missionare, die Xaver nacheifem und zur Abfahrt bereit sind, und für alle, die den Ruf Christi, in seiner Mission zu arbeiten, vernehmen, wiederhole ich die Worte des hl. Paulus, die diesen Gottesdienst inspiriert haben: „Wie sind die Freudenboten willkommen, die Gutes verkündigen!“ (Röm 10, 15). Mit diesen Worten sende ich euch in die Missionsarbeit. Das Bemühen, die Frohbotschaft zu verkündigen, ist die tägliche Aufgabe der Kirche, die sich als treue Braut unablässig für ihren Bräutigam schön macht. Übernehmt also einen Teil dieser Mühe, durch die die Kirche verschönt wird. Geht! Verbreitet die Frohbotschaft bis an die Grenzen der Erde! Geht und verkündet: „Jesus ist der Herr!“ „Gott hat ihn von den Toten auferweckt.“ In ihm ist das Heil! Die Mutter Jesu und der Kirche begleite immer eure Schritte. Und euch begleite auch mein von Herzen kommender Segen. 773 Reisen Die Gnade zieht Gnade an Predigt beim Wortgottesdienst und marianischen Weiheakt in Saragossa am 6. November Liebe Brüder im Bischofsamt! Liebe Brüder und Schwestern! 1. Auf meiner Pilgerreise zu den Marienheiligtümern Spaniens komme ich heute nach Saragossa. Auf seiner apostolischen Reise durch die spanischen Provinzen kommt der Papst heute als Pilger an das Ufer des Ebro, in die Marienstadt Spaniens, ins Heiligtum Unserer Lieben Frau von Pilar. So sehe ich, wie sich ein Wunsch erfüllt, den ich gern schon früher verwirklicht hätte, nämlich als frommer Sohn Mariens vor der heiligen Säule niederzuknien, um dieser gütigen Mutter meine Huldigung kindlicher Verehrung darzubringen. Ich tue es nun gleichsam mit dem Oberhirten dieser Diözese, den anderen Bischöfen und mit euch, hebe Brüder und Schwestern aus Aragon, Rioja, Soria und ganz Spanien, bei diesem nationalen marianischen Weiheakt. Ich komme als Pilger zu diesem Heiligtum, so wie bei meinen vorhergehenden apostolischen Reisen, die mich nach Guadalupe, Jasna Göra, Knock, zu Unserer Lieben Frau von Afrika, nach Notre-Dame, Altötting, La Aparecida, Fatima, Lujän und zu anderen heiligen Stätten geführt haben, Orten der Begegnung mit Gott und der Liebe zur Mutter des Herrn und unserer Mutter. Wir befinden uns auf spanischer Erde, die mit Recht Land Mariens genannt wird. Ich weiß, daß in vielen Orten dieses Landes die Marienverehrung der Gläubigen in zahlreichen und hochverehrten Heiligtümern konkreten Ausdruck findet. Wir können nicht alle nennen. Doch wie sollten wir nicht im Geist in ehrfürchtiger Liebe niederknien vor der Muttergottes von Covadonga, Begona, Aränzazu, Ujue, Montserrat, Val-vanera, Almudena, Guadalupe, der Schutzlosen, von Lluch, von Rocio, von Pino? Für diese Heiügtümer und für alle anderen, nicht weniger verehrungswürdigen, wo ihr euch häufig in der Liebe zur einen Mutter Jesu und unserer Mutter einfindet, ist heute der Pilar ein Symbol. Ein Symbol, das uns um diejenige versammelt, die ihr alle in jeder Ecke Spaniens mit demselben Namen anruft: unsere Mutter und Herrin. 774 Reisen 2. Auf den Spuren so vieler Millionen von Gläubigen, die mir vorangegangen sind, komme ich als erster Papst zum Pilar gepilgert, gleichsam Zeichen der pilgernden Kirche der ganzen Welt, um mich unter den Schutz unserer Mutter zu stellen, um euch in eurer tief eingewurzelten Liebe zu Maria zu ermutigen, um Gott zu danken für die einzigartige Gegenwart Mariens im Geheimnis Christi und der Kirche auf spanischem Boden und um die Gegenwart und Zukunft eurer Nation und der Kirche in Spanien in ihre Hände und ihr ans Herz zu legen. Der Pilar und seine Überlieferung erinnern euch an die ersten Zeiten der Evangelisierung Spaniens. Jene Kirche Unserer Lieben Frau, die bei der Wiedereroberung Saragossas vom Bischof der Stadt als hochgeehrt bezeichnet wurde, weil sie seit alters her als würdevolles Heiligtum galt und schon Jahrhunderte vorher Beweis der Verehrung empfing, hat in der heutigen Marienbasilika ihre Fortsetzung. Durch sie ziehen weiterhin große Scharen von Söhnen und Töchtern der seligsten Jungfrau, die kommen, um vor ihrem Bild zu beten und um die geweihte Säule, den Pilar, zu verehren. Dieses Erbe marianischen Glaubens so vieler Generationen darf nicht zu einer bloßen Erinnerung an etwas Vergangenes, sondern muß zu einem Ausgangspunkt auf Gott hin werden. Die dargebrachten Gebete und Opfer, der lebendige Pulsschlag eines Volkes, das vor Maria seine weltlichen Freuden, Betrübnisse und Hoffnungen ausspricht, sind neue Bausteine für die heilige Dimension des Marienglaubens. Denn in dieser religiösen Kontinuität bringt die Tugend neue Tugend hervor. Die Gnade zieht Gnade an. Und die jahrhundertealte Anwesenheit Mariens verwurzelt sich im Laufe der Jahrhunderte immer tiefer und inspiriert und ermutigt die nachfolgenden Generationen. So festigt sich der schwierige Aufstieg eines Volkes nach oben. 3. Ein charakteristischer Aspekt der Evangelisierung in Spanien ist ihre tiefreichende Verbindung mit der Gestalt Mariens. Durch ihre Vermittlung, durch verschiedenste Formen der Frömmigkeit erlangten viele Christen das Licht des Glaubens an Christus, den Sohn Gottes und Mariens. Und wie viele Christen leben auch heute ihre kirchliche Glaubensgemeinschaft unterstützt von der Marienverehrung; so ist Maria zur Säule des Glaubens und zur sicheren Führerin auf dem Weg des Heüs geworden! Wenn ich an diese Gegenwart Mariens erinnere, kann ich nicht umhin, das bedeutende Werk des hl. Ildefons von Toledo, „Über die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens“, zu erwähnen, in dem er den Glauben der Kirche über dieses Geheimnis darlegt. Er formuliert präzis: „Jungfrau vor 775 Reisen dem Kommen des Sohnes, Jungfrau nach der Zeugung des Sohnes, Jungfrau bei der Geburt des Sohnes, Jungfrau, nachdem der Sohn geboren ist“ (c. 1: PL 96, 60). Die Tatsache, daß die erste große bestätigende Aussage über die Gottesmutter in Spanisch in einer Verteidigung der Jungfräulichkeit Mariens bestand, ist entscheidend gewesen für das Bild, das die Spanier von ihr haben, die sie „la Virgen“, die Jungfrau schlechthin, nennen. Um den Glauben der spanischen Katholiken unserer Tage zu erleuchten, erinnerten die Bischöfe dieses Landes und die Bischöfliche Kommission für die Glaubenslehre an den tatsächlichen Sinn dieser Glaubenswahrheit (vgl. Note vom 1. April 1978). Als Jungfrau, „ohne einen Mann zu erkennen, vom Heiligen Geist überschattet (Lumen gentium, Nr. 63), hat Maria dem ewigen Sohn des Vaters die Menschennatur geschenkt. Auf jungfräuliche Weise wurde aus Maria ein heiliger, mit Geist und Seele ausgestatteter Leib geboren, mit dem das Wort sich auf hypostatische Weise verbunden hat. Das ist der Glaube, den das ausführliche Credo des hl. Epiphanios mit dem Begriff „immer Jungfrau“ (DS, Enchiridion Symbolorum, Nr. 44) ausdrückte und den Papst Paul VI. in die dreiteilige Formel faßte: Jungfrau „vor der Geburt, in der Geburt und immerwährend nach der Geburt“ (DS 1880). Es ist derselbe, den Paul VI. lehrte: „Wir glauben, daß Maria, die Immerwährende Jungfrau, Mutter des fleischgewordenen Wortes ist“ (Credo des Gottesvolkes, 30. Juni 1968). An diesem Glauben müßt ihr immer in seinem ganzem Umfang festhalten. Die Liebe zu Maria ist in eurer Geschichte Triebkraft der Katholizität gewesen. Sie spornte die Völker Spaniens zu einer unerschütterlichen Verehrung und zur unerschrockenen Verteidigung der Größe und Würde Mariens, vor allem in ihrer unbefleckten Empfängnis, an. Darauf haben das Volk, die Zünfte und Verbände, die Berufsvereinigungen und akademischen Institutionen dieser Stadt ebenso hartnäckig bestanden wie die von Barcelona, Alcalä, Salamanca, Granada, Baeza, Toledo, Santiago und anderer. Und das ist es, was darüber hinaus den Anstoß dazu gab, die Marienverehrung in die von Spanien entdeckte Neue Welt zu verpflanzen, die weiß, daß sie sie von dort empfangen hat, und die so lebendig an ihr festhält. 4. Papst Paul VI. schrieb, daß „in der Jungfrau Maria alles auf Christus bezogen ist und alles von ihm abhängt“ (Marialis cultus, Nr. 25). Das findet eine besondere Anwendung in der Marienverehrung. Alle Motive, die wir in Maria finden, um ihr Verehrung zu zollen, sind Geschenk 776 Reisen Christi, von Gott in ihr hinterlegte Privilegien, damit sie die Mutter des Wortes sei. Und alle Verehrung, die wir ihr darbringen, gereicht Christus zur Ehre, und zugleich führt uns die Verehrung Mariens selbst zu Christus hin. Der hl. Ildefons von Toledo, der älteste Zeuge dieser Form der Verehrung, die man als „Knechtschaft gegenüber Maria“ bezeichnet, rechtfertigt unsere Haltung von Knechten Mariens auf Grund der einzigartigen Beziehung, die sie zu Christus hat: „Deshalb bin ich dein Knecht, weil mein Herr dein Sohn ist. Deshalb bist du meine Herrin, weil du die Magd des Herrn bist. Deshalb bin ich der Knecht der Magd meines Herrn, weil du die Mutter meines Schöpfers geworden bist“ {De virginitate perpetua Sanctae Mariae, 12: PL 96, 106). Wie daraus hervorgeht, bewirken diese realen, zwischen Christus und Maria bestehenden Beziehungen, daß die Marienverehrung Christus zum Ziel hat. Das hat der hl. Ildefons mit aller Klarheit gesehen: „Demnach bezieht sich also auf den Herrn, wer der Magd dient; so erreicht den Sohn, wer sich der Mutter- hingibt; so geht die Ehre und Huldigung, die im Dienst der Königin bezeigt wird, auf den König über“ {ebd. 12: PL 96, 108). Man begreift nun den zweifachen Adressaten des Wunsches, den derselbe Heilige formuliert, wenn er mit der seligen Jungfrau spricht: „Gewähre mir, mich Gott und dir zu weihen, Knecht deines Sohnes und dein Knecht zu sein, deinem Herrn und dir zu dienen“ {ebd, 12: PL 96, 105). Es fehlt nicht an Forschern, die meinen, behaupten zu können, daß das populärste Mariengebet - nach dem Ave Maria - in Spanien entstanden ist und daß sein Verfasser der Bischof von Compostela, der hl. Pedro de Menzonzo, am Ausgang des 10. Jahrhunderts gewesen ist; ich beziehe mich auf das Salve Regina. Dieses Gebet erreicht seinen Höhepunkt in der Bitte: „Zeige uns Jesus.“ Das ist es, was Maria unentwegt tut, wie es in Haltung und Ausdruck so vieler Bilder der Jungfrau dargestellt ist, die sich über die Städte und Völker Spaniens verstreut finden. Sie, ihren Sohn im Arm, wie hier am Pilar, zeigt ihn uns unaufhörlich als „den Weg, die Wahrheit und das Leben“ {Joh 14, 6). Manchmal, den toten Sohn auf ihren Knien, erinnert sie uns an den unendlichen Wert des Blutes des Lammes, das für unsere Erlösung vergossen worden ist (vgl. 1 Petr 1,18 f.; Eph 1,7). Bei anderen Gelegenheiten bringt ihr, den Menschen zugewandtes Bild uns ihren Sohn näher und läßt uns die Nähe dessen fühlen, der die radikale Offenbarung des Erbarmens ist (vgl. Dives in misericordia, Nr. 8), wodurch sie sich selbst als Mutter des Erbarmens zu erkennen gibt {ebd., Nr. 9). 777 Reisen Die Bilder Mariens enthalten somit eine evangelische Lehre von vorrangiger Bedeutung. In der Szene von der Hochzeit in Kana sagt Maria zu den Dienern: „Was er euch sagt, das tut!“ {Joh 2, 5). Es könnte scheinen, daß dieser Satz auf eine vorübergehende Situation beschränkt ist. Doch geht, wie Paul VI. unterstreicht (vgl. Marialis cultus, Nr. 57), seine Tragweite und Bedeutung viel weiter: es ist eine ständige Aufforderung, uns der Lehre Jesu zu öffnen. Damit ist eine volle Übereinstimmung mit dem Wort des Vaters auf dem Berg Tabor gegeben: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“ {Mt 17,5). Das erweitert unseren Horizont um manche unergründliche Perspektiven. Der Plan Gottes in Christus war es, uns nach dem Bild seines Sohnes zu gestalten, damit er „Erstgeborene von vielen Brüdern“ sei {Rom 8, 29). Christus ist in die Welt gekommen, „damit wir die Sohnschaft erlangen“ {Gal4, 5), um uns „die Macht, Kinder Gottes zu werden“ {Joh 1, 12), zu gewähren. Durch die Gnade sind wir Kinder Gottes und können, gestützt auf das Zeugnis des Geistes, rufen: Abba Vater! (vgl. Rom 8,15 f.; Gal4, 6 f.). Jesus hat durch seinen Tod und seine Auferstehung bewirkt, daß sein Vater unser Vater ist (vgl. Joh 20, 17). Und damit unsere Verbindung mit ihm vollkommen sei, wollte er außerdem, daß seine heüige Mutter unsere geistige Mutter sein solle. Damit diese Mutterschaft nicht auf einen bloßen Rechtstitel reduziert würde, erfüllte und verwirklichte sie sich nach dem Willen Christi durch eine Mitwirkung Mariens am Heilswerk Jesu; das heißt in „der Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens der Seelen“ {Lumen gentium, Nr. 61). Der Glaube ohne Werke ist tot 5. Vater und Mutter begleiten ihre Kinder voll sorgender Liebe. In ständigem erzieherischem Bemühen strengen sie sich an. In diesem Licht erlangt der Gleichklang der Stimme des himmlischen Vaters mit der Mariens ihren vollen Sinn: Hört auf Jesus, tut, was er euch sagt. Das ist der Rat, dem jeder von uns nachzukommen versuchen muß und den ich vom Beginn meines Pontifikats an weitergeben wollte: „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!“ (Predigt vom 22. Okt. 1978: AAS 70, 1978, 947; dtsch.: Wort und Weisung 1978, III. Teil, S. 73). Maria ihrerseits ist das erhabenste Beispiel für diese Haltung. Bei der Verkündigung des Engels antwortete sie mit einem bedingungslosen Ja: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ {Lk 1, 778 Reisen 38). Sie öffnet sich dem ewigen und persönlichen Wort Gottes, das in ihrem Schoß menschliche Gestalt annehmen sollte. Eben diese Annahme wird sie fruchtbar machen: zur Mutter Gottes und zu unserer Mutter, denn das ist der Augenblick, in dem ihre Mitwirkung am Heilswerk beginnt. Diese Fruchtbarkeit Mariens ist Zeichen der Fruchtbarkeit der Kirche {Lumen gentium, Nr. 63 f.). Wenn wir uns dem Wort Christi öffnen, wenn wir ihn und sein Evangelium auf nehmen, wird jedes Mitglied der Kirche in seinem christlichen Leben ebenfalls fruchtbar sein. 6. Der Pilar von Saragossa ist immer als das Symbol für die Glaubensfestigkeit der Spanier angesehen worden. Vergessen wir nicht, daß der Glaube ohne Werke tot ist (vgl. Jak 2, 26). Trachten wir nach dem „Glauben, der in der Liebe wirksam ist“ {Gal5, 6). Möge der Glaube der Spanier nach dem Vorbild des Glaubens Mariens fruchtbar und tätig sein. Möge er zu liebevoller Sorge gegenüber allen, besonders gegenüber denen werden, die dieser Sorge am meisten bedürfen: die an den Rand gedrängten Menschen, die Behinderten, Kranken und jene, die an Leib und Seele leiden. Als Nachfolger Petri habe ich euch, geliebte Söhne und Töchter Spaniens, besuchen wollen, um euch in eurem Glauben zu ermutigen und eure Hoffnung zu stärken. Meine Hirtenpflicht ist es, euch zu mahnen, daß euer Leben mit eurem Glauben übereinstimme. Maria, die am Vorabend von Pfingsten sich im Gebet dafür verwendete, daß der Heilige Geist auf die entstehende Kirche herabkomme (vgl. Apg 1, 14), möge auch jetzt Fürbitte einlegen. Damit dieser selbe Geist eine tiefe christliche Erneuerung in Spanien hervorrufe. Damit dieses Land die großen Werke seines katholischen Erbes zu bewahren und sich mutig den Herausforderungen der Zukunft zu stellen vermag. 7. Ich danke Gott innig für die einzigartige Gegenwart Mariens in diesem spanischen Land, wo sie so viele Früchte hervorgebracht hat. Und ich will schließlich dir, seligste Jungfrau von Pilar, ganz Spanien, alle und jeden einzelnen seiner Söhne und Töchter, die ganze Bevölkerung, die Kirche in Spanien sowie auch die Söhne und Töchter aller spanischsprechenden Nationen empfehlen. Ave Maria, Mutter Christi und der Kirche! Ave, du, unser Leben, unsere Wonne und unsere Hoffnung! Deiner Sorge vertraue ich heute abend die Bedürfnisse aller Familien in Spanien an, die Freude und Lebhaftigkeit der Kinder, die Fusionen der 779 Reisen Jugend, die Besorgnisse der Erwachsenen, den Schmerz der Kranken und den ruhigen Lebensabend der Alten. Dir vertraue ich die Treue und Selbstlosigkeit der Diener deines Sohnes an, die Hoffnung derer, die sich auf diesen Dienst vorbereiten, die freudige Hingabe der Nonnen, das Gebet und die eifrige Sorge der Ordensmänner und Ordensfrauen, das Leben und den Einsatz aller, die für das Reich Christi auf Erden tätig sind. In deine Hände lege ich die Mühe und den Schweiß derer, die mit ihren Händen arbeiten; die edle Hingabe derer, die ihr Wissen und Können weitergeben und die Anstrengung derer, die lernen; die schöne Berufung derer, die durch ihr Wissen und ihren Dienst den Schmerz des anderen lindern; die Aufgabe derer, die mit ihrem Verstand nach der Wahrheit suchen. Dir lege ich die Bestrebungen derer ans Herz, die im Bereich der Wirtschaft arbeiten und sich auf ehrenhafte Weise um das Wohlergehen ihrer Brüder kümmern; derer, die im Dienst der Wahrheit informieren und die öffentliche Meinung in rechter Weise formen; aller, die in der Politik, beim Militär, in den Arbeiten der Gewerkschaften oder im Dienst der staatlichen Ordnung ihre ehrliche Mitarbeit zugunsten eines gerechten, friedlichen und gesicherten Zusammenlebens leisten. Heilige Jungfrau von Pilar! Vermehre unseren Glauben, stärke unsere Hoffnung, entzünde in uns die Liebe. Komme denen zu Hilfe, die Unglück ertragen, die unter Einsamkeit, Ungewißheit, Hunger oder Arbeitslosigkeit leiden. Stärke die Glaubensschwachen. Fördere in den jungen Menschen die Bereitschaft zur vollen Hingabe an Gott. Schütze ganz Spanien und seine Menschen, seine Männer und Frauen. Und, Maria, stehe in mütterlicher Weise allen bei, die dich als Patronin Spaniens anrufen. Amen. 780 Reisen Ewigkeitswert des Leidens Ansprache an die Kranken beim Wortgottesdienst in Saragossa am 6. November Liebe Kranke! 1. Im Rahmen meines Besuches beim Pilar von Saragossa, verbunden mit dem nationalen marianischen Weiheakt, findet diese Begegnung des Papstes mit den Kranken statt. Es ist für mich eine der wichtigsten Begegnungen meiner apostolischen Reise. Denn in euch begegne ich in besonderer Weise dem leidenden Christus, Christus, der umherging, um die Kranken zu heilen, der sich euch so gleichgesetzt hat, daß er das, was an euch getan wird, als an sich selbst getan betrachtet. Lest in einer stillen Stunde wieder einmal die eine oder andere Seite des Evangeliums, die auf euch Bezug nimmt (vgl. Mt 8-9; 15; 25, 32-40). Nur wenige von euch sind hier anwesend, ihr vertretet jedoch alle Kranken Spaniens. Ebenso diejenigen, die sich in einem öffentlichen oder privaten Krankenhaus befinden, wie jene, die zu Hause bettlägerig, an den Rollstuhl oder ans Bett gefesselt sind oder an der Last ihrer Krankheit tragen. Ich möchte in diesem Augenblick tausend Hände haben, um sie auszustrecken und jedem von euch die Hand zu schütteln, und ich würde euch gern fragen, wie es euch geht, wenigstens einen Augenblick eure Ängste und Leiden teilen und euch ein Wort der Ermutigung und eine brüderliche Umarmung hinterlassen. Ihr alle, die ihr mich über das Fernsehen seht oder im Radio hört, sollt spüren, daß ich euch in Gedanken nahe bin. 2. Ihr, die ihr unter dieser Prüfung lebt, die ihr dem Problem der Behinderung, des Schmerzes und der inneren Vereinsamung gegenübersteht, hört nicht auf, in dieser Situation einen Sinn zu sehen. Im Kreuz Christi, in der erlösenden Vereinigung mit ihm, in dem scheinbaren Scheitern des gerechten Menschen, der leidet und der durch sein Opfer die Menschheit rettet, in dem Ewigkeitswert dieses Leidens liegt die Antwort. Bückt auf ihn, auf die Kirche und auf die Welt und erhebt euren Schmerz, indem ihr durch ihn heute das Heüsgeheimnis seines Kreuzes vollendet. Eurem Leiden kommt ein großer übernatürücher Wert zu. Und zudem seid ihr für uns eine ständige Herausforderung, viele Werte und Formen 781 Reisen des Lebens in Frage zu stellen. Damit wir die Werte des Evangeliums vollkommener leben und die Solidarität, die Güte, die Hilfsbereitschaft und die Liebe entwickeln. Betrachtet deshalb euren Zustand nicht als unnütz; er besitzt für die Kirche und die Welt von heute eine große humanisierende, evangelisie-rende, sühnende und Gnaden vermittelnde Bedeutung. Vor allem dann, wenn ihr selbst eine offene, soweit wie möglich schöpferische und für das Wirken der Gnade im Geist positive Haltung einnehmt. 3. Doch kann ich mich nicht nur bei euch aufhalten. Wenn ich an eure Lage denke, denke ich unwillkürlich an eure Familien, an die Ärzte und Krankenpfleger, an die Ordensfrauen, Ordensmänner und Priester, die im Bereich des Gesundheitswesens tätig sind. An alle, die sich im Gesamtbereich der heutigen Gesellschaft der Sorge für die Kranken widmen. Es handelt sich um eine Aufgabe von außerordentlicher Bedeutung, die als echte Berufswahl mit großem ethischen Sinn in Solidarität und Achtung für den kranken Menschen gelebt werden muß, ohne dabei die transzendente und religiöse Dimension des Menschseins zu vergessen. Möge mein Wort der Ermutigung alle erreichen, die auf diesem Gebiet arbeiten, das soviel menschliches und geistliches Einfühlungsvermögen verlangt, um den Bedürfnissen und Erwartungen des Kranken zu entsprechen. Mein Lob und meine Anerkennung gelten den ungefähr 13 000 Ordensfrauen und 2000 Priestern und Ordensmännern, die ihren Dienst auf dem Gebiet der Krankenfürsorge leisten, vor allem in den am meisten vernachlässigten Bereichen der psychisch Kranken, der chronisch Kranken, der Schwerkranken, der Behinderten und der Alten. 4. Um der Krankenseelsorge größere Wirksamkeit zu verleihen, muß jede christliche Gemeinde und Gemeinschaft sich zur Mitarbeit an dieser Aufgabe aufgerufen fühlen. Hier haben die Mitglieder der kirchlichen bzw. Ordenseinrichtungen und -bewegungen ihren Platz; hier haben die Pfarreien ihren Platz, die aufgerufen sind, eigene Apostolatsgruppen und Freiwillige für den Dienst an den Kranken anzuregen. Auf diese Weise wird die christliche Gemeinschaft in unserer zunehmend säkularisierten Gesellschaft die christliche Liebe präsent machen. 5. Der seligsten Jungfrau von Pilar vertraue ich die Anliegen und Bedürfnisse eines jeden Kranken - ob Mann oder Frau, Kind oder Erwach- 782 Reisen sener - Spaniens an ebenso wie die derjenigen, die sich der Pflege und Fürsorge der Kranken widmen. Auf alle rufe ich die Freude, die Hoffnung auf die Seligkeiten, die Besserung ihres Gesundheitszustandes herab und segne alle von Herzen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wo der Himmel sich mit der Erde vereint Predigt beim Wortgottesdienst in Montserrat am Sonntag, 7. November Geliebte Brüder im Bischofsamt: Ich begrüße euch mit Liebe. Liebe Brüder und Schwestern: Gelobt sei Jesus Christus! 1. In der Liturgie hallen die aktuellen Worte des Propheten wider: „Viele Nationen machen sich auf den Weg; sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen. Denn von Zion kommt die Weisung des Herrn, aus Jerusalem sein Wort“ (Jes 2, 3) In Einklang mit der biblischen Einladung verbindet der Besuch von Montserrat die Werte der religiösen Wallfahrt enger mit dem Zauber des Marienortes auf dem Gipfel des Berges, da, wo der Himmel sich mit der Erde vereint. Der Aufstieg zum Heiligtum in der eindrucksvollen Gebirgslandschaft lädt zur Heraufbeschwörung der Geschichte vieler Jahrhunderte ein. Es ist beeindruckend, sich an einem heiligen Ort zu wissen, wo seit Jahrhunderten unzählige Scharen von Pilgern, unter ihnen durch Geburt oder Wissen hochstehende Persönlichkeiten, die gleichen Pfade emporgezogen sind. Vor allem ist es eine Freude zu wissen, daß wir auf den Spuren von Johannes von Matha, Petrus Nolaskus, Raimund Penafort, Vinzenz Ferrer, Aloisius von Gonzaga, Franz von Borgia, Josef von Calasanz, Antonius Maria Claret und vieler anderer hervorragender Heiliger pilgern, ohne jenen Soldaten zu vergessen, der unterhalb des Berges zu Füßen der „Schwarzen Madonna“ seine Waffen ablegte, um dann die Gesellschaft Jesu anzuführen. 783 Reisen 2. Hier bricht spontan der Jubel des Pilgers auf dem Weg zum Ziel aus. Der Psalmist spricht von der Vorfreude der Wallfahrt: „Ich freute mich, als man mir sagte: ,Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern “ (Ps 122,1). Nach Augustinus ist es eine große, ansteckende und ungeduldige Freude: „Laßt uns eilen, laßt uns eilen, weil wir zum Haus des Herrn gehen wollen. Laßt uns eilen und nicht ermatten, damit wir da anlangen, wo wir nicht ermüden werden ... Wir wollen zum Haus des Herrn pilgern. Ich freue mich mit den Propheten, ich freue mich mit den Aposteln. Sie alle sagten uns: ,Wir wollen zum Haus des Herrn pilgern“ “ (Enarr. in Ps 121, 2). Gleich danach beschreibt der Psalmist das unvergleichliche Erlebnis der am ersehnten Ziel angekommenen Pilger: „Schon stehen wir in deinen Toren, Jerusalem: Jerusalem du starke Stadt, dicht gebaut und fest gefügt. Dorthin ziehen die Stämme hinauf, die Stämme des Herrn, wie es Israel geboten ist, den Namen des Herrn zu preisen“ (Ps 122, 2-4). Zuerst bewundert man hier die Festigkeit eines gut fundierten Bauwerkes. Montserrat gehört zu den Heiligtümern, die ich im vergangenen Jahr als „Zeichen Gottes, seines Einbruchs in die menschliche Geschichte“ hervorgehoben habe, da sie „ein Denkmal des Mysteriums der Menschwerdung und Auferstehung sind“, in wunderbarer Übereinstimmung mit der „traditionellen und stets hochaktuellen Bestimmung aller Heiligtümer, ständige Verkünder der Frohbotschaft unserer Erlösung zu sein“ (Ansprache an die Rektoren der Heiligtümer vom 22. Januar 1981). Die Tugend des Pilgers ist die Hoffnung 3. Es gereicht den hochverehrten Söhnen des hl. Benedikt zum Ruhm, den Traum des hl. Augustinus verwirklicht zu haben: „Sieh, was für ein Haus des Herrn. Es ist der Ruhm dessen, der das Haus baute. Er ist die Wonne all derer, die in ihm wohnen. Er allein ist die Hoffnung hier und die Wirklichkeit dort“ (Enarr. in Ps 121, 3). Ihrem Gründercharisma getreu, leben die Mönche von Montserrat gewissenhaft ihrem Auftrag, nämlich die Basüika zu einem Vorbild des liturgischen Gebets zu machen, indem sie die Feier mit den Gesängen ihrer berühmten Sängerschule verschönern und ihr Gebet pastoral auf die zahlreichen Gläubigen abstimmen, die sich um die Mutter Gottes scharen. Unwiderstehlich lädt die Umgebung zum Gebet ein, das für die den Berg heraufwallenden Pilger ein Bedürfnis ist, um „wie es Israel geboten ist, den Namen des Herrn zu preisen“. Es ist eine Freude, hier seine Größe zu rühmen, wo das Loblied an den Schöpfer spontan auf unsere Lippen 784 Reisen kommt; es ist eine Sohnespflicht, voller Liebe für seine großen Gaben auch im Namen der Brüder zu danken, und schließlich ist es ein Gebot der Klugheit, Kraft für weitere Etappen zu sammeln, denn die Pügerfahrt geht weiter. Man darf hier auf Erden nicht an eine „bleibende Wohnstatt“ denken, und wir müssen „auf die Zukunft hoffen“. Das Beispiel Unserer Lieben Frau, die Mutter und zugleich Lehrerin ist, fordert dazu auf. In feierücher Haltung auf ihrem Thron sitzend, wie es der Königin des Himmels und der Erde entspricht, mit dem Jesuskind auf den Knien, stellt die Schwarze Jungfrau die Vision des letzten glorreichen Geheimnisses des heiligen Rosenkranzes vor unsere Augen. Es ist providentiell, daß die liturgische Feier des Festes ihren Schwerpunkt im freudenreichen Geheimnis der Heimsuchung hat, das die erste Initiative der Jungfrau Maria darstellt. Folglich umschließt Montserrat für unsere Pilgerfahrt höchst wertvolle Lehren. Man darf das endgültige Ziel des letzten glorreichen Geheimnisses nicht vergessen. Der hl. Augustinus sagt; „Denke daran, wie du dort am morgigen Tag sein sollst, und obwohl du noch immer auf dem Weg bist, denke, als ob du schon dort verweilen würdest, als ob du dich bereits unter den Engeln erfreutest und als ob bei dir sich schon ereignet hat, was man sagte: „Selig diejenigen, die in deinem Haus sterben, in alle Ewigkeit werden sie dich loben“ (Enarr. in Ps 121, 3). Auf dem Weg muß man den Stil der Mutter zu ihren Verwandten nachahmen: „Nach einigen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa“ (Lk 1, 39). Nach dem hl. Ambrosius ist ihre Eile einfach exemplarisch: „Im Gebirge war sie in froher Erwartung, gottesfürchtig, zur Pflicht bereit, eilig in der Freude“ (Exp. Ev. Lk 2, 19). Man muß beobachten, daß ihr Weg sich nicht auf ihren physischen Aufstieg in die Berge bezieht. Der Geist bricht in einem bestimmten Augenblick aus: Vor Freude ließ er Johannes im Mutterleib hüpfen; mit göttlichem Licht überflutet er den Geist Elisabeths; er entrückt die Königin der Propheten, indem er sie auf dem Weg nach oben bis zum Gipfel des unsichtbaren Berges des Herrn bringt. Er tat es im Rahmen des wunderbaren Gesetzes, das „die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht“ (Lk 1, 52). Das Magnificat ist das Echo jenes erhabenen Erlebnisses bei ihrer beispielhaften Pilgerfahrt: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen micht selig alle Geschlechter“ (Lk 1, 47-48). Das Loblied Mariens haßt schicksalhaft durch die Jahrhunderte. Hier in Montserrat scheint es, als habe es sich kristallisiert, um ein „Magnificat aus Felsen“ zu 785 Reisen bilden. Es ist nicht nur ein glaubhaftes Zeichen des vollzogenen Aufstiegs, es ist darüber hinaus ein Wegweiser für weitere Aufstiege. Die Tugend der Pilger ist die Hoffnung. Hier kann man Wegzehrung finden, weil Maria sie mit ihren Armen umfängt und uns mütterlich reicht. Ohne etwas von uns zu verlangen, so wie sie es in Kana in Galiläa tat. Sie ist immer mit der Fürsorge und Feinfühligkeit der Mutter zur Stelle. Sie tat es in vorbildlicher Weise beim Mysterium der Heimsuchung, was mit unauslöschlichen liturgischen Zeichen in Montserrat unterstrichen wird. So erklärt sich, daß alltäglich auf diesem Berg die Melodie des Grußes an Unsere Liebe Frau, die Königin, die Mutter, die Quelle der Hoffnung erklingt, der die Pilger ermutigt: „Unser Leben, unsere Süßigkeit, unsere Hoffnung, sei gegrüßt.“ 4. Der Psalmist spricht von einem himmlischen Jerusalem, das sich über dem irdischen Jerusalem erahnen läßt. Ist es erlaubt, das Sinnbild zu übertragen? Die auf ihrem Thron sitzende Jungfrau von Montserrat mit dem Sohn auf dem Schoß scheint zu hoffen, mit ihm alle ihre Kinder umarmen zu können. Unsere geistige Pilgerfahrt baut letztlich darauf, die Gotteskindschaft in der Fülle zu erlangen. Unsere Berufung ist eine Tatsache; durch die unbegreifliche Erwählung des Vaters machte er uns zu Söhnen und Töchtern in seinem Sohn: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel. Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott; er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen, zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns geschenkt in seinem geliebten Sohn“ (Eph 1, 3-6). Der Psalmist beschreibt das Ziel als ein „Jerusalem, hocherbaut wie eine Stadt“. Dies wird zum Anlaß für den hl. Augustinus, die Kindschaft in einem anderen Licht zu sehen: „Jetzt ersteht sie, und für ihren Aufbau braucht sie lebende Steine, von denen der hl. Paulus sagt: ,Auch ihr seid wie lebende Steine, zu einem geistigen Haus erbaut “ (Enarr. in Psl21,4). Dieser seltsam gezackte Berg, daher „Montserrat“, präsentiert sich wie ein unvergleichbarer Steinbruch. „Jetzt baut man die Stadt, jetzt werden die Steine der Berge von Hand jener gebrochen, die die Wahrheit verkünden, und sie werden zugehauen, damit sie sich zu einem ewigen Bauwerk zusammenfügen“ (ebd.). Von hier, von Montserrat, von der katalanischen Region, von ganz Spanien muß man die Bausteine des neuen Bauwerks holen. 786 Reisen Man darf nicht vergessen, daß Christus das Fundament ist (vgl. 1 Kor 10, 4), folglich gibt er für die Bauweise Ratschläge. Man könnte sagen, daß der hl. Augustinus in seinem Psalmenkommentar eine Basilika wie die von Montserrat vor Augen hatte: „Wenn man die Grundmauer auf der Erde errichtet, baut man die Wände nach oben, und das Gewicht drückt nach unten, weil unten die Grundmauer ist. Wenn aber unsere Grundmauer oder unser Fundament im Himmel ist, bauen wir bis in den Himmel.“ Die Baumeister erbauten die Mauern dieser Basilika, die ihr sich majestätisch erheben seht; da aber Menschen sie erbauten, haben sie die Grundmauern darunter errichtet; wenn wir aber geistig erbaut sind, wird das Fundament in der Höhe errichtet. Laßt uns also nach hier pilgern, damit wir erbaut werden, denn von Jerusalem selbst sagt man: „Schon stehen wir in deinen Toren, Jerusalem“ (Enarr. in Ps 121, 4). Der Tempel, den unsere Füße betreten, ist Türschwelle jenes anderen, im Bau befindlichen, als dessen lebendige Bausteine wir uns fühlen. Mariens einziger Imperativ: „Tut das, was er euch sagt!“ 5. Man darf nicht die den Pilgern gebotene Anregung übersehen: „Erbittet für Jerusalem Frieden! Wer dich hebt, sei in dir geborgen. Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit. Wegen meiner Brüder und Freunde will ich sagen: In dir sei Friede. Wegen des Hauses des Herrn, unseres Gottes, will ich dir Glück erflehen“ (Ps 122, 6-9). Der Friede faßt die Fülle dessen zusammen, was ein Mensch sich wünschen kann. Ein fest im Bund mit Gott gefügter Friede ist für die Auserwählten zuverlässig. Von diesem heiligen Berg aus, einer Oase der Heiterkeit und des Friedens, wünsche ich den echten messianischen Frieden ahen Menschen, die Brüder sind und auf die die Schwarze Madonna mit gleicher Mutterliebe blickt und sie ihrem göttlichen Sohn anvertraut. „Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen in die Schranken. Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg. Ihr vom Haus Jakob, kommt, wir wollen leben im Licht des Herrn!“ (Jes 2, 4-5). Möge der heilige Berg, Herr, ein Wald voll Ölzweigen, ein „Sakrament des Friedens“ sein. Ein Sinnbild dessen, was die hebreichen Söhne an der Seite der gemeinsamen Mutter sind, und ein wirksamer Ansporn, ernstlich das zu verwirklichen, was heute nach Utopie klingt. Es wird in dem Maß Wirklichkeit werden, in dem die Menschen sich fügsam dem einzigen 787 Reisen Imperativ beugen, den die Evangelisten uns aus dem Mund Mariens überliefert haben: „Tut das, was er euch sagt!“ Und er nennt sich „Fürst des Friedens“. 6. Wir danken dir, Herr, für die Freude, die wir hier beim Betreten des der Mutter geweihten Heiligtums empfinden durften, wo wir uns gestärkt fühlen und neue Impulse für unseren zukünftigen Weg empfangen haben. Wir bitten dich, o Vater, in dieser Basilika, in der dein Sohn Jesus Christus, der Sohn Mariens, wohnt, schenke Frieden, Eintracht und Freude allen pügernden Stämmen des neuen Israels. Mach, Herr, daß alle Menschen den tiefen Sinn ihrer Pilgerfahrt auf Erden begreifen, daß sie nicht einzelne Wegstrecken mit dem Ziel verwechseln; daß sie nach dem Vorbüd Mariens ihren Weg gestalten. Sie wird ihre Helferin sein, weil zu jeder Stunde und immer Maria die mächtige Königin und Mutter des Erbarmens ist. Amen. Das „Evangelium der Arbeit“ leben! Ansprache an die Arbeiter und Unternehmer in Barcelona am 7. November Liebe Arbeiter, hebe Unternehmer! 1. Ich freue mich sehr darüber, mich heute mit euch in dieser schönen Stadt Barcelona treffen zu können. Ich begrüße euch mit besonderer Zuneigung und bedanke mich für die freundliche Aufnahme, die es mir ermöglicht, mich unter euch so wohl zu fühlen wie ein Freund und Bruder. Gleich zu Anfang bitte ich euch: Gebt meinen Gruß an eure Kinder und Familien weiter. Ich bin gekommen, um euch, liebe Arbeiter und Arbeiterinnen, anwesende und abwesende, hier geborene oder aus anderen Regionen gekommene, und überhaupt allen Arbeitern Spaniens das „Evangelium der Arbeit“ zu verkünden. 2. Die Kirche betrachtet es als ihre unumgängliche Pflicht, im sozialen Bereich aktiv zu sein, „um der menschlichen Gemeinschaft zu Aufbau 788 Reisen und Festigung nach göttlichem Gesetz behilflich zu sein“ (Gaudium et spes, Nr. 42). Dabei erinnert sie an die Würde und die Rechte der Arbeiter, brandmarkt die Situationen, in denen diese Rechte verletzt werden, und begünstigt gleichzeitig die Veränderungen, die zu einem echten Fortschritt des Menschen und der Gesellschaft führen. Die Arbeit ist eine Antwort auf einen Plan und einen Wunsch Gottes. Auf den ersten Seiten der Genesis präsentiert sich uns die Schöpfung als Werk Gottes, als Arbeit Gottes. Deshalb ruft Gott den Menschen auf zu arbeiten, um so ihm ähnlich zu werden. Die Arbeit ist daher keine Nebensache und schon gar nicht eine Verwünschung des Himmels. Sie ist, im Gegenteil, eine ursprüngliche Segnung des Schöpfers, eine Tätigkeit, die es dem Individuum erlaubt, sich zu verwirklichen und der Gesellschaft einen Dienst zu tun. Außerdem wird sie eine hohe Belohnung haben, denn „im Herrn ist eure Mühe nicht vergeblich“ (1 Kor 15, 58). Aber die ausführlichste Verkündigung des „Evangeliums der Arbeit“ vollbrachte Jesus, der Mensch gewordene Sohn Gottes - ein Mann der körperlichen Arbeit -, der harter Anstrengung ausgesetzt war. Er widmete einen großen Teil seines irdischen Lebens der Handarbeit und schloß die Arbeit selbst in sein Heilswerk ein. 3. Was mich betrifft, so habe ich in den vier Jahren meines Pontifikats in meinen Enzykliken und Katechesen immer wieder auf die zentrale Stellung des Menschen, auf seinen Vorrang vor den Dingen und auf die Wichtigkeit der subjektiven Dimension der Arbeit, die auf der Menschenwürde gründet, hingewiesen. Tatsächlich ist der Mensch als Person Mittelpunkt der Schöpfung; denn nur er ist als Büd und Gleichnis Gottes geschaffen. Dazu berufen, sich die Erde mit der Schärfe seiner Intelligenz und der Tätigkeit seiner Hände „untertan zu machen“ (Gen 1, 28), wird er zum Herrn über die Arbeit - sowohl körperliche als auch geistige - und verleiht seiner Tätigkeit die gleiche Würde, die er selbst besitzt. Im christlichen Konzept der Arbeit, arbeitende Freunde und Brüder, liegt ein Aufruf, mit der Macht und Liebe Gottes zusammenzuarbeiten, um das Leben des Menschen zu erhalten und es seiner Bestimmung näher zu bringen. So verstanden, ist die Arbeit keine biologische Notwendigkeit der Selbsterhaltung, sondern eine moralische Pflicht; sie ist ein Akt der Liebe, der sich in Freude verwandelt: in Freude darüber, sich durch die Arbeit der Familie und den anderen hinzugeben, zur tiefen Freude darüber, sich Gott anzuvertrauen und ihm durch den Dienst an den Brüdern zu dienen, auch wenn diese Hingabe Opfer mit sich bringt. Deshalb hat die christliche Arbeit einen österlichen Sinn. 789 Reisen Die logische Schlußfolgerung daraus ist, daß wir alle die Pflicht haben, unsere Arbeit gut zu machen. Wenn wir uns auf eine angemessene Art und Weise selbst verwirklichen wollen, dann können wir uns unserer Pflicht nicht entziehen und uns auch nicht damit begnügen, nur mittelmäßig zu arbeiten, ohne Interesse, nur der Form wegen. 4. Eure ausdauernde Arbeitsamkeit und euer Verantwortungsgefühl lassen euch verstehen, liebe Brüder und Schwestern, wie weit entfernt vom christlichen Verständnis der Arbeit und sogar von einer aufrichtigen Sicht der sozialen Ordnung bestimmte Haltungen der Gleichgültigkeit und der Zeit- und Mittelverschwendung sind, die sich in unseren Tagen verbreiten, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. Ganz zu schweigen vom Phänomen des Absentismus, dieses sozialen Übels, das nicht nur die Produktivität beeinträchtigt, sondern auch die Hoffnung und Geduld dessen verletzt, der verzweifelt nach einem Arbeitsplatz sucht und verlangt. An dem Bemühen der Gläubigen und Menschen guten Willens um eine wahrhaft menschliche Gesellschaft möchte auch die Kirche teilhaben, aus Treue zum Evangelium - der „Frohen Botschaft“ des Heils für alle, besonders aber für die Armen und Unterdrückten -, und sie möchte dabei an die Lehren erinnern, die aus dem Wort des Herrn kommen: - Die Arbeit ist sicherlich ein Gut des Menschen und für den Menschen. In dieser Hinsicht habe ich in der Enzyklika Laborem exercens unterstrichen, „daß die Arbeit für den Menschen da ist und nicht der Mensch für die Arbeit“ (Nr. 6). Der Kern der christlichen Soziallehre befindet sich hier: Man gelangt nicht zum richtigen Konzept der Arbeit, wenn man sich nicht eng an das richtige Konzept des Menschen anlehnt. - Die Arbeit und die Arbeitsamkeit sind eine Pflicht und stellen einen Dienst an der Familie dar, an ihrem Leben, ihrer Einheit, ihrer Entwicklung und Vervollkommung. Deshalb, so sagte ich vor drei Jahren zu den polnischen Arbeitern, „stellt die Daseinsberechtigung der Familie einen der grundlegenden Faktoren dar, die die Wirtschaft und die Politik der Arbeit bestimmen“. - Die richtig verstandene Natur der Arbeit respektiert nicht allein die Forderungen des Gemeinwohls, sondern lenkt und verwandelt jede Tätigkeit in eine wirkungsvolle Zusammenarbeit zum Wohl aller und vergrößert den Reichtum der ganzen Menschheitsfamilie. 5. Das vorher Gesagte bringt mich dazu, ein Thema anzusprechen, das nicht ausschließlich für Spanien gilt, das es aber in einem hohen Maße betrifft: Ich meine die Arbeitslosigkeit. 790 Reisen Der Mangel an Arbeit verstößt gegen das „Recht auf Arbeit“, das im allgemeinen Bezugsrahmen der übrigen Grundrechte als eine vorzügliche Notwendigkeit - und nicht als Privileg - verstanden wird, die lebenswichtigen Bedürfnisse der menschlichen Existenz durch die Arbeit zu befriedigen. Das ist ein drängendes Problem, das jeden Christen dazu bringen muß, im Namen des Evangeliums und seiner Botschaft der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Liebe Verantwortung zu übernehmen. Aus einer längeren Arbeitslosigkeit erwächst die Unsicherheit, die Frustration, die Verantwortungslosigkeit, das Mißtrauen in die Gesellschaft und in sich selbst. So verkümmern die Fähigkeiten zur persönlichen Entwicklung. Man verliert den Enthusiasmus, die Liebe zum Guten. Es entstehen Familienkrisen, Situationen persönlicher Verzweiflung, und dann verfällt man auch leicht - vor allem die jungen Leute - der Droge, dem Alkoholismus und der Kriminalität. Es wäre trügerisch und täuschend, würde man dieses beängstigende Phänomen, das in der Welt schon endemisch geworden ist, als Produkt vorübergehender Umstände oder als ein ausschließlich ökonomisches oder soziopolitisches Problem betrachten. In Wirklichkeit ist es ein ethisches und geistiges Problem, denn es ist ein Symptom dafür, daß in der Gesellschaft eine moralische Unordnung existiert, wenn gegen die Hierarchie der Werte verstoßen wird. 6. Die Kirche erinnert durch ihre sozialen Lehren daran, daß die Wege für eine gerechte Lösung dieses schwerwiegenden Problems heute eine Umgestaltung der ökonomischen Ordnung in ihrer Gesamtheit verlangen. Notwendig ist eine globale und nicht nur sektorengebundene Planung: Notwendig ist eine korrekte und rationelle Arbeitsorganisation, nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene; notwendig ist eine Solidarität aller Menschen der Arbeit. Der Staat darf sich nicht damit begnügen, auf absehbare Zeit eine große Arbeitslosigkeit ertragen zu müssen: für ihn muß die Schaffung neuer Arbeitsplätze sowohl ökonomische als auch politische Priorität besitzen. Aber auch die Unternehmer und die Arbeiter müssen die Überwindung des Mangels an Arbeitsplätzen begünstigen: indem die einen den Produktionsrhythmus der Unternehmen aufrechterhalten und die anderen sich mit der gebührenden Effizienz ihrer Arbeit widmen, bereit, aus Solidarität auf eine Doppelbeschäftigung und den ständigen Rückgriff auf die Überstundenarbeit zu verzichten, denn dadurch werden in der Tat die Möglichkeiten der Einstellung von Beschäftigten verringert. 791 Reisen Man muß mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln eine Wirtschaft schaffen, die dem Menschen dient. So werden die Gegensätze zwischen privaten und gemeinschaftlichen Interessen überwunden. So werden die Egoismen im Kampf ums Überleben besiegt. So entsteht in allen ein echter Wandel des Verhaltens, des Lebensstils, der Werte. So vollzieht sich eine authentische „Umkehr der Herzen“, des Geistes und des Willens: die Umkehr zum Menschen, zur Wahrheit für den Menschen. Ich habe mich bei diesem so aktuellen Thema besonders lange aufgehalten. Ich weiß, daß uns auch viele andere Probleme beschäftigen, die sich auf den Lohn beziehen, die hygienisch-sanitären Arbeitsbedingungen, Schutz vor Arbeitsunfällen, die Rolle der Gewerkschaft, die Mitbestimmung und die Gewinnbeteiligung im Unternehmen und auf den angemessenen Schutz der Arbeiter, die aus anderen Gebieten kommen. Es handelt sich um eine für alle vielschichtige und lebenswichtige Problematik, aber ich möchte es für euch noch einmal wiederholen: Vergeßt nicht, daß die Arbeit als primäres Merkmal das hat, die Menschen zu einen: „Darin besteht ihre soziale Kraft: Sie bildet Gemeinschaft“ (Labo-rem exercens, Nr. 20). Beharrt auf dieser Kraft und den christlichen Werten, die euch ermutigen. Bringt euren Ernst und euer Vertrauen zum Arbeitsplatz. Erleuchtet eure Umwelt durch die Nächstenliebe und die Hoffnung: so wird es euch leichter fallen, gerechte Lösungen zu finden. 7. Erlaubt mir nun, liebe Arbeiter und Arbeiterinnen, daß ich mein Wort an eine andere Klasse von Arbeitern Spaniens richte: an die Unternehmer, Industriellen, Manager, die qualifizierten Berater des sozialwirtschaftlichen Lebens und Förderer von Industriekonzernen. Euch, die ihr Arbeitsplätze, Beschäftigung, Dienstleistungen und Berufsausbildung bereitstellt, grüße ich und erweise ich meine Ehre. Das gilt für alle, die in diesem gebebten Spanien einer so großen Menge von Arbeitern und Arbeiterinnen Arbeit und Unterhalt verschaffen. Der Papst spricht euch seine Achtung und seinen Dank aus für die wichtige Funktion, die ihr im Dienst am Menschen und an der Gesellschaft ausübt. Auch euch verkündige ich das „Evangebum der Arbeit“. Wenn ich euch dazu einlade, über das christhche Verständnis vom Unternehmen nachzudenken, dann möchte ich euch vor allem daran erinnern, daß über den technischen und ökonomischen Aspekten, deren Meister ihr seid, noch ein höherer steht: nämlich der Aspekt der moralischen Dimension. Wirtschaft und Technik ergeben in der Tat keinen Sinn, wenn sie sich nicht auf den Menschen beziehen, dem sie dienen sollen. Denn tatsächlich ist die Arbeit für den Menschen da, und nicht der Mensch für 792 Reisen die Arbeit; infolgedessen ist auch das Unternehmen für den Menschen da und nicht der Mensch für das Unternehmen. Die unnatürliche und unlogische Gegensätzlichkeit zwischen Kapital und Arbeit - oft künstlich durch einen programmierten Klassenkampf angeheizt - zu überwinden, das ist eine unerläßliche Anforderung an eine Gesellschaft, die gerecht sein will. Diese Anforderung gründet sich auf den „Primat des Menschen gegenüber den Dingen“. Nur der Mensch -Unternehmer oder Arbeiter - ist Subjekt der Arbeit und Person. Das Kapital ist nicht mehr als „eine Summe von Dingen“ (Laborem exercens, Nr. 12). 8. Die Welt der Arbeit, das wißt ihr sehr gut, leidet seit einiger Zeit an einer schweren Krise. Die soziale Frage ist aus einem Problem der „Klassen“ zu einem Problem der „Welt“ geworden. Die Entwicklung der Energiequellen und der Einfluß von starken politischen Interessen auf diesem Gebiet haben neue Probleme geschaffen und die Infragestellung von bestimmten ökonomischen Strukturen hervorgerufen, die bis jetzt als unverzichtbar und unberührbar galten und haben ihre Führung von Mal zu Mal schwieriger gemacht. Seid nicht unschlüssig vor solchen Schwierigkeiten; zweifelt nicht an euch selbst; verfallt nicht in die Versuchung, das Unternehmen aufzugeben, um euch beruflichen Tätigkeiten zu widmen, die in einem egoistischen Sinne ruhiger und weniger heikel sind. Überwindet diese Versuchungen der Flucht, fahrt mutig auf eurem Platz fort. Bemüht euch, eurem Unternehmen einen immer menschlicheren Zug zu verleihen und denkt an den großen Beitrag, den ihr für das Gemeinwohl leistet, wenn ihr neue Arbeitsmöglichkeiten schafft. Ein Unternehmen muß eine Lebensgemeinschaft werden Im Verlauf der industriellen Revolution hat man, auch von seiten der Unternehmer, nicht geringe Fehler begangen. Trotzdem darf man nicht auf hören, liebe Industrielle, eure Dynamik, euren Tatendrang, eure eiserne Willenskraft, eure Fähigkeit zur Kreativität und zum Risiko öffentlich anzuerkennen und zu loben. Diese Eigenschaften haben euch eine Schlüsselstellung in der Wirtschaftsgeschichte und für die Zukunft verliehen. 9. Aufgrund ihrer eigenen inneren Dynamik ist das Unternehmen unter eurem Antrieb dazu berufen, eine soziale Funktion auszuüben, die zutiefst ethisch ist: einen Beitrag zur Vervollkommung des Menschen, jedes 793 Reisen Menschen, ohne irgendeine Diskriminierung, zu schaffen! Dadurch, daß man Bedingungen herstellt, in denen eine Arbeit möglich wird, in denen man neben der Entwicklung der persönlichen Fähigkeiten auch zu einer effizienten und sinnvollen Produktion von Gütern und Dienstleistungen gelangt und in denen man dem Arbeiter bewußt macht, daß er wirklich auch in „etwas Eigenem“ arbeitet. Das Unternehmen ist deshalb nicht nur ein Organismus, eine Produktionsstruktur, sondern es muß zu einer Lebensgemeinschaft werden an einem Ort, wo der Mensch mit seinesgleichen zusammenlebt und in Beziehung tritt und wo eine persönliche Entwicklung nicht nur erlaubt, sondern auch gefördert wird. Besteht nicht der Hauptfeind eines christlichen Verständnisses des Unternehmers vielleicht in einem gewissen Funktionalismus, der die Leistung zur einigen und unmittelbaren Forderung von Produktion und Arbeit macht? Die Arbeitsbeziehungen sind vor allem Beziehungen zwischen menschlichen Wesen und können nicht allein nach der Leistungsmethode gemessen werden. Wenn ihr selbst, liebe Unternehmer, wollt, daß eure berufliche Tätigkeit in Einklang mit eurem Glauben steht, dann begnügt euch nicht damit, daß „die Dinge laufen“, daß sie erfolgreich, produktiv und wirtschaftlich sind, sondern trachtet danach, daß die Früchte des Unternehmens zum Gewinn aller werden durch eine allseitige menschliche Förderung und durch eine persönliche Vervollkommnung derjenigen, die an eurer Seite mit euch Zusammenarbeiten. Ich weiß, daß die sozioökonomische Realität von Natur her ziemlich komplex ist, bis zu dem Punkt, daß sie in Zeiten verschärfter Krise nur schwer lenkbar scheint, vor allem, wenn die Krise planetarische Ausmaße annimmt. Trotzdem ist es gerade in solchen Situationen angebracht, sich von einem großen Gerechtigkeitssinn und einem vollkommenen Vertrauen zu Gott leiten zu lassen. In den für alle schwierigen Zeiten, und dazu gehören die Wirtschaftskrisen, kann man die Arbeiter nicht allein ihrem Schicksal überlassen, vor allem die nicht, die wie die Armen und die Einwanderer nur ihre Hände haben, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Es ist wichtig, sich immer an einen bedeutenden Grundsatz der christlichen Soziallehre zu erinnern: „Die Rangordnung der Werte und der tiefere Sinn der Arbeit fordern, daß das Kapital der Arbeit diene und nicht die Arbeit dem Kapital“ (Laborem exercens, Nr. 23). 10. Und nun, da sich unsere Begegnung ihrem Ende zuneigt, möchte ich euch, liebe Brüder, Arbeiter und Unternehmer Spaniens, noch ein letztes Wort sagen: Seid solidarisch! 794 Reisen Die Zeit, in der wir leben, verlangt dringend danach, daß im menschlichen, nationalen und internationalen Zusammenleben jede Person und jede Gruppe ihre unverrückbaren Positionen und einseitigen Gesichtspunkte überwindet, denn diese tendieren dahin, den Dialog zu erschweren und das Bemühen um Zusammenarbeit nutzlos zu machen. Die Kirche verkennt nicht das Vorhandensein von Spannungen und sogar Konflikten in der Welt der Arbeit. Aber durch Antagonismen und Gewalt löst man keine Schwierigkeiten! Warum soll man nicht nach Lösungsmöglichkeiten unter den Parteien suchen? Warum sollte man den friedlichen und ehrlichen Dialog ablehnen? Warum sollte man nicht zurückgreifen auf den guten Wülen zum Zuhören, zum gegenseitigen Respekt, zum Bemühen in einer redlichen und beharrlichen Suche, wobei man auch Teilvereinbarungen akzeptiert, die aber immer neue Hoffnungsschimmer sind? Die Arbeit birgt in sich eine Kraft, die die Gemeinschaft beleben kann: die Solidarität. Die Solidarität der Arbeit, die sich spontan zwischen denjenigen entwickelt, die die gleiche Art von Tätigkeit oder Beruf ausüben, um in die Interessen des einzelnen oder der Gruppen das Gemeinwohl der ganzen Gesellschaft miteinzubeziehen. Die Solidarität mit der Arbeit, d. h. mit jedem Menschen, der arbeitet, die sich des Dramas dessen annimmt, der arbeitslos ist oder sich in einer schwierigen Arbeitssituation befindet, indem sie jeden Egoismus einseitiger politischer Interessen und jeden Klassenegoismus überwindet. Schließlich die Solidarität innerhalb der Arbeit; eine Solidarität ohne Grenzen, denn sie gründet in der Natur der menschlichen Arbeit, d. h., sie gründet in der Priorität des Menschen vor den Dingen. Solch eine offene, dynamische, der Natur nach universale Solidarität wird niemals negativ sein; keine „Solidarität gegen“, sondern eine positive und konstruktive, eine „Solidarität für“, für die Arbeit, für die Gerechtigkeit, für den Frieden, für das Wohlergehen und für die Wahrheit im sozialen Leben. <24> <24> Geliebte Brüder und Schwestern! Eure Sensibilität als Gläubige, euer Glaube als Christen können euch dabei helfen, die Frohe Botschaft, das „Evangelium der Arbeit“ zu leben. Seid euch eurer Würde als Hand- und Kopfarbeiter bewußt. Arbeitet im Geist der Solidarität an den Problemen mit, die euch behelligen. Seid christlicher Sauerteig und christliche Präsenz gleichwo in Spanien. Die Kirche vertraut euch, folgt euch, unterstützt euch, liebt euch: Erweist euch immer eurer religiösen und famüiären Traditionen würdig! 795 Reisen Erlaubt mir, daß ich euch ganz besonders daran erinnere, daß ihr der Arbeit zuliebe nicht eure Familie und eure Kinder vernachlässigen dürft. Benutzt die Pause der Sonn- und Feiertage für eine neue Begegnung mit Gott und für eine gesunde Erholung. Der Mutter von Montserrat vertraue ich euch, eure Kinder und eure Familien an. Liebe Arbeiter und Unternehmer: Möge Gott euch helfen, euch für das Wohl jedes Menschen, eures Bruders, zu interessieren. „ Werft alles Schwanken und Zaudern ab!“ Predigt bei der Eucharistiefeier im Stadion von Barcelona am Sonntag, 7. November Liebe Brüder und Schwestern! 1. Wir sind in diesem Stadion versammelt, um den Tag des Herrn zu feiern. Vereint mit eurem Bischof und so vielen Brüdern aus Barcelona und vielen anderen Orten. Die zweite Lesung dieser Messe, die dem Hebräerbrief entnommen ist, drückt die Bedeutung der inneren Haltung des Opferangebots Jesu an den Vater aus. Zum ersten Mal hat er diese Haltung bei seinem Eintritt in die Welt durch seine Menschwerdung verwirklicht (vgl. Hebr 10, 5); sein Angebot bezieht sich da auf sein künftiges Erlösungsopfer. Dadurch, daß er dieses innere Angebot immer aufrechterhält, gibt er seinem ganzen Erdenleben eine einheitliche Bedeutung. Das Opferangebot begleitete seine Schmerzen und Leiden am Kreuz und gab ihnen die Heilsbedeutung, die sie ohne diesen Akt der Hingabe nicht gehabt hätten. Aber auch nach der Auferstehung und Himmelfahrt wahrt das Leben Christi eine Einheit der Bedeutung, da auch jetzt Jesus dem Vater die nunmehr überstandenen Schmerzen seines Leidens darbringt. Der Brief benützt die alttestamentliche Liturgie des Versöhnungstages zur Erklärung des Erlösungsgeheimnisses. Dabei wurden die Opfertiere außerhalb des Lagers verbrannt. Auch Christus wurde auf Golgota, das damals außerhalb der Stadt lag, geopfert (vgl. Hebr 13, 11 ff.). Der Hohepriester betrat das Allerheiligste, um Jahwe das Opfer darzubringen. Auch Christus, der Priester des Neuen Bundes, ist auferstanden und in 796 Reisen den Himmel aufgestiegen, um so in das himmlische Heiligtum einzutreten und dem Vater auf ewig das Blut darzubringen, da er am Kreuz vergossen hatte. Es ist derselbe Christus, der auf den Altar kommt und hier sein Opferangebot für uns an den Vater wiederholt. Die Winzigkeit unseres Verlangens nach Hingabe an Christus und Führung eines christlichen Lebens muß auf den Altar gelegt werden, um mit dem Opferangebot Jesu vereint zu werden. Unsere bescheidene Hingabe - an sich so unbedeutend wie das Öl der Witwe von Sarepta oder der Groschen der armen Witwe - wird für Gottes Anblick annehmbar durch ihre Vereinigung mit dem Opfer Christi. Und worin soll unsere Hingabe an Christus bestehen? Ich sage euch gleich, das erste, was der Papst und die Kirche von euch erwarten, ist, daß ihr gegenüber eurem Dasein, der Kirche, den aktuellen menschlichen Problemen eine wahrhaft christliche Haltung einnehmt. 2. Euer Leben als Leben menschlicher Geschöpfe hat in sich bereits eine einzigartige Größe und Würde. Sie verlangen eine richtige Bewertung, um das Leben in konsequenter Beachtung der Forderungen der Wahrheit, der Ehrenhaftigkeit, des rechten Gebrauchs dieses wunderbaren Gottesgeschenkes der Freiheit in all ihren Dimensionen zu führen. Diese strahlende Wirklichkeit kann sich jedoch nicht nur in diese Horizonte verschließen, so wenig sie darauf verzichten kann. Sie muß sich dem Neuen öffnen, das Christus in die Welt gebracht hat, als er jeden Menschen lehrte, er sei Kind Gottes (vgl. Mt 6, 9-15), durch das Blut Christi selbst erlöst (Eph 1, 7), sein Miterbe (vgl. Röm 8, 17) und zu einem überirdischen Ziel bestimmt (vgl. Röm 8, 20-23; Eph 2, 6f.). Die zeitliche Ordnung auf Christus ausrichten Es wäre die schwerste Verstümmelung, den Menschen dieser Perspektive zu berauben, die ihn zu der höchsten Dimension erhebt, die er erreichen kann. Und die ihm darum das geeignetste Mittel zur Entfaltung seiner besten Kräfte und seines Enthusiasmus bietet. Wie ich in der Enzyklika Redemptor hominis geschrieben habe: „Diese Vereinigung Christi mit dem Menschen ist in sich selbst ein Geheimnis, aus dem der ,neue Mensch4 hervorgeht, berufen zur Teilnahme am Leben Gottes, neugeschaffen in Christus zur Fülle der Gnade und Wahrheit. Die Einheit Christi mit dem Menschen ist Kraft und zugleich Quelle der Kraft, nach dem markanten Wort des hl. Johannes im Prolog seines Evangeliums: ,Das Wort gab Macht, Kinder Gottes zu werden “ (Nr. 18). 797 Reisen Hier findet sich das Fundament der tiefen Erkenntnis des Wertes der eigenen Existenz, das Fundament unserer Identität als Christen. Hieraus muß sich eine konsequente praktische Haltung ergeben, entstanden aus der Wertschätzung für alles, was am Menschlichen gut und in wirksamer Weise vom Glauben geformt ist. 3. Für einen Christen ist die Beziehung, die er zur Kirche hat, sehr wichtig. Eine Beziehung, die von polemischer Ablehnung zur allmählichen Annahme führen kann; von systematischer Kritik zu reifer und verantwortlicher Treue. Die erste Forderung, um Verwirrungen oder falsche Perspektiven zu vermeiden, ist, die Kirche in ihrem wahren Wesen zu betrachten: eine in den Menschen jedes Zeitalters verkörperte Gemeinschaft geistlicher Art und mit geistlichen Zielen (vgl. Lumen gentium, Nr. 2), ohne jede Absicht, mit den zivilen Mächten einen Konflikt zu beginnen und sich mit rein materiellen oder politischen Themen zu befassen, die, wie sie gern anerkennt, nicht in ihre Zuständigkeit fallen. Ohne aber ebensowenig auf ihre Sendung zu verzichten, die in dem von Christus erhaltenen Auftrag besteht, das Bewußtsein der Gläubigen im Glauben zu formen. Damit diese in ihrer Doppelrolle als Staatsbürger und als Gläubige zum Wohl in allen Lebensbereichen beitragen, in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen und in gebührender Achtung vor den Überzeugungen der anderen. Die von Christus auf Petrus und die Apostel gegründete Kirche, eine Sendung, die heute in deren Nachfolgern fortgesetzt wird (vgl. Lumen gentium, Nr. 18), ist universales Heilssakrament, Zeichen und Werkzeug der Gnade Christi, in der wir zu neuem Leben geboren werden (vgl. ebd., Nr. 1, 2). Sie ist das durch ihre sichtbare Gestalt, die die Menschen an die Gegenwart und das Handeln Gottes erinnert. Sie ist das durch die Verkündigung des Wortes Gottes und die Verwaltung der Sakramente, der Quellen des Heils. Sie ist das durch das Leben ihrer Gläubigen, die aufgerufen sind, jeder in seiner Lage, zur Verbreitung der evangelischen Botschaft und zur Vergegenwärtigung Christi in allen Bereichen der Gesellschaft beizutragen. Aus diesen Vorbedingungen ergibt sich für den Christen eine ganz konkrete Haltung. Die Kirche ist von Christus gegründet worden, und wir können nicht den Anspruch erheben, sie nach unseren persönlichen Gesichtspunkten zu gestalten. Nach dem Willen ihres Gründers hat sie eine aus den Nachfolgern des Petrus und der Apostel gebildete Führung: Das bedeutet Treue zu Christus, Treue zum Lehramt der Kirche. 798 Reisen Sie ist die Mutter, in der wir zum neuen Leben in Gott wiedergeboren werden; eine Mutter muß geliebt werden. Sie ist heilig in ihrem Gründer, in ihren Mitteln und in der Lehre, doch sie wird von sündigen Menschen gebildet; es ist notwendig, positiv zu ihrer Besserung beizutragen und ihr zu einer immer neuen Treue zu verhelfen, die mit zersetzender Kritik nicht zu erreichen ist. Die Kirche bietet jeden Tag das Wort des Heils und die von Christus eingesetzten Sakramente an und ist unabhängig von Kriterien der Zahl oder Mode; das verpflichtet zur Achtung vor der Stimme der Hierarchie, die unmittelbar Kriterium und Führerin im Glauben ist. Sie wird von uns allen, dem Volk Gottes, gebildet (vgl. Lumen gentium, Nr. 9); das gebietet die verantwortliche Zusammenarbeit aller Christen und aller Gruppen, all ihrer Kräfte, ihrer Fähigkeit, Erfahrungen zu machen, aber in loyalem Hören auf die legitimen Hirten. Sie Hebt den Menschen in seiner Vollständigkeit, nichts wahrhaft Menschliches ist ihr gleichgültig; doch in dem Kampf für die Förderung vergißt sie nicht ihre eigentUche und wesentliche Sendung, für sein Heil zu sorgen. 4. Gegenüber den Problemen der heutigen Welt, in der er lebt, kann der Christ nicht anders, als eine Haltung einnehmen, die die Auffassung widerspiegelt, die er im Lichte seiner Beziehung zur Kirche von sich selbst hat. Im Bewußtsein seiner Verpachtung, „zu einer humaneren Gestaltung beizutragen“ (Gaudium et spes, Nr. 40), wird der Christ als Zeuge der Wahrheit, Ehrenhaftigkeit und Gerechtigkeit an vorderster Stelle stehen müssen. Das ist die erste Konsequenz der humanisierenden Bedeutung des Glaubens und seiner schöpferischen Dynamik. Fest verwurzelt in diesem Glauben und dank einer klaren und tiefen evangelischen Überzeugung wird er nicht zögern, seinen Teil der Verantwortung zu übernehmen, um „die zeitUche Ordnung auf Christus auszurichten“ (Apostolicam actuositatem, Nr. 7). Die Christen dürfen niemals vergessen, daß sie „der Sauerteig und die Seele der menschlichen Gesellschaft sind“ (Gaudium et spes, Nr. 40) und daß sie, was die irdischen Aufgaben betrifft, „nach Maßgabe der jedem zuteü gewordenen Berufung gerade durch den Glauben selbst um so mehr zu deren Erfüllung verpflichtet sind“ (ebd., Nr. 43). Die Söhne und Töchter der Kirche müssen in der Überzeugung leben, daß sie Christen sein müssen aus Treue zu Christus, um konsequenterweise Christ zu sein in der Liebe zum Menschen, in der Verteidigung seiner 799 Reisen Rechte, im Einsatz für die Gerechtigkeit, in der Solidarität mit allen, die die Wahrheit und die Erhöhung des Menschen suchen (vgl. ebd., Nr. 43). 5. Diese Haltungen fordern ein tiefes Engagement und eine große Fähigkeit zur Anstrengung und zum Mut. Vor den Augen des Christen eröffnet sich die Notwendigkeit, so vieles, was unangemessen oder ungerecht ist und was eine innere und äußere Umwandlung erfordert, zu ändern. Man kann hier jedoch einer Sinnestäuschung erliegen, wenn man die Gesellschaft lediglich durch Änderung der äußeren Strukturen oder allein durch die Befriedigung der materiellen Bedürfnisse des Menschen ändern will. Hingegen gilt es, mit seiner eigenen Wandlung zu beginnen; durch moralische Erneuerung; durch Wandlung von innen her, indem man Christus nachfolgt; durch die Zerstörung der Wurzeln des Egoismus und der Sünde, die sich in jedem Herzen einnistet. Auf diese Weise gewandelte Menschen arbeiten wirksam an der Änderung der Gesellschaft mit. 6. Um in dieser christlichen Haltung zu leben, brauchen die Söhne und Töchter der Kirche, die ihre eigene Schwachheit und Sünde spüren, ein beständiges Bemühen um die Umkehr und die Rückkehr zu den idealen Quellen, die ihr Verhalten inspirieren. Sie brauchen eine ständige Einkehr in ihr Gewissen und zu Christus. In ihrem Glauben müssen sie die Kraft und die Dynamik finden, sich zu bessern und sich jeden Tag im Guten zu stärken. Ohne sich jener resignierten Passitivität zu überlassen, die in so vielen Seelen anzutreffen ist. Ein Bemühen zur Umkehr, das persönlich und gemeinsam sein muß. Fähig, sich auf eine immer größere Treue zur eigenen Existenz als Christen auszurichten und auf die Überwindung vergangener Fehler und Irrtümer um höherer Zwecke willen, ohne sich von ihnen in nutzloser Starrheit oder im Gefühl der Schuld lähmen zu lassen. Der Irrtum und die Sünde nisten sich leider in jedem Menschen, in jedem menschlichen Bereich und in jedem von Menschen gebildeten Organismus ein, in der Kirche und außerhalb ihrer. Doch Gott hilft uns, uns ständig in seiner Gnade und seiner Liebe zu erneuern. Das geoffenbarte Wort, das Vorbüd Christi, die Gnade der Sakramente sind unsere Wege der Überwindung durch die Umkehr. 7. Diese christlichen Haltungen verlangen konkrete Kriterien und sichere Führung, die ihnen den Weg weisen und mögliche Verirrungen verhindern. 800 Reisen Wollt ihr ein sicheres, konkretes, systematisches Kriterium, das euch im gegenwärtigen Augenblick führt? Folgt der Stimme des Lehramtes und seid dem Konzil unserer Zeit treu: dem Zweiten Vatikanum. Einerseits ohne Zurückhaltung, Furcht oder Widerstand, andererseits ohne willkürliche Deutungen oder Verwirrungen der objektiven Lehre mit den eigenen Ideen. Hier nimmt der Weg der notwendigen, von Christus gewollten Einheit seinen Anfang. Die korrekte Anwendung der Lehren des Konzils ist, wie ich wiederholt gesagt habe, eine der vorrangigsten Zielsetzungen meines Pontifikats. 8. Auf diese Weise, liebe Brüder und Schwestern, sollt ihr leben und der zeitlichen Ordnung den Lebenssaft des Glaubens an Christus einflößen im Bewußtsein, daß dieser Glaube nichts wahrhaft Menschliches zerstört, sondern es stärkt, läutert und erhöht. Zeigt diesen Geist durch die Aufmerksamkeit, die ihr den entscheidenden Problemen widmet. Im Bereich der Familie, indem ihr die Unauflöslichkeit und die anderen Werte der Ehe lebt und verteidigt und für die Achtung vor jedem Leben vom Augenblick der Empfängnis an eintretet. In der Welt von Kultur, Erziehung und Unterricht, indem ihr für eure Kinder eine Schule wählt, in der das Brot des christlichen Glaubens vorhanden ist. Seid auch stark und hochherzig, wenn es darum geht, zur Lösung der sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen beizutragen; wenn ihr euch an dem positiven Bemühen um Vermehrung und gerechte Verteilung der Güter beteiligt. Strengt euch an, damit die Gesetze und Sitten nicht dem transzendenten Sinn des Menschen und den moralischen Aspekten des Lebens den Rücken zukehren. 9. Am Höhepunkt der Messe wird auf dem Altar das Geheimnis von Golgota gegenwärtig. Jesus selbst erneuert das Opfer jenes Tages, das Opfer, das uns rettet. Unter dem Kreuz stand die Mutter Jesu (vgl. Joh 19. 25) und nahm an seinem Schmerz teil. Möge sie, die Mutter der Gnade, euch durch ihre Fürsprache helfen, in dieser heiligen Messe eure Berufung als Christen zu erneuern. Im Vertrauen auf ihren Schutz werft alles Schwanken und Zaudern ab. Und seid euch selbst, der Kirche und eurer Zeit durch ein konsequentes christliches Verhalten treu. Amen. Gott segne euch! 801 Reisen An der Seite der Leidenden Ansprache an die Bevölkerung des Überschwemmungsgebietes von Alcira (Valencia) am 8. November Liebe Brüder und Schwestern! Ich habe es als Pflicht und Herzensbedürfnis empfunden, vor Beendigung meines Besuches in Valencia euch, den Bewohnern von Ribera del Jucar, einen besonderen Besuch abzustatten. Ich bin hierhergekommen, um euch nahe zu sein, die ihr unter dem Verlust geliebter Menschen und schwerster materieller Schäden leidet, die die Überschwemmungen der vergangenen Tage vor allem unter der Bevölkerung von Alcira, Carca-gente und anderen Orten hervorgerufen hat. Dieser Besuch möchte ein Zeichen meiner Solidarität mit euch in diesen schmerzlichen Augenblicken sein. Auch wünsche ich, daß die Worte, die ich vor den hier Anwesenden spreche, ebenso die anderen von der Überschwemmung betroffenen Gebiete und jeden einzelnen ihrer Bewohner erreichen, denn ich bin für alle gekommen. Meine Anwesenheit möchte auch meine Wertschätzung für die Solidarität zum Ausdruck bringen, die euch bisher bezeugt wurde und von der ich hoffe, daß sie so lange als nötig andauern wird, denn für den Bedürftigen müssen alle anderen Brüder sein. An der Seite des Leidenden muß immer jemand stehen, der ihm hilft und ihn begleitet. Die Nächstenliebe und das menschliche Gewissen können angesichts von Tod und Zerstörung nicht gleichgültig bleiben. Deshalb müssen alle Initiativen unterstützt werden, die auf einen möglichst raschen Aufbau eurer Heime und auf die Wiedererrichtung eurer Arbeitsplätze abzielen und so euren Lebensraum neu gestalten, damit eure Existenz in Kürze wieder sorgenfrei und hoffnungsvoll werde. Ich lade euch ein, euren Blick auf Gott zu richten und gleichzeitig auf die hier Anwesenden sowie auf die Bewohner der anderen vom Unheil betroffenen Gebiete, insbesondere auf die Verletzten, die Kranken und die trauernden Familien, und erteile euch aus ganzem Herzen meinen Segen. 802 Reisen Am „Ende der Erde“ angelangt Predigt während der Pilgermesse in Santiago de Compostela am 9. November Liebe Brüder im Bischofsamt, hebe Brüder und Schwestern! 1. Ich bin heute bei der letzten Etappe meiner Spanienreise angelangt, und zwar genau an der Stelle, die die Alten „Finis terrae“ (Ende der Erde) genannt hatten, die aber heute ein offenes Fenster zu neuen Ländern hin ist, die ebenfalls christüch sind und jenseits des Atlantiks liegen. Ich habe bereits mehrere Ortskirchen besucht, die in den verschiedensten Teilen dieses gebebten Landes verstreut Hegen. Ich habe auch einige heilige Stätten aufgesucht, und in diesem Moment bin ich an einem der berühmtesten heiligen Orte der Geschichte, der in der ganzen Welt bekannt ist, nämlich der Kathedral-Basilika, die das Grab des hl. Jakobus umschließt, der nach der Tradition der Prediger des Evangeliums in Spanien war. Die schöne Stadt Compostela ist seit vielen Jahrhunderten Ziel eines Weges gewesen, der sich auf der Erde Europas durch die Fußspuren der Pilger eingrub, die - um nicht vom Weg abzukommen - sich nach den Sternbildern des Himmels orientierten. Auch ich bin heute ein Pilger. Ein Pilger-Botschafter, der die Welt durcheilen möchte, um den Auftrag auszuführen, den Christus seinen Aposteln erteilt hat, als er sie ausschickte, allen Menschen und allen Völkern das Evangelium zu verkünden. Ein Pilger, den Theresia von Jesus nach Spanien zog, hat die Ergebnisse der Mission von Tausenden von Jüngern Christi bewundert, die sie innerhalb von 20 Jahrhunderten christlicher Geschichte zustande gebracht haben. Ein Pilger, der das gesegnete spanische Land durcheilt hat, der mit vollen Händen das Wort des Evangeliums, des Glaubens und der Hoffnung aussät. Jetzt bin ich bei euch, Hebe Brüder und Schwestern, die ihr aus ganz GaHcien und vielen Regionen Spaniens gekommen seid. In dieser Pilgermesse grüßt der Bischof von Rom euch aUe mit Liebe; eure Würdenträger und aUe Teilnehmer. Es freut mich, daß ihr so zahlreich erschienen seid, besonders aber zu wissen, daß während des ganzen HeiHgen Jahres von Compostela mehrere MilHonen Pilger - mehr als in den vergangenen HeiHgen Jahren - nach Santiago zur Vergebung der Sünden und der Begegnung mit Gott gekommen sind. 803 Reisen Der Jakobsweg: eine Lebensader Europas Wir feiern jetzt die Eucharistie: den Höhepunkt und Mittelpunkt unseres christlichen Lebens, das Ziel, zu dem uns der Weg der Buße, der Umkehr, der unaufhörlichen Suche nach dem Herrn führt, ein dem Christen eigenes Verhalten, der immer auf dem Weg zu Ihm hin sein muß. 2. Im Mausoleum eurer Kathedrale bewahrt ihr die Erinnerung an einen Freund Jesu, einen der Lieblingsjünger des Herrn, des ersten der Apostel, der mit seinem Blut Zeugnis vom Evangelium abgelegt hat: Jakobus des Älteren, Sohn des Zebedäus. Die Vertreter des Hohen Rates forderten, Petrus und den Aposteln das Schweigegebot aufzuerlegen, ihnen, die „mit großer Kraft Zeugnis ablegten von der Auferstehung Jesu, des Herrn, und auf denen reiche Gnade ruhte“ (Apg4, 33). „Wir haben euch streng verboten - so sagten sie -, in diesem Namen zu lehren; ihr aber habt Jerusalem mit eurer Lehre erfüllt; ihr wollt das Blut dieses Menschen über uns bringen“ (Apg 5, 28). Aber Petrus und die Apostel antworteten: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen. Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr ans Holz gehängt und ermordet habt. Ihn hat Gott als Herrscher und Retter an seine rechte Seite erhoben, um Israel die Umkehr und die Vergebung der Sünden zu schenken. Zeugen dieser Ereignisse sind wir und der Heilige Geist, den Gott allen verliehen hat, die ihm gehorchen“ (Apg 5,29-32). Die Mission der Kirche beginnt Wirklichkeit zu werden durch die Tatsache, daß die vom Heiligen Geist erfüllten Apostel, den sie an Pfingsten im Abendmahlssaal empfangen hatten, Gott mehr gehorchten als den Menschen. Diesen Gehorsam bezahlten sie mit Leiden, mit Blut, mit dem Tod. Die Wut der Ältesten des Hohen Rates von Jerusalem legte sich erst mit einer unerbittlichen Entscheidung, nämlich der Entscheidung, die Jakobus den Älteren dem Martyrium überlieferte, als Herodes - wie die Apostelgeschichte sagt - „einige aus der Gemeinde verhaften und mißhandeln ließ. Jakobus, den Bruder des Johannes, ließ er mit dem Schwert hinrichten“ (Apg 12, 1-2). Er war der erste der Apostel, der das Martyrium erlitt; der Apostel, der seit vielen Jahrhunderten von ganz Spanien, Europa und der gesamten Kirche hier in Compostela verehrt wird. Jakobus war der Bruder Johannes’ des Evangelisten. Sie waren die beiden Jünger, denen in einem der eindrucksvollsten Dialoge des Evangeliums Jesus die berühmte Frage stellte: „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?“ Sie sagten zu ihm: „Wir können es.“ 804 Reisen Es war das Wort der Bereitschaft, des Mutes, eine allgemein der Jugend eigene Haltung, aber auch aller Christen und insbesondere jener, die willig waren, als Apostel des Evangeliums zu wirken. Die hochherzige Antwort der beiden Jünger wurde von Jesus angenommen. Er sagte ihnen: „Ihr werdet meinen Kelch trinken“ {Mt 20, 23). 3. Diese Worte erfüllten sich an Jakobus, dem Sohn des Zebedäus, der in Jerusalem mit seinem Blut Zeugnis von der Auferstehung Christi ablegte. Jesus hatte die Frage über den Becher, den die beiden Brüder leeren sollten, gestellt, als die Mutter beider - wie wir im Evangelium lesen - an den Meister herantrat, um einen auserwählten Platz für sie im Himmelreich zu erbitten. Nachdem er die Bereitschaft der beiden, den Becher zu leeren, festgestellt hatte, sagte Christus aber: „Ihr werdet meinen Kelch trinken; doch den Platz zu meiner Rechten und zu meiner Linken habe ich nicht zu vergeben; dort werden die sitzen, für die mein Vater diese Plätze bestimmt hat“ {Mt 20, 23). Der Streit um den ersten Platz im zukünftigen Reich Christi, das seine Jünger sich zu sehr nach menschlichen Maßstäben vorstellten, erregte den Unwillen der anderen Apostel. Bei dieser Gelegenheit erklärte Jesus allen, daß die Berufung in sein Reich nicht eine Berufung zur Macht, sondern vielmehr eine zum Dienst ist, „denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ {Mt 20, 28). In der Kirche bedeutet Evangelisierung, Apostolat, Amt, Priesteramt, Bischofsamt, Papstwürde: dienen. Das Zweite Vatikanische Konzü, in dessen Licht das Volk Gottes auf das Jahr 2000 zugeht, hat uns in verschiedenen Dokumenten klargemacht, wie man dient, wie man arbeitet und wie man um des Evangeliums willen leidet (vgl. Lumen gentium, Nr. 18, 20; Christus Dominus, Nr. 15). Es geht darum, dem Menschen unserer Zeit zu dienen, so wie Christus dem Menschen diente und wie die Apostel ihm dienten. Jakobus der Ältere erfüllte seine Berufung zum Dienen in dem vom Herrn errichteten Reich dadurch, daß er wie der göttliche Meister „sein Leben als Lösegeld für viele“ gab. 4. Hier in Compostela haben wir sein Zeugnis. Ein Zeugnis des Glaubens, das über die Jahrhunderte hinweg ganze Generationen von Pilgern mit den eigenen Händen berühren oder mit ihren Lippen küssen wollten; sie kamen dafür aus den europäischen Ländern und pilgerten vom Orient bis zur Kathedrale von Santiago. Die Päpste ihrerseits förderten diese Pilgerfahrten, die auch nach Rom und Jerusalem führten. 805 Reisen Der Sinn, der Stil der Pilgerfahrten ist tief in der christlichen Auffassung des Lebens und der Kirche verwurzelt (vgl. Lumen gentium, Nr. 3). Der Jakobsweg brachte im geistigen und kulturellen Bereich den kraftvollen Strom eines fruchtbaren Austausches zwischen den Völkern Europas hervor. Das, was die Pilger in demütiger und reuemütiger Haltung aber wirklich suchten, war das Glaubenszeugnis, auf das ich schon hingewiesen habe: der christliche Glaube, der aus den Steinen von Compostela aufzusteigen scheint, aus denen die Basilika des Heiligen erbaut wurde. Dieser christliche und katholische Glaube, der die Identität des spanischen Volkes bedeutet. Zum Ende meines pastoralen Besuches in Spanien fordere ich euch hier am Heiligtum des Apostels Jakobus auf, gewissenhaft über euren Glauben nachzudenken, um ihn erneut mit den apostolischen Ursprüngen eurer christlichen Tadition zu verbinden. Die Kirche Christi, die von ihm ausgegangen ist, wächst und reift durch den von den Aposteln und ihren Nachfolgern übermittelten Glauben zu Christus hin. Und ausgehend von diesem Glauben, muß man die neuen Situationen, Probleme und Zielsetzungen von heute angehen. 5. Der Glaube ist ein Schatz, „den wir in zerbrechlichen Gefäßen tragen; so wird deutlich, daß das Übermaß der Kraft von Gott nicht von uns kommt“ (2 Kor 4, 7). Der Glaube der Kirche hat seinen Ursprung und seinen Urgrund in der Botschaft Jesu, die die Apostel in die ganze Welt getragen haben. Durch den Glauben, der sich als Verkündigung, Zeugnis und Lehre manifestiert, wird ohne geschichtliche Unterbrechung die Offenbarung Gottes in Jesus Christus an die Menschen übermittelt. Über die Predigt des Evangeliums begannen die Apostel mit allen Völkern einen immerwährenden Dialog, der hier beim Zeugnis des Apostels Jakobus und seines Martyriums mit besonderem Nachdruck aufzuklingen scheint. Von diesem fortwährenden Dialog spricht der Brief an die Korinther in dem Abschnitt, den wir heute im Wortgottesdienst gelesen haben. Paulus sagt, und er scheint es hier in Santiago zu sagen: „Immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird. Denn immer werden wir, obgleich wir leben, um Jesu willen dem Tod ausgeliefert, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleisch offenbar wird“ (2 Kor 4, 10-11). Die Pilger scheinen zu antworten: „Ich habe geglaubt, darum habe ich geredet . . . denn wir wissen, daß der, welcher Jesus, den Herrn, aufgeweckt hat, auch uns mit Jesus auferwecken und uns zusammen mit euch 806 Reisen vor sein Angesicht stellen wird. . . damit immer mehr Menschen aufgrund der überreich gewordenen Gnade den Dank vervielfachen, Gott zur Ehre“ (2 Kor 4, 13-15). So dauert in Compostela das apostolische Zeugnis an und verwirklicht sich im Dialog der Generationen, durch den der Glaube wächst, der echte Glaube der Kirche, der Glaube an Jesus Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, der gestorben und auferstanden ist, um uns die Erlösung zu schenken. Er, der voll des Erbarmens ist, ist der Retter der Menschen. Ein Glaube, der sich dem Evangelium gemäß in einen Lebensstü umsetzt, d. h. einen Lebensstil, der die Seligpreisungen widerspiegelt, die sich in der Liebe als dem Schlüssel der menschlichen Existenz offenbaren, und der die Werte der Person erhöht, um sie bei der Lösung der menschlichen Probleme unserer Zeit einzusetzen. 6. So ist der Glaube der Püger, die aus ganz Spanien und über die Grenzen hinaus kamen und weiterhin kommen. Der Glaube der vergangenen Generationen, die gestern nach Compostela kamen, und der jetzigen Generation, die auch heute weiterhin kommt. Mit diesem Glauben erbaut man die eine, heilige, kathoüsche und apostolische Kirche. Deshalb wird in uns beim Apostel Jakobus die Kirche des lebendigen Gottes erbaut. Diese Kirche bekennt ihren Glauben an Gott, verkündet Gott, verehrt Gott. So verkünden wir es im Antwortpsalm der Liturgie, die wir feiern: „Meine spanische Pilgerfahrt endet hier“ „Gott sei uns gnädig und segne uns! Er lasse über uns sein Angesicht leuchten, damit auf Erden sein Weg erkannt wird und unter allen Völkern sein Heü. Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle“ (Ps 67, 2-4). Meine Pügerfahrt in die spanischen Lande endet hier in Santiago de Compostela. Ich habe bei meiner Fahrt durch euer Land den gekreuzigten und auferstandenen Christus gepredigt, sein Evangeüum verkündet und als Zeuge der Hoffnung gewirkt; ich habe überall hochherzige Aufnahme, begeisterten Widerhall, echte Zuneigung, wahre Gastfreundschaft, schöpferische Fähigkeiten und Bestrebungen zu christlicher Erneuerung angetroffen. Dafür möchte ich jetzt mit den Worten des Psalmisten Ehre und Ruhm des lebendigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, verkünden und feiern. 807 Reisen Der „größeren Ehre Gottes“ - ad maiorem Dei gloriam - soll dieser Dienst des Bischofs von Rom, des Pilgers gelten. Mit diesem Geist habe ich ihn begonnen, und ich bitte euch, ihn so aufzunehmen. An dieser Stätte von Compostela, diesem Ziel, zu dem jahrhundertelang so viele Menschen und Völker gepilgert sind, möchte ich gemeinsam mit euch, Brüder und Schwestern des katholischen Spaniens, alle Nationen Europas und der Welt - alle Völker und Menschen des Erdkreises - zur Ehre und zum Lob des lebendigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, auffordern. „Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle“ (Ps 67, 6). Amen. Der christliche Glaube als Leuchtfeuer Ansprache an die Seeleute in Santiago de Compostela am 9. November Liebe Brüder und Schwestern! 1. Meine ersten Worte sollen ein Gruß im Herrn sein. Ich möchte euch gleich sagen, daß ich mich unter euch sehr wohl fühle; ich empfinde eine innere Zufriedenheit und eine berechtigte Freude, weil ich weiß, daß ihr euch gewünscht habt, den Papst zu sehen, ihn zu hören und bei ihm zu sein. Möge dieses gemeinsame Gefühl, das wir jetzt empfinden, sich heute und immer wie ein unaufhörlicher Lobgesang zum Ruhm Gottes, des Vaters erheben: dazu lädt uns dieser Ort unseres Zusammentreffens durch seine besondere Atmosphäre ein, nämlich die großartige Plaza del Obradoiro und die Basilika von Compostela. 2. „Seht doch, wie gut und schön es ist, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen“ (Ps 133, 1). Nicht nur als Pilger auf der Suche nach „Vergebung“ sind wir einträchtig, sondern auch deshalb, weil ihr - die ihr aus verschiedenen Teilen Spaniens wie Galicien, Asturien, Kantabrien kommt - euch als Teil einer großen Familie fühlt. Wenn ich Familie sage, dann denke ich an eine bestimmte Klasse von Menschen, nämlich die 808 Reisen Leute vom Meer, an euch, weil die innigen Beziehungen brüderlicher Solidarität verbinden, die kennzeichnend für euch sind, weü ihr das weite Meer zur Grundlage eurer Existenz gemacht habt. Diese Brüderlichkeit stellt ihr direkt unter Beweis bei eurem ständigen Kampf mit dem Meer, das ihr als gemeinsamen Besitz durchquert und dabei Proben eures Mutes und eures Könnens ablegt. Immer mit der Seele bereit, „zur Hand“ zu sein, teilt ihr miteinander die Stunden des Widerstands gegen die Erschöpfung und die endlosen Momente der Gefahr und des Kampfes, wenn Wind und Meer gegen euch sind. Neben anderem sind es vor allem diese Ereignisse, die in euch das Heimweh nach dem Zuhause wecken; es sind aber zugleich auch einzigartige Momente, die die Tiefe der Seele aufrühren und zur Erfahrung der zwingenden und unbesiegbaren Kraft des Glaubens und des Vertrauens in Gott, der seine Kinder Hebt und beschützt, führen. 3. Diese kurzen Betrachtungen über eure Situation als Seeleute rufen spontan viele Szenen des EvangeHums am Tiberias-See in mein Gedächtnis, die uns allen bekannt sind. Mit Recht könnt ihr sagen, daß in diesen Texten schon von euch die Rede ist und daß die ersten Freunde Jesu, die er bevorzugt hat, eurer FamiHe angehört haben. Unter diesen war der hl. Petrus, der nach dem göttlichen Plan sein Nachfolger wurde; zu dieser ersten Gruppe gehörte auch euer geüebter Spanienapostel Jakobus; es waren dann noch mehr, die wie dieser von Beruf Fischer waren. Das Zusammenleben und die tiefe Freundschaft mit dem Meister, dem sie nach Anhören seiner Worte zuerst in die nähere Umgebung und dann durch Galiläa und Judäa folgten, über die Höhen, durch die Felder und Dörfer, hat ihnen nach und nach neue und unerwartete Horizonte erschlossen; in den Worten und bei den vor ihnen geschehenen Wundern offenbarte sich ihnen der Wille Gottes, die ganze Menschheit durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes zu retten. Von diesem Moment an war die erste Gruppe von Fischern (die schHeß-Hch zur Gruppe der zwölf Erwählten anwuchs) dazu bestimmt, das Werk Jesu im endlos großen Meer der Welt fortzusetzen. Getrieben vom Wind des Geistes, erhielten sie den Auftrag, aHen Menschen ihre Erfahrung mitzuteilen - von den Tagen von Tiberias an bis zum erneuernden Pfingstereignis - mit dem einzigen Ziel, das Schiff der Kirche mit Menschen zu füllen. 4. So trat das neue Schiff Petri seine Fahrt an. Als Nachfolger in der Mission habt ihr unter euch den Nachfolger jenes Fischers von Galiläa. Er 809 Reisen ist gekommen, euren Glauben und euer Vertrauen in Gott zu stärken, der vom Tag der Taufe an euch mit ihm verbunden hat. Es ist mir nicht unbekannt, daß bei eurer schweren Aufgabe sich manchmal Mutlosigkeit ausbreiten kann oder ein sich verdichtender Nebel den Glauben verdeckt. Aber gerade dann müßt ihr zu beten wissen und euch daran erinnern, daß der Herr uns nicht verläßt, daß ihr von Jesus gerufen worden seid, um bei ihm in seinem Schiff zu sein, wo er für euch wacht, auch wenn für menschliche Augen der Eindruck entstehen mag, er schlafe: „Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen?“ (Mt 8, 26). Der bedingungslose und in der nahen Gegenwart des Herrn furchtlose Glaube muß der Kompaß sein, der euer Leben bei der Arbeit und in der Familie zu Gott hin orientiert, von wo das Licht und die Seligkeit kommen. Unsere heutige Welt wie auch ihr braucht den Glauben als Leuchtfeuer. Gott zu vergessen, wie materialistische Auffassungen verlangen, heißt, in die Einsamkeit und in die Finsternis zu fallen, ohne Kurs und ohne Führer zu bleiben. Ihr wißt, wie man sich Christus nähert, wie man bei ihm ist, weil ihr Jünger seiner Person und seiner Botschaft seid; diese eure Erfahrung muß nützlich sein für eure Familien und alle, die bei euren Fahrten auf dem Meer um euch sind, auch für diejenigen, die vielleicht noch nie die Botschaft des Evangeliums gehört haben. 5. Meine Anwesenheit hier soll vor allen Dingen ein lebendiges und überzeugendes Beispiel für die Sorge der Kirche um die Seeleute sein. Alles was ich in meinem Lehramt, insbesondere in der Enzyklika Läbo-rem exercens gesagt habe, betrifft die Würde der menschlichen Arbeit, ihren Vorrang vor den Dingen, die sie produziert, und steht in Beziehung zu euren Problemen im Berufs- und Arbeitsleben. „Es steht außer Zweifel, daß die menschliche Arbeit ihren ethischen Wert hat, der unmittelbar und direkt mit der Tatsache verbunden ist, daß der, welcher sie ausführt, Person ist, ein mit Bewußtsein und Freiheit ausgestattetes Subjekt, das über sich entscheidet ... So wahr es auch ist, daß der Mensch zur Arbeit bestimmt und berufen ist, so ist doch in erster Linie die Arbeit für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit“ (Laborem exercens, Nr. 6). Ich übersehe nicht die Schwierigkeiten bei der Entwicklung eurer Persönlichkeit im menschlichen Bereich und dem Erlebnis eures christlichen Glaubens: der lange Aufenthalt auf dem Meer, die Isolierung, die Hindernisse bei der Durchsetzung eurer Rechte im Berufs- und Arbeitsleben, die 810 Reisen Gefahren des von euch ausgeübten Fischfangs, der Zusammenprall mit anderen Kulturbereichen. Es ist erforderlich, daß diese Bedingungen eures Berufes von euch erwogen werden, weil sie Lebens- und Arbeitsbedingungen in eurem Sektor beeinflussen und damit die menschliche Person eine höhere Bewertung erfährt. Dies bedeutet Erleichterungen für eure kulturelle und berufliche Förderung, bessere Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord, höhere Garantien für Sicherheit und Hygiene auf den Schiffen, gerechtere Lohnverteilung; angemessene Ferien, die den Kontakt mit der Familie, der Gesellschaft und der Kirchengemeinde erleichtern sollen, bessere Möglichkeiten für die Ausübung eurer Arbeits- und Bürgerrechte. 6. Meine Gedanken gehen jetzt zu den Familienangehörigen, die erleben, wie einer von ihnen - der Ehemann, die älteren Söhne - manchmal für lange Zeit den häuslichen Herd verlassen muß. Daß die Mutter immer eine unersetzliche Figur ist, zeigt sich in besonderem Maß hier, wo sie ihre große Würde und ihren hohen sozialen Wert unter Beweis stellt. Das Herz der Mutter ist immer das Herz des häuslichen Herdes. In Situationen, wie ich sie gerade aufzeige, ist sie gewissermaßen das Zuhause selbst. Dank der Mutter, die zugleich Mutter- und Vaterstelle vertritt, bleibt die Kontinuität des häuslichen Herdes erhalten, wird die Erziehung der Kinder garantiert, ist für die gesamte Familie das Warten auf die Rückkehr des Vaters erträglicher. Frauen, die ihr mir zuhört und die ihr euch in einer solchen von mir aufgezeigten Lage befindet, seid stolz auf eure Mutterschaft. Bleibt eurer Aufgabe treu. Sucht in Gott die Kraft für die große Aufgabe, die euch gestellt ist. Und wenn der Ehemann zurückkehrt oder wenn ihr erneut mit ihm zusammen seid, dann kehrt die Herzensliebe hervor. Überwindet die nie fehlenden Schwierigkeiten, und habt als einziges Ziel den Dienst an Gott und den anderen. Und ihr Kinder, insbesondere, wenn ihr die älteren seid, helft euren Müttern bei dieser Aufgabe mit kindlicher Liebe, mit Familiensinn, mit christlichem Geist. 7. Offen für die Sorge der Leute zur See hat die Kirche als eines ihrer fortschrittlichsten Einrichtungen das Apostolat des Meeres geschaffen. Bereits seit langer Zeit hat die spanische Kirche sich um ihren geistlichen Beistand gekümmert. Diese schöne Initiative wird heute noch durch das Werk vieler spanischer Priester weitergeführt, die ihr Amt von den kalten Meeren des Nordens bis zu den Gewässern Südafrikas versehen. 811 Reisen An sie alle geht der Dank der Kirche, die Liebe des Papstes, für ihren unschätzbaren Dienst und für den Mut bei der großzügigen Weiterfüh-rung. 8. Wir sind am Ende meiner Ausführungen angelangt, die ich gerne noch fortsetzen würde. Es gibt noch viele Dinge, über die wir jetzt nicht sprechen konnten, die euch aber am Herzen liegen. Wir denken noch einmal an eure Familienangehörigen, die nicht bei uns sein können. Wir denken an die vielen anderen Personen, die - auch wenn sie nicht zur See fahren - vom Meer und für das Meer leben. Alle sind heute hier, und alle möchte ich zum Herrn lenken. Um zum Herrn zu gelangen, möchte ich den schönsten aller Wege einschlagen, indem ich mich einer günstigen Brise anvertraue, die das Boot vorantreibt. Ich beziehe mich auf die Liebe der seligsten Jungfrau Maria, der Mutter Gottes. Möge die Jungfrau, die „Virgen del Carmen“, deren Bilder an den für eure schöne Landschaft so typischen Flußmündungen grüßen, immer bei euch sein. Sie soll euer Leitstern sein, der nie von eurem Horizont verschwindet; der euch zu Gott führt, in den sicheren Hafen. Alle lieben Menschen von Galicien, die ihr das große Glück habt, in diesem eurem Land den kostbaren Schatz zu bewahren, der die Erinnerung an den hl. Apostel Jakobus birgt: Möge dieser immer euer Wegweiser im festen und innigen Glauben an Christus und in eurem beispielhaft christlichen Leben sein. „Altes Europa, finde wieder zu dir selbst“ Ansprache bei der Europa-Feier in Santiago de Compostela am 9. November Majestät, Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren, Brüder und Schwestern! <25> <25> Zum Abschluß meiner Pilgerfahrt in die Lande Spaniens bin ich in dieser herrlichen Kathedrale, die so eng mit dem Apostel Jakobus und dem Glauben in Spanien verbunden ist. Erlauben Sie mir, daß ich zuerst 812 Reisen Seiner Majestät dem König herzlich für die treffenden Worte danke, die er zu Beginn dieser Feier an mich gerichtet hat. Dieser Ort, der den Galiziern und allen Spaniern so teuer ist, war in der Vergangenheit ein Anziehungspunkt und Ort der Begegnung für Europa und die gesamte Christenheit. Deshalb wollte ich gerade hier die geschätzten Vertreter der europäischen Organismen, der Bischöfe und der Organisationen des Kontinents treffen. An alle richte ich meinen ehrerbietigen und herzlichen Gruß, und mit Ihnen möchte ich heute nachmittag über Europa sprechen. In diesem Moment habe ich den europäischen Kontinent vor Augen, die ausgedehnten Straßenverbindungen, die die Städte und Nationen, die ihn bilden, miteinander verknüpfen, und dabei sehe ich jene Wege, die schon im Mittelalter nach Santiago de Compostela führten und - wie das Heilige Jahr beweist, das man hier in diesem Jahr feiert - noch immer unzählige Scharen von Pilgern zur Verehrung des Apostels führen. Seit dem 11. und 12. Jahrhundert pilgerten, nachdem die Mönche von Cluny den Anstoß gegeben hatten, die Gläubigen aus allen Teilen Europas in zunehmendem Maß zum Grab von Santiago, wobei sie den berühmten „Jakobsweg“, auf dem die Spanier schon gepilgert waren, bis zu dem damals als „Finis terrae“ bezeichneten Gebiet ausdehnten. Beispielhafte Befolger der Nächstenhebe, wie der hl. Domingo de la Calzada und der hl. Juan Ortega, aber auch Örtlichkeiten wie das Heiligtum der „Virgen del Camino“ haben den Pilgern Schutz und Hilfe geboten. Hierher kamen Christen aller sozialer Schichten, vom König bis zum ärmsten Dorfbewohner aus Frankreich, Itaüen, Mitteleuropa, den nordischen und den slawischen Ländern mit sehr unterschiedlichem geistigen Niveau, von Heiligen - wie Franz von Assisi und Brigitte von Schweden (um nicht die vielen spanischen zu nennen) - bis hin zum Vergebung suchenden öffentlichen Sünder. An der „Memoria“ des hl. Jakobus ist Europa sich selbst begegnet, und zwar genau in den Jahrhunderten, in denen es zum homogenen und geistig geeinten Kontinent wurde. So hat Goethe festgestellt, daß das Bewußtsein Europas aus den Wallfahrten gewachsen ist. 2. Die Pügerfahrt nach Santiago war eines der wichtigen Elemente zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses so unterschiedlicher Völker wie Lateiner, Germanen, Kelten, Angelsachsen und Slawen. Sie brachte die Menschen einander näher, verband und einigte sie; jene Menschen, die, Jahrhundert um Jahrhundert, überzeugt von der Predigt der Zeugen 813 Reisen Christi, sich zum Evangeüum bekannten und dabei gleichzeitig — das darf man sagen - als Völker und Nationen erstanden. Die Geschichte der Erstehung der europäischen Nationen verläuft parallel zu ihrer Evangelisierung Europas bis hin zu dem Punkt, an dem schließlich die europäischen Grenzen sich mit dem Verbreitungsgebiet des Evangeliums deckten. Trotz blutiger Konflikte zwischen den Völkern Europas und trotz der geistigen Krisen, die das Leben des Kontinents erschüttert haben - bis zu den ersten Fragen, die sich dem Gewissen unserer Zeit über seine Zukunft stellen-, muß man nach zwei Jahrtausenden seiner Geschichte zugeben, daß die europäische Identität ohne das Christentum nicht verständlich ist, daß gerade in ihm sich jene gemeinsamen Wurzeln finden, aus denen die Zivihsation des Kontinents erwachsen ist, seine Kultur, seine Dynamik, seine Unternehmungslust, seine Fähigkeit zur konstruktiven Ausbreitung auch in andere Kontinente, kurz alles, was seinen Ruhm ausmacht. Auch in unserer Zeit bleibt die Seele Europas geeint, weil es über seinen gemeinsamen Ursprung hinaus von den gleichen christlichen und humanen Werten lebt, wie beispielsweise der Würde der menschlichen Person, dem echten Gefühl für Gerechtigkeit und Freiheit, der Arbeitsamkeit, dem Unternehmungsgeist, der Liebe zur Familie, der Achtung vor dem Leben, der Toleranz, dem Wunsch zur Zusammenarbeit und zum Frieden, die seine charakteristischen Merkmale sind und es kennzeichnen. 3. Ich richte meinen Blick auf Europa als den Kontinent, der so viel zur Entwicklung der Welt sowohl im Bereich der Ideen als auch im Bereich der Arbeit, der Wissenschaft und der Künste beigetragen hat. Ich danke Gott dafür, daß er mit dem Licht seines Evangeliums Europa seit Beginn der Apostelpredigt erleuchtet hat, aber ich kann nicht über das Stadium der Krise schweigen, das an der Schwelle zum dritten Jahrtausend der christlichen Ära sich abzeichnet. Ich spreche zu den Vertretern von Organisationen, die für die Zusammenarbeit in Europa gebildet wurden, und zu den Brüdern im Episkopat der verschiedenen Ortskirchen. Die Krise berührt gleichermaßen das zivile wie das christliche Leben. Auf ziviler Ebene ist Europa geteilt. Die unnatürlichen Fragmente erlauben den Völkern nicht mehr, sich in einem Klima der Freundschaft zu begegnen und freiwillig ihre Kräfte und Fähigkeiten im Dienst eines friedlichen Zusammenlebens und eines solidarischen Beitrags zu den Problemen anderer Kontinente zu verbinden. Das Zivilleben ist auch durch die Auswirkung der säkularistischen Ideologien gekennzeichnet, die von der Leugnung Gottes und der Beschränkung 814 Reisen der Religionsfreiheit bis zur Überbewertung des wirtschaftlichen Erfolgs gegenüber den menschlichen Werten der Arbeit und der Produktion reichen; vom Materialismus und Hedonismus, die die Werte der fruchtbaren und geeinten Familie, des eben empfangenen Lebens und den moralischen Schutz der Jugend in Frage stellen, bis zu einem „Nihilismus“, der den Willen zur Auseinandersetzung mit entscheidenden Problemen, wie etwa den neuen Armen, den Emigranten, den ethnischen und religiösen Minderheiten, den rechten Gebrauch der Medien, lähmt, während er dem Terrorismus Waffen in die Hand liefert. Auch auf religiöser Ebene ist Europa geteüt. Nicht so sehr oder hauptsächlich wegen der Spaltungen, die im Lauf der Jahrhunderte entstanden sind, sondern vielmehr wegen der Abkehr von Getauften und Gläubigen von den tiefen Gründen ihres Glaubens und der lehrhaften und moralischen Kraft der christlichen Lebensanschauung, die den Personen und Gemeinschaften Gleichgewicht garantiert. 4. Ich, Johannes Paul, Sohn der polnischen Nation, die sich immer auf Grund ihres Ursprungs, ihrer Tradition, ihrer Kultur und ihrer lebenswichtigen Beziehungen als europäisch betrachtet hat, als slawisch unter den Lateinern und als lateinisch unter den Slawen, ich, Nachfolger Petri auf dem Stuhl von Rom, einem Stuhl, den Christus in Europa errichten wollte und den er liebt wegen seiner Bemühung um die Verbreitung des Christentums in der ganzen Welt, ich, Bischof von Rom und Hirt der Universalkirche, rufe dir, altes Europa, von Santiago aus voller Liebe zu: Finde wieder zu dir selbst! Sei wieder du selbst! Besinne dich auf deinen Ursprung! Belebe deine Wurzeln wieder! Beginne wieder jene echten Werte zu leben, die deine Geschichte ruhmreich gemacht haben, und mach deine Gegenwart in den anderen Kontinenten segensreich! Bau deine geistige Einheit wieder auf in einer Atmosphäre voller Achtung gegenüber den anderen Religionen und den echten Freiheiten! Gib Cäsar, was des Cäsars ist, und Gott, was Gottes ist! Im Stolz auf deine Errungenschaften vergiß nicht die möglichen negativen Konsequenzen! Betrübe dich nicht über den quantitativen Verlust deiner Größe in der Welt oder wegen der dich jetzt durchziehenden sozialen und kulturellen Krisen. Noch immer kannst du Leuchtturm der Zivilisation und Anreiz zum Fortschritt für die Welt sein. Die anderen Kontinente bücken zu dir hin und erhoffen von dir die Antwort des Jakobus zu hören, die er Christus gab: „Ich kann es.“ 5. Wenn Europa eins ist und es bei entsprechender Berücksichtigung aUer seiner Unterschiede, einschüeßüch der verschiedenen politischen 815 Reisen Systeme, auch sein kann; wenn Europa wieder im sozialen Leben mit der Kraft denkt, die in einigen Grundsatzerklärungen wie denen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der europäischen Deklaration der Menschenrechte, der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zum Ausdruck kommt; wenn Europa wieder in einem mehr von der Religion bestimmten Leben mit der gebührenden Achtung und Ehrfurcht vor Gott, in dem jedes Recht und jede Gerechtigkeit gründet, handelt; wenn Europa wieder seine Tore Christus öffnet und keine Angst hat, die Grenzen der Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme, die weiten Bereiche der Kultur, der Zivilisation und des Fortschritts seiner rettenden Macht zu öffnen (vgl. Predigt vom 22. Oktober 1978), dann wird seine Zukunft nicht von Unsicherheit und Furcht beherrscht sein, sondern sich einer neuen Epoche des Lebens, des inneren und des äußeren, öffnen zum Segen der ganzen Welt und entscheidend für sie, die ständig von den Wolken des Krieges und einem möglichen Orkan atomarer Massenvernichtung bedroht ist. 6. Mir kommen jetzt die Namen großer Persönlichkeiten, Männer und Frauen, in den Sinn, die mit ihrer Begabung, ihrer Fähigkeit und Tugend diesem Kontinent Glanz und Ruhm verliehen haben. Die Liste der Denker, Wissenschaftler, Künstler, Entdecker, Erfinder, Staatsmänner, Apostel und Heiligen ist so groß, daß sie keine Beispiele zu nennen erlaubt. Sie bilden ein stimulierendes Erbe an Vorbild und Zuversicht. Noch immer besitzt Europa eine unvergleichliche Reserve an menschlichen Kräften, die es bei der historischen Aufgabe der kontinentalen Wiedergeburt und des Dienstes an der Menschheit unterstützen können. Es ist mir daran gelegen, an dieser Stelle einfach auf die geistige Kraft einer Theresia von Jesus hinzuweisen, deren Gedenken ich bei dieser Reise besonders ehren wollte, sowie auf die Hochherzigkeit eines Maximilian Kolbe, den Märtyrer der Nächstenliebe im Konzentrationslager Auschwitz, den ich unlängst heiliggesprochen habe. Aber einen besonderen Gedanken möchte ich dem hl. Benedikt von Norcia und den hll. Kyrill und Method, den Patronen Europas, widmen. Von Beginn meines Pontifikats an habe ich nie unterlassen, meine Sorge für das Leben Europas zu unterstreichen und aufzuzeigen, welche Lehren dem Geist und Handeln des „Patriarchen des Abendlandes“ und der „beiden griechischen Brüder“, der Apostel der slawischen Völker, entstammen. Benedikt wußte die Romanitas und das Evangelium, d. h. den Sinn für Universalität und Recht und für den Wert Gottes und der menschlichen 816 Reisen Person, miteinander zu verbinden. Mit seinem berühmten Motto „ora et laborä“ - bete und arbeite - hat er uns eine auch heute gültige Regel für das Gleichgewicht der Person und der Gesellschaft hinterlassen, die vom Übergewicht des „Habens“ vor dem „Sein“ bedroht sind. Die hll. Kyrill und Method haben einige Errungenschaften vorweggenommen, die sich die Kirche beim Zweiten Vatikanischen Konzil vollständig zu eigen gemacht hat: die Einpflanzung der evangelischen Botschaft in die einzelnen Zivilisationen durch Übernahme der Sprache, der Gebräuche und Stammeseigenheiten in der Fülle ihres Wertes. Sie haben dies im 9. Jahrhundert mit Zustimmung und Unterstützung des Hl. Stuhls verwirklicht und so das Christentum zu den slawischen Völkern gebracht, das sich dort auch heute, jenseits der jetzigen, zufälligen Umstände nicht unterdrücken läßt. Den drei Patronen Europas habe ich Pilgerreisen, Reden, päpstliche Dokumente und öffentliche Verehrung gewidmet und dabei ihren Schutz für den Kontinent erbeten, gleichzeitig aber immer den neuen Generationen ihre Gedanken und ihr Beispiel aufgezeigt. Die Kirche ist sich darüber hinaus ihrer Rolle bei der geistigen und menschlichen Erneuerung Europas bewußt. Ohne auf gewissen Positionen der Vergangenheit zu beharren, die die heutige Zeit als völlig überholt ansieht, ist sie als Hl. Stuhl und als katholische Gemeinschaft bereit, zur Durchsetzung jener Ziele beizutragen, die zu echtem materiellem, kulturellem und geistigem Wohlstand führen. Deshalb ist sie auch auf diplomatischer Ebene durch ihre Beobachter bei den verschiedenen gemeinschaftlichen, nichtpolitischen Organisationen vertreten; aus gleichem Grund unterhält sie diplomatische Beziehungen zu den einzelnen Staaten, die sie soweit wie möglich ausdehnt; aus dem gleichen Grund hat sie sich als Mitglied an der Konferenz von Helsinki und an der Unterzeichnung ihrer wichtigen Schlußakte beteiligt wie auch an den Konferenzen von Belgrad und Madrid. Letztere hat heute wieder ihre Arbeit aufgenommen, und ihr entbiete ich meine besten Wünsche zu einem Zeitpunkt, der für Europa nicht leicht ist. Vor allem aber ist das kirchliche Leben aufgerufen, sein Zeugnis des Dienens und der Liebe weiterzuführen, um zur Überwindung der gegenwärtigen Krisen des Kontinents beizutragen, wie ich vor kurzem beim Symposion der Europäischen Bischofskonferenzen wiederholen konnte (vgl. Ansprache vom 5. Oktober 1982). 7. Gottes Hilfe ist mit uns. Das Gebet aller Gläubigen begleitet uns. Der gute Wille vieler unbekannter Menschen, Schöpfer des Friedens und des 817 Reisen Fortschritts, lebt unter uns als Garantie dafür, daß diese an alle Völker Europas gerichtete Botschaft auf fruchtbaren Boden fällt. Jesus Christus, der Herr der Geschichte, hält die Zukunft den hochherzigen und freien Entscheidungen all derjenigen offen, die die Gnade guter Eingebungen annehmen und sich entschlossen und tatkräftig für Gerechtigkeit und Liebe im Zeichen der vollen Achtung der Wahrheit und der Freiheit einsetzen. Diese Gedanken vertraue ich der seligsten Jungfrau an, damit sie sie segne und fruchtbar mache; ich erinnere an die Verehrung der Mutter Gottes in den vielen Heiligtümern Europas, von Fatima bis Ostra Brama, von Lourdes und Loreto bis Tschenstochau, und bitte sie, die Gebete so vieler Herzen zu erhören, damit das Gute in Europa weiter eine erfreuliche Wirklichkeit bleibt und Christus unseren Kontinent immer in Gott verankert hält. Vom Glauben her die Zukunft bauen! Ansprache vor dem Abflug von Santiago de Compostela am 9. November Majestäten, Brüder im Bischofsamt, Spanier und Spanierinnen! 1. Es ist der Augenblick gekommen, mich am Ende meiner apostolischen Reise zu eurer Nation von euch zu verabschieden. Ich danke Gott für diese intensiven Tage, die mir die Verwirklichung der vorgesehenen Zielsetzungen, nämlich den Glauben zu verkündigen und Hoffnung zu säen, ermöglicht haben. An jedem der von mir besuchten Orte habe ich voll Freude eine große Lebendigkeit des christlichen Glaubens angetroffen, verbunden mit eindeutigen Beweisen der Liebe zur Kirche und Zuneigung zum Nachfolger Petri. 2. So viele Szenen und Augenblicke dieser Reise haben sich mir tief eingeprägt und werden unauslöschliche Erinnerungen an meinen Aufenthalt bei euch bleiben. Ich bin sicher, daß in meiner Seele immer wieder die Erinnerung an diese Tage auftauchen wird, und dann wird das Gebet meine dankbare Erinnerung aufnehmen und bewahren. 818 Reisen Erwähnen muß ich von den vielen denkwürdigen Augenblicken die Begegnung mit den spanischen Bischöfen, die die Herde Christi hüten; mein Gebet an den Gräbern der weltweiten Heiligen Theresia von Jesus und Johannes vom Kreuz; die Begegnungen mit den Höheren Ordensobern, mit der Welt der Arbeit und der Jugend; den Gottesdienst mit der Weihe neuer Priester; die erste Seligsprechung auf spanischem Boden; den marianischen Weiheakt und den Rosenkranz bei der gemeinsamen Mutter. Welche Fülle tiefer Erlebnisse kommt mir ins Gedächtnis, wenn ich an meinen Aufenthalt in Madrid, Avila, Alba de Tormes, Salamanca, Guadalupe, Toledo, Segovia, Sevilla, Granada, Loyola, Javier, Saragossa, Montserrat, Barcelona, Valencia und auf der letzten Etappe hier in der Stadt des Apostels Jakobus denke! Es sind Namen, die in die tiefsten Fasern meines Seins eingedrungen und zum Bild eines geliebten Namens geworden sind: Spanien. 3. Mit meiner Reise wollte ich in euch die Erinnerung an eure christliche Vergangenheit und die großen Augenblicke eurer religiösen Geschichte wachrufen. Dieser Geschichte, für die — trotz unvermeidlicher menschlicher Unvollkommenheiten - die Kirche euch einen Dankesbeweis schuldet. Ohne daß dies eine Aufforderung an euch wäre, sich der Nostalgie hinzugeben oder den Blick allein der Vergangenheit zuzuwenden, war es mein Wunsch, eure christliche Vitalität zu stärken. Damit ihr vom Glauben her eure Zukunft erleuchten und auf einem christlichen Humanismus die Grundlagen für euer gegenwärtiges Zusammenleben errichten könnt. Denn wenn ihr eure Vergangenheit hebt und sie läutert, werdet ihr euch selbst treu sein und fähig, euch wirklich der Zukunft zu öffnen. 4. Ehe ich eurer Land verlasse, möchte ich an Seine Majestät den König meinen Dank wiederholen für seine Einladung zum Besuch Spaniens, die sich der Einladung der Bischöfe anschloß, und dafür, daß er mit der Königin gekommen ist, um mich zu verabschieden. Mein Dank gilt auch der Regierung und allen Behörden der Nation für ihren Aufwand an Mühe, um ein gutes Gelingen des Besuches zu gewährleisten. Und ebenso ergeht mein aufrichtiger Dank an alle Personen, die mir vor und während meiner Reise ungenannterweise einen wertvollen Dienst erwiesen haben. Liebe Spanier und Spanierinnen! Ich habe tausende Male in allen von mir besuchten Städten das Plakat dessen gesehen, den ihr als „Zeugen der Hoffnung“ erwartet habt. Die offenen Arme des Papstes wollen weiterhin ein Aufruf zur Hoffnung 819 Reisen sein, eine Einladung, nach oben zu blicken, eine flehentliche Bitte um Frieden und brüderliches Zusammenleben unter euch. Es sind die Arme dessen, der euch segnet und den göttlichen Schutz auf euch herabruft und euch in einem von Liebe erfüllten Gruß zuruft: Hasta Espana! Hasta tierra Maria! Lebewohl, Spanien, auf bald! Lebewohl, Land Mariens! 820 III. Ansprachen, Predigten, Botschaften und Rundschreiben Botschaften und Ansprachen „Der Frieden, Gottes Geschenk, den Menschen anvertraut“ Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 1982 An euch Jugendliche, die ihr morgen die großen Entscheidungen dieser Welt treffen werdet, an euch Männer und Frauen, die ihr heute Verantwortung für das Leben der Gesellschaft habt, an die Familien und Erzieher, an die einzelnen und die Gemeinschaften, an die Staatsoberhäupter und Regierungen, an euch alle richte ich diese Botschaft am Beginn des Jahres 1982. Ich lade euch ein, zusammen mit mir über das Thema dieses neuen Weltfriedenstages nachzudenken: „Frieden, Gottes Geschenk, den Menschen anvertraut.“ 1. Diese Wahrheit stellt sich uns immer dann vor Augen, wenn wir unseren persönlichen Einsatz bestimmen und Entscheidungen hierzu treffen wollen. Diese Wahrheit spricht die ganze Menschheit an, alle Männer und Frauen, die sich füreinander und alle gemeinsam für die Welt verantwortlich wissen. Schon am Ende des ersten Weltkrieges hat mein Vorgänger Papst Benedikt XV. diesem Thema eine Enzyklika gewidmet. Erfreut über die Einstellung der Kämpfe, hielt er es jedoch für unbedingt notwendig, Haß und Feindschaft in einer von gegenseitiger Liebe beseelten Versöhnung zu überwinden. Darum begann er seine Enzyklika mit folgenden Worten: „Frieden, dieses herrliche Gottesgeschenk, das, wie Augustinus sagt, ,unter den vergänglichen Gütern dieser Erde das feinste ist, von dem man sprechen, das ersehnteste, das man sich wünschen, das beste, das man finden kann“ {De Civ. Dei, 1, XIX, c. XI)“ (Enzyklika Pacem Deimunus: AAS 12 [1920] 209). Friedensbemühungen in einer zerrissenen Welt 2. Seitdem mußten meine Vorgänger diese Wahrheit oft in Erinnerung rufen bei ihrem stetigen Bemühen, zum Frieden zu erziehen und zu ermutigen, für einen dauerhaften Frieden^zu arbeiten. Heute ist der Friede in der ganzen Welt eine vorrangige Sorge geworden, und dies nicht nur für jene, die für das Geschick der Völker Verantwortung tragen, sondern vor allem für weite Teile der Bevölkerung und unzählige einzelne 823 Botschaften und Ansprachen Menschen, die es sich hochherzig und unbeirrbar zur Aufgabe stellen, eine Friedensmentalität zu schaffen und zwischen den Völkern und Nationen einen wahrhaften Frieden zu errichten. Dies ist gewiß eine ermutigende Tatsache. Aber es läßt sich nicht verbergen, daß trotz der Anstrengungen, die von allen Männern und Frauen guten Willens unternommen werden, weiterhin schwere Bedrohungen über dem Frieden in der Welt Hegen. Darunter finden sich einige in Form von Streitigkeiten im Innern mehrerer Nationen; andere entstammen den tiefreichenden und starken Spannungen zwischen den Nationen und den einander entgegengesetzten Machtblöcken innerhalb der Weltgemeinschaft. Die verschiedenen FrontsteHungen, deren Zeugen wir heute sind, unterscheiden sich gewiß von jenen, die wir aus der Geschichte kennen, durch einige neue Merkmale. Zunächst nimmt man ihren globalen Charakter wahr: Selbst ein örtHch begrenzter Konfükt ist häufig Ausdruck von Spannungen, die anderswo in der Welt ihren Ursprung haben. Ebenso geschieht es oft, daß sich ein Konflikt noch weit entfernt vom Ort seines Ausbruchs tief auswirkt. Weiterhin kann man von einem totalen Charakter sprechen: Die heutigen Spannungen mobihsieren alle Kräfte der Völker; außerdem finden die Suche nach dem eigenen Profit und sogar die feindseUge Gesinnung selbst heute ihren Ausdruck ebenso in der Führung des ökonomischen Lebens oder in der technischen Anwendung der Wissenschaften wie auch im Gebrauch der Massenmedien oder im militärischen Bereich. Der Einsatz bei diesen Konflikten ist das Überleben der gesamten Menschheit wegen der ungeheuren Zerstörungsgewalt der heutigen Waffenarsenale. Während viele Faktoren die Einheit der Menschheitsfamilie fördern könnten, erscheint diese somit als eine zerrissene Welt, in der die Aufspaltungen in Ost und West, in Nord und Süd, in Freund und Feind stärker sind als die einigenden Kräfte. 3. Die Ursachen dieser Situation sind selbstverständhch vielfältig und liegen in unterschiedHchen Bereichen. Die politischen Ursachen sind natüriich leichter zu erkennen. Einzelne Gruppen mißbrauchen ihre Macht, um ganze Völker zu beherrschen. Getrieben vom ungezügelten Verlangen nach Ausdehnung, gelangen bestimmte Nationen dahin, ihren Wohlstand ohne Rücksicht, das heißt auf Kosten des Glücks der anderen, aufzubauen. Ein zügelloser NationaHsmus läßt so Pläne für eine Vorherrschaft entstehen, in deren Rahmen die Beziehungen zu den anderen Nationen als eine unerbittliche Alternative erscheinen: entweder Unterwerfung und Abhängigkeit oder Konkurrenzkampf und FeindseHgkeit. 824 Botschaften und Ansprachen Eine tieferreichende Analyse enthüllt als Ursache dieser Situation die Anwendung gewisser geistiger Konzepte und Ideologien, die den Anspruch erheben, das einzig gültige Fundament der Wahrheit über den Menschen, sein soziales Leben und seine Geschichte zu bieten. Vor dem Dilemma „Krieg oder Frieden“ sieht sich der Mensch also konfrontiert mit sich selbst, seinem Wesen, dem Entwurf seines persönlichen wie gemeinschaftlichen Lebens, dem Umgang mit seiner Freiheit. Sollen die Beziehungen zwischen den Menschen wirklich unerbittlich verlaufen im Zeichen von Unverständnis und gnadenlosem Gegeneinander aufgrund irgendeiner schicksalhaften Gesetzmäßigkeit menschlicher Existenz? Oder haben die Menschen nicht vielmehr die besondere Berufung - im Unterschied zu den Tieren, die sich untereinander nach dem Gesetz des Dschungels bekämpfen - und die grundsätzliche Möglichkeit, mit ihresgleichen in friedlichen Beziehungen zu leben und sich miteinander an der Gestaltung von Kultur, Gesellschaft und Geschichte zu beteiligen? Wenn der Mensch sich die Frage nach dem Frieden stellt, führt ihn dies letztlich zur Frage nach dem Sinn und den Bedingungen seiner eigenen Existenz als einzelner und in Gemeinschaft. 4. Der Frieden ist nicht so sehr ein oberflächlicher Ausgleich unterschiedlicher materieller Interessen, der damit in den Bereich der Qualität, der Sachen, gehört, sondern im Kern seiner Wirklichkeit vielmehr ein Wert aus dem menschlichen Bereich, nämlich des Menschen selbst, und darum von geistiger, sittlicher Art, eine Frucht aus Wahrheit und Tugend. Der Frieden entsteht aus dem Zusammenwirken von Menschen mit freiem Willen, die durch ihren Verstand auf das Gemeinwohl hingelenkt werden, das in Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe erreicht werden soll. Diese geistige, sittliche Ordnung stützt sich gerade auf die Gewissensentscheidung von Menschen, den Einklang ihrer wechselseitigen Beziehungen zu suchen, und dies unter Beachtung der Gerechtigkeit für alle und darum auch der grundlegenden Menschenrechte, die mit jeder Person zutiefst verbunden sind. Es ist nicht ersichtlich, wie eine solche moralische Ordnung von Gott absehen könnte, dem Ursprung des Seins, der grundlegenden Wahrheit und dem höchsten Gut. Schon in diesem Sinne kommt der Frieden von Gott als seinem Fundament: Er ist ein Geschenk Gottes. Indem sich der Mensch die Reichtümer und Güter des Universums kraft seiner geistigen Begabung erarbeitet und aneignet — und gerade ihretwegen sind oft Konflikte und Kriege entstanden -, steht er vor der Tatsache, daß er zuallererst von seiten der Natur und letzten Endes von seiten des Schöpfers beschenkt wird“ (Enzyklika Laborem exercens, 12). Gott ist aber nicht nur derjenige, der den Men- 825 Botschaften und Ansprachen sehen die Schöpfung anvertraut, damit sie diese in solidarischer Weise verwalten und entwickeln, zum besten aller Menschen ohne Diskriminierung; er ist auch derjenige, der dem Gewissen des Menschen jene Gesetze einprägt, welche ihn verpflichten, auf vielfältige Art und Weise das Leben und die ganze Person seines Nächsten zu achten, der ja wie er selbst als Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist, so daß damit Gott alle diese grundlegenden Menschenrechte garantiert. Ja, Gott ist wirklich die Quelle des Friedens: Er ruft zum Frieden auf und garantiert ihn zugleich; er schenkt ihn als Frucht der Gerechtigkeit. Darüber hinaus hilft Gott den Menschen, den Frieden zu verwirklichen oder ihn wiederzugewinnen. Denn der Mensch in seiner begrenzten Existenz, dem Irrtum und dem Bösen unterworfen, geht gleichsam nur tastend und mit vielen Schwierigkeiten auf die Suche nach dem Gut des Friedens. Sein Geist ist von Scheinwahrheiten verdunkelt, von falschen Gütern angezogen, von irrationalen und egoistischen Instinkten in die Irre geleitet. Von daher ergibt sich für ihn die Notwendigkeit, sich dem alles überragenden Licht Gottes zu öffnen, das in sein Leben hereinstrahlt, es vom Irrtum reinigt und von aggressiven Leidenschaften befreit. Gott ist dem Herzen des Menschen nicht fern, der ihn um etwas bittet und die Gerechtigkeit zu erfüllen sucht; in einem stetigen, in Freiheit geführten Dialog zeigt Gott dem Menschen das Gut des Friedens als eine Fülle der Lebensgemeinschaft mit ihm selbst und mit den Brüdern. In der Bibel begegnet das Wort „Frieden“ häufig im Zusammenhang mit der Vorstellung von Wohlsein, Harmonie, Glück, Sicherheit, Eintracht, Heil, Gerechtigkeit sowie als das höchste Gut, das Gott, „der Herr des Friedens“ (2 Thess 3, 15), bereits jetzt schenkt und in seiner Fülle verheißt: „Wie einen Strom leite ich den Frieden zu ihr (zur Stadt Jerusalem)“ (Jes 66, 12). 5. Wenn der Friede ein Geschenk ist, so ist doch der Mensch keineswegs von der Verantwortung befreit, ihn zu suchen und sich zu allen Zeiten seiner Geschichte darum zu bemühen, ihn durch persönliche und gemeinschaftliche Anstrengung zu erreichen. Der von Gott geschenkte Frieden ist daher immer auch eine Errungenschaft und Verwirklichung des Menschen; denn er wird ihm gegeben, um frei angenommen und durch seine schöpferischen Willensentscheidungen Schritt für Schritt verwirklicht zu werden. In ihrer Liebe zum Menschen läßt die göttliche Vorsehung diesen ihrerseits niemals im Stich, sondern drängt und führt ihn, selbst in den dunkelsten Stunden der Geschichte, in geheimnisvoller Weise auf den Weg des Friedens zurück. Gerade die Schwierigkeiten, Enttäuschungen und Tragödien in Vergangenheit und Gegenwart müssen als Lehren der 826 Botschaften und Ansprachen Vorsehung betrachtet werden; und dem Menschen kommt es zu, daraus die nötige Weisheit zu ziehen, um neue, rationalere und mutigere Wege zum Aufbau des Friedens zu erschließen. Der Bezug auf die Wahrheit Gottes gibt dem Menschen das Ideal und die notwendigen Energien, um ungerechte Situationen zu überwinden, sich von Ideologien der Macht und Vorherrschaft zu befreien und den gemeinsamen Weg zur wahren, universellen Brüderlichkeit aufzunehmen. In der Treue zu Christus, der das „Evangelium des Friedens“ verkündet und den Herzen Frieden geschenkt hat, indem er sie mit Gott versöhnte, haben die Christen - wie ich im letzten Teil dieser Botschaft weiter ausführen werde - noch entscheidendere Gründe, den Frieden als ein Geschenk Gottes zu betrachten und zugleich mutig zu seiner Errichtung in dieser Welt beizutragen, und dies in gleichem Maße, wie sie seine höchste Vollendung im Reiche Gottes ersehnen. Sie wissen sich dabei eingeladen, ihre Anstrengungen mit den Bemühungen der Gläubigen anderer Religionen zu vereinen, die unermüdlich Haß und Krieg anprangem und sich von unterschiedlichen Zugängen her für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen. Es war wichtig, zunächst diese hoffnungsvolle Vision der Menschheit auf den Frieden hin in ihren natürlichen Grundlagen zu betrachten und dabei die moralische Verantwortung als Antwort auf das Geschenk Gottes hervorzuheben. Dies alles erhellt und motiviert das Handeln der Menschen im Bereich der Information, der Studien und des praktischen Einsatzes zugunsten des Friedens, drei Bereiche, die ich nun mit einigen Beispielen veranschaulichen möchte. 6. Der Weltfrieden hängt in einem gewissen Maß von einer besseren Kenntnis ab, die die Menschen und Völker voneinander haben sollten. Diese Kenntnis ist natürlich bedingt durch die Information und deren Qualität. Wer mit Liebe und Achtung vor dem Mitmenschen die Wahrheit sucht und verkündet, tut ein Werk des Friedens. Das gleiche tun alle, die sich darum mühen, Interesse zu wecken für die Werte der verschiedenen Kulturen, für das Eigenwesen der einzelnen Nationen, für den Reichtum an menschlichen Werten in jedem Volk. Ein Werk des Friedens tun ferner jene, welche durch ihre Informationen weite Entfernungen überbrücken, so daß wir uns wirklich mitbetroffen fühlen vom Schicksal der Männer und Frauen, die weit entfernt von uns Opfer von Krieg und Unrecht sind. Gewiß könnte eine Überhäufung mit solchen Informationen, vor allem wenn sie von Katastrophen berichten, für die uns jedes Fassungsvermögen fehlt, zu Gleichgültigkeit und Abgestumpftheit bei demjenigen führen, der bloßer Zuschauer bleibt, ohne jemals eine ihm mögliche Initiative zu ergreifen. Aber an sich ist die Rolle der Massenmedien hierbei durchaus 827 Botschaften und Ansprachen positiv: Fortan ist jeder von uns auf gefordert, für alle seine Menschenbrüder der Nächste zu werden (vgl. Lk 10, 29-37). Gute Information hat auch einen direkten Einfluß auf Erziehung und politische Willensbildung. Wenn man will, daß die Jugendlichen für Friedensfragen aufgeschlossen sind und sich darauf vorbereiten, am Aufbau des Friedens mitzuwirken, müssen die Erziehungsprogramme der Information über die konkreten Situationen, wo der Friede bedroht ist, und über die notwendigen Voraussetzungen zu seiner Förderung unbedingt einen bevorzugten Platz einräumen. Die Menschen in leitender Position werden ja mit ihren Kräften allein den Frieden nicht errichten können. Einen sicheren Frieden kann man nur erreichen, wenn unerschütterliche Entschiedenheit aller Menschen guten Willens dahintersteht. Die Männer und Frauen in leitender Stellung müssen von einer öffentlichen Meinung getragen und motiviert sein, die sie ermutigt und ihnen gegebenenfalls auch ihre Mißbilligung ausdrückt. Konsequenterweise muß es dann für die Regierungen auch normal sein, der Öffentlichkeit alles zu erklären, was Friedensfragen berührt. 7. Der Aufbau des Friedens hängt ebenso vom Fortschritt der entsprechenden Forschungen ab. Die wissenschaftlichen Studien über den Krieg und sein Wesen, über seine Ursachen, Mittel, Ziele und Einsätze enthalten zahlreiche Hinweise auf die Bedingungen des Friedens. Seitdem solche Untersuchungen die Beziehungen zwischen Krieg und Politik deutlich sichtbar machen, zeigen sie damit, daß zur Regelung von Konflikten die Zukunft eher der Verhandlung gehört als den Waffen. Daraus ergibt sich, daß die Bedeutung des Rechts für die Erhaltung des Friedens zunehmen wird. Es war schon immer bekannt, wie in jedem Staat die Förderung der Gerechtigkeit und die Beachtung der Menschenrechte durch die Arbeit der Juristen breite Unterstützung fanden. Deren Bedeutung ist jedoch ebenso groß, wenn es darum geht, die gleichen Ziele auf internationaler Ebene zu verfolgen und hierfür die juristischen Instrumente zu verfeinern, die den Frieden errichten und erhalten sollen. Seitdem jedoch die Sehnsucht nach Frieden den Menschen in seinem tiefsten Innern bewegt, hängen Fortschritte auf dem Weg des Friedens ebenso von den Untersuchungen der Psychologen und Philosophen ab. Gewiß umfaßt die Lehre vom Krieg bereits Studien über die menschliche Aggressivität, über Todesverlangen, über den Herdentrieb, der ganze Völker unerwartet lähmen kann. Es bleibt jedoch noch viel zu sagen über die Furcht des Menschen, seine Freiheit anzunehmen, über seine Unsicherheit vor sich selbst und vor anderen. Eine bessere Kenntnis der Lebensregungen, des Gefühls der Sympathie, der Bereitschaft zur Liebe 828 Botschaften und Ansprachen und zum Teilen trägt zweifellos dazu bei, die psychologischen Abläufe besser zu verstehen, die dem Frieden dienen. Die Psychologie ist so aufgerufen, durch solche Studien die Reflexion der Philosophen zu erhellen und zu ergänzen. Diese haben sich seit jeher Fragen zu Krieg und Frieden gestellt. Immer hatte die Philosophie ihre besondere Verantwortung in diesem Bereich, und leider ist das Erbe jener berühmten Philosophen noch immer lebendig, die im Menschen „einen Wolf für den Menschen“ gesehen haben und im Krieg eine Notwendigkeit der Geschichte. Es ist allerdings auch wahr, daß mehrere Philosophen das Fundament für einen dauerhaften, ja sogar ständigen Frieden gelegt haben, indem sie beispielsweise feste theoretische Grundlagen für das internationale Recht vorlegten. Alle diese Bemühungen verdienen aufgegriffen und vertieft zu werden; die Denker, die sich diesen Fragen widmen, können dabei den sehr reichen Beitrag einer Strömung heutiger Philosophie nützen, die dem Thema der Person eine überragende Bedeutung einräumt und in einzigartiger Weise dazu hilft, die Themen der Freiheit und der Verantwortung zu durchdringen. Die Reflexion über Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden kann dort erhellende Hinweise finden. Indirekte Aktion 8. Wenn die Förderung des Friedens in gewissem Sinne auf Information und Forschung angewiesen ist, so hängt sie doch vor allem von den Taten ab, die Menschen für dieses Ziel vollbringen. Bestimmte Formen der Aktion, wie sie hier gemeint sind, haben nur einen indirekten Bezug zum Frieden. Es wäre jedoch falsch, sie als nebensächlich anzusehen; denn, wie wir durch einige Beispiele kurz andeuten werden, fast alle Bereiche menschlicher Aktivität bieten unerwartete Gelegenheiten, den Frieden zu fördern. Dies ist der Fall beim kulturellen Austausch im weitesten Sinn dieses Wortes. Alles, was den Menschen ermöglicht, sich durch künstlerische Initiativen besser kennenzulernen, beseitigt damit Barrieren. Dort, wo das Wort versagt und die Diplomatie eine unsichere Hilfe ist, können Musik und Malerei, Theater und Sport die Menschen einander näherbringen. Dasselbe güt für die wissenschaftliche Forschung: Die Wissenschaft motiviert und versammelt eine universelle Gemeinschaft, bei der sich ohne Spaltung alle Menschen einfinden, die Wahrheit und Schönheit lieben. 829 Botschaften und Ansprachen Wissenschaft und Kunst nehmen so in ihrem Bereich das Aufkommen einer universellen Friedensgemeinschaft vorweg. Selbst die Welt der Wirtschaft ist dazu berufen, die Menschen zueinander zu bringen, indem sie ihnen ihre gegenseitige Abhängigkeit und Ergänzungsbedürftigkeit deutlich macht. Zweifellos schaffen wirtschaftliche Beziehungen oft ein Feld unerbittlicher Auseinandersetzung, gnadenloser Konkurrenz und manchmal sogar schamloser Ausbeutung. Aber sollte es nicht möglich sein, diese gleichen Beziehungen in solche des Dienstes, der Soüdarität umzuwandeln und bereits dadurch eine der häufigsten Ursachen für Uneinigkeit zu entschärfen? 9. Wenn der Frieden die Sehnsucht aller Menschen sein muß, so ist doch seine konkrete Errichtung eine Aufgabe, die direkt und vornehmlich den politischen Führern zukommt. Unter diesem Gesichtspunkt ist der hauptsächliche Ort für den Aufbau des Friedens immer der Staat als eine politisch organisierte Gemeinschaft. Wenn die Bildung einer politischen Gemeinschaft zum Ziel hat, die Gerechtigkeit zu verwirklichen, das Gemeinwohl zu fördern und alle Bürger zur Mitarbeit zu gewinnen, dann wächst der Frieden dieser Gemeinschaft nur in dem Maße, wie diese drei verpflichtenden Aufgaben berücksichtigt werden. Der Frieden kann nur dort aufblühen, wo die grundlegenden Forderungen der Gerechtigkeit erfüllt werden. Die vorbehaltlose und praktizierte Achtung vor den unverlierbaren und unveräußerlichen Rechten des einzelnen Bürgers ist unabdingbare Voraussetzung dafür, daß Frieden in einem Volk herrscht. Im Hinblick auf diese Grundrechte sind alle anderen Rechte gleichsam abgeleitet und zweitrangig. In einem Volk, wo jene Rechte nicht geschützt sind, ist sogar die Idee des allgemeinen Charakters des Rechts tot, da in diesem Falle nur einige wenige zu ihrem alleinigen Vorteil ein Prinzip der Diskrimination aufrichten, so daß schließlich die Rechte und selbst die Existenz der einen nach dem Gutdünken der Stärkeren aufgehoben sind. Ein solches Volk kann daher keinen inneren Frieden haben; es trägt in sich selbst den Keim der Spaltung, der Zerrissenheit. Aus demselben Grunde kann eine politische Gemeinschaft nur dann wirksam zum Aufbau des internationalen Friedens beitragen, wenn sie für sich selbst den Frieden erreicht hat, das heißt, wenn sie im eigenen Bereich die Förderung der Menschenrechte ernst nimmt. In dem Maße, wie die Führer einer bestimmten Nation sich dafür einset-zen, eine vollkommen gerechte Gesellschaft aufzubauen, tragen sie schon entscheidend zur Errichtung eines wahrhaften, festen und dauerhaften Friedens bei (vgl. Enzyklika Pacem in terris, II). 830 Botschaften und Ansprachen 10. Wenn aber der innere Frieden eines jeden Volkes die notwendige Voraussetzung ist, damit wahrer Frieden gedeihen kann, so ist doch diese Bedingung nicht ausreichend. Die Verwirklichung des Friedens auf Weltebene kann sich nämlich nicht ohne weiteres aus dem isolierten Willen der einzelnen Völker ergeben, die zudem oft zwiespältig sind und manchmal zueinander im Gegensatz stehen. Um diesen Mangel zu beheben, haben die Staaten geeignete internationale Organisationen geschaffen, deren Hauptziel unter anderem ist, ihre Zielsetzungen untereinander abzustimmen und auf die Wahrung des Friedens sowie die Förderung der Gerechtigkeit unter den Völkern auszurichten. Durch die Autorität, die die großen internationalen Organisationen erlangt haben, und durch ihre Initiativen haben diese ein beachtliches Werk im Interesse des Friedens vollbracht. Ohne Zweifel hat es auch Niederlagen gegeben; sie haben nicht schnell genug allen Konflikten zuvorkommen und sie verhindern können. Sie trugen jedoch dazu bei, vor aller Welt zu zeigen, daß Krieg, Blut und Waffen die Spannungen keineswegs vermindern. Sie haben sozusagen den erfahrungsmäßigen Beweis erbracht, daß die Menschen sogar auf Weltebene imstande sind, durch gemeinsame Anstrengungen zusammen nach dem Frieden zu suchen. 11. An dieser Stelle meiner Botschaft möchte ich mich nun noch besonders an meine Brüder und Schwestern in der Kirche wenden. Die Kirche unterstützt und ermutigt alle ernsthaften Bemühungen, die dem Frieden dienen. Sie zögert nicht zu sagen, daß das Wirken all jener, die sich mit besten Kräften für den Frieden einsetzen, in den Heilsplan Gottes in Jesus Christus eingeordnet ist. Den Christen aber ruft sie in Erinnerung, daß sie noch tiefere Gründe haben, wirksame Zeugen für das göttliche Geschenk des Friedens zu sein. Vor allem hat Christus durch seine Botschaft und sein Beispiel neue friedenstiftende Verhaltensweisen angeregt. Er hat die Friedensethik hoch über die gängigen Auffassungen von Gerechtigkeit und Anstand erhoben. Schon gleich am Anfang seiner Sendung ruft er aus: „Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“ {Mt5, 9). Er sendet seine Jünger aus, den Frieden von Haus zu Haus, von Ort zu Ort zu tragen {ebd. 10,11-13). Er ermahnt sie, den Frieden jeder Art von Rache, selbst gewissen legitimen Ansprüchen, vorzuziehen, wodurch er die Wurzel der Aggressivität aus den Herzen der Menschen reißen möchte {ebd. 5, 38-42). Er fordert, jene zu lieben, die durch Barrieren verschiedenster Art zu Feinden geworden sind {ebd. 5, 43-48). Er führt als Beispiel Fremde an, die man gewöhnlich verachtet, so die Samariter (vgl. Lk 10, 33; 17, 16). Er lädt ein, stets demütig zu sein und grenzenlos zu 831 Botschaften und Ansprachen verzeihen (vgl. Mt 18, 21-22). Die Bereitschaft, mit denen, die nicht einmal das Lebensnotwendige haben, zu teilen - was er zur Schlüsselfrage des Jüngsten Gerichtes gemacht hat -, muß auf radikale Weise dazu beitragen, brüderliche Beziehungen untereinander herzustellen. Diese Aufforderung Jesu und sein Beispiel haben schon an sich einen großen Niederschlag im Verhalten seiner Jünger gefunden, wie es die Geschichte seit zwei Jahrtausenden bezeugt. Das Wirken Christi hegt aber auf einer noch tieferen Ebene, die in einer geheimnisvollen Verwandlung des Herzens besteht. Er hat in der Tat verwirklicht, was die Engel bei seiner Geburt verkündet haben, nämlich daß „Friede ist auf der Erde bei den Menschen, die Gott hebt“ (Lk 2, 14), und das nicht nur, indem er ihnen die Liebe des Vaters offenbart, sondern sie vor allem durch sein Opfer mit Gott versöhnt. Denn es waren Sünde und Haß, die dem Frieden mit Gott und mit den Mitmenschen hinderlich im Wege standen: Er hat sie durch sein Lebensopfer am Kreuz vernichtet und jene, die einst Feinde waren, in einem Leib versöhnt (vgl. Eph 2, 16; Röm 12, 5). Deshalb waren die ersten Worte des Auferstandenen an die Apostel: „Der Friede sei mit euch“ (Joh 20, 19). Diejenigen, die glauben, bilden in der Kirche eine prophetische Gemeinschaft. Sie machen im Heiligen Geist, der von Christus vermittelt wird, nach der Taufe und der in ihr erfolgten Eingliederung in den mystischen Leib Christi die Erfahrung des Friedens, wenn Gott ihnen diesen durch das Sakrament der Versöhnung und in der eucharistischen Kommunion schenkt. Sie verkünden „das Evangelium vom Frieden“ (Eph 6, 15); sie bemühen sich, ihn in ihrem konkreten Alltag selbst zu leben; und sie verlangen nach der Zeit der vollkommenen Versöhnung, wo durch einen neuen Eingriff des lebendigen Gottes, der die Toten erweckt, der Mensch in völliger Transparenz vor Gott und vor seinen Brüdern und Schwestern stehen wird. Diese Glaubenssicht stützt das Wirken der. Christen für den Frieden. So stellt sich die Kirche schon allein durch ihre Existenz inmitten der Welt dar als eine Gemeinschaft von Menschen, die, durch die Gnade Christi versöhnt, in Frieden leben, in liebender Lebensgemeinschaft mit Gott und allen Brüdern und Schwestern über alle menschlichen Barrieren hinweg. Sie ist schon durch sich selbst - und bemüht sich darum, es konkret noch immer mehr zu werden - ein Geschenk und ein Ferment des Friedens, das von Gott der ganzen Menschheit angeboten ist. Gewiß, die Glieder der Kirche sind sich voll bewußt, daß sie oft noch Sünder sind, auch in diesem Bereich; sie fühlen aber zumindest ihre große Verantwortung, dieses Geschenk des Friedens ins Werk zu setzen. Deswegen müssen sie zuallererst ihre eigenen Spaltungen überwinden, um sich unverzüglich auf den 832 Botschaften und Ansprachen Weg zur Fülle der Einheit in Christus zu begeben; auf diese Weise wirken sie mit Gott zusammen, um der Welt seinen Frieden zu schenken. Sie sollen natürlich auch mit allen Menschen guten Willens nach Kräften Zusammenarbeiten, die in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft und des internationalen Lebens sich für den Frieden einsetzen. Die Kirche wünscht, daß ihre Söhne und Töchter sich durch ihr Zeugnis und ihre Initiativen vorrangig um diejenigen bemühen, die dem Frieden die Wege bereiten und ihm zum Durchbruch verhelfen. Zugleich ist sie sich jedoch dessen sehr bewußt, daß es sich auf diesem Gebiet um eine schwierige Aufgabe handelt, die viel Bereitschaft, Unterscheidungsvermögen und Zuversicht verlangt, um eine echte Herausforderung. 12. Der christliche Optimismus, der im siegreichen Kreuz Christi und in der Sendung des Heiligen Geistes gründet, berechtigt durchaus nicht zu Illusionen. Für den Christen ist der Frieden auf Erden immer eine Herausforderung wegen der Sünde, die im Herzen des Menschen gegenwärtig ist. Gestützt von Glauben und Hoffnung, setzt sich der Christ dafür ein, die Gesellschaft gerechter zu machen; er kämpft gegen Hunger, Not und Krankheit; er nimmt sich der Fremden, der Gefangenen und all derer an, die am Rande der Gesellschaft leben (vgl. Mt 25, 35-36). Doch weiß er auch, daß alle diese Initiativen, selbst wenn sie etwas von der Barmherzigkeit und der Vollkommenheit Gottes zum Ausdruck bringen, in ihrer Tragweite immer begrenzt, in ihren Ergebnissen ungewiß und in ihrer Motivierung mehrdeutig sind. Gott allein, der das Leben gibt, wird, wenn er alles in seinem Sohn vereinen wird (vgl. Eph 1,10), die sehnsuchtsvolle Hoffnung der Menschen erfüllen, indem er selbst alles, was im Lauf der Geschichte für Gerechtigkeit und Frieden in seinem Geist getan worden ist, zur Vollendung führt. Deshalb wird der Christ, wenn er mit erneutem Eifer alles unternimmt, um kriegerischen Auseinandersetzungen zuvorzukommen oder sie zu beenden, sich nicht täuschen weder über seine Fähigkeit, dem Frieden zum Siege zu verhelfen, noch über die Tragweite seiner Bemühungen, die er zu diesem Zweck unternimmt. Infolgedessen interessiert er sich für alle Initiativen der Menschen, die dem Frieden dienen, und beteiligt sich oft an ihnen, wobei er diese mit Realismus und Selbstbescheidung betrachtet. Man könnte fast sagen, daß er sie auf zweifache Weise „verwirklicht“: Er führt sie aus mit aller Unzulänglichkeit des sündigen Menschen und zugleich setzt er sie in Beziehung zum Heilsplan Gottes. Der Christ weiß vor allem darum, daß Angriffslust, Hegemoniestreben und Manipulationsabsichten andern gegenüber im Herzen der Menschen schlummern und manchmal sogar ihre Intentionen beeinflussen trotz eventueller 833 Botschaften und Ansprachen Erklärungen oder Bekundungen pazifistischer Art. Er weiß ebenso, daß eine völlig und für immer friedliche menschliche Gesellschaft auf Erden leider eine Utopie ist und daß die Ideologien, die diese anpreisen, verständlicherweise unerfüllbare Hoffnungen nähren, was auch immer die Gründe für ihre Einstellung sein mögen: falsche Sicht der menschlichen Natur; Unvermögen, die Probleme in ihrer Gesamtheit zu betrachten; Ausflucht, um die Angst zu verdrängen, oder bei wieder anderen kalkulierter Eigennutz. Der Christ ist sogar davon überzeugt - und das besonders, wenn er selbst die schmerzliche Erfahrung gemacht hat -, daß diese trügerischen Hoffnungen geradlinig zum Pseudofrieden der totalitären Regime führen. Diese realistische Sicht entmutigt jedoch keinesfalls die Christen in ihrem Einsatz für den Frieden. Im Gegenteil, sie stärkt ihren Eifer; denn sie wissen auch, daß der Sieg Christi über Sünde, Haß und Tod den Menschen, die sich nach Frieden sehnen, eine noch stärkere Motivierung zum Handeln bietet als es die edelsten Auffassungen vom Menschen vermögen, und eine tiefere Hoffnung als jene, die sich an den kühnsten Träumen entfacht. Aus diesem Grund zögert der Christ nicht, während er sich voller Eifer darum bemüht, alle Formen kriegerischer Auseinandersetzung zu bekämpfen und ihnen zuvorzukommen, gleichzeitig im Namen einer elementaren Forderung der Gerechtigkeit daran zu erinnern, daß die Völker das Recht und sogar die Pflicht haben, durch angemessene Mittel ihre Existenz und ihre Freiheit gegen einen ungerechten Angreifer zu verteidigen (vgl. Konst. Gaudium et spes, Nr. 79). In Anbetracht des fast wesenhaften Unterschieds, der zwischen den klassischen Formen des Krieges und einem nuklearen oder bakteriologischen Krieg besteht, wie auch des Skandals des Rüstungswettlaufs angesichts der ungeheuren Nöte der Dritten Welt, unterstreicht jedoch dieses im Prinzip sehr reale Recht nur um so mehr für die gesamte Menschheit die Dringlichkeit, sich wirksame Verhandlungsmöglichkeiten zu schaffen. So kann der atomare Schrecken, der unsere Zeit bedrängt, die Menschen dazu bewegen, ihr gemeinsames Erbe noch um diese sehr einfache Entdeckung zu bereichern, die ihnen leicht zugänglich ist, nämlich die Erkenntnis, daß der Krieg das barbarischste und unwirksamste Mittel ist, um Konflikte zu lösen. Mehr als jemals zuvor ist die menschliche Gesellschaft heute also genötigt, sich die Mittel zur gegenseitigen Verständigung und zum Dialog zu schaffen, die sie zum Überleben braucht, sowie jene Institutionen, die unerläßlich sind, um Gerechtigkeit und Frieden zu verwirklichen. Möge sie sich auch dessen bewußt werden, daß diese Aufgabe die menschlichen Kräfte übersteigt! 834 Botschaften und Ansprachen 13. Im Verlauf der ganzen Botschaft habe ich an die Verantwortung der Menschen guten Willens und besonders der Christen appelliert, da Gott den Frieden den Menschen anvertraut hat. Mit dem Realismus und der Hoffnung, die der Glaube gestattet, habe ich die Aufmerksamkeit der Bürger und der Regierenden auf eine gewisse Zahl von Initativen und Verhandlungsweisen gelenkt, die schon jetzt möglich und geeignet sind, den Frieden dauerhaft zu verwirklichen. Darüber hinaus oder mehr noch im Kern dieser notwendigen Bemühungen, die vor allem als eine Angelegenheit der Menschen erscheinen könnten, ist der Frieden aber vor allem ein Geschenk Gottes - das darf man niemals vergessen - und muß deshalb stets von seiner Barmherzigkeit erbeten werden. Eine solche Überzeugung scheint die Menschen in allen Kulturen beseelt zu haben, welche dem Frieden in ihren Gebeten den ersten Rang eingeräumt haben. Man findet dies in allen Religionen. Wie viele Menschen, die die mörderischen Kämpfe und die Konzentrationslager erlebt haben, wie viele Frauen und Kinder, die infolge der Kriege in größte Not geraten waren, haben sich nicht schon vor uns an den Gott des Friedens gewandt! Heute, da die Gefahren durch ihr Ausmaß und ihren grundsätzlichen Charakter eine einzigartige Schwere annehmen, da die Schwierigkeiten für die Verwirklichung des Friedens sich in einer neuen, oft unlösbaren Weise stellen, können viele Menschen, sogar solche, die mit dem Gebet wenig vertraut sind, spontan den Zugang dazu finden. In der Tat, unsere Zukunft ist in den Händen Gottes, der allein den wahren Frieden schenkt. Und wenn die Herzen der Menschen aufrichtig nach der Verwirklichung des Friedens trachten, ist es wiederum die Gnade Gottes, die ihre Absichten inspiriert und stärkt. Alle sind eingeladen, in diesem Sinn das Gebet des hl. Franz von Assisi zu sprechen, dessen achthundertsten Geburtstag wir gerade feiern: Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens: daß ich liebe, wo man haßt; daß ich verzeihe, wo man beleidigt; daß ich Frieden stifte, wo Streit ist. Die Christen ihrerseits lieben es, für den Frieden zu beten, indem sie in sich das Gebet so vieler Psalmen aufsteigen lassen, die voll sind von Bitten um Frieden und die von ihnen mit der allumfassenden Liebe Jesu gesprochen werden. Dies ist auch schon ein gemeinsamer und sehr tiefer Brauch bei allen ökumenischen Initiativen. Und auch andere Gläubige in der Welt erwarten vom Allmächtigen das Geschenk des Friedens. Ebenso sind mehr oder weniger bewußt viele Menschen guten Willens bereit, dasselbe Gebet in der Verborgenheit ihres Herzens zu sprechen. Möge so von den vier Enden der Erde ein inständiges Gebet zu Gott emporsteigen! 835 Botschaften und Ansprachen Schon das wäre eine schöne Einmütigkeit auf dem Weg zum Frieden. Und wer könnte daran zweifeln, daß Gott diesen Gebetsruf seiner Kinder erhört: Herr, schenke uns den Frieden! Gib uns deinen Frieden! Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1981. Joannes Paulus PP. II. Friede hängt auch vom Menschen ab Predigt beim Gottesdienst im Petersdom zum 15. Weltfriedenstag am 1. Januar 1. „Der Frieden, Gottes Geschenk, den Menschen anvertraut.“ Heute beginnt ein neues Jahr: das Jahr des Herrn 1982. Am ersten Tag des neuen Jahres hören wir die Weihnachtsbotschaft in ihrer ganzen Schlichtheit und Tiefe ein weiteres Mal an uns gerichtet. Sie spricht durch das Zeugnis der Hirten von Betlehem, die berichten, was ihnen gesagt wurde, nachdem sie das Kind mit Maria und Josef gesehen hatten (vgl. Lk 2, 17). Und so wurden sie die ersten Botschafter dieses Ereignisses und des Geheimnisses, das sich dank ihrer unter den Menschen zu verbreiten begann. Vor allem aber feiert die Kirche an Neujahr die Gottesmutterschaft Mariens, der Jungfrau von Nazaret, die durch ihr „Fiat“ unter Mitwirkung des Heiligen Geistes zur Mutter des Ewigen Wortes, zur „Theotokos“, wurde. Die irdische Gottesgeburt, Weihnachten, hängt eng mit dem Fest der Gottesmutterschaft Mariens zusammen. Menschliche Geburt und Mutterschaft gehören zusammen. Der Mensch wird im Schoß der Mutter empfangen und aus ihm geboren. „Als die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau“ (Gal 4, 4). Mit dem neuen Jahr beginnt sozusagen eine neue „Fülle der Zeit“. Und eben diese Fülle, die wir ab heute mit der Zahl „1982“ bezeichnen, ergibt sich aus dem Weihnachtsgeheimnis. Mit der Geburt Gottes auf Erden kam die Friedensbotschaft zu den Menschen. Sie kennzeichnete das Ereignis von Betlehem mit den Worten: „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen, die er liebt“ {Lk 2, 14). 2. „. . . den Menschen, die er hebt.“ Die Liturgie des heutigen Festes zeigt, daß der. Mensch seinen Anfang in Gott hat; nicht nur in der Zeit, nicht nur im Schoß der Mutter, sondern in Gott selbst. 836 Botschaften und Ansprachen Heute feiern wir die Mutterschaft Mariens, indem wir unsere Augen auf die Gottesmutterschaft richten; „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau . . ., damit wir die Sohnschaft erlangen. Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, der ruft: Abba, Vater“ (Gal4, 4-6). So sind wir durch seinen Sohn Söhne geworden. Unser Ursprung ist im Vater durch den Sohn. Unsere Sohnschaft ist ein Werk des Heiligen Geistes, der der Geist des Sohnes ist. Eben dieser Geist erlaubt uns, an Gott als „Vater“ zu denken und von Gott „als Vater“ zu sprechen. Wie viele Menschen in der Welt nennen ihn so! Und wenn einige ihn nicht ausdrücklich so nennen, wenden sie sich trotzdem, machmal ganz unerwartet, mit ihren Gedanken an Gott als „Vater“. Und wie oft wurde „der Geist des Sohnes in unser Herz“ gesandt! So feiern wir also das neue Jahr, indem wir unsere Augen auch auf die Vaterschaft Gottes richten, auf seinen ewigen, väterlichen Plan. Wenn wir gleichzeitig diesen Tag auch als Weltfriedenstag begehen, tun wir das gerade im Hinblick auf den Vater. Es liegt in der Tat im Plan des Vaters, daß wir zum Frieden berufen sind. Daran muß der erste Tag des Jahres erinnern und in der ganzen Menschheitsfamilie den Wunsch nach Frieden erneuern. Wir sind zum Frieden durch die Wahrheit der Gottesgeburt auf Erden berufen. Das Ereignis von Betlehem ist ein für allemal mit der Botschaft verbunden: „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen.“ 3. Die Botschaft des Weltfriedenstags 1982 entfaltet die Wahrheit, die an der Krippe von Betlehem gesungen wurde. „Der Frieden, Gottes Geschenk, den Menschen anvertraut“, das will sagen: Der Friede, das Geschenk Gottes, hängt vom guten Willen der Menschen ab! In einer Welt, in der der Frieden weiterhin schwer bedroht ist, trotz der Bemühungen so vieler Menschen, der Haltung des Friedens zum Sieg zu verhelfen, muß sich der Mensch immer über den Sinn und die Bedingungen des eigenen Daseins befragen, des persönlichen wie des kollektiven, um den Frieden zu schaffen, der „aus dem Zusammenwirken von Menschen mit freiem Willen entsteht, die durch ihren Verstand auf das Gemeinwohl hingelenkt werden, das in Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe erreicht werden soll“ (Weltfriedensbotschaft, Nr. 4). Der Friede kann als sittliche Vemunftordnung nur in Gott seine Grundlage haben, von Gott, der der Menschheit die Schöpfung geschenkt hat, um sie in den 837 Botschaften und Ansprachen Dienst aller zu stellen; von Gott, der der Garant aller menschlichen Grundrechte ist; von Gott, der das Herz erleuchtet und den Willen festigt. Gott verweigert nicht seinen Frieden: Er bietet ihn den Menschen an, er vertraut ihn den Menschen an. Aber wie weit sind wir vielfach von der Verwirklichung dieses Gottesgeschenkes. Der Mangel an Frieden in vielen Teilen der Welt drängt uns noch mehr die Überzeugung auf, daß der Friede vor allem ein Gottesgeschenk ist und vom göttlichen Erbarmen erfleht werden muß, in unablässigem und vertrauensvollem, allgemeinem und einmütigem Gebet. Indem sich in der Nacht von Betlehem die Vaterschaft Gottes allen Menschen offenbart, enthüllt der Sohn Mariens das Geschenk des Friedens in seinem Ursprung. Durch das Zeugnis des ganzen Lebens und das Wort des Evangeliums lehrte er, daß die Menschen dieses Geschenk zum Gut ihres Herzens und ihrer irdischen Geschichte machen müssen: „Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“ (Mt 5, 8). Der Frieden, das Geschenk Gottes, hängt auf Erden vom guten Willen der Menschen ab. Die Menschen guten Willens sind gleichzeitig Menschen, die Gott liebt. 4. Der Apostel schreibt: „Gott sandte den Geist seines Sohnes in unser Herz, der ruft: Abba, Vater. Daher bist du nicht mehr Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott“ (Gal4,6-7). In der Tiefe des Menschenherzens entwickelt sich so ein großer Kampf: Der „Sohn“ kämpft mit dem „Sklaven“. Derselbe Kampf entwickelt sich in der Geschichte des Menschen auf Erden. Der Mensch kann auf verschiedene Weise „Sklave“ werden. Er kann „Sklave“ werden, wenn seine Freiheit eingeschränkt wird, wenn man ihn der objektiven Menschenrechte beraubt; aber er kann auch Sklave werden durch den Mißbrauch seiner Freiheit. Der Mensch unserer Zeit ist von einer „Nötigung“ bedroht, die sich aus den Produkten seines eigenen Denkens und seines Willens ergibt, Produkten, die der Menschheit dienen, sich aber auch gegen den Menschen wenden können. „Hieraus scheint“ - wie ich in der Enzyklika Redemptor hominis geschrieben habe - „das wichtigste Kapitel des Dramas der heutigen menschlichen Existenz ... zu bestehen. Der Mensch lebt darum immer mehr in Angst. Er befürchtet, daß seine Produkte, natürlich nicht alle und auch nicht in der Mehrzahl, aber doch einige und gerade jene, die ein beträchtliches Maß an Genialität und schöpferischer Kraft enthalten, sich in radikaler Weise gegen ihn selbst kehren könnten“ (Nr. 15). 838 Botschaften und Ansprachen Wir müssen uns darüber im klaren sein, was im Falle einer nuklearen Auseinandersetzung passieren würde. Aus einem Dokument, das die Päpstliche Akademie der Wissenschaften ausgearbeitet hat und das von eigens benannten Delegationen in meinem Auftrag an vier Staatschefs sowie an den Präsidenten der Vollversammlung der Vereinten Nationen übergeben wurde, geht eindeutig hervor, daß „jeder Atomkrieg unvermeidlich Tod, Krankheit und Leiden in gigantischem Ausmaß hervorbrächte, ohne daß ein wirksamer medizinischer Einsatz möglich wäre“. Abgesehen von der massenhaften Zerstörung menschlichen Lebens, „wären die Leiden der überlebenden Bevölkerung beispiellos. Die Kommunikationswege, der Lebensmittelnachschub und die Wasserversorgung wären völlig unterbrochen. Wegen der tödlichen Strahlung könnte sich niemand ins Freie begeben, um Hilfe zu leisten. Alles soziale Leben löste sich nach einem solchen Angriff in unvorstellbarer Weise auf . . . Aufgrund der starken Strahlendosis hätte sich die Widerstandskraft gegen Bakterien und Viren so sehr verringert, daß als weitere Folge Epidemien entständen. Außerdem bewirkte die Strahlung bei zahllosen Föten unheilbare Gehimschäden, die zu geistiger Behinderung führten. Weiterhin erhöhte sich die Häufigkeit zahlreicher Formen von Krebserkrankungen unter den Überlebenden. Genetische Schädigungen würden auf die kommenden Generationen - sollte es diese geben - übertragen. Eine objektive Prüfung der nach einem Atomkrieg entstandenen sanitären Lage führte nur zu einer Schlußfolgerung: Unser einziger Ausweg ist die Verhinderung des Atomkriegs“. Am ersten Tag des neuen Jahres bitten wir darum, daß in diesem Kampf des „Sohnes“ mit dem „Sklaven“ - einem Kampf, der die Herzen und die Geschichte der Menschen durchzieht - der „Sohn“ gewinne. Gleichzeitig richten wir unseren Bück auf eine Gestalt, die auch nach acht Jahrhunderten immer noch und vor allem in diesem Jahr in vollem Licht erstrahlt: Franz von Assisi. Er sagt - und er hat es mit seinem Leben bezeugt - allen Menschen von heute: „Du bist nicht mehr Sklave, sondern Sohn; und wenn Sohn, dann Erbe durch den Willen Gottes!“ Er lädt uns zudem ein, für den Frieden zu beten, und zwar mit dem von ihm formulierten Gebet: „Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens: daß ich Liebe übe, wo man sich haßt; daß ich verzeihe, wo man sich beleidigt; daß ich verbinde, da wo Streit ist. . .“ 5. So überdenken wir also an der Schwelle des neuen Jahres noch einmal das Ereignis von Betlehem, das Geheimnis der Geburt Gottes auf Erden, 839 Botschaften und Ansprachen und beten für den Frieden, das Geschenk des Vaters, das er jedem einzelnen und allen gemeinsam anvertraut hat. Im Mittelpunkt dieses unseres Gebetes um den Frieden auf Erden finden wir die Mutter. Wir finden Maria, die alles in ihrem Herzen bewahrte, was mit der Geburt Gottes auf Erden verbunden war (vgl. Lk 2, 51). Die Mutter: lebendige Zeugin des Geheimnisses der Menschwerdung. Die Mutter: Zeugin der Geburt Gottes in menschlicher Gestalt. Die Mutter: Zeugin der Erhöhung des Menschen in dieser Geburt. Die Mutter: Zeugin aller menschlichen Leiden und Freuden, aller menschlichen Hoffnungen und Bedrohungen: Mutter des Friedens! Zuerst in Betlehem, dann in Nazaret, dann auf dem Kalvarienberg, dann beim Abendmahl zu Pfingsten und dann an so vielen Orten der Erde. Sie bewahrt alle diese Dinge in ihrem Herzen. Man denke nur an all ihre Wallfahrtsstätten, von Guadalupe, Lourdes und Fatima bis hin zu Jasna Göra in meinem Vaterland und vielen anderen. Sie ist immer die Mutter: Mutter des Herrn und Mutter der Menschen. Sie ist allezeit um den Frieden bemüht, Gottes Geschenk, den Menschen anvertraut. Deshalb möchte ich an diesem ersten Tag des neuen Jahres noch einmal das große Anhegen des Friedens auf Erden der Mutterschaft Mariens, der Mutter des Herrn und der Menschen, ans Herz legen. (O.R. 2.13.1. 82) Der Heimat Kroatien Ehre gemacht Predigt beim Requiem für Kardinal Seper im Petersdom am 2. Januar „Vater, ich will, daß alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin“ (Joh 17, 24). Diese von Christus in der Stunde des Abschieds gesprochenen Trostworte finden außergewöhnlichen Widerhall in unserem bewegten Herzen, verehrte Brüder und hebe Söhne, wenn wir vor der sterbhchen Hübe von Kardinal Franjo Seper stehen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen und seine edle- Seele dem Herrn zu empfehlen. 1. „Die du mir gegeben hast.“ Wir sind alle in den unergründlichen Plan des Vaters einbegriffen, der im Augenblick der Menschwerdung des Wortes im Schoß der Jungfrau Maria durch das Werk des Heihgen Geistes uns zu Brüdern des Heilands gemacht, uns ihm eingegliedert, uns zu seinem Anteil und Erbe gemacht hat. „Du, Herr, gibst mir das Erbe und reichst mir den Becher“ (Ps 16, 5). 840 Botschaften und Ansprachen Weihnachten, das wir gerade gefeiert, die göttliche Mutterschaft Mariens, die wir gestern mit der römischen Liturgie verkündet haben, haben uns zu dem zentralen Geheimnis des Glaubens zurückgeführt: Wir sind „Söhne im Sohn“, wie der hl. Paulus sagt, dazu berufen, „Miterben zu sein, zu demselben Leib zu gehören und an derselben Verheißung in Christus teilzuhaben durch das Evangelium“ (Eph 3, 6). Das ist die Botschaft, die die Welt verändert hat und die Herzen verwandeln wird: Wir sollen zum Leib Christi gehören, von ihm erkauft, damit wir durch ihn dem Vater anvertraut werden. Ein Plan der Liebe folgt unserem Leben von der Geburt bis zum Grab, der Vorspiel einer ewigen Harmonie, Zugang zum ewigen Leben wird. Mit dem Sohn, für immer. Um ewig das Angesicht des Vaters zu schauen. „Die du mir gegeben hast.“ Auch unser Bruder Franjo ist Christus vom Vater „geschenkt“ worden, so wie er gelebt hat. Wir haben ihn als den Mann der Kirche in Erinnerung, der von jeher zu Christus gehörte, bis zu seinem Tod; der aus seiner Treue zu Christus das Programm seines Lebens gemacht hat, einfach und geradlinig, demütig und mutig. 2. Christus geschenkt seit seiner Berufung zum Priesteramt: Er stammte aus einer schlichten Schneiderfamilie, die von Osijek nach Zagreb kam, wo er die Grundschule und die höhere Schule absolvierte. Christus geschenkt: in seinen phüosophisch-theologischen Studien, die er in Rom im Collegium Germanicum-Hungaricum und an der Päpstlichen Universität Gregoriana machte und mit der Priesterweihe abschloß. Christus geschenkt: als Religionslehrer und in seinem Amt als Sekretär von Kardinal Stepinac, als Rektor des Erzbischöflichen Seminars in Zagreb und als Pfarrer der Pfarrei Christkönig derselben Stadt. Christus geschenkt: im umwandelnden und heiligenden Band der Bischofsweihe und der apostolischen Sukzession als Erzbischof von Zagreb, dazu berufen, ein vom Kreuz gezeichnetes Erbe zu übernehmen. In diesen schwierigen Jahren war er immer der Mann Gottes, gerade und ehrenhaft, hochherzig und opferbereit, „Vorbild der Herde“ (vgl. 1 Petr 5,3). Christus geschenkt: durch seinen Charakter, seine Spiritualität, seine Hirtensorge, seine Liebe zur Kirche, die in den Jahren des Zweiten Vatikanischen Konzils erstrahlten, zu dem er einen wichtigen Beitrag lieferte. Ich - und andere mit mir - haben ihn als Mitglied der Vorbereitungskommission für die Sakramente und der Kommission für Glaubensund Sittenlehre in der zentralen Vorbereitungskommission in Erinnerung; ich erinnere mich an seine ausgewogenen und klugen Stellungnahmen. Christus geschenkt: Wie in einem Crescendo erfüllte sich seine Hingabe an Christus, den Herrn, und an dessen über jede Zeitströmung hinaus 841 Botschaften und Ansprachen geliebte Wahrheit in der Übernahme des schweren, schwierigen, heiklen Amtes des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre, das ihm von meinem Vorgänger Paul VI. anvertraut und in dem er zweimal, von meinem Vorgänger Johannes Paul I. und mir bestätigt wurde. In einem äußerst schwierigen Zeitabschnitt war er der kluge und erleuchtete Leiter dieses Dikasteriums, das in entscheidenden Fragen des Glaubens und der Sitten intervenieren mußte. Auch die Arbeiten der Internationalen Theologenkommission, deren erster Präsident er war, und der Päpstlichen Bibelkommission bezeugen die Breite, die Tiefe und die Einfühlsamkeit seiner Interessen und seine Engagements im kirchlichen Dienst. Und ich möchte auch an seine immer diskrete und wirksame Teilnahme an den verschiedenen Bischofssynoden erinnern, deren Generalsekretariat er angehörte. „Die du mir gegeben hast.“ Im Angesicht dieses Toten, den wir der Erde in Erwartung der Auferstehung anvertrauen, angesichts dieses Menschen, der in Stille und Diskretion ein Werk verrichtet hat, das die Wirklichkeit des Todes in eine, so möchte ich sagen, übermenschliche Dimension erhebt, begreifen wir die Schönheit, die Größe, die Verdienste eines ganz Christus vom Vater geschenkten und so vollendeten Daseins. Wir danken dem Herrn, der der Kirche Menschen seiner Art schenkt. So war die Art von Kardinal Seper, stark und unerschütterlich wie der Charakter seiner Heimat Kroatien, der er durch sein ganzes Leben im Dienst Christi und der Kirche wahrhaft Ehre gemacht hat. 3. „Daß sie dort bei mir sind, wo ich bin.“ Der Tod gibt dem menschlichen Dasein seine Gestalt, seinen letzten Sinn. Wir wissen: Er bedeutet nicht Ende, sondern Anfang, Anfang des ewigen Lebens, das der Herr seinen guten und treuen Dienern versprochen hat (vgl. Mt 25, 21.23). „Daß sie bei mir sind.“ Deshalb versetzt der Tod den Menschen, der das Evangelium zu seinem Vorbild und Ziel genommen hat, dahin, wo Christus ist, zu ihm und neben ihn, der versprochen hat, „sich zu gürten, seine Knechte am Tisch Platz nehmen zu lassen und sie der Reihe nach zu bedienen“ (vgl. Lk 12, 37); zu ihm, der mit dem Vater „alle Tränen von ihren Augen abzuwischen“ (Offb 7, 17; 21,4; Jes25, 8) verheißen hat; zu ihm, dem Wort Gottes, und „vor ihm bleibt kein Geschöpf verborgen, sondern alles liegt nackt und bloß vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft schulden“ (Hebr 4, 13). Diese Rechenschaft hat unser Bruder Franjo schon im Augenblick seines Todes gegeben. Und wir beten in dieser Messe darum, daß sich für ihn die Verheißungen Jesu erfüllen, von denen wir im Evangelium gehört haben, „damit er dort sei, wo Er ist“. 842 Botschaften und Ansprachen Kardinal Seper war bei Ihm, treu in seinem Gott und der Kirche geweihten Leben, in nicht leichtem und unbequemem Dienst, in seiner Ausdauer, die immer vom Gebet und der Eucharistie getragen war, in seinem Opfer, das den Höhepunkt erreichte, als er sich dem Bruder Tod näherte. Wir wollen beten, daß diese unaufhörliche Hingabe an Christus, die er Tag für Tag lebte, in der er noch „wie in einen Spiegel schaute, sich durch die göttliche Gnade, um die wir von Herzen flehen, in eine Schau „von Angesicht zu Angesicht“ wandle, wenn wir „durch und durch erkennen, so wie wir auch durch und durch erkannt worden sind“ (vgl. 1 Kor 13.12). „Daß sie dort bei mir sind, wo ich bin.“ 4. Der irdische Lauf eines Lebens endet in der Öffnung zur Ewigkeit der Liebe und Herrlichkeit. Jesus hat in dem Moment, als er sich auslieferte, gesagt: „Sie sollen meine Herrlichkeit sehen . . . Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, aber ich habe dich erkannt, und sie haben erkannt, daß du mich gesandt hast“ (Joh 17, 24 f.). „Sie haben erkannt.“ Hierin beruht das Geheimnis des Lebens. Unser Bruder Franjo wußte um die Treue zur priesterlichen Berufung und zur apostolischen Sukzession, die feste und väterliche Leitung der durch das kostbare Blut Jesu erworbenen Herde, die maßgebliche Verantwortung in der Kirche in langjährigem Dienst ohne Rücksicht auf Zeit und Mühe, auf die gesundheitlichen Folgen, auf unwillkommene Entscheidungen in einer Zeit, „in der man die gesunde Lehre nicht erträgt, sondern sich nach eigenen Wünschen Lehrer sucht, die den Ohren schmeicheln“ (2 Tim 4, 3), einzig besorgt um Orthodoxie und Orthopraxie. All das findet seine Erklärung in dem Wort: „Sie haben erkannt, daß du mich gesandt hast.“ Sie haben erkannt, daß Christus der einzige Lehrer ist, der aus dem Vater kam, um die endgültige Offenbarung des göttlichen Heilsplans zu geben, um für uns „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ zu sein (Joh 14. 6); sie haben erkannt, daß das „Wort Gottes nicht gefesselt ist“ (2 Tim 2, 9). „Sie haben erkannt.“ Und wir beten darum, daß dieser Glaube, der Glaube von Kardinal Seper, der von einem makellosen Leben genährte und in den Seelen durch tägliche Arbeit im Auftrag der Kirche gehütete Glaube, jetzt den ersehnten Lohn erhalte in dem unermeßlichen und unerschöpflichen Meer von Liebe und Licht, in das unsere Seelen für alle Ewigkeit einzutauchen berufen sind: „Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekanntmachen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin“ (Joh 17, 26). Ja, liebe Brüder und Söhne. Das ist unsere Hoffnung, das ist unser Gebet im Augenblick des Abschieds von unserem Bruder Franjo, wenn wir ihn der erbarmenden Liebe Gottes empfehlen. Wir bitten den Herrn, daß er 843 Botschaften und Ansprachen ihn für immer in die Klarheit, in die glühende Liebe aufnehme, in die wir nach dem Plan Gottes eingehüllt werden, der uns schon „vor der Schöpfung der Welt“ Christus geschenkt hat, und auf die wir zugehen auf dem Weg unseres Lebens. Und wir sind sicher, daß die Seele unseres Bruders Franjo in dieser Klarheit, in dieser glühenden Liebe auch weiter für sein Land, für die Kirche eintreten wird, für uns, die Zurückbleiben, um, wie er, das „anvertraute kostbare Gut zu bewahren durch die Kraft des Heiligen Geistes, der in uns wohnt“ (2 Tim 1,14). (O.R. 2J3.1. 82) dann holten sie ihre Schätze hervor“ Predigt bei der Bischofsweihe in St. Peter am Fest der Erscheinung des Herrn, 6. Januar 1. Die Kirche die heute das Fest der Erscheinung des Herrn feiert, lädt euch, ehrwürdige und hebe Brüder, ein, aus den Händen des Bischofs von Rom die Bischofsweihe zu empfangen. Ihr seid zu diesem Tag aus verschiedenen Ländern hierhergekommen: aus Tschad, Litauen, Rumänien, Ghana, aus den Vereinigten Staaten von Amerika, aus Brasilien, Malta und dem Heiligen Land. Ihr vertretet gewissermaßen die Universalkirche, aber auch einige Ortskirchen. Euer Ansehen in den Kirchen, aus denen ihr kommt, versichert, daß ihr dieses Erbes, des apostolischen Dienstamtes, würdig seid. Voll Dankbarkeit übernehmen wir dieses Urteil. Ehe ich euch die Hände auflege und jedem von euch den Heiligen Geist übertrage, laßt mich noch kurz im Lichte des liturgischen Geheimnisses des heutigen Festtages einige Gedanken über eure neue Berufung äußern. 2. Die erste Erscheinung Gottes ist die geschaffene Welt in ihrer Gesamtheit und der Mensch in dieser Welt. Für diese Erscheinung Gottes sollt ihr Zeugen sein. Von Anfang an sprach die sichtbare Welt zum Menschen von seinem unsichtbaren, unbegrenzten Schöpfer. Und sie spricht heute noch davon. Der moderne Mensch weiß unvergleichlich mehr über die Welt als je ein Mensch zuvor. Er ist unvergleichlich tiefer in ihre Geheimnisse vorgedrungen und hat die Reichtümer, die sie in sich birgt, erschlossen. Doch gleichzeitig „bedeckt Finsternis die Erde und Dunkel die Völker“ (Jes 60, 2), wie Jesaja in der ersten Lesung der heutigen Liturgie verkündet. 844 Botschaften und Ansprachen Die Welt, die nicht die Erscheinung Gottes ist - die Welt, die nicht von Gott zum Menschen spricht -, ist immer noch gewaltig, mächtig, reich, zugleich aber wird sie zu einer Bedrohung. Der Mensch erfaßt diese Welt mit seinem Verstand, er durchdringt ihre Geheimnisse, er entreißt ihr ihre Reichtümer, und zugleich beweist diese eroberte Welt dem Menschen seine eigene Hinfälligkeit und Zerstörbarkeit: „Staub bist du, zum Staub mußt du zurück“ {Gen 3, 19). Ihr, liebe Brüder, empfangt heute das Sakrament der Bischofsweihe, um Zeugen des Erscheinens Gottes in der Welt zu werden, 3. Empfanget den Heiligen Geist in diesem Sakrament, damit durch euren Dienst der Mensch in der Welt sich selber als eine besondere Erscheinung Gottes erkennt. Vor allem das Erscheinen Gottes wird von dem heutigen Fest verkündet: „Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen“ {Mt 2, 2). In der Nacht der Geburt des Herrn haben die Hirten auf den Feldern von Betlehem das Licht gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten. Heute kommen die Weisen aus dem Morgenland. Ein Stern führt sie. Sie kommen und beten an. Wen beten sie an? Das Kind. Den neugeborenen Menschen. Den Menschen, der eine besondere Erscheinung Gottes ist. Sie haben eine lange Reise hinter sich gebracht, um an diesen Ort zu kommen, an den der Stern sie geführt hat. In dem in Betlehem geborenen Kind haben sie das größte Geschenk erkannt, das der Ewige Vater dem Menschen macht. In diesem Geschenk wird der Mensch in der Welt als eine besondere Erscheinung Gottes sichtbar. Er war es von Anfang an - geschaffen nach dem Büd und Gleichnis Gottes. Er wußte, daß keines der Geschöpfe, die ihn in der Welt umgaben, ihm gleichkam. Wirklich keines ist ihm ähnlich. Nur er, der Mensch, besaß von Anfang an diese besondere Ähnlichkeit mit Gott. Er war Sein Ebenbild. Diese Ähnlichkeit hat der Mensch durch die Sünde in sich verdunkelt. Er hat das Ebenbild entstellt. Aber zerstört hat er es nicht. Auf den Spuren dieser Gottähnlichkeit ging der Mensch dem Messias entgegen. Er folgte dem Stern seiner göttlichen Bestimmung, so wie die Weisen aus dem Morgenland. Und so geht die Geschichte weiter. Christus ist gekommen, damit der Mensch in sich eine besondere Erscheinung Gottes erkennen kann. Euer Bischofsamt, hebe Brüder, soll dem Menschen unserer Zeit, allen Menschen, zu denen ihr gesandt seid, dabei helfen. 845 Botschaften und Ansprachen 4. Die Weisen aus dem Morgenland „fielen nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar“ {Mt 2, 11). Die Gaben sind eine Antwort auf das Geschenk. In Christus, der in der Nacht von Betlehem geboren wurde, erkennen die Weisen aus dem Morgenland jenes endgültige Geschenk, das der ewige Vater dem Menschen macht. Es ist das Geschenk des Sohnes, des ewigen Sohnes: „Denn Gott hat die Welt so sehr gebebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab . . .“ {Joh 3, 16). Durch dieses Geschenk entdeckt der Mensch aufs neue und trägt in sich die Erscheinung des lebendigen Gottes. Der ewige Sohn hat den Menschen „Macht gegeben, Kinder Gottes zu werden“ {Joh 1, 12). Er hat diese Macht als Bruder den Brüdern gegeben. Er hat den Vater offenbar gemacht und offenbart ihn noch immer in denen, die dieser „ihm zum Erbe gegeben hat“ (vgl. Joh 17, 24). Der Mensch, der die Erscheinung des lebendigen Gottes in sich trägt, lebt ein neues Leben. Er weiß, daß er Früchte hervorbringen muß. Er weiß, daß er auf die Gabe mit einer Gabe antworten muß. Er bringt also Gold, Weihrauch und Myrrhe dar. In dieser Gabe des Menschen, die eine Antwort auf das Geschenk des Himmels darstebt, ist die volle Bedeutung des menschbchen Lebens enthalten und gleichzeitig auch die Ankündigung seiner Berufung zur Herrhchkeit. In dieser Berufung erweisen sich Mensch und Welt als Erscheinung Gottes, die die Grenzen der Zeitbchkeit und Zerstörbarkeit hinter sich läßt. Liebe Brüder, die ihr heute die Bischofsweihe empfangt, tut alles, was ihr könnt, damit die Menschen, zu denen ihr gesandt seid, glauben, daß sie eine Erscheinung des lebendigen Gottes sind. Tut abes, was ihr könnt, damit sie mit einer Gabe auf die Gabe antworten: damit sie Gold, Weihrauch und Myrrhe darbringen. Tut abes, damit die Ankündigung der Berufung zur Herrbchkeit in den Herzen der Menschen wachse und kräftiger werde. 5. Der Bischof von Rom - Nachfolger des hl. Apostels Petrus -, der heute an euch den Dienst der Bischofsweihe vollzieht, erfleht euch heute den Heiligen Geist: den Geist der Wahrheit und den Geist der Liebe -und er erfleht ihn für euch zusammen mit der ganzen Kirche. (O.R. 7./8.1.82) 846 Botschaften und Ansprachen „Es bleiben die Kraft des Gebetes und die Flamme der Hoffnung“ Schreiben „De precibus ad Deum pro Ecclesia in sinis fundendis“ an die Bischöfe der ganzen Welt mit dem Aufruf zum Gebet für die Kirche in China vom 6. Januar Ehrwürdige Brüder, Gruß und Apostolischen Segen! Die Liebe Christi, die uns brüderlich verbindet, und das Bewußtsein des schweren Amtes, das mir als oberstem Hirten der Gesamtkirche anvertraut wurde, drängen mich, mein Herz zu öffnen, um Euch, hebe Brüder im Bischofsamt, an meiner tiefen Sorge über die Kirche in China teilnehmen zu lassen, und ich bin sicher, daß viele von Euch inständige Gebete für die heben Brüder und Schwestern in jener großen Nation zum Vater im Himmel und zu unserem Herrn Jesus Christus, dem Guten Hirten der Seelen, emporsenden. Ich weiß nämlich, daß in verschiedenen Teilen der katholischen Welt Gebetsinitiativen für China eingeleitet worden sind, die aus dem Geist einer tiefen Gemeinschaft und Brüderhchkeit erwachsen, der in Freude und Schmerz die Glieder des mystischen Leibes Christi verbindet und verbinden muß (vgl. 1 Kor 12, 12-30). Dieses Schreiben fußt auf dem Gebet, das ich unablässig für diesen gehebten Teil seines Volkes an den Allmächtigen richte, und seine Absicht ist es, mit Eurer Hilfe die Kathohken in der ganzen Welt zum Gebet zu bewegen. Wir wissen ja mit Sicherheit, daß der Herr seinen Worten treu ist: „Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet“ (Mt 7, 7). Und in der Tat, auch wenn die gewohnten Mittel fehlen, die der Aufrechterhaltung gegenseitiger Beziehungen innerhalb einer Gemeinschaft dienen, bleibt doch immer die Kraft des Gebetes, die die Hamme der Hoffnung nährt, die nicht enttäuscht, dank des Wirkens des Heiligen Geistes, der in uns ist. „So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an - so lehrt uns der hl. Paulus. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können“ {Rom 8, 2). Darum bitte ich Euch zu beten; ich bitte Euch, vereint Euch im Geiste Gottes mit den Söhnen und Töchtern der katholischen Kirche, die in China leben und zu denen schon seit einigen Jahrzehnten keine sichtbare Verbindung mehr besteht. Durch das Gebet bleiben sie, auch wenn sie jeder äußeren Verbindung mit uns beraubt sind, doch im Herzen der Kirche Christi. Außerdem sollen vom göttlichen Erbarmen durch das 847 Botschaften und Ansprachen Gebet jene Gaben, Erleuchtungen und geistlichen Kräfte erwirkt werden, die die unerläßlichen Voraussetzungen für die Kirche in China schaffen, damit sie sich auch der sichtbaren Einheit mit der Kirche Jesu Christi erfreuen kann, die „eine heilige, katholische und apostolische Kirche“ ist. Deshalb ist es die besondere Aufgabe des römischen Stuhles Petri, die Brüder in Wahrheit und Liebe zu vereinigen. Tatsächlich hat der Herr Jesus dem Apostel Petrus aufgetragen, seine Brüder zu stärken (vgl. Lk 22, 32), denn auf ihn sollte nach dem Willen des Herrn die Kirche gebaut werden (vgl. Mt 16, 18-19). „Der Bischof von Rom ist als Nachfolger Petri - wie das Zweite Vatikanische Konzil ausführt - das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen“ (Lumen gentium, Nr. 23). Er ist es, der den Episkopat eint und ungeteilt sein läßt (vgl. ebd., Nr. 18). Darum ist die Verbundenheit mit dem Stuhl Petri und seinem apostolischen Dienstamt unerläßliche Vorbedingung, daß jemand an der Einheit mit der großen katholischen Familie teilhaben kann. Die Sorge um die Kirche in China, von der meine unmittelbaren Vorgänger Pius XII., Johannes XXIII., Paul VI., und Johannes Paul I. stets lebhaft erfüllt waren, ist, wie ich bereits mehrmals und in verschiedener Weise bekundet habe, zu einer besonderen und ständigen Sorge meines Pontifikats geworden, diese Sorge entsteht aus dem Wesen der Katholizi-tät der Kirche selbst, die eine und universal ist, vielfältig in der Verschiedenheit der Völker, aus denen sie sich zusammensetzt, und zugleich ein und dieselbe im Fundament des Glaubens und in der Verbundenheit der Gemeinschaft. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt: „In allen Völkern der Erde wohnt dieses Gottesvolk, da es aus ihnen allen seine Bürger nimmt. . . Da aber das Reich Christi nicht von dieser Welt ist (vgl. Joh 8, 36), so entzieht die FKirche oder das Gottesvolk mit der Verwirklichung dieses Reiches nichts dem zeitlichen Wohl irgendeines Volkes. Vielmehr fördert und übernimmt es Anlagen, Fähigkeiten und Sitten der Völker, soweit sie gut sind. Bei dieser Übernahme reinigt, kräftigt und hebt sie aber auch . . . Diese Eigenschaft der Weltweite, die das Gottesvolk auszeichnet, ist Gabe des Herrn selbst“ (Lumen gentium, Nr. 13). Das Konzü fährt in seiner Weisung fort: „Kraft dieser Katholizität bringen die einzelnen Teile ihre eigenen Gaben den übrigen Teilen und der ganzen Kirche hinzu, so daß das Ganze und die einzelnen Teile zunehmen aus allen, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit Zusammenwirken . . . Darum gibt es auch in der kirchlichen Gemeinschaft zu Recht Teilkirchen, die sich eigener Überlieferung erfreuen, unbeschadet des Primats des Stuhles Petri, welcher der gesamten Liebesgemein- 848 Botschaften und Ansprachen Schaft vorsteht (vgl. Ignatius v.A., Ad Rom., Vorrede), die rechtmäßigen Verschiedenheiten schützt und zugleich darüber wacht, daß die Besonderheiten der Einheit nicht nur nicht schaden, sondern ihr vielmehr dienen. Daher bestehen schließlich zwischen den verschiedenen Teilen der Kirche die Bande einer innigen Gemeinschaft der geistigen Güter, der apostolischen Arbeiter und der zeitlichen Hilfsmittel. Zu dieser Gütergemeinschaft nämlich sind die Glieder des Gottesvolkes berufen, und auch von den Einzelkirchen gelten die Worte des Apostels:,Dienet einander, jeder mit der Gnadengabe, wie er sie empfangen hat, als gute Verwalter der vielfältigen Gnadengaben Gottes“ (1 Petr 4, 10)“ (ebd., Nr. 13). Die römische Kirche wollte stets wie eine Mutter (mit zarter und echter Liebe, wenn auch bisweilen mit menschlichen Fehlern) das Wachstum ihrer Kinder in der ganzen Welt fördern, indem sie dafür Sorge trug, daß es ihnen weder an tüchtigen und erfahrenen Hirten noch an Personal für die Missionsstationen und Hilfsmittel für die Evangelisierung fehle. Sobald aber die Gemeinden in ihrer Entwicklung eine gewisse Reife erlangt hatten, ordnete sie mit Freude an, daß es nunmehr Aufgabe des örtlichen Klerus sei, die eigene Kirche zu leiten, mit der sie die Gemeinschaft des Glaubens und die daraus sich ergebende gemeinsame Disziplin bewahrte. Daß aber in immer größerer Anzahl einheimische Bischöfe in den Bischofskonferenzen der ganzen Welt und auch Prälaten und Bischöfe aus allen Kontinenten an der Römischen Kurie anzutreffen sind, ist ein beredter Beweis für die aufmerksame Sorge, mit welcher die Kirche sich der Arbeit und Mitwirkung ihrer Söhne ohne Unterschied der Herkunft und ohne Verlangen nach Vorherrschaft bedient. Besonders nach dem Zweiten ökumenischen Vatikanischen Konzil wurde den Bischofskonferenzen überdies ein äußerst weiter Raum zugewiesen, um für das Wohl ihrer Gläubigen innerhalb ihres Gebietes tätig sein zu können; sie wissen freilich sehr wohl, daß sie bei irgendwelchen Schwierigkeiten oder im Falle auftretender dringender Bedürfnisse immer auf die Unterstützung, die verständnisvolle Bereitschaft und die Hilfe der römischen Kirche vertrauen können. Wir haben erfahren, daß unsere Brüder und Schwestern in China in diesen dreißig Jahren bittere und anhaltende Diskriminierungen erleiden mußten. Gerade durch diese bitteren, schmerzüchen Leiden haben sie ihre Treue zu Christus und seiner Kirche unter Beweis gestellt; solche Beweise von Tapferkeit lassen sich in der Tat mit denen der Christen aus den ersten Jahrhunderten der Kirche vergleichen. Welchen Trost bereitet es, Nachrichten zu erhalten über die standhafte, unerschrockene Treue chinesischer Katholiken zum Glauben ihrer Väter und über ihre geradezu 849 Botschaften und Ansprachen kindliche Verbundenheit mit dem Stuhl Petri. All das, was wir zutiefst bewundern, soll uns noch mehr anspomen, ihnen unsere hebevolle Hilfe und die Unterstützung unseres eifrigen Gebetes anzubieten. Schon seit einiger Zeit finden die Forderungen nach religiöser Freiheit in diesem riesigen Land mehr Anerkennung. Deshalb müssen wir den allmächtigen Gott und Herrn der Völker bitten, daß nach Anwendung der Prinzipien dieser Freiheit unsere chinesischen Brüder und Schwestern sich ungehindert zu ihrem Glauben bekennen können, während sie in der katholischen Einheit der Kirche verbleiben. Der Apostolische Stuhl versäumt keine Gelegenheit bei dem Versuch, den Katholiken in China zu erkennen zu geben, wie tief sie im Herzen der katholischen Kirche leben, die mit besonderem Interesse und Wohlwollen auf jene großartige Fülle der Traditionen und der Kultur, hoher Humanität und reicher Spiritualität blickt, aus welcher sich das Erbe der großen chinesischen Nation in Geschichte und Gegenwart zusammensetzt: Das alles habe ich in meiner Ansprache in Manila am 18. Februar vergangenen Jahres ausführlich dargelegt. Um dieser Sorge „für alle Kirchen“ (2 Kor 11, 28) wegen, die uns verbindet, bitte ich daher Euch, liebe Brüder im Bischofsamt, inständig, dasselbe zu tun und die Euch anvertrauten Gläubigen aufzufordem, daß sie für und mit ihren chinesischen Brüdern und Schwestern zu Gott beten. Beten wir also gemeinsam darum, daß sie fest im Glauben bleiben und in tätiger Liebe ausharren. Flehen wir zum Herrn, daß er ihnen die immer lebendigere und freudigere Hoffnung auf ein künftiges Wiedererstehen ihrer Kirche nähren möge und auf ein neues Pfingsten des Geistes, das die Botschaft Christi in jenem geliebten Land wiederum zum Erblühen bringt. Bitten wir den Herrn auch, daß er die Herzen derer bewegt, die von Zweifeln und Furcht heimgesucht werden, und ebenso derjenigen, die damit die Bewahrung des Glaubens, die ihnen einst aufgetragen worden war, aufs Spiel gesetzt haben. Beten wir schließlich zu Gott für das gesamte edle chinesische Volk, daß es immer auf dem Weg der Gerechtigkeit und des echten Fortschritts wandeln möge. Beten wir aber vor allem mit der Überzeugung des Völkerapostels darum, daß Gott, der „unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können“ (Eph 3, 20) „bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führen möge“ (vgl. Röm 8, 28). Vertrauen wir aber unsere flehentlichen Bitten der mächtigen Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria an, die die gläubigen Chinesen mit glühendem Herzen und großem Vertrauen als Königin Chinas anrufen, damit sie von ihrem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, die Fülle der 850 Botschaften und Ansprachen Gnaden und himmlichen Gaben für seine geliebten Söhne und Töchter in China erbitte. Das bevorstehende chinesische Neujahrsfest (am 25. Januar 1982) bietet mir die willkommene Gelegenheit, wiederum die Liebe und Wertschätzung zu bekunden, die ich für das chinesische Volk empfinde und immer empfunden habe. Zu diesem festlichen Anlaß schließe ich mich der Freude aller Mitglieder der großen Familie der Chinesen an, wo immer sie sich aufhalten, und wünsche ihnen allen ein glückliches und friedliches neues Jahr. Euch erteüe ich voll Liebe im Herrn den Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 6. Januar 1982, dem Fest der Erscheinung des Herrn, im vierten Jahr meines Pontifikats. PAPST JOHANNES PAUL II. (O.R. 24. 1. 82) Mit der Vaterschaft Gottes beschenkt Predigt bei der Messe in der Cappella Paolina, wo er am Sonntag, 10. Januar, 13 Kindern das Sakrament der Taufe spendete 1. „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden“ (Mt 1, 11). Liebe Brüder und Schwestern, diese Worte, die den Höhepunkt des heutigen Evangeliums von der Taufe Jesu darstellen, der die Liturgie dieses Sonntags geweiht ist, begleiten auf wunderbare Weise das Taufsakrament, das ich gleich den hier anwesenden Neugeborenen erteilen werde. Ich Weiß, daß dies ein Augenblick ist, der vor allem für die Eltern und nächsten Verwandten der Kinder von starker menschlicher Bewegung gekennzeichnet ist. Aber das, was wir jetzt tun, hat seine tiefste Bedeutung in dem Umstand, daß wir eine neue und außerordentliche Gnadenbeziehung zwischen Gott und diesen Geschöpfen herstellen, die bereits im Vollsinn des Wortes menschliche Personen sind, denen die Taufpaten Stimme und Antwort verleihen. 2. „Du bist mein geliebter Sohn!“ Die Stimme aus dem Himmel, am Jordanufer, galt in höchstem und unvergleichlichem Maße Jesus, dem von Ewigkeit her einzigen wahren Sohn Gottes. Aber heute wie bei jeder Taufe ist es, als würden diese Worte aus der Höhe des Himmels jedem 851 Botschaften und Ansprachen Getauften aufs neue verkündet mit einer Bedeutung, die mit den Worten des Evangeliums zwar nicht identisch, aber doch ihnen ähnlich ist. Denn durch dieses Sakrament wird der Getaufte mit der Vaterschaft Gottes beschenkt, und wer sie erhält, erlangt eine neue Beziehung zur Kindschaft zu Gott. Auf diese Weise wird ein Zustand inniger Gemeinschaft mit Ihm geschaffen, der die Überwindung aller inneren Entfremdung durch die Sünde und damit, wie der hl. Paulus schreibt, die Bildung „einer neuen Schöpfung“ (2 Kor 5, 17) darstellt. 3. Die Taufe ist daher wirklich eine neue Geburt, eine Wiedergeburt, wie derselbe Apostel sich ausdrückt: „Ein Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist“ (Tit3, 5). Und deshalb empfinden wir alle in dieser Stunde im Herzen eine tiefe geistliche Freude, die Freude der Kirche als Familie, die genau der Freude des Augenblicks der Geburt entspricht, wenn die Mutter frohlockt, weil „ein Mensch zur Welt gekommen ist“ (Joh 16, 21). So tun auch wir, weü in diesem Augenblick einige neue Mitglieder zur Familie Gottes hinzukommen und so, wie sie in Ihm einen neuen Vater erhalten, auch in uns neue Brüder finden, bereit, sie fürsorglich und voll Jubel in die große Gemeinschaft der Kinder Gottes aufzunehmen. 4. Eine Verpflichtung wird uns allen und besonders den Eltern und Paten auferlegt: die Neugetauften in verantwortlicher Weise zu erziehen und ihnen zu helfen, als Christen heranzuwachsen. Aus der Apostelgeschichte haben wir gehört, daß Jesus nach seiner Taufe „umherzog, Gutes tat und alle heilte“ (Apg 10, 38). Die Taufe muß im konkreten Leben durch ein leuchtendes Zeugnis, das den in jenem Sakrament empfangenen Grundlagen entspricht, zum Ausdruck kommen. Denn „durch die Taufe wurden wir mit Christus begraben auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben“ (Röm 6, 4). Es kommt darauf an, daß der Samen der Gnade, der „in unsere Herzen“ (Gal4, 6; Röm 5, 5), das heißt in die Seele der Getauften gesenkt wurde, wächst und reiche Frucht bringt, und dafür ist der Beistand und die Hilfe dessen entscheidend, der ihnen nahe ist und ihr christliches Heranreifen beeinflussen kann. 5. Deshalb seid auch ihr Erwachsenen alle heute aufgerufen, eure Taufe zu leben, das heißt, euren Glauben an den Herrn und eure Verpflichtungen in der Kirche zu erneuern, denn das, was wir jetzt feiern, betrifft uns alle persönlich. Ich meinerseits versichere euch meines Gebetes nicht nur für die kleinen Täuflinge, sondern auch für euch, damit ihr eure christlichen Pflichten ihnen gegenüber würdig wahrnehmen könnt. Und alle gemeinsam wollen wir den Herrn bitten, „daß wir in unserem Innern 852 Botschaften und Ansprachen durch seinen Geist an Kraft und Stärke zunehmen“ (Eph 3, 16), um stets zu seiner größeren Ehre zu leben. Amen. (O.R. 11./12.1. 82) Wodurch der Mensch mehr Mensch wird Ansprache an die Bischöfe der Lombardei anläßlich ihres „Ad-limina“-Besuches am 15. Januar Ehrwürdige und geliebte Brüder, Bischöfe der Kirche in der Lombardei! 1. Ich danke dem Herrn aus ganzem Herzen für die große Freude, die mir die Begegnung mit euch bereitet. Ich habe im Gebet euer Kommen erwartet und es so vorweggenommen in der lebhaften Sehnsucht, jeden einzelnen von euch und alle zusammen zu sehen, „um euch geistliche Gaben zu vermitteln, damit ihr dadurch gestärkt werdet, oder besser: damit wir, wenn ich bei euch bin, miteinander Zuspruch empfangen durch euren und meinen Glauben“ (Röm 1, 11-12). Beten wir gemeinsam Christus an, der uns zum Dienst an seinem Evangelium erwählt hat. Beten wir ihn an, weil er uns zu Werkzeugen seiner erbarmenden Liebe gemacht hat, damit wir den Menschen unserer Zeit Licht und Trost spenden, deren Heil wie für die Menschen von gestern und aller Zeiten einzig und allein in der Wahrheit zu finden ist, mit der wir durch die göttliche Offenbarung, die sich in Ihm erfüllt hat, vertraut gemacht worden sind. Hierher, zu diesem Apostolischen Stuhl, der der Kirche in Liebe vorsteht, zu diesem Stuhl des Stellvertreters Christi, auf den der Herr durch seinen unergründlichen Willen meine bescheidene Person berufen hat, seid ihr gekommen, um mir die Probleme, die Freuden, die Sorgen und Leiden eurer pastoralen Sendung mitzuteilen. Ich nehme euch mit brüderlicher Liebe und in dem Wunsch auf, euch den tröstenden Zuspruch und das Verständnis anzubieten, die euch helfen sollen, in eurer Sendung als „Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes“ (vgl. 1 Kor 4,1) fortzufahren. 2. Ihr seid Bischöfe in der Lombardei, einer Region Italiens, in der die Verkündigung des Evangeliums und die Errichtung der Kirche bis in die ersten christlichen Jahrhunderte zurückreichen. Ihr seid somit Erben und Hüter einer religiösen Tradition von unschätzbarem Wert. Aus dieser Tradition gilt es, unaufhörlich zu schöpfen, weil sie, weit davon entfernt 853 Botschaften und Ansprachen ein Hemmnis zu sein, gleichsam eine vorantreibende Kraft ist. Es mag genügen, die Namen des hl. Ambrosius und des hl. Karl Borromäus anzuführen, um ein Erbe an Lehre und pastoraler Erfahrung zu beschwören, das auch heute, in einer ganz anderen Zeit, imstande ist, den Geist zu erleuchten und den Willen derer zu unterstützen, die die Sendung dieser Männer fortsetzen sollen. In unserem Jahrhundert stammten gleich drei Päpste aus eurer Region, wo sie auch ihre Erziehung erhielten: Pius XI., Johannes XXIII. und Paul VI., alle drei großen, ehrwürdigen Andenkens. Wir glauben daran, daß der Heilige Geist die Kirche Gottes leitet, und im Glauben können wir wohl annehmen, daß die Tatsache, daß in wenig mehr als einem halben Jahrhundert das Petrusamt drei Päpsten lombardischer Herkunft anvertraut worden ist, providentielle Bedeutung hat. Dieser Umstand ruft Gedanken wach, die in besonderer Weise eure Region betreffen und an ihre lange Geschichte erinnern. .Es ist die Geschichte einer gediegenen, fleißigen Bevölkerung, vor allem aber die Geschichte der fortschreitenden Durchdringung der Denkweise und der Lebensgewohnheiten durch das Christentum, wodurch sich jener Kern grundlegender Werte herausbildete, an denen ungezählte Generationen von Lombarden ihr Leben inspiriert haben, Es fällt uns nicht schwer, einige der wichtigsten dieser Werte aufzuzählen: die Hochschätzung des Ehebandes; die Pflege des Familienlebens; die Sorge für die Erziehung der Künder; Fleiß und Einsatz bei der Arbeit; Ehrenhaftigkeit der menschlichen Beziehungen; Seelenstärke bei der Auseinandersetzung mit Schwierigkeiten; Freiheitsliebe; Hochherzigkeit; Teilnahme am bürgerlichen Leben und vor allem ein religiöser Glaube und eine Anhänglichkeit an die katholische Kirche, welche das richtungweisende Licht im Leben eures Volkes darstellten. Aus eurer Geschichte und Tradition sind die zahlreichen lombardischen Heiligen hervorgegangen, die die Kirche wegen des anerkannten Heroismus ihrer Tugenden verehrt; hervorgegangen sind die zahllosen Heiligen, die allein Gott kennt, die Tag für Tag, vor allem in den Familien, durch Gebet, Beispiel und Erziehung den Glauben weitergegeben haben; hervorgegangen sind auch große Scharen von Priestern, bewundernswürdig wegen ihrer Hingabe an die Seelen und ihres Dienstes für die Kirche, Männer, die voll engagierter Dynamik, aber mit pastoraler Klugheit ihre Herde zu führen wußten. 3. In eurer Region finden sich alle Zeichen, die unsere Zeit zu einer geschichtlichen Periode machen, die erstaunlich ist durch das, was der Menschheit aufzubauen gelungen ist, die aber auch durch soviel Unruhe 854 Botschaften und Ansprachen gezeichnet ist, die sie verwirrt und erschüttert. Wissenschaft, Technik, Arbeit und Erfindungsgeist haben die lombardische Erde mit Fabriken übersät; sie haben weitverbreiteten Wohlstand hervorgebracht; sie haben eine große Zahl von Personen aus den ärmsten Gegenden Italiens angelockt; sie haben einen Lebensstandard ermöglicht, wie er noch vor einer Generation undenkbar war. Aber all das hat die Lebensgewohnheiten und die Denkweise zutiefst beeinflußt mit oft negativen Auswirkungen im Hinblick auf jene Werte, die die christliche Tradition jahrhundertelang als das kostbarste Gut auch auf bürgerlicher Ebene verteidigt hat. Christus hat euch erwählt und beauftragt, die Wunder seiner Liebe unter den Männern und Frauen zu verkündigen, die die Widersprüche unserer Zeit erleben mit ihren Möglichkeiten zum Guten, aber auch mit dem sie begleitenden Bösen in alter und neuer Gestalt. Die Einsamkeit, die das Herz des Menschen verzehrt und oft zur Verzweiflung treibt, wird ganz besonders innerhalb der Wohlstandsgesellschaft erfahren. Da gibt es Menschen, die diese Einsamkeit des Herzens durch Droge, durch Sexualität, durch praktischen Materialismus, ja selbst durch Gewalt zu überwinden trachten; doch ein Übel läßt sich niemals durch ein anderes Übel besiegen. Wir wissen, daß Christus allein das Herz des Menschen kennt und daß nur aus seinem Wort das lebendige Wasser fließt, das den Durst des Menschen zu stillen vermag. Und Christus, allein Christus zu verkündigen und durch unser Leben zu bezeugen, ist unser Sendungsauftrag. Seelenhirten zu sein, das bedeutet heute wie seit eh und je, daß wir imstande sind, die faszinierende und furchterregende Wirklichkeit des Menschen zu begreifen; das tiefe Bedürfnis, zu heben und geliebt zu werden, das er in sich hegt, zu begreifen; seine Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden zu würdigen. Vorrangige Aufgabe unserer geistlichen Vaterschaft ist die Weitergabe des Glaubens an Christus, denn in diesem Glauben findet jeder Mensch den letzten und einheitlichen Sinn seines Lebens in allen Äußerungen und Richtungen. 4. Eurer Region kommt nicht nur wegen der Arbeit und Organisation Bedeutung zu. Sie ist auch bedeutsam wegen des großen Gewichts, das Kultur und Erziehung mit den unzähligen ihnen zu Diensten stehenden Einrichtungen dort haben. Das gereicht den Lombarden zur Ehre. Der von den Katholiken geleistete Anteil ist von beachtlichem Umfang, weshalb ich euch meine lebhafte Genugtuung und herzliche Ermutigung ausspreche. In vier eurer Städte gibt es Universitäten: Maüand, Pavia, Brescia und Bergamo. Ein engmaschiges Netz von Schulen jeder Form und jeden 855 Botschaften und Ansprachen Grades durchzieht die Region. Es gibt angesehene Bibliotheken, Gemäldegalerien, Konservatorien, Kunstschulen, kulturelle Zentren und Institute. In der Lombardei werden Zeitungen und Zeitschriften von nationalem Niveau gedruckt. Es befinden sich dort bekannte und wichtige Verlagshäuser. Dies alles stellt die Ortskirchen der Lombardei, aber auch die gesamte italienische Kirche vor ein pastorales Problem von grundlegender Bedeutung, nämlich durch den Einfluß, den die alle Grenzen überschreitende Kultur auf die Formung eines gemeinsamen sittlichen Denkens und die Zunahme der Verstandesfähigkeiten ausübt. Wenn „die Kultur das ist, wodurch der Mensch als Mensch in höherem Maße Mensch wird“ {Ansprache vor der UNESCO, 2. Juni 1980), dann erscheint uns die Pflege, die wir der Kultur und ihrer Verbreitung zuwenden müssen, einleuchtend und klar. Das ist die Bestimmung des Menschen, und die Kirche ist daher unmittelbar dafür verantwortlich. Alles, was ihr zur Unterstützung derjenigen tut, die in den verschiedenen kulturellen Einrichtungen und in der Schule tätig sind, und um es nicht an einer starken, ernsthaften, wirksamen katholischen Kulturpräsenz fehlen zu lassen, ist Antwort auf die entscheidendsten Erwartungen des Menschen und gleichzeitig die schwere Verantwortung der Kirche. In einem Sozialgefüge, wie es das der Lombardei darstellt, muß es Aufgabe der Kultur sein, einen Beitrag von unersetzlicher Bedeutung zum Verständnis unserer Zeit zu leisten. Die katholische Kultur darf nicht fehlen. Die vom Lehramt der Kirche in authentischer Weise gehütete und gelehrte Wahrheit Christi erhellt die menschliche Erfahrung und erlaubt, sie gründlich kennenzulernen. Daraus ergibt sich durch dieselbe menschliche Vernunft die Möglichkeit zur Bestimmung von Kriterien und Prinzipien, die zu Wertungen und Orientierungen inspirieren, die ihr andernfalls unzugänglich blieben. Auch wer nicht glaubt, sollte zumindest erkennen, daß der Beitrag der katholischen Kultur zum Verständnis des Menschen die Forschung und allgemeine Erkenntnis bereichert. Der Glaube tötet nicht die Vernunft und schließt nicht aus, was von der Vernunft errungen wird. Aber die Kultur, die der aufrichtig gelebte Glaube hervorbringt, ist eben nicht nur Vernunft. Sie entsteht aus dem christlichen Leben und trägt das Siegel des christlichen Lebens an sich. Sie wird zu einer Gesinnung; sie fordert Konsequenz; sie erkennt den Vorrang der Kontemplation an; sie findet ihre Ausweitung in der Nächstenhebe; sie schenkt jedem einzelnen und dem ganzen Menschen besondere Aufmerksamkeit. Dort, wo die Sache des Menschen einen besonderen Einsatz erfordert, damit sich das, was der Mensch produziert, nicht gegen 856 Botschaften und Ansprachen ihn wendet, kommt einer katholischen Kultur nicht nur aus religiösen, sondern auch aus zivilen und sozialen Gründen eine fundamentale Aufgabe zu. 5. Es erscheint mir angebracht, heute mit euch über einige besondere Probleme zu sprechen, um die Wichtigkeit und Bedeutung einer aufmerksamen und weitblickenden kulturellen Pastoralarbeit zu unterstreichen. Da ist zuerst das Problem der sogenannten „Volkskultur“, das heißt jener Gesamtheit von Prinzipien und Werten, die das Ethos eines Volkes ausmachen, die Kraft, die es zutiefst eint und die die geschichtliche Erfahrung bisweilen um den harten Preis großer gemeinsamer Schmerzen hat reifen lassen und die somit ein gemeinsames Fundament über die verschiedenen ideologischen und politischen Richtungen hinaus bildet. Kein Volk kann sich außerhalb dieses Fundaments bilden. Keine politische Erfahrung, keine Form der Demokratie kann überleben, wenn der Appell an eine gemeinsame sittliche Grundlage schwindet. Kein geschriebenes Gesetz reicht aus, das Zusammenleben der Menschen zu gewährleisten, wenn es nicht aus einem sittlichen Fundament seine innerste Kraft bezieht. Eine solche „Volkskultur“ ist in eurer Region großenteils das Werk des christlichen Glaubens und der im Laufe der Jahrhunderte von der Kirche geleisteten Erziehungsarbeit. Heute ist sie aus verschiedenen Gründen bedroht; ja, sie läuft bisweüen Gefahr, überrannt zu werden. Seid besonders wachsam, was diesen Punkt angeht: Davon hängt die Zukunft der Kirche, aber ebenso die der Gesellschaft ab. Eine zweite Überlegung betrifft die Schule, vor allem die der schulpflichtigen Jungen und Mädchen. Diese Schule ist es, die in hohem Grad zur Bildung der „Volkskultur“ beiträgt. Auch wenn wir den Einfluß der sogenannten „Parallelschule“, das heißt der Massenmedien, und der sich spontan unter den Kindern büdenden Gruppen anerkennen, bleibt die Funktion der Schule doch unersetzlich. Sie bleibt es über die zahlreichen pädagogischen Gründe hinaus auch wegen der Wirkung, die der Lehrer auf die Schüler auszuüben vermag. Daraus erwächst in der Schulpastoral die fundamentale Bedeutung dessen, was geplant und getan wird, um die Lehrer aller Ränge und Grade, angefangen von den Kindergärtnerinnen, religiös und kulturell zu unterstützen. Die Geschichte und die Erfahrung eurer Region bieten mehr als einen Beweis dafür, daß der Glaube dem Volk durch die Eltern, die Priester und in vielen Fällen durch die Lehrer vermittelt wurde. Zahllos sind die Personen, die zugeben, daß sie die erste, nie wieder vergessene religiöse Orientierung ihrer Lehrerin oder ihrem Lehrer in der Grundschule verdanken. Die Katholiken der Lombardei waren die ersten, die die Bedeu- 857 Botschaften und Ansprachen tung des Problems in den Übergangs] ahren des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts erfaßt haben. Ihrer Fähigkeit, weit vorauszublicken, und der für das lombardische Volk typischen Wirklichkeitsnähe und Arbeitsamkeit verdanken wir einige äußerst wichtige Initiativen, die auf die „Erziehung der Erzieher“ zielten und damit der christlichen Volkserziehung einen grundlegenden Anstoß gaben. So hat sich in der Lombardei zu Beginn des Jahrhunderts die nach Nicolö Tommaseo benannte nationale Vereinigung der katholischen Lehrer gebildet. Auf Initiative lombardischer Katholiken entstand die weitblickende Einrichtung des noch heute aktiven Verlages „La Scuola“. Die eben errichtete Katholische Universität veranstaltete die ersten Fortbildungskurse für Lehrer. Möge euch diese Tradition veranlassen, in der Suche nach immer neuen Lösungen eines Problems fortzufahren, dem heute wie gestern wahrhaft historische Bedeutung zukommt. Die „Volkskultur“ wird, wie ich bereits angedeutet habe, heute in hohem Maße von den Massenmedien beeinflußt. Es besteht kein Zweifel an der Wichtigkeit der Medien bei der Bildung der Sitten und Gewohnheiten und der öffentlichen Meinung. Die italienischen Katholiken haben diesem Umstand bereits in lobenswerter Weise viel Beachtung geschenkt; aber die Bemühungen müssen verstärkt werden, damit die Massenmedien nicht in einer Weise tätig werden, daß dadurch die Grundmoral, die stets die heimliche Kraft des italienischen Volkes gewesen ist, aus den Angeln gehoben wird. Es gilt, jede nur mögliche Anstrengung zu unternehmen, um der katholischen Tageszeitung und auch den katholischen Wochenzeitungen, die sich in euren Diözesen weiter Verbreitung unter dem Volk erfreuen, Hilfe und Unterstützung angedeihen zu lassen: Sie tragen euer Wort in die Familien und lassen diese so am Leben der Kirche teilnehmen. Was die katholischen Rundfunk- und Fernsehsendungen angeht, die in eurer Region ausgestrahlt werden, müssen wir ebenfalls sagen: Es handelt sich um Mittel von unschätzbarer Macht, mit deren Hilfe das katholische Wort in sonst unerreichbare Kreise und Orte getragen werden kann, und sie verdienen daher jede nur mögliche Unterstützung. 6. Einen besonderen Hinweis will ich der katholischen Schule Vorbehalten, die in eurer Region mit Erfolg verbreitet und organisiert ist. Dafür spreche ich euch meine herzliche Anerkennung aus. Die katholische Schule ist ja nicht nur eine Randerscheinung oder eine nebensächliche Angelegenheit in der pastoralen Sendung des Bischofs. Man kann sie auch nicht nur als einen Ersatz für die staatliche Schule interpretieren. Und schon gar nicht als Antithese der staatlichen Schule. Sie findet ihre wahre Rechtfertigung in der Sendung der Kirche selbst und ist im Licht der 858 Botschaften und Ansprachen Grundprinzipien der christlichen Lehre voll und ganz verständlich: der Vorrang, der der Familie bei der Erziehung der Kinder zukommt; ein Erziehungsplan, in dem der Glaube, die Kultur und das Leben harmonisch miteinander verschmolzen werden; die allen gebotene Möglichkeit zu einer völlig christlichen Erziehung; die Freiheit nicht nur innerhalb der Institutionen, sondern auch die Freiheit der Institutionen. Die Katholiken der Lombardei haben in der Vergangenheit mit Eifer für ihre Bekenntnisschule wie für die staatliche Schule gekämpft. Das muß fortgesetzt werden, wobei die katholische Schule immer mehr als Initiative der Ortskirche zu betrachten ist, die durch sie Evangelisierungs- und Erziehungsarbeit leistet und zum Aufbau sittlich gesunder und gefestigter Lebensgewohnheiten im Volk beiträgt. Nicht vergessen dürfen wir, daß sich in der Lombardei, nämlich in Mailand und in Brescia, die Katholische Herz-Jesu-Universität befindet, ein echtes Kleinod der katholischen Schule in Italien. Es waren die Genialität und der zähe Wille, der Glaube und die leidenschaftliche Begeisterung für die Erziehung der Jugend, die P. Agostino Gemelli und andere Männer der Lombardei vor ungefähr sechzig Jahren diese katholische Universität Wirklichkeit werden üeßen, womit sie dem Wunsch und dem Verlangen vieler italienischer Katholiken nachkamen. Die Katholische Herz-Jesu-Universität ist heute eine lebendige, angesehene und nicht nur in Italien und unter Katholiken hochgeschätzte Realität. In ihrer dreifachen Funktion - Lehre, wissenschaftliche Forschung, Fortbildung -leistet sie einen unschätzbaren Beitrag zum Leben der Kirche und der Gesellschaft und verdient, mit hochherzigem Einsatz unterstützt zu werden. Wenigstens einen kurzen Hinweis will ich auch den katholischen Verlagshäusern widmen, die in eurer Region entstanden sind und dort ihren Sitz haben. Sie sind zahlreich und stellen einen weiteren Beweis für die Intelligenz und den geistigen Reichtum der lombardischen Katholiken dar. Bei aller Achtung ihrer legitimen Selbständigkeit sollen sie doch begleitet, ermutigt und unterstützt werden, damit ihre Tätigkeit immer einen Dienst an der Wahrheit und an der christlichen Bildung der öffentlichen Meinung darstellt. Zuletzt will ich im Rahmen des grundlegenden Themas Kultur an den Dienst erinnern, den die Theologische Fakultät Norditaliens auf diesem Gebiet zu leisten berufen ist, die von Priestern, Ordensleuten und Laien aus der Lombardei, aus Piemont und Venetien besucht wird. Ich fordere euch auf, aus nächster Nähe das Wirken dieses Zentrums zu verfolgen, indem ihr ihm eure Unterstützung gewährt und zugleich darüber wacht, 859 Botschaften und Ansprachen daß stets die Reinheit der Lehre bewahrt wird. Als Verantwortliche für das ewige Heil eurer Gläubigen müßt ihr euch stets der euch obliegenden Aufgabe lebendig bewußt sein, nämlich zu gewährleisten, daß eurer Herde die Botschaft des wahren Glaubens vermittelt wird und die diesen Glauben bedrohenden Irrtümer von ihr femgehalten werden (vgl. Lumen gentium, Nr. 25). Nur ein Glaube, der sich aus den unverfälschten Quellen der von Christus vermittelten Wahrheit nährt, wird Aktionsprogramme möglich machen, die in der Lage sind, auf das Leben der einzelnen und die Struktur der Gesellschaft positiv einzuwirken. 7. Ehrwürdige Brüder, die Früchte einer kulturellen Pastoral können sich nicht sofort zeigen. Sie brauchen Zeit und Geduld. Wir müssen heute säen, wenn wir wollen, daß die Zukunft unseres Volkes in christlicher Hinsicht blühender und strahlender sein soll. Es ist wichtig, heute mit Hochherzigkeit und Verstand zu säen. Bei diesem Bemühen müßt ihr euch von Priestern und Laien helfen lassen, bei denen sich mit einem klaren christlichen Leben und apostolischem Eifer eine ernsthafte kulturelle Ausbildung, Sicherheit in der Lehre und moderne Methoden verbinden und die zugleich die Fähigkeit besitzen, auf den Grund und vorauszublicken. Was ihr auf dem Gebiet der Kultur und der Erziehung tut, wird jedenfalls Gott zur Ehre und den Menschen zum Heil gereichen. Zum Abschluß dieser Begegnung und im Ausbück auf zwei näherrük-.kende Ereignisse, nämüch den Nationalen Eucharistischen Kongreß 1983 und den 400. Todestag des hl. Karl Borromäus im Jahr 1984, und mit dem Wunsch, daß diese Ereignisse bedeutsame Augenbücke der Reflexion und der Erneuerung werden mögen, erteile ich euch und der von euch vertretenen Bevölkerung von Herzen den Apostolischen Segen. (O.R. 16. 1. 82) „Die Kräfte des Guten sind stärker!“ Ansprache an das beim Hl. Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps am 16. Januar Exzeüenzen! Meine Damen und Herren! 1. Der ansprechende Brauch, zu Beginn des neuen Jahres Glückwünsche auszutauschen, führt uns heute ein weiteres Mal zusammen. Ich danke Ihrem verdienstvoüen Doyen dafür, daß er den Gefühlen, die Sie in 860 Botschaften und Ansprachen diesem Augenblick in Ihren Herzen tragen, in so vornehmen Worten Ausdruck gegeben und sich damit zum Dolmetscher Ihrer Wünsche und Gedanken gemacht hat. Ich begrüße jeden einzelnen von Ihnen und danke Ihnen, daß Sie persönlich zu dieser bedeutsamen Begegnung gekommen sind, die zu den hervorragendsten Augenblicken Ihrer Mission beim Stuhl Petri gehört und der er eine besondere Wichtigkeit beimißt. Ich danke und begrüße Ihre Gemahlinnen, die die Liebenswürdigkeit hatten, Sie, wie jedes Jahr, zu begleiten, wovon ich tief beeindruckt bin; und meine Gedanken gehen auch zu Ihren Familien, an die ich meine besten Wünsche richte. Schließlich danke und begrüße ich die Mitarbeiter, die Ihnen in den Botschaften sachkundig und hochherzig zur Seite stehen und Ihnen bei Ihren Beziehungen zu den verschiedenen Organen des Apostolischen Stuhls einen stets wirkungsvollen und aufmerksamen Dienst gewährleisten. Ich spreche allen ganz herzliche Wünsche aus, insbesondere dafür, daß das eben begonnene Jahr in der Welt - in jedem Ihrer Länder, die Sie in würdiger Weise vertreten - den Morgen einer ruhigeren und friedlicheren Zukunft zeitigen möge, im Zeichen des guten Willens und der Zusammenarbeit aller zum Wohl der Menschen, unserer Brüder. 2. Ihren Ländern gelten meine herzlichen, von guten Wünschen erfüllten Gedanken. Die Beziehungen, die der Hl. Stuhl mit jedem von ihnen unterhält und deren sichtbare und unmittelbare Mittelsmänner Sie sind -so wie es für den Apostolischen Stuhl die päpstlichen Vertreter sind, denen ich meine Grüße übersende und denen ich meine Genugtuung über den pastoralen und am Evangelium orientierten Geist ausdrücke, in dem sie ihre Mission erfüllen -, die Beziehungen, sage ich, zwischen dem Hl. Stuhl und Ihren Ländern stellen ein Element des gegenseitigen Verständnisses dar, einen Faktor des Friedens und der Förderung des Menschen, eine wechselseitige Hilfe für die Sendung, die die Staaten und die Kirche, beide in ihrem fest umrissenen Bereich, für das geistige und soziale Wohl der Menschen zu erfüllen berufen sind. Die Anwesenheit legitimer und qualifizierter Vertreter der verschiedenen Regierungen hier, im Zentrum der Christenheit, bezeugt besser als das Wort die Absicht Ihrer Regierungen, mit der Kirche aufrichtig zusammenzuarbeiten, um den ständigen Aufstieg der Völker zu gewährleisten, die Wege einer immer konstruktiven und friedlichen, weil auf das Gemeinwohl ausgerichteten Verständigung sicherzustellen und der Welt den schwierigen, aber so nützlichen Weg zum Frieden zu garantieren. 861 Botschaften und Ansprachen Sie sind Männer des Friedens! Ihr Leben und Ihre Mission zielen darauf ab, Ihren Landsleuten die Werkzeuge des Friedens zu verschaffen. Sie üben Ihre Funktion beim Hl. Stuhl aus, dessen Friedensinitiativen Ihnen wohlbekannt sind. Der Stuhl Petri bleibt seiner Sendung treu: nämlich die richtige Verständigung zwischen den Völkern zu fördern und das Gut des Friedens zu schützen, der das kostbarste Erbe ist, das für die Gesamtentwicklung des Menschen auch im Bereich des irdischen Staates unerläßliche Erbe. Die Kirche erfüllt diese Aufgabe zum Wohl des Menschen, indem sie sich über die Parteien stellt, wie im besonderen die jüngste, auf meinen ausdrücklichen Wunsch und unter dem Patronat der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften verwirklichte Initiative beweisen möchte: Den Staatsoberhäuptern der Atommächte und dem Vorsitzenden der Vollversammlung der Vereinten Nationen wurde eine Studie über die schrecklichen und unwiderruflichen Folgen eines Atomkrieges übergeben. In der Sicht des Hl. Stuhls beabsichtigt die Initiative nicht, auf die technischen Details bereits laufender oder eventueller späterer Verhandlungen einzugehen; sie will aus humaner und moralischer Sicht, indem sie an die Wissenschaftler appelliert, ihren Beitrag zu der großen Sache des Friedens zu leisten, klarstellen, daß die einzige Lösung angesichts der Möglichkeit eines Atomkrieges in der sofortigen Reduzierung und später völligen Abschaffung der Kernwaffen durch besondere Abkommen und wirksame Kontrollen besteht. Aus all diesen Gründen würdige ich Ihre Anwesenheit sehr. Ich wünsche Ihnen aus ganzem Herzen, daß Sie immer und wahrhaftig Männer des Friedens sein können. Die heutige Welt braucht solche Männer! 3. Aber ich denke, wie ich Ihnen bereits im vergangenen Jahr gesagt habe, an die Lücken, die innerhalb des verdienstvollen, beim Hl. Stuhl akkreditierten Diplomatischen Corps noch geschlossen werden sollten. Ich denke an die Völker, die gleichfalls hier vertreten sein könnten, hier in diesem Haus, das das Haus aller ist, weil die Kirche, wie schon das Wort sagt, „katholisch“, also für die ganze Welt offen ist. Sie steht keiner Kultur, keiner Zivilisation, keiner ethnischen und sozialen Tradition fremd gegenüber. Ja, sie betrachtet kein Volk als fremd: alle sind ihr teuer und nahe, weil sie sich durch göttlichen Auftrag zu allen gesandt weiß. Und ebenso wie alle Völker der Erde ihr nahe und teuer sind, so möchte sie von keinem als fremd, fernstehend oder verdächtig angesehen werden. Das Wirken der Kirche ist einzig und allein auf das Gute gerichtet; sie versucht unermüdlich, sich den anderen zu widmen, sich ihrer Sorgen und Nöte anzunehmen, ihr Schicksal zu teilen. 862 Botschaften und Ansprachen 4. Ganz besonders herzlich möchte ich die diplomatischen Vertreter begrüßen, die dieses Jahr beim Hl. Stuhl einen neuen Abschnitt ihres vornehmen Dienstes begonnen haben. Es handelt sich um die Botschafter Japans, Österreichs, Ghanas, Portugals, Koreas, des Iran, Brasiliens, Italiens, Argentiniens, Boliviens, Jugoslawiens, von Honduras, Equador, der Dominikanischen Republik, Finnlands, Indiens, Tunesiens und Luxemburgs. Auch habe ich die Freude, Ihnen bekanntzugeben, daß mit dem heutigen Tag auf Grund eines Übereinkommens mit der Regierung des Vereinigten Königreiches, das die bestehenden ausgezeichneten Beziehungen zum Hl. Stuhl bestätigt und ihre weitere Entwicklung zum Ziel hat, die Gesandtschaft Großbritanniens beim Hl. Stuhl in den Rang einer. Botschaft erhoben wurde, während in London eine Apostoüsche Nuntiatur mit einem Pro-Nuntius als Missionschef errichtet wurde. Die besonderen Ereignisse des vergangenen Jahres, in dem der Herr seinen Stellvertreter auf Erden eine schmerzliche Prüfung erfahren Heß, haben die meisten der neuen Botschafter veranlaßt, ihre offizielle Mission mit der Überreichung einer Kopie ihres Beglaubigungsschreibens an meinen Staatssekretär zu beginnen, wie es die Wiener Konvention vorsieht. Die Vorsehung hat es mir später ermöghcht, sie, einen nach dem anderen, zu der üblichen feierhchen Audienz zu empfangen, die den neuen Botschaftern gewährt wird. Während ich an das Geschehene erinnere, drängt es mich, Ihnen noch einmal meinen aufrichtigen und bewegten Dank auszusprechen für die Anteilnahme an dem tragischen Ereignis vom vergangenen Mai, die Sie sowohl persönhch durch das von Ihnen bekundete eifrige, unablässige Interesse als auch im Namen Ihrer Regierungen und der verschiedenen Autoritäten zum Ausdruck gebracht haben. Möge Ihnen der Herr das ganze Einfühlungsvermögen vergelten, das Sie in dieser Situation durch Ihr Zeugnis menschhcher Solidarität und Sympathie, die ich wohl niemals vergessen kann, bewiesen haben! 5. Ihnen, die Sie berufen sind, kraft Ihrer in der Welt wahrhaft einzigartigen Sendung das Leben des Apostohschen Stuhls und des demütigen Nachfolgers Petri, der zu Ihnen spricht, aus nächster Nähe zu verfolgen, Ihnen, den aufmerksamen Beobachtern dessen, was hier vorgeht, entgeht natürUch kein Aspekt dieser Aktivität. Ihre Aufgabe ist es, nicht nur eine exakte Information über die das Leben der Kirche betreffenden Ereignisse und Sachverhalte zu erhalten, sondern auch und vor allem eine Interpretation dieser Ereignisse zu liefern, die deren echte und tiefe Bedeutung erfaßt und Ihnen selbst und Ihren Regierungen erlaubt, zum Kern der kirchHchen Probleme zu kommen und einen genauen Eindruck von ihnen zu erlangen. 863 Botschaften und Ansprachen Die Kirche wendet sich in der Tat an alle Menschen- was auch immer ihr Glaube oder ihre Ideologie sein mag die rechtschaffen und ehrlich nach dem gemeinsamen Wohl aller suchen. Sie will die unverletzlichen Rechte der Würde des Menschen, welcher Zivilisation oder geistigen Einstellung er auch angehört, schützen und ist offen für die Erwartungen, Beteuerungen und Sorgen, die für den Menschen kennzeichnend sind und sich auf das Wahre, Schöne und Gute beziehen. 6. Aus dieser weiten Perspektive verstehen Sie, daß es nur recht ist, wenn der Hl. Stuhl in Übereinstimmung mit den Bischöfen der verschiedenen Kontinente und der Gesamtkirche den Grundrechten des Menschen, auf persönlicher wie auf sozialer Ebene, ganz wesentliche Bedeutung beimißt. Es gibt da eine unantastbare Pflicht der Kirche, und es ist tröstlich, zu sehen, daß sich uns dabei unsere Brüder aus anderen christlichen Gemeinschaften angeschlossen haben, die mit allen ihren Kräften dafür arbeiten. Wie ich ja in meiner ersten Enzyklika Redemptor hominis geschrieben habe, ist „der Mensch in der vollen Wahrheit seiner Existenz, seines persönlichen und zugleich gemeinschaftsbezogenen und sozialen Seins -im Bereich der eigenen Familie, auf der Ebene der Gesellschaft und so vieler verschiedener Umgebungen, auf dem Gebiet der eigenen Nation oder des eigenen Volkes oder vielleicht auch nur des eigenen Clans oder Stammes, schließlich auch im Bereich der gesamten Menschheit - dieser Mensch ist der erste Weg, den die Kirche bei der Erfüllung ihres Auftrags beschreiten muß: Er ist der erste und grundlegende Weg der Kirche, ein Weg, der von Christus selbst vorgezeichnet ist“ (Nr. 147). Hier ist der Grund für das unermüdliche Wirken zu finden, das die Kirche gegenüber dem Menschen erfüllt, als Einzelperson gesehen oder durch sein Einge-fügtsein in das öffentliche Gefüge seines Daseins. Gerade bei der. Betrachtung dieser zweiten Dimension - des gemeinschaftsbezogenen und sozialen Wesens des Menschen - wird die Bedeutung der Rechte eines jeden Volkes sichtbar, denn die Nation ist die „natürliche“ Gesellschaft, in der der Mensch durch die Familie zur Welt kommt und wo sich seine soziale Identität bildet; das heißt, er lebt in einer bestimmten Kultur, die den Geist eines Volkes formt und den Menschen, indem sie sie differenziert, die charakteristischen Merkmale ihrer Persönlichkeit und ihrer Büdung aufprägt. Wie ich am 2. Juni 1980 am angesehenen Sitz der UNESCO in Paris sagte, „ist die Kultur eine besondere Form des ,Daseins“ und des ,Seins“ des Menschen. Der Mensch lebt immer in den Formen einer Kultur, die zu ihm gehört und die ihrerseits ein Band unter den Menschen schafft, das ebenfalls zu ihnen gehört, weil es den zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Charakter der menschlichen 864 Botschaften und Ansprachen Existenz prägt. In der Einheit der Kultur als der eigentümlich menschlichen Daseinsweise hat auch der Pluralismus der Kulturen seine Wurzel, in denen der Mensch lebt. In dieser Vielfalt entfaltet sich der Mensch, ohne deswegen die wesentliche Verbindung mit der Einheit der Kultur als der fundamentalen und wesentlichen Dimension seiner Existenz und seines Seins zu verlieren“ (Nr. 6). In meiner Ansprache im vergangenen Jahr habe ich - Sie erinnern sich daran - Ihre Aufmerksamkeit auf den einigenden Charakter der Kultur gelenkt, und darauf komme ich heute zurück, um Ihnen im einzelnen die wesentlichen Überlegungen des Hl. Stuhls zur aktuellen internationalen Lage zu unterbreiten. 7. Indem sich die Kirche eben auf diese Voraussetzung stützt, nimmt sie mit Aufmerksamkeit, ja mit tiefer innerer Bewegung an den Ereignissen im Leben der Völker, besonders in bestimmten Teilen der Welt, teil. An erster Stelle erinnere ich an die ernste und gespannte Lage in mehreren Ländern Zentralamerikas, wo die Zahl der durch Unterdrük-kungs- oder Guerillaaktionen verursachten Opfer weiter ansteigt und eine grauenhafte monatliche Bilanz erreicht, so als handle es sich um eine nicht einzudämmende Flut der Gewalttätigkeit. Ich verweise erneut auf die Situation im Mittleren Osten, wo ein ohnehin schon brüchiger Waffenstillstand durch immer neue Gewaltaktionen und durch die Starrheit unversöhnlicher Positionen ständig bedroht ist. Ich führe die noch offene Wunde des Terrorismus im nationalen und internationalen Bereich an, von dem, wenn auch in verschiedenem Zusammenhang und aus unterschiedlichen Gründen, Regionen besonders betroffen werden, die uns so teuer sind und die wir so sehr lieben. Ich denke dabei an Nordirland; und ich denke auch an das, was in Italien geschieht. Darüber hinaus stand in den letzten Wochen mein geliebtes Vaterland im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der ganzen Welt, insbesondere der westlichen, wegen der Ausrufung des „Kriegszustandes“, der noch heute in Kraft ist, wegen der Verhaftung von Tausenden von Bürgern, vor allem der Intellektuellen und der Verantwortlichen der freien Arbeiterorganisation, wegen der moralischen Unterdrückung, die den Bürgern auferlegt wird, um zu überleben und zu arbeiten. Die Verschlechterung der Lage wird vom Gewissen der Völker, besonders Europas, um so mehr bemerkt, als der außerordentliche Tribut an Opfern und Blut bekannt ist, den die Polen, vor allem seit dem Ende des 18. Jahrhunderts und mit dem Holocaust von sechs Millionen Bürgern während des letzten Krieges, geleistet haben, damit ihnen die unabhängige und souveräne Existenz als 865 Botschaften und Ansprachen Nation, die sie nur nach dem Ersten Weltkrieg erreicht haben, gewährleistet wäre. Als Angehöriger dieses stolzen und fleißigen Volkes habe ich die Auswirkungen der jüngsten Ereignisse in meinem Herzen besonders stark empfunden. Doch was sich in anderen Ländern zuträgt, verursacht mir nicht weniger Leid. Denn hier leidet ja nicht nur der Sohn Polens, sondern auch das sichtbare Oberhaupt der katholischen Kirche, der Verantwortliche des Hl. Stuhls, dem alle Völker, wie ich bereits eingangs sagte, gleichermaßen lieb und nahe sind. Man kann nicht schweigen, wenn die unantastbaren Rechte des Menschen und die nicht weniger geheiligten Rechte verschiedener Nationen gefährdet sind. Der Hl. Stuhl nimmt sich in dieser traurigen Stunde solcher Probleme an, denn er ist der Meinung, daß mit ihnen nicht nur politische Interessen, sondern auch und vor allem unschätzbare moralische Werte verknüpft sind, auf die eine menschliche Gesellschaft, die dieses Namens würdig ist, gegründet ist. Es ist tröstlich zu sehen, wie sehr den Leiden dieser Völker - und ohne die erwähnten Situationen zu vergessen, beziehe ich mich wiederum insbesondere auf Polen, das von so vielen Staaten und Organisationen Hilfssendungen erhält, wofür ich nochmals danke - und auch den Spannungen dieser Länder konkret Beachtung geschenkt und die allgemeine Zusammenarbeit der Regierungen geweckt wird. Ein solcher Einsatz von seiten aller Völker, denen die moralischen Werte am Herzen liegen, wird vom Hl. Stuhl innerhalb seiner Kompetenzen und in einer Weise unterstützt, wie sie seinem Auftrag, der keinerlei politischen Charakter hat, entspricht. In der öffentlichen Meinung der ganzen Welt verstärkt sich von Tag zu Tag die Überzeugung, daß die Völker die Gesellschaftsordnung, die sie für ihr eigenes Land anstreben, frei wählen können müssen und daß diese Ordnung der Gerechtigkeit entsprechen müsse, unter Respektierung der Freiheit, des Glaubens und der Menschenrechte allgemein. Es ist allgemein geteüte Überzeugung, daß kein Volk von den anderen Völkern als untergeordnetes Wesen oder als Instrument behandelt werden dürfte unter Mißachtung der Gleichheit, die dem menschlichen Gewissen eingeschrieben ist und von den Normen des internationalen Rechts anerkannt wird. So wie es in den zwischenmenschlichen Beziehungen nicht erlaubt ist, daß eine Partei nach ihrem Belieben über die andere verfügt, als ob es sich um eine Sache handle, so muß im internationalen Leben alles angeprangert werden, was dem freien Ausdruck des Wülens der Völker abträglich ist. Die Tatsache der Aufteilung in Hegemoniesphären, die ihren Ursprung in besonderen und zufälligen Situationen gehabt haben mögen, darf nicht ihre Fortdauer rechtfertigen, um so mehr, als sie dahin 866 Botschaften und Ansprachen tendieren, die Souveränität anderer zu beschränken. Jedes Volk muß, was die freie Bestimmung seines eigenen Schicksals betrifft, über sich selbst verfügen können. Die Kirche kann nicht umhin, eine solche Überzeugung zu unterstützen. Auch der innere Friede der Nationen kann auf verschiedene Weise bedroht sein: entweder durch eine bereits bestehende autoritäre Regierungsform, die ein Volk zu überwinden trachtet, um zu einer freieren und seinem Geist entsprechenden Form zu gelangen, oder durch die Gefahr totalitärer Formen, die der humanistischen und religiösen Kultur dieses oder jenes Volkes widerstreben, die man ihnen aber aufzuzwingen trachtet, wobei man sich auf Ideologien stützt, die unter dem Vorwand einer neuen Sozialordnung die Freiheit des Menschen mißachten. Gegenüber diesen schmerzlichen und manchmal dramatischen, für das Leben der Nation stets bedeutsamen und entscheidenden Situationen kann die Kirche, die sich wie eine Mutter um das Wohl der Menschen und Völker sorgt, niemals gleichgültig bleiben. Der von ihr entfaltete Einsatz nimmt einen humanen und moralischen Charakter an, der mit politischen Spekulationen nichts zu tun hat. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich übrigens auch die aktive Rolle, die ich durch meine Vermittlertätigkeit in dem Konflikt über die „Südzone“ übernommen habe, damit die so achtbare und hochherzige Bevölkerung zweier Länder alter und echter christlicher Tradition - Chiles und Argentiniens - endgültig auf dem Weg des Wohlstands und des Fortschritts vorankommen kann unter Respektierung des unschätzbaren Gutes wahren Friedens. 8. In dieser Sicht der Wahrung und Förderung der menschlichen Werte über jede politische Bewertung hinweg muß man immer die Sorge sehen, die der Hl. Stuhl für diejenigen hegt, die aus politischen Gründen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Es ist ein Problem, das mir sehr am Herzen hegt und auf das ich die Aufmerksamkeit Ihrer Regierungen sowie verschiedener internationaler Organisationen lenken möchte. Durch eine solche von Grund auf gewaltsame Maßnahme versucht man sich mißliebiger, ja störender Bürger zu entledigen, indem man sie ihrem Heimatboden entreißt und zu einem ungewissen, schwierigen Leben verurteüt, wo sie nicht selten zu Opfern von Erniedrigung und Unzuträglichkeiten werden infolge der Schwierigkeiten bei der Suche nach einer Beschäftigung und der Eingliederung in eine neue Umwelt, auch seitens ihrer zugehörigen Familien. Niemandem kann entgehen, daß die Verbannung eine schwere Verletzung der Normen des gesellschaftlichen Lebens darsteht, das in offenkun- 867 Botschaften und Ansprachen digem Widerspruch zur allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und zum internationalen Recht selbst steht; und die Folgen einer solchen Bestrafung erweisen sich als dramatisch auf individueller wie auf sozialer und moralischer Ebene. Der Mensch darf nicht des Grundrechtes beraubt werden, in dem Vaterland zu leben und zu atmen, in dem er das Licht der Welt erblickt hat, in dem er die teuersten Erinnerungen an seine Familie bewahrt, die Gräber seiner Vorfahren, die Kultur, die ihm seine geistige Identität verleiht und sie nährt, die Traditionen, die ihm Lebenskraft und Glück schenken, die Gesamtheit der menschlichen Beziehungen, die ihn stärken und schützen. In der Enzyklika Laborem exercens habe ich dort, wo ich von dem Phänomen der durch Arbeitslosigkeit ausgelösten Emigration sprach, unterstrichen, daß der Mensch, wenn er das Recht hat, sein Heimatland zu verlassen, auch das Recht hat, dorthin zurückzukehren (vgl. Nr. 23). Ich habe auf die Verarmung hingewiesen, die sich daraus für das verlassene Vaterland ergibt, sowie auf die Pflicht des Aufnahmelandes, zu veranlassen, daß der Arbeiter nicht auf Grund seiner Stellung als Ausländer benachteiligt wird und daß man nicht seine Notlage ausnützt (ebd). Aber für die im Exil Lebenden handelt es sich nicht um eine vorübergehende Notsituation, um eine provisorische Angelegenheit, sondern um eine wirkliche Zwangsausweisung, die sie in ihren tiefsten Empfindungen trifft und sehr oft dem entsprechen kann, was man den „bürgerlichen Tod“ nennt. Ich habe den Wunsch, daß man auf Grund des gemeinsamen Vorgehens der verantwortlichen Autoritäten und Organismen einen geeigneten Aktionsplan festlegen könne - unter Bezugnahme auf das internationale Recht -, um der Tragödie der Verbannung, die in krassem Widerspruch zu den grundlegenden Errungenschaften des menschlichen Geistes steht, in allen Ländern ein Ende zu setzen. Gleichzeitig kann ich nicht die Situation vergessen, in welcher sich Hunderttausende von Flüchtlingen in Südostasien befinden, eine Situation, die in dramatischer Weise anhält. Sie finden zwar in Aufnahmelagern, besonders in Thailand, Aufnahme, warten aber, was Wohnsitz und Arbeit anlangt, auf eine endgültige Lösung entsprechend der dem Menschen gebührenden Achtung. Wirtschaftlich hochentwickelte Nationen haben ihnen bereits ihre Grenzen geöffnet; andere könnten und sollten sich noch an diesem edlen Wettstreit beteiligen und so ihr tatsächliches Mitgefühl für diese Menschenmassen, für diese Familien unter Beweis stellen, die sich der elementarsten Lebensrechte beraubt und zu Untätigkeit und Elend verurteilt sehen. 868 Botschaften und Ansprachen Während ich über die allen Völkern obhegende Verantwortung nachdenke, sich der Lage dieser Flüchtlinge anzunehmen, richte ich an die Verantwortlichen der Staaten der Welt und besonders an jene, die von der Vorsehung reichlichere Güter empfangen haben, einen herzlichen Appell, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um für die menschlichen Bedürfnisse aller dieser Menschen zu sorgen, die unsere Brüder sind, entweder indem sie sie aufnehmen oder die ihnen bereits gewährte Gastfreundschaft verlängern. So kann ich nicht umhin, an die Millionen von Männern, Frauen und Kindern zu denken, darunter viele kranke und alte Menschen, die Afghanistan verlassen haben; und ich muß auch die Flüchtlinge verschiedener afrikanischer Länder erwähnen. Es gibt Nationen, die einen Großteü der Bevölkerung aus ihrem Staatsgebiet flüchten sehen; diese Menschen sehen sich genötigt, anderswo die Voraussetzungen für ihren Lebensunterhalt und den notwendigen Freiheitsraum zu suchen. Ihre Leiden sind auch die unseren, und sie warten auf die hochherzige, konkrete und wirksame Antwort der internationalen Solidarität. Bei der Erfüllung dieser Pflicht läßt sich die Kirche, ich wiederhole es noch einmal, einzig und allein von ihrer Liebe zum Menschen und von der Achtung seiner Würde, die ihre Quelle in Gott selbst hat, drängen und anspomen. 9. Ich habe zuerst den Leitsatz für die Handlungsweise des Hl. Stuhles in seinen Beziehungen zum internationalen Leben genannt, weü ja der Mensch „der erste und grundlegende Weg der Kirche ist“. In diesem Zusammenhang erhalten die beiden entscheidenden Probleme des heutigen Menschen, denen ich in diesem Jahr mein ordentliches Lehramt gewidmet habe, ihren vollen Sinn: die Arbeit und die Familie. Das sind zwei grundlegende Probleme nicht nur für das persönliche Leben des Menschen, sondern auch und vor allem, wenn man die Gesellschaft insgesamt betrachtet. Sie betreffen als solche das Leben jeder Ihrer Nationen, weil sie deren wesentliche Stützen und das Geflecht ihres Zusammenhalts bilden. Sie wissen, daß das Dokument über die Arbeit als Beitrag des Denkens der heutigen Kirche in der sozialen Frage zum neunzigsten Jahrestag der Enzyklika Rerum novarum meines Vorgängers Leo XIII. und im Anschluß an die päpstliche Lehre zum Thema Arbeit während dieser neunzig Jahre gedacht war; es ging darum, die Überlegungen auf die beachtliche Entwicklung anzuwenden, die die Arbeit in der modernen Welt erlebt hat, bis hin zu den weltweiten Dimensionen, die sie im gegenwärtigen Augenblick erlangt hat. Sie wissen gleichfalls, daß das 869 Botschaften und Ansprachen Schreiben über die Familie die Beiträge der Bischofssynode gesammelt und zusammengefaßt hat, die hier in Rom im Oktober 1980 zusammengetreten war. So wurde auf der Linie der aus der Diskussion der Bischöfe hervorgegangenen Propositiones eine vollständige Abhandlung über die aktuelle Problematik des Familienlebens ausgearbeitet zum Vergleich mit den klassischen Stellungnahmen über die unwandelbare Lehre der Kirche, die ihre Quelle in der Offenbarung haben. Arbeit und Familie sind die beiden Pole, um die sich das Leben des Menschen seit Beginn der Menschheit abspielt. Die Arbeit ermöglicht der Familie die Existenz, und die Familie kann sich nur dank ihres Arbeitsbeitrags entwickeln. Sie ist die Grundlage, auf welcher sich das Familienleben aufbaut, das ein natürliches Recht und eine Berufung des Menschen darstellt. Diese beiden Wertbereiche - der eine, der sich auf die Arbeit bezieht, der andere, der sich aus dem Familiencharakter des menschlichen Lebens ergibt - müssen sich in richtiger Weise miteinander verbinden und gegenseitig durchdringen. Die Wechselbeziehung zwischen Arbeit und Familie läßt mich dieses Jahr die grundlegenden Werte dieser beiden Wirklichkeiten Ihrer geschätzten Aufmerksamkeit in Erinnerung bringen. Die Kirche wird diese um jeden Preis verkünden und unterstützen, denn sie berühren unmittelbar und aufs engste das Leben und die Stellung des Menschen, abgesehen von theologischen Erwägungen, die den christlichen Zivilisationen eigen sind. Arbeit und Familie sind ein Gut des Menschen, ein Gut der Gesellschaft. 10. Das Problem der Arbeit hat in unserer Zeit weltweite Ausmaße angenommen: „Rückte man früher - so schrieb ich zu Beginn der Enzyklika - in dieser Frage vor allem das Problem ,Klasse in den Mittelpunkt, so ist in neuerer Zeit das Problem ,Welt‘ in den Vordergrund getreten. Es wird jetzt nicht nur die Dimension der Klasse beachtet, sondern, auf Weltebene, das Ausmaß an Ungleichheit und Ungerechtigkeit und infolgedessen die Breite der Aufgaben bei der Verwirklichung der Gerechtigkeit in der heutigen Welt“ (Laborem exercens, Nr. 2) In dieser Perspektive, die mit keiner anderen Geschichtsepoche verglichen werden kann, erkennen Sie, Exzellenzen, meine Damen und Herren, sehr wohl, daß die große Gefahr, die auf der Entwicklung des sozialen Lebens lastet, vor allem durch die Tatsache gegeben ist, daß so enorme und komplexe Verzahnungen von nunmehr internationalen Ausmaßen den Menschen tatsächlich und ernsthaft bedrohen. Der Mensch, der im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stehen soll, dieser Mensch, der nach dem ursprünglichen Plan Gottes dazu berufen ist, der Herr der Erde zu werden, sie „zu beherrschen“ (Gen 1, 28) durch die Überlegenheit 870 Botschaften und Ansprachen seines Verstandes und die Kraft seiner körperlichen Arbeit, läuft Gefahr, in den Zustand eines Instruments herabgesetzt zu werden, zu einem anonymen und gesichtslosen Automaten zu werden, bis er von Kräften, die mächtiger sind als er, niedergedrückt und zermalmt wird, Kräften, deren sich zu seinem Schaden, um die von der Not bedrängten Massen zu beherrschen, andere Menschen bedienen können, die mit Interessen spielen, die im Gegensatz zum Wohl der Person stehen und diese nach Beheben manipulieren. Deshalb habe ich zuerst daran erinnert, daß der Mensch das Subjekt der Arbeit bleibt, eben weil er Person ist. Ich habe nachdrücklich auf die Tatsache verwiesen, daß im Fähe der Überhandnahme einer einseitig materialistischen Gesellschaftsform, in der die subjektive Dimension der Arbeit als zweitrangig beiseitegeschoben wird, sich der Mensch als Produktionsinstrument behandelt sieht. Tatsächlich aber müßte er, unabhängig von der von ihm ausgeführten Arbeit, als ihr wirkendes Subjekt und ihr eigentlicher Schöpfer und Urheber angesehen werden. In diesem Licht muß man die gewerkschaftlichen Rechte der Welt der Arbeit im Hinblick der Verteidigung des gerechten Lohnes und der Sicherheit des Arbeiters und seiner Familie hervorheben. Diese Rechte stehen im Gegensatz zu den totalitären Tendenzen jedes Systems oder jeder Organisation, die sie zu ersticken oder zu ihrem Vorteil umzukehren versuchen. Den staatlichen Autoritäten obliegt an erster Stelle die wirkliche Verantwortung für die Humanisierung der Arbeitsbedingungen in allen Ländern. Und darüber hinaus büdet sich ein Netz von Beziehungen und Verbindungen, die auf das internationale Leben Einfluß nehmen und geeignet sind, verschiedene Formen sozusagen legalisierter Ausbeutung hervorzubringen. Man weiß in der Tat, daß die hochindustrialisierten Länder für ihre Produktion die höchstmöglichen Preise festsetzen, während sie gleichzeitig versuchen, die Preise für Rohstoffe und halbindustrielle Erzeugnisse möglichst niedrig zu halten. Das ist ein Grund unter anderen für das wachsende Mißverhältnis zwischen dem Volksvermögen der reichen Länder und dem der armen Länder. Auf diesem Gebiet kommt den internationalen Organisationen - vor allem der UNO, der OIT und der FAO - eine vorrangige Rolle zu. Ich richte an sie meine herzliche Ermutigung, mit Eifer und Klugheit die Ziele zu verfolgen, für die sie geschaffen wurden, denn sie sollen die Förderung der Würde und der Rechte der menschlichen Person in allen Staaten unter den Bedingungen der Gleichheit zum Ziel haben. 11. Sie sehen, welcher Horizont sich dem langfristigen Wirken der von Ihnen vertretenen Nationen auftut, und Sie verstehen auch, warum die 871 Botschaften und Ansprachen Kirche sich mit Freimut und Demut in die Probleme der Arbeit einschaltet und die besseren Richtungen, die zu verfolgen sind, weist. Sie will den guten Willen der Menschen ermutigen, die Grundsätze klarstellen und, wenn nötig, die Gefahren und Ungleichheiten anprangern. Wenn die fortschrittliche Lösung der sozialen Frage in Richtung eines menschlicheren Lebens gefunden werden soll, wenn die Arbeit für den Menschen und nicht der Mensch für die Arbeit da ist, wenn täglich mit mehr Erschrecken die gesellschaftliche Herabsetzung des Subjekts der Arbeit, die Ausbeutung der Arbeiter und die wachsenden Zonen des Elends und Hungers aufgedeckt werden, dann kann es niemand entgehen, wie sehr sich die Kirche in dieser Sache engagiert fühlt, die sie als ihre Sendung und ihren Dienst ansieht. Auf Grund ihres göttlichen Auftrags steht die Kirche an der Seite des Menschen. Wenn sie die Würde der Arbeit schützt, ist sie sich bewußt, durch die friedliche und befreiende Kraft der Wahrheit zur Verteidigung der Würde des Menschen und der Gesellschaft beizutragen. Ich bin gewiß, daß Sie Ihr möglichstes tun werden, um an diesem großen, diesem wunderbaren Plan mitzuarbeiten. Ebenso werden Ihre Länder bereit sein, die notwendigen Anstrengungen zu billigen, damit das Werk der Förderung des Menschen, insbesondere in dem schwierigen und komplexen Bereich der Probleme der menschlichen Arbeit, auf dieser Linie fortgesetzt werden kann. 12. Das Problem Familie, das eng mit dem der Arbeit verbunden ist, ist natürlich für das Leben der heutigen Gesellschaft noch entscheidender. Indem sie der natürlichen Entfaltung des Menschen dient, die normalerweise und allgemein in der Bildung einer Familie besteht, erfüllt die Kirche eine ihrer wesentlichen und unantastbaren Pflichten. Das erklärt die Sorge, die zusammen mit mir die Bischöfe der ganzen Welt während der letzten Synode für die Familie in allen sozio-kulturellen und politischen Gegebenheiten der verschiedenen Kontinente gezollt haben. Das obengenannte Apostolische Schreiben hat die Hinweise und Ratschläge der Synode zu den seinen gemacht. Indem die Kirche der Wirklichkeit Rechnung trägt, die im Rahmen des raschen Wandels von Denkweise und Sitten, aber auch von Gefahren für die wahre Würde des Menschen sichtbar wird, spürt sie - bereit, die brauchbaren Beiträge jeder Kultur anzunehmen -, daß sie bei der Büdung eines „neuen Humanismus“ mithelfen muß. Niemandem wird entgehen, daß die Keime von Auflösung und Zerfall, die in vielen Familien am Werk sind, die Zersetzung der Gesellschaft zur unvermeidlichen Folge haben. Es gilt, aus der Familie wieder eine Gemeinschaft von Personen zu 872 Botschaften und Ansprachen machen, die die unzertrennliche Einheit der ehelichen Liebe lebt und die Unauflöslichkeit der einmal geschlossenen Ehe anerkennt, auch wenn alle jene gegenteiliger Meinung sind, die es in unseren Tagen für schwierig, ja unmöglich halten, sich für das ganze Leben an einen Menschen zu binden, oder die sich von einer kulturellen Strömung mitreißen lassen, die die Unauflöslichkeit der Ehe ablehnt und die Verpflichtung der Eheleute zur Treue offen lächerlich macht. Sodann muß, immer im Zusammenhang mit dem Dienst am Menschen, an die äußerst ernste Verantwortlichkeit für die Weitergabe des menschlichen Lebens erinnert werden. Die Kirche ist sich der Schwierigkeiten bewußt, die die heutige soziale und kulturelle Lage dieser Sendung des Menschen in den Weg legt, obgleich sie weiß, wie dringend und unersetzlich diese ist. Aber ich wiederhole es noch einmal, „die Kirche steht auf der Seite des Lebens“. Dieser Plan wird leider bedroht von den Gefahren, die dem wissenschaftlichen Fortschritt innewohnen, von der Verbreitung einer geradezu lebensfeindlichen Haltung und von Regierungsmaßnahmen, die die Freiheit der Eheleute, über Nachkommenschaft zu entscheiden, zu beschränken versuchen sowie von der Diskriminierung bei der Vergabe der internationalen Subventionen, die manchmal von Programmen abhängig gemacht werden, die die Empfängnisverhütung fördern. In gleicher Weise muß ich mit Nachdruck an das Recht und die Pflicht der Eheleute erinnern, sich der Erziehung ihrer Kinder anzunehmen, indem sie sich für eine Erziehung entscheiden, die ihrem Glauben entspricht. Staat und Kirche sind verpflichtet, den Familien jede nur mögliche Hilfe zu gewähren, damit sie ihre Erziehungsaufgaben dementsprechend ausüben können. Alle, die in der Gesellschaft für die Schulen verantwortlich sind, dürfen niemals vergessen, daß die Eltern von Gott selbst zu den ersten und wichtigsten Erziehern der Kinder bestimmt wurden und daß ihr Recht absolut unveräußerlich ist. Die Familie als kostbarstes Gut 13. In Anbetracht der Tatsache, daß außerdem die Familie „Grund- und Lebenszelle der Gesellschaft ist“, wie das Zweite Vatikanische Konzü sagt (Apostolicam actuositatem, Nr. 11), darf sie sich nicht auf sich selbst zurückziehen, sondern muß sich dem sozialen Milieu öffnen, das sie umgibt. So wird die Rolle deutlich, die die Familie für die Gesellschaft hat. In der Tat ist die Familie für die jungen Mitglieder die erste Schule der sozialen Tugenden, und sie ist unersetzlich. Dadurch wird die Familie 873 Botschaften und Ansprachen das wirksamste Instrument zur Humanisierung und Personalisierung einer Gesellschaft, die Gefahr läuft, der Anonymität und Vermassung zu unterhegen und deshalb immer unmenschlicher und menschenfeindlicher zu werden mit den negativen Folgen so vieler Formen des Ausstiegs aus der Gesellschaft, wie z.B. Alkoholismus, Drogensucht bis hin zum Terrorismus. Außerdem können und müssen sich die Famiüen, einzeln oder im Verband, vielfältigen gesellschaftlichen Aufgaben widmen, vor allem im Dienst an den Armen, und ihr gesellschaftlicher Auftrag soll sich auch in Formen politischen Handelns äußern. Mit anderen Worten, die Familien müssen sich als erste dafür einsetzen, daß die Gesetze und Einrichtungen des Staates die Rechte und Pflichten der Familie nicht nur nicht beeinträchtigen, sondern sie positiv stützen und verteidigen. In diesem Sinne müssen sich die Familien dessen immer mehr bewußt werden, daß in erster Linie sie selbst im Bereich der „Familienpolitik“ die Initiative ergreifen müssen und die Verantwortung für die Veränderung der Gesellschaft übernehmen. Ebenso sind sie aufgerufen, an einer neuen internationalen Ordnung mitzuwirken. Auf der anderen Seite muß die Gesellschaft begreifen, daß sie im Dienst der Familie steht. Die Familie und die Gesellschaft haben eine komplementäre Aufgabe bei der Verteidigung und Förderung des Wohles aller Menschen und jedes Menschen. Ich bin sicher, daß Sie sämtlichen Rechten der Familie, die die Synodenväter angeführt haben und deren Vertiefung sich der Hl. Stuhl vorgenommen hat, indem er eine „Charta der Rechte der Familie“ ausarbeitet, um sie den beteiligten Kreisen und den Autoritäten der verschiedenen Staaten sowie der zuständigen internationalen Organisationen vorzulegen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben. 14. Wie Sie sehen, wül die Kirche damit, daß sie der Familie ihre Aufmerksamkeit widmet, ihre Rechte schützt und die Würde ihrer Mitglieder zu fördern sucht, nicht nur dem Menschen - dem Hauptgegenstand ihrer Sorge sondern ebenso dem geordneten Fortschritt, der Wohlfahrt und dem Frieden der verschiedenen Nationen einen positiven Beitrag anbieten. Man darf in der Tat nicht meinen, daß ein Volk in würdiger Weise wachsen kann, und noch weniger, daß Gott weiter seinen Segen über es ausschüttet - denn „wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut; wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, wacht der Wächter umsonst“ (Ps 127, 1) -, wenn die Grundrechte des Mannes und der Frau mit Füßen getreten werden, wenn das Leben im Mutterschoß ausgelöscht wird, wenn ein blinder, verantwor- 874 Botschaften und Ansprachen tungsloser Permissivismus akzeptiert, daß die geistigen und sittlichen Werte, ohne die nicht nur die Familien, sondern ebenso die Nationen auseinanderbrechen, an der Basis untergraben werden. In diesem wahrhaft bedeutsamen Punkt appelliere ich an Ihr Empfinden; und ich spreche den Wunsch aus, daß in allen Ihren Ländern bei Verfügungen rechtlicher und sozialer Ordnung und Planung die Sorge für das Wohl der familiaris consortio, das heißt der „Familiengemeinschaft“, die das kostbarste Gut des Menschen darstellt, Priorität haben möge. 15. Exzellenzen, meine Damen und Herren! Auf der vielversprechenden Ebene, die sich dem gemeinsamen Wirken der Kirche und der Staaten öffnet, indem jeder selbständig in seinem eigenen Verantwortungsbereich für die Verteidigung des Friedens in der Welt, für die kulturelle, geistige und sittliche Förderung des Menschen und der Gesellschaft und ganz besonders für die Förderung der Rechte der Arbeit und der Familie arbeitet, darf es uns weder an Optimismus noch an Hoffnung fehlen. Gewiß, es ist eine schwere Zeit, und am Horizont ziehen dunkle Wolken auf. Aber haben wir keine Furcht! Die Kräfte des Guten sind stärker! Sie arbeiten im stillen an dem immer wieder neu begonnenen Aufbau einer gesünderen und gerechteren Welt. Millionen und Abermillionen von Menschen ersehnen den Frieden in ihrem Vaterland und die Möglichkeit, wahrhaft freie Menschen im schöpferischen Sinn in ihren Familien und bei ihrer Arbeit zu sein. Helfen wir ihnen! Die Kirche wird es niemals versäumen, ihre Rolle wahrzunehmen, wenn sie ihre ganze Kraft zum Besten ihrer Kinder einsetzt. Ich wünsche jedem der Staatsoberhäupter, die Sie hier vertreten, jeder Ihrer Regierungen, Ihren Landsleuten, daß die Brüderlichkeit, das gegenseitige Verständnis, die aufrichtige und bewußte Zusammenarbeit unter den Völkern wachsen mögen. Möge sich der Friede, die Frucht der Gerechtigkeit, der Verständigung, der Liebe, festigen, der Friede, der für die Christen ein „Gottesgeschenk“ ist und der ein einziges Fundament hat: die Ebenbildlichkeit und Ähnlichkeit der Menschen mit Gott, dem Vater, weil sie von ihm geschaffen und von seinem Sohn Jesus Christus erlöst worden sind. Für Sie und für Ihre Familien wiederhole ich noch einmal den traditionellen Wunsch für ein gutes neues Jahr: Möge es ein wirklich gutes Jahr werden, Quelle und Unterpfand des Guten, und ich tue das mit den von der Bibel inspirierten Worten des feierlichen Segens, den der hl. Franziskus in Worte gefaßt hat, dieser universale Heilige, dessen 800. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern: 875 Botschaften und Ansprachen „Der Herr segne dich und behüte dich! Der Herr zeige dir sein Angesicht und erbarme sich deiner! Der Herr wende dir seinen Blick zu und schenke dir den Frieden!“ (O.R. 17. 1. 82) Ein Land im Schoß Europas Ansprache an den neuen Botschafter Luxemburgs beim Hl. Stuhl, Jean Wagner, bei der Überreichung des Beglaubigungsschreibens am 18. Januar Herr Botschafter! Die erhebenden Worte, die Eure Exzellenz eben an mich gerichtet haben, haben mich sehr beeindruckt. Mit meinem Dank verbinde ich die besten Wünsche für Ihr Wirken als außerordentlicher bevollmächtigter Botschafter. Über Ihre Person hinaus richten sich meine Gedanken auf Seine königliche Hoheit Großherzog Jean, der die Geschicke Luxemburgs lenkt, und auf Ihre königliche Hoheit Großherzogin Josephine Charlotte: Ich bin glücklich, ihnen und ihrer geschätzten Familie erneut mein hochachtungsvolles Gedenken und meine herzlichsten guten Wünsche aussprechen zu können. Ich grüße ebenso jene, die als Regierungsbevollmächtigte die schwere Last des Gemeinwohls tragen, und das ganze luxemburgische Volk, das mit Recht wegen seiner Einigkeit und seines Mutes im Auf und Ab der Geschichte und wegen seines Festhaltens an den religiösen Werten und zumal am katholischen Glauben geschätzt wird. Dieser Glaube hat, so könnte man sagen, die Seele des Landes geprägt, und er wird weiter von der überwiegenden Mehrheit der Bürger geteilt. Mit Genugtuung weise ich hier auf die Treue im Christentum hin, die voll Eifer von ihrem Bischof, Msgr. Jean Hengen, unterstützt wird. Die Wünsche, die ich Ihnen, Herr Botschafter, ausspreche, betreffen vor allem das Wohl Ihres Vaterlandes. Sie haben unter anderem auf seine heiklen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse hingewiesen, die mit seiner geographischen Lage Zusammenhängen. Gewiß war es an diesem Begegnungspunkt der Völker und Kulturen, an dem Ihr Land liegt, oft schwer, den Frieden zu erhalten. Und wie könnte es heute an den unguten Auswirkungen einer weitverbreiteten Wirtschaftskrise vorbeikommen? Auf einer anderen Ebene aber könnten gewisse auf vielfache Weise 876 Botschaften und Ansprachen vorgetragene Fragestellungen im Bereich der Kultur sowie der in vielen Gesellschaften bekannte Sittenverfall derart schwerwiegend erscheinen, daß dies das Festhalten Ihrer Landsleute an den ethischen und religiösen Werten, zumal was die Achtung vor dem Leben und der Menschenwürde angeht, zu erschüttern droht. Doch hat das luxemburgische Volk sich in der Vergangenheit genügend entschlossen gezeigt, diesen Schwierigkeiten zu begegnen und sich eine fortschrittliche Zukunft aufzubauen, die diesen Namen verdient. Und im weiteren Blickfeld, wie könnten wir die bevorzugte Position übersehen, die Ihr Land im Schoß Europas einnimmt? Trotz seines kleinen Territoriums hat Luxemburg bereits eine große Zahl von Arbeitskräften aus anderen Ländern Europas aufgenommen mit all den Integrationsproblemen, die sich daraus ergeben. Vor allem ist Ihr Land aktives Mitglied der europäischen Institutionen, von denen einige sogar in seiner Hauptstadt ihren Sitz haben, wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft, das Zentrum der Finanzorgane und das Sekretariat des Europäischen Parlaments. Ich wünsche, daß Ihr Land seinerseits dazu beiträgt, daß sich Europa seiner christlichen Wurzeln und seiner Berufung würdig erweist, auf allen Ebenen die Beziehungen, den Austausch und die für alle Partner vorteilhafte Zusammenarbeit zu fördern, und zwar in harmonischer Weise, die das Beste bei allen achtet und die Völker zu einer immer dringenderen, tiefreichenden Solidarität führt. Es ist wohl klar, daß diese Solidarität Europas sich nicht nur auf den Westen beschränken darf, sondern sich auch von den Werten der verschiedenen nationalen Gemeinschaften bereichern lassen muß, die alle zusammen die Eigenart dieses Kontinents ausmachen. Endlich ist Europa nicht etwas Eingekapseltes. Man erwartet sein Zeugnis und sein Handeln auf internationaler Ebene. Eure Exzellenz haben an die Prinzipien erinnert, zu denen sich Luxemburg bei der Lösung von Problemen zwischen den verschiedenen Ländern der Welt bekennt: Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit, solidarische Zusammenarbeit auf der Grundlage der Gleichheit und in voller Achtung vor der Unabhängigkeit und Persönlichkeit der Nationen. Der Hl. Stuhl ermutigt seinerseits die Anwendung dieser Prinzipien. Er ist der Auffassung, daß auf der Ebene der bilateralen Beziehungen, der Gemeinschaften, der Allianzen und der internationalen Organisationen das Hauptbemühen dahin gehen muß, die Kluft zwischen den reichen und den armen Völkern nicht noch zu vertiefen und letzteren zu helfen, vor allem die dringendsten Probleme ihrer Entwicklung vorrangig zu lösen. Doch der Hl. Stuhl hält es nicht minder für notwendig, darüber zu wachen, daß tatsächlich jedem Volk seine Souveränität, seine 877 Botschaften und Ansprachen Freiheit, seine Kultur, seine Grundrechte und damit sozusagen seine Seele gesichert bleiben. Schließlich haben Sie mit Recht auf das angespielt, was die Menschen unserer Zeit niederdrückt, nämlich wenn die Würde des Menschen und sogar die heiligsten Grundsätze, zumal die Achtung vor den Unschuldigen, mit Füßen getreten wird. Hier ist erneut ein moralisches Erwachen nötig, das in internationalen Vereinbarungen oder in geduldig erarbeiteten Rechtsordnungen Ausdruck finden soll. Die Kirche ist ihrerseits bereit, alle Schritte, die in diese Richtung gehen, zu ermutigen. Gleichzeitig wül sie im Rahmen ihrer besonderen religiösen Sendung ohne Unterlaß für dieses Wiedererwachen im Bereich der Erziehung und der tiefen Überzeugungen Vorarbeit leisten, indem sie mit dem Licht und der Kraft des Evangeliums die Gewissen aufrüttelt. Sie, Herr Botschafter, werden von nun an ständiger Zeuge dieser Bemühungen der Kirche sein. Ich wünsche Ihnen, daß Sie in dieser, wie ich hoffe, fruchtbaren Aufgabe Ihre Freude finden. Ich bete zu Gott um Segen für Sie und für Ihr liebes Vaterland. (O.R. 18./19.1. 82) „Beim Afrikabesuch die Botschaft der Wahrheit verkünden“ Ansprache beim „Ad-limina“-Besuch nigerianischer Bischöfe am 21. Januar In unserem Herrn Jesus Christus geliebte Brüder! 1. Jesus selbst hat gesagt: „Ich muß . . . das Evangelium vom Reich Gottes verkünden; denn dazu bin ich gesandt worden“ (LkA, 43). Für uns sind diese Worte wie ein Schlüssel. Sie öffnen uns den tiefsten Sinn unseres bischöflichen Dienstamtes, weil sie die ganze Sendung des Erlösers zusammenfassen. Jesus weist darauf hin, daß unsere nächste Aufgabe als Bischöfe die ist, in seinem Namen zu handeln und von ihm ausgesandt zu sein. Wir sind aufgerufen, das Evangelium zu verkünden, unser Volk zu evangelisieren. Diese Verkündigung der Frohbotschaft - diese Evangelisierung - geschieht durch Wort und Sakrament. In der Tat sieht das Zweite Vatikanische Konzü in der Eucharistie die wirksamste Verkündigung des Evangeliums, „Quelle und Höhepunkt aller Evangelisation“ (Presbyterorum ordinis, Nr. 5). 878 Botschaften und Ansprachen 2. Als ich vergangene Woche zu Bischöfen eures Landes sprach, sagte ich ihnen, wie sehr ich meinen ganzen Pastoralbesuch in Nigeria im Zusammenhang der Evangeüsation gesehen haben möchte. Ich sagte ihnen, daß es mein großer Herzenswunsch sei, „eurem Volk die lebenspendende Botschaft der Wahrheit, das Evangelium Jesu Christi, zu verkünden“. Das gesamte Programm meines Besuches ist auf dieses zentrale Thema abgestimmt. Und ich hoffe, daß die jeweiligen Begegnungen mithelfen, die Aufmerksamkeit auf die Heilsbotschaft zu lenken - auf die Person Jesu Christi, den Heiland der Welt, den Erlöser des Menschen -, und daß sie sein Evangelium bekannter, geachteter und beliebter machen. Ich bete auch dafür, daß mit Gottes Gnade mein Besuch eine neue Ära der Evangeüsation einleiten möge, die auf ein Jahrhundert eifriger Predigt des Evangeliums und eines hochherzigen Dienstes im Namen desselben Jesus, „der umherzog und Gutes tat“ (Apg 10, 38), folgt. Ich will Jesus Christus aüen verkünden, die bereit sind, meine Stimme zu hören. Deshalb meine Begegnungen mit den verschiedenen Gruppen, die die Kirche in Nigeria bilden. Allen diesen Gruppen hoffe ich, die Frohbotschaft vom Reich Gottes im Blick auf die konkreten Umstände des tägüchen Lebens vorzutragen, so wie sie sich im Rahmen der nigerianischen Kultur darsteüen. Die verschiedenen Veranstaltungen werden mir reichüch Gelegenheit geben, zu eurem Volk von Herz zu Herz zu sprechen. 3. Unterdessen ist aber die jetzige Besinnung auf Ziel und Zweck der Evangeüsation für uns Bischöfe eine Queüe der Ermutigung. Aufgrund dieser Besinnung können wir ganz klar den besonderen Dienst erkennen, den wir zusammen mit unseren Priestern für die Gemeinde zu leisten aufgerufen sind. Es ist immer eine Frage der Übermittlung der Frohbotschaft - einer befreienden, erhebenden, befriedigenden Botschaft. Nach den Worten Pauls VI., besteht unsere Rohe als Verkünder des Evange-üums darin, daß wir über „den Namen, das Leben, die Verheißungen, das Reich und das Geheimnis Jesu von Nazaret, des Sohnes Gottes“, sprechen (Evangelii nuntiandi, Nr. 22). Es ist ein großes Privüeg für uns, den Namen zu verkünden, „der größer ist als alle Namen“ (Phil 2, 9) - den einzigen Namen, in dem Heü ist. Unsere Lehre ist wirküch die Lehre Jesu, eine Lehre über das Leben, über die Fülle des Lebens, über das ewige Leben. Wir verkünden und bekennen einen Jesus, der sagt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Füüe haben“ (Joh 10,10). Im Auftrag Jesu sind wir in der Lage, Verheißungen auszusprechen, die nicht enttäuscht werden, Verheißungen wie: „Seüg, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen. 879 Botschaften und Ansprachen Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“ {Mt 5, 8-9). In all dem verkünden wir einen barmherzigen Herrn, einen liebenden Jesus, der nicht gekommen ist, um zu verdammen, sondern um zu heilen und ein Reich zu errichten, in dem er die zerstreuten Kinder Gottes zusammenführt. Der Kern unserer Botschaft ist die Verkündigung von Gottes Heilsgeschenk - dem Geschenk der barmherzigen Liebe Gottes, das uns durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, zuteil wurde. Ja, durch Christus, den Sohn, haben wir die Gnade der Gotteskindschaft empfangen und „durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade“ {Eph 1, 7). 4. Wenn wir das Geheimnis Gottes, der sein Volk rettet und zu einer Familie zusammenführt, mit aller Klarheit verkünden, erkennen wir die Notwendigkeit des beispielhaften Zeugnisses - auch das ist eine Forderung der Evangelisation. Die Geschichte bestätigt, daß durch das Wirken des Heiligen Geistes Evangelisation vor allem durch das Zeugnis der Liebe, das Zeugnis der Heiligkeit, erfolgt. Die Diener Christi sind in dem Maß wirksame Verkünder des Evangeliums, in dem sie mit Christus verbunden sind, in dem Maß, in dem sie ihre Brüder lieben und die Notwendigkeit und Dringlichkeit fühlen, das Evangelium zu verkünden. Für uns sind die Worte Christi ein ganzes Lebens- und Dienstprogramm. Wir dürfen sie niemals vergessen: „Ich muß das Evangelium vom Reich Gottes verkünden; denn dazu bin ich gesandt worden.“ 5. Das ist das Hirtenideal, das uns in unserem Dienst stützt - Tag für Tag, Jahr für Jahr. Das ist die pastorale Sicht, die wir unseren Priestern bieten müssen, die persönlich von Christus zu unseren Mitarbeitern bei dieser lebenswichtigen Aufgabe berufen werden. Dies ist der pastorale Gesichtspunkt, von dem wir wünschen, daß ihn die gesamte Seminarausbildung einschärft und das ganze Laienpostolat ihn teilt. In der Tat war es dieses Ideal, diese Sicht, dieser Gesichtspunkt, dieses Bewußtsein der Sendung nach den Worten Jesu - „denn dazu bin ich gesandt worden“ -, die die Missionare ermutigt haben, eurem Volk das Wort Gottes zu bringen. Und dieses Bewußtsein der Sendung, dieses Bewußtsein der Notwendigkeit, Christus zu verkünden, wird in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus die Vertiefung der Evangelisation in Nigeria und ganz Afrika beleben. Das ist auch der Sinn jeder Evangelisation und der Sinn meines Besuches: gesandt zu sein, um Christus durch die Macht des Heiligen Geistes zu verkünden; gesandt zu sein, um die Frohbotschaft vom Reich Gottes mitzuteilen; gesandt zu sein, um die heilbringende Liebe Christi zu verkünden, bis er wiederkommt in Herrlichkeit. 880 Botschaften und Ansprachen Liebe Brüder, wir sind bereit, zusammen in die Zukunft zu schreiten und die Ortskirchen in ihrer Gesamtheit zu dieser Aufgabe aufzurufen. Und wir werden das tun, wobei wir auf die Gebete und die Fürsprache unserer gesegneten Mutter Maria vertrauen, um der Herrlichkeit der Heiligen Dreifaltigkeit wegen: des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. (O.R. 22. 1. 82) „Hoffnung braucht einen gewissen Wagemut“ Ansprache beim Gottesdienst in St. Paul vor den Mauern am 25. Januar Liebe Brüder und Schwestern! 1. Am Fest der Bekehrung des Apostels Paulus, das uns heute hier in dieser Basilika vereint, die zum Gedenken an das Blutzeugnis des großen Apostels für Christus Jesus, von dem er „ergriffen“ war (vgl. Phil 3, 12), errichtet wurde, möchte ich zunächst alle Anwesenden ganz herzlich begrüßen: die Vertreter der Römischen Kurie und des Vikariats von Rom; die Mönche der Abtei Sankt Paul, des Internationalen Kollegs Sant’Anselmo und der anderen Mönchsgemeinschaften der Stadt; die Gläubigen des neuen, der Seelsorge des „Abbas nullius“ von Sankt Paul anvertrauten Gebietes und der Pfarrei von Sankt Paul; die ökumenisch engagierten Gruppen und alle Gläubigen meiner geliebten Diözese Rom; die Vertreter der nichtkatholischen Kirchen und Kirchengemeinschaften Roms. Wir feiern heute die Erscheinung des auferstandenen Jesus vor Saulus von Tarsus, eine Erscheinung, die eine Offenbarung des Geheimnisses der Kirche war, Saulus zur Bekehrung führte und ihm eine Sendung von einmaliger Bedeutung für die Zukunft der Kirche erteilte. „Ich bin Jesus, der Nazoräer, den du verfolgst“ (Apg 22, 8.). Saulus befand sich, wie wir wissen, auf dem Weg nach Damaskus, erfüllt von Eifer für das Gesetz Gottes und mit dem Auftrag, alle Anhänger Jesu zu verfolgen. In einem Augenblick blendender Erleuchtung - die Erleuchtung war buchstäblich „blendend“ - begegnete er dem auferstandenen Herrn und hörte seine Stimme: „Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“ Demütig fragte er: „Wer bist du, Herr?“ (Apg 9,4 f.), und in der Antwort des Herrn begriff er das Mysterium der vollen Einheit Christi mit seinen Gliedern: „Ich bin Jesus, den du verfolgst“; diese Unterweisung, diese 881 Botschaften und Ansprachen Lehre sollte Paulus später immer verkünden, wenn er von der Kirche als dem Leib Christi sprach und zu den Christen sagte: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen . . .; denn ihr alle seid ,einer“ in Christus Jesus“ (Gal 3, 27-28). Diese Offenbarung beantwortete der Verfolger mit Glauben. Nach seiner Ankunft in Damaskus wurde er von Hananias aufgenommen und getauft. „Sofort fiel es wie Schuppen von seinen Augen“ (Agp 9, 18), die Wiedergewinnung des Sehvermögens war Symbol der neuen geistigen Schau, die er erworben hatte. Der Verfolger wurde zum Apostel. Jene Offenbarung genügte, um Paulus zum dauernden Dienst für seinen Herrn und zur Verkündigung des Glaubens zu bekehren, daß Jesus der Messias, der Sohn Gottes, ist (vgl. Apg 9, 20-22). Als die ersten Christen von der Bekehrung des Saulus hörten, priesen sie Gott: „Er, der uns einst verfolgte, verkündigt jetzt den Glauben, den er früher vernichten wollte“ (Gal 1, 23). 2. Auch wir Brüder und Schwestern, die wir uns heute abend in dieser dem Völkerapostel geweihten Basilika eingefunden haben, müssen Gott preisen, dessen Gnade in diesem Menschen in unvergleichlicher Weise zum Segen der Kirche durch Jahrhunderte hindurch obsiegt hat. „Als letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der ,Mißgeburt“ . . . Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung gebheben“ (i Kor 15, 8-10). Wir dürfen freilich nicht vergessen, wieviel Paulus das gekostet hat. Seine Berufung war nicht einfach; zuerst hatten zahlreiche Christen Angst vor ihm und wollten nicht glauben, daß er ein echter Jünger sei (vgl. Apg 9, 29); später mußte er sich der ertragenen Leiden und der erfahrenen Schwächen rühmen, denn darin hat sich die glorreiche Macht Gottes erwiesen (vgl. 2 Kor 11,21; 12,10). Seine Bekehrung auf der Straße nach Damaskus war unmittelbar und radikal gewesen, aber er mußte sie während der langen Jahre seines Apostolats im Glauben und mit beharrlicher Ausdauer leben; seit jenem Augenblick mußte sein Leben eine unablässige Bekehrung, eine dauernde Erneuerung sein: „Wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert“ (2 Kor 4,16). Diese nachhaltige und dauernde Umkehr war die Wirkung höchster unverdienter Gnade Gottes, die sich in der Kraft des auferstandenen Herrn offenbarte. Wenn wir also dieses Wunder der Kraft des Auferstandenen betrachten, sollte unsere erste Haltung die demütiger Anbetung dessen sein, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist (vgl. Mt 28, 18). 882 Botschaften und Ansprachen 3. Paulus konnte jedoch nicht beim Nachdenken über die erhaltene Vision stehenbleiben. Der Herr sagte zu ihm: „Steh auf und geh in die Stadt; dort wird dir gesagt werden, was du tun sollst“ (Apg 9, 6) - genauso wie er vor seiner Himmelfahrt zu den Aposteln gesagt hatte: „Bleibt in der Stadt, bis ihr mit der Kraft aus der Höhe erfüllt werdet“ (Lk 24, 49). Wenn Gott ruft, wenn Gott bekehrt, dann erteüt er auch eine Sendung. Der Auftrag, den Paulus empfangen hatte, war, „vor allen Menschen Zeuge zu werden für das“, was er gesehen und gehört hat (vgl. Apg 22, 15). Paulus erhielt somit vom auf erstandenen Christus dieselbe Sendung, die alle Apostel erhalten hatten: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ (Mk 16, 15). In dieser besonderen Sendung des Paulus offenbarte und verwirklichte Christus jedoch in besonderer Weise die Sendung der Kirche gegenüber allen Nationen, das heißt, wahrhaft universal, wahrhaft katholisch zu sein: „vor allen Menschen Zeuge zu sein.“ Die Mission des Paulus hatte unermeßliche Wirkungen für die gesamte Evangelisierungsarbeit und für die Universalität der Kirche. Als Papst Paul VI. im Rahmen eines Gebetsgottesdienstes für die Einheit gegen Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils in dieser Basilika zu den Beobachtern der anderen Kirchen und Kirchengemeinschaften sprach, sagte er, daß die Kirche im hl. Paulus den „Apostel ihrer ökumenischen Universalität“ sehe (Ansprache vom 4. Dezember 1965: AAS 58, 1966, S. 63). Das Geheimnis der Bekehrung und Mission dieses großen Apostels enthält Elemente, über die man lange nachdenken könnte. Da ist aber besonders eines, das ich euch heute abend zur Besinnung vortragen möchte, wenn wir das Sakrament der Einheit zum Abschluß der Weltgebetswoche feiern, eines Gebetes, das wir in geistiger Verbundenheit mit den Christen überall auf der Welt zum Himmel emporgesandt haben. Die Gemeinschaft, die wir schon erfahren, und die volle Gemeinschaft, um die wir beten, sind Zeichen der Kraft des auferstandenen Herrn und der Wunder, die seine Gnade immer noch wirkt. In dieser Kraft des auferstandenen Herrn hegt die Quelle unserer unerschütterlichen Hoffnung. Und vor allem mit einem Zeichen der Hoffnung will ich diese Gebetswoche abschließen. 4. Die Hoffnung braucht, vor allem beim Gebet der Kirche von Rom und ihres Bischofs sowie all derer, die beauftragt sind, mir in meinem Dienst für die Universalkirche und ihre Einheit beizustehen, einen gewissen Wagemut. Diese Kirche, die „von den beiden ruhmreichen Aposteln Petrus und Paulus gegründet und gefestigt wurde“ (Irenäus, Adversus haereses, III, 3, 2: PG 7, 848), muß gewährleisten, daß die Treue ihres 883 Botschaften und Ansprachen Dienstes für die Einheit mit der Intensität und Zuversicht ihres Gebetes für die Einheit Schritt hält. Sie muß der demütige und aufrichtige Widerhall des Gebetes ihres Herrn sein, „alle sollen eins sein. Wie du, Vater, in mir bist, und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein . . .“ (Joh 17, 21). Wenn wir uns somit diesem Gebet Christi anschließen, schließen wir uns auch den vielen Christen an, die sich trotz der Spaltungen in der ganzen Welt mit Christus vereinigen, um ihn um die große Gnade jener Einheit zu bitten, die von ihm so brennend gewünscht wurde und die allein seine Kraft verwirklichen kann. Die Weltgebetswoche ist, Gott sei Dank, für viele Christen eine selbstverständliche Tatsache geworden, eine Gelegenheit, bei der sie, obwohl getrennt, gemeinsam vor dem gemeinsamen Vater niederknien, um durch den einen Christus und in dem einen Geist um das Geschenk der Einheit zu beten. Der Umstand, daß die Christen gemeinsam auf diese Weise beten, ist bereits in sich eine Gnade und eine Gewähr künftiger Gnaden, Zeichen einer sicheren Hoffnung. Bereits vor 75 Jahren ist dieser Brauch vom Gründer der Atonement-Franziskaner eingeführt worden; Papst Leo XIII. hatte ihn dazu ermutigt. Unter dem Einfluß von Männern, die sich ganz der Sache des Ökumenis-mus hingaben, wie Abbe Couturier, erlebte die Weltgebetswoche dann eine große Entfaltung und hat in jüngster Zeit durch die Zusammenarbeit zwischen dem Sekretariat für die Einheit der Christen und dem Weltrat der Kirchen die heutige weltweite Gestalt angenommen. Diese Entwicklung ist an und für sich ein Zeichen für das allgemeine Wachstum der gemeinsamen Suche nach der Einheit, die immer vom Gebet begleitet und getragen werden muß. 5. Es ist sicher bezeichnend, daß der Bischof von Rom die Weltgebetswoche in dieser Basilika abschließt, die mit dem zugehörigen Kloster ein Zentrum intensiven Gebets und verschiedener ökumenischer Initiativen ist. Hier gab vor 23 Jahren Papst Johannes XXIII. den Kardinälen seinen Plan bekannt, ein ökumenisches Konzil einzuberufen; ein Konzil, das auch eine „neuerliche Einladung an die Gläubigen der getrennten Gemeinschaften“ sein sollte, „uns voll Liebe bei der Suche nach Einheit und Gnade zu folgen, nach der sich so viele Seelen auf der ganzen Erde sehnen“ (AAS 51, 1959, S. 69). Hier haben sich sieben Jahre später Papst Paul VI., die Konzilsväter und die Beobachter eingefunden, um wenige Tage vor Abschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils für die Einheit zu beten; und indem er sich an die Beobachter wandte, sagte der Papst: „Wir haben wieder begonnen, einander zu lieben“ (Ansprache vom 4. Dezember 1965: AAS 58, 1966, S. 62). Hier umarmte einige Monate später 884 Botschaften und Ansprachen derselbe große Papst Erzbischof Ramsey von Canterbury und betete mit ihm bei dem historischen Ereignis der ersten offiziellen Begegnung zwischen dem Bischof von Rom und dem Vorsitzenden der anglikanischen Kirchengemeinschaft. Die Erinnerung an jenes Ereignis bewegt mich heute besonders, da ich mich auf meine kommende Reise nach Großbritannien vorbereite, um die Brüder im Bischofsamt und die Söhne und Töchter der katholischen Diözesen jenes Landes zu stärken; ein Besuch, der durch die vorgesehene Begegnung mit dem Erzbischof von Canterbury, Dr. Runcie, auch ökumenische Konsequenzen haben wird. Darum erbitte ich den Segen Gottes besonders zu dem Zeitpunkt, an dem die gemischte internationale Kommission für den Dialog zwischen der katholischen und der anglikanischen Kirchengemeinschaft nach elfjähriger Arbeit den jeweiligen Autoritäten einen wichtigen Bericht vorgelegt hat. Wenn wir an vorderster Front am Gebet für die Einheit teilnehmen wollen, müssen wir bereit sein, auch einen wesentlichen Teü der Arbeit zu übernehmen. Wie für den hl. Paulus und seiner Hoffnung auf die Kraft Gottes muß auch für uns die Bekehrung ständig fortschreiten. Durch unsere Umkehr und persönliche wie gemeinsame Erneuerung dienen wir bereits der Sache des ökumenismus (vgl. Unitatis redintegratio, Nr. 6-7). Ich möchte jedoch hinzufügen, daß unsere Arbeit für die Einheit ihrerseits diese Erneuerung fördert; in der Tat, wenn wir uns auf einen echten Dialog mit unseren Brüdern in gemeinsamer Treue zum Evangelium einlassen, spiegeln sich die einen wie die anderen darin und spornen sich gegenseitig zu immer größerer Treue an. Damit wir alle die Worte des hl. Paulus in die Tat umsetzen können: „Darum tröstet und ermahnt einander, und einer richte den andern auf“ (7 Thess 5, 11). 6. Nach dem Beispiel des hl. Paulus müssen wir uns zudem auch der Sendung der Kirche widmen, die in der Verkündigung des Evangeliums an alle Geschöpfe besteht, ein jeder gemäß seiner Berufung. Das Evangelium verkünden ist eine Verpflichtung, die sich schon aus der Wirklichkeit der Taufe ergibt. Die gleiche Taufe verpflichtet also alle Christen, bei der Erfüllung dieser Pflicht soweit wie möglich mitzuwirken, besonders durch das gemeinsame Zeugnis, daß Jesus der Sohn Gottes ist (vgl. Apg 9, 20). Gott, der Urheber der Wahrheit, wird gewiß auf diese Bemühungen bücken, und so wie unser Einsatz in diesem Zeugnis Ansporn für den ökumenismus ist, so wird der ökumenismus seinerseits das gleiche Zeugnis wirksamer machen, weil die Welt glaubt, daß Jesus von Nazaret der Gesandte des Vaters ist (vgl. Joh 17, 21). Liebe Brüder und Schwestern in Christus, das sind die Lehren, die sich aus dem Fest, das wir heute in dieser Basilika feiern, und dem weltweiten 885 Botschaften und Ansprachen Gebet dieser Woche, dessen Thema lautet: „Gott schenkt jedem ein Zuhause“, ergeben. Durch die mächtige Fürsprache des großen Apostels Paulus, Beispiel des wunderbaren Sieges der Gnade des auferstandenen Herrn über die menschliche Schwachheit, besitzen wir eine Hoffnung, ja eine Gewißheit: Gott wird uns gewähren, unserem Dienst an der Universalkirche und ihrer Einheit treu zu sein, und er wird das Werk, das er selbst in uns begonnen hat, segnen und zur Vollendung führen. „Er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, wird es auch vollenden bis zum Tag Christi Jesu“ (Phil 1, 6); durch ihn sei dem Vater in dem einen Geist alle Ehre, jetzt und in Ewigkeit. Amen (O.R. 27.1. 82) „Richter im Dienst der Liebe“ Ansprache an die Mitglieder der Sacra Romana Rota zur Eröffnung des neuen Gerichtsjahres am 28. Januar Herr Dekan! Liebe Prälaten und Offizialen! 1. Ich freue mich, daß mir die Eröffnung des neuen Gerichtsjahres des Gerichtshofes der Sacra Romana Rota Gelegenheit bietet, wieder mit Ihnen zusammenzutreffen, die Sie mit soviel Einsatz und fachlicher Kompetenz Ihre Arbeit im Dienst des Apostolischen Stuhls durchführen. Diese traditionelle Begegnung gewinnt dieses Jahr eine besondere Prägung, weü bekanntlich am heutigen Tag die Novae Normae in Kraft treten, die ich - nach aufmerksamem Studium der Revision, die an den vorhergehenden Bestimmungen vorgenommen worden war - für Ihren Gerichtshof zu approbieren für richtig hielt und von denen ich wünsche, daß sie die Ihre mit juristischem Wissen und priesterlichem Geist für das Wohl der Kirche geleistete Arbeit gewinnbringender machen mögen. In Liebe begrüße ich Sie und drücke Ihnen meine herzliche Wertschätzung für all Ihr Wirken aus. Mein herzlicher Gruß gilt insbesondere dem scheidenden Herrn Dekan, Msgr. Heinrich Ewers, und seinem Nachfolger; beide versichere ich meines Gedenkens beim Herrn, auf daß Er den einen für seine lange, mit großherziger Hingabe vollbrachte Arbeit belohne und dem anderen in seinem heute beginnenden Auftrag beistehe. 2. Ich möchte gern Ihre Aufmerksamkeit auf das Apostolische Schreiben Familiaris consorüo lenken, in welchem ich die Frucht der Überlegungen eingebracht habe, die von den Bischöfen während der Synode von 1980 entwickelt worden waren. 886 Botschaften und Ansprachen Denn wenn sich dieses jüngste Dokument an die ganze Kirche richtet, um die Aufgaben der christlichen Famiüe in der heutigen Welt darzulegen, so betrifft es unmittelbar auch Ihre Tätigkeit, die großenteüs den Bereich der Familie, der Ehe und der ehelichen Liebe zum Gegenstand hat. Das Gewicht Ihrer Rolle läßt sich an der Bedeutung der Entscheidungen messen, die Sie mit dem Sinn für Wahrheit und Gerechtigkeit, im Hinblick auf das geistliche Wohl der Seelen und mit Bezug auf das höchste Urteil Gottes zu treffen aufgerufen sind, indem Sie einzig und allein Gott vor Augen haben. 3. Dadurch, daß Gott einem jeden von Ihnen diese kirchliche Aufgabe anvertraut, ersucht Er Sie, auf diese Weise durch Ihr Werk das Werk Christi fortzusetzen, den apostoüschen Dienst mit der Ausübung der Ihnen anvertrauten Sendung und der Ihnen übertragenen Befugnisse zu verlängern; denn Sie prüfen und urteüen im Namen des Hl. Stuhls. Die Durchführung solcher Tätigkeiten muß deswegen der Funktion der Richter entsprechen, aber sie betrifft auch jene ihrer Mitarbeiter. Eben denke ich an die so schwierige Aufgabe der Anwälte, die ihren Klienten in dem Maße die besten Dienste leisten werden, in welchem sie sich bemühen, innerhalb der Wahrheit, der Liebe zur Kirche und der Liebe zu Gott zu bleiben. Ihre Sendung ist somit vor allem ein Dienst der Liebe. Realität und geheimnisvolles Zeichen dieser Liebe ist die Ehe. „Gott hat den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen: den er aus Liebe ins Dasein gerufen hat, berief er gleichzeitig zur Liebe. Gott ist Liebe und lebt in sich selbst ein Geheimnis personaler Liebesgemein-schaft“ (Familiaris consortio, Nr. 11). Als Sakrament ist die Ehe ein geheimnisvolles Zeichen: Ein unauflösliches Band verbindet die Eheleute, so wie Christus und die Kirche durch eine einzige Liebe verbunden sind. Nach Gottes Plan findet die Ehe ihre Erfüllung in der Familie, deren Ursprung und Fundament sie ist; und das Sichschenken der Eheleute bringt als Blüte das Geschenk des Lebens hervor, das heißt die Generation derer, die dadurch, daß sie ihre Eltern lieben, ihnen ihre Liebe wiederholen und deren Tiefe zum Ausdruck bringen (vgl. Familiaris consortio, Nr. 14). Das Konzil hat die Ehe als Liebesbund gesehen (vgl. Gaudium etspes, Nr. 48). Dieser Bund ehelicher Liebe setzt die „bewußte und freie Entscheidung“ voraus, „mit der Mann und Frau die innige, von Gott gewollte Lebens- und Liebesgemeinschaft eingehen“ (Familiaris consortio, Nr. 11). Wenn wir hier von Liebe sprechen, dürfen wir sie nicht auf sinnliches Gefühlsleben, auf vorübergehende Anziehungskraft, auf erotische Emp- 887 Botschaften und Ansprachen findungen, auf Impulse des Sexualtriebes, auf Verwandtschaftsgefühle oder auf einfache Lebensfreude verkürzen. Die Liebe ist ihrem Wesen nach Geschenk. Wenn das Konzil vom Akt ehelicher Liebe spricht, meint es eben einen einzigen und entscheidenden Akt des Sichschenkes, eine unwiderrufliche Ganzhingabe, die gegenseitig und fruchtbar sein und bleiben will. 4. Um den genauen Sinn des ehelichen Einvernehmens voll und ganz zu begreifen, müssen wir uns von der göttlichen Offenbarung erleuchten lassen. Das Eheversprechen ist ein Willensakt, der ein gegenseitiges Sichschenken bedeutet und in sich schließt, das die Eheleute untereinander vereint und zugleich an ihre möglichen Kinder bindet, mit welchen sie eine einzige Familie, ein einziges Heim, eine „Hauskirche“ bilden (Lumen gentium, Nr. 11). So gesehen, ist der Ehebund eine Verpflichtung in einem Liebesbund, in dem gerade durch das Sichschenken das beiderseitige Einvernehmen des Willens und des Herzens zum Ausdruck kommt, all das zu verwirklichen, was die Ehe für die Welt und für die Kirche ist und bedeutet. 5. Aber noch mehr. Für uns ist das Eheversprechen ein kirchlicher Akt. Es begründet die „Hauskirche“ und stellt eine sakramentale Wirklichkeit her, in der zwei vive miteinander verbunden sind: ein geistliches Element als Lebensgemeinschaft im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe; und ein soziales Element als organisierte, hierarchisch geordnete Gemeinschaft, lebendige Zelle der menschlichen Gesellschaft, die zur Würde des „sacramentum magnum“ erhoben wird, die Kirche Christi, in welche sie sich als Hauskirche einfügt (vgl. Lumen gentium, Nr. 1). Wir müssen also in der auf die Ehe gegründeten Familie gewissermaßen die Analogie zur Gesamtkirche mit dem Geheimnis des fleischgewordenen Wortes erkennen, jener Wirklichkeit, in der sich göttliches und menschliches Element, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche, eine hierarchisch geordnete Gemeinschaft und der mystische Leib Christi in einer Einheit zusammenschließen (vgl. Lumen gentium, Nr. 8). 6. Das Konzil unterstrich den Aspekt der Hingabe. Und nun wollen wir uns einen Augenblick hierbei aufhalten, um die Bedeutung des Sichschen-kens in einem Akt totaler Hingabe tiefer zu erfassen, der mit einem Jawort erfolgt, das, auch wenn es in der Zeit hegt, den Wert des Ewigen annimmt. Eine Hingabe muß, wenn sie total sein soll, ohne Umkehr und ohne Vorbehalte erfolgen. Daher müssen wir in dem Akt, in welchem das Sichschenken zum Ausdruck kommt, den symbolischen Wert der übernommenen Verpflichtungen akzeptieren. Wer sich hingibt, tut dies in dem Bewußtsein, sich damit zu verpflichten, seine Hingabe an den anderen zu 888 Botschaften und Ansprachen leben; wenn er dem anderen ein Recht zugesteht, dann deshalb, weil er den Wunsch hat, sich ihm zu schenken; und er schenkt sich in der Absicht, sich zu verpflichten, den Erfordernissen der totalen Hingabe, die er freiwillig vollzogen hat, tatsächlich zu entsprechen. Wenn sich diese Verpflichtungen unter juristischem Gesichtspunkt auch leichter definieren lassen, wenn sie auch eher wie ein Recht, das gewährt wird, als eine Pflicht, die man auf sich nimmt, dargestellt werden, so ist es auch wahr, daß die Hingabe nur von den Verpflichtungen eines Vertrages symbolisiert wird, der auf menschlicher Ebene die jedem wahren und aufrichtigen Eheversprechen innewohnenden Verpflichtungen zum Ausdruck bringt. So gelangt man dahin, die Lehre des Konzils zu begreifen, erlaubt ihr, die traditionelle Lehre wieder aufzugreifen, um sie in einer tieferen und zugleich christlicheren Sicht darzustellen. All diese Werte werden von Kirchenrecht nicht nur zugelassen, geläutert und definiert, sondern auch verteidigt und geschützt. Darin besteht ja die Vornehmheit seiner Rechtssprechung und die Kraft der von dieser angewandten Normen. 7. Nun ist, vor allem in unserer heutigen Zeit, die Gefahr ganz und gar nicht aus der Luft gegriffen, daß wir den Gesamtwert dieses Eheversprechens auf Grund der Tatsache in Frage gestellt sehen, daß einige Elemente, die es ausmachen, die dessen Gegenstand bilden bzw. dessen Verwirklichung zum Ausdruck bringen, immer häufiger unterschieden oder geradezu abgetrennt werden in dem Maß, in dem die Fachleute auf verschiedenen Gebieten oder die Fachgebiete der verschiedenen Humanwissenschaften ihnen Aufmerksamkeit widmen. Es wäre unbegreiflich, daß das Eheversprechen als solches wegen plötzlich aufgetretenen Mangels an Treue rückgängig gemacht würde. Zweifellos stellt das Problem der Treue nicht selten das Kreuz der Eheleute dar. Unsere erste Aufgabe im Dienst der Liebe wird es daher sein, den vollen Wert der Ehe anzuerkennen, ihre Existenz so gut wie möglich zu respektieren, jene zu schützen, die diese Ehe in einer einzigen Familie vereint hat. Nur aus gültigen Motivierungen, auf Grund bewiesener Tatsachen wird man ihr Bestehen anzweifeln und sie für ungültig erklären können. Die erste Pflicht, die euch obhegt, ist die Achtung des Menschen, der sein Jawort gegeben, seine Zustimmung zum Ausdruck gebracht und auf diese Weise seine völlige Selbsthingabe vollzogen hat. 8. Die menschliche Natur ist infolge der Sünde zweifellos erschüttert und verletzt worden; sie hat jedoch keine Entartung erfahren; und sie ist erlöst worden durch das Eingreifen dessen, der gekommen ist, sie zu retten und zur Teilnahme am göttlichen Leben zu erheben. Es würde also tatsächlich 889 Botschaften und Ansprachen ihre Vernichtung bedeuten, wollte man sie einer wahren Verpflichtung, einer endgültigen Zustimmung, eines Bundes der Liebe für unfähig halten, der zum Ausdruck bringt, was sie ist, eines Sakramentes, das vom Herrn eingesetzt wurde, um sie kraft seiner Gnade zu heilen, zu stärken und zu erheben. Und so werden nun der Fortschritt der menschlichen Wissenschaft, ihre Forschungen, ihre Methoden und ihre Ergebnisse in den Rahmen der kirchlichen Sicht des Ehesakraments gestellt. Ihre fortgesetzten Anstrengungen unterstreichen auch die Hinfälligkeit mancher ihrer früheren Schlußfolgerungen oder von Arbeitshypothesen, deren Bewertungen sich nicht halten konnten. Aus diesen Gründen bleibt der Richter, der das Urteü ausspricht, schließlich der Verantwortliche jener allgemeinen Arbeit, von der ich zu Beginn gesprochen habe. Die Entscheidung wird in der bereits erwähnten Gesamtsicht gefällt werden müssen, welche das Apostolische Schreiben Familiaris consorüo stärker herausstellen wollte. Während die Prüfung bezüglich der Gültigkeit einer ehelichen Verbindung im Gange ist und man nach Gründen sucht, die zur eventuellen Nichtigkeitserklärung führen könnten, bleibt der Richter im Dienst der Liebe, dem göttlichen Gesetz unterworfen, aufmerksam für jeden Rat bzw. jedes ernste Gutachten. Es wäre äußerst schädlich, wenn schließlich irgendein Experte definitiv entscheiden würde, wobei die Gefahr gegeben wäre, den Fall nur nach einem seiner Aspekte beurteilt zu sehen. Daraus erwächst die Notwendigkeit, im Richter das Gewicht seiner Funktion, die Bedeutung seiner verantwortlichen Urteüsautonomie, die Forderung seines kirchlichen Einvernehmens und seiner Sorge für das Heil der Seelen anzuerkennen. Und er wird nicht deshalb, weil in Eheangelegenheiten ein Urteüsspruch stets aufgrund immer neu auftretender, schwerwiegender Begründungen angefochten werden kann, sich veranlaßt fühlen, weniger Eifer auf die Vorbereitung dieses Urteils, weniger Standhaftigkeit auf seine Formulierung und weniger Mut darauf verwenden, es auszusprechen. 9. So gesehen, hat man Anlaß, die besondere Verantwortlichkeit des „defensor vinculi“ immer mehr zu schätzen. Seine Aufgabe besteht nicht darin, um jeden Preis eine nichtexistente Wirklichkeit zu bestimmen oder sich auf jeden Fall einer begründeten Entscheidung zu widersetzen, sondern er wird, wie es Pius XII. formuliert hat, Beobachtungen anstellen müssen „pro vinculo, salva semper veritate“, „zugunsten des Ehebundes, aber immer unter Einhaltung der Wahrheit“ (Pius XII., Alloc. ad Auditores Rotae S.R., in: AAS, 36, 1944, 285). Mitunter sind Tendenzen zu 890 Botschaften und Ansprachen beobachten, die seine Rolle leider zu beschränken trachten. Ein und dieselbe Person kann dann nicht zwei Funktionen zugleich ausüben, nämlich Richter und Verteidiger der Ehe sein. Nur eine sachlich kompetente Person kann eine solche Verantwortung übernehmen; und es wäre ein schwerer Irrtum, sie als weniger bedeutsam zu betrachten. 10. Auch der eifrig um das allgemeine Wohl bemühte „promotor iusti-tiae“ wird in der Gesamtsicht des Geheimnisses der im Familienleben gelebten Liebe handeln; wenn er die Pflicht fühlt, ein Annullierungsansuchen voranzutreiben, wird er dies ebenfalls unter dem Antrieb der Wahrheit und der Gerechtigkeit tun; nicht, um einzuwüligen, sondern, um zu retten. 11. In derselben Gesamtsicht des Familienlebens muß man sich schließlich eine immer aktivere Zusammenarbeit der kirchlichen Anwälte wünschen. Ihre Tätigkeit muß im Dienst der Kirche stehen; und deshalb wird sie gleichsam als ein kirchlicher Dienst angesehen. Sie muß ein Dienst der Liebe sein, der Hingabe und Liebe vor allem zugunsten der am meisten Benachteiligten und der Ärmsten erfordert. 12. Zum Abschluß dieser Begegnung möchte ich Sie ermutigen, „beherzt und herzlich mit allen Menschen guten Willens zusammenzuarbeiten, die ihre Verantwortung für den Dienst an der Familie wahrnehmen“ (Fami-liaris consortio, Nr. 86), ganz besonders Sie, die Sie deren Grundlage und Fundamente in der ehelichen Zustimmung im Sakrament der Liebe erkennen müssen, dem Zeichen der Liebe, die Christus mit der Kirche, seiner Braut, verbindet und die für die ganze Menschheit eine Offenbarung des Lebens Gottes und die Einführung in das trinitarische Leben der göttlichen Liebe ist. Während ich den Herrn bitte, Ihnen bei Ihrer Sendung im Dienst des von Christus, unserem Erlöser, geretteten Menschen beizustehen, erteile ich Ihnen als Unterpfand der Gnade des Gottes der Liebe von Herzen meinen Segen. (O.R. 29.1. 82) 891 Botschaften und Ansprachen „Nicht in Fatalismus und Verzweiflung verfallen“ Ansprache an die Teilnehmer des 59. Kurses der NATO-Verteidigungs-akademie am 1. Februar Liebe Freunde! Ich freue mich, Sie, liebe Mitglieder der NATO-Verteidigungsakademie und Ihre Familien, erneut im Vatikan willkommen zu heißen. Ich ergreife gern die Gelegenheit, Sie begrüßen und Ihnen ein paar kurze Gedanken vortragen zu können. Wie schon früher, so fühle ich mich auch dieses Jahr gedrängt, zu Ihnen vom Frieden zu sprechen, da Sie auf Grund Ihrer Möglichkeiten des Studiums und Gesprächs einen besonderen Beitrag zum großen Werk des Friedens leisten sollen. Die Ereignisse der letzten Monate haben der Welt in zunehmendem Maße die vielfältigen Hindernisse bewußt gemacht, die noch immer der ehrlichen Bemühung um die Herstellung von Gerechtigkeit und Harmonie in der heutigen Gesellschaft im Wege stehen. Es stimmt, daß unsere Welt von Spaltung und Spannung, von Unterdrückung und Blutvergießen betroffen ist - erschreckende Wirklichkeiten, die so tiefgreifend und ausgedehnt sind, daß manche unserer Brüder und Schwestern die Hoffnung, daß der Friede jemals erreicht werden könnte, aufgeben. Sie haben einfach die Hoffnung verloren. Aber wir dürfen uns nicht dem Fatalismus und der Verzweiflung hingeben. Ja, wir müssen in beständiger Hoffnung und unermüdlicher Bemühung auf die Situation antworten. Der Friede ist möglich. Er läßt sich erreichen. Wir als gläubige Menschen sind von dieser Wahrheit überzeugt, weil wir im Glauben wissen, daß Gott das Fundament des Friedens ist. Gott will der Welt seinen Frieden schenken. Er will allen Nationen, allen Völkern und allen Menschenherzen Frieden bringen. Nach göttlichem Plan schafft Gott jedoch Frieden nicht ohne den Menschen, sondern in ständiger und enger Zusammenarbeit mit dem Menschen. Der Friede ist ein Geschenk Gottes, das uns Gott anvertraut hat. In meiner Botschaft zum Weltfriedenstag sagte ich: „Wenn der Friede ein Geschenk ist, ist doch der Mensch keineswegs von der Verantwortung befreit, ihn zu suchen und sich zu allen Zeiten seiner Geschichte darum zu bemühen, ihn durch persönliche und gemeinschaftliche Anstrengung zu erreichen. Der von Gott geschenkte Frieden ist daher immer auch eine Errungenschaft und Verwirklichung des Menschen; denn er wird ihm gegeben, um frei angenommen und durch seine schöpferischen Willensentscheidungen Schritt für Schritt verwirklicht zu werden“ (Nr. 5) (O.R. 892 Botschaften und Ansprachen dt. 1. 1. 82, S. 4). Da also der Friede nicht nur ein Geschenk Gottes, sondern auch eine Errungenschaft und Verwirklichung des Menschen ist, ist er ein Ziel, um dessentwillen Gläubige und Nichtglaubende in gleicher Weise - ja, in der Tat, alle Menschen guten Willens - einander die Hände reichen und für eine bessere Welt Zusammenarbeiten können. Unsere heutige Begegnung bringt mir die kürzliche Befreiung von General James Dozier in glückliche Erinnerung. Seine Befreiung war ein Augenblick großer Freude für so viele Menschen, die seine Befreiung erhofft und darum gebetet hatten. Sie hat uns neuen Grund gegeben zu glauben, daß der Geißel des Terrorismus ein Ende gesetzt werden kann. Und sie hat unsere Überzeugung bestärkt, daß gewaltlose Methoden der einzige Weg sind, um in einem Land politische und soziale Reformen, die Bestand haben sollen, durchzusetzen. Mögen Ihre Aktivitäten als Mitgüeder der NATO-Verteidigungsakade-mie stets von einem tiefen Vertrauen in die Möglichkeit des Friedens und von einer tiefen Achtung vor der Würde jeder menschlichen Person motiviert sein. Ich bete darum, daß Gott, der Allmächtige, Ihnen bei jeder Ihrer Bemühungen beisteht, eine Zukunft aufzubauen, die gekennzeichnet ist von Eintracht, Gerechtigkeit und Frieden. Gott segne Sie und Ihre Familien. (O.R. 1./2. 2. 82) „Ein Zeichen, dem widersprochen wird“ Predigt beim Gottesdienst in St. Peter am Fest der Darstellung des Herrn, 2. Februar <26> <26> „Ein Licht, das die Heiden erleuchtet“ (Lk 2, 32). Diese Worte ertönten zum ersten Mal an jener Stelle des Tempels von Jerusalem, an der sich der Ritus der Reinigung der Mütter nach der Geburt ihres ersten Kindes vollzog. Der greise Simeon, ein Prophet, verkündete sie. Er verkündete sie vor Maria und Josef, die das in Betlehem geborene Kind in den Tempel gebracht hatten. Wenn diese Worte auch nur an dieser einen Stelle erklangen, so erfüllte die in ihnen verkündete Wahrheit doch den ganzen Tempel: den ganzen dem Gott Israels geweihten Raum, der auf den Messias wartete. 893 Botschaften und Ansprachen Diese Worte erfüllten den Tempel von Jerusalem mit dem Licht ihrer aus der Ewigkeit empfangenen Bestimmung: „Ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2, 32). 2. Wir betreten heute die Petersbasilika und wiederholen dabei die Worte Simeons. Wir ziehen in Prozession, in der Hand die Kerzen: das Zeichen des Lichtes, „das jeden Menschen erleuchtet“ (Joh 1, 9). Zeichen des in Betlehem geborenen Christus. Zeichen des im Tempel dargestellten Christus. Zeichen, dem widersprochen wird (vgl. Lk 2, 34). Wir bekennen Christus in diesem Zeichen. Hätten ihm seine Zeitgenossen vielleicht nicht widersprechen sollen? Die Kinder des Volkes, zu dem er gesandt worden war? Doch. Sie taten es. Sie haben diesem Zeichen widersprochen. Um das Licht auszulöschen, haben sie Ihm den Tod auferlegt. Simeon prophezeit diesen Tod, wenn er zu seiner Mutter sagt: „Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen“ (Lk 2, 35). Der Kreuzestod hat das Licht Christi nicht zum Verlöschen gebracht. Es ist vom Grabstein nicht erdrückt worden. Nun betreten wir diese Basüika und tragen das Licht in Händen: Zeichen des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Im Kreuz und in der Auferstehung wird sich bis ans Ende die Prophezeiung Simeons bestätigen: Zeichen, dem widersprochen wird, Zeichen des Lichts. 3. Ist Christus etwa nicht mit diesem Zeichen in die Geschichte des Menschen eingetreten? Tritt er uns nicht aus den verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte entgegen? Es gibt keine Epoche, in der ihm nicht widersprochen worden wäre. Und in diesem Widerspruch erwies sich jedesmal neu das Licht, das den Menschen erleuchtet. Ist nicht auch unser Jahrhundert die Epoche des vielfachen Widerspruchs gegen Christus? Und wird er nicht gerade in diesem Jahrhundert aufs neue als das Licht offenbar, das Menschen und Völker erleuchten soll? „Christus ist das Licht der Völker“, mit diesen Worten beginnt der Text des bedeutendsten Dokuments unserer Zeit über die Kirche. Das Zeichen des Lichtes, in dem wir heute Christus bekennen - Christus, den Sohn Mariens, Christus, der in Betlehem geboren und im Tempel dargestellt wurde, den gekreuzigten und auferstandenen Christus -, ist ein einfaches Zeichen und zugleich sehr reich. Reich wie das Leben, denn in der Tat, „das Leben war das Licht der Menschen“ (Joh 1,4). 894 Botschaften und Ansprachen Christus ist das Licht des menschlichen Lebens. Er ist das Licht, weil er die Finsternis dieses Lebens vertreibt. Er ist das Licht, weil er seine Geheimnisse erhellt; weil er Antwort gibt auf die grundlegenden und zugleich entscheidenden Fragen. Er ist das Licht, weil er dem Leben Sinn gibt. Er ist das Licht, weil er den Menschen von seiner großen Würde überzeugt. Im Zeichen dieses Lichtes sind wir heute in diesen römischen „Tempel“, die Peterskirche, gekommen, wie einst Maria und Josef zum Tempel des Alten Bundes hinaufstiegen, der des Messias harrte. 4. Wir sind hier, um wieder das Geheimnis der Darstellung des Herrn zu erleben. Die Darstellung im Tempel, die zu einem Vorbild und einer Quelle der Inspiration geworden ist. Auch sie ist Licht, das das menschliche Leben erleuchtet. Laßt uns in diesem Licht der Darstellung Christi leben. Wird nicht durch das Herz des Menschen, der „geistliche Opfer“ darbringt, die ganze Welt zu einem gewaltigen kosmischen Tempel? Wird sie nicht zu einem großen christozentrischen Raum des geschaffenen Geistes, in dem der Heilige Geist am Werke ist? Oh, wieviel vermag das kleine Menschenherz, wenn es sich vom Licht Christi durchdringen läßt und zum Tempel der Darstellung wird! 5. Ich spreche von euch, liebe Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter der Kirche, Angehörige so vieler Orden und Ordensgemeinschaften. Ich spreche von allen, vom ganzen Volk Gottes, das Christus „für unsem Gott zu Königen und Priestern gemacht hat“ (Offb 5, 10), aber ich spreche doch vor allem von euch. Von euch, die ihr heute hier seid und das Licht Christi in Händen tragt, und von allen euren Brüdern und Schwestern in der ganzen Welt. Besonders von jenen, die das schwerste Kreuz tragen! Möge das Licht der heiligen Darstellung, das durch Christi Gnade in euren Herzen bei der Ordensprofeß entzündet wurde, in jedem und jeder von euch immer weiterglühen! Möge es glühen und vor den anderen leuchten! Verdunkelt dieses Licht nicht! Nehmt ihm nicht seinen schlichten evangelischen Glanz! Ihr seid so notwendig für das ganze messianische Gottesvolk auf seinem Pilgerweg zum ewigen Licht. 6. Christus im Tempel von Jerusalem! Erneuere uns alle im Geheimnis deiner Darstellung und laß uns, durch die Fürsprache deiner Mutter, beharrlich dem entgegengehen, der „in unzugänglichem Licht wohnt“ (1 Tim 6,16). Amen. (O.R. 4. 2. 82) 895 Botschaften und Ansprachen „Hütet und bewahrt eifersüchtig eure geistliche Identität!“ Brief an den Erzbischof von Prag, Kardinal Frantisek Tomasek, zum 700. Todestag der seligen Agnes von Böhmen vom 2. Februar Ehrwürdiger und geliebter Bruder! In dem Jahr, in dem die Kirche die 800. Wiederkehr der Geburt von Franz von Assisi, des „Seraphicus“, feiert, muß auch daran erinnert werden, daß sich am 2. März zum 700. Mal der Todestag der seligen Agnes von Böhmen jährt, die - wie die hl. Klara - getreu in seinen Spuren wandelte, nachdem sie wie er um der Liebe zu Christus und des Zeugnisses für sein Evangelium willen Haus, Brüder, Schwestern, Vater und Mutter verlassen hatte (vgl. Mk 10, 29). Sie lebte und starb in Prag, doch der Ruf ihrer Tugenden verbreitete sich noch zu ihren Lebzeiten in ganz Europa. Deshalb möchte auch ich dem Beispiel meiner Vorgänger und ganz besonders ihres Zeitgenossen, Papst Gregors IX., folgen und diese Selige ehren, die seit Jahrhunderten von den Pragern und dem tschechischen Volk als Schutzpatronin bei Gott angerufen wird und eine der edelsten Gestalten eurer Nation ist. Das Leben der seligen Agnes war ebenso außergewöhnlich wie ihre Persönlichkeit. Als Tochter König Ottokars I. von Böhmen am Ende des ersten Jahrzehnts des 13. Jahrhunderts geboren, war Agnes mit den vornehmsten Königs- und Fürstenfamilien Mitteleuropas und Dänemarks verwandt. Väterlicherseits kam sie aus dem berühmten Geschlecht der böhmischen Heiligen Ludmilla und Wenzel; die hl. Hedwig von Schlesien war ihre Großtante, die hl. Elisabeth von Thüringen ihre Cousine und die hl. Margarete von Ungarn ihre Nichte. Das Glück des Familienlebens konnte sie jedoch kaum genießen. Im Alter von nur drei Jahren wurde sie zusammen mit ihrer älteren Schwester Anna zu den Zisterzienserinnen in Trebnitz bei Breslau geschickt, wo damals die hl. Hedwig lebte. Diese ihre Verwandte sollte sie die Grundwahrheiten des Glaubens und die ersten Gebete lehren und sie im christlichen Leben schulen. Das Vorbild der heiligen Tante prägte sich Agnes tief ins Herz ein und begleitete sie dann ihr ganzes Leben lang. Mit sechs Jahren kam sie in das Prämonstratenser-kloster Doksany, wo sie lesen und schreiben lernte. Schon damals zog sie das Gebet dem Spiel mit den Gefährtinnen vor. Die Verlobung mit Heinrich, dem sizilianischen und deutschen König, Sohn Kaiser Friedrichs II., entriß Agnes jedoch, erst achtjährig, der Ruhe 896 Botschaften und Ansprachen des Klosters und versetzte sie in die weltliche Atmosphäre des Wiener Hofes, wo sie die einer künftigen Kaiserin würdige Erziehung erwerben mußte. Aber Agnes fühlte sich dort nicht wohl. Sie gab reichlich Almosen, sie kasteite sich mit häufigem Fasten und weihte sich ganz der Muttergottes in dem inständigen Wunsch, ihre Jungfräulichkeit unversehrt zu erhalten. Die Verlobung winde deshalb aufgelöst, aber die Prinzessin aus Böhmen war damit noch nicht frei und sicher vor politischen Spekulationen, die am Königshof in Prag über sie angestellt wurden. Kaiser Friedrich II. selbst wollte sie zur Gemahlin haben, und dieser Plan wurde nur durch Papst Gregor IX. vereitelt, der auf ihr Drängen hin bei ihrem Bruder vorstellig wurde. Die Nachricht von dieser Weigerung - die mit den Worten des Apostels begründet wurde: „Wer sich die Welt zunutze macht, soll sich so verhalten, als nutze er sie nicht; denn die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1 Kor 7, 31) - verbreitete sich in ganz Europa und rief großes Erstaunen hervor. Agnes wollte aus ganzem Herzen das Ideal des Evangeliums leben und „sich um die Sache des Herrn sorgen, um heilig zu sein an Leib und Geist“ (1 Kor 7, 34), da sie sehr wohl wußte, daß derjenige, der sich von der Liebe zu den irdischen Gütern überwältigen läßt, nicht imstande ist, sich im Herrn zu freuen (vgl. hl. Gregor d. Gr., In Ezechielemll, XVIII, ix, 16, CCL 142, S. 896). Nachdem sie von böhmischen Adeligen, die aus Italien zurückkehrten, über den hl. Franziskus und den neuen Orden der hl. Klara gehört hatte, entbrannte auch in ihr der Wunsch, in vollkommener Armut dem armen Christus zu folgen. Sie entledigte sich also aller ihrer Juwelen, des Schmucks und der kostbaren Gewänder und verteüte den Erlös an die Armen, da sie wohl wußte, daß die guten Werke, auch wenn sie aus vergänglichen Gütern stammen, niemals vergehen. Das Beispiel der hl. Hedwig und der hl. Elisabeth von Thüringen, der „Trösterin der Armen“, führte sie zur Gründung eines Spitals in Prag mit der angeschlossenen Bruderschaft der Kreuzherren mit dem roten Stern (die später Regularkanoniker wurden, vgl. Annuario Pontificio 1981, S. 1207) zur Pflege der Kranken. Agnes selbst trat dann in das Klarissinnenkloster in Prag ein, das sie selbst zuvor am Moldauufer in dem Stadtviertel errichtet hatte, das noch heute nach dem hl. Franziskus „Na Frantisku“ benannt ist. „Einer Taube gleich flog sie aus der Sintflut der verdorbenen Welt in die Arche des heiligen Ordens“ (J. Kapistran Vyskocil, Legenda blahoslavene Anezky a ctyri listy svate Klary, Praha 1932, S. 107), begleitet von fünf anderen jungen Mädchen, Töchtern aus führenden Prager Adelsfamilien. Zu ihnen stießen im Kloster fünf Klarissinnen aus Trient, die die hl. Klara eigens dorthin geschickt hatte. Diese übersandte dann von San Damiano 897 Botschaften und Ansprachen einen Brief, in welchem sie den Ruf der Agnes pries, „die nicht nur ihr, sondern nahezu der ganzen Welt bekannt ist“, und sie begeistert dafür lobt, daß sie die Hochzeit mit Christus allen weltlichen Ehren vorgezogen habe, als sie sich aus ganzem Herzen „für die heilige Armut und die leiblichen Entbehrungen entschied, um Braut „des edelsten Bräutigams“ zu werden (Epist. I, zitiert von Vyskocil, op. dt., S. 139). Auf diese Weise entstand zwischen den beiden gottgeweihten Frauen eine sehr schöne Freundschaft. Obwohl ihnen eine persönliche Begegnung auf dieser Erde nicht geschenkt war und trotz ihres sehr unterschiedlichen Lebens, fanden sie sich doch in derselben Liebe zu Christus und in demselben Verlangen nach Heiligkeit verbunden. Dank des Vorbildes von Agnes wurde das Kloster der Klarissinnen in Prag zu einem Feuerherd, der in Böhmen, in Polen und in anderen Ländern weitere Klöster desselben Ordens entstehen ließ. Agnes verzichtet ihrerseits auch auf die Einkünfte aus dem von ihr gegründeten Spital, das die Klarissinnen mit notwendiger Nahrung versorgen sollte, und sagte, „sie ziehe es vor, lieber Not und Elend zu leiden als von der Armut Christi abzuweichen“ (Vyskocil, op. dt., S. 109). Die Liebe, die in ihrem Herzen brannte, erlaubte ihr jedoch nicht, sich in fruchtlose Einsamkeit zurückzuziehen, sondern drängte sie, sich zum Dienst an allen zur Verfügung zu stellen. Sie stand kranken Mitschwestern bei, pflegte Leprakranke und von ansteckenden Krankheiten Befallene, wusch und flickte nachts deren Kleider und lieferte damit den Beweis, daß sich ihr geistliches Leben auf dem festen Fundament der Demut aufbaute. So wurde sie zur Mutter der Armen und erwarb sich im Herzen der Armen und Unterdrückten von Prag einen Platz, der ihr durch die Jahrhunderte erhalten blieb. Ihre Nächstenliebe nährte sich aus dem Gebet, das sich auf die Passion Christi konzentrierte. Denn der leidende Christus war für sie Ausdruck der höchsten Liebe, und sein Kreuz schenkte ihr besonders in ihren letzten Lebensjahren Trost, als sie mit heroischer Geduld, ohne je zu klagen, Mißgunst, Ungerechtigkeit, Not und Krankheit ertrug, wobei sie Christus bis zum Äußersten folgte. Sie liebte die Einsamkeit, weil sie ihr Gelegenheit bot, sich dem Gebet und der Kontemplation hinzugeben, während welcher sie oft in Ekstase fiel. Mit den Mitschwestem sprach sie nicht allzuoft, wenn es aber der Fall war, dann glühten ihre Worte so sehr von der Liebe zu Christus und von der Sehnsucht nach dem Paradies, daß sie kaum die Tränen verbergen konnte. Gleich einem kostbaren Erbe des Franziskus und der Klara hütete sie die Verehrung der Eucharistie, und es war ihr Verdienst, wenn sich diese auch in anderen Klöstern des Ordens 898 Botschaften und Ansprachen verbreitete und später in dem Wunsch nach der täglichen Kommunion gipfelte. Ständig war Agnes vom Leiden begleitet. Oft war sie krank. Als sie einmal in der Meinung, das Ende sei nahe, die Sterbesakramente empfangen wollte, versicherte ihr eine innere Stimme, daß ihr auf dem Weg in die Ewigkeit sämtliche Mitglieder ihrer Familie vorausgehen würden. Und in der Tat, während ihres langen Lebens erlebte sie den Tod ihres Vaters, verschiedener Verwandter, ihrer Brüder und Schwestern, auch ihres Bruders Wenzel, den sie mit seinem aufrührerischen Sohn Premysl Ottokar in eben ihrem Kloster versöhnen konnte, wo sie Zeugin ihres Friedenskusses war; ebenso überlebte sie fast alle Geschwisterkinder. Um den Kelch des Schmerzes bis zur Neige zu trinken, hatte Agnes am 26. August 1278 während der Vesper die Vision vom tragischen Tod ihres Neffen König Premysl Ottokars II., der an jenem Tag in der Schlacht auf dem Marchfeld fiel. Auch Klara, ihre geliebte Mitschwester, starb viele Jahre vor ihr, 1253, im Todesjahr ihres Vaters. Die Freundschaft zwischen Agnes und Klara hatte zwei Jahrzehnte gedauert, war gereift und hatte sich so gefestigt, daß die italienische Heilige die böhmische Selige liebte, als wäre sie zugleich ihre Mutter und ihre Tochter. Vor ihrem Tod nahm sie mit einem erschütternden Brief von ihr Abschied, in welchem sie sie ihre geliebte „Seelenhälfte“ nannte (Epist. IV, Vyskocil, op. cit., S. 147). Das Leben von Agnes verlosch wie eine geweihte Kerze unter besonders traurigen Umständen. Nach dem Tod König Ottokars II. wurde Böhmen von fremden Heeren besetzt, es herrschte Unordnung und Gewalt, die Menschen starben an Hunger und Pest, und vor der Tür der Klarissinnen, deren Vorratskammern leer waren, sammelten sich an Hunger Sterbende, die Hilfe suchten. Inmitten dieser Schrecken beendete Agnes, die damals schon als Heilige verehrt wurde, am 2. März 1282 ihr Erdendasein. Ihr Heimgang wurde aufgehellt durch die Liebe ihrer Mitschwestem und der Minderbrüder, die ihr beistanden, und von ihrem glühenden Verlangen, zu ihrem himmlischen Bräutigam zu kommen. Ehe sie starb, ermahnte sie noch ihre Schwestern, ihn treu zu lieben und ihm in Demut und Armut zu folgen und dabei immer - nach dem Beispiel des hl. Franziskus und der hl. Klara - seinem Stellvertreter und dem Römischen Stuhl gegenüber demütig ergeben zu bleiben. So konnten in jener traurigen Zeit die Böhmen, die in ihren Qualen und ihrer Verlassenheit inständig ihren Nationalheiligen Wenzel anflehten, „laß weder uns noch unsere Nachfahren untergehen“ (Hymnus an den hl. Wenzel, der noch heute in den Kirchen gesungen wird), ihr Herz auch 899 Botschaften und Ansprachen Agnes öffnen, Tochter aus derselben königlichen Familie, die aus der Drangsal jener Tage in die Ewigkeit hinübergegangen war, um ihnen beim Thron ihres göttlichen Bräutigams beizustehen. Und so ist es später auch geschehen. Ihre Landsleute suchten eingedenk ihrer Güte und Barmherzigkeit, die sie während ihres Erdenlebens bewiesen hatte, bei ihr Zuflucht und Hilfe; ihre Verehrung breitete sich aus und wurde von meinem Vorgänger Pius IX. im Jahr 1874 bestätigt und approbiert. Und was, mein ehrwürdiger und geliebter Bruder, hat eure Selige euch zu sagen, die ihr heute in ihrem Lande lebt? Sie bleibt vor allem das Vorbild der vollkommenen Frau (vgl. Spr 31, 10: „Eine tüchtige Frau, wer findet sie?“), die ihre Fraulichkeit in selbstlosem, uneigennützigem Dienst zu verwirklichen weiß, der in ihrem Fall die ganze Nation einschloß, von der Königsfamilie bis zu den Ärmsten und Randgruppen. Ihre gottgeweihte Ehelosigkeit machte ihr Herz frei und entzündete es zu größerer Liebe zu Gott und zu allen Menschen (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 12, zitiert in Familiaris consorüo, Nr. 16), womit sie bewies, „daß das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit die kostbare Perle ist, welche verdient, jedem anderen selbst hohen Wert vorgezogen, ja als einziger endgültiger Wert gesucht zu werden“ (Familiaris consortio, Nr. 16). Als Gründerin des noch heute bestehenden Ordens der Kreuzherren mit dem roten Stern und des ersten Klarissinnenklosters auf böhmischem Boden beweist Agnes auch den Wert des Ordensinstituts, in dem Brüder und Schwestern „nach dem Beispiel der Urkirche, in der die Menge der Gläubigen ein Herz und eine Seele war (vgl. Apg 4, 32), das Leben in Gemeinschaft in Gebet und Gemeinsamkeit des Geistes beharrlich pflegen“ (vgl. Apg 2, 42; Perfectae caritatis, Nr. 15). Als wahre Tochter des hl. Franz wußte sie „die vergänglichen Güter so zu gebrauchen, daß wir die ewigen nicht verlieren“ {Oration vom 17. Sonntag im Jahreskreis), indem sie die Armen speiste, die Kranken pflegte, den Alten beistand, die Erschöpften stärkte und so vermochte, Frieden und Versöhnung zu bringen, Trost und neue Hoffnung zu schenken. Nun, ehrwürdiger Bruder, wird dieser großmütige und uneigennützige Dienst nicht auch in unseren Tagen gebraucht? Auch dort, wo es keine Hungernden im materiellen Sinn gibt, fühlen sich viele Menschen einsam und verlassen, traurig und verzweifelt, ohne die Wärme einer aufrichtigen Liebe und ohne das Licht eines Ideals, das nicht trügt. Haben sie es nicht nötig, in ihrem Leben einer Agnes zu begegnen, die ihnen Frieden und Freude, Lächeln und Hoffnung bringen würde? Das Geheimnis der seligen Agnes war ihre Verbundenheit mit dem göttlichen Bräutigam, ihr Gebet. Beten, wie sie es bereits als kleines Kind 900 Botschaften und Ansprachen von der hl. Hedwig gelernt hatte; es wurde zum Lebensatem ihrer Seele und zur unerschöpflichen Quelle der unermeßlichen Kraft, die sie während der vielfältigen Prüfungen ihres Lebens bewies. Was für ein Vorbild für die Priester und Ordensleute, für die Erzieher und für die Familien! Ohne Christus ist man nicht Christ, aber man kann Christus nicht haben, wenn man ihn nicht im ständigen und eifrigen Gebet sucht. „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15, 5). Die selige Agnes hat, nachdem sie sich für das Evangelium entschieden hatte, auch die Seligpreisungen gelebt. Die Seligpreisung der Armen, der Trauernden, der Gewaltlosen, derer, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, die Seligpreisung der Barmherzigen, der Friedensstifter, der Verfolgten (vgl. Mt 5, 3-10). Ihr Leben und insbesondere ihre letzten Lebensjahre waren nicht leicht. Aber mit ihrem reinen Herzen gelang es ihr, hinter allen menschlichen Geschehnissen Gott zu sehen, und sie blieb stark und zuversichtlich, weil sie wußte, daß „Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt“ (Röm 8, 28). Agnes war keine Randerscheinung eurer Geschichte. Sie repräsentiert vielmehr eine der letzten und herrlichsten Blüten der Dynastie der Premysliden, die mit dem hl. Wenzel und seiner Großmutter, der hl. Ludmüla, die vom hl. Method getauft worden war, in die Geschichte eingetreten waren. Es handelt sich also um die Wurzeln eurer Nationalkultur, es handelt sich um eure geistliche Identität. Hütet und bewahrt eifersüchtig dieses Erbe, gebt es unversehrt an eure Kinder weiter! Die selige Agnes stehe auch vom Himmel her bei, wie sie so vielen Generationen vor euch im Laufe der bewegten Geschichte eures Vaterlandes beigestanden ist. Da es sich bei der seligen Agnes um eine Förderin der franziskanischen Bewegung in eurem Lande handelt, möchte ich, geliebter und ehrwürdiger Bruder, die Worte des Armen von Assisi gebrauchen: „Der Herr segne euch und behüte euch, der Herr zeige euch sein Angesicht und habe Erbarmen mit euch. Er richte seinen Blick auf euch und schenke euch Frieden!“ Von Herzen übersende ich Dir, den hochwürdigsten Brüdern im Bischofsamt, den Priestern und Seminaristen, den Ordensmännern und Ordensfrauen und allen Gläubigen in der Tschechoslowakei meinen besonderen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 2. Februar 1982, im vierten Jahr meines Pontifikats. PAPST JOHANNES PAUL II. (O.R. 1.12. 3. 82) 901 Botschaften und Ansprachen „Der Mensch muß Herr über seine Arbeit bleiben“ Ansprache bei der Audienz für die internationalen Gewerkschaftsführer am 9. Februar Meine Damen und Herren, hebe Freunde! 1. Mit Freude habe ich, sobald ich davon hörte, Ihrer Bitte um eine Audienz entsprochen; als Verantwortliche mehrerer Gewerkschaften haben Sie sich in Rom versammelt, um Ihrer Sorge für Polen in der Stunde Ausdruck zu geben, in der viele Ihrer Kollegen, die Arbeiter und die ganze Bevölkerung dort sehr schwere Prüfungen durchmachen. Ihr Sprecher hat die Gefühle der Solidarität, die Sie für mein Vaterland empfinden, ausgedrückt. Dafür bin ich Ihnen dankbar. Ich grüße in Ihnen alle Arbeiter, die, in freien Verbänden zusammengeschlossen, für die Schaffung würdiger Arbeitsbedingungen und die Verwirklichung einer gerechten Gesellschaft ihren Beitrag zu leisten versuchen, wobei sie ihr Wirken auf ein Verständnis von menschlicher Arbeit gründen, das der Wahrheit vom Menschen entspricht. Ihre Anwesenheit hier beweist Ihren engagierten Einsatz für die Würde der menschlichen Arbeit; sie zeugt auch von der Solidarität, die Sie gegenüber allen Arbeitern und besonders gegenüber den polnischen erfüllt, die nach einem besseren Los unter Respektierung des Menschen und seiner unveräußerlichen Rechte suchen. Meine Gedanken wenden sich besonders den Männern und Frauen zu, die in Polen auf Grund der vor nunmehr zwei Monaten verhängten offiziellen Maßnahmen heimgesucht wurden: denen, die ihr Leben verloren haben; denen, die verletzt, verhaftet und interniert sind, denen, die abgeurteilt und streng bestraft wurden, die wegen ihrer Überzeugung den Arbeitsplatz verlieren. Alle sind in unseren Gedanken und in unserem Herzen gegenwärtig wie auch alle jene Männer und Frauen, die inmitten großer Schwierigkeiten die Hoffnung bewahren und dem Wunsch treu bleiben, für Polen den Weg der Gerechtigkeit, der Menschenrechte, des Friedens und der Wahrheit zu suchen. 2. Sie haben auf Ihre Teilnahme am ersten Kongreß der Gewerkschaft „Solidamosc“ in Danzig Bezug genommen, der vor einigen Monaten stattfand. Unter Ihnen befinden sich ja übrigens einige Mitglieder dieser Gewerkschaft. Und Sie erwähnten auch, daß ich vor einem Jahr eben hier mit Herrn Lech Walesa und anderen Vertretern der unabhängigen und autonomen Gewerkschaft „Solidamosc“ zusammengetroffen bin. An dieser Begegnung nahm auch der Delegationschef der Regierung der Volksrepublik Polen für die ständigen Arbeitskontakte mit dem Hl. Stuhl teü. 902 Botschaften und Ansprachen Ich habe damals meine Freude ausgedrückt über die Nachricht, daß am 10. November 1980 das Statut der freien Gewerkschaft „Solidamosc“ gebilligt und somit die Rechtmäßigkeit der Existenz und der spezifischen Aktivitäten dieser Gewerkschaft anerkannt wurde. Bei diesem vielversprechenden freudigen Anlaß konnte ich versichern, daß „die Schaffung einer freien Gewerkschaft ein Ereignis von großer Bedeutung ist. Sie bezeugt die offene Bereitwilligkeit aller arbeitenden Menschen in Polen -der Angehörigen der verschiedensten Berufe, einschließlich der sogenannten ,Angesehenen wie auch der Bauern -, solidarisch die Verantwortung für die Würde und Fruchtbarkeit der in unserem Heimatland auf vielen und verschiedenen Tätigkeitsgebieten geleistete Arbeit zu übernehmen. Sie zeigt außerdem, daß es einen Widerspruch zwischen einer solchen autonomen gesellschaftlichen Initiative der Arbeiter und dem vorgegebenen gesellschaftlichen System, das sich auf die menschliche Arbeit, als den fundamentalen Wert des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens beruft, nicht gibt, weil es ihn nicht geben darf“ (Ansprache vom 15. Januar 1981; O.R. dt. vom 23. 1. 81, S. 3). Es ist niemandem entgangen, daß die freie Gewerkschaft „Solidamosc“ in einem für Polen sehr schwierigen Augenblick entstanden ist, und zwar einerseits als Äußerung des Verantwortungsgefühls der Arbeiter und des Wunsches, die besonderen, zum Arbeitsbereich gehörigen Verantwortlichkeiten zu übernehmen, und andererseits als Ausdruck wirklicher Sorge für das Gemeinwohl der ganzen Gesellschaft. Die momentan enttäuschten Hoffnungen, die Schwierigkeiten und Hindernisse, die dadurch entstanden, die harten Einschränkungen der Freiheit, die nicht nur den Mitgliedern von „Soli-darnosc“, sondern der gesamten Bevölkerung auferlegt wurden, können nicht vergessen lassen, daß diese Gewerkschaft den Charakter einer echten, von den staatlichen Organen anerkannten und bestätigten Arbeitervertretung erlangt hat und noch immer besitzt. Sie ist und bleibt eine autonome und unabhängige Gewerkschaft, die ihrem ursprünglichen Geist weiter treu ist, die Gewalt selbst in der schwierigen Situation, die sie augenblicklich erlebt, ablehnt und darum bemüht ist, eine aufbauende Kraft der Nation zu sein. 3. Niemand weiß besser als Sie, meine Damen und Herren, daß die Probleme von „Solidamosc“ heute nicht eine rein polnische Angelegenheit sind, sondern in ihren Wurzeln und Auswirkungen die Sache der ganzen Arbeiterschaft betreffen. Sie alle, und besonders diejenigen von Ihnen, die christlichen Gewerkschaften angehören, wissen, daß die Kirche immer das Recht auf freien Zusammenschluß im Namen der Würde der menschüchen Arbeit verkündet hat. Wie ich in meiner Enzyklika Labo- 903 Botschaften und Ansprachen rem exercens betont habe, „ist der Mensch als Person Subjekt der Arbeit. Als Person arbeitet er und vollzieht die verschiedenen Handlungen, die zum Arbeitsprozeß gehören; unabhängig von ihrem objektiven Inhalt müssen diese alle der Verwirklichung seines Menschseins dienen, der Erfüllung seiner Berufung zum Personsein, die ihm eben aufgrund seines Menschseins eigen ist“ (Nr. 6). Die Arbeit besitzt einen sittlichen Wert, der mit der Tatsache im Zusammenhang steht, daß der, der sie ausübt, eine denkende und freie Person ist, ein Subjekt, das über sich und für sich entscheidet. Durch seine Arbeit produziert der Mensch Sachen, schafft die Produktionsmittel - das Kapital - und verwandelt die Naturschätze, aber letzten Endes arbeitet er immer, um sein Menschsein zu verwirklichen, um menschlicher zu werden, um bewußter Mensch und Herr seines Schicksals zu sein. Er muß deshalb Herr über seine Arbeit bleiben. Aus diesem Grund hat der Mensch die Verantwortung - und das Recht -, die subjektive Dimension der Arbeit zu schützen; er muß sicherstellen, daß er für sich, für sein Menschsein arbeiten kann. Das ist sein Recht aufgrund der Natur der Arbeit selbst, und dieses Recht sollte in der gesamten Organisation der Arbeitswelt, im Bereich der Sozial- und Wirtschaftspolitik sowie unter den Zielen der Arbeiterverbände einen zentralen Platz finden. Aus dieser Wahrheit ergibt sich unter anderem das Recht der Arbeiter, sich zusammenzuschließen, um zu gewährleisten, daß sie Subjekt der Arbeit bleiben, und um alle Rechte, die sich aus der Arbeit ergeben, zu wahren. Der arbeitende Mensch kann sich nicht der Notwendigkeit entziehen, selbst die wahre Würde seiner Arbeit zu verteidigen: er darf nicht daran gehindert werden, diese Verantwortung auszuüben. Wenn sich die Arbeiter frei zusammenschließen, übernehmen sie die Verantwortung, nicht nur ihre Lebensinteressen zu verteidigen, sondern auch die Würde der Arbeit selbst, die mit allen Bereichen des menschlichen Lebens verbunden ist. So setzen sich die Gewerkschaften zum Ziel, die begründeten Rechte der Arbeiter ihren Berufsgruppen entsprechend zu erlangen, wobei sie sich ebenso von der Sorge um das Gemeinwohl leiten lassen. Bei der Verteidigung der Wahrheit von der Arbeit übernehmen die Gewerkschaften eine eigene Funktion, die keine politische im Sinne des Strebens nach politischer Macht in der Gesellschaft ist, sondern eine allgemeine gesellschaftliche Bedeutung erlangt. Aufgrund dieser Überlegungen hat die Kirche für die Arbeiter das Recht gefordert, sich in unabhängigen und autonomen Verbänden zusammenzuschließen: von Rerum novarum (vgl. Nr. 21, 22) über Quadragesimo anno (vgl. Nr. 11) bis zu meiner jüngsten Enzyklika Laborem exercens 904 Botschaften und Ansprachei (vgl. Nr. 20). Die Lehre der Kirche kann nicht anders sein, denn es handelt sich um ein Recht, das unzertrennlich mit der menschlichen Arbeit verbunden ist. Ihre Soziallehre will überall ebenso stichhaltig wie gültig sein: Was sie zur menschlichen Arbeit, zu den Rechten des Menschen und besonders des arbeitenden Menschen vorbringt, hat für alle Situationen und für alle Länder dieselbe Bedeutung und denselben Wert. 4. Man muß die ganze Bedeutung heraussteilen, die die Handlungen auszeichnet, durch welche die freien Gewerkschaften ihre Solidarität mit den polnischen Arbeitern zum Ausdruck bringen, sowie die Geste, die Sie damit gesetzt haben, daß Sie in Ihrer Eigenschaft als Vertreter der freien Gewerkschaften hierhergekommen sind, um Ihrer Unterstützung für die Gewerkschaft „Solidamosc“ Ausdruck zu geben. Mit Ihnen und mit vielen anderen erlebe ich selbst die jetzige Situation in Polen als ein zutiefst trauriges Ereignis. Mit Ihnen teile ich die Überzeugung, daß die Wiederherstellung der tatsächlichen und vollständigen Respektierung der arbeitenden Menschen, insbesondere ihres Rechtes auf eine bereits geschaffene und gesetzlich anerkannte Gewerkschaft, den einzigen Weg zur Lösung dieser schwierigen Situation darstellt. Ohne die Respektierung der Menschenrechte blieben die Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens, die Entwicklung des Wirtschaftslebens und der Schutz der Kultur in all ihren Ausdrucksformen unmöglich. Ja, fürwahr, die Arbeit muß der Schlüssel des Lebens in der Gesellschaft sein, die freiwillig übernommene und nicht gewaltsam aufgezwungene Arbeit, die Arbeit mit ihrer Mühe, aber auch mit ihrer Fähigkeit, den Menschen frei und zum wahren Baumeister der Gesellschaft zu machen. Das, meine Damen und Herren, wäre es, was auszusprechen mich Ihr Besuch heute inspiriert hat. Ich danke Ihnen noch einmal und bitte den Herrn, Ihre Bemühungen, Ihre Organisationen, Sie persönlich und Ihre Familien reichlich zu segnen. (O.R. 10.2. 82) „Ihr nehmt hier den ersten Platz ein“ Predigt beim Gottesdienst für die Kranken in St. Peter am Fest Unserer Lieben Frau von Lourdes, 11. Februar „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen“ (Lk 1, 42)! 1. Dieser eindrucksvolle marianische Gruß, der jenen Gruß wiederholt und im Laufe der Jahrhunderte immer wieder erklingen läßt, den Elisa- 905 Botschaften und Ansprachen beth „erfüllt vom Heiligen Geist . . . mit lauter Stimme“ an die Jungfrau und Gottesmutter richtete, scheint mir, liebe Brüder und Schwestern, besonders passend für unseren gemeinsamen Gottesdienst heute abend zu sein. Denn wir haben uns ja in diesem Gotteshaus eingefunden, um die allerseligste Jungfrau Maria an dem Tag zu ehren und zu feiern, an dem man ihrer Erscheinung vor der demütigen Bernadette dort in der Grotte von Massabielle gedenkt, wo sie dem Mädchen eine besondere Botschaft des Erbarmens und der Gnade anvertraute. Und wer könnte behaupten, daß eine solche Botschaft nicht auch in unseren Tagen ihren vollen Wert behält? Dadurch, daß sich Maria jenes unbekannten Mädchens bediente, wollte sie vor allem die Sünder zur Umkehr rufen, indem sie für sie und für ihre Rettung auf den gemeinsamen Einsatz aller gläubigen Christen drängte. Tatsächlich hat ein derartiger Appell - wie die Liturgie des Stundengebets in der kurzen Einführung vor dem heutigen Gedenken betont „in der Kirche eine eifrige Bewegung des Gebets und der Nächstenliebe, vor allem im Dienst an den Kranken und Armen, ausgelöst“. 2. Und genau das wollen wir heute abend tun! Als ich euch zur Feier der Eucharistie, die Sakrament der Frömmigkeit und Band der Liebe ist, zusammenrief, wollte ich an vorderster und bevorzugter Stelle recht viele der von Schmerz und Leiden heimgesuchten Brüder und Schwestern neben mir haben. Im Licht der stets aktuellen Botschaft Unserer Lieben Frau von Lourdes nehmt ihr hier den ersten Platz ein, meine lieben Kranken, denn euch ist im Heilsplan eine unersetzüche Rolle Vorbehalten, in Vereinigung mit dem, der durch sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung der Haupthandelnde und Urheber dieses Heilsplanes ist: Jesus Christus, unser Erlöser und Herr. Euch gelten daher nach dem Gruß an Maria meine liebevollen Gedanken, die auch Ausdruck meiner Wünsche für eure Gesundheit sein wollen sowie ein Zeichen des Dankes für eure Anwesenheit, von der ich weiß, daß sie nicht ohne Schwierigkeiten und Opfer möglich ist. Und ich kann nicht umhin, mit euch alle jene zu begrüßen, die so, wie sie euch in zuvorkommender Weise hierher begleitet haben, euch bei zahlreichen Gelegenheiten ihren brüderlichen und so verdienstvollen Dienst der Hilfe und Betreuung leisten. Ja, ich möchte auch euch begrüßen und euch danken, liebe Leiter und Mitglieder der Nationalen Vereinigung UNI-TALSI und des Römischen Pilgerwerkes, deren ausdauernde, diskrete, uneigennützige und großherzige Arbeit ich kenne und schätze. Nicht nur heute, sondern jeden Tag vollbringt ihr eine Arbeit, die über jedes einschränkende gesellschaftliche oder berufliche Merkmal hinaus im 906 Botschaften und Ansprachen christlichen Vokabular einen klar bestimmten und angesehenen Namen hat: Nächstenliebe - als Sorge, gemäß dem Evangelium, für die schwächsten Brüder, eine Sorge, die ihnen im Namen Gottes und seines Sohnes Jesus gilt. „Ich war krank, und ihr habt mich besucht“ (Mt25, 36). . . Ich danke euch, auch im Namen derer, die manchmal weder Stimme noch Kraft haben, es euch zu sagen. 3. „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen!“ Der Gruß, den wir, die vom Geist inspirierten Worte Elisabeths wiederholend, an Maria richten, um sie an ihrem Festtag zu ehren, wäre unvollkommen, würden wir ihn nicht die anderen Worte folgen lassen und ihn damit vervollständigen, jene Worte, die - wie uns das Evangelium berichtet - zusammen mit dem Gruß im Hause des Zacharias gesprochen worden sind. Wie Elisabeth, ohne im geringsten Mutter und Sohn zu trennen, sondern sie vielmehr aufs engste miteinander verbindend, sofort hinzusetzte: „und gesegnet ist die Frucht deines Leibes“, müssen auch wir uns mit der Bereitschaft eines lebendigen Glaubens, mit der Kraft einer starken Liebe dem Herrn Jesus zuwenden. Auch für uns muß sich bewahrheiten und sich wirklich erfüllen, was der Ausdruck „Durch Maria zu Jesus“ sagen will, so daß die heutige Liturgiefeier eine Gelegenheit ist, Jesus wirklich näherzukommen, wenn wir ihn als die „gesegnete Frucht des Leibes Mariens“ bekennen. Überlegen wir: Welche Bedeutung hatte in jenem Haus im Bergland von Judäa (vgl. Lk 1, 39) die Anwesenheit Mariens? War sie lediglich eine Höflichkeitsgeste oder ein Akt feinfühliger Aufmerksamkeit für die „Verwandte, die noch in ihrem Alter ein Kind empfangen hatte“ (ebd. 1, 36)? War sie ein rein menschlicher Hilfsdienst? Nein! Ihre Anwesenheit war viel bedeutsamer. Sie war von geistlicher Fruchtbarkeit, weil Maria ihrer Verwandten die unvergleichlichen Gaben der Gnade, der Freude und der Erleuchtung mitbrachte und an diesem Geschenk für die Mutter auch den künftigen Vorläufer Christi teilnehmen ließ. Denn als die ältere Frau „den Gruß Mariens hörte“, spürte sie nicht nur das Kind in ihrem Leib hüpfen, sondern wurde auch vom Heiligen Geist erfüllt. Sie empfand Trost und, ich würde sagen, Begeisterung bei der Erwiderung des Grußes. Mehr noch: Vor allem wurde ihr durch das Licht jenes Geistes, der sie durchdrungen hatte, die übernatürliche Fähigkeit verliehen, in ihrer jungen Verwandten die Mutter ihres Herrn zu erkennen. Das sind ganz auserwählte Gaben, die Maria, die Mutter der göttlichen Gnade, auch für uns bereithält, während sie uns zu Jesus führt, oder besser - um es genau zu sagen - uns Jesus bringt. Wir müssen sie also aufnehmen, wie Elisabeth sie aufgenommen hat. 907 Botschaften und Ansprachen 4. Das Evangelium, das wir soeben gehört haben, teilt uns außer den Einzelheiten der Begegnung mit, was damals die Antwort Mariens gewesen ist. Als sie zusammen mit der „Frucht ihres Leibes“ selig gepriesen wird, „weil sie geglaubt hat“ (Lk 1, 45), antwortet sie. Aber sie wechselt dabei den Gesprächspartner und beginnt mit dem Herrn zu sprechen, dem sie aus der „Niedrigkeit einer Magd“ einen wunderbaren Lobgesang darbringt. Das Magnifikat, wahrhaftig der großartigste Gesang des Neuen Testaments, erklingt täglich auf unseren Lippen, Brüder; doch versuchen wir, ihn mit besonderer Innigkeit bei dem heutigen Anlaß anzustimmen, damit wir, wenn wir ihn in geistiger Vereinigung mit Maria Wort für Wort, ja Silbe für Silbe wiederholen, in ihrer Schule lernen, wie und warum wir den Herrn feiern und preisen sollen. Dieser Gesang lehrt uns, daß Gott allein groß ist und deshalb von uns gepriesen werden muß; er allein rettet uns, und deshalb muß unser Geist in ihm jubeln und frohlocken. Er beugt sich in seinem Erbarmen zu uns herab und hebt uns mit seiner Macht zu sich empor. Großartig und erhaben ist wahrhaftig die Lehre des Magnifikat, die jeder von uns in allen Lebenslagen zu der seinen machen kann und muß, um daraus die Gaben der Gnade und der Erleuchtung, aber auch den Trost und die Gelassenheit zu schöpfen, wenn wir durch Not und Drangsal und körperliche Leiden geprüft werden. Möge das Magnifikat auch für euch, meine kranken Brüder, Quelle des Trostes und des Friedens sein und euch in eurem Gebet und der Aufopferung eurer Leiden stärken. 5. Ich möchte euch heute abend eine besondere Gebetsmeinung Vorschlägen und eine besondere Bitte vortragen. Wie ihr sicher wißt, werde ich morgen früh für einige Tage Rom verlassen und mich, so Gott will, zum Besuch in einige afrikanische Länder begeben. Diese neuerliche Reise wird gleichsam eine Rückkehr sein, hat doch der Herr mich bereits im Mai 1980 einige Länder jenes großen und vielversprechenden Kontinents besuchen lassen. Diesmal werde ich Nigeria, Benin, Gabun und Äquatorialguinea aufsuchen und so die Möglichkeit haben, mit zahlreichen kirchlichen Gemeinden zusammenzutreffen, die dank des unermüdlichen Wirkens so vieler Generationen hochverdienter Missionare dort errichtet worden sind. Eine missionarische Reise, eben weil sie diesen jungen Kirchen gilt und weü es ausschließüch der Dienst an der Sache des Evangeliums ist, der mich zum Reisen im direkten Kontakt mit den Gläubigen und Hirten ebendieser Kirche bewegt. Und genau dahinein fällt die angedeutete Bitte: Ich lade euch ein, für mich zu beten, daß die bevorstehende Reise diesem apostolischen Ziel gerecht werden möge! Ihr Brüder und Schwestern, alle, die ihr mich hört, 908 Botschaften und Ansprachen begleitet mich mit euren Gedanken und eurer Liebe, vor allem aber mit der Liebe eurer besonderen Fürbitte, damit der Herr, der allein es geben kann, mir die unerläßliche Hilfe zuteil werden lasse: Gott ist es, der es wachsen läßt (vgl. 1 Kor 3, 6-7)! Er, der mir diese Initiative eingegeben hat, wird sie, dank eurer Gebete, auch begleiten und unterstützen, auf daß jene „Stärkung“ wirksam sei, die ich kraft des Auftrags als Nachfolger Petri den Mitbrüdern im Bischofsamt schuldig bin (vgl. Lk 22, 32), und damit das Wort der Ermutigung, das ich an jene christlichen Gemeinden richten werden, anspornend wirke. Ganz besonders ihr, die ihr heimgesucht seid von der Krankheit, verbindet euch mit mir durch das Aufopfem eurer Leiden und folgt mir so auf dieser Reise aus nächster Nähe. Ihr könnt viel für mich tun; wieder einmal seid ihr in der Lage, mir jene Kraft zu vermitteln, von der ich am Tag nach meiner Ernennung auf den Stuhl Petri in Rom sprach und deren innere Kraft ich auch in der Zeit meiner Krankheit erfahren habe. Ich weiß sehr wohl, daß mir auch diesmal weder der Beistand eurer Gebete noch das Verdienst eurer Leiden fehlen werden, und für all das möchte ich euch jetzt danken. Während des heiligen Opfers werde ich es meinerseits nicht versäumen, in der Gemeinschaft der Liebe, die gleichsam der Lebensatem der Kirche ist, für euch und für eure Gesundheit zu beten. Amen. (O.R. 13.2. 82) Gewalt erzeugt nur neue Gewalt Botschaft an den Kongreß der Weltunion christlicher Demokraten in Rom vom 18. Februar Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie alle, Mitglieder und Vertreter der Weltunion christlicher Demokraten, wülkommen: Sie alle, die Sie politische Verantwortung in den Regierungen und Parlamenten Ihrer Nationen innehaben; Sie, die Sie in verschiedener Weise Ihre Länder bei den internationalen und kontinentalen Gremien vertreten; Sie alle, die Sie auf sich genommen haben und weiter auf sich nehmen, aktiv am politischen Wirken im Rahmen der Demokratie teilzunehmen, wobei Sie sich an christlichen Grundsätzen inspirieren. 1. Es hegt mir zuerst daran, Ihnen meine Wertschätzung und meine Ermutigung für die Verantwortungen, die Sie auf sich nehmen, zum 909 Botschaften und Ansprachen Ausdruck zu bringen. Ist es nicht Ihre Aufgabe, mit rechtlichen Mitteln oder politischen Entscheidungen zum Aufbau einer gerechten Ordnung unter den Männern und Frauen innerhalb der Gesellschaft beizutragen, die Sie in freier Wahl dazu bestellt haben oder denen Sie in diesem Sinn dienen wollen, und auch zwischen den Staaten, die alle zusammen die Gemeinschaft der Völker bilden? Der Schutz des Lebens jedes einzelnen Staatsbürgers, seiner Würde, seiner unverletzlichen Rechte sowie das Streben nach dem Gemeinwohl der Gesellschaft - das sind die beiden Prüfsteine einer würdigen Machtausübung. Die Demokratie verlangt, daß diese Machtausübung „mit moralischer Beteiligung der Gesellschaft und des Volkes“ geschieht (vgl. Redemptor hominis, Nr. 17), im Interesse aller Bürger und unter Achtung der fundamentalen Freiheiten. Das entspricht ebenso einer christlichen Geisteshaltung, die besorgt ist um das Gemeinwohl und beseelt von dem Bemühen um die Erstellung gerechter Gesetze, das heißt von Gesetzen, die angemessenere Beziehungen zwischen den Staatsbürgern ermöglichen, aber auch die menschlichen Werte fördern und die sittlichen Forderungen der ethischen Ordnung gewährleisten. All das erfordert Klarsicht, Kompetenz, Ehrlichkeit, Uneigennützigkeit und Mut. Darin liegt die Größe Ihres Engagements. 2. Aber heute will ich mich dazu nicht ausführlich äußern, denn ich denke an das hochaktuelle Thema, das die internationale Konferenz behandelt, zu der Sie sich in diesen Tagen versammelt haben: „Der Terrorismus, die politische Gewalt und die Verteidigung der Demokratie und der Menschenrechte.“ Wir fühlen nämlich diese Forderung der Verantwortung besonders stark, wenn wir uns dem unsinnigen Phänomen des Terrorismus im eigenen Staat und jenseits der Staatsgrenzen stellen müssen. Der Terrorismus ist das Gegenteil all dessen, was Sie als Demokraten und Christen zu fördern versuchen. Der Terrorismus steht im Gegensatz zu Gesetz und Vernunft. Der Terrorismus setzt alles daran, die Menschen und die Gesellschaft durch Taten zu verstümmeln und zu zerstören, die im Grunde gewaltsame Verletzung sind: Vergewaltigung der von den Gesetzen garantierten menschlichen Werte sowie Verletzung der Würde und des Lebens der Menschen (vgl. Ansprache an die Vereinigung katholischer Juristen Italiens vom 6. 12. 80). 3. Zunächst aber die Frage: Wodurch erhält also heute der Terrorismus seine weite Verbreitung, seine Wirkung, seinen so gefährlichen und so beunruhigenden Charakter? An Analysen des Phänomens mangelt es gewiß nicht, und ich kann sie hier nicht wieder erschöpfend aufgreifen. 910 Botschaften und Ansprachen Die ganze Welt stellt zunächst fest, daß die Terroristen heute über furchtbare Waffen verfügen, die sie sich allzuleicht beschaffen können. Das begünstigt ihr Werk der Zerstörung, aber es reicht nicht aus, die Wurzeln des Phänomens und seine Zuspitzung zu erklären. Es ist vor allem Tatsache, daß der Terrorismus zu einer wirksamen psychologischen Waffe werden konnte, und zwar durch den unmittelbaren und weltweiten Widerhall in den Massenmedien, die sich die Information zur Pflicht machen. Es bliebe gründlicher zu klären, warum Menschen wie wir zu diesem erbärmlichen Mittel greifen. Triebe der Gewalt schlummern seit eh und je im Herzen der Menschen, zugleich mit Trieben des Friedens, der Liebe; zweifellos werden die ersteren heute stärker angefacht. Wäre es also die Zunahme an Ungerechtigkeiten bzw. das Sich-ihrer-Bewußtwerden, was gewaltsame Reaktionen hervorruft? Aber kann die genannte Ursache die Methode rechtfertigen? Immer häufiger trifft man auf die Verbreitung von Ideologien der Gewalt und des haßerfüllten Kampfes, die das Gewissen so verformen, daß sie in denen, die diese barbarischen Akte anordnen oder durchführen, sämtliche Skrupel beseitigen, ja sie vielmehr dazu anhalten, sich zu rechtfertigen und sich einer Pflicht oder einer guten Tat zu rühmen. Das Böse sitzt tief im Denken und im Herzen des Menschen. Schließlich besteht die Mitschuld eines ganzen internationalen Terroristennetzes, das bei dieser oder jener Macht Unterstützung findet. Es gibt natürlich viele Formen des Terrorismus. Manche machen die gerechte Sache geltend, der es nicht gelingt, sich, wie sie es eigentlich tun sollte, mit friedlichen Mitteln Gehör zu verschaffen, oder sie fordern Rechte von Völkern, die in Vergangenheit und Gegenwart schwer verletzt worden sind, und nehmen als Zielscheibe emblematische Personen oder Institutionen, oft außerhalb ihrer Länder. Andere wollen deutlich Panik erzeugen, um die Grundlagen der Gesellschaft ihres Landes zu zerstören, die sie für ungerecht und dekadent halten und das ohne jede Rücksicht auf vorhandene demokratische Institutionen und ohne jeden konstruktiven Geist. 4. Nach der kurzen Analyse dieser Wurzeln, Ursachen oder auch Scheingründe ist es angezeigt, auf die sittliche Bewertung des terroristischen Verhaltens zu sprechen zu kommen. Was auch immer die Wurzeln des terroristischen Tuns, welche auch immer die Versuche seiner Rechtfertigung sein mögen, wir können nur nochmals und immer wieder wiederholen: Der Terrorismus ist in einer bürgerlichen Gesellschaft niemals gerechtfertigt. Er ist eine widernatürliche Rückkehr zur Barbarei, zum Anarchismus. Er ist immer Ausdruck des 911 Botschaften und Ansprachen Hasses und ideologischer Verwirrung in der Absicht, im nationalen und internationalen Leben Unsicherheit und Angst zu verbreiten (vgl. Ansprache an die Römische Kurie vom 22. Dezember 1981, Nr. 12). Er will sein Ziel - manchmal ein ganz niederträchtiges Ziel - durch Mittel rechtfertigen und verwirklichen, die des Menschen unwürdig sind. Er vergeht sich an Gütern und einem wertvollen Besitz ohne die geringste Rücksicht auf die legitimen Rechte, welche die Personen oder die Gesellschaft auf diese Güter haben. Vor allem - und das kann unter keinem Vorwand gebilligt werden - vergeht er sich in feiger Weise in Form von Raub, Folter oder Mord an der Freiheit und am Leben wehrloser Unschuldiger, die nichts mit der genannten Ursache zu tun haben oder aber einfach Embleme einer Verantwortung oder einer Macht darstellen, die er anficht. 5. Wenn wir an die Schar unschuldiger Menschen - Staatsführer, Politiker, Polizeibeamte, Industrielle, Gewerkschaftsführer oder religiöse Persönlichkeiten - denken, die alle durch ihre Verantwortungen ihren Beitrag für die Gesellschaft geleistet haben und Opfer des Terrorismus wurden, sind wir zumindest tief bestürzt über diese Verbrechen. Wenn wir sehen, wie das Gesellschaftsgefüge, das von redlichen Bürgern und verantwortungsbewußten Staatsführern mit soviel Geduld aufgebaut und mit soviel Eifer bewahrt wurde, ins Chaos gestürzt und zerstört werden kann, dann haben wir wahrhaftig Grund, uns zu beunruhigen. Wenn wir die Tatsache ins Auge fassen, daß dieser Terrorakte sich nicht auf ein einzelnes Land beschränken, sondern das Ergebnis eines heimtückischen Netzes internationaler Intrigen und Zielsetzungen zu sein scheinen, müssen wir mutig und beherzt die Herausforderung annehmen und uns im Namen aller Völker zusammenschließen, um die Kräfte des Hasses und des Bösen zu besiegen und zu verhindern, daß sie die Ordnung der Gerechtigkeit, die geduldigen Mühen der vernünftigen Verhandlung und des schwierigen Strebens nach Demokratie durch ein System willkürlicher Vergeltungen ersetzen, die eher Ähnlichkeit mit dem des Dschungels haben. Gewalt erzeugt nur Gewalt. Letzten Endes wird der Terrorismus sich selbst vernichten, denn in seinem blinden, sinnlosen Haß trägt er die Keime seiner eigenen Zerstörung in sich. Doch müssen wir ein Scheitern und die Bekehrung seiner Anhänger vorantreiben, indem wir alle, jeder in seinem eigenen Verantwortungsbereich, Zusammenarbeiten. 6. Es genügt nämlich nicht, Feststellungen zu treffen und Klagen zu führen. Es gilt, die Herausforderung anzunehmen. Es muß gehandelt werden, wirksam gehandelt. Dem Übel, das unsere Gesellschaft unter- 912 Botschaften und Ansprachen gräbt, muß entsprechend abgeholfen werden, und das auf mehreren Ebenen. Auf internationaler Ebene muß die Solidarität zwischen den Staaten gefördert werden, damit jeder Terrorakt, gleichgültig welche die angeführten Scheingründe sein mögen, einstimmig enthüllt, angeprangert, verurteüt und geahndet wird. Es handelt sich um eine barbarische, unmenschliche Methode, die absolut zu verurteilen ist. Der Staat, der eine solche Methode unterstützt und sich zum Mitschuldigen ihrer Anstifter macht, macht es sich selbst unmöglich, vor der Welt über Gerechtigkeit zu sprechen. Auch auf der Ebene der Gesellschaft muß für Abhilfen gesorgt werden entsprechend einer klaren Analyse der Ursachen des Terrorismus. Natürlich gilt es mehr denn je - durch Gesetze, Verordnungen, geeignete Sicherheitsmaßnahmen, die zum Teü in Ihren Verantwortungsbereich fallen -, das Leben und die Rechte unschuldiger Einzelpersonen sowie die legitimen Rechte der demokratischen Einrichtungen zu schützen und denen zuvorzukommen und sie unschädlich zu machen, die sich an der Mißachtung dieser Rechte beteiligt haben. Aber auch wenn man die subversive Unterwanderung vom Ausland her in Betracht zieht, muß man sich fragen, warum der Terrorismus weiterhin so viele Anhänger unter Männern und Frauen dieser Generation gewinnt. Es muß alles getan werden, um den Rechten, die verletzt werden konnten, Aufmerksamkeit zu schenken, um gerechte Beziehungen zwischen den verschiedenen Partnern der Gesellschaft herzustellen oder wiederherzustellen, um allen Gesellschaftsgruppen einen echten Dienst zu erweisen; das güt insbesondere für jene, die über Autorität verfügen und politische Verantwortung übernehmen oder bewahren wollen. So bringen wir die Terroristen um die Vorwände, mit deren Hilfe sie neue Anhänger gewinnen könnten. Unter Beibehaltung einer gesunden Meinungsfreiheit muß man zugleich ein Klima schaffen, in dem Erzieher, Lehrer und Publizisten aufhören, den Haß zu schüren, die Gewalt als ein Heilmittel hinzustellen, die Rechte der anderen zu mißachten und glauben zu machen, daß allein eine radikale Zerstörung der bestehenden Gesellschaft den Aufbau einer menschüchen Gesellschaft ermöglichen kann. Sind nicht die heutigen Terroristen zum Teü das Ergebnis einer bestimmten Erziehung? Man muß Erzieher heranbüden, die lehren, Tag für Tag mit friedlichen Mitteln und einer echten Verantwortung entsprechend eine gerechtere Gesellschaft aufzubauen. Ja, die beste Antwort auf die politische Gewalt ist schließlich immer und überall eine Gesellschaftsordnung mit gerechten Gesetzen, wo die Regie- 913 Botschaften und Ansprachen rung alles tut, um die berechtigten Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und wo die Bürger miteinander in Sicherheit und Frieden leben und ihre und die Zukunft ihrer Landsleute aufbauen können. 7. Eine solche Gesellschaft erfordert natürlich auf allen Ebenen eine ganz große Aufrichtigkeit, wie ich bereits angedeutet habe, und das vor allem von seiten der führenden Persönlichkeiten: Ohne diese charakterliche Rechtschaffenheit bei den politischen Führern erweckt jede Regierungshandlung sehr bald Mißtrauen, und die soziale Atmosphäre verschlechtert sich. Es muß betont werden: Diese Redlichkeit, diese Loyalität, diese Uneigennützigkeit betreffen nicht nur die Regierungsmitglieder, sondern ebenso die Parlamentarier, die Funktionäre der verschiedenen Institutionen und auch in besonderer Weise die Personen, die auf allen Ebenen im Bereich des Informationswesens beschäftigt sind. Die Bürger haben nämlich ein Recht auf die Ehrlichkeit und Redlichkeit ihrer Verantwortlichen; sie haben ein Recht auf Wahrheit, auf eine Wahrheit, die nicht verfälscht oder manipuliert wurde. Die Lügen, die tendenziösen Verdächtigungen, die falschen Behauptungen entzweien die Gesellschaft und bereiten direkt oder indirekt den Boden für die absolut sinnlosen Aktionen der Terroristen vor. 8. Diese wichtige und beständige Aufgabe eines sauberen und präzisen Funktionierens der Führungsschicht jeder Nation im Dienste des Volkes, trotz Unverständnis, Kritik und ungerechtfertigter Gewalt, schließt hohe Anforderungen von zäher Ausdauer und Gelassenheit ein, die Bewunderung verdienen und angesichts derer selbst jene mutlos werden könnten, die ihre Talente und ihr Leben hochherzig auf diesem Gebiet einsetzen. Wir wissen, das Wort „Mutlosigkeit“ ist des Menschen unwürdig, und erst recht des Christen. In den Tagen nach den Ereignissen des 13. Mai und während meiner langen Genesung habe ich viel über das Geheimnis des Bösen, über seine manchmal so ansteckende Wirkung nachgedacht, aber ebenso auch - und die zahllosen Sympathiebezeugungen, die mir zuteil wurden, haben mir dabei geholfen - über das noch erstaunlichere Geheimnis der Solidarität der Menschen im Guten, beim Aufbau und Wiederaufbau einer Gesellschaft und einer Zivilisation, die sich auf Liebe und Teilhabe gründet. Und immer wieder fiel mir der überraschende Satz des Apostels Paulus ein: „Laß dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!“ (Röm 12, 21). Liebe Freunde, ich möchte, daß ihr von eurem römischen Kongreß und von dieser Begegnung mit neuen Überzeugungen und mit neuer Willenskraft zurückkehrt. Wenn alle, die in den verschiedenen Bereichen des Lebens der einzelnen Nationen oder des internationalen Lebens Verant- 914 Botschaften und Ansprachen wortung tragen, endlich bereit sind, einander die Hand zu reichen, um ein Band der Solidarität zu bilden, das auf die Beseitigung des schrecklichen Terrorismus abzielt und jeder Ursache für sein Wiederaufleben zuvorkommen möchte, dann können wir an die Zukunft der Welt und an die Ausbreitung einer wahrhaft menschlichen Zivilisation glauben. Da ich mich an Christen wende, erflehe ich für euch und mit euch das Licht und die Kraft Gottes, um mutig und gelassen auf jenen Wegen voranzugehen, die man wirklich die des Friedens, der Freiheit, der Verantwortung, der Demokratie und der Gerechtigkeit nennen kann, und segne euch aus ganzem Herzen. (O.R.20.2. 82) Jeder Priester ist Mitpriester Ansprache an eine Gruppe von Bischöfen, Freunde der Fokolar-Bewegung, in Castel Gandolfo am 21. Februar Ehrwürdige Brüder im Bischofsamt! 1. „ Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18, 20). Von dem Wunsch bewegt, die Wahrheit dieses kostbaren Christuswortes tiefer zu erfahren, habt ihr euch aus nah und fern im „Centro Mariapoli“ in Rocca di Papa eingefunden, wo ihr eine Woche des Gemeinschaftslebens, der Reflexion und des Gebets in der Spiritualität des „Opus Mariae“ verbracht habt. Während der Papst intensiv und trostreich die Gemeinschaft mit einigenjungen Kirchen des afrikanischen Kontinents erlebte, indem er mit ihnen das Geheimnis der Einheit feierte, das in dem großen Organismus der Universalkirche pulsiert, habt ihr dieses selbe Geheimnis in der Liebe eines brüderlichen Beisammenseins gefeiert und konntet unter den Augen Mariens einen Gedankenaustausch über eure Wünsche und Nöte, eure Pläne und Vorhaben und eure zuversichtlichen Hoffnungen pflegen. Damit habt ihr euch nicht nur am Erbe einer Spiritualität gestärkt, die euch besonders teuer ist, sondern ihr habt darüber hinaus eine charakteristische Dimension eures Bischofseins verwirklicht. Denn wie jeder Christ seiner Natur nach Mitjünger Christi ist, so ist jeder Priester Mitpriester und jeder Bischof Mitbischof. Ein Band echter Brüderlichkeit verbindet untereinander nicht nur die Bischöfe ein und derselben Provinz oder derselben Nation, sondern die Bischöfe der ganzen katholischen Kirche. 915 Botschaften und Ansprachen Jenseits der geistlichen Nähe, welche die erhaltene Ausbildung, Freundschaft oder die Art der Arbeit vermitteln kann, steht nämlich die sakramentale Gegebenheit der Einghederung in die universale Körperschaft der Bischöfe, die Christus als „Kollegium“ haben wollte (vgl. Lumen gentium, Nr. 22; Christus Dominus, Nr. 4). Der Bischof ist daher aufgerufen, sich geistig - und mitunter auch praktisch - die Sorgen der Bischöfe anderer Ortskirchen und der Gesamtkirche zu eigen zu machen, indem er wie der Apostel „die Sorge für alle Gemeinden“ (2 Kor 11, 28) auf sich nimmt und auf diese Weise zum Fortschritt des Reiches Gottes in der Welt beiträgt (vgl. Lumen gentium, Nr. 23; Christus Dominus, Nr. 3, 6, 7). 2. Diese Verpflichtung, eure rechthch auf eine Diözese beschränkte Mission durch eine solche offene Mitverantwortung zu ergänzen, soll euch natürlich nicht dazu führen, die Herde, die euch anvertraut ist, noch die Aufgabe, zu der ihr direkt berufen seid, zu vernachlässigen. Ein pastorales Wirken, das sich ständig der katholischen Dimension des bischöflichen Dienstamtes bewußt ist, hat mehr Garantie, beim Aufbau dessen, was in der Stunde seines Leidens der größte Wunsch Christ war: „Alle sollen eins sein“ (Joh 17, 21), mit ihm in vollem Einklang zu stehen. „Eins sollen die Prieser untereinander und mit den Gläubigen sein; „eins“ sollen die Verbände und Bewegungen in der Pfarrei und in der Diözese sein, „eins“ sollen die verschiedenen über die Welt verstreuten Ortskirchen sein. Die Sehnsucht nach der Einheit wird euch dazu führen, euch mit neuem Eifer des ökumenischen Problems anzunehmen, weil sie euch anspornt, jede nützliche Initiative zu ergreifen, um den Zeitpunkt zu beschleunigen, zu dem es nach dem Wort Christi „nur eine Herde und einen Hirten“ geben wird {Joh 10, 16). Auf der anderen Seite wird euch die Tatsache, daß ihr euch die Last, die auf den Schultern der anderen Bischöfe liegt, neu zum Bewußtsein gebracht habt, helfen, eure eigene Bürde mit größerer Gelassenheit zu tragen. Ferner wird auch eine unmittelbare Erfahrung der Spiritualität als Jünger und Hirten, die viele eurer Brüder im Bischofsamt beseelt, euch anspomen, eure persönliche Antwort an den, der euch „Freunde“ genannt hat, als er euch in das Wissen der ihm vom Vater anvertrauten Geheimnisse einführte (vgl. Joh 15, 15), mit immer größerer Hochherzigkeit zu erweitern und zu vertiefen. 3. Wenn Bischöfe über ihre gegenseitige Einheit im Rahmen der universalen kirchlichen Gemeinschaft nachdenken, wie ihr es getan habt, ist es nur folgerichtig, daß sie dahin kommen, auf das Petrusamt Bezug zu nehmen. Ich bin euch dankbar, Brüder, für die herzliche Bereitschaft, mit der ihr nicht nur im Studium die Forderungen eurer Einheit mit dem Nachfolger 916 Botschaften und Ansprachen Petri vertieft habt, sondern euch auch bemüht, diese Forderungen anzuerkennen und konkret im Leben zu verwirklichen. Der Bischof von Rom ist euer erster Mitbischof. Er zählt auf euch und ist jedem von euch nahe. In solcher Einheit will uns der Heilige Geist haben, während wir auf seine Gaben der Erleuchtung und der Weisheit warten, umgeben — wie einst die Zwölf inmitten der Einhundertzwanzig - von unseren Brüdern. Und wie damals haben wir in unserer Mitte Maria, die Mutter Christi und Mutter der Kirche, der auch das Petrusamt anvertraut ist. Königin der Apostel, Mutter der Einheit, bitte für uns! (O.R. 22.US. 2.82) Der Mensch - aufgerufen zur Buße Predigt beim Aschermittwochsgottesdienst in Santa Sabina am 24. Februar <27> <27> Die Liturgie des Aschermittwochs. Vielleicht spricht das Wort Gottes niemals sonst so direkt zu uns. Nie wendet es sich so, ohne Ausnahme, an jeden einzelnen: Gedenke, o Mensch, daß du Staub bist, und zum Staub zurückkehrst. Und auch jeder einzelne bezieht diese Worte auf sich. So klar und einleuchtend sind sie! Ihre Wahrheit wird von der Geschichte der Menschheit mit großer Exaktheit bestätigt. Und von der Erfahrung jedes Menschen. Diese Worte sprechen vom Tod, mit dem das irdische Leben jedes einzelnen Menschen endet. Gleichzeitig verweisen sie jeden von uns auf den „Anfang“. Sie sind zum ersten Adam gesprochen worden als ein Ergebnis der Sünde: „Doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn wenn du davon ißt, wirst du sterben“ (Gen 2,17). Der Tod als Frucht des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse. Ergebnis der Sünde. Diese Worte spricht Gott-Jahwe. Der Schöpfergott. Er, der die Welt und den Menschen aus dem Nichts ins Dasein gerufen hat - und immer noch ruft. Und er schuf den Menschen „aus Erde vom Ackerboden“ (Gen 2, 7): er formte ihn aus demselben Stoff, aus dem die ganze sichtbare Welt gestaltet ist. 917 Botschaften und Ansprachen 2. Wenn Gott spricht (und die Liturgie des Aschermittwochs wiederholt): „Staub bist du, zum Staub mußt du zurück“ (Gen 3, 19), dann klingen diese Worte wie ein strenges Urteil. Und Gott, der sie spricht, offenbart sich in ihnen als Schöpfer und als Richter. Doch sind diese Worte zugleich von Schmerz erfüllt. In ihnen kommt eine Vorankündigung des Karfreitags zum Ausdruck. Es drückt sich in ihnen der Schmerz des Gottessohnes aus, der sagt: „Abba, Vater, . . . nimm diesen Kelch von mir!“ (Mk 14, 36). Ja, diese strengen Worte verbergen in sich den Schmerz Gottes. Denn er sprach sie zu dem von ihm als sein Bild und Gleichnis geschaffenen Menschen; das Bild und Gleichnis Gottes . . . soll wieder zu Staub werden? Wir verstehen diese Worte der heutigen Liturgie nicht, wenn wir in ihnen nicht einen großen Schmerz Gottes, wenn wir in ihnen nicht den Schmerz der Liebe wahrnehmen! „Da erwachte im Herrn die Leidenschaft für sein Land, und er hatte Erbarmen mit seinem Volk“, betet der Prophet Joel (2, 18). 3. „Die eifersüchtige Liebe.“ Die menschliche Liebe ist eifersüchtig wegen der Enge des menschlichen Herzens und wegen der Kleinlichkeit des Menschen. Aber die Liebe kann auch „eifersüchtig“ sein wegen der Größe des Schöpfers und Vaters: eifersüchtig, weil er die Welt so sehr geliebt hat. . . und in dieser Welt den Menschen so sehr geliebt hat, daß er ihn als sein Bild und Gleichnis formte. Es ist die Liebe, die eifersüchtig ist,weil das Bild und Gleichnis Gottes von der Sünde im Menschen verlorenging und ausgelöscht wurde. Die eifersüchtige Liebe bedeutet in diesem Fall, zu allem bereit zu sein, um das zerstörte Gut zurückzugewinnen und wiederherzustellen, die getrübte Schönheit des Bildes und Gleichnisses Gottes. So sehr hat Gott geliebt! 4. Aschermittwoch - Beginn der österlichen Bußzeit. Der Mensch ist aufgerufen, teilzunehmen an Gottes Schmerz bis zum Tod des ewigen Sohnes am Karfreitag. Der Mensch wird aufgerufen, Antwort zu geben auf die Liebe Gottes: auf die Liebe, die eifersüchtig ist wegen des verlorenen Gutes, wegen des entstellten Werkes Gottes. Der Mensch wird aufgerufen zur Versöhnung mit Gott im Tod Christi. Der Mensch ist aufgerufen zur Buße. Und er kommt, neigt das Haupt, empfängt die Asche auf seiner Stirn und hört die Worte, in welchen sich der Schmerz Gottes und seine „eifersüchtige Liebe“ verbergen. 918 Botschaften und Ansprachen „Gedenke, daß du Staub bist und zum Staub zurückkehrst“, und zugleich vernimmt er die Worte: „Tue Buße und glaube an das Evangelium!“ 5. Der Aufruf zur Buße ist also zugleich Einladung zum Glauben, der von der Beklemmung des Bösen befreit. Glaube an das Evangelium! Glaube an die Frohbotschaft! Der Schmerz des Schöpfergottes, Karfreitag des Erlösers: Leiden, das durch die Liebe das Gute Wiedererstehen läßt, das Leben Wiedererstehen läßt. Die eifersüchtige Liebe bis zur endgültigen Erfüllung des ewigen Heilsplanes. Nimm diese Liebe an! Ja, neige dein Haupt, tue Buße: empfange die Asche auf deiner Stirn. Vor allem aber glaube an das Evangelium! Nimm diese Liebe an, die mächtiger ist als die Sünde — und der Tod! Die österliche Bußzeit beginnt! (O.R. 26. 2. 82) Botschaft zur Fastenzeit 1982 vom 25. Februar Liebe Brüder und Schwestern! „Wer ist mein Nächster?“ Ihr erinnert euch: Auf diese Frage eines Gesetzeslehrers antwortete Jesus mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter, nachdem jener ihm zuvor freimütig gesagt hatte, was er im Gesetz las: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst“ (Lk 10, 27-29). Der barmherzige Samariter, das ist vor allem Christus selbst. Er ist als erster uns nahegekommen und hat uns zu seinem Nächsten gemacht, um uns zu helfen, uns zu heilen und zu retten: „Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ {Phil 2, 7.8). Wenn es noch Distanz gibt zwischen Gott und uns, kann das nur an uns selbst liegen, an den Hindernissen, die wir Gottes Annäherung entgegensetzen: Die Sünde in unserem Herzen, die Ungerechtigkeiten, die wir begehen, der Haß und die Zwietracht, die wir nähren, das alles bewirkt, 919 Botschaften und Ansprachen daß wir Gott noch nicht mit ganzer Seele, mit all unserer Kraft heben. Die Fastenzeit ist die beste Zeit zur Reinigung und Buße, um unserem Heiland Jesus Christus die Möglichkeit zu geben, uns zu seinem Nächsten zu machen und durch seine Liebe zu heilen. Das zweite Hauptgebot ist ebenso wichtig wie das erste (vgl. Mt 22, 39) und mit diesem unlösbar verbunden. Wir lieben die Mitmenschen mit der Liebe, die Gott uns ins Herz gibt und mit der er selbst sie hebt. Wie viele Hindernisse gibt es auch hier, um den anderen zu unserem Nächsten zu machen: Wir lieben Gott und die Brüder nicht genug. Warum haben wir noch so viele Schwierigkeiten, das wichtige, aber unzureichende Stadium der Reflexion, der Erklärungen und Proteste zu überschreiten, um uns wirklich zu einem Einwanderer mit den Einwanderern, zu einem Flüchtling mit den Flüchtlingen, zu einem Armen mit denen, welchen alles fehlt, zu machen? Die liturgische Fastenzeit ist uns in der Kirche und durch die Kirche dazu gegeben, uns zu befreien vom Rest an Egoismus, an übertriebener Bindung an materielle oder andere Güter, die uns von denen fernhalten, die uns gegenüber Rechte haben: vor allem diejenigen - mögen sie in unserer Nähe oder fern von uns leben -, die nicht die Möglichkeit haben, in Würde ein Leben als Männer und Frauen, die nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen sind, zu führen. Laßt euch deshalb vom Geist der Buße und der Umkehr durchdringen, dem Geist der Liebe und des Teilens. Macht euch in der Nachfolge Christi zum Nächsten für die Nackten und Verwundeten, für die, welche die Welt nicht kennt oder abweist. Nehmt an allem teü, was man in eurer Ortskirche unternimmt, damit die Christen und alle Menschen guten Willens jedem ihrer Brüder die Mittel, auch im materiellen Bereich, verschaffen, um würdig leben und ihre menschliche und geistige Entwicklung, auch für ihre Familien, in eigene Hände nehmen zu können. Mögen die Kollekten zur Fastenzeit, auch in den ärmeren Ländern, es euch ermöglichen, den Ortskirchen der noch schlechter gestellten Länder zu helfen, ihren Auftrag als barmherzige Samariter an allen zu erfüllen, für die sie unmittelbar verantwortlich sind: die Armen bei ihnen, alle, denen es an Nahrung fehlt, die Opfer von Ungerechtigkeit, alle, die ihre eigene Entfaltung und diejenige ihrer Gemeinschaften noch nicht in eigener Verantwortung durchführen können. Buße und Umkehr: Das ist der keineswegs bedrückende, sondern befreiende Weg unserer Fastenzeit. Und wenn ihr euch immer noch die Frage stellt: „Wer ist mein Nächster?“, so lest die Antwort auf dem Antlitz des auferstandenen Herrn und 920 Botschaften und Ansprachen hört sie von seinen Lippen: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ {Mt 25,40). „ Vielmehr habe ich euch Freunde genannt“ Predigt bei der Messe mit Regenten deutschsprachiger Priesterseminare in der Mathüdenkapelle am 25. Februar Liebe Mitbrüder! In priesterlicher Verbundenheit begrüße ich euch zu dieser gemeinsamen Eucharistiefeier. Ihr tragt in euren Diözesen Sorge für die Berufung von Arbeitern in den Weinberg des Herrn. Damit teilt ihr ein großes Anliegen des Papstes, der täglich den Herrn der Ernte darum bittet, viele und gute Arbeiter in seine Ernte zu senden. Meine Pastoraireisen zeigen mir immer wieder: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter“ (Lk 10, 2). Mit besonderer Freude habe ich von eurem Wunsch erfahren, während eurer diesjährigen Regententagung in der Ewigen Stadt einige Organe und Mitarbeiter der Römischen Kurie persönlich kennenzulemen. Mögen die zahlreichen freundschaftlichen Begegnungen dieser Tage und diese brüderliche Gemeinschaft in Gebet und Opfer mit dem Bischof von Rom eure mitverantwortliche Verbundenheit mit dem lebendigen Mittelpunkt der Kirche und ihrem obersten Lehr- und Hirtenamt vertiefen und auch für eure Ortskirchen fruchtbar werden lassen. Das von uns in Konzelebra-tion dargebrachte eucharistische Opfer werde für uns alle und für unseren gemeinsamen Dienst in der Kirche Christi zur Quelle reichen Segens. Bei diesem Wunsch sehe ich in euch alle diejenigen hier vertreten, deren Weg zum Priestertum eurer Führung und Sorge anvertraut ist. Übermittelt ihnen meine persönlichen Grüße und meinen besonderen Segen. Ich setze in sie große Hoffnung für die Kirche von morgen; ich ermutige sie und begleite sie mit meinem ständigen Gebet auf ihrem Weg zum Weihealtar. Wir wollen auch hier ihrer gemeinsam im Gebet gedenken, auf daß sie in der Glaubensgemeinschaft des Seminars den Ruf des Herrn immer klarer erkennen und ihrem endgültigen Jawort in die Hände ihres Bischofs und ihrem priesterlichen Dienst entgegenreifen. Mein Gebet in dieser Stunde güt aber auch euch selber, liebe Brüder. Der Herr, dem die Einführung seiner Jünger in den Glauben und in ihr künftiges Apostolat Tag und Nacht am Herzen lag, lasse euch spüren, daß 921 Botschaften und Ansprachen gerade denen, die ihm hierin folgen, seine Worte gelten: „Nicht mehr Knechte nenne ich euch . . . Vielmehr habe ich euch Freunde genannt“ (Joh 15, 15). Möge die persönliche Vertrautheit mit dem Herrn euren so wichtigen und schwierigen Dienst in den Priesterseminaren stets beseelen und ihm reiche Früchte erwirken. Maria, die Königin der Apostel, die Mutter der Priester, erbitte euch und euren ehemaligen, jetzigen und künftigen Seminaristen immer wieder neu den lebenspendenden Heiligen Geist! Dazu erteile ich euch allen von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. „Der Arztberuf - eine Sendung“ Ansprache an die Teilnehmer der 2. internationalen Studientagung für Krebsforschung am 25. Februar Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich freue mich sehr, Sie alle herzlich begrüßen zu können, die Sie in diesen Tagen an der 2. internationalen Studientagung über das Thema „Röntgendiagnostik und Therapie in der Krebsforschung“ teilnehmen, die von der medizinisch-chirurgischen Fakultät der Katholischen Herz-Jesu-Universität hier in Rom veranstaltet wird. Beim Durchlesen Ihres Programms fiel mir auf, daß die berühmten Referenten nicht nur aus Italien, sondern auch aus Jugoslawien, Deutschland, Frankreich, England, Kanada, den Vereinigten Staaten und aus Japan kommen. Es handelt sich um eine wirklich repräsentative und vor allem qualifizierte Vertretung auf dem Gebiet, auf welchem Ihre fachliche Kompetenz weithin anerkannt wird. Ich begrüße Sie alle also nochmals, vor allem den Leiter der Tagung, Prof. Attilio Romanini, und verleihe damit auch meiner aufrichtigen Freude über die Begegnung mit Ihnen Ausdruck; ja, ich danke Ihnen für die Gelegenheit, ein Wort an Sie richten zu können zu dem wichtigen, von Ihnen behandelten Thema auf dem Gebiet, wo Sie meine Lehrmeister sind. Ich möchte Ihnen ausschließlich meine Gedanken über das menschliche Problem kundtun, das uns der an einem Tumor Erkrankte stellt, und Sie meiner Ermutigung zu Ihrer wertvollen Tätigkeit versichern. 2. Über die im engsten Sinne technischen Aspekte der Krebsbehandlung hinaus stellt sich nicht nur den Verwandten, sondern vor allem dem Arzt stets das Problem, ein besseres Verhältnis zum Kranken zu finden. Denn 922 Botschaften und Ansprachen die Krebserkrankung bleibt großenteils für alle, auch für Sie, die Sie doch Spezialisten auf diesem Gebiet sind, noch immer ein Rätsel, sowohl was ihren Ursprung als auch was ihre Behandlung betrifft. Sie wissen sehr wohl, daß es leicht zu einem seelischen Zusammenbruch des Kranken kommen kann, insbesondere aufgrund der schrecklichen bzw. ungewissen Aussichten, welche diese Krankheit für ihn bereithält. Kostspielige oder sogar schädigende Behandlungen, Isolierung und Diskriminierung seitens der Gesunden, ängstliche Sorge bezüglich des Ausgangs der Krankheit, das alles macht, zusätzlich zum physischen Schmerz, die Krankheit zu einem entsetzlichen Leiden. Aber zugleich, von einem anderen Standpunkt aus betrachtet, sind dies auch Beweggründe dafür, daß man den Kranken nicht allein läßt, sondern sich sein Schicksal zu Herzen nimmt, ihm Zuversicht einflößt und ihn voll brüderlicher Anteilnahme auf dem Weg seines körperlichen und seelischen Schmerzes begleitet. Das alles wird nicht nur von den Angehörigen verlangt, die die Leiden aus nächster Nähe teilen, sondern auch und besonders von Ihnen, den behandelnden Ärzten sowie von den Krankenpflegern und dem ganzen Team von Therapeuten. 3. Da es zur Tradition der Kirche gehört, alles wahrhaft Menschliche als christlich zu betrachten, fühle ich mich verpflichtet, Sie nachdrücklich aufzufordern, die von Ihnen ausgeübte ärztliche Kunst immer menschlicher zu gestalten und ein Band echter menschlicher Solidarität zu Ihren Patienten herzustellen, das über eine rein berufliche Beziehung hinausgeht. Insgeheim erwartet der Kranke auch das von Ihnen. Im übrigen steht er vor Ihnen in der ganzen Würde seiner menschlichen Person, die, auch wenn sie hilfsbedürftig, vom Schmerz gezeichnet und vielleicht sogar behindert ist, deshalb nicht als passiver Gegenstand betrachtet werden darf, auch nicht als Objekt mehr oder weniger experimenteller Behandlungen. Im Gegenteil, die Person ist immer Subjekt und muß als solches behandelt werden. Hierin besteht die ursprüngliche Würde des Menschen. Eben im Verhältnis zum leidenden Menschen - um so mehr, wenn er an einem Tumor leidet - finden wir uns einem Prüfstein gegenüber, der das Vorhandensein und die Echtheit unserer Überzeugungen auf diesem Gebiet auf die Probe stellt. Eine Person verlangt aufgrund ihrer Natur, ihres Wesens nach einer persönlichen Beziehung. Auch der Kranke ist niemals nur ein klinischer Fall, sondern immer ein „kranker Mensch“; er erwartet eine fachgerechte und wirksame Behandlung, aber auch die Fähigkeit und die Kunst, Vertrauen einzuflößen, um mit ihm über seine Situation zu sprechen und vor allem eine ehrliche Haltung der„Sympa-thie“ - des Mit-leidens im ethymologischen Sinn des Wortes -, damit die 923 Botschaften und Ansprachen Worte des Apostels Paulus, die wiederum an die Worte eines antiken Weisen erinnern, praktische Anwendung finden: „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!“ {Röm 12, 15; Sir 7, 34). 4. In diesem Sinne kommt - wie man leicht einsieht - der Arztberuf einer Sendung näher als einem bloßen Beruf. Denn da ist seine ganze Menschlichkeit mit einbezogen, und von ihm wird völlige Hingabe verlangt. Nun, liebe Brüder und Schwestern, ich fühle mich verpflichtet, Sie aus ganzem Herzen in Ihrer verdienstvollen Arbeit zu ermutigen, sowohl was die wissenschaftliche Forschung als auch was die Therapie betrifft. Viele haben Ihnen zweifellos sehr viel zu verdanken. Und wenn Sie erlauben, mache ich mich zum Sprecher all derer, die vielleicht keine Möglichkeit haben, es Ihnen zu sagen: Ich spreche Ihnen den Dank aller Krebskranken - aber nicht nur ihrerseits - für das aus, was Sie zu deren Wohl und zum Wohl des Menschen überhaupt in diesem so dringlichen und dramatischen Bereich leisten. Setzen Sie daher Ihrem Fachgebiet entsprechend Ihr lobenswertes Bemühen mit Ausdauer und Begeisterung fort! Was die Fachausbildung betrifft, so wünsche ich Ihnen, daß sie möglichst fruchtbar sein möge, wie es der Emst Ihrer Arbeiten und die Sache des Menschen verdienen, der auch mit seinem Leib immer darauf wartet, „einzutreten in die Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ {Röm 8, 21). Meinerseits versichere ich Sie eines besonderen Gedenkens im Gebet, auf daß der Herr, der nach der Definition der Bibel „Freund des Lebens“ ist {Weish 11, 26), Ihre Tätigkeit segne und Ihre Bemühungen unterstütze. Unterpfand dieser Wünsche ist der Apostolische Segen, den ich Ihnen mit Freude auch als Zeichen meiner hohen Anerkennung erteile und in den ich alle Ihre Lieben einschließen möchte. (O.R. 26. 2. 82) Einklang mit den Hoffnungen der Kirche und der Welt Ansprache an die Assistenten der Generalkurie und die Provinziäle aller Provinzen der Gesellschaft Jesu am 27. Februar <28> <28> Ich freue mich sehr, euch, in Christus geliebte Brüder, heute bei dieser außerordentlichen Begegnung zu empfangen! Herzlich begrüße ich meinen Delegaten für die Gesellschaft Jesu, Pater Paolo Dezza, und seinen 924 Botschaften und Ansprachen Koadjutor, Pater Giuseppe Pittau, und insbesondere den verehrten Gene-ralobern, Pater Pedro Arrupe, und alle Assistenten und Berater der Generalkurie und die 86 Provinziale: Ihr vertretet hier vor mir die 26 000 Jesuiten, die, in alle Teile der Welt verstreut, bemüht sind, „dem einen Herrn und der Kirche, seiner Braut, unter dem römischen Papst, dem Stellvertreter Christi auf Erden, zu dienen“. Mit dieser Freude über eure Anwesenheit verbindet sich die Verpflichtung zur Anerkennung und Dankbarkeit, die ich - meinen Vorgängern folgend - der ganzen Gesellschaft Jesu und ihren einzelnen Mitgliedern aussprechen möchte für den historischen Beitrag des Apostolats, des Dienstes, der Treue zu Christus, zur Kirche und zum Papst, den sie seit Jahrhunderten mit unermüdlicher Großmut und vorbildlicher Hingabe auf allen Gebieten des Apostolats, in den pastoralen Diensten und in den Missionen geleistet haben. Euch, würdigen Erben jener Ordensmänner, die seit viereinhalb Jahrhunderten die „größere Ehre Gottes“ zu ihrem Wahlsprach und ihrem Ideal gemacht haben, spreche ich diese Anerkennung heute im Namen der ganzen Kirche aus. Diese Dankbarkeit und Anerkennung erlangen eine besondere Bedeutung unter den gegenwärtigen Gegebenheiten, die für die Leitung eures wohlverdienten Ordens objektiv schwierig sind. Bekanntlich habe ich es infolge der Erkrankung, von welcher der liebe Padre Arrupe betroffen wurde, für angebracht gehalten, einen persönlichen Delegaten und einen Koadjutor für die Leitung des Ordens und für die Vorbereitung der Generalkongregation zu ernennen. Die zweifellos einmalige und außergewöhnliche Situation ließ ein Eingreifen, eine „Prüfung“ angeraten sein, die - und das sage ich mit starker Ergriffenheit - von den Mitgliedern des Ordens in echt ignatianischem Geist angenommen wurde. Vorbildlich und ergreifend war in dieser schwierigen Situation vor allem die Haltung des hochwürdigsten Generalobem, der mit seiner vollkommenen Verfügbarkeit gegenüber den Weisungen von oben, mit seinem großmütigen Fiat zu dem anspruchsvollen Willen Gottes, welcher sich in der plötzlichen und unerwarteten Krankheit und in den Entscheidungen des Hl. Stuhls kundtat, mich und euch erbaut hat. Diese vom Evangelium inspirierte Haltung war abermals ein Beweis jenes vollkommenen und kindlichen Gehorsams, den jeder Jesuit gegenüber dem Stellvertreter Christi beweisen soll. Pater Arrupe, der hier anwesend ist im beredten Schweigen seiner Krankheit, die er Gott zum Wohl der Gesellschaft aufgeopfert hat, möchte ich bei diesem für das Leben und die Geschichte eures Ordens besonders feierlichen Anlaß den Dank des Papstes und der Kirche aussprechen! 925 Botschaften und Ansprachen Öffentliche Anerkennung schulde ich auch meinem persönlichen Delegaten, Pater Paolo Dezza, der im Geist vollkommenen ignatianischen Gehorsams eine ungemein schwierige, schwere und heikle Last und Aufgabe auf sich genommen hat. Aber seine tiefe Spiritualität, seine umfassende Bildung und seine bewährte religiöse Erfahrung sind und bleiben für die Gesellschaft eine Gewähr für Treue in der Beständigkeit. Ähnliches bringe ich seinem Koadjutor, Pater Giuseppe Pittau, gegenüber zum Ausdruck, der so viele Jahre lang in Japan gearbeitet hat, in jener edlen Nation, wo Pater Arrupe, besonders nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg mit vollen Händen die kostbaren Schätze seiner apostolischen Unerschrockenheit und priesterlichen Großmut ausgeteilt hat. 2. Lebhafte Befriedigung muß ich für die Haltung des Gehorsams und der vertrauensvollen Verfügbarkeit bekunden, die die Assistenten und die Berater der Generalkurie sowie die Jesuiten der ganzen Welt in dieser Zeit in ähnlicher Weise konkret unter Beweis gestellt haben. Die öffentliche Meinung, die von den Jesuiten vielleicht eine nur von menschlicher Denkweise bestimmte Haltung erwartete, hat zu ihrer Verwunderung eine Antwort erhalten, die vom Geist des Evangeliums, von einem tief „religiösen“ Geist, vom Geist der guten, echt ignatianischen Traditionen eingegeben war. Diese Haltung des Gehorsams und der Verfügbarkeit war die bewußt vollzogene Antwort der Gesellschaft Jesu auf die Geste der Liebe des Hl. Stuhls und des Stellvertreters Christi ihr gegenüber. Ja, geliebte Brüder! Die vom Hl. Stuhl getroffene Entscheidung hat ihre tiefste Motivierung und ihren eigentlichen Ursprung in der besonderen Liebe, die der Hl. Stuhl für euren großen Orden gehegt hat und hegt, der sich in der Vergangenheit so wohlverdient gemacht hat und der in der gegenwärtigen und zukünftigen Geschichte der Kirche eine führende Rolle spielt! Meinerseits ist diese Liebe sodann von einer besonderen Beziehung der Gesellschaft Jesu zu meiner Person und zu meinem universalen Dienstamt bestimmt, sie entspringt aber auch meiner Erfahrung als Priester und Bischof in der Erzdiözese Krakau sowie der Hoffnung und den Erwartungen bezüglich der Verwirklichung der nachkonziliaren und aktuellen Aufgaben der Kirche. In dieser Atmosphäre des ruhigen Annehmens des Wülens Gottes denkt ihr in diesen Tagen in Betrachtung und Gebet darüber nach, wie ihr in einer Zeit der Polarisierungen und Gegensätze, die die moderne menschliche Gesellschaft kennzeichnen, am besten den Erwartungen des Papstes und des Gottesvolkes entsprechen könnt. Thema eurer von der ignatiani- 926 Botschaften und Ansprachen sehen „Unterscheidung der Geister“ inspirierten Überlegungen sind die grundlegenden Probleme der Identität und der kirchlichen Aufgabe und Funktion der Gesellschaft Jesu: das „sentire cum Ecclesia“; das Apostolat; das Ordensleben des Jesuiten; die Ausbildung; das, was die Kirche von der Gesellschaft Jesu erwartet. 3. Wenn ich bei dieser unserer Begegnung auf eure qualifizierte Gruppe von Söhnen des hl. Ignatius blicke, bietet sich meiner Betrachtung das Bild eures Ordens und seiner ruhmreichen Geschichte dar. Allen, die die Geschichte der Kirche kennen, ist bekannt, wie und in welchem Maße die zur Zeit des Konzils von Trient entstandene Gesellschaft Jesu in wirksamer Weise zur Durchführung der Richtlinien jenes Konzils und zur Vermittlung seiner Lebenskraft an die Kirche selbst beigetragen hat. Es ist daher angebracht, über die Vergangenheit eures Ordens nachzudenken, um die wesentlichen Merkmale dieses Prozesses und die wertvollsten positiven Aspekte des Beitrages der Gesellschaft dazu zu erfassen: Sie sind gleichsam Leuchtsignale, wegweisende Leuchtfeuer für das, was die Gesellschaft Jesu von heute, angespomt von der charakteristischen Dynamik des Charismas ihres Gründers, aber eben immer in authentischer Treue zu ihm, tun kann und tun muß, um das zu fördern, was der Geist Gottes mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in der Kirche wachgerufen hat. Wenn wir die viereinhalb Jahrhunderte ihrer Geschichte durchgehen, werden einige Elemente von bleibendem Wert sichtbar: Es sind diejenigen Werte, welche das Leben und die Sendung jener Gemeinschaft kennzeichnen, die die Gesellschaft Jesu nach dem Willen des Ignatius darstellt. Die erste Sorge des Ignatius und seiner Gefährten galt der Förderung einer echten Erneuerung des christlichen Lebens. Die Lage der Welt und der Kirche war so, daß nur das Werk von Gottesmännem Wirkung erzielen und religiöse Lebendigkeit hervorrufen konnte. Nach dem Beispiel Jesu, der „durch alle Städte und Dörfer zog, in den Synagogen lehrte und das Evangelium vom Reich verkündete“ (Mt 9, 35), zogen die ersten Gefährten - ausgesandt im Gehorsam - pilgernd in die verschiedenen Städte, verbreiteten die Frohbotschaft und regten zu heiligem Leben an. Damit nahmen jene Volksmissionen ihren Anfang, die dazu bestimmt waren, dem christlichen Volk zu dienen, es im Glauben zu unterweisen und es zu einer entsprechenden Lebenshaltung zu führen; diese Volksmissionen sollten in der Folge eine blühende Entwicklung erleben und einen großen wohltuenden Einfluß ausüben. 927 Botschaften und Ansprachen Als besonders wirksames Mittel für eine tiefere Erneuerung im christlichen Leben erwiesen sich die Geistlichen Übungen des hl. Ignatius, die in der Geschichte der Spiritualität eine unauslöschliche Spur hinterlassen haben. In den Exerzitien formten sich die ersten Gefährten und ihre Nachfolger, und mit den Exerzitien wurden sie zu den geistüchen Führern unzähliger Gäubiger, denen sie behilflich waren, ihre Berufung nach Gottes Plan zu entdecken und echte, engagierte Christen zu werden, in welchem Lebens- und Berufsstand sie auch immer leben mochten. 4. Neben der geistlichen Führung galt die eifrige Sorge der Gesellschaft Jesu der Verbreitung der wahren katholischen Lehre - bei Gebildeten und Ungebildeten, von den Kindern bis zu den Greisen. Die beiden heiligen Kirchenlehrer aus der Gesellschaft Jesu, der hl. Petrus Canisius und der hl. Robert Bellarmin, verfaßten zwei berühmte Katechismen für Kinder und waren zugleich hochangesehene Theologieprofessoren: Canisius beteiligte sich an den theologischen Debatten des Konzils von Trient, Bellarmin verteidigte den Glauben auf den Lehrstühlen in Löwen und Rom. In ähnlicher Absicht bemühten sich der hl. Ignatius und nach ihm die Gesellschaft um die Erziehung der Jugend: Sie gründeten immer mehr Kollegien, in welchen sie versuchten, mit einem neuen Erziehungssystem - der berühmten Ratio studiorum - eine ganzheitliche Erziehung der menschlichen Person zu vermitteln, um Menschen zu formen, die nicht nur hervorragend in den Studien und in jedem Beruf, sondern zugleich auch ausgezeichnete Christen sein sollten. Das alles geschah zu einer Zeit, in der sich die Welt und insbesondere Europa auf literarischem und wissenschaftlichem Gebiet im Umbruch, ja an einem entscheidenden Wendepunkt befanden. In diesen Prozeß nun schalteten sich Jesuiten als Gelehrte und Wissenschaftler energisch ein, indem sie „ad maiorem Dei gloriam“, „zur größeren Ehre Gottes“, eine bahnbrechende Tätigkeit entfalteten, indem sie jene christliche Entwicklung des Menschen förderten, die, wenn sie zur Verwirklichung gelangt, Gott zur Ehre gereicht. 5. Ferner faßte der hl. Ignatius einen für die Kirche lebenswichtigen Bereich ins Auge: Seine Sorge und nach ihm die der Gesellschaft galt den Seminaren und höheren Studienzentren für die Ausbildung des Klerus. Dem hl. Ignatius ist die Gründung des so verdienstvollen Collegio Romano zu verdanken, aus dem dann die Päpstliche Universität Grego-riana hervorgegangen ist, und ebenso die Gründung des Collegium Ger-manicum, auf das, oft unter Mitarbeit zahlreicher Jesuiten, die anderen nationalen Kollegien in Rom folgten; in ihnen sollten für die Kirche 928 Botschaften und Ansprachen Priester vorbereitet werden, die mit gesunder Lehre und solider Tugend ausgestattet waren. Sie wurden zu eifrigen Aposteln in ihren Heimatländern und nicht selten sogar zu Glaubensmärtyrern. Im Zusammenhang mit diesen Studienzentren hat die Gesellschaft Jesu einen äußerst wirksamen Beitrag in dem für die Kirche besonders wichtigen Bereich der theologischen Wissenschaften geleistet: Groß ist die Schar von Jesuitengelehrten der Theologie, der Bibelexegese, der Patristik, der Kirchengeschichte, der Moraltheologie und des Kirchenrechts und vieler anderer mit den theologischen Studien verbundener Wissenschaftsdisziplinen. Doch der Blick des hl. Ignatius richtete sich auf noch weitere Horizonte; er reichte, so weit die Welt war, die durch die gerade erst erfolgten geographischen Entdeckungen größere Dimensionen erlangt hatte. Es ist die Sehnsucht Christi, die im Herzen des Heiligen und im Herzen aller derer schwang, die seinen Geist teilten und sich ganz „unserem Herrn, dem ewigen König“, darboten, dessen „Wille es ist, die ganze Welt zu unterwerfen“ (Geistliche Übungen, Nr. 95). Die Gruppe der ersten Gefährten des Ignatius war klein. Dennoch sandte der Heüige den hl. Franz Xaver in den Femen Osten; dieser wurde so der erste jenes ununterbrochenen Zuges von Jesuitenmissionaren, die nach Ost und West entsandt wurden, um das Evangelium zu verkündigen, und die, glühend von apostolischem Eifer, bereit waren, als Zeugnis ihres Glaubens das Leben hinzugeben, wie die zahlreichen Märtyrer der Gesellschaft beweisen. Während der Hauptzweck ihrer Mission darin bestand, den Glauben und die Gnade Christi zu vermitteln, bemühten sie sich gleichzeitig dämm, das menschliche und kulturelle Niveau der Bevölkerung, in deren Mitte sie arbeiteten, zu heben, ein gerechteres und den Plänen Gottes entsprechenderes soziales Leben zu fördern, woran noch immer die berühmten Reduktionen von Paraguay erinnern. Die Großmut und der Schwung dieser Missionare zogen junge Menschen an. Die Briefe des hl. Franz Xaver trafen die Universitätsstudenten von Paris ins Herz. Ähnliches bewirkten das Leben und die Schriften vieler anderer bekannter Apostel des Reiches Christi, zu denen eine Schar unbekannter heiligmäßiger Ordensmänner kommt, die in den abgelegenen Missionsländem ihr Leben demütig und im verborgenen geopfert haben. Von den vielen Jesuitenmissionaren möchte ich nur einen nennen, weil sein Gedenken heute besonders aktuell ist: Pater Matteo Ricci, dessen Eintreffen in China vor 400 Jahren wir demnächst feiern werden, in jenem riesigen Land, das der Traum des hl. Franz Xaver gewesen war, der 929 Botschaften und Ansprachen 30 Jahre zuvor auf der Insel Sanzian unmittelbar vor den Toren jenes China gestorben ist, das ein bevorzugtes Einsatzfeld des Apostolats der Gesellschaft Jesu gewesen ist und es wieder werden soll. So ist also die Gesellschaft Jesu im Laufe ihrer Geschichte überall dort auf der Welt, wo für Christus und seine Kirche gekämpft wurde, mit den besten ihrer Söhne zugegen gewesen, die vor Eifer glühten, mit Tugend und theologischer Bildung ausgerüstet waren und treu den Weisungen ihres Hauptes, des Stellvertreters Christi, des römischen Papstes, folgten. Das ist die Gesellschaft Jesu, wie sie uns die Geschichte vor Augen stellt; Die Gesellschaft Jesu, welche die Feinde Christi verfolgten, bis sie ihre Aufhebung erwirkten, die aber die Kirche Wiedererstehen ließ, da sie das Bedürfnis nach so wertvollen und treu ergebenen Söhnen spürte, auf welche sich die Päpste in der Vergangenheit verlassen haben und auf welche sich der Papst auch in Zukunft verlassen will. Der Papst hatte seine Ansprache in Italienisch begonnen und setzte sie in Französisch fort: 6. Wenn ich von der Gesellschaft Jesu in der Vergangenheit gesprochen habe, um die charakteristischen Merkmale ihres Lebens und ihrer Sendung zusammenzufassen, dann deshalb, weil ich an die Gesellschaft Jesu von heute denke und an das, was die Kirche für die Gegenwart und für die Zukunft von ihr erwartet. Wer die Fülle dessen bedenkt, was euer Orden für das Leben der Kirche und der Welt beigetragen hat, und dann die wesentlichen Aspekte dieses Beitrags würdigt, der kann nicht übersehen, was eines der wesentlichsten Merkmale des Ordens war, den der hl. Ignatius unter Eingebung des Heiligen Geistes gegründet hat. Die Gesellschaft Jesu hat sich nämlich im Verlauf ihrer Geschichte - so vielfältig und verschieden die Formen des Apostolats auch waren - stets durch die Beweglichkeit und Dynamik ausgezeichnet, die ihr Gründer ihr eingegeben hat und die sie dazu befähigt haben, die Zeichen der Zeit zu erfassen und damit Vorkämpferin der von der Kirche gewünschten Erneuerung zu sein. Kraft der euch eigenen apostolischen und missionarischen Berufung befinden sich die Mitglieder der auserlesenen Gemeinschaft, die ihr nach dem Willen des hl. Ignatius und der Kirche bildet, gemäß den Worten, die Paul VI. an euch richtete, „in der vordersten Linie der tiefgehenden Erneuerung, um die sich die Kirche vor allem seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in dieser säkularisierten Welt bemüht. Eure Gesellschaft ist 930 Botschaften und Ansprachen sozusagen ein Test der Lebenskraft der Kirche durch die Jahrhunderte. Sie ist in gewisser Hinsicht so etwas wie ein Angelpunkt, in dem sich die Schwierigkeiten und Unruhen, die Bemühungen und Initiativen, der Fortbestand und die Erfolge der gesamten Kirche treffen“ (Paul VI., Ansprache an die Teilnehmer der 32. Generalkongregation vom 3. Dezember 1974). Nun, wie euch bereits mein verehrter Vorgänger sagte, erwartet die Kirche heute von der Gesellschaft Jesu, daß sie auf wirksame Weise zur Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils beiträgt, so wie sie zur Zeit des hl. Ignatius und danach alle ihre Anstrengungen aufgeboten hat, um das Konzil von Trient bekanntzumachen und zur Anwendung zu bringen und den römischen Päpsten bei der Ausübung ihres höchsten Lehramtes in hervorragender Weise behilflich zu sein. 7. Erlaubt mir, daß ich noch einmal und feierlich auf der genauen Auslegung des letzten Konzils bestehe. Es handelte sich und handelt sich noch immer um ein Werk kirchlicher Erneuerung im Hören auf den Heiligen Geist. In diesem entscheidenden Punkt sind die Konzilsdokumente von einer Klarheit ohnegleichen (vgl. Lumen gentium, Nr. 4, 7, 9; Gaudium et spes, Nr. 21, 5 und 43, 6). Und diese Erneuerung der Treue und des leidenschaftlichen Engagements in allen Bereichen der Sendung der Kirche - wie sie im gemeinsamen Hören auf den Geist von Pfingsten reife Entfaltung und Ausdruck gefunden hat - muß auch jetzt in gleicher Weise aufgenommen und nach demselben Geist gelebt werden und nicht nach persönlichen Kriterien oder psycho-soziologischen Theorien. Um diese Arbeit innerhalb des Gottesvolkes zu erfüllen, wurden vom Konzil sowohl die Mitglieder der kontemplativen wie der apostolisch tätigen Orden zu einer Erneuerung ihres Lebens nach dem Evangelium aufgerufen. Das Dekret Perfectae caritatis (Nr. 2 und 3) nennt klar und eindringlich diese Kriterien der Erneuerung. Wenn man sie treu befolgt, gibt es keinen Platz mehr für Abweichungen, die ohne jeden Zweifel für die Lebenskraft der Ordensgemeinschaften und der ganzen Kirche schädlich sind. Mir scheint, daß die Gesellschaft Jesu, die stets mehr vom Geist der echten Erneuerung geprägt war, diese Rolle heute ebenso uneingeschränkt übernehmen kann wie gestern und in Zukunft: dem Papst und dem Kollegium der Bischöfe dabei behilflich zu sein, die gesamte Kirche auf dem großen, vom Konzil vorgezeichneten Weg voranzubringen, und diejenigen, die sich bedauerlicherweise von den Strömungen des Progressismus oder des Integralismus verleiten lassen, zu überzeugen, damit sie in Demut und Freude zur ungetrübten Gemeinschaft mit ihren Bischöfen und mit ihren Brüdern zurückkehren, die unter ihrem Verhalten und ihrer 931 Botschaften und Ansprachen Abwesenheit leiden. Diese geduldige und schwierige Arbeit ist sicher das Werk der ganzen Kirche. Aber in der Treue zu eurem Vater, dem hl. Ignatius, und allen seinen Söhnen müßt ihr heute wie ein Mann zusammenstehen in dieser Sendung für die Einheit in Wahrheit und in Liebe. Das vierte Gelübde der Gesellschaft wurde vom hl. Ignatius genau als der lebendige und lebenswichtige Ausdruck des Bewußtseins verstanden, daß sich die Sendung Christi in Zeit und Raum durch jene fortsetzt, die sich-von ihm zu seiner Nachfolge und zur Teilnahme an seinen Werken berufen (vgl. Geistliche Übungen, Nr. 91-98) - seine Gefühle und Gedanken zu eigen machen, um so in inniger Verbundenheit mit ihm und infolgedessen auch mit seinem Stellvertreter auf Erden zu leben. Deshalb haben der hl. Ignatius und seine ersten Gefährten - weil sie an der Sendung Christi teilnehmen wollten, die in der Kirche weitergeht -beschlossen, sich bedingungslos dem Stellvertreter Christi zur Verfügung zu stellen und sich durch ein besonderes Gelübde an ihn zu binden. „Diese enge Bindung an den Nachfolger des hl. Petrus, die das charakteristische Kennzeichen der Mitglieder der Gesellschaft Jesu ist, hat die Gemeinschaft mit Christus, dem ersten und obersten Herrn dieser Gesellschaft, stets gestärkt und gibt ihr sichtbaren Ausdruck“ (Paul VI., Ansprache an die Teilnehmer der 32. Generalkongregation vom 3. Dezember 1974). 8. Aufgrund dieses charakteristischen Wesensmerkmals eures Ordens erwartet die Kirche also in erster Linie, daß ihr die verschiedenen Formen des traditionellen Apostolats, die auch heute noch ihren vollen Wert bewahren, anpaßt und so für die Erneuerung des geistlichen Lebens der Gläubigen, der Erziehung der Jugend, der Ausbildung des Klerus, der Ordensmänner und Ordensfrauen sowie der Missionstätigkeit arbeitet; dieses Wirken umfaßt Katechese, Verkündigung des Gotteswortes, Verbreitung der Lehre Christi, christliche Durchdringung der Kultur in einer Welt, die eine Spaltung und einen Gegensatz zwischen Wissenschaft und Glaube zu schaffen trachtet, pastoralen Einsatz zugunsten der Armen, der Unterdrückten, der Randgruppen der Gesellschaft, Ausübung des Priesteramtes in allen seinen authentischen Ausdrucksformen, ohne dabei die neuen Möglichkeiten des Apostolats, über welche die moderne Gesellschaft verfügt, zu übersehen, wie Presse und Medien, von denen die Gesellschaft Jesu bereits seit geraumer Zeit Gebrauch macht und deren Einsatz sie noch weiter verbessern sollte. Darüber hinaus wünscht die Kirche, daß die Gesellschaft zunehmendes Interesse für die Initiativen zeigt, zu denen das Zweite Vatikanische Konzil in besonderer Weise ermutigt hat: 932 Botschaften und Ansprachen - für den Ökumenismus, um das Ärgernis der Spaltung zwischen den Christen zu beseitigen. Mehr als 20 Jahre ist es nun her, seitdem die Kirche das Sekretariat für die Einheit der Christen geschaffen hat: Es ist sehr wichtig, daß in einer Welt, die sich dem Christentum zunehmend entfremdet, alle, die an Gott und an Christus glauben, untereinander Zusammenarbeiten; - für die Vertiefung der Beziehungen zu den nichtchristlichen Religionen, um die sich das Sekretariat für die Nichtchristen bemüht, und für die Darlegung des christlichen Lebens und der christlichen Lehre in einer den verschiedenen Kulturen angepaßten Weise, die mit großem Einfühlungsvermögen den charakteristischen Zügen und Reichtümem jeder dieser Kulturen Rechnung trägt; - für die vom Sekretariat für die Nichtglaubenden geförderten Studien und Initiativen, die das besorgniserregende Phänomen des Atheismus betreffen und euch an die Aufgabe erinnern, die euch Paul VI. anvertraut hat, nämlich „wirksam und mit allen euren Kräften dem Atheismus Widerstand zu leisten“ (Paul VI., Ansprache an die Teilnehmer der 31. Generalkongregation vom 7. Mai 196S). Es gibt da noch einen Punkt, auf den ich eure Aufmerksamkeit lenken möchte. In unseren Tagen verspürt man bei der Evangelisierungstätigkeit der Kirche mit immer größerer Dringlichkeit die Notwendigkeit zur Förderung der Gerechtigkeit. Wenn man den tatsächlichen Forderungen des Evangeliums und zugleich dem Einfluß Rechnung trägt, den die sozialen Verhältnisse auf die Praxis des christlichen Lebens ausüben, so begreift man leicht, warum die Kirche die Förderung der Gerechtigkeit als einen wesentlichen Bestandteil der Evangelisierung ansieht. Es handelt sich hier um einen wichtigen Bereich der apostoüschen Tätigkeit. In diesem Bereich haben nicht alle dieselbe Funktion, und was die Mitglieder der Gesellschaft Jesu betrifft, darf nicht vergessen werden, daß die notwendige Sorge für die Gerechtigkeit in Übereinstimmung mit eurer Berufung als Ordensmänner und Priester ausgeübt werden muß. Wie ich am 2. Juli 1980 in Rio de Janeiro gesagt habe, ist der Dienst des Priesters, „wenn er sich selber treu bleiben will, ein vor allem und wesentlich geistlicher Dienst. Das sei heute besonders betont angesichts der vielfältigen Strömungen, den Dienst des Priesters zu säkularisieren, so daß er eine lediglich philanthropische Bedeutung erhält. Sein Dienst ist nicht der eines Arztes oder Sozialhelfers, Politikers oder Gewerkschaftsführers. In bestimmten Fällen kann der Priester vielleicht solche Dienste mit übernehmen, wenn auch nur stellvertretend. Solche Dienste hat er in der Vergangenheit in hervorragender Weise geleistet. Heute aber werden sie 933 Botschaften und Ansprachen sachgerecht von anderen Gliedern der Gesellschaft wahrgenommen, so daß sich unser Dienst immer deutlicher als geistlicher Dienst abhebt. Der Priester hat eine wesentliche Sendung für die Seelen, für ihr Verhältnis zu Gott und für ihr inneres Verhältnis zueinander zu erfüllen. Hier also muß er den Menschen unserer Zeit wirklich nahe sein. Gewiß wird er, wann immer die Umstände es erfordern, sich nicht weigern, auch materielle Hilfe zu leisten, durch karitative Werke und durch Verteidigung der Gerechtigkeit. Aber wie ich gesagt habe, ist dies am Ende ein sekundärer Dienst, bei dem wir nie den Hauptdienst aus den Augen verlieren dürfen, der darin besteht, den Seelen zu helfen, den Vater zu finden, sich zu ihm hin zu öffnen und ihn über alles zu lieben“ (Predigt bei der Priesterweihe im Stadion von Rio de Janeiro vom 2. 7. 1980; O.R. dt. vom 11.7. 80, S. 7.). Bereits das Zweite Vatikanische Konzil hat auf den Wert und das Wesen des Laienapostolats hingewiesen und die Laien aufgefordert, ihren Anteil an der Sendung der Kirche zu übernehmen; aber die Rolle der Priester und Ordensmänner ist eine andere. Sie sollen nicht den Platz der Laien einnehmen, und noch weniger dürfen sie die ihnen eigene Aufgabe vernachlässigen. Auf englisch sagte der Papst: 9. Eure Konstitutionen legen mit aller Klarheit die Voraussetzungen fest, deren es bedarf, damit die Gesellschaft Jesu wirksam zur Durchführung der Konzüsdekrete beitragen kann, so wie die Kirche es von ihr erwartet. Die erste Voraussetzung ist die verlängerte, solide Ausbildung der künftigen Apostel der Gesellschaft. In der erwähnten Formula Instituti schreibt Ignatius, nachdem er den für die Gesellschaft kennzeichnenden Weg geschildert hat: „Da wir die Erfahrung gemacht haben, daß mit diesem Weg viele und große Schwierigkeiten verbunden sind, haben wir es für angemessen gehalten, auch zu bestimmen, daß niemand, um in dieser Gesellschaft die Profeß abzulegen, aufgenommen werden darf, ohne daß sein Leben und seine Lehre in lang dauernden und sehr sorgfältigen Prüfungen erprobt worden sind“ (Formula Instituti der Gesellschaft Jesu, Nr. 9). Ihr dürft nicht der naheliegenden Versuchung nachgeben, diese Ausbildung zu verwässern, der in jedem einzelnen ihrer Aspekte - dem spirituellen, lehrmäßigen, disziplinären und pastoralen - solche Bedeutung zukommt; der dadurch verursachte Schaden wäre weit größer als irgendwelche positiven Ergebnisse, die man vielleicht erzielen könnte. 934 Botschaften und Ansprachen Denkt daran, daß die Gesellschaft auch in den Tagen ihres Gründers mit dem schmerzlichen Problem konfrontiert wurde, dem ihr heute gegenübersteht. Auch damals gab es zu wenig geeignete und einsatzbereite Apostel, um den pastoralen Erfordernissen zu entsprechen. 10. Ihr müßt jedoch immer daran denken, daß das wichtigste Ziel dieser langen und anspruchsvollen Vorbereitung die Heranbildung von Männern ist, die durch ihre tiefe innere Verbundenheit mit Gott hervorragen. Ignatius war in der Tat davon überzeugt, daß aller apostolischer Einsatz nur dann sinnvoll und wirksam ist, wenn er der „Einheit und Verbindung zwischen dem Werkzeug und Gott“ entspringt, von der er so oft spricht. Der Vorrang des inneren, des spirituellen Lebens ist das eigentliche Fundament der geistlichen Sicht des Ignatius; es bildet den innersten Kern eines echt apostolischen Lebens, weü der wahre Apostel seiner Mission in völliger Abhängigkeit von Gott und in Einheit mit ihm gerecht wird. Euer Gründer und seine ersten Gefährten waren in der Tat Männer Gottes. Als Antwort auf den frei an sie ergangenen Ruf des Ewigen Königs (Geistl. Übungen, Nr. 91-98) und nachdem sie innerlich den Geist begriffen hatten, der Jesus selbst, den Einen, der vom Vater gesandt worden ist, beseelte, lebten sie so, wie der Herr seinen Aposteln zu leben gebot, als er zu ihnen sagte: „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ {Joh 15, 4-5). Auf Grund dessen, was das kostbarste Element in der Spiritualität eures Gründers ist, bitte ich euch wiederum, über den tiefsten Sinn der „Betrachtung zur Erlangung der Liebe“ zu meditieren, wonach der apostolische Mensch aus dem Bewußtsein lebt, daß „alles Gute und alle Gaben von oben kommen. Die mir zugemessene Kraft kommt von der höchsten Allmacht von oben, ebenso mein Gerechtigkeitssinn, meine Güte, Liebe, Barmherzigkeit usw., gleichwie von der Sonne die Strahlen herabkommen, von der Quelle die Wasser. . .“ (Geistl. Übungen, Nr. 237). Dies ist die geistige Haltung des wahren Apostels, der seine Sendung in völliger Abhängigkeit von Gott und in Einheit mit ihm lebt. Deshalb sollte es im apostolischen Ordensleben - und Ignatius gehörte hier, unter Gottes Führung zu den größten Gründern - keine Trennung zwischen innerem Leben und Apostolat geben. Das sind die beiden wesentlichen und tragenden Elemente seines Lebens: Sie sind voneinander nicht zu trennen, sie beeinflussen und durchdringen sich gegenseitig. 935 Botschaften und Ansprachen 11. Eure Konstitutionen fordern außer solider Tugend nachdrücklich eine Zuverlässigkeit und Sicherheit der Glaubenslehre, die für ein wirksames Apostolat unentbehrlich ist. Demzufolge „wurden die Jesuiten allgemein als eine Stütze für die Lehre und Disziplin der ganzen Kirche angesehen. Bischöfe, Priester und Laien blickten stets auf die Gesellschaft als einen authentischen und daher sicheren Bezugspunkt, an dem man sich halten konnte, um Gewißheit in der Lehre, ein klares, zuverlässiges moralisches Urteil und echte Nahrung für das innere, geistliche Leben zu finden“ {Brief Kardinal Villots an Pater Arrupe vom 2. Juli 1973). Dies sollte auch in Zukunft gültig bleiben durch jene loyale Treue zum Lehramt der Kirche und besonders des römisches Papstes, zu der ihr verpflichtet seid. 12. In der Tat bindet ja ein besonderes Band eure Gesellschaft an den römischen Papst, den irdischen Stellvertreter Christi. Wie ich bereits oben erwähnt habe: Nachdem der hl. Ignatius und seine Gefährten den wahren Sinn und Wert der Sendung Christi und deren Fortsetzung in der Geschichte im Geist erfaßt hatten, maßen sie diesem Band der Liebe und des Dienstes zum römischen Papst entscheidende Bedeutung bei, so sehr, daß sie dieses „besondere Gelübde“ als charakteristisches Element der Gesellschaft haben wollten. Während sie ihre eigene innere Bereitschaft beschrieben und was sie von denen erwarteten, die später zur Gemeinschaft der Professoren der Gesellschaft zugelassen werden sollten, schrieben sie jene Worte nieder, die in das Herz jedes Jesuiten, der dieses Namens würdig ist, bleibend eingeprägt sein müssen: „Um der größeren Andacht willen im Gehorsam gegenüber dem Apostolischen Stuhl zur größeren Verleugnung unseres eigenen Willens und wegen der sichereren Leitung durch den Heiligen Geist werden wir über jenes gemeinsame Band der 3 Gelübde hinaus durch ein besonderes Gelübde dazu verpflichtet, was immer der heutige und die künftigen Päpste befehlen, das zum Fortschritt der Seelen und zur Verbreitung des Glaubens gehört, ohne jede Ausflucht und Entschuldigung auszuführen, soweit es an uns liegt“ (Formula Instituti, Nr. 3). Ganz offensichtlich rühren wir hier an den Wesenskem des ignatianischen Charismas und an das, was das Innerste eures Ordens ausmacht. Und dem müßt ihr immer treu bleiben. Der römische Papst, an den ihr durch dieses besondere Gelübde gebunden seid, ist nach den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils „der oberste Hirte der Kirche“ {Christus Dominus, Nr. 5). Als dieser hat er zum Wohl der Gesamtkirche ein besonderes Dienstamt auszuüben, wobei er gern eure liebevolle, ergebene und erprobte Mitarbeit in Anspruch nimmt. Aber derselbe römische Papst nimmt auch die Mitarbeit an, die ihr ihm in seiner Eigenschaft als Haupt des Bischofskollegiums (vgl. Lumen 936 Botschaften und Ansprachen gentium, Nr. 22) anbietet, wo er mit seinen Brüdern im Bischofsamt in einem kollegialen Dienst der gemeinsamen Unterscheidung und Eintracht verbunden ist, einem Dienst, der kraft eines besonderen Charismas die anderen Aufgaben des kirchlichen Dienstes in Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist miteinander koordiniert (vgl. Mutuae relationes, Nr. 6). Aus diesem Grund seid ihr mit den Mitgliedern des Bischofskollegiums gleichfalls durch ein Band verknüpft, das euch zur Einheit mit ihnen in pastoraler Liebe und enger praktischer Zusammenarbeit aufruft. Eben durch eure besondere Verfügbarkeit für den Ruf des römischen Papstes seid ihr imstande, mit dem Bischofskollegium und seinen einzelnen Mitgliedern noch wirksamer zusammenzuarbeiten, die im Nachfolger Petri ihr immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit finden (vgl. Lumen gentium, Nr. 23). Wie das Zweite Vatikanische Konzü erklärte, bedient sich der römische Papst bei der Ausübung seines Dienstes für die Gesamtkirche auch der Ämter der Römischen Kurie (vgl. Christus Dominus, Nr. 9). Eben diese Tatsache verlangt eine loyale Zusammenarbeit zwischen der Gesellschaft Jesu und diesen Ämtern. Auf Grund der Forderungen eurer Gelübde und der Wirklichkeit meines Dienstamtes könnte es gar nicht anders sein. Manche der besonderen Aufgaben, die der Gesellschaft Jesu zugewiesen worden sind, und andere wichtige Werke, die sie nach dem Konzil übernommen hat, entsprechen den Programmen des Apostolischen Stuhls, die von einigen seiner neu errichteten Ämter aufeinander abgestimmt werden. Durch Zusammenarbeit mit diesen verschiedenen Einrichtungen kann die Gesellschaft Jesu in einer Reihe von Problemen ihre richtige Orientierung finden und gleichzeitig einen gewaltigen Beitrag für die Universalkirche liefern. Der römische Papst seinerseits bietet euch im Namen Christi, dessen Stellvertreter er ist, das volle Maß seiner dankbaren Liebe an für eure Zusammenarbeit mit ihm persönlich, mit dem Bischofskollegium und mit der ganzen Römischen Kurie, die von der Gesellschaft Jesu seit Jahren auf so vielfältige Weise großmütig unterstützt wird. Schließlich sagte der Papst in Spanisch: 13. Ich halte mich nun nicht mehr länger bei diesen Überlegungen auf, weü ich weiß, daß ihr in diesen Tagen zusammen mit dem Pater Delegaten Überlegungen und Erwägungen anstellt über die von mir in bezug auf die Gesellschaft geäußerten Wünsche und daß ihr im Geiste des Glaubens und der brüderlichen Zusammenarbeit nach den besten Mitteln sucht, um diese Wünsche in die Tat umzusetzen. 937 Botschaften und Ansprachen Nur muß ich euch ermutigen, in dieser Arbeit fortzufahren, die, während sie sich als besonders fruchtbar für eure Gesellschaft erweisen wird, außerdem für die gesamte Kirche, die mit besonderem Interesse und mit Wertschätzung auf die Gesellschaft blickt, von großem Nutzen sein wird. Die Vorbildlichkeit eures Ordenslebens, die geistliche Atmosphäre eurer Kommunitäten, die Strenge in der Lebensweise und der Eifer bei den apostolischen Arbeiten werden für das ganze Volk Gottes Grund zur Erbauung sein und für eure Gesellschaft immer mehr Berufe hochherziger junger Leute anziehen, die nicht nach Mittelmäßigkeit in der Nachfolge Christi trachten, sondern nach radikaler Hingabe in der Weihe an Ihn. So werdet ihr euch gut auf die Generalkongregation vorbereiten. Ich vertraue darauf, daß diese Vorbereitung in einer Weise voranschreitet, daß innerhalb dieses Jahres die Einberufung der Generalkongregation möglich sein wird; sie soll der Gesellschaft nicht nur einen neuen Generalobern - entsprechend dem vom hochwürdigen Pater Arrupe schon vor einiger Zeit bekundeten Wunsch - geben, sondern zugleich der ganzen Gesellschaft einen neuen Anstoß vermitteln, auf daß sie ihre Mission im Einklang mit den Hoffnungen der Kirche und der Welt mit neuem Mut erfüllt. Ich begleite euch dabei mit meinen Wünschen und Gebeten, damit der Herr durch die Fürsprache derjenigen, die ihr als Königin und Mutter der Gesellschaft Jesu und eurer zahlreichen Heiligen und Seligen anzurufen pflegt, eure Arbeit segne und fruchtbar werden lasse. Es ist tröstlich, diesen Heiligen und Seligen, die bereits zur Ehre der Altäre erhoben worden sind, so viele andere eurer Brüder hinzufügen zu können, die aufgrund ihrer ausgezeichneten Tugenden erhoffen lassen, daß die Kirche ihre Heiligkeit offiziell anerkennt. In diesem Zusammenhang freut es mich zu erwähnen, daß ich gerade am vergangenen 11. Februar die Genugtuung hatte, den heroischen Charakter der Tugenden des demütigen und so beliebten Laienbruders Francisco Garate zu bestätigen, der vor 50 Jahren starb und aus demselbenLand stammte, in dem euer heiliger Gründer Ignatius von Loyola das Licht der Welt erblickte. Das Leben dieser Ordensmänner der Gesellschaft Jesu sowie vieler anderer hervorragender Jesuiten, die mit einem von Liebe erfüllten Glaubensgeist und einer wirklich beispielhaften Hingabe an die Menschen in der ganzen Welt leben und arbeiten, beweist, daß auch in unserer Zeit die Heiligkeit in der Gesellschaft blüht. Und es beweist überdies, wie gültig noch immer der Beruf der Laienbrüder der Gesellschaft ist, die mit ihrer völligen Hingabe an den Dienst des 938 Botschaften und Ansprachen Herrn durch die Erfüllung ihrer Aufgaben wirksam mit den Patres in dem für die Gesellschaft eigenen priesterlichen Dienst Zusammenarbeiten. Mit diesen Gedanken und Gefühlen erteile ich aus ganzem Herzen euch und durch euch allen Mitgliedern der Gesellschaft Jesu als Unterpfand der göttlichen Gaben meinen Apostoüschen Segen. (O.R. 28.2. 82) Gemeinsames Erbe: Dienst am Menschen Ansprache an die Delegierten der Bischofskonferenzen für die Beziehungen zum Judentum am 6. März Liebe Brüder im Bischofs- und Priesteramt, meine Schwestern, meine Damen und Herren! Aus verschiedenen Gegenden der Welt sind Sie in Rom zusammengekommen, um über die wichtige Frage der Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum Bilanz zu ziehen. Und die Bedeutung dieses Problems wird gleichzeitig hervorgehoben durch die Anwesenheit von Vertretern der orthodoxen Kirchen, der anglikanischen Kir-chengemeinschaft, des Lutherischen Weltbundes und des Weltrates der Kirchen unter Ihnen, die ich voll Freude begrüße und denen ich für ihre Mitarbeit danke. Euch Bischöfen, Priestern, Ordensleuten, Laienchristen drücke ich ebenfalls meine volle Anerkennung aus. Eure Anwesenheit hier sowie euer Einsatz in der Seelsorge oder auf dem Gebiet der biblischen und theologischen Forschung zeigen, in welchem Grade die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Judentum an verschiedene Aspekte des Lebens und der Tätigkeiten der Kirche rühren. Das begreift man sehr wohl. Das Zweite Vatikanische Konzü sagt in der Tat in seiner Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (Nostra aetate, Nr. 4): „Bei ihrer Besinnung auf das Geheimnis der Kirche gedenkt die Heilige Synode des Bandes, wodurch das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist.“ Und ich selbst hatte Gelegenheit, das mehr als einmal auszusprechen: Unsere beiden Religionsgemeinschaften „sind auf der Ebene ihrer eigenen Identität verbunden“ (vgl. Ansprache an die Vertreter der jüdischen Organisationen und Gemeinschaften vom 12. März 1979). In der Tat - und hier ist wieder der Text der Erklärung Nostra aetate (Nr. 4) 939 Botschaften und Ansprachen anzuführen: „Die Kirche Christi anerkennt, daß nach dem Heilsgeheimnis Gottes die Anfänge ihres Glaubens und ihrer Erwählung sich schon bei den Patriarchen, bei Moses und den Propheten finden . . . Deshalb kann die Kirche auch nicht vergessen, daß sie durch jenes Wort ... die Offenbarung des Alten Testamentes empfing .. . Die Kirche hat auch stets die Worte des Apostels Paulus vor Augen, der von seinen Stammverwandten sagt: ,Sie haben die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, ihnen ist das Gesetz gegeben, der Gottesdienst und die Verheißungen, sie haben die Väter, und dem Fleisch nach entstammt ihnen der Christus' (Röm 9, 4-5), der Sohn der Jungfrau Maria.“ Das heißt, daß die Bande zwischen der Kirche und dem jüdischen Volk sich auf den Plan des Bundesgottes gründen und - als solche - notwendigerweise in gewissen Einrichtungen der Kirche, insbesondere in ihrer Liturgie, Spuren hinterlassen haben. Als vor zweitausend Jahren an dem gemeinsamen Stamm ein neuer Zweig auftauchte, waren die Beziehungen zwischen unseren beiden Gemeinschaften natürlich von dem Unverständnis und den Ressentiments gekennzeichnet, die uns bekannt sind. Und wenn es seit dem Tag der Trennung Mißverständnisse, Irrtümer und sogar Beleidigungen gegeben hat, geht es jetzt darum, sie in Verständnis, Frieden und gegenseitiger Achtung zu überwinden. Die schrecklichen Verfolgungen, die die Juden in den verschiedenen Geschichtsepochen erlitten haben, haben endlich die Augen geöffnet und die Herzen aufgerüttelt. Die Christen befinden sich auf dem guten Weg, dem Weg der Gerechtigkeit und der Brüderlichkeit, wenn sie mit Achtung und Ausdauer versuchen, sich mit ihren semitischen Brüdern um das für alle so reiche gemeinsame Erbe zu sammeln. Bedarf es, vor allem für diejenigen, die noch immer skeptisch, ja sogar feindselig bleiben, der Klarstellung, daß diese Annäherung sich nicht mit einem gewissen religiösen Relativismus und noch weniger mit einem Identitätsverlust verbinden dürfe? Die Christen bekennen für ihren Teil unmißverständlich ihren Glauben an den universalen Heilscharakter des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Ja, die Klarheit und die Wahrung unserer christlichen Identität sind eine wesentliche Grundlage, wenn wir authentische, fruchtbare und dauerhafte Beziehungen zum jüdischen Volk anknüpfen wollen. In diesem Sinne freue ich mich zu erfahren, daß Sie in gemeinsamem Studium und Gebet zahlreiche Anstrengungen unternehmen, um die manchmal schwierigen biblischen und theologischen Probleme, die durch den Fortschritt des jüdischen Dialogs aufgeworfen werden, besser zu empfinden und besser zu formulieren. Auf diesem Gebiet würden Ungenauigkeit und Mittelmä- 940 Botschaften und Ansprachen ßigkeit einem solchen Dialog außerordentlich schaden. Möge Gott Christen und Juden geben, sich intensiver zu begegnen, tiefer auszutauschen und von ihrer eigenen Identität auszugehen, ohne sie jemals von der einen wie von der anderen Seite zu verdunkeln, so daß wirklich der Wille Gottes gesucht wird, der sich offenbart hat! Das sind Beziehungen, die zur Bereicherung der Kenntnis unserer Wurzeln beitragen können und sollen und dazu, bestimmte Aspekte dieser Identität, von denen wir sprechen, ins Licht zu stellen. Unser gemeinsames geistliches Erbe ist beachtlich. Eine Bestandsaufnahme dieses Erbes bei uns selbst, aber auch die Berücksichtigung des Glaubens und religiösen Lebens des jüdischen Volkes, wie sie noch jetzt bekannt und gelebt werden, können dazu beitragen, bestimmte Aspekte des Lebens der Kirche besser zu verstehen. Das ist der Fall in der Liturgie, deren hebräische Wurzeln noch ergründet und vor allem von seiten der Gläubigen besser erkannt und gewürdigt werden müssen. Dies güt ebenso auf der Ebene der Geschichte unserer Institutionen, die seit den Anfängen der Kirche von bestimmten Aspekten der Organisation der Synagogengemeinde inspiriert wurden. Schließlich ist unser gemeinsames geistliches Erbe vor allem von Bedeutung auf der Ebene unseres Glaubens an einen einzigen, gütigen und barmherzigen Gott, der die Menschen hebt und sich von ihnen heben läßt, an den Herrn der Geschichte und des Schicksals der Menschen, der unser Vater ist und der Israel erwählt hat, „den guten Ölbaum, in den die Heiden als wilde Schößlinge eingepfropft sind“ (Nostra aetate, Nr. 4; vgl. auch Röm 11, 17-24). Deshalb haben Sie sich bei Ihrer Tagung Gedanken gemacht über den katholischen Unterricht und die Katechese im Hinblick auf die Juden und das Judentum. Was diesen Punkt wie auch noch andere betrifft, lassen Sie sich von den „Richtlinien und Hinweisen für die Anwendung der Konzüs-erklärung Nostra aetate (Nr. 4)“ leiten und ermutigen, die von der Kommission für die rehgiösen Beziehungen zum Judentum (vgl. Kapitel III) veröffenthcht wurden. Man muß dahin gelangen, daß dieser Unterricht auf den verschiedenen Ebenen der religiösen Bildung, in der Katechese für Kinder und Erwachsene die Juden und das Judentum nicht nur aufrichtig und objektiv, ohne jedes Vorurteil und ohne jemanden zu beleidigen, vorstellt, sondern darüber hinaus mit einem lebendigen Bewußtsein für das Erbe, das wir in großen Zügen beschrieben haben. Auf einer solchen Grundlage wird schließlich — wie sich das bereits in sehr erfreulicher Weise erkennen läßt - eine enge Zusammenarbeit entstehen können, zu der uns unser gemeinsames Erbe drängt, nämlich der Dienst am Menschen und seinen unermeßlichen geistlichen und materiellen 941 Botschaften und Ansprachen Bedürfnissen. Auf verschiedenen, aber letzten Endes dem gleichen Ziel zustrebenden Wegen werden wir - mit Hilfe des Herrn, der niemals aufgehört hat, sein Volk zu lieben (vgl. Röm 11, 1) - zu dieser wahren Brüderlichkeit in der Versöhnung, der Achtung und vollen Verwirklichung des Planes Gottes in der Geschichte gelangen. Ich freue mich, in Christus geliebte Brüder und Schwestern, Sie zu ermutigen, auf dem eingeschlagenen Weg weiterzugehen, indem Sie Unterscheidungsfähigkeit, Zuversicht und zugleich eine sehr große Treue zum Lehramt an den Tag legen. Auf diese Weise werden Sie der Kirche einen echten Dienst erweisen, der sich aus dem Geheimnis ihrer Berufung ergibt und zum Wohl der Kirche selbst, des jüdischen Volkes und der ganzen Menschheit beitragen soll. (O.R. 7. 3. 82) Die Kirche in der Universität Ansprache an den Klerus der Diözese Rom zu Beginn der österlichen Bußzeit am 8. März Meine Lieben! 1. Wie in der Vergangenheit, so bietet auch der Beginn dieser österlichen Bußzeit mir wieder willkommenen Anlaß zu einer speziellen Begegnung mit euch, verehrte Brüder im Priesteramt. Dieser liebgewordenen Tradition messe ich ganz besondere Bedeutung bei. Mir gibt dieser Anlaß in der Tat die Möglichkeit, eine bedeutsame Gemeinschaftserfahrung mit denen zu machen, die bei der Erfüllung der pastoralen Aufgaben, die zu meinem Dienst als Bischof dieser geliebten Kirche von Rom gehören, mit mir am nächsten Zusammenarbeiten. Ich begrüße daher ganz herzlich den Kardinalvikar, den Vizeregenten und die Weihbischöfe, die den verschiedenen Pastoralsektoren der Diözese vorstehen. Ich begrüße die Pfarrer, die die Verantwortung für die einzelnen Gemeinden tragen, in welche die Bevölkerung der Diözese unterteüt ist, und mit ihnen die Priester, die ihre Arbeit innerhalb der Strukturen der Pfarrei leisten, der Hauptzelle des christlichen Lebens auch im Rahmen des heutigen gesellschaftlichen Gefüges. Und ich begrüße schließlich die Ordensleute der verschiedenen Ordensfamilien, denen die Diözese in hohem Maße Dank schuldet, nicht nur für die Arbeit, die sie auf speziellen Gebieten, wie der Schule, der Fürsorge für die Armen, der Kranken- 942 Botschaften und Ansprachen pflege usw. vollbringen, sondern auch für den Ansporn, den sie durch das hochherzige Zeugnis von Gebet, strengem Leben und Ehelosigkeit, wozu sie die Profeß und die evangelischen Räte verpflichten, der allgemeinen Verpflichtung zu christlicher Konsequenz geben. Während ich dem Herrn für die Freude über eure Anwesenheit, verehrte Brüder, danke, möchte ich allen für die Selbstlosigkeit danken, mit der ihr eure jeweiligen Aufgaben erfüllt, indem ihr „dem Herrn in aller Demut dient“ (Apg 20, 19), manchmal freilich auch ihr wie der Apostel Paulus „unter Tränen und vielen Prüfungen“ (ebd.). Der allmächtige Gott vergelte euch eure Hingabe und gewähre euch reiche Früchte für eure apostolischen Mühen! 2. Wir haben gemeinsam die interessanten Referate gehört, in denen das Pastoralproblem, das in diesem Jahr unsere Aufmerksamkeit beschäftigt, dargelegt wurde: das Problem der Seelsorge in der Welt der Hochschule. Ein wichtiges und dringendes Problem, sowohl wegen der großen Zahl von Menschen, die diese Welt einschließt (in Rom sind an den Fakultäten der verschiedenen Universitätszentren mehr als 148 000 Studenten immatrikuliert), als auch wegen der spezifischen Erfordernisse, die die ihr angehörigen Personen kennzeichnen. Es handelt sich um eine Art „Stadt in der Stadt“, die irgendwie von objektiven Grenzen der Interessen, der Tätigkeit, der Kultur und des Lebens bestimmt wird. Die Referenten haben versucht, in passender Weise die großen Linien sichtbar zu machen, an denen der pastorale Einsatz der Diözese sich orientieren müßte, um den Erwartungen der Hochschulwelt eine angemessene Antwort zu geben. Es sind Anregungen, die aufmerksame Beachtung verdienen und auf die ich im zweiten Teil meiner Ansprache zurückkommen will. Zunächst möchte ich die tieferen Gründe hervorheben, die einen besonderen pastoralen Einsatz in der Welt der Universität rechtfertigen, vor allem unter ihrer zahlenmäßigen Mehrheit, den Studenten. Damit wülich aber nicht die Existenz, die Erfordernisse und die Probleme des Lehrkörpers vergessen, der natürlich in die allgemeinen Sorgen um die Welt der Universität eingeschlossen ist, auch wenn diese in erster Linie die jungen Menschen betreffen. Dabei liegt mir daran, die tiefe Bindung zu betonen, die zwischen der Kirche und der Universität besteht. Es ist allen bekannt, daß die Kirche mit gutem Recht sagen kann, diese Einrichtung ins Leben gerufen zu haben: Namen wie Bologna, Padua, Prag, Krakau und Paris beweisen das. Dieser kirchliche Ursprung der Universität konnte kein Zufall sein. Ja, er scheint etwas sehr Tiefes zum Ausdruck zu bringen. Aber warum braucht 943 Botschaften und Ansprachen die Kirche die Universität? Und warum braucht ihrerseits die Universität die Kirche? Das sind Fragen, die sich uns sofort stellen. Warum braucht die Kirche die Universität? Der Grund scheint in der Sendung der Kirche zu hegen. In der Tat ist der Glaube, den die Kirche verkündet, eine „fides quaerens intellectum“: ein Glaube, der in den Verstand des Menschen eindringen, der vom Verstand des Menschen durchdacht werden soll. Nicht, indem er sich neben alles stellt, was der Verstand mit seinem natürlichen Licht erkennen kann, sondern indem er diese Erkenntnis von innen her durchdringt. Wie mein Vorgänger Paul VI. vor allem in dem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi habe deshalb auch ich bei verschiedenen Anlässen an die Notwendigkeit erinnert, daß der Glaube Kultur wird. Nun, eine der bevorzugten Stätten, wo sich diese Begegnung vollziehen muß, ist die Universität. In der Tat dient die Universität seit ihren Anfängen und gemäß ihrer Institution der Erlangung einer wissenschaftlichen Erkenntnis der Wahrheit, der ganzen Wahrheit. Sie büdet eines der Grundwerkzeuge, die der Mensch haben wollte, um seinem wesentlichen Bedürfnis nach Erkenntnis zu entsprechen. Der Mensch ist dazu geschaffen. Das hat Dante in der Göttlichen Komödie treffend hervorgehoben: „Beachtet eure Saat: Ihr seid nicht geschaffen worden wie Tiere zu leben, sondern den Tugenden und der Erkenntnis zu folgen“ {Inf. XXVI, 118-120). Daraus ergibt sich, daß die Abwesenheit der Kirche in der Welt der Universität ein ganz schwerer Schaden für das Schicksal der Religion in der modernen Welt ist. Diese Abwesenheit verursacht eine gefährliche Fremdheit zwischen Glauben und Kultur. Dieser Gefahr wollte man mit den katholischen Universitäten begegnen, die besonders darauf hinzielen, daß „der christliche Geist bei dem gesamten Bemühen um die Förderung einer höheren Kultur öffentlich, stets und universell präsent“ ist (Gravis-simum educationis, Nr. 10). Aber abgesehen davon, daß diese notwendigen und verdienstvollen Institutionen aus verschiedenen Gründen nicht den ganzen Hochschulbereich einschließen können, bleibt immer wahr, daß überall, wo man eine wissenschaftliche Erkenntnis der Wahrheit erarbeitet, die Kirche die Herausforderung spüren müß, präsent zu sein, damit ihre Glaubensverkündigung der kulturellen Entwicklung nicht fernbleibt. Es handelt sich dabei nicht, wie mancher fälschlich interpretieren könnte, um einen Machtanspruch. Es handelt sich im Gegenteü um den Willen der Kirche, ihrer Sendung treu zu sein, die darin besteht, dem Menschen zu dienen. Was die Kirche verlangt, ist, der Universität helfen zu können, ihr 944 Botschaften und Ansprachen eigenes Ziel ganz zu erreichen: nämlich die Entwicklung einer Kultur, durch welche der Mensch immer tiefer das Vollmaß seines Menschseins erreicht. 3. Und warum braucht die Universität die Kirche? Wie ich bereits sagte, ist das erste Ziel der Universität die leidenschaftliche und uneigennützige Suche nach der Wahrheit. Diese ist es in der Tat, die die Person frei und so auf die einzige Weise, die ihrer Würde und ihrem Wert entspricht, „menschlich“ macht. Wie sollte man also nicht die Aufmerksamkeit vor allem auf die Suche nach der Wahrheit über den Menschen lenken, die im Mittelpunkt der Universitätsarbeit steht? Aber wie das Zweite Vatikanische Konzil mit Recht bemerkt, ist die Lage, in der sich die wissenschaftliche Forschung heute befindet, so, daß zwar die „Menge und Vielfalt der Elemente, die die Kultur ausmachen, zunimmt, andererseits sich die Fähigkeit der einzelnen, diese zu erfassen und organisch zu ordnen, verringert, so daß das Idealbüd eines universal gebildeten Menschen immer mehr schwindet“ (Gaudium etspes, Nr. 61). Ja - und auch das ist eine Feststellung des Konzils - „der heutige Fortschritt der Naturwissenschaft und der Technik, die kraft ihrer Methode nicht zu den innersten Seinsgründen Vordringen können, kann einen gewissen Phänomenalismus und Agnostizismus begünstigen, wenn die Forschungsmethode dieser Disziplinen unberechtigt als oberste Norm der Findung der Wahrheit schlechthin angesehen wird“ (ebd., Nr. 57). Es besteht deshalb die Gefahr einer Verdunkelung der Erkenntnis über den Menschen, ja sogar von Irrtümem, weil klar ist, daß die Wahrheit über den Menschen jeden Versuch, sie auf einen Einzelaspekt zu reduzieren, übersteigt. Oder es besteht die Gefahr, daß die menschliche Person nicht mehr imstande ist, zu einem weisen Leben zu kommen, das das wahre und letzte Ziel der Wahrheitssuche ist, wie sie der Universität entspricht. Ein wirklicher Forscher kann weder bei seinen Forschungen noch bei der praktischen Anwendung der Forschungen von der geistlichen und moralischen Dimension des Menschen und den sich daraus ableitenden Werten absehen. Die menschliche Person trägt in sich selbst einen letzten Sinn, von dem sowohl der Wert des persönlichen Daseins wie des Lebens in der Gesellschaft abhängt. Ergibt sich aus eben diesen Überlegungen nicht der tiefste Grund, weshalb man sagen kann, daß die Universität die Kirche braucht? Die Kirche ist in der Tat Zeuge der Wahrheit, des letzten Sinnes, den der Mensch hat, weil sie Christus verkünden muß, in dessen Mysterium sich das Geheimnis jeder menschlichen Person und jeder Wirklichkeit vollständig enthüllt. 945 Botschaften und Ansprachen Das Fehlen der Kirche in der Universität kann verhindern, daß diese ihr grundlegendes Ziel erreicht: die Erkenntnis der Wahrheit in ihrem ganzen Ausmaß. Wenn sich also die Bindung zwischen der Kirche und der Universität nicht weiter vertieft und festigt, ist die menschliche Person die Leidtragende: weder wird der Glaube eine Kultur schaffen, noch wird die Kultur völlig humanisierend sein. In der Gesellschaft wird es nicht zu jenem Bund mit der schöpferischen und erlösenden Weisheit kommen, nach der heute alle - bewußt oder unbewußt - ein dringendes Bedürfnis verspüren. Man wird nicht auf eine Gesellschaft im Zeichen der Weisheit und der Liebe zugehen. 4. Es gibt auch noch einen zweiten, nicht minder wichtigen Grund, warum uns die Wiederherstellung einer tiefen Beziehung zwischen Kirche und Universität aufgegeben ist. Die Universität hat eine erzieherische Zielsetzung: Gewöhnlich ist es ja die Universität, wo der junge Mensch nicht nur zeitlich gesehen, sondern auch der Bedeutung nach den Höhepunkt der Erziehung erfährt. Natürlich entfaltet die Universität ihre pädagogische Rolle, indem sie den Studenten zur Erwerbung eines präzisen Wissens führt, das ihm später die entsprechende Ausübung seines Berufes in der Gesellschaft erlaubt. Jeder Student hat das Recht, von der Universität diese strenge und vollständige wissenschaftliche Ausbildung zu verlangen: Jede diesbezügliche Nachlässigkeit gereicht nicht nur dem jungen Menschen, sondern auch und sehr schwerwiegend der Gesellschaft zum Schaden. Das erzieherische Engagement der Universität darf sich jedoch nicht auf den sozusagen „intellektualistischen“ Aspekt der Bildung beschränken; es muß sich auch auf die schweren Probleme erstrecken, die sich im ethischen Bereich dem jungen Menschen stellen, der sich auf dem Weg zur vollen menschlichen Reife befindet. Diese Reife setzt die harmonische Integration der verschiedenen inneren Kräfte, an denen die menschliche Natur reich ist (Wille, Gefühlsleben, Instinkte usw.), in ein höheres Gleichgewicht voraus, das zum persönlichen Ich führt. Das ist kein einfaches Unternehmen, denn „im Menschen selbst sind viele widersprüchliche Elemente gegeben . . . Zwischen vielen Möglichkeiten, die ihn anrufen, muß er dauernd unweigerlich eine Wahl treffen und so auf dieses oder jenes verzichten. Als schwacher Mensch und Sünder tut er oft das, was er nicht will, und was er tun wollte, tut er nicht (vgl. Röm 7, 14 ff.). So leidet er an einer inneren Zwiespältigkeit, und daraus entstehen viele und schwere Zerwürfnisse auch in der Gesellschaft“ (Gaudium et spes, Nr. 10). 946 Botschaften und Ansprachen Gerade im Zusammenhang mit diesem Bemühen um eine einheitliche und ganzheitliche Erziehung der Person kann nun die Kirche ihr besonderes Wort sprechen und einen unersetzlichen Beitrag bieten. Denn in ihr ist Christus gegenwärtig, der für alle gestorben und auferstanden ist, der „dem Menschen Licht und Kraft durch seinen Geist schenkt, damit er einer höchsten Berufung nachkommen kann“ (ebd.). Insbesondere wenn das Wirken der Kirche im jungen Menschen die notwendige und angemessene Fähigkeit der Unterscheidung weckt, regt sie ihn dazu an, sich vor der Gefahr zu hüten, sich passiv „fertigen Rezepten“ anzuvertrauen, die ihm anziehende Ideologien liefern, und veranlaßt ihn, statt dessen persönlich über seine Grundprobleme nachzudenken, um auf diese Weise verantwortungsbewußte und konstruktive Entscheidungen reifen zu lassen. Das also ist heute die unumgängliche Forderung einer erzieherischen Präsenz der Kirche in der Welt der Universität: den Verstand zur Wahrheit zu führen, damit er nicht der tödlichen Krankheit des Relativismus unterliegt; den Willen zum Guten zu führen, indem man ihn den Einflüssen einer leeren und zusammenhanglosen Anarchie entreißt; den ganzen Menschen zur Objektivität der Werte zu führen, entgegen jeder Form von Subjektivismus, der trotz des äußeren Anscheins alles andere ist als eine Bestätigung der Würde des Menschen: „Was du erkennen willst oder zu erkennen meinst, ist für die Vervollkommung meines Verstandes nicht von Bedeutung, sondern nur das, was die Wahrheit der Sache in sich trägt“, schrieb der hl. Thomas, einer der größten Universitätslehrer {De coelo I, 107, 2). 5. Obgleich die Universität ihrem Begriff nach universal sein soll, schließt das dennoch nicht aus, daß sie tief in die Nation, in die Stadt, in der sie sich befindet, einbezogen wird. Die ganze vorangehende Überlegung soll als Grundlage für das Wirken dienen, das der Wiederherstellung einer tieferen Beziehung zwischen der Universität dieser Stadt und der Kirche von Rom gewidmet ist. Ich bin mir der Schwierigkeiten bewußt, denen die Hochschulseelsorge in einer Stadt wie der unsrigen begegnet: die unzureichenden Aufnahmemöglichkeiten, die Orientierungslosigkeit der Studenten in der Weltstadt, die religiöse Gleichgültigkeit der Umwelt, die zunehmend laizistische Kultur, das sind nur einige Stichworte, aufgrund derer man sich eine Vorstellung vom Umfang des Problems machen kann. Aber eben aus der Betrachtung dieser Stichworte sollte sich auch ein lebendigeres Bewußtsein für die Dringlichkeit ergeben, mit der man sich diesem Aspekt der Pastoral notwendigerweise stellen muß. Ich weiß, daß 947 Botschaften und Ansprachen es bereits jetzt eine ganze Reihe von kirchlichen Personen und Laien gibt, die sich in hochherzigem Einsatz diesem Bereich des kirchlichen Lebens widmen. Während ich ihnen meinen aufrichtigen Dank ausspreche, möchte ich auch an die anderen Mitglieder der Diözesangemeinde und insbesondere an den Klerus die herzliche Aufforderung richten, daß dank des Beitrags aller verstärkte Anstrengungen in dieser Richtung unternommen werden. 6. Auf den konkreten pastoralen Einsatz beziehen sich die Vorschläge, die im ersten Abschnitt dieser Begegnung gemacht wurden. Während ich die Aufgabe, ihre einzelnen Aspekte zu bewerten, den zuständigen Vikariatsämtern überlasse, damit sie einen organischen Aktionsplan ausarbeiten, möchte ich hier einige richtungweisende und praktische Kriterien darlegen, an denen sich zu inspirieren geboten scheint, wenn wirksame Entscheidungen in dieser Sache getroffen werden sollen. Ich weise vor allem darauf hin, daß die Hochschulseelsorge als solche den Bereich der gewöhnlichen Pfarrseelsorge überschreitet, auch wenn sie sich in manchen Punkten bereits mit ihr trifft und in anderen ihr vielleicht zukünftig besser begegnen könnte. Gefördert wird eine solche bessere Begegnung natürlich sowohl durch geeignete Initiativen, um die Bischöfe über die besonderen Probleme der Universitätsangehörigen zu informieren, als auch durch die Ermittlung und Entwicklung neuer Wege, die sich da und dort bereits abzeichnen (Bildung von Studentengruppen in den Pfarreien, Katechese, die den Studenten anvertraut wird, von ihnen entfaltete kulturelle Tätigkeit usw.). Außerdem ist zu betonen, daß das katholische Leben, auch in seiner substantiellen Einheit, in seinem Innern unterschiedliche Strömungen kennt, die sich zu Organisationen und Bewegungen verbinden. Es wird darauf ankommen, solche Bewegungen zu umgrenzen und ihre echte katholische Ausrichtung zu gewährleisten, was die notwendige Voraussetzung für die Anerkennung ihres Bürgerrechtes in der Kirche bildet. In dieser Sicht müssen das Apostolat und die Hochschulseelsorge betrachtet werden. In Anbetracht dessen, daß die einzelnen Bewegungen bis zu einem gewissen Punkt autonom sind (das heißt, auf ihre Weise „Kirche“ sind), ist es folglich notwendig und geboten, nach konkreten Wegen zu suchen, die ihre Eingliederung in die Diözesankirche ermöglichen. Diese Eingliederung wird unter anderem den Austausch der Erfahrungen und die abgestimmte Sicherstellung besonderer apostolischer Aufgaben gewähren müssen. Wie sollte man in diesem Zusammenhang nicht in dem jetzigen Bereich der Hochschulpastoral einen gewissen Mangel an Koordination 948 Botschaften und Ansprachen bemerken, aus dem außer einem unvermeidlichen Kräfteverschleiß die Möghchkeit folgert, daß das Zeugnis christlicher Authentizität, das so große Einwirkung auf den jugendhchen Geist hat, getrübt wird? Es handelt sich nicht - das sei ausdrücklich betont -, darum, eine Art pastorales Monopol des Diözesanzentrums unterstützen zu wollen. Das heißt, es geht nicht darum, daß das Vikariat sich sozusagen dessen „bemächtigen“ soll, was diesen Organisationen und Bewegungen eigen ist. Notwendig ist, daß die Diözese, wenn sie diese besonderen Aktivitäten unterstützt, sich zugleich darum bemüht, sie in ihr Bewußtsein und ihr Leben einzughedern. Vor Augen halten muß man sich sodann die einleuchtende Tatsache, daß solche Bewegungen und Organisationen weit davon entfernt sind, die Gesamtheit der Studenten zu umfassen. Diejenigen, die sich ihnen anschließen, sind in der Regel eine Minderheit. Es ist daher unerläßlich, pastorale Initiativen in Betracht zu ziehen, die sich an die Gesamtheit der Universitätsangehörigen wenden. Die Verwirklichung solcher Initiativen wird vor allem Aufgabe der geistlichen Assistenten der Universitätsangehörigen sein, deren Funktionen man ganz klar wird definieren müssen, wobei es außerdem festzusetzen gilt, in welchem Maße sie an die Pfarrei und an andere Seelsorgestrukturen gebunden sind und in welchem Maße sie sich hingegen als ein Spezialgremium betrachten dürfen, das sein Zentrum in der Universitätskapelle hat. Auch die Mitglieder der erwähnten Bewegungen sind persönlich aufgerufen: Das heißt, man muß über die Studenten zu den Studenten gehen. Dadurch wird die Lebendigkeit ihrer apostolischen Dynamik gewährleistet, und sie werden zugleich mit Sicherheit vor der Gefahr bewahrt, durch Abkapselung unfruchtbar zu werden. Schließlich wird die Hochschulseelsorge das Verständnis und die mehr oder weniger direkte Mitarbeit aller Komponenten der Diözesange-meinde finden müssen, weil nur aus dem verantwortungsbewußten Beitrag aller jene Erneuerung an apostolischer Dynamik erwachsen kann, die von so vielen Seiten nachdrücklich gewünscht wird. 7. Es ist nicht nötig, daß ich hier die Beispiele möglicher konkreter Entscheidungen im einzelnen anführe. Interessante Vorschläge in diesem Zusammenhang sind bereits in der Diskussion aufgetaucht; man wird sie prüfen müssen. Im Augenblick genügt es mir zu betonen, daß derartige Entscheidungen sich an drei grundlegende Aufgaben der christlichen Gemeinde anschließen müssen. 949 Botschaften und Ansprachen Zunächst die Aufgabe der Verkündigung: Neben den gewöhnlichen Formen der Katechese werden Formen entwickelt werden müssen, die unmittelbar den spezifischen Bedürfnissen der Studentenwelt entsprechen (Vorträge, Debatten, Seminare, Studientage, Exerzitien usw.). Es versteht sich von selbst, daß hier sowohl den katholischen Dozenten als auch den verschiedenen kulturellen Institutionen, die der kirchlichen Autorität unterstehen wie die Katholische Universität Sacro Cuore, wie auch den Priestern, die mit der fachlichen Kompetenz eine tiefe Kenntnis des jugendlichen Geistes und der Hochschulproblematik vereinen, eine besondere Rolle zukommen wird. Die Aufgabe der Liturgie und des Gebets: Kirche entsteht im Sakramen-tenempfang und insbesondere in der Eucharistiefeier. Auch wenn man die Universitätsstudenten zur aktiven Teilnahme an der Messe in ihrer Pfarrei einlädt, ohne eine „Elite“ bevorzugen zu wollen, wird es doch notwendig sein, für sie besondere Gelegenheiten zum Nachdenken über das Wort Gottes und eigene Gottesdienste in den wichtigsten Zeiten des Kirchenjahres vorzusehen. Um das zu verwirklichen, ist natürlich eine Planung auf Diözesanebene mit rechtzeitig vorgesehenen und gebührend bekanntgemachten Initiativen erforderlich. Die Aufgabe des Dienstes: Die „diakonia“ der Kirche muß in diesem Bereich entsprechende Formen der Entfaltung finden. Ich denke insbesondere an den wichtigen Dienst der Annahme. Einige zehntausend Studenten stammen nicht aus Rom, und über 3500 junge Ausländer sind an den römischen Fakultäten immatrikuliert. Die Kirche muß mit ihren Strukturen konkret auf die Frage antworten, die sich aus dieser großen Zahl von Personen ergibt, die außer der Möglichkeit der Unterkunft, Verpflegung auch all jene menschlichen Werte braucht, die Sympathie, Verständnis, Dialog und reibungslose Eingliederung in den neuen sozialen Rahmen heißen. Zu diesem Zweck wird es nötig sein, die Organisation der Studentenheime zu verbessern und die Kontakte mit ihnen zu verstärken, indem man sie in die Diözesanseelsorge mit einbezieht, so daß sie den Studenten nicht nur als Ausdruck religiöser Gemeinschaften, sondern auch als ein Teil der von der Ortskirche angebotenen Dienste erscheinen können. Außerdem wird man den Pf arrgemeinden ihre Verantwortung hinsichtlich der Aufnahme dieser Gruppe von Brüdern und Schwestern lebendiger zum Bewußtsein bringen müssen. Es kommt darauf an, daß sich die Studenten von auswärts und die Ausländer nicht von der Umgebung unbeachtet und noch weniger abgelehnt fühlen, in der sie sich jetzt befinden. Zu diesem Zweck werden die christlichen Familien, die diese 950 Botschaften und Ansprachen Menschen aufnehmen und somit zu ihnen ein unmittelbares und alltägliches Verhältnis haben, eine wichtige Rolle übernehmen können. Viel wird sodann von der Pfarrei als solcher geleistet werden müssen, indem sie sowohl Gelegenheiten zur Begegnung und Dialog bietet, die die nötige Synthese von Glaube, Kultur und Leben fördern, als auch die Studenten bittet, ihrerseits durch besondere Beiträge das religiöse Wachstum der Pfarrgemeinde zu unterstützen. 8. Meine lieben Brüder, das sind nur einige Hinweise zu dem, was auf diesem schwierigen Gebiet alles getan werden kann und muß. Ihr Zweck ist vor allem, mein lebhaftes Interesse und meine Wertschätzung für diesen Bereich der Diözesanpastoral und für alle, die hier ihre Kräfte mit hochherzigem Eifer einsetzen, zu bezeigen. Ich möchte, daß durch diese meine Worte jeder einzelne dazu angeregt wird, sich zu fragen, was er in seinem Sektor tun könnte, um zu einer wirksamen Präsenz der Ortskirche in der Welt der Universität beizutragen, wo so viele Menschen, gerade, weil sie sich mit einzigartigem Eifer und Engagement der Suche nach der Wahrheit hingeben, auch unwissentlich nach der absoluten Wahrheit suchen, die Christus ist. Ihm vertraue ich eure gemeinsamen pastoralen Sorgen und gemeinsamen Hoffnungen an. Möge er durch die Fürsprache seiner Mutter, die wir heute mit dem schönen Beinamen Mater sapientiae, Mutter der Weisheit, anrufen wollen, jedem von euch das notwendige Licht schenken, um hochherzig die erforderlichen Schritte zu unternehmen, die die konkrete Durchführung erfordern wird. Mit diesen Wünschen erteile ich euch allen wie auch den Priestern, die bei unserer Begegnung nicht anwesend sind, von Herzen den Apostolischen Segen. (O.R. 10. 3. 82) Stets die heilige Armut lieben! Ansprache an die internationale Versammlung der Generalobem und -Oberinnen der franziskanischen Drittordens-Institute am 8. März Liebe Töchter und liebe Söhne! 1. Ich danke der Präsidentin eurer Versammlung, Schwester Elisabeth Delor, für ihre Worte voller Ergriffenheit und franziskanischer Einfachheit. Und ich freue mich, alle, Generaloberinnen und Generalobem von 951 Botschaften und Ansprachen nahezu 200 Franziskanerkongregationen zu begrüßen, ebenso begrüße ich auch diejenigen, die euch begleiten und euch bei eurer Arbeit helfen. Ein besonders herzlicher Gruß gilt selbstverständlich den beiden Generaloberinnen aus Polen, denen es nach Überwindung zahlreicher Schwierigkeiten gelungen ist, sich euch anzuschließen. Nach euren beiden Treffen in Assisi in den letzten Jahren wolltet ihr die gegenwärtige Versammlung in Rom abhalten, um zu unterstreichen, daß ihr wie euer geistiger Vater Franziskus „der heiligen Mutter Kirche und dem Herrn Papst Treue und Gehorsam“ bekundet. Diese Haltung ist um so bedeutsamer, als ihr euch zum Ziel setzt, die Regel der Drittordens-Institute des hl. Franziskus in Übereinstimmung mit den Richtlinien des Zweiten Vatikanischen Konzils zu erneuern und den Entwurf dem Hl. Stuhl zur Billigung vorzulegen. Bei der Abfassung dieses Regelentwurfs bedient ihr euch der Worte des hl. Franziskus selbst; aber diese buchstäbliche Treue ist nur Zeichen und Ausdruck der Rückkehr zu den lebendigen Quellen des franziskanischen Charismas, das sich im Leben des hl. Franziskus und seiner ersten Brüder, im Leben zahlreicher Heiliger der franziskanischen Bewegung im Laufe der Jahrhunderte und ganz besonders in denen des vielgestaltigen Drittor-dens-Zweiges der Regularen kundtut. Die lebendigen Quellen eures Charismas sind noch immer das intensive Gebetsleben, die Kontemplation und die apostolische Kraft eurer Kongregationen mit der erneuerten Sorge um eine ständige evangelische Umkehr. Die lebendige Quelle ist vor allem das Wirken des Heiligen Geistes in euren Bruderschaften, ein Wirken, von dem euch der hl. Franz gesagt hat, daß man es vor allen anderen Dingen ersehnen und begehren müsse (vgl. Reg. B, 11, 8) und von dem ich zu meiner Freude ein Zeichen eben in eurer Versammlung erkennen kann. 2. Denn ihr seid aus allen Kontinenten gekommen; ihr vertretet 30 Länder, die sich oft durch ihre Kultur und ihre Lebensweise unterscheiden. Außerdem weisen eure Kongregationen selbst untereinander große Unterschiede auf. Nur der Heilige Geist, der „Gemeinschaft“ bedeutet, ist in der Lage, in einer derartigen Vielfalt eure Einheit sicherzustellen. Dadurch kommt zugleich auch der universale - also kirchliche - Charakter des franziskanischen Charismas zum Ausdruck. Es ist einfach deshalb universal, weil es tief im Evangelium und in der Kirche wurzelt. Deshalb ist es so reich, daß es sich nur durch mehrere Orden, Kongregationen und Organisationen vollständig ausdrücken kann. In diesem großen Konzert vielfältiger Harmonien nimmt der Dritte Orden mit seinen zahlreichen 952 Botschaften und Ansprachen Instituten neben dem Ersten Orden, den Klarissinnen und dem Säkularorden des hl. Franziskus einen hervorragenden Platz ein. Schließlich ist es kein Zufall, daß ihr gemeinsam diese wichtige Versammlung - zweifellos die erste dieser Art in der ganzen Geschichte der franziskanischen Bewegung - im achthundertsten Geburtsjahr des hl. Franziskus abhaltet. Ihr wolltet damit deutlich machen, daß dieses Jubläum nicht bloß Anlaß ist, eine glorreiche Vergangenheit zu feiern, sondern vor allem die Richtung zu weisen für einen neuen Aufschwung und einen neuen Fortschritt eurer Institute. In diesem Geist möchte ich nun einige Worte an euch richten, um euren Weg in Richtung auf die Erneuerung, wie sie vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewünscht wurde, besser zu sichern. 3. Im Aprü 1226 war Franziskus in Siena, wo er sich wegen einer schweren Krankheit behandeln ließ. Sein Zustand verschlimmerte sich so, daß die Brüder fürchteten, ihn zu verlieren. Da diktierte ihnen Franziskus kurz seinen letzten Willen: „Schreibe, daß ich alle meine Brüder segne, diejenigen, die unserem Orden bereits angehören, und jene, die bis zum Ende des Jahrhunderts noch dazukommen werden. Da ich wegen der Schwäche und der Schmerzen der Krankheit nicht mehr sprechen kann, gebe ich meinen Brüdern meinen Willen kurz in folgenden drei Sätzen bekannt: nämlich, daß sie zum Zeichen und zur Erinnerung an meinen Segen und mein Testament immer einander lieben; daß sie stets unsere Herrin, die heilige Armut, lieben und ihr folgen; und daß sie sich immer den Prälaten und allen Klerikern der heiligen Mutter Kirche gegenüber treu und gehorsam erweisen.“ Das also sind die drei Empfehlungen, die euch euer Vater in der Stunde gemacht hat, da er sich dem Tode nahe sah. Denken wir gemeinsam kurz über sie nach. 4. „Sie sollen einander immer lieben.“ Angesichts seines nahen Todes hat Franziskus sicherlich über all das meditiert, was Jesus während der letzten Stunden seines Erdenlebens gesagt und getan hat. Seit Jahren hatte er sich in seinem Leben ganz nach Christus gerichtet; er wollte ihm gleich werden bis in den Tod. Man darf also annehmen, daß diese Weisung das Echo der Worte des Herrn an seine Jünger in seiner Abschiedsrede ist: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh. 13, 34). Daß ihr einander liebt wie Brüder und Schwestern, das ist ganz der Wille eures Vaters Franziskus, aber man muß hinzufügen, daß Franziskus keinen anderen als den Willen Jesu hatte. 953 Botschaften und Ansprachen Geliebte Töchter und Söhne, ihr habt gewiß die Bedeutung der gegenseitigen Liebe für eure Versammlung gespürt. Ich sagte soeben, daß nur der Heilige Geist die Einheit erhalten kann. Ich füge jetzt hinzu, daß es die brüderliche Liebe ist, die diese Einheit begründet. Ihr könnt euch nicht darauf beschränken, eine Studien- und Forschungsgruppe zu bilden. Ihr seid zuerst Brüder und Schwestern, die sich zusammenfinden, um sich in gegenseitiger Liebe in Christus zu heben. Haltet fest, daß dies auch euer erstes Angebot ist: unter den Menschen ein Leben nach dem Evangelium in brüderlicher Liebe zu leben. Könnten die Menschen unserer Zeit, wenn sie euch sehen, die Bewunderung wiederfinden, die man für die ersten Christen hatte: „Seht, wie sie einander heben!“ Dann werdet ihr in unserer zerrissenen Welt zu wirksamen Propheten ihrer Einheit durch die brüderliche Gemeinschaft. 5. Die zweite Weisung, die der hl. Franziskus euch hinterlassen hat, lautet, „stets unsere Herrin, die heihge Armut, zu heben und ihr zu folgen“. Wenn er hier die Armut eine „Herrin“ (domina) nennt und sie als „heilig“ bezeichnet, tut er das nicht deshalb, weil er in ihr die Braut des ganz „heiligen Herrn“ (Dominus) Jesus Christus sieht? Sie war seine treue Gefährtin von seiner Geburt in der Krippe bis zu seinem Tod am Kreuz. Und das genügte gewiß, damit Franziskus die Armut mit leidenschaftlicher Liebe hebte. Aber da kommt noch etwas dazu. Wenn Jesus die Herrin Armut zur Braut hat, dann unsertwegen: „Er wurde euretwegen arm“, schrieb der hl. Paulus an die Korinther (2 Kor 8, 9); unsertwegen ist er arm geworden! Nur die vollkommene Armut hat es ihm möghch gemacht, die Schranken zu überwinden, die uns von ihm trennten, und unser älterer Bruder zu werden, sich sozusagen mit uns auf gleichen Fuß zu stellen. Die Armut Jesu, der sich selbst entäußerte und Sklavengestalt annahm (vgl. Phil 2, 7), ist das Maß seiner Liebe zu uns. Wenn ihr also in der Weise des hl. Franziskus Christus nachfolgen wollt, müßt ihr dieser radikalen Forderung der Liebe folgen, die alles hingibt, um auch für den geringsten und fernsten Bruder verfügbar zu sein. Nur die vollkommene Armut vermag euer Herz dafür bereitzumachen, daß ihr Gott und die Menschen, eure Brüder, mit einer Liebe liebt, die der Liebe Jesu ähnlich ist. Und umgekehrt kann nur das tiefe Verlangen, Gott und die Menschen zu lieben, zur Armut des Herzens führen. Die Bekehrung zur Liebe und die Bekehrung zur Armut sind nicht voneinander zu trennen. Lebt eure Armut in dieser Sicht der Liebe, und ihr werdet sie auch voll Freude leben! Denn sie wird euch davon abhalten, aus euren Bruderschaf - 954 Botschaften und Ansprachen ten Kommunitäten zu machen, die sich abkapseln; sie wird sie, im Gegenteil, öffnen, damit ihr Licht nach außen strahlt. 6. Schließlich legt euch der hl. Franziskus ans Herz, euch stets „den Prälaten und allen Klerikern der heiligen Mutter Kirche gegenüber treu und gehorsam“ zu erweisen. Was diesen Punkt betrifft - wie auch über alle anderen Punkte -, hat euer Vater mehr durch sein Beispiel als durch sein Wort gesprochen. Er stand sein ganzes Leben in kindlicher und vertrauensvoller Beziehung zu dem Bischof von Assisi; er hat seine Pläne immer dem Hl. Stuhl zur Billigung vorgelegt; er wollte einen Kardinal haben, der vom Papst eigens damit beauftragt wurde, die Brüder zu unterstützen und zu korrigieren; er verehrte jeden Priester um das Leibes und Blutes des Herrn willen, dessen Verwalter er ist {vgl. Testament). Aber das Umgekehrte ist ebenso wahr. Die Kirche ist Franziskus und der franziskanischen Bewegung treu gebheben. Sie hat dazu beigetragen, ihr die Ausstrahlung zu verleihen, die sie hatte und noch heute in der Welt hat. Den Prälaten und Klerikern - das heißt den Bischöfen und Priestern -treu zu sein, bedeutet zuerst, ihnen bei der Verantwortung, die sie in der Kirche tragen, mit dem Herzen nahezustehen; sie durch euer Gebet zu unterstützen und in Gemeinschaft mit ihnen zu bleiben in dem Glauben, den euch zu übermitteln ihre Aufgabe ist. Treu und gehorsam zu sein bedeutet auch, daß ihr euren Einfallsreichtum und eure Kreativität in die Tat umsetzen müßt, um die großen Richtlinien, die vom Konzil, vom Papst und von den Bischöfen gegeben wurden, im konkreten Leben zu verwirklichen. Der Gehorsam, der von euch gefordert wird, ist aktiv und verantwortlich (vgl. Ermahnung 3). Setzt also hochherzig eure Kräfte im Dienst der Orts- und Universalkirche ein. Laßt eure Bischöfe nicht allein. Nehmt entsprechend eurem Charisma an ihrem Apostolat teü, wie es übrigens die Jünger des hl. Franziskus getan haben, wenn sie dem Volk der Dörfer und Städte nahe waren und sich ihm anglichen. Die Evangelisierungsarbeit ist grenzenlos - in den traditionell christüchen Ländern, die manchmal entchristlicht sind, und ebenso in den jungen Kirchen und den Missionsländem! Liebe Töchter und Söhne, ich hoffe, daß diese wenigen vom Testament von Siena inspirierten Überlegungen euch anspornen und helfen werden, euren Entwurf einer erneuerten Regel für alle Drittordens-Institute fertigzustellen. Seit mehreren Jahren studiert ihr und denkt nach über die Schritte des hl. Franziskus, der Lehrer franziskanischer Spiritualität, und die so abwechslungsreiche Geschichte der franziskanischen Bewegung. Ihr fühlt euch nunmehr dazu in der Lage, diesen ganzen Fragenkomplex 955 Botschaften und Ansprachen in einem zweifellos kurzen, aber dynamischen und eure Lebensformen tief inspirierenden Text wieder aufzugreifen. Wenn der Augenblick gekommen ist, diesen Entwurf dem Hl. Stuhl zur Prüfung und Billigung zu unterbreiten, dürft ihr gewiß sein, daß ich die Frucht so vieler Arbeit mit Freude aufnehmen werde. Setzt daher diese Arbeit in der Freude und dem Frieden fort, die dem hl. Franziskus so teuer gewesen sind. Seid überzeugt, daß der Heilige Geist und die Kirche von euch dieses Zeugnis einer lebendigen Treue zum Charisma und zur Botschaft des Poverello von Assisi erwarten. Wie der hl. Franziskus segne ich euch von ganzem Herzen! (O.R. 8J9. 3. 82) „Bewahre die Herde in der Treue zu Dir“ Ansprache beim „Ad-limina“-Besuch von fünf Bischöfen aus der Tschechoslowakei am 11. März Ehrwürdige Brüder im Bischofsamt! Ich heiße euch, die ihr aus dem Herzen Europas zum Besuch der Apostelgräber hierhergekommen seid, mit dem Gruß des Apostels Paulus willkommen: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen“ (2 Kor 13,13). 1. Ihr vertretet den Teü der Kirche, der vor elfhundert Jahren von den Heiligen Kyrill und Method, zwei Vorbildern an missionarischem Eifer, zwei Leuchten, die der gesamten Kirche zur Zierde gereichen, aufgebaut wurde. Für ihre Verdienste bei der Evangelisierung Osteuropas, vor allem der slawischen Völker, habe ich sie im Dezember 1980 an der Seite des hl. Benedikt, des Patriarchen des abendländischen Mönchtums, zu Mitpatronen Europas erklärt, um den gemeinsamen geistigen Ursprung der europäischen Völker und die Notwendigkeit ihrer Verbundenheit in der Pflege jener großen Werte zu unterstreichen, die den Seinsgrund ihrer Geschichte und ihrer christlichen Kultur bilden. Der hl. Kyrül starb bekanntlich im Jahre 869 hier in Rom und wurde in der Basilika San Clemente bestattet, wo er noch immer geehrt und verehrt wird. Sein Bruder Method hingegen kehrte in das Land ihres gemeinsamen apostolischen Wirkens zurück, um das er sich mit allen Kräften bis zu seinem Tod im Jahre 885 bemühte. Er wurde in Velehrad in Mähren begraben. 956 Botschaften und Ansprachen So werden an den Stätten des Todes und des Grabes der beiden Schutzheiligen gewissermaßen die engen und ständigen Beziehungen bezeugt, die eure Völker mit dem Apostolischen Stuhl verbinden und immer verbunden haben, der den Vorsitz in der Gemeinschaft der Liebe aller Kirchen führt. Wie in dem Brief, der in meinem Auftrag vom Kardinalstaatssekretär am 2. 7. 1981 an die Gläubigen der Tschechoslowakei gesandt wurde, ausgeführt wird, sind die Heiligen Kyrill und Method -„ihrer Herkunft nach Griechen, im Herzen Slawen, vom römischen Bischof rechtmäßig ausgesandt - ein leuchtendes Beispiel christlicher Universalität. Jener Universalität, die die Schranken niederreißt, den Haß auslöscht und alle in der Liebe Christi, des universalen Welterlösers, vereint“ (vgl. O.R.dt. vom 14. 8.1981, S. 14). Ihr eifriges Wirken, das von den Schülern fortgesetzt wurde, hat im Bewußtsein eurer Völker tief Wurzel geschlagen und trotz der Schwierigkeiten der Vergangenheit das Leben der Kirche in hellem Glanz und in voller Heiligkeit erblühen lassen. Bereits in der Frühzeit der Evangelisierung der slawischen Völker erstrahlte das apostolische Zeugnis des hl. Gorazda, des Nachfolgers des hl. Method. Wir haben das Beispiel der hl. Ludmilla vor Augen, die in der Person ihres Enkels, des hl. Wenzels, nicht nur einen weisen und umsichtigen König für ihr Volk erzog, sondern auch einen überzeugten Förderer des eucharistischen Kultes und der Nächstenliebe. Die selige Agnes von Prag - daran habe ich anläßlich der 700. Wiederkehr ihres Todesjahres in einem eigenen Schreiben am 2. Februar erinnert - hat die himmlischen Dinge dem irdischen Ruhm vorgezogen und ein Leben franziskanischer Demut und Armut gewählt. Der hl. Johannes von Nepomuk, der seiner Priesterberufung bis zum Märtyrertod treu blieb, verteidigte mutig die Rechte und die Freiheit der Kirche und bezeugte seine Hingabe an das Volk Gottes mit seinem Blut. Schließlich haben die seligen Märtyrer von Kosice ihre Treue zu Christus und zur Kirche mit dem Opfer ihres Lebens besiegelt. Das Gedächtnis der Heiligen Kyrill. und Method ist in der Dankbarkeit eures christlichen Volkes stets lebendig gebheben, und der Einfluß ihres Denkens in der Spiritualität und in Gebet und Gesang ist noch immer sehr groß. Eine besondere Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang der Diener Gottes Anton Cyril Stojan, Erzbischof von Olmütz, ein Mann von außergewöhnlicher Güte und Treue gegenüber dem Hl. Stuhl, der in unserer Zeit in eurem Land die Gedanken der Heiligen Kyrill und Method verbreitet und unter den Slawen den Ökumenismus gefördert hat. Von der Lebendigkeit und dem Dynamismus dieser Spiritualität zeugt auch die Tatsache, daß eure Gläubigen sowohl in der Tschechoslowakei 957 Botschaften und Ansprachen wie in Amerika und Kanada den beiden Heiligen zahlreiche Pfarrkirchen geweiht haben. 2. Diese unsere Begegnung, ehrwürdige Brüder, die eure Verbundenheit zum Stellvertreter Christi zum Ausdruck bringt, gibt mir Gelegenheit, kurz einige positive Aspekte des religiösen Lebens eurer Diözesen zu erwähnen. Ich denke vor allem an die Intensität des geistlichen Lebens so vieler christlicher Familien, die eurer seelsorglichen Obhut anvertraut sind, die die Gnade des Glaubens bewahren, ihrer christlichen Berufung treu bleiben und die Wirksamkeit des gemeinsamen Gebets für die Heiligung ihres Ehe- und Familienlebens erkennen. Die Familie, die miteinander betet, bleibt fest im Herrn vereint. Trostreich ist die Zunahme der Zahl derer, die die heilige Eucharistie empfangen und der Sonntagsmesse beiwohnen. Darüber hinaus ist ein beachtliches religiöses Wiedererwachen bei der Jugend festzustellen, die nach einer befriedigenden Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und den Anforderungen des Menschen im Lichte des Evangeliums sucht. Kommt den Bedürfnissen dieser jungen Menschen stets willig entgegen und nährt sie reichlich mit dem Wort Gottes, das eine Antwort bietet, die ihr Herz ganz und gar zu befriedigen vermag. Nicht weniger bedeutsam und trostreich ist die Tatsache, daß in euren Diözesen die Verehrung der Muttergottes weiterbesteht, ja zunimmt. Davon zeugen die verschiedenen Marienheiligtümer, die jedes Jahr von unzähligen Gläubigen besucht werden. Mein Gebet geht dahin, daß Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, alle eure Landsleute, die sich an sie wenden, beschütze. 3. Während ich mich euren Freuden und Hoffnungen anschließe, muß ich auch an den Sorgen und Problemen eures Bischofsamts teilnehmen, die jeder von euch mir persönlich darlegen konnte. a) Eure gemeinsame Anwesenheit anläßlich des „Ad-limina“-Besuches ist für mich Grund zur Freude und Dankbarkeit an Gott, in dessen Hände das Schicksal jedes Menschen und aller Völker gelegt sind. Aber wenn ich sehe, daß ihr nur fünf seid, kann ich nicht umhin, mich zu fragen: „Wann wird der Augenblick kommen, wo die Bischöfe aller tschechoslowakischen Diözesen hier sein können?“ Der Umstand, daß die meisten Diözesen in eurem Land noch immer vakant sind, erfüllt mein Herz mit tiefem Schmerz. Ich meinerseits werde, das versichere ich euch, keine Anstrengung scheuen - wie ich selbst und meine Vorgänger es schon bisher getan haben -, damit die Kirchenbezirke eurer Heimat - von denen viele schon seit Jahren, ja seit Jahrzehnten ohne Bischof sind - eigene 958 Botschaften und Ansprachen würdige Bischöfe erhalten, die, wahren Vätern gleich, die Priester und ihnen anvertrauten Gläubigen entsprechend den Bedürfnissen und dem angestammten Recht der Kirche Christi leiten. b) Ein weiteres Problem betrifft die Zahl der Priester, die für eine angemessene Seelsorge der Gläubigen nicht ausreichen. Viele, sehr viele Pfarreien sind schon lange Zeit ohne Pfarrer, und alles läßt leider befürchten, daß ihre Zahl in der Zukunft immer noch zunehmen wird. Mit tiefer Freude habe ich gehört, daß viele eurer Mitarbeiter gute, treue und eifrige Priester sind, die sich selbstlos und mit außerordentlicher Hingabe an den Dienst am Gottesvolk engagieren. Aber größtenteils stehen sie schon in vorgerücktem Alter und befinden sich nicht selten in schlechtem Gesundheitszustand, während von ihnen verlangt wird, eine wachsende Last apostolischer Mühen zu tragen. Ihnen will ich durch euch meine lebhafte Anerkennung und mein herzliches Gedenken im Gebet zum Ausdruck bringen, damit der Herr sie unterstütze und ihnen helfe, die „Last des Tages“ in seinem Weinberg hochherzig zu tragen. Der Herr selbst wird ihr Lohn sein. c) In enger Verbindung mit dem Mangel an Geistlichen stellt man sich die Frage nach den Priesterseminaren und der Priesterausbildung, auf die ich Bezug nehmen muß, handelt es sich doch um ein für das Leben der Kirche wesentliches Problem. Im vergangenen Dezember habe ich ein Schreiben an euch gerichtet, in welchem ich die Pflicht der Bischöfe bekräftigte, dafür zu sorgen, daß die Priesteramtskandidaten in den Seminaren eine angemessene geistliche, theologische und pastorale Vorbereitung erhalten; ihnen obliegt es, ihrem Gewissen entsprechend die Obern und die Professoren zu ernennen und in die Seminare je nach den Bedürfnissen ihrer Diözesen diejenigen aufzunehmen, von denen sie glauben, daß sie die Berufung zum Priestertum besitzen (vgl. Päpstliches Schreiben vom 31. 12. 1981). Mit Schmerz muß man feststellen, daß die Zahl der Seminaristen keineswegs den tatsächlichen Bedürfnissen eurer Diözesen entspricht, und zwar nicht, weil es an Berufen mangeln würde, sondern vielmehr wegen Umständen, die von eurem Willen unabhängig sind. Wie schon in dem erwähnten Brief will ich auch jetzt „meine aufrichtige Solidarität mit jenen jungen Menschen zum Ausdruck bringen, die mit soviel Glauben und so großer Hochherzigkeit dem göttlichen Anruf folgen und oft mit Geduld auf den Augenblick warten müssen, in dem sie ihre priesterlichen Ideale verwirklichen können“ (ebd.). Die ernste Situation, die in der Seelsorge entstanden ist, erfordert eine ständige Gebetsinitiative in allen Pfarreien und Gemeinden, um den 959 Botschaften und Ansprachen Herrn der Ernte anzuflehen, daß er viele hochherzige junge Menschen zum Priestertum berufe und bewirke, daß diese ungehindert ihrer Berufung entsprechen können. d) Ein weiteres Problem von dringender Wichtigkeit ist die angemessene Jugend- und Familienkatechese. Die Aufmerksamkeit sämtlicher Bischöfe der Welt ist heute auf den Religionsunterricht der Jugend gerichtet bei Vertiefung des Studiums der Probleme der jungen Generationen und der Suche nach den geeigneten Wegen, um ihnen zu helfen, Antworten auf ihre grundlegenden Bedürfnisse zu finden und um sie vor den hinterhältigen Gefahren der modernen Welt zu schützen. Ich weiß wohl, daß es in euren Gemeinden einen Kern gesunder und gut ausgebü-deter Jugendlicher gibt, die sich darum bemühen, ihre Probleme im Licht der offenbarten Wahrheiten zu lösen und zugleich zu großen Opfern für ihre Ideale bereit ist. Andererseits kenne ich die Verhältnisse, in denen ihr euch befindet, ehrwürdige Brüder, um eure Pflicht auszuüben und den Jugendlichen eurer Heimat eine angemessene religiöse Erziehung sicherzustellen. Trotz allem müßt ihr als gute Hirten der Herde Christi weiterhin versuchen, auf bestmögliche Weise eurer Verpflichtung nachzukommen und allen, die es verlangen, eine solide Kenntnis des Glaubens zusammen mit einer gründlichen Vorbereitung auf das sakramentale Leben zu gewährleisten. Eingedenk der Worte des hl. Paulus an seinen Schüler Timotheus: „Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht“ (2 Tim 4, 2) müßt ihr diesen Dienst für eure Gläubigen leisten, denn, wie derselbe hl. Paulus ausrief, „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (I Kor 9, 16). Wir wissen, ehrwürdige Brüder, daß die Arbeit der Kirche in der Jugendkatechese nicht voll gelingen kann ohne den unmittelbaren Beitrag der Familie. Unser Vorgänger ehrwürdigen Andenkens, Paul VI., hat geschrieben: „Die Familie wie die Kirche muß ein Raum sein, wo das Evangelium ins Leben übersetzt wird und wo daher dieses Evangelium aufleuchtet. Im Schoße einer Familie, die sich dieser Sendung bewußt ist, verkünden alle Familienmitglieder das Evangelium, und es wird ihnen verkündet. Die Eltern vermitteln nicht nur ihren Kindern das Evangelium, sie können dieses gleiche Evangelium auch von ihnen empfangen, und zwar als tief gelebtes Evangelium. Eine solche Familie wirkt auch verkündend auf zahlreiche weitere Familien und das Milieu, zu dem sie gehört“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 71; in Wort und Weisung 1975, S. 590). Indem sie meinen Appell von Puebla aufgriff, wiederholte die Synode, daß die künftige Evangelisierung großenteils von der Hauskirche abhängt, weil „die absolute Notwendigkeit einer Katechese im Rahmen der Familie, 960 Botschaften und Ansprachen sich mit besonderer Dringlichkeit in bestimmten Situationen ergibt, welche die Kirche mit Bedauern mancherorts vorfindet“ (Familiaris consor-tio, Nr. 52). Man muß sich daher alle Mühe geben, um auch die natürliche und religiöse Beständigkeit der Familie zu bewahren, damit sie weiterhin das Geschenk des Glaubens mitteilt und in den Kindern zur Entfaltung bringt. Der Industrialisierungsprozeß, der auch in eurem Land vor sich geht, hat oft negative Auswirkungen für die Familie. Die Veränderungen in der wirtschaftlich-sozialen Ordnung, die von der Industrialisierung verursacht werden, bringen das traditionelle Familienleben in Gefahr und lockern seine Bande. Wegen der Arbeit der Eltern, die oft zu verschiedenen Zeiten geleistet wird, sind die Mitglieder der Familie nur kurz und selten zusammen, was ihrer Einheit beträchtlichen Schaden zufügt. Mit diesem Problem habt ihr euch in eurem Hirtenbrief zum Weihnachtsfest des vergangenen Jahres mit Recht beschäftigt, indem ihr die christlichen Eheleute dazu aufgefordert habt, ihren Kindern gegenüber den Glauben und die Liebe Christi zu bezeugen (Katolicke Noviny, 51-52, 1981). e) Schließlich kann ich nicht die Mitglieder der männlichen und weiblichen Orden und Ordensgenossenschaften vergessen. Ich weiß um ihre Lebensbedingungen und das Leid ihrer Seele. Zu ihnen gehen unaufhörlich meine liebenden Gedanken und mein Gebet, da ich weiß, wie sehr ihr Herz, das sie bei der Ablegung der Ordensgelübde dem Herrn dargeboten haben, glühend herbeisehnt, jener Weihe gemäß leben und wirken zu können. Ihr könnt begreifen, was ich gern alles tun würde, um einer so berechtigten und heiligen Erwartung zu entsprechen. Ich wollte euch, ehrwürdige Brüder, diese Gedanken über eure Freuden und Hoffnungen, Schwierigkeiten und Sorgen mitteüen. Ehe ich von euch Abschied nehme, will ich noch an das Gebet erinnern und es mir zu eigen machen, das der hl. Kyrill kurz vor seinem Tod seinen geistlichen Söhnen hinterlassen hat: „Herr, mein Gott, höre mein Gebet und bewahre die Herde in der Treue zu dir . . . Verbinde alle in der Einheit und laß dieses ausgezeichnete Volk in wahrem Glauben und rechtem Bekenntnis über-einstimmen . . .“ ( Vita Constantini, XVIII, 8-11; Fontes, ed. F. Grivec-F. Tomcic: Radovi Staroslovanskog Instituta, IV, Zagreb 1960). Diese schönen und wertvollen Worte sind nur ein Widerhall der Gefühle des Herzens des göttlichen Erlösers, wie sie in dem Hohenpriesterlichen Gebet beim Letzten Abendmahl zum Ausdruck kommen: „Ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, 961 Botschaften und Ansprachen sollen auch sie in uns eins sein ... So sollen sie vollendet sein in der Einheit“ (Joh 17, 20-23). Ich wünsche euch von Herzen, daß ihr immer untereinander und mit euren Priestern und Gläubigen vereint bleibt, indem ihr sie unerschütterlich im Bekenntnis des wahren Glaubens und in der Treue zu Christus, zur Kirche und zu diesem Apostolischen Stuhl bewahrt. Ich vertraue diesen Wunsch der Fülle der Liebe und des Friedens Christi für euch alle dem Herrn an und erteüe euch, euren Priestern und Seminaristen, den Ordensmännern und Ordensfrauen und allen Gläubigen meinen besonderen väterlichen Apostolischen Segen. (O.R. 12.3.82) „Franziskus, halte den Fall deines Volkes auf!“ Predigt bei der Messe in der Unterkirche in Assisi am 12. März 1. „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast“ (Mt 11, 25). Wir kommen hierher, liebe Brüder, um mit dem Herrn Christus diese Worte zu wiederholen, um „den Vater zu preisen“; - wir kommen, um ihn zu preisen für das, was er vor achthundert Jahren einem „Kiemen“, dem „Poverello“ von Assisi, offenbart hat; - die Dinge im Himmel und auf Erden, die sich die Philosophen „nicht einmal hätten träumen lassen“, - die Dinge, die denen verborgen sind, die nur im menschlichen Sinne „weise“ und nur im menschlichen Sinne „klug“ sind, - die „Dinge“ hat der Vater, der Herr des Himmels und der Erde, dem Franziskus und durch Franziskus offenbart. Durch Francesco di Pietro di Bemardone, den Sohn eines reichen Kaufmannes in Assisi, der das gesamte Erbe des irdischen Vaters auf gab und „Frau Armut“ zur Braut nahm, das Erbe des himmlischen Vaters, das sich ihm im gekreuzigten und auferstandenen Christus anbot. Der erste Zweck unserer diesjährigen Pügerfahrt nach Assisi besteht darin, Gott Ehre zu erweisen. Im Geist der Ehrfurcht feiern wir auch gemeinsam die Eucharistie, wir alle, die Bischöfe der Kirche in Italien mit dem Bischof von Rom und Nachfolger Petri. 962 Botschaften und Ansprachen 2. „Ja, Vater, so hat es dir gefallen“ (Mt 11, 26). Über sechs Jahrhunderte sind die Reliquien und die Erinnerungen erhalten gebheben. Ganz Assisi ist eine lebendige Reliquie und gibt Zeugnis vom Menschen. Nur vom Menschen? Nur von diesem ungewöhnlichen Menschen? - Es gibt Zeugnis von dem besonderen Gefallen, das der himmlische Vater durch seinen eingeborenen Sohn an diesem Menschen, an diesem „Kleinen“, an dem „Poverello“, an Franziskus gefunden hatte, der - wie nur wenige im Laufe der Geschichte der Kirche und der Menschheit - von Christus gelernt hat, freundlich und demütig von Herzen zu sein. Ja, Vater, an diesem Menschen hast du GefaUen gefunden. Viele Menschen kommen hierher, um den Spuren deines Gefallens zu folgen. Heute kommen wir, die Bischöfe Italiens, hierher. Wir sind gekommen, um im Jubüäumsjahr des hl. Franz von Assisi das Werk abzuschließen und zugleich zu krönen, das sich während des ganzen Jahres abspielte, nämlich die „Ad-limina“-Besuche, wozu die Tradition und das Gesetz der Kirche unsere Bischöfe gerade in diesem Zeitraum aufgefordert haben. 3. Wir befinden uns hier in Gegenwart des Heiligen, der gleichzeitig der Patron Italiens ist, also derjenige, der unter den zahlreichen heilig- und seliggesprochenen Söhnen und Töchtern dieses Landes in besonderer Weise Italien mit der Kirche verbindet. Denn Aufgabe der Kirche ist es, in jeder Nation die Berufung zur Heiligkeit zu verkünden und zu verwirklichen, die wir vom Vater im Heiligen Geist durch den gekreuzigten und auferstandenen Christus erhalten haben; durch jenen Christus, dessen Wunden der hl. Franz von Assisi an seinem Körper trug: „Denn ich trage die Zeichen Jesu an meinem Leib“ (Gal 6, 17). Wir befinden uns also in seiner Gegenwart und betrachten Satz für Satz die Worte des Evangeliums: „Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11, 27). Wir stehen also vor einem Menschen, dem der Sohn Gottes in besonderer Weise und einzigartiger Fülle das offenbaren wollte, was ihm vom Vater für alle Menschen und für alle Zeiten übergeben wurde. Gewiß wurde Franziskus mit dem Evangelium Christi vor allem in seine Zeit gesandt, in den Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert, in das italienische Hochmittelalter, das eine glänzende und zugleich schwierige Zeit war: Aber jede Epoche hat sich davon etwas bewahrt. Doch die franziskanische Sendung ging damals nicht zu Ende; sie dauert noch heute fort. 963 Botschaften und Ansprachen Und so beten wir, Bischöfe und Hirten der Kirche, denen das Evangelium und die Kirche unserer scheinbar so großartigen und, was das Ausmaß des irdischen Fortschritts betrifft, so weit vom Mittelalter entfernten und zugleich doch so unendlich schwierigen Zeit in diesem selben Italien anvertraut sind, vor allem um eines. Wir beten darum, daß sich an uns dieselben Worte unseres Meisters erfüllen mögen, die sich an Franziskus erfüllt haben; daß wir die sicheren Bewahrer der Offenbarung des Sohnes seien; daß wir die treuen Verwalter dessen seien, was der Vater selbst dem eingeborenen Sohn übergeben hat, der durch das Wirken des Heiligen Geistes von der Jungfrau Maria geboren wurde; daß wir Verwalter dieser Wahrheit und der Liebe, des Wortes und des Heils seien, die die ganze Menschheit und jeder Mensch und jedes Volk in ihm und von ihm haben, denn „niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ {Mt 11,27). Das ist der pastorale und apostolische Zweck unserer heutigen Püger-fahrt. 4. Und so scheint sich Franziskus mit den Worten des Apostels Paulus an uns zu wenden und zu uns zu sprechen: „Die Gnade Jesu Christi, unseres Herrn, sei mit eurem Geist, meine Brüder!“ {Gal 6, 18). Dank sei dir, „Poverello“, für diese Wünsche, mit denen du uns empfängst! Indem wir mit den Augen des Geistes auf deine Gestalt blicken und über die Worte des Galaterbriefes nachdenken, mit denen die heutige Liturgie zu uns spricht, möchten wir von dir diese „Zugehörigkeit zu Jesus“ lernen, für welche dein Leben ein so vollkommenes Beispiel und Vorbild darstellt. „Ich aber will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt“ {Gal 6, 14). Wir hören die Worte von Paulus, die auch deine Worte sind, Franziskus. Dein Geist kommt darin zum Ausdruck. Jesus Christus hat so wie einst jenem Apostel, der zu seinem „auserwählten Werkzeug“ wurde {Apg 9, 15), auch dir zugestanden, sich allein und ausschließlich des Kreuzes unserer Erlösung „zu rühmen“. Auf diese Weise bist du zum innersten Kern der Wahrheitserkenntnis über Gott, über die Welt und über den Menschen gelangt; zur Erkenntnis der Wahrheit, die sich nur mit den Augen der Liebe erkennen läßt. Nun, da wir vor dir stehen als Nachfolger der Apostel, gesandt zu den Menschen von heute mit demselben Evangelium vom Kreuz Christi, bitten wir: Lehre uns, so wie der Apostel Paulus dich gelehrt hat, uns „allein des Kreuzes unseres Herrn Jesu Christi zu rühmen“. Damit jeder 964 Botschaften und Ansprachen von uns mit dem ganzen Scharfsinn der Gabe der Ehrfurcht, der Weisheit und der Seelenstärke einzudringen vermag in die Wahrheit dieser Worte vom Kreuz, in dem die „neue Schöpfung“ beginnt, vom Kreuz, das der Menschheit ständig „den Frieden und das Erbarmen“ bringt. Im Kreuz hat sich Gott bis zum Ende in der Geschichte des Menschen zum Ausdruck gebracht; Gott, der „voll Erbarmen ist“ {Eph 2, 4). Im Kreuz wird die Herrlichkeit der zu allem bereiten Liebe offenbart. Nur mit dem Kreuz - gleich einem aufgeschlagenen Buch - in der Hand kann der Mensch bis auf den Grund sich selbst und seine Würde kennenlemen. Den Blick auf das Kreuz geheftet, muß er sich schließlich fragen: Wer bin ich, Mensch, in den Augen Gottes, wenn Er für mich und für die Liebe zu mir einen solchen Preis bezahlt? „Das Kreuz auf dem Kalvarienberg - so schrieb ich in der Enzyklika Redemptor hominis -, durch das Jesus Christus - Mensch, Sohn der Jungfrau Maria, vor dem Gesetz Sohn des Josef von Nazaret - diese Welt ,verläßt, ist zur gleichen Zeit eine neue Manifestation der ewigen Vaterschaft Gottes, der sich in ihm erneut der Menschheit und jedem Menschen nähert, indem er ihm den dreimalheiligen , Geist der Wahrheit schenkt (vgl. Joh 16, 13) . . . Seine Liebe ist eine Liebe, die vor nichts zurückweicht, das die Gerechtigkeit in ihm selbst fordert. Und darum hat Gott den Sohn, ,der die Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht (2 Kor 5, 21; vgl. Gal 3, 13). Wenn er den, der völlig ohne Sünde war, ,zur Sünde gemacht hat“, so tat er dies, um die Liebe zu offenbaren, die immer größer ist als alles Geschaffene, die Liebe, die er selber ist, denn ,Gott ist Liebe“ (1 Joh 4, 8.16)“ (Nr. 9). Genauso hast du, Franziskus, die Dinge gesehen. Sie haben dich den „Poverello von Assisi“ genannt, und du warst und bist einer der Menschen gebüeben, die die anderen am großmütigsten beschenkt haben. Denn du verfügtest über einen unermeßlichen Reichtum, über einen großen Schatz. Und das Geheimnis deines Reichtums verbarg sich im Kreuz Christi. Lehre uns, Bischöfe und Hirten des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, uns in ähnlicher Weise des Kreuzes zu rühmen, lehre uns diesen Reichtum in der Armut und dieses Verschenken im Überfluß. 5. In der ersten Lesung, aus dem Buch Jesus Sirach, stehen die Worte über den Hohenpriester Simeon, Sohn des Onias, unter dem „das Gotteshaus ausgebessert und der Tempel befestigt wurde“ (Sir 50, 1). Die Liturgie bezieht diese Worte auf Franz von Assisi. Er ist in der Überlieferung, Literatur und Kunst derjenige geblieben, der „das Gotteshaus ausgebessert und den Tempel befestigt hat“. Derjenige, der „den 965 Botschaften und Ansprachen Fall seines Volkes aufgehalten, seine Stadt gegen den Feind befestigt hat“ (Sir 50, 4). Die Lesung spricht noch weiter von Simeon, Sohn des Onias, und wir beziehen diese Worte auf Franziskus, den Sohn des Pietro di Bemardone. Auf ihn wenden wir auch die folgenden Vergleiche an: „Wie ein leuchtender Stern zwischen den Wolken, wie der Vollmond in den Tagen des Festes, wie die aufgehende Sonne über dem Königspalast, wie ein Regenbogen, der in den Wolken erscheint“ (Sir 50, 6-7). 6. Gern wiederholen wir diese Worte aus dem Besuch Jesus Sirach, um damit nach achthundert Jahren Franz von Assisi, den Patron Italiens, zu ehren. Dazu sind wir alle, Bischöfe und Hirten der Kirche in Italien zusammen mit dem Bischof von Rom, dem Nachfolger Petri, hierhergekommen. Doch der Zweck unserer Pilgerfahrt hat einen besonderen apostolischen und pastoralen Charakter. Wenn wir die Worte Christi über das Joch, das nicht drückt, und die Last, die leicht ist (vgl. Mt 11, 30), hören, denken wir an unsere Sendung als Bischöfe und den pastoralen Dienst. Und wir wiederholen voll Vertrauen und Freude die Worte des Psalms: „Ich sage zum Herrn: ,Du bist mein Herr, mein ganzes Glück bist du allein! Du, Herr, gibst mir das Erbe und reichst mir den Becher: du hältst mein Los in deinen Händen. Ich preise den Herrn, der mich beraten hat. . . Ich habe den Herrn beständig vor Augen. Er steht mir zur Rechten, ich wanke nicht“ (Ps 16). Mit Freude haben wir die Einladung, nach Assisi zu kommen, angenommen, so als hätten wir die Worte unseres Herrn und Meisters gehört: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen“ (Mt 11, 28). Hoffen wir, daß sie, wie auch die anschließenden Worte sich an uns allen verwirklichen: „Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele“ (Mtll, 29). Ja, das wollen wir, Christus! Das ist unser Wunsch! Mit diesem Gedanken sind wir heute nach Assisi gekommen. Wir danken dir für die heilige „Last“ des Priester- und Bischofsamtes. Wir danken dir für den hl. Franziskus, der sich nicht für würdig hielt, die Priesterweihe zu empfangen. Und doch hast du ihm auf so außergewöhnliche Weise deine Kirche anvertraut. 7. Und mit dem Blick auf Franziskus, der, „arm und demütig, in den Himmel, reich und mit himmlischen Hymnen geehrt, eingeht“ (Akklama- 966 Botschaften und Ansprachen tion zum Evangelium), wollen wir auf ihn noch die Worte aus dem Buch Jesus Sirach anwenden, die so treffend seine berühmte Erscheinung zusammenfassen: „Franziskus, halte den Fall deines Volkes auf!“ Franziskus! Wie in deinem Leben, so bessere auch jetzt das Gotteshaus aus und festige den Tempel! Darum beten wir, Bischöfe der Kirche, die wir in der Schule des Zweiten Vatikanischen Konzils aufs neue gelernt haben, die Kirche, Italien und die moderne Welt mit einer gemeinsamen Sorge zu umgeben. Und mit unserer geliebten Bevölkerung wiederholen wir: „Du, Herr, gibst mir das Erbe und reichst mir den Becher: Du hältst mein Los in deinen Händen. Ich preise den Herrn, der mich beraten hat. . . Ich habe den Herrn beständig vor Augen.“ Ja, Brüder und Schwestern, beständig! So soll es sein. (O.R. 13.3.82) „Getreuer Widerhall der Liebe“ Ansprache vor der Basilika Santa Maria degli Angeli in Assisi am 12. März Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich möchte sogleich meiner tiefen Freude darüber Ausdruck geben, daß ich heute bei dieser festlichen Begegnung erneut bei euch weilen kann, Bürger und Christen der Diözese Assisi. Ich grüße alle, jeden einzelnen, mit aufrichtiger Liebe, besonders die zivilen Autoritäten, die mich an diesem Festtag so freundlich umgeben, und den Diözesanbischof, Msgr. Goretti, den ich hier öffentlich inmitten all derer erwähnen möchte, die sich voll Verantwortung und Hingabe dem gemeinsamen Wohl des menschlichen und christlichen Zusammenlebens in Assisi widmen. Ich danke euch herzlich für den tiefempfundenen und warmherzigen Empfang, den ihr mir bereitet habt; darin erkenne ich eure Anhänglichkeit und Hingabe nicht nur gegenüber meiner Person, sondern vor allem dem gegenüber, den ich unwürdig vertrete: Petrus, als Zeichen und Garant der Einheit der Universalkirche, und mehr noch gegenüber Jesus Christus, der das einzige wahre Haupt von uns allen, d. h. seiner Kirche, ist, der Herr und Bräutigam, der uns mit seinem kostbaren Blut erlöst hat (vgl. 1 Petr 1, 18-19). 967 Botschaften und Ansprachen Nach dem Besuch, den ich hier wenige Tage nach meiner Berufung auf den Stuhl Petri am 5. November 1978 machte, ist es heute das zweite Mal, daß ich nach Assisi komme. Und glaubt mir, die innere Bewegung und Ergriffenheit ist noch immer dieselbe, denn hier atmet man eine einzigartige Atmosphäre reinsten christlichen Glaubens und höchster menschlicher Kultur. Die beiden Komponenten finden tatsächlich hier ihre vollkommene Verschmelzung im Namen des Franziskus, und wenn sie auch zweifellos eine der größten Ruhmestaten in der Geschichte Italiens und seines edlen Volkes bilden, so hatten sie doch auch eine weltweite Rückwirkung, da die religiöse und gesellschaftliche Entwicklung nicht weniger Länder der Erde viel daraus empfangen hat. Franziskus, Sohn des Pietro di Bernardone, hat mit Recht den Namen dieser umbrischen Stadt, in der er vor 800 Jahren geboren wurde, in der ganzen Welt berühmt und geehrt gemacht. Und er hat das auch als Sohn der Kirche getan, in voller Gemeinschaft mit dem damaligen Bischof der Stadt und den Bischöfen Roms, welche die neue, von ihm begonnene Bewegung billigten und ermutigten, indem sie ihr die Möglichkeit zu einem Aufschwung gaben, der mannigfache Folgen auf dem Gebiet des christlichen Lebens, der Missionen, aber auch der Literatur und der Kunst hatte. Es war daher richtig, daß auch ich in diesem feierlichen 800. Geburtsjahr des Franziskus von Assisi zurückgekehrt bin, um erneut meine tiefe Verehrung für den heiligen „kleinen Armen“, meine Liebe und auch meine Erwartungen zu bekräftigen, die ich in die großen Ordensfamilien setze, die sich von ihm ableiten und von denen einer die Obhut dieser Basilika Santa Maria degli Angeli anvertraut ist; aber auch meine hohe Achtung vor der Stadt Assisi, die die bevorzugte Wiege des großen „Spielmanns Gottes“ war und bleibt, der als „der heiligste Italiener und der italienischste aller Heiligen“ bezeichnet wurde. 2. Aber Franziskus verdankt Assisi nicht nur seine Herkunft. Er hat hier durch göttliche Gnade den großen Reichtum Christi und seines Evangeliums entdeckt, was in ihm eine Art neuer Geburt bewirkte, die ihn in einen seelischen Zustand absoluter Harmonie mit dem Nächsten und mit der Natur versetzte. Wir befinden uns in diesem Augenblick bei der Basilika, die das alte Kirchlein der Portiunkula einschließt. In diesem Kirchlein, das er mit eigener Hand restauriert hatte, beschloß Franziskus bei der liturgischen Lesung des zehnten Kapitels des Matthäusevangeliums, das kurze vorangegangene Einsiedlerleben aufzugeben und sich der Verkündigung unter dem Volk zu widmen „mit einfachen Worten, aber wunderbarem Herzen“, wie sein erster Biograph, Tommaso da Celano, sagt ( Vita I, 23). So begann er seinen charakteristischen Dienst. 968 Botschaften und Ansprachen Hier erfolgte dann auch die Einkleidung der hl. Klara mit der Gründung des zweiten Ordens der Klarissinnen oder Armen Fräulein von San Damiano. Hier erflehte Franziskus auch - durch die Fürsprache der Königin der Engel - von Christus die große Vergebung oder den Portiunkula-Ablaß, der sogleich von meinem Vorgänger Papst Honorius III. vom 2. August 1216 an bestätigt wurde; und danach begann eine großartige Missionstätigkeit, die Franziskus und seine Brüder in einige islamische Länder und verschiedene Nationen Europas führte. Hier in Assisi empfing der Heilige im Alter von 45 Jahren „unsere Schwester, den leiblichen Tod“ (Sonnengesang, 12). Wir befinden uns also an einer der ehrwürdigsten Stätten der franziskanischen Bewegung, die nicht nur dem Franziskanerorden, sondern allen Christen teuer ist, die hier, gleichsam überwältigt von der Eindringlichkeit der geschichtlichen Erinnerungen, Licht und Ansporn für eine Erneuerung des Lebens im Zeichen eines tiefer verwurzelten Glaubens und einer wahrhaftigeren Liebe empfangen. 3. Ich glaube, insbesondere die spezifische Botschaft hervorheben zu müssen, die in Portiunkula und ihrem Ablaß ihren Ursprung hat. Es ist die Botschaft der Vergebung und der Versöhnung, das heißt der Gnade, zu deren Ziel uns bei entsprechender Bereitschaft das göttliche Erbarmen gemacht hat. Gott, sagt der hl. Paulus, ist wahrhaftig „voll Erbarmen“ (Eph 2, 4); wie ich in der Enzyklika, die diese Worte als Titel trägt, geschrieben habe, „muß die Kirche das göttliche Erbarmen in all seiner Wahrheit, wie sie uns die Offenbarung überliefert hat, bekennen und verkünden“ (Dives in misericordia, Nr 13), ja, sie „lebt ein authentisches Leben, wenn sie das Erbarmen bekennt und verkündet - das am meisten überraschende Attribut des Schöpfers und des Erlösers“ (ebd.). Wer von uns kann wohl in seinem Herzen sagen, daß er dieses Erbarmen nicht nötig habe, das heißt, daß er in vollkommenem Einklang mit Gott stehe, so daß er seines läuternden Eingreifens nicht bedürfe? Wer hätte nicht etwas, was er sich von Gott und seiner väterlichen Großmut vergeben lassen müßte? Oh, wer von uns könnte, um mit den Worten des Evangeliums zu sprechen, als erster einen Stein werfen (vgl. Joh 8,7), ohne sich Anmaßung oder Gewissenlosigkeit zuschulden kommen zu lassen? Allein Jesus Christus hätte das tun können, doch er verzichtete darauf mit einer unvergleichlichen Geste des Verzeihens, das heißt der Liebe, die zugleich grenzenlose Großmut und aufbauendes Vertrauen in den Menschen offenbart. Jeden Tag sollten wir in uns die demütige und freudige Anrufung der verzeihenden Gnade Gottes neu entzünden, aber auch das Gespür für unsere Schuld ihm gegenüber, der uns „ein für allemal“ {Hebr 9, 12) Vergebung angeboten hat und sie uns mit unveränderter Güte 969 Botschaften und Ansprachen weiter anbietet, eine Vergebung, auf die wir kein Recht haben, die uns aber wieder in den Frieden mit ihm und mit uns selbst bringt, indem sie uns neue Lebensfreude einflößt. Nur auf dieser Grundlage läßt sich das strenge Bußleben, das Franziskus führte, begreifen, und wir können unserseits den Ruf zu einer ständigen Umkehr annehmen, die uns von einem egoistischen Leben abbringt und auf Gott als den Brennpunkt unseres Lebens konzentriert. Die kommende Bischofssynode hat - wie ihr wohl wißt - „Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche“ zum Thema, und wir können hier in Assisi nicht umhin, von jetzt an den erleuchtenden Beistand des hl. Franz für ihre Arbeit anzurufen. 4. Aber der Heilige von Assisi war auch ein Vorkämpfer der Versöhnung unter den Menschen. Sein intensives Wirken als Wanderprediger führte ihn von einer Region in die andere und von einem Dorf ins andere durch fast ganz Italien. Seine charakteristische Predigt von „Frieden und Heil“, die ihm die Bezeichnung eines „neuen Evangelisten“ eintrug (Tommaso da Celano, Vita I, 78; II, 107), erklang in allen sozialen Schichten der Gesellschaft, die oft im Streit miteinander lagen, als Aufforderung, Zwistigkeiten durch Begegnung und nicht durch Streit beizulegen, durch die Freundlichkeit der brüderlichen Verständigung und nicht durch den Groll oder die Gewalt, die entzweit. Und im Sonnengesang (10) bekennt er jubelnd: „Gelobt seist du, mein Herr, für jene, die um deiner Liebe willen verzeihen.“ Das ist ein fundamentaler Satz des Christentums, der nicht Passivität oder fruchtlose Resignation bedeutet, sondern dazu auffordert, jeder Situation mit innerer Gelassenheit, aber auch mit Bestimmtheit und hochherziger Überlegenheit zu begegnen, die jedoch ein klares Urteü über Wert und Aufteilung der Verantwortlichkeit einschließt. Ziemlich eindeutig sind die Auswirkungen einer solchen Haltung auch im Bereich des zivilen Lebens der Völker. Dort, wo die Menschenrechte, wo immer auf Erden, mit Füßen getreten werden, können die Christen nicht dieselben Waffen der grundlosen Schmähung oder der blutigen Gewalt anwenden. Sie besitzen in der Tat andere geistige Reichtümer und eine Würde, die niemand verletzten kann. Aber das bedeutet weder unnützes Mitleid noch komplizenhafte Nachgiebigkeit. Der Christ darf es niemals hinnehmen, daß die Würde des Menschen in irgendeiner Weise verstümmelt wird, und deshalb wird er immer und unermüdlich seine Stimme erheben, um eine gegenseitige Aussöhnung anzuregen und zu fördern, die den Frieden und das Wohl der gesamten Gesellschaft bewahren und fördern soll. Und er wird das in 970 Botschaften und Ansprachen höchster Achtung vor dem Menschen tun, einer Achtung, die man als franziskanisch und daher als evangelisch bezeichnen darf. Der hl. Franziskus steht vor uns auch als Beispiel unerschütterlicher Güte und aufrichtiger Liebe zu den vemunftlosen Wesen, die zur Schöpfung gehören. In ihm findet jene Harmonie ihren Widerhall, die auf den ersten Seiten der Bibel mit eindrucksvollen Worten beschrieben wird: „Gott der Herr nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und hüte“ (Gen 2, 15), und „führte alle Tiere. . . dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benenne“ (Gen 2, 19). Im hl. Franziskus ahnt man gleichsam eine Vorwegnahme jenes von der Hl. Schrift verheißenen Friedens, wo „der Wolf beim Lamm wohnt, der Panther beim Böcklein liegt, Kalb und Löwe zusammen weiden, ein Kind sie hüten kann“ (Jes 11, 6). Er sah die Schöpfung mit den Augen dessen, der in ihr das wunderbare Wirken der Hand Gottes zu erkennen vermag. Seine Stimme, sein Blick, seine aufmerksame Sorge nicht nur gegenüber den Menschen, sondern auch gegenüber den Tieren und der Natur überhaupt sind ein getreuer Widerhall der Liebe, mit welcher Gott am Anfang das „Fiat“ („es werde“) gesprochen hat, das sie entstehen ließ. Sollten wir nicht im Sonnengesang etwas von der überirdischen Freude Gottes, des Schöpfers, mitschwingen spüren, von dem geschrieben steht, „er sah, daß alles, was • er gemacht hatte, sehr gut war“ {Gen 1, 31)? Ist nicht vielleicht hier die Erklärung für die freundliche Anrede „Bruder“ und „Schwester“ zu suchen, mit der sich der „kleine Arme“ an alle geschaffenen Wesen wendet? Zu einer ähnlichen Haltung sind auch wir aufgerufen. Geschaffen als Bild und Gleichnis Gottes, müssen wir uns das inmitten aller Kreatur vergegenwärtigen „als Herren und besonnene und weise Hüter“ der Natur und „nicht als Ausbeuter und skrupellose Zerstörer“ (vergl. Redemptor hominis, Nr. 15). Die Erziehung zur Achtung der Tiere und der Harmonie der Schöpfung überhaupt hat im übrigen eine heilsame Auswirkung auf das Menschenwesen als solches, weil sie dazu beiträgt, in ihm das Empfinden für Ausgewogenheit, Maß und Adel zu entwickeln und ihn daran gewöhnt, „von der Größe und Schönheit der Geschöpfe“ auf die überirdische Größe und Schönheit ihres Schöpfers zu schließen (vgl. Weish 13, 5). 5. Liebe Brüder und Schwestern, während ich dem Herrn dafür danke, daß er mich aufs neue in dieses unvergleichliche und erfrischende Assisi geführt hat, spreche ich euch allen erneut meinen Dank aus für eure herzliche und aufrichtige Teilnahme an dieser Begegnung. 971 Botschaften und Ansprachen 6. Ich fordere euch alle auf, mit den Worten des Franziskus den „Allerhöchsten, allmächtigen, guten Herrn“ (Sonnengesang, 1) zu preisen, weil wir nur in ihm immer wieder ausreichende Kraft finden, um jeden Tag mit neuem Enthusiasmus unseren Weg fortzusetzen. Und das wünsche ich aus ganzem Herzen euch allen und all euren Lieben. Ich denke ganz besonders an die Jugendlichen, die sich mit Eifer auf ihre künftigen Aufgaben vorbereiten; an die Arbeiter, die um den angemessenen Unterhalt für ihre Familie bangen; an die Kranken und an die verschiedenen Leiden, die sie ertragen müssen, an die alten Menschen und an alle, welche die Last der Einsamkeit fühlen, alle versichere ich meines Gedenkens im täglichen Gebet. Durch die mütterliche Fürsprache U. L. Frau von den Engeln empfehle ich euch alle der wohlwollenden Güte Gottes, auf daß er euch immer beistehe und mit der Fülle seiner himmlischen Gaben überschütte, die ich aus ganzem Herzen erflehen will, wenn ich gleich den eucharisti-schen Segen erteile. (O. R. 14. 3. 82) Richtlinien des Konzils verwirklichen! Ansprache an die Vollversammlung der italienischen Bischofskonferenz in Assisi am 12. März Meine Herren Kardinale, und ihr alle, ehrwürdige Brüder der Italienischen Bischofskonferenz! 1. Nach Abschluß der persönlichen Begegnung mit jedem einzelnen von euch und den gemeinsamen Zusammentreffen mit den regionalen Bischofskonferenzen aus Anlaß der Besuche „Ad-limina“ sind wir heute als Pilger der Liebe und Verehrung an diesen leuchtenden „Sonnenaufgang“ (Dante, Paradiso XI, 54) gekommen, um die Reliquien des großen hl. Franziskus, des Patrons Italiens, zu verehren und uns aufs neue an den Quellen seines Geistes und seiner Berufung zu stärken. Bei unserer Geste handelt es sich um eine Pilgerfahrt und einen Gemeinschaftsakt: eine „Pilgerfahrt“, die bekanntlich ihren unmittelbaren Grund in den Jubiläumsfeierlichkeiten zum 800. Geburtsjahr des Poverello von Assisi hat; einen Akt der „Gemeinschaft“ als Ausdruck der Einheit, die zwischen den Teilkirchen und ihren Bischöfen besteht: die Communio Ecclesiarum (Gemeinschaft der Kirchen) und Communio Pastorum (Gemeinschaft der Bischöfe) ganz Italiens. 972 Botschaften und Ansprachen Dieser einfache Akt bildet die höchste und außerordentliche Krönung der „Ad-limina“-Besuche des vergangenen Jahres, denn bei diesen sind die Wirklichkeit der „Pilgerschaft“ und der „Gemeinschaft“ gleicherweise präsent. 2. Die Gesamtkirche, „das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk“ (Lumen gentium, Nr. 4), ist aufgerufen, in ihrem Inneren und nach außen sichtbar das Geheimnis der Gemeinschaft zu leben, deren Prinzip und Fundament der Nachfolger Petri ist und durch den, „wer sich in Rom befindet, auch weiß, daß die Inder Glieder dieser Gemeinschaft sind“ (hl. Johannes Chrysostomos, In Jo. Hom., 65, 1; PG 55, 361). Es handelt sich um eine gegliederte, vielfältige und zugleich einfache Beziehung, die in der Achtung der einzelnen Berufungen, Sendungen, Aufgaben und Charismen die universale Einheit des einen Gottesvolkes schafft, das bestrebt ist, die ganze Menschheit unter ihrem Haupt Christus zusammenzuschließen (vgl. Lumen gentium, Nr. 13). Innerhalb dieser katholischen Einheit bestehen die Teilkirchen mit ihren rechtmäßigen Bischöfen, die „der Heilige Geist bestellt hat...“ (Apg 20, 28). Mit ihrem „Ad-limina“-Besuch geben sie dem Nachfolger Petri gegenüber jener „kirchlichen Gemeinschaft“ lebendigen und konkreten Ausdruck, die im Bereich der Teilkirche selbst zwischen Bischof, Klerus und Gläubigen Geltung hat bei den verschiedenen Anordnungen und Aufgaben, um hier ihre sichtbare Bestätigung zu erhalten zugleich mit dem Schutz berechtigter Mannigfaltigkeit, um der größtmöglichen Eingliederung in die Gemeinschaft der einen katholischen Kirche Ausdruck zu geben. 3. Beim „Ad-limina“-Besuch ist aber auch die Pilgerschaft der Kirche selbst gegenwärtig: der Kirche, die unterwegs ist; die - als das neue Israel - zwischen Versuchungen und Drangsalen auf der Suche nach der zukünftigen und bleibenden Stadt ist und nicht abläßt, sich in der Treue zum Heilsplan Christi täglich zu erneuern, um Sakrament des Heiles für die ganze Welt zu sein (vgl. Lumen gentium, Nr. 8, 9, 44). Bei diesen Besuchen haben wir in der Tat in Gedanken noch einmal den Weg jeder Teilkirche während der letzten fünf Jahre im Hinblick auf einen tieferen Einklang von Glaube, Dienst und Liebe zurückgelegt, im Rahmen der Dynamik der Entwicklung und Reifung der jeder Region eigenen Gesellschaft. Liebe im Band der kirchlichen Gemeinschaft und mühevolle Mitverantwortlichkeit beim Zurücklegen des täglichen Weges haben in den Unterredungen und Ansprachen sowie in den sich daran anschließenden Gesprächen ihren Ausdruck gefunden. 973 Botschaften und Ansprachen 4. Nun, da wir zu einer außerordentlichen Versammlung zusammengekommen sind, zeigt sich uns die natürliche und dringende Notwendigkeit, ein Gesamtbild und eine Synthese zu erstehen, wobei wir uns gerade am Patron Italiens inspirieren wollen, der zweif ellos ein außergewöhnlicher Zeuge der 2000jährigen Pilgerschaft des Volkes Gottes auf dieser privilegierten Halbinsel ist. Er repräsentiert in der Tat eine der erhabensten Ausdrucksformen jenes christlichen Humanismus, der von so vielen Generationen von Italienern gelebt und bereichert wurde, die in Franziskus den wahren, zuverlässigen Deuter ihrer sitthchen Werte und ihrer Hoffnungen gesehen haben und noch immer sehen, wie ihr in eurer heutigen Botschaft an die italienische Gemeinschaft wirkungsvoll herausgestellt habt. Das 800. Geburtsjahr des hl. Franz lädt uns vor allem dazu ein, den Blick in die Vergangenheit zu richten, um jene immer noch gültigen Inhalte festzustellen, die auch für die folgenden Abschnitte der Pilgerschaft der Kirche eine Konstante bleiben. Gewiß bleibt es unser vordringlichstes Bemühen, mit Reahsmus den gegenwärtigen Wegabschnitt im Hinbhck auf die Planung und Beseelung des weiteren Weges zu umreißen. Diese drei Überlegungen haben den Rhythmus unserer nunmehr abgeschlossenen Begegnungen bestimmt und kennzeichnen auch die Bedeutung der heutigen nationalen Begegnung. In dieser Haltung möge uns noch einmal das Zeugnis des hl. Franziskus leuchtender Beistand sein. Er war einerseits ein Mensch der „Grenzsituation“ - wie man heute sagen würde -, wodurch er noch immer, auch bei Fernstehenden, eine große Anziehungskraft besitzt, aber vor allem war er ein Mann des Glaubens an Gott, ein glühender Jünger Christi, ein frommer Sohn der Kirche, ein liebender Bruder aller Menschen, ja aller Geschöpfe. Er läßt sich in kein starres Schema einordnen. Gläubig ohne Vorbehalt, fühlte er sich eben aufgrund dieses Glaubens frei, das Evangelium buchstabengetreu zu befolgen, seine Straße zu gehen, die ihm allein vom Geist Christi gewiesen war, und konnte so „jener neue Mensch“ sein, „den der Himmel der Welt geschenkt hat“ {Leg. MaiorXLl, 8), bei dessen Erscheinen „die Völker -wie sich Tommaso da Celano ausdrückt - in Erstaunen versetzt wurden angesichts der Zeichen des erneuerten apostolischen Zeitalters“ (2 Cel. 1). Franziskus war also ein Mann der Kirche, der diese dreifache Dimension voll und ganz lebte: Wissen um die Vergangenheit, Offenheit für die Erfordernisse der Gegenwart, dynamische Bereitschaft für die Verheißungen der Zukunft; und das alles im Rahmen eines höchstlebendigen katholischen Empfindens. 5, Wer würde nicht die ekklesiologische Bedeutung einer solchen Haltung erkennen? Die Kirche lebt in der Tat in jedem ihrer Teile die volle 974 Botschaften und Ansprachen Wirklichkeit des mystischen Leibes Christi, sowohl in der Zeit, insofern sie heute, in der Gegenwart, die von ihrem Stifter vollzogene Erlösung durch die Ankündigung von ihrer eschatologischen Erfüllung aktualisiert, als auch im Raum, weil sie in jeder Teilkirche ganz gegenwärtig ist. Die Konsequenzen, die sich aus dieser ekklesiologischen Gegebenheit für die besondere Situation Italiens ergeben können, lassen sich leicht einse-hen. Im sozialen Zusammenhang der Nation werden manche Spannungen und Gegensätze deutlich, die den Aufbau eines harmonischen Miteinander eher zu behindern als zu fördern scheinen: ein Beispiel in dieser Hinsicht ist die Spannung zwischen dem Norden und Süden des Landes, die mit vielfältigen sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Ursachen in Zusammenhang steht. Die Kirche, die ihrem Wesen nach „eine unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils“ (Lumen gentium, Nr. 9) bildet, ist aufgerufen, unablässig an der Überwindung jeder Uneinigkeit zu arbeiten, indem sie im Geiste der klaren Worte des hl. Paulus: „Einer trage des anderen Last“ (Gal 6, 2) mit klugen Mitteln auf den verschiedenen Ebenen der menschlichen Gesellschaft die Integration und Einheit fördert. Die Italienische Bischofskonferenz entfaltet gewiß ein Werk der Integration in diesem Sinn, doch können die bisher angewandten Mittel wirklich als angemessen und ausreichend bezeichnet werden? Man muß jede geeignete Initiative auf nationaler Ebene studieren, die zu dem erstrebten Ziel einer immer tieferen und wirksameren Einheit der Geister auch im Bereich des bürgerlichen Zusammenlebens führen kann, nach dem Beispiel des „kleinen Armen“ von Assisi, von dem sein Zeitgenosse Tom-maso da Spalato gesagt hat: „Der ganze Inhalt seiner Worte zielte in Wirklichkeit darauf ab, die Feindseligkeiten auszulöschen und die Fundamente für neue Friedensvereinbarungen zu legen“ (Fonti Franc. 2252). 6. Außerdem möchte ich - stets mit dem Bück auf eine Synthese - auf ein weiteres Problem des Miteinanders hinweisen, das unmittelbar zur Sendung der Kirche gehört und in Zusammenhang mit den obigen Gedanken zu den beiden Aspekten der „Gemeinschaft“ und der „Pügerschaft“ steht. Unwillkürlich erhebt sich die Frage: Welche Art von Gemeinschaft soll die Kirche in Italien zu verwirklichen suchen, damit sie im gegenwärtigen Wegabschnitt der nationalen Gesellschaft von den Alpen bis Sizilien ihre stimulierende Präsenz ausüben kann? Wir haben von Christus eine Sendung erhalten. Sendung und Gemeinschaft stehen in enger Beziehung zueinander, sind sie doch beide Elemente des einen Geheimnisses der Kirche. „Das menschgewordene Wort 975 Botschaften und Ansprachen - so habt ihr in dem im vergangenen Oktober veröffentlichen Dokument Comunione e Comunita mit eindringlichen Worten ausgeführt - beteiligt die Kirche durch Aufnahme in die göttliche Gemeinschaft an der vom Vater empfangenen Heilssendung und verwirklicht in ihr und durch sie diese Sendung unaufhörlich in der Geschichte“ (Nr. 2). Nun, die Vorbedingung für die Erfüllung dieser Sendung der Beseelung, des Sauerteigs im Evangelium, der christlichen Inspiration ist eben die Verwirklichung einer aktiven Präsenz in den verschiedenen Elementen und Strukturen des sozialen Lebens. Diese dynamische und erleuchtete Präsenz müssen wir in der Praxis durch stilles und ruhiges, aber wohl informiertes und entschiedenes Handeln den Programmen entgegensetzen können, die diese Präsenz gern beseitigen und die Kirche zu einer „abwesenden“ Kirche machen möchten, indem sie ihren geistigen Einfluß vereiteln. Das ist also das charakteristische Merkmal der Sendung, das heißt der Apostolizität: Sie steht weder im Gegensatz zum Dialog noch zur Gewissensfreiheit, ja, sie wird gewissermaßen von diesen Haltungen gefordert, denn es kann keine Achtung vor den anderen geben, wenn man ihnen nicht gestattet, sich selbst in angemessenen Formen zu äußern. Deshalb veranlaßt uns diese Begegnung am Grab des Patrons von Italien, die Frage nach den geeignetsten Wegen zu stellen, um eine wirksame Präsenz des Evangeliums und der Kirche auf der ganzen Halbinsel in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu sichern. Noch eine andere Lehre gibt uns der hl. Franziskus, auch wenn wir in einer Zeit leben, die sich von der seinen wesentlich unterscheidet: die Botschaft von der Liebe zur Armut. Franziskus erkennt Christus in den Armen, als er von S. Damiano herunterkommt und dem Aussätzigen begegnet, ihn küßt und ihm alles gibt, was er hat. Der wohlhabende Sohn des Pietro di Bernardone verzichtet vor dem Bischof von Assisi auf alle Güter der Welt und gibt so eine herrliche Lektion der Abkehr, der inneren Freiheit und der wahren Armut, so sehr, daß in dem erstaunten Echo seiner Zeitgenossen seine Entscheidung im Lichte der bräutlichen Beziehung zur „Frau Armut“ gesehen wurde. Deshalb ist die italienische Kirche in ihrer Gesamtheit auch heute aufgerufen, über diese großartige Lehre des Franziskus nachzudenken, um in ihrem Umkreis und in ihrem Leben immer stärker diesen evangelischen Wert zu realisieren, der im Laufe der Jahrhunderte eine wunderbare Tradition kirchlicher Askese sowohl in den einzelnen Menschen wie in den Instituten hat aufblühen lassen. Es ist notwendig, daß auch die jungen 976 Botschaften und Ansprachen Generationen zur Nüchternheit und zum Opfer erzogen werden, unerläßlichen Tugenden in einem gesunden Erziehungsprozeß, der reife Persönlichkeiten heranbilden will. In diesem Zusammenhang möchte ich der Einfachheit des Lebens des italienischen Klerus Anerkennung zollen, der mit allgemein sehr beschränkten Mitteln seinen Dienst würdig zu erfüllen und pastorale Werke von oft weitreichender Bedeutung zu unterhalten weiß. Eine arme Kirche muß in der Tat eine Haltung verantwortungsbewußter Solidarität unter den Gläubigen wecken, die sich der Verpflichtung, ihre Unterstützung anzubieten, bewußt sind. Die Erfahrung der Kirche in verschiedenen Epochen und bei verschiedenen Völkern beweist das zur Genüge. Die radikale und revolutionäre Entscheidung des Franziskus besitzt also auch heute für die Kirche in Italien und in der Welt eine tiefe Bedeutung. 7. Diese Wege des Evangeliums und der Kirche für die heutige und für die künftigen Generationen wurden vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorgezeichnet, das - wie ich zu Beginn meines Pontifikats sagte - „ein Meilenstein ... in der 2000jährigen Geschichte der Kirche und infolgedessen in der religiösen Geschichte der Welt und der Menschheitsentwicklung ist“ {Ansprache vom 17. Oktober 1978, Wort und Weisung, 1978, S. 54). Gerade in diesem Zusammenhang lohnt es sich, darüber nachzudenken, wie weit sich das Volk Gottes in Italien die wirkliche Bedeutung der pastoralen Orientierung des Konzüs zu eigen gemacht hat, die leider schon sehr bald von Elementen der Spaltung gezeichnet war. Die Richtlinien des Konzils müssen studiert, überdacht, immer wieder gelesen und verwirklicht werden: wobei man sich nicht bloß an die eigentlichen Konzüsdokumente halten soll, die an sich schon so reich an pastoralen Hinweisen und Ratschlägen sind, sondern, indem man auch das zu Hilfe nimmt, was wir den „Synodenschlüssel“ für die Erschließung des Konzüs nennen können, nämlich die Hinweise, die sich aus den Arbeiten der bisherigen Bischofssynoden ergaben und in breit angelegten Dokumenten vorgelegt wurden, wie dem Apostolischen Schreiben Evan-gelii nuntiandi Pauls VI. nach der Synode von 1974; meinem Apostolischen Schreiben Catechesi tradendae nach der Synode von 1977; dem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio nach jener von 1980; beachten muß man auch die Erklärungen der Synode von 1971 zur „Identität“ der Priester sowie das Problem der „Gerechtigkeit in der Welt“, ein Problem mit weitreichenden Verflechtungen, das die Kirche stets empfänglich und aufmerksam für die Inspirationen des Evangeliums und der Tradition gefunden hat, stets treu zu ihrerjursprünglichen Sozial- 977 Botschaften und Ansprachen lehre, in einer konsequenten Folgerichtigkeit, die in der jüngsten Zeit unserer Geschichte von der Enzyklika Rerum novarum Leos XIII. über Quadragesimo anno Pius’ XI., die Rundfunkbotschaften Pius’ XII., die Enzykliken Mater et magistra und Pacem in terris Johannes’ XXIII., die Enzyklika Populorum progressio und das Apostolische Schreiben Octoge-sima adveniens Pauls VI. bis zu meiner jüngsten Enzyklika Laborem exercens währt. Mit Hilfe dieses „Synodenschlüssels“ wird man die Gefahren einer bereits angedeuteten Spaltung vermeiden und die grundlegenden Forderungen des Zweiten Vatikanischen Konzils weiter durchsetzen müssen. Es handelt sich darum, „im kleinen“ jene „großen“ Richtlinien anzuwenden, welche die jüngste Geschichte der Kirche gekennzeichnet haben; denn tatsächlich verwirklicht sich im kleinen das Große, und darum ist das Kleine stets eine große Sache. Darum die Bedeutung und Dringlichkeit, die die pastorale Arbeit in den einzelnen Bereichen eurer Kirchen hat. Ich verweise vor allem auf die Sorge und das Bemühen um die kirchlichen Berufe und die Priesterseminare. Die Kirche in Italien wird sich in einer immer systematischeren ausgeprägteren und ausgebauteren Aktion um die Gewinnung und Pflege von Berufen bemühen müssen. Bekanntlich nehmen in der Nation die pastoralen und kirchlichen Probleme zu, während nicht immer Priester in hinreichender Zahl vorhanden sind, um den vielfältigen geistlichen Bedürfnissen der Gläubigen zu genügen. Ihr müßt den Priestern, die eure unmittelbaren Mitarbeiter, die wahren „Erzieher im Glauben“ sind (vgl. Presbyterorum ordinis, Nr. 6), alle Sorge, Liebe und Zuvorkommenheit erweisen. In diesem feierlichen Augenblick des Zusammentreffens des Bischofs von Rom mit den Bischöfen ganz Italiens gehen meine Gedanken voll Hochachtung und brüderlicher Liebe zu den ungefähr 40 000 italienischen Priestern - und den 20 000 Ordenspriestern -, die als Pfarrer in den großen Pfarreien der Städte oder in den kleinen auf dem Land und in den Bergen, oder als Animatoren kleiner oder großer Gemeinschaften und vor allem von Gruppen von Jugendlichen oder Arbeitern, oder auch in der Seelsorge auf allen Ebenen - als Lehrer an Schulen, Gymnasien und Universitäten -täglich für das Reich Gottes arbeiten. Italien braucht wegen seiner jahrhundertealten geschichtlichen und kulturellen Tradition die Anwesenheit und das Zeugnis der Priester, die in diesem Land Beweise großartiger Spiritualität und Liebe zu den Bedürftigen, Kranken und Randgruppen der Gesellschaft erbracht haben. 978 Botschaften und Ansprachen Den Priestern ist in besonderer Weise die Verehrung Christi in der Eucharistie anvertraut, die Quelle, Zentrum und Höhepunkt des christlichen Lebens ist (vgl. Lumen gentium, Nr. 11; Ad gentes, Nr. 9). Möge der nächste Nationale Eucharistische Kongreß in Mailand mithelfen, die anbetende Liebe zum Altarsakrament nicht nur in allen Gläubigen, sondern vor allem in den Priestern zu intensivieren. Ich gebe erneut meiner Sorge für die Ordensfrauen Ausdruck und für alle, die in einem Weiheberuf leben, die durch ihre Selbsthingabe an Christus und indem sie den Spuren Mariens folgen, der Kirche Gottes einen Reichtum an Spiritualität, Liebe und Opfer in den verschiedenen Bereichen der Hilfe für die Kranken, Armen, alten Menschen und Kinder schenken; sei es im Unterricht oder in jenen Situationen, in denen das feine frauliche Einfühlungsvermögen schwierige Hindernisse zu überwinden vermag; oder in der freiwilligen Stille der Klausur; aber besonders im ständigen Gebet und im versöhnenden Opfer. Ich wünsche, daß die jungen Frauen dieser Nation, die ihrem Leben seine wahre, volle Bedeutung verleihen wollen, mit Begeisterung und Hochherzigkeit auf die Einladung Christi antworten, der sie zur Selbsthingabe in den verschiedenen Formen des geweihten Lebens aufruft. Sodann dringe ich noch auf die Katechese und insbesondere auf die katechetische Ausbildung der Jugend, die sich ihre Probleme, ihre Bedürfnisse, ihre Erwartungen, ihre Kultur vor Augen halten muß. Ebenso dringe ich auf das Problem der Hochschulseelsorge, auf die Neugründung oder Wiederbelebung der kulturellen Zentren und die immer dringlichere Seelsorge in der Welt der Arbeit. Das heißt, es bedarf von eurer Seite als Bischöfe eines immer größeren gemeinsamen Engagements für die Ausbildung und Förderung der Laien. Die Laien sollen durch ihr Leben in der Familie, in der sozialen Schicht, der sie angehören, und im Bereich des Berufes, den sie ausüben, von Christus Zeugnis geben. Sie sollen den Aufbau der zeitlichen Ordnung als ihre Aufgabe übernehmen und, vom Licht des Evangeliums und der Lehre der Kirche geleitet, unmittelbar und konkret handeln; sie sollen als Bürger mit den anderen Bürgern entsprechend ihrer fachlichen Zuständigkeit und Verantwortlichkeit Zusammenarbeiten; sie sollen überall und in allem die Gerechtigkeit des Reiches Gottes suchen (vgl. Apostolicam actuositatem, Nr. 7). Die katholischen Laien Italiens haben eine großartige und beispielhafte Geschichte des Wirkens, des Einsatzes und der Treue zur Kirche wie zur Nation. Es gilt, durch geeignete Initiativen von bleibendem Charakter ihre kulturelle und religiöse Bildung zu intensivieren und zu vertiefen, damit sie immer ernsthafter für die Übernahme jener kirchlichen Verant- 979 Botschaften und Ansprachen Wörtlichkeiten vorbereitet werden, die ihr Bischöfe ihnen anvertrauen wollt. 8. Aus diesen Überlegungen ergibt sich in gewissem Sinne eine weitere Dimension der „Pilgerschaft und der Gemeinschaft“. Wir sind hierher, an das berühmte Grab des hl. Franz gekommen, um über diese Dimension nachzudenken, um gemeinsam Überlegungen über unsere Aufgaben und unsere Verpflichtungen anzustellen und uns über sie wie über die Aussicht unserer Sendung und unserer Gemeinschaft zu freuen. Versuchen wir, diesen unseren gemeinsamen „Weg“ zu sehen: den Weg des Evangeliums und der Kirche der achtziger Jahre auf der ganzen Halbinsel von den Alpen bis nach Sizilien und Sardinien. Wenn wir jedoch in der Wahrheit unserer Berufung verbleiben sollen, werden wir versuchen müssen, diesen „Weg“ noch in der Beziehung zu den anderen zu vertiefen und zu betrachten: den anderen Kirchen, den anderen Gesellschaften. Da die göttliche Vorsehung Italien den hl. Franz und so viele, ja unzählige andere Heilige - Männer und Frauen -geschenkt hat, und weil sie geheimnisvollerweise die Schritte des Petrus, des Fischers aus Galiläa, in dieses Land gelenkt hat, dürfen wir uns nicht wundem, wenn die anderen auf diese Kirche in Italien bücken und sich selbst in den verschiedenen Problemen mit ihr vergleichen. Wir haben den anderen gegenüber also eine echte und ernste Verantwortung. Um dieser ständigen Verantwortung ganz und angemessen zu entsprechen, muß die Kirche Gottes in Itaüen ihre missionarische Dimension intensiv leben. Die missionarische Dimension ad extra, nach außen, wie sie sich in den Jahrhunderten kundgetan hat und sich noch heute kundtut in der Hochherzigkeit so vieler Söhne und Töchter dieser Nation, die Heimat, Familie, Freunde verlassen und ihre Sicherheit aufgegeben haben, um zur Verkündigung des Evangeüums in die Welt zu gehen: Itaüen darf mit Recht stolz sein auf die Missionare und Missionarinnen, die wie der hl. Franz in aüe Gegenden der Erde den Frieden und das Heil getragen haben und noch tragen, die von der Botschaft Christi verheißen wurden. Aber diese höchstbeachtüchen Verdienste Itaüens auf dem Gebiet seiner jahrhundertealten missionarischen Dimension nach außen sind das Ergebnis jener, wir könnten sagen, missionarischen Dimension ab intra, von innen heraus, das heißt ihrer Dynamik und Lebenskraft, aufgrund welcher sich die Kirche Gottes in Itaüen - wie übrigens die ganze Krche - dauernd in statu missionis, im Missionszustand, befindet. „Die pilgernde Kirche ist ihrem Wesen nach ,missionarisch“, da sie selbst ihren Ursprung aus der Sendung des Sohnes und der Sendung des Heiligen Geistes herleitet gemäß dem Plan Gottes des Vaters“ (Adgentes, 980 Botschaften und Ansprachen Nr. 2). Diese missionarische Dimension von innen heraus steht daher im Gegensatz zum Traditionahsmus und zum Immobilismus; sie sieht sich mit der planmäßigen Säkularisierung des Lebens in den verschiedenen Bereichen konfrontiert; und sie entdeckt darüber hinaus nicht nur ihr religiöses und christliches Gestern, sondern auch das gequälte und erhebende Heute und das noch unvorhergesehene und unvorhersehbare Morgen. 9. Die gesamte kirchliche Gemeinschaft in Italien - die Bischöfe, die Priester, die Ordensleute, die Laien - ist in dieser Stunde der Krise der Werte, der moralischen Desorientierung, aber auch des bangen Suchens nach neuen kulturellen Synthesen und des Strebens nach einem Leben, das den großen Erwartungen des Menschenherzens besser entspricht, aufgerufen, sich aktiv an der Wiederherstellung des auf die sittlichen Werte des christlichen Humanismus gegründeten gesellschaftlichen Gefüges der Nation zu beteiligen. Diese ihre historische Sendung wird sie nur erfüllen können, wenn sie sich zunehmend ihrer Identität bewußt wird, wenn sie immer mehr dem an sie ergangenen Appell zum Zeugnis gehorcht, immer stärker von der tatsächlichen und unersetzlichen Echtheit und Kraft ihrer Werte überzeugt ist, immer hochherziger in ihrem Bemühen um Präsenz und Teilhabe ist, sich immer konsequenter und hartnäckiger in ihrem Einsatz zeigt, damit Italien mit neuem Eifer seinen menschlichen Reichtum und sein christliches Wesen wiederendeckt und lebt. Wie es nicht möglich ist, die Gestalt des „kleinen Armen“ von Assisi ohne ihr gläubiges, christliches, katholisches Wesen in ihrer ganzen Fülle zu begreifen, so ist ein erschöpfendes Verständnis der Geschichte und des Lebens Italiens unmöglich, wenn man dabei vom Glauben absieht. Zum Abschluß unserer Zusammenkunft, die gleichsam eine vollkommene Synthese aller persönlichen und gemeinschaftlichen Begegnungen darstellt, die ich anläßlich eurer „Ad-limina“-Besuche mit euch hatte, richte ich ein inniges Gebet an die heiligen Männer und Frauen, die Italien der Kirche und der Welt im Laufe von 2000 Jahren geschenkt hat, und ganz besonders richte ich dieses Gebet hier, an seinem Grab, an den Patron Italiens, den hl. Franziskus, daß er jenen Segen, den er sterbend an sein geliebtes Assisi richtete, auf sein ganzes irdisches Vaterland ausweite „. . . Herr . . ., durch dein überreiches Erbarmen ... ist die Stadt zum Zufluchts- und Aufenthaltsort derer geworden, die dich kennen und deinen Namen preisen und den Hauch des heiligmäßigen Lebens, der rechten Lehre und den guten Ruf im ganzen christlichen Volk verbreiten. Ich bitte dich daher, o Herr Jesus Christus, Vater der Barmherzigkeit, bücke nicht auf unsere Undankbarkeit, sondern gedenke nur der Fülle der 981 Botschaften und Ansprachen Güte, die du ihr erwiesen hast. Möge diese Stadt stets Boden und Wohnort derer sein, die dich kennen und deinen gesegneten und glorreichen Namen verherrlichen von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Leggenda peru-gina, 99). Und ich vertraue diese meine Wünsche und diese meine Gedanken der allerseligsten Muttergottes an, der „Herrin Italiens“, zu der das gute Volk dieser Nation eine harte und starke, gefühlvolle, aber auch von echten theologischen Inhalten genährte Verehrung hegt. Möge die allerseligste Jungfrau stets ihren mütterlichen Blick auf dieses Land gerichtet halten! Mein Apostolischer Segen soll euch, geliebte Brüder im Bischofsamt, und das ganze Volk Gottes in Italien immer begleiten. (O. R. 13. 3. 82) Christus ist an eurem Arbeitsplatz Ansprache an die Arbeiter der Solvay-Fabrik in Livorno am Fest des hl. Josef, 19. März Liebe Brüder und Schwestern! 1. Nun bin ich endlich bei euch, an diesem Tag, an dem die Kirche das Fest des hl. Josef feiert, des Vorbilds und Schutzpatrons der Welt der Arbeit. Ihr habt mich eingeladen: Danke! Und jetzt bin ich hier, um euch zu beweisen, wieviel Interesse, vieviel Sympathie, wieviel Liebe die Kirche für euch Arbeiter hat, die ihr mit eurer täglichen Mühe einen unentbehrlichen Beitrag zum Fortschritt der Menschheit leistet. Ich halte diese Begegnung daher für besonders wichtig und bedeutsam. Ich begrüße noch einmal den Präsidenten der Gesellschaft und die Mitglieder der Generaldirektion, die mich bei meinem Eintreffen am Werkseingang mit so großer Freundlichkeit empfangen haben; ebenso begrüße ich erneut die Mitglieder des Betriebsrates und die Sekretäre der regionalen Gewerkschaften, mit denen ich gerade vorhin, zum Abschluß des Besuches an euren Werkbänken, zu meiner Freude Zusammentreffen konnte. Sodann begrüße ich ganz herzlich euch alle, die ganze Belegschaft, Arbeiterinnen und Arbeiter der Solvay-Werke, die ihr mir mit der spontanen und so überaus herzlichen Aufnahme eure aufrichtige Sympathie bekundet habt. Und ich denke an die Arbeiter der Solvay-Fabriken in anderen Gegenden, besonders an jene der Grube von San Carlo, zu denen ich mich wegen Zeitmangels nicht persönlich begeben konnte, die aber die 982 Botschaften und Ansprachen ersten waren, die mich eingeladen haben. Ich weiß, daß eine zahlenmäßig große Vertretung von ihnen heute hier anwesend sein wollte. Es ist mir ein Bedürfnis, ihnen meine Anerkennung für diese liebevolle Geste auszusprechen. Einen besonderen Gruß auch den Arbeitern von Ponte Ginori, die gleichfalls durch eine Vertretung hier unter uns sind. 2. Liebe Arbeiter, Angestellte und Leiter der Solvay-Werke, mit großer Aufmerksamkeit habe ich die Grußadressen gehört, die von den Sprechern der einzelnen Gruppen eures Industriekonzems vorgetragen wurden. Zwei Dinge sind mir darin deutlich geworden: Ergebnisse und Befürchtungen. Die Ergebnisse habt ihr durch euren gemeinsamen Einsatz, eure großzügige Hingabe und die feste Hoffnung erzielt, die euch unterstützen. Aber ihr habt auch Befürchtungen wegen der schwierigen Wirtschaftskonjunktur und der Rückschläge, die sich daraus für die Beschäftigung in Gegenwart und Zukunft ergeben; Befürchtungen auch wegen der Spannungen, die das Land heimsuchen, und wegen der Ausbrüche mörderischer Gewalt; Befürchtungen schließlich wegen der bedrohlichen Wolken, die den internationalen Horizont verdunkeln durch die offenkundige und oft blutige Vergewaltigung der Menschenrechte, die vielerorts auf beiden Hemisphären der Erde verübt wird. Ich habe das reife Sozialbewußtsein, das in diesen Beiträgen zum Ausdruck kam, vernommen und weiß es zu schätzen. Besonders beeindruckt hat mich neben der offenen Anprangerung einer Gesellschaft, „die den Menschen immer egoistischer, immer einsamer und immer unzufriedener macht“, der erneut beteuerte Wille, für die Errichtung einer anderen Welt zu arbeiten, in der „nicht mehr Gewinn und Machthunger im Mittelpunkt von allem stehen soll, sondern der Mensch mit seinen Bedürfnissen nach Frieden, Demokratie und Freiheit“. Ich beglückwünsche euch alle dazu, daß ihr das Streben, das euch bei eurem täglichen Einsatz bewegt, so gut zum Ausdruck zu bringen wußtet, das Streben nach „wirklicher sozialer Gerechtigkeit und nach der Achtung der Menschenwürde in der Welt der Arbeit“. Diese Dinge habt ihr gesagt, indem ihr gleichsam einen Dialog mit mir aufgenommen habt bei einer Begegnung, von der ihr nicht wollt, daß sie Selbstzweck bleibt, sondern die ihre Fortdauer in der Zukunft haben soll, auch dank des Beitrags, den ihr meinen Worten zu entnehmen hofft: sei es, um mit neuem Eifer die erzielten Ergebnisse und die mit ihnen verbundenen Erwartungen voranzubringen; sei es, um mit festem Mut der angedeuteten Ängste Herr zu werden. Ich bin also hier, um dieser eurer Erwartung zu entsprechen, ich bin hier, um in Erfüllung des mir anvertrauten Amtes eine Antwort auf eure Frage 983 Botschaften und Ansprachen anzubieten, ich bin hier, um mich zum Echo der Stimme der Kirche zu machen, die - nach den Anfangsworten der Konzilskonstitution Gaudium et spes - „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art“ teilt (Nr. 1). 3. Ihr habt in euren Beiträgen mehrmals auf die Enzyklika Laborem exercens Bezug genommen und damit deutlich gemacht, daß ihr die Überlegungen, die ich darin entfaltet habe, anerkennt. Dafür bin ich euch dankbar. Wie ihr wißt, habe ich mit diesem Dokument des 90. Jahrestages der Veröffentlichung von Rerum novarum gedenken wollen, der bedeutenden Enzyklika Leos XIII., mit der die Reihe der Äußerungen des Hl. Stuhls in der modernen Zeit über die verschiedenen Aspekte der sozialen Frage eröffnet wurde, gleichsam ein großes Gespräch mit den Menschen auf dem Weg von Generation zu Generation. Laborem exercens steht voll und ganz im Zusammenhang dieses ständigen Gesprächs mit der Arbeiterwelt. Ich habe darin auch meine unmittelbare persönliche Erfahrung von dieser Welt eingebracht, die eure Welt ist und die auch meine gewesen ist. Ich bin in der Tat einer von euch gewesen. Wie viele Erinnerungen sind mir wieder ins Gedächtnis gekommen, als ich vorhin einige Abteilungen eures großen Industriekomplexes besuchte, als ich die Freude auskostete, vielen von euch die Hand zu geben, manche Eindrücke auszutauschen und aus nächster Nähe das Milieu wahrzunehmen, in dem sich eure tägliche Arbeit und Mühe vollzieht. Ich bin an euren Werkbänken vorbeigegangen, und da habe ich mich spontan an die Zeit erinnert, als auch ich, nachdem ich in Krakau die Steinbrüche von Zakrzowek verlassen hatte, bei Solvay in Borek Falecki als Arbeiter an den Heizkesseln die Arbeit aufnahm. Wieviel hat sich seither geändert! Ich habe die hochentwickelte Technologie bestaunt, deren sich die Solvay-Werke heute bedienen und die im Laufe der letzten Jahre das Herstellungsverfahren immer mehr vervollkommnet hat. Ich habe gesehen, wieviel getan wurde, um die Lebensbedingungen all derer zu verbessern, die durch ihre Arbeitsleistung zu diesen Verfahren beitragen. Gewiß müssen auf diesem Weg noch weitere Schritte getan werden. Dank des Einsatzes aller werden diese Schritte auch tatsächlich ausgeführt werden können. Was ich hier erneut bekräftigen möchte, ist die Tatsache, daß ich mich mit euch solidarisch fühle, weil ich an euren Problemen, die ich ja persönlich erlebt habe, teilnehme. Ich betrachte es als eine Gnade des Herrn, daß ich Arbeiter gewesen bin, denn das hat mir die Möglichkeit gegeben, aus nächster Nähe den Menschen der Arbeit, der Fabrikarbeit, aber auch jeder anderen Form der Arbeit, kennenzulernen. Ich habe die konkrete Wirklichkeit seines 984 Botschaften und Ansprachen Lebens kennenlemen können: ein Dasein voll tiefer Menschlichkeit, auch wenn es nicht frei von Schwächen war, ein einfaches, hartes, schweres, aller Achtung würdiges Leben. Als ich die Fabrik verließ, um meiner Berufung zum Priestertum zu folgen, nahm ich die unersetzliche Erfahrung jener Welt und die tiefe Erfüllung menschlicher Freundschaft und leidenschaftlicher Solidarität meiner Arbeitsgefährten mit, die ich als ein kostbares Gut in meinem Herzen bewahre. 4. Liebe Brüder und Schwestern! Kraft dieses göttlichen Auftrags steht euch die Kirche nahe, steht sie auf eurer Seite, weil sie auf der Seite des Menschen, jedes Menschen steht. Die zentrale Stellung und die Würde der menschlichen Person sind ein Ansporn für den Papst und die Bischöfe, ihre Sorge für die Welt der Arbeit zu verkünden. Die Kirche hat dem arbeitenden Menschen viel zu sagen: nicht in den technischen Belangen, aber in den grundlegenden Fragen und hinsichtlich der Verteidigung der Würde und der Rechte der Arbeiter. Sie verkündet, daß die Würde der Arbeit zur Würde des Menschen gehört; und sie weiß, daß sie, wenn sie die Würde der Arbeit schützt, positiv zur Verteidigung der sozialen Gerechtigkeit beiträgt. Und wie ihr die erreichten Ergebnisse - ein berechtigter Grund für euren Stolz - nicht entgehen, so kennt die Kirche nur allzugut die Ängste und Gefahren, die sie kosten. Als Industriearbeiter seid ihr in das Räderwerk der modernen Arbeit eingeschaltet, das die Erfindungskraft des menschlichen Geistes gewaltig vergrößert hat. Zugleich seid ihr aber auch den faszinierendsten wie den gefährlichsten Folgen dieses Prozesses ausgesetzt, und das nicht nur unter dem wirtschaftlich-sozialen, sondern auch unter dem ethisch-religiösen Blickwinkel. Die Entwicklung der Technik wirft heute das Problem der menschlichen Arbeit in neuer Weise auf. Denn die Technik, die ein Faktor des wirtschaftlichen Fortschritts war und es noch ist, kann sich von einem Verbündeten des Menschen in seinen Gegner verwandeln. Sie trägt wirklich die Zeichen einer offensichtlichen Ambivalenz an sich: einerseits hat sie die Mühe des Menschen wesentlich erleichtert und durch eine Massenproduktion die Wirtschaftsgüter vermehrt; andererseits jedoch neigt sie in der Tat dazu, den, der die Arbeit ausübt, zu entpersönlichen, indem sie ihm jede Befriedigung und jeden Ansporn zu Kreativität und Verantwortung nimmt. In der industriellen Arbeit begegnen einander tatsächlich zwei Wirklichkeiten: der Mensch und die Materie, die Hand und die Maschine, die Untemehmerstrukturen und das Leben des Arbeiters. Wer wird den Vorrang haben? Wird die Maschine zu einer Verlängerung des 985 Botschaften und Ansprachen Armes und des schöpferischen Geistes des Menschen werden, oder wird sie den Zwangsmechanismen der Organisation unterliegen, darauf beschränkt, wie ein Automat zu handeln? Wird die Materie veredelt, der Mensch hingegen erniedrigt aus der Werkstatt und dem Betrieb hervorgehen? Ist denn der Mensch nicht mehr wert als die Maschine und ihre Produkte? 5. Das technisch-industrielle Zeitaler hat bekanntlich tiefgreifende Neuerungen und radikale Veränderungen in der Gesellschaft geschaffen. Die Maschine in der Welt der Industrie hat nicht nur die herkömmlichen Arbeitsweisen verändert, sondern sich auch ganz wesentlich auf die Lebensweise des Arbeiters, seine Psyche, seine Denkweise, sein Bewußtsein und selbst auf die Kultur der Völker ausgewirkt und eine neue Gesellschaftsform entstehen lassen. Als sich die wissenschaftliche Organisation der Arbeit durchsetzte und konsequent das Fließband vorherrschend wurde, verschärfte sich die Situation der Entfremdung des Menschen noch mehr, und es wurde ihm unmöglich, in verantwortlicher Weise an der von ihm verrichteten Arbeit teilzunehmen. In den letzten Jahrzehnten hat darüber hinaus die Automatisierung in den Industriebereich Einzug gehalten, deren auf Elektronik und Informatik basierende Neuartigkeit dem Menschen nicht immer zum vollen Nutzen gereicht. 6. In der heutigen Zeit nimmt das Bewußtsein der Menschen hinsichtlich ihrer Würde, besonders bei den Arbeitern und Arbeiterinnen, weltweite Dimensionen an. Dieses Phänomen fand im Lauf der Geschichte nicht nur in der fortschreitenden Verkündigung und Verfechtung der Menschenrechte Ausdruck, sondern auch in dem inständigen Verlangen nach einer lebendigeren und konkreteren sozialen Gerechtigkeit. Es ist nicht schwer festzustellen, daß heute überall auf unserem Planeten im Zusammenhang mit den neuen Wirtschaftsbedingungen und den neuen Möglichkeiten der Technik, der Produktion und der Verteüung der Güter eine größere Gerechtigkeit angestrebt wird. Die Wahrnehmung und das Bedürfnis nach dieser Gerechtigkeit treten immer eindringlicher und bedrückender ins menschliche Bewußtsein, das einerseits zwar die erreichten Ergebnisse anerkennt, andererseits aber immer heftiger unter den Ängsten leidet, hervorgerufen von Diskriminierungen und Nöten, die die berechtigten Bestrebungen der Arbeiter verletzen können. In christlicher Sicht stellt die soziale Gerechtigkeit in der Tat die Grundlage, die entscheidende Tugend und den fundamentalen Wert des Zusammenlebens im sozialen und politischen Bereich dar. Sie leitet und regelt 986 Botschaften und Ansprachen die Beziehungen der Bürger zum Gemeinwohl in einer nicht rein vertrauensmäßigen und individuellen, sondern in einer gemeinschaftlichen Sichtweise. Als solche vertritt sie ein Grundrecht aller Menschen, das ihnen vom Schöpfer übertragen und von der Botschaft des Evangeliums bestätigt wurde. Indem sie die starren Grenzen der kommutativen oder ausgleichenden Gerechtigkeit überwindet, sucht die soziale Gerechtigkeit die Dinge dem Menschen, die individuellen Güter dem Gemeinwohl, das Recht auf Eigentum dem Recht auf Leben unterzuordnen und beseitigt jede Lebens- und Arbeitsbedingung, die der menschlichen Person unwürdig ist. Damit, hebe Brüder und Schwestern, sind wir beim Kern des Problems angelangt, dem unsere heutige Begegnung gewidmet ist. Ich werde nicht müde zu behaupten, daß die Wirtschaft und ihre Strukturen nur dann gültig und annehmbar sind, wenn sie menschlich, das heißt vom Menschen und für den Menschen gemacht sind. Und sie können das nicht sein, wenn sie die Würde derer - Arbeiter und Betriebsleiter -untergraben, die dort ihre Tätigkeit entfalten; wenn sie in ihnen systematisch den Sinn für Verantwortlichkeit schwächen; wenn sie in ihnen jede Art von persönlicher Initiative lähmen; kurz, wenn sie ohne menschlichen Sinn und menschliche Logik sind. 7. Ich möchte nun auf einige Elemente hinweisen, die ich für wesentlich erachte, damit sich die Sozialordnung hinsichtlich der menschlichen Arbeit wirklich an der Gerechtigkeit inspiriert. In einer Gesellschaft, die gerecht und menschlich sein will, dürfen Gewinn und Gewinnsucht nicht die Vorherrschaft über den Menschen haben: Es ist unbedingt notwendig, daß der Mensch das Subjekt der Wirtschaft und der verschiedenen Produktionsstrukturen bleibt. In meiner Enzyklika Redemptor hominis habe ich geschrieben: „Der Mensch kann nicht auf sich selber verzichten noch auf den Platz, der ihm in der sichtbaren Welt zukommt; er darf nicht Sklave der Dinge, Sklave der Wirtschaftssysteme, Sklave der Produktion, Sklave der eigenen Produkte werden“ (Nr. 16). Gott hat ihn geschaffen, damit er Herr, nicht Sklave der Arbeit sei. In diese Forderung nach Gerechtigkeit gehören das Recht auf Arbeit und die anderen Rechte der Arbeiter. Die Arbeit stellt in der Tat eines der großen und grundlegenden unveräußerlichen Rechte des Menschen dar, weil sie ihm Lebensmöglichkeiten, Sicherheit und Sinn gibt. Durch die Arbeit wird der Mensch im volleren Sinne Mensch und Mitarbeiter Gottes bei der Vervollkommung der Natur. Es ist zu wünschen, daß dieses Recht wirklich eine konkrete 987 Botschaften und Ansprachen Realität für jeden Bürger darstellt, ein Recht, das von der Gesellschaft gefördert und geschützt wird. Arbeitsplätze schaffen ist keine leichte Aufgabe; und dennoch muß festgestellt werden, daß dies ein zentraler Aspekt und ein fundamentaler Auftrag der politischen und wirtschaftlichen Ordnung ist. 8. In Laborem exercens schrieb ich, daß „die konkrete Verwirklichung der Gerechtigkeit jedes sozio-ökonomischen Systems und sein rechtes Funktionieren von der gerechten Entlohnung ausgedrückt wird“. Denn die überzeugendste Art und Weise, die Gerechtigkeit in den Arbeitsbeziehungen zwischen Arbeiter und Unternehmer zu verwirklichen, unabhängig von der Form des Wirtschaftssystems, in dem die menschliche Tätigkeit entfaltet wird, besteht in der gerechten Entlohnung. Durch den Lohn wird im allgemeinen der konkrete Zugang zu den für den allgemeinen Gebrauch bestimmten Gütern geöffnet. Es ist das Trachten und die Erfordernis für eine gesunde Wirtschaft, die im Dienst einer tatsächlichen sozialen Gerechtigkeit steht, den Lohn in seinen vielfältigen und zusätzlichen Formen so anzupassen, daß man sagen kann, der Arbeiter habe wirklich und in gerechter Weise Anteil an dem Reichtum, zu dessen Schaffung er sowohl im Privatunternehmen als auch in der staatlichen Wirtschaft solidarisch beiträgt. Die Anwendung der von katholischer Seite diesbezüglich eingebrachten Vorschläge, nämlich zu erreichen, daß der Arbeiter sich als Miteigentümer der großen Werkbank betrachten kann, ist ein Grundelement jener Verwirklichung, auf die ich oben hingewiesen habe: nicht nur, damit der Arbeiter in seinem Streben nach gerechter Entlohnung volle Bezahlung erhält, sondern auch und vor allem, damit im Gesamtgefüge des Wirtschaftsprozesses die Gerechtigkeit geschützt wird (vgl. Laborem exercens, Nr. 14). 9. Ich möchte eure Aufmerksamkeit noch auf einen weiteren wesentlichen Aspekt der sozialen Gerechtigkeit lenken: auf die Freiheit des Zusammenschlusses, wofür den Arbeitern die tatsächliche Möglichkeit zuerkannt werden muß, frei und aktiv an der Ausarbeitung und Kontrolle der sie betreffenden Entscheidungen auf allen Ebenen teilzunehmen. Die Erfahrung der Geschichte zeigt - wie ich schon bei anderen Gelegenheiten herausgestellt habe -, daß solche Vereinigungen oder Gewerkschaften ein unverzichtbares Element des sozialen Lebens, insbesondere in den modernen Industriegesellschaften, darstellen. Entstanden, um die legitimen Rechte der Arbeiter gegenüber den Eigentümern der Produktionsmittel zu verteidigen, sind die Gewerkschaften besonders im Sektor der Industrie, auf der Basis des Kampfes groß geworden. In ihrer Haltung 988 Botschaften und Ansprachen sozialer Opposition müssen sie aber trotzdem wesentlich die positiven Werte hervorheben, die sie beseelen, den Wunsch nach gerechtem Gut im Rahmen des Gemeinwohls, das Verlangen nach sozialer Gerechtigkeit, niemals aber den Kampf „gegen“ die anderen, denn das erste Merkmal der Arbeit ist es, „für“ etwas oder jemanden zu sein, die Menschen zu einen; und eben darin liegt ihre große soziale Kraft. Gerade durch die Einheit und Solidarität vermochten die Gewerkschaften die Interessen der Arbeiter zu schützen und gerechte Entlohnung, würdige Arbeitsbedingungen und Sicherheit für den Arbeiter und seine Familien zu erlangen. Die Staatsgewalt, die dem Gemeinwohl dienen soll, muß es daher als ihre Aufgabe ansehen, diese Vereinigungen im staatlichen Bereich durch kluge Gesetze zu schützen; die Gewerkschaften ihrerseits müssen stets in angemessener Weise den Einschränkungen Rechnung tragen, die die konkrete allgemeine Wirtschaftslage bisweilen im Rahmen des Gemeinwohls der ganzen Nation fordern kann. 10. Ihr alle, liebe Brüder und Schwestern, verlangt mit Recht, daß an euren Arbeitsplätzen, in euren Fabriken als grundlegende Dimension eurer Arbeit die Gerechtigkeit herrsche. Ist es etwa nicht so? Das macht euch Ehre: aber es genügt gewiß nicht! Von eurer Arbeitswelt muß auch die Lösung zur Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit ausgehen: Es bedarf immer neuer Solidaritätsbewegungen unter den Arbeitern und mit den Arbeitern, um die Einheit der Herzen zu schaffen, eine konstruktive, aufrichtige Einheit, die von der sittlichen Bildung und dem Geist der Verantwortung beseelt ist. „Die Erfahrung der Vergangenheit und auch unserer Zeit lehrt, daß die Gerechtigkeit allein nicht genügt, ja, zur Verneinung und Vernichtung ihrer selbst führen kann, wenn nicht einer tieferen Kraft, der Liebe, die Möglichkeit geboten wird, das menschliche Leben in seinen verschiedenen Bereichen zu prägen . . . Diese Behauptung entwertet die Gerechtigkeit nicht, noch verringert sie die Bedeutung der Ordnung, die sich auf sie aufbaut; sie weist nur unter einem anderen Aspekt auf die Notwendigkeit hin, aus jenen noch tieferen Quellen des Geistes zu schöpfen, denen sich die Ordnung der Gerechtigkeit selber verdankt“ (Dives in misericordia, Nr. 12). Ihr wißt ja, daß die christliche Liebe die Gerechtigkeit beseelt, sie inspiriert, sie offenbart, sie vervollkommnet, sie ermöglicht, sie respektiert, erhebt und über sie hinausgeht; aber sie schließt sie nicht aus, vereinnahmt sie nicht, ersetzt sie nicht, vielmehr setzt sie sie voraus und fordert sie, weil es ohne Gerechtigkeit keine wahre Liebe, keine christli- 989 Botschaften und Ansprachen che Nächstenliebe gibt. Ist nicht die Gerechtigkeit das Mindestmaß der Liebe? Aufmerksam habe ich der Arbeiterin zugehört, die zu Beginn dieser Begegnung gesprochen hat: Ja, sie hat sehr gut die Notwendigkeit unterstrichen, in der Liebe den Ansporn für ein umfassenderes soziales Engagement zu finden. Diese Gedanken halte ich für sehr wichtig. Wenn in der Tat die soziale Gerechtigkeit dem Betrieb ein menschliches Aussehen verleiht, so gibt ihm die Liebe den lebendigen Schwung der echten Solidarität. 11. Liebe Brüder und Schwestern! Ich hege die Zuversicht, daß diese heutige Begegnung in jedem von euch die aufrichtige Zustimmung zum Evangelium der Arbeit stärken möge, wie es von dem verkündet wurde, der als der menschgewordene Sohn Gottes in der Tischlerwerkstatt Josefs, des Bräutigams Mariens, der Welt der manuellen Arbeit angehören wollte. Jesus blickt voll Liebe auf unsere Arbeit und ihre verschiedenen Erscheinungsformen. In jeder von ihnen erkennt er einen Widerschein der Ebenbildlichkeit des Menschen mit dem Schöpfergott. Die Arbeit ist von Gott gewollt und gesegnet: Sie trägt nicht mehr die Last einer Verurteilung an sich, sondern den Adel einer Sendung. Sie macht den Menschen zum Haupthandelnden, zusammen mit Gott, beim Aufbau des menschlichen Zusammenlebens und des Dynamismus, der das Geheimnis des Allmächtigen widerspiegelt. Auf eure Arbeit blickt die Kirche, die gemeinsam mit allen Menschen guten Willens die erzielten Ergebnisse zu bestätigen und eine Antwort auf die Ängste zu finden trachtet, die euer Herz beunruhigen. Der christliche Glaube besitzt die geheimnisvolle Macht, der Arbeit eine Seele zu geben, die Sicherheit, Frieden, Kraft und Sinn verleihen und sie so zu einem Element nicht nur persönlichen, familiären und gemeinschaftlichen, sondern auch religiösen menschlichen Wachsens machen kann. 12. Und nun erlaubt mir, daß ich mich an euch alle wende, die ihr an dieser Begegnung teilnehmt — an alle und an jeden einzelnen. Dabei denke ich zugleich an eure Familien, an eure Kinder, an eure Söhne und Töchter, an eure Ehefrauen, an eure Mütter, an eure Kranken, an all eure Lieben: Ich weiß, welchen Platz sie in eurem Herzen einnehmen, was für einen großen Wert sie für euch verkörpern. Für sie wird eure tägliche Mühe und Arbeit zum vollen Ausdruck und natürlichen Maß eurer Liebe. Liebt eure Familien! Ich wiederhole es: Liebt sie! Seid ihr in Freude Führer, sicheres Licht, wachsame Beschützer gegen die Keime des mora- 990 Botschaften und Ansprachen lischen und sozialen Zerfalls, die leider unerbittlich zur Zersetzung so vieler Familien führen. Weckt in euren Familien den Sinn für die sozialen Werte, für die Anforderungen und Bedürfnisse des Geistes! Das Familienleben soll Erfahrung von Gemeinschaft und Teilnahme sein. Weit davon entfernt, sich abzukapseln, ist die Familie dazu berufen, sich dem sozialen Bereich zu öffnen, um - angeregt durch den Sinn für Gerechtigkeit, die Sorge für die anderen und die Pflicht der Verantwortung für die ganze Gesellschaft - zu einem Instrument der Humanisierung und Persönhchkeitsentfaltung zu werden, zum Dienst am Nächsten in den vielfältigen Ausdrucksformen der mitbrü-derhchen Hilfe und der Verteidigung und des bewußten Schutzes seiner Rechte und Pflichten. Öffnet eure Famihen für Christus und seine Kirche! Nicht zufällig wurde die christliche Familie als „Hauskirche“, als „Kirche im kleinen“ bezeichnet. Zu ihren fundamentalen Aufgaben gehört auch jene kirchliche Aufgabe, Christus vor der Welt zu bezeugen: „Sie ist zum Dienst am Aufbau des Reiches Gottes in der Geschichte berufen, indem sie am Leben und an der Sendung der Kirche teilnimmt“ (Familiaris consortio, Nr. 49), und sie ist berufen, mit jedem Tag mehr zu einer glaubenden und den Glauben verkündenden Gemeinschaft zu werden, indem sie die Versuchung überwindet, ihren Glauben ängstlich und scheu in der Zurückgezogenheit der eigenen vier Wände zu leben. Haltet lebendig und beharrlich fest an eurem Sinn für die Achtung der sozialen Gerechtigkeit in der Welt der Arbeit; nährt und unterstützt ihn mit der Liebe, die „das Band ist, das vollkommen macht“ (Kol 3, 14). Möge in euren Fabriken, an euren Arbeitsplätzen stets die Ausgeglichenheit der bescheidenen Werkstatt von Nazaret herrschen, die Gelassenheit, die aus dem Bewußtsein herrührt, täglich seine Pflicht getan zu haben, die Heiterkeit, die die menschliche Arbeit zu einem Faktor des Wachstums macht und ihr die Dimension fruchtbarer Berufung verleiht. Die Kirche hat ein waches Empfinden für den Wert des Fabrikmilieus, des Ortes, an dem sich das Leben des Arbeiters - euer Leben! - verwirklicht, wohin ihr aber auch den Glauben bringen sollt, um dieses Milieu in konstruktiver Weise zu beeinflussen, um den Glauben wirksam werden zu lassen. Der Herr ist hier bei uns; nicht nur jetzt; er ist immer bei euch an eurem Arbeitsplatz, um allen die erneuernde Kraft seines Evangeliums, seiner Gnade und seiner Liebe zu schenken. Vergeßt ihn nicht! Drängt ihn nie an den Rand! Habt als Ziel eurer Tätigkeit, immer den Aufbau einer menschlicheren, brüderlicheren, christlicheren Welt, den Willen, je nach den Erfordemis- 991 Botschaften und Ansprachen sen der Zeit vollkommene Formen der Einheit, der Solidarität, der Gemeinschaftlichkeit zu schaffen; das Ideal, an Menschüchkeit zu wachsen, in der Gerechtigkeit und Liebe von Tag zu Tag mehr zur Reife zu kommen. Für all das segne ich euch! Ich trage euch alle, Arbeiterinnen und Arbeiter der Solvay, im Herzen! Ich werde immer für euch, für eure Familien, für eure Arbeit beten und ergriffen dieses herrlichen Tages gedenken. Der hl. Josef beschütze euch, die Muttergottes stehe euch bei; Christus bewahre euch in seiner Gnade! Gelobt sei Jesus Christus. (O.R. 20. 3. 82) Der hl. Josef - „ein gerechter Mann“ Predigt bei der Messe auf dem Platz der Republik in Livorno am 19. März 1. Liebe Brüder und Schwestern! Ich bin heute hier bei euch, um gemeinsam mit euch den hl. Josef zu verehren an dem Tag, an dem ihn die ganze Kirche feiert. Sie verehrt ihn, wie es jener bewundernswürdige „gerechte Mann“, vor dem Gesetz der Gemahl Mariens, der Jungfrau aus Nazaret und Mutter des Sohnes Gottes, verdient. Zugleich verehrt die Kirche Josef von Nazaret als Handwerker, als Mann der Arbeit, wahrscheinlich Zimmermann von Beruf. Er war - unter allen Männern der Arbeit auf Erden - der eine und einzige, an dessen Arbeitsplatz sich jeden Tag Jesus Christus, Sohn Gottes und Menschensohn, einfand. Er, Josef, hat ihn die Arbeit seines Berufes erlernen lassen, hat ihn darin unterwiesen, hat ihm beigebracht, die Schwierigkeiten und den Widerstand des materiellen Elements zu überwinden und aus dem formlosen Stoff Werke menschlicher Fertigkeit zu bilden. Er, Josef von Nazaret, war es, der den Sohn Gottes ein für allemal an die menschliche Arbeit gebunden hat. Ihm ist es zu verdanken, daß Christus selbst auch der Welt der Arbeit angehört und vor Gottes Augen Zeugnis gibt von ihrer hohen Würde. Livorno ist ein großes Industriegebiet. Gerade hier wollen wir den hl. Josef verehren. Auf diese Weise wollen wir zum Ausdruck bringen, daß die Welt, die dem Menschen vom Schöpfer als Aufgabe anvertraut wurde, immer und an jedem Ort der Erde und innerhalb jeder Gesellschaft und 992 Botschaften und Ansprachen Nation „die Welt der Arbeit“ ist. „Welt der Arbeit“ besagt zugleich „menschliche Welt“. Gerade über diese „Welt“ hat sich das Konzil in der Konstitution über die Kirche in der Welt von heute, mit dem Titel Gaudium et spes geäußert. Sie bezeichnet die Welt, das heißt die menschliche Welt (die hauptsächlich die Welt der Arbeit ist), als den Ort der Kirche und als Objekt ihrer pastoralen Aufgabe. Die Kirche steht in dieser Welt. Sie ist in diese Welt gesandt, weil „Gott die Welt so sehr geliebt hat, daß er seinen einzigen Sohn hingab“ (Joh 3, 16); und das hat sich ereignet, erfüllt im Laufe von 30 Jahren im Haus des Josef von Nazaret. Deshalb erweisen wir heute im hl. Josef jener Welt die Ehre, in die Christus und die Kirche gesandt worden sind. 2. Und dieser gerechte Mann bleibt gleichzeitig mit seinem ganzen Leben und seiner Berufung einbezogen in das Geheimnis der Kirche. Wir kennen sein verborgenes Leben und seine stille Berufung. Wir kennen sie zur Genüge aus dem Evangelium, aber wir lesen im Evangelium kein einziges von Josef von Nazaret gesprochenes Wort. Hingegen sind wir Zeugen der Geschehnisse, die aussagen, wie tief Gott selbst die Berufung des hl. Josef im Geheimnis der Kirche verankert hat. Das bezeugen besonders die Lesungen der heutigen Liturgie. Das Geheimnis der Kirche, die Wirklichkeit der Kirche ist gewissermaßen bereits in der Verheißung Gottes an Abraham grundgelegt und zugleich in jenem Glauben, mit dem Abraham den Ruf Gottes erwiderte. Mit Recht lesen wir am Fest des hl. Josef folgenden Satz aus dem Römerbrief: „Denn Abraham und seine Nachkommen erhielten nicht aufgrund des Gesetzes die Verheißung, Erben der Welt zu sein, sondern aufgrund der Glaubensgerechtigkeit. Deshalb gilt: ,aus Glauben, damit auch gilt: ,aus Gnade“. Nur so bleibt die Verheißung für alle Nachkommen gültig, nicht nur für die, welche das Gesetz haben, sondern auch für die, welche wie Abraham den Glauben haben“ (Röm 4, 13. 16). Und dann schreibt der Apostel von demselben Abraham: „Nach dem Schriftwort: Ich habe dich zum Vater vieler Völker bestimmt, ist er unser aller Vater vor Gott, dem er geglaubt hat, dem Gott, der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft“ {Röm 4, 17). Mit dem Glauben hält die Hoffnung Schritt. Abraham ist „Vater“ unseres Glaubens und unserer Hoffnung: „Gegen alle Hoffnung hat er voll Hoffnung geglaubt, daß er der Vater vieler Völker werde“ {Röm 4, 18). Und der hl. Paulus fährt fort: „Darum wurde der Glaube ihm als Gerechtigkeit angerechnet“ {Röm 4, 22). 3. Mit Recht lesen wir diese Worte wieder in der Liturgie des heutigen Festes. Wir lesen sie und denken dabei an den hl. Josef von Nazaret, der 993 Botschaften und Ansprachen ein „gerechter Mann“ war, dem die Tatsache „als Gerechtigkeit“ angerechnet wurde, daß er an den Gott geglaubt hat, „der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft“. Diese Worte, die über Abraham geschrieben worden sind, lesen wir heute mit dem Gedanken an Josef von Nazaret, der „gegen alle Hoffnung voll Hoffnung geglaubt hat“. Das geschah in dem für die Heilsgeschichte entscheidenden Augenblick, als Gott, der ewige Vater, in Erfüllung der an Abraham ergangenen Verheißung „seinen Sohn in die Welt gesandt hat“. Eben damals hat sich der Glaube Josefs von Nazaret gezeigt, und er erwies sich als ebenso groß wie der Glaube Abrahams. Josefs Glaube hat sich vor allem gezeigt, als das Wort des lebendigen Gottes Fleisch wurde in Maria, der Braut Josefs, die nach der Verkündigung des Engels „ein Kind erwartete - durch das Wirken des Heiligen Geistes“. Und das geschah - wie der Evangelist Matthäus schreibt - nach der Hochzeit Marias mit Josef, aber „noch bevor sie in der Ehe zusammenlebten“. So also sollte sich der Glaube des hl. Josef angesichts des Geheimnisses der Menschwerdung des Sohnes Gottes erweisen. Damals erfuhr Josef von Nazaret die große Prüfung seines Glaubens, so wie Abraham sie erfahren hatte. Und damals hat Josef, der „gerechte Mann“, an Gott als den geglaubt, der „das, was nicht ist, ins Dasein ruft“. In der Tat hat Gott selbst durch die Kraft des Heiligen Geistes im Schoße der Jungfrau von Nazaret, Maria, der Braut Josefs, die Menschheit des eingeborenen Sohnes Gottes, des ewigen Wortes des Vaters, ins Dasein gerufen. Gott ist es, der „das, was nicht ist, ins Dasein ruft“. Und Josef von Nazaret glaubte Gott. Er glaubte, so wie einst Abraham geglaubt hatte. Er glaubte, als Gott durch das Wort seines Engels zu ihm sprach. Diese Worte lauten so: „Josef, Sohn Davids, scheue dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen“ (Mt 1, 20-22). Josef, der „sie nicht bloßstellen wollte“, hatte beschlossen, „sich in aller Stille von ihr zu trennen“ (Mt 1,19); nun tat er, „was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte“ (Mt 1, 24). Er nahm Maria zu sich — und mit ihr den, den sie in ihrem Schoß empfangen hatte. So erwies er sich als wahrer Nachkomme Abrahams im Glauben. Ein bevorzugter Nachkomme. Denn ihm war es gegeben, der unmittelbarste Zeuge, gleichsam der Augenzeuge der Erfüllung der Verheißung zu 994 Botschaften und Ansprachen werden, die einst Abraham gegeben und von ihm im Glauben angenommen worden war. Dieser hatte „gegen alle Hoffnung voll Hoffnung geglaubt“ - und Josef glaubte in gleicher Weise. Er wurde von der Stimme Gottes gerufen, damit sich die Hoffnung auf das Heil der Welt erfüllen könne. 4. Die Kirche lebt vom Erbe des Glaubens Abrahams. Die Kirche ist entstanden und besteht, damit sich die Verheißung, die einst Abraham gegeben wurde, in der Welt erfüllen kann. Die Kirche bringt ihren Anfang - die Erfüllung der Hoffnung in der Welt - auch mit dem Glauben des Josef von Nazaret in Verbindung. Seine ganze Gestalt strahlt den Glauben aus, das wahre Erbe des Glaubens Abrahams. Sein Glaube ist dem Glauben Marias von Nazaret am ähnlichsten und steht ihm am nächsten. Beide - Maria und Josef - sind durch dieses wunderbare Band vereint. Vor den Menschen ist ihr Band das der Ehe. Vor Gott und der Kirche sind sie im Heiligen Geist vermählt. Durch diese Vermählung im Glauben sind beide, Maria und an ihrer Seite Josef, zu Zeugen und Spendern des Geheimnisses geworden, durch das die geschaffene Welt und vor allem die Menschenherzen aufs neue zur Wohnung des lebendigen Gottes werden. Josef von Nazaret ist ein gerechter Mann, weil er ganz aus dem Glauben lebt. Er ist heilig, weil sein Glaube wahrhaft heroisch ist. Die Heilige Schrift spricht wenig von ihm - kaum mehr, als was wir in der Liturgie zum heutigen Fest lesen. Sie überliefert auch nicht ein einziges Wort, das Josef, der Zimmermann aus Nazaret, gesprochen hätte. Und dennoch beweist er auch ohne Worte die Tiefe seines Glaubens, seine Größe. Der hl. Josef ist groß im Geist. Er ist groß im Glauben, nicht weil er eigene Worte verkündet, sondern weü er auf die Worte des lebendigen Gottes hört. Er hört schweigend. Und sein Herz verharrt ständig in der Bereitschaft, die im Wort des lebendigen Gottes enthaltene Wahrheit anzunehmen. Sie aufzunehmen und in Liebe zu erfüllen. Deshalb wird Josef von Nazaret zu einem wahrhaft wunderbaren Zeugen des göttlichen Geheimnisses. Er wird zu einem Ausspender des Heiligtums, das Gott für sich auf Erden gewählt hat, um das Heilswerk zu vollbringen. 5. Wenn wir heute mit Verehrung und Liebe auf die Gestalt des hl. Josef bücken, müssen wir in diesem Bück unseren eigenen Glauben erneuern. Wir sehen, wie das Wort des lebendigen Gottes tief in die Seele jenes Mannes - jenes gerechten Mannes - fäüt. 995 Botschaften und Ansprachen Und vermögen wir das Wort Gottes zu hören? Wissen wir es in der Tiefe unseres menschlichen Ichs aufzunehmen? öffnen wir diesem Wort unser Gewissen? Oder bleiben wir - im Gegenteil - nur an der Oberfläche des Wortes Gottes stehen? Erschließen wir ihm keinen tieferen Zugang zu unserer Seele? Nehmen wir dieses Wort nicht in der Stille der inneren Bereitschaft auf, wie Josef von Nazaret es getan hat? Schaffen wir nicht die Bedingungen dafür, daß es in uns wirken und Früchte tragen kann? Hören wir das Wort Gottes? Wie hören wir es? Lesen wir die Heilige Schrift? Nehmen wir an der Katechese teil? Wir haben den Glauben so nötig! Der Glaube ist für den Menschen unserer Zeit, dieser schwierigen modernen Zeit so notwendig! So notwendig ist ein großer Glaube! Gerade heute brauchen die Menschen, die Familien, die Gemeinden, die Kirche einen großen Glauben. Und damit wir einen reifen Blick des Glaubens hinsichtlich der Probleme der Kirche und der Welt von heute erlangen, hat die göttliche Vorsehung uns das Zweite Vatikanische Konzil, seine Lehre und seine Weisungen gegeben. Es ist notwendig, daß jetzt in den einzelnen Gemeinden, in den Kirchen -zumindest in den „Hauskirchen“ - die Arbeit weitergeht und sich alle diese Lehre zu eigen machen. Wir müssen jenes Wort, das der Heilige Geist der Kirche unserer Zeit zu sagen hat, lesen, hören und es in der Stille der inneren Bereitschaft annehmen. Ich weiß, daß die Diözesansynode der Kirche in Livorno in diesem Sinne arbeitet. Die Früchte dieser Arbeit empfehle ich heute dem hl. Josef. 6. „Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom heiligen Geist“ {Mt 1, 20). Volk Gottes! Kirche von Livorno! Fürchte dich nicht, zusammen mit Josef von Nazaret Maria aufzunehmen. Fürchte dich nicht, Jesus Christus, ihren Sohn, in dein ganzes Leben aufzunehmen. Fürchte dich nicht, ihn in deine Häuser aufzunehmen, so wie Josef es getan hat. Fürchte dich nicht, ihn in deine Häuser aufzunehmen, so wie Josef Jesus in das Haus in Nazaret aufgenommen hat. Fürchte dich nicht, Christus in deine tägliche Arbeit aufzunehmen. 996 Botschaften und Ansprachen Fürchte dich nicht, ihn in deine Welt aufzunehmen. Dann wird diese Welt wahrhaft menschlich sein. Sie wird immer menschlicher werden. Denn nur der Gott-Mensch kann unsere menschliche Welt voll und ganz menschlich machen. (O.R. 21. 3. 82) „Brüder und Schwestern im fernen China!“ Predigt beim Gottesdienst für die Kirche in China in Sankt Peter am 21. März 1. „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3, 16). Wenn wir die Eucharistie feiern, wollen wir Gott die Ehre erweisen: dem allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Gott selbst. Er ist ja nicht nur Schöpfer der Welt, sondern er hat die Welt auch geliebt. Und in besonderer Weise hat er in der Welt dann den Menschen geliebt, den er als sein Bild und Gleichnis geschaffen hat. Durch dieses Bild und Gleichnis Gottes, das der Mensch in sich trägt, ist er zum ewigen Leben, zur Teilnahme am göttlichen Leben bestimmt. Gottes Liebe zum Menschen besteht darin, daß er den Menschen zum ewigen Leben in der Einheit mit ihm bestimmt. 2. In noch höherem Maße offenbarte sich diese Liebe, nachdem der Mensch durch die Sünde das Bild Gottes in sich entstellt und sich der Gefahr ausgesetzt hatte, Gott für immer zu verlieren. Da hat Gott, um noch nachdrücklicher kundzutun, daß er den Menschen zum ewigen Leben bestimmt hat und sein ewiges Heil will, dem Menschen - und zugleich auch der Welt - seinen eingeborenen Sohn geschenkt: „Er hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab.“ Wenn wir die Eucharistie feiern, wollen wir auch in besonderer Weise unserem Glauben an Jesus Christus, den eingeborenen Sohn Gottes, unseren Herrn, Ausdruck geben, der vom Heiligen Geist empfangen und dank seiner göttlichen Kraft von der Jungfrau Maria geboren wurde. Die gesamte Kirche verehrt Maria als Gottesgebärerin, das heißt als Mutter Gottes. 997 Botschaften und Ansprachen Der ewige Vater hat seinen von der Jungfrau geborenen Sohn hingegeben, damit der Mensch - trotz der Sünde - „nicht zugrunde gehe, sondern das ewige Leben habe“. Jesus Christus, der die Liebe des Vaters vollendet, hat zugleich aufgrund seiner Liebe zu uns Menschen, seinen Brüdern und Schwestern, sein Leben unter schrecklichen Leiden und Qualen am Kreuz hingegeben. Wenn wir die Eucharistie feiern, gedenken wir nicht nur des Todes Christi am Kreuz, sondern wir erneuern auch in unblutiger Weise sein für das Heil der Welt vollbrachtes Opfer. Das drücken wir nach der Wandlung der Opfergaben mit den Worten aus: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ 3. Dieses Opfer unserer Erlösung bringen wir gemeinsam mit der Universalkirche der Heiligsten Dreifaltigkeit dar. Die gesamte Kirche bringt es dar, wenn ein Priester, ein Bischof oder der Papst die Eucharistie feiern. Andererseits bringen wir, wenn wir - unter den Gestalten von Brot und Wein - das Kreuzesopfer Christi in unblutiger Weise erneuern, „durch Christus, mit Christus und in Christus“ alle Menschen und die gesamte Schöpfung, also die ganze Welt, Gott zum Opfer dar. Indem wir uns von den besonderen Nöten der Welt und der Menschen leiten lassen, bringen wir dieses heilige Opfer stets in einer bestimmten Intention dar. Heute zelebriere ich diese feierliche Messe in der Petersbasilika in Rom für die Kirche in China. Ebenso tun das die Bischöfe und Priester in der ganzen Welt oder werden es tun. Darum habe ich sie ersucht und dazu habe ich sie in meiner Eigenschaft als Bischof von Rom und Nachfolger Petri aufgefordert, dem nach der apostolischen und ältesten Überlieferung der Kirche durch Verfügung des Herrn Christus selbst „der Vorsitz in der Liebe“ übertragen wurde. Diese unsere Liebe benötigen und erwarten die ganze Kirche und besonders unsere Brüder und Schwestern in China. 4. In die Gemeinschaft dieses eucharistischen Opfers wollen wir auch unsere so sehr geliebten Brüder und Schwestern in besonderer Weise mit einbeziehen. Wir wissen, daß auch sie in ihrer Heimat dasselbe Opfer von Brot und Wein darbringen, das zum Opfer Christi, zu seinem Leib und Blut für das Heil der Welt wird. In diesem Opfer drücken sie - gemeinsam mit uns - ihren Glauben aus, den sie von zahlreichen Generationen von Christusbekennern in ihrem Vaterland ererbt haben: ein Glaube, der sich in den Prüfungen vielfältiger 998 Botschaften und Ansprachen Erfahrungen und Leiden bewährt hat. Darüber hinaus bringen sie die Traditionen ihres großen Volkes, ihrer Kultur, ihrer täglichen Arbeit, ihrer Anstrengungen zum Ausdruck, die ein immer besseres und gerechteres Leben in ihrer Gesellschaft zum Ziel haben. Sie tragen das alles als Opfergabe in ihren Herzen. Und wenn sie Brot und Wein als Frucht der Arbeit ihrer Hände auf dem Altar niederlegen, möchten sie alle diese ihre Opfergaben an Gott im Opfer zum Ausdruck bringen, das in der Eucharistie zur Selbsthingabe Jesu Christi wird: zu seinem Leib und seinem Blut. O, unsere heben Brüder und Schwestern im fernen China! Seid in diesem Opfer der Erlösung so mit uns verbunden, wie wir mit euch verbunden sind! Es umfange euch dasselbe Evangelium Christi, dasselbe Licht und dieselbe Anbetung des ewigen Vaters, Schöpfers des Himmels und der Erde. „Ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus“ (Eph 4, 5-6; 1, 3). O Maria, Mutter der Kirche und Königin Chinas, dir vertrauen wir unsere Brüder und Schwestern an, die in China leben. Setze dich bei deinem Sohn Jesus, unserem Herrn und Heiland, für sie ein, damit sie ihren Glauben leben können und in der katholischen Einheit seiner heiügen Kirche verbleiben. Amen. (O.R. 22.123. 3. 82) Gebet zum Gründonnerstag An alle Priester der Kirche Liebe Brüder im Priester amt! Seit Beginn meines Dienstes als Hirt der ganzen Kirche war es mein Wunsch, daß der Gründonnerstag alljährlich zu einem Tag besonderer geistlicher Verbundenheit mit Euch werde, um zusammen mit Euch zu beten, die pastoralen Sorgen und Hoffnungen zu teüen, Euren hochherzigen und treuen Dienst zu ermutigen und Euch im Namen der ganzen Kirche zu danken. In diesem Jahr schreibe ich Euch keinen Brief, sondern übersende ich Euch den Text eines Gebetes, das mir, vom Glauben angeregt, aus dem Herzen kommt. Dieses Gebet möchte ich zusammen mit Euch am Geburtstag meines und Eures Priestertums an Christus richten und uns 999 Botschaften und Ansprachen allen dabei eine Betrachtung vorlegen, die von diesem Gebet erhellt und getragen sei. Möge es jedem von Euch gegeben sein, die Gnade Gottes wieder zu entfachen, die er durch die Auflegung der Hände in sich trägt (vgl. 2 Tim 1,6), und in neuer Lebendigkeit die Freude zu verkosten, sich ganz an Christus verschenkt zu haben. Aus dem Vatikan, am 25. März 1982, dem Fest der Verkündigung des Herrn, im vierten Jahr meines Pontifikates. I. 1. An diesem Festtag unseres Priestertums wenden wir uns an dich, Christus im Abendmahlssaal und auf dem Kalvarienberg. Wir alle wenden uns an dich: Bischöfe und Priester, die wir in priester-licher Gemeinschaft in unseren Kirchen versammelt und in der umfassenden Einheit der heiligen und apostolischen Kirche miteinander verbunden sind. Der Gründonnerstag ist der Geburtstag unseres Priestertums. An diesem Tag sind wir alle geboren. Wie ein Kind aus dem Schoß der Mutter geboren wird, so sind wir, Christus, aus deinem einen und ewigen Priestertum geboren worden. Wir sind geboren in der Gnade und in der Kraft des neuen und ewigen Bundes, aus dem Leib und Blut deines Erlösungsopfers: aus dem Leib, der für uns hingegeben wird, und aus dem Blut, das für uns alle vergossen wird.2 Unser Ursprung ist im Abendmahlssaal und zugleich zu Füßen des Kreuzes auf dem Kalvarienberg; dort, wo die Quelle für das neue Leben und für alle Sakramente der Kirche hegt, dort ist auch der Anfang unseres Priestertums. Wir wurden geboren zusammen mit dem ganzen Gottesvolk des Neuen Bundes, das du, der geliebte Sohn des Vaters,3 zu Königen, zu Priestern für Gott, deinen Vater, gemacht hast.4 Wir wurden berufen zu Dienern dieses Volkes, das seine „geistigen Opfer“5 zu den ewigen Zelten des Dreimal Heiligen trägt. Das eucharistische Opfer ist „Mitte und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“.6 Es ist ein einziges Opfer, das alles einschließt. Es ist das höchste Gut der Kirche. Es ist ihr Leben. Wir danken dir, Christus, - weil du selbst uns erwählt hast, indem du uns auf besondere Weise mit deinem Priestertum verbunden und mit einem unauslöschlichen Merkmal gezeichnet hast, das jeden von uns befähigt, dein persönüches Opfer als 1000 Botschaften und Ansprachen Opfer des ganzen Volkes darzubringen: das Opfer der Versöhnung, in welchem du ununterbrochen dich selbst und in dir den Menschen und die Welt dem Vater darbringst; - weil du uns zu Dienern der Eucharistie und deiner Vergebung bestellt hast, zu Mitarbeitern in deiner Verkündigung der Frohen Botschaft, zu Dienern des Volkes des Neuen Bundes. II. 2. Herr Jesus Christus! Als du dich am Gründonnerstag von denen trennen mußtest, die du bis ans Ende geliebt hast,7 hast du ihnen den Geist der Wahrheit verheißen. Du sagtest: „Es ist gut für euch, daß ich fortgehe; denn wenn ich nicht fortgehe, so wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden“.8 Du bist fortgegangen durch das Kreuz, indem du „gehorsam wurdest bis zum Tod“;9 „du dast dich selbst erniedrigt“10 in der Liebe, mit der du uns geliebt hast bis zum Ende; so ist nach deiner Auferstehung der Kirche der Heilige Geist gegeben worden, der gekommen ist und für immer bei ihr bleibt. Es ist der Geist, der „durch die Kraft des Evangeliums die Kirche allezeit sich verjüngen läßt, sie immerfort erneut und zur vollkommenen Vereinigung“ mit dir geleitet.12 Indem wir uns — ein jeder von uns - dessen bewußt sind, daß wir durch den Heiligen Geist, der in der Kraft des Kreuzes und deiner Auferstehung wirkt, das Amtspriestertum empfangen haben, um für die Erlösung der Menschen in deiner Kirche zu wirken, - bitten wir heute, an diesem für uns so heiligen Tag, um die ständige Erneuerung deines Priestertums in der Kirche durch deinen Geist, der in jeder Epoche diese deine Braut „verjüngen“ muß; - wir bitten, daß jeder von uns in seinem eigenen Herzen die wahre Bedeutung, die seine persönliche Berufung zum Priestertum für ihn selbst und für alle Menschen hat, erneut entdeckt und ununterbrochen durch sein Leben bekräftigt; - auf daß er mit den Augen des Glaubens in immer größerer Reife die wahre Dimension und Schönheit des Priestertums erkennt; - auf daß er fortwährend für das Geschenk der Berufung als einer unverdienten Gnade dankt; - auf daß er in ständiger Dankbarkeit die Treue zu diesem heüigen Geschenk in sich festigt, das gerade, weil es unverdient ist, um so stärker verpflichtet. 1001 Botschaften und Ansprachen 3. Wir danken dir, daß du uns als Diener deines Priestertums dir gleichgestaltet und berufen hast, deinen Leib, die Kirche, nicht nur durch die Ausspendung der Sakramente, sondern auch durch die Verkündigung deines „Heilswortes“13 aufzuerbauen, und uns so Anteil an deiner verantwortungsvollen Hirtensorge gegeben hast. Wir danken dir, daß du trotz unserer menschüchen Schwäche und Gebrechlichkeit Vertrauen zu uns hattest und uns in der Taufe die Berufung und die Gnade der Vollkommenheit eingestiftet hast, um die Tag für Tag gerungen werden muß. Wir bitten darum, daß wir immer unseren heiligen Verpflichtungen nach dem Maßstab eines reinen Herzens und eines guten Gewissens zu entsprechen vermögen. Mögen auch wir „bis ans Ende“ dir treu bleiben, der du uns „bis ans Ende“ geliebt hast.14 Mögen jene Strömungen und Ideen in unseren Herzen keinen Einlaß finden, die die Bedeutung des Amtspriestertums herabmindern, jene Meinungen und Bestrebungen, die sich sogar gegen die Natur der heiligen Berufung und des Dienstes richten, zu dem du, Christus, uns in deiner Kirche rufst. Als du am Gründonnerstag bei der Einsetzung der Eucharistie und des Priestertums von jenen Abschied nahmst, die du bis ans Ende geliebt hast, hast du ihnen den neuen „Tröster“ verheißen.15 Mach, daß dieser Tröster, „der Geist der Wahrheit“,16 mit seinen heiligen Gaben bei uns sei! Daß mit uns seien die Weisheit und der Verstand, die Wissenschaft und der Rat, die Stärke, die Frömmigkeit und die heilige Gottesfurcht, auf daß wir immer zu erkennen vermögen, was von dir kommt, und unterscheiden können, was vom „Geist der Welt“17 oder gar vom „Herrscher dieser Welt“18 herkommt. 4. Gib, daß wir deinen Geist nicht „beleidigen“19 - mit unserem Kleinglauben und dem Mangel an Bereitschaft, dein Evangelium „in Tat und Wahrheit“20 zu bezeugen; - mit Verweltlichung und dem Verlangen, uns um jeden Preis „dieser Welt anzugleichen“;21 - schließlich mit dem Fehlen jener Liebe, die „langmütig und gütig ist...“, die „nicht prahlt...“ und „nicht ihren Vorteil sucht...“, die „alles erträgt, alles glaubt, alles hofft, allem standhält“, jener Liebe, die „sich mit der Wahrheit freut“ und nur mit der Wahrheit.22 Laßt uns deinen Geist nicht „beleidigen“ - mit all dem, was innere Traurigkeit verursacht und die Seele behindert, - mit dem, was Komplexe hervorruft und zu Entzweiungen führt, - mit dem, was uns für Versuchungen jeder Art anfällig macht, 1002 Botschaften und Ansprachen - mit der Absicht, das eigene Priestertum vor den Menschen zu verbergen und jedes äußere Kennzeichen zu meiden, - mit dem, was schließlich zur Versuchung der Flucht unter dem Vorwand des „Rechts auf Freiheit“ führen kann. Mach, daß wir die Fülle und den Reichtum unserer Freiheit nicht entleeren, die wir doch dadurch geadelt und verwirklicht haben, daß wir uns dir geschenkt und das Geschenk des Priestertums angenommen haben! Mach, daß wir unsere Freiheit nicht von dir trennen, dem wir doch das Geschenk dieser unaussprechlichen Gnade verdanken! Mach, daß wir deinen Geist nicht „beleidigen“! Gib, daß wir mit jener Liebe lieben, mit der dein Vater „die Welt geliebt hat“, als er „den einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern das ewige Leben hat“.23 Heute, am Tag, an dem du selbst der Kirche den Geist der Wahrheit und der Liebe versprochen hast, vereinen wir alle uns mit denen, die beim Letzten Abendmahl als erste von dir den Auftrag zur Feier der Eucharistie empfingen, und rufen: „Sende aus deinen Geist... und erneuere das Angesicht der Erde“,24 auch jener „Erde“ unseres Priestertums, die du fruchtbar gemacht hast mit dem Opfer deines Leibes und Blutes, das du durch unsere Hände täglich auf den Altären erneuerst, im Weinberg deiner Kirche. <29> <29> 5. Alles spricht uns heute von dieser Liebe, mit welcher „du die Kirche geliebt und dich für sie hingegeben hast, um sie heilig zu machen“.25 Durch die erlösende Liebe in deiner endgültigen Hingabe hast du die Kirche zu deiner Braut gemacht und bereitest du sie auf den Erdenwegen ihres Lernens für die ewige „Hochzeit des Lammes“26 im „Hause des Vaters“.27 In dieser bräutlichen Erlöserliebe, in dieser erlösenden Liebe eines Bräutigams schenkst du Fruchtbarkeit allen „hierarchischen und charismatischen Gaben“, mit denen der Heilige Geist die Kirche „bereitet und lenkt“.28 Dürfen wir an dieser Liebe zweifeln, Herr? Kann denn jemand, der sich von lebendigem Glauben an den Gründer der Kirche leiten läßt, Zweifel hegen an dieser Liebe, der die Kirche all ihre geistliche Lebendigkeit verdankt? Darf man bezweifeln, - daß du deiner Kirche wahre „Verwalter der Geheimnisse Gottes“,29 insbesondere wahre Diener der Eucharistie geben kannst und willst? 1003 Botschaften und Ansprachen - daß du in den Menschen, besonders den jungen, das Charisma des priesterlichen Dienstes, so wie es in der Tradition der Kirche angenommen und verwirklicht wurde, wecken kannst und willst? - daß du in ihnen mit der Bereitschaft zum Priesteramt auch die Bereitschaft zur Gabe der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen wecken kannst und willst, wie es ganze Generationen von Priestern in der katholischen Kirche bewiesen haben und noch heute beweisen? Ist es angebracht, entgegen der Stimme des jüngsten Ökumenischen Konzils und der Bischofssynode weiterhin zu fordern, die Kirche müsse auf diese Tradition und dieses Erbe verzichten? Ist es uns Priestern nicht vielmehr aufgegeben, hochherzig und froh unsere Verpflichtung zu leben, mit unserem Zeugnis und Wirken zur Verbreitung dieses Ideals beizutragen? Ist es nicht unsere Aufgabe zu helfen, daß es in Zukunft mehr Priester für den Dienst am Volk Gottes gibt, indem wir uns mit allen Kräften für die Weckung von Berufungen einsetzen und die unersetzliche Aufgabe der Seminarien unterstützen, wo die zum Priestertum Berufenen sich in sinnvoller Weise auf die volle Hingabe ihrer Person an Christus vorbereiten können? 6. Eine solche Frage wage ich in dieser Gründonnerstagsmeditation meinen Brüdern zu stellen; gerade weil dieser heüige Tag doch wohl eine volle und absolute Ehrlichkeit vor dir, dem ewigen Priester und guten Hirten unserer Seelen von uns verlangt! Ja, die Jahre nach dem Konzil, die zweifellos reich waren an guten Anstößen und aufbauendem Tun, die in allen Bereichen der Kirche geistliche Erneuerung zeitigten, sie mußten auf der anderen Seite leider auch das Entstehen einer Krise und das Deutlichwerden mancher Uneinigkeiten erleben. Aber dürfen wir in irgendeiner Krise an deiner Liebe zweifeln? An jener Liebe, mit welcher du „die Kirche geliebt und dich für sie hingegeben hast“?30 Sind diese Liebe und die Kraft des Geistes der Wahrheit nicht größer als alle menschliche Schwachheit? Auch wenn diese Schwachheit überhandzunehmen scheint und sich gar als ein Zeichen für „Fortschritt“ ausgibt? Die Liebe, die du der Kirche schenkst, güt immer dem Menschen, der schwach ist und den Folgen seiner Schwachheit ausgesetzt. Und doch hörst du nie auf mit dieser deiner Liebe, die einen Anspruch an den Menschen und an die Kirche stellt und ihnen gerade so ihren Adel gibt. Dürfen wir diese Liebe verkleinern? Machen wir sie nicht kleiner, sooft wir wegen der Schwachheit des Menschen meinen, man dürfe ihre Forderungen nicht aufrechterhalten? 1004 Botschaften und Ansprachen IV. 7. „Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“.31 Am Gründonnerstag, dem Geburtstag unseres Priestertums, sehen wir mit den Augen des Glaubens die ganze Unermeßlichkeit dieser Liebe, die dich im Paschamysterium „gehorsam bis zum Tod“ werden ließ, und in diesem Licht sehen wir auch unsere Unwürdigkeit besser. Mehr als sonst fühlen wir uns heute gedrängt zu dem Ausruf: „Herr, ich bin nicht würdig. Wir sind wirklich „unnütze Sklaven“?2 Doch bemühen wir uns, diese Unwürdigkeit und „Nutzlosigkeit“ in einer Einfachheit des Herzens zu sehen, die uns zu Menschen großer Hoffnung macht. „Die Hoffnung aber läßt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“.33 Diese Gabe kommt aus deiner Liebe: aus dem Abendmahl und aus dem Kreuz. Glaube, Hoffnung und Liebe müssen der rechte Maßstab für unser Werten und Handeln sein. Heute, am Tag der Einsetzung der Eucharistie, bitten wir dich mit der ganzen Demut und Inständigkeit, deren wir fähig sind, daß sie auf dem ganzen Erdkreis von den dazu berufenen Dienern gefeiert werde, damit keine Gemeinde deiner Jünger und Bekenner dieses heilige Opfer und diese geistliche Nahrung entbehren muß. 8. Die Eucharistie ist vor allem Gabe an die Kirche, eine unsagbare Gabe. Auch das Priestertum ist eine Gabe an die Kirche, und zwar im Hinblick auf die Eucharistie. Heute, da man sagt: Die Gemeinde hat ein Recht auf die Eucharistie, muß man es besonders ernst nehmen, daß du deinen Jüngern ans Herz gelegt hast, sie sollten „den Herrn der Ernte bitten, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“.34 Wenn man nicht mit Eifer „bittet“, wenn man sich nicht mit allen Kräften dafür einsetzt, daß der Herr den Gemeinden wahre Diener der Eucharistie sendet, kann man dann mit innerer Überzeugung behaupten, „die Gemeinde habe ein Recht...“? Wenn sie ein Recht hat, dann das Recht des Geschenkes! Und mit einem Geschenk kann man nicht umgehen, als wäre es keines. Man muß unablässig darum beten; auf den Knien muß man es erbitten. Man muß also - nachdem die Eucharistie das größte Geschenk Christi an 1005 Botschaften und Ansprachen die Kirche ist - um Priester bitten; denn auch das Priestertum ist ein Geschenk an die Kirche. An diesem Gründonnerstag, als Presbyterium und mit den Bischöfen versammelt, bitten wir dich, Herr: Laß uns immer von der Größe des Geschenkes durchdrungen sein, welches das Sakrament deines Leibes und Blutes ist! Laß uns in innerem Einklang mit der Ordnung der Gnade und mit dem Wesen eines Geschenkes unablässig „den Herrn der Ernte bitten“; und laß dieses Flehen aus einem reinen Herzen kommen und die Einfachheit und Aufrichtigkeit echter Jünger in sich tragen. Dann wirst du, Herr, unser Rufen nicht zurückweisen. 9. Wir müssen mit so lauter Stimme zu dir rufen, wie es die Größe des Anliegens und die offenkundige Not der Zeit erfordern. Und so erheben wir unsere Stimme und rufen. Dabei sind wir uns dessen bewußt, daß „wir nicht wissen, worum wir in rechter Weise beten sollen“.35 Stehen wir doch vor einem Problem, das unsere Kräfte weit übersteigt! Und doch, es ist unser Problem. Und kein anderes ist so sehr unser wie dieses. Der Gründonnerstag ist unser Festtag. Zugleich denken wir an jene Felder, die „weiß sind, reif zur Ernte“.36 Und so haben wir Vertrauen, daß der Geist „sich unserer Schwachheit annehmen“ wird, er, der „für uns eintritt mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können“.37 Denn es ist immer der Geist, der „die Kirche sich verjüngen läßt, sie immerfort erneut und zur vollkommenen Vereinigung mit ihrem Bräutigam geleitet“.38 10. Wir wissen nichts von einer Gegenwart deiner Mutter beim Letzten Abendmahl. Und doch empfiehlt sich unser Gebet besonders ihrer Fürsprache. Was kann ihr mehr bedeuten als der Leib und das Blut ihres Sohnes, die im Geheimnis der Eucharistie den Aposteln anvertraut wurden, als der Leib und das Blut, welche von unseren priesterlichen Händen immerfort als Opfer dargebracht werden „für das Leben der Welt“?39 Durch ihre Vermittlung also danken wir dir, besonders heute, und durch ihre Vermittlung flehen wir, — daß sich unser Priestersein aus der Kraft des Heiligen Geistes erneuere, — daß es beständig von der demütigen, aber kraftvollen Sicherheit der Berufung und Sendung geprägt werde, — daß die Bereitschaft zum heiligen Dienst zunehme. Christus des Abendmahls, Christus des Kreuzes, nimm uns alle an, uns, deine Priester im Jahre des Herrn 1982, und heilige uns wieder neu im Geheimnis des Gründonnerstags! Amen. 1006 Botschaften und Ansprachen Anmerkungen 1 Vgl. Lk 22, 19. 2 Vgl. Mt 26, 28. 3 Vgl. Kol 1, 13. 4 Vgl. Offb 1,6. 5 1 Petr 2, 5. 6 II. Vatikanisches Konzil, 22 1 Kor 13, 4-7. 23 Joh 3, 16. 24 Vgl. Ps 104, 30. 25 Vgl. Eph 5, 25 f. Dogmatische Konstitution über 26 Offb 19,7. 27 Joh 14,2. die Kirche Lunien gentium, 11. 7 Vgl. /ofc 13, 1. 8 Joh 16, 7. 9 Phil 2, 8. 10 Phil 2, 7. 11 Vgl. 7oÄ 14, 16. 12 Vgl. n. Vat. Konzil, a. a. O., 4. 13 4pg 13, 26. 14 Vgl. Joh 13. 1. 15 Joh 14, 16. 16 Joh 14, 17. 28 Vgl. n. Vat. Konzil, a. a. O., 4. 29 1 Kor 4, 1. 30 Vgl. Eph 5, 25. 31 Mt 9, 38. 32 Lk 17, 10. 33 Röm 5, 5. 34 Vgl. Mt 9, 38. 35 Röm 8, 26. 36 Joh 4, 35. 37 Röm 8, 26. 17 7 Kor 2, 12. 18 Joh 16, 11. 19 Vgl. EpTi 4, 30. 20 1 Joh 3, 18. 21 Vgl. Röm 12, 2. 38 II. Vat. Konzil, a. a. O., 4. 39 /o/z 6, 51. Z>er PFe/Z dm neuen Papst genannt Predigt beim Requiem für Kardinal Pericle Felici in St. Peter am 25. März „Haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet“ (Lk 12, 40). 1. Wieder einmal, hebe Brüder und Schwestern, läßt uns die Erfahrung die Wahrheit dieser so bekannten Mahnung des Evangeliums mit der Hand greifen. Wir stehen noch alle unter dem schmerzlichen Eindruck, erschüttert über das unerwartete Hinscheiden unseres geliebten Bruders, Kardinal Pericle Fehei, unvergeßheher Generalsekretär des Zweiten Vatikanischen Konzils, Präfekt des Obersten Gerichtshofes der Apostolischen Signatur und Präsident der Päpsthchen Kommission für die Revision des Kirchenrechts. Der Herr, Gebieter über Leben und Tod, hat ihn uns plötzheh entrissen während seines unermüdhehen Einsatzes im Dienst an der Kirche, bei der 1007 Botschaften und Ansprachen Ausübung seines Priesteramtes in Apulien, und wir glauben, daß es, wenn der Herr es so gefügt hat, höheren, wenn auch für uns unbegreiflichen Gründen der Güte und barmherzigen Liebe entspricht. Gerade dieser Gedanke, der sich am lebendigen Glauben inspiriert, das heißt der direkte Bezug zu einer wesentlichen Aussage unseres Glaubensbekenntnisses: „Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn“ (Röm 14, 8), dieser Gedanke soll uns bei der heutigen Liturgiefeier leiten und uns neue geistliche Anregung geben. Gott, der Herr, nimmt weg und zugleich bewahrt er; er entreißt uns die physische Anwesenheit eines sehr teuren Bruders und zugleich zeigt er ihn uns - und dafür haben wir über die Hoffnung hinaus sichere Gewißheit - im Namen und durch die Kraft seines eingeborenen auferstandenen Sohnes mit neuem Leben bekleidet. Gerade dieser Gedanke des Glaubens soll uns in unserer menschlichen Niedergeschlagenheit aufrichten und die Trauerfeier heute vormittag in die Wirklichkeit brüderlicher Verbundenheit und Tröstung verwandeln. 2. Ich habe auf die zweifellos wichtigen Ämter und Funktionen hingewiesen, die dem betrauerten Kardinal von meinen Vorgängern Johannes XXIII. und Paul VI. in seinen reifen Jahren übertragen worden sind. Aber Kardinal Felici muß auch auf Grund dessen geschätzt werden und in Erinnerung bleiben, was er in den vorausgegangenen Jahren gewesen ist und geleistet hat - als Priester, reich an natürlichen und menschlichen Qualitäten, und, dank eines ernsten Bemühens, sich zu formen und zu bilden, noch bereichert mit jenen Gaben, die dem wahren „Mann Gottes“ (1 Tim 6, 11) eigen sind. So zeigen sich neben seinem offenen, aufrichtigen Charakter, der Einfachheit seines Wesens, dem gesunden Menschenverstand eines echten Bewohners von Latium, ja selbst seinem Humor und seiner poetischen Ader sehr deutlich und beispielhaft gültig ausgeprägt seine feste Haltung als „römischer Priester“, seine juristische Sachkenntnis und seine Leidenschaft für die alte und neue Gesetzgebung der Kirche, seine Arbeit auf didaktisch-pädagogischem Gebiet als Rektor des Päpstlichen Instituts „utriusque iuris“ (beider Rechte) Sant’Apollinare und hochgeschätzter Spiritual am römischen Priesterseminar. Darüber könnten wohl die unzähligen jungen Männer und Alumnen von einst sprechen und es bezeugen, die heute Priester sind und bei der Erfüllung ihrer kirchlichen Ämter beweisen, daß sie sich die hervorragenden Lehren, die sie von ihrem Obern und geistlichen Leiter erhalten haben, tief eingeprägt haben. 3. Ich aber empfinde ihm gegenüber eine ganz besondere, lebhafte und aufrichtige Dankesschuld. So wie viele, ja wie alle Bischöfe, die vom 11. Oktober 1962 bis 8. Dezember 1965 an den einzelnen Sitzungen des 1008 Botschaften und Ansprachen Zweiten Vatikanischen Konzils teilnahmen, habe ich noch immer die Gestalt des emsigen Sekretärs Msgr. Fehei klar vor Augen. Bereits in der vorausgehenden ersten und zweiten Vorbereitungsphase mit der komplizierten und gewissenhaften Koordinierungs- und Sortierungsarbeit der großen Menge von Papieren betraut, die sich auf die gewaltige Konzilsproblematik bezogen, bewies er weiterhin stets beharrlichen Eifer, die Fähigkeit zuzuhören, die Respektierung der Meinung anderer, die Klarheit in der Sicht der Probleme, wenn nötig auch langmütige Geduld und stand gehorsam und absolut treu zu den Päpsten. Seine tägliche, unermüdliche Arbeit kannte keine Unterbrechung, da er als Sekretär nicht nur in der Konzilsaula hier in der Basilika seine Aufgabe zu erfüllen hatte, sondern seine Arbeit wiederaufnehmen und fortsetzen mußte, wenn die der anderen beendet war. Und diese Arbeit ging - das muß hinzugefügt werden - ebenso auch noch in der keineswegs einfachen nachkonziliaren Periode weiter. Sie ergab sich aus der Leitung der Veröffentlichung sämtlicher offizieller Akten der Weltversammlung wie auch aus dem Vorsitz der Sonderkommission, die mit der Aufgabe der Interpretation der Konzilsdekrete betraut ist. Und ich darf den anderen wichtigen Bereich, den ich schon andeutete, nicht vergessen, den des Erstverantwortlichen der Kommission für die Vorbereitung des neuen Kirchengesetzbuches, für den, außer einem gründlichen Rechtsverständnis, nicht alltägliche Fähigkeiten der Organisation und Synthese erforderlich sind und in dem sich, mit Gottes Hilfe, bereits die Früchte zu zeigen beginnen. Gerade diese gewaltige Arbeit sowie die übrigen Aufträge, die ihm in der Römischen Kurie anvertraut waren, habe ich im Auge, wenn ich von der persönlichen Dankesschuld gegenüber dem teuren Purpurträger spreche, den ich wegen seiner Sachkenntnis, seiner Anhänglichkeit, und, ich möchte sagen, wegen des Stüs, den sein Dienst und seine Zusammenarbeit hatten, so sehr schätzte. So wie er stets des Vertrauens meiner Vorgänger würdig war, so ist er mir in diesen Jahren meines Pontifikats in Treue nahegestanden, seit jenem Abend des 16. Oktober 1978, als er der Welt den Namen des Neugewählten auf dem Stuhl Petri bekanntgab. 4. Aber kommen wir auf das Ereignis des Konzils zurück, bei dem Kardinal Felici nach einstimmiger Anerkennung wohl eine der Hauptfiguren war. Ohne auf einer solchen Bewertung zu bestehen (hier wäre nicht der richtige Ort dafür), möchte ich lediglich feststellen, daß die gesamte Tätigkeit, die er in seinem Leben, das heißt vor, während und nach dem Konzil, entfaltet hat, jenem spezifischen Merkmal des Zweiten Vatikanums entsprach: dem Merkmal der Kirchlichkeit. In der Tat, das Konzil 1009 Botschaften und Ansprachen der Kirche hatte in seinem Sekretär den Diener der Kirche. Für sie mühte er sich tatkräftig und uneigennützig in seinem Auftrag, gemeinsam mit der Versammlung der Brüder im Bischofsamt die echten und ursprünglichen Grundzüge der Kirche Christi als Sakrament des Heils und der Einheit für die Völker (vgl. Lumen gentium, Nr. 1) sichtbar zu machen. Er verstand es auch, in den Tagen und Monaten dieser leidenschaftlichen Suche offene und herzliche Kontakte zu den Mitbrüdern herzustellen, die nicht selten zu aufrichtiger Freundschaft erblühten und ihrerseits die Bande der Kollegialität bestätigten, über die man in der Konzilsaula diskutierte. 5. Wir gehen nun von der Liturgie des Wortes weiter zur eucharistischen Liturgie. Nicht nur das bisher Gesagte führt uns in sie ein, sondern auch und vor allem die Mahnung, die wir bei der Lesung aus dem Evangelium gehört haben. Eine heilsame Mahnung, eine einzigartige Mahnung ist j enes „Haltet euch bereit“, das der Herr an uns richtet (Lk 12, 40)! Diese Mahnung entmutigt nämlich nicht, sondern sie richtet auf und tröstet, denn auch wenn sie uns an die Pflicht der Vorbereitung und der Wachsamkeit, ,in Erwartung seines Kommens“ erinnert, geht ihr doch unmittelbar die Seligpreisung voraus, die denen Vorbehalten ist, „die bereit sind“. Wir werden gut daran tun, hebe Brüder, immer wieder über dieses zugleich mahnende und trostspendende Wort Jesu Christi nachzudenken: Es stellt eine der Seligpreisungen des Evangeliums dar und vermag daher unserem Geist Trost zu spenden angesichts unvorhergesehener Trauerfälle, die uns selbst oder die Brüder treffen. Ja, „selig sind die Knechte, die der Herr wach findet, wenn er kommt“ (Lk 12, 37; vgl. 38. 43). Eine solche Seligpreisung, die Voraussetzung und Gewähr der ewigen Seligkeit in Gott ist, darf mit Sicherheit auf Kardinal Fehei Anwendung finden, da er weder unvorbereitet noch unaufmerksam gegenüber der Stimme des Herrn war. Nur wenige Minuten vor seiner plötzhehen Abberufung hatte er - wie mit einer Vorahnung im Herzen - auf das Scheiden von dieser Erde hingewiesen, das das gemeinsame Los aller Menschen ist, und, von diesem Gedanken ausgehend, hatte er, der ehemalige Student des römischen Priesterseminars, an dem die Verehrung der Muttergottes des Vertrauens tiefverwurzelte Tradition ist, vor den Gläubigen erklärt, er sei gewiß, daß Maria ihn erwarten werde. Hatte er es wohl geahnt? Wir wissen es nicht, aber wir wissen, hoffen und glauben, daß er die Augen, die er auf der Bühne dieser Welt geschlossen hat, wieder auftat in der Begegnung mit der himmlischen Mutter und, von ihr geführt, mit Jesus, unserem Herrn und Heiland. Amen. (O.R. 26. 3. 82) 1010 Botschaften und Ansprachen Seid Diener der kirchlichen Gemeinschaft! Ansprache an die Priester-Alumnen der Päpstlichen Diplomatenakademie am 25. März 1. Es ist für mich stets ein Grund zur Freude, mit euch, liebe Alumnen der Päpstlichen Diplomatenakademie, zusammenzutreffen und euch in eurer eifrigen Vorbereitung auf den Dienst zu ermutigen, zu dessen Ausübung man euch berufen wird. Ich begrüße euch herzlich, wobei ich mich vor allem an euren geliebten Präsidenten, Msgr. Cesare Zacchi, wende, der mit Erfahrung und großmütiger Hingabe eure Priesterausbildung im Hinblick auf die künftigen Verantwortlichkeiten leitet. Da ihr aus den fünf Erdteilen stammt, kommt in euch die Katholizität der Kirche zum Ausdruck, ihre universale apostolische Ausdehnung, ihre Heilssendung, die sich - nach dem Wort des göttlichen Meisters - an alle Völker wendet: „Darum geht zu allen Völkern . . . und lehrt sie“ (Mf 28, 19). 2. Die Exerzitien, die ihr soeben im Geist und gleichsam unter dem Blick des hl. Franziskus an Orten gemacht habt, die ihm besonders teuer waren, bieten mir einen willkommenen Anlaß, euch von Herzen zur inneren Gelehrigkeit gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes zu ermuntern und zum eifrigen Bemühen um die Pflege des inneren Lebens, das bei all unserem Sorgen immer den ersten Platz behalten muß. Von dieser geistlichen Dimension soll die Struktur eures Alltagslebens durchdrungen sein, und sie soll in die grundlegenden Richtlinien einfließen, die eure Entscheidungen bestimmen und eure Haltung kennzeichnen. Denn in der Tat offenbart und erweist sich eure wahre priesterliche Gesinnung im Lebensstil. Ich weiß, daß euer Tag, dessen geistige Mitte die Eucharistiefeier und die Liturgie des Morgenlobs bildet, in der Akademie großenteüs von schulischen Verpflichtungen erfüllt ist. Sie sollen euch zum Erwerb jener soliden Büdung und Kultur verhelfen, die heute auch unerläßlich ist für die Aufgabe, die euch erwartet. Im Rahmen eures Ausbildungsganges wird zweifellos ein besonderer Platz der bleibenden Lehre der Kirche zuerkannt, wie sie das Zweite Vatikanische Konzil unser Zeit dargelegt hat, und dabei werden die bedeutsamen Anwendungen und jüngsten Entwicklungen der nachkonziliaren Zeit nicht vergessen. Insbesondere werden das päpstliche Lehramt und die Richtlinien für die Aktivität des Hl. Stuhls auf kirchlicher und internationaler Ebene berücksichtigt. 1011 Botschaften und Ansprachen Dieses Wissen, so notwendig es ist, reicht für sich allein jedoch noch nicht aus, um euch zur Verantwortung zu befähigen, die der Hl. Stuhl euch zu übertragen beabsichtigt. Die Bildung muß in eine harmonische Persönlichkeit integriert werden, die in hohem Maße offen ist für die priesterli-chen Ideale. Auch wenn ihr nicht unmittelbar zum Dienst in der Seelsorge oder für das Lehramt kirchlicher Disziplinen bestimmt seid, wird doch von euch immer ein spezifisch apostolischer und daher pastoraler Dienst verlangt, und das heißt, daß ihr Männer von tiefer Weisheit sein müßt, die mit sicherem Unterscheidungsvermögen ausgestattet und fähig sind, im konstruktiven Dialog mit den verschiedenen Ortskirchen und mit allen Menschen guten Willens auf die Stimme des Geistes in der Kirche zu hören. Daher müßt ihr darum beten und euch befleißen, zusammen mit dem Wissen jene innere Weisheit zu erwerben, die eine hervorragende Gabe des Geistes ist, und deshalb ist es so wichtig,. daß in eurem Tagesablauf besondere Sorgfalt und die Zeit verwendet wird, die dem Gebet und der persönlichen Betrachtung des einzelnen gewidmet ist, ja, was die Qualität anbelangt, muß sie die bedeutendste und intensivste sein. 3. Unter diesen Voraussetzungen werdet ihr die treuen und klugen Diener sein können, auf welche die Kirche und der Apostolische Stuhl warten, das heißt, Diener der kirchlichen Gemeinschaft, Vertreter dessen, der in der Liebe den Vorsitz führt und die Brüder im Glauben stärkt, aufmerksame Erforscher der Zeichen der Zeit, Hirten, die ein Gespür haben für die Situation der Kirche und offen sind für die Appelle der Gerechtigkeit, aktive Diener des Friedens in den Nationen und zwischen den Völkern. Damit ihr euch in diesem Geist auf den Dienst vorbereiten könnt, der euch erwartet, vertraue ich euch heute, am Fest der Verkündigung des Herrn, der seligsten Jungfrau an, indem ich euch alle auf ihr Beispiel des Glaubens und der Gelehrigkeit gegenüber dem Willen Gottes hinweise. Maria, die Mutter der Kirche, blickt euch von ihrem Standbild mütterlich an, wenn ihr die Treppe zur Akademie hinaufsteigt. Und gemeinsam mit euch richte ich demütig das Gebet an Maria, das ihr sprecht, wenn ihr sie anblickt: „Ad Te sunt oculi nostri. Tu filios adiuva“ - „Auf Dich blicken wir. Hilf Deinen Söhnen!“ Und mit dieser Anrufung segne ich euch von Herzen. (O.R. 26. 3. 82) 1012 Botschaften und Ansprachen Immer ist es Gott, der ruft Ansprache beim Besuch im Päpstüchen Römischen Priesterseminar am 25. März Dank des musikalischen Kunstwerks des Oratoriums, das wir hörten, haben wir das Geheimnis der Verkündigung betrachtet, eines der bedeutendsten Mysterien unseres Glaubens, eines von denen, an die wir uns am häufigsten erinnern. Wir erleben es in der Tat jeden Tag neu, wenn wir dreimal den „Engel des Herrn“ beten. Und wir erleben es heute wieder, an diesem großen Fest, weil es das Mysterium der Menschwerdung ist: „Das Wort ist Fleisch geworden.“ Ein unergründliches Geheimnis von unermeßlicher Tiefe. Göttliches und Menschliches: Gott ist Mensch geworden. Dieses Geheimnis, diesen Glaubensinhalt haben wir mit Hilfe der Kunst betrachtet; es war nicht bloß ein Konzert, es war eine abendliche Paraliturgie am Fest der Verkündigung des Herrn. Wir danken für diese paraliturgische Feier, an der wir alle mit großem geistlichen Gewinn teilgenommen haben. Wir haben uns in die Verkündigung versenkt und haben gemeinsam ein anderes göttliches und menschliches Geheimnis betrachtet: das Mysterium der Berufung. Dieses Geheimnis der Berufung ist tief eingeschrieben in das, was die Verkündigung beinhaltet, denn bei der Berufung ist es immer Gott, der ruft, und der Mensch wird gerufen; und auch bei der Verkündigung ist es Gott, der ruft, und die Jungfrau von Nazaret ist die, die gerufen wird. Wenn wir dem Oratorium in seinen einzelnen Abschnitten folgen, können wir auch die verschiedenen aufeinanderfolgenden Elemente der Berufung wiederentdecken. Es gibt viele! Einige aber sind charakteristisch, besonders typisch, und wir finden sie im Zusammenhang mit der Verkündigung. In diesem Oratorium gab es Stellen von besonderer künstlerischer Konzentration. Einige davon möchte ich näher betrachten. „Fürchte dich nicht!“ Das ist das bestimmende Element der Berufung: denn der Mensch fürchtet sich, er fürchtet sich nicht nur davor, zum Priestertum berufen zu werden, sondern er fürchtet sich auch, zum Leben, zu seinen Aufgaben, zu einem Beruf, zur Ehe gerufen zu werden. Er fürchtet sich. Diese Furcht läßt auch einen Sinn für Verantwortung erkennen, freilich keiner reifen Verantwortung. Es gilt, die Furcht zu überwinden, um zur reifen Verantwortung zu gelangen; es gilt, den Ruf anzunehmen, zu hören, zu empfangen, mit den eigenen Kräften abzuwägen und dann zu antworten: Ja. Fürchte dich nicht, denn du hast Gnade 1013 Botschaften und Ansprachen gefunden; fürchte dich nicht vor dem Leben, fürchte dich nicht vor der Mutterschaft, fürchte dich nicht vor deiner Ehe, fürchte dich nicht vor deinem Priestertum, denn du hast Gnade gefunden. Diese Gewißheit, dieses Bewußtsein hilft uns, so wie es Maria geholfen hat. „Die Erde und der Himmel erwarten dein Ja, o reinste Jungfrau.“ Das sind Worte des hl. Bernhard, berühmte, herrliche Worte. Sie erwarten dein Ja, Maria. Sie erwarten dein Ja, Mutter, die gebären soll; sie erwarten dein Ja, Mensch, der du eine persönliche, familiäre soziale Verantwortung übernehmen sollst; sie erwarten dein Ja, du, der du in diesem Seminar dazu berufen bist, Priester zu werden. Dein Ja. Dieses reife Ja, als Frucht der Verbindung zweier Faktoren: der Gnade - du hast Gnade gefunden - und deiner Kräfte - ich bin bereit zur Zusammenarbeit, ich bin bereit zur Selbsthingabe. Das ist die Antwort Mariens; das ist die Antwort einer Mutter; das ist die Antwort eines jungen Menschen: ein Ja für das ganze Leben. Heute fürchtet man sich bisweilen, eine für das ganze Leben verpflichtende Verantwortung zu übernehmen, nicht nur im Priestertum, sondern auch in der Ehe. Dieses Ja für das ganze Leben ist dem Menschen angemessen. Zunächst entspricht es dem Maß seiner Würde als Person; und dann ist es seinen Kräften und seinem Bemühen angemessen. Es bedarf der Treue, um das Ja ein ganzes Leben lang durchzuhalten. Ich werde dich nicht verlassen, sagen Mann und Frau zueinander im ersten Augenbück ihrer Ehe. Und so spricht der Seminarist und dann der Priester am Tage seiner Weihe: Ich werde dich nicht verlassen! Und dann das Magnifikat: „Meine Seele preist den Herrn.“ Dieses Magnifikat ist bereits eine erste Frucht. Sie bereitet auf weitere Früchte und schließlich auf die letzte, eschatologische Frucht vor, die dem Menschen, der menschlichen Person angemessen ist: die endgültige Vollendung des menschlichen Lebens in Gott. Magnifikat: jetzt, in diesem Augenblick preist meine Seele den Herrn. Ein Vorgeschmack jener eschatologischen Frucht, jenes letzten, endzeitlichen Magnifikat, zu dem wir alle berufen sind. Aber da ist vielleicht noch ein anderer Punkt: Auf dein Ja hin werden Menschen geboren. Das muß man wissen: Ein solches Ja, ein Ja nach dem Vorbild Mariens schafft Freude, neues Leben, es ruft einen Lebenshauch hervor, einen Segen. Welchen Segen, welche Fülle des Guten in der Welt bedeutet ein solches Ja wie das Mariens bei allem, was an Leid, an Sünde in dieser Welt ist. Das Ja Mariens: welch ein Segen, wieviel Freude, Glückseligkeit, Heil und Hoffnung! Und so, in entsprechendem Abstand, aber analog ruft dein Ja, deine Treue, Ehemann, Ehefrau, Jugendlicher, Arzt oder Lehrer, Freude hervor; die Welt ersteht neu; und das menschli- 1014 Botschaften und Ansprachen che Leben in seinen verschiedenen Dimensionen, im Bereich des Sozialen, der Familie, der Pfarrei, der Berufsgruppen wird dank eines solchen Jas menschlicher. So also habe ich das Geheimnis der Verkündigung betrachtet und in Verbindung damit das Geheimnis der christlichen und insbesondere der priesterlichen Berufung. So mußte es in diesem Haus sein. Ich sehe, daß das Priesterseminar wirklich seine Funktion erfüllt, die darin besteht, die Seminaristen auf das Priesteramt vorzubereiten, das heißt, Priesterberufe heranzubilden. Aber im weiteren Sinne öffnet das Seminar seine Türen allen: Jugendlichen und Erwachsenen. Als ich diese Kirche betrat, bin ich verschiedenen Menschen begegnet, auch sehr jungen Menschen. Das Seminar steht allen offen, die über ihre Berufung nachdenken wollen; die gewült sind, ihr Leben als einen Anruf des Herrn zu sehen und es dann als eine bestimmte Berufung zu verwirklichen; die über die mögliche Berufung und über das, was der Herr ihnen noch nicht gesagt hat, ihnen aber sagen will, nachdenken wollen: Unterdessen antworten sie: „Der Herr erwartet eine noch eingehendere Vorbereitung meiner Seele, um mir dieses Wort zu sagen, und dann erwartet er mein Ja.“ So erfolgt die Ausbildung der Priesterberufe in diesem Seminar in einer ausgedehnten Umwelt, denn es bedarf eines offenen geistlichen Klimas, in dem man das Leben als Berufung, als göttlichen Anruf, nach dem Maße einer wahren göttlichen Berufung, nach dem Maße Mariens sieht. Es bedarf dieser Atmosphäre, dieses geistlichen Klimas, damit Priesterberufe wachsen und reifen können. In dieser Atmosphäre betet man auch füreinander, betet um Priester- und Ordensberufe. Diese Kapelle wird vom Gnadenbüd der Muttergottes beherrscht, der Muttergottes des Vertrauens. Das Bild faßt gewissermaßen das Geheimnis der Verkündigung und der Berufung zusammen. Hier ist sie, die dem Herrn vertraut hat. Wenn der Herr zu dir sagt: Du sollst Priester werden, dann bedeutet dies, daß er Vertrauen in dich setzt. Kannst du dich da fürchten? Man darf nicht bei der Furcht stehenbleiben, man muß reifen, um Verantwortung zu übernehmen, denn die Muttergottes des Vertrauens ist die, die unermeßliches Vertrauen in Gott hatte. Mit diesem Vertrauen war sie imstande, Mutter Gottes zu werden, und auch das war dem Maß des Menschen entsprechend. Ein Ja, einmal. Eine besondere Berufung kann für den Menschen die sein: Priester Christi zu werden, Priester für das ganze Leben, Priester in Ewigkeit. Es ist gut, daß wir uns in dieser Kapelle des römischen Priesterseminars unter dem mütterlichen Bück der Muttergottes des Vertrauens wissen, denn unter 1015 Botschaften und Ansprachen diesem Blick könnt ihr euch voll Vertrauen vorbereiten auf das, wozu euch der Herr beruft: ihr, hebe Seminaristen, und ihr alle, hebe Freunde. Mit diesen Erwägungen schheße ich. Sie sind die Frucht der heutigen parahturgischen Feierstunde. Und ich erteile allen meinen Segen. (O.R. 27. 3. 82) Die volle Einheit der Christen ein Geschenk des Geistes Christi Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Pneumatologischen Kongresses in der Synodenaula im Vatikan am 26. März 1. „Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heihgen Geistes sei mit euch allen!“ (2 Kor 13, 13). Lassen Sie mich dieses Wort des Apostels Paulus an die Gläubigen in Korinth aufgreifen, um Sie, hebe Brüder und Schwestern in Christus, zum Abschluß dieses bedeutenden internationalen Kongresses für Pneumato-logie voll Freude zu begrüßen: Bedeutung besitzt dieser Kongreß durch das Konzilsjubiläum, das ihn ausgelöst hat; durch die grundlegenden Themen, die er behandelt hat; durch die wahrhaft ökumenische Präsenz so vieler hervorragender Männer, die nicht nur der kathohschen Kirche, sondern auch den anderen christlichen Konfessionen - Orthodoxen, Lutheranern, Reformierten, Anglikanern und Methodisten - angehören; Bedeutung besitzt er schließhch, weil der Heilige Geist, der sein Gegenstand war, auch - wie der Präsident des Vorbereitungskomitees eben sagte - sein Träger war in dem Sinn, daß Sie bereit waren, auf ihn zu hören. Mit meinem Besuch an Ihrem Tagungsort, der Aula der Bischofssynode, wollte ich allen Mitgliedern des Vorbereitungskomitees und des wissenschaftlichen Komitees des Kongresses, den Moderatoren, Referenten und Leitern der Studiengruppen sowie allen Teilnehmern meine Freude bekunden über diese so reichen, dem Geheimnis des Heiligen Geistes gewidmeten Tage und meine Zuversicht, daß sie für die Kirche Frucht bringen werden. Denn unsere Kirche ist die Kirche des Heiligen Geistes. Und der Glaube an den Heihgen Geist ist das Herzstück unseres christlichen Glaubens, wie es das Credo der heihgen Konzilien bekennt. Der Heihge Geist ist der Mittelpunkt der Heiligung der Jünger Christi. Er beseelt ihren missionarischen Eifer und ihr ökumenisches Gebet. Der 1016 Botschaften und Ansprachen Heilige Geist ist die Quelle und der Motor der Erneuerung der Kirche Christi. Das haben Ihre qualifizierten Beiträge als Fachgelehrte der Bibelwissenschaft, der Patristik, der Liturgie, der dogmatischen und spirituellen Theologie, der Kirchengeschichte und des ökumenismus unterstrichen. Und ich freue mich mit Ihnen über die Bedeutung, die dieser Kongreß besitzt, und über die Tragweite, die er für das Leben aller Christen an der Schwelle des dritten Jahrtausends der Kirche gewinnen wird. 2. Es war mein eigener lebhafter Wunsch, daß in diesem Jahr in Rom ein solcher Kongreß stattfände. Und Sie wissen, warum: Es war angebracht, ja notwendig, das Wissen um dieses Geheimnis unseres Glaubens zu vertiefen, das Wissen unserer Väter im Glauben, wie sie es bei den großen Konzilien dargelegt haben, deren wir am letzten Pfingstfest in feierlicher Form gedacht haben: des ersten Konzüs von Konstantinopel vor 1600 Jahren und des Konzils von Ephesus vor 1550 Jahren. An jenem Tag habe ich in Anwesenheit zahlreicher Bischöfe, der ehrwürdigen Delegaten des ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel und der Vertreter anderer Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften meine Überzeugung wiederholt, die ich bereits in dem Apostolischen Schreiben vom 25. März 1981 zum Ausdruck gebracht habe: „Es ist deswegen mein Wunsch, daß diese Ereignisse in ihrem inneren ekklesiologischen Zusammenhang gefeiert werden. Wir dürfen uns bei diesen großen Jubiläen nicht nur an das Geschehen der Vergangenheit erinnern, sondern müssen es durch die Gegenwart verlebendigen und eng mit dem Leben und den Aufgaben der Kirche unserer Zeit in Verbindung bringen, so wie diese von der gesamten Botschaft des Konzüs unserer Zeit, vom Zweiten Vatikanum, dargesteüt worden sind“ (Nr. 6: O.R. dt., Nr. 15 vom 10. April 1981). Das haben Sie getan, und darüber freue ich mich. Sie studierten zunächst die Pneumatologie des Ersten Konzüs von Konstantinopel, die Überheferung vom Heiligen Geist in den Kirchen des Ostens und Westens und die verschiedenen Aspekte der biblischen Pneumatologie sowohl im Alten wie im Neuen Testament; dann setzten Sie Ihre Arbeiten über den Heiligen Geist durch die theologische Reflexion fort und unterstrichen die Erfahrung der heutigen Kirche. Abgeschlossen haben Sie diese Arbeiten in bedeutsamer Weise mit Ausführungen „über den Heiligen Geist als Prinzip der Einheit der Kirche“ und „über den Heiligen Geist und die Erneuerung der Welt“: ein weites Programm, das im Glauben des Credo wurzelt: „Ich glaube an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig 1017 Botschaften und Ansprachen macht . . der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird. Ich glaube an Jesus Christus, der Fleisch angenommen hat durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria.“ Dieser Glaube, der heute unser Glaube ist, ist der Glaube der heiligen Konzilien von Konstantinopel und Ephesus. Es ist der Glaube, der während der vergangenen Jahrhunderte ständig bekannt und, mit Gottes Gnade, gelebt wurde. Dieser Glaube ist also wie ein Bogen, der sich fest über den Gesamtverlauf der Geschichte der Kirche spannt. Gewiß hat je nach Zeit und Ort die Einheit der Kirche schmerzliche Wechselfälle erlitten. Aber immer hat der Glaube der großen Konzilien trotz der Spaltungen und Trennungen weiterhin Zeugnis von der ursprünglichen Einheit abgelegt, wie ich in meiner Homilie am letzten Pfingstfest sagte. Und deshalb ist dieser Glaube ein mächtiger Appell an uns, ausgehend von dem, was wir an Grundlegendstem und Teuerstem gemeinsam haben, die Fülle unserer Einheit wiederzufinden, die schließlich durch die Kraft des Heiligen Geistes wiederhergestellt wird. Dieser Glaube gewinnt im übrigen um so mehr Bedeutung, als er der Schlüssel zur Arbeit des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzils ist. Hat dieses Konzil unter dem Anstoß meiner Vorgänger Johannes XXIII. und Paul VI. unter Mitwirkung aller Bischöfe der katholischen Kirche und im Dialog mit einer Zahl von Brüdern der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften nicht in unserer Zeit das ausdrücken wollen, was der Heilige Geist den Kirchen sagt? Denn „dieser Geist, der als der eine und gleiche im Haupt und in den Gliedern wohnt und den ganzen Leib so lebendig macht, eint und bewegt. . ., läßt durch die Kraft des Evangeliums die Kirche allezeit sich verjüngen, erneut sie immerfort und geleitet sie zur vollkommenen Vereinigung mit ihrem Bräutigam. Denn der Geist und die Braut sagen zum Herrn Jesus: ,Komm‘ (vgl. Offb 22, 17). So erscheint die ganze Kirche als ,das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk (hl. Cyprian, De Orat. Dom. 23: PL 4, 553)“ (Lumen gentium, Nr. 7 und 4). 3. So möchte ich Ihnen, liebe Brüder und Schwestern in Christus, aus ganzem Herzen dafür danken, daß Sie der an Sie ergangenen Einladung gefolgt sind und hochherzig einen Teil Ihrer Zeit und Ihrer Arbeit zur Verfügung gstellt haben, und das in so beispielhafter Weise, wenn man den ökumenischen und interdisziplinären Charakter Ihrer Forschungen betrachtet, die von der Sorge um das Verständnis des Glaubens geleitet waren. Denn der Mensch des Glaubens wird von dem, was er glaubt, in nichts eingeengt. Ja, im Gegenteil, unser Glaube erweitert unseren Denkhorizont und stellt Ansprüche an unsere Überlegungen. Was mich betrifft, 1018 Botschaften und Ansprachen so möchte ich, daß solche Begegnungen häufiger stattfinden; es besteht heute ein großes Bedürfnis danach. In unseren Tagen sind Forschungstagungen, Arbeitsseminare, Studienkongresse unerläßlicher geworden als in der Vergangenheit, so wie sich der Bereich der Forschungen erweitert hat und die Methoden der Forschung genauer wurden, so besteht auch ein starkes Verlangen, mit den anderen Forschern und Lehrern aller Kontinente Austausch zu pflegen. Ja - und das sage ich mit voller Überzeugung -, die ernste und sachkundige theologische Arbeit war nie so notwendig für die Kirche und für alle Gläubigen, um ihren Glauben zu stärken. Bereits mein Vorgänger Paul VI. sagte anläßlich des fünften Jahrestages des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Nach einem Konzü, das von den besten Errungenschaften der biblischen und theologischen Wissenschaft vorbereitet wurde, bleibt eine beachtliche Arbeit zu leisten. Vor allem muß die Theologie der Kirche vertieft und eine christliche Anthropologie erarbeitet werden, die der Entwicklung der Humanwissenschaften und der Fragen entspricht, die sie dem gläubigen Intellekt stellen“ (Apostol. Schreiben Iam quinque annos, 8. Dezember 1970). Zu viele oberflächliche und ungenügend fundierte populärwissenschaftliche Darstellungen können den Glauben des christlichen Volkes erschüttern, den Glauben der Konzilien, wie er von der lebendigen Überlieferung der Kirche weitergegeben und von ihrem Lehramt beglaubigt wird; zu diesem Zweck hat das Lehramt - nach dem hl. Irenäus - „ein sicheres Charisma der Wahrheit“ erhalten (Adversus Haereses TV, 26, 2: PG 7, 1053). Der Glaube hat von der Arbeit der theologischen Intelligenz nichts zu fürchten, im Gegenteil, er wendet sich an sie, vorausgesetzt, daß sie mit der Strenge, die sie den Forschem abverlangt, und dem Glaubensgeist durchgeführt wird, ohne den es keine Theologie geben kann, die diesen Namen verdient. Ist nicht der gegenseitige Austausch, der Sie zu Ihren Arbeiten anspomt, die beste Garantie für deren Qualität, wie auch Ihr Bemühen, mit der gebührenden Unterscheidung das ganze Volk Gottes Gewinn daraus ziehen zu lassen? Der Apostel schrieb an seine geliebten Korinther: „Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt“ (7 Kor 12, 7). In der Tat formuliert das Zweite Vatikanische Konzü: „Durch jenen Glaubenssinn nämlich, der vom Geist der Wahrheit geweckt und genährt wird, hält das Gottesvolk unter der Leitung des heiligen Lehramtes, in dessen getreuer Gefolgschaft es nicht mehr das Wort von Menschen, sondern wirklich das Wort Gottes empfängt (vgl. 1 Thess 2, 13), den einmal den Heiligen übergebenen Glauben (vgl. Jud 3) unverlierbar fest. Durch ihn dringt es mit rechtem Urteü 1019 Botschaften und Ansprachen immer tiefer in den Glauben ein und wendet ihn im Leben voller an“ {Lumen gentium, Nr. 12). 4. Ich wünsche daher von ganzem Herzen, daß Ihre Arbeiten von hohem Gewinn für die Christen sein mögen, sowohl auf der Ebene der uneigennützigen Suche nach der Wahrheit wie auf dem ihrer täglichen Umsetzung in die Praxis des Lebens der Kirche in der Welt. Ihre Studien haben dazu beigetragen, das vielfältige Wirken des Heiligen Geistes herauszustellen, der von den Anfängen bis zum Ende der Zeiten am Werke ist, der „den Erdkreis erfüllt“ (Weish 1, 7) wie auch die innere Welt unserer Seelen, deren unsichtbarer Gast er ist; und gleichzeitig beseelt er die ganze Kirche. Diesen Geist der Wahrheit, der durch Wasser, Atemhauch und Feuer ausdrucksvoll als Quelle des Lebens, Kraft der Beseelung und Prinzip der Läuterung symbolisiert wird, kann die Welt nicht empfangen, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt. Ihr aber kennt ihn, sagt uns der hl. Johannes, weil er bei euch bleibt (vgl. Joh 14, 17). Wir haben ihn am Werk gesehen im Alten und im Neuen Testament, am Anfang der Sendung der Propheten und Apostel, am Ausgangspunkt der Schöpfung, zu Beginn der Menschwerdung Christi, im Herzen der Erlösung. Sie haben die griechischen und lateinischen Kirchenväter studiert, die Symbole und Glaubensbekenntnisse, die östliche und die westliche Überlieferung. Sie haben die Kenntnis der verschiedenen Lehrmeinungen über den Heiligen Geist gefördert, der katholischen wie der orthodoxen, lutherischen, reformierten, anglikanischen und methodistischen. Sie haben sich voll Staunen in den Reichtum der Theologie und der Schätze der christlichen Spiritualität vertieft. Sie haben das Geheimnis der Beziehungen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes durch die schwierige Lektüre der östlichen und westlichen Fassung des Glaubenssymbols erforscht. Sie haben über den Menschen nachgedacht, wie ihn die biblische Anthropologie uns enthüllt, „sarx“ und „pneuma“, Fleisch und Geist. Sie haben den Geist als Ausgangspunkt der Sendung wie als Herzstück des Lebens der Kirche betrachtet. Sie haben auch sein Wirken betrachtet, wie er die kirchlichen Institutionen stützt, in den christlichen Gemeinden die Charismen weckt, der Kirche die Dienstämter schenkt, die sie braucht, um ihr Glaubensleben, den Glauben im Herzen des ganzen Gottesvolkes zu stärken. Das Mysterium der Dreifaltigkeit, das Mysterium Christi, das Mysterium der Kirche! Voll Verwunderung haben Sie überall die Dynamik der Freude entdeckt, deren Quelle der Geist ist und deren missionarischer Elan Raum und Zeit erfüllt, um das neue Gottesvolk zu formen und zu seiner endzeitlichen Vollendung zu führen: „Dazu sandte Gott schließlich - so das Zweite Vatikanische Konzil - den 1020 Botschaften und Ansprachen Geist seines Sohnes, den Herrn und Lebensspender, der für die ganze Kirche und die Gläubigen einzeln und insgesamt der Urgrund der Vereinigung und Einheit in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet ist (vgl. Apg 2, 42)“ (Lumen gentium, Nr. 13). Während er im Herzen des sakramentalen und liturgischen Lebens wirksam ist, das neue Gesetz inspiriert, die Missionstätigkeit fördert, die Einheit schmiedet und wiederherstellt, ist der Heilige Geist auf geheimnisvolle Weise auch in den nichtchristlichen Religionen und Kulturen zugegen. Und auch das haben Sie zu erklären versucht. Von der festen Erwartung her, die sie in sich tragen, kann der Heilige Geist einen Fortschritt bewirken, und das Zweite Vatikanische Konzil forderte die Söhne und Töchter der Kirche, die in den menschlichen Gruppierungen vertreten sind, auf, „mit deren nationalen und religiösen Traditionen vertraut zu sein, mit Freude und Ehrfurcht die Saatkörner des Wortes aufzuspüren, die in ihnen verborgen sind“ (Ad gentes, Nr. 11). Man könnte vom Heiligen Geist auch sagen: Jeder hat daran teil, und alle besitzen ihn ganz, so unerschöpflich ist seine Freigebigkeit. In der Erfahrung der Kirchen ist er die unsichtbare Triebkraft, die man an ihren Früchten erkennt, die wir mit Hilfe des hl. Paulus im geistlichen Leben der Christen unterscheiden können: an ihrem Gebet, das die Bedeutung von Lob und Dank wiederfindet wie auch seine zuversichtliche Kühnheit; an lebendigen Gemeinden voller Freude und Liebe, die der Heilige Geist weckt und verwandelt: am Geist des Opfers; am unerschrockenen Apostolat und dem brüderlichen Einsatz im Dienst der Gerechtigkeit und des Friedens. Bei alldem spornt der Heilige Geist zur Suche nach dem Sinn des Lebens an, zum hartnäckigen Streben nach dem Schönen, dem Guten jenseits des Bösen; man erkennt ihn durch die Hoffnung des Lebens, das stärker ist als der Tod, und durch das sprudelnde Wasser, das bereits in uns murmelt: „Komm zum Vater!“ Der Heilige Geist wirkt in den Menschen - in den einfachsten wie in solchen, die eine höhere Stellung einnehmen - und in den Gemeinden, angefangen bei den kleinen Hauskirchen, die die Familien sind. Ihm wird die Weckung von Berufen in der Kirche verdankt - Priester- und Ordensberufen, Berufung von geweihten Personen und Laienaposteln - und ganz allgemein die Weckung des christlichen Lebens, das als Berufung verstanden wird. Ja, Gott sei Dank, nimmt man heute an einem solchen Erwachen teil und wendet sich mit größerer Bereitschaft an den Heiligen Geist! Deshalb braucht man eine gute Theologie, eine gesunde Ekklesiologie, die den Platz der Charismen in der Einheit der Kirche aufzeigt, in 1021 Botschaften und Ansprachen Verbindung mit den gleichfalls vom Heiligen Geist eingesetzten Dienst-ämtem wie eine vertiefte spirituelle Theologie. Ich hoffe mit Ihnen, daß die Studien dieses Kongresses dazu beitragen werden, bei allen Weisheit, Vertrauen, Freude und Hoffnung zu stärken im Glauben an die Gegenwart des Heiligen Geistes, deren kulturellen, historischen und theologischen Zusammenhang Sie gewiß herausgearbeitet haben und dabei auch ihre ökumenische Tragweite und ihren Heilszweck. Ich wünsche, daß die Bischöfe in der Ausübung ihres Dienstes und ihres Lehramtes gestärkt den Kongreß verlassen, daß die Theologen sich zur Weiterführung ihrer Arbeiten ermutigt fühlen, daß alle Gläubigen sich in ihrem Glauben gefestigt wissen und alle, die nicht daran teilnehmen konnten, einen geheimen Wunsch und ein brennendes Verlangen empfinden, einmal teilzunehmen. 5. Es gibt eine besondere Gnade, die wir vom Heiligen Geist erwarten und die ich eigens betonen möchte. Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt, daß in unserer Zeit der Heilige Geist, das „Prinzip der Einheit der Kirche“, sich anschickt, in den Gläubigen der verschiedenen christlichen Konfessionen eine wachsende Bewegung hin zur vollen Gemeinschaft im selben Glauben zu wecken (vgl. Unitatis redintegratio, Nr. 1.2.4). Der Ökumenismus ist vor allem eine „geistliche Bewegung“, weshalb er ohne die innere Bekehrung des Herzens, das heißt, ohne die ständige Erneuerung, zu welcher die Kirche von Christus aufgerufen ist (vgl. ebd., Nr. 6), nicht entstehen und nicht fortbestehen kann. Bekehrung zu einer „Hoffnung gegen alle Hoffnung“ (vgl. Röm 4, 18) und zur brüderlichen Liebe {Unitatis redintegratio, Nr. 7. 12). Die volle Einheit der Christen ist kein Ereignis, das die menschliche Vernunft vorhersehen könnte: Wir können nur auf sie hoffen als auf ein Geschenk des Geistes Christi. Wir können nicht einmal im voraus die konkreten Wege erkennen, die es ermöglichen werden, zu der so ersehnten künftigen Einheit aller christlichen Kirchen zu gelangen. Auch hier nimmt sich der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können“ {Röm 8, 26). Was uns betrifft, haben wir daher nichts anderes zu tun, als uns vorbehaltlos der geheimnisvollen Führung des Heiligen Geistes anzuvertrauen. 6. Und zum Schluß darf ich Ihnen anvertrauen, daß auch der Papst inständig zum Heiligen Geist betet: um bereit zu sein, auf ihn zu hören bei der Aufnahme des Wortes Gottes und der lebendigen Tradition der Kirche, aber auch im persönlichen Gebet im Lauf der Tage; um offen und gefügig zu sein für die Eingebungen des Heiligen Geistes, um ihm mit 1022 Botschaften und Ansprachen größtmöglicher Bereitschaft zu dienen, um das Werk, das er dem Nachfolger Petri überträgt, zum Wohl der ganzen Kirche, ihrer Treue, ihrer Einheit und ihrer geisthchen Erneuerung zu verwirklichen; und das in Einheit mit den Bischöfen der Kirche. Beten Sie auch für mich! Gestern, am Fest der Verkündigung des Herrn, haben wir Maria betrachtet, in der Gottes Wort durch das Wirken des Heihgen Geistes Fleisch geworden ist. Sie ist gleichsam die Braut des Heihgen Geistes, vohkommen bereit, sein Werk anzunehmen und zu verwirklichen. Möge sie uns bei Gott eine immer größere Verfügbarkeit für diesen Geist erwirken! Ich habe meine Ansprache mit dem hl. Paulus begonnen. Lassen Sie mich auch mit ihm schließen: „Beleidigt nicht den Heihgen Geist Gottes, dessen Siegel ihr tragt für den Tag der Erlösung“ (Eph 4, 30). „Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen“ (Gal 5, 25). Mit diesem Wunsch, der mir aus dem Herzen kommt, erbitte ich für Sie den Segen Gottes: Es segne Sie Gott der Allmächtige, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist! (O.R. 27.3. 82) Der Mensch - das entscheidende Kriterium Ansprache bei der Eröffnung des Internationalen Symposions „Von Rerum novarum zu Laborem exercens: in Richtung auf das Jahr 2000“ am 3. April Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Brüder und Schwestern! <30> <30> Es ist mir eine Ehre und Freude, an der feierhchen Eröffnung dieses Internationalen Symposions teilzunehmen, das auf Initiative der Päpstlichen Kommission „Justitia et Pax“ Fachgelehrte der kirchlichen Soziallehre, Professoren der Sozialwissenschaften und qualifizierte Vertreter der verschiedenen Bereiche der Arbeitswelt aus allen Teüen der Erde zusammengeführt hat. Während ich alle Teilnehmer achtungsvoll und herzlich begrüße, empfinde ich es als meine Pflicht, vor allem demjenigen meinen herzlichen Dank auszusprechen, der diese Begegnung auf hoher Ebene gefördert hat, sowie allen, die bereit waren, einen sachkundigen Beitrag zur Vertiefung der verschiedenen Aspekte des kirchlichen Lehramtes hinsichtlich 1023 Botschaften und Ansprachen der vielschichtigen und schwerwiegenden Probleme zu erbringen, die man gewöhnlich unter dem Begriff „soziale Frage“ zusammenfaßt. Ein Wort der besonderen Anerkennung und des Dankes möchte ich überdies den Rednern aussprechen, die uns vorhin mit der Einführung in die Problematik einige wertvolle Überlegungen zum Thema des Symposions geschenkt haben: Mein Dank gilt also dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Herrn Javier Perez de Cuellar, dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes, Herrn Dr. Francis Blanchard, und schließlich Weihbischof Roger Heckei von Straßburg, dem ehemaligen Sekretär der Päpstlichen Kommission „Justitia et Pax“. Die Erwägungen, die sie in tiefgründiger und mitreißender Sprache darboten, bilden eine ganz ausgezeichnete Einleitung zu den folgenden Arbeiten, welche Sie, verehrte und liebe Herren, in den nächsten Tagen beschäftigen werden. 2. Am 13. Mai 1981, zwei Tage vor dem 90. Jahrestag der Veröffentlichung der Enzyklika Rerum novarum, erläuterte ich in einer Ansprache, die zu halten mir nicht möglich war, die Bedeutung dieses Gedenktages mit folgenden Worten: „Die Enzyklika Rerum novarum ist für die Kirche auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie einen dynamischen Bezugspunkt ihrer Soziallehre und ihrer Sozialarbeit in der modernen Welt darstellt.“ Und ich setzte hinzu: „Dynamisch und kraftvoll wie jede lebendige Wirklichkeit setzt sich die Soziallehre der Kirche aus unveränderlichen und endgültigen sowie aus zeitbedingten Elementen zusammen, die deren Entwicklung im Einklang mit der Dringlichkeit der anstehenden Probleme ermöglichen, ohne deshalb ihre Stabilität und Gewißheit in den Grundsätzen und Normen zu verringern“ (vgl. O.R. dt. vom 22. 5. 1981, S. 2). Ich wiederhole diese Worte heute, weil sie klar und deutlich auf die Bedeutung und den Geist jeder Veranstaltung - also auch dieses Symposions - hinweisen, die organisiert wird, um diesen Jahrestag in Erinnerung zu rufen. Im Einklang mit diesem Geist werden Sie Reflexionen über die von mir in der Enzyklika Laborem exercens dargebotene Soziallehre anstellen, indem Sie Ihre Meinungen im Lichte Ihrer pastoralen Erfahrungen in der akademischen Forschung, den internationalen Organisationen und den gewerkschaftlichen Initiativen und Organisationen austauschen. Natürlich befassen Sie sich in diesen Tagen nicht nur mit der Vertiefung der Soziallehre der Kirche. Sie zielen auch auf ein besseres Verständnis im Hinblick auf die praktische Anwendung dieser Soziallehre in den verschiedenen Bereichen ab, die dem Menschen zugänglich sind und das Gesamtfeld seiner sozialen Verantwortlichkeiten ausmachen. 3. Ich freue mich über das Generalthema des Symposions: „Von Rerum novarum zu Laborem exercens: in Richtung auf das Jahr 2000.“ Am 1024 Botschaften und Ansprachen Vorabend des dritten Jahrtausends steht die Welt in der Tat vor neuen Problemen. Die bevorstehende Geschichtsperiode ist von Fragen, von Unsicherheiten und nicht selten auch von Ohnmacht gekennzeichnet. Ideologien, die - so schien es auf den ersten Blick und aufgrund ihrer Verbreitung - Geist und Sinn der Menschen dauerhaft beherrschen sollten, ist es schließlich nicht gelungen, etwas anderes als ihre Begrenztheit zu beweisen. Sie lösen einander ab, eine nach der anderen, und verbrauchen sich; dabei rufen sie unablässig den Wunsch nach einer stabileren Ordnung in den Beziehungen der Menschen und Nationen untereinander hervor. Neue Möglichkeiten zeichnen sich am Horizont ab, die sich aber nun nicht mehr in enge, lediglich nationale Begriffe fassen lassen. Wenn die Probleme, denen sich der moderne Mensch stellen muß, sich nur dann begreifen lassen, wenn man ihrer weltweiten Dimension Rechnung trägt, werden in vielen Fällen auch die Lösungen auf internationaler Ebene gesucht werden müssen. Mit Recht verlangt man darum heute immer häufiger nach einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung, welche die unzureichenden und ungeeigneten Modelle der Vergangenheit überholen und der Menschheit eine gerechte Beteiligung an den Gütern der Schöpfung sichern soll. Besonderes Einfühlungsvermögen muß dabei den in der Entwicklung begriffenen Völkern bewiesen werden. Die Anwesenheit des Generalsekretärs der Vereinten Nationen und des Generaldirektors des Internationalen Arbeitsamtes bei diesem Symposion hebt sehr gut die internationalen Elemente hervor, die zur Sozialdebatte unumgänglich dazugehören. Es sei mir gestattet, in diesem Zusammenhang an ein Dokument zu erinnern, welches wegen des Interesses, das es der weltweiten Dimension der ethischen und sozialen Probleme unserer Zeit Vorbehalten hat, noch immer volle Gültigkeit und Aktualität besitzt: die Enzyklika Populorum progressia die mein Vorgänger Papst Paul VI. uns vor genau fünfzehn Jahren, am 26. März 1967, geschenkt hat. 4. Die soziale Frage ist global und wird es immer bleiben, da sie jeden einzelnen Menschen und alle Menschen gemeinsam angeht: Sie betrifft den Menschen in der Tiefe seines Wesens und in seiner Existenz. Der Mensch selbst, die Würde seines Menschseins, muß die tiefe Inspiration und die dynamische Kraft bei jeder Suche nach geeigneten Lösungen für die Probleme der Gesellschaft darstellen. Der Mensch bleibt das entscheidende Kriterium für eine Welt, die in Gerechtigkeit und Frieden aufgebaut werden soll. Von dieser globalen Sicht der menschlichen Person her müssen die Diskussionsgrundlagen, die Normen für die Beurteilung von 1025 Botschaften und Ansprachen Situationen und Strukturen und die Richtlinien für ein Vorgehen entwik-kelt werden, das der Wahrheit gerecht wird. Sie wissen es: Die Kirche hat keine direkte Kompetenz, um technische Lösungen wirtschaftlicher und politischer Art vorzuschlagen; sie fordert jedoch dazu auf, sämtliche Systeme ständig vom Gesichtspunkt der Würde der menschlichen Person aus zu überprüfen. Dazu fordert sie die Ortskirchen, die christlichen Gemeinschaften auf den verschiedenen Ebenen, die apostolisch und sozial tätigen Bewegungen, Bischöfe, Lehrer, Forscher und schließlich jeden Getauften auf, seiner Verantwortung und dem Platz entsprechend, den er innerhalb der Gesellschaft einnimmt. Wenn wir uns von diesem grundlegenden Gesichtspunkt leiten lassen, können die ganz oder teilweise verfehlten Systeme, die materialistischen oder ökonomistischen Ideologien überwunden werden. Auf diese Weise vor allem stellen wir uns in den Dienst der wahren Freiheit, die in Gott ihre Wurzeln hat, um an seinem Schöpfungs- und Erlösungswerk mitzuarbeiten und die Rettung der Menschheit auf dem von Christus, dem wahren Gott und wahren Menschen, vorgezeichneten Weg zu verwirklichen. Wenn die Kirche ihre Lehre vorlegt und dem aktiven Einsatz ihrer Kinder anvertraut, möchte sie damit dem Wohl der Menschheit dienen, in aufrichtiger und tatkräftiger Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens und mit allen Verantwortlichen und Institutionen des internationalen Lebens. Liebe Brüder und Schwestern, während ich Ihnen meine besten Wünsche für eine fruchtbare Arbeit ausspreche, erflehe ich für Sie den ständigen Beistand des Gottes der Gerechtigkeit und der Liebe und erteüe allen mit aufrichtiger Liebe von Herzen den Apostolischen Segen, in den ich gern auch Ihre Familien und alle, die sich mit Ihnen um die Zukunft einer menschlicheren Welt bemühen, einbeziehe. (O.R. 4. 4. 82) „Der größer ist als alle Namen“ Predigt heim feierlichen Gottesdienst auf dem Petersplatz am Palmsonntag, 4. April <31> <31> „Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt! Hosanna in der Höhe!“(Mk 11, 9 f.). 1026 Botschaften und Ansprachen Der Tag der Verherrlichung des Jesus von Nazaret. Es gab einen Tag, an dem Jesus von Nazaret vor den Augen des Volkes verherrlicht wurde. Und er hat das zugelassen. Ja, in gewissem Sinne hat er selbst die Vorbedingungen geschaffen, damit dies geschehe, als er auf einem Eselsfüllen in Jerusalem einzog, umgeben von seinen Jüngern, während dort unzählige Menschen aus allen Teilen des Heiligen Landes zusammenströmten. Als die Pharisäer riefen: „Meister, bring deine Jünger zum Schweigen!“, antwortete er: „Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien“ (Lk 19, 39 f.). Es gab einen Tag, an dem Jesus von Nazaret, indem er den Willen des Vaters erfüllte, es zuließ, daß sich in ihm die irdische Herrlichkeit des Messias kundtue: daß sie sich vor dem Hintergrund von Jerusalem und auf den Lippen seiner Landsleute kundtue. Auf diese Weise sollte sich in der Tat die Schrift erfüllen, die die Verherrlichung des Messias in königlicher Weise ausdrückt: als Verherrlichung des Nachkommen Davids. So feiern wir also heute den Tag der Verherrlichung des Jesus von Nazaret vor den Augen der Menschen. Heute, wo wir in die Liturgie der Heiligen Woche eintreten, beginnen wir uns auch in das Geheimnis der Verherrlichung des Messias vor Gott zu versenken. 2. Wunderbar ist die Liturgie des Palmsonntags, ebenso wunderbar wie die Ereignisse des Tages waren, auf die sie sich bezieht. Auf die Begeisterung des messianischen „Hosanna“ fällt ein tiefer Schatten. Es ist der Schatten der nahen Passion. Wie bedeutungsvoll sind daher die Worte des Propheten, die sich an diesem Tag erfüllen: „Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt; er sitzt auf dem Fohlen einer Eselin!“ (Joh 12, 15; vgl. Sach 9, 9). Kann am Tag der allgemeinen Begeisterung des Volkes über die Ankunft des Messias die Tochter Zion Grund zur Furcht haben? Und doch. Ganz nahe ist der Tag, an dem von den Lippen des Jesus von Nazaret die Worte des Psalmisten kommen werden: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Ps 22, 2). Er selbst wird diese Worte von der Höhe des Kreuzes rufen. Dann aber werden wir nicht Zeugen des begeisterten Volkes sein, das „Hosanna“ singt, sondern Zeugen der Verhöhnungen im Hof des Pilatus, auf Golgota sein, wie der Psalmist es ankündigt: „Alle, die mich sehen, verlachen mich, verziehen die Lippen, schütteln 1027 Botschaften und Ansprachen den Kopf: ,Er wälze die Last auf den Herrn, der soll ihn befreien! Der reiße ihn heraus, wenn er an ihm Gefallen hat!’“ (Ps 22, 8-9). 3. Die heutige Liturgie des Palmsonntags, die uns erlaubt, den triumphalen Einzug Christi in Jerusalem mitzuerleben, führt uns gleichzeitig bis ans Ende der Passion. „Sie durchbohren mir Hände und Füße. Man kann alle meine Knochen zählen . . .“ Und dann: „Sie verteilen unter sich meine Kleider und werfen das Los um mein Gewand“ (ebd., 17-19). Es ist, als sähe der Psalmist bereits mit eigenen Augen die Vorgänge des Karfreitags. In der Tat, an jenem Tag, der schon nahe ist, wird Christus gehorsam bis zum Tod sein, und das wird der Kreuzestod sein (vgl. Phil 2, 8). 4. Hier, am Ende der Passion nimmt denn auch das Mysterium von der Verherrlichung des Messias seinen eigentlichen Ausgang. Diese Verherrlichung unterscheidet sich von der „irdisch-geschichtlichen“ Verherrlichung vor den Menschen am Tag des begeisterten „Hosanna“. Es ist die Verherrlichung in Gott selbst. Unmittelbare Einleitung zu dieser Verherrlichung in Gott sind die Erniedrigung Christi und seine endgültige Entäußerung am Kreuz. „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave . . .“ (Phil 2, 6f.). Diese Worte aus dem Philipperbrief beziehen sich nicht allein auf die Passion. Sie stellen gewissermaßen die Synthese des ganzen Lebens Christi dar. Sie weisen auf das gesamte Mysterium der Menschwerdung hin. Aus diesen Worten geht in der Tat klar hervor: „Er entäußerte sich“ dadurch, daß er, „obwohl er Gott gleich war“, die Menschennatur angenommen hat, Mensch geworden ist: Er wurde „wie ein Sklave“. Obwohl er auf Schritt und Tritt die Gelegenheit benutzen konnte, „Gott gleich zu sein“, hat er bewußt all das gewählt, was ihn „dem Menschen gleich“ machte: „Er wurde äußerlich als Mensch anerkannt.“ Und nun nähern wir uns dem Ende dieser Angleichung. Wir werden es dann erreicht haben, wenn Christus „sich erniedrigen und gehorsam sein wird bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“. 5. Gerade dieses Ende bedeutet jedoch den Anfang der Verherrlichung. Die Verherrlichung Christi schließt die Entäußerung Christi ein. Die Herrlichkeit hat ihren Anfang und ihre Quelle im Kreuz. 1028 Botschaften und Ansprachen Der hl. Paulus unterstreicht das im Philipperbrief mit aller Klarheit, wenn er den folgenden Satz seines großartigen Textes mit dem Wort „darum“ beginnt. „Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen“ (Phil 2, 9). Der Apostel sieht diese Verherrlichung im Maßstab der sichtbaren und der unsichtbaren Welt. Er schreibt daher: „Und er hat ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: ,Jesus Christus ist der Herr' - zur Ehre Gottes, des Vaters“ (Phil 2, 9-11). Das ist das Maß der Verherrlichung Christi in Gott. Jenes Christus, der am Palmsonntag seine „Verherrlichung“ vor den Augen Jerusalems zugelassen hat, nur wenige Tage vor der Kreuzigung. Mit dem heutigen Sonntag steht die Kirche an der Schwelle der Heiligen Woche. Es ist die Osterwoche. Sie schließt das Geheimnis von der Entäußerung Christi und seiner Verherrlichung ein: der Verherrlichung durch die Entäußerung. Mit großer Demut, mit Glaube und mit Liebe wollen wir auf dieses Geheimnis zugehen. (O.R. 5J6. 4. 82) „Die Fackel der Wahrheit hochhalten“ Ansprache an das Redaktionskollegium der Jesuitenzeitschrift „La Civiltä Cattolica“ am 5. April Liebe Patres, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der „Civiltä Cattolica“! <32> <32> Es ist mir eine große Freude, endlich der Bitte nach einer Begegnung mit eurer Kommunität nachkommen zu können, deren Wirken seit ihrem Beginn vor mehr als hundert Jahren ganz und gar der Verbreitung und Verteidigung der katholischen Kultur bzw. Zivilisation gewidmet gewesen und die als Einrichtung stets im Dienst des Papstes und des Hl. Stuhls gestanden ist. Und so ist trotz des Wechsels der Menschen, des Ablaufs der Geschehnisse und der Geschichte eure Zeitschrift stets treu gebheben 1029 Botschaften und Ansprachen und hat sich so das wiederholte Lob von seiten meiner Vorgänger, die Wertschätzung und Liebe der katholischen Leser und die Achtung und Aufmerksamkeit nichtkatholischer Leser verdient. 2. Katholizität bedeutet, wie ihr wißt, etymologisch Universalität. Aber Universalität bedeutet ihrerseits harmonische Zurückführung des Ganzen auf eine Einheit. Die Einheit der Kirche, die auf ewig in der Person Christi begründet ist, tut sich institutionell auch und vor allem in der Person seines Stellvertreters kund. Wenn ihr ständig auf ihn bückt, fügt ihr somit zu eurer Aufmerksamkeit, eurem Studium und eurer Sorge für das „Einzelne“ (die italienische Kirche, die italienische Heimat, die italienische Kultur), die Aufmerksamkeit, das Studium und die Sorge für das „Universale“ hinzu: vor allem für die katholische Kirche in ihrer Gesamtheit und die universalen Wahrheiten ihres Glaubens; aber auch für die ganze Völkerfamilie mit den Wünschen und Problemen, den Werten und Zielen, die alle Menschen betreffen. Wenn jedes menschliche Problem heute tatsächlich und mit Recht weltweite Dimensionen angenommen hat, ist die Absicht, zur Gestaltung einer katholischen Zivilisation beizutragen - ein Vorhaben, das vor hundert Jahren wohl ehrgeizig erschienen sein mag -, jetzt äußerst aktuell, ja man könnte sagen, zur dringenden Pflicht geworden. Nicht nur das „melius esse“ (besser sein), sondern auch die friedliche Koexistenz zwischen allen Völkern und allen Menschen können nur auf die Wahrheit, auf Prinzipien, auf universale Werte gegründet werden, wenn auch unter Berücksichtigung der verschiedenen Kulturen. 3. Leider weist unsere heutige Welt jedoch vielfältige und hervorstechende Merkmale dessen auf, was treffend als ihre „Ambivalenz“ bezeichnet wurde: Kennzeichen eines großartigen, beispiellosen Fortschritts auf jedem Gebiet der Wissenschaften und des menschlichen Wirkens; aber ebenso Kennzeichen eines Rückschritts, eines trügerischen Fortschritts, weil er sich auf falsche, trügerische Werte und Ziele bezieht, die sich als solche auf die Dauer als unmenschlich und die Menschheit entmenschlichend erweisen. Was jedoch am meisten beunruhigt, ist die Tatsache, daß im Zuge der wachsenden und an sich wohltuenden Ausbreitung der Kultur, in der sogenannten Massenkultur, wie sie gerade von den Massenmedien verfochten wird, in immer stärkerem Maße bewiesene Wahrheiten und fragliche Meinungen, universal gültige Werte und egoistisch-individualistische Sonderinteressen, authentische Prinzipien der Berufsethik und geradezu pathologische Fakten auf einen einzigen Nenner gebracht werden, und das alles (auch wenn es sich um älteste Irrtümer und Übel handelt) unter der Bezeichnung „modern“ unter dem Deck- 1030 Botschaften und Ansprachen mantel der Pflicht und des Rechts auf Information und im Namen eines nicht richtig verstandenen „Pluralismus“, der der Kultur eigen sein sollte. Sehr weise haben die Gründer eurer Zeitschrift dieser schon damals in vielen Ländern modernen Bezeichnung den klassischen Begriff Zivilisation vorgezogen. Auch die solide Kulturanthropologie unterscheidet zwischen Kulturen, die barbarisch, und Zivilisationen, die zwar primitiv, aber nicht barbarisch sein können. Barbarisch ist in Wirklichkeit das Unmenschliche, auch wenn es fortgeschritten, entwickelt ist; zivilisiert ist das Menschliche, auch wenn es einfach und primitiv ist. Es gibt Pseudokulturen, die vom größeren und besonneneren Teil der Intellektuellen bloßgelegt werden; es gibt hingegen keine Pseudozivilisationen, sondern lediglich Rückschritte und Niedergänge einzelner Zivilisationen, die von der Geschichte festgehalten wurden. Während ich der über hundertjährigen sorgfältigen und unermüdlichen Arbeit eurer Zeitschrift gedenke, die mit Recht so großes Ansehen genießt, will ich dem Herrn herzlich dafür danken, daß er so viele kulturell hochstehende Personen von tiefer menschlicher und priesterlicher Bildung für diese Arbeit geweckt hat. Sie haben es verstanden, inmitten der anhaltenden sozialen und ideologischen Spannungen doch die Fackel der Wahrheit immer hochzuhalten. Viele Redakteure der „Civiltä Cattolica“ haben ihr ganzes oder einen Großteil ihres Lebens der stets sorgfältigen und zeitnahen Abfassung der Zeitschrift gewidmet, wobei sie diese ihre Sendung für einen echten priesterlichen Dienst hielten: auch an sie soll unsere Anerkennung und unsere Genugtuung für ihr Werk ergehen. Man müßte hier eine lange Liste wohlbekannter und wohlverdienter Namen anführen; ich beschränke mich darauf, die beiden letzten, die in diesen letzten Jahren gestorben sind, zu erwähnen: Pater Fagone und Pater Angelo Martini. Die Aufklärungs- und Büdungsarbeit der „Civiltä Cattolica“ auf theologischem, christologischem, ekklesiologischem, philosophischem, literarischem, juridischem und auch künstlerischem Gebiet verdient Unterstützung und lebhafte Zustimmung, und ich fordere euch inständig zu einer neubelebten Treue zum ursprünglichen, vor hundert Jahren erstellten Programm auf zur Vertiefung, Darlegung und Verbreitung der von der Kirche verkündeten Wahrheiten sowohl im Rahmen der Offenbarungswirklichkeiten als auch in den Sozial- und Kulturbereichen; zur Interpretation der Geschehnisse und der gedanklichen Strömungen im Lichte des Evangeliums und des authentischen und unvergänglichen Lehramtes, ohne sich je Verwirrungen oder gefährlichen Kompromissen zu überlassen. 1031 Botschaften und Ansprachen Natürlich muß in einer Situation des ideologischen und praktischen Pluralismus, wie er in unserer Zeit herrscht, der Dialog voll Achtung und Verständnis geführt werden, und man muß immer zwischen Irrtum und Irrenden unterscheiden. Doch das Bemühen der Zeitschrift muß es auch bleiben, sorgfältig zwischen Wahrheit und Irrtum zu unterscheiden, damit sie stets Bildnerin rechter Gewissen ist. 4. Was den Sonderbereich der Innenpolitik und der internationalen Politik betrifft, könnt und sollt ihr, wie euch bereits mein Vorgänger Pius XII. sagte und wie im übrigen das Zweite Vatikanische Konzil für die ganze Kirche lehrt (Gaudium et spes, Nr. 76), zweifellos euer moralisches Urteil über die Fakten und Geschehnisse einbringen, besonders dann, wenn die Menschenrechte, das Gemeinwohl, die Rechte und die Freiheit der Kirche auf dem Spiel stehen. 5. Deshalb möchte ich euch sagen, wie sehr es euch nützen wird, noch an einem anderen ursprünglichen und grundlegenden Merkmal eurer Tätigkeit festzuhalten, das sich auch aus den Dokumenten der päpstlichen Approbation ergibt: Ich meine die Kollegialität eurer Arbeit und damit die Einmütigkeit eures Dienstes für den Hl. Stuhl. Ich bin sehr erfreut, unter euch junge, weniger junge und ältere Patres zu sehen; so ist es, meines Wissens, immer gewesen. Wie in einem gut aufeinander einge-stimmten Chor muß also jeder seine Stimme haben und sie mit der der anderen in harmonischen Einklang bringen; jeder muß mit seinem Denken und mit seiner Erfahrung zur kollegialen Ausrichtung der Zeitschrift beitragen. Das wird ihre stets konsequente und einheitliche Richtung fördern und ihrem Vermögen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, zum sicheren Vorteil gereichen. Mit diesen herzlichen Gefühlen und diesen Ermunterungen, die der Wesensart eures Instituts selbst entnommen sind, möchte ich euch noch einmal die Wertschätzung für die bisher vollbrachte gute Arbeit und das lebhafte Interesse des Apostolischen Stuhles zum Ausdruck bringen, für den diese Arbeit weitergeführt werden und sich entfalten möge. Eure Mühe sei stets von der Hilfe des Herrn begleitet, als deren Unterpfand ich euch allen und jedem einzelnen meinen Apostolischen Segen erteile. (O.R. 5J6. 4. 82) 1032 Botschaften und Ansprachen Im Dienst der höchsten Interessen der Völker und Menschen Ansprache beim offiziellen Besuch des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Javier Perez de Cuellar, im Vatikan am 6. April Herr Generalsekretär! Ich danke Ihnen sehr für diesen Besuch, den Sie mir schon wenige Monate nach der Übernahme Ihres hohen Amtes als UNO-Generalsekretär abstatten. Es ist für mich ein Grund zu echter Freude, Sie persönlich kennenlemen zu können und ein willkommender Anlaß, Ihnen gegenüber die besten Wünsche zu erneuern für die schweren Aufgaben, die Ihnen obhegen, während ich Ihnen ebenso den Wißen bekunde, den herzlichen und achtungsvollen Dialog zwischen der katholischen Kirche und den Vereinten Nationen weiterzuführen und zu vertiefen, dessen Entwicklung ich große Bedeutung beimesse. Die Stellung, die Sie, Herr Generalsekretär, im UNO-System und in der internationalen Gemeinschaft einnehmen, kann wohl als einzigartig in ihrer Art bezeichnet werden. Nachdem Sie zur Leitung des Generealsekretariats einer so umfassenden Organisation berufen worden sind, müssen Sie in der Tat sehr wichtige Verwaltungsfunktionen erfüllen, aber zugleich eine schwierige politische Sendung, die sich in diplomatischen und operativen Repräsentationsaufgaben darsteht. Der internationale Charakter Ihres Amtes steht im Dienst der Universalität der UNO und hat höhere Zielsetzungen: Friede und Zusammenarbeit unter allen Völkern, Schutz der Würde und der Rechte des Menschen, internationale Gerechtigkeit. Die bloße Nennung dieser Funktionen und Zielsetzungen legt klar die Bedeutung des Amtes dar, das Sie bekleiden, und des Dienstes, den Sie der gesamten Menschheitsfamilie leisten können. Sie wissen das sehr wohl, Herr Generalsekretär, doch möchte ich es bei dieser Gelegenheit wiederholen: Der Hl. Stuhl hat durch aufeinanderfolgende Päpste in klarer und feierlicher Weise seine moralische Unterstützung für die institutionellen Grundsätze und die wesentlichen Zielsetzungen der UNO bekundet. Mein Vorgänger Paul VI. bezeichnete in seiner denkwürdigen Ansprache vom 4. Oktober 1965 die UNO als „den notwendigen Weg der modernen Zivilisation und des Weltfriedens“. Ich selbst habe, als ich mich am 2. Oktober 1979 an die 34. Generalversammlung der Vereinten Nationen wandte, das Vertrauen und die Ein- 1033 Botschaften und Ansprachen Stellung meiner Vorgänger zur genannten Institution bekräftigt. Die Gründe für solches Vertrauen, Herr Generalsekretär, sind nicht zufällig, sondern wohlüberlegt. Sie gründen sich auf tiefgehende Überzeugungen: die Notwendigkeit einer Organisation der internationalen Gesellschaft in der gegenwärtigen Entwicklungsphase, zu welcher die Unabhängigkeit der Völker geführt hat, für das internationale Gemeinwohl und die hieraus folgende Notwendigkeit einer Weltautorität; und zugleich die Überzeugung von der innigen - man könnte sagen wesentlichen - Verknüpfung, die zwischen der Organisation der internationalen Gesellschaft und dem Schutz des Friedens und der Verständigung unter allen Völkern der Erde besteht. In dem Augenblick, den wir gerade erleben, richtet sich das Interesse der öffentlichen Meinung neben so vielen Spannungspunkten jetzt voll Angst auch auf die sehr schwierige Situation, die zwischen Argentinien und Großbritannien entstanden ist; und ganz allgemein richtet es sich mit größter Berechtigung auf die schreckliche und dauernde Drohung eines Atomkrieges. Eine Bedrohung, die deutlicher denn je geworden ist durch die hartnäckige Verstärkung überquellender Waffenarsenale und die großen Schwierigkeiten, die die verantwortlichen Regierungen bei der Entscheidung haben, Foren für sachliche und wirksame Verhandlungen über die verschiedenen Rüstungsarten zu eröffnen. Herr Generalsekretär, der Hl. Stuhl ist besorgter als irgend jemand sonst wegen der Verschärfung der internationalen Spannungen und hofft inständig, daß die nächste außerordentliche Versammlung über Abrüstung dazu beiträgt, die Geister zu beruhigen. Gleichzeitig aber darf man sich nicht wundern, daß die Probleme, die unmittelbar die Industrieländer betreffen, dahin tendieren, die dramatische Lage von zwei Dritteln der Weltbevölkerung, die weniger begünstigt sind, zu überschatten. Wichtig wäre, daß der aktive Einsatz der Vereinten Nationen für die Enwicklung der Völker im Vordergrund der Sorgen der Regierungen der besser versorgten Länder weitergeführt wird. Traurig wäre es angesichts der breiten, ständig wachsenden Ungleichheit, wenn die Wirtschaftskrise, die die nördliche Hemisphäre heimsucht, als Vorwand dafür diente, uns unserer Pflicht zur Solidarität zu entledigen. Deshalb, Herr Generalsekretär, lobe und ermutige ich die Bemühungen, das Gewissen der materiell Begünstigteren zu wecken und sie an ihre schwere Verantwortung gegenüber den weniger Begünstigten zu erinnern. Obgleich diese Ziele und Güter auf dem Geschichtsweg der Menschheitsfamilie notwendig und wesentlich sind, sind sie auch sehr komplex und auf die Dauer schwer zu erreichen. Heute bedarf es wie noch nie der Zusam- 1034 Botschaften und Ansprachen menarbeit aller, es gilt, partikularistische oder von Eigeninteressen bestimmte Vorstellungen zu überwinden, um sich einer wahrhaft universalen Auffassung vom Gemeinwohl zu öffnen. Während ich mir der Größe dieser Ideale ebenso bewußt bin wie der Schwierigkeiten, die sich bei ihrer Verwirklichung einstellen, möchte ich Sie, Herr Generalsekretär, und alle Ihre Mitarbeiter aufrichtig dazu ermutigen, mit Vertrauen, mit Beharrlichkeit und mit dem Verantwortungsgefühl, das sie auszeichnet, für die Überwindung der Spannungen und der Krise zu arbeiten, die den internationalen Horizont verdüstern, das Gebäude der UNO zu stärken und zu vervollkommnen, das nach tragischen Erfahrungen errichtet worden ist, um den höchsten Interessen der Völker und des Menschen zu dienen. Was die Verwirklichung dieser für das Schicksal der Menschheit so wichtigen Aufgabe anbelangt, ist der Hl. Stuhl bereit, innerhalb der Grenzen seiner spezifischen Sendung weiterhin der UNO und Ihnen, Herr Generalsekretär, seine ehrliche Mitarbeit anzubieten, vor allem für die erhabene Sache des Friedens, der Verteidigung der Würde und der Rechte des Menschen, der internationalen Gerechtigkeit und der Entwicklung aller Völker, insbesondere jener der Dritten Welt, der bedürftigsten oder in ihren berechtigten Freiheitbestrebungen bedrohtesten. Mit diesen Empfindungen rufe ich auf Ihre Person und Ihr Amt, Herr Generalsekretär, den Beistand, den Schutz und den Segen des Allmächtigen herab. (O.R. 7. 4. 82) Das Erbe wertvoller Traditionen Ansprache beim offiziellen Besuch des griechischen Staatspräsidenten Konstantinos Karamanlis im Vatikan am 7. April Herr Präsident! Mit tiefer Freude empfange ich den ersten Bürger der edlen griechischen Nation, deren große kulturelle Tradition von so entscheidender Bedeutung für die Geschichte der Welt und für die christliche Religion war. Die europäische Zivilisation ist aus der griechischen Kultur geboren und hat sich periodisch aus dieser Quelle erneuert. Das Christentum hat sich im Rahmen dieser herrlichen Kultur zuerst entwickelt und mit Hilfe der 1035 Botschaften und Ansprachen griechischen Sprache, die sein Hauptausdrucks- und Verständigungsmittel war. Ich freue mich, meine hohe Wertschätzung für das griechische Volk aussprechen zu können. Dabei beziehe ich mich nicht nur auf das, was es in so großartiger Weise in der Vergangenheit vollbracht hat. Ich denke vor allem an die religiösen Traditionen, die Ihr Volk mit Beharrlichkeit und Ausdauer nahezu ohne Unterbrechung von Generation zu Generation bis in unsere Tage zu bewahren wußte. Das heutige Griechenland ist Erbe dieser wertvollen Traditionen. Auf seiner Suche nach einem harmonischen Fortschritt spielt es eine wichtige Rolle zugleich in Europa und in der internationalen Gemeinschaft als ganzer. In diesen beiden Bereichen stellen die historischen und kulturellen Werte, die Griechenland anzubieten hat, einen beachtlichen Beitrag zur Sache des Friedens dar. In diesem Zusammenhang und mit dem Wunsch, zusammenzuarbeiten, um den Forderungen nach Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit, wie sie im Evangelium enthalten sind, zu entsprechen und ihnen in den internationalen Beziehungen Raum zu geben, wurden diplomatische Beziehungen zwischen Griechenland und dem Heihgen Stuhl aufgenommen. Die Bemühungen Ihres Landes und der griechisch-orthodoxen Kirche haben dasselbe Ziel wie die des Hl. Stuhls im Hinblick auf die Harmonie zwischen den Völkern und den Schutz der Grundrechte des Menschen. Die katholische Kirche in Griechenland arbeitet loyal am Wohl des Landes mit. Als integrierender Bestandteil der Nation ist sie als ganze -Bischöfe und Klerus, Ordensleute und Laien - stolz darauf, unauffällig im Geist des Dienens für das Wohl und den Fortschritt des Landes und insbesondere der Armen, der Kranken, der Jugend, der Familien und ganz allgemein derer zu arbeiten, die eine schwere Prüfung durchmachen oder die das Bedürfnis nach der pastoralen oder wohltätigen Hilfe der Kirche verspüren. Gleichzeitig betrachtet der Hl. Stuhl voll herzlicher Hochachtung und Liebe die griechisch-orthodoxe Kirche, der die Mehrheit Ihrer Mitbürger angehört. Es ist meine Hoffnung, daß die aus den Forderungen des ökumenischen Dialogs erwachsene Zusammenarbeit und Verständigung weitergeht. Ihr Besuch bietet mir eine besonders willkommene Gelegenheit, die Verdienste und Tugenden der Hierarchie der griechisch-orthodoxen Kirche zu würdigen, deren Bischöfe durch die Jahrhunderte hin ihren Gläubigen dank einer beachtenswerten geistlichen, liturgischen und kulturellen Erziehung den Weg gewiesen haben. An alle ihre Mitglieder und beson- 1036 Botschaften und Ansprachen ders an Seine Seligkeit Seraphim, Erzbischof von Athen und ganz Griechenland, richte ich einen herzlichen und ehrerbietigen Gruß in unserem Herrn Jesus Christus. Ich bin Ihnen, Exzellenz, sehr dankbar für die Ehre Ihres Besuches als Präsident der Hellenischen Republik. Er bot mir die Möglichkeit, Ihnen gegenüber die Gefühle besonderer Wertschätzung zu bekräftigen, die ich Ihnen während Ihres Besuches als griechischer Regierungschef zum Ausdruck gebracht habe. In Ihrer Person grüße ich auch Ihr Volk, dessen ruhmreiche Geschichte und dessen Sinn für Arbeit die größte Hochachtung verdienen. Möge Gott Griechenland weiterhin beschützen und seinen Segen über Sie selbst und über all Ihre Landsleute ausgießen! (O.R. 9. 4. 82) Das priesterliche Bündnis mit Gott Predigt bei der feierlichen Messe der ölweihe in St. Peter am Gründonnerstag, 8. April 1. „Heute hat sich das Schriftwort . . . erfüllt“ {LkA, 21). Dieses Heute des Evangeliums bezieht sich auf jenen Tag in Nazaret, als Jesus sich zum ersten Mal als der Messias, als der von Gott Gesalbte und Gesandte, offenbarte. Damals wurde ihm die Schriftrolle mit dem Text des Propheten Jesaja gereicht, und er las daraus die Worte: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe . . .“ (Lk 4, 18; vgl. Jes 61, 1). Jenes Heute von Nazaret bezeichnete damals den Anfang des öffentlichen Wirkens des Jesus von Nazaret; es bedeutete den Anfang des Evangeliums. Den Anfang „von allem, was Jesus getan und gelehrt hat“ (Apg 1, 1) in Galiläa, Judäa und Samaria. Nun geht diese öffentliche Sendung ihrem Ende entgegen. In der Morgenliturgie des Gründonnerstags wiederholt die Kirche die Worte von Nazaret, nicht nur, um an jenes Heute von damals zu erinnern, sondern auch, um uns in das aktuelle Heute einzuführen. 2. Heute nun erfüllen sich die Worte der Schrift bis ins letzte. Heute beginnt jenes Triduum, jene drei heiligen Tage, die in gewisser Hinsicht ein einziger Tag sind: Tag des Mysteriums, Ostern. 1037 Botschaften und Ansprachen An diesem Tag hat Jesus seinen Erdenweg beendet. Er befindet sich auf dem Gipfel seiner messianischen Macht. Aus der Fülle dieser Macht wird an diesem Tag - beim Abendmahl - die Kirche entstehen. Ja, die Kirche baut sich auf durch die Eucharistie. In den Abendstunden des Gründonnerstags werden wir wieder das letzte Abendmahl feiern, bei dem Christus den Aposteln das Opfer seines Leibes und seines Blutes, die Eucharistie, anvertraut hat. Indem er uns dieses einzigartige und unerschöpfliche Opfer übertrug, „hat er uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott, seinem Vater“ {Off 1, 6). Er hat uns zur Kirche gemacht. Die Priester sind es, die das Opfer darbringen, und darin offenbart und verwirklicht sich das Reich Gottes auf Erden. Die Priester werden gesalbt. Am Gründonnerstag segnet die Kirche jedes Jahr die bei der Liturgie verwendeten Salböle, mit denen sie das neue „Gnadenjahr des Herrn“ verkündet {Lk 4, 19; vgl. Jes 61, 2). In der Tat erhalten wir bei der heiligen Salbung Anteil an dieser einzigartigen, ewigen Salbung des Gesalbten und an der Sendung des Gesandten. Gesalbt werden Haupt und Hände der Menschen, und das geschieht während der Feier der heiligen Sakramente der Kirche. Gesalbt werden auch die Gott geweihten Gegenstände und Orte. Die Salbung bedeutet die Macht des Geistes, die dem Messias des Herrn in Fülle gegeben war. Die Salbung bedeutet Gnade: die Schönheit und Herrlichkeit der Teilhabe an der Macht des Geistes. Die Salbung bedeutet die lebensspendende Verbindung mit dem Messias, mit Christus, dem vom Vater Gesalbten und Gesandten. 3. Liebe Brüder! Wir alle sind in besonderer Weise durch das Sakrament der Priesterweihe Gesalbte und Gesandte. Unter denen, die Christus „zu Königen und zu Priestern“ gemacht hat und noch immer macht, sind wir in besonderer sakramentaler Weise Priester. Wir alle haben auch in besonderer Weise aus der Fülle dieser messianischen Macht geschöpft, die sich im Heute des Gründonnerstags Christi geoffenbart hat. Dieses Heute ist unser Tag. Es ist unser Fest. Zugleich mit der Eucharistie, zugleich mit der Kirche wurden wir im Abendmahlssaal ins Dasein gerufen. Als Christus das Opfer einsetzte, aus dem ständig die Kirche wächst, hat er auch die Priester, die Diener seines Opfers, gesegnet. 1038 Botschaften und Ansprachen Er sagte: „Tut dies ... zu meinem Gedächtnis!“ (1 Kor 11, 25). Und wir tun es. Wir alle tun es, wir, die wir hier versammelt sind, und alle Priester in der ganzen Kirche, mit denen uns der heutige Tag in tiefer sakramentaler Brüderlichkeit verbindet. 4. Wieviel verdanken wir dem, „der uns hebt“ {Off 1, 5), dem, der uns zuerst geliebt und eingeladen, uns gerufen und in seinem Geist vorbereitet hat, und der uns schließlich durch den Dienst der Kirche vereint hat! „Ich bin das Alpha und das Omega, spricht Gott, der Herr, der ist und der war und der kommt, der Herrscher über die ganze Schöpfung!“ {Off1, 8). Für diesen Gott, der Anfang und Ende aller Dinge ist, sind wir Priester. Zwischen dem Anfang und dem Ende hegt die Zeit alles Geschaffenen. Zwischen dem Alpha und dem Omega hat die vergänghche Welt ihren Platz. In diese vergänghche Zeit, in diese Welt kommt Christus: der Gesalbte und Gesandte. Christus, der eine, ewige Priester. Und wir sind von ihm und in ihm. Durch die Eucharistie. Durch das Opfer, das er unseren Händen, unserem Mund und unserem Herzen anvertraut hat. Von ihm und in ihm sind wir da für Gott. Von ihm und in ihm sind wir auch für die Menschen da, weil wir aus den Menschen ausgewählt sind (vgl. Hebr 5, 1). Wir sind Priester durch unseren ganzen Dienst. Durch die Weihe unseres menschlichen Seins: durch ihn, in ihm und mit ihm. 5. Heute müssen wir mit dem Psalmisten das Danklied singen: „Ich habe David, meinen Knecht, gefunden und ihn mit meinem heiligen Öl gesalbt. Beständig wird meine Hand ihn halten und mein Arm ihn stärken“ {Ps 89, 21-22). Wir müssen dem Herrn das Lied des Dankes singen, weil er uns gefunden hat, wie einst David, weü er uns gesalbt hat, weil er uns leitet und stärkt. „Meine Treue und meine Huld begleiten ihn, und in meinem Namen erhebt er sein Haupt. Er wird zu mir rufen: Mein Vater bist du, mein Gott, der Fels meines Heiles“ {ebd. 25.27). Wie gütig ist Gott, der Vater und Fels unseres Heils! Mögen wir ihm alle die Treue halten! Möge das Geheimnis des Gründonnerstags unser priesterliches Bündnis mit Gott, dem Fels unseres Heils, erneuern! (O.R. 9. 4. 82) 1039 Botschaften und Ansprachen Die Stunde des letzten Abendmahls Predigt bei der Abendmahlsmesse in der Lateranbasilika am Gründonnerstag, 8. April 1. „Der Vater hatte ihm alles in die Hand gegeben“ (Joh 13, 3). Christus war sich vor dem Ostermahl klar bewußt, daß ihm der Vater alles in die Hand gegeben hatte. Er ist frei, in der ganzen Fülle der Freiheit, deren sich der Menschensohn, das fleischgewordene Wort Gottes, erfreut. Er ist frei, er verfügt über eine Freiheit, wie sie keinem anderen Menschen eigen ist. Das letzte Abendmahl: alles, was sich hier erfüllen wird, hat seine Quelle in der vollkommenen Freiheit des Sohnes gegenüber dem Vater. Schon bald wird er diese seine menschliche Freiheit in Getsemani zu tragen haben und wird sprechen: „Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen“ {Lk 22, 42). Dann wird er das Leiden auf sich nehmen, das über ihn kommen wird und das er zugleich frei gewählt hat: ein Leiden in einem Ausmaß, das für uns unvorstellbar ist. Aber während des Abendmahls war seine Wahl bereits getroffen. Christus handelt im vollen Bewußtsein seiner Entscheidung. Nur aus solchem Bewußtsein erklärt sich die Tatsache, daß er „das Brot nahm, das Dankgebet sprach, das Brot brach und ihnen mit den Worten reichte: ,Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ {Lk 22, 19). Und nach dem Mahl nahm er den Kelch und sprach: „Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut“, wie Paulus berichtet {1 Kor 11, 25), während die Evangelien noch genauer sagen: „In meinem Blut, das für euch vergossen wird“ {Lk 22, 20), oder : „Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“ {Mt 26, 28; Mk 14, 24). Als Christus beim Abendmahl diese Worte spricht, hat er seine Wahl schon getroffen. Er hat sie schon längst getroffen. Nun vollzieht er sie von neuem. Und in Getsemani wird er sie noch einmal vollziehen, wenn er schmerzerfüllt das ganze unermeßliche Ausmaß des mit dieser Wahl verbundenen Leidens annimmt. „Der Vater hat ihm alles in die Hand gegeben.“ Alles, den gesamten Heüsplan hat der Vater seiner vollkommenen Freiheit anheimgestellt. Und seiner vollkommenen Liebe. 1040 Botschaften und Ansprachen 2. Während des Paschamahls ist das Vorbild des Osterlammes durch die Wahl Christi, durch seine vollkommene Freiheit und seine vollkommene Liebe zum Höhepunkt seiner Bedeutung gelangt. Von seiner Einsetzung spricht die heutige Lesung aus dem Buch Exodus: „So aber sollt ihr es essen: eure Hüften gegürtet, Schuhe an den Füßen, den Stab in der Hand, Eßt es hastig! Es ist Pascha (Vorübergang) des Herrn!“ „Nur ein fehlerfreies, männliches, einjähriges Lamm darf es sein ... Ihr sollt es bis zum vierzehnten Tag dieses Monats verwahren. Gegen Abend soll die ganze versammelte Gemeinde Israel die Lämmer schlachten. Man nehme etwas von dem Blut und bestreiche damit die beiden Türpfosten und den Türsturz an den Häusern .. .“ „In dieser Nacht gehe ich durch Ägypten... Das Blut an den Häusern, in denen ihr wohnt, soll ein Zeichen zu eurem Schutz sein. Wenn ich das Blut sehe, werde ich an euch vorübergehen, und es wird euch kein Unheil treffen, wenn ich in Ägypten dreinschlage“ {Ex 12, 11.5-7.12-13). Das ist das Pascha des Alten Bundes. Es ist das Gedenken an den Vorübergang der strafenden Hand des Herrn an Ägypten. Es ist das Gedenken an die Rettung durch das Blut des unschuldigen Lammes. Es ist das Gedenken an die Befreiung aus der Sklaverei. Jedes Jahr, am 14. Tag des Monats Nisan, feiert Isarael wiederum das Paschafest. Christus aber feiert mit den Aposteln das letzte Abendmahl. Ihre Gedanken kreisen um die Befreiung aus der Sklaverei durch das Blut des unschuldigen Lammes. Und Christus spricht über das Brot die Worte: Nehmt und eßt; das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Dann spricht er über den Wein: Nehmt und trinkt. Das ist der Kelch meines Blutes, das für euch vergossen wird. Für euch und für alle (vgl. Mt 26, 26-28; Lk 22, 19-20). Im Rahmen dieser Worte wird bereits die Erfüllung und Vollendung der symbolischen Gestalt des Lammes des Alten Bundes sichtbar. Und da tritt in die Geschichte der Menschheit, in die Heilsgeschichte das Lamm des Neuen Bundes ein, das noch unschuldigere Lamm: das Lamm Gottes. Es tritt ein durch seinen Leib und sein Blut; durch den Leib, der hingegeben, durch das Blut, das vergossen werden wird. Es tritt ein durch den Tod, der von der Sklaverei des Todes der Sünde befreit. Es tritt ein durch den Tod, der das Leben schenkt. 1041 Botschaften und Ansprachen Das Sakrament des letzten Abendmahles ist das sichtbare Zeichen dieses Lebens. Es ist die Speise des ewigen Lebens. 3. Das geschah „vor dem Paschafest“. Es war die Stunde Christi: die Stunde „seines Hinübergangs aus dieser Welt zum Vater“. In jener Stunde hat Jesus, „da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, ihnen seine Liebe bis zur Vollendung erwiesen“ (Joh 13, 1). „Die Seinen in der Welt - etwa nur jene, die in der Stunde des letzten Abendmahles bei ihm waren? Nein, nicht nur sie. Er hat alle „die Seinen“ geliebt; alle, die er erlösen sollte. Alle, vom Anfang der Welt bis zu ihrem Ende. Alle - überall. Und nun wusch er ihnen die Füße; denen, die beim Abendmahl zugegen waren. Zuerst dem Petrus. Damals, in der Stunde der ersten Eucharistie, wollte er, daß sie ganz rein seien: eine größere, vollkommenere Reinheit, als sie selbst gedacht hatten; als Petrus gedacht hatte. Und er wünschte diese Reinheit für alle. Die Liebe drängt ihn dazu, für alle und überall die Reinheit zu wünschen. „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir“ (Joh 13, 8) Christus möchte in der Eucharistie sein Leben mit mir teilen: Er will die Gemeinschaft. Im Hinblick auf diese Gemeinschaft mit dem Menschen wünscht er, daß seine Seele rein sei. Es ist die Stunde des letzten Abendmahles. Die Stunde Christi. Die Stunde seines Herzenswunsches, der keine Grenzen kennt. Er wünscht die Gemeinschaft mit dem Menschen, und er wünscht die Reinheit der menschlichen Seele. Können wir diesen Wunsch zurückweisen? (O.R. 9. 4. 82) Das Kreuz - Zeichen des Lebens Ansprache beim Kreuzweg am Kolosseum am Karfreitag, 9. April 1. Crucem Tuam adoramus - Dein Kreuz beten wir an. Dies ist der Tag, an dem wir in besonderer Weise das Kreuz verehren, das Kreuz Christi. Dieses Zeichen, Instrument eines schändlichen Todes, steht seit dem frühen Morgen des Karfreitags den ganzen Tag hindurch vor unseren 1042 Botschaften und Ansprachen Augen, während wir in tiefer Anteilnahme mit Geist und Herz die Passion des Herrn verfolgen: den Weg vom Gerichtshof des Pilatus zum Kalvarienberg, das Sterben auf jenem Berg, den Tod. Diese Stunden, voll der heiligen Stille, fanden dann später alle in der liturgischen Feier am Nachmittag Ausdruck: in der Verehrung des Kreuzes. Und jetzt, am späten Abend, sind wir zum Kolosseum gekommen, um alles noch einmal zu betrachten im Kreuzweg: Kreuzigung, Tod, Beerdigung. 2. Das Kreuz, das hier im Kolosseum inmitten dieser eindrucksvollen Ruinen aufgerichtet ist, mahnt uns mit Nachdruck an alle jene, die im Verlauf der ersten Generationen der Kirche zum Kreuzestod verurteilt, den wilden Tieren vorgeworfen oder auf andere Weise gemartert worden sind und den Märtyrertod erlitten haben. Sie fielen auf die Erde wie Samen, der vergehen muß, um Frucht zu bringen - und mit dem Blick auf das Kreuz Christi wiederholten sie dabei, vielleicht ohne Worte: Crucem Tuam adoramus - Dein Kreuz beten wir an. Das Kreuz ist für sie zum Zeichen des Lebens geworden, das aus Leid und Tod geboren wird: et sanctam resurrectionem Tuam laudamus et glorifi-camus - und Deine heilige Auferstehung loben und preisen wir. 3. An wie vielen Stellen der Erde ist dieses Kreuz vorbeigekommen? Durch wie viele Generationen hindurch? Für wie viele Jünger Christi ist es ein wichtiger Bezugspunkt auf ihrer irdischen Pügerschaft geworden? Wie viele hat es auf Leiden und Tod vorbereitet? Wie viele auf das Martyrium um Christi willen? Auf ein blutiges oder unblutiges Lebenszeugnis? Und wie viele bereitet es weiterhin auf all das vor? Die Kirchengeschichte auf den verschiedenen Kontinenten und in den verschiedenen Ländern kann nur einen Teil dieses „Martyrologiums“ festhalten. Die Altäre in den Kirchen reichten nicht aus, um all jene aufzunehmen, die durch ihren Kreuzweg Zeugnis für Christus abgelegt haben. Man braucht dafür nur an jene zu denken, die in unserem Jahrhundert gelebt haben. 4. Crucem Tuam adoramus, Domine - Dein Kreuz, Herr, beten wir an. Ja, am Kreuz hat Christus sich als der Herr erwiesen: Er hat den Tod auf sich genommen und sein Leben dahingegeben. Er ist nicht einfach „gestorben“, sondern hat „sein Leben dahingegeben“. „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 1043 Botschaften und Ansprachen 15, 13). Er hat sein Leben hingegeben! Den Tod hat er auf sich genommen und sein Leben hingegeben. Seine letzten Worte am Kreuz waren: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk23,46). Für uns hat er sein Leben hingegeben. Für alle Menschen. Wir sind nur ein kleiner Teil all derer, für die Christus sein Leben hingegeben hat. Es gibt keinen Menschen - seit Anbeginn bis zum Ende der Welt -, für den er sein Leben nicht hingegeben hat. Er hat sein Leben für alle hingegeben. Er hat alle erlöst. Das Kreuz ist Zeichen der universalen Erlösung: Durch das Kreuz kommt Freude in die ganze Welt. 5. Freude kommt . . . Das Kreuz ist das Tor, durch das Gott endgültig in die Geschichte des Menschen eingetreten ist. Und er bleibt! Das Kreuz ist das Tor, durch das Gott fortwährend in unser Leben tritt. Gerade darum bezeichnen wir uns mit dem Kreuzzeichen und sprechen: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Während wir uns das Kreuzzeichen auf Stirn, Schulter und Herz zeichnen, sprechen wir diese Worte. Sie sind eine Einladung an Gott, daß er komme. Wir verbinden sie mit dem Kreuzzeichen, damit Gott auf dem Weg über das Kreuz in das Herz des Menschen komme. So kommt er in unsere Arbeit, in unser Denken, in unser Sprechen: in das gesamte Leben des Menschen und der Welt. Das Kreuz öffnet uns für Gott. Das Kreuz öffnet die Welt für Gott. 6. Im Zeichen des Kreuzes wird auch gesegnet. So tun es Bischöfe und Priester. Die Eltern tun es bei ihrem Kind. Vom Kreuz Christi erwarten wir von Gott das endgültig Gute und alle Güter, die uns diesem nahebringen. All das findet bei jedem Segen seinen Ausdruck, auch bei jenem, den ich euch gleich erteile. Fest steht das Keuz, während die Welt sich dreht. Alles vergeht - das Kreuz, es bleibt zwischen Welt und Gott. Durch das Kreuz bleibt Gott in der Welt. Crucem Tuam adoramus, Domine - Dein Kreuz, Herr, beten wir an. 7. Liebe Brüder und Schwestern! Dieser Karfreitag, der dem Geheimnis des Kreuzes geweiht ist, das wir heute abend betrachtet haben, bringt uns immer näher zu Gott, dem Lebendigen: dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Das Zeichen des Todes Christi erwecke in uns Seine Gegenwart und Kraft. Amen. (O.R. 11. 4. 82) 1044 Botschaften und Ansprachen „Das hat der Herr vollbracht!“ Predigt bei der Ostemachtsmesse in St. Peter am 10. April 1. Im Mittelpunkt des Tages, der soeben zu Ende geht, steht ein Grab, das Grab Christi. Dies war der Karsamstag, die VigU von Ostern. Im Mittelpunkt des Karfreitags steht das Kreuz Christi. Im Mittelpunkt des Karsamstags - das Grab Christi. Dieses Grab haben die drei Frauen vor Augen: Maria von Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome, als sie sich in der Morgenfrühe des folgenden Tages, „am Tag nach dem Sabbat“, noch vor Aufgang der Sonne, an die Stelle begeben, wo Jesus beigesetzt worden war. Ihre vordringliche Sorge hegt in den Worten: „Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen?“ (Mk 16, 3). Das Grab: die Stelle, wo Christus beigesetzt worden ist, dessen Leib sie nun einbalsamieren wollen, um ihn rechtzeitig gegen die Auflösungserscheinung des Todes zu schützen. Und siehe da, das Grab war leer. Die Frauen sehen, daß der Stein bereits weggewälzt ist - und gehen in die Grabkammer hinein . . . Am Morgen des Tages nach dem Sabbat verändert sich ganz und gar die Grundeinstellung im Denken und Fühlen all derer, die das Kreuz Christi und seinen Tod und seine Beerdigung gesehen haben, derer, die das Grab mit dem Stein davor gesehen haben. Im Mittelpunkt der darauffolgenden Nacht und des Morgens nach dem Sabbat steht nun das leere Grab. Maria von Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome sind zunächst bestürzt: „. . . Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt“ {Mk 16, 8). Sie waren erfüllt von Schrecken und Entsetzen trotz allem, was sie aus dem Mund des jungen Mannes gehört hatten, den sie in der Grabkammer vorgefunden hatten, bekleidet mit einem weißen Gewand: trotz all dem - oder vielleicht gerade deswegen. Der junge Mann hatte ihnen gesagt: „Er ist auferstanden; er ist nicht hier ... Er geht euch voraus nach Galiläa“ {Mk 16, 6f.). Sie aber brachten es nicht fertig, diese Botschaft weiterzugeben. „Und sie sagten niemand etwas davon; denn sie fürchteten sich“ {Mk 16, 8). Dies ist also das erste Bild, das die Liturgie der Ostervigil gegen Ende zu vor unseren Augen zeichnet. 2. Das zweite Bild stammt vom hl. Paulus. Von diesem Tag an, dem Tag nach dem Sabbat, haben sich die Jünger Christi mit dieser neuen Wirk- 1045 Botschaften und Ansprachen lichkeit, mit dem leeren Grab vertraut gemacht. Sie gaben ihr einen Namen. Schritt für Schritt begriffen sie, daß sich in der Auferstehung des Herrn alles erfüllte, was er getan und gelehrt hatte. Der Apostel schreibt also in seinem Brief an die Römer um das Jahr 57, das heißt etwa 25 Jahre nach den Osterereignissen, folgendermaßen: „Wißt ihr denn nicht, daß wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben (Röm 6, 3.4). Für die erste Generation der Apostel und Bekenner Christi - und so auch für uns - galt also: In der Mitte der Ostervigil steht also zunächst der „alte Mensch“, der Mensch der Sünde, der zusammen mit Christus sterben und begraben werden muß. Denn im Erlösertod Christi soll die Sünde sterben, damit am Morgen des Ostertages der „neue Mensch“ geboren werde, der Mensch, der durch Christus neu ins Leben tritt. Das ist also das Sinnbild, das der Apostel im „leeren Grab“ sieht. „Das leere Grab“ bedeutet nicht nur die Auferstehung Christi. Es bedeutet ein neues Leben, das Leben aus Gnade. Es zeigt den „neuen Menschen“ an. Auch in dieser Sicht steht im Mittelpunkt des Karfreitags zunächst das Kreuz. Paulus schreibt: „Unser alter Mensch wurde mitgekreuzigt, damit . . . wir nicht Sklaven der Sünde bleiben. Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde“ (a.a.OVers 6f.). Am Karsamstag steht dann das Grab im Mittelpunkt. Dazu schreibt Paulus: „Wir sind ihm gleich geworden in seinem Tod“ (Vers 5). Der Karsamstag ist die Vigil des Ostersonntags. Am frühen Morgen des anbrechenden Sonntags finden die Frauen das leere Grab. Dazu schreibt der Apostel - und diese Worte klingen wie ein weithallender Ruf der Freude und Hoffnung: „Wir wissen, daß Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt“ (Vers 9). „So sollt auch ihr euch als Menschen begreifen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus“ (Vers 11). Dies ist das zweite Büd aus dieser Osternachtsfeier. 3. Laßt uns dieses Schweigen der Frauen auf nehmen, die beim Anblick des leeren Grabes bestürzt sind, an jenem frühen Morgen des Tages nach dem Sabbat. Und laßt uns den Freudenruf des Apostels aus dem Brief an die Römer aufnehmen. 1046 Botschaften und Ansprachen Vor allem ihr, liebe Brüder und Schwestern, die ihr in dieser Osternacht von Christus das neue Leben im Sakrament der Taufe empfangen habt: nehmt den Freudenruf des Apostels auf! Laßt uns alle dieses neue Leben aufnehmen, das uns geschenkt wurde. Alle jene, in denen es durch das Bußsakrament erneuert worden ist, mögen es aufnehmen. In uns allen ist Christus zum Eckstein eines neuen Bauwerkes geworden. 4. Während die Osternacht noch alles umhüllt, richten sich unsere Herzen darum auf dieses neue Leben: „Das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder“ (Ps 118, 23). Und zusammen mit dem Psalmisten sagen wir unseren Dank: „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig. So soll Israel sagen: Denn seine Huld währt ewig . . . Die Rechte des Herrn ist erhoben, die Rechte des Herrn wirkt mit Macht!“ (Ps 118, 1.2.16). Diese Nacht vor dem Sonntag verkündet die Erfüllung des Ostergeheimnisses: Im Mittelpunkt des Karfreitags steht das Kreuz, im Mittelpunkt des Karsamstags das Grab Christi. Am frühen Morgen der Vigilnacht enthüllt sich die machtvolle Hand des Herrn. Das leere Grab bezeugt die Auferstehung Christi: mit ihm werden wir vereint sein „. . . auch in der Auferstehung“ (Röm 6, 5). Ihr, liebe Neugetaufte, wir alle, liebe Brüder und Schwestern, die wir an dieser Eucharistiefeier teilnehmen, erneuern wir in uns jene sichere Glaubensüberzeugung, die der Mund des Psalmisten bekennt: „Ich werde nicht sterben, sondern leben, um die Taten des Herrn zu verkünden“ (Ps 118,17). Amen. (O.R. 13./14. 4. 82) Fest der Auferstehung - Fest der Versöhnung! Osterbotschaft vor dem Segen „Urbi et Orbi“ am Ostersonntag, 11. April 1. „Victimae paschali laudes immolent Christiani - Dem Osterlamm, das geopfert ward, weihet, ihr Christen, das Opfer des Lobes.“ Ihr Christen dieser Stadt und der Welt! In dieser feierüchen Stunde rufe ich euch - wo immer ihr seid - dazu auf, dem auferstandenen Herrn Jesus Christus, dem Osterlamm für die Kirche und die Welt, eure tiefste Verehrung darzubringen! Dieser Verehrung 1047 Botschaften und Ansprachen sollen sich alle Gemeinschaften des Volkes Gottes anschüeßen vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang. Alle Menschen guten Willens seien mit uns vereint! Denn dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat! „Agnus redemit oves - Das Lamm erlöste die Schafe!“ 2. Das ist der Tag, an dem sich der ewige Kampf entschieden hat: „Mors et vita duello conflixere mirando - Tod und Leben stritten im Kampf, wie nie einer war.“ Zwischen Leben und Tod spielt sich von Anfang an ein Kampf ab. In der Welt bekämpfen sich Gut und Böse. Am heutigen Tag neigt sich die Waage einer Seite zu: Das Leben gewinnt die Oberhand, das Gute wird siegen. Christus, der Gekreuzigte, ist aus dem Grab erstanden; dadurch ist die Entscheidung zugunsten des Lebens gefallen. Er hat das Leben von neuem in den Grund der Menschenseelen eingepflanzt. Dem Tod sind Schranken gesetzt. Eine große Hoffnung hat der Herr uns erschlossen: die Hoffnung auf Leben über den Bereich des Todes hinaus. „Dux vitae mortuus regnat vivus - Der Fürst des Lebens erlag dem Tod; zum Leben erstanden, triumphiert er als König.“ 3. Die Jahre und Jahrhunderte vergehen. Wir stehen im Jahr 1982. Das Osterlamm ist auch heute noch als lebendiger Weinstock in den Grund der Menschheit eingepflanzt. Und in der Welt kämpfen immer noch Gut und Böse gegeneinander. Das Leben kämpft gegen den Tod, die Gnade gegen die Sünde. Wir schreiben das Jahr 1982. Mit Sorge müssen wir daran denken, wohin sich die heutige Welt bewegt. Die Strukturen des Bösen, die ihre Wurzeln tief in die Menschheit unserer Zeit eingesenkt haben - wie eine weitreichende Verzweigung des Übels -, scheinen den Horizont des Guten zu verdunkeln. Sie scheinen den Menschen und die Erde mit Zerstörung zu bedrohen. Wie schmerzlich leiden die Menschen: der einzelne, die Familien, ganze Gesellschaften! „Mors et vita duello conflixere mirando - Tod und Leben stritten im Kampf, wie nie einer war.“ An diesem Tag des österüchen Opfers dürfen wir keinen von denen, die leiden, vergessen. Auch für sie ist Ostern! Alle Opfer der Ungerechtigkeit, der menschlichen Grausamkeit und Gewalt, der Ausbeutung und des Egoismus sind im Herzen des Osterlammes eingeschlossen. Ebenso die vielen Milhonen und Abermillionen von Menschen, die von der Geißel des Hungers bedroht sind, welche jedoch beseitigt oder verringert werden könnte, wenn die Menschheit bereit wäre, auch nur einen Teil der Mittel zu verweigern, die sie irrsinnigerweise für Waffen ausgibt! Auch für diese ist Ostern! 1048 Botschaften und Ansprachen 4. Unser Osterlamm! Du kennst alle Namen des Bösen besser, als irgend jemand sie benennen und aufzählen könnte: Umfange alle Menschen, die dahingeopfert werden! Osterlamm! Lamm, am Kreuz geopfert! Erlöser! „Agnus redemit oves - Das Lamm erlöste die Schafe!“ Auch wenn in der Geschichte des Menschen, der einzelnen, der Familien, der Gesellschaft und schließlich der ganzen Menschheit, das Böse sich über alle Maßen ausgebreitet hat und den Horizont des Guten verdunkelt, so wird es doch gegen dich nicht ankommen! Dich kann der Tod nicht mehr treffen! Christus, auferstanden, stirbt nicht mehr! Auch wenn in der Geschichte der Menschen und in der Zeit, in der wir leben, das Böse noch zunimmt, wenn man nach menschlichem Ermessen nicht mehr den Rückweg zu einer Welt sieht, in der der Mensch in Frieden und Gerechtigkeit leben kann, zu einer Welt sozialer Liebe; auch wenn man mit unseren Augen keinen Weg mehr entdeckt: Wenn die Mächte der Finsternis und des Bösen toben - hast du, unser Osterlamm, Lamm ohne Makel, unser Erlöser, bereits den Sieg errungen! Dein Ostersieg ist unser Weg! Du hat den Sieg schon errungen! Und hast ihn zu unserem Sieg gemacht! Das ist die österliche Mitte im Leben deines Volkes. 5. „Agnus redemit oves - Das Lamm erlöste die Schafe!“ „Christus innocens Patri reconciliavit peccatores - Christus, der ohne Schuld war, versöhnte die Sünder mit dem Vater.“ Das Böse wird sich niemals mit dem Guten versöhnen. Aber die Menschen, die sündigen Menschen, die Menschen, vom Bösen getroffen und zuweilen von ihm tief entstellt, diese Menschen hat Christus mit dem Vater versöhnt. Heute ist das Fest der Auferstehung; heute ist das Fest der Versöhnung! Das Geheimnis der Auferstehung bleibt im Innersten eines jeden menschlichen Sterbens bestehen. Es bleibt mitten unter den unzähligen Menschengruppen: den Nationen, Sprachen, Rassen, Kulturen und Religionen. Das Geheimnis österlicher Versöhnung bleibt eingesenkt in der Tiefe dieser Menschenwelt. Und niemand wird es dort herausreißen können. 6. Die Osterfreude ist getrübt von Spannungen und Konflikten in einigen Teilen der Welt, darunter vor allem der Abnutzungskrieg, der seit einiger Zeit zwischen dem Irak und dem Iran wütet und beiden Völkern schon so viel Leid gebracht hat. Als letzte ist nun die schwere Spannung zwischen zwei Ländern mit christlicher Tradition, Argentinien und Großbritannien, hinzugekommen, bei der bereits Menschenleben zu beklagen sind und 1049 Botschaften und Ansprachen nun sogar ein bewaffneter Konflikt droht mit bedenklichen Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen. So richte ich einen herzlichen und überaus dringlichen Appell an die beteiligten Parteien, daß sie mit Verantwortung und allem guten Willen Wege zu einer friedlichen und ehrenhaften Beilegung des Streitfalles suchen mögen, solange noch Zeit bleibt, um einen blutigen Zusammenstoß zu vermeiden. Frieden! Frieden in Gerechtigkeit, in Achtung vor den grundlegenden Prinzipien, die allgemein anerkannt und vom internationalen Recht bekräftigt sind. Frieden im gegenseitigen Verständnis! Unser aller Gebet soll Anregung und Stütze sein für die notwendigen Anstrengungen der Verantwortlichen beider Seiten und aller, die ihre freundschaftliche Vermittlung anbieten, um zu der ersehnten friedlichen Beilegung zu kommen. Freu dich, du Himmelskönigin, Halleluja! Den du zu tragen würdig warst, Halleluja, er ist auf erstanden, wie er gesagt hat, Halleluja. Bitt Gott für uns, Halleluja. Freu dich und frohlocke, Jungfrau Maria, Halleluja, denn der Herr ist wahrhaft auferstanden, Halleluja. Lasset uns beten: Allmächtiger Gott, durch die Auferstehung deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, hast du die Welt mit Jubel erfüllt. Laß uns durch seine jungfräuliche Mutter Maria zur unvergänglichen Osterfreude gelangen. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen. 7. Liebe Brüder und Schwestern - aus allen Nationen und Völkern, Sprachen und Rassen, Kulturen und Religionen, Ländern und Kontinenten! Unsere Welt ist durchwirkt von der Auferstehung! Unsere Welt ist verändert durch die Versöhnung: „Agnus redemit oves - Das Lamm erlöste die Schafe!“ Ich wende mich an alle. Alle lade ich ein, zusammen mit dem Diener der Diener Gottes das Osterlamm anzubeten! Das Licht in der Finsternis wiederzuentdecken! Die Hoffnung inmitten der Leiden! „Surrexit Dominus vere - Der Herr ist wahrhaft auferstanden!“ (O.R. 13.114. 4. 82) 1050 Botschaften und Ansprachen Der Mensch muß den technischen Mitteln überlegen bleiben! Ansprache an die Teilnehmer des Nationalkongresses der Italienischen Vereinigung der Rundfunkhörer und Fernsehzuschauer (AIARI) am 17. April Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich freue mich, euch willkommen zu heißen und in euch die Leiter und Angehörigen der Italienischen Vereinigung der Rundfunkhörer und Fernsehzuschauer zu begrüßen, die ihr aus den verschiedenen Regionen Italiens hier zusammengekommen seid. Ihr habt euch zu einem Nationalkongreß in Rom eingefunden, in dessen Mittelpunkt das Thema steht: „Programmgestaltung und Empfang von Rundfunk- und Fernsehsendungen - eine soziale Frage.“ Der Erzbischof von Ravenna, Msgr. Ersilio Tonino, hat dieses Thema behandelt. Ich bringe euch gleich meine Genugtuung über diese eure Initiative sowie über euer Wirken überhaupt zum Ausdruck, dem ich immer nützlichere Ergebnisse zum Wohl der einzelnen und der Gesellschaft wünsche. 2. Der erste Artikel des Statuts eurer Vereinigung besagt, daß sie errichtet wurde, „um die moralischen und materiellen Interessen der Rundfunkhörer und Fernsehzuschauer zu vertreten und zu schützen“ und um „im Bereich von Rundfunk und Fernsehen zur Entfaltung der Werte der Freiheit und Gerechtigkeit, zur Anerkennung der menschlichen Person und der Rechte der Familie, der Schule oder der Welt der Arbeit im Rahmen der Grundsätze der republikanischen Verfassung beizutragen“. Mir scheint also, daß der Charakter der Vereinigung und ihre Zielsetzungen ganz vortrefflich sind, und das aus verschiedenen Gründen. Vor allem ist eure Vereinigung ein spontaner Ausdruck der Wünsche des Volkes von der Basis her, nicht Ergebnis staatlicher oder übergeordneter Strukturen. Das gibt euch die notwendige Freiheit und Autonomie, und dies wiederum kann und muß um so mehr die Forderungen und Reaktionen der Bürger widerspiegeln. Zweitens fallen die genannten Ziele im wesentlichen mit Werten zusammen, in denen die Christen sich selbst und die grundlegenden evangelischen Orientierungen wiederentdecken. Die Tatsache, daß diese Vereinigung vor zwanzig Jahren von der Katholischen Aktion Italiens angeregt wurde, stellt sie von Anfang an und somit von ihren grundlegenden Wurzeln her in den großen Rahmen der Verpflich- 1051 Botschaften und Ansprachen tungen des Christen gegenüber der irdischen Wirklichkeit, das heißt ihrer Förderung und zugleich ihrer konstruktiven Kritik. 3. Wie ich in dem Apostolischen Schreiben Familiaris consorüo geschrieben habe, können sich die sozialen Kommunikationsmittel „im Leben und in den Verhaltensweisen der Familien sowie in der Erziehung der Kinder segensreich auswirken. Zugleich enthalten sie aber auch beträchtliche Gefahrenmomente“ (Nr. 76). Daher „müssen die Eltern als Empfänger aktiv mitwirken im maßvollen, kritischen, wachsamen und klugen Umgang mit den Medien . . . Mit gleichem Einsatz sollen die Eltern im Hinblick auf die Erstellung des Medienangebots aktiv werden. Durch geeignete Initiativen werden sie Kontakt halten mit denen, die in den verschiedenen Stadien der Produktion und Übermittlung Verantwortung tragen“ (ebd.). Diese Worte bekräftigen, wie man sieht, genau die Zielsetzungen eurer Vereinigung und betrachten sie vor allem vom Standpunkt der Familie her. Denn wenn Rundfunk- und Fernsehsendungen sich nicht günstig auf das Wachstum des einzelnen und vor allem des Familienbereiches auswirken, verlieren sie ihren und damit ihre Daseinsberechtigung. Mit Wachstum meine ich nicht bloß die religiöse, sondern auch und insbesondere die einfach menschliche und kulturelle Weiterentwicklung aus der Überzeugung heraus, daß das, was echt menschlich ist, auch bereits christlich ist. 4. Darum ist es wirklich notwendig, kritikfähige Abnehmer - im positiven Sinn des Wortes - auszubilden, das heißt solche, die fähig sind, das von Rundfunk und Fernsehen Gebotene nach dem Maßstab ihrer geistigen Reife abzuwägen, zu bewerten und zu beurteilen. Das Wichtigste dabei ist aber eben die innere Formung der Hörer und Zuschauer, ihr volles Verantwortungsbewußtsein, so daß sie diesen sozialen Kommunikationsmitteln nicht in einer bloß passiven und rezeptiven, sondern in dynamischer und prüfender Haltung gegenübertreten, damit der Mensch den technischen Mitteln überlegen sei und sie bestimme, nicht umgekehrt. In diesem Zusammenhang halte ich eure Anregung für sehr nützlich, die Kurse für Rundfunkhörer und Fernsehzuschauer vorsieht, sowohl von öffentlicher wie von privater Seite organisiert, die sich schon auf das Schulalter erstrecken und bis zur Fortbildung der Erwachsenen weitergehen sollen, um gewissermaßen einen „Berufshörer“ heranzubilden. 5. Liebe Brüder und Schwestern, laßt euch ganz herzlich von mir ermutigen zu allem, was die Durchführung eures Engagements betrifft, das von hohem Wert für die Gesellschaft und auch für die Kirche ist. Ihr tragt zu einem richtigen Ansatz des Bildungsprozesses der menschlichen Person 1052 Botschaften und Ansprachen bei und habt, wenn ihr diese Aufgabe in christlichem Geist in Angriff nehmt, auch gegenüber der Kirche große Verdienste. Ihr sollt daher wissen, daß der Papst mit euch ist und eurer beim Herrn gedenkt, damit euch das Licht und die Kraft zuteü werden, die eure Vereinigung braucht. Ich spreche also meine tiefempfundenen Wünsche für ein fruchtbares Wirken dieser Vereinigung aus, und als Unterpfand erteile ich euch von Herzen meinen Apostolischen Segen, in den ich auch alle eure Lieben einschließe. (O.R. 18. 4. 82) Christentum ist kein „Museumsstück“ Predigt bei der Eucharistiefeier auf der Piazza VIII Agosto von Bologna am 18. April 1. „Das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube“ (1 Joh5, 4). In der Liturgie des heutigen Sonntags nach Ostern spricht vor allem der Evangelist Johannes, der Apostel und Zeuge, der Augenzeuge des Auferstandenen, zu uns. Von ihm stammen die zu Anfang zitierten Worte, die vom Glauben als dem Sieg, der die Welt besiegt, sprachen. Wenn wir aufmerksam über die ganzen liturgischen Texte dieses Sonntags nachdenken, können wir darin so etwas wie eine „Genealogie“ dieser festen und bestimmenden Worte entdecken. 2. Johannes nimmt wie alle Apostel an dem Geschehen teü, das sich an den Paschatagen zwischen dem Gründonnerstag und dem „Tag nach dem Sabbat“ in Jerusalem zugetragen hat. Er ist Augenzeuge des Todes Christi: der einzige Apostel, der sich mit einigen Frauen aus dem Umkreis des Meisters an der Seite der Mutter Jesu befand. Er ist Zeuge des Todes und der Grablegung. Er ist auch einer der ersten Zeugen des leeren Grabes. Als Maria Magdalena den Aposteln die Nachricht brachte, begab er sich mit Petrus als erster zum Grab. Und er schreibt dann: „Er sah und glaubte“ (Joh 20, 8), und setzt sogleich hinzu: „Denn sie wußten noch nicht aus der Schrift, daß er von den Toten auferstehen mußte“ (ebd., 20, 9). Er weiß von der Auferstehung nicht nur aus der Schrift, sondern auch aus direkter Anschauung. Er war Augenzeuge. Eines Tages würde er in 1053 Botschaften und Ansprachen seinem Brief von dem schreiben, was die Apostel, ihn eingeschlossen, „gehört, was sie mit ihren Augen gesehen, was sie geschaut und mit ihren Händen angefaßt haben“ (vgl. 1 Joh 1,1). 3. Johannes wurde dann Zeuge der ersten Erscheinung Christi unter den Aposteln nach der Auferstehung. So ist das Bild, das er in seiner Erinnerung trägt, vollständig. Unter Bezugnahme auf den Psalm der heutigen Liturgie kann man auf Christus die Worte anwenden: „Sie stießen mich hart, sie wollten mich stürzen; der Herr aber hat mir geholfen“ (Ps 118, 13). Johannes war Augenzeuge des einen und des anderen Ereignisses: des Augenblicks, in dem sein Meister „hart“ in den Abgrund des Todes gestoßen wurde, und dann des Augenblicks, in dem „der Herr ihm geholfen hat“ durch „die Auferstehung von den Toten“. Das gesamte Paschamysterium hat sich vor den Augen des Apostels und Evangelisten Johannes abgespielt. Das Paschamysterium hat sich seinen Augen offenbart als „der Sieg, der die Welt besiegt hat“. Es hat mit seiner Realität die Welt besiegt. Und es hat den Sieg auch in die Vernunft und die Herzen der Menschen getragen. Zuerst in die Herzen der Nächststehenden, die - wie er - „die Schrift noch nicht . . . verstanden hatten“, das heißt alles, was im Alten Testament von der Auferstehung sprach. Die sprechende Macht des Todes Christi - und noch dazu jenes schrecklichen Todes am Kreuz - war so erdrückend, menschlich so „überzeugend“ und eindeutig, daß es ihnen schwerfiel, diese neue, unerhörte Wirklichkeit anzunehmen: zuerst das leere Grab und dann Christus unter den Lebenden, „inter mortuos vivens“. 4. Johannes war Zeuge, als der Auferstandene zum ersten Mal in den Abendmahlssaal kam, „am Abend des ersten Tages der Woche“. Er war auch Zeuge der Ungläubigkeit des Thomas. Thomas war an jenem ersten Abend nicht bei den Aposteln im Abendmahlssaal. Als die anderen zu ihm sagten: „Wir haben den Herrn gesehen“ (Joh 20, 25), reagierte er auf sehr bezeichnende Weise. Seine Worte sind nur zu gut bekannt: „Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht“ (ebd., 20, 25). Acht Tage später war Johannes Zeuge des Ereignisses, das von ihm sehr detailliert beschrieben wurde. Christus kam wieder bei verschlossenen Türen in den Abendmahlssaal, und nachdem er die Apostel begrüßt hatte, 1054 Botschaften und Ansprachen wandte er sich direkt an Thomas. Er wandte sich an ihn, als hätte er von seiner Reaktion eine Woche zuvor gewußt und hätte die Worte gehört, die Thomas damals sprach. „Streck deinen Finger aus - sagte Jesus -, hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ {Joh 20, 27). Das alles hat Johannes mit eigenen Augen gesehen. Und er hat auch mit seinen Ohren die Antwort des Thomas gehört: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20, 28), ein Bekenntnis des Glaubens an die Gottheit Christi, das vielleicht noch eindeutiger und spontaner ist als das des Petrus in Cäsarea Philippi! Und schließlich die Worte des Herrn: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20, 29). Aufgrund dieser Erfahrungen mußte Johannes die Gedanken und Worte enthüllen, die er dann in seinem ersten Brief niederschrieb: „Das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube.“ Das also scheint die erste „Genealogie“ der Worte des Apostels und Evangelisten Johannes zu sein, die wir in der heutigen Liturgie lesen. 5. „Denn alles, was von Gott stammt, besiegt die Welt. Und das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube. Wer sonst besiegt die Welt außer dem, der glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist?“ (1 Joh 5, 4-5). Der moderne Mensch kann sich fragen: Ist es wirklich notwendig, die Welt zu besiegen? Geht es nicht allein und ausschließlich darum, „die Welt zu ordnen“ und „sich in der Welt einzurichten“? Stellt sich der heutige Mensch etwa keine Frage dieser Art? Doch, er denkt so. Ja, er hält diese Frage für grundlegend und entscheidend. Stellen daher auch wir sie jetzt, um zu sehen, wieweit sie berechtigt ist. Da der Schöpfer zum Menschen, Mann und Frau, gesagt hat: Macht euch die Erde untertan (vgl. Gen 1, 28), ist es also zweifellos die Aufgabe des Menschen und des Christen, „die Welt zu ordnen“. Die Lehre des letzten Konzils ist reich an echt christlichen Gedanken in dieser Hinsicht. Auch in der heutigen Liturgie läßt uns die erste der Apostelgeschichte entnommene Lesung erkennen, daß die erste Generation der Jünger Christi bereits in Jerusalem daran dachte, sich christlich „in der Welt einzurichten“. „Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam ... Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt. Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften ihren Besitz, brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen. Jedem wurde davon so viel zugeteilt, wie er nötig hatte“ (Apg 4, 32. 34-35). Auf diese Weise versuchten diejenigen, „ihre Welt zu ordnen“, in deren 1055 Botschaften und Ansprachen Mitte die Apostel mit großer Kraft „Zeugnis ablegten von der Auferstehung Jesu, des Herrn, und reiche Gnade ruhte auf ihnen allen“ (Apg 4, 33). Bekanntlich besteht in der Kirche seit den ältesten Zeiten die feste Überzeugung, daß die materiellen Güter zum „gemeinsamen Gebrauch“ bestimmt und dem Gemeinwohl untergeordnet seien: ein Argument, das immer, vor allem aber im vergangenen Jahrhundert wieder sehr an Lebenskraft gewonnen hat. Bekannt ist auch, zum Beispiel aus den Briefen des hl. Paulus, wie die Arbeit geschätzt und verstanden wurde. Dasselbe gilt für die Ehe, für das Familienleben. Das alles sind menschliche Elemente, die als konkrete Antwort auf die Frage angesehen werden könnten, wie man „die Welt ordnen“ und wie man „das menschliche Leben in der Welt ordnen“ soll. 6. Unter diesen Bedingungen legten zuerst die Apostel und dann ihre Nachfolger von Generation zu Generation unablässig „mit großer Kraft Zeugnis ab von der Auferstehung Jesu, des Herrn“; ein Zeugnis, das gleichzeitig eine ständige Herausforderung darstellt, die den Sieg, der die Welt besiegt, begleitet (vgl. 1 Joh 5, 4). Dieser Sieg ist mehr als ein „Ordnen der Welt“, das heißt, sie aus den Händen des Schöpfers als ein Gut annehmen, das bestätigt und dem Menschen erneut von dem geschenkt wurde, der die Welt geliebt und erlöst hat. Die Auferstehung Christi - und der aus ihr geborene Glaube, wie der Apostel Johannes so wunderbar schreibt - war zugleich der Beweis, daß der Mensch sich nicht bloß darauf beschränken darf, „sein Leben in der Welt einzurichten“. Der Mensch kann nicht sich selbst und seine Existenz völlig und endgültig der Welt ausliefern, auch wenn er meinen sollte, er könnte dadurch sich selbst ausschließlich und vollständig besitzen. Das ist eine große Illusion des modernen materialistischen Denkens. Denn die Welt verrät den Menschen schließlich. Am Ende gibt es kein anderes Wort für das Sein des Menschen als das Wort „Tod“ - die Wirklichkeit des Todes. Die Wirklichkeit des Todes ist ein großes menschliches Daseinsproblem. Es ist eines jener Schlüsselprobleme, mit deren Hilfe man das Rätsel des menschlichen Wesens lösen muß. Manche Richtungen des modernen Denkens, nicht notwendigerweise christliche, entdecken aufs neue diesen Schlüssel. Und auch jeder von uns entdeckt ihn jeden Tag und immer wieder, auch wenn er nicht immer weiß, daß dies auch der Schlüssel zur Weisheit ist: 1056 Botschaften und Ansprachen der Schlüssel zur Frage nach den Menschen, zum Wesen des Menschen und seiner Würde. Bisweüen kommt der Tod zu uns als große Erschütterung. Das war zum Beispiel der Fall vor bald zwei Jahren, als in dieser Stadt Mörderhände einen Trakt des Bahnhofs in die Luft sprengten und das verheerende Unglück im Italicus-Expreß anrichteten, nicht zu reden von der schon weit zurückliegenden Tragödie von Marzabotto. In solchen Fällen sind wir erschüttert, sprechen wir von einer Katastrophe, von einem großen Drama . . . und mit Recht. So ist es. Das wesentliche Element der Dramatik des menschlichen Daseins in der Welt ist der Tod. Auf diese oder auf andere Weise hört die Welt auf, die angemessene Dimension des menschlichen Daseins zu sein. Der Mensch trennt sich von ihr. Die Welt, die sichtbare Welt verstößt ihn von ihrer Oberfläche. Man könnte sagen: „Sie trägt über ihn, den Menschen, den Sieg davon.“ Wenn es stimmt, daß der Mensch vollständig der Welt angehört, dann unterwirft die Welt sich den Menschen durch den Tod vollständig, sie trägt über ihn den Sieg davon. Kann es sich also nur darum handeln, daß der Mensch „sich in der Welt einrichtet“? 7. Wenn der Apostel und Evangelist Johannes schreibt: „Das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat: unser Glaube“ (i Joh 5, 4), sagt er mit diesen Worten, daß der Mensch nicht völlig der Welt gehört: Er gehört Gott. Die Auferstehung Jesu Christi hat diese Grundwahrheit über den Menschen erneut bestätigt. Es bedurfte des Todes und der Auferstehung Jesu, damit der Mensch den endgültigen Sinn seiner Transzendenz erkannte. Damit er begreift, daß er „die Welt ordnen“ muß und „sich in der Welt einrichten“ kann (und muß), aber ohne ihr sein Wesen vollständig auszuliefem. Ohne sich selbst ihr anheimzugeben. Der Mensch kann sich nur Gott anvertrauen. Wie es Jesus Christus getan hat. Der Tod und die Auferstehung Christi sind eine dauernde Herausforderung an den Menschen in seinem Menschsein, in seiner menschlichen Wesenheit. Und in seinem Verhältnis zur Welt, in seinem Lebensstil. Wie lebt ihr, hebe Brüder und Schwestern? Wie leben wir alle? Schließt der Horizont unseres Lebens nicht etwa nur den Wunsch ein, „sich in der Welt einzurichten“? Geben wir vielleicht unser Menschsein nicht völlig an diese Welt hin? Der Tod jedes Menschen ist eine Herausforderung für die anderen. Der gewaltsame Tod so vieler unserer Brüder, die bei der Explosion im 1057 Botschaften und Ansprachen Bahnhof von Bologna gestorben sind, war eine Herausforderung für die ganze Stadt, für die italienische Gesellschaft, für die anderen . . . Und der Tod Christi ist, zusammen mit seiner Auferstehung, eine Heraus-' forderung und zugleich ein Aufruf. Es ist „der Sieg, der die Welt besiegt hat“. 8. Das Christentum ist kein „Museumskomplex“. Es kann nicht als eine Tradition betrachtet werden, die so lange geduldet wird, als sie kein Hindernis ist, „sich in der Welt einzurichten“. Nein, das ist es nicht. Das ist es wirklich nicht! Es ist vielmehr eine große Sache: Es ist das Problem Jesu Christi für jeden Menschen. Es ist die Frage, die ständig und unentwegt das Problem des Menschen berührt. Sie berührt es gerade in dem Punkt, dem viele ausweichen. Die Denksysteme und Ideologien umgehen diesen Punkt systematisch, während sie gleichzeitig behaupten, den Fortschritt zu repräsentieren. Und Jesus Christus stellt - durch seinen Tod und seine Auferstehung -unaufhörlich vor den Menschen und die Menschheit das Problem des „Sieges, der die Welt besiegt“. Der Mensch muß sich entscheiden: entweder in dieser Welt als der leben, der schließlich Sieger sein wird, oder als der, der schließlich von der Welt besiegt wird. Das ist die wichtigste Entscheidung für die Zukunft des Menschen. Auch für den Frieden und den Krieg. Auch für die soziale Gerechtigkeit. Und vor allem ist es die Entscheidung, die grundlegend ist für die Moral, die Kultur und die Würde des Menschen. 9. „Jeder, der glaubt, daß Jesus der Christus ist, stammt von Gott“ (1 Joh 5,1). Der Mensch ist von hoher Abkunft, die Christus mit dem Evangelium neü bestätigt und mit seinem Tod und seiner Auferstehung besiegelt hat. Der Mensch hat eine hohe Abkunft, in deren Namen er nicht sein ganzes Wesen der Welt ausliefern kann. Er kann die Gottebenbildlichkeit, die er in sich trägt, nicht einfach allein der „kosmischen Materie“ anvertrauen. Der Mensch hat eine hohe Abkunft, die wir jedes Jahr festlich begehen, besonders wenn wir das Paschamysterium Christi feiern. Im Namen dieser Abkunft „liebt, der den Vater hebt, auch den, der von ihm stammt“ (2 Joh 5, 1). Ist das wirklich so? Lieben wir jeden, der von Gott stammt? Jeden, der im Schoße der Mutter empfangen wurde? 10. Heute spricht in der Liturgie vor ahem Johannes, der Zeuge des auferstandenen Christus. Hier seine weiteren Worte: 1058 Botschaften und Ansprachen „Wir erkennen, daß wir die Kinder Gottes lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote erfüllen. Denn die Liebe zu Gott besteht darin, daß wir seine Gebote halten. Seine Gebote sind nicht schwer“ (2 Joh 5, 2-3). So schreibt Johannes, der Zeuge der Auferstehung Christi. Die Auferstehung legt Zeugnis ab für die Liebe - das Zeugnis der Auferstehung erfüllt sich durch die Liebe: die Liebe Gottes und des Menschen. Den Sieg, der die Welt besiegt, erlangt man endgültig durch die Liebe. Denn der Glaube führt zur Liebe und lebt durch die Liebe. Dank der Liebe lebt er im Atem des Geistes. „Und der Geist ist es, der Zeugnis ablegt; denn der Geist ist die Wahrheit“ (1 Joh 5, 6). Die Liebe stellt auch die unersetzüche Kraft beim Aufbau einer Kultur dar, beim Aufbau einer Welt, in der der Mensch seiner Würde entsprechend lebt. So betrifft also jener „Sieg, der die Welt besiegt“, zugleich die Welt: eine immer „bessere“ Welt, in der auch das menschliche Leben menschlicher ist. Davon wußten Dante Aüghieri und Nikolaus Kopemikus, deren Bildnisse in der Vorhalle der alten Universität von Bologna auf uns blicken. Daran dachte Paul VI., als er die „Gesellschaft im Zeichen der Liebe“ der heutigen Welt als Programm verkündigte. 11. Liebe Brüder und Schwestern! Söhne und Töchter dieser ehrwürdigen Stadt, in der außer Dante und Kopemikus die Heiligen Vitalis und Agricola, Petronius und Dominikus und viele Päpste - unter diesen erwähne ich vor allem Benedikt XTV. - vorübergegangen sind. Heute feiert der Nachfolger Petri mit euch zusammen den Sonntag nach Ostern. Mit dem Psalmisten singen wir heute auch die Worte: „Der Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden. Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen jubeln und uns an ihm freuen“ (Ps 118, 22.24). Der Eckstein ist Christus: der Gekreuzigte und Auferstandene, unser Pascha! Und deshalb stellen wir uns die Frage. Jeder von euch, die ihr hier „die Welt ordnet“ und „euer menschliches Leben in dieser Welt einrichtet“, frage sich: Bauen wir auf diesem Eckstein? Oder verwerfen wir diesen Eckstein? Einst, an einem ähnlichen Abend wie heute, acht Tage nach Ostern, kam Christus wieder in den Abendmahlssaal, wo die Apostel versammelt waren, und sagte zu Thomas: „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig.“ 1059 Botschaften und Ansprachen Da antwortete Thomas: „Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20, 28). Seit damals ist Christus für sein Leben zum Eckstein geworden. Mögen sich für jeden von uns die Worte erfüllen, die Christus zu Thomas gesprochen hat: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20, 29). Möget ihr alle „durch den Glauben das Leben haben in seinem Namen“ {Joh 20, 31). Amen. (O.R. 19./20. 4. 82) Frieden für die Opfer - Trost für die Betrübten Gebet am 18. April bei der Gedenktafel für die 86 Opfer des Terroranschlags im Bahnhof von Bologna vor zwei Jahren O Gott, Vater des unendlichen Erbarmens, Du hast uns Deinen Sohn geschenkt, der zur Rettung der Welt gestorben und auf erstanden ist; höre unsere flehentliche Bitte. Wir sind hier an dem Ort versammelt, wo am 2. August 1980 das Leben so vieler unserer Brüder und Schwestern vorsätzlich und feige durch blutige Gewalttat ausgelöscht wurde. Die Erinnerung und die Schwere jenes schrecklichen Blutbades sind noch immer tief in unser Bewußtsein als Bürger und als Christen eingeprägt. Schenke Du, in Deiner ewigen Liebe, den unschuldigen Opfern, deren Blut wie das Abels von der Erde zu Dir schreit, Frieden und Freude ohne Ende. Trockne Du die nach menschlichem Ermessen untröstüchen Tränen ihrer Angehörigen, die Wahrheit und Gerechtigkeit erwarten und fordern, und gewähre ihnen die Gnade, in der Kraft des gekreuzigten Christus verzeihen zu können. Dringe in das Herz derer ein, die sich mit einem so unmenschlichen Verbrechen befleckten und den als Dein Bild und Gleichnis geschaffenen Menschen entwürdigt und schwer getroffen haben. Öffne ihre verblendeten und vom Haß verzerrten Augen, damit sie begreifen, daß man die neue und bessere Gesellschaft nicht auf dem Haß und der Verachtung und noch weniger auf der Auslöschung der Brüder aufbauen kann. Stärke alle, die jeden Tag still und im verborgenen ihre Pflicht tun und auf diese Weise ihren wertvollen und verdienstvollen Beitrag zum geistlichen und bürgerlichen Fortschritt der Menschheit leisten. 1060 Botschaften und Ansprachen Richte Deinen gütigen Blick auf diese Stadt, die in diesen Jahren einen hohen Zoll an Blut und Schmerz zahlen mußte; möge sie in ihren fruchtbaren christlichen Wurzeln die Kraft finden können, um mit neuem Elan ihren Weg auf den Straßen des Friedens, der Solidarität und der Eintracht fortzusetzen. Wir vertrauen dieses unser Gebet der mächtigen Fürsprache der seligen Jungfrau Maria an, der Mutter Christi und unserer Mutter. Amen. (O.R. 19.120. 4. 82) . . damit ihr euch und dann die Welt verändert“ Ansprache bei der Begegnung mit der Jugend in Bologna auf der Piazza Maggiore am 18. April Liebe Jugend Bolognas und der ganzen Emilia-Romagna! 1. Heute ist der Sonntag nach Ostern: Die Osteroktav führt uns in den Abendmahlssaal, „wo die Jünger sich aufhielten und aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten“. „Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch!“ Mit diesem Gruß aus dem Abendmahlssaal möchte ich euch begrüßen, die ihr hier versammelt seid und die Jugend der ganzen Region in ihrer Vielfalt vertretet. Denn unter euch befinden sich Studenten und Arbeiter: Studenten der Universitäten, angefangen von dem berühmten „Studium Bononiense“; Schüler der höheren und mittleren Schulen; junge Menschen, die schon die Befriedigung und die Mühe der Arbeit kennen - wie es eben euer Sprecher gesagt hat. Und da sind auch die Angehörigen einer gemischten Gruppe: die Werkstudenten, die nicht ohne Opfer die Mühe auf sich genommen haben, sich in doppelter Weise auf das Leben vorzubereiten. Alle möchte ich begrüßen und beim Namen nennen, ohne die Gruppen und Bewegungen, denen ihr angehört, zu vergessen. Weil ich zu einem Pastoralbesuch in die berühmte und mir so teure Stadt Bologna gekommen bin, konnte und durfte ich diese besondere Begegnung mit euch, für die sich dieser historische Platz ganz besonders zu eignen scheint, nicht versäumen. Zusammen mit euch, hebe Jugendliche, begrüße ich auch die Bischöfe der Region und besonders Herrn Kardinal Antonio Poma. Es ist mein Wunsch, daß ihr alle den Gruß „Friede sei mit euch“ in seinem vollen evangelischen Sinn und zugleich in der vohen Bedeutung, die ihm 1061 Botschaften und Ansprachen in unserer heutigen Zeit zukommt, entgegennehmt. Je schwieriger der Friede heute in der Welt wird, um so mehr fühlt die Kirche - und das sind wir alle - sich berufen, „in Tat und Wahrheit“ (vgl. 1 Joh 3, 18) dem Frieden zu dienen. 2. „Jesus sagte wieder zu ihnen: Friede sei mit euch. Wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich euch.“ Die Apostel werden mit demselben Auftrag gesandt, mit dem Christus vom Vater gesandt wurde. Sie werden in alle Welt gesandt, damit sie das Evangelium des Friedens verkünden. Aber wir müssen uns fragen: nur sie? Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, daß das ganze Volk Gottes berufen ist, an der Sendung Christi als Priester, Prophet und König teilzunehmen (vgl. Lumen gentium, Nr. 10-12). Das hat die Jugend der verschiedenen christlichen Generationen, die diese Sendung weitergeführt haben, immer gut verstanden. Das haben zum Beispiel im vorigen Jahrhundert auch diejenigen verstanden, die eben hier in Bologna die Gesellschaft der Katholischen Jugend Italiens ins Leben gerufen haben. Wer wüßte nicht, daß aus dieser Gesellschaft hier in Bologna im Jahre 1867 die Katholische Aktion entstanden ist? Allen ist der Name des in Castel San Pietro geborenen jungen Giovanni Acqua-derni bekannt, der, noch nicht dreißigjährig, einer der Gründer der Katholischen Aktion und ihr erster Präsident war. Nun, das, was damals als Antwort auf den Auftrag Christi in so kühner Weise vollbracht wurde, war ein klares Zeichen. Auch wenn die Zeit durch die besonderen Verhältnisse jener Jahre sich weitgehend von der unsrigen unterscheidet, ist das, was damals geschaffen wurde - ihr versteht das sehr wohl, liebe Jugend -, ein Beispiel und zugleich ein Ansporn. Der Mut, die Treue, die Erfindungsgabe und das kirchliche Empfinden, das von eurem Landsmann an den Tag gelegt wurde, spornen auch heute die Fähigkeiten an und wenden sich an die jugendlichen Energien, damit sie die Sendung Christi konkret wieder aufnehmen und im heutigen sozialen und kulturellen Umfeld weiterführen und verwirklichen. Ich möchte sagen, daß wie damals die heutige Jugendgeneration in ähnlicher Weise berufen ist, an der Sendung Christi teilzunehmen. Das Zweite Vatikanum, das diese Wahrheit gebracht hat, ist das Konzil unseres Jahrhunderts. 3. Christus sagte noch einmal: „Wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich euch.“ Danach hauchte er sie an und sprach zu ihnen: „Empfangt den Heiligen Geist.“ Habt ihr den Heiligen Geist empfangen? Habt ihr ihn „aufgenommen“? Wißt ihr, was den Geist empfangen und aufnehmen heißt? Denkt an das, was kraft dieser Worte Jesu in eurem Leben bereits in Erfüllung gegangen 1062 Botschaften und Ansprachen ist. Denkt insbesondere an die Sakramente der Taufe, der Firmung, der Buße, der Eucharistie, in denen die Gabe des Geistes verliehen oder vermehrt wird. Ihr müßt euch dessen bewußt sein, daß sie eben österliche Sakramente sind, die uns wieder in den Abendmahlssaal und besonders zu diesem Wort Christi hinführen. Und denkt auch daran, daß der Geist eine Gabe ist, die nur im Gebet erlangt werden kann: Das Gebet bereitet uns darauf vor, den Geist in angemessener Weise zu empfangen. Denn der Geist wird uns gegeben, damit wir aktiv an der Auferstehung Christi teilnehmen: Er ist der Geist Christi selbst, er ist wie die Seele seiner Sendung und die Wurzel unserer Teilhabe an ihr. 4. In diesem Zusammenhang lesen wir: „Ihr seid mit Christus auf erweckt; darum strebt nach dem, was im Himmel ist“ {Kol 3, 1). Im Mittelpunkt des Sendungsauftrages, den Christus vom Vater empfangen hat, steht der neue Mensch: der Mensch, der sich dem Vater öffnet. Der Mensch, der „sich dem Vater öffnet“, das ist der Mensch, der in der Fülle seines Menschseins lebt. Dieses „Suchen nach dem Höheren“ ist der inneren Struktur des Menschen eingeprägt, der nur dann in der Fülle seines Menschseins lebt, wenn er es fertigbringt, sich in der Kraft der Wahrheit und Liebe zu überwinden. Genau zu diesem Zweck empfangen wir den Heiligen Geist, damit die Kraft der Wahrheit und der Liebe unser inneres Leben formt und auch nach außen ausstrahlt. Die Formung dieses Menschen ist gleichzeitig die erste Aufgabe, die erste Sendung eines jeden von uns. Auf die Gabe, die uns von oben zuteil wird und uns nach oben streben läßt, muß also die Antwort unseres Willens, und das heißt unsere persönliche Mitarbeit, folgen. Danach kommen andere Aufgaben: erst wenn diese Formung in der Kraft der Wahrheit und Liebe erfolgt ist, muß die Veränderung der Welt vorangetrieben werden. Das ist ein Entwicklungsprozeß, der von der Person zur Gemeinschaft verläuft. Die Welt verändern heißt für den Christen, der sich dem Vater öffnet und vom Geist geformt ist, sich verantwortungsvoll dafür einsetzen, daß alle Wirklichkeiten und Gemeinschaftsformen, mit denen er in Kontakt kommt - also vor allem die Familie, dann der Freundeskreis, die Schule, die Arbeitsstelle, die Welt der Kultur, das soziale Leben, das Leben der Nation -, mit seiner Gnade gefördert und bereichert werden. Das ist natürlich eine schwierige Aufgabe; schwierig, aber den Kräften junger Menschen durchaus angemessen. Auch ihr, die Jugend der Region Emilia-Romagna, seid dazu berufen. Auch euch bietet sich die Gabe des 1063 Botschaften und Ansprachen Geistes an, um diese doppelte Veränderung zu bewirken: zuerst eure eigene und dann die der Welt. In der Tat, die Charakterzüge und Eigenschaften, die ich bereits im vergangenen Januar erwähnte, als ich in Rom den Bischöfen eurer Region sagte, „die besondere kulturelle, politische und wirtschaftliche Bedeutung innerhalb der Nation“ und dann die Pflege der „christlichen Werte, . . . die Redlichkeit und sprichwörtliche Aufrichtigkeit, die Treue zu den übernommenen Verpflichtungen und zum gegebenen Wort, die Heiligkeit der Familie, der Fleiß und die Hochherzigkeit gegenüber den Armen“, sind objektiv ein kostbares Erbe, das zweifellos auch euch gehört. Es waren und sind die Eigenschaften und Charakterzüge der Väter, die sicher und spontan als Erbe auf die Kinder übergegangen sind. Hier, das heißt im Besitz dieser Eigenschaften, liegt die erste positive Antwort auf das, was ich euch über die Verpflichtung gesagt habe, in der Dimension des Geistes zu leben und, bereichert von seiner Gabe, zur Veränderung der Welt beizutragen. 5. Warum spricht Christus gleich nach den Worten „Empfangt den Heiligen Geist“ von der Vergebung der Sünden? Er sagt: „Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ {Joh 20, 23). Weil die Vergebung der Sünden die Erkenntnis und das Bekenntnis der Sünden voraussetzt. Das eine wie das andere bedeutet die Bemühung, in Wahrheit und Liebe zu leben. Es bedeutet das Wirken der „Kraft der Wahrheit und Liebe“, die den neuen Menschen formt und die Welt verändert. Der Widerspruch - das ist Verfälschung der Wahrheit und geheuchelte Liebe. Der Widerspruch ist das Verwischen der Grenze zwischen Gut und Böse, das heißt, man nennt Menschlichkeit, was Sünde ist. Nur allzuleicht lassen sich Beispiele hierfür anführen: Mit Recht verurteilt man heute den Terrorismus als Angriff und Verletzung der Grundrechte des Menschen; man verurteilt die Tötung des Menschen als etwas, das in offenkundigem Widerspruch zur Existenz des Menschen selbst steht, gleichzeitig aber wird die Tötung ungeborenen Menschenlebens als „Menschlichkeit“ bezeichnet und als „Beweis des Fortschritts“, der Emanzipation, angesehen, der angeblich voll im Einklang mit der Menschenwürde stehe! Betrügen wir uns doch nicht! Wir alle - denkt immer daran, liebe Jugend - müssen diese und ähnliche Widersprüche wahmehmen, aufzeigen und überwinden. Denkt daran, daß nur „die Wahrheit auch frei machen wird“ {Joh 8, 32). Nur die Wahrheit hat die Kraft, die Welt in der Richtung des echten Fortschritts und wirklicher Menschlichkeit zu verändern. Und 1064 Botschaften und Ansprachen nennen wir nicht die Forderungen der Wahrheit, des Gewissens, der Würde eine lediglich „politische“ Entscheidung: Es handelt sich um die höchsten und darum unerläßlichen Forderungen an den Menschen. Verkürzen wir niemals das, wovon das Sein oder Nichtsein des Menschen in der Tiefe seiner Menschlichkeit selbst abhängt! 6. Meine Freunde! Christus kommt in den Abendmahlssaal unserer Zeit, er tritt mitten unter euch und sagt auch euch: Empfangt den Heiligen Geist! Was bedeutet das? Es bedeutet einerseits, daß wir in einer gefährlichen Situation leben (und auch in dem sozialen und kulturellen Milieu, in dem ihr lebt, besteht diese Gefahr); es bedeutet, daß leider auch ihr diese Kraft der Wahrheit und Liebe, die den „neuen Menschen“ formt und „die Welt verändert“, entsprechend der Würde und der Gottebenbüdlichkeit des Menschen, zurückweisen könnt. Es bedeutet schließlich, daß auch ihr „den Heiligen Geist betrüben könnt“ (vgl. Eph 4, 30). Aber es bedeutet andererseits, daß Christus Vertrauen in euch setzt. So wie er Vertrauen in die Apostel setzte, trotz ihrer menschlichen Schwächen, so wie er sein Vertrauen in Petrus setzte, obwohl dieser ihn verleugnet hatte. Ja, Christus setzt sein Vertrauen in euch, liebe Jugend der Emilia-Romagna! Er bietet euch seinen Geist an, und es ist nicht nur eure Pflicht, ihn zu empfangen, sondern ihn auch mit offenem Herzen und großer Hochherzigkeit aufzunehmen. Enttäuscht dieses Vertrauen nie! Schon eure Anwesenheit heute, die sicher nicht bloß formell ist, läßt erkennen, daß das Vertrauen erwidert wird: Sie ist ein Beweis für eure Verfügbarkeit, und ich freue mich, euch das auch im Namen der Kirche bestätigen zu können. Wer hat behauptet, daß die heutige Jugend in dieser Hinsicht weniger verfügbar, das heißt weniger interessiert und aufmerksam sei als die Jugend vergangener Zeiten? Eure Anwesenheit und eure Begeisterung, meine Lieben, strafen dieses vorschnelle Urteil Lügen und bestätigen vielmehr, daß in euch, den Söhnen und Töchtern dieser edlen Region Italiens, nicht nur die genannte Haltung vorhanden ist, sondern darüber hinaus die Fähigkeit zum Dialog, die Ansprechbarkeit für geistliche Probleme, der Wille, auf die Stimme des Geistes zu hören, der so, wie er auch heute zu euch spricht, nicht aufhört, sich euch anzubieten und euch jene innere Kraft zu schenken, damit ihr euch und dann die Welt verändert. Erweist euch stets des Vertrauens würdig, das Christus in euch gesetzt hat! Wir wollen nun zu derjenigen beten, die sich des größten Vertrauens des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes für würdig erwiesen hat und 1065 Botschaften und Ansprachen die durch den Heiligen Geist Christus empfangen und geboren hat. Beten wir zu Maria, daß Christus die Kraft seines Geistes weiter verbreiten möge zur Veränderung der Welt in Wahrheit und Liebe. Beten wir gemeinsam zur Mutter des Auferstandenen, indem wir ihr zu Ehren den österlichen Gruß „Regina caeli“ sprechen. (O.R. 19./20. 4. 82) „Die Rechtgläubigkeit dieses Mannes nachahmen“ Schreiben an Bischof Rudolf Gräber (Regensburg) vom 19. April zum 150. Todestag von Johann Michael Sailer An den ehrwürdigen Bruder Rudolf Gräber, Altbischof und Apostolischer Administrator von Regensburg Zweifellos wird in Kürze die geliebte Gemeinde von Regensburg eines ihrer hervorragendsten Bischöfe und die Diözese München und Freising zugleich ihres Gelehrten gedenken, der einst nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa bekannt und berühmt war: Johann Michael Sailer, dessen Todestag sich am 20. Mai zum 150. Mal jährt. Dieser wirklich einzigartige Pädagoge und zuverlässige Theologe hat nämlich sowohl durch seine Tätigkeit in der Schule oder auf der Kanzel als auch außerhalb durch sein vierzigbändiges Werk und vor allem später durch Schüler und berühmte Gefolgsleute soviel Gutes und Heilsames gewirkt, daß er mit Recht als der bei weitem wirksamste Vertreter und Förderer der katholischen Erneuerungsbewegung in seiner Heimat gilt, als leidenschaftlicher Beschützer der rechten Lehre und gleichsam als Vorbote der neueren ökumenischen Bewegung. Natürlich wollen auch wir geistig an den Feierlichkeiten teilnehmen, die während einer Fest- und Gedenkwoche stattfinden werden, nicht nur, um diesen Diener und Lehrer der Kirche feierlich zu ehren, sondern auch, um das hervorragende Beispiel seines Lebens und Wirkens wieder allen klar vor Augen zu stellen. Wir wünschen darum sehr, daß entsprechend unserem Wort und unserer brüderlichen Ermutigung das katholische Volk Deutschlands durch einen neuen Ansporn erfährt, den Geist und die Rechtgläubigkeit dieses Mannes nachzuahmen und den Grundsätzen seines seelsorgerischen Eifers und dem Weg seiner christlichen Pädagogik zu folgen. 1066 Botschaften und Ansprachen Er war nämlich bestrebt, eine solide Bildung mit der Festigung guter Sitten zu verbinden, Fernstehende durch menschliches Wohlwollen und die Pflege der Wahrheit zu Christus und zur Kirche zu führen, und schließlich alle Christen durch den einen Glauben an das Evangelium und die Aufrichtigkeit der Lehre zu versöhnen. Diese einzigartigen Tugenden haben bereits im voraus auf unsere Zeit und ihre Nöte hingewiesen. Wir meinen darum, daß er überah seinen Platz hat und würdig ist, daß ihn Gelehrte und Inhaber des Hirtenamtes auch unserer modernen Zeit beachten und genau kennenlemen, auf ihn zurückgreifen und sich ihn immer wieder vor Augen halten. Darauf zielt schließlich dieser unser in freundlichem Wohlwollen geschriebene Brief an Dich, ehrwürdiger Bruder, mit dem wir alle Teil-nehmer an den Gedächtnisfeierlichkeiten grüßen und sie zugleich ermutigen wollen, aus dem Gedenken an diesen einmaligen Bischof Johann Michael Saüer möglichst reiche Früchte zu schöpfen für die segensreiche Erneuerung des katholischen Glaubens, die im übrigen niemals unterbrochen werden dürfte. Dazu übermittle ich von Herzen den einzelnen Veranstaltern der Feiern und den gelehrten Teilnehmern als Unterpfand des ewigen, himmlischen Lichtes meinen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 19. April 1982, im vierten Jahr unseres Pontifikats. PAPST JOHANNES PAUL II. (O.R. 23. 5. 82) Ein echter Dienst an der Kirche Ansprache an eine internationale Gruppe von 4000 Pfarrhaushälterinnen bei einer Sonderaudienz am 22. April Meine Damen, hebe Pfarrhaushälterinnen! 1. Ich freue mich sehr, unter eurer festlichen Versammlung zu sein, euch und euren heben Pfarrern zu begegnen und euch meine persönliche Ermutigung auszusprechen, wie es der hochverehrte Papst Paul VI. bei mehreren Gelegenheiten für richtig gehalten hat. Laßt mich euch meinen ersten Eindruck anvertrauen, wenn ich euch in so großer Zahl aus mehreren europäischen Ländern und sogar Madagaskar 1067 Botschaften und Ansprachen hier vor mir sehe: Die Frauen haben ihren Platz in der Kirche! Im 16. Kapitel seines Römerbriefes dankt der Apostel Paulus einem Dutzend Frauen namentlich für ihre Opfer und Mühen im Dienst der ersten christlichen Gemeinden. Wer könnte die Frauen unserer Zeit aufzählen, die auf Pfarr-, Diözesan- und sogar Landesebene für katechetische, karitative und andere Tätigkeiten verantwortlich sind? Und das durch alle Kontinente hin. Freut euch und seid stolz darauf, zu der Gruppe von Frauen zu gehören, die zum Werk der Evangelisierung ihr Bestes, ja nicht selten eine echte Heiligkeit, beigetragen haben. Vor allem aber möchte ich bei dieser für eure Bewegung so wichtigen Begegnung mit euch gemeinsam über das nachdenken, was ich gern die „Spiritualität der Pfarrhaushälterinnen“ nennen würde. Wie jede Spiritualität hat auch sie ihre Quelle in den Glaubensüberzeugungen, verkörpert sich in besonderen Pflichten und einer Entfaltung evangelischer Verhaltensweisen wie besonderer menschlicher Qualitäten; sie nimmt teil am Zeugnis, das die Kirche von Christus, dem Erlöser der Menschheit, geben möchte. 2. Ihr wart unverheiratet oder verwitwet, manchmal auch noch mit Familie betraut oder sogar Mütter oder Schwestern von Priestern, als die Aufforderung an euch erging, einem Priester oder einer Gruppe von Priestern Hilfe zu leisten. Ihr habt damals erkannt, daß ihr euer Leben einer großen Sache hingebt: dem katholischen Priestertum, das unerläßlich ist für die Sichtbarkeit und Lebenskraft der Pfarrgemeinden. Aber wie kann an dieser Berufung christlicher Laien festgehalten werden, ohne daß in euch Glaubensüberzeugungen über die Identität des Priesters gehegt werden, seine Sendung als Diener Christi, in dessen Namen er für seinen Leib, die Kirche, tätig ist, über das Verständnis seiner Verantwortung als Hirte? Ihr werdet dem Herrn niemals ausreichend dafür danken können, daß er euch die Gnade zuteü werden ließ, euch für den Dienst am Priestertum entschieden zu haben. Gewiß muß dieser schöne Beruf, dieser echte Dienst an der Kirche, in den Augenblicken, die täglich dem Gebet Vorbehalten sind, und auch in euren Einkehrtagen und Exerzitien vertieft werden. 3. Diese Spiritualität tiefer Verehrung des Priestertums verkörpert sich für jede von euch in der demütigen Wahrnehmung und Erfüllung eurer Alltagspflichten. Ihr seid vor allem glücklich darüber, die Wohnung des Priesters in Ordnung zu halten, ihn von materiellen Aufgaben zu befreien, die einen Teil seiner für die apostolische Arbeit so notwendigen Zeit in Anspruch nehmen würden und die außerdem eurem Charisma als Frauen besser entsprechen. Ja, für die Priester, die für eine Pfarrei oder in einem 1068 Botschaften und Ansprachen ganzen Bereich für die Gläubigen verantwortlich sind, ist eure Anwesenheit, eure Hilfe, euer Dienst eine Quelle menschlichen und geistlichen Glücks und verleihen dem Pfarrhaus eine gewisse Anziehung und Ausstrahlung. Zu dieser vorrangigen Rolle kann man - und das möchte ich aus ganzem Herzen tun - je nach euren physischen Kräften und Talenten eine kluge Mitarbeit an den Tätigkeiten hinzufügen, die eine Pfarrei lebendig und ausstrahlend machen: dem katechetischen Unterricht, der Animation von Gebetsgruppen und Apostolatsbewegungen, der Verbreitung der christlichen Presse, dem Besuch von Kranken und Alleinstehenden, der Vorbereitung der liturgischen Zeremonien usw. Noch einmal beglückwünsche ich eure Bewegung dazu, daß sie viel getan hat, um den Helferinnen des Priesters nicht nur einen neuen Namen, sondern einen Lebensstil und eine Rechtsstellung zu geben, die vom Konzilsdekret über das Laienapostolat inspiriert sind. Nun möchte ich meine Worte in deutscher Sprache fortsetzen, die ein großer Teü von euch versteht. Der Papst hatte seine Ansprache in Französisch begonnen und fuhr dann in Deutsch fort: Liebe Pfarrhaushälterinnen! 4. Die religiöse Einstellung, von der ich bisher gesprochen habe, wird konkret in den einzelnen Aufgaben, die euch gestellt sind. Sie fordert darum von euch allen eine beständige Entfaltung christlicher Haltungen und menschlicher Tugenden. Ich denke dabei vor allem an einen tiefen Glaubensgeist und die echte Haltung des Dienens, die euch auszeichnen müssen. Euer Glaubensblick läßt euch hinter der menschlichen Oberfläche im Handeln der Priester die Spuren Christi als des wahren Hohenpriesters und Hirten erkennen. Dieser Glaube erinnert euch daran, daß alle Mitglieder der christlichen Gemeinde Geschöpfe Gottes sind, die ihren Platz in seinem Herzen haben, und daß all die vielfältigen Aktivitäten einer Pfarrei mögliche Wege zur Verkündigung der Frohen Botschaft darstellen. Darüber hinaus möchte ich euch ermutigen, euch Tag für Tag um die menschlichen Qualitäten zu bemühen, die eurem Lebensstand so gut entsprechen. Ich denke hierbei an aufrichtige Achtung vor jeder Person, ein natürliches, offenes Wesen, frei von jeder Anbiederung, eine ruhige Gelassenheit und Geduld, an Liebenswürdigkeit und an die Bereitschaft, in allem und bei allen zunächst die positive Seite zu sehen. 1069 Botschaften und Ansprachen Das Beispiel so vieler heiliger Frauen, die in hervorragender Weise im Laufe der Jahrhunderte an den Aufgaben der Kirche mitgewirkt haben, soll euch Begeisterung und Kraft geben für die Erfüllung eures so schönen und wichtigen Auftrages. (Danach sagte der Papst in Italienisch:) 5. Herzlichen Dank für euren Besuch und beste Wünsche für die Zukunft eurer Bewegung. Euch, die ihr die Freude habt, in Rom zu weilen, und allen euren Arbeitskollegen und -kolleginnen, die - in Stadt und Land -geistig an dieser Begegnung teilnehmen, erteüe ich meinen Apostolischen Segen. (O.R.23.4.82) Einseitige Veränderungen vermeiden Ansprache an die Verhandlungsdelegationen Chües und Argentiniens zur Beilegung des Beagle-Konfliktes am 23. April Exzellenzen! Herr Unterstaatssekretär, verehrte Herren Botschafter und Mitglieder der mit der Durchführung der Vermittlungsbemühungen betrauten Delegationen! Die alltäglichen Sorgen und besonders die Sorgen der letzten Wochen wegen des schweren Konflikts zwischen einer Ihrer Nationen und einer anderen großen und nicht weniger geliebten Nation haben mich die vor bereits drei Jahren übernommene Verpflichtung, Ihren Ländern bei der Suche nach einer Lösung im Streit um die Südzone behilflich zu sein, nicht vergessen lassen. Was diesen neuen Konflikt betrifft, der die Gemüter nachhaltig beschäftigt hat und weiter beunruhigt wegen der Furcht vor einer beklagenswerten kriegerischen Auseinandersetzung, habe ich mich während der letzten 20 Tage wiederholt und öffentlich geäußert, wobei ich den lebhaften Wunsch bekundete - den ich auch jetzt wiederhole -, daß dank des guten Willens beider Seiten eine zufriedenstellende Lösung gefunden werde, die in der Gerechtigkeit und im internationalen Recht gründet, das die Anwendung von Gewalt ausschließt. In diesem Augenblick will ich mich nicht weiter über dieses Thema äußern, obgleich ich noch immer in Angst und Sorge bin und nicht aufhöre, den Herrn flehentlich zu bitten: „Dona nobis pacem!“ Schenke und erhalte uns den Frieden! 1070 Botschaften und Ansprachen Damit komme ich zum eigentlichen Gegenstand unserer heutigen Begegnung. Verehrte Damen und Herren! Sie wissen gut, daß es seit den ersten Tagen meines Pontifikats meine lebhafte Sorge und mein ständiges Bemühen war, nicht nur zu verhindern, daß der Streit zwischen Ihren beiden Ländern in einen unglückseligen bewaffneten Konflikt ausartet, sondern einen guten Weg zu einer endgültigen Lösung dieses Streites zu finden. Wir alle danken der Vorsehung, daß sie in jenen heißen Monaten November und Dezember 1978 nicht etwas geschehen ließ, was nicht wiedergutzumachen gewesen wäre. Sie erinnern sich, liebe Söhne aus Argentinien und Chile, daß ich damals Ihre Ängste zu den meinen machte und keine Mühe scheute, Ihren beiden Nationen jede nur mögliche Hilfe zu gewähren. Als dann ein entsprechendes Ersuchen der beiden Regierungen, begleitet von der konkreten Bereitschaft zum Kompromiß, an mich erging, übernahm ich die Aufgabe der Vermittlung in der Absicht, eine gerechte und vernünftige und eben deshalb ehrenvolle Lösung nahezulegen und vorzuschlagen, die dem Streit ein Ende setzen würde. 1. Vor Ihnen, verehrte Mitglieder der beiden Delegationen, die die Last der schwierigen Arbeit jeden Tag getragen haben, brauche ich mich nicht in Betrachtungen über den mühsamen, in den letzten drei Jahren zurückgelegten Weg zu verlieren. Wir alle dachten und hofften, in viel kürzerer Zeit zu einem glücklichen Abschluß zu gelangen. Dem war aber nicht so; statt dessen hat sich in dieser schweren Zeit die Furcht der beiden Völker verstärkt, und das Interesse der öffentlichen Meinung hat auch nicht auf Weltebene nachgelassen. Andererseits ist es bedauerlicherweise bisweilen zu Ereignissen gekommen, die nicht mit dem Geist der Verpflichtungen übereinstimmten, die übernommen wurden, als man mich um Vermittlung ersuchte: Tatsachen, die die Sorge aller mehrten und die Rückkehr einer Kriegspsychose befürchten ließen. Das Zusammentreffen der Umstände läßt es nun geboten erscheinen, den Fortgang zu beschleunigen und die Bemühungen zu verstärken, damit die aufrichtigen und von beiden Seiten wiederholten Versicherungen guten Willens in konkrete und befriedigende Realitäten umgesetzt werden. Dazu will ich heute einen leidenschaftlichen, hebevollen und herzlichen Appell an Sie richten: Sie müssen möglichst reiche Frucht aus der uns zur Verfügung stehenden Zeit schlagen; Sie dürfen keinen Tag mehr vorübergehen lassen, ohne zu versuchen, all unsere Möglichkeiten zu nützen. 1071 Botschaften und Ansprachen 2. Während dieser drei Jahre hat es zahlreiche Gespräche mit dem Vermittlungsbüro gegeben, das mich über diese Angelegenheit, die immer Gegenstand meines besonderen Interesses geblieben ist, ganz auf dem laufenden gehalten hat. Sie wissen von meinen persönlichen Interventionen. Ich rufe hier nur die wichtigsten in Erinnerung: meine Begegnungen mit Ihnen im September 1979 und im November und Dezember des folgenden Jahres. Bei diesem letzten Anlaß, am 12. Dezember 1980, übergab ich den Herren Außenministern Ihrer Länder meinen Vorschlag, nachdem ich -in einer offiziellen Ansprache, die internationales Echo gefunden hat - die Gesichtspunkte erläutert hatte, die mich dabei inspirierten: - das sehnliche Verlangen, den Frieden zu fördern; - der dringende Wunsch, zwischen Ihren Völkern dauerhafte gute Beziehungen hergestellt zu sehen, die mit ihrer tiefverwurzelten und immerwährenden Brüderlichkeit in Einklang stehen; - die Vorstellung, auf Ihre Nationen als richtunggebendes Beispiel für die ganze Welt bei diesem besonderen Problem hinweisen zu können. Von dem allen ließ ich mich leiten, als ich mich - unter Berücksichtigung maßgeblicher Stimmen der hier von Ihnen vertretenen Länder, die mich erreichten - entschloß, eine ehrenvolle Regelung vorzuschlagen, die die Merkmale eines Vergleiches zwischen den Rechten und Erwartungen Argentiniens und Chiles an sich haben könnte. Indem ich die „aufrichtige Bereitschaft“, die Ihre Regierungen in dem Vermittlungsersuchen erklärt hatten, nämlich „die Vorstellungen, die der Hl. Stuhl zu sämtlichen Streitpunkten des Problems der Südzone in der Absicht äußern mag, zu einer friedlichen und für beide Seiten annehmbaren Regelung beizutragen“ (erste Vereinbarung von Montevideo, d. h. das Ersuchen um Vermittlung, Nr. 10), im Auge habe und mich auch des Fortbestandes des für die genannte Vermittlung vorgesehenen Rahmens erinnere (ebd., Nr. 8), erscheint es mir nun angebracht, Ihnen einige Wünsche in Verbindung mit der Lösung des Konflikts mitzuteilen, der weiterhin so viele negative Auswirkungen auf das Leben Ihrer Nationen hat. a) Zunächst schlage ich Ihnen vor, Ihre gemeinsamen Gespräche wieder aufzunehmen und gleich in die Abschlußphase der Arbeiten einzutreten mit dem Ziel, durch einen erschöpfenden und ausgewogenen Dialog meinen Vorschlag zu fruchtbarem Erfolg zu führen, und zwar durch einen - natürlich für beide Seiten annehmbaren - Vertragsabschluß, der den konkreten und vollen Text des Vorschlags bietet. 1072 Botschaften und Ansprachen Ich möchte deshalb, daß die Regierungen Ihrer beiden Nationen - die von Natur aus untrennbar miteinander verbunden sind und, wie ich im Dezember 1980 unterstrich, sich niemals in einem Krieg feindlich gegenüberstanden - die Güte haben mögen, Ihnen die entsprechenden Anweisungen zu erteilen, um einen gründlichen und wirklichen Dialog zwischen Ihnen mit eben diesem Ziel in Gang zu bringen, wobei Sie natürlich von denjenigen unterstützt werden sollen, die ich beauftragt habe, Ihnen Hilfe zu leisten. Der Abschluß dieses dauerhaften Friedens- und Freundschaftsvertrages - wird die Krönung Ihrer Gespräche sein müssen; - wird den endgültigen Abschluß eines lästigen Streites darstellen, indem er auch die bloße Hypothese künftiger Gebietsforderungen ausschließt; - und wird den Beginn einer wirklich engen und fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen den beiden Brüdervölkem besiegeln. Ich glaube, daß die Erwägung einer ebenso wünschenswerten wie vielversprechenden Wirklichkeit Sie ermutigen wird, das Ihnen Mögliche zu tun, um Schwierigkeiten, auf die Sie hinfort, eventuell noch stoßen, zu überwinden, und Sie von dem überzeugen wird, um dessentwillen es sich lohnt, Opfer zu bringen, die nicht grundlegende Interessen verletzen, wenn sie auch auf Erwartungen verzichten, die als in sich legitim betrachtet werden. Es geht um ein so kostbares Gut, daß man unbedingt dazu ermutigen muß, die Dinge realistisch zu sehen, obgleich sie auch schmerzliche Aspekte enthalten, vor allem, wenn sie außerhalb des allgemeinen Zusammenhanges der vorgeschlagenen Regelung geprüft werden. b) Der Ihren Regierungen unterbreitete Vorschlag bietet ein ganzes Mosaik konkreter Themen, dessen vollständige Entfaltung der Lohn für die Bemühungen sein wird, die Sie tatsächlich zu leisten haben. Mir scheint jedoch, daß es für Sie ein großer Ansporn sein wird, wenn Sie von Anfang an etwas erreichen, das Ihnen die Qualität Ihrer Aufgabe bestätigt. Zu diesem Zweck halte ich es für nützlicher zu versuchen, möglichst bald in allem Übereinstimmung zu erzielen, was eine solide Grundfeste dieser fruchtbaren Freundschaft sein muß, die der Schlußvertrag dann feierlich bestätigen wird, und außerdem ein „vacuum iuris“, eine Rechtslücke, in Ihrem besonderen System zur Regelung von Streitigkeiten beim Hinfälligwerden des 1972 Unterzeichneten Vertrages vermeidet. Ich beziehe mich, wie Sie annehmen können, auf die Bestimmungen zur friedlichen Regelung möglicher gegenwärtiger und künftiger Streitigkeiten. 1073 Botschaften und Ansprachen Indem ich in der Vergangenheit an das erinnerte, was ich für nützlich und positiv gehalten habe, und fruchtlose Diskussionen und Vorurteile über die Wirksamkeit und Unwirksamkeit der verschiedenen bisher erprobten Maßnahmen beiseite ließ, bitte ich Sie deshalb, Ihre vorzügliche - wenn auch nicht ausschließliche - Aufmerksamkeit dem ersten Punkt des Vorschlags zu widmen, d. h. der Klausel des Schlußvertrages, die von der friedlichen Regelung von Streitfragen in jedem Bereich Ihrer gegenseitigen Beziehungen spricht, einer Regelung, die folglich die Anwendung von Gewalt oder die Drohung damit ausdrücklich ausschließt. Ich bitte Sie, diesen Sachverhalt zu studieren und Formulierungen vorzulegen, die Ihre jeweiligen Standpunkte miteinander in Einklang bringen können, wie das auch das Vermittlungsbüro tun wird. Das ist eine grundlegende Angelegenheit, der ich entscheidende Bedeutung beimesse. Der Erfolg einer raschen Verständigung in diesem Punkt und die sichere Überzeugung, daß es niemals und aus gar keinem Grund gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Ihren beiden Ländern geben soll, wäre darüber hinaus eine gutgeeignete Basis, um in einem Klima größerer Ausgewogenheit andere komplizierte oder komplexere Fragen anzuschneiden. c) Unter Bezugnahme auf die Atmosphäre, die Ihre Verhandlungen erleichtern soll, erlaube ich mir, Ihnen den Appell in Erinnerung zu bringen, den ich Ihnen am vergangenen 1. Februar durch meinen Vertreter zur zweiten Vereinbarung von Montevideo zugehen ließ. Ich bezog mich dabei nur auf die letzte der drei Verpflichtungen, die Ihre Regierungen bei dieser Gelegenheit übernommen haben, nämlich die Verpflichtung, auf Maßnahmen zu verzichten, die die Harmonie in irgendeinem Bereich der gegenseitigen Beziehungen beeinträchtigen oder verändern könnten. Es handelt sich um eine Verpflichtung, die eine gewisse Schwierigkeit einschließt, nämlich ihre genaue Reichweite in den einzelnen Bereichen zu bestimmen, vor allem in jenen, die mit den Problemen des Südkonfliktes in engerem Zusammenhang stehen. Trotzdem meine ich, daß es ein grundlegender Kompromiß ist; wenn er in gutem Glauben erfüllt wird, müßte sich jedes störende oder weniger freundschaftliche Verhalten der einen Seite gegenüber der anderen vermeiden lassen; andererseits müßte er, falls ein solches Verhalten eintritt, verhindern, daß es einen Zwischenfall auslöst. Leider ist es zu peinlichen Vorfällen zwischen Ihren beiden Ländern gekommen, und das sogar unmittelbar nach meinem letzten Appell, auf den Ihre Regierungen eine hoffnungsvolle Antwort gegeben haben. Selbst die Massenmedien haben die negativen Auswirkungen unterstrichen, die 1074 Botschaften und Ansprachen solche Vorfälle haben können. Sollten sie sich in Zukunft wiederholen, könnten sie nicht nur das für die Arbeiten erwünschte Klima, sondern die Fortsetzung der Vermittlung selbst in Gefahr bringen. Natürlich konnte ich, als ich die Vermittlung übernahm, nicht ahnen, daß ihre Arbeiten unter so ungünstigen Umständen durchgeführt werden müßten. Ich meinte damals, daß der vorher erwähnte Kompromiß die vorübergehende Konsolidierung geeigneter Bedingungen des Zusammenlebens voraussetze und sogar die bilateralen Verhandlungen der vorangegangenen Monate verbessern könne, weü es sich um einen Kompromiß handelte, der auf Ersuchen meines Sonderdelegaten angenommen wurde. Ich war in der Tat überzeugt, daß dieser - von mir für die Annahme der Vermittlung so geschätzte - Kompromiß ausreichende Wirkkraft besäße, bessere Allgemeinbedingungen für das Zusammenleben in allen Gebieten und Bereichen bis zur endgültigen Schlichtung des Streites zu zeitigen. Es hat sich jedoch herausgestellt, daß Meinungsverschiedenheiten über bestimmte Aspekte bestehen, die für die Sicherung des Zusammenlebens und die Vermeidung solcher Vorfälle von großer Bedeutung sind. Abgesehen von den Gesichtspunkten, die mit den Verhaltensnormen, die in den vorausgegangenen Vermittlungsbemühungen beschlossen wurden, in Einklang stehen, bitte ich jetzt Ihre Regierungen - durch Ihre Vermittlung -, ernsthafter über dieses Problem nachzudenken und sich mit verstärktem Sinn für Verständigung und Eintracht darum zu bemühen, diesen Kompromiß erfüllen und genau erfüllen zu lassen. Um diesen Auftrag zu erleichtern, erlauben Sie mir, Ihnen einige Hinweise zu geben, die nach meiner Sicht helfen können, neue Vorfälle zu vermeiden oder zumindest ihre Ausweitung einzuschränken aus der Einsicht heraus, daß das die Positionen der beiden Parteien nicht positiv oder negativ beeinflußt oder gar Präzedenzfälle schafft, auf die sich die andere Seite im Hinblick auf die endgültige Schlichtung des Streites berufen könnte: Nur mit diesen Hinweisen können die Bedingungen des Zusammenlebens, die ich als geeignet und notwendig zur guten Abwicklung der Vermittlungsarbeiten ansehe, verbessert und auf bestmögliche Weise garantiert werden. Die Hoffnungen der Völker auf Frieden im Auge behalten Zu diesem Zweck werden Ihre Regierungen die Wirklichkeit der Vergangenheit und auch die Erfahrungen, die ein gutes Zusammenleben ermöglicht haben, vor Augen haben müssen. Indem ich mich insbesondere auf das Zusammenleben in der Südzone beziehe, das der Vermittlung 1075 Botschaften und Ansprachen anheimgestellt und folglich von einer vollkommenen und endgültigen Übereinkunft sämtlicher Probleme abhängt, die diese Vermittlung einschließt, bitte ich sie, sich dafür einzusetzen, daß Veränderungen vermieden werden, die den Gegenstand der Streitfrage betreffen (nämlich die den Land-, See- und Luftraum betreffenden Fragen, die in den Bereich der Vermittlung fallen: sie dürfen aufgrund des Prinzips „nihil innovetur“ - nichts darf geändert werden - keine einseitigen Veränderungen erfahren). Von einem allgemeinen Gesichtspunkt her wird es angebracht sein, daß die beiden Regierungen stets für die Überwachung von Aktionen Sorge tragen, die sich möglicherweise in Zwischenfälle verwandeln könnten: Dazu sollen sie versuchen zu vermeiden, daß derartige Aktionen verherrlicht werden, und dafür sorgen, daß Behörden oder untergeordnete Organe sich nicht voreilig öffentlich zu derartigen Vorgängen äußern - auch wenn sie in ihre Kompetenz fallen -, sondern sich darauf beschränken, die Regierungsstellen darüber zu informieren, die schließlich für die Durchführung all dessen verantwortlich sind, was zur Abwicklung der Vermittlungsaktion gehört; auf alle Fälle ist zu wünschen, daß, wenn es zu solchen Aktionen kommt, alles mit einem eindeutigen Bedauern endet, dessen Formulierung keine negative Rückwirkung auf die guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern hat. Schließlich ersuche ich die beiden Regierungen, daß sie selbst und, auf ihre Weisung hin, die Behörden und untergeordneten Organe Klugheit walten lassen und den Sinn für Zurückhaltung in allem fördern, was sie als Ausübung oder Verteidigung legitimer Rechte ansehen, vor allem in dem der Vermittlung anheimgestellten Gebiet; das alles mit dem Ziel, keinerlei Anlaß zu irgendwelchen Reibereien mit der anderen Seite zu geben. Das alles muß auch aus der Einsicht heraus geschehen, daß ein solches Handeln weder den Verzicht auf diese Rechte voraussetzt noch Präzedenzfälle schafft. 3. Ich sagte seinerzeit, daß der Text des Vorschlags dazu beitragen sollte, daß die einen wie die anderen ihre Forderungen einschränken bzw. mäßigen, denn anders läßt es sich nicht zu einer Vereinbarung kommen. Dieses Kriterium läßt sich offensichtlich auch auf alles schon Gesagte anwenden. Daher fordere ich Sie, meine Herren Botschafter und Mitglieder der beiden Delegationen auf, sich zu Interpreten dieser Gedanken zu machen, angesichts derer man Sie mit dieser edlen Mission beauftragt hat, und desgleichen zu Interpreten meines dringenden und herzlichen Appells, damit Sie nach Erhalt der entsprechenden Anweisungen mit Entschlos- 1076 Botschaften und Ansprachen senheit in einem Klima der Verständigung und der Eintracht arbeiten können. Es wäre angebracht, wenn die ö|fentlichkeit Ihrer Länder eine geeignete Darstellung der Vorteile erhalten könnte, die wir im Auge haben und verfolgen, und auch von meinem lebhaften Wunsch erführe, daß die eben formulierten Gedanken beiden Ländern in gleicher Weise zur besseren Durchführung der Vermittlung verhelfen können. Das ist eines der Ziele meines heutigen Appells, und ich würde mich sehr freuen, wenn meine Worte nicht Anlaß zu Auslegungen oder Vermutungen gäben, die diesem Wunsch nach unterschiedsloser Hüfe nicht entsprechen und den eifrigen und ruhigen Fortgang der Arbeiten, die Sie durchführen müssen, beeinträchtigen könnten. Denken Sie an die Hoffnungen, die Ihre Völker seit dem 8. Januar 1979 hegen, als ihnen voll Begeisterung die Verheißung des Friedens zwischen Chile und Argentinien vor Augen gestellt wurde! Wir dürfen sie nicht enttäuschen. Seien Sie sich der Bedeutung der kommenden Monate bewußt! Daher mein Appell zu größtmöglichem sorgfältigem Einsatz, der - dessen bin ich gewiß - Ihrem gemeinsamen Wunsch entspricht, den vielen schlaflosen Nächten und Mühen baldmöglichst ein Ende zu setzen. Seien Sie versichert, daß ich Gott, dem Spender alles Guten, Ihr Arbeitsprogramm und jeden einzelnen von Ihnen empfehle, damit Er, das Licht aller Lichter, Ihr persönliches Tun erleuchte. Mein herzlicher Segen begleitet dieses Gedenken im Gebet. (O.R. 24. 4. 82) Konkreten Humanismus anstreben! Ansprache an die Vereinigung „Nova spes“ am 26. April Meine Damen und Herren! 1. Es ist mir eine Freude, aufs neue Ihre Gruppe empfangen zu können, die praktisch die Verantwortung für die internationale Stiftung „Nova spes“ trägt und von Ihnen über die Beschlüsse der Sitzung unterrichtet zu werden, die Sie soeben in Rom abgehalten haben. Schon dreimal hatte ich Gelegenheit, mit den Verantwortlichen zusammenzutreffen, die sehr wohl wissen, daß ich sie schätze und große Hoffnungen auf ihre Initiative setze. Sie sind auf der Suche nach einem neuen Humanismus. Sicher fehlt es 1077 Botschaften und Ansprachen nicht an Analysen der heutigen Situation auf soziologischer, wirtschaftlicher, politischer, philosophischer und moralischer Ebene. Alle sprechen von Krisen. Man versucht mit viel gutem Willen, die Ungerechtigkeiten aufzudecken, die Rechte jedes einzelnen und allgemein die das „Haben“ betreffenden Rechte neu zu definieren. Damit werden jedoch oft die Probleme nur verschoben; man geht nicht über den Horizont des quantitativen Fortschritts hinaus, als wollte man ein brüchiges Gemäuer ausbessern, ohne dabei auf den schlechten Zustand des Fundamentes zu achten. 2. Wenn man einen echten, vollen und konkreten Humanismus anstrebt, muß man auf eine tiefere und globalere Anthropologie zurückgreifen, die den Menschen als persönliches, über seine Existenz hinausgehendes Subjekt betrachtet, das in sich selbst die Synthese aller Dimensionen seines Seins vollzieht, ohne diese gegeneinander abzugrenzen und ohne die einen auf Kosten der anderen zu entfalten. Der Mensch ist ja ein Wesen, das seine wissenschaftlichen Kenntnisse erweitern möchte und sich gleichzeitig gedrängt fühlt, auf den Anruf und die Erfordernisse des Absoluten einzugehen - im Glauben, im Gebet und durch sein sittliches Verhalten -und darüber hinaus mit seinen Mitmenschen einen zwischenmenschlichen Dialog aufzunehmen und an der Prägung des Universums zu arbeiten, um seinen eigenen Erfordernissen und denen der anderen gerecht zu werden. Das Heil des Menschen hängt von der Einheit und Vollständigkeit all dieser Dimensionen ab, die seinen Übeln Abhilfe bringen sollen. Hat man etwa nicht das „Haben“ auf Kosten der qualitativen Werte des „Seins“ allzusehr bevorzugt, den Menschen allzusehr einem Besitzer von Dingen gleichgesetzt und ihn und seine Mitmenschen praktisch in die Welt der Dinge hinabgezogen, mit dem Willen zur Macht, der Angst und dem Klassenkampf, die sich hieraus ergeben? Selbst in den Bereichen der Naturwissenschaft und der Geschichte neigt der Mensch dazu, sich als ein Resultat, als das unpersönliche Resultat seines eigenen Entwicklungsprozesses oder der Mechanismen des menschlichen Zusammenlebens zu betrachten, während er doch Geschöpf Gottes ist und frei, die Einheit seines Seins zu verwirklichen, um die grundlegenden menschlichen Werte zu fördern. Es geht um die sittliche Wiederherstellung der Persönlichkeit jedes einzelnen und der Gemeinschaft. 3. Diese anthropologische Sicht könnte den Anschein eines wirklichkeitsfremden Ideals haben, das keinen wirklichen Einfluß auf die Entwicklung der Gesellschaft und ihrer Einrichtungen ausübt; tatsächlich jedoch - und es ist Ihrer Verantwortung überlassen, dies überzeugend zum Ausdruck zu bringen - berührt sie zutiefst die Art, auf die man an alle menschlichen Probleme herantritt, unter denen Sie besonders die zwischenmenschlichen 1078 Botschaften und Ansprachen Beziehungen, den Dialog zwischen den Kulturen, die Umwelt des Menschen, seine Arbeit, die Mittel der sozialen Kommunikation, usw. herausgreifen. Ich selbst habe mich bemüht, unter diesem personalistischen Gesichtspunkt u. a. die menschliche Liebe und die menschliche Arbeit zu behandeln. Ja, Ihre Initiative kann eine neue Hoffnung darstellen, eine „Nova spes“, da sie das Projekt einer qualitativen Entwicklung des Menschen einschließt, im ursprünglichen Sinn seines Seins, seiner Integra-lität, in der Dynamik seines Daseins. 4. Das Problem ist herauszufinden, wie diese Hoffnung Wirklichkeit werden kann; wie man die Zustimmung der kulturellen Welt, der öffentlichen Meinung, der mit Verantwortung betrauten Menschen für diese Anthropologie und ihre sittlichen Anwendungen erzielen kann; wie man es schließlich durchsetzen kann, daß das Leben der Menschen und der Gemeinschaften, ihre Ausrichtung und ihre Entscheidungen im Sinne dieser Anthropologie erfolgen. Gerade dies ist die zweite, die aktive Phase, in die heute die Stiftung „Nova spes“ eintritt. Da es sich darum handelt, die Einheit des Menschen wiederherzustellen, dem es eigen ist zu denken, zu glauben, mitzuteilen und zu arbeiten, ist es gut - wie Sie es sich vorgenommen haben - Spezialisten auf den Gebieten der Wissenschaft, der Religion, der sozialen Kommunikation und der Wirtschaft zu gemeinsamer Reflexion und Zusammenarbeit einzuladen, um jene Zusammenarbeit zu fördern, an der es gegenwärtig mangelt. Eine Reihe grundlegender ethischer Probleme und menschlicher Rechte werden so zum Gegenstand Ihrer Diskussionen, Ihrer Entschließungen und Ihres Zeugnisses. Es hegt an Ihnen, Ihre hochherzigen Projekte reifen zu lassen und sie in einer Sprache zum Ausdruck zu bringen, die unsere Zeitgenossen anspricht; darüber hinaus gilt es, eine entsprechende Strategie zu entwickeln, indem Sie vor allem konkrete Mittel und brauchbare Stützpunkte auf nationaler und internationaler Ebene finden. Was mich betrifft, so wiederhole ich den Ausdruck meiner Ermutigung. Ich bete zum Heiligen Geist, damit er Ihnen die Gaben seines Lichts und seiner Kraft schenke, die Sie befähigen, dieses menschliche und zugleich christliche Unterfangen weiterzuführen und segne aus ganzem Herzen Sie und all Ihre Mitarbeiter. 1079 Botschaften und Ansprachen Eine Lampe, die brennt und leuchtet Schreiben zum 1500. Todestag des hl. Severin vom 27. April An die ehrwürdigen Brüder Franz Kardinal König, Erzbischof von Wien, Franz Zak, Bischof von St. Pölten, Antonius Hofmann, Bischof von Passau, Maximilian Aichern, Bischof von Linz. In jenem finsteren Zeitalter, als das Römische Reich durch den Einfall der Germanen und anderer Völker in sein Hoheitsgebiet aus den Fugen geriet und sich der Übergang von der Antike zum sogenannten Mittelalter vollzog, erstrahlte gleich einer „Lampe, die brennt und leuchtet“ (Joh 5, 35), in Noricum der hl. Severin, seit dessen Tod 1500 Jahre vergangen sind. Mit Recht wird daher in euren Diözesen, die der Schauplatz der Tugenden und der Werke gewesen sind, durch welche jener berühmt wurde, dieses Jubiläum feierlich begangen. Severin, „homo omnino Latinus“, „ganz und gar Lateiner“, wie Eugip-pius, sein Schüler und Begleiter, der das Leben des großen Lehrers beschrieben hat (vgl. Epist. ad Paschasium: „Eugippius, Das Leben des Heiligen Severin“, hrsg. R. Noll, Passau, S. 44), sagt, kam vom Orient, wo er sich aufgehalten hatte, über Pannonien durch Gottes Vorsehung im 5. Jahrhundert nach Noricum ripense, das heißt in jenes Gebiet, das von der Donau bis zum Tauerngebirge und von der Umgebung Wiens bis zum Inn reichte. In diesem Teil des Römischen Reiches hatten sich nicht nur die lateinische Sprache und lateinische Sitten durchgesetzt, auch die christliche Religion war dort schon hinreichend gefestigt. Er war ein Mönch, der „nach der Lehre des Evangeliums und der Apostel lebte“ (pp. dt., 1, S. 58) und, wie es scheint, nicht dem Priesterstand angehörte. Er sehnte sich nach einem kontemplativen Leben, um sich in einsamer Zurückgezogenheit Gott allein zu widmen. Wenn er aber die Not der von vielen Drangsalen heimgesuchten Bewohner des Landes sah, verließ er häufig „die Stille seiner Klosterzelle“, „um sich der betroffenen Bevölkerung nicht zu verweigern“ und „den Menschen in ihren vielfältigen Nöten beizustehen“ (ebd., 4 u. 9, S. 64. 72). Dieser Mann also, der aufs engste mit Gott verbunden und durch seinen Dienst an den Brüdern sehr berühmt war, verbrachte 20 Jahre in jenem Grenzgebiet des Römischen Reiches, wo er „allen alles geworden ist“ (1 Kor 9, 22) und wo man in Favianis - dem heutigen Mautern in Österreich - im Jahre 482 seinen Tod betrauerte. Aber auch Menschen, 1080 Botschaften und Ansprachen die heute in ähnlichen unsicheren und schwierigen Verhältnissen leben, spricht er durch das, was sein Leben lehrt, an. Der hl. Severin lehrt vor allem die besondere Bedeutung des Gebetes und der inneren Umkehr, da er ja „durch sein unaufhörliches Gebet Gott immer näherkam“ (vgl. Eugipp., op.cit., 4, S. 64), Dieser Vorrang des Gebetes müßte gerade unserer Zeit stärker eingeprägt werden, in der so viele, von leidenschaftlichem Streben nach materiellen Gütern erfaßt, von dem, was das Wichtigste und Bleibende ist, abgelenkt werden. Wenn man sich aber nicht zum Absoluten hinwendet, wird in der Tat alles übrige seines Sinnes, seiner Kraft und seiner Wirksamkeit beraubt. Namentlich diejenigen, die sich durch Gelübde oder andere heilige Bande Gott verpflichtet haben, mahnt er, der Christus, auf dem engen Weg folgte, eindringlich, „den Spuren der seligen Väter zu folgen, aus deren heiligem Wandel sie Lehren ziehen können“ (vgl. ebd. 9, S. 72), das heißt, sie sollen den ursprünglichen Geist ihrer Ordensfamilie erforschen und in unserer Zeit verwirklichen; sie sollen ferner „die Schmeicheleien der Welt fliehen und mit aller Liebe Christus den Vorzug geben“ (vgl. ebd., 43, S. 110), „und die Sitten sollen mit dem Leben, zu dem sie sich verpflichtet haben, übereinstimmen“ (vgl. ebd.). Dazu bedarf er eines asketischen Lebens, in welchem Severin selbst sich ständig geübt hat. Außer der aufmerksamen Wahrnehmung der Seelsorge - zu deren Zweck er an mehreren Orten kleine Klöster gründete, so Favianis, Batava (heute Passau), Boiodurum (heute Innstadt), sowie, oft darum gebeten, die Gemeinden der Gläubigen besuchte und im heiligen Glauben stärkte -setzte sich Severin ganz dafür ein, körperliche Nöte zu lindem, wie es die Ungunst der Zeit damals verlangte. In wahrhaft christlicher Hilfeleistung, die alle einschloß, pflegte er die Kranken, von denen er manche auf wunderbare Weise, wie es heißt, wieder gesundmachte. Als die Bewohner unter einer Hungersnot litten, verschaffte er ihnen reichlich Nahrungsmittel, so daß, wie Eugippius sagt, „fast alle Armen in den Städten und Dörfern durch seinen Eifer zu essen hatten“ {op.cit., 17, S. 82); auch für ausreichende Kleidung sorgte er. Dieses Hilfswerk hat Severin nicht eilfertig unternommen, sondern wohlüberlegt und geplant: Er verteilte den Zehnten der Ernteerträge, der von den meisten „zum Unterhalt der Armen“ (ebd.) gespendet wurde, und schaffte aus Südnoricum, wo größerer Wohlstand herrschte, Hilfe herbei. Sehr am Herzen lag ihm auch das Schicksal der Gefangenen, die er entweder mit Geld loskaufte oder durch Verhandlungen befreite. Der hl. Severin hat offenbar dazu aufgerufen, solche Werke der Liebe und des Erbarmens zu tun, durch die „ein hervorragendes Zeugnis christlichen 1081 Botschaften und Ansprachen Lebens“ erbracht wird (Apostolicam actuositatem, Nr. 31). Man darf aber nicht übersehen, daß natürliches Mitleid, wenn es auch lobenswert ist, im Bereich des Apostolats nicht genügt, sondern man muß darüber hinaus in den leidenden Brüdern Christus selbst sehen. Schließlich müssen wir an diesem Gottesmann noch etwas anderes bewundern: Er war nämlich ein aufgrund seiner Autorität angesehener Förderer und Verteidiger der Menschenrechte. Es genügt, einige Beispiele dafür anzuführen: seiner Autorität ist es zu verdanken, daß die Katholiken nicht nach den Wünschen der arianischen Irrlehre wiedergetauft werden mußten; den Alemannenkönig brachte er dazu, daß er von der Verwüstung des den Römern unterlegenen Gebietes absah; dem Fürsten der Rugier, der alle Städte, die dem Schwert des Feindes entgangen waren, plündern wollte, trat er mit den Worten entgegen: „Ich komme als Gesandter Christi, um für die Unterlegenen um Erbarmen zu bitten“ (op.cit., 31, S. 98). Ist das etwa nicht auch für unsere Zeit von Bedeutung, in der dieselben Rechte geschützt und verteidigt werden müssen? Wir nennen die Freiheit des Religionsbekenntnisses, die ja „kein Privileg, sondern die Achtung eines elementaren Rechts“ darstellt (vgl. Redemptor hominis, Nr. 17); die Würde der arbeitenden Menschen, die Subjekte, nicht Objekte der Arbeit sind (vgl. Laborem exercens, Nr. 7); die Rechte der Familie, über die wir vor nicht langem ein Dokument herausgegeben haben (Apostol. Schreiben Familiaris consortio, Nr. 46), und weitere. Wir freuen uns daher mit euch, ehrwürdige Brüder, daß - um wiederum die Worte des Eugippius zu gebrauchen - „Gott dieser Gegend ein solches Licht schenken wollte“ {Epist. ad Paschasium, op.cit., S. 44), einen Mann, der durch ein Gott und dem Dienst an den Brüdern gewidmetes Leben Ruhm im wahrsten Sinne des Wortes erlangt hat. Im festen Vertrauen, daß sein Gedenken, das mit Recht in diesem Jahr wieder begangen wird, zu einer Förderung des christlichen Lebens beitragen wird, erteüen wir euch, euren Weihbischöfen, Priestern, Ordensleuten und den eurer Hirtensorge anvertrauten Gläubigen in Liebe den Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 27. April 1982, im vierten Jahr unseres Pontifikats. PAPST JOHANNES PAUL II. (O.R. 23. 5. 82) 1082 Botschaften und Ansprachen „Bemüht euch stets um das Ganze“ Ansprache an eine Studentengruppe der Universität Augsburg am 29. April Sehr geehrter Herr Professor, hebe Studentinnen und Studenten! Es war euer Wunsch, bei eurem Rombesuch auch dem Bischof dieser einzigartigen Stadt - der Ewigen Stadt, wie man sie tiefsinnigerweise nennt - zu begegnen. Mit Freude heiße ich euch deshalb heute im Vatikan herzlich willkommen. Das große Ansehen und die Bedeutung dieser Stadt gründen nicht nur in der ruhmreichen Geschichte des antiken Rom, sondern vor allem in dem hier vollbrachten und noch heute fortdauernden Werk und Zeugnis der Apostel Petrus und Paulus, die die christliche Gemeinde dieser Stadt begründet und sie zur „Mutter und zum Haupt aller Kirchen des Erdkreises“ gemacht haben. Weltliche Größe und geistliche Sendung verbinden sich in der Geschichte dieser Weltstadt zu innerster Einheit. Petrus und Paulus, selbst sehr verschiedene Charaktere mit unterschiedlichem Zugang zu Christus und verschiedener Sendung in seiner Kirche, wurden durch ihr bedeutungsvolles Gründungswerk auch ihrerseits in der römischen Frömmigkeit und Kunst zu einem unzertrennlichen Brüderpaar. Hierin hegt eine tiefe Bedeutung. Petrus aus Kapharnaum, der Fels, auf dessen unerschütterliches Glaubensbekenntnis die Kirche Jesu Christi gebaut ist, bedarf des Paulus aus Tarsus, der die Offenbarung des Herrn bis in die letzten Konsequenzen durchdenkt und bis an die fernsten Horizonte trägt. Ebenso bedarf Paulus, der ungestüme Forschergeist und Missionar, des Petrus, der durch das von Christus ihm übertragene Lehr-und Hirtenamt die Kirche in der Treue zu ihrem Ursprung und in ihrer wesenhaften Einheit bewahrt. In ähnlicher Weise verlangt eure geistige Arbeit, hebe, junge Freunde, euer Studieren und Forschen, notwendig nach der Ergänzung und Vertiefung durch den Glauben. Glauben und Vernunft können sich, wie die Kirche überzeugt ist, letzthch nicht widersprechen. Der Glaube beengt und bevormundet nicht die Vernunft, sondern erschließt ihr überhaupt erst den ihr entsprechenden umfassenden Horizont. Was immer der einzelne von euch studieren mag: Bemüht euch stets um die „Universitas“, um das Ganze, um jene vom Glauben erschlossene Sicht der Gesamtwirk-hchkeit, in der die natürhchen Werte in die Gesamtschau des von Christus erlösten Menschen einbezogen sind. Ebenso erstrebt wahre Bildung die 1083 Botschaften und Ansprachen allseitige Reifung der menschlichen Person in innerer Hinordnung auf ihr letztes Ziel. Möge sich auch in eurem Christsein, in eurem Studium und in eurem späteren Dienst als gläubige und verantwortungsbewußte Menschen jenes fruchtbare Miteinander von Treue und Mut verwirklichen, das euch als Vermächtnis der beiden Apostelfürsten in dieser Stadt ans Herz gelegt wird. Dafür erteüe ich euch in besonderer Verbundenheit meinen Apostolischen Segen. Keiner kann auf sich allein bauen Predigt bei der Konzelebration mit 6000 Priestern der Fokolar-Bewegung in der Audienzhalle des Vatikans am 30. April 1. „Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen . . . mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern“ {Apg 1, 14). Diese Worte aus der ersten Bibellesung, meine heben Brüder im Priesterstand, passen gut zu unserer heutigen Begegnung, die in dem feierlichen und frohen Rahmen einer Eucharistiefeier stattfindet. Dieser Rahmen des Gebets verhindert jedoch nicht, daß ich euch meinen herzlichen Gruß entbiete, in den ich auch die anglikanischen Geistlichen, die orthodoxen Brüder des Instituts in Regensburg und die evangelischen Pastoren einschließen möchte, die an dieser Feier teilnehmen, wobei ich den innigen Wunsch ausspreche, daß bald der Tag kommen möge, an dem die gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie möglich wird. Ich danke sodann euren Repräsentanten für ihre Grußadressen und gebe vor allem meiner tiefen Freude darüber Ausdruck, daß ich diese heilige Liturgie mit euch gemeinsam feiern kann. Meine Freude hat ihren Grund nicht nur in der beachtlichen Zahl, in der ihr aus vielen Ländern der fünf Kontinente zu diesem einzigartigen Treffen gekommen seid; sie hat auch noch tiefere Gründe. Erstens bietet uns dieser echt priesterliche Augenblick, den wir erleben, die geeignete Gelegenheit nicht nur zu einer Erfahrung, sondern zu einer Reflexion über das Wesen und die Aufgaben des priesterlichen Lebens, das einen großen Teil der Verantwortung im Bewußtsein und selbst in der Darstellung der Kirche als Volk Gottes, Leib Christi und Tempel des Geistes, einnimmt. Zweitens freue ich mich -wenn das auch nicht das erste Mal ist - über das Zusammentreffen mit 1084 Botschaften und Ansprachen euch Diözesan- und Ordenspriestern aus der Fokolar-Bewegung. Diese Bewegung hat inzwischen weite Verbreitung gefunden, und ich wünsche, daß sie sich immer intensiver für die Wiederentdeckung echt evangelischer Werte innerhalb der christlichen Gemeinschaft einsetzen kann, um so zu einer Neubelebung der durch die Taufe gegebenen Identität und insbesondere der priesterlichen Identität beizutragen. 2. Ich weiß, daß ihr zusammengekommen seid, um über das Priesteramt nachzudenken. Wie muß der Priester beschaffen sein, um auf wirksame Weise nach den Plänen Gottes der Kirche und der Menschheit von heute zu dienen? Die Frage ist äußerst dringlich, und die Antwort darauf kann natürlich nicht ohne Belang sein - weder für das Verständnis des Priesteramtes noch für das christliche Leben selbst. Sehr hilfreich bei dieser Überlegung können einige wichtige Elemente der evangelischen Botschaft sein, die zu Eckpfeilern auch der Spiritualität der Fokolar-Bewegung geworden sind: so die beiden fundamentalen Pole des gekreuzigten Jesu und der Einheit in der Liebe, die die Bewegung aus dem Evangelium übernimmt, indem sie sie in neuer Weise herausstellt und anwendet. Es ist tatsächlich keine Erneuerung möglich - auch keine praktische, also im Bereich des Lebens und pastoralen Stils -, wenn man sich dabei nicht fest auf die wesentlichen Elemente des christlichen Glaubens beruft und stützt. Keine Aktivität und schon gar kein Aktivismus kann sich anmaßen, auf sich allein zu bauen, so wie kein Baum bloß aus eigener Kraft leben kann, sondern nur in dem Maße gedeiht, in dem seine Wurzeln in reichem, fruchtbarem Erdreich stecken oder er, wie der Psalmist sagt, nützlicherweise „an Wasserbächen gepflanzt ist“ (Ps 1, 3). Dieses fruchtbare Erdreich, dieses lebenspendende Wasser ist für euch, für uns alle die ständige Betrachtung des zentralen Geheimnisses der Offenbarung, Gegenstand des Glaubens der Kirche, ihrer Anbetung und Gottesdienstfeier, da es den außerordentlichen Grund der Erlösung und somit der Freiheit und Freude aller Gläubigen darstellt. Es ist das Geheimnis von der unergründlichen und unvergleichlichen Liebe Gottes zum Menschen, zu uns, die uns durch die Ganzhingabe seines Sohnes bekundet, ja bewiesen worden ist (vgl. Joh 3, 16; Gal 2, 20). 3. Vor kurzem haben wir das Paschamysterium gefeiert, und liturgisch leben wir noch von den großen, erhabenen und zugleich abgrundtiefen Themen der äußersten Erniedrigung, die der Sohn Gottes an sich geschehen ließ bis zum Tod, zum Tod am Kreuz, um dann in die Herrlichkeit Gottes erhöht zu werden (vgl. Phil 2, 6-11) und seinen Geist des Lebens über uns auszugießen (vgl. Apg 2, 33; 1 Kor 15,45). Vor allem das Kreuz Christi steht vor den Augen unseres Glaubens als der am tiefsten empfun- 1085 Botschaften und Ansprachen dene Beweis der grenzenlosen Liebe, in der Gott uns erlöst hat, indem er uns alle unsere Untreue verzieh und uns in die Vertraulichkeit unerwarteter Gemeinschaft mit sich aufnahm. Denken wir daran, was das gekostet hat: das kostbare Blut Christi (vgl. 1 Petr 1, 18-19), sein, wenn auch zuversichtlicher Schrei der Verlassenheit am Holz seiner Qualen (vgl. Mk 15, 34), sein Tod. Der Gipfel seines Schmerzes ist auch der Gipfel seiner Liebe. Hier nun entdecken wir ein grundlegendes Motiv, das zu einem unausweichlichen Ansporn wird, mit unserem ganzen Herzen an den Leiden des gekeuzigten und verlassenen Jesus teilzunehmen, um in inniger Verbundenheit mit ihm die persönlichen Ereignisse und vor allem die täglichen Amtspflichten als Ausdruck der Liebe zu Gott und zu den Brüdern zu erfahren (vgl. Eph 5, 1-2). Wenn wir in den täglichen Prüfungen den leidenden Jesus umarmen, verbindet er sich uns unmittelbar mit dem Geist des Auferstandenen und mit seiner stärkenden Kraft (vgl. Röm 6, 5; Phill, 19). Das ist der Grund, warum ich in dem Brief, den ich zum Gründonnerstag dieses Jahres an alle Priester der Kirche gerichtet habe, in Gebetsform schrieb: „Wir sind geboren . . . aus dem Leib und Blut deines Erlösungsopfers . . . Unser Ursprung ist im Abendmahlssaal und zugleich zu Füßen des Kreuzes auf dem Kalvarienberg“ (Nr. 1). Dieser Ursprung, der unsere Identität begründet, ist für jeden Getauften, der den Ruf zum Priestertum vernommen hat, Aufforderung und Ansporn, Christus, dem einen und ewigen Priester, immer mehr gleichförmig zu werden und allein in der Teilhabe an ihm den wahren Seinsgrund des eigenen Lebens zu finden. Wenn das schon für jeden Diözesanpriester gilt, um wieviel mehr werden die Ordenspriester im gekreuzigten Christus die Wurzel aller jener Tugenden sehen, die ihr Leben besonderer Weihe auch in der Nachfolge der Charismen ihrer Stifter kennzeichnen sollen. Für alle bleibt die Identifikation mit der absoluten Verfügbarkeit Jesu gegenüber dem Willen des Vaters ausschlaggebend, so daß sich der Wille des einen mit dem des anderen deckt. „Siehe, ich komme, deinen Willen zu erfüllen . . . Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Opfergäbe des Leibes Jesu Christi ein für allemal geheiligt“ (Hebr 10, 9-10). Nur wenn der Priester diese Worte in ihrem ganzen konkreten Anspruch zu seinen eigenen macht und sie auf sämtliche Bereiche seines Daseins ausdehnt, wird er mit voller Wahrheit von sich behaupten können, daß er - wie das Zweite Vatikanische Konzü es ausdrückt - in persona Christi, „in der Person Christi“, handle (vgl. Lumen gentium, Nr. 10). 1086 Botschaften und Ansprachen 4. Es gibt noch ein anderes Element der evangelischen Spiritualität, das sich die Fokolar-Bewegung zu eigen gemacht hat und dem auch unsere Beachtung gebührt: die Einheit, um die Jesus zum Vater gebetet hat, ehe er starb (vgl. Joh 17, 21). Durch die Entäußerung Christi bis zur Verlassenheit und zum Tod sind wir mit ihm und untereinander eins geworden (vgl. Gal 3, 26-28; Eph 2, 14-18). Als Jesus uns das Gebot gab, einander zu lieben, wie er uns geliebt hat (vgl. Joh 15,12), forderte er uns auf, zum Maß unserer gegenseitigen Liebe eben das Maß seiner Liebe zu nehmen; und das ist es, was die Einheit zu befruchten vermag, denn die Liebe eint immer die, die an ihr teilhaben. In der Einheit wird dann die lebendige Gegenwart des auferstandenen Christus erfahren, in dem wir alle eins sind. In diesem Sinne äußerte sich der hl. Leo der Große: „Der Sohn Gottes hat die menschliche Natur in einer so innigen Einheit und Verbundenheit angenommen, daß der einzige und identische Christus nicht nur in dem vorhanden ist, der der Erstgeborene der ganzen Schöpfung ist, sondern auch in allen seinen Heiligen“ (12. Predigt über die Passion: PL LIV 355). In der Einheit, die sie in ihrem priesterlichen Leben verwirklichen, finden die Priester ihr eigentliches Zuhause, das in der Gemeinschaft mit den Bischöfen und dem Papst Erweiterung und Festigung erfährt. Wenn sie in seinem Namen Zusammenkommen, muß Christus mitten unter ihnen sein (vgl. Mt 18, 20): sei es, um dem Wort Gottes, „das alle mit Recht vom Priester verlangen“ (Presbyterorum ordinis, Nr. 4), Wirklichkeit zu verleihen, sei es zu einer fruchtbaren Feier der Eucharistie und der übrigen Sakramente (vgl. ebd., Nr. 5), sei es, um als Hirten „die Familie Gottes, die als Gemeinschaft von Brüdern nach Einheit verlangt“ (ebd., Nr. 6), zu versammeln. Die Ordenspriester finden darüber hinaus in der praktisch geübten brüderlichen Gemeinschaft eine engere Beziehung zu ihren Ordensstiftem und die Möglichkeit, die Besonderheit der charismatischen Gaben dieser Männer zum Leuchten zu bringen (vgl. Lumen gentium, Nr. 46). Auf diese Weise fällt zugleich auf die Welt zumindest ein Abglanz jener höheren und unerreichbaren Gemeinschaft, welche die Personen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit miteinander in einem fruchtbaren Geheimnis des Lebens verbindet (vgl. Gaudium et spes, Nr. 24). 5. Im Evangelium, das in dieser Liturgiefeier gelesen wurde, haben wir die Worte gehört, die Jesus vom Kreuz herab an seine Mutter und an den Jünger, den er liebte, richtete und mit denen er in einem Austausch zugleich mütterlicher und kindlicher Beziehungen sie einander anvertraute (vgl. Joh 19, 26-27). Euer Werk nennt sich bekanntlich auch „Werk Mariens“, und auch deshalb kann man nicht davon absehen, auf den Platz hinzuweisen, den die Mutter Jesu im priesterlichen Leben 1087 Botschaften und Ansprachen einnehmen muß. Der soeben angeführte Text des Evangeliums bietet uns das Vorbild unserer Marienverehrung. „Von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“ (Joh 19, 27). Kann man dasselbe auch von uns sagen? Nehmen auch wir Maria bei uns auf? In der Tat, wir sollten sie ganz in unser Leben, unseren Glauben, unsere Gefühle, unsere Pflichten einbeziehen und ihr die ihr zustehende Rolle der Mutter zuerkennen, das heißt, eine Funktion der Führung, der Mahnung, der Ermutigung oder auch bloß des stillen Zugegenseins, das allein bisweilen genügen mag, Kraft und Mut einzuflößen. Im übrigen hat uns die erste Lesung aus der Bibel daran erinnert, daß die ersten Jünger nach der Himmelfahrt Jesu „mit Maria, der Mutter Jesu“, zusammenwaren (Apg 1, 14). Zu ihrer Gemeinschaft gehörte also auch Maria; ja, sie war es vielleicht, die dieser Gemeinschaft Zusammenhalt gab. Und die Tatsache, daß sie als „die Mutter Jesu“ bezeichnet wird, besagt, wie sehr sie mit der Gestalt ihres Sohnes verbunden wurde: Das heißt, sie besagt, daß Maria immer und einzig an den Heilswert des Werkes Jesu, unseres einzigen Retters, erinnert, und sie besagt andererseits auch, daß der Glaube an Jesus Christus uns nicht davon entbinden kann, in unseren Glaubensakt auch die Gestalt derjenigen einzubeziehen, die seine Mutter gewesen ist. In der Familie Gottes und um so mehr in der priesterlichen Famiüe bewahrt Maria die Unterschiedlichkeit des einzelnen innerhalb der Gemeinschaft aller. Und zugleich kann sie uns die Verfügbarkeit gegenüber dem Heiligen Geist, die sorgende Teilnahme an der Ganzhingabe Christi an den Willen des Vaters, vor allem die innige Teilnahme am Leiden des Sohnes und die sichere geistliche Fruchtbarkeit in der Erfüllung unseres Dienstes lehren. „Siehe, deine Mutter!“ (Joh 19, 2): Ein jeder höre diese Worte, als wären sie an ihn gerichtet, und schöpfe daraus Vertrauen und Begeisterung zu einem immer entschlosseneren und froheren Fortschreiten auf dem Weg seines engagierten Priesterlebens. 6. Liebe Brüder, habt Dank für diesen heutigen Beweis der Gemeinschaft untereinander und mit dem Nachfolger Petri. Eine Gemeinschaft, die wir gleich durch jene sakramentale Gemeinschaft festigen werden, welche wir während dieses Gottesdienstes, gewiß im Bewußtsein unserer ganzen Unwürdigkeit, aber doch voll Freude, mit dem Herrn selbst hersteilen werden. Im Lichte dieses eucharistischen Bandes wiederhole ich für euch die Worte des hl. Paulus an Timotheus: Entfacht heute und jeden Tag die Gnade Gottes wieder, die euch durch das Auflegen der Hände zuteil geworden ist (vgl. 2 Tim 1,6). Und immer wieder steige aus eurem Herzen der Gesang des Magnifikat zu Gott auf, das wir vorhin gelesen haben. Pflegt eine zuverlässige Spiritualität, die ihr aus den 1088 Botschaften und Ansprachen Quellen eines unablässigen Gebets, eines ernsthaften, nicht vernachlässigten Studiums und einer wahrhaftig gelebten Brüderlichkeit schöpft. Da ihr den anderen viel geben müßt, versucht selbst immer reicher zu werden an Weisheit und Gnade. Und keiner, der sich an euch wendet, darf enttäuscht Weggehen, sondern jeder soll in euch Licht für seinen Verstand, Wärme für sein Herz, Hilfe und Stütze für seine Schritte finden. Seid stets übervoll von Freude über das Geschenk des Priestertums, an dem Christus, der höchste und ewige Priester, euch Anteü gewährt hat; gebt stets das frohe und ausgeprägte Zeugnis wahrhaft evangelischen Lebens, damit das Charisma eurer Berufung wirksamer Ansporn und fruchtbare Quelle für weitere Priester- und Ordensberufe sei, die aus vielen, vor allem jugendlichen Herzen kommen, die offen und bereit sind für die Einladung und den Ruf Jesu, der auf Arbeiter für die reiche Ernte der Welt wartet. Und seid gewiß, daß ich meinerseits diese Wünsche ins Gebet verwandle und euch von Herzen dem Herrn empfehle, damit „er euch tüchtig mache in allem Guten, damit ihr seinen Willen tut. Er bewirke in euch, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, dem die Ehre sei in alle Ewigkeit. Amen“ {Hebr 13, 21). (O.R. 1. 5. 82) ,,Knoten, die den Frieden gefährden, nicht mit dem Schwert durchhauen!‘( Friedensappell nach dem „Regina caeli“ am 2. Mai zum Konflikt zwischen Großbritannien und Argentinien Was man befürchtete, was man hoffte, es würde nicht eintreten, worum auch ich wiederholt und nachdrücklich gebetet und zu beten aufgefordert habe, daß es nicht Wahrheit werde, ist das nun wirklich eingetreten? Zwei große und edle, geschätzte Nationen, Argentinien und Großbritannien, haben im Südatlantik eine militärische Auseinandersetzung begonnen, die sich noch mehr zuzuspitzen scheint. Eine schmerzliche und besorgniserregende Tatsache! 1089 Botschaften und Ansprachen Schmerzlich und besorgniserregend wegen der Menschenleben, die schon geopfert wurden und möglicherweise noch geopfert werden; wegen der Kluft, die sich zwischen den beiden Völkern bereits aufgetan hat und die noch tiefer zu werden droht; wegen der Auswirkungen auf noch viel breiterer Ebene, die dieser Konflikt haben könnte. Aber nicht minder schmerzt mich eine andere Überlegung und gibt mir zur Besorgnis Anlaß: Die Welt sehnt sich nach Frieden, sucht Frieden, hat Mittel und Organe zum Schutz des Friedens entwickelt. Und nun, wo ein sehr ernster Konflikt auftritt (ernst, sehr ernst, vor allem, weil er grundlegende Prinzipien und zutiefst lebendige Gefühle in den Herzen berührt), scheinen die Menschen trotz des Einsatzes freiwilliger Vermittler unfähig, eine Lösung zu finden, die diese Prinzipien schützen, diese Gefühle achten und zugleich den Frieden bewahren würde. Soll man darüber etwa nicht Schmerz empfinden, soll man sich deshalb nicht sorgen? Wie kann die Menschheit noch Vertrauen in die Möglichkeit zum Frieden haben, wenn es nicht einmal gelingt, einen ernsten, aber doch relativ begrenzten Streit zu schlichten, vorausgesetzt, daß nicht noch schwerere und weitergreifende Umstände auftreten, die mehrere Nationen oder Länderblöcke in Frontstellung zueinander bringen? Aus diesem Grund ist meine Aufforderung, mein Appell in diesem Augenblick besonders ernst und dringend. Alle, nicht nur die unmittelbar beteiligten Parteien, sondern auch die mit ihnen befreundeten Nationen und die ganze internationale Gemeinschaft, mögen sich ihrer historischen Verantwortung bewußt sein und nicht, wie entmutigt, vor einer Situation kapitulieren, deren Entwicklungen nun als unwiderruflich erscheinen könnten. Und sie mögen der Welt die Hoffnung zurückgeben, daß es mit gutem Willen, mit Einsicht, Hochherzigkeit und politischem Weitblick in jedem, auch dem schwierigsten Augenblick möglich ist, die Versuchung zu überwinden, Knoten, die das friedliche internationale Zusammenleben gefährden, mit dem Schwert durchzuhauen. Ich fordere euch alle auf, dafür mit mir zum Herrn und zur allerseligsten Jungfrau Maria zu beten. (O.R. 2.13.14. 5. 82) 1090 Botschaften und Ansprachen Berufung ist ein Ruf zum Leben Botschaft zum 19. Weltgebetstag für die geistlichen Berufe am 2. Mai Verehrte Brüder im Bischofsamt, Hebe Söhne und Töchter in aUer Welt! 1. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in FüUe haben“ (Joh 10, 10). Diese Worte des Herrn gehen unmittelbar dem EvangeHumstext für den 4. Ostersonntag voraus, an dem wir den 19. Weltgebetstag für die Berufungen begehen, die im Dienst an der Kirche und zum Heil der Welt in besonderer Weise Gott geweiht sind. In diesem Abschnitt des EvangeHums (Joh 10, 11-18), den Ihr in der Tiefe Eures Herzens erwägen solltet, wiederholt Jesus fünfmal, daß der Gute Hirt gekommen ist, um für seine Herde das Leben hinzugeben, für eine Herde, welche die ganze Menschheit umfassen soll: „dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten“ (Joh 10, 16). Mit diesen Worten offenbart uns der Herr das Geheimnis christhcher Berufung und vor allem das Geheimnis jeder Berufung, die vollkommen Gott und der Kirche geweiht ist. Eine solche Berufung besteht ja darin, gerufen zu sein, um das eigene Leben einzusetzen, damit andere das Leben haben und es in Fülle haben. So hat Jesus selbst es getan, das Urbild und Modell für jeden Berufenen und Geweihten: „Ja, ich komme, um deinen Willen zu tun“ (Hebr 10,9; vgl. Ps 40, 8). Darum hat er sein Leben hingegeben, damit andere das Leben haben. So soll jeder Mann und jede Frau es tun, die dazu berufen sind, Christus in einer Ganzhingabe nachzufolgen. Berufung ist ein Ruf zum Leben: es zu empfangen und es zu verschenken. 2. Von welchem Leben will Jesus hier sprechen? Er spricht zu uns von jenem Leben, das von demjenigen herkommt, den er seinen Vater (vgl. Joh 18, 1) und unseren Vater (vgl. Mt 6, 9) nennt; der die „Quelle des Lebens“ (Ps 36, 10) ist; der Vater, der „die ganze Welt nach dem völhg freien, verborgenen Ratschluß seiner Weisheit und Güte erschaffen hat, der auch beschlossen hat, die Menschen zur Teilhabe am göttiichen Leben zu erheben“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche, Lumen gentium, Nr. 2). Dieses Leben ist in Jesus Christus selbst sichtbar geworden (vgl. 1 Joh 1, 2); er besitzt es in Fülle: „In ihm war das Leben“ (Joh 1,4) - „ich bin . . . das Leben“ (Joh 14, 6), und in Fülle will er es weiterschenken (vgl. Joh 10, 10). 1091 Botschaften und Ansprachen Dieses Leben wird den Menschen fortwährend durch den Heiligen Geist angeboten, durch den Geist, „der Herr ist und lebendig macht“, wie wir im Glaubensbekenntnis der Messe beten, durch den „Geist des Lebens, die Quelle des Wassers, das zu ewigem Leben aufsprudelt“ (Lumen gentium, Nr. 4; vgl. Joh 4, 14; 7, 38-39). Es ist also das Leben des „lebendigen Gottes“ {Ps 42, 3), das dieser allen Menschen schenkt, die in der Taufe wiedergeboren werden und dazu berufen sind, seine Söhne und Töchter, sein Volk und seine Kirche zu sein. Dies ist das göttliche Leben, das wir in dieser liturgischen Zeit feiern, da wir das Ostergeheimnis des auf erstandenen Herrn vollziehen; es ist das göttliche Leben, das wir bald erneut feiern dürfen, wenn wir das fortwirkende Geheimnis des Pfingsfestes durchleben werden. 3. Die Kirche ist dazu geboren, um zu leben und Leben zu schenken. Wie Jesus Christus gekommen ist, um sein Leben zu geben, so hat er die Kirche, seinen Leib, gebildet, damit sich sein Leben in ihr den Gläubigen mitteile (vgl. Lumen gentium, Nr. 7). Um selbst zu leben und das Leben weiterzuschenken, empfängt die Kirche vom Herrn durch den Heiligen Geist jede notwendige Gabe: Das Wort Gottes und die Sakramente dienen dem Leben; die Weiheämter der Bischöfe, Priester und Diakone, die Gnadengaben der Berufung zum Ordensleben, zum Weltdienst und zur Mission, dies alles dient dem Leben. Die Gnadengabe, die alle anderen aufgrund des Weihesakraments überragt, ist das Priesteramt, das am alleinigen Priestertum Christi teilhat: Er hat sich selbst am Kreuz dahingegeben und schenkt sich immer wieder in der Eucharistie für das Leben und das Heil der Welt. Priestertum und Eucharistie: wunderbares Geheimnis der Liebe und des Lebens, von Jesus Christus mit den Worten des letzten Abendmahles offenbart und für immer eingesetzt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ (Lk 22,1-9); 1 Kor 11, 24; vgl. Konzil von Trient, D.-Sch. 1740, 1752). Ein wunderbares Geheimnis göttlicher Fruchtbarkeit: Das Priestertum ist uns geschenkt zum geistlichen Wachstum der ganzen Kirche, vor allem durch die Eucharistie (vgl. Konzil von Florenz, D.-Sch. 1311; Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Preister, Presbyterorum ordi-nis, Nr. 5). Jede Berufung zum Priestertum muß verstanden, angenommen und gelebt werden als innige Teilhabe an diesem Geheimnis der Liebe, des Lebens und der Fruchtbarkeit. 4. Leben zeugt Leben. Mit diesen Worten habe ich mich an den Internationalen Kongreß von Bischöfen und sonstigen Verantwortlichen für geistliche Berufe bei Gele- 1092 Botschaften und Ansprachen genheit des letzt jährigen Weltgebetstages zu diesem Anliegen gewandt (vgl. Homilie vom 10. Mai 1981). Ich möchte es allen noch einmal sagen: Die lebendige Kirche ist Mutter für neues Leben und ist auch Mutter für neue Berufungen, die uns von Gott zum Dienst am Leben geschenkt werden. Berufungen sind ein sichtbares Zeichen ihrer Lebenskraft. Zugleich sind sie eine grundlegende Bedingung für ihr Leben, für ihr Wachsen, für ihre Sendung, die sie im Dienst an der ganzen Menschheitsfamilie erfüllen muß, indem „sie den Menschen jene Heilskräfte zur Verfügung stellt, die die Kirche selbst vom Heiligen Geist geleitet, von ihrem Gründer empfängt“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonsti-tution über die Kirche in der Welt von heute, Gaudium et spes, Nr. 3). Jede christliche Gemeinschaft und jeden einzelnen Gläubigen lade ich ein, sich der eigenen schweren Verantwortung bewußt zu werden, zur Vermehrung der geistlichen Berufungen beizutragen. Diese Verpflichtung wird „vor allem durch ein wirklich christliches Leben“ erfüllt (Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester, Optatam totius, Nr. 2). Leben zeugt Leben. Mit welcher Kohärenz könnten wir für geistliche Berufe beten, wenn unser Gebet nicht wirklich von einem ehrlichen Bemühen um die eigene Bekehrung begleitet wäre? Mit Nachdruck und besonderer Herzlichkeit bitte ich die gottgeweihten Menschen, eine Gewissenserforschung über ihr eigenes Leben vornehmen zu wollen. Ihre Berufung zur Ganzhingabe an Gott und die Kirche muß im Rhythmus von Geben und Empfangen gelebt werden. Wenn sie viel empfangen haben, müssen sie auch viel geben. Ihr reiches geistliches Leben und ihr hochherziges Sichverschenken im apostolischen Dienst bilden günstige Voraussetzungen für das Erwachen neuer Berufungen. Ihr Lebenszeugnis und ihr Mitwirken entsprechen den liebevollen Plänen der göttlichen Vorsehung (vgl. Optatam totius, Nr. 2). Schließlich lade ich in aufrichtigem Vertrauen alle gläubigen Familien ein, über den Sendungsauftrag nachzudenken, den sie von Gott zur Erziehung ihrer Kinder im Glauben und für ein christliches Leben erhalten haben. Das ist ein Auftrag, der auch die Verantwortung für die Lebensberufung ihrer Kinder umfaßt. „Die Kinder sollen so erzogen werden, daß sie einmal als Erwachsene, in vollem Bewußtsein ihrer Verantwortung, ihrer Berufung, auch einer geistlichen, folgen können“ (Gaudium et spes, Nr. 52). Das Zusammenwirken von Familie und Kirche auch im Bereich geistlicher Berufe ist tief verwurzelt im Geheimnis und Auftrag der christlichen Familie: „Eine Familie, die offen ist für die transzendenten Werte, die den Brüdern in Freude dient, die hochherzig und treu ihre Aufgaben erfüllt und sich Tag für Tag ihrer Teilnahme am österlichen 1093 Botschaften und Ansprachen Geheimnis des Kreuzes Christi bewußt ist, eine solche Familie wird zum ersten und besten Seminar für die Berufung zu einem dem Reiche Gottes geweihten Leben“ (Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, Nr. 53). Zum Abschluß dieser Überlegungen und Anstöße bitte ich Euch, zusammen mit mir das folgende Gebet zu sprechen: Herr Jesus Christus, Guter Hirt, der du dein Leben dahingegeben hast, damit alle das Leben haben, schenke uns, deiner gläubigen Gemeinde in aller Welt, die Fülle deines Lebens und gib uns die Kraft, es zu bezeugen und an andere weiterzugeben. Herr Jesus Christus, gib die Fülle deines Lebens allen Menschen, die sich dir für den Dienst an der Kirche geweiht haben, laß sie glücklich sein in ihrer Hingabe, unermüdlich in ihrem Dienst, hochherzig in ihrem Opfer; ihr Beispiel öffne weitere Herzen, um deinen Ruf zu vernehmen und ihm zu folgen. Herr Jesus Christus, schenke die Fülle deines Lebens den christlichen Familien, damit sie eine lebendige Bereitschaft zum Glauben und Dienst in deiner Kirche haben und so dazu beitragen, daß neue geistliche Berufungen aufkeimen und wachsen. Herr Jesus Christus, gib die Fülle deines Lebens allen Menschen, vor allem den Jungen und Mädchen, die du in deinen Dienst rufst; erleuchte sie bei ihrer Wahl; stärke sie in den Schwierigkeiten; stütze sie in ihrer Treue; schenke ihnen Bereitschaft und Mut, ihr Leben nach deinem Beispiel einzusetzen, damit andere das Leben haben. In der Gewißheit, daß die heilige Jungfrau Maria, Gottesmutter und Mutter der Kirche, mit ihrer machtvollen Fürsprache dieses Bittgebet unterstützen und ihrem Sohn Jesus Christus empfehlen wird, rufe ich auf Euch alle, verehrte Brüder im Bischofsamt, auf die Priester, die Männer und Frauen im Ordensleben und auf das ganze christliche Volk und besonders auf die Alumnen der Seminare in den Diözesen und Ordensgemeinschaften die Fülle göttlicher Gnaden herab und erteüe als deren Unterpfand allen von ganzem Herzen meinen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 2. Februar 1982, dem Fest der Darstellung des Herrn, im vierten Jahr meines Pontifikats. PAPST JOHANNES PAUL II. (O.R. 21. 4. 82) 1094 Botschaften und Ansprachen Ordnung und Sicherheit gewährleisten Predigt bei der Messe mit den Schweizer Gardisten an der Lourdesgrotte im Vatikan am 6. Mai Liebe Schweizer Gardisten, meine Brüder und Schwestern! Es hat auf die Apostel einen tiefen Eindruck gemacht, daß Jesus, ihr Meister, der Messias, ihnen, seinen Jüngern, vor dem letzten Abendmahl die Füße gewaschen hat. Unmittelbar haben sie dabei verstanden: Hier ist die Mitte aller Taten und Worte Jesu. Sein Leben bedeutet Dienen, Sichverschenken; die Macht des Messias ist die Liebe. Das gleiche erwartet Jesus auch von seinen Jüngern. Soeben haben wir ihn im Evangelium sprechen gehört: „... der Knecht ist nicht größer als sein Herr, und der Abgesandte ist nicht größer als der, welcher ihn gesandt hat“ (Joh 13, 16). Wenn er dient, können wir nicht Herren sein; wenn er liebt, können wir uns nicht verschließen; wenn er sich zum Menschen hinabbeugt, können wir uns nicht erhaben fühlen. „Selig seid ihr, wenn ihr das wißt und danach handelt“ (ebd. 17). Ja, Jesus lädt uns alle ein, ihn selbst zum Maßstab für unser Leben und Verhalten zu nehmen, so wie er seinen göttlichen Vater im Himmel zum alleinigen Maßtab und Mittelpunkt seines Lebens erwählt hat. Am Schluß des heutigen Evangeliums sagt er sogar: „Wer den aufnimmt, den ich sende, nimmt mich auf; wer aber mich auf nimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat“ (ebd. 20). Kann man sagen, die vielen Menschen, denen ihr, hebe Gardisten, in eurem täglichen Dienst hier im Vatikan begegnet, seien „von Jesus gesandt“? Wenn wir diesen Vorgang mit den Augen der Vorsehung tief genug betrachten, so meine ich, daß wir es so verstehen können. Auch wenn einige ohne Glauben und kühl sich unseren Toren und Türen nähern, so tragen sie doch wenigstens Fragen in sich, Fragen an die Kirche, Fragen an uns Christen, Fragen an die Jünger Jesu: „Sie sind von Jesus gesandt!“ Wenn ihr sie mit Liebe und Achtung aufnehmt, nehmt ihr in ihnen also Jesus selbst auf. Eine solche Sicht Und Verhaltensweise ist jedoch nur möglich, wenn jemand bewußt Christ sein will, wenn er aus der Kraft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu leben bereit ist. Eure Ausbüdung und Dienstordnung sind wichtig; noch wichtiger ist aber, daß ihr bewußte Katholiken und Christen seid. Das gilt für euer Verhalten zu den vielfältigen Besuchern des Vatikans; das güt auch für euren Umgang miteinander, sei es im Dienst oder wo auch immer in eurer Freizeit. So ist es sehr sinnvoll, diesen 1095 Botschaften und Ansprachen euren Festtag mit einer heiligen Messe zu beginnen. Hier begegnen wir uns alle im Herrn: Gardisten, die ihr heute euren Diensteid ablegt oder schon länger dient, Eltern, Verwandte und Freunde, einige priesterliche Mitbrüder und sogar einer eurer Heimatbischöfe. Mit euch allen dieses heilige Meßopfer zu feiern, ist mir eine große Freude. Auch möchte ich diese Gelegenheit benutzen und euch, lieben Neugardisten, herzlich dafür danken, daß ihr euch eine Zeitlang dem obersten Hirten der Kirche, dem Papst, zur Verfügung stellt, um mitzuhelfen, die notwendige äußere Ordnung und Sicherheit im Bereich des Vatikans zu gewährleisten. Ich hoffe, daß während eurer Dienstzeit die Verbindung zu euren lieben Familien und zu eurer Heimat so lebendig bleibt, daß diese euch nicht gleichsam als „verlorene Söhne“ ansehen werden, sondern sich mit euch freuen über diese einzigartige Möglichkeit, neue Lebenserfahrungen zu machen. Die Heiligen Sebastian, Martin und Bruder Klaus seien die Schutzpatrone eures Dienstes. Maria, Gottesmutter und unser aller Mutter, leite uns immer mehr hin zu deinem Sohn Jesus Christus: „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2, 5). (In Französisch fuhr der Papst fort:) Den Schweizer Gardisten französischer Sprache möchte ich auch wiederholen, daß sie hier dazu berufen sind, einen hohen Dienst zu leisten, der seit Jahrhunderten von den Päpsten sehr geschätzt wird. Er besteht darin, dem Papst und seinen Mitarbeitern zu dienen, ihren persönlichen Schutz und den Schutz des Päpstlichen Hauses zu gewährleisten, den Gästen des Papstes zu dienen ebenso wie den Pügem und Besuchern, die kommen, um ihn zu sehen, zu hören und mit ihm zu beten, damit sie alle mit Würde und Freundlichkeit empfangen werden. Indem ihr dies tut, empfangt ihr Christus selbst, dient ihr Christus selbst. 1096 Botschaften und Ansprachen Evangelisierung hängt von der Familie ab Ansprache an die Teilnehmer der Jahresvollversammlung der Päpstüchen Missionswerke am 7. Mai Meine Lieben! Ich freue mich, mit euch, den Verantwortlichen der Päpstlichen Missionswerke für die Glaubensverbreitung, des Petruswerkes, des Kindermissionswerkes und der Missionsunion auch in diesem Jahr wieder zusammenzutreffen. Ich begrüße vor allem Kardinal Agnelo Rossi, den Präfekten der Kongregation für die Glaubensverbreitung; sodann begrüße ich Msgr. Simon Lourdusamy, den Sekretär dieser Kongregation und Präsidenten der Päpstlichen Missionswerke, die Mitglieder des Leitungsrates, das Personal der vier Generalsekretariate sowie die zahlreichen Nationaldirektoren, die zur Teilnahme an der Jahresvollversammlung des Leitungsrates nach Rom gekommen sind. 1. Orientiert an den Prinzipien der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe, habt ihr gebührend überlegt, wie die in den christlichen Gemeinden gesammelten Hilfsgelder auf die verschiedenen Missionen aufgeteilt werden sollen, und ihr habt auch einige Tage dem Studium der Pastoralpro-bleme gewidmet, die sich aus den vielfältigen Initiativen der missionarischen Zusammenarbeit ergeben, welche - das sei nachdrücklich betont -ihren Grund nicht nur in wirtschaftlichen, sondern vor allem in moralischen und geistlichen Aspekten hat. Äußerst aktuell und bedeutsam erschien mir das für die Jahresversammlung gewählte Thema: „Die Päpstlichen Missionswerke im Dienst der Glaubensverbreitung der Familie.“ Wie ich in dem jüngsten Apostolischen Schreiben Familiaris consortio ausgeführt habe, ist „die christliche Familie die erste Gemeinschaft, der es obliegt, dem heranwachsenden Menschen das Evangelium zu verkünden und ihn durch eine fortschreitende Erziehung und Glaubensunterweisung zur vollen menschlichen und christlichen Reife zu führen“ (Nr. 2). Daraus folgt also, daß „die Evangelisierung in Zukunft zu einem großen Teil von der,Hauskirche“ abhängen wird“ (ebd'„ Nr. 52). Ich fordere euch auf, dieses besonders wichtige Thema entsprechend zu vertiefen, ist es doch von beachtlicher Tragweite hinsichtlich der Bedingungen, unter denen die Missionswerke den Sendungsauftrag der Familie zur Evangelisierung in der ganzen Welt fördern können. Es ist ein gewaltiger Bereich, in dem ihr durch eine wirksame, koordinierte und gut 1097 Botschaften und Ansprachen geplante Aktion tätig sein müßt. Der Beitrag, den die Familie zur Missionstätigkeit leisten kann, ist wirklich grundlegend. 2. Ich wollte in diesem Jahr die Botschaft zum Weltmissionstag dem Gedenken an den 25. Jahrestag der Enzyklika Fidei donum widmen; denn jenem maßgebenden Dokument meines verehrten Vorgängers Pius XII. kommt das Verdienst zu, durch die direkte Einbeziehung auch von Diözesanpriestern und Laien in diese vortreffliche Tätigkeit unzähligen neuen Kräften die Wege der Evangelisierung erschlossen zu haben. Seit der Veröffentlichung jener Enzyklika haben viele Kleriker und Laien aus allen Diözesen das oft heroische Wirken der Missionare und Missionarin-nen verdienstvoller Ordensfamilien unterstützt, indem sie ihnen wirksame Hilfe leisteten und zugleich sich selbst um wertvolle Erfahrungen bereicherten, die sie dann an die Gläubigen ihrer Heimatdiözesen Weitergaben und so ein fruchtbares Interesse für das Werk missionarischer Betätigung weckten. Die verschiedenen Initiativen, die in diesen fünfundzwanzig Jahren entstanden sind, werden in geeigneter Weise in allen ihren gültigen, aber auch in den möglicherweise weniger positiven Aspekten geprüft und gesichtet werden müssen, um - falls es notwendig sein sollte - Schritte für ihre Verbesserung, Erneuerung und Vervollkommnung zu unternehmen. Ich beauftrage hier die Verantwortlichen der zentralen Leitung und die Nationaldirektoren, den Priestern und Laien den Geist der noch immer aktuellen Enzyklika Fidei donum zu erläutern. 3. Ich bin außerdem darüber unterrichtet, daß die meisten von euch an den Feierlichkeiten zum 150. Jahrestag der Gründung des Franziskus-Missionsvereins und des hundertsten Todestages seines Gründers Dr. Heinrich Hahn teilnehmen, die demnächst in Deutschland stattfinden werden. Auch aus diesem Anlaß gebe ich meiner Freude Ausdruck und spreche ich meine Wünsche für ein gutes Gehngen dieser Veranstaltungen zu gunsten der Missionen aus. Zum Abschluß dieser herzlichen Begegnung, die vor allem Ermutigung und Ansporn für euch alle sein soll, euren für das Leben der Kirche so wesentlichen Einsatz gut fortzusetzen, muß ich noch einmal unterstreichen, daß die Päpstlichen Missionswerke das wichtigste und wirksamste Instrument der missionarischen Zusammenarbeit sind, wie das Zweite Vatikanische Konzil ausdrücklich erklärt hat (vgl. Ad gentes, Nr. 38). Ich bin euch darum zutiefst dankbar für euer Gebet, für eure tägliche Arbeit und für die Opfer, die ihr für die Sache der Missionen bringt, und ich wünsche, daß das ganze christliche Volk an der Verwirklichung dieser 1098 Botschaften und Ansprachen Ideale mitarbeiten möge, die die größte und brennendste Sorge des Stellvertreters Christi ausmachen. Auf euch, die ihr hier anwesend seid, auf eure Mitarbeiter, auf alle Wohltäter und auf alle, die euch heb sind, komme stärkend der Apostolische Segen, den ich euch jetzt aus ganzem Herzen erteile. (O.R. 8. 5. 82) Heranbildung einheimischer Kräfte frühzeitig gefördert Schreiben zum 150jährigen Bestehen von „Missio“ vom 10. Mai Meinem ehrwürdigen Bruder, Joseph Kardinal Höffner, Erzbischof von Köln und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Vor 150 Jahren haben katholische Laien in der Stadt Aachen das Missionswerk gegründet, das sich heute „Missio“ nennt und weltweite Anerkennung genießt. Sie folgten damals dem Beispiel der Französin Pauline Jaricot, die überaus deutlich und mitverantwortlich erkannt hatte, daß die Kirche für die Verkündigung der Frohen Botschaft in aller Welt nicht nur der Glaubensboten, sondern auch finanzieller Mittel bedarf. Deshalb hatte sie damit begonnen, Laien um sich zu sammeln, die sich verpflichteten, regelmäßig einen kleinen Betrag zur Finanzierung der Missionsarbeit zu spenden. Dadurch wurde, lange bevor die heutigen Hilfswerke für die Dritte Welt entstanden, durch viele kleine Spenden ein großer Solidaritätsfonds geschaffen. Der Aachener Arzt Dr. Heinrich Hahn war von dieser Idee fasziniert und tat seinerseits alles, um das Werk nicht nur in seiner Heimatstadt, sondern in allen deutschen Diözesen einzuführen, während Münchener Bürger es im damaligen Königreich Bayern aufbauten. Diese mutige Initiative gab nicht nur der Glaubensverkündigung neue Impulse, sondern machte es den Missionaren auch möglich, in Lateinamerika, Afrika und Asien zahlreiche Ausbildungsstätten, Krankenhäuser und andere soziale und kirchliche Projekte zu schaffen. Welche finanziellen Mittel von diesem 1099 Botschaften und Ansprachen Missionswerk seit seiner Gründung vor 150 Jahren aufgebracht worden sind, ist kaum zu ermessen. Unübersehbar ist, was dadurch in den Missionsgebieten ermöglicht und verwirklicht worden ist. Der Aachener Zentrale von „Missio“ gebührt das Verdienst, schon frühzeitig die Wichtigkeit der Heranbildung einheimischer kirchlicher Führungskräfte in den Missionsländem erkannt und dafür erhebüche Mittel zur Verfügung gestellt zu haben. Mit ihrer Hilfe konnten Priesterseminare erbaut und Ausbildungsbeihilfen für Priesteramtskandidaten gewährt werden. Zugleich konnten dadurch zahlreiche einheimische Ordensschwestern eine qualifizierte Ausbildung erhalten. Eine besondere Erwähnung und Anerkennung verdient die mit großer Opferbereitschaft der Gläubigen durchgeführte Katechetenaktion. Dieses Missionswerk, das von Laien gegründet wurde, hat mein Vorgänger Pius XI. wegen seiner gesamtkirchlichen Bedeutung direkt dem Hl. Stuhl unterstellt. Dennoch ist es ein Werk der deutschen Katholiken gebheben. Deshalb möchte ich Ihnen, sehr verehrter Herr Kardinal, dem gesamten deutschen Episkopat und allen deutschen Katholiken zum 150jährigen Jubiläum von „Missio“ meine aufrichtigen Glückwünsche aussprechen und zugleich allen von Herzen dafür danken, was seither durch dieses Werk für die Weltmission und damit für die Weltkirche getan worden ist. Gleichzeitig bitte ich Sie, „Missio“ auch in Zukunft Ihre besondere Unterstützung zu gewähren. Schließlich wird heute trotz allen technischen Fortschritts vielerorts wieder mit größerer Dringlichkeit die Frage nach dem letzten Sinn menschlicher Existenz gestellt, und nur das Evangelium hat die richtige Antwort darauf. Deshalb zeigt man heute auch wieder mehr Verständnis für die bleibende Notwendigkeit der Evangelisierung, die auch dort noch unerläßlich bleibt, wo die ökonomischen und sozialen Probleme weitgehend gelöst zu sein scheinen. Mission ist nach wie vor eine Grundpflicht des Gottesvolkes und eine wesentliche Aufgabe der ganzen Kirche, und sie wird bis zum Ende der Zeiten nichts von ihrer Aktualität verlieren. Im Namen Jesu Christi, des Herrn der Ernte, erteile ich der katholischen Kirche in Ihrem Land, vor allem der verantwortlichen Leitung und den Mitarbeitern von „Missio“ sowie allen hochherzigen Spendern, den deutschen Missionshelfem und Missionaren in aller Welt in besonderer Dankbarkeit den Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 10. Mai 1982 PAPST JOHANNES PAUL II. 1100 Botschaften und Ansprachen „Ein Gott des immer neuen Anfangs“ Schreiben an den Bischof von Augsburg, Josef Stimpfle, zum Diözesan-Katholikentag vom 10. Mai Meinem ehrwürdigen Bruder, Josef Stimpfle, Bischof von Augsburg. Mit Freude habe ich erfahren, daß sich die Gläubigen Ihrer Diözese am Sonntag der Pfingstnovene in der Bischofsstadt Augsburg versammeln, um gemeinsam die geistliche Botschaft zu verlebendigen, die ich vor eineinhalb Jahren in den Gnadentagen meiner Pastoraireise durch Ihr geschätztes Land habe verkünden dürfen. Die Saat, die Gott damals durch mein Wort in so viele offene Herzen streute, darf nicht „von den Domen erstickt werden“ (vgl. Mt 13, 7), wie der Herr selbst uns mahnt, sondern soll ihre Frucht zur vollen Reife bringen. In einer großen Novene hat sich Ihr ganzes Bistum durch vielfältige Initiativen auf den verschiedenen Ebenen: in den Familien, Pfarrgemeinden und in den kirchlichen Vereinigungen, auf die Glaubensverkündigung besonnen, die bei meinem Besuch in den Herzen vieler Menschen innerhalb und außerhalb der sichtbaren Kirche Wurzeln schlagen konnte und die auch andernorts inzwischen manche Nachbereitung und Vertiefung erfahren hat. „Ich habe gepflanzt“, schreibt der hl. Paulus, „Apollos hat begossen, Gott aber ließ wachsen“ (7 Kor 3, 6). Der eine pflanzt, der andere pflegt; immer aber ist es Gott, der das Gedeihen gibt. Möge er auch den großen Einsatz, mit dem das Triduum dieses Diözesan-Katholikentages geistig und organisatorisch vorbereitet wurde, durch seinen Segen fruchtbar machen! Unser Gott ist ein Gott des immer neuen Anfangs. Bei meinem Besuch wünschte ich als bleibende Frucht, daß die „Geschichte des Christentums in Eurem Land jetzt neu beginnen soll“ (vgl. Homilie an die Vertreter der katholischen Verbände und Räte, Fulda, 18. 11. 1980). Ebenso wünsche ich auch bei diesem Katholikentag eine tiefgreifende Erneuerung, gleichsam einen „Neubeginn“ der Geschichte des Christenums im Bistum Augsburg; einen Neubeginn, zu dem auch das verpflichtende Beispiel der zahlreichen Heiligen und einige bedeutende Ereignisse in der Vergangenheit dieser Diözese aufrufen und ermutigen: die Glaubenstreue der hl. Afra in der Zeit des römischen Imperiums, die Hirtensorge des hl. Sintpert unter Karl dem Großen, der Mut und die Entschlossenheit des hl. Ulrich in der Verteidigung der abendländischen Christenheit, die erleuchtete Lehre und Heiligkeit des Albertus Magnus, der fordernde Anruf der 1101 Botschaften und Ansprachen Confessio Augustana sowie des Augsburger Religionsfriedens bis hin zu dem großen Gelehrten und Seelsorger Johann Michael Sailer, dessen Tod sich in diesen Tagen zum 150. Mal jährt. Der Schöpfergeist, der in all diesen Jahrhunderten trotz mancher Niedergänge so viel Herrliches erblühen ließ, kann die Söhne und Töchter Ihres Bistums auch in unserer Generation dazu befähigen, nachdem von Ihnen gewählten Leitwort „Gott zum Inhalt Ihres Lebens zu machen“ und so eine neue Blüte seines Reiches in ihrer Mitte herbeizuführen. Das ist mein inniger Wunsch und mein Gebet. Von Herzen grüße ich alle Teilnehmer dieses Diözesan-Katholikentages und erteile Ihnen, sehr verehrter Herr Bischof, und Ihren bischöflichen Mitbrüdern, den Priestern und Diakonen, den Ordensleuten, den Laien-mitarbeitem sowie dem ganzen Bistum Augsburg im Vertrauen auf die mütterliche Fürsprache Mariens den Segen des allmächtigen Gottes: des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Aus dem Vatikan, am 10. Mai 1982 PAPST JOHANNES PAUL II. (O.R. 24.125. 5. 82) Himmelfahrt bedeutet Verwandlung der Gegenwart Predigt bei der Messe vor der Lourdes-Grotte in den Vatikanischen Gärten am Fest Christi Himmelfahrt, 20. Mai <33> <33> „Der Herr wurde in den Himmel auf genommen und setzte sich zur Rechten Gottes“ (Mk 16, 19). In diesen Worten aus dem Markusevangelium ist das Geheimnis zusammengefaßt, dessen wir heute, am Fest Christi Himmelfahrt, gedenken. Und ich freue mich, diesen Gottesdienst gemeinsam mit euch, liebe Brüder und Schwestern, zu feiern, in der Verbundenheit in Glauben und Intention, in erneuerter Anhänglichkeit an den Herrn und seine Kirche. Das heutige Fest lädt uns vor allem dazu ein, über die Bedeutung des Geheimnisses, das wir feiern, nachzudenken. Was heißt, Jesus fuhr zum Himmel auf? Die Kategorien des Raumes ermöglichen uns kein zurei- 1102 Botschaften und Ansprachen chendes Verständnis dieses Ereignisses, dessen Sinn und Fruchtbarkeit sich nur dem Glauben erschließt. „Er setzte sich zur Rechten Gottes“: Das ist die erste Bedeutung der Himmelfahrt. Auch wenn es sich hier um einen bildhaften Ausdruck handelt, da Gott weder eine Rechte noch eine Linke hat, enthält er eine wichtige christologische Botschaft: Der auferstandene Christus ist vollständig, auch mit seiner Menschlichkeit, in das Reich eingegangen, um ganz der göttlichen Herrlichkeit anzugehören, ja teilzuhaben am Heilswirken Gottes selbst. Das haben wir in der zweiten Lesung gehört: „Er hat ihn im Himmel auf den Platz zu seiner Rechten erhoben, hoch über alle Fürsten und Gewalten, Mächte und Herrschaften“ (Eph 1, 20-21). Der Christ hat jetzt kein anderes Haupt außer Jesus Christus. „Alles hat er ihm zu Füßen gelegt“ {Eph 1, 22). Christus ist nicht nur unser Haupt, sondern auch der „Pantokrator“, der „Weltenherrscher“, der seine Herrschaft über alle Dinge ausübt. Diese Aussagen haben eine konkrete Bedeutung für unser Leben. Keiner von uns darf sich mehr einem anvertrauen, der nicht Christus ist, denn, was außer ihm ist, ist ihm unterlegen. Wir sind darum aufgefordert, uns in die Größe und die Schönheit unseres einen Herrn zu versenken und uns das Gebet aus dem Epheserbrief, das wir vorhin gehört haben, zu eigen zu machen: „Gott erleuchte die Augen unseres Herzens, damit wir verstehen, . . . wie überragend groß seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist durch das Wirken seiner Kraft und Stärke, die er an Christus erwiesen hat“ (vgl. Eph 1, 18-20). In diesen Worten spüren wir die überquellende Freude des Christen, der die Tiefe des Ostergeheimnisses und den unerschöpflichen Reichtum seiner Heilsmöglichkeiten für uns kennt oder zumindest ahnt und sie anbetet. Das heutige Fest führt uns also zu den Fundamenten unseres Glaubens zurück. 2. Aber das Fest Christi Himmelfahrt hat noch einen anderen wichtigen Aspekt, der in der ersten Lesung wie im Evangelium zum Ausdruck kommt. „Ihr werdet meine Zeugen sein ... bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1, 8). „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ (Mk 16, 15). Es gibt eine Pflicht, eine Verpflichtung zur Zeugenschaft, die aus unserem Glauben kommt. Man kann nicht die Verherrlichung des Herrn Jesus feiern und dann ein bindungsloses Leben führen, indem man sich über seine höchste Weisung hinwegsetzt. Die Himmelfahrt erinnert uns daran, daß sich Jesus der sinnlich wahrnehmbaren Erfahrung seiner Jünger auch deshalb entzieht, um das Feld denen zu überlassen, die nunmehr seine Sendung in der Geschichte weiterführen und seinen pastoralen Eifer und seine missionarische Hin- 1103 Botschaften und Ansprachen gäbe fortsetzen, auch wenn dies mit mancherlei Schwächen einhergeht. Nicht umsonst folgt - nach dem Bericht der Apostelgeschichte - kurz darauf Pfingsten mit der Ausgießung des Heiligen Geistes, mit der die Missionsgeschichte der Kirche ihren Anfang nimmt. Er ist bei uns Wir sind daher heute auch eingeladen, unsere apostolischen Verpflichtungen zu erneuern, indem wir unsere Vorhaben in die Hände des Herrn legen. Wenn wir das tun, müssen wir die lebendige Gewißheit bewahren, daß seine Himmelfahrt nicht ein Abschied war, sondern nur die Verwandlung einer Gegenwart, die nicht abnimmt. Christus ist auch heute unter uns; er ist bei uns. „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ {Mt 28, 20). Nur daher rührt unsere Kraft, aber auch unsere Beständigkeit und unsere Freude. 3. Liebe Brüder und Schwestern, denken wir im weiteren Verlauf der hl. Messe im Gebet über diese Gedanken nach. Erneuern wir unseren christlichen Glauben und unseren apostolischen Eifer. Der mütterliche Beistand Mariens, die wir bei diesem Gottesdienst in der Grotte der Seligen Muttergottes von Lourdes anrufen, möge uns dabei helfen. Sie, die bei dem Ereignis, das in der Apostelgeschichte berichtet wird (vgl. Apg 1, 9.14) höchstwahrscheinlich anwesend war, möge uns in diesem Augenblick die Gedanken und Bitten eingeben, die dem Herrn am willkommensten sind. Amen. (O.R. 21./22. 5. 82) Begegnung der Heilsbotschaft mit der Vielzahl der Kulturen Schreiben an Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli zur Gründung des Päpstlichen Rates für die Kultur vom 20. Mai Herr Kardinal! Seit Beginn meines Pontifikats vertrat ich die Meinung, daß der Dialog der Kirche mit den Kulturen unserer Zeit einen lebenswichtigen Bereich 1104 Botschaften und Ansprachen darstelle, in dem das Schicksal der Welt in diesem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts auf dem Spiel steht. Es gibt in der Tat eine fundamentale Dimension, die die Systeme, welche die ganze Menschheit strukturieren, festigen oder bis in ihre Grundlagen erschüttern kann und den Menschen in seiner persönlichen und gesellschaftlichen Existenz von den Bedrohungen, die auf ihm lasten, zu befreien vermag. Diese fundamentale Dimension ist der Mensch selbst in seiner Ganzheit. Nun lebt der Mensch aber nur dank der Kultur ein wahrhaft menschliches Leben. „Ja, die Zukunft des Menschen hängt von der Kultur ab“, erklärte ich in meiner Ansprache am 2. Juni 1980 vor der UNESCO an die ihrer Herkunft und ihren Überzeugungen nach ganz verschiedenen Gesprächspartnern und setzte hinzu: „Wir alle, die wir hier anwesend sind, wir begegnen einander auf dem Boden der Kultur als einer grundlegenden Realität, die uns eint. . . Wir begegnen einander in der Sorge um den Menschen, ja in gewissem Sinne in ihm, im Menschen selbst“ (Ansprache an den Exekutivrat der UNESCO in Paris am 2. 6. 1980, in: O. R. dt. vom 6. 6. 80, S. 4). Das waren die Beweggründe dafür, daß ich ab 15. November 1979 sämtliche in Rom versammelten Mitglieder des Kardinalskollegiums und dann, am 17. Dezember 1980, alle Leiter der Dikasterien über das grundlegende Problem der Verantwortlichkeit des Hl. Stuhls gegenüber der Kultur konsultieren wollte, um mit ihnen die gesammelten Stellungnahmen zu erörtern, die bei der Befragung eingeholt wurden, mit der ich in der Zwischenzeit Kardinal Gabriel-Marie Garrone beauftragt hatte. Auf mein Ersuchen hin hat dieser schließlich die Überlegungen eines am 25. November 1981 eingesetzten Rates angeregt und gebeten, innerhalb weniger Monate konkret zu studieren, wie die Beziehungen der Kirche und des Hl. Stuhls zur Kultur in ihren verschiedenen Ausdrucksformen besser gewährleistet werden können. Ich möchte dem verehrten und lieben Kardinal von Herzen danken für die von ihm zu diesem Zweck geleistete vorbildliche Arbeit mit dem hochherzigen Beitrag der Institutionen, die in enger Beziehung mit der Welt der Kultur stehen: der Kongregation für das katholische Bildungswesen, dem Sekretariat für die Nichtglaubenden, der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften und dem Forschungszentrum der Internationalen Föderation der Katholischen Universitäten. Jetzt ist der Augenblick gekommen, um aus diesen Arbeiten Gewinn zu ziehen. Mir scheint es daher angebracht, ein eigenes ständiges Organ zu gründen, dem die Förderung der großen Zielsetzungen obliegen soll, die das Zweite Vatikanische Konzil den Beziehungen zwischen Kirche und Kultur gestellt hat. Das Konzil, das diesem Thema einen ganzen Abschnitt 1105 Botschaften und Ansprachen der Pastoralkonstitution Gaudium et spes gewidmet hat, unterstrich die grundlegende Bedeutung der Kultur für die volle Entwicklung des Menschen, die vielfältigen Bande zwischen der Heilsbotschaft und der Kultur, die wechselseitige Bereicherung der Kirche und der verschiedenen Kulturen in der historischen Gemeinschaft mit den verschiedenen Zivilisationen sowie auch die Notwendigkeit für die Gläubigen, die Art des Denkens und Fühlens der anderen Menschen ihrer Zeit gründlich zu verstehen, wie sie sich in den jeweiligen Kulturen ausdrücken (Gaudium et spes, Nr. 53-62). In den Spuren des Konzils hat die im Herbst 1974 abgehaltene Versammlung der Bischofssynode sich klar die Rolle der verschiedenen Kulturen bei der Evangelisierung der Völker bewußt gemacht. Und mein Vorgänger Paul VI., der das Ergebnis ihrer Arbeiten in das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi aufnahm, erklärte: „Das Evangelium und somit die Evangelisierung identifizieren sich natürlich nicht mit der Kultur und sind unabhängig gegenüber allen Kulturen. Dennoch wird das Reich, das das Evangelium verkündet, von Menschen gelebt, die zutiefst an eine Kultur gebunden sind, und die Errichtung des Gottesreiches kann nicht darauf verzichten, sich gewisser Elemente der menschlichen Kultur bzw. Kulturen zu bedienen. Unabhängig zwar gegenüber den Kulturen, sind Evangelium und Evangelisierung jedoch nicht notwendig unvereinbar mit ihnen, sondern fähig, sie alle zu durchdringen, ohne sich einer von ihnen zu unterwerfen“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 20). Indem auch ich das reiche Erbe des ökumenischen Konzils, der Bischofssynode und meines verehrten Vorgängers Paul VI. aufgriff und zusammenfaßte, habe ich am 2. Juni 1980 in Paris zuerst im Institut Catholique und dann vor der außerordentlichen Versammlung der UNESCO bekundet, welches organische und grundlegende Band zwischen dem Christentum und der Kultur, also mit dem Menschen in seinem Menschsein, besteht. Die Verbindung zwischen dem Evangelium und dem Menschen -so führte ich in meiner Ansprache vor dem Areopag von Männern und Frauen aus Kultur und Wissenschaft aus der ganzen Welt aus - „ist in der Tat in ihrem Fundament selbst kulturschaffend“. Und wenn die Kultur das ist, wodurch der Mensch als solcher mehr Mensch wird, steht in ihr das Schicksal des Menschen selbst auf dem Spiel. Daraus ergibt sich für die Kirche, die dafür die Verantwortung trägt, die Bedeutung eines gewissenhaften und weitblickenden pastoralen Wirkens im Hinblick auf die Kultur, insbesondere im Hinblick auf das, was man als lebende Kultur bezeichnet, also die Gesamtheit der Grundsätze und Werte, die das Ethos eines Volkes ausmachen: „Die Synthese zwischen Kultur und Glaube ist nicht 1106 Botschaften und Ansprachen nur ein Erfordernis der Kultur, sondern auch des Glaubens . . . Ein Glaube, der nicht Kultur wird, ist kein voll angenommener, kein ganz durchdachter und kein treu gelebter Glaube“, so sagte ich am 16. Januar 1982 (Ansprache an die Teilnehmer am Nationalkongreß der Kirchlichen Bewegung für kulturelles Engagement). Gewiß sind schon seit geraumer Zeit viele Organismen der Kirche auf diesem Gebiet tätig (vgl. Apostolische Konstitution Sapientia christiana, Ostern 1979), und es gibt unzählige Christen, die sich den Weisungen des Konzils entsprechend gemeinsam mit vielen Gläubigen und Nichtglaubenden darum bemühen, „jedem einzelnen und allen gesellschaftlichen Gruppen eines jeden Volkes zu ermöglichen, zur vollen Entfaltung ihres kulturellen Lebens zu gelangen, wie sie ihren Anlagen und Überlieferungen gemäß ist“ (Gaudium etspes, Nr. 60). Auch dort, wo sich bestimmte Lehrer des Denkens an agnostischen, der christlichen Tradition feindlichen oder sogar ausgesprochen atheistischen Ideologien inspirieren, ist es für die Kirche nur um so dringender notwendig, einen Dialog mit den Kulturen anzuknüpfen, damit der heutige Mensch entdecken kann, daß Gott, weit davon entfernt, Rivale des Menschen zu sein, ihm die Fähigkeit gibt, sich voll als sein Bild und Gleichnis zu verwirklichen. Denn der Mensch vermag in der Tat, sich selbst unendlich weit zu übertreffen, was ganz offenkundig die Bemühungen bewiesen, die so viele schöpferische Geister vornehmen, um in bleibender Weise in den Werken der Kunst und des Denkens transzendente Werte der Schönheit und der Wahrheit zu gestalten, die, mehr oder weniger vergänglich, als Ausdruck des Absoluten erahnt werden. So ist die Begegnung der Kulturen heute ein bevorzugtes Feld des Dialogs zwischen Menschen, die in der Suche nach einem neuen Humanismus für unsere Zeit, jenseits der sie trennenden Gegensätze, engagiert sind: „Auch wir - sagte Paul VI. im Namen aller Konzilsväter, zu denen auch ich gehörte - kultivieren mehr als jeder andere den Menschen“ (Schlußansprache am 7. Dezember 1965). Und vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen rief er aus: „Die Kirche ist Expertin in Humanität“ (Ansprache am 4. Oktober 1965): jener Humanität, der sie in Liebe dient. Die Liebe ist wie eine große, im Herzen der Kulturen verborgene Kraft, die sie beflügeln soll, über ihre hoffnungslose Begrenztheit hinauszuwachsen, indem sie sich demjenigen öffnen, der ihr Anfang und ihr Ende ist, und ihnen, wenn sie sich seiner Gnade öffnen, Bereicherung und Erfüllung schenken soll. Im übrigen ist es notwendig, daß sich unsere Zeitgenossen und insbesondere die Katholiken ernsthaft nach den Bedingungen fragen, die die Grundlage der Entwicklung der Völker bilden. Es wird immer offensicht- lich Botschaften und Ansprachen licher, daß der kulturelle Fortschritt eng mit dem Aufbau einer gerechteren und brüderlichen Welt verbunden ist. Wie ich am 25. Februar 1981 in Hiroshima vor den in der Universität der Vereinten Nationen versammelten Vertretern von Wissenschaft und Kultur sagte: „Der Aufbau einer Menschheit, die gerechter, oder einer internationalen Gemeinschaft, die einiger ist, ist kein leerer Traum und kein unerreichbares Ideal. Er entspricht vielmehr einer ethischen Forderung, ist eine heilige Pflicht, welche der intellektuelle und spirituelle Genius des Menschen auf sich nehmen kann durch eine erneute Mobilisierung der Talente und Kräfte aller, durch die Nutzung aller technischen und kulturellen Möglichkeiten, über welche der Mensch verfügt“ (O.R.dt. vom 13. 3. 81, S. 7). Aufgrund meiner apostolischen Sendung fühle ich daher die mir obhegende Verantwortung, im Rahmen der Kollegialität der Gesamtkirche und im Kontakt und in Übereinstimmung mit den Ortskirchen die Beziehungen des Hl. Stuhls mit allen Bereichen der Kultur zu intensivieren, wobei auch eine fruchtbare internationale Zusammenarbeit sichergestellt werden soll innerhalb der Völkerfamilie oder der „großen Gemeinschaft der Menschen, die geeint sind durch verschiedene Bande, aber vor allem gerade durch die Kultur“ (Ansprache an die UNESCO vom 2. Juni 1980). Ich habe deshalb beschlossen, einen Rat für die Kultur zu gründen und einzusetzen, welcher der gesamten Kirche einen gemeinsamen Impuls geben kann bei der ständig neuen Begegnung der Heilsbotschaft des Evangeliums mit der Vielzahl der Kulturen, in der Verschiedenartigkeit der Völker, denen sie ihre Früchte der Gnade bringen muß. Nachdem ich die oben angeführten Beweggründe gründlich erwogen und auch ihre Zweckmäßigkeit im Gebet bedacht habe und ich nur zu gut weiß, wie eng Sie an meinen Sorgen teilnehmen, übertrage ich somit Ihnen, Herr Kardinal, den Vorsitz der Organisation dieses Päpstlichen Rates für die Kultur, der ein Präsidialkomitee und ein Exekutivkomitee umfaßt und einen aus qualifizierten Vertretern der katholischen Weltkultur gebildeten Internationalen Rat, der mindestens einmal im Jahr einberufen werden soll. Durch Sie wird der Päpstliche Rat für die Kultur direkt mit mir verbunden sein, als ein neuer und originaler Dienst, dem Reflexion und Erfahrung nach und nach einen entsprechend strukturierten Aufbau ermöglichen werden, da die Kirche ja den Kulturen nicht von außen gegenübertritt, sondern vielmehr von innen her, gleich einer Triebkraft, aufgrund des organischen und grundlegenden Bandes, das sie eng miteinander verbindet. Der Rat soll seine Ziele in ökumenischem und brüderlichem Geist zu erreichen versuchen, wobei auch der Dialog mit den nichtchristlichen 1108 Botschaften und Ansprachen Religionen und mit einzelnen oder Gruppen, die sich zu keiner Religion bekennen, gefördert werden soll in gemeinsamer Suche nach einer kulturellen Kommunikation unter allen Menschen guten Willens. Er soll den Hl. Stuhl regelmäßig über die großen kulturellen Tendenzen der heutigen Welt informieren und dabei die Erwartungen der modernen Zivilisation vertiefen und neue Wege des kulturellen Dialogs erkunden, um so dem Päpstlichen Rat für die Kultur eine bessere Erfüllung der Aufgaben zu gestatten, für die er geschaffen wurde. Diese Aufgaben sind in großen Zügen folgende: 1. Vor der Kirche und vor der Welt das tiefe Interesse zu bezeugen, das der Hl. Stuhl aufgrund seiner besonderen Sendung dem Fortschritt der Kultur und des fruchtbaren Dialogs der Kulturen sowie ihrer heilsamen Begegnung mit dem Evangelium schenkt. 2. Anteil zu nehmen an den kulturellen Sorgen, auf welche die Dikaste-rien des Hl. Stuhls bei ihrer Arbeit stoßen, um die Koordinierung ihrer Aufgaben für die Evangelisierung der Kulturen zu erleichtern und die Zusammenarbeit der kulturellen Institutionen des Hl. Stuhls zu gewährleisten. 3. Mit den Bischofskonferenzen ins Gespräch zu kommen auch mit dem Ziel, die ganze Kirche in den Genuß der Forschungen, Initiativen, Realisierungen und Schöpfungen zu bringen, die den Ortskirchen eine aktive Präsenz in ihrem kulturellen Umfeld erlauben. 4. Mit den internationalen katholischen Universitäten, historischen, philosophischen, theologischen, naturwissenschaftlichen, künstlerischen und intellektuellen Organisationen zusammenzuarbeiten und den gegenseitigen Austausch zu fördern. 5. In dem vorgegebenen Umriß - immer unter Vorbehalt der spezifischen Kompetenzen anderer Organismen der Kurie auf diesem Gebiet - die Tätigkeit der internationalen Organisationen zu verfolgen, angefangen bei der UNESCO und dem Rat für die kulturelle Zusammenarbeit des Europarates, die sich für die Kultur, die Wissenschaftsphilosophie und die Wissenschaften vom Menschen interessieren, und die wirksame Beteiligung des Hl. Stuhls an den internationalen Kongressen sicherzustellen, die sich mit Wissenschaft, Kultur und Erziehung befassen. 6. Die Politik und das kulturelle Wirken der verschiedenen Regierungen der Welt zu verfolgen, die rechtmäßig darum bemüht sind, der Förderung des Gemeinwohles der Menschen, für die sie Verantwortung tragen, eine volle menschliche Dimension zu geben. 7. Den Dialog zwischen Kirche und Kultur auf der Ebene der Universitäten und Forschungszentren, Künstler- und Spezialisten-, Forscher- und 1109 Botschaften und Ansprachen Gelehrtenverbände zu erleichtern und wichtige Begegnungen mit diesen Kulturwelten zu fördern. 8. Vertreter der Kultur, die Interesse daran haben, das Wirken der Kirche auf diesem Gebiet besser kennenzulernen und den Hl. Stuhl an ihrer reichen Erfahrung teilnehmen zu lassen, in Rom zu empfangen und ihnen hier einen Ort der Begegnung und des Dialogs zu bieten. Wenn diese großen Linien unter Ihrer hohen Leitung und den Möglichkeiten entsprechend, aber mit klarem und ständigem Einsatz schrittweise in die Tat umgesetzt werden, werden sie gewiß ein Zeugnis und einen Impuls geben. Mit großem Vertrauen und lebendiger Hoffnung beauftrage ich Sie, Herr Kardinal, mit einer so wichtigen Aufgabe, während ich auf diese heute so wichtige und notwendige Initiative die Fülle der göttlichen Hilfe herabrufe. Dazu erteile ich Ihnen meinen besonderen Apostolischen Segen. Rom, St. Peter, am Fest der Himmelfahrt unseres Herrn, dem 20. Mai 1982, im vierten Jahr meines Pontifikats. PAPST JOHANNES PAUL II. (O.R. 21./22. 5. 82) „Den Sinn für geistige Werte wachhalten“ Fernsehbotschaft an den Internationalen Kolping-Kongreß in Innsbruck vom 20. bis 23. Mai Liebe Kolpinggemeinschaft, liebe Brüder und Schwestern! Herzlich grüße ich Euch zu Eurem internationalen Kongreß in Innsbruck, den Ihr unter das Leitwort gestellt habt: „Mit Kolping Brücken bauen.“ Brücken verbinden Getrenntes; sie überwinden Schluchten und Täler. Brücken ermöglichen es, Gräben zu überschreiten: Gräben zwischen Gott und den Menschen, Gräben zwischen Mensch und Mensch. Die gespaltene Welt von heute ruft auf vielfache Weise nach Brückenbauern. 1110 Botschaften und Ansprachen Der Gründer Eures Werkes errichtete solche Brücken. In einer Zeit, in der Unruhen und Wandlungen das geistige und religiöse Leben verunsicherten, schuf er Brücken, auf denen die Menschen zu Gott finden können. Gegen die Erschütterungen in Wirtschaft und Politik entwarf er Brücken für die Verbindung zwischen Kirche und Gesellschaft, Brücken zwischen verschiedenen sozialen Schichten, Brücken der Verständigung zwischen Völkern und Rassen. Damit verwirklichte er, was das Zweite Vatikanische Konzil als Auftrag und als Selbstverständnis der Kirche umschrieben hat. Es nennt die Kirche „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott sowie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Lumen gentium, Nr. 1). In der Kirche hat Adolf Kolping seinen tiefen und zugleich weltoffenen Glauben gefunden: rückhaltlos vertraute er der Vorsehung Gottes; alle und alles wußte er in den Händen des Vaters geborgen. Sagt er doch selbst: „Gottes Arm reicht weiter, als wir denken können.“ Die Kirche war für ihn auch der Ort, wo anderen das gleiche Gottvertrauen geschenkt werden soll. So lautet denn seine erste Weisung an uns: „Liebend erkenne Gott und diene ihm, weil er Herr ist.“ Es ist mir, als müßte ich diesen Satz einem jeden von Euch persönlich sagen: Liebend erkenne Gott und diene ihm, weil er Herr ist. Wahrlich eine Lebensweisung für jedes Glied der Kolpinggemeinschaft; wahrlich eine Losung für jeden, der als Laienapostel anderen den Weg zum menschlichen Glück und zum ewigen Heil zeigen möchte. Eine solche Gottverbundenheit behindert niemals den Einsatz für die Menschen. Darum ist es nicht verwunderlich, daß der Priester Adolf Kolping zum Vater der Gesellen und Handwerker wurde. In knapp 20 Priesterjahren legte er das geistliche und organisatorische Fundament einer Erziehungs- und Bildungsgemeinschaft, die heute als Internationales Kolpingwerk in allen Kontinenten der Welt für die Menschen da sein will. Das Kolpingwerk ist von seinem geschichtlichen Ursprung her am stärksten in den wohlhabenden Industrieländern des alten Kontinents verbreitet. Diese sind heute in einer besonderen Weise von Zukunftsangst und praktischem Materialismus gezeichnet. Und niemand kann übersehen, daß auch die Christen davon angefochten werden; daß das Denken vieler von ihnen vor allem um das eigene Wohlergehen, um Besitz und Vergnügen kreist. Seid euch dieser Gefahren bewußt! In solcher Selbstbezogenheit und Habsucht baut der Mensch, wie Adolf Kolping sagt, „Barrikaden um sein Herz“. 1111 Botschaften und Ansprachen Laßt darum nicht nach, liebe Kolpingsöhne, in den Heranwachsenden das Vertrauen zum Vater im Himmel und den Sinn für geistige Werte wachzuhalten. Gott allein ist der Herr der Zukunft. Er kann uns die Furcht nehmen, und durch ihn kann unser Leben eine besonnene Unbekümmertheit gewinnen. Statt Euch allzusehr um Euch selbst zu sorgen, setzt weiter Eure reichen Mittel und Eure Phantasie ein für Eure Brüder in Not, vor allem für die Ausbildung der Arbeitskräfte in den Entwicklungsländern. Schon lange seid Ihr mit diesem kostbaren Beitrag auf der Seite derer, die der sozialen Ungerechtigkeit in der Welt wehren und dagegen ankämpfen, daß der Abstand zwischen den meisten reichen und den ärmeren Ländern immer noch größer wird. Ferner möchte ich Euch ermutigen, der echten Tradition Eures Werkes im Dienst an der Familie in Euren Plänen und Programmen weiter den ihr zukommenden hohen Rang einzuräumen. Die Erfahrung eines jeden von uns und die wissenschaftlichen Untersuchungen belegen, welche weitreichende Auswirkungen der Raum der Familie auf die seelische Gesundheit eines Kindes und eines Heranwachsenden hat. Keine andere Schule ist so geeignet, Gottes- und Nächstenliebe zu vermitteln wie das lebendige Beispiel der Eltern und Angehörigen. Ich möchte Euch deshalb noch einmal die Worte ans Herz legen, die ich in meinem Apostolischen Schreiben über die Familie sagte: Ihr müßt „der Familie eine besondere Liebe schenken. Das ist ein konkreter, verpflichtender Auftrag“ (Nr. 86). Liebe Freunde der weltweiten Kolpingfamilie, wenn ich Euch diese Ziele vor Augen halte, so vor allem deshalb, um Euch auf Eurem Weg zu bestätigen. Ich kenne Eure Hochschätzung der christlichen Ehe und Familie, Eure Bemühungen um die berufliche Aus- und Weiterbildung junger Menschen, Eure Sorge um Arbeitslose. Mir ist die vielfältige Hilfe Eures Verbandes für Menschen in Not bekannt. Ich weiß um das großherzige Engagement des Internationalen Kolpingwerkes im Bereich der Entwicklungshilfe für die Menschen und Völker der Dritten Welt. Erfreut bin ich vor allen Dingen über die segensreiche Ausbreitung des Kolpingwerkes in diesen Ländern. Von Herzen ermutige ich alle, die sich dort oft unter schwierigen Bedingungen im Geist Eures Gründers mit Geduld und Ausdauer für eine qualifizierte Ausbildung und Förderung der Arbeiter und ihrer Familien einsetzen. Es ist mein aufrichtiges Gebet für Euch, daß ihr wachst im Maß der Glaubenstiefe und Zeugniskraft Eures Gründers. Dann werdet Ihr Apostel sein, wie Christus es erwartet: Ihr werdet durch Euer Sein und Tun immer mehr Glieder der Kirche und Menschen guten Willens für die bedeutsamen und aktuellen Ideale Adolf Kolpings gewinnen. Dazu segne 1112 Botschaften und Ansprachen Euch, die Ihr in Innsbruck versammelt seid, Eure Mitglieder in der ganzen Welt sowie Eure Familien der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. (O.R. 24.125. 5. 82) „Mit dem Frieden ist nichts verloren...“ Predigt bei der Messe „pro pace et iustitia servanda“ in Konzelebration mit argentinischen und englischen Oberhirten im Petersdom am 22. Mai Ehrwürdige Brüder, liebe Söhne und Töchter! 1. Die Eucharistiefeier, zu der wir uns heute um den Altar Christi versammelt haben, dient dem Gebet um Frieden zwischen den beiden Ländern, die der bekannte Konflikt im Südatlantik derzeit entzweit und zu Gegnern macht - mit schmerzüchen Folgen für die Gegenwart und noch düstereren Aussichten für die Zukunft, falls nicht schnellstens eine friedliche Lösung gefunden wird. Belehrt durch das erleuchtete Wort des Psalmisten: „Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut“ (Ps 127, 1), treffen wir uns in dem inständigen Wunsch, daß die Bemühungen um eine ehrenvolle Beilegung des Streites auf dem Verhandlungsweg wieder aufgenommen werden, im Gebet unter den Augen Gottes, um von Ihm das Geschenk des kostbaren Gutes des Friedens, der unersetzlichen Voraussetzung jedes echten menschlichen Fortschritts, zu erflehen. 2. Wir verhehlen uns nicht die Hindernisse, die in diesem Augenblick der Erreichung dieses für das Wohl und die wahren Interessen der beiden Völker so wichtigen Zieles im Wege stehen, und dennoch beteuern wir mit fester Zuversicht unsere Überzeugung: der Friede ist eine Verpflichtung, der Friede ist möglich. Der Friede ist verpflichtend, weü jeder Erdenbewohner, was immer seine Heimat oder seine Sprache ist, in der er Gedanken und Gefühle auszudrücken gelernt hat, oder was immer das politische und religiöse „Credo“ sein mag, das sein Leben inspiriert, zu der einen Familie des Menschengeschlechts gehört, die schon der heidnische Weise der Antike als eine 1113 Botschaften und Ansprachen „infinita societas“ - eine Gesellschaft ohne Grenzen - ansah, „quam conciliavit ipsa natura“, „die die Natur selbst vereinigt hat“ (vgl. Cicero, De amic., 5). Wie sollte der Gläubige nicht davon überzeugt sein, der in jedem Mitmenschen das Ebenbild dessen erkennt, „der aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen hat, damit es die ganze Erde bewohne“ (Apg 17, 26)? Und auch wenn der Ungehorsam im Anfang unter die Menschen beklagenswerte Entzweiungen und blutigen Streit gebracht hat, von denen die Geschichte durchzogen ist, so weiß der Gläubige auch, daß der Sohn Gottes selbst sich aus der Tiefe seines ewigen Seins erhoben hat, um „die Einheit der von der Sünde zerstreuten Menschheitsfamilie wiederherzustellen“ und ein neues Volk zu bilden, das „im Band der dreifältigen Liebe zusammengeführt wurde“ (vgl. Präfation für Sonntage VIII). Deshalb konnte der Herr Jesus, als er sich schon anschickte, seine Leidenszeit zu beginnen, das ergreifende Gebet an den Vater richten: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein“ (loh 17, 21), womit er eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Einheit der göttlichen Personen und der Einheit der Menschen in der Wahrheit und in der Liebe ansprach. Darum konnte er bei dieser Gelegenheit außerdem versprechen: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch“ (loh 14, 27). Der Friede ist ein Geschenk Christi, das für uns Christen zu einer Verpflichtung wird. 3. Der Friede ist also verpflichtend - und er ist auch möglich. Muß man ihn nicht als jene besondere Gabe des Menschen ansehen, dank welcher er über alle anderen vemunftlosen Geschöpfe gestellt wird und den Beinamen „König der Schöpfung“ verdient? Diese Gabe ist die Vernunft, das heißt die Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden; die eigenen Rechte, aber zugleich auch die der anderen anzuerkennen und damit die eigenen Verpflichtungen ihnen gegenüber; das eigene Leben nach den richtigen Zielen auszurichten, indem man gegebenenfalls die Irrtümer, in die es möglicherweise verfiel, berichtigt. Der Gebrauch der Vernunft macht den Menschen zu einem zivilisierten Wesen, das sich nicht darauf beschränkt, die Konflikte mit seinen Mitmenschen ausschließlich mit Gewalt zu lösen, sondern die Lösung solcher Konflikte mit Hilfe des Dialogs, der Begegnung, der Verhandlung suchen und finden kann. Auf diese Gedankenlinie stellte sich der große Augustinus, als er in einem Brief an einen römischen Beamten bemerkte, es sei ein höherer Ruhmes- 1114 Botschaften und Ansprachen titel, „ipsa bella verbo occidere, quam homines ferro“ (Kriege durch das Wort zu töten als Menschen mit dem Schwert) {Ep. 229, ad Darium). Das ist die Verpflichtung, die sich der Mensch mit unbezähmbaren Mut, mit zäher Hoffnung und hochherzigem Willen zu eigen machen muß. Gewiß handelt es sich um eine nicht immer einfache Möglichkeit: ja, in nicht wenigen Fällen, wie eben auch in dem gegenwärtigen, können die Schwierigkeiten solcher Art sein, daß sie praktisch unüberwindlich scheinen. Doch sie sind nie unüberwindlich, wenn beide Parteien es fertigbrin-gen, Verständnis für die eigenen und die Rechte und vitalen Interessen der anderen zu zeigen, was auch die legitim verstandene nationale Ehre einschließt; das heißt, wenn sie eine weitere Sicht an den Tag zu legen vermögen, die auch das Wohl anderer Völker und der Menschheit einschließt; einen Weitblick beim Erwägen der Folgen des eigenen Tuns; einen selbstlosen guten Willen, der dem Verantwortungsgefühl gegenüber dem eigenen Land und den Mitbürgern nichts nimmt. Dringende, aber notwendige Forderungen, weil sie wahrhaft menschlich und für das Wohl der Menschheit wesentlich sind. Wie sollte man in der Tat nicht entsetzt zurückschrecken vor dem Blick auf Tod und Zerstörung, die heute jeder Krieg bereithält, auch wenn er mit sogenannten konventionellen Waffen geführt wird, denen jedoch die moderne Technik mörderische Möglichkeiten der Verwüstung und Vernichtung gegeben hat? Jeder verantwortungsbewußte Mensch muß ernsthaft über diese Aussichten nachdenken, vor denen schon mein Vorgänger Pius XII. in die betrübte Mahnung ausbrach: „Mit dem Frieden ist nichts verloren, mit dem Krieg kann alles verloren sein“ {Radioansprache am 24. August 1939). 4. Zu diesen Gedanken muß vor allem der Christ zurückkehren, der sein Herz der Botschaft dessen geöffnet hat, den der Prophet Jesaja als „Friedensfürsten“ begrüßte {Jes 9, 5). War das nicht etwa das, was der Apostel Paulus von der christlichen Urgemeinde erwartete? Wir haben vorhin die Aufforderung gehört, die er an die Christen seiner Zeit und durch sie an die aller Zeiten richtete: „Bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott! Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren“ {Phil 4, 6-7). Im übrigen sind uns die Gedanken dieses Apostels über das Frieden stiftende Werk Christi gegenwärtig, der in die Welt gekommen ist, „um die beiden Teüe zu einem Volk zu vereinigen, indem er die trennende Wand der Feindschaft zwischen ihnen niederriß“ und so „unser Friede“ 1115 Botschaften und Ansprachen geworden ist, so daß wir nun „durch ihn beide in dem einen Geist Zugang zum Vater haben“ (vgl. Eph 2, 14.18). Liebe Brüder, Söhne und Töchter! Niemals erfahren wir die Wahrheit dieser Worte so wie bei der Feier der Eucharistie. Im Mysterium Christi, das für uns das Pascha seines Todes und seiner Auferstehung erneuert, „haben wir alle in dem einen Geist Zugang zum Vater“ (Eph 2, 18). Wir haben verschiedene menschliche Heimatländer, verschiedene kulturelle Traditionen, verschiedene geistige Einstellungen und Interessen: doch fühlen wir uns als Glieder einer einzigen übernatürlichen Familie, der Familie der Kinder Gottes, die das Blut Christi erlöst und zu Brüdern gemacht hat. Und wir fühlen, daß wir friedlich Zusammenleben können, ohne deshalb auf die mit unserer persönlichen und nationalen Geschichte zusammenhängenden Besonderheiten verzichten zu müssen, sondern im Gegenteil sie sich gegenüberzustellen in dem Versuch, eine höhere Synthese zu schaffen, die größeren Reichtum an Menschlichkeit für alle bedeutet. Aus dieser typisch christlichen Erfahrung heraus bitte ich Euch, ehrwürdige Brüder, liebe Söhne und Töchter, Euch zu Zeugen und Wortführern zu machen. Verkündet vor allem durch das Wort und Beispiel, daß es möglich ist, auch unter Respektierung der gerechten Forderungen des Patriotismus jene höhere Einheit von Gedanken, Absichten und Realisierungen zu bewahren, die ihre Wurzeln in der gemeinsamen menschlichen Natur und in ihrer Krönung in der Berufung zur Gotteskindschaft hat. Gebe Gott, daß diese Botschaft menschlicher und christlicher Weisheit die Herzen und Sinne aller in Argentinien wie in Großbritannien erreiche! Daß der gegenseitige gute Wille der Verantwortlichen, der der Suche nach dem wahren Wohl der beiden Völker gilt, zur Überwindung der gegenwärtigen Spannungen und zur Erfüllung des sehnlichen Wunsches führe: „Gerechtigkeit und Frieden küssen sich“ (Ps 85, 11). Darum beten wir mit der ganzen Glut unseres Herzens, indem wir unsere Bitte der Fürsprache derjenigen anvertrauen, durch die die Menschen aller Rassen und aller Sprachen nur mehr einen Namen haben: Kinder Gottes. Königin des Friedens, bitte für uns. Amen. (O.R. 23. 5. 82) 1116 Botschaften und Ansprachen Das Gute „gut“ und das Böse „böse“ nennen! Ansprache bei der Audienz für die beim Hl. Stuhl akkreditierten Journalisten am 22. Mai Sehr geehrte Damen und Herren von der Vereinigung der Auslandspresse in Italien, beim Pressesaal des Hl. Stuhls akkreditierte Journalisten und Vertreter der katholischen Presse Italiens! 1. Ich danke Ihnen herzlich für diesen Besuch, der mir erneut die Freude schenkt, mit einer qualifizierten Vertretung der Welt des Nachrichtenwesens zusammenzutreffen, eine Freude, die ich bereits bei anderen Begegnungen mit Ihren Kollegen und auch mit vielen von Ihnen, sei es bei meinen apostolischen Pilgerreisen, sei es hier beim Römischen Stuhl, empfunden habe. Ich habe dieser Art von Begegnungen stets besondere Bedeutung beigemessen, weil ich die verantwortungsvolle Erfüllung der mit Ihrem Beruf zusammenhängenden Aufgaben für ein Zusammenleben, das sich gesittet nennen will, von lebenswichtigem Interesse halte. Ich ergreife daher gern auch diese Gelegenheit, um gemeinsam mit Ihnen über Wesen und Zielsetzungen Ihrer Aufgabe als Berichterstatter nachzudenken und Sie zu ermutigen, mit neuem Einsatz fortzufahren in der getreuen und hochherzigen Erfüllung der mit dieser Sendung verbundenen Pflichten. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf ein Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils lenken, das nicht immer richtig verstanden und entsprechend angewandt worden ist. Ich beziehe mich auf das Konzilsdekret Inter mirifica über die sozialen Kommunikationsmittel, das in einem seiner wichtigsten Paragraphen, dem fünften, grundsätzlich Bedeutsames über die Information aussagt, indem es ihren Begriff und die sich daraus ergebende normative Ethik präzisiert. Die Information wird dort als das „Sammeln und Verbreiten von Nachrichten durch öffentliche und rechtzeitige Berichterstattung“ definiert. Sodann wird entschieden das „Recht auf Information“ als „in der heutigen menschlichen Gesellschaft unumgänglich“ bezeichnet: die weit zurückhegenden Ursachen dafür lassen sich in der heutigen „Gesellschaft selbst und der immer engeren Verbindung ihrer Mitglieder erkennen“. Es wird dann ihr letzter Zweck angegeben, nämlich den heutigen Menschen eine „reichere und umfassendere Kenntnis“ der Ereignisse zu bieten, die für sie notwendig und nützlich ist, damit sie „einen wirksamen Beitrag zum Gemeinwohl leisten und beim Aufbau der Gesellschaft mitwirken 1117 Botschaften und Ansprachen können“. Schließlich werden die Richtlinien für den richtigen Gebrauch der Information angegeben: was den Inhalt betrifft; daß sie immer „der Wahrheit entspricht!“ und bei „Beachtung der durch Recht und menschliche Rücksichtnahme gezogenen Grenzen auch vollständig ist“; was die Form betrifft, „muß sie ethisch einwandfrei sein; d.h. beim Sammeln und Verbreiten von Nachrichten müssen die ethischen Grundsätze sowie die Rechte und Würde des Menschen beachtet werden“. 2. Wollte man also die verschiedenen Aspekte Ihrer besonderen Sendung, wie sie in diesem Konzilstext Umrissen werden, in einem einzigen Wort zusammenfassen, könnte dieses Wort „Dienst“ sein: Dienst gegenüber den Menschen und gegenüber der Gesellschaft, die in dem angeführten Dekret als die wichtigsten Träger des Rechts auf Information genannt werden. Sie als Berichterstatter sind in der Tat dazu berufen, den Menschen die notwendigen Kenntnisse zu sichern, damit ihre freien Entscheidungen - die vorläufigen wie die dauerhaften - in einer möglichst objektiven Sicht der Ereignisse erfolgen können: das ist ein unerläßliches Erfordernis, damit solche freien Entscheidungen tatsächlich zum Gemeinwohl und zu einem echten Fortschritt der Gesellschaft beitragen. Es stimmt übrigens auch, daß Sie in Verfolgung dieser Absicht auch eine Macht bilden, die nicht ohne Grund als „vierte Macht’ bezeichnet wurde. Sie ist in ständigem Anwachsen begriffen, seitdem die Information von der Presse auch auf Rundfunk und Fernsehen übergegangen ist, und stößt dank der Technotronik und Informatik zu dem vor, was wir als die globale und sofortige „Allinformation“ der Telematik definieren könnten. 3. Hieraus ergeben sich die sittlichen Probleme, die sich Ihrem Gewissen als ehrenhafte Informatoren stellen: d. h. inwieweit ist Ihre Macht Ihrer Aufgabe anzupassen, damit die erstere nicht gegen die zweite noch außerhalb von dieser ausgeübt und entfaltet wird. Sie haben zum Beispiel das Recht und die Pflicht, diese Ihre kostbare Macht zu verteidigen, indem Sie sich allen widersetzen, die zu Unrecht versuchen sollten, ihr von außen Zwang anzutun: das güt ebenso für den freien Zugang zu den Informationsquellen wie für die Freiheit Ihrer Meinung und Meinungsäußerung und für die Möglichkeit, mit Ihren Diensten frei an die Leser, Hörer und Zuschauer heranzukommen. Aber Sie haben auch und vor allem das Recht und die Pflicht, Ihre eigene innere Freiheit zu sichern, dank welcher Sie sich der tendenziösen Aufmachung entziehen können, die uns aus irgendwelchem persönlichen egoistischen Interesse, unverschuldeten Zwängen wirtschaftlicher und ideologischer Mächte oder auch von ungesundem Skandalbedürfnis herrührt. 1118 Botschaften und Ansprachen Zu diesem Zweck muß ein Kodex der journalistischen Berufspflichten ausgearbeitet werden, der sich - in nationale oder internationale Dokumente übertragen - Ihnen gleichsam ins Gewissen einprägt, so daß jeder, der in der sozialen Kommunikation arbeitet, sich verpflichtet fühlt, instinktiv die Versuchung zu meiden, sich seiner eigenen Macht zu bedienen, um das Publikum zu manipulieren und für seine eigenen Ziele und Zwecke zu mißbrauchen, wohl wissend, daß ihn das vom Rang eines fairen Berichterstatters auf den eines unzuverlässigen „Verführers“ abwerten würde. Und damit nicht genug. Denn wenn Ihre Macht in der Tat auf den Dienst am Menschen ausgerichtet ist, muß jeder von Ihnen sich angespornt fühlen, positiv zur Sensibilisierung und Erziehung der Empfänger im Sinn eines vollen menschlichen und christlichen Wachstums beizutragen. Das bedeutet natürlich nicht, daß Sie die Nachrichten sieben sollen, um dem heutigen Menschen künstlich eine erbauliche Sicht des Lebens vorzugaukeln: das Böse gibt es nun leider, und man beseitigt es sicher nicht dadurch, daß alle, die mit ihm zu tun haben, es ignorieren. Auch jede „professionale“ Belehrung und erst recht jede Predigt oder Schmähung überschreitet Ihre gesellsschaftliche Funktion als Informatoren. Ihre Sache ist es vielmehr, in einer realistischen Sicht der heutigen Welt und des Geschehens darin zu leben und zu arbeiten und dabei die idealen Werte tief im Geist verwurzelt zu haben, in deren Licht diese Ereignisse eingeordnet und beurteilt werden müssen. Diese Werte sind jene, und das gilt ausnahmslos für alle, kraft derer der Mensch in seiner authentischen Würde als „Mensch“ bestätigt wird. Für jene sodann, die den Glauben haben oder ihn zumindest aufrichtig respektieren, sind es auch Werte des Evangeliums Christi; durch sie empfängt der Mensch die höchste Würde, Christ zu sein, das heißt Kind des Vaters und Bruder aller Menschen in Christus, dem erstgeborenen Bruder. 4. In Achtung vor diesen Werten werden Sie in Ihrem Dienst immer danach trachten, das Gute gut und das Böse böse zu nennen. Gut also die Gerechtigkeit und die Liebe; böse jede Art von Gewalt, Haß und Egoismus. Gut die Redlichkeit und jede Tugend, auch wenn sie von kleinen Leuten praktiziert wird; böse die Sittenlosigkeit und jegliches Laster, auch wenn ihm in Wohlstand und Luxus gefrönt wird. Schließlich: die vergänglichen Wirklichkeiten dieser unserer vergänglichen Welt sind alle relativ; absolut sind nur die beständigen Güter der himmlischen Heimat, zu der wir alle auf dem Weg sind. Sehr geehrte Damen und Herren, es liegt mir viel daran, Sie auf diese Ihre erlesene Sendung hinzuweisen, heute, am Vorabend des Welttages der 1119 Botschaften und Ansprachen ■ Sozialen Kommunikation, der gemäß dem Konzilsdekret Inter mirifica jährlich begangen werden soll, um bei jedem ein lebhafteres Bewußtsein seiner eigenen Verpflichtungen gegenüber den Massenmedien zu wecken. Diesmal wollte ich die allgemeine Aufmerksamkeit auf die alten Menschen und ihre Probleme lenken, die heute im Vergleich zu früher ganz anders aussehen. Ich bin sicher, daß Sie meiner Botschaft zu diesem Anlaß entsprechende Aufmerksamkeit schenken werden. Abschließen möchte ich diese Begegnung mit dem aufrichtigen Wunsch „Gute Arbeit!“ an Sie und Ihre Kollegen - auch jene, die aus Berufsgründen nicht anwesend sein konnten. Ihre Arbeit wird „gut“ sein, wenn es ihr gelingt, außer der Zustimmung der Öffentlichkeit jene viel entscheidendere Zustimmung des Gewissens zu gewinnen, die Ihnen garantiert, daß Sie einen positiven Beitrag zum Wachstum der einzelnen und der Gesellschaft geleistet haben. Mit diesen Gedanken und Gefühlen erteile ich Ihnen von Herzen den Apostolischen Segen. (O.R. 23. 5. 82) „Die sozialen Kommunikationsmittel und die Probleme der alten Menschen“ Botschaft zum 16. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel am Sonntag, 23. Mai In Christus geliebte Brüder und Schwestern! Seit nunmehr sechzehn Jahren begeht die katholische Kirche einen eigenen Welttag, an dem die Gläubigen aufgefordert werden, über ihre Pflicht zum Gebet und persönlichen Einsatz in dem wichtigen Bereich der sozialen Kommunikationsmittel nachzudenken und damit einer genauen Anweisung des Konzils zu entsprechen (vgl. Inter mirifica, Nr. 18); und jedes Jahr wurde für diesen Tag ein Thema bestimmt, auf welches die Gläubigen ihre Aufmerksamkeit richten und für das sie zugleich „ihre Gebete und ihre Spenden darbringen“ sollen (ebd.). Auf der Linie dieser Tradition wollte ich, daß der diesjährige Welttag den alten Menschen gewidmet sein solle, indem ich gern das Thema aufgegriffen habe, das die Organisation der Vereinten Nationen für 1982 gewählt hat. 1120 Botschaften und Ansprachen 1. Die Probleme der alten Menschen stellen sich heute in Ausmaßen und mit Merkmalen dar, die sich beachtlich von denen vergangener Zeiten unterscheiden. Neu ist vor allem das Problem, das mit der wachsenden Zahl alter Menschen zusammenhängt, die in den Ländern mit hohem Lebensstandard durch die ständigen Fortschritte der Medizin und der hygienisch-sanitären Maßnahmen, durch die verbesserten Arbeitsbedingungen und den allgemein zunehmenden Wohlstand immer größer wird. Neu sind sodann einige Eigenheiten der modernen industriellen und nachindustriellen Gesellschaft, an erster Stelle die Struktur der Familie, die von einer Familie patriarchalischer Struktur in der ländlichen Gesellschaft im allgemeinen auf einen kleinen Kern zusammengeschrumpft ist. Außerdem ist sie häufig isoliert und unbeständig, wenn nicht gar auseinandergerissen. Dazu trugen und tragen verschiedene Komponenten bei, wie die Landflucht und der Sog der städtischen Ballungszentren; hinzukommen in unseren Tagen das manchmal maßlose Streben nach Wohlstand und das wachsende Konsumdenken. Unter diesem Gesichtspunkt werden die alten Menschen oftmals zu einem Hindernis. Daraus resultieren manche schweren Unzuträglichkeiten, die oft genug auf den alten Menschen lasten: von der härtesten Armut, vor allem in den Ländern, die noch jeder sozialen Altersfürsorge entbehren, bis zur erzwungenen Untätigkeit der Pensionierten, besonders wenn sie aus der Industrie oder dem Dienstleistungssektor kommen; bis zur bitteren Einsamkeit aller, die ohne Freunde und bar jeder echten familiären Liebe sind. Mit wachsenden Jahren, dem Verfall der Kräfte und dem Auftreten von Krankheiten werden so die körperliche Gebrechlichkeit und vor allem die Last des Lebens immer spürbarer. 2. Die Probleme der dritten Lebensphase können keine angemessene Lösung finden, wenn sie nicht von allen als Wirklichkeiten empfunden und erlebt werden, die die ganze Menschheit betreffen, welche aufgerufen ist, den alten Menschen, um der Würde jedes Menschen und der Bedeutung des Lebens willen, das „ein Geschenk ist, und zwar immer”, Mut zu machen. Die Heilige Schrift, die häufig von den alten Menschen spricht, betrachtet das Alter als ein Geschenk, das sich erneuert und das täglich in der Öffnung für Gott und den Nächsten gelebt werden muß. Schon im Alten Testament wird der alte Mensch vor allem als ein Meister des Lebens angesehen: „Wie gut steht Hochbetagten Weisheit an . . . Ein Ehrenkranz der Greise ist reiche Erfahrung, ihr Ruhm ist die Gottesfurcht“ (Sir 25, 5-6). Zudem hat der alte Mensch eine weitere wichtige Aufgabe: das Wort Gottes an die jüngeren Generationen weiterzugeben: 1121 Botschaften und Ansprachen „Gott, wir hörten es mit eigenen Ohren, unsere Väter erzählten uns von dem Werk, das du in ihren Tagen vollbracht hast“ (Ps 44, 2). Dadurch, daß er seinen Gottesglauben der Jugend verkündet, bewahrt er sich eine geistige Fruchtbarkeit, die mit dem Nachlassen der physischen Kräfte nicht verfällt: „Sie tragen Frucht noch im Alter und bleiben voll Saft und Frische; sie verkünden: Gerecht ist der Herr“ (Ps 92, 15-16). Diesen Aufgaben der alten Menschen entsprechen die Pflichten der Jungen, und zwar die Pflicht, auf sie zu hören: „Verachte nicht die Überlieferung der Alten“ (Sir 8, 9), „frag deinen Vater, er wird es dir erzählen, frag die Alten, sie werden es dir sagen“ (Dtn 32, 7); und die Pflicht, ihnen beizustehen: „Wenn dein Vater alt ist, nimm dich seiner an und betrübe ihn nicht, solang er lebt! Wenn sein Verstand abnimmt, sieh es ihm nach und beschäme ihn nicht in deiner Vollkraft!“ (Sir 3, 12-13). Nicht weniger ergiebig ist die Lehre des Neuen Testaments, wo der hl. Paulus das Lebensideal der alten Menschen mit sehr konkreten „evangelischen“ Räten vorstellt: „nüchtern sein, achtbar, besonnen, stark im Glauben, in der Liebe, in der Ausdauer“ (vgl. Tit 2, 2). Ein sehr bedeutungsvolles Beispiel ist das des greisen Simeon, der in der Erwartung und Hoffnung der Begegnung mit dem Messias gelebt hatte und für den Christus zur Fülle des Lebens und der zukünftigen Hoffnung für sich und für alle Menschen wird. Da er sich in Glaube und Demut vorbereitet hatte, vermag er den Herrn zu erkennen und singt voll Begeisterung nicht einen Abschiedsgesang an das Leben, sondern einen Dankeshymnus an den Retter der Welt an der Schwelle der Ewigkeit (vgl. Lk 2, 25-32). 3. Gerade weil die dritte Lebensphase ein Lebensabschnitt ist, der mit Einsatz und Liebe verwirklicht wird, müssen alle jene Bewegungen entsprechend unterstützt werden, die den alten Menschen helfen, aus einer Haltung des Mißtrauens, der Vereinsamung und der Resignation herauszutreten, um sie zu Spendern der Weisheit, Zeugen der Hoffnung und Werkleuten der Liebe zu machen. Der erste Bereich, in dem sich das Wirken der alten Menschen entfalten muß, ist die Familie. Ihre Weisheit und ihre Erfahrung sind ein Schatz für die jungen Eheleute, die bei ihren ersten Schwierigkeiten im Eheleben in den alten Eltern Vertraute finden können, denen sie sich erschließen und von denen sie sich raten lassen, während im Vorbild und in der liebevollen Sorge der Großeltern die Enkel eine Entschädigung für die aus verschiedenen Gründen heute so häufige Abwesenheit der Eltern finden. Aber damit nicht genug: in der bürgerlichen Gesellschaft, die stets die Stabilität der sozialen Ordnung dem Rat der Menschen reifen Alters anvertraut hat, und das auch beim Fortschritt notwendiger Reformen, 1122 Botschaften und Ansprachen können die alten Menschen auch heute noch das ausgleichende Element für den Aufbau eines Zusammenlebens darstellen, das sich im Fortschritt erneuert, nicht durch verderbliche Erfahrungen, sondern in kluger und schrittweiser Entwicklung. 4. Die Mitarbeiter im sozialen Kommunikationswesen haben für die alten Menschen eine Sendung zu erfüllen, die äußerst wichtig, ja ich würde sagen, unersetzlich ist. Denn die sozialen Kommunikationsmittel können mit ihrem universalen Wirkungskreis und der Eindringlichkeit ihrer Botschaft rasch und beredt die Aufmerksamkeit und das Nachdenken aller auf die alten Menschen und ihre Lebensbedingungen lenken. Nur eine Gesellschaft mit einem allgemeinen Bewußtsein, die in heilsamer Weise wachgerüttelt und mobilisiert ist, wird nach Wegen und Lösungen suchen können, die den neuen Bedürfnissen wirksam entsprechen. Alle, die im Bereich der sozialen Kommunikation tätig sind, können sodann in hohem Maße zum Abbau mancher einseitiger Eindrücke der Jugend beitragen, indem sie dem reifen und dem hohen Alter das Gefühl der eigenen Nützlichkeit zurückgeben und der Gesellschaft Denkmodelle und eine Wertskala anbieten, welche die Person des alten Menschen aufwerten. Außerdem haben sie die Möglichkeit, bei passender Gelegenheit der öffentlichen Meinung in Erinnerung zu bringen, daß es neben dem Problem des „gerechten Lohnes“ auch das Problem der „gerechten Pension“ gibt, das genauso ein Teil der „sozialen Gerechtigkeit“ ist. Das Alter als Geschenk Gottes In der Tat, die moderne Kultur, die häufig einseitig die wirtschaftliche Produktivität, die Leistungsfähigkeit, die äußere Schönheit und die Körperkraft, das persönliche Wohlergehen unterstreicht, könnte dazu verleiten, die alten Menschen als unbequem, überflüssig und unnütz zu betrachten und sie daher an den Khaid des Lebens der Familie und der Gesellschaft zu schieben. Eine aufmerksame Prüfung auf diesem Gebiet macht deutlich, daß ein Teil der Verantwortung für diese Situation auf bestimmte Orientierungen der Massenmedien zurückfällt: wenn es zutrifft, daß die sozialen Kommunikationsmittel die Gesellschaft widerspiegeln, in der sie tätig sind, so trifft es ebenso zu, daß sie auch zur Gestaltung dieser Gesellschaft beitragen und sich daher nicht ihrer Verantwortung auf diesem Gebiet entziehen können. Die Mitarbeiter der Medien sind in besonderer Weise dazu qualifiziert, jene echt menschliche und darum auch christliche Auffassung über den 1123 Botschaften und Ansprachen alten Menschen zu verbreiten, die wir oben auf gezeigt haben: das Alter als Geschenk Gottes für den einzelnen, für die Familie und für die Gesellschaft. Autoren, Schriftsteller, Regisseure, Schauspieler können mit Hilfe der wunderbaren Wege der Kunst diese Auffassung verständlich und anziehend machen. Wir alle wissen um den Erfolg, den sie bei anderen Kampagnen, die mit Geschick und Ausdauer geführt wurden, erzielt haben. 5. Diese menschlichen und christlichen Orientierungen werden, von den Massenmedien verbreitet, den alten Menschen helfen, mit Gelassenheit und Realismus auf diesen Lebensabschnitt zu blicken; soweit als möglich zugunsten der anderen ihre geistigen, moralischen und physischen Kräfte einzusetzen, indem sie Initiativen humanitären, erzieherischen, sozialen und religiösen Charakters unterstützen; die lange Zeit ihrer Altersruhe mit kultureller Beschäftigung und im Gespräch mit Gott auszufüllen. Die Kinder werden sich bewußt werden, daß das ideale Milieu für die alten Menschen die Familie ist, nicht so sehr als physisches, sondern als gefühlsmäßiges Zusammenleben, so daß sie sich aufrichtig angenommen, geliebt und unterstützt fühlen. Die bürgerliche Gesellschaft soll zur Einführung geeigneter Systeme und Formen der Fürsorge angespomt werden, die nicht nur den physischen und materiellen, sondern auch den psychischen und geistigen Bedürfnissen Rechnung tragen müssen, um die alten Menschen dauernd zu integrieren und ihnen ein erfülltes Leben möglich zu machen. Hochherzige Menschen werden den Aufruf wahmehmen, Zeit und Kräfte in den Dienst dieser Sache zu stellen, da sie im bedürftigen Bruder Christus selbst erblickt haben. Außer dieser heilsamen geistigen Förderung werden die Mitarbeiter der sozialen Kommunikationsmittel, die wissen, daß die alten Menschen einen zahlenmäßig großen und beständigen Teil ihres Publikums, besonders der Rundfunkhörer, Fernsehzuschauer und Leser, ausmachen, auch für Programme und Pubükationen sorgen, die in besonderer Weise auf sie abgestimmt sind, um ihnen nicht nur eine entspannende und erholsame Unterhaltung zu bieten, sondern auch eine Hilfe für jene ständige Weiterbildung, nach der in jedem Alter verlangt wird. Besondere Dankbarkeit wird den Mitarbeitern der Medien vor allem von seiten der Behinderten und Kranken dann zuteil werden, wenn sie ihnen ermöglichen, mit dem Volk Gottes an Gottesdienstfeiem und kirchlichen Ereignissen teilzunehmen. Bei solchen Übertragungen wird man natürlich den besonderen Bedürfnissen und der Empfänglichkeit des alten Menschen dadurch Rechnung tragen müssen, daß man bestürzende Neuerungen vermeidet und den Sinn für das Heilige respektiert, den der alte Mensch in hohem 1124 Botschaften und Ansprachen Grade besitzt und der in der Kirche ein Gut darstellt, das bewahrt werden muß. 6. An diesem Welttag der sozialen Kommunikationsmittel, der ihren Problemen gewidmet ist, sind die alten Menschen die ersten, die dem Herrn ihre Gebete und ihre Opfer darbringen, damit sich in der Welt die christliche Auffassung über das fortgeschrittene Alter entwickle. Alle, die sich des Zaubers der Kindheit, der Kraft der Jugend und der Leistungsfähigkeit des mittleren Alters erfreuen, sollten mit Achtung, Dankbarkeit und Liebe auf die blicken, die ihnen vorausgehen. Alle, die im Bereich der sozialen Kommunikation arbeiten, sollten sich freuen, ihre wunderbaren Möglichkeiten und Fähigkeiten in den Dienst dieser so edlen und so verdienstvollen Sache zu stellen. Möge der Herr alle in ihren Vorsätzen segnen und stärken. Mit diesem Wunsch möchte ich allen, die im Bereich der sozialen Kommunikationsmittel arbeiten, allen, die sich ihre Dienste in verantwortungsvoller Weise zunutze machen, und ganz besonders den alten Menschen meinen Apostolischen Segen erteilen als Unterpfand reicher Gaben, stiller Freude und geistlichen Fortschritts, Aus dem Vatikan, am 10. Mai 1982, im vierten Jahr meines Pontifikats. PAPST JOHANNES PAUL II. (O.R. 15. 5. 82) „ Uns kommt ihr Beispiel zugute“ Predigt bei der feierlichen Messe zur Seligsprechung auf dem Petersplatz am 23. Mai <34> <34> „Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“ (I Joh 4, 16). Diese Worte des Apostels Johannes, liebe Brüder und Schwestern, bestätigen sich heute wieder und leuchten aufs neue auf in der Gestalt der fünf neuen Seligen, die wir in der Herrlichkeit Gottes betrachten. Sie zeigen uns die Wirklichkeit dieser Liebe Gottes zu uns. Es handelt sich um drei Frauen und zwei Männer. Die eine lebte im 16. Jahrhundert in einem Kloster in Spanien: Maria Angela Astorch; die anderen lebten vorwiegend im vorigen Jahrhundert: Marie-Anne Rivier, Petrus Donders, 1125 Botschaften und Ansprachen Marie-Rose Durocher; einer schließlich ist gleichsam unser Zeitgenosse: Andre Bessette. In ihnen ist, wie wiederum der Apostel Johannes schreibt, Gottes Liebe zur Vollendung gekommen (vgl. 1 Joh 4, 12), und im Himmel lernen sie jene „Freude in Fülle" keimen, die ihnen von Christus in seinem Hohepriesterlichen Gebet verheißen wurde (vgl. Joh 17, 13). In diesen Männern und in diesen Frauen, deren evangelisches Zeugnis bereits ihre Zeitgenossen beeindruckte, haben wir einen echten Widerschein der Liebe wahrgenommen, die den unvergleichlichen Reichtum Gottes innerhalb des trinitarischen Lebens ausmacht und die sich in der Hingabe des eingeborenen Sohnes zur Rettung der Welt, besonders in seinem Erlösungsopfer, geoffenbart hat (vgl. Joh 3, 16). Diese Liebe wird vom Heiligen Geist im Herzen von Männern und Frauen wie wir, die bescheiden und arm, aber „seinem Namen treu“ sind, vermehrt und gleich einem Feuer entzündet. Der Geist läßt sie auf Gott vertrauen, gibt ihnen aber auch den rechten Mut, konsequent und beharrlich auf die Armen, die Kranken, die der Erziehung bedürftige Jugend und die Verlassenen zuzugehen. Zwar hat „niemand je Gott geschaut“ (1 Joh 4, 12); aber das wirksamste Zeichen, das seine Anwesenheit unter den Menschen am deutlichsten macht, ist die Liebe, so wie sie von den Besten seiner Gläubigen vorbehaltlos geübt wird (vgl. ebd. 4, 20). Die Zeitgenossen der neuen Seligen waren beeindruckt von den Früchten ihrer Heiügkeit. Und heute erkennt die Kirche in feierlicher Form an, daß diese Seligen „in Gott sind“, und stellt sie allen Getauften als Vorbilder für ihre Betrachtung und ihr konkretes Leben vor; sie sollen in ihnen einen neuen Bezugspunkt für ihr eigenes christliches Zeugnis finden. (Der Papst hatte seine Predigt in Italienisch begonnen und fuhr in niederländischer Sprache fort:) 2. Petrus Donders, der Anfang des vorigen Jahrhunderts in den Niederlanden geboren wurde, hat den Großteil seines Lebens in Surinam verbracht, wo er den Sklaven, den Negern und den Indianern das Evangelium verkündete und vor allem durch die geistliche und leibliche Sorge bekannt geworden ist, mit der er sich der Aussätzigen annahm; er wurde mit Recht Apostel der Aussätzigen genannt. Man kann sagen, er war ein Apostel der Armen. Er ist ja selber in einer armen Familie zur Welt gekommen und mußte das Leben eines Arbeiters führen, ehe er seiner priesterlichen Berufung folgen konnte. Er hat sein ganzes Leben als Priester den Armen gewidmet. Er ist zudem eine 1126 Botschaften und Ansprachen Aufforderung und ein Ansporn zur Erneuerung und zur Wiederbelebung des missionarischen Aufschwungs, der im vergangenen und in diesem Jahrhundert besonders in den Niederlanden einen außerordentlichen Beitrag zur Erfüllung des Missionsauftrags der Kirche geleistet hat. Als Mitglied der Kongregation der Redemptoristen, in die er erst in fortgeschrittenerem Alter eingetreten ist, hat er auf vortreffliche Weise das in die Tat umgesetzt, was der hl. Alfons seinen Ordensleuten als Ideal vor Augen stellte: durch die Verkündigung des Gotteswortes an die Armen die Tugenden und das Vorbild des Erlösers nachahmen. Er hat durch sein Leben gezeigt, daß die Verkündigung der Frohbotschaft von der Erlösung, von der Befreiung von den Sünden Halt und Bestätigung finden muß in einem echten Leben nach dem Evangelium, einem Leben, das von wirklicher Liebe zum Nächsten, vor allem zu den geringsten der Brüder Christi, geprägt ist. (In spanischer Sprache sagte der Papst:) 3. Die zweite Gestalt, die die Kirche heute zur Ehre der Altäre erheben und dem gläubigen Volk zur Nachahmung vorstellen will, ist Maria Angela Astorch, ein weiteres Beispiel der Heiligkeit, das in Spanien reifte. Sie gehörte der Ordensfamilie der Kapuzinerklarissinnen an. In den einzelnen Abschnitten ihres Lebens als einfache Ordensfrau, junge Novizenmeisterin, als Verantwortliche für die Ausbüdung der Professen und als Äbtissin hinterließ sie in ihrer Umgebung, in Barcelona, Saragossa, Sevilla und Murcia, eine bewundernswürdige Spur der Treue zu ihrem Ordensberuf und der Liebe zur Kirche. Ihre außergewöhnliche Intelligenz wußte sich auf die Zuverlässigkeit des geoffenbarten Wortes und der kirchlichen Schriftsteller zu stützen, die sie studierte und wovon sie profunde Kenntnis besaß. Das führte sie zu einem sicheren theoretischen und praktischen Erfassen der Wege des geistlichen Lebens. Sie lebte es in inniger Verbundenheit mit der Kirche, vor allem durch die Liturgie, die heiligen Texte und das kirchliche Stundengebet. Das geht so weit, daß man sie als Mystikerin des Breviers bezeichnen könnte. In ihren Erziehungsaufgaben wendet sie „den vornehmen Stil’4 an, den Gott auch ihr selbst gegenüber gebraucht. Darum versteht sie es, die Individualität jeder Person zu respektieren, und hilft ihr, „in der Spur Gottes zu gehen“, die in einem jeden verschieden ist. So wird das tiefe Verständnis nicht zu schwächlicher Toleranz. 1127 Botschaften und Ansprachen Maria Angela Astorch ist also eine Gestalt, die heute aufmerksame Betrachtung verdient. Möge sie uns lehren, die Wege des Menschen zu respektieren, indem wir uns den Wegen Gottes öffnen. (In französischer Sprache fuhr der Papst fort:) 4. Jetzt schauen wir auf die selige Marie Rivier, die schon Pius IX. den „weiblichen Apostel“ nannte. In der Tat, die Glut ihres Apostolats setzt alle ihre Zeitgenossen während und nach der Französischen Revolution in Erstaunen. Seit ihrer Kindheit von der Idee begeistert, die Kleinen zu unterrichten, ihnen wie eine „kleine Mutter“ die Liebe zu Gott beizubringen, gründet sie später die Kongregation der Schwestern von der Darstellung Mariens, um besonders die Jugend zu einem Leben im Glauben zu erziehen, wobei die Armen, die Waisen und solche, die verlassen sind oder nichts von Gott wissen, den Vorzug haben. Sie bildet nicht nur Gruppen von jungen Mädchen, sondern sie will „gute Ehefrauen und Mütter ausbilden“, da sie von der Evangelisierungsaufgabe der Familien und von der Wichtigkeit der religiösen Erziehung von frühester Kindheit an überzeugt ist: „Das ganze Leben bildet sich von den ersten Eindrücken her!“ sagt sie. Sie war wie eine Arbeiterin in der Ernte, die unzählige Seelen eingebracht hat. Und dafür scheute sie kein Mittel und keine Möglichkeit: zahlreiche Dorfschulen, Missionen, Einkehrtage, bei denen sie selbst die Ansprachen hielt, und Sonntagsversammlungen, Worin aber besteht das Geheimnis des Eifers der Marie Rivier? Man staunt über ihre Kühnheit, ihre Zähigkeit, ihre ansteckende Freude, ihren Mut, der „bereit ist, tausend Leben auszufüllen“. Eine ganze Reihe von Schwierigkeiten wären freilich angetan gewesen, sie zu entmutigen: ihr Gebrechen in der Kindheit bis zu ihrer Heilung an einem Muttergottesfest, mangelndes körperliches Wachstum, eine schwache Gesundheit während ihres ganzen 60jährigen Lebens, das Elend der religiösen Unwissenheit ihrer Umgebung. Doch ihr Leben zeigt deutlich die Kraft des Glaubens in einer einfachen und redlichen Seele, die sich ganz der Tauf gnade überläßt. Sie zählt grundsätzlich auf Gott, der sie durch das Kreuz läutert. Sie betet intensiv zu Maria, mit ihr zusammen tritt sie vor Gott hin in einer Haltung der Anbetung und Hingabe. Ihre Spiritualität ist fest auf Gott ausgerichtet und ganz apostolisch: „Unsere Berufung ist Jesus Christus.“ Wir müssen uns mit seinem Geist erfüllen, um das Kommen seines Reiches, besonders in der Seele der jungen Menschen, vorzubereiten. 1128 Botschaften und Ansprachen 5. Jenseits des Atlantik, in Kanada, finden wir in der seligen Marie-Rose Durocher wiederum eine stark apostolisch geprägte Gestalt. Sie wurde in einer kinderreichen Familie geboren, aus der mehrere geistliche Berufungen hervorgingen. Da ihre schwache Gesundheit sie hinderte, auf der Suche nach ihrer eigenen Berufung in der Kirche in einen der beiden Frauenorden einzutreten, die damals in Quebec bestanden, arbeitete sie 13 Jahre lang im Pfarrhaus ihres Bruders - man würde heute sagen als „Pfarrhaushälterin“. Dabei war sie nicht nur bemüht, das Haus bestens in Ordnung zu halten, sondern sie nahm auch die kranken Priester und Seminaristen auf, organisierte die karitativen Werke der Pfarrei und spornte die Marienfrömmigkeit der jungen Mädchen an. Damals gründete sie auf Wunsch des Bischofs von Montreal und aufgrund des ermunternden Zuspruchs der Oblatenpatres von der Unbefleckten Jungfrau Maria nach dem Vorbild der christlichen Schulbrüder eine neue Kongregation, um den Bedürfnissen nach Unterricht und religiöser Erziehung der jungen Mädchen, vor allem in den ärmlichen Landgegenden in der Umgebung von Montreal, nachzukommen: die Schwestern der Heiligen Namen Jesu und Mariä. Während der letzten sechs Jahre ihres kurzen Lebens hat sie ihr Werk ausreichend in Schwung gebracht, das heute in sechs Ländern blüht. Von welchem Geist war nun ein solches Apostolat geleitet, das so gut auf die Bedürfnisse der Kirche zur Zeit der „katholischen Wiedergeburt“ in Kanada am Beginn des vorigen Jahrhunderts abgestimmt war? Es war vor allem die vollkommene Bereitschaft, den Verpflichtungen zu folgen, die ihr Glaube an Jesus, ihre Liebe zur Kirche, die Sorge für die Verlassensten ihr auftrugen. Es sind im übrigen die Verantwortlichen der Kirche, die ihre Fähigkeiten erkannt und ihr diese Sendung anvertraut haben: das echte Apostolat ist heute wie gestern nicht allein eine Angelegenheit des persönlichen Charismas, sondern des Aufrufs der Kirche und der Eingliederung in ihre Seelsorge. Marie-Rose Durocher hat mit Einfachheit, Klugheit, Demut und heiterer Ruhe gehandelt. Sie ließ sich weder von den persönlichen Problemen ihrer Gesundheit noch von den ersten Schwierigkeiten ihres entstandenen Werkes abhalten. Ihr Geheimnis bestand im Gebet und ihrer Selbstlosigkeit, die nach dem Urteil ihres Bischofs zu echter Heiligkeit reifte. 6. In Kanada verehren wir dann auch in dem seligen Frere Andre Bessette einen Mann des Gebets und einen Freund der Armen; bei ihm ist es aber eine ganz andere, wahrhaft überraschende Art. Das Werk seines ganzen Lebens - seines langen Lebens von 91 Jahren -war das eines armen und bescheidenen Dieners: „Pauper servus et 1129 Botschaften und Ansprachen humilis“, wie auf seinem Grabstein steht. Bis zu seinem 25. Lebensjahr Arbeiter auf einem Bauernhof, in der Werkstatt, in der Fabrik, tritt er dann bei den Brüdern vom Hl. Kreuz ein, die ihm für beinahe 40 Jahre den Dienst des Pförtners in ihrem Kolleg in Montreal übertragen; während weiterer 30 Jahre schließlich ist er Pförtner im Oratorium des hl. Joseph in der Nähe des Kollegs. Woher kam nun seine unglaubliche Ausstrahlung, sein Ansehen bei Millionen von Menschen? Jeden Tag fand eine Schar von Kranken, Bekümmerten und Armen aller Art, von Behinderten oder unter dem Leben Leidenden bei ihm im Sprechzimmer des Kollegs, im Oratorium Aufnahme, Gehör, Trost und Glauben an Gott, Vertrauen in die Fürsprache des hl. Josef, kurz, den Weg des Gebets und der Sakramente und damit die Hoffnung und nicht selten die sichtbare Linderung für Leib und Seele. Würden nicht die „Armen“ heutzutage genauso einer solchen Liebe, einer solchen Hoffnung, einer solchen Hinführung zum Gebet bedürfen? Aber was hat Bruder Andreas die Fähigkeit dazu gegeben? Es hat Gott gefallen, diesen einfachen Mann, der selbst das Elend eines Waisenkindes unter zwölf Geschwistern kennengelemt hatte, der ohne Geld, ohne Erziehung geblieben war und eine schwache Gesundheit besaß, kurz, nichts hatte außer ein großes Gottvertrauen, mit einer wunderbaren Anziehungskraft und „Macht“ auszustatten. Es ist nicht überraschend, daß er sich dem Leben des hl. Josef so nahe fühlte, des armen Arbeiters, der ins Exil mußte, und der mit dem Erlöser in der Vertrautheit einer Familie lebte, des hl. Josef, den Kanada und insbesondere die Kongregation vom Hl. Kreuz stets sehr verehrt haben. Bruder Andreas mußte wegen des Erfolges seines Apostolats Unverständnis und Spott ertragen. Aber er blieb einfach und frohen Muts. Wenn er sich an den hl. Josef wandte und wenn er vor dem Allerheiligsten kniete, vollzog er selber lange und voll Inbrunst im Namen der Kranken das Gebet, das er sie lehrte. Ist nicht sein Vertrauen in die Kraft des Gebets einer der wertvollsten Hinweise für die Männer und Frauen unserer Zeit, die versucht sind, ihre Probleme zu lösen, indem sie sich über Gott hinwegsetzen? 7. Welche Empfindungen erfüllen unser Gebet, während wir die Botschaft jedes einzelnen dieser Seligen in uns aufnehmen? Zunächst ein Gefühl tiefer Dankbarkeit gegenüber dem Herrn, wie wir in dem Psalm sangen: „Lobe den Herrn, meine Seele . . . Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch ist seine Huld über denen, die ihn fürchten“ (Ps 103, 2.11). Es ist die Quelle dieser starken Liebe, die wir bei denen betrachten, die uns vorangingen. Uns kommen ihre Werke 1130 Botschaften und Ansprachen zugute, die bis in unsere Zeit ihre Spuren hinterlassen haben. Uns kommt ihr Beispiel, ihr Vorbild zugute, das die Kirche heute offiziell vorstellt. Uns kommt ihre Fürsprache zugute: durch ihre Seligsprechung sagt uns die Kirche, daß sie in den Ortskirchen angerufen werden können, denn sie ist dessen gewiß, daß diese Seligen bereits an der ewigen Glückseligkeit bei Christus teühaben, der zur Rechten des Vaters erhöht ist. Dieser Tag des Dankes, der Freude und des Stolzes für die Kirche ist dies ganz besonders für die vier Länder, deren großmütiger Glaube Christen, Priester, Missionare, Ordensmänner und Ordensfrauen von solchem Schlag hervorgebracht hat: die Niederlande, Spanien, Frankreich und Kanada, deren offizielle und diözesane Delegationen ich voll Freude begrüße. Ein Festtag ist es auch für die fünf Ordensfamilien, die sich durch diese Seligen, ihre Mitglieder oder Gründer, hochgeehrt fühlen. Mögen wir alle zugleich eine große Hoffnung verspüren! So wie am Anfang die Apostel in Matthias einen Zeugen der Auferstehung finden konnten, so erweckt der Heilige Geist zu allen Zeiten selbst - und vielleicht gerade - unter denen, die als schwach, gering, arm, manchmal behindert und krank, auf alle Fälle aber immer als bescheiden und demütig angesehen werden, erschütternde Zeugen des Evangeliums, die auf die geistlichen Bedürfnisse ihrer Zeit eingehen, und das mit sicherer Intuition, mit einer entwaffnenden Einfachheit, mit alles wagender Kühnheit und einer tiefen Anhänglichkeit an die Kirche, die die Echtheit ihres Charismas und ihrer Mission erkannt und anerkannt hat. Mögen diese Sehgen unsere Fürsprecher sein! Mögen sie unseren Weg erleuchten! Mögen sie für uns die Hoffnung und den Mut von Zeugen der Liebe Gottes erwirken! Damit die Welt durch uns diese Liebe wiedererkennt und sich nach ihrer Fülle sehnt! Amen! Halleluja! (O.R. 24.125. 5. 82) 1131 Botschaften und Ansprachen Der Dialog der Kirche mit den Kulturen Ansprache an das Komitee zur Unterstützung und Förderung des Internationalen Katholischen Zentrums bei der UNESCO (C.C.I.C.) am 24. Mai Herr Präsident! Herr Generalsekretär! Sehr geehrte Damen und Herren! 1. Ich begrüße herzlich die Teilnehmer an der zehnten Vollversammlung des Komitees zur Unterstützung und Förderung des Internationalen Katholischen Zentrums bei der UNESCO (C.C.I.C.). Ihr Besuch erinnert mich an die Begegnung, die ich zu meiner Freude mit einer Anzahl von Ihnen als Vertretern dieses Zentrums und der Internationalen Katholischen Organisationen, die um den verehrten Herrn Lar-naud versammelt waren, in der Klarissenkapelle in Paris hatte, unmittelbar bevor ich mich zum Sitz der UNESCO begab. Und jetzt sind Sie nach Rom, in das Zentrum der Kirche gekommen, um die verschiedenen Aspekte des Themas Kultur zu studieren, ausgehend von der Ansprache, die ich am 2. Juni 1980 im Einklang mit dem Programm der Tagung des Exekutivrates dieser Organisation hielt. Sehr aufgeschlossen für die von Ihnen getroffene Wahl, weiß ich diese Initiative lebhaft zu würdigen und beglückwünsche Sie dazu. 2. Die Reflexion über die Kultur und ihre Beziehungen zum Leben der Welt und zur Sendung der Kirche muß in der Tat in vielfältiger Weise weitergeführt und vertieft werden. Die vier Aspekte, die Sie für die Versammlung dieses Jahres ausgewählt haben, scheinen mir sehr bedeutsam: Kultur und Entwicklung, spezifischer und universaler Charakter der Kultur, Kultur und Kommunikation, Religionen und Kulturen. Ich kann heute nicht auf den Kern dieser fesselnden und wichtigen Themen einge-hen, aber ich hoffe, daß Sie mit Hilfe der Teilnehmer aus den verschiedenen Kontinenten sowohl Ihre Erfahrung erweitern wie auch die Probleme genauer erfassen und damit wesentliche Punkte herausstellen konnten, die in den verschiedenen Bereichen Ihrer Tätigkeit Ihre Überzeugungen nähren und Ihr Tun leiten werden. 3. Das Interesse des Hl. Stuhls - und des Papstes persönlich - für diese Fragen ist so groß, daß soeben, mit Datum vom 20. Mai, an der Kurie eine neue Einrichtung gegründet wurde: der Päpstliche Rat für die Kultur. In Übereinstimmung mit dem, was das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Konstitution Gaudium et spes zu diesem Thema gesagt hat, bin ich ganz 1132 Botschaften und Ansprachen davon überzeugt, daß der Dialog der Kirche mit den Kulturen ein lebenswichtiger Bereich für die Kirche ebenso wie für den Menschen ist. Das Band zwischen dem Evangelium und dem Menschen führt zum Entstehen der Kultur. Und wenn die Kultur das ist, wodurch der Mensch mehr Mensch wird, dann geht es hier um das Schicksal des Menschen. Die Synthese zwischen Kultur und Glaube ist nicht nur eine Forderung der Kultur, sondern auch des Glaubens. Als Ziele dieser neuen Einrichtung, die übrigens einen internationalen Rat qualifizierter Repräsentanten der katholischen Kultur umfassen wird, habe ich unter anderem folgende genannt: das tiefe Interesse des Hl. Stuhls und seiner besonderen Sendung hinsichtlich des Fortschritts der Kultur, des Dialogs zwischen den Kulturen und der Begegnung von Kultur und Evangelium zu bezeugen; die Arbeit zur Evangelisierung der Kulturen zu koordinieren, mit den Internationalen Katholischen Organisationen zusammenzuarbeiten und die Tätigkeit der internationalen Organe, die an der Kultur interessiert sind, angefangen bei der UNESCO, aufmerksam zu verfolgen. Das heißt also, Ihre Studien und die Tätigkeit Ihres Zentrums sind mehr denn je ein zentrales Anliegen des Hl. Stuhls. 4. Die Kirche und die UNESCO tragen jede auf ihre Weise mit ihren Mitteln und ihren Zielsetzungen entsprechend zur Förderung der Kulturen und besonders der Erziehung bei und dadurch zum Dienst am Menschen, der in gewissem Sinne die „wichtigste Erscheinung der Kultur“ ist. Mein Besuch am Sitz der UNESCO, die mich eingeladen hatte, war ein Beweis der fruchtbaren, sich vertiefenden Beziehungen des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen dieser Organisation und dem Hl. Stuhl. Der ständige Beobachter des Hl. Stuhls ist das Symbol dafür. Und dort spielt auch Ihr Internationales Katholisches Zentrum bei der UNESCO eine wichtige Rolle, das seit zehn Jahren von der Vereinigung, die heute Zusammentritt, unterhalten wird. Sie haben in der Tat seit der Gründung der UNESCO bemerkenswerte Arbeit geleistet, für die ich Ihnen gern meine Anerkennung aussprechen möchte: Sie beobachten nicht nur die vielfältigen Aspekte der Initiativen und Aktivitäten dieser Weltorganisation und ziehen Schlüsse daraus - ich denke z.B. an Ihre Zeitschrift „Le mois ä l’UNESCO“ -, sondern Sie regen auch zur Reflexion über diese Unternehmungen und über den Dialog der Kulturen an, an dem Sie selbst teilnehmen, und das in einer auf den Glauben abgestimmten anthropologischen Sicht. Denn die Christen müssen in diesem Bereich Zeugnis geben. Und dadurch, daß Sie das tun, erweisen Sie den Internationalen Katholischen Organisationen, die beratenden Status bei der UNESCO haben, einen beachtenswerten Dienst. Sie bieten gewisser- 1133 Botschaften und Ansprachen maßen nach beiden Seiten Gewähr für eine fruchtbare Vermittlung als Stelle zur Information, Reflexion und zum Einsatz der Katholiken. 5. Ja, ich will die Gelegenheit benützen, um auch die Rolle der Internationalen Katholischen Organisationen zu unterstreichen, denen auf Grund des Artikels 71 der UNO-Statuten und des Artikels 11,4 der Statuten der UNESCO als regierungsunabhängigen Organisationen gestattet ist, ihre Ansichten einzubringen und auf diese Weise an der vielgestaltigen Arbeit der UNESCO mitzuwirken. Das gehört zum Zeugnis und zum Einsatz der Christen, deren Bedeutung in sämtlichen Bereichen menschlichen Tuns das Zweite Vatikanische Konzil nachdrücklich unterstrichen hat. Das brauche ich vor Ihnen' die Sie das so gut verstanden haben, nicht weiter zu betonen. Aber während jeder Christ und jede einzelne Gruppe von Christen - Faqiüien, verschiedene Vereinigungen - diese Verantwortung tragen, in den zeitlichen Angelegenheiten in Übereinstimmung mit dem Glauben und der Liebe nach dem Evangelium zu handeln, haben die Internationalen Katholischen Organisationen, um die Denkweisen und Strukturen zu verbessern, ausgedehntere Möglichkeiten und erbringen ein gemeinsames Zeugnis für die ganze Kirche. Darin liegen die Bedeutung und die Anforderungen ihres Apostolats. Für sie wie für das C.C.I.C. erfordert die Zusammenarbeit mit der UNESCO viel Sachkenntnis, Offenheit und Fairneß, eine aktive Zusammenarbeit, verbunden mit kritischer Unterscheidung und Ablehnung aller ungerechten Diskriminierungen. Sie setzt vor allem voraus, daß sie in ihrer Berufung als Laien, die fest im Glauben verwurzelt sind, ihr Zeugnis in tiefer Übereinstimmung mit dem Evangelium, mit der gesamten Lehre der Kirche und auch mit den von ihr gegebenen Richtlinien erbringen. In Ihrer Anwesenheit an diesem Ort und in Ihrem Besuch beim Nachfolger Petri möchte ich ein Zeichen dafür sehen, daß Sie an dieser Treue festhalten. 6: Ich vergesse schließlich nicht, daß Sie, als Sie hierher kamen, auch mit den Höheren Obern und Oberinnen oder ihren Vertretern Zusammentreffen wollten, um mit ihnen über die Präsenz der Christen, insbesondere der Orden in den kulturfördemden Organisationen zu sprechen. Ich freue mich, Sie auf diese Weise ermutigen zu können, segne aus ganzem Herzen Sie persönüch, Ihre Familien und Ihre Mitarbeiter und erflehe - in dieser Zeit des Kirchenjahres - das Licht des Heiligen Geistes für Ihre Arbeiten zur Förderung des Menschen und zur Ausbreitung der Kirche. (O.R. 24J25. 5. 82) 1134 Botschaften und Ansprachen Gegenüber jeder Nation die Liebe bewahren Brief an die Argentinier vom 25. Mai Liebe Söhne und Töchter Argentiniens! 1. Mit eigener Hand schreibe ich euch, weil ich spüre, daß ich die väterliche Geste des Apostels Paulus gegenüber seinen Söhnen wiederholen muß, um sie im Glauben zu stärken (vgl. Kol 4, 18). Ich schreibe euch diesen Brief aus einem Gefühl der Liebe und Verbundenheit für die eine und universale Kirche heraus, die auf der ganzen Welt, in allen Völkern und Nationen gegenwärtig ist. Ich schreibe euch, weil ich meine, euch in Argentinien eine besondere Erklärung zu schulden. Diese Erklärung wird durch die Probleme notwendig, die meine apostolische und pastorale Reise nach England, Schottland und Wales zu Pfingsten dieses Jahres aufgeworfen hat. Wenn es in den letzten Wochen nicht zu den tragischen Geschehnissen gekommen wäre, die ihren Brennpunkt in der südlichen Zone des Atlantischen Ozeans haben und mit dem Konflikt zwischen eurem Land und Großbritannien Zusammenhängen, bedürfte diese Reise keiner Erklärung, wie das bisher auch für keine andere Reise notwendig war, die ich unternommen habe, um die Kirchen in verschiedenen Ländern und Kontinenten zu besuchen. Aber angesichts der schmerzlichen gegenwärtigen Lage fühle ich die Notwendigkeit, euch diese Erklärung zu geben, wohl wissend, daß ihr sie als aufrichtiges Zeugnis der Liebe in meinem evangelischen Dienst an der Welt annehmen werdet. 2. Die Reise des Papstes zum Besuch der Kirchen von England, Schottland und Wales ist bereits seit zwei Jahren geplant, und seit eineinhalb Jahren ist eine intensive Vorbereitung im Gang, die in einer Reihe von pastoralen Aktionen konkrete Gestalt annimmt. Die dadurch hervorgerufene Erwartung, diese Vorbereitungen zum Ziel zu bringen, ist so groß, daß ich nicht umhin kann, diesen Besuch durchzuführen, der die jahrhundertelange Treue jener Katholiken zur Kirche und zum Papst krönen soll. Andererseits waren und sind sich trotz meiner eindringlichen Versuche, die Reise zu verschieben, die Bischöfe Großbritanniens einig in der Versicherung, daß eine solche Verschiebung absolut unmöglich ist; sie käme ihrer Meinung nach praktisch einer endgültigen Absage gleich. Die Absage der Reise wäre nicht nur für die Katholiken eine Enttäuschung, sondern auch für sehr viele Nichtkatholiken, die sie, wie es ja tatsächlich der Fall ist, auch wegen ihrer ökumenischen Bedeutung als 1135 Botschaften und Ansprachen besonders wichtig erachten. Sie wissen in der Tat sehr wohl, daß der Besuch des Papstes rein pastoralen und keinen politischen Charakter hat. Dieser rein pastorale und ökumenische Charakter ist so wesentlich und vorherrschend, daß unter den gegebenen Umständen die Repräsentanten der Regierung Ihrer Majestät freiwillig auf alle Kontakte verzichtet haben, die bereits vorgesehen waren und die unter anderen Umständen bei ähnlichen Besuchen normalerweise stattfanden. Das Programm sieht eine Begegnung mit den höchsten Vertretern der anglikanischen Kirchengemeinschaft und der anderen von der katholischen Kirche getrennten christlichen Gemeinschaften vor. Außerdem ist ein Besuch bei Königin Elisabeth vorgesehen, die bekanntlich auch eine einzigartige Stellung in der Kirche Englands innehat. 3. Wenn ich trotz aller wachsenden Schwierigkeiten und mit schmerzerfülltem Herzen wegen der von dem Konflikt zwischen Argentinien und Großbritannien verursachten Opfer die Reise unternehme, hege ich die feste Hoffnung, daß möglichst bald schrittweise auf dem Weg friedlicher Verhandlungen eine ehrenvolle Lösung gefunden werde. Ich habe es nicht aufgegeben, mich von Anfang an mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln um eine Lösung zu bemühen, die, auch wenn sie den Charakter einer gerechten und dem nationalen Ehrgefühl angemessenen Entscheidung hat, trotzdem den beiden Seiten - und vielleicht auch anderen Gemeinschaften - Blutvergießen und andere schreckliche Auswirkungen des Krieges ersparen kann. Für dieses Anliegen habe ich wiederholt gebetet, besonders während meiner jüngsten Pilgerreise nach Fatima und ganz besonders bei der am 22. Mai in der Petersbasilika von mir gemeinsam mit den kirchlichen Oberhirten aus Argentinien/Lateinamerika und England, Schottland und Wales zelebrierten heiligen Messe. Noch sind in meinem Herzen die fordernden Sätze lebendig, die ich bei dieser historischen Gelegenheit gesprochen habe: Der Friede ist möglich, der Friede ist eine dringende Verpflichtung. Die Tage meines Aufenthaltes in Großbritannien werden weiterhin ein unaufhörliches Gebet für den Frieden sein, ein Gebet, das zum Himmel emporsteigt, gemeinsam mit dem des Volkes Gottes, das die Worte Christi in seinem Herzen trägt: „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“ {Mt 5, 9). 4. Vor allem werden in jenen Tagen meine Gedanken und meine Liebe auch bei euch sein, geliebte Söhne und Töchter in Argentinien. Meine besondere Liebe zu eurer Nation und zu ganz Lateinamerika, wo ich bereits zwei Besuche abstattete, die ich in meinem Herzen als oberster Hirte der Weltkirche lebendig bewahre, ist bekannt. In meinen Plänen 1136 Botschaften und Ansprachen war auch ein dritter Besuch vorgesehen, der Anfang kommenden Jahres stattfinden soll. Dessen ungeachtet wäre es - aus tiefer Besorgnis für die Sache des Friedens und bewegt von der Liebe zu euch, die ihr in diesen schmerzlichen Tagen so schweren Prüfungen ausgesetzt seid - mein sehnlicher Wunsch, persönlich direkt von England nach Argentinien zu kommen und dort unter euch und mit euch, Hebe Brüder und Schwestern, gleichfalls für den Sieg eines gerechten Friedens über den Krieg zu beten. Ich hoffe, daß ihr euch schon bald zusammen mit dem Papst im HeiHgtum der Gottesmutter in Lujan einfinden könnt, wo ich eure Famihen und euer katholisches Vaterland dem mütterhchen Herzen der Muttergottes weihen will. Diese kurze Reise soll nicht den Verzicht auf einen Pastoral-besuch bei euch bedeuten, der zu gegebener Zeit mit einem entsprechenden Programm und der gebührenden Vorbereitung stattfinden wird. 5. Besonders bitte ich euch, ehrwürdige Brüder im Bischofsamt, die wahre Bedeutung meiner apostohschen Reise vor der Gesellschaft klarzumachen, vor allem dann, wenn diese Bedeutung in einem falschen Licht dargestellt werden sollte, um die Glaubwürdigkeit des weltweiten pastora-len Dienstes des Bischofs von Rom zu untergraben. Seid darüber hinaus, wenn auch im Rahmen der gerechten Forderungen der VaterlandsHebe, Sprecher jener Einheit, die in Christus und vor Gott, dem Schöpfer und Vater, aHe Völker und Nationen umfaßt, jenseits von allem, was sie unterscheidet, trennt oder auch einander entgegenstellt. Die Kirche, die zwar gegenüber jeder einzelnen Nation ihre Liebe bewahrt, kann dennoch nicht umhin, die weltumspannende Einheit, den Frieden und das gegenseitige Verständnis zu schützen. Deshalb unterläßt es die Kirche nicht - selbst in den pohtischen Spannungen und Heimsuchungen, die der Krieg mit sich bringt -, von der Einheit der großen MenschheitsfamiHe Zeugnis zu geben und nach Wegen zu suchen, die diese Einheit über jede noch so tragische Spaltung hinaus betonen. Es sind die Wege, die zur Gerechtigkeit, zur Liebe und zum Frieden führen. Während ich euch meines Gebetes versichere, übersende ich euch zum Beweis meiner Hebenden Nähe meinen besonderen Apostohschen Segen. 1137 Botschaften und Ansprachen Wenn die Welt „in Flammen steht“ Schreiben an die Karmelitinnen zum 400. Todestag der hl. Theresia von Avila vom 31. Mai An die geliebten Schwestern, die unbeschuhten Nonnen des Ordens der seligen Jungfrau Maria vom Berge Karmel, anläßlich des 400. Todesjahres der hl. Theresia von Avila 1. Mit sehr lebhafter Freude und besonders herzlicher Liebe wende ich mich an Euch, unbeschuhte Karmelitinnen, anläßlich des 400. Jahrestages des seligen Heimganges der hl. Theresia von Jesus, Eurer Gründerin und Kirchenlehrerin, am 15. Oktober 1582 in Alba de Tormes; auf die feierliche Begehung dieses Ereignisses wolltet Ihr, die Töchter der Heiligen, und die unbeschuhten Karmeliterpatres euch vorbereiten, indem Ihr ein ganzes Jahr dem Gedenken und der Verehrung Eurer verehrten Mutter widmet. Bereits zu Beginn dieses „theresianischen Jahres“ wollte ich die Absichten und Vorhaben der Söhne und Töchter der großen Heiligen ermutigen; zu diesem Zweck habe ich an den hochw. P. Felipe Säinz de Baranda, Generaloberer der unbeschuhten Karmeliten, und durch ihn an den ganzen Orden das Schreiben Virtutis exemplum et magistra, mit Datum vom 14. Oktober 1981, gerichtet (AAS 73, 1981, 692-700; deutsche Übersetzung: O.R., dt. vom 13. 11. 81, S. 4-5). Heute will ich mich direkt an Euch, die Töchter der hl. Theresia, wenden, da Ihr die erste Frucht ihrer mütterlichen Sorge und ihrer Reformarbeit seid und darum in höchstem Maße daran interessiert, reiche geistliche Früchte dieses Gedenkjahres zu ernten. Außerdem wül ich mit diesem Brief den zahlreichen Beweisen des Gehorsams und der Treue zu Eurem kontemplativen Charisma entsprechen sowie auch die hochherzigen Gebete und Opfer für meinen Dienst als universaler Oberhirte erwidern, die mir besonders in diesem Jubiläumsjahr von den über die Welt verstreuten Mitgliedern des Karmels immer wieder versprochen werden. 2. Bei diesem für Euch so bedeutsamen Anlaß möchte ich meiner tiefen Dankbarkeit Ausdruck geben und zugleich ein Wort herzlicher Ermutigung an Euch richten. Ja, ich will Euch vor allem danken, weü ich weiß, wieviel Ihr durch Euer Leben in Gebet und Opfer zur Ehre Gottes, für die Kirche und für die Welt tut. In diesem Zusammenhang will ich an die Worte Eurer heiligen Mutter erinnern, die sich mit Hinweis auf die Rettung der Seelen mit 1138 Botschaften und Ansprachen folgenden Worten an ihre Töchter wandte: „Durch dieses Werk hat der Herr euch hier zusammengeführt; das ist eure Berufung, das ist euer Auftrag, das muß Gegenstand und Ziel eurer Wünsche, der Grund eurer Tränen, der Zweck eurer Gebete sein“ (Camino de Perfecciön - Weg der Vollkommenheit -, 1,5). Und mit höchst aktuellen Worten fügte sie hinzu: „Die Welt steht in Hammen! Man möchte sozusagen Jesus Christus aufs neue verurteilen, so viele Verleumdungen häuft man gegen ihn! Man möchte seiner Kirche ein Ende bereiten“ (ebd.). Zweck der Reform und der Klostergründungen war für sie daher vor allem, für die Ehre Gottes und das „Wohl seiner Kirche“ zu sorgen ( Weg der Vollkommenheit, III, 6). Wieviel die Töchter der hl. Theresia in den vierhundert Jahren ihrer Geschichte für dieses „Wohl“ getan haben, weiß nur der Herr. Doch wenn man die Chroniken Eurer Klöster durchgeht, die leuchtenden Beispiele von Heiligkeit, die sich in der Vergangenheit anboten - für alle bezeichnend sei das der hl. Theresia vom Kinde Jesus, der himmlischen Patronin der Missionen —, sowie die gegenwärtigen Zeugnisse evangelischer Vollkommenheit betrachtet, die von Euren Ordensfamilien erbracht werden, kann man etwas von dieser geheimnisvollen Fruchtbarkeit in der Kirche und für die Kirche ahnen. Ich kann darum nicht anders, als Euch im Namen Christi und der Kirche für all das danken, was Ihr, Töchter einer so großen Mutter, für das Heil der Seelen und für die Ausbreitung des Reiches Gottes vollbracht habt und weiter vollbringt. 3. Zusammen mit diesen Worten gebührender Anerkennung will ich eine herzliche Ermunterung an Euch richten, immer bewußter und fruchtbringender auf dem von der Heiligen vorgezeichneten Weg weiterzugehen, um der Kirche und der Welt das zu geben, was sie von Euch erwarten. Das Zweite Vatikanische Konzil hat das rechtmäßige Bestehen von Instituten in der Kirche bestätigt, die - wie das Eure - „gänzlich auf die Kontemplation hingeordnet sind, deren Mitglieder in Einsamkeit und Schweigen, anhaltendem Gebet und hochherziger Buße für Gott allein da sind...“; es hat erneut deren Nützlichkeit für dieselbe Kirche beteuert, die sie „in geheimnisvoller apostolischer Fruchtbarkeit wachsen“ lassen, so daß sie für sie „eine Zier und eine Quelle himmlischer Gnaden darstellen“. Und gleichzeitig hat das Konzü auf die grundlegenden Bedingungen für diese Fruchtbarkeit hingewiesen, indem es empfahl, daß die Arbeit der Anpassung und Erneuerung dieser Institute „unter ehrfürchtiger Wahrung ihrer Trennung von der Welt und der dem kontemplativen Leben eigenen Übungen“ vollzogen werden müsse (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 7). 1139 Botschaften und Ansprachen 4. Nun, in diesen Konzilsrichtlinien lassen sich unschwer die Lehre und die Weisungen Eurer heiligen Ordensmutter erkennen. Hat sie ihre Reform etwa nicht deshalb vorgenommen, um ein „gänzlich auf die Kontemplation hingeordnetes“ Leben zu verwirklichen? Sie hatte in der Tat den gebietenden Ruf des Herrn voll angenommen: „Ich will jetzt nicht mehr, daß du mit den Menschen sprichst, sondern mit den Engeln“ {Autobiographie, 24, 5), und lange über das Vorbüd Jesu meditiert, das „uns das Beten in der Einsamkeit lehrt“ ( Weg der Vollkommenheit, 24, 4), weshalb die Heilige ihren Töchtern empfahl: „Wir müssen uns von allem trennen, um innerlich Gott nahezukommen“ (ebd., 24, 6). Eure Ordensgründerin wußte besser als jeder andere, daß diese Einsamkeit nur ein Mittel ist, und sie äußerte sich dazu so: „Es wäre wirklich ein Unglück, könnten wir nur in den abgeschiedenen Winkeln der Einsamkeit beten“ {Klostergründungen, 5, 16). Aber zugleich wußte sie aus Erfahrung um die Bedeutung dieses Mittels, und es war ihr sehr wohl bekannt, daß die Wüste schlechthin der Ort der Begegnung mit dem Herrn ist, wie die Heilige Schrift sagt: „Darum will ich sie selbst verführen: Ich will sie in die Wüste hinausführen und sie umwerben“ {Hos 2, 16). Daher rührt ihr ständiges eindringliches Bestehen auf der Einhaltung der Klausur, einem konkreten Mittel, um diese kontemplative Einsamkeit tatsächlich zu vollziehen, für deren Einhaltung ich auch in meiner Ansprache an die Teilnehmer an der Plenarsitzung der Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute im März 1980 nachdrücklich zu einer „gerechten Strenge“ ermahnt habe {AAS 72, 1980, 211). Und zusammen mit der Klausur und mit den äußeren Zeichen, die sie konkret bestimmen, empfahl die heilige Ordensmutter mit Nachdruck alle übrigen Mittel, die die Trennung von der Welt sicherstellen, unter denen das Schweigen hervorragt, das „das Gebet, die Grundlage des Klosters, in hohem Maße erleichtert“ (vgl. Weg der Vollkommenheit, 4, 9). 5. Was sodann „die hochherzige Buße“ betrifft, die das Konzil - zusammen mit dem Gebet - als charakteristisches Merkmal des gänzlich auf die Kontemplation hingeordneten Lebens nennt, so sprechen noch mehr als ihre Ermahnungen das Leben und die Konstitutionen der hl. Theresia von deren Bedeutung, ja absoluter Notwendigkeit. Deshalb würde eine Haltung, die zu einer verringerten Buße, das heißt zu einer weniger hochherzigen, weniger freudigen, weniger vollständigen Aufopferung Eurer selbst führte, gewiß weder dem Konzil noch dem Charisma Eurer heiligen Mutter entsprechen. 1140 Botschaften und Ansprachen Die Treue zur Bußpraxis begünstigt in der Tat auch die Übung der schwesterlichen Liebe, die Loslösung von allem und die echte Demut, welche die drei Schlüsselpunkte auf dem Weg zur Vollkommenheit bleiben (vgl. Weg der Vollkommenheit, 4,4), und zugleich gehört sie zu jenem bekannten und entscheidenden Wesensmerkmal der karmelitischen Erfahrung, die der hl. Johannes vom Kreuz, der unerschrockene Mitstreiter der hl. Theresia bei der Reform Eures Ordens, in dem Absoluten des „todo-nada“ meisterhaft zum Ausdruck gebracht hat. Ich zweifle nicht daran, daß die Karmelitinnen von heute nicht weniger als jene von gestern voll Freude das Ziel jenes Absoluten anstreben, um den tiefen Anforderungen, die aus einer totalen Liebe zu Christus und einer vorbehaltlosen Hingabe an die Sendung der Kirche erwachsen, in angemessener Weise zu entsprechen. 6. Möge Euch auf diesem Weg die allerseligste Jungfrau Hilfe und Führerin sein, sie, das unvergleichliche Vorbüd für alle Seelen kontemplativen Lebens und besonders für Euch, Töchter eines Ordens, der von Anfang an „ganz die Gestalt Mariens annahm“, wie es Eure Väter im Mittelalter ausdrückten: „Totus marianus est Carmelus“ (Der Karmel ist ganz marianisch). In der Absicht, dem Orden seine ursprüngliche Glut wiederzugeben, sollte sich Eure Mutter nur „für den Dienst am Herrn und für die Ehre des Standes seiner glorreichen Mutter“ {Autobiographie, 34, 6), einsetzen, und als sie das IQoster des hl. Josef in Avila gründete, war ihr lebhaftester Wunsch, „daß man die Regel Unserer Lieben Frau und Herrin in der Vollkommenheit des Anfangs einhalte“ (Weg der Vollkommenheit, 3, 5). Der Herr selbst bestärkte sie darin, als er ihr nach Abschluß dieser Klostergründung „dafür dankte, was sie für seine heilige Mutter getan hatte“ (ebd. 24). Mannigfache andere Umstände ihres Lebens beweisen, wie sehr das Charisma der hl. Theresia von Jesus unter dem Zeichen Mariens stand. Von ihr empfing im Jahre 1562 die große Heilige sozusagen die Einsetzung als Reformerin (vgl. Autobiographie, 33, 14), und in ihre Hände erneuerte sie noch einmal ihr eigenes Gelübde (vgl. Rel. 48). Es verwundert einen darum nicht zu erfahren, daß die hl. Theresia ihre Nonnen immer wieder „Töchter der Jungfrau“ nannte {Autobiographie, 32, 11; 32, 24; 36, 6. 24. 28; Weg der Vollkommenheit, 13, 3; Mans. 3, 1, 3; Klostergründungen 19, 5; 29, 23) und sie mit folgenden Worten ermahnte: „Da ihr eine so gute Mutter habt, ahmt sie nach und versenkt euch in die Größe dieser Herrin und das Gute, das euch daraus erwächst, daß ihr sie zur Patronin habt“ {Mans. 3, 1, 3). 1141 Botschaften und Ansprachen Wenn Ihr in der Nachfolge Eurer Reformerin über das Geheimnis Mariens nachdenkt, deren Herz in seiner innigen Verbundenheit mit Christus Quell des Lebens für die Kirche ist (vgl. Redemptor hominis, Nr. 22), werdet Ihr tiefer in das strahlende Licht Eurer Berufung, ihrer Forderungen nach Einsamkeit, Schweigen, totaler Hingabe eindringen und Euch zugleich von ihrer geheimnisvollen Fruchtbarkeit überzeugen, die Euch um so dringender erscheinen muß, als heute noch mehr als vor vierhundert Jahren „die Welt in Flammen steht“ und die Gefahren, die ihr drohen, groß sind. 7. Geliebte Töchter der hl. Theresia und der Jungfrau vom Berge Karmel, während ich Euch noch einmal für alles danke, was Ihr für die Kirche, insbesondere für ihre Bischöfe, Priester und Missionare, tut, deren verborgene, schweigende, aber notwendige Helferinnen Ihr seid, fordere ich Euch auf, immer hochherziger diese Dimension Eurer Berufung zu leben. Das „theresianische Jahr“ möge dabei helfen, in Euren Herzen das richtige Verständnis der Treue zu dem Charisma Eurer heiligen Mutter zu vertiefen und Euch die Gnaden gewähren, die für eine immer stärkere Hingabe unerläßlich sind. Als Unterpfand dieser Gnaden und als Zeichen besonderen Wohlwollens erteile ich Euch allen meinen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 31. Mai, Fest der Heimsuchung Mariens, des Jahres 1982, im vierten Jahr meines Pontifikats. PAPST JOHANNES PAUL II. (O.R. 26. 6. 82) An der Seite des Bischofs - an der Seite des Papstes Ansprache bei der Audienz für den Bischof von Mainz, Kardinal Hermann Volk, und eine Gruppe Diözesanpriester am 5. Juni Sehr verehrter Herr Kardinal, liebe Mitbrüder im Bischofsund Priesteramt! Herzlich heiße ich Sie alle hier im Vatikan willkommen. Es ist mir eine besondere Freude, daß uns diese kurze Begegnung inmitten der großen Aufgaben dieser Wochen geschenkt ist. 1. Ihr Bischof, mein hochverehrter Freund Kardinal Volk, hat Sie aus Anlaß seines zwanzigjährigen Bischofsjubüäums hierher nach Rom 1142 Botschaften und Ansprachen geführt, um Ihnen deutlich zu machen, daß ein Kardinal der römischen Kirche zu seinem Bischofsamt in einer bestimmten Ortskirche zugleich auch beim Hl. Stuhl und in der Diözese Rom beheimatet ist. Seine Titelkirche in dieser Stadt erinnert ihn stets daran, daß er auch zu den bischöflichen Ratgebern des Bischofs von Rom gehört. Der Papst ist auf diesen vielfältigen Rat aus dem weltweiten Kardinalskollegium angewiesen, und ich darf dankbar bekennen, daß auch Sie, lieber Herr Kardinal, mir und meinen Vorgängern diese brüderliche Gabe öfters geschenkt haben. Zugleich möchte ich in diesem Zusammenhang, da sich Ihre Amtszeit wohl bald ihrem wohlverdienten Ende zuneigt, rühmend auf Ihre mehrfache Mitgliedschaft in wichtigen Kommissionen der Deutschen Bischofskonferenz hinweisen. Auch auf dieser Ebene hat der Bischof von Mainz in diesen vergangenen 20 Jahren mit seiner theologischen und pastoralen Weisheit weit über den Bereich seiner Diözese hinaus segensreich gewirkt: zum Besten der katholischen Kirche in Deutschland und in der Welt. 2. Die meisten von Ihnen, hebe Mitbrüder, sind Dekane. Zu Ihrem Auftrag als Pfarrer haben Sie so auch die Sorge für Leben und Verbundenheit einer Gruppe von Pfarreien. Diese Aufgabe stellt Sie in besonderer Weise an die Seite Ihres Bischofs, ja auch an die Seite des Papstes. Jeweils geht es dabei um das Wecken von Charismen, um deren Begleitung und Stärkung und vor allem um deren Koordinierung zur lebendigen Einheit der Gemeinde Christi am Ort, in der Diözese, in der Weltkirche. Einen Bereich aus dieser einheitstiftenden Aufgabe möchte ich Ihnen ganz besonders ans Herz legen, nämlich, die Einheit unter den eigenen Mitbrüdern im Dekanat zu bestärken und zu schützen. Das ist sicherlich eine schwere, aber auch wertvolle Aufgabe für einen Dekan. Alle sollen ja demselben Reiche Gottes im Namen und in der Person Christi dienen: die jungen und die alten Priester, die schlichten und die hochspezialisierten, diejenigen mit stets reger Phantasie und unstillbarer Experimentierfreude und diejenigen, die sich lieber an das bisher Bewährte halten. Ein regelmäßiges Konveniat zu ermöglichen und alle Priester zur Teilnahme daran zu ermutigen, das ist deshalb vielleicht eine ganz wesentliche Aufgabe eines Dekans. 3. Ihre Bischofsstadt ist Mainz. Manche gute Erinnerung verbindet mich mit dieser alten und immer noch jungen Stadt. Eine Reihe von wichtigen Themen aus dem Leben der Christen und der Kirche hat meinen damaligen Besuch als Papst in Mainz geprägt: der arbeitende Mensch - die ausländischen Gruppen; die getrennten christlichen Brüder - die Juden. 1143 Botschaften und Ansprachen Darf ich diese bedeutsamen Bereiche christlichen Zeugnisses zusammen mit allen anderen Anhegen jener Reise der pastoralen Sorge jedes einzelnen von Ihnen ans Herz legen? Sie begegnen Ihnen ja sicherlich in ganz konkreter und eindringlicher Weise auch in Ihren Pfarreien und Dekanaten. So könnte der einmalige besondere Impuls, zu dem Sie und ich in jenem November des Jahres 1980 unseren Teil beigetragen haben, sich segensreich auswirken, weil er in vielfältigen sinnvollen Initiativen der Ortsgemeinden entschlossen aufgegriffen und ausgewertet wird. Das ist meine herzliche Bitte, die ich Ihnen mit auf den Weg in Ihre Heimat geben möchte. Grüßen Sie Ihre Mitbrüder und Ihre Gemeinden, grüßen Sie das ganze Bistum Mainz! Ihnen aber, verehrter Herr Kardinal, gilt mein herzlicher Glückwunsch zu Ihrem Bischofsjubiläum und mein Gebetsversprechen für Ihren weiteren Lebensweg. Sie alle begleite in Ihrem Dienst der Segen des allmächtigen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. (O.R. 6. 6. 82) Vereint in der Gnade des Herrn Predigt bei der feierlichen Messe und Priesterweihe in St. Peter am 6. Juni Meine Lieben! 1. „Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte“ {Mt 28, 16). Und auch ihr kommt nach dem Willen Christi hierher. Auf seinen Ruf hin. Auf Grund des inneren Gebotes, das ihr als seinen Willen angenommen habt, während ihr im Laufe der Jahre im Verständnis dieses Willens gereift seid. Ihr kommt also auch aus freiem Entschluß. Ihr kommt an den Ort, wo ihr die Priesterweihe empfangen sollt. Wir lesen, daß die Jünger, als sie Jesus sahen, vor ihm niederfielen (vgl. Mt 28, 17). Auch ihr werdet hier an diesem Ort vor Gott niederfallen. In Kürze werdet ihr, während die ganze Versammlung die Allerheiligenlitanei singt, euch auf die Knie werfen, um die unsichtbare Majestät Gottes anzubeten, die diesen heiligen Ort und diesen heiligen Augenblick erfüllt. 1144 Botschaften und Ansprachen Schließlich lesen wir von den Jüngern, daß einige von ihnen zweifelten (vgl. Mt 28, 17). Von euch darf in diesem Augenblick keiner zweifeln. Ihr müßt die Gewißheit haben: die ganze moralische Gewißheit, deren ihr fähig seid. 2. Ihr empfangt die Priesterweihe am Dreifaltigkeitssonntag. An jene elf Jünger, die (nach dem Matthäusevangelium) auf den Berg in Galiläa gingen, richtete Christus folgende Worte: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ {Mt 28, 18—20). Kommt, um von der Macht Christi, von der Macht, die Ihm allein gegeben ist im Himmel und auf Erden, den für euch bestimmten Anteil entgegenzunehmen. Euer Anteil ist die Teilhabe. Das ganze Gottesvolk des Neuen Bundes bildet sich durch die Teilhabe an der Heüsmacht Christi, an dieser Macht, kraft welcher sich die Erlösung der Welt und der Menschheit vollzieht. An dieser Macht Christi, des Priesters, Propheten und Königs, sollt ihr alle in besonderer Weise teilhaben, die ihr berufen seid, im Volk Gottes das priesterliche Dienstamt (das zugleich das hierarchische ist) auszuüben. Durch die Kraft dieser Macht wird besonders das Gottesvolk des Neuen Bundes zusammengeführt, zusammengeführt zu jener Einheit, die es aus der Einheit Gottes schöpft: des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Ihr empfangt die Priesterweihe an dem Tag, den die Kirche der feierlichen Verherrlichung dieser Einheit weiht. 3. Ihr befindet euch also hier, voll Spannung auf den Augenblick, der eure Erwartungen erfüllen soll. Mit der Stimme der Kirche und durch den Dienst des Bischofs muß er eure Berufung bestätigen. Er muß euren jungen Händen und der Obhut eurer Herzen die heilige Eucharistie anvertrauen, die, wie das Zweite Vatikanische Konzil mit Recht betont hat, „das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle enthält“ (Presbyte-rorum ordinis, Nr. 5). Es ist, als wären die Worte des Responsorialpsalms ganz besonders an euch gerichtet: „Doch das Auge des Herrn ruht auf allen, die ihn fürchten und ehren, die nach seiner Güte ausschauen“ (Ps 33, 18). So ist es, liebe Freunde! Es kann gar nicht anders sein. Wir können das, was wir in diesem Augenblick vollziehen müssen, nur „unter dem Blick“ 1145 Botschaften und Ansprachen des lebendigen Gottes - nur auf Grund des Übermaßes seiner Gnade -vollziehen. Alle Fragen, die die Kirche euch stellt, und die, die ihr euch selbst stellt, laufen schließlich auf eine entscheidende Frage hinaus: die Frage nach der Treue zu der Gnade auf dem Weg, den ihr heute eingeschlagen habt und auf dem ihr weitergehen sollt. Bin ich der Gnade Christi, der Stimme des Herrn meines Herzens und meines Gewissens, treu gewesen? Bin ich treu gewesen und will ich immer und um jeden Preis treu bleiben — der Stimme des Heiligen Geistes und seinem Licht und seiner Macht? „Unsere Seele hofft auf den Herrn, er ist für uns Schild und Hüfe. Laß deine Güte über uns walten, o Herr, denn wir schauen aus nach dir“ {Ps 33, 20.22). Ja, liebe Freunde! Darum betet zusammen mit euch die ganze Kirche: „O Herr, laß deine Gnade über ihnen walten!“ 4. So vereint in der Gnade des Herrn - nur so - wage ich, euch zu berufen und jedem von euch das Sakrament zu spenden, das heißt das Zeichen und Merkmal des priesterlichen Dienstamtes in der Kirche Christi. Der Geist Gottes führe euch! Er stehe mit seinem Zeugnis eurem Geist bei, weil ihr den Geist der Sohnschaft empfangen habt und rufen könnt: „Abba - Vater“ (Röm 8, 15), und diesen Ruf andere lehren könnt. Der Heilige Geist stehe eurem Geist mit seinem Licht bei, euch, die ihr „Erben Gottes und Miterben Christi“ seid (Röm 8, 17): damit ihr das größte Erbe, das den Menschen gegeben ist, zusammen mit Ihm in euch zum Erstarken bringt und anderen weitergebt. Zusammen mit Ihm! „Wenn wir mit ihm leiden, dann um mit ihm auch verherrlicht zu werden“ {Röm 8, 17). Immer zusammen mit Ihm! Das ganze Leben lang bis zum letzten Atemzug. In diesem feierlichen Augenblick empfehle ich jeden von euch auch seiner Mutter, damit sich euer ganzes Leben in Einheit mit Christus - zusammen mit Ihm! -verwirklichen und erfüllen kann. Zur Ehre und Herrlichkeit der Heiligsten Dreifaltigkeit. Amen. (O.R. 7J8. 6. 82) 1146 Botschaften und Ansprachen Im Dienst am Weltfrieden vorangehen! Ansprache bei der Audienz für den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan am 7. Juni Herr Präsident! 1. Es ist mir eine besondere Freude, Sie heute im Vatikan willkommen zu heißen. Obwohl wir bereits zahlreiche Kontakte miteinander hatten, ist es das erste Mal, daß wir einander persönlich begegnen. In Ihnen, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, grüße ich das ganze Volk Ihres großen Landes. Ich erinnere mich noch lebhaft des herzüchen Empfangs, der mir von Millionen Ihrer Landsleute vor nicht ganz drei Jahren bereitet wurde. Bei dieser Gelegenheit konnte ich mich ein weiteres Mal von der Lebenskraft Ihrer Nation überzeugen. Ich konnte erneut sehen, wie die von Ihren Gründungsvätern überkommenen sittlichen und geistigen Werte im Leben des modernen Amerika ihren dynamischen Ausdruck finden. Die Amerikaner sind in der Tat stolz auf ihr Recht auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück. Sie sind stolz auf den zivüen und sozialen Fortschritt in der amerikanischen Gesellschaft sowie auf die außerordentlichen Errungenschaften in Wissenschaft und Technik. Während ich heute zu Ihnen spreche, hege ich die Hoffnung, daß die Gesamtstruktur des amerikanischen Lebens sich immer fester auf das starke Fundament moralischer und geistiger Werte gründen möge. Ohne die Förderung und Verteidigung dieser Werte wird jeder menschliche Fortschritt behindert und die Würde des Menschen gefährdet. 2. Im Laufe ihrer Geschichte und besonders in schwierigen Zeiten haben die Amerikaner wiederholt Herausforderungen bewältigt, die sich ihnen stellten. Sie haben vielfältige Beweise von Selbstlosigkeit, Hochherzigkeit, Sorge für andere - für die Armen, Bedürftigen, Unterdrückten -erbracht; sie haben Vertrauen bewiesen in das große Ideal, ein geeintes Volk zu sein, das seine Sendung zu erfüllen hat. Im gegenwärtigen Augenblick der Weltgeschichte sind die Vereinigten Staaten vor allem dazu auf gerufen, ihre Sendung im Dienst des Weltfriedens zu erfüllen. Die heutige Weltlage erfordert eine weitblickende Politik, die jene unverzichtbaren Voraussetzungen der Gerechtigkeit und Freiheit, der Wahrheit und der Liebe fördern muß, die nun einmal die Grundlage jedes dauerhaften Friedens sind. 1147 Botschaften und Ansprachen 3. Herr Präsident, meine größte Sorge gilt dem Weltfrieden - dem Frieden in unseren Tagen. In vielen Teilen der Welt bestehen akute Spannungsherde. Diese akute Spannung tritt vor allem in der Krise im Südatlantik in Erscheinung, ferner im Krieg zwischen Irak und Iran und jetzt in der ernsten Krise, die durch die jüngsten Ereignisse im Libanon hervorgerufen wurde. Diese ernste Krise im Libanon verdient gleichfalls die Aufmerksamkeit der Welt wegen der ihr innewohnenden Gefahr weiterer Provokationen im Nahen Osten mit ungeheuren Folgen für den Weltfrieden. Es gibt glücklicherweise viele Faktoren in der Gesellschaft, die heute positiv zum Frieden beitragen. Diese positiven Faktoren schließen eine wachsende Verwirklichung der Unabhängigkeit aller Völker ein, eine wachsende Solidarität mit den Bedürftigen und eine stärkere Überzeugung von der Unannehmbarkeit des Krieges als Mittel zur Lösung von Streitfragen zwischen den Nationen. Bei meinem kürzlichen Besuch in Großbritannien stellte ich im besonderen fest, daß „die moderne Kriegsführung - mit oder ohne Atomwaffen - heute aufgrund ihres Ausmaßes und ihrer Schrecken unannehmbar wird als Mittel zur Beüegung von Konflikten zwischen den Nationen“ (Predigt in Coventry am 30. Mai 1982). Und für diejenigen, die sich zum christlichen Glauben bekennen, bot ich als Motivierung die Tatsache, daß „ihr, wenn ihr mit dem Friedensfürsten in Verbindung steht, begreift, daß . . . Haß und Krieg total im Widerspruch zu seiner Botschaft stehen“ (Ansprache an die Jugend in Cardiff am 2. Juni 1982). 4. Die Pflicht zum Frieden trifft besonders die Führer der Welt. An den Vertretern der Regierungen und Völker liegt es, dafür zu arbeiten, daß die Menschheit nicht nur von Kriegen und Konflikten befreit wird, sondern auch von der Furcht, die in zunehmender Weise hochentwickelte und mörderische Waffen hervorrufen. Friede bedeutet ja nicht nur das Fehlen von Krieg; er schließt auch das gegenseitige Vertrauen zwischen den Nationen ein - ein Vertrauen, das sich in konstruktiven Verhandlungen kundtut und beweist, die auf die Beendigung des Wettrüstens abzielen und auf die Freisetzung riesiger Mittel, die zur Linderung des Elends und zur Ernährung Millionen hungriger Menschen verwendet werden können. 5. Alles wirksame Friedenstiften erfordert Weitblick; Weitblick ist eine Eigenschaft, die für alle Friedenstifter notwendig ist. Ihre große Nation ist dazu aufgerufen, diese Weitsicht zu üben, wie das für alle Nationen der Welt gilt. Diese Eigenschaft befähigt die Regierenden, sich auf die konkreten Programme festzulegen, die für den Weltfrieden wesentlich sind -Programme der Gerechtigkeit und Entwicklung, Verteidigungsbemühun- 1148 Botschaften und Ansprachen gen und Initiativen zum Schutz des menschlichen Lebens sowie zur Förderung der Menschenrechte. Im Gegensatz dazu gefährdet alles, was die Menschenwürde in irgendeiner Weise verletzt, schwächt oder schändet, die Sache des Menschen und zugleich den Weltfrieden. 6. Die Beziehungen zwischen den Nationen werden weitgehend von dem Entwicklungsproblem beeinflußt, das in diesen unseren Tagen seine volle Bedeutung erlangt. Die erfolgreiche Lösung der Fragen und Probleme im Nord-Süd-Dialog wird auch in Zukunft der Maßstab für friedliche Beziehungen zwischen verschiedenen politischen Gemeinschaften sein und den Weltfrieden in den kommenden Jahren beeinflussen. Der wirtschaftliche und soziale Fortschritt, gekoppelt mit der Zusammenarbeit der Völker auf finanziellem Gebiet, bleibt ein angemessenes Ziel für die erneuten Bemühungen der Staatsmänner der Welt. 7. Eine wahrhaft universale Vorstellung vom Gemeinwohl der Menschheitsfamilie ist das unvergleichliche Werkzeug zum Aufbau des Weltfriedens. Es ist meine persönliche Überzeugung, daß ein geeintes und entschlossenes Amerika durch die Bemühungen seiner Regierenden und das Engagement all seiner Bürger unendlich viel zur Sache des Weltfriedens beitragen kann. Wenn es sich den hohen Idealen seiner Traditionen verpflichtet weiß, ist Amerika in der günstigen Lage, der ganzen Menschheit dabei zu helfen, sich dessen zu erfreuen, was es selbst fest entschlossen ist, zu besitzen. Mit dem Glauben an Gott und dem Vertrauen auf eine universale menschliche Solidarität möge Amerika in diesem entscheidenden Augenblick der Geschichte voranschreiten, um seinen berechtigten Platz im Dienst des Weltfriedens zu festigen. In diesem Sinne, Herr Präsident, wiederhole ich heute jene Worte, die ich beim Verlassen der Vereinigten Staaten im Jahre 1979 gesprochen habe: „Mein Schlußgebet lautet: Gott segne Amerika, damit es immer mehr wird - und wahrhaftig ist - und immer bleibe ,eine unter Gott unteilbare Nation. Mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle“ (7. Oktober 1979). (O.R. 7./8. 6. 82) 1149 Botschaften und Ansprachen Freiheit gegenüber Parteien bewahren! Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes am 8. Juni Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! 1. Soweit es mir möglich war, habe ich versucht, Ihrem Wunsch nach einer Begegnung mit mir anläßlich der Tagung Ihrer internationalen Vereinigung in Rom entgegenzukommen. Ihr Unternehmen hat mich in der Tat beeindruckt, und ich weiß die Ziele zu schätzen, die Sie im Dienst der Metallarbeiterorganisationen in siebzig Ländern verfolgen. In der Enzyklika Laborem exercens (Nr. 20) habe ich mich bereits ausführlich über die Arbeiterverbände geäußert und ich bin augenblicklich dabei, meinen Besuch bei der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf vorzubereiten. 2. Ja, die Kirche ist weiterhin der Meinung, daß derartige Verbände ein unerläßliches Element des sozialen Lebens darstellen. Was Ihre Gewerkschaften betrifft, die sich auf die Bereiche der Metallindustrie im weiteren Sinne erstrecken, so haben sie ihre eigenständige Physiognomie; ihre Struktur unterstreicht, wie mir scheint, die Solidarität, die die Arbeiter dieser Bereiche mit ihren besonderen Problemen untereinander verbindet, und begünstigt daher den Versuch, diesem Milieu entsprechend zu handeln. Das ist hier vielleicht leichter als bei manchen Gewerkschaften, die, wie es scheint, vor allem um ein generelles Vorgehen bemüht sind, die sich aber bisweilen von bestimmten Ideologien verführen lassen. Wie ich in meiner Enzyklika schrieb: „Die Lebensinteressen der Arbeitnehmer sind bis zu einem gewissen Punkt allen gemeinsam; gleichzeitig jedoch weist jede Art von Arbeit, jeder Beruf bestimmte Eigenheiten auf, die in diesen Organisationen ihre besondere Berücksichtigung finden sollen“ (Nr. 20). 3. Sie kämpfen für die soziale Gerechtigkeit. Sie schalten sich mit Recht dort ein, wo die Rechte der Arbeitnehmer in Frage gestellt werden. Ihnen obliegt auch eine erzieherische Rolle bei den Arbeitern und ihren Familien. Bei der schwierigen konjunkturellen Lage, die augenblicklich herrscht, leisten Sie ebenso Ihren Beitrag, in den ernsten Problemen der Beschäftigung und der Arbeitslosigkeit nach Lösungen zu suchen. Sie dehnen Ihre humanitäre Sorge auf die Sicherstellung der Menschenrechte 1150 Botschaften und Ansprachen aus. Die Kirche betrachtet voll Wohlwollen die Verantwortung, die Sie auf sich nehmen. 4. Ich möchte wünschen, daß die Arbeiten Ihrer Dachorganisation den zahlreichen Mitglieder-Gewerkschaften helfen, ihre Rolle bei der Verteidigung der den Arbeitern zustehenden Rechte im Rahmen des gesamten Gemeinwohls und unter Beachtung der wirtschaftlichen Situation des jeweiligen Landes gut zu spielen. Es ist stets zu wünschen, daß diese Gewerkschaften ihr spezifisches Ziel, das nicht direkt politischen Charakter hat, weiter im Auge behalten. Ich hatte Gelegenheit zu unterstreichen, daß sie sich gegenüber den politischen Parteien ihre Freiheit bewahren sollten. Aufgeschlossen bin ich auch für das Interesse, das Sie anderen Gewerkschaften, die der Prüfung ausgesetzt sind, entgegenbringen. Indem ich Ihnen für Ihren Besuch danke, empfehle ich Gott Ihre Verantwortlichkeiten im Dienst aller Arbeiter der Metallindustrie. Ich empfehle ihm auch Ihre persönlichen Anliegen und die Ihrer Familien. Und ich bitte ihn, Sie mit seinem Segen zu erfüllen. (O.R. 9. 6. 82) „Hoffnung leben und Hoffnung geben“ Rundfunk- und Fernsehbotschaft an die österreichischen Katholiken zur Vorbereitung des Katholikentages 1983 vom 8. Juni Mit großer Freude grüße ich heute meine Glaubensbrüder und -Schwestern in Österreich. Ich grüße die Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien sowie alle Menschen in diesem Land und in den Nachbarländern, zu denen meine Stimme gelangt. Heute beginnt für Euch das Jahr der Vorbereitung auf den Österreichischen Katholikentag, den Ihr im September 1983 veranstalten werdet. Dabei wollt Ihr jener europäischen Schicksalsstunde gedenken, in der vor genau dreihundert Jahren die Stadt Wien durch die gemeinschaftlichen Anstrengungen der Christen vor der drohenden Eroberung bewahrt wurde. Dieses entscheidungsvolle Ereignis soll die Christen von heute an ihre gemeinsame Verantwortung für Europa erinnern und ihnen neuen Mut vermitteln zu opferbereitem Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit, für Menschenrechte und christliche Solidarität unter den Völkern. 1151 Botschaften und Ansprachen Deshalb habt Ihr Euren Katholikentag unter das große, in die Zukunft weisende Thema Hoffnung gestellt. Wenn Gottes Güte es mir gestattet, Eurer freundlichen Einladung zu entsprechen, werde ich gern an Eurer gemeinsamen Glaubensfeier teilnehmen und mit Euch zusammen „Hoffnung leben und Hoffnung geben“. Von Eurem Katholikentag soll für Eure Heimat und für ganz Europa eine christliche Neubesinnung auf die tiefen gemeinsamen geistigen Wurzeln ausgehen. Wegen der vielfältigen Gefährdung und Existenzbedrohung der Menschheit kämpfen die Christen aus der Kraft ihrer Hoffnung mit allen Menschen guten Willens für eine gesicherte, lebenswerte Zukunft. Dabei beseelt uns nicht nur eine rein innerweltliche Hoffnung, sondern vor allem jene Hoffnung, die aus dem Glauben kommt, deren Grund und Ziel letztlich Gott selber ist: Gott, der in Jesus Christus sein endgültiges Ja zum Menschen gesprochen hat. Christus hat in seinem Kreuz und in seiner Auferstehung alles Leid und Unheil der Welt überwunden und ist dadurch für uns alle zum Zeichen der Hoffnung geworden. Hoffnung ist eine göttliche Tugend; sie ist zutiefst ein Geschenk, das Ihr Euch in diesem Jahr der Vorbereitung miteinander und füreinander von Gott erbitten sollt. Möge es für Euch dadurch zugleich ein Jahr der Besinnung und Umkehr, der Glaubensemeuerung und der gelebten Gottes- und Nächstenliebe werden. Wir Christen haben die Aufgabe, unsere Hoffnung auch in der Öffentlichkeit zu bezeugen und den anderen zu vermitteln. Durch unser hoffnungsvolles Wort und Beispiel sollen wir ihnen helfen, Lebensangst, Resignation und Gleichgültigkeit zu überwinden und Vertrauen auf Gott und zu den Menschen zu finden. Als Jünger Christi sollt Ihr, hebe Christen in Österreich, den Menschen heute in ihrer mannigfachen Bedrohung und Verwirrung die befreiende Antwort und Hoffnung schenken. „Hoffnung leben — Hoffnung geben.“ Das ist ein großer Aufruf, den Ihr Euch erwählt habt. „Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?“ (Röm 8, 31). Solche Glaubensgewißheit soll Euch in diesem Jahr der geistigen Erneuerung beseelen, damit alle Menschen in Eurem Land spüren können, daß sich die katholische Kirche in Österreich auf ein Fest der Hoffnung und der Freude vorbereitet. Ich bete mit Euch um eine frohe und fruchtbare Feier des Österreichischen Katholikentages 1983. Dazu segne Euch alle der allmächtige Gott: der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen. (O.R. 9. 6. 82) 1152 Botschaften und Ansprachen ,, Vor der Welt Zeugnis geben“ Predigt beim Fronleichnamsgottesdienst vor der Basilika St. Johannes im Lateran am 10. Juni 1. „Nach dem Lobgesang gingen sie zum Ölberg hinaus“ (Mk 14, 26). Mit diesem Satz endet die heutige Lesung aus dem Markusevangelium. Sie enthält die Beschreibung des letzten Abendmahls, zuerst die Vorbereitungen und dann die Einsetzung der Eucharistie. „Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib. Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, reichte ihn den Jüngern, und sie tranken alle daraus“ (Mk 14, 22-23). Das alles vollzieht sich in größter Sammlung und Stille. In dem Sakrament, das Jesus beim letzten Abendmahl einsetzt, gibt er sich selbst den Jüngern: seinen Leib und sein Blut unter den Gestalten von Brot und Wein. Er vollbringt, was er einst in Kafamaum angekündigt hatte - und was damals den Abfall vieler bewirkt hatte. So schwer fiel es, die Worte anzunehmen: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot ißt, wird in Ewigkeit leben“ (Joh 6, 51). Heute verwirklicht er das. Und die Apostel empfangen, essen das Brot, das sein Leib ist, und trinken den Wein, der sein Blut ist. Über dem Kelch spricht Jesus die Worte: „Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“ (Mk 14, 24). Sie empfangen den Leib und das Blut als Speise und Trank bei diesem letzten Abendmahl. Und sie werden des Bundes teilhaftig: des Neuen und Ewigen Bundes, der durch den am Kreuz geopferten Leib, durch das beim Leiden vergossene Blut geschlossen wird. Christus fügt noch hinzu: „Amen, ich sage euch: Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von neuem davon trinke im Reich Gottes“ (Mk 14, 25). Das also ist der Abendmahlsbericht. Das Reich Gottes, das Reich der Zukunft, hat mit der Eucharistie begonnen und wird sich von ihr bis zum Ende der Welt weiterentwickeln. 2. Als die Apostel nach dem Abendmahl zum ölberg hinausgehen, tragen sie alle dieses große Geheimnis in sich, das sich im Abendmahlssaal erfüllt hat. Christus begleitet sie: der auf Erden lebende Christus. Und zugleich tragen sie Christus in sich: den Christus der Eucharistie. 1153 Botschaften und Ansprachen Sie sind die ersten derer, die später „Christophoroi“ (Theophoroi) -„Christusträger“ (Gottesträger) genannt werden. So hießen die Teilnehmer an der Eucharistie. Wenn sie aus der Eucharistiefeier kamen, trugen sie den menschgewordenen Gott in sich. Mit ihm im Herzen gingen sie unter die Menschen im Alltagsleben. Die Eucharistie ist das Sakrament, in dem sich Gott am tiefsten verbirgt: Er verbirgt sich unter den Gestalten von Speise und Trank und auf diese Weise verbirgt er sich im Menschen. Deshalb ist die Eucharistie zugleich, aufgrund des Sich-Verbergens im Menschen, das Sakrament eines besonderen Hinausgehens in die Welt - des Eintretens unter die Menschen und des Eindringens in das ganze tägliche Leben. Das also ist die Entstehung des Fronleichnamsfestes. Wir wissen, daß dieses Fest in seiner historischen Gestalt im 13. Jahrhundert aufkam und in den katholischen Gemeinden der ganzen Welt eine breite Entwicklung genommen hat. Doch der eigentliche Anfang dieses Festes kann bereits in jener „Prozession“ gesehen werden, die von den Aposteln veranstaltet wird, als sie Christus umgaben und ihn zugleich als Eucharistie in ihrem Herzen trugen, als sie aus dem Abendmahlssaal zum ölberg hinausgingen. Wir erfüllen heute dieselbe alte Tradition. Wir feiern am Altar die Eucharistie, nehmen sie in unsere Herzen auf, um sie als „Christophoroi“ (Christusträger) in der Prozession durch die Straßen Roms zu tragen, auf alles zu, was uns hier umgibt, um vor allem und vor allen den Neuen und Ewigen Bund zu bezeugen. 3. „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat? Ich will den Kelch des Heils erheben und anrufen den Namen des Herrn“ (Ps 116, 12-13). Soweit die Worte des Psalmisten. Wir wollen tun, was sie sagen. Wir alle, die wir Christus in unseren Herzen tragen, vielleicht sogar täglich, wir alle: „Christophoroi“, „Christusträger“ ... - wir wollen dem Herrn alles vergelten, was er uns, jedem einzelnen und allen, Gutes getan hat und immer noch tut. Wir wollen den Kelch des Heils erheben, den Kelch der Eucharistie, und öffentlich vor allen Menschen, vor der ganzen Stadt und der Welt den Namen des Herrn anrufen. Erfüllen sich nicht gerade bei dieser Stadt Rom in besonders wortwörtlichem Sinn die weiteren Worte des Psalmes: „Kostbar ist in den Augen des Herrn das Sterben seiner Frommen“ (Ps 116, 15)? Das Rom der Apostel, das Rom der Märtyrer und Heiligen verehrt die 1154 Botschaften und Ansprachen Eucharistie, die für alle zum Brot des Lebens und zum Blut der geistlichen Freiheit geworden ist: „Ach Herr, ich bin doch dein Knecht, dein Knecht bin ich, der Sohn deiner Magd. Du hast meine Fesseln gelöst“ (Ps 116, 16). So spricht der Psalmist von sich. Und so denkt jeder „ Christophoros“, jeder „Christusträger“, der weiß, daß durch die Buße und die Eucharistie der Weg von der Sünde und Knechtschaft des Satans und der Welt zur Freiheit des Geistes führt. Davon wollen wir vor der Stadt und der Welt Zeugnis geben, wenn wir in der Prozession des heiligsten Leibes und Blutes Christi (in der Fronleichnamsprozession) gehen. Das ist unsere Liturgie des Lobes und der Danksagung, die wir vor Gott und den Menschen nicht versäumen dürfen. „Ich will dir ein Opfer des Dankes bringen und anrufen den Namen des Herrn. Ich will dem Herrn meine Gelübde erfüllen offen vor seinem ganzen Volk” (Ps 116, 17-18). Christus! Verborgener Gott! Nimm dieses unser Lobopfer an! Nimm den Dank und die Freude dieses Volkes an, das seit so vielen Jahrhunderten und Generationen das Geheimnis des Neuen und Ewigen Bundes in seinem Herzen trägt! (O.R. 12. 6. 82) Probleme realistisch und ehrlich in Angriff nehmen Botschaft an die 2. außerordentliche Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen, verlesen von Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli vor der UN-Vollversammlung in New York am 14. Juni Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Vertreter der Mitgliedstaaten! <35> <35> Als im Juni 1978 die erste außerordentliche Abrüstungskonferenz der Vollversammlung der Vereinten Nationen zusammentrat, sandte mein Vorgänger Paul VI. eine persönliche Botschaft an Sie, in der er seinen Hoffnungen Ausdruck gab hinsichtlich der Ergebnisse, die die Menschheit von einer solchen Bemühung guten Willens und politischer Weisheit seitens der internationalen Gemeinschaft mit Recht erwartet. Vier Jahre später sind Sie wieder hier zusammengekommen, um sich die Frage zu stellen, ob diese Erwartungen - wenigstens teilweise - erfüllt worden sind. 1155 Botschaften und Ansprachen Die Antwort auf diese Frage scheint weder sehr beruhigend noch sehr ermutigend zu sein. Ein Vergleich der Situation vor vier Jahren mit der heutigen hinsichtlich der Abrüstung läßt kaum Besserungen erkennen. Manche meinen sogar, die Situation habe sich zumindest in dem Sinne verschlechtert, daß die damals entstandenen Hoffnungen sich als reine Illusionen erweisen könnten. Diese Feststellung könnte leicht zur Entmutigung führen und die für das Geschick der Welt Verantwortlichen dazu verleiten, anderweitig nach der Lösung der - besonderen oder allgemeinen - Probleme zu suchen, die das Leben der Völker stören. Viele nehmen auch die aktuelle Wirklichkeit wahr. Die aus verschiedenen Quellen stammenden Zahlen weisen auf ein ernstes Wachstum der militärischen Ausgaben hin, die sich in einer vermehrten Produktion der verschiedenen Waffentypen kundtut, der nach Aussage von Fachinstituten ein verstärkter Waffenhandel entspricht. Die Medien haben in letzter Zeit einen Großteil ihrer Aufmerksamkeit auf die Erforschung und Anwendung chemischer Waffen in größerem Umfang konzentriert. Außerdem sind neue Kernwaffen entwickelt worden. Vor einer so kompetenten Versammlung wie der Ihrigen ist es nicht nötig, die Zahlen vorzulegen, die Ihre Organisation selbst zu diesem Gegenstand veröffentlicht hat. Es soll mir genügen, als Hinweis die Studie zu zitieren, nach der der Gesamtbetrag der Militärausgaben auf der Erde durchschnittlich 110 Dollar pro Person und Jahr entspricht, was für viele Bewohner dieses Planeten das Einkommen darstellt, das ihnen im gleichen Zeitraum zum Lebensunterhalt zur Verfügung steht. Angesichts dieser Sachlage gebe ich gern meiner Befriedigung darüber Ausdruck, daß die Vereinten Nationen sich aufs neue dem Problem der Abrüstung stellen wollen, und ich bin dankbar für die mir freundlicherweise gebotene Gelegenheit, aus diesem Anlaß das Wort an Sie zu richten. Obwohl der Hl. Stuhl nicht Mitglied Ihrer Organisation ist, hat er seit einiger Zeit bei ihr eine eigene ständige Beobachtermission, die es ihm ermöglicht, ihre Arbeit Tag für Tag zu verfolgen. Jeder weiß, wie sehr meine Vorgänger Ihre Arbeit zu schätzen wußten. Ich selbst hatte, insbesondere während meines Besuches am Sitz der UNO, Gelegenheit, mir ihre Worte der Anerkennung für Ihre Organisation zu eigen zu machen. Wie sie habe ich Verständnis für ihre Schwierigkeiten und, während ich ihr wünsche, daß ihre Bemühungen durch bedeutendere und bessere Ergebnisse belohnt werden mögen, anerkenne ich ihre wertvolle und unersetzliche Rolle, um der Welt eine freundlichere und friedlichere Zukunft zu sichern. 1156 Botschaften und Ansprachen Die Stimme, die ich dank Ihrer Liebenswürdigkeit erneut in dieser Aula zu Gehör bringen kann, ist die Stimme von jemandem, der weder politische Interessen noch politische Macht hat und schon gar nicht über militärische Stärke verfügt. Hierher, wo praktisch die Stimmen aller Nationen, großer und kleiner, Zusammentreffen, bringt mein Wort den Widerhall des moralischen Gewissens der Menschheit „im Urzustand’, wenn Sie den Ausdruck gestatten. Es geht nicht mit Sorgen oder Interessen anderer Art einher, die sein Zeugnis verschleiern und es weniger glaubwürdig machen könnten. Ein vom christlichen Glauben erleuchtetes und geleitetes Gewissen, ohne Zweifel, das aber deshalb nicht weniger menschlich ist, ja, im Gegenteü. Denn es ist ein Gewissen, das allen Menschen guten und lauteren Willens gemeinsam ist. Meine Stimme macht sich zum Echo der Ängste, Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen von Milliarden von Männern und Frauen, die von überall auf der Welt auf Ihre Konferenz blicken und sich fragen, ob in ihr, wie sie hoffen, ein beruhigendes Licht aufgehen oder aber sich neuerlich eine besorgniserregende Enttäuschung einstellen wird. Ohne von allen den Auftrag dazu erhalten zu haben, glaube ich, mich vor Ihnen zum getreuen Interpreten ihrer Empfindungen machen zu dürfen. Ich will und kann nicht auf die politischen und sachlichen Aspekte des Abrüstungsproblems eingehen, wie es sich heute darstellt, sondern werde mir erlauben, Ihre Aufmerksamkeit auf einige ethische Prinzipien zu lenken, die jeder Diskussion und jeder wünschenswerten Entscheidung auf diesem Gebiet zugrunde liegen. 2. Der Ansatzpunkt meiner Überlegungen ist eine Feststellung, die nicht nur Ihre Völker, sondern auch die Regierungen, denen Sie vorstehen oder die Sie vertreten, einstimmig anerkennen: die Welt sehnt sich nach Frieden, die Welt braucht Frieden. In unseren Tagen den Frieden verweigern heißt nicht nur, die Leiden und Verluste hervorrufen, die selbst ein begrenzter Krieg - heute noch mehr als in der Vergangenheit - mit sich bringt. Die Folge könnte auch die völlige Zerstörung ganzer Gebiete sein mit der möglichen oder wahrscheinlichen Gefahr von Katastrophen in noch größeren, ja selbst weltweiten Ausmaßen. Die für das Leben der Völker Verantwortlichen sind, wie es scheint, vor allem mit einer fieberhaften Suche nach politischen Wegen und technischen Lösungen beschäftigt, die es erlauben, die Auswirkungen möglicher Konflikte „in Schranken zu halten“. Obgleich sie die Grenzen ihrer diesbezüglichen Bemühungen zugeben müssen, bestehen sie auf diesen 1157 Botschaften und Ansprachen Wegen, so sehr ist die Überzeugung verbreitet, Kriege seien auf lange Sicht unvermeidlich; und ebenso und vor allem beherrscht das Gespenst eines möglichen militärischen Zusammenstoßes zwischen den großen Blöcken, die heute die Welt spalten, weiterhin das Schicksal der Menschheit. Natürlich wird keine Macht, kein Staatsmann zugeben, daß er einen Krieg planen oder die Initiative dazu ergreifen will. Doch das gegenseitige Mißtrauen läßt glauben oder befürchten, andere hegten Pläne oder Absichten dieser Art, so daß niemand eine andere mögliche, wenn nicht notwendige Lösung ins Auge zu fassen scheint als die Vorbereitung einer hinreichenden Verteidigungskraft, um auf einen eventuellen Angriff antworten zu können. 3. Viele meinen sogar, daß eine solche militärische Vorbereitung einen Weg darstelle - um den Frieden zu bewahren oder zumindest soweit als möglich und auf wirksamste Weise die Entstehung von Konflikten, vor allem von großen Konflikten, zu verhindern, die schließlich zum letzten Holocaust der Menschheit und zur Vernichtung der Zivilisation führen würde, die der Mensch im Laufe von Jahrhunderten mühsam auf gebaut hat. Das ist, wie man sieht, noch immer die „Friedensphilosophie“, die in dem altrömischen Grundsatz verkündet wird: „Si vis pacem, para bellum“, „Willst du den Frieden, rüste zum Krieg!“ In moderne Begriffe übersetzt hat diese „Philosophie“ den Namen „Abschreckung“ angenommen und verbirgt sich hinter der Suche nach einem „Gleichgewicht der Kräfte“, das manchmal nicht ohne Grund als „Gleichgewicht des Schreckens“ bezeichnet wurde. Wie mein Vorgänger Paul VI. festgestellt hat: „Die dem Streben nach dem Gleichgewicht der Kräfte innewohnende Logik treibt jeden der Gegner zum Versuch, sich ein gewisses Maß an Überlegenheit zu verschaffen aus Angst, einmal in eine benachteiligte Lage zu geraten“ (Botschaft an die Vollversammlung der UNO vom 24. Mai 1978). So ist praktisch die Versuchung leicht - und die Gefahr ist immer vorhanden -, die Suche nach einem Gleichgewicht in die Suche nach einer Überlegenheit zu verwandeln, die dazu angetan ist, den Rüstungswettlauf in noch gefährlicherer Weise anzuheizen. Das ist in der Tat die Tendenz, die heute noch immer vorzuherrschen scheint, ja vielleicht sogar noch ausgeprägter als zuvor. Und Sie haben sich als besonderes Ziel Ihrer Versammlung vorgenommen, nach Wegen zu suchen, die es möglich machen, diese Tendenz umzukehren. Dieses Ziel mag sozusagen noch „minimalistisch“ erscheinen, aber es ist von grundlegender Bedeutung, denn nur ein solcher Umschwung kann 1158 Botschaften und Ansprachen hoffen lassen, daß die Menschheit den Weg gehen wird, der zu dem von allen ersehnten Ziel führt, selbst wenn das viele noch immer als Utopie ansehen: zu einer totalen, gegenseitigen und mit Garantien für eine wirksame Kontrolle ausgestatteten Abrüstung, die allen das notwendige Vertrauen und die notwendige Sicherheit gibt. Diese Sondersitzung spiegelt somit noch eine andere Feststellung wider, nämlich daß die Welt die Abrüstung ebenso wie den Frieden wünscht. Die Welt braucht die Abrüstung. Im übrigen beweist alle Arbeit, die im Rahmen des Abrüstungsausschusses in den verschiedenen Kommissionen oder Unterkommissionen und innerhalb der Regierungen durchgeführt wird, sowie die von der Öffentlichkeit der Sache entgegengebrachte Aufmerksamkeit die Bedeutung, die man dem schwierigen Problem der Abrüstung in unseren Tagen beimißt. Die Einberufung dieser Konferenz ist schon ein Meinungsurteil: die Nationen der Welt sind schon allzu auf gerüstet und zu sehr in Formen der Politik engagiert, die diese Tendenz noch verstärken. Implizit schließt ein solches Urteü die Überzeugung ein, daß diese Tendenz falsch ist, und die Nationen der Welt, die sich auf diesen Weg eingelassen haben, ihre Position überdenken müssen. Aber die Situation ist komplex, und zahlreiche Werte kommen hier ins Spiel - einige davon von sehr hohem Rang. Unterschiedliche Gesichtspunkte können zur Sprache gebracht werden. Es kommt also darauf an, die Probleme realistisch und ehrlich in Angriff zu nehmen. Deshalb bitte ich Gott vor allem, daß Er Ihnen die Kraft des Geistes und den guten Willen schenke, den Sie brauchen, um Ihre Aufgabe zu erfüllen und die Sache des Friedens voranzutreiben, das letzte Ziel all Ihrer Bemühungen bei dieser Sondersitzung. Mein Wort ist also ein Wort der Ermutigung und der Hoffnung. Der Ermutigung, damit Sie nicht durch die Kompliziertheit der Probleme oder die Mißerfolge der Vergangenheit und Gegenwart in Ihrer Tatkraft nachlassen. Ein Wort der Hoffnung, weil wir wissen, daß nur Menschen der Hoffnung imstande sind, geduldig und beharrlich auf die Ziele, die der besten Anstrengungen würdig sind, und auf das Wohl aller zuzugehen. 4. Vielleicht berührt heutzutage kein Problem so viele Aspekte der menschlichen Grundsituation wie das von Rüstung und Abrüstung. Es umfaßt wissenschaftliche und technische, soziale und wirtschaftliche Aspekte. Es schließt auch schwere Probleme politischen Charakters ein, die die Beziehungen zwischen Staaten und Völkern betreffen. Unsere weltweiten Rüstungssysteme beeinflussen darüber hinaus in hohem Maß 1159 Botschaften und Ansprachen die kulturelle Entwicklung. Als Krönung von allem erheben sich die religiösen Fragen, die die Identität des Menschen selbst und seine Entscheidungen für die Zukunft und für die kommenden Generationen betreffen. Wenn ich Ihnen meine Überlegungen vortrage, sind mir all diese technischen, wissenschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen und vor allem ethischen, kulturellen und religiösen Dimensionen präsent. 5. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Beginn des Atomzeit-alters haben der Hl. Stuhl und die kathoüsche Kirche eine klare Haltung eingenommen. Die Kirche hat immerfort versucht, zum Frieden beizutragen und eine Welt aufzubauen, die zur Beilegung von Differenzen nicht mehr den Krieg anzuwenden braucht. Sie hat dazu ermutigt, eine internationale Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens und der Zusammenarbeit zu bewahren. Sie hat die Strukturen unterstützt, die für die Sicherstellung des Friedens geeignet sind. Sie hat an die schrecklichen Auswirkungen des Krieges erinnert. In dem Maß, in dem sich die Mittel zu mörderischer Zerstörung vermehrten, hat sie die Gefahren aufgedeckt, die dabei zu berücksichtigen sind, und außer auf die unmittelbaren Gefahren hat sie auf die Werte hingewiesen, die gepflegt werden müssen, um die Zusammenarbeit, das gegenseitige Vertrauen, die Brüderlichkeit und den Frieden zu fördern. Bereits im Jahre 1946 bezog sich mein Vorgänger Papst Pius XII. auf die „Macht der neuen Vernichtungsmittel, die das Abrüstungsproblem unter völlig neuen Aspekten in den Mittelpunkt der internationalen Diskussion gestellt haben“ (Botschaft an das Kardinalskollegium vom 24. 12. 1946). Die folgenden Päpste und das Zweite Vatikanische Konzil führten die Gedanken weiter, wobei sie sie dem Kontext der neuen Waffengattungen und der Rüstungskontrolle anpaßten. Wenn die Menschen sich guten Willens mit dieser Aufgabe auseinandersetzten und in ihren Herzen und in ihren Plänen den Frieden anstrebten, könnten die geeigneten Maßnahmen gefunden, die richtigen Strukturen erarbeitet werden, um die berechtigte Sicherheit aller Völker in gegenseitiger Achtung und in Frieden zu gewährleisten, während die Arsenale des Schreckens und der Todesdrohung überflüssig würden. Die Lehre der katholischen Kirche ist also klar und konsequent. Sie bedauert den Rüstungswettlauf, sie fordert als das mindeste einen fortschreitenden gegenseitigen und kontrollierbaren Abbau sowie größte Vorsichtsmaßnahmen gegen mögliche Fehler bei der Anwendung von Kernwaffen. Zugleich beansprucht die Kirche für jede Nation die Beachtung der Unabhängigkeit, der Freiheit und der berechtigten Sicherheit. 1160 Botschaften und Ansprachen Ich möchte Sie der ständigen Sorge der katholischen Kirche und der Bemühungen versichern, die zu entfalten sie so lange nicht aufhören wird, bis der Rüstung voll und ganz Einhalt geboten, die Sicherheit aller Nationen gewährleistet und das Herz eines jeden Menschen für ethische Entscheidungen gewonnen ist, die einen dauerhaften Frieden garantieren. 6. Ich komme jetzt zu der Debatte, die Sie beschäftigt, zu dem Thema, bei dem man zunächst erkennen muß, daß keine Komponente der internationalen Angelegenheiten für sich allein und getrennt von den vielfältigen Interessen der Nationen betrachtet werden kann. Doch eine Sache ist es, die gegenseitige Verflechtung der Fragen zu erkennen, eine andere, sie zu erforschen, um auf anderer Ebene Nutzen daraus zu ziehen. Die Rüstung, die Kernwaffen und die Abrüstung sind in sich und für die Welt zu wichtig, um einfach Teü einer Strategie zu werden, die ihre eigentliche Bedeutung zugunsten einer bestimmten Politik oder anderer Interessen gewinnen würde. 7. Es ist daher wichtig, mit gebührender Klugheit und Objektivität alle ernst zu nehmenden Stellungnahmen ins Auge zu fassen, die zur wirklichen Abrüstung beitragen und eine bessere Atmosphäre zu schaffen suchen. Selbst kleine Schritte haben einen Wert, der über ihren materiellen und technischen Aspekt hinausgeht. Was auch immer der anvisierte Bereich sein mag, wir brauchen heute neue Perspektiven und die Bereitschaft zu respektvollem Anhören und aufmerksamer Aufnahme der ehrlichen Vorschläge all derer, die sich auch umstrittener Angelegenheiten mit Verantwortung annehmen. Dabei taucht das auf, was ich das Phänomen der Rhetorik nennen würde. Ein so spannungsreicher Bereich voll unvermeidlicher Gefahren darf keinen Raum lassen für irgendwelche starken Reden oder provokatorische Stellungnahmen. Rhetorische Gefallsucht bei erhitzter und leidenschaftlicher Wortwahl mit verhüllten Drohungen und Gegendrohungen und unehrenhaften Machenschaften kann die Dringlichkeit eines Problems, das eine nüchterne und aufmerksame Prüfung erfordert, nur verschärfen. Andererseits können die Regierungen und ihre Verantwortlichen die Staatsangelegenheiten nicht unabhängig von den Wünschen ihrer Völker führen. Die Geschichte der Zivilisationen bietet uns erschreckende Beispiele für das, was passiert, wenn man sich dazu hinreißen läßt. Nun aber lassen die Befürchtungen und Sorgen zahlreicher Gruppen in verschiedenen Teüen der Welt erkennen, daß sie immer mehr Angst haben bei dem Gedanken, was geschehen könnte, wenn Verantwortungslose einen Atomkrieg auslösten. 1161 Botschaften und Ansprachen So haben sich nahezu überall Friedensbewegungen entwickelt. In mehreren Ländern sind diese Bewegungen zu außerordentlicher Popularität gelangt und werden von einem wachsenden Teil von Bürgern verschiedener Gesellschaftsgruppen, aller Altersstufen und Bildungsschichten, insbesondere der Jugend, unterstützt. Die ideologischen Grundlagen dieser Bewegungen sind vielfältig. Ihre Ziele, ihre Vorschläge, ihre Politik sind weitgehend verschieden und können immer wieder Angriffsfläche dafür bieten, als Parteiwerkzeuge benützt zu werden. Aber über diese formalen Gegensätze hinaus gibt es eine tiefe und aufrichtige Sehnsucht nach Frieden. So kann ich mich nur Ihrem Vorhaben eines Appells an die öffentliche Meinung anschließen, damit sich ein echtes allgemeines Bewußtsein von den schrecklichen Gefahren des Krieges entwickelt, ein Bewußtsein, das seinerseits einen allgemeinen Geist des Friedens zur Folge haben wird. 8. Unter den gegenwärtigen Bedingungen kann eine auf dem Gleichgewicht beruhende Abschreckung - natürlich nicht als ein Ziel an sich, sondern als ein Abschnitt auf dem Weg einer fortschreitenden Abrüstung - noch für moralisch annehmbar gehalten werden. Um jedoch den Frieden sicherzustellen, ist es unerläßlich, daß man sich nicht mit einem Minimum zufriedengibt, das immer von einer wirklichen Explosionsgefahr belastet ist. Was ist also zu tun? Mangels einer übernationalen Autorität, wie sie bereits von Papst Johannes XXIII. in seiner Enzyklika Pacem in terris gewünscht worden war und die man in der Organisation der Vereinten Nationen zu finden gehofft hatte, bleibt die einzige realistische Lösung angesichts der Kriegsdrohung immer noch die Verhandlung. Hier möchte ich Sie an ein Wort des hl. Augustinus erinnern, das ich bereits früher zitiert habe: „Tötet den Krieg durch Verhandlungen, aber tötet nicht die Menschen durch das Schwert!“ (Ep. 229, ad Darium). Wiederum bekräftige ich heute vor Ihnen mein Vertrauen in die Kraft fairer Verhandlungen, um zu gerechten und vernünftigen Lösungen zu kommen. Diese Verhandlungen verlangen Geduld und Ausdauer und müssen vor allem auf einen gleichgewichtigen, gleichzeitigen und international kontrollierten Rüstungsabbau abzielen. Genauer gesagt, die laufende Entwicklung scheint zu einer wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit der Waffensysteme zu führen. Wie soll unter diesen Umständen ein gleichmäßiger Abbau erwogen werden, wenn die Verhandlungen nicht alle Waffengattungen einschließen? In dieser Hinsicht könnte die Weiterführung der Studie zu einem „Gesamtabrüstungsprogramm“, das Ihre Organisation bereits in Angriff genommen hat, die 1162 Botschaften und Ansprachen notwendige Koordinierung der verschiedenen Foren erleichtern und den Ergebnissen mehr Wahrheit, Gerechtigkeit und Wirksamkeit verleihen. 9. In der Tat, die Kernwaffen sind nicht die einzigen Mittel für Krieg und Vernichtung. Die Herstellung und der Verkauf konventioneller Waffen überall in der Welt sind eine wirklich alarmierende Erscheinung, die sich, so scheint es, in vollem Aufschwung befindet. Abrüstungsverhandlungen wären nicht vollständig, wenn sie die Tatsache unbeachtet ließen, daß 80 Prozent der Rüstungsausgaben für konventionelle Waffen verwendet werden. Der Handel mit ihnen scheint sich überdies in steigendem Maße zu entwickeln und sich vorwiegend auf die Entwicklungsländer zu richten. Jeder Entschluß, zu dem man sich durchringt, und jeder Vorstoß, den man unternimmt, um Herstellung und Handel einzuschränken und einer immer wirksameren Kontrolle zu unterwerfen, ist ein bedeutsamer Beitrag zur Sache des Friedens. Ereignisse der jüngsten Zeit haben die Zerstörungskraft der konventionellen Waffen und die beklagenswerten Verhältnisse bestätigt, zu denen sich die Staaten selbst verurteüten, die versucht sind, zur Regelung ihrer Differenzen zu diesen Waffen zu greifen. 10. Aber die Berücksichtigung der quantitativen Aspekte sowohl der atomaren wie der konventionellen Rüstung genügt nicht. Eine ganz besondere Aufmerksamkeit muß ihrer Vervollkommnung entgegengebracht werden, die mit Hilfe neuer, hochentwickelter Techniken vorangetrieben wird, denn eben das ist eine der wesentlichen Dimensionen des Wettrüstens. Sie nicht zu beachten, würde dazu verleiten, sich Illusionen zu machen und den Menschen, die sich nach Frieden sehnen, nur trügerischen Schein zu bieten. Die Forschung und die Technik müssen immer in den Dienst des Menschen gestellt werden. In unserer Zeit gebraucht und mißbraucht man sie allzuoft für andere Zwecke. Als ich mich am 2. Juni 1980 an die Männer aus Wissenschaft und Kultur auf der 109. Sitzung des Exekutivrates der UNESCO wandte, hatte ich dieses Thema ausführlich entwickelt. So sei mir heute noch einmal der Vorschlag gestattet, zumindest einen nicht unbeachtlichen Prozentsatz der für Technologie und Weiterentwicklung der Waffen verwendeten Gelder für die Entwicklung von Mechanismen und Vorrichtungen bereitzustellen, die das Leben und Wohlergehen der Menschen gewährleisten. 11. In seiner Ansprache an die Organisation der Vereinten Nationen am 4. Oktober 1965 sprach Papst Paul VI. eine tiefe Wahrheit aus, als er erklärte: „Der Friede kommt nicht nur mit Hilfe der Politik und des Gleichgewichts der Kräfte und Interessen zustande. Er kommt mit Hilfe 1163 Botschaften und Ansprachen des Geistes, der Ideen, der Werke des Friedens zustande.“ Die Früchte des Geistes, die Gedanken und Ideen, die Früchte der Kultur und die schöpferischen Kräfte der Völker sind dazu bestimmt, miteinander geteilt zu werden. Die Friedensstrategien, die auf der technischen und wissenschaftlichen Ebene stehenbleiben, das Gleichgewicht bestimmen und Kontrollen vornehmen, werden nur dann einen wahren Frieden sicherstellen, wenn zwischen den Völkern Bande geschmiedet und verstärkt werden. Schaffen Sie Bande, die die Völker insgesamt miteinander verbinden! Schaffen Sie Möglichkeiten, die die Völker zur Weitergabe ihrer Kulturen und ihrer Werte führen! Vergessen Sie alle kleinlichen Interessen, die eine Nation der anderen auf wirtschaftlichem, sozialem und politischem Gebiet auf Gedeih und Verderb ausliefem! In eben diesem Sinne verdienen die Arbeiten qualifizierter Experten, die die Beziehung zwischen Abrüstung und Entwicklung hervorheben, eingehend studiert zu werden, und daß man ihnen Taten folgen läßt. Es ist nicht neu, daß man die Verwendung der Geldmittel, die für die Entwicklung von Waffen bestimmt sind, für die Entwicklung von Völkern vorsieht, aber der Gedanke verliert deswegen nichts von seiner Aktualität, und der Hl. Stuhl hat ihn sich seit langem zu eigen gemacht. Jede Entschließung der Vollversammlung in diesem Sinne würde überall die Billigung und Unterstützung von Männern und Frauen guten Willens erhalten. Das Anknüpfen der Bande zwischen den Völkern bedeutet die Wiederentdeckung und die Wiederbestätigung aller Werte, die den Frieden stärken und die Völker in Harmonie vereinen, es bedeutet ebenso die Erneuerung des Besten am Menschenherzen, das auf der Suche nach dem Wohl der anderen in Brüderlichkeit und Liebe ist. 12. Noch eine letzte Überlegung möchte ich hinzufügen: die Herstellung und der Besitz von Waffen sind die Folge einer ethischen Krise, die an der Gesellschaft in allen ihren Dimensionen - der politischen, der sozialen und der wirtschaftlichen - nagt. Der Friede - das habe ich mehrmals wiederholt - ist das Ergebnis der Achtung ethischer Grundsätze. Die echte Abrüstung, also die, die den Frieden zwischen den Völkern garantiert, wird nur durch Lösung dieser ethischen Krise zustande kommen. Das heißt, wenn die Bemühungen um den Waffenabbau und dann um die vollständige Abrüstung nicht gleichzeitig von einem ethischen Aufstieg begleitet werden, sind sie im voraus zum Scheitern verurteilt. Der Versuch, unsere Welt durch Beseitigung der von bloßem Streben nach Interessen und Privilegien oder der Verfechtung ideologischer Ansprüche verursachten Verwirrung der Geister wieder zurechtzurücken, ist die absolut vorrangige Aufgabe, wenn man in der Sache der Abrüstung 1164 Botschaften und Ansprachen Fortschritte erreichen will. Andernfalls wird es beim falschen Schein bleiben. Denn die wahre Ursache unserer Unsicherheit ist in einer tiefen Krise der Menschheit zu finden. Auf Grund der Sensibilisierung der Gewissen für die Absurdität des Krieges lohnt sich die Mühe, die materiellen und geistigen Bedingungen zu schaffen, die die schreienden Ungleichheiten verringern und allen wieder ein Minimum an Hoffnung für die Freiheit des Geistes zurückgeben können. In einer Welt, wo die Medieninformation ebenso rasch wie allgemein erfolgt, kann das Zusammenleben von Wohlhabenden und Besitzlosen nicht mehr hingenommen werden, ohne daß daraus Ressentiments erwüchsen, die schließlich in Gewalt Umschlägen. Überdies hat auch der Geist seine vorrangigen und unveränderlichen Rechte, die er mit voller Berechtigung in den Ländern, wo ihm der Raum fehlt, ruhig seinen eigenen Überzeugungen nach zu leben, einfordert. Ich fordere deshalb alle, die für den Frieden kämpfen, auf, sich im Kampf um die Beseitigung der wahren Ursachen für die Unsicherheit der Menschen zu engagieren; eine der Auswirkungen dieser Unsicherheit ist der erschreckende Rüstungswettlauf. 13. Will man die gegenwärtige Tendenz zum Rüstungswettlauf beenden, so schließt das also einen gleichlaufenden Kampf an zwei Fronten ein: auf der einen Seite einen unmittelbaren und dringenden Kampf der Regierungen um eine allmähliche und vernünftige Rüstungsbeschränkung, andererseits einen geduldigeren, aber nicht weniger notwendigen Kampf auf der Ebene des Gewissens der Völker, damit sie die Unsicherheit, die Gewalt hervorruft, den ethischen Ursachen zuschreiben, nämlich den materiellen und geistigen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten unserer Welt. Ohne Vorurteüe irgendwelcher Art müßten sich alle Verstandes- und Geisteskräfte der Staatsmänner, Bürger und verantwortlichen Männer der Kirche verbinden, um Gewalt und Haß auszumerzen und nach Wegen des Friedens zu suchen. Der Friede ist das höchste Ziel der Tätigkeit der Vereinten Nationen. Er muß das Ziel aller Menschen guten Willens sein. Leider verdüstern gerade wieder in unseren Tagen traurige Tatsachen den Horizont des internationalen Lebens und verursachen so viele Leiden, Zerstörungen und Besorgnisse, die dazu führen können, daß die Menschheit jede Hoffnung verliert, ihre eigene Zukunft in der Eintracht und Zusammenarbeit der Völker zu meistern. Trotz des Schmerzes, der meine Seele erfüllt, fühle ich mich befugt, ja verpflichtet, erneut in feierlicher Form vor Ihnen wie vor der 1165 Botschaften und Ansprachen Welt zu bekräftigen, was meine Vorgänger und ich selbst mehrmals im Namen des Gewissens, im Namen der Moral, im Namen der Menschheit und im Namen Gottes wiederholt haben: Der Friede ist weder eine Utopie noch ein unerreichbares Ideal noch ein unrealisierbarer Wunschtraum. Der Krieg ist kein unvermeidliches Unglück. Der Friede ist möglich. Und weil er möglich ist, ist der Friede eine Pflicht. Eine sehr ernste Pflicht. Eine höchste Verantwortung. Der Friede ist sicher schwierig und er verlangt viel guten Willen, Weisheit, Zähigkeit. Aber der Mensch kann und muß der Macht der Vernunft über die Gründe der Gewalt zum Sieg verhelfen. Mein letztes Wort ist darum noch einmal ein Wort der Ermutigung und der Ermahnung. Und wie der Friede, der der Verantwortung des Menschen anvertraut ist, trotzdem ein Geschenk Gottes bleibt, so kommt er auch im Gebet zu demjenigen zum Ausdruck, der das Geschick der Völker in seiner Hand hält. Ich danke Ihnen für die Tätigkeit, die Sie entfalten, um die Sache der Abrüstung weiterzubringen: Abrüstung der Todeswaffen und Befriedung der Geister. Gott segne Ihre Bemühungen! Möge diese Versammlung in der Geschichte als ein Zeichen des Trostes und der Hoffnung bestehen können. Aus dem Vatikan, am 7. Juni 1982 PAPST JOHANNES PAUL II. (O.R. 13. 6. 82) Lektion in der Liebe zur Armut Predigt bei der Heiligsprechung des seligen Crispinus von Viterbo in St. Peter am 20. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Das ist ein feierlicher Tag für uns, die wir eingeladen sind, uns in die himmlische Herrlichkeit und unvergängliche Freude des Crispinus von Viterbo zu versenken, der von der Kirche in die Reihe der Heiligen, das 1166 Botschaften und Ansprachen heißt, unter diejenigen aufgenommen wurde, die nach dem Pilgerweg auf Erden zur beseligenden Schau des lebendigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, gelangt sind und uns die ermutigende Bestätigung des Pauluswortes liefern: „Die Leiden der gegenwärtigen Zeit bedeuten nichts im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“ (Röm 8, 18). Ein Tag der Freude vor allem für die Angehörigen des Kapuzinerordens, die in der Freude über die ihrem Mitbruder - der Hunger und Durst hatte nach der Gerechtigkeit und satt wurde (vgl. Mt 5, 6) - zuteil gewordene Ehre dem Allmächtigen für die barmherzige Güte danken, mit der er ihnen einen neuen Bekenner des Glaubens geschenkt hat, der im Jubeljahr anläßlich des 800. Geburtstages des hl. Franziskus zu den übrigen Heiligen der großen Kapuzinerfamilie hinzukommt. Wenn die Kirche Crispinus von Viterbo für heilig erklärt, indem sie bestimmt, daß er als solcher zur Ehre der Heiligsten Dreifaltigkeit und zur Förderung des christlichen Lebens andächtig verehrt werde (vgl. Heiligsprechungsformel), versichert sie uns, daß der bescheidene Ordensmann den guten Kampf gekämpft, den Glauben bewahrt und in der Liebe ausgeharrt hat, um den Kranz der Gerechtigkeit zu erlangen, den der Herr ihm bereitet hat (vgl. 2 Tim 4, 7-8). Bruder Crispinus stand während seines Erdenlebens wahrhaftig vor dem Herrn, um vor ihm Dienst zu tun, und nun ist der Herr für immer sein glücklicher Erbbesitz (vgl. Dtn 10, 8-9). Um Jesus Christus zu folgen, hat er sich selbst, das heißt die rein menschlichen Ideale, verleugnet und sein Kreuz, die Mühe des Alltags, seine eigenen Beschränkungen und die anderer angenommen, nur darauf bedacht, dem göttlichen Meister nachzufolgen und so in vollkommenem und endgültigem Sinn sein Leben zu retten (vgl. Mt 16, 24-25), „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt?“ {Mt 16, 26). Die eben gelesene Frage des Evangelisten richtet sich an uns und fordert uns auf, den Blick auf jenes glückliche Ziel zu richten, das bereits Besitz unseres Heiligen ist und das mit absoluter Gewißheit auch für uns in dem Maße vorbereitet ist, in dem wir es fertigbringen, uns selbst zu verleugnen und dem Herrn zu folgen, indem wir die Last unseres mühevollen Arbeitstages tragen. Möge sich deshalb unsere tiefbewegte Dankbarkeit an Gott, den Urheber der Gnade, wenden, der seinen treuen Diener Crispinus zur höchsten Vollkommenheit des Evangeliums geführt hat, wobei wir zugleich durch seine Fürsprache darum bitten, „unablässig die wahre Tugend zu leben, welcher der selige Friede des Himmels verheißen ist“ (Tagesgebet). 1167 Botschaften und Ansprachen 2. Und jetzt wollen wir in besonderer Weise über die Botschaft der Heiligkeit von Bruder Crispinus von Viterbo nachdenken. Es war die Zeit des Staatsabsolutismus, politischer Kämpfe, neuer philosophischer Ideologien, religiöser Unruhen (man denke an den Jansenismus), einer fortschreitenden Abwendung von den wesentlichen Inhalten des Christentums. In ihrer geschichtsbedingten Verwirrung, auf der ständigen Suche nach höheren Zielen des Fortschritts und des Wohlstandes, ist die Menschheit immer wieder zu falscher Autonomie, zur Ablehnung der evangelischen Botschaft versucht, für die sie unbedingt Heiliger bedarf, das heißt Vorbüder, die konkret in ihrem Leben der Wirklichkeit der Transzendenz, dem Wert der Offenbarung und der von Christus vollbrachten Erlösung Ausdruck geben. Genau das war in dem selbstgenügsamen Aufklärungszeitalter, in dem er lebte, die Sendung des hl. Crispinus von Viterbo, eines bescheidenen Kapuzinerbruders, der als Koch, Krankenpfleger, Gärtner und dann nahezu vierzig Jahre lang als Bettelmönch in Orvieto im Dienste seines Konvents arbeitete. Wieder einmal fanden durch göttüches Erbarmen die prophetischen Worte Jesu in diesem einfachen Heiligen ihre klare Verwirklichung: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen“ {Mt 11, 25-26). Gott vollbringt Wunder durch die Kleinen, die Vernachlässigten und die Armen, damit man erkennt, daß jede, auch die irdische Heilsvermehrung, dem Plan seiner Liebe entspringt. 3. Die erste Seite der Heiligkeit, die ich am hl. Crispinus hervorheben möchte, ist die Freude. Seine Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit war allen in Orvieto und allen, die zu ihm kamen, bekannt, und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, bewahrte sein Herz und seine Gedanken (vgl. Phil 4, 7). Seine Freude war eine franziskanische Freude, die von einem sehr umgänglichen und für die Poesie empfänglichen Charakter unterstützt wurde, vor allem aber aus einer großen Liebe zum Herrn und einem unverrückbaren Vertrauen zu seiner Vorsehung floß: „Wer Gott in der Reinheit des Herzens hebt - pflegte er zu sagen -, lebt glücklich und stirbt zufrieden.“ 4. Eine zweite beispielhafte Haltung ist sicher seine geradezu heroische Verfügbarkeit gegenüber den Mitbrüdern sowie auch gegenüber den Armen und Bedürftigen aller Art. In diesem Zusammenhang muß man in der Tat sagen, daß der Haupteinsatz von Bruder Crispinus, während er demütig den Unterhalt für seine Klosterfamilie zusammenbettelte, darin bestand, allen geistliche und materielle Hilfe zuteil werden zu lassen und 1168 Botschaften und Ansprachen so zum lebendigen Ausdruck der Nächstenliebe zu werden. Das von ihm auf religiösem und karitativem Gebiet für den Frieden, die Gerechtigkeit und das wahre Glück entwickelte Werk war wirklich unglaublich. Keiner entging seiner Aufmerksamkeit, seiner Zuvorkommenheit, seinem guten Herzen, und er kam allen zuvor, indem er zu den weitblickendsten Hilfsmitteln und auch Interventionen griff, die nur im Rahmen des Außergewöhnlichen möglich waren. 5. Ein weiteres besonderes Engagement seines heiligen Lebens war sein Einsatz in der Wanderkatechese. Er war ein „gelehrter Laie“, der mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die Kenntnis der christlichen Lehre pflegte und es gleichzeitig nicht versäumte, die anderen in dieser Wahrheit zu unterweisen. Die Zeit als Bettelmönch war die Zeit der Glaubensverkündigung. Mit seiner schlichten, volkstümlich gefälligen, aus Lehrsprüchen und Aphorismen bestehenden Sprache ermutigte er zum Glauben und zur religiösen Praxis. Seine kluge Katechese wurde schon bald bekannt und zog Personen aus dem kirchlichen und bürgerlichen Bereich an, die begierig waren, von seinem Rat Gebrauch zu machen. Hier zum Beispiel eine seiner klaren und tiefen Zusammenfassungen des christlichen Lebens: „Die Macht Gottes erschafft uns, die Weisheit Gottes führt uns, das Erbarmen Gottes rettet uns.“ Die Lehrsprüche kamen aus seinem Herzen, das Sorge dafür trug, zusammen mit dem Brot, das den Leib nährt, unvergängliche Speise zu bieten: das Licht des Glaubens, den Mut der Hoffnung, das Feuer der Liebe. 6. Schließlich will ich seine zarte und zugleich starke Verehrung für die allerseligste Jungfrau Maria unterstreichen, die er „meine Frau Mutter“ nannte und unter deren Schutz er sein Leben als Christ und als Ordensmann führte. Der Fürsprache der Gottesmutter vertraute Bruder Crispi-nus die Bitten und Sorgen der Menschen an, denen er auf seinen Bettelwegen begegnete, und wenn er gedrängt wurde, wegen schwerer, ernster Fälle und Situationen zu beten, pflegte er zu sagen: „Laß mich ein wenig mit meiner Frau Mutter sprechen; dann komm wieder.“ Eine einfache, aber ganz und gar von christlicher Weisheit durchdrungene Antwort, die völliges Vertrauen in die mütterliche Sorge Mariens zeigte. 7. Das verborgene, bescheidene und gehorsame Leben des hl. Crispinus, das so reich an Werken der Nächstenliebe und inspirierender Weisheit ist, hält eine Botschaft an die heutige Menschheit bereit, die wie jene der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf das tröstende Erscheinen der Heiligen wartet. Er, ein echter Sohn des Franz von Assisi, erteilt unserer Generation, die oft von ihren Erfolgen berauscht ist, eine Lektion im 1169 Botschaften und Ansprachen demütigen und vertrauensvollen Bekenntnis zu Gott und seinen Heüsplä-nen; eine Lektion in der Liebe zur Armut und den Armen; im Gehorsam gegenüber der Kirche; im Vertrauen zu Maria, dem großartigen Zeichen göttlichen Erbarmens auch am düsteren Himmel unserer Zeit, gemäß der ermutigenden Botschaft, die aus ihrem unbefleckten Herzen an die heutige Generation ergangen ist. Erheben wir unser Gebet zu unserem Heiligen, der die endgültige Freude des Himmels erlangt hat, wo „der Tod nicht mehr sein wird, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen“ {Off 21, 4). O heiliger Crispinus, halte uns die Verlockung der vergänglichen und unzureichenden Dinge fern, lehre uns den wahren Wert unseres irdischen Pilgerweges begreifen, erfülle uns mit dem nötigen Mut, damit wir immer in Freude und Schmerz, Mühen und Hoffnungen den Willen des Allerhöchsten erfüllen. Tritt ein für die Kirche und die ganze Menschheit, die Liebe, Gerechtigkeit und Frieden braucht. Amen! Halleluja! (O.R. 21.122. 6. 82) „Schmachvolle Wunde unserer Zeit“ Botschaft an den UN-Hochkommissar für die Flüchtlinge, Poul Härtling, bei der Audienz am 25. Juni Herr Hochkommissar! 1. Ich war sehr froh, heute mit Ihnen gesprochen zu haben. Im vergangenen Jahr und auch in diesem wieder hatten Sie den Wunsch zum Ausdruck gebracht, ich möge dem Sitz des Hochkommissariats in Genf einen Besuch abstatten. Leider haben mir das die anderen Verpflichtungen nicht erlaubt, aber ich habe das selber tief bedauert und es kaum erwarten können, Ihnen die Wertschätzung und Ermutigung der katholischen Kirche für die Bemühungen auszusprechen, die Ihre Institution zugunsten der Flüchtlinge entfaltet. 2. Ihre Kompetenz erstreckt sich - im strengen Sinn der Konvention der Vereinten Nationen von 1951, des Zusatzprotokolls von 1967 und zahlreicher anderer Vereinbarungen und Texte - auf alle Flüchtlinge, das 1170 Botschaften und Ansprachen heißt auf die Personen, die aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder politischen Überzeugung oder um der Gewalt und dem Krieg zu entkommen, ihr Land verlassen mußten. Sie sind Legion, über 10 Milhonen, vieheicht sogar 15 Millionen, und unaufhörlich werden schubweise immer neue Bevölkerungsgruppen aus eben diesen verschiedenen Gründen ihrer Umgebung entrissen. Wieder einmal ist unvermittelt und auf dramatische Weise der Libanon Schauplatz dafür, doch das darf uns nicht die anderen Flüchtlinge im Nahen Osten, die vielen Palästinenserflüchtlinge, die Flüchtlinge aus Afghanistan und die südostasiatischen Flüchtlinge vergessen lassen, insbesondere die aus Kambodscha und die sogenannten „boat-people“, die noch immer unter äußerst schwierigen Umständen fliehen oder in den Lagern in Thailand, Malaysia, Indonesien und Singapur warten müssen, weder die somalischen Flüchtlinge noch überhaupt sämtliche Flüchtlinge des afrikanischen Kontinentes; und auch nicht jene Mittelamerikas usw. Es ist wahrhaftig eine schmachvolle Wunde unserer Zeit, so als ob viele Länder und Regierungen nicht mehr imstande wären, allen ihren Bürgern die angemessene Freiheit und den entsprechenden Platz zu gewähren. Die internationale Gemeinschaft ist von dieser Heimsuchung wirklich betroffen, besonders natürlich das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge. 3. Wenn man nach einer Lösung für diese Flüchtlinge sucht, geht es gewiß nicht darum, die Herkunftsländer von ihrer Pflicht zu befreien, noch darum, sie in ihrem Versäumnis oder in ihrem schlechten Willen zu ermutigen, noch weniger darum, sich mit Ursachen abzufinden, die den Menschen zum Ursprung haben. Aber Sie beachten mit Recht die Tatsachen; Sie stellen fest, daß diese Bevölkerungsgruppen hier und jetzt bedroht und staatenlos sind, sehr oft bar jeder Habe, weil sie nicht selten alles in ihrem Land zurücklassen mußten, alles, was ihnen zum Leben behilflich war, ihren gesamten Besitz. Und mit diesem äußersten physischen, psychischen und moralischen Elend hatte man nicht rechnen können. Gott sei Dank, versteht das die öffentliche Meinung noch einigermaßen und läßt sich bewegen, sobald ihr die Massenmedien das Drama schildern; aber das Interesse läßt rasch nach, die Hochherzigkeit wird schwächer oder führt nicht mehr zur Übernahme fester Verpflichtungen, zu Lösungen für die Zukunft. Hier leistet Ihre Organisation einen unersetzlichen Beitrag. 4. Sie versuchen in der Tat, diesen Flüchtlingen die Voraussetzungen für ihre menschliche Würde wiederzugeben; Sie helfen ihnen, wieder unabhängig zu werden. Im Augenblick brauchen sie Schutz, Sicherheit, Grund- 1171 Botschaften und Ansprachen hilfen - Nahrung, Unterkunft zumindest in einem Zelt, ärztliche Fürsorge und Bildungsmöglichkeiten. Auf diesem Gebiet sorgen Sie für die Beschaffung der notwendigen Mittel. Aber gleichzeitig und vor allem suchen Sie nach einer Dauerlösung für die Zukunft, nach der bestmöglichen Lösung, entweder um den Flüchtlingen die Rückkehr in ihr Land aufgrund freier und persönlicher Entscheidung zu erleichtern, was sehr wünschenswert wäre, wenn man ihnen eine Lebensmöglichkeit gewährt, oder um ihnen wenigstens dabei zu helfen, daß sie in das erste Aufnahmeland wirklich integriert werden und sich gesicherter Verhältnisse erfreuen, die über ein ungewisses und provisorisches Asyl hinausgehen, oder schließlich um ihnen die Emigration und die Aufnahme in einem dritten Land zu ermöglichen. Sie wissen besser als sonst irgend jemand, daß manche Länder in diesem Punkt Bemühungen unternehmen, die es verdienen, als Vorbild hingestellt zu werden. 5. Ihnen fällt darum neben den Herkunfts- und Aufnahmeländern eine Rolle ersten Ranges zu, den Transit, den Übergang oder die Eingliederung zu erleichtern. Was die Fürsorge betrifft, können andere Instanzen im Einvernehmen mit Ihnen arbeiten, vor allem jene, die der Organisation der Vereinten Nationen unterstehen, wie man es gerade im Fall des Libanons gesehen hat, oder auch jede Regierung und ihre Organisationen oder das internationale Komitee vom Roten Kreuz und die Liga der Rotkreuz-Gesellschaften und noch viele andere Hilfsorganisationen. Ich weiß, daß das Hochkommissariat sich um diese Zusammenarbeit bemüht, sich darüber freut und dazu ermutigt, denn die humanitäre Aufgabe erfordert unzählige und konzentrierte Bemühungen. 6. Die kathoüsche Kirche ihrerseits - und das ist vor allem Zweck meiner Ausführungen - sieht die Hilfe für die Flüchtlinge als ein wesentliches Werk an, zu dem sie ihre christlichen Söhne und Töchter mit allem Nachdruck zur Mitarbeit auffordert, denn die Bibel im allgemeinen und das Evangelium im besonderen erlauben uns nicht, Fremde, die Asyl suchen, ohne Hilfe zu lassen. Im übrigen versuchen viele katholische Organisationen, je nach ihren Kompetenzen und Möglichkeiten, die Not und das Leid der Flüchtlinge zu vermindern, wie Sie selbst hebenswürdiger Weise bezeugt haben. Ich kann Ihnen versichern, daß hier der Päpstliche Rat „Cor Unum“ sich aktiv einsetzt, ist doch diese Organisation dazu bestimmt, die anderen katholischen Institutionen anzuregen, anzuspomen und unter bestimmten Umständen ihre Initiativen aufeinander abzustimmen und so der Liebe des Papstes Ausdruck zu geben. 1172 Botschaften und Ansprachen 7. Außer diesen konkreten Hilfsmaßnahmen hält es die Kirche auch für ihre Pflicht, die Verantwortlichen aufzufordem, diese Situation zu ändern, wie ich es zum Beispiel beim Besuch des „Bataan Refugee Processing Center“ bei Morong auf den Philippinen am 21. 2. 1981 oder beim Empfang des Diplomatischen Corps 1980 in Nairobi oder erst jüngst in Lissabon getan habe. Es muß wiederholt werden, daß es sich hierbei um anormale Situationen handelt, daß es gilt, deren Ursachen zu beheben, indem man die Nationen davon zu überzeugen trachtet, daß die Flüchtlinge ein Recht auf Freiheit und auf ein menschenwürdiges Leben in ihrem eigenen Land haben. Man muß auch in immer weiterem Kreis an die Gastfreundschaft, an die Aufnahmebereitschaft der Länder appellieren, die Flüchtlinge aufnehmen können. Schließlich muß man die internationale Hilfe organisieren, eine Hilfe, die die Flüchtlinge nicht davon entbindet, nach und nach für ihren Lebensunterhalt wieder selbst zu sorgen, denn das ist auch ein Weg der Würde. Kurz, Herr Hochkommissar, ich freue mich, Ihnen sagen zu können, daß der Hl. Stuhl das Ihnen anvertraute Werk sehr zu schätzen weiß, und Ihnen zu versichern, daß die Glieder der Kirche und besonders die katholischen Hilfsorganisationen sich weiterhin auf diesem Gebiet mit Feuereifer und Hochherzigkeit engagieren und ihren Beitrag einbringen werden, um die Leiden zu lindem und die Gewissen in uneigennütziger, ich meine unparteüscher Weise zu formen, wobei sie sich allein vom Gesichtspunkt des menschlichen Wohls leiten lassen, des Wohls aller Menschen, wer immer sie sind, die aus irgendeinem Grund das Elend des Flüchtlingsdaseins kennenlemen. Und unserem konkreten Handeln schließen wir immer das Gebet an, in dem wir den Heiligen Geist inständig dämm bitten, die Sinne zu erleuchten und die Herzen zu öffnen, damit diese Welt menschlicher, humaner werde und besser dem brüderlichen Plan entspreche, den Gott für die Menschheit bestimmt hat. (O.R. 26. 6. 82) 1173 Botschaften und Ansprachen „Für das Leben der Kirche und den Aufbau der Welt“ Ansprache an die Kardinäle und an alle Mitarbeiter der Römischen Kurie, der Verwaltung des Vatikans und des Vikariats in der Audienzhalle am Vortag des Festes Peter und Paul, 28. Juni 1. Ich freue mich, nach der Audienz vom Jahresende wieder mit Euch zusammenzutreffen, verehrte Herren Kardinäle, Mitbrüder im Bischofsund Priesteramt, Laienmitarbeiter der Römischen Kurie, der Verwaltung des Vatikanstaates und des Vikariats von Rom. Der Dekan des Kardinalskollegiums hat soeben mit der ihm eigenen Feinheit der Ausdrucksweise und Vornehmheit des Geistes Euren Gefühlen Ausdruck gegeben. Ihm und Euch allen sage ich: Danke! Die Begegnung findet am Vortag des Festes der heiligen Apostel Petrus und Paulus statt, ja sie bildet einen wesentlichen Teil dieses Festes, auch wenn mein Gesundheitszustand sie im vergangenen Jahr leider nicht gestattet hat. Es ist ein Fest, das uns alle tief berührt. Es ist das Fest des ersten Papstes, auf den Christus seine Kirche gegründet hat (vgl. Mt 16,18). Es ist das Fest des Paulus, des Völkerapostels und Leuchtfeuers in allen Zeiten. Es ist das Fest der Kirche. Wir alle fühlen uns da zutiefst mitbetroffen. Es berührt natürlich mich, wie es im übrigen immer alle jene berührt hat, die der Sendung und dem Werk des Petrus nachgefolgt sind. Aber es berührt nicht nur den Papst. Die Überlieferung spricht von den unmittelbaren Mitarbeitern des hl. Petrus, denen, die an seinen universalen Sorgen teilnehmen, den Mitarbeitern an seiner eigenen Sendung, den in verschiedenem Maß, aber in einem einzigen Glauben für das Schicksal des Apostolischen Stuhles Verantwortlichen. Ihnen seid ihr nachgefolgt, und Euer Los ist es auch, das Leben und die Arbeit des Nachfolgers Petri zu teilen. Ihr seid zu dieser großen Verantwortung berufen, die in ihrer Art einmalig ist. Petrus und seine Nachfolger haben den schweren Auftrag erhalten, die Kirche durch die Wechselfälle der Zeit zu führen. Aber sie sind nicht allein. Der Papst ist nicht allein, er fühlt sich nicht allein. Ihr alle seid zur Mitarbeit mit ihm aufgerufen. Alle. Von den Kardinälen bis zum kleinsten Angestellten. Der Umstand dieses gemeinsamen Bewußtseins der Zusammenarbeit schließt natürlich nicht aus, daß den Aspekten der Gerechtigkeit und der Rechte der Arbeit die gebührende und angemessene Bedeutung zukommt; aber das muß von dem vollen Bewußtsein begleitet sein, daß dieser Dienst für den Apostolischen Stuhl durch eine besondere 1174 Botschaften und Ansprachen Eigenschaft gekennzeichnet ist, die ihren Wert, ihre Bedeutung darin hat, daß eben alle zur Teilhabe an derselben Sendung aufgerufen sind, die der Papst zugunsten der Kirche entfaltet, die in ihm wie in Petrus persönlich verkörpert wird (vgl. Augustinus, In loann.Ev.Tract. 124). Zu Weihnachten habe ich Euch aufgefordert, gemeinsam mit mir über die Präsenz der Kirche in der Außenwelt und über ihre Kontakte zu dieser Welt nachzudenken. An dem besonders wichtigen Fest des hl. Petrus wollen wir gemeinsam über das innere Leben der Kirche nachdenken. 2. Die Kirche ist für den Menschen errichtet worden. „Der Mensch ist der erste und grundlegende Weg der Kirche, ein Weg, der von Christus selbst vorgezeichnet ist“, habe ich in meiner ersten Enzyklika geschrieben (Redemptor hominis, Nr. 14). Und das innere Leben der Kirche hat zum ersten Ziel die von der ewigen Liebe des dreieinigen Gottes gewollte Heiligung des Menschen. Nichts anderes ist die mir anvertraute Sendung als das, was ich mit Eurer mir unentbehrlichen Hilfe unermüdlich voranzubringen suche. Heilig werden und heiligen! Den göttlichen Heilsplan leben und andere veranlassen, ihn zu leben! Das Geheimnis der Kirche begreifen und begreiflich machen! 3. Das Geheimnis, das heißt die strahlende und geheimnisvolle Wirklichkeit der Kirche, die „von Ewigkeit her in Gott verborgen war“ (Eph 3, 9), ist Gegenstand der Vorhebe des Vaters, ist Frucht des vom heiligmachenden Wirken des Beistandes erfüllten Opfers Christi. Die Gegenwart dieses heiligen Geistes, „Dominum et vivificantem“ (Credo) (des Herrn und Lebensspenders), beschäftigt uns nach den Jubiläumsfeierlichkeiten des vergangenen Jahres noch immer. Als Fortsetzung und Abschluß dieser Gedenkfeiern habe ich in diesem Jahr die Lehrer und Teilnehmer am Internationalen Pneumatologenkongreß empfangen, die die verschiedenen biblischen, patristischen, theologischen und ökumenischen Aspekte der kathoüschen Lehre über den Heiligen Geist vertieften. So konnte ich die Stimmung des Pfingstfestes vom vergangenen Jahr wieder aufleben lassen. Die Arbeit unserer Organe - das sage ich von allen ihren Mitgliedern -muß im Hinhören auf den Heiligen Geist, „der zu den Kirchen spricht“ (vgl. Apg 2, 7.11.17.29; 3, 6.13.22), weitergehen. Ein Hinhören, das Gebet, Demut, Verfügbarkeit, Opfer, Offenheit für die Notwendigkeiten der Ortskirchen und der ganzen Welt erfordert. Und diese Arbeit wird im Mittelpunkt der Kirche, im Dienst der Kirche, ihrer heiligmachenden Sendung entfaltet. Es ist der Zweck, der alle meine Kräfte in Anspruch nimmt, die Eurer Hilfe bedürfen, um das Wirken des Pontifikats weiterzubringen. Versuchen wir, die Etappen dieses Wirkens, 1175 Botschaften und Ansprachen wie es sich in den vergangenen Monaten entfaltet hat, zu verfolgen, wobei wir als Anhaltspunkte unserer Überlegung die Grundlinien der Kirchen-lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils nehmen. 4. Das Konzil sprach vom messianischen Volk Gottes, das „zum Haupt Christus hat . . . seinem Stande eignet die Würde und die Freiheit der Kinder Gottes ... Sein Gesetz ist das neue Gebot, zu Heben wie Christus uns geHebt hat. Seine Bestimmung endHch ist das Reich Gottes“ (Lumen gentium, Nr. 9). Und es stellte dessen dreifaches priesterHches, prophetisches und königliches Amt, mit dem es direkt an jenem Amt Christi teilnimmt, in voUem Licht heraus. Der Dienst des Papstes und, zusammen mit ihm, der Römischen Kurie hat heute seine universalen Dimensionen deshalb besonders betont, weil er den anderen Brüdern dieses „messianischen Volkes“ helfen will, ihr dreifaches Amt ernst zu nehmen und voll auszuüben. Das ist die theologische Wurzel der Reisen, die ich mit Gottes Hilfe bis jetzt durchgeführt habe und die die Anwendung des Petrus-Charismas in weltweitem Ausmaß sind, um die Lebenskraft der Kirche zu stärken und sie zu festigen in der Treue zum Wort, im Dienst an der Wahrheit, im Wachsen des sakramentalen und eucharistischen Lebens, von dem ich in der Enzyklika Redemptor hominis (Nr. 20) gesprochen habe. AHe meine Pilgerreisen lassen sich darunter zusammenfassen: In der Unterweisung, die in vollkommener Treue zum EvangeHum allen Gruppen des Gottesvolkes erteüt wird. In der umfassenden Verkündigung der Wahrheit. In der Feier der Eucharistie. Das Wort des EvangeHums, das auf jenen Pilgerfahrten mit voUen Händen ausgesät wird, erhält seine wahre Wirksamkeit, weil es sich auf das Wort, Jesus Christus, konzentriert, das auf den Altären jener großen Versammlungen des Gottesvolkes sichtbar wird, die sich meinem Gedächtnis als die erhabenste und ergreifendste Erinnerung meiner Besuche eingeprägt haben: in Collevalenza und Todi und dann in diesem Jahr in Nigeria, Benin, Gabun, Äquatorialguinea, Assisi, Livorno, Bologna, Portugal, Großbritannien, Argentinien und zuletzt Genf. Und auch eine Hoffnung, die mir seit langem am Herzen lag, konnte ich endlich verwirkhchen: die eucharistische Anbetung in der Sakramentskapelle der vatikanischen Basüika, die von mir am Morgen des 2. Dezember eingeführt wurde. Im Mittelpunkt der feierhchen Zeremonien in Rom und der Pfarreibesuche steht die Messe. Der Tag des Papstes beginnt mit der Messe. So beginnt Euer Tag, Hebe kirchHche Mitarbeiter, mit Eurer Messe, während aUe gottgeweihten Seelen und sehr viele Laienmitarbeiter jeden Tag oder zumindest am Sonntag aus der Eucharistie die Kraft und Hochherzigkeit für ihren Dienst schöpfen. Wie 1176 Botschaften und-Ansprachen schön ist es, außer der unterschiedlichen Arbeit eines jeden, die sich durch die der anderen ergänzt, zu wissen, daß wir uns jeden Tag in dem eucharistischen Herzen Christi vereint finden, das sich uns aufs neue anbietet. In diesem Zusammenhang möchte ich hier hervorheben, daß ich in diesem Jahr der Sektion für den Gottesdienst der Kongregation für die Sakramente und den Gottesdienst stärkere Impulse geben wollte. Die Kirche erwartet sich gewiß mannigfache Früchte von der Förderung der heiligen Liturgie, wie sie das Konzil wünschte; die Römische Kurie hat die Pflicht, mit beispielhaftem Bemühen dieser grundlegenden Aufgabe zu entsprechen. Zusammen mit der Eucharistie muß ich die Spendung der Sakramente anführen: die Erneuerung der Taufversprechen in Wembley, und ich denke zudem an die Taufen, die ich im Januar im Vatikan vorgenommen habe, an die Sakramente der christlichen Initiation in der Osternacht in Sankt Peter, das Bußsakrament, das ich am Karfreitag in der Basilika spendete, die Krankensalbung in der Kathedrale von Southwark, die verschiedenen Bischofs- und Priesterweihen, die Erneuerung der Eheversprechen durch zahlreiche Ehepaare in York. Ich möchte auch unterstreichen, wie gut diese Leitlinie meines Besuches in Großbritannien verstanden wurde, der eine Wanderkatechese über das sakramentale Leben war. Es ist darum von besonderem Interesse, daß ich auch bei dieser Gelegenheit auf die Tagung der Bischofssynode des kommenden Jahres hinweise, die der Buße und Versöhnung in der Kirche gewidmet sein wird: im Hinblick auf ihre Vorbereitung, an welcher die Bischofskonferenzen der ganzen Welt im Einklang mit dem Generalsekretariat der Synode arbeiten, habe ich diesem Thema an den Sonntagen der Fastenzeit die Betrachtungen meiner sonntäglichen Angelus-Ansprachen gewidmet. Es ist ein Thema von größter und wichtigster Bedeutung für das kirchliche Leben, und ich bekräftige hier die Erwartung, die ich im Hinblick auf jenes Ereignis hege, für das ich schon jetzt um Euer Gebet bitte. 5. Im Rahmen des Lebens des Gottesvolkes hat Lumen gentium sowohl die Beziehungen, die zu den nichtkatholischen christlichen Gläubigen und zu den Nichtchristen unterhalten werden sollen, als auch den missionarischen Charakter der Kirche selbst in ein besonderes Licht gerückt. In diesem Licht habe ich der Sache der Einheit gedient. Der Ökumenis-mus ist seit Beginn meines Pontifikats mein Hauptanliegen gewesen; doch dieses Jahr ist besonders reich an vielversprechenden Ereignissen gewesen. Ich werde sicher niemals den Besuch des Vertreters des Patriarchen von Konstantinopel in der „Gemelli“-Klinik genau vor einem Jahr ver- 1177 Botschaften und Ansprachen gessen. Und ich erinnere mich ferner an die Begegnung mit dem Patriarchen der äthiopisch-orthodoxen Kirche am 17. Oktober; an die Messe, die ich zum Abschluß der Gebetswoche für die Einheit der Christen in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern feierte; an die Audienzen im Vatikan für mehrere Persönlichkeiten und Gruppen, darunter die Alumnen des ökumenischen Instituts von Bossey. Eingeprägt in meine Erinnerung bleiben die verschiedenen Begegnungen mit den Oberhäuptern der anderen christlichen Kirchen während meiner apostolischen Reisen und vor allem jene, die meinen Besuch in Großbritannien kennzeichneten: die Predigt bei der Messe in der katholischen Kathedrale von Westminster, das so eindrucksvolle gemeinsame Gebet mit Erzbischof Dr. Runcie in der historischen Kathedrale von Canterbury, dem sich die Gemeinsame Erklärung über die Beziehungen zwischen unseren beiden Kirchen anschloß; die anderen Begegnungen in Canterbury sowie in Liverpool, Edinburgh, Cardiff - auf jener Reise, die ich in London als einen „Dienst an der Einheit in der Liebe“ definiert habe (vgl. Predigt in Westminster, Nr. 2). Was den Dialog mit den Vertretern der nichtchristlichen Religionen anbelangt, so muß ich meinen Dank wiederholen für die Aufnahme, die mir in Ländern mit überwiegend islamischer Bevölkerung zuteil wurde, ganz besonders für das Treffen in Kaduna in Nigeria. Was die Beziehungen zum Judentum betrifft, denke ich voll innerer Bewegung an die Begegnung mit dem Großrabbiner von Rom bei den Ardeatinischen Gräben und an die Richtlinien, die ich in der Ansprache an die Beauftragten der Bischofskonferenzen für die Beziehungen zum Judentum gegeben habe. Der missionarische Aufschwung der Kirche ist jedoch der brennendste, ja tägliche Wunsch meines Herzens: meine Pilgerreisen in ferne Länder, wo die katholische Gemeinschaft eine Minderheit bildet, sind gleichsam das Symbol dafür. Besonders teuer ist mir sodann die Feier des Weltmissionstages, zu dem ich jedes Jahr eine Botschaft aussende, damit er von den Ortskirchen in geeigneter Weise geplant und erläutert werden kann. In diesem weiten Horizont der Verkündigung des Evangeliums in der ganzen Welt möchte ich hier auch den Platz herausheben, den China in meiner Achtung und in meinem Herzen einnimmt. In dieses Jahr fällt die vierhundertste Wiederkehr des Tages der Ankunft von Pater Matteo Ricci auf dem asiatischen Kontinent; und die Evangelisierung in jenem edlen Land hatte im Laufe der Jahrhunderte eine beachtliche Ausstrahlung, was die Zahl seiner Diözesen, den Eifer und die Treue seiner Bischöfe, des Klerus, der Missionare und der Gläubigen angeht. Im Gedenken an ein so 1178 Botschaften und Ansprachen reiches Erbe an Glaube und Tradition, das in echter Weise zum Wohlstand und zum Frieden der Nation beigetragen hat, war es mein Wunsch, den katholischen Chinesen sowohl in der Heimat wie überall in der Welt meine Präsenz und meine Hoffnung zu bekunden: mit dem Brief zu Neujahr, mit dem Gruß beim Angelus am 24. Januar aus demselben Anlaß und vor allem mit der heiligen Messe, die ich am 21. März in Sankt Paul für China feierte. 6. Lumen gentium hat sodann im 3. Kapitel die grundlegende Rolle unterstrichen, die den Bischöfen im Mysterium der Kirche zukommt. Sie sind „aufgrund göttlicher Einsetzung an die Stelle der Apostel als Hirten der Kirche getreten. Wer sie hört, hört Christus, und wer sie verachtet, verachtet Christus und ihn, der Christus gesandt hat (vgl. Lk 10, 16). In den Bischöfen, denen die Priester zur Seite stehen, ist also inmitten der Gläubigen der Herr Jesus Christus, der Hohepriester, anwesend“ (Lumen gentium, Nr. 20-21). Ich erachte es als meine Hauptaufgabe, so wie es von Jesus selbst dem Apostel Petrus aufgetragen wurde, meine Bischofsbrüder zu „stärken“ (vgl. Lk 22, 32), mit ihnen über die schwere Verantwortung nachzudenken, die uns aufträgt, Zeugen Christi „bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1, 8) zu sein. Die höchsten Augenblicke meines Dienstamtes sind diejenigen, die ich gemeinsam mit den Mitbrüdem im Bischofsamt der verschiedenen Kontinente verbrachte. Nach der Wiederaufnahme meiner Tätigkeit Anfang Oktober vergangenen Jahres hatte ich die Freude, die Bischöfe von 22 Ländern zum „Ad-hmina“-Besuch zu empfangen. Der Besuch „ad limina apostolorum“, „an den Gräbern der Apostelfürsten“, zu dem die Bischöfe nach Rom kommen, ist, so würde ich sagen, eine wirkliche und besondere gemeinsame Lebenserfahrung zwischen dem Nachfolger des Petrus und den Nachfolgern der Apostel: persönliche Begegnungen, zum Abschluß eine gemeinsame Audienz, Konzelebration am selben Altar, brüderliche Agape am selben Tisch. Es sind anregende Begegnungen echter „Koinonia“ in der Freude des Geistes. Besondere Bedeutung haben natürlich die Begegnungen mit den Episkopaten der verschiedenen von mir besuchten Nationen; sie sind ein sichtbares Zeichen jenes brüderlichen „collegialis affectus“, jener „kollegialen Gesinnung“ (Lumen gentium, Nr. 23), die die Beziehungen des Papstes und der Bischöfe innerhalb des Bischofskollegiums kennzeichnen müssen und wofür das Konzü die Richtlinien gegeben hat. 7. Dasselbe dritte Kapitel von Lumen gentium schließt mit einer konzentrierten Darstellung über das Priesteramt, das in seiner ganzen Komplexi- 1179 Botschaften und Ansprachen tät und Fülle gesehen wird. Wenn die Bischöfe die Erstverantwortlichen für die Seelsorge in ihren Diözesen sind, können sie ihre schwere Aufgabe ohne die Mitarbeit der Priester nicht erfüllen. Meine Vorliebe gilt in besonderer Weise allen Priestern der Welt! Zum Gründonnerstag dieses Jahres habe ich allen Priestern der Kirche das Gebet gesandt, das mir aus dem Herzen gekommen ist, als ermutigende Betrachtung über das Priestertum, das uns im Heiligen Geist Christus gleichförmig macht, und ich wollte auch in diesem Jahr den „Geburtstag unseres Priestertums“ in „besonderer geistlicher Gemeinschaft“ mit allen Priestern erleben, um mit ihnen das Gebet, die pastora-len Sorgen, die Hoffnungen zu teüen, um sie in ihrem hochherzigen und treuen Dienst zu ermutigen und ihnen im Namen der ganzen Kirche zu danken. Auch auf all meinen Pastoraireisen habe ich den Priestern ein eigenes Treffen Vorbehalten. In diesem Zusammenhang gehören auch meine Sorgen um die Seminaristen, die Priester von morgen, die Hoffnung der Kirche, deren langsames, aber kontinuierliches Wachstum eine gute Vorbedeutung für die Zukunft ist. 8. Die dogmatische Konzüskonstitution über die Kirche beleuchtet das Wirken der Laien, das heißt „aller Christgläubigen mit Ausnahme der Glieder des Weihestandes und des in der Kirche anerkannten Ordensstandes . . ., die, durch die Taufe Christus einverleibt, zum Volk Gottes gemacht und des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi auf ihre Weise teilhaftig, zu ihrem Teil die Sendung des ganzen christlichen Volkes in der Kirche und in der Welt ausüben“ {Lumen gentium, Nr. 31). Mein Pontifikat wie das meiner Vorgänger zielt im wesentlichen dahin, daß die Laien sich immer mehr ihrer Würde und Verantwortung und des vollen Vertrauens bewußt werden, das ihnen die Kirche schenkt, wenn sie sie dazu aufruft, den ihnen zustehenden Platz einzunehmen. Das ist auch der einzige Zweck der Katechese der Mittwochsaudienzen, der großen Begegnungen des Papstes mit den Laien jeder Herkunft. Demselben Zweck dienen die sonntäglichen Zusammenkünfte zum Gebet des Angelus. Die Besuche in den römischen Pfarreien, wo ich fruchtbare Gespräche mit allen Beteiligten am Pfarrleben führen kann, an deren Abschluß und Krönung die Eucharistiefeier steht. Die Audienzen für die verschiedenen Ausdrucksfomen des Laikats in der Welt. Die kürzliche Begegnung in Genf mit den Mitgliedern der Internationalen Katholischen Organisationen, die sich ernsthaft bemühen, die Lehre der Kirche im Kontakt mit auf allen Ebenen menschlicher Tätigkeit qualifizierten Organen unauffällig zu 1180 Botschaften und Ansprachen verbreiten. So sind auch meine Reisen im wesentlichen ein Ausdruck der Liebe und des Glaubens mit allen Vertretern des Laientums, dieses echten, starken, unersetzlichen Bindegewebes der heiligen Kirche. Die Familie und die Arbeit nehmen in den Problemen der Laien den ersten Platz ein, doch darüber habe ich mit Euch bereits zu Weihnachten gesprochen. Es soll hier, was den ersten Punkt angeht, genügen, an den Päpstlichen Rat für die Familie zu erinnern, der vor über einem Jahr seine Arbeit aufgenommen hat: dem neuen Organ sind viele Aufgaben übertragen worden, und zahlreich sind die Forderungen und Erwartungen der Kirche an ihn, die ich mir zu eigen mache, während ich ihm ein intensives, fortdauerndes Arbeiten wünsche. So denke ich mit Befriedigung an die Gelegenheit, die ich hatte, bei der Jahresaudienz für den Gerichtshof der Hl. Römischen Rota die Verpflichtung der Kirche für die Bewahrung der Werte der Ehe zu unterstreichen (am 28. Januar) sowie bei den Leitern der Päpstlichen Missionswerke (am 7. Mai) die Evangelisierungssendung der Familie zu bekräftigen. Was die Arbeit betrifft, so hat sich, wie Ihr wißt, seit Mai vergangenen Jahres alles gleichsam als ständige Vertiefung des Themas Arbeit zum 90. Jahrestag der Veröffentlichung der Enzyklika Rerum novarum Leos XIII. entfaltet: ich denke an meinen Besuch in den Solvay-Werken in Rosignano bei Livorno und vor allem an meinen kürzlichen Besuch anläßlich der 68. Tagung der Internationalen Arbeitsorganisation am eindrucksvollen Sitz des Internationalen Arbeitsamtes in Genf bei den Vertretern aus aller Welt und an die dortigen Begegnungen mit den Vertretern der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber. Nicht vergessen möchte ich jene besondere Gruppe von Laien, der ich mich so nahe fühle und der meine ganze Liebe gilt, die, wie ich wohl weiß, erwidert wird: die Jugend. Wieviel Freude, die ich erfahren und geben konnte! Wie viele ernsthafte Versprechungen und Verpflichtungen! Ich denke an die erstaunlichen Begegnungen auf meinen Reisen mit all jenen Jugendlichen, die ihnen durch ihre gemeinsame und begeisterte Teilnahme einen besonderen Akzent verliehen haben. Wie sollte ich mich nicht der nigerianischen Jugend von Onitsha erinnern, der italienischen Jugend auf der Piazza Maggiore in Bologna und in anderen Städten, der portugiesischen Jugend in Lissabon, der schottischen auf dem Murrayfield in Edinburgh, der Jugend von Wales im Ninian Park in Cardiff? Ebenfalls in Edinburgh fand die Begegnung mit der schottischen Welt der Schule statt. Vergessen kann ich auch nicht die immer hochherzige Antwort, die mir von seiten der Universitätsjugend und der Dozenten bei unvergeßlichen Anlässen zuteil wurde, wie z.B. beim Gottesdienst zur Vorbereitung auf 1181 Botschaften und Ansprachen das Osterfest in der Petersbasilika, bei dem vom Institut für universitäre Zusammenarbeit veranstalteten internationalen Kongreß „Univ ’82“, bei der Begegnung mit über 5000 Hochschulstudenten am Nachmittag des Ostersonntags; und ich möchte auch daran erinnern, daß die jährliche Audienz für den römischen Klerus zu Beginn der Fastenzeit in diesem Jahr den Problemen der Hochschulseelsorge gewidmet war. Auch vergesse ich die regelmäßigen Begegnungen mit Gruppen jugendlicher Sportler verschiedener Disziplinen nicht. In den jungen Menschen, die sich um mich drängen, sehe ich die Morgenröte der Gesellschaft des dritten Jahrtausends, das sie mit überlegter und freudiger Vorbereitung gestalten werden; und ich weise die Verantwortlichen der Ortskirchen, Bischöfe und Priester, darauf hin, daß der Vorrang ihrer Seelsorge eben der Jugend zu gelten hat, die die Trägerin der Kirche und der Gesellschaft des dritten Jahrtausends sein wird. Eine privilegierte Gruppe des Volkes Gottes sind die kranken und die alten Menschen, die ich unablässig einlade, ihren Beitrag an Einsamkeit und Leiden darzubringen, um „im irdischen Leben das zu ergänzen, was an den Leiden Christi noch fehlt, zugunsten seines Leibes, der die Kirche ist“ (vgl. Kol 1, 24): bei keinem meiner feierlichen Gottesdienste, bei keiner Audienz, bei keiner meiner Reisen fehlen die lieben Kranken. 9. Einen gesonderten Hinweis verdienen die Beziehungen zur Welt der Kultur; die Sorge dafür ist ständiger Anreiz und verpflichtender Bezugspunkt für meinen päpstlichen Dienst. Vor jenem großen internationalen Kulturforum, der UNESCO, hatte ich seinerzeit die Hauptlinien aufgezeigt, auf denen sich die Kirche gegenüber den Menschen der Wissenschaft, der Kunst und der Kultur bewegt, denen die Förderung des spezifischen Kulturerbes eines jeden Volkes anvertraut ist. Die Päpstliche Akademie der Wissenschaften hat ihr schwieriges und verdienstvolles Werk des Studiums und der Vertiefung hochspezialisierter Probleme fortgesetzt: ich erinnere an die Audienz im vergangenen Oktober für die Akademiemitglieder, die in Rom zum Studium der Kosmologie und Fundamentalphysik zusammengekommen waren. So habe ich in der Audienz für die Kirchliche Bewegung zum kulturellen Einsatz die Beziehungen abgesteckt, die zwischen Glaube und Kultur bestehen. Außerdem führe ich die Besuche in der Päpstlichen Hochschule Antonianum und im Institut für Patristik Augustinianum an; ferner die Audienzen für besondere Gelehrtentagungen; die Zusammenkünfte mit den Universitätsprofessoren der Emilia-Romagna im Kloster des hl. Dominikus in Bologna (und den anschließenden Besuch der Alten Universität jener Stadt), mit der Kathoüschen Universität von Lissabon, mit den Universitätslehrern 1182 Botschaften und Ansprachen und Vertretern des Kulturlebens in Coimbra und die für mich so bedeutsame Begegnung mit den Wissenschaftlern des Europäischen Kemfor-schungszentrums (CERN) bei meinem jüngsten Besuch in Genf. Dieses sorgende Bemühen um den Dialog mit der Kultur unserer Zeit, einem „Lebensbereich, wo das Schicksal der Welt nun am Ausgang des 20sten Jahrhunderts auf dem Spiel steht“, hat durch ein vertieftes und organisches Werk offiziellen Ausdruck gefunden in der kürzlich erfolgten Errichtung des Päpstlichen Rates für die Kultur, dem ich besondere Aufgaben übertragen habe, um die grundlegenden Beziehungen zwischen Kirche und Kultur zu fördern. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes (Nr. 53-62) den Hinweis dafür gegeben und die Grundlagen gelegt. Jetzt geht es darum, sich tatsächlich auf die Begegnung mit den Kulturen einzulassen, die, wie ich in meinem Schreiben zur Gründung des Rats schrieb, heute „ein begrenztes Feld des Dialogs zwischen Menschen ist, die in der Suche nach einem neuen Humanismus für unsere Zeit engagiert sind“. Die Kirche will keine Gelegenheit vorübergehen lassen, um „der ständig erneuerten Begegnung der Heüsbotschaft des Evangeliums mit der Vielzahl der Kulturen, in der Verschiedenartigkeit der Völker, denen sie ihre Früchte der Gnade bringen muß, einen gemeinsamen Impuls“ zu geben (ebd.). Möge der Herr diese neuen Aufgaben unterstützen, die sich dem Wirken des Apostolischen Stuhls öffnen! 10. Die Reisen nach Großbritannien und Argentinien zwingen mich, wenn auch nur kurz, das Thema Frieden zu berühren, auch wenn es mehr in das Wirken der Kirche nach außen gehört. Aber diese beiden Reisen, die ich der bekannten Situation wegen in sehr kurzem Abstand unternommen habe, waren sozusagen atypisch, das heißt, ihr pastoraler Charakter unterschied sich von dem aller übrigen Reisen, weü sie unter Bedingungen durchgeführt wurden, die in der Regel vom Besuch eines Papstes in zwei miteinander im Kriegszustand stehenden Ländern abgeraten hätten. Doch diese „Gefahren“ gehören jetzt in die Optik vom universalen pastoralen Wirken des Papstes heute. Ich konnte die beiden Völker nicht allein lassen und mußte im übrigen vor der öffentlichen Meinung aller Länder der Welt darauf hinweisen, daß - wie ich den argentinischen Bischöfen gesagt habe - „die Universalität, wesenhafte Dimension im Volk Gottes, dem Patriotismus weder entgegensteht, noch tritt sie in einen Konflikt mit ihm ein. Im Gegenteil, sie integriert und verstärkt gleichzeitig die Werte, die er enthält; insbesondere die Vaterlandshebe, die sich, falls die Notwendigkeit besteht, bis zum Opfer steigert; jedoch gleichzeitig öffnet sie 1183 Botschaften und Ansprachen den Patriotismus eines jeden dem Patriotismus der anderen, damit sie sich gegenseitig durchdringen und bereichern“ (Nr. 6). Der Friede stellt eine allgemeine Plattform dar für das Wirken des Christentums in der Welt; so ist es in Lateinamerika, so im Nahen Osten, wo der gefährdete, aber so notwendige Friede religiösen Charakter, geistliche Dimension, besitzt. Ich erkläre hier öffentlich, daß ich bereit wäre, mich um der Sache des Friedens willen auch unverzüglich in das gemarterte Land des Libanons zu begeben, wenn es möglich wäre, während ich an einer Linie des Gebets und der inständigen Bitte für die ersehnte Lösung der Probleme festhalte, von denen jenes Gebiet betroffen ist. Und jede andere Initiative würde von mir auf genommen und ergriffen werden, um diesem Volk zu helfen, wie es mir mein Amt als Vater und Hirte auf erlegt. Denn entsprechend der Devise, die ich für den diesjährigen Weltfriedenstag ausgegeben habe, ist der gerechte Friede ein den Menschen anvertrautes Geschenk Gottes, ein zerbrechliches, aber mögliches Geschenk; ein unsicheres, aber kostbares Geschenk. Und ich werde keine Gelegenheit versäumen, es zu verkündigen und zu verteidigen. In diesem Licht finden die zahlreichen Appelle ihre Erklärung, die ich wegen der erwähnten Situation im Südatlantik und der im Nahen Osten sowie vorher schon wegen Salvador und Guatemala ausgesprochen habe; die Messe am 1. Januar in Sankt Peter und die „pro pace et iustitia servanda“ im Mai; die Eucharistiefeier in Coventry und im Marienheiligtum von Lujän; die Begegnung mit der Jugend der Katholischen Aktion Italiens über das Thema Frieden. Aus unserem Herzen erhebe sich der Ruf: Dona nobis pacem! Herr, gib uns den Frieden! Und laßt uns alle unermüdlich dafür arbeiten, um uns dieses Geschenk zu verdienen! 11. Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit in der Kirche war der erhellende Appell des Zweiten Vatikanums, wie er sich im fünften Kapitel von Lumen gentium findet. Die Kirche ist in ihrer Grundlage zur Heiligkeit berufen. Und Aufgabe des Apostolischen Stuhles ist es, mit allen Mitteln den Aufstieg des Gottesvolkes zu fördern, dessen Glieder „jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen sind. Durch diese Heiligkeit wird auch in der irdischen Gesellschaft eine menschüchere Weise zu leben gefördert“ {Lumen gentium, Nr. 40). Die Konsequenzen aus diesem Wirken sind daher auch auf der sozialen Ebene des Zusammenlebens und der ruhigen Ordnung wohltuend. 1184 Botschaften und Ansprachen Das ganze Wirken des Hl. Stuhls für das Leben innerhalb der Kirche hat, wie ich eingangs sagte, die Förderung der Heiligkeit zum Ziel: vom eucharistischen und sakramentalen Leben bis zum Bewußtsein der Verantwortung, die dem ganzen Gottesvolk - den Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Gläubigen - obliegt und schließlich zur Evangelisierungsaufgabe auf allen Ebenen. Deshalb, liebe Brüder und Schwestern, tragt Ihr, wenn Ihr mir helft, dieses Werk, dessen Hauptlinien ich bis jetzt umrissen habe, zu fördern, zur Heiligung der Kirche bei, zur Hebung des sozialen und gesellschaftlichen Lebens, zur „consecratio mundi“, zur „Heiligung der Welt“ (vgl. Lumen gentium, Nr. 31). Ich sage Euch Dank für diesen unersetzlichen Beitrag, der bereichert wird durch die innere Fülle der Treue und Hochherzigkeit, die jeder und jede von Euch in den täglichen Dienst des Hl. Stuhles einbringt. Es ist eine Zusammenarbeit, deren Reichtum nur Gott kennt, der sie nicht unbelohnt lassen wird! Die Berufung zur Heiligkeit und die Bemühung sie zu erlangen, die dem ganzen Gottesvolk obliegt, wird gleichzeitig zu einem Zeichen „des endzeitlichen Charakters der pügemden Kirche“ und „ihrer Einheit mit der himmlischen Kirche“, wie sie im siebten Kapitel der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium umrissen wurde: „Denn wir haben hier keine Stadt, die bestehen bleibt, sondern wir suchen die künftige“ (Hebr 13, 14). Leuchtende Bindeglieder dieser engen Einheit der Berufung der Kirche zur Heiligkeit und ihres Eingehens in die endzeitliche Herrlichkeit sind die Gestalten von Männern und Frauen, die auf heroische Weise das zweifache Gebot der Liebe zu Gott und zu den Brüdern geübt haben und die darum mit einem feierlichen AJct des obersten Lehramts zu Seligen und Heiligen erklärt und der Verehrung aller Gläubigen empfohlen werden! 12. Nach dem Aufruf zur Heiligkeit sprach das Konzü an passender Stelle von den Ordensleuten (Lumen gentium, Kap. VI), indem es das Gelübde der evangelischen Räte in der Kirche und das Wesen, die Bedeutung und die Größe der Ordensweihe erläuterte. Ich möchte deshalb auch hier ausdrücklich den Platz erwähnen, den die Ordensmänner, die Ordensfrauen, die Mitglieder der Säkularinstitute in meinem Herzen einnehmen, obwohl sie bereits in vielen der bisher behandelten Themen eingeschlossen sind: denn die Ordensleute gehören ja zum Volk Gottes, sie sind tief in die Heilsökonomie der Kirche einbezogen, weü das Ordensleben der sichtbare Ausdruck der bis zum äußersten geführten Folgerichtigkeit der von Gott den Menschen insbesondere mit der Taufe und der Eucharistie 1185 Botschaften und Ansprachen mitgeteilten Gnade ist; sie sind das Rückgrat der Missionsfähigkeit; sie sind in der Welt des Apostolats und der Kultur präsent; sie sind das Zeichen der vollkommenen Nachfolge Christi und die Gegenwart des endzeitlichen „schon“ im „noch nicht“ der auf Erden pilgernden Kirche; und um mich schließlich auf die erwähnten Selig- und Heiligsprechungen zu beschränken: waren nicht alle, denen ich bisher die Ehre der Altäre zuerkannt habe, Mitglieder von Ordensinstituten? Ich gebe daher meiner großen Dankbarkeit Ausdruck, die zu äußern ich im Laufe des Jahres schon bei verschiedenen Anlässen Gelegenheit hatte: bei der Audienz, die ich der Vollversammlung der Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute im vergangenen November gewährte, und bei den Audienzen für die Obern und Oberinnen der Institute des Dritten Ordens des hl. Franziskus, für die Provinziale der Gesellschaft Jesu, für die Söhne der Liebe aus Canossa; bei den Besuchen in der Kommunität des Don Guanella und bei den Augustinerpatres, weiter bei den übrigen Ordensfamilien, die ich bereits nach und nach genannt habe; und vor allem bei den Begegnungen auf meinen sämtlichen apostolischen Reisen, von denen sich mir wegen des Ortes und wegen des 800-Jahr-Jubüäums ganz besonders die Begegnung mit den Franziskanern im Kloster des hl. Antonius in Lissabon eingeprägt hat. Alle Ordensmänner und Ordensfrauen erinnere ich an die feierliche Verpflichtung zur Heüigkeit, die sie vor der Kirche übernommen haben. Möge sie immer lebendig sein! Möge sie immer echt sein! Möge sie immer erkennbar sein! Und mit dem Konzü ermutige ich sie, alle Sorgfalt darauf zu verwenden, „daß durch sie die Kirche wirklich von Tag zu Tag mehr den Gläubigen wie den Ungläubigen Christus sichtbar mache“; und die Brüder zu berücksichtigen „in der Liebe Christi..., daß der Bau der irdischen Gesellschaft immer in Gott gründe und auf ihn ausgerichtet sei“ (Lumen gentium, Nr. 46). 13. Die große dogmatische Konstitution über die Kirche schließt mit dem wichtigen achten Kapitel, das die einzigartige Rolle Mariens in der Kirche als „überragendes und völlig einzigartiges Glied der Kirche wie auch als ihr Typus und klarstes Urbild im Glauben und in der Liebe“ (Lumen gentium, Nr. 53) erklärt. Dieser soliden und tiefgründigen Lehre ist insgesamt das Wiederaufblühen der Marienfrömmigkeit in der Zeit nach dem Konzil, auch durch das Lehramt Pauls VI. (vgl. Apostolisches Schreiben Marialis cultusvova 2. Febr. 1974), zu verdanken. Dieser Lehre fühle ich mich bei der Erfüllung meines Dienstamtes, das ich von Anbeginn an in die Hände Mariens gelegt habe, eng verbunden. 1186 Botschaften und Ansprachen Besonders in diesem Jahr, nach dem Attentat, das sich in geheimnisvollem Zusammentreffen am Jahrestag der Erscheinung der Jungfrau in Fatima ereignete, war das Gespräch mit Maria, ich möchte sagen, ununterbrochen. Wiederholt habe ich ihr das Los aller Völker anvertraut: vom Weiheakt am 8. Dezember, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis, bis zur Weihe der von mir besuchten Länder an die Jungfrau: Nigerias in Kaduna, Äquatorialguineas in Bata, Gabuns in Libreville, Argentiniens im Heiligtum von Lujän; ich denke an die Besuche in den italienischen Heiligtümern der Madonna von Montenero in Livorno und der Madonna von San Luca in Bologna; schließlich als Höhepunkt die Pilgerfahrt nach Fatima in Portugal, dem „Land der hl. Maria“, die ein persönlicher Akt des Dankes an den Herrn war, gleichsam als Einlösung eines stillen Gelübdes für den mir durch die heilige Jungfrau gewährten Schutz, und ein feierlicher Weiheakt, in dem ich das ganze Menschengeschlecht der Muttergottes anvertraute, in Einheit mit der Kirche durch meinen bescheidenen Dienst; in diesen Akt wollte ich „aufs neue die Hoffnungen und Ängste der Kirche in der Welt von heute einschließen“ ( Weiheakt, 13. Mai, Nr. 1). Und erwähnen möchte ich auch, daß seit diesem Jahr von der Höhe des Apostolischen Palastes ein schönes Marienbild auf die Menge herabblickt, die an diesem Mittelpunkt der Christenheit zusammenkommt, um zu beten und „Petrus zu sehen“. Ich bitte Euch, in dieser Weihe an die himmlische Jungfrau, die auch unsere Alltagsmühe beseelen und heiligen soll, mit mir einig zu sein. Wir wollen miteinander in Demut für das große Anhegen arbeiten, das ich in meinem Gebet an die Muttergottes ausgesprochen habe: „Noch einmal zeige sich in der Geschichte der Welt die unendliche Macht der erbarmenden Liebe! Daß sie dem Bösen Einhalt gebiete! Daß sie die Gewissen wandle! In Deinem unbefleckten Herzen offenbare sich allen das Licht der Hoffnung!“ (ebd., Nr. 3). Die Römische Kurie sei auch darin die erste, sich zu einem gefügigen Werkzeug des Planes der Liebe und Versöhnung zu machen, durch den Maria alle Menschen zu Christus führen will! 14. Verehrte Kardinäle, liebe Brüder und Schwestern! Ihr seht, zu welchem Werk Ihr von Gott berufen seid. In dem Überblick über die von mir für das innere Leben der Kirche entfaltete Tätigkeit sind mit aller Klarheit die Funktion und die Aufgaben verdeutlicht worden, die Ihr darin verdienterweise habt. Wenn ich Euch vielleicht den Eindruck gegeben habe, hauptsächlich von den „Acta Papae“, den „Taten des Papstes“ zu sprechen, so stellte meine Darlegung auch eure Taten, die „Acta Apostolicae Sedis“, heraus! Jeder von Euch muß seinen Anteü am 1187 Botschaften und Ansprachen Dienst erkennen, den der Papst leistet; jeder muß davon überzeugt sein, daß er, wenn auch in unterschiedlicher, aber deshalb nicht weniger realer Weise, Mitarbeiter des Papstes ist. Die Arbeit der Römischen Kurie wird von mir aus nächster Nähe verfolgt. Meine Präsenz bei den regelmäßigen Zusammenkünften der Kardinal-Präfekten der verschiedenen Dikasterien ist eine ständige Verpflichtung; die Begegnungen mit den Verantwortlichen der verschiedenen Organe der Kurie finden regelmäßig statt sowohl in den Audienzen wie bei ungezwungenen Begegnungen, die für die Arbeit, die ich mir von den einzelnen Dikasterien erwarte, fruchtbar sind. Und obwohl ich hier nicht alle nennen konnte, muß ich sagen, daß in den von mir berührten Punkten der Hinweis auf die von ihnen geleistete Arbeit und Zusammenarbeit deutlich war. Jeder konnte sich in diesem unermeßlichen Werk erkennen, das der Hl. Stuhl für das Leben der Kirche und für den Aufbau der Welt vollbringt! Für diese Arbeit danke ich Euch noch einmal! Es ist ein Werk, das Ihr alle miteinander nicht nur mir leistet, sondern in mir und mit mir dem „seligen Petrus, der auf diesem seinem Stuhl lebt und regiert, um allen, die sie suchen, die Wahrheit des Glaubens zu gewährleisten“ (Petrus Chrysologus an Eutyches, int er Ep. S. Leonis Magni, XXV, 2). Möge er an seinem Fest, das wir in diesem Zentrum, nicht weit vom Ort seines letzten Zeugnisses und seines Grabes, in besonderer Weise als unser Fest betrachten, uns die Festigkeit der Vorsätze, die Treue im Dienst und vor allem die große und echte Freude darüber eingeben, daß wir ein lebendiger Teil des Apostolischen Stuhles sind, dessen einziges Streben es ist, gemeinsam mit der ganzen Kirche die Erbauung der Menschenbrüder in der Wahrheit und im Frieden zu fördern. Allen erteile ich aus ganzem Herzen meinen Apostolischen Segen. (O.R. 28.129. 6. 82) 1188 Botschaften und Ansprachen „Petrus antwortet im Namen aller“ Predigt bei der feierlichen Messe in der Petersbasilika am Fest Peter und Paul, 29. Juni (Vor Beginn der Messe sagte der Papst:) Beginnen wir den eucharistischen Gottesdienst, den ich, wie ich bereits am vergangenen Sonntag sagte, in einer besonderen Intention feiern möchte: für den Frieden im gemarterten Libanon. Ich hätte mich gern in den Libanon begeben, um inmitten so vielen Leidens das Opfer Christi zu erneuern. Da mir das, zumindest im Augenblick, nicht möglich ist, dachte ich, der passendste Anlaß, meine Anteilnahme an dieser großen Tragödie zu bekunden, sei das Fest der hll. Apostel Petrus und Paulus, die von den libanesischen Katholiken so sehr verehrt werden. Der Libanon hatte in seiner langen und schmerzlichen Geschichte immer besondere Verbindungen zum Stuhl Petri. Der Apostelfürst war der erste Inhaber des Bischofsstuhls von Antiochia, mit dem die Christen des Libanon in ihrer großen Mehrheit auch heute verbunden sind. Aus diesem Grund und wegen ihres Glaubenszeugnisses in einem Gebiet, das Wiege der drei großen monotheistischen Religionen war, sind sie dem Stuhl in Rom immer besonders teuer und lieb gewesen. Das libanesische Volk erlebt einen Sturm, der von einem blutigen Konflikt ausgelöst wurde und jetzt vor allem die Hauptstadt Beirut bedroht. Beten wir deshalb, daß der Libanon den Frieden wiederfinden, aus den Ruinen neu erstehen, seine Einheit wiederherstellen und daß er, heute ein Schlachtfeld, zu einem aktiven und friedlichen Element des Gleichgewichts im Nahen Osten werde. So wird er aufs neue seiner besonderen Berufung entsprechen können, nämlich ein Beispiel zu sein für das Zusammenleben und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Gemeinschaften. Aber auf libanesischem Gebiet leidet noch ein anderes Volk: das palästinensische Volk, das mir nicht weniger teuer ist als andere Völker. Beten wir, daß es die Anerkennung seiner legitimen Erwartungen erleben -deren erste das Recht auf Heimat ist - und mit allen Völkern dieses Gebietes in Ruhe und Frieden leben kann. Möge das Opfer Christi und der Kirche, das wir hier am Grab des Apostelfürsten feiern, Gott gefallen, damit er dem Libanon und allen Völkern des Nahen Ostens Trost und Frieden schenke. 1189 Botschaften und Ansprachen (Nach dem Evangelium hielt der Papst folgende Predigt:) 1. „Ich will den Herrn allezeit preisen; immer sei sein Loh in meinem Mund” (Ps 34, 2). Mit diesem Psalmvers will ich alle Teilnehmer am eucharistischen Opfer begrüßen, das wir am Fest der hll. Apostel Petrus und Paulus in unserer römischen Basilika feiern. Ich begrüße Dich, ehrwürdiger Metropolit Meliton, der Du uns wie jedes Jahr den Friedenskuß unseres Bruders Dimitrios I., des Erzbischofs von Konstantinopel und ökumenischen Patriarchen, überbringst. Ich begrüße alle Gäste und Pilger. Ich begrüße Euch, ehrwürdige Kardinäle der Römischen Kirche, Euch, Erzbischöfe und Bischöfe, Euch, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen. Ich begrüße Euch, Römer. „O Roma felix! Der Apostelfürsten Tod hat mit dem Purpur ihres Blutes dich geschmückt!“ O Rom! Höre, schon seit über 1900 Jahren erklingt hier der gemeinsame Gesang: miteinander singen Petrus aus Galiläa und Paulus aus Tarsus, die Apostelfürsten. Jeder wiederholt die Worte des Psalmes: „Ich will den Herrn allezeit preisen; immer sei sein Lob in meinem Mund.“ Greifen wir mit ihnen zusammen diesen Lob- und Dankgesang auf an dem Tag, wo ihn die ganze Kirche singt. 2. Meditieren wir noch einmal über die großen Werke, die der himmlische Vater in seinen Aposteln vollbracht hat. In der Nähe von Cäsarea Philippi vernimmt Petrus aus dem Munde Jesu die Worte: „Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel“ (Mt 16, 17). Petrus vernimmt diese Worte lange bevor er nach Rom kommt. Sie sprechen von dem, was der Vater im Himmel an ihm vollbracht hat. Der Vater im Himmel hat ihn das Geheimnis Christi, des Menschensohnes, bekennen lassen: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16, 16). Jesus fragt, Petrus antwortet. Er antwortet im Namen aller -Christus hatte nämlich gefragt: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16, 15) - und Petrus antwortet, er allein. Jesus akzeptiert die Antwort und preist die Gnade Gottes, eine unsichtbare Gnade, die in den Worten des Petrus zur Reife gelangt ist; im Bekenntnis des Petrus. Christus lobt den 1190 Botschaften und Ansprachen Glauben, auf dem wie auf einem Felsen die Kirche errichtet ist. Und er nennt Petrus den Felsen (vgl. Mt 16, 18). Preisen wir heute Gott für den Felsen des Glaubens, den er in das einfache Herz des Fischers aus Galiläa gelegt hat! Ja: Seine Seele rühmt sich des Herrn: die Armen sollen es hören und sich freuen (vgl. Ps 34, 3). 3. Das war noch lange vor der Ankunft in Rom, aber zeitlich bereits näher. Wir lesen heute in der Apostelgeschichte wieder die Begebenheiten einer Nacht, wie wir die im Matthäusevangelium beschriebenen Ereignisse von Cäsarea gelesen haben. Petrus mußte sich jener Nacht immer erinnern, so wie er sich des Tages in der Nähe von Cäsarea Philippi erinnert hatte. In jener Nacht war sich Petrus noch nicht bewußt geworden, daß das, was ihm durch das Wirken des Engels widerfahren sollte, Wirklichkeit war: Es kam ihm vor, als habe er eine Vision (vgl. Apg 12, 9). Denn er war von Herodes ins Gefängnis geworfen und seine Bewachung vier Abteilungen von je vier Soldaten übertragen worden; nach dem Paschafest sollte er zum Tod verurteilt werden. Erst als er, vom Engel geleitet, an der ersten und zweiten Wache vorbeigekommen war; als sich vor ihnen das eiserne Tor, das in die Stadt führte, auftat; als sie hinaustraten und eine Straße entlanggingen, kam Petrus zu sich und sagte: „Nun weiß ich wahrhaftig, daß der Herr seinen Engel gesandt und mich der Hand des Herodes entrissen hat und all dem, was das Volk der Juden erhofft hat“ (Apg 12, 11). Preisen wir heute Gott dafür, daß er das Leben des Petrus in Jerusalem gerettet hat! „Ich suchte den Herrn, und er hat mich erhört, er hat mich all meinen Ängsten entrissen“ (Ps 34, 5). Preisen wir heute Gott, weü er in Jerusalem Petrus von der Todesfurcht befreit hat und ihn nach Rom kommen ließ, um hier die Kirche zu gründen. 4. Danken wir heute Gott für alles, was er an seinen Aposteln Petrus und Paulus im Laufe ihres ganzen Lebens getan hat: durch alle Mühen ihres Dienstes in der Welt und in Rom. „Aber der Herr stand mir zur Seite und gab mir Kraft, damit durch mich die Verkündigung vollendet wird und alle Heiden sie hören“ - so schreibt der Apostel Paulus an Timotheus (2 Tim 4, 17). 5. Danken wir heute Gott für den endgültigen Sieg, den die Apostel Petrus und Paulus hier in Rom errungen haben. Zur Zeit des Kaisers Nero. 1191 Botschaften und Ansprachen Sie haben dieser Stadt und dieser Kirche das Siegel ihres Blutes aufge-prägt. Das Zeichen ihres Martyriums. Das Zeugnis ihres Todes. „Denn ich werde nunmehr geopfert, und die Zeit meines Aufbruchs ist nahe. Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten. Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit, den mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird“ (2 Tim 4, 6-8). Danken wir heute Gott für „jenen Tag“. Jener Tag wiederholt sich in der Liturgie der römischen Kirche jedes Jahr am 29. Juni, also heute. Danken wir Gott: „Ihm sei die Ehre in alle Ewigkeit“ (2 Tim 4, 18). 6. Ich danke Euch allen, die Ihr an dieser Danksagung der römischen Kirche teilgenommen habt; - Dir, ehrwürdiger Metropolit Meliton; - Euch allen, Gäste und Pilger; - Euch ehrwürdigen Kardinälen der heiligen Römischen Kirche; - Euch Erzbischöfen und Bischöfen; - Euch Priestern, Ordensmännem und Ordensfrauen; - und Euch Römern. Amen. O Roma felix! (O.R. 1. 7. 82) Das Volk möchte keine politischen Reden, sondern priesterlichen Dienst Brief an den Episkopat von Nicaragua vom 29. Juni Liebe Brüder im Bischofsamt! Während der Papst, gehorsam dem Ruf gegenüber, der ihn zum Nachfolger Petri machte, gern alles aufwendet und sich selbst für das Wohl aller hingibt (vgl. 2 Kor 12, 15), vergißt er nicht seine Verpflichtungen denen gegenüber, die in den verschiedenen Ortskirchen der ganzen Welt oft unter nicht geringen Schwierigkeiten ihrem Hirtenamt nachkommen. Eine besondere Beziehung verbindet sie aufgrund des Evangeliums, denn Jesus, der Petrus den ersten Platz unter den Zwölf zuwies, vertraute ihm in einem feierlichen Augenblick seines Lebens die Mission an, die Brüder im Glauben und im apostoüschen Dienst zu stärken (vgl. Lk 22, 32). Diese Beziehung ist auch wegen ihrer theologischen Natur etwas Beson- 1192 Botschaften und Ansprachen deres: Das Zweite Vatikanische Konzil vertiefte die alte Lehre von der Kollegialität der Bischöfe und stellte mit Nachdruck heraus, daß das Bischofskollegium, „insofern dieses Kollegium aus vielen zusammengesetzt ist, die Vielfalt und Universalität des Gottesvolkes, insofern es unter einem Haupt versammelt ist, die Einheit der Herde Christi darstellt“ {Lumen gentium, Nr. 22; vgl. Christus Dominus, Nr. 4). Ihr wißt, daß ich Euch wegen dieser besonderen Beziehung, deren gefühlsmäßiger Tiefe der dogmatische Aspekt keinen Abbruch tut, sehr nahe bin. Zugleich bin ich Euch nahe angesichts der besonderen Umstände, unter denen Ihr aufgerufen seid, Euer Bischofsamt auszuüben. Ich bin Euch nahe, denn „ich höre nicht auf, für euch zu danken, wenn ich in meinen Gebeten an euch denke“ ( Eph 1, 16). Ich bin Euch nahe mit meinem Willen und meinem Interesse, da ich mich ständig über Eure Pastoralen Aktivitäten informiere. Ich bin Euch nahe zur spirituellen Unterstützung Eurer Arbeit, die Ihr ebenso ergeben wie nachdrücklich und feinfühlig für die individuelle wie auch allgemeine menschliche Förderung Eurer Völker leistet. Ich bin Euch nahe in meinem brüderlichen Eifer für Eure Arbeit als Hirten und Lehrer der Euch anvertrauten Kirchen. Darüber hinaus ruft das heutige Fest der Apostel Petrus und Paulus die Bedeutung der Kollegialität in uns wach und gibt mir Gelegenheit, Euch zu schreiben, „denn ich sehne mich danach, euch zu sehen: ich möchte euch geistliche Gaben vermitteln, damit ihr dadurch gestärkt werdet“ (Röm 1, 11). Ich hoffe, daß Ihr bereits aus den bisherigen Überlegungen den ersten und grundlegenden Ausdruck der Ermutigung und des Ansporns herausgelesen habt, den ich Euch mitteilen möchte. Der Bischof ist nie allein, da er sich stets in lebendigem und dynamischem Austausch mit dem Papst und seinen Brüdern im Bischofsamt auf der ganzen Welt befindet. Ihr seid nicht allein: die geistliche Gegenwart dieses älteren Bruders unterstützt Euch, und die wahre und echte Gemeinschaft von Tausenden von Brüdern umgibt Euch. Ich möchte Euch jedoch dazu einladen, an eine andere kleinere, aber nicht weniger wichtige Dimension der Gemeinschaft zu denken: an die Gemeinschaft der Mitglieder der uns teuren Bischofskonferenz Nicaraguas. Diese aus der Teilnahme an der Fülle des Priestertums Jesu Christi entstandene Gemeinschaft ist keine rein äußerliche und besteht nicht in Konventionen oder Protokollen: sie ist eine sakramentale Gemeinschaft und muß als solche in die Praxis umgesetzt werden. 1193 Botschaften und Ansprachen Ich gestehe, daß es für mich keine größere Freude gibt, als zu wissen, daß unter Euch, trotz allem, was Euch trennen könnte, die wesentliche Einheit „in Christo et in Ecclesia“ vorherrscht. Diese Einheit ist um so notwendiger, als von ihr auf der einen Seite die Glaubwürdigkeit Eurer Predigten und die Wirksamkeit Eures Apostolats abhängen wird und auf der anderen trotz aller bekannten Schwierigkeiten die Gemeinschaft, die Ihr unter Euren Gläubigen aufbauen müßt. Diese Einheit erscheint in unseren Augen sogar als die vielleicht wertvollste Gabe für Eure und unsere Kirche in Nicaragua, denn sie ist zerbrechlich und Bedrohungen ausgesetzt. Was das Zweite Vatikanische Konzil über die Weltkirche aussagte, die Zeichen und Werkzeug der zu schaffenden Einheit in der Welt war und unter den Menschen ist (vgl. Lumen gentium, Nr. 1), gilt in entsprechendem Maß für die kirchlichen Gemeinschaften auf allen Ebenen. Deswegen fällt der Kirche Nicaraguas die Verantwortung zu, Sakrament zu sein, das heißt, Zeichen und Mittel für die Einheit im Land. Darum muß sie selbst als Gemeinschaft eine wirkliche Einheit sein und ein Bild der Einheit vermitteln. In diesem Zusammenhang muß man daran erinnern, daß, je öfter Zwietracht und Uneinigkeit, Bruch und Trennung auftreten, um so mehr die Kirche der Raum sein soll, wo Einheit und Zusammenhalt aufgebaut werden. Aber sie wird es nur dann sein, wenn sie Zeugnis davon gibt, daß sie „cor unum et anima una“ (Apg 4, 32) ist dank der übernatürlichen Prinzipien der Einheit, die genügend stark und entscheidend sind, um die trennenden Kräfte zu besiegen, denen auch sie sich unterworfen sieht. Ihr seid selbst durch die göttliche Berufung sichtbare Zeichen der Einheit. Könntet Ihr doch verhindern, daß sich die Christen Eures Landes wegen widerstreitender Ideologien spalten! Denn sie eint „ein einziger Herr, ein einziger Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater“ (Eph 4, 5-6), wie sie, den Worten des Apostels Paulus folgend, singen. Hoffentlich sind Eure Christen im gleichen Glauben vereint und lehnen alles ab, was diese Einheit beeinträchtigen oder zerstören könnte, und begegnen einander in den Idealen des Evangeliums, der Gerechtigkeit, des Friedens, der Solidarität, der Gemeinschaft und des Teilens. Mögen sie sich nicht wegen zeitbedingter Entscheidungen unheilbar spalten, die Systemen und Parteien entspringen. Unter diesem Gesichtspunkt wächst Eure Verantwortung, denn um den Bischof muß ganz konkret die Einheit der Gläubigen geflochten sein. Ihr wißt um die Bedeutung der Briefe des hl. Ignatius von Antiochia, sei es wegen der Autorität des Schreibers, der ein Schüler des geliebten 1194 Botschaften und Ansprachen Apostels war, sei es wegen des Alters, das sie zu Zeugen eines lebendigen Augenblicks der Kirchengeschichte macht, sei es wegen des inhaltlichen Reichtums. Mit starken Begriffen verdeutlicht Ignatius in diesen Briefen -sicher um auf die ersten Schwierigkeiten in diesem Bereich zu antworten -, daß es in der Kirche keine gültige und dauerhafte Gemeinschaft geben kann ohne die Einheit des Geistes und des Herzens, des Respekts und des Gehorsams, der Liebe zum Bischof und des Handelns mit ihm. Das Wort von den Saiten einer Leier ist ein schönes und eindrucksvolles Bild einer sehr tiefen Wahrheit: der Bischof ist wie Jesus Christus gegenwärtig inmitten seiner Kirche als lebendiges und dynamisches Prinzip der Einheit. Ohne ihn gibt es keine Einheit, die nicht unecht und deshalb unbeständig und kurzlebig wäre. Von daher ist es gefährlich und absurd, sich vorzustellen, es gebe neben, um nicht zu sagen gegen die Kirche, die um den Bischof auf gebaut ist, eine andere Kirche, die sich als „charismatisch“ versteht und nicht institutionell, als „neu“ und nicht traditionell, als Alternative und, wie sie sich in der letzten Zeit gern nennt, als „Volkskirche“. Ich verkenne nicht, daß dieser Benennung - synonym von „Kirche, aus dem Volk geboren“ - ein annehmbarer Bedeutungsinhalt beigemessen werden kann. Man könnte mit ihm darauf hinweisen, daß dann Kirche entsteht, wenn eine Gemeinschaft von Personen - ganz besonders von Personen, die wegen ihrer Einfachheit, Niedrigkeit und Armut zum christlichen Wagnis entschlossen sind - sich der Frohbotschaft Jesu Christi öffnet und beginnt, sie in der Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung, des Gebets und der Liebe, der Feier und der Teilhabe an den christlichen Geheimnissen zu leben, besonders in der Eucharistie. Ihr wißt, daß das Schlußdokument der 3. Generalkonferenz der lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla die Bezeichnung „Volkskirche“ für „wenig geglückt“ erklärte (vgl. Nr. 263). Man tat dies nach gewissenhaftem Studium und Nachdenken der Bischöfe des ganzen Kontinents, weil man sich bewußt war, daß dieses Wort im allgemeinen eine andere Wirklichkeit bezeichnet. Der Ausdruck „Volkskirche“ bezeichnet im allgemeinen - und das wird aus den Schriften gewisser theologischer Strömungen deutlich - eine Kirche, die viel häufiger aus angeblichen Werten eines Teils der Bevölkerung entsteht als aus dem freien Gnadenwirken Gottes. Er bezeichnet eine Kirche, die sich in der Autonomie der sogenannten „Basis“ erschöpft, ohne Bezug zu den rechtmäßigen Hirten oder Lehrern; oder er bedeutet letztlich, daß eine solche Kirche die „Rechte“ der Basis über die Autorität setzt, die der Glaube in ihnen sieht. 1195 Botschaften und Ansprachen Das bedeutet - und der Begriff „Volk“ hat eindeutig einen soziologischen und politischen Inhalt daß die „Volkskirche“ in den Körperschaften des Volkes ihren Ausdruck findet und von deren Ideologie gekennzeichnet ist, die im Dienst ihrer Forderungen, Programme und Gruppen stehen, welche als nicht zum „Volk“ gehörend betrachtet werden. Es läßt sich leicht feststellen - und das Dokument von Puebla weist ausdrücklich darauf hin -, daß der Begriff der „Volkskirche“ sich nur schwer dem Einfluß stark ideologisch gefärbter Strömungen entzieht, die auf der Linie einer gewissen politischen Radikalisierung, des Klassenkampfes, der Gewaltanwendung zur Erreichung bestimmter Ziele usw. liegen. Als ich in meiner Eröffnungsansprache vor der Versammlung von Puebla gewisse Vorbehalte gegen den Begriff „Kirche, aus dem Volk geboren“ einbrachte, hielt ich mir jene Gefahren vor Augen, die ich gerade angesprochen habe. Daher fühle ich mich verpflichtet, mit Eurer Stimme dieselbe pastorale Mahnung deutlich und liebevoll zu wiederholen. Es ist ein Aufruf an Eure Gläubigen, den Ihr ihnen vermittelt. Eine „Volkskirche“ im Gegensatz zur Kirche, der rechtmäßige Hirten vorstehen, ist -vom Standpunkt der Lehre des Herrn, der Apostel und des Neuen Testaments und auch der alten und neuen Anschauungen des Lehramts der Kirche - eine grobe Verfälschung des Willens und des Heilsplans Jesu Christi. Sie ist außerdem der Anfang des Zerfalls und des Bruchs jener Einheit, die der Herr als besonderes Zeichen der Kirche selbst hinterlassen hat und die er gerade euch anvertrauen wollte, die „der heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben hat“ (Apg 20, 28). Ich vertraue Euch, liebe Brüder im Bischofsamt, den Auftrag und die Aufgabe an, Euren Gläubigen mit Geduld und Nachdruck diesen Aufruf von größter Wichtigkeit zu übermitteln. Wir haben alle noch jene dramatische Vision meines Vorgängers Paul VI. vor Augen, als er in dem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi niederlegte, daß die schlimmsten Gefahren und die tödlichsten Angriffe gegen die Kirche nicht von außen kommen - diese können sie nur in ihrem Auftrag und ihrer Arbeit bestärken -, sondern von innen. In diesem historischen Augenblick für Nicaragua und für die Kirche in diesem Land konzentriert also alle Bemühungen darauf, um die Gemeinschaft rings um ihre Hirten zu festigen und damit jedes Aufkeimen von Bruch oder Spaltung zu verhindern. Möge dieser Aufruf vor allem das Gewissen der Priester erreichen, mögen sie nun aus dem Land stammen oder seit Jahren als Missionare im 1196 Botschaften und Ansprachen pastoralen Dienst für dieses Land ihr Leben einsetzen oder freiwillig ihren Brüdern in Nicaragua in einem folgenschweren Augenblick beistehen wollen. Sie müssen wissen - wenn sie diesem Volk, diesem nach Gott hungrigen und durstigen Volk, das seine Kirche liebt, wirklich als Priester dienen wollen -, daß dieses Volk von ihnen die Verkündigung des Evangeliums erwartet, die Kenntnis Gottes, des Vaters, und die Spendung der Sakramente. Das Volk möchte sie in seiner Nähe haben, nicht mit politischen Reden, sondern mit dem priesterlichen Dienst. Bringt diesen Aufruf den Ordensleuten zum Bewußtsein, sowohl den einheimischen als auch den aus dem Ausland stammenden. Die Menschen dieses Landes möchten sie in einer unzerstörbaren kirchlichen Gemeinschaft um die Bischöfe vereint sehen als Träger einer Botschaft, die nicht zweigleisig ist und noch weniger widersprüchlich, sondern die harmonisch mit der der rechtmäßigen Hirten übereinstimmt. Möge dieser Aufruf alle jene erreichen, die auf verschiedene Art der Kirche einen echten Dienst erweisen wollen, vor allem dann, wenn sie an verantwortlicher Stelle stehen, wie z.B. in den Universitäten, in den Studien- und Forschungszentren, in den Medien usw. Mögen sie ihre Dienstbereitschaft mit der gleichen Hochherzigkeit und Bestimmtheit den Bischöfen und dem großen Teil des Volkes anbieten, der in Eintracht mit den Bischöfen um das Wohl des Landes bemüht ist und sich dabei an die Richtlinien der Kirche hält. Schließlich ermahne ich Euch, geliebte Brüder, trotz aller Schwierigkeiten in Eurem unermüdlichen Kampf um die aktive Präsenz der Kirche in diesem für das Land historischen Augenblick fortzufahren. Unter Eurer eifrigen pastoralen Führung mögen die katholischen Christen in Nicaragua beständig einen deutlichen und überzeugenden Beweis der Liebe und der Bereitschaft zum Dienst für das Land ablegen, nicht mehr und nicht weniger wirkungsvoll als der der anderen; ein Zeugnis für Unklares Urteil angesichts der Geschehnisse und Situationen. Sie sollen der wahren Sache des Volkes mit rückhaltloser Bereitschaft dienen. Macht bei jeder Gelegenheit die Anschauungen und Stellungnahmen der Kirche bekannt - nämlich das, was ich oft als „den Weg“ bezeichnet habe -, selbst wenn diese Wege nicht mit anderen vorgeschlagenen Wegen über-einstimmen. Ich wünsche, hoffe und bete für Euch, daß Ihr alles unternehmt, damit der Glaube an Christus und an die Kirche in Eurem Volk, das weit davon entfernt ist, ihn zu vernachlässigen, die Treue zum irdischen Vaterland stärke und bereichere. 1197 Botschaften und Ansprachen Ich ergreife gern die Gelegenheit, Euch brüderlich und herzlich, in Dankbarkeit für die empfangene göttliche Gnade, die mir durch Euch und Euren Dienst zuteil wurde, meinen Apostolischen Segen zu erteilen, den ich auch allen Euren Gläubigen spende. Vatikan, 29. Juni 1982 PAPST JOHANNES PAUL II. „Möge die heilige Liturgie euer Apostolat inspirieren“ Schreiben an den Protoarchimandriten des BasilianerOrdens vom hl. Josaphat zum 100jährigen Jubiläum der Reform von Dobromyl vom 1. Juli Dem geliebten Sohn ISIDOR PATRYLO, Protoarchimandrit und Generalmoderator des Ordens der Basilianer vom hl. Josaphat Ich freue mich sehr, anläßlich der feierlichen Wiederkehr des Jahrestages, an dem vor hundert Jahren der Basilianerorden vom hl. Josaphat reformiert wurde (unter dem Namen „Reform von Dobromyl“ bekannt), sowohl Dich wie die Abgesandten des ganzen Ordens und der Provinzen begrüßen zu können, die zur Abhaltung des Generalkapitels in Rom zusammengekommen sind. Mit ihnen will ich natürlich alle Mönche und Ordensmänner des Basilianerordens begrüßen, die von der vielfältigen apostolischen Arbeit in verschiedenen Provinzen sowohl zu Hause wie draußen festgehalten werden, und vor allem diejenigen, die wegen ihrer aufrichtigen Treue zu Christus und ihres Gehorsams gegenüber diesem Apostolischen Stuhl zu leiden haben. Die Reform von Dobromyl aber, wie wir sie kurz nennen wollen, erlangte durch das Apostolische Schreiben Singulare praesidium meines Vorgängers Leo XIII. vom 12. Mai 1882 (vgl. Acta Leonis, III, 58) ihre Grundlage und gleichsam ihre „Magna Charta“; dieses Schreiben war -gewiß auf Anstoß der Vorsehung Gottes - von so großer Bedeutung, daß der Orden, der durch die Ungunst der Zeitumstände erschlafft war und sozusagen dem Altem verfiel, nicht nur dieser großen Gefahr entrissen, sondern durch den Neuzuwachs von Mönchen und Instituten sogar eine angesehene Blüte aufweisen und überreiche Früchte erbringen sollte, 1198 Botschaften und Ansprachen ganz ähnlich wie bei der früheren Reform, die im Jahr 1623 durchgeführt worden war; denn historisch gesehen war die Reform von Dobromyl allerdings bereits die zweite Reform des Ordens. Fest steht, daß die Mönche des hl. Basüios des Großen — dessen Werk als asketischer Gesetzgeber ich in meinem Apostolischen Schreiben Patres Ecclesiae gelobt habe (vgl. AAS, 72, 1980, 5—23) — zum erstenmal im 11. Jahrhundert von den hll. Antonius und Theodosius am Metropolitan-sitz Kiew eingeführt wurden; in Kiew (Kievo Pecerska Lavra) gründeten die beiden das Gotteskloster, das sozusagen die Wiege sämtlicher slawischer Klöster wurde. An diesem weitverzweigten Stamm aber wurde dann die erste Reform vorgenommen, die der hl. Josaphat im Dreifaltigkeitskloster von Wilna zusammen mit dem Metropoliten Rutskyj im Jahre 1617 damit einleitete, daß die ersten Klöster unter die Vollmacht eines einzigen Moderators gebracht wurden. Diese Verbesserungen und die erneuerte Treue gegenüber dem Hl. Stuhl bezahlte der hl. Josaphat freilich mit seinem Blut; doch eben deshalb, weil sie soviel gekostet hat, war die Ernte der Reform äußerst fruchtbar; so sehr, daß der Orden im Jahre 1772155 Klöster mit insgesamt 1235 Mönchen, davon 950 Priester, zählte; mit Recht wird in den Jahrbüchern von diesen Jahren als dem „goldenen Zeitalter“ gesprochen. Was aber die zweite Reform betrifft, die mein Vorgänger Leo XIII. vomahm, so kann sie an Glanz und Lebenskraft sehr wohl mit jener ersten verglichen werden. Und wenn auch ein heftiger Verfolgungssturm den ursprünglichen Sitz und die ersten Provinzen des Ordens weitgehend verwüstet hat, so ist doch nicht zu bestreiten, daß dieser damals seine Grenzen erweitert hat und überall in der großen Diaspora in Blüte stand. Wenn sich im übrigen bei der ersten Reform von 1623 alle Basilianer durch Eidschwur verpflichtet hatten, dem Römischen Stuhl bis zum letzten Atemzug treu zu bleiben, so hat sich euer heiliger Orden bei der zweiten Reform durch das vierte Gelübde „zur Treue und zum Gehorsam gegenüber dem Apostolischen Stuhl und den Nachfolgern des Petrus“ verpflichtet. Außerdem schworen bei der ersten Reform die Mönche, am griechischen Ritus festzuhalten; offensichtlich wollen sie, daß dieses Kennzeichen eures Ordens als persönliche Note beibehalten und als gutes Zeichen der Einheit eurer Kirche angesehen werde. Was könnte ich euch bei diesem Jubiläum Besseres raten, als daß ihr die Versprechen, die von euren Vorgängern bei der ersten wie bei der zweiten Reform gemacht wurden, erfüllt? In seinem obengenannten Schreiben gibt mein ehrwürdiger Vorgänger Leo XIII. der Hoffnung Ausdruck, daß euer Orden „von neuem zur Blüte 1199 Botschaften und Ansprachen gelangen“ werde. Ja, nachdem er ihn „groß“ und „berühmt“ genannt hat, fügte er hinzu: „Als er in Blüte stand, blühte die Kirche der Ruthenen“ (ebd., 61): welch Lob kommt diesem Lobpreis gleich, wenn wir in die vergangenen Jahrhunderte zurückblicken, welches wäre mit dem Blick in die Zukunft verpflichtender? Für euren wie für jeden Mönchsorden ist es nämlich wesentlich, durch die vollkommene Lebensordnung das Leben nach dem Evangelium in klares Licht zu stellen. Wenn der Orden das zuwege gebracht hat, wird er tatsächlich wieder „die Kraft und Stärke der Kirche“ sein. Im übrigen scheint diese reiche Aussicht auf eine künftige Ernte „zum Wohl der Kirche“ in den frühesten Anfängen des Basilianerordens vom hl. Josaphat seinen Ursprung zu haben, nämlich, wie ich anerkennend feststellte, beim hl. Basilios dem Großen selbst, der „zu den größten Mönchsbischöfen der Kirche“ gehörte (Patres Ecclesiae, II), und beim hl. Josaphat, der gleichfalls Mönch und Bischof war. Denn aus dem Amt der Bischöfe des Gottesvolkes (das ein priesterliches Volk ist) fließt in der Tat die unermeßliche Sorge, die sowohl Basilios den Großen wie den hl. Märtyrer Josaphat zur Förderung der heiligen Liturgie bewegte; nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist die Liturgie „der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“ (Sacrosanctum Concilium, Nr. 10). O daß doch die heilige Liturgie euer ganzes Apostolat inspirieren möge! Wieviel aber der hl. Basilios gelitten hat und wie sehr er um die Einheit der Kirche bemüht war, ist niemandem unbekannt; er pflegte zu sagen: die Zwietracht der Christen selbst verdunkelt die Wahrheit des Evangeliums und richtet Christus zugrunde (vgl. Patres Ecclesiae, II), und er lehrte den Weg zur Wiederherstellung der Einheit, die er erneut als Bekehrung aller zu Christus und seinem Wort darstellte (vgl. ebd.). Daß der hl. Josaphat der Einheit der Kirche wegen sein Blut vergossen hat, ist allen bekannt. Hier aber kann ich nichts anderes tun, als inständig zu wünschen, daß der Heilige Geist eure Lebensform, euer Apostolat und die Pläne zur Einheit mit dem Tau seiner Gnade besprenge, der Heilige Geist, den ihr in der Anaphora des hl. Basilios als „Geist der Wahrheit, Gnade der Sohnschaft, Unterpfand der künftigen Erbschaft, Erstlingsfrüchte der ewigen Güter, lebenspendende Kraft, Quelle der Heiligkeit“ {Patres Ecclesiae, III) anzurufen gewohnt seid. Diese meine Wünsche aber möge die seligste Jungfrau Maria annehmen, der in der Liturgie des hl. Basilios der Lobpreis als „allerheiligste, keusche, vor allen gebenedeite, glorreiche Herrin, Gottesgebärerin und 1200 Botschaften und Ansprachen ewige Jungfrau, als Frau reich an Gnade und Freude des ganzen Universums“ zuteil wird (ebd., III). Während ich von den hll. Basilios und Josaphat, euren himmlischen Schutzpatronen, die rechte Hilfe erflehe, erteile ich als Zeichen meines väterlichen Wohlwollens und als Unterpfand der Füüe an Freude und Vollkommenheit sowohl Dir wie all Deinen Gefährten und allen, die an eurem Jubiläum teilnehmen werden, aus ganzem Herzen den Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 1. Juli 1982, im vierten Jahr meines Pontifikats. (O.R. 10. 8. 82) PAPST JOHANNES PAUL II. Überzeugungen wecken und konkrete Hilfe bieten Ansprache an die Teilnehmer des Kurses über natürliche Geburtenregelung beim Forschungszentrum der Medizinischen Fakultät der Katholischen Universität Sacro Cuore vom 3. Juli Liebe Brüder und Schwestern! 1. Euer Besuch ist mir besonders wiükommen. Ich empfange euch voü Herzlichkeit mit dem Ostergruß des Herrn Jesus: „Friede sei mit euch!“ (Joh 20, 19). Das wünsche ich euch aus ganzem Herzen als Frucht dieser Begegnung und Frucht der Arbeit, die ihr in diesen Tagen in Rom entfaltet. Der Friede des Herzens - und der Friede unter den Menschen -kommt in der Tat aus der Erfüüung des Wiüens des Herrn, der in seiner unendlichen Güte und Weisheit stets das Wohl des Menschen - aüer Menschen und jedes einzelnen Menschen - wiü. Wir wissen gut, daß es für den Menschen nicht leicht ist, den Wißen Gottes voü zu erkennen, und noch weniger leicht, wegen der inneren Schranken des Menschen und der schweren Wunden, die die Sünde in uns hinterlassen hat, diesen Wiüen zu erfüüen. Jesus, der Sohn des lebendigen Gottes (vgl. Mt 16, 16), der im Schoße Mariens Mensch geworden ist, kam in die Welt, um uns den Willen Gottes zu lehren, uns die tiefsten Wahrheiten über die menschliche Existenz zu offenbaren und uns - durch seinen Tod und seine Auferstehung, an denen wir durch den Glauben und die Sakramente teilhaben können - die Kraft zu geben, nach dieser Lehre 1201 Botschaften und Ansprachen zu leben. Darin besteht der neue „Weg“, die neue Lebensform, die er gebracht hat und die die Kirche ohne Vorbehalte annehmen will und muß, wie „die Stadt auf dem Berge“ {Mt 5,14) zu sein, wie das Licht, das in der Finsternis leuchtet und den Menschen den Weg zum wahren Ziel ihres Lebens weist, wo sie die Freude, die Einheit und den wahren Frieden erfahren können. 2. In dieser Sicht muß die Bedeutung der Arbeit, die ihr vollbringt, bewertet werden. Denn insbesondere in bezug auf die Familie und ihre spezifischen Aufgaben hat man den Weg aus dem Bück verloren, den der Herr für den Menschen will und der der Weg des Heils ist. Vom Materialismus - der nur nach dem irdischen Wohlstand und dem ständig wachsenden Besitz an Konsumgütem strebt - und Naturalismus - der den Bezug auf Gott und die transzendenten Werte ausschließt - gekennzeichnete Entwicklungen tendieren dahin, besonders in den wirtschaftlich hochentwickelten Ländern den Sinngehalt der Familie zu entleeren, und stürzen sie in eine gefährliche Krise. Viele junge Leute, die die Orientierung verloren haben, bringen es heute nicht mehr fertig, die Bedeutung der Einrichtung der Ehe einzusehen, und erfahren ihre Liebe im Zeichen der Vorläufigkeit und Unfruchtbarkeit. Viele Familien vermögen nicht, die Pflicht einer verantwortlichen Elternschaft, wie sie vom Zweiten Vatikanischen Konzil gelehrt wurde, in die Tat umzusetzen. Die Kirche jedoch glaubte an die Familie. Sie weiß, daß die Familie „auch heute noch beträchtliche Energien entfaltet, die imstande sind, den Menschen seiner Anonymität, der Vermassung und der Entpersönlichung zu entreißen“ (Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, Nr. 43), wohin die moderne Entwicklung oft treibt. Die Kirche muß die Aufgabe übernehmen, Überzeugungen zu wecken und auf allen Gebieten konkrete Hilfen anzubieten (vgl. ebd. Nr. 35), wo die Familie am meisten gefährdet ist. Das gilt insbesondere für den Bereich der Geburtenregelung, der für die heutigen Familien zu einem der heikelsten und dringendsten Probleme geworden ist. Und auf diesem Gebiet leistet ihr eine hervorragende Arbeit. Darum danke ich euch und ermutige euch, eure Bemühungen fortzusetzen, die eine konkrete und wirksame Antwort auf alles darstellen, was ich in Familiaris consortio geschrieben habe: „ . . . die Kirche kann nicht umhin, erneut mit Nachdruck an die Verantwortung all derer zu appellieren - Ärzte, Experten, Eheberater, Erzieher, Ehepaare —, die den Eheleuten wirksam helfen können, ihre Liebe in der Beachtung der Struktur und der Ziele des ehelichen Aktes zu verwirklichen, der diese Liebe zum Ausdruck bringt. Das bedeutet einen umfassenderen, entschlosseneren und systematischeren Einsatz dafür, daß die natürlichen 1202 Botschaften und Ansprachen Methoden der Geburtenregelung bekannt, geschätzt, und angewandt werden“ (Nr. 35). 3. Wir stehen vor einer unermeßlichen Aufgabe: in zunehmendem Maße überschwemmen empfängnisverhütende Mittel die Welt, und zwar mit Hilfe der großen ökonomischen Möglichkeiten, die sich an verwerflichen Motiven inspirieren, denen jede Achtung vor dem Menschen und seinen tiefsten Werten fehlt. Die Kirche ist mutig als Verteidigerin der menschlichen Liebe, des Lebens und der sittlichen Werte aufgetreten, die sich mit ihr verbinden. Es gibt beherzte und fähige Wissenschaftler, die mit Geduld und fachlicher Zuständigkeit langsam Wege entdecken, die sich auf die möglichst gewissenhafte und genaue Beobachtung der Eigenschaften menschlicher Sexualität stützen und sich als mit den Forderungen der ehelichen Keuschheit vereinbar erweisen und ein harmonisches und ruhiges eheliches Zusammenleben fördern können, wobei auch die grundlegenden Prinzipien der Kirche beachtet werden. Der Arbeit der Erforschung, Vervollkommnung und Verbreitung der natürlichen Methoden der Geburtenregelung kommt daher große Bedeutung zu. Ich will darum allen, die auf diesem Gebiet tätig sind, ein Wort der Ermutigung sagen und sie auffordem, nicht aufzuhören mit ihren Untersuchungen. Die verschiedenen Gruppen, die sich dieser edlen Arbeit widmen, müssen die Arbeit der anderen zu würdigen wissen und gegenseitig ihre Erfahrungen und Ergebnisse austauschen, wobei Spannungen und Unstimmigkeiten, die ein so wichtiges und so schwieriges Werk bedrohen könnten, unbedingt zu vermeiden sind. Da die kulturellen, rassischen und persönlichen Gegebenheiten der Ehepaare sich sehr voneinander unterscheiden, ist es providentiell, daß verschiedene Methoden bestehen, die die Möglichkeit bieten, den jeweiligen Situationen besser entsprechen zu können. Auch aus diesem Grund ist es gut, daß die Fachleute auf diesem Gebiet mehrere dieser Methoden kennen, um, wenn nötig, die für ein bestimmtes Ehepaar geeignetste empfehlen oder auch lehren zu können. Die Kirche dankt euch durch mein Wort für die Arbeit, die ihr vollbringt, und ermutigt euch, sie fortzusetzen. Ohne sich irgendeine Methode besonders zu eigen zu machen, beschränkt sie sich darauf, die diesbezüglichen Grundprinzipien zu verkünden und auf möglichst wirksame Weise alle zu ermutigen, die mit Hochherzigkeit und in Treue zu den Prinzipien daran arbeiten, daß diese Prinzipien konkret zur Verwirklichung gelangen können. Nach und nach wird durch die stille Arbeit einzelner Personen und durch das lebendige Zeugnis von Ehepaaren und Familien, welche die Freude einer hochherzigen und für das Leben offenen christlichen Liebe erfahren, 1203 Botschaften und Ansprachen die neue Menschheit aufgebaut, zu der uns der Herr als sein Volk berufen hat und nach der sich alle Menschen - auch ohne es zu wissen - sehnen. 4. Ich bitte darum, daß die seligste Jungfrau eure Arbeit und euer Leben überreich segne. Sie gewähre euch etwas von jener unbegrenzten Achtung und wunderbaren Zartheit, die sie in ihrem Mutterherzen birgt, damit ihr in den Frauen, denen ihr beisteht, das Ebenbild Mariens wecken könnt. Mit diesem Wunsch erteile ich euch von Herzen den Apostolischen Segen, in den ich gern eure Lieben und alle, die hochherzig auf dem Gebiet der Familienpastoral tätig sind, einschließe. (O.R. 4. 7. 82) Die Rückkehr zu den Quellen ist oft der beste Weg Ansprache bei der Audienz für die Teilnehmer am 79. Generalkapitel des Kapuzinerordens am 5. Juli Liebe Brüder! 1. Ich freue mich, heute mit euch zusammenzutreffen: als Kapitelväter vertretet ihr nicht nur alle in der Welt verstreuten Kapuziner, sondern stellt verantwortungsbewußte Überlegungen über eure Konstitution an. Das erfolgt im achthundertsten Geburtsjahr des hl. Franziskus, dessen Jünger ihr seid und dem ich euch von Herzen empfehle. Dieser Umstand gibt unserer Begegnung somit einen weiteren Grund zu Aktualität und Interesse, und ich danke euch herzlich dafür, daß ihr um diese Audienz gebeten habt. 2. Im Dekret Perfectae caritatis des Zweiten Vatikanischen Konzils steht: „Erneuerung des Ordenslebens heißt: die ständige Rückkehr zu den Quellen jedes christlichen Lebens und zum Geist des Ursprungs der einzelnen Institute, zugleich aber deren Anpassung an die veränderten Zeitverhältnisse“ (Nr. 2). Von diesen beiden Grundforderungen - Rückkehr zu den Quellen und Anpassung an die Zeitverhältnisse - wurde in den Jahren unmittelbar nach dem Konzü aus verständlichen Gründen vor allem der zweite Aspekt hervorgehoben, nämlich die Anpassung an das, was derselbe Konzüstext „die Erfordernisse des Apostolats, die Ansprüche der Kultur, der sozialen und wirtschaftlichen Umwelt“ nennt (Nr. 3). 1204 Botschaften und Ansprachen Auf dieser Linie habt auch ihr Kapuziner mehrmals eure Konstitutionen und euer Leben überprüft, um sie den Forderungen der Zeit und den von der Kirche auf dem Zweiten Vatikanischen Konzü erarbeiteten Weisungen besser anzupassen. Nun aber, wo dieses Anpassungsbemühen in seinen wesentlichen Aspekten abgeschlossen ist, habt auch ihr - wie übrigens viele andere Institute der Kirche - die Notwendigkeit gespürt, euch mit neuem Eifer der zweiten wichtigen Forderung zuzuwenden, die der Konzilstext „die ständige Rückkehr zu den Quellen“ nennt: nicht um die berechtigten Anpassungen und die in diesen Jahren neuentdeckten und erprobten Werte zu verleugnen oder zurückzustellen, sondern vielmehr um auch sie mit Leben zu erfüllen, indem ihr sie in den lebendigen Stamm der Überlieferung einpflanzt, aus der euer Orden seine Gestalt und seine Kraft bezieht. Eben um ein Gleichgewicht zwischen den beiden Forderungen herzustellen, habt ihr auf eurem gegenwärtigen Generalkapitel, nach der Wahl der neuen Obern, die Konstitutionen überprüft und wollt ihnen nun, da die Zeit des Experimentierens zu Ende ist, die Ordnung geben, welche - nach der Approbierung durch den Hl. Stuhl - die endgültige sein und es eurem Institut ermöglichen soll, mit neuem Elan und ohne jede Unsicherheit einen neuen Abschnitt seines Weges im Dienst der Kirche und der Welt zu beginnen. 3. Ihr habt euer „ursprüngliches Charisma“ wiederentdeckt, als ihr mit neuer Empfänglichkeit über den Namen nachgedacht habt, den ihr als Erbe von eurem geistlichen Vater, dem hl. Franziskus, erhalten habt, nämlich: „Minderbrüder“. In diesen Namen hat der Heilige in der Tat das eingeschlossen, was ihm im Evangelium am meisten am Herzen lag: die „Brüderlichkeit“ und die „Niedrigkeit“, - sich einander wie Brüder zu lieben und sich den letzten Platz zu wählen - nach dem Beispiel Christi, der nicht gekommen ist, „um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen“ {Mt 20, 28). Daran kann man sehen, daß die Rückkehr zu den Quellen oft der beste Weg auch zur Anpassung an die Erwartungen und Zeichen der Zeit ist. Ein wirklich brüderliches Leben, das im Zeichen der evangelischen Einfachheit und Liebe geführt wird, das offen ist für den Geist der allgemeinen Brüderlichkeit aller Menschen, ja aller Geschöpfe, und in dem auch Menschen - ob klein oder groß, gebildet oder ungebildet - die gleiche Würde und Achtung zuerkannt wird, ist in der Tat das vielleicht aktuellste und dringendste Zeugnis, das man einer Gesellschaft, die so sehr von Ungleichheit und Herrschaftsgeist gekennzeichnet ist wie die unsere, von der christlichen Erneuerung geben kann. 1205 Botschaften und Ansprachen Ihr habt euch bemüht, diese beiden Grundzüge eurer franziskanischen Identität - „Brüderlichkeit“ und „Niedrigkeit“ - den jungen Generationen wieder im Lichte der kapuzinischen Überlieferung vor Augen zu führen, die ihnen jenes unverkennbare Merkmal der Spontaneität und Einfachheit, der Freude und zugleich des Ernstes, der radikalen Abkehr von der Welt und zugleich der großen Nähe zum Volk verleiht. Eine Eigenart, die die Präsenz der Kapuziner bei den christlichen Völkern und in den Missionen so wirksam und ausgeprägt gemacht und eine so eindrucksvolle Schar von Heiligen hervorgebracht hat, darunter den hl. Crispinus von Viterbo, den ich zu meiner Freude selbst vor wenigen Tagen dem Verzeichnis der heroischen Heiligen der Kirche hinzufügen konnte. 4. Wenn das Dekret Perfectae caritatis von der vordringlichen Forderung der Erneuerung spricht, macht es klar, daß es sich nicht bloß um eine Rückkehr zum „ursprünglichen Charisma“ des eigenen Instituts handelt, sondern notwendigerweise auch um eine „ständige Rückkehr zu den Quellen jedes christlichen Lebens“ (Perfectae caritatis, Nr. 2), das heißt zu Jesus Christus, seinem Evangelium und seinem Geist. Das ist der Sinn der Worte, durch die alle Ordensleute der Kirche, welchem Institut auch immer sie angehören mögen, dazu ermutigt werden, als oberste Regel die Nachfolge Christi zu betrachten, sich für Ihn als das eine Notwendige zu entscheiden (vgl. Lk 10, 42), zusammengefaßt: allein Gott zu leben (vgl. Perfectae caritatis, Nr. 5). Indem ihr euch dessen bewußt geworden seid, habt ihr mit Recht auf jede Weise den wichtigen Platz neu bestätigt, den in eurem persönlichen und gemeinschaftlichen Leben das Gebet einnehmen muß und, eurer echten Tradition gemäß, besonders das beschauliche Gebet. Von allen „Wurzeln“ ist dieses tatsächlich die „Hauptwurzel“, die den Menschen in Gott selbst versenkt, die die Rebe mit dem Weinstock vereint bleiben läßt (vgl. Joh 15, 4) und dem Ordensmann jenen ständigen Kontakt mit Christus, ohne den wir nach seinem eigenen Wort „nichts tun können“ (vgl. Joh 15, 5), und mit seinem Geist der Heiligkeit und Gnaden gewährleistet. 5. Die 800-Jahr-Feier der Geburt eures Gründers Franz von Assisi hat mit dem außergewöhnlichen Widerhall, den sie ausgelöst hat, bewiesen, wie sehr die heutige Welt noch empfängüch ist für den Ruf des Poverello, wie sehr sie ihn braucht und sich nach ihm sehnt. Euch kommt es in besonderer Weise zu, diese Hoffnung in der Welt immer lebendig zu erhalten, ja immer sichtbarer und erkenntlicher zu machen. Was euer Institut betrifft, so wird das geschehen, wenn jeder von euch und euren Mitbrüdern, nachdem ihr eure Konstitutionen mit soviel Einsatz und 1206 Botschaften und Ansprachen Emst erneuert und verbessert habt, sich gedrängt fühlt, sie in die Tat umzusetzen, eingedenk des Wortes, das Christus zu seinen Jüngern gesprochen hat: „Selig seid ihr, wenn ihr das wißt und danach handelt“ (Joh 13, 17). Denn für die Ordensinstitute scheint nunmehr die Zeit gekommen, von der Phase der Diskussion über ihre Gesetzgebung entschlossen zur praktischen Verwirklichung der sicheren und grundlegenden Werte überzugehen, von der Sorge um den Buchstaben zur Sorge um den Geist, von den Worten zum Leben, und das, um nicht in die Gefahr der Illusion zu fallen, von der der hl. Franziskus selbst in einer seiner „Ammonizioni“ (Ermahnungen) schreibt, daß „die Ordensleute, die nicht dem Geist der Heiligen Schrift folgen wollen, sondern nur die Worte wissen und den anderen erklären wollen, vom Buchstaben getötet werden“ (Amm. 7 = FF 156). Die gebührende Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit vor Gott fordert von einem Institut einen erneuerten Willen zur Umkehr und zur Treue gegenüber seiner Berufung, damit - soweit das bei der menschlichen Hinfälligkeit möglich ist - das Büd, das es durch seine Konstitutionen der Kirche und den Brüdern gezeichnet hat, immer authentisch sei. 6. Liebe Brüder und Söhne, nehmt dieses Wort als Zeichen meiner Wertschätzung für euch auf. Zugleich sollt ihr gewiß sein, daß ihr einen eigenen Platz in meinem Gebet habt. Ich vertraue euch dem Herrn an: Euch und die ganze hochverdiente Familie der Kapuziner. Die heilige Kirche und die Welt, die von eurem Eifer in der Vergangenheit schon viel empfangen haben, erwarten noch immer von euch einen hochherzigen und verständigen Beitrag eines leuchtenden evangelischen Zeugnisses. Der Herr erfülle euch mit seinen Gnaden! Setzt im Geist des hl. Franziskus froh und sicher euren Weg fort. Euch begleite immer mein Apostolischer Segen, den ich euch Kapitelvä-tem und im besonderen eurem neuen Generalminister von ganzem Herzen erteile und in den ich alle die geliebten Mitglieder eures Ordens einschließe. (O.R. 5./6. 7. 82) 1207 Botschaften und Ansprachen Gott selbst ist die Quelle unserer Hoffnung Ansprache an die österreichischen Bischöfe beim „Ad-limina“-Besuch am 6. Juli Verehrte, liebe Mitbrüder! 1. Es ist mir ein besonderes Anliegen, die Bischöfe eines Landes oder einer Region während ihres „Ad-limina“-Besuches auch gemeinsam zu empfangen. Trotz der Eigenverantwortung eines jeden Bischofs für seine Diözese verbindet alle Bischöfe der Kirche - unabhängig von den jeweiligen konkreten seelsorglichen Fragen und Schwierigkeiten - der ihnen von Christus anvertraute gemeinsame Auftrag, seine Heilssendung im Volk Gottes und in der Welt fortzusetzen und für die Menschen unserer Zeit fruchtbar zu machen. Im Geist dieser kollegialen bischöflichen Verbundenheit und gemeinsamen pastoralen Verantwortung grüße ich heute Euch, die Oberhirten von Österreich, von Herzen zu dieser brüderlichen Begegnung im Vatikan. Ich grüße besonders den hochwürdigsten Herrn Erzbischof von Wien und Präsidenten der Österreichischen Bischofskonferenz, Kardinal Franz König, sowie die Bischöfe von Innsbruck, Linz und Klagenfurt, die erst vor kurzer Zeit mit der Würde des Bischofsamtes betraut worden sind. Euch alle heiße ich mit großer Freude zu Eurem „Ad-limina“-Besuch willkommen und bekunde Euch zugleich meine innige Verbundenheit mit den Diözesen und mit der ganzen Kirche in Österreich, die Ihr hier als deren Oberhirten vertretet. Erst kürzlich hatte ich Gelegenheit, mich in einer kurzen Grußbotschaft unmittelbar an alle Glaubensbrüder und -Schwestern in Eurem Land zu wenden und sie zu dem Jahr der religiösen Erneuerung zu ermutigen, mit dem Ihr Euch auf die Feier des Österreichischen Katholikentages im September 1983 geistig vorbereiten wollt. „Hoffnung leben und Hoffnung geben“ ist das anspruchsvolle Leitwort Eurer gemeinsamen Vorbereitungsarbeit und der abschließenden großen Glaubensfeier, an der ich, so Gott will, Eurer freundlichen Einladung entsprechend gern auch persönlich teilnehmen werde. 2. „Hoffnung leben und Hoffnung geben“ kann uns auch heute als Leitwort dienen, da wir uns bei dieser kurzen Begegnung anläßlich Eures „Ad-limina“-Besuches neu auf unseren pastoralen Auftrag inmitten des Volkes Gottes besinnen. Über den vielfältigen Pflichten und Aufgaben Eures bischöflichen Amtes, über allen Sorgen und Schwierigkeiten, die mit der täglichen treuen Arbeit im Weinberg des Herrn unvermeidlich 1208 Botschaften und Ansprachen verbunden sind, muß vor allem die Hoffnung stehen. Euer Besuch und betendes Verweilen bei den Gräbern der Apostel in der Ewigen Stadt und unser brüderliches Gespräch sollen hauptsächlich dazu dienen, uns gegenseitig wieder neu darin zu bestärken. Ohne Hoffnung wären wir nicht nur unglückliche und beklagenswerte Menschen, unser ganzes seelsorgliches Wirken würde unfruchtbar; wir würden überhaupt nichts mehr zu unternehmen wagen. In der Unbeugsamkeit unserer Hoffnung hegt das Geheimnis unserer Sendung. Sie ist stärker als die wiederholten Enttäuschungen und ermüdenden Zweifel, denn sie schöpft ihre Kraft aus einer Quelle, die weder unsere Unachtsamkeit noch unsere Nachlässigkeit zum Versiegen bringen können. Die Quelle unserer Hoffnung ist Gott selber, der durch Christus für uns die Welt ein für ahemal überwunden hat und heute durch uns seine Heilssendung unter den Menschen fortsetzt. 3. „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt (I Petr 3, 15), so ermahnt uns der hl. Petrus. Unser Zeugnis für die Hoffnung ist auf das engste verbunden mit der mutigen und unverkürzten Verkündigung der Frohen Botschaft Christi und der Entschlossenheit, mit der wir unser eigenes Leben aus dem Glauben gestalten und uns für christliche Brüderlichkeit unter den Menschen und für Gerechtigkeit und Frieden in der Gesellschaft einsetzen. Wir bezeugen unsere Hoffnung, die auf dem Glauben gründet, am wirksamsten dadurch, daß wir sie selber den anderen verleben. Wir vermitteln sie am besten an die vielen verzagten, mut- und hoffnungslosen Mitmenschen unter uns, indem wir sie durch unsere Taten, durch unseren Einsatz für sie, durch die Verteidigung ihrer Menschenrechte und ihrer Menschenwürde Hoffnung, Lebenssinn und menschliche Erfüllung konkret erfahren lassen. Das Zweite Vatikanische Konzil ermahnt insbesondere die Priester, „vor ihren Gläubigen . . . ein Zeichen unerschütterlicher Hoffnung (zu geben), damit sie die, die in irgendwelcher Bedrängnis leben, trösten können durch die Ermutigung, mit der auch sie von Gott ermutigt werden“ (Presbyterorum ordinis, Nr. 4). Nehmt deshalb, hebe Mitbrüder, dieses Jahr der Vorbereitung auf Euren österreichischen Katholikentag zum Anlaß, zuallererst bei Euch selber, bei den Priestern und deren Mitarbeitern in der Seelsorge die Tugend der Hoffnung neu zu wecken und sie im täglichen pastoralen Dienst in den Gemeinden, in den Familien und am einzelnen Mitmenschen konkret zu üben. 4. „Hoffnung leben und Hoffnung geben.“ Zunächst selber die christliche Hoffnung beispielhaft verwirklichen, um sie dann anderen mitteilen zu können. Dieser Leitgedanke Eures Katholikentages eignet sich vorzüg- 1209 Botschaften und Ansprachen lieh auch für ein längerfristiges Pastoralprogramm in Euren Diözesen und Pfarreien wie auch, auf der Ebene der Bischofskonferenz, in der ganzen Kirche Eures Landes. Er zielt nicht nur auf eine Vertiefung und Erneuerung des persönlichen religiösen Lebens, sondern ruft zugleich auf zu einem verstärkten missionarischen Einsatz der Gläubigen in der Kirche und in der Gesellschaft. Es ist hier nicht die Gelegenheit, um einen solchen Pastoralplan im einzelnen vor Euch näher zu erläutern und zu entfalten. Es wird Eure eigene Aufgabe sein, liebe Mitbrüder, aus Eurem Aufruf zum Katholikentag einzeln und gemeinsam, d. h. in kollegialer pastoraler Verantwortung und Zusammenarbeit, die konkreten Schlußfolgerungen für Eure künftige Seelsorgsarbeit zu ziehen. Worauf es mir bei dieser kurzen Begegnung anläßlich eures „Ad-limina“-Besuches vor allem ankommt, ist dies, Euch nachdrücklich darin zu ermutigen, selber die Hoffnung zum Prinzip und zur Seele Eures ganzen pastoralen Handelns zu machen und sie durch gemeinsame seelsorgliche Anstrengungen über den Katholikentag hinaus auch all Euren Priestern und durch sie den Gläubigen weiterzuvermitteln. Welch pfingstlicher Neuaufbruch könnte in allen Bereichen des kirchlichen Lebens erfolgen, wenn der Geist der Hoffnung in allen Christen wieder voll lebendig und wirksam würde. Resignation und Kleinmut wären überwunden! Die Tugend der Hoffnung eröffnet uns neu den Zugang zur übernatürlichen, endzeitlichen Dimension unseres Glaubens. Sie überwindet zugleich den Geist der Säkularisation, der Verabsolutierung der jetzigen Welt, welcher gerade heute das menschliche Zusammenleben und auch das Glaubensbewußtsein der Christen so bedroht. 5. Die christliche Hoffnung führt uns über die Enge und Begrenztheit des rein Faktischen des Augenblicks hinaus und verweist uns in die unermeßliche Weite des Zukünftigen, des Unsichtbaren, Ewigen, auf Gottes Verheißung endzeitlicher Vollendung. Indem sie sich auf die Erlösung gründet, die in Christus bereits geschehen ist, bezieht sie sich jedoch auf eine Zukunft, die schon begonnen hat. Die Hoffnung des Christen hat den Besitz jener Heilsgüter zum Inhalt und Ziel, die zum Reich Gottes gehören und die - wie dieses - schon gegenwärtig und zugleich noch zukünftig sind. Deshalb sagt der hl. Paulus im Römerbrief: „An die Hoffnung ist unsere Rettung gebunden“ (Röm 8, 24). Der Christ hofft noch auf die Vollendung des Reiches Gottes, die Wiederkunft Christi, die Auferstehung und das ewige Leben; er hofft auf die Teilnahme an der Herrlichkeit Christi und an den verheißenenen Heilsgütern, deren Größe und Schönheit noch kein menschliches Auge gesehen und von denen noch kein menschliches Ohr Kunde erhalten hat. (vgl. Is 64,3). 1210 Botschaften und Ansprachen Die christliche Hoffnung, die uns diese in die Zukunft weisende, endzeitliche Heilsdimension unseres Christseins eröffnet, wird für den Christen zur unversiegbaren Quelle der Freude, des Freimuts, der Kraft und der Zuversicht - auch und gerade für den Dienst am Mitmenschen in der Kirche und in der Welt von heute. Zusammen mit dem Glauben und der Liebe, mit denen sie eng verbunden ist, bildet die Hoffnung das innere Leben des Christen, die Seele, die sein apostolisches Wirken zutiefst prägt und ihm Fruchtbarkeit verleiht. Sie gibt dem Einsatz des Christen für Fortschritt und Wohlfahrt unter den Menschen und Völkern, seinem Kampf gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und alle Formen der Unfreiheit in der Welt die spezifisch christliche Dimension und Tiefe. 6. Erneuerung der Hoffnung bedeutet also zugleich Erneuerung des ganzen christlichen Lebens wie auch Erneuerung des missionarischen Einsatzes für den Menschen und die Errichtung des Reiches Gottes in der Welt. Da diese Tugend jedoch, wie ich in meiner schon erwähnten Grußbotschaft an die österreichischen Katholiken hervorgehoben habe, zutiefst ein Geschenk ist, muß sie vor allem durch persönliche Besinnung und Umkehr, durch eine ständige Glaubenserneuerung und gelebte Gottes- und Nächstenliebe immer wieder neu von Gott erbeten und erwirkt werden. Eure vordringliche Aufgabe als Hirten des Volkes Gottes ist es, den Priestern und durch sie den Gläubigen durch eine zeitgemäße Verkündigung des Gotteswortes, durch eingehende katechetische Unterweisung, durch eine Verlebendigung der Sakramentenpastoral, durch intensive Betreuung der Familien und eine beständige Erwachsenenkatechese dazu alle dienlichen Wege und Hilfsmittel zu erschließen. Es geht nicht so sehr darum, etwas Neues zu erfinden und zu tun, sondern darum, das Gewohnte und bereits Bewährte in einem neuen Geist, eben im Geist der Hoffnung, zu tun und diesen den anderen mitzuteilen. Gebt, hebe Mitbrüder, Hoffnung, Mut und Zuversicht vor allem Euren engsten Mitarbeitern, den Priestern und Ordensleuten. Im Vertrauen auf Gottes unwandelbare Treue werden sie ihre eigenen heiligen Versprechen und Verpflichtungen um so fruchtbarer zu machen wissen für ihren Heüsdienst an den Mitmenschen. Gebt den Eheleuten und Familien wieder neuen Mut zum Leben und zum Schutz der Würde des Menschen in allen Phasen seiner Existenz. Vermittelt neue Hoffnung insbesondere der Jugend, damit sie sich mitverantwortlich fühlt für die Zukunft der Kirche und des Volkes. Ermutigt die jungen Männer und Frauen, im Geist der Hoffnung ihr Leben auch ganz für Christus zu wagen, seinem Ruf zum Priestertum oder Ordensstand entschlossen zu folgen oder ihm auch als Laien im apostolischen Auftrag der Kirche mit Hingabe zu dienen. Gerade die 1211 Botschaften und Ansprachen Jugend ist die Hoffnung der Welt von morgen. Deshalb richtet sich auf sie auch weltweit die Aufmerksamkeit, wenn 1985 unter der verantwortlichen Planung der Vereinten Nationen in Wien das Internationale Jahr der Jugend begangen wird. Gewiß wird die katholische Kirche in Österreich ihre Möglichkeit nutzen, daß dem Geist des Evangeliums bei seiner Durchführung der ihm gebührende Raum gegeben wird, und möglichst viele Jugendliche die Freude aus Gott erfahren können. Unterstützt sodann auch weiterhin alle hochherzigen Initiativen in Eurem Land, durch die Eure Landsleute, besonders auch die katholischen Organisationen, notleidenden Mitmenschen, Unterdrückten und Verfolgten in aller Welt in Wort und Tat großzügig Beistand leisten. Durch dieses konkrete Zeugnis weltweiter christlicher Solidarität erfahren die geprüften Brüder und Schwestern nicht nur Linderung in ihrer leiblichen Not, sondern werden zugleich auch in ihrer Hoffnung und in ihrem Eintreten für jene höheren unveräußerlichen Werte und Rechte bestärkt, die den wahren Adel des Menschen begründen und deren Wahrung und Verwirklichung allein ein menschenwürdiges Zusammenleben der Menschen und Völker gewährleisten. 7. „Hoffnung leben und Hoffnung geben.“ Nur wenn wir Christen zuerst selber durch ein überzeugtes Leben in Glauben, Hoffnung und Liebe alle Lebensangst, Resignation und Gleichgültigkeit überwunden haben, können wir auch für andere Menschen in den vielfältigen Verwirrungen und Bedrohungen unserer Zeit zu wirklichen Boten und Vermittlern von Hoffnung werden, und zwar nicht nur auf eine bessere Welt von morgen, sondern vor allem auf das von Gott in Christus allen Menschen angebotene Heil, das alles erstrebenswerte irdische Glück unendlich übersteigt. Möge die Vorbereitung und Durchführung des bevorstehenden Österreichischen Katholikentages die pastorale Arbeit in Euren Diözesen und Pfarreien und das religiöse Leben in Eurem Land im Geist der Hoffnung tiefgreifend erneuern und dadurch die Kirche für die Menschen unserer Zeit immer mehr zur „unzerstörbaren Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils“ (Lumen gentium, Nr. 9) werden. Dafür erfülle Euch, die verdienten Oberhirten, sowie alle Gläubigen in Österreich „der Gott der Hoffnung . . . durch den Glauben mit aller Freude und mit allem Frieden, damit ihr reich werdet an Hoffnung in der Kraft des Heiligen Geistes“ (Röm 15, 13). Das erbitte ich Euch von Herzen mit meinem besonderen Apostolischen Segen. (O.R. 7. 7. 82) 1212 Botschaften und Ansprachen Die Zeichen der Zeit verstehen und in Treue zum Evangelium wachsen Ansprache an die Schweizer Bischöfe beim „Ad-limina“-Besuch am 9. Juli Liebe Brüder in Christus, als Oberhirten der Schweiz seid mir herzlich willkommen im Vatikan! Euer Besuch erfolgt, noch ehe ich meinen schon für das Jahr 1981 geplanten Pastoralbesuch in Eurem Land habe verwirklichen können. Die kürzliche eintägige Reise nach Genf galt ja bekanntlich fast ausschließlich den großen Internationalen Organisationen. Gebe Gott, daß sich bald die Gelegenheit bietet, auch meine Begegnung mit Euren Diözesen und Gemeinden - Eurem und meinem Wunsch entsprechend - nachzuholen. Um so mehr gilt deshalb heute mein brüderlicher Gruß auch allen Gläubigen in Eurer Heimat, denen ich mich zusammen mit Euch in dieser Stunde in gemeinsamer pastoraler Verantwortung und Hirtensorge zutiefst verbunden fühle. Die Begegnung mit meinen Mitbrüdem im Bischofsamt, die anläßlich ihres „Ad-limina“-Besuches mit mir über ihre Seelsorgsarbeit sprechen, gehören zu den wichtigsten und bewegendsten Aufgaben meines Amtes als Nachfolger des hl. Petrus. Ich möchte an Euren Freuden und Sorgen, an Euren Schwierigkeiten und Hoffnungen teilnehmen. Auf das Wesentliche will ich hinweisen und dabei zugleich Euren Glauben stärken. Das geschieht an den Gräbern der beiden Apostelfürsten. Da hören wir von Petrus das mitreißende Bekenntnis: „Herr, du weißt, daß ich dich liebe“ (Joh 21, 15). Und mit Paulus hoffen wir, einmal sprechen zu dürfen: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue gehalten“ (2 Tim 4, 7). 1. Viele Entwicklungen der Gesamtkirche werden in Euren Diözesen in der Schweiz besonders intensiv erlebt und aufmerksam verfolgt. An vorderer Stelle steht dabei ganz gewiß die aktive Beteiligung der Laienchristen am Leben der Kirche und ihre Beziehung zu den von Amts wegen bestellten Hirten. Wir wollen Gott aufrichtig danken für jeden Gläubigen in Eurem Land, der die Sache Christi und der Kirche zur eigenen macht und sich mit Verstand und Herz dafür einsetzt, daß der Glaube richtig bezeugt, das Opfer Christi zur Ehre des Vaters würdig gefeiert und die Einheit der Kirche in Liebe gelebt wird. 1213 Botschaften und Ansprachen Die Schweiz hat im gesellschaftlichen Bereich schon eine viele Jahrhunderte alte Erfahrung in der Beteiligung der „Basis“, wie man heute sagt, an der Beratung und sogar Beschlußfassung zu wichtigen Vorgängen, die das Gemeinwohl betreffen. Auch die katholische Kirche in Eurem Land weist heute ein vielgestaltiges System von Organen auf, in denen zahlreiche Laien ihre christliche Verantwortung für Kirche und Welt in besonderer Weise wahrnehmen und dabei Zeit und Kraft für die kirchliche Gemeinschaft einsetzen. Es gibt Seelsorgeräte auf Pfarrebene, Pastoralräte der Diözesen wie auch die Bemühungen um ein Forum apostolischer Aktivitäten auf Landesebene. Hierher gehören ferner die bisherigen Verbände, Vereine und Bewegungen sowie die verschiedenen Kirchenverwaltungsräte und kantonalkirchlichen Instanzen, die aus der speziellen öffentlich-rechtlichen Stellung der Kirche in Eurem Land erwachsen sind. Solche verschiedenen Formen organisierter Mitverantwortung der Laien im Leben der Kirche sind zweifellos ein notwendiges und wertvolles Instrumentarium für ein gemeinsames Voranschreiten des Volkes Gottes. Aber es muß - wie so vieles andere - behutsam eingesetzt werden und sich offenhalten für Korrektur und Verbesserung. Gerade die Geschichte Eures Volkes kennt ein langes Einüben und Erproben von unterschiedlichen Formen der Beteiligung aller Bürger an der Gestaltung des Gemeinwesens. Mutig und selbstbewußt haben sie die Art gesucht, die dem Charakter ihrer Landsleute und ihres Lebensraumes am besten entspricht. Auch die Kirche bemüht sich zu Recht in diesen Jahrzehnten, neue Formen der Mitverantwortung in ihre Strukturen zu integrieren, aber ebenfalls so, wie es ihrer Art am besten entspricht. 2. Laßt uns kurz einige Grundelemente dieser besonderen Art und Struktur der Kirche miteinander bedenken. Vor unserem geistigen Auge steht die ganze Vielfalt der Christen in Eurem Land und in der Welt. Was ist all diesen Menschen eigentlich gemeinsam, die sich Christen nennen? Was ist das immer gleiche, verbindende Fundament ihres Lebens vor aller Unterschiedlichkeit? Es ist die ihnen allen gemeinsame christliche Würde und Berufung. Der Name „Christ“ sagt es uns: Christus hat uns bei unserer Taufe angesprochen, uns gerufen, uns als seine Brüder und Schwestern angenommen; mit seinem eigenen Leben hat er uns verbunden, uns Anteil gegeben an seiner Auferstehung. Unser Christsein bedeutet also eine ganz persönliche, bis in die Tiefe von Herz und Seele reichende Prägung, die jedem Getauften eine neue Lebensform schenkt, ihm einen besonderen Weg durch diese Welt eröffnet. Hierin besteht die hohe Würde eines jeden einzelnen Christen, aber auch sein Auftrag, seine Sendung. 1214 Botschaften und Ansprachen Das Zweite Vatikanische Konzil hat im Dekret über das Apostolat der Laien (Apostolicam actuositatem) die vielfältigen Möglichkeiten und Aufgaben eines lebendigen Zeugen Christi aufgezeigt. Sie lassen sich in zwei Sätzen zusammenfassen: - Die Laien sind aufgerufen, zusammen mit den Amtsträgern in der Kirche die kirchliche Gemeinschaft aufzubauen. - Die Laien haben zudem die Verantwortung, am Aufbau der zeitlichen Ordnung als Christen mitzuwirken und die Werte des Evangeliums dort einzubringen. Diese grundlegende Würde und Berufung eines jeden Christen aus seiner lebendigen Verbindung mit dem auferstandenen Herrn ist stets ein Grund zum Staunen und Danken; sie verdient unsere besondere Aufmerksamkeit und Hirtensorge. 3. Aber wir müssen noch ein weiteres wesentliches Element hinzufügen. So sehr es stimmt, daß alle Christen und das ganze Gottesvolk vom Leben Christi durchdrungen sind und gleichsam seinen Leib in der Welt darstellen, so bleibt es doch ebenso wahr, daß Christus bei aller Nähe dem Gottesvolk auch gegenübersteht. Er ist unser Bruder; er ist aber auch unser Herr und Erlöser. Er schenkt sich ganz seinem Leib, der Kirche, aber eben als das Haupt des Leibes. Er ist nicht irgendein Baustein der Kirche, sondern der Eckstein. Er gehört ganz zur Kirche und steht doch auch vor ihr und über ihr: denn er ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen. Dieses „Gegenübersein“ Christi ist zunächst und vor allem eine geistliche Wirklichkeit und als solche nur im Glauben, aus der Kraft des Heiligen Geistes zu verstehen. Aber nach dem Willen des Herrn soll diese Wirklichkeit auch eine sichtbare, soziale Gestalt annehmen. Daß der Herr auch heute noch dem pilgernden Gottesvolk mit Wort und Tat verbindlich den Weg weist, soll in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Kirche dargestellt werden. So vollzieht die Kirche eine authentische Verkündigung seiner Predigt durch die dazu Beauftragten. Sie spendet die Sakramente, in denen der Herr sich heute in der ganzen lebendigen Fülle seiner Person allen schenkt, die sich ihm zuwenden und öffnen. Durch rechtmäßig beauftragte Hirten führt sie mit einer geistlichen Autorität im Namen und in der Vollmacht Jesu. Die besondere Berufung der Amtsträger der Kirche besteht also darin, der leben- und einheitspendenden Gegenwart des Herrn inmitten des Volkes Gottes eine soziale Gestalt zu geben und ihn den Gläubigen gegenüber von Amts wegen zu vertreten. Und wenn in der Ausübung dieser Vollmacht auch das Element der Autorität sichtbar und fühlbar 1215 Botschaften und Ansprachen wird, dann deshalb, um dem „Gegenübersein“ Christi Gestalt zu geben. Ich darf hinzufügen: Gerade der Priester und Bischof selber, welcher der hebenden Autorität unseres Herrn Jesus Christus selbstlos Gestalt geben möchte, ist sich wohl am meisten schmerzlich bewußt, wie ihm das oft nur unvollkommen gelingt. So finden sich in der Kirche Jesu die Laienchristen, die Priester und Bischöfe, darunter auch der Papst, vereint und aufeinander angewiesen in ihrer menschlichen Schwäche und Armseligkeit, aber auch in ihrer herrlichen Berufung, mit den einem jeden vom Heiligen Geist verliehenen besonderen Gnadengaben dem Reich Christi in unseren Tagen die Wege zu ebnen, „dem Reich der Wahrheit und des Lebens, dem Reich der Heiligkeit und der Gnade, dem Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“ (Christkönigs-Präfation). 4. Wie mir jedoch bekannt ist, seid Ihr in großer Sorge gerade um die Zahl Eurer Priester und Priesterberufe, die auch in Euren Diözesen gering ist. Ich teile Eure Besorgnis mit ganzer Seele, möchte Euch und Eure Priester selbst aber herzlich bitten, Euch dadurch nicht entmutigen zu lassen und noch weniger Eure Hoffnungen auf Lösungen zu setzen, die in der Kirche nicht anerkannt sind. Es gibt heute - und vielleicht sogar in wachsender Zahl - junge Menschen und auch Erwachsene, die ein tieferes Leben aus dem Glauben und in der engeren Nachfolge Christi anstreben und bereit sind, sich hochherzig und vorbehaltlos im Priester- oder Ordensberuf für die Ausbreitung des Reiches Gottes in der Welt einzusetzen. Sprecht sie an mit der ganzen Überzeugungskraft und voller Hoffnung! Stellt ihnen die hohen Ideale unseres eigenen priesterlichen Lebens glaubhaft vor Augen! Und laßt nicht zu, daß ihr guter Wille durch immer neue Diskussionen über die Identität des Priesters verunsichert und gelähmt werde. Die weiterhin aufkeimenden priesterlichen Berufungen dürfen vor allem nicht in den Priesterseminaren selbst durch einen Mangel an intensiver geistiger und religiöser Führung oder durch gewagte Experimente noch zusätzlich gefährdet werden. In diesen muß, wie das Konzü nachdrücklich betont, „die gesamte Ausbildung der Alumnen dahin zielen, daß sie nach dem Vorbüd unseres Herrn Jesus Christus, des Lehrers, Priesters und Hirten, zu wahren Seelenhirten geformt werden“ (Optatam totius, Nr. 4). Dafür aber ist eine spezifisch priesterliche Ausrichtung des gesamten Seminarlebens unerläßlich. Ich weiß um Eure zahlreichen und vielfältigen pastoralen Verpflichtungen. Laßt Euch dennoch auch immer genügend Zeit für persönliche Begegnungen mit den Priestern Eurer Diözese. Denn die besondere Liebe und Aufmerksamkeit des Bischofs soll stets seinen geistlichen Mitarbei- 1216 Botschaften und Ansprachen tem gelten. Sorgt Euch vor allem um die Bedrückten und Ermüdeten, sucht sie auch einzeln auf, geht eine Wegstrecke zusammen mit ihnen. Eure brüderliche Solidarität und Zusammenarbeit mit Euren Priestern bei aller Vielfalt der Menschen und Situationen weist hin auf Eure gemeinsame Freundschaft mit Christus und kann auch für andere eine stille Einladung bedeuten, sich selbst für einen solchen Lebensweg zu entscheiden. 5. Der Bischof ist seinen Priestern und Gläubigen heute allgemein näher als er ihnen vielleicht in früheren Zeiten gewesen ist. Wer wollte den Vorteil einer solchen Nähe, eines schlichteren Verhaltens und brüderlicher Verbundenheit leugnen? Bei all seiner Aufgeschlossenheit und Anteilnahme an den konkreten Anliegen von einzelnen und Gruppen muß der Bischof jedoch stets auf das geistige Wohl aller bedacht sein. Er ist als Hirte und Lehrer in besonderer Weise Zeuge und Garant für den Weg der Kirche, wie er in der Vergangenheit wurzelt und einmal zur Vollendung führen soll. Die Herde ist ihm von Christus anvertraut; ihm ist er letztlich verantwortlich, zu ihm soll er die Herde führen, und zwar in allen ihren Teilen und Gruppen. Deshalb möchte ich, liebe Mitbrüder - eingedenk der besonderen Schwierigkeiten, die sich gerade heute dem religiösen und kirchlichen Leben stellen, und dankbar für Euer unermüdliches bischöfliches Wirken in Euren Diözesen -, Euch wieder neu sehr ans Herz legen: Führt, damit niemand verführt wird! Es kommen von verschiedenen Seiten, auch aus Eurem Land, immer wieder Briefe in den Vatikan, in denen tiefbesorgte Christen darüber klagen, was für willkürlichen liturgischen Experimenten sie zuweilen ausgesetzt seien, wie einseitig mitunter die Themen der Predigten in ihren Pfarreien behandelt würden, wieviel lieblose Kritik sie auch in katholischen Zeitschriften lesen oder auf theologischen Veranstaltungen hören müßten. Zu dem vielen Positiven, das aus der konziliaren Erneuerung erwachsen ist und mit allen Kräften gefördert werden muß, gilt es jedoch auch, rechtzeitig Fehlentwicklungen zu erkennen und mit der notwendigen Geduld und pastoralen Umsicht zu korrigieren. Vor allem der richtige und würdige Vollzug der Liturgie verdient immer und überall Eure aufmerksame Hirtensorge. Unsere Liebe zu Christus zeigt sich in besonderer Weise in unserer tiefen Ehrfurcht gegenüber seiner vielfältigen Gegenwart in den liturgischen Feiern. Alles, was in der Liturgie geschieht, betrifft den Herrn selbst, der gegenwärtig ist in der versammelten Gemeinde, im vorstehenden Priester, im Wort, in den Sakramenten, im Meßopfer unter den eucharistischen Gestalten. Die Ernsthaftigkeit unserer Liebe und Ehrfurcht mißt sich auch und nicht 1217 Botschaften und Ansprachen zuletzt an unserer Treue im Gehorsam gegenüber der Kirche, vor allem in der gewissenhaften Beobachtung der vom Hl. Stuhl für die Liturgie erlassenen Vorschriften. Es ist die Pflicht des Bischofs, darüber zu wachen und die Zuwiderhandelnden mit Güte, aber auch mit Festigkeit zu ermahnen. Führt deshalb auch besonders im Bereich der verschiedenen Formen christlicher Buße. Mit Freude habe ich von Eurem jüngsten Dokument zu dieser Frage vernommen, in dem Ihr wieder neu den unersetzlichen Wert der Einzelbeichte betont. Die Hochschätzung und Förderung der Einzelbeichte ist ja gerade der Grund dafür, warum vom obersten Hirtenamt der Kirche die sakramentale Generalabsolution von vornherein nur für einige begrenzte Ausnahmesituationen erlaubt worden ist. Diese müssen von den zuständigen Bischöfen jeweils beurteilt und als solche anerkannt werden (vgl. Sacramentum paenitentiae in: AAS 64, 1972, 512). Führt in den Fragen des Ökumenismus. Weckt immer wieder Verständnis dafür, daß zum Beispiel in der Frage der Interkommunion die heute zwischen den Kirchen geltenden Vereinbarungen eingehalten werden müssen im Interesse eines verantwortlichen Voranschreitens auf dem Weg der ersehnten Einheit. Es sollte nicht geschehen, daß einzelne Seelsorger in wohlgemeintem, aber unerleuchtetem Eifer die immer noch notwendigen Einschränkungen mißachten und überschreiten. 7. Liebe Mitbrüder! Es war mir ein besonderes Anliegen, bei unserer heutigen brüderlichen Begegnung aufgrund unserer gemeinsamen Verantwortung im Hirtenamt wie auch in inniger persönlicher Anteilnahme an den vielfältigen Aufgaben und Schwierigkeiten Eures bischöflichen Dienstes in Euren Diözesen einige zentrale Fragen und Sorgen Eurer pastoralen Arbeit mit Euch kurz zu bedenken. Zugleich möchte ich Euch von Herzen für Euren unermüdlichen Einsatz inmitten Eurer Gläubigen danken und Euch in dem Euch vom Herrn anvertrauten gewiß nicht leichten, aber unvergleichlich schönen und erhabenen Auftrag Eures Bischofsamtes als Euer Bruder ermutigen. Habt vor allem Vertrauen in die bleibende Nähe und den liebenden Beistand des göttlichen Guten Hirten. All unser Wirken als Oberhirten der Kirche steht ja letztlich im Dienst Jesu selber. Er gibt den Geist, der unsere Gemeinden lebendig und missionarisch macht und sie zugleich in der Einheit der Gesamtkirche zusammenfügt. So möchte ich mich im gemeinsamen Vertrauen auf Gottes Hilfe mit ganzem Herzen Eurem Gebet anschließen und zusammen mit Euch und Euren Gläubigen sprechen: „Barmherziger Gott, schenke uns den Geist der Liebe, den Geist deines Sohnes, damit die Kirche (in diesem Land) zu neuem Leben erstarke . . . 1218 Botschaften und Ansprachen Laß alle Glieder der Kirche die Zeichen der Zeit verstehen und in der Treue zu deinem Evangelium wachsen“ (Hochgebet IV und II, Synode 72, für die Kirche in der Schweiz)- Ich werde Euer verantwortungsvolles bischöfliches Wirken weiterhin mit meinem Gebet begleiten und bitte auch Euch um Euer Gebet für meinen apostolischen Dienst zum Wohl der ganzen Kirche. Gott segne Euch, Eure Diözesen und alle Menschen in Eurem Land! (O. R. 10. 7. 82) „Sauerteig der ukrainischen Gemeinschaft sein“ Ansprache bei der Audienz für das Generalkapitel des Basilianerordens vom hl. Josaphat am 9. Juli Gelobt sei Jesus Christus! Liebe Brüder! Ich freue mich, den hochwürdigsten Protoarchimandriten des Basilianerordens vom hl. Josaphat zusammen mit den Generalkonsultoren und allen Kapitularen und Angehörigen des Generalats zu begrüßen. Ihr seid aus den verschiedenen Teilen der Diaspora gekommen: aus Kanada, den Vereinigten Staaten, Brasilien, Argentinien, ausgenommen leider das Ursprungsland. Viele dieser Länder sind von mir besucht worden, und Eure so unterschiedliche geographische Herkunft löst in meinem Herzen ein Fest frischer und weiter zurückliegender Erinnerungen aus. Die Durchführung eines Kapitels ist für ein Ordensinstitut ein bedeutsamer Moment; sie wird aber zu einem einzigartigen Ereignis, wenn, wie in Eurem Fall, noch der hundertste Jahrestag der Reform Eures „vortrefflichen“ Ordens durch Leo XIII. hinzukommt: 1882-1982! Diese Reform ist als „Reform von Dobromyl“ bekannt. Mit gutem Recht gedenkt ihr Leos XIII. und verehrt ihn sozusagen als „Reformator“ Eures Ordens. Es ist daher nur recht, daß das Jubüäum Euch nicht nur in Rom, sondern um den Papst vereint sieht, der Eurem Orden gegenüber das Wohlwollen und die Sorge seines großen Vorgängers bewahrt. Nicht zu vergessen ist auch, daß bei der Reform von Dobromyl der Orden ein viertes Gelübde übernahm: „das der Treue und des Gehorsams gegenüber dem Apostolischen Stuhl und den Nachfolgern des hl. Petrus“, ein Gelübde, das Euch dem Papst besonders nahe und teuer macht. 1219 Botschaften und Ansprachen Die Reform des Ordens war ein weiser Akt Leos XIII., aber sie war auch ein Beweis der spontanen Hochherzigkeit Eures Nachwuchses und der Kraft, die ein zur Schönheit der Anfänge heimkehrendes Ideal ausüben kann. Im Apostolischen Schreiben Leos XIII. Singulare praesidium (vgl. Acta Leonis, III) steht ein Satz, der Ehre und Antrieb Eures Ordens ist, von dem es heißt: „quo vigente, Ruthenorum viguit Ecclesia“. - „Als er in Blüte stand, blühte die Kirche der Ruthenen“ (Nr. 61). Die Stärke der ukrainischen Kirche fiel immer mit der Stärke Eures Ordens zusammen. Die geschichtliche Verbundenheit zwischen dem Schicksal Eures Ordens und dem Schicksal der ukrainischen Kirche ist für Euch alle Aufforderung, das Salz des Evangeliums in Eurem Land, der Sauerteig der urkaini-schen Gemeinschaft zu sein. Wir wünschen, daß die Leiden und Entbehrungen Eurer Brüder, die berufen sind, ihren Glauben und die Verbundenheit mit dem Heiligen Stuhl unter harten, oft heroischen Bedingungen zu bezeugen, Euch, die Ihr in Freiheit für Christus arbeitet, in Eurem Apostolat befruchten mögen. Die Gottesgebärerin bewirke für sie heiligmäßige Standhaftigkeit und für Euch reiche Fülle an apostolischen Früchten! Euer Orden bekennt sich außer nach dem hl. Basilios dem Großen auch nach dem hl. Mönch und Bischof Josaphat, der die Krone des Martyriums erwarb. Das Zeugnis seines Blutes soll Eurem ganzen Orden ein Schatz, ein Vorbild und ein Trost sein. Möge Euer Orden unter dem Schutz des hl. Josaphat erblühen und sich festigen, und die Fürsprache des Märtyrers recht bald der gesamten ukrainischen Kirche Tage des Friedens bringen. Allen von Herzen meinen Apostolischen Segen. (O.R. 10. 7. 82) 1220 Botschaften und Ansprachen „Friede ist der neue Name für Verteidigung“ Ansprache an die Teilnehmer am 60. Lehrgang der Nato-Verteidigungsakademie vom 12. Juli Ich bin glücklich, die Mitglieder der Nato-Verteidigungsakademie hier wieder begrüßen zu können. Weil Sie in Rom Ihre Studien fortsetzen, ist es mir eine Freude, mit Ihnen über einige Aspekte des Weltfriedens nachzudenken. 1. Sie haben eine besondere Gelegenheit erhalten, in Ihrem Programm die verschiedenen Probleme der Welt zu diskutieren und sie im größeren Zusammenhang der Verteidigung und des Weltfriedens zu betrachten. Weil Sie aus zwölf verschiedenen Ländern stammen, wissen Sie die Bedeutung der internationalen Solidarität zu würdigen sowohl in ihrer positiven Ausdrucksform, die internationaler Friede ist, wie in ihrer Negation, die Entzweiung und Krieg bedeutet. 2. Der Friede ist in seiner höchsten Form Ausdruck brüderlicher Liebe. Der Friede zeitigt seine eigenen Früchte, die die Gesellschaft so notwendig braucht: er bietet dem Leben der Menschen Sicherheit und gibt der Menschheit die Möglichkeit zu fruchtbarem Austausch; er ist die einzige effektive Verteidigung des kulturellen Erbes der Nationen sowie vieler anderer menschlicher Werte. Auch der Krieg hat seine Früchte. Erst gestern nannte ich einige mit dem Hinweis auf die Kämpfe im Libanon: Bombenangriffe, Entbehrungen, die Geißel von Hunger und Seuchen, die Furcht vor weiteren Opfern und Leiden. 3. Der Friede ist in der Tat der einzige Rahmen, innerhalb dessen eine angemessene Verteidigung möglich ist. Der Friede stellt seine Forderungen und bringt seinen Segen. Wenn Sie den Frieden sichern wollen, fördern Sie den Frieden! Ja, Friede ist der neue Name für Verteidigung. In all ihren Äußerungen zum Frieden hat die katholische Kirche nie versäumt, von der Verteidigung zu sprechen. In seiner Friedensbotschaft 1974 warnte Paul VI. vor einem Mißverständnis, „das den Frieden nicht nur mit physischer, sondern auch mit moralischer Schwachheit verwechselt, mit dem Verzicht auf das wahre Recht und die angemessene Gerechtigkeit, mit der Flucht vor dem Risiko und dem Opfer, mit furchtsamer Resignation, die vor der Übermacht des anderen zurückweicht und sich deshalb mit der eigenen Versklavung abfindet“. Und er fuhr fort: „Das ist nicht der echte Friede. 1221 Botschaften und Ansprachen Unterdrückung ist kein Friede. Feigheit ist kein Friede. Eine rein äußere durch Furcht auf gezwungene Ordnung ist kein Friede.“ 4. Gleichzeitig wird die Absurdität des Krieges als Mittel zur Förderung des Friedens immer deutlicher. Diese Auffassung erlaubte ich mir, auch bei meinem kürzlichen Besuch in Großbritannien zu vertreten, als ich betonte, daß „die moderne Kriegsführung - mit oder ohne Nuklearwaffen - heute aufgrund ihrer Schrecken völlig unannehmbar ist als Mittel, Differenzen zwischen Nationen auszutragen“ (Predigt in Coventry am 30. Mai 1982). Die Bedeutung dieser Aussagen zeigt sich bei ihrer praktischen Anwendung: die Unannehmbarkeit des Rüstungswettlaufs und die Notwendigkeit, die dahinterliegenden Probleme anzupacken; die Notwendigkeit, an ihre Stelle positive Werte zu setzen, welche die Aufmerksamkeit der Völker in Anspruch nehmen und sie darauf ausrichten, eine friedliche Welt, die auf der menschlichen Solidarität gründet, aufzubauen. 5. Ich habe kürzlich bei meinem Aufenthalt in Genf der Welt das lebendige Konzept der Solidarität der Arbeit und die „Vermenschlichung“ der Arbeit ausführlich zum Überdenken vorgeschlagen. Es gibt viele Überlegungen dieser Art, und sie sind alle Ihrer Aufmerksamkeit wert und wichtig für die Sache, der Sie dienen, weil sich hier ein Weg bietet, den Fortschritt der Menschheit voranzubringen und die Verteidigung der Nationen zu sichern. Meine Damen und Herren, es ist Ihre Aufgabe, diese hohen Vorstellungen täglich auf Ihre eigenen Programme zu beziehen, weil sie Ihnen Einsichten und Mittel bieten, die Verteidigung Ihrer Länder, Ihrer Heime und aller Werte, die Ihnen etwas bedeuten, zu verwirklichen. Möge der Gott des Friedens Sie und Ihre Familien segnen und Sie vor allem Bösen schützen! (O. R. 12./13. 7. 82) Das Alter - die Krönung der menschlichen Existenz Botschaft an die UN-Weltkonferenz über die Probleme des Alterns in Wien vom 26. Juli bis 6. August Herr Präsident! Schon bei verschiedenen Gelegenheiten begrüßte der Hl. Stuhl mit großem Interesse und von Hoffnung beseelt die Initiative der Vereinten 1222 Botschaften und Ansprachen Nationen, eine Weltversammlung über die Problematik des Alterns und deren Konsequenzen auf die einzelnen und somit auf die Gesellschaft einzuberufen. Seitdem diese Entscheidung getroffen wurde, kann man ein wachsendes und sich ständig vertiefendes Bewußtwerden um dieses demographische Phänomen unserer Zeit beobachten, das die einzelnen Länder und die internationale Gesellschaft verpflichtet, sich mit der Frage des Schicksals, der Notwendigkeiten, der Rechte und der spezifischen Fähigkeiten der älteren Generationen zu befassen, deren Zahl im Ansteigen begriffen ist. Eine solche Überlegung muß sich über die Einzelpersonen hinaus auf die Organisation der Gesellschaft als solche im Hinblick auf diese Bevölkerungsschicht erstrecken. Das aufmerksame Studium der vorbereitenden Arbeiten für diese Weltversammlung und des derzeit allenMitgliedstaatenderVereintenNationenzur Prüfung vorgelegten Aktionsplanes läßt verschiedene Punkte in Erscheinung treten, denen der Hl. Stuhl auf besondere Weise seine Zustimmung gibt. Ich erlaube mir, sie hier anzuführen: die Aufmerksamkeit, welche den alten Menschen als solchen sowie ihrer Lebensqualität heute geschenkt wird; die Achtung für ihr Anrecht, aktive Glieder einer Gesellschaft zu bleiben, zu deren Aufbau sie beigetragen haben; der Wille, eine Gesellschaftsordnung zu fördern, in der jede Generation zusammen mit den anderen ihren Beitrag leisten kann; schließlich das Zurückgreifen auf die Kreativität der einzelnen sozio-kulturellen Milieus, damit zufriedenstellende Möglichkeiten für die Belassung der alten Menschen in jenen Aktivitäten gefunden werden, die ihrer so verschiedenen Herkunft und Bildung, Fähigkeit und Erfahrung, Kultur und Gläubigkeit entsprechen. Die oben erwähnten Themen beweisen bereits, daß es sich dabei nicht um abstrakte oder nur technische Probleme handelt, sondern vielmehr um das Schicksal von Menschen mit ihrer je einmaligen Geschichte, welche durch familiäre Herkunft, soziale Bindungen, beruflichen Erfolg oder Mißerfolg bedingt ist; diese Faktoren haben die Existenz der betreffenden Personen gekennzeichnet oder kennzeichnen sie immer noch. Ihrer wichtigen Versammlung, die sich eingehend mit diesen Tatsachen beschäftigt, um konkrete und vernünftige Lösungen für sie zu finden, möchte die Kirche den Beitrag ihrer Überlegung, ihrer Erfahrung und ihres Glaubens an den Menschen anbieten. Sie legt Ihnen praktisch die menschliche und christliche Auffassung vom Alter vor, ihre Überzeugung hinsichtlich der Familie oder der familienähnlichen Einrichtungen als günstigste Umgebung für die Entfaltung der alten Menschen und ihre Unterstützung bei der Weckung des Interesses der zeitgenössischen Gesellschaft für den Dienst an den älteren Generationen. 1223 Botschaften und Ansprachen Bewegten Herzens erinnere ich mich meiner Begegnung mit alten Menschen in der Kathedrale von München im November 1980. Ich hob damals hervor, daß das Alter ein natürliches Stadium der menschlichen Existenz ist und eigentlich ihre Krönung sein soll. Diese Auffassung setzt selbstverständlich voraus, daß das Alter - wenn man es erreicht - als Element betrachtet wird, das seinen besonderen Wert im gesamten menschlichen Leben hat; sie setzt darüber hinaus eine richtige Auffassung der Person voraus, die zugleich Leib und Seele ist. In dieser Sicht spricht die Bibel oft vom fortgeschrittenen Alter oder von dem alten Menschen mit Achtung und Bewunderung. Das Buch Jesus Sirach z.B. singt, nachdem es die Weisheit des weißhaarigen Menschen gepriesen hat (vgl. 25,4-6), ein langes Loblied der Ahnen, deren „Leib ist in Frieden bestattet, ihr Name lebt fort von Geschlecht zu Geschlecht“ (44, 14 u. vgl. 44-51). Das Neue Testament ist voll der Bewunderung für die Alten. Der hl. Lukas zeichnet bewegt das Bild des Greises Simeon und der Prophetin Anna, die Christus im Tempel entgegengehen. In der Zeit der ersten christlichen Gemeinschaften sehen wir, wie die Apostel die Ältesten als Hüter der neugegründeten Gemeinden erwählen. Die Kirche wünscht lebhaft, daß der Aktionsplan offen sei für diese Auffassung vom Alter, welche dieses nicht nur als unvermeidüchen Prozeß des biologischen Verfalls sieht oder als eine Periode, die sich von den anderen Lebensabschnitten abhebt, sondern als mögliche Phase in der natürlichen Entwicklung jedes menschlichen Lebens, dessen Vollendung sie darstellt. Tatsächlich ist ja das Leben ein Geschenk Gottes an die Menschen, die er aus Liebe nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen hat. Dieses Wissen um die geheiligte Würde der menschlichen Person bringt es mit sich, daß alle Abschnitte des Lebens wertvoll sind. Es ist das eine Frage der Kohärenz und der Gerechtigkeit. Tatsächlich ist es unmöglich, das Leben eines Greises zu würdigen, wenn man nicht gleichzeitig das Leben des Kindes von seiner Empfängnis an würdigt. Niemand weiß, wozu es führt, wenn das Leben nicht mehr als unveräußerliches und heiliges Gut respektiert wird. Man muß daher nachdrücklich auf dem bestehen, was die Kongregation für die Glaubenslehre in ihrer Erklärung über die Euthanasie vom 5. 5. 1980 aussagt, daß „nichts und niemand je das Recht verleihen kann, ein menschliches Lebewesen unschuldig zu töten, mag es sich um einen Fötus oder einen Embryo, ein Kind, einen Erwachsenen oder Greis, einen unheilbar Kranken oder Sterbenden handeln . . . Denn. es geht dabei um die Verletzung eines göttlichen Gesetzes, um eine Beleidigung der Würde der menschlichen Person, um ein Verbrechen gegen das Leben, um einen Anschlag gegen das Menschengeschlecht“ 1224 Botschaften und Ansprachen (AAS 72,1980, 546). Es ist durchaus angebracht, noch das hinzuzufügen, was die gleiche Erklärung über die Verwendung der therapeutischen Mittel aussagt: „Es ist in unserer Zeit sehr wichtig, gerade in der Todesstunde die Würde der menschlichen Person und die christliche Bedeutung des Lebens zu wahren und sich vor einer gewissen ,Technisierung“ zu hüten, die der Gefahr des Mißbrauchs ausgesetzt ist“ (AAS 72, 1980, 549). Der Tod ist ein Teü unseres menschlichen Horizonts und verleiht diesem seine wahre und geheimnisvolle Dimension. Die gegenwärtige Welt und vor allem der Westen muß erneut lernen, den Tod in das menschliche Leben einzufügen. Wer würde es nicht seinem Nächsten und sich selbst wünschen, diesen letzten Akt der irdischen Existenz mit jener ungetrübten Würde zu vollziehen, die den Glaubenden ganz sicher möglich ist? Ich möchte jetzt mit Ihnen die Kennzeichen des fortgeschrittenen Alters betrachten. Die einen sind schmerzlich, schwer zu akzeptieren, vor allem wenn man allein ist. Die anderen sind Quellen eines Reichtums für sich und für die anderen. Gemeinsam sind sie ein Bestandteü der menschlichen Erfahrung, jener, die heute alt sind, und jener, die es morgen sein werden. Die grundlegenden Aspekte des dritten und vierten Alters sind natürlich auf die geschwächten leiblichen Kräfte, auf die geringere geistige Beweglichkeit, auf die allmähliche Ausschaltung aus den liebgewordenen Tätigkeiten, auf die sich einstellenden Krankheiten und Behinderungen, das Bewußtsein der bevorstehenden Trennungen zurückzuführen, die der Hingang ins Jenseits mit sich bringt. Diese betrüblichen Kennzeichen können durch phüosophische Überzeugungen und vor allem - bei jenen, die das Glück haben, zu glauben - durch die Gewißheit des Glaubens eine Umwandlung erfahren. Letztere können tatsächlich die letzte Etappe des irdischen Lebens wie ein geheimnisvolles Mitgehen mit Christus, dem Erlöser, auf dem schmerzvollen Kreuzweg erleben, welcher dem strahlenden Morgen der Auferstehung vorangeht. Im allgemeinen kann man jedoch behaupten, daß die Art und Weise, wie eine Zivilisation das hohe Alter und den Tod als wesentliches Element des Lebens betrachtet und die Art, wie sie ihren betagten Mitgliedern hilft, ihren Tod zu leben, auf entscheidende Weise ihre Achtung für den Menschen zum Ausdruck bringt. 1225 Botschaften und Ansprachen Liebe, Geduld und Freude bringen Gleichzeitig gibt es wohltuende Aspekte des Alters, ist es doch die Zeit, in der Männer und Frauen die Erfahrung ihres ganzen Lebens ernten, zwischen dem Nebensächlichen und dem Wesentüchen unterscheiden und einen hohen Grad von Weisheit und innerlicher Ausgeglichenheit erreichen können. Es ist dies der Lebensabschnitt, in dem sie viel Zeit und selbst ihre ganze Zeit dazu verwenden können, um in ihre alltägliche oder gelegentliche Umgebung selbstlose Liebe, Geduld und taktvolle Freude hineinzutragen, was so viele alte Menschen auf bewundernswerte Weise tun. Den Glaubenden steht auch die glückliche Möglichkeit offen, über die Herrlichkeit des Glaubens nachzudenken und mehr zu beten. Die Fruchtbarkeit dieser Werte und ihr Überleben sind an zwei untrennbare Bedingungen gebunden. Die erste fordert von den alten Menschen selbst, daß sie zutiefst ihr Alter bejahen und es als Quelle von Reich-tümem schätzen. Die zweite Bedingung betrifft die heutige Gesellschaft. Sie muß fähig werden, die moralischen, affektiven und religiösen Werte anzuerkennen, deren der Geist und das Herz der Alten voll sind, und muß sich für ihre Eingliederung in unsere Zivilisation einsetzen, die unter einem besorgniserregenden Mißverhältnis zwischen technischem und ethischem Niveau leidet. Tatsächlich können die alten Menschen nur schwer in einer Welt leben, die sich ihrer spirituellen Dimension nicht mehr bewußt ist. Sie fühlen sich schließlich nutzlos, wenn sie sehen, daß die Leistungsfähigkeit der Bürger an erster Stelle steht und daß andere Werte der menschlichen Person ignoriert oder verachtet werden. Ein solches Klima behindert die fruchtbare Entfaltung des Alters und führt notwendigerweise zu einem Verschließen in sich selbst, zum Aufkommen des schmerzlichen Gefühls der Nutzlosigkeit und hat schließlich die Verzweiflung zur Folge. Man muß jedoch nochmals hervorheben, daß die ganze Gesellschaft sich selbst vieler bereichernder und ausgleichender Elemente beraubt, wenn sie das Risiko eingeht, nur ihre jungen und voll leistungsfähigen erwachsenen Mitglieder als für ihre Entwicklung brauchbar zu betrachten und die anderen unter die Unproduktiven einreiht, während zahlreiche, klug gelenkte Erfahrungen gerade das Gegenteil beweisen. In meinem letzten Apostolischen Schreiben Familiaris consorüo erinnerte ich an das Licht des göttlichen Ursprungs der menschlichen Familie, deren Wesen und Aufgabe durch die Liebe bestimmt ist: „Indem die Familie als ,innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe“ gegründet ist . . . empfängt sie die Sendung, die Liebe zu hüten, zu offenbaren und mitzuteilen 1226 Botschaften und Ansprachen . . . Alle Mitglieder der Familie haben, jedes nach seinen eigenen Gaben, die Gnade und die Verantwortung, täglich personale Gemeinschaft aufzubauen und dabei aus der Familie eine ,Schule reich entfalteter Humanität zu machen“ (17, 21). Dies läßt die Möglichkeiten ahnen, die von der Familie den alten Menschen angeboten werden, sei es die treue Unterstützung, die diese zu Recht von ihr erwarten, wie auch den möglichen Anteil der alten Menschen am Leben und am Auftrag der Familie. Es ist leider eine Tatsache, daß die Voraussetzungen für eine Integration der alten Menschen in die familiären Verhältnisse ihrer Kinder oder anderer Verwandter nicht immer existieren und daß diese Integration sich manchmal als unmöglich erweist. In diesen Fällen muß eine andere Lösung angestrebt werden, in der die Kinder oder andere Mitglieder der Familie die Aufgabe haben, beständige und herzliche Kontakte mit denjenigen zu pflegen, die gezwungen sind, ein Altersheim aufzusuchen. Dennoch soll jedoch gesagt sein, daß die alten Menschen eine Bereicherung sein können, wenn sie inmitten ihrer Familie bleiben, aufgrund ihrer Lebenserfahrung, ihrer Liebe, Weisheit, Verständnisbereitschaft, Nachsicht, ihrer Ratschläge, ihres Trostes sowie des Glaubens und des Gebetes, die fast immer die unerschütterlichen Werte des Lebensabends darstellen. Auf diese Weise tragen sie vor allem durch ihr Beispiel dazu bei, den Verhaltensweisen, die heute sooft mißachtet werden, wieder Ansehen zu verleihen, so der Fähigkeit des Zuhörens, der Zurückhaltung, Heiterkeit, Selbstlosigkeit, Innerlichkeit sowie der stillen und leuchtenden Freude .. . Noch einmal muß betont werden, daß die ständige oder teüweise Anwesenheit der alten Menschen im Familienkreis ein wertvoller Faktor für das Verständnis und den Zusammenhalt der Generationen darstellt, die notwendigerweise verschieden sind, sich aber dennoch gegenseitig ergänzen. Somit kann der enge Zusammenhalt der Familie, wie ich ihn soeben dargelegt habe, je nach den gegebenen Möglichkeiten eine Quelle des Gleichgewichts, der Lebenskraft, der Menschlichkeit und der Geistigkeit für die Keimzelle der ganzen Gesellschaft sein, die in allen Sprachen der Welt den vielsagendsten Namen trägt: „die Familie“. Mit der aktuellen bevölkerungspolitischen Entwicklung sieht die Gesellschaft ein neues Aktionsfeld zum Wohl des Menschen vor sich erstehen, mit dem Ziel, den alten Menschen den ihnen angemessenen Platz in der bürgerlichen Gemeinschaft zu sichern und gleichzeitig ihren spezifischen Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft zu fördern. Die älteren Generationen sehen sich in bestimmten politischen und Gesellschaftssystemen mehr und mehr aus dem ökonomischen Produk- 1227 Botschaften und Ansprachen tionsprozeß verdrängt, so daß sie sich ängstlich nach ihrer Stellung und den Aufgaben fragen, die ihnen dieser neue Typ von Gesellschaft zugedenkt. Wie nützt die ältere Generation den frühzeitigen und unfreiwillig vollzogenen Rückzug? Erwartet die heutige Gesellschaft in ihrer Entwicklung und ihren Ausrichtungen überhaupt noch etwas von ihren alten, im Ruhestand lebenden Mitgliedern? Es scheint, daß angesichts dieses großen und weitreichenden Problems die ganze Gesellschaft und vor allem ihre Verantwortlichen ernsthaft nach geeigneten Lösungen suchen müssen, die den Bedürfnissen der alten Menschen angemessen sind. Diese Lösungen können jedoch nicht nur allgemeiner Art sein. Wenn es normal ist, daß die Gesellschaft das Leben der alten Menschen in der Familie unterstützt und sich diese Lösung als wünschenwert und möglich erweist, dann muß man dem dritten und vierten Alter andere Möglichkeiten anbieten. Auf diesem Gebiet muß eine Gesellschaft, die sich ihrer Verpflichtungen den Generationen gegenüber, die aktiv ihren Beitrag zur Geschichte ihres Landes geleistet haben, wirklich bewußt ist, geeignete Institutionen für das Alter schaffen. Um keinen Bruch mit der gewohnten und vertrauten Lebensweise der alten Menschen zu vollziehen, ist es höchst wünschenswert, daß diese Institutionen Familiencharakter tragen, d. h. daß sie sich bemühen, den alten Menschen menschliche Wärme zu geben, die in allen Lebensabschnitten, insbesondere aber im Alter, so notwendig ist; gleichzeitig jedoch eine gewisse Autonomie, die im Einklang mit den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens steht, sowie Tätigkeiten, die ihrer körperlichen und beruflichen Befähigung entsprechen; und schließlich darf die im fortgeschrittenen Alter notwendige Pflege nicht fehlen. Gewiß, es gibt bereits verwirklichte Projekte dieser Art, aber sie sind sicherlich noch weiterzuentwik-keln. Angesichts dieses Themas möchte ich auch an die karitative Tätigkeit der Kirche durch eine Reihe seit langer Zeit bestehender Institutionen erinnern, die den alten Menschen gewidmet sind. Mögen sie anerkannt und ermutigt werden! Eine Gesellschaft zeichnet sich insbesondere dadurch aus, daß sie durch den Respekt vor ihren alten Mitgliedern und durch die unterschiedlichen Institutionen, die sie aufnehmen, die verschiedenartigen Wege zum Wohl des Menschen aufs beste vereint. Es scheint mir nützlich zu sein, noch einmal in Kürze einige neue Dienste zu nennen, die die Gesellschaft den im Ruhestand Lebenden und den alten Menschen erweisen kann, um ihnen einen Platz und eine Aufgabe in der menschlichen Gemeinschaft zu sichern. Dabei denke ich an die ständige Weiterbildung, die in mehreren Ländern angewandt wird und die 1228 Botschaften und Ansprachen für die Männer und Frauen, die sie nutzen, nicht nur persönliche Bereicherung bringt, sondern auch zur Anpassung und Teilnahme am Alltagsleben der Gesellschaft befähigt. Grundsätzlich betrachtet, besitzen die alten Menschen einen Schatz an Wissen und Erfahrung, der nur durch einen angemessenen dauerhaften Bildungsprozeß erhalten, ja sogar vervollständigt werden kann und im Bildungs- sowie im Sozialwesen Anwendung finden könnte. Mit Hilfe der Interessierten selbst oder mit den sie vertretenden Verbänden könnten diese Initiativen ergriffen werden. Ich denke, daß die Gesellschaft, indem sie die individuellen Fähigkeiten der alten Menschen sowie die Unterschiede der Kontinente untereinander berücksichtigt, versuchen muß, verschiedenartige Aktivitäten bereitzustellen. Es erscheint mir möglich, zwischen langweiliger Gleichförmigkeit und unerschöpflicher Phantasie eine vernünftige Form der Selbstverwirklichung in der beruflichen Arbeit oder in anderen Tätigkeiten, wie dem Lesen, den Studien, Vergnügungen, privaten oder organisierten Begegnungen mit anderen Menschen und anderen Umgebungen sowie in der Meditation und dem Gebet zu finden. Weiter kann die Gesellschaft die alten Menschen bestärken, Gemeinschaften zu gründen und bereits bestehende zu unterstützen. Initiativen dieser Art waren bisher erfolgreich, indem sie die alten Menschen und diejenigen, die im Begriff sind, sich aus dem Arbeitsleben zurückzuziehen, aus der Isolation befreiten und somit gleichzeitig von dem beängstigenden Gefühl, überflüssig zu sein. So ist es notwendig, daß Gemeinschaften dieser Art von den Verantwortlichen in der Gesellschaft als ein berechtigter Ausdruck der Anliegen der alten und vor allem der benachteiligten Menschen anerkannt werden. Schließlich denke ich an die Bedeutung, die die sozialen Kommunikationsmittel, insbesondere Fernsehen und Radio, haben könnten und haben sollten, um ein richtigeres und zeitgemäßeres Büd von dem letzten Lebensalter, seinem möglichen Beitrag zur Lebendigkeit und Ausgewogenheit der Gesellschaft zu verbreiten. Das setzt jedoch voraus, daß die Verantwortlichen der audiovisuellen Medien und der Presse von einem Menschenbild überzeugt sind, oder es zumindest respektieren, das nicht nur auf einer wirtschaftlichen und rein materiellen Nützlichkeit gegründet ist, sondern im umfassenden Sinn eine kontinuierliche, allseitige Entwicklung des Menschen bis an die Grenzen des irdischen Lebens anerkennt, vor allem dann, wenn die Gesellschaft diese begünstigt. Im Anschluß an diese Überlegungen und Anregungen bleibt mir nur noch, Ihnen, sehr geehrter Herr Präsident, zu wünschen, daß die Lösungsvorschläge der UN-Vollversammlung in Wien über die Probleme des Alterns zu dauerhaften Ergebnissen gelangen. In diesem Bereich wie in 1229 Botschaften und Ansprachen vielen anderen, von der Vollversammlung der Vereinten Nationen bereits aufgegriffenen und behandelten Probleme, wie die der Kinder, der Behinderten etc., geht es grundsätzlich um die Gegenwart und die Zukunft der menschlichen Zivilisation. Jede Kultur, in welchem Kontinent oder Land auch immer und gleich welcher Epoche, kann ihren Wert und ihre Ausstrahlung nur vom Primat der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen erhalten, von seinem ersten bis zu seinem letzten Lebensabschnitt; und dies, indem man sich der Verführung einer Gesellschaft widersetzt, die vom Taumel der materiellen Produktion des Konsums ergriffen ist. Mögen die Verantwortlichen der heutigen Welt den Anfang für eine wahre Entwicklung des Menschen machen und ihre Völker in diesem Kielwasser nach sich ziehen! Dies ist nicht nur mein sehnlichster Wunsch, sondern auch mein ständiges Gebet zu Gott, dem Schöpfer alles Guten. PAPST JOHANNES PAUL II. Vatikan, 22. Juli 1982 (O. R. 26.127. 7. 82) „Bewegt von Liebe und Sorge“ Botschaft an die Kirche in Litauen vom 23. Juli Bewegt von Liebe und Sorge um die geliebte Kirche in Litauen wenden wir uns an Euch, Brüder im Episkopat, aus Anlaß des glücklichen Tages, an dem Antonius Vaicius zum neuen Bischof geweiht wird, der als Apostolischer Administrator die Regierung der Diözese Telsiai und der Prälatur Klaipeda übernimmt. Der Freude dieser katholischen Gemeinschaft schließen wir uns um so mehr an, als auch der würdige Seelenhirt Vincentius Sladkevicius wieder sein Bischofsamt als Apostolischer Administrator von Kaisiadorys ausübt. Der Bischof ist ein unschätzbares Geschenk Gottes an die Kirche. Denn der Bischof steht in der Nachfolge der Apostel und empfängt durch die Handauflegung und die Worte der Weihe die Gnade des Heiligen Geistes und den Weihecharakter, in dessen Kraft er auf hervorragende Weise am Lehr-, Hirten- und Bischofsamt Christi teilnimmt und in seiner Person handelt, um das Volk Gottes in Wahrheit und Heiligkeit aufzubauen und durch Gebet, Predigt und alle Werke der Liebe für es Sorge zu tragen. 1230 Botschaften und Ansprachen Die Priester aber, die am einen Priestertum Christi teilhaben, um wegen dieser Teilhabe an Priestertum und Sendung dem Volk Gottes zu dienen, sollen den Bischof als ihren Vater anerkennen und ihm in Ehrfurcht gehorchen. Die ganze katholische Gemeinschaft schließlich, deren Glaube in Schwierigkeiten und Härten geprüft ist, soll in ihrem Hirten Schutz, Seelenglut und Stärkung zum Aushalten im Glauben finden, stark in Hoffnung, die auf Liebe beruht, damit sie die Werte und christlichen Tugenden pflegen kann, die die Erziehung und Lehre der Nation vervollständigen. Die katholische Familie Litauens empfehlen wir der Gottesgebärerin, der Mutter des Erbarmens, und erteilen hebenden Herzens den Bischöfen, Priestern, Seminaristen, allen dem Gottesdienst Geweihten und allen Christgläubigen den Apostoüschen Segen. JOHANNES PAULUS PP. II (O. R. 30. 7. 82) Der Mensch ist,,Mittelpunkt und Achse“ Botschaft an den Generaldirektor der UNESCO, Amadou Mahtar M’Bow, anläßlich der Weltkonferenz über Kulturpolitik in Mexiko vom 24. Juli Sr. Exzellenz Herrn Amadou Mahtar M’Bow Generaldirektor der UNESCO <36> <36> Der Konferenz über Kulturpolitik, die gerade in Mexiko eröffnet wird, dieser weltweiten, von der UNESCO organisierten Veranstaltung, kommt große Bedeutung zu. Sie bietet willkommene Gelegenheit, eine Bilanz zu ziehen über die auf dem Gebiet der Kultur in Politik und Praxis gewonnene Erfahrung seit der Konferenz der Regierungen über die institutioneilen, administrativen und finanziellen Aspekte der Kulturpolitik, die 1970 von der UNESCO veranstaltet wurde. In der Tat, wem stünde es nicht vor Augen? Nach der Konferenz von Venedig war das vergangene Jahrzehnt Zeuge wichtiger Wandlungen im Leben der Menschheit. So ist es an der Zeit, tiefer über die fundamentalen 1231 Botschaften und Ansprachen Probleme der Kultur in der Welt von heute nachzudenken. Ich möchte hier nur die Notwendigkeit einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kultur nennen sowie die kulturelle Dimension der Entwicklung. Wird doch immer klarer, daß der kulturelle Fortschritt zutiefst an den Aufbau einer gerechteren und brüderlicheren Welt gebunden ist. Im Bewußtsein der möglichen Bedeutung dieser Konferenz für die Zukunft und angesichts der engen Bande, die die katholische Kirche mit der Organisation verbinden, die Sie mit so viel Sachkenntnis und Hingabe leiten, wird sich der Hl. Stuhl bei der Begegnung in Mexiko durch eine Beobachter-Delegation vertreten lassen, um so sein Interesse, seine Wertschätzung und zugleich seine herzlichen Wünsche für einen vollen Erfolg zum Ausdruck zu bringen. 2. Nach dem Entstehen der UNESCO hat die katholische Kirche ständig deren Programme, zumal auf dem Gebiet der Kultur, sorgfältig verfolgt und sich unablässig zu jeder möglichen Mitarbeit bereit gezeigt. Sie beabsichtigt das auch in Zukunft zu tun, und zwar hochherzig, ohne Nebenabsichten und mit großer Offenheit des Geistes in der Überzeugung, die gleichen Haltungen auf seiten der UNESCO weiter vorzufinden. 3. Denkt man über die Kirche und ihre Beziehungen zur Kultur nach, so findet man in ihrer tausendjährigen Vergangenheit Anlaß zu berechtigtem Stolz, so wie ihr heutiges Wirken ein kostbares Zeugnis für den Wert ihrer Sendung bietet; und alle ihre Söhne und Töchter sind an die erhebende Aufgabe verwiesen, ihr Zukunftsprogramm mit vorzubereiten und zu formulieren. Betrachtet man andererseits das Wirken der UNESCO für die Kultur, so kommen die Völker der Welt in den Blick, die sich über die Grenzen hinweg die Hände reichen und in Anerkennung des unermeßlichen Wertes jeder Kultur eine Entwicklung des gegenseitigen Verständnisses fördern möchten, sowie auch eine gemeinsame und fruchtbare Entwicklung überhaupt, die die integrale Hebung der Menschheit im Auge hat. 4. Tatsächlich haben die Beziehungen der Kirche zur UNESCO mit vollem Recht in dem ausgedehnten Geflecht der Beziehungen ihren Platz, die die Kirche mit der Gesamtheit der internationalen Organisationen unterhält. Dieses Netz von Beziehungen, das Sie gut kennen, betrifft nicht nur den Heiligen Stuhl, sondern ebenso die lebendige Basis der Kirche selbst. Die im Lichte Gottes gesehenen Bedürfnisse der Menschheit rufen die Intelligenz und die Liebe der Christen wach, damit es zu einer internatio- 1232 Botschaften und Ansprachen nalen Initiative kommt, bei der die Kirche ihre Verantwortung dem Menschen gegenüber wahrnimmt, und zumal die Christen in ihrem jeweiligen Arbeitsbereich dieser Verantwortung gerecht werden. Diese Christen werden mit dem ganzen Reichtum ihres Herzens dabei sein und einen Beitrag von außergewöhnlichem Wert für den Aufbau der Zukunft leisten, wenn sie nach ihrem christlichen Gewissen handeln und zugleich sich darüber klar sind, daß Organisation nicht alles ist, daß man vielmehr eine überzeugte Hochachtung vor den inneren Gesetzen des Lebens braucht. 5. Der Mensch ist der Mittelpunkt und die Achse, auf die sich alles im Bereich der Kultur bezieht. Man kann unmöglich Menschenbild und kulturellen Fortschritt trennen. Man könnte aber auch kein wahres Bild vom Menschen haben, ohne dessen geistliche und moralische Dimension zu berücksichtigen. Gerade diese geistliche Dimension, die dem Wesen des Menschen zutiefst zu eigen ist, hilft einseitige und unvollständige Definitionen der Kultur vermeiden. Sie führt andererseits dazu, daß die Kultur dem wahren Wohl des Menschen und der Gesellschaft dient zur Förderung einer immer besseren Lebensqualität für den einzelnen und die Gesellschaft. All das läßt uns verstehen, daß eine echte Kulturpolitik den Menschen in seiner Gesamtheit im Blick haben muß, d. h. in all seinen persönlichen Dimensionen — ohne den ethischen und religiösen Aspekt zu vergessen — und in seinen sozialen Bindungen. Daraus folgt ferner, daß die Kulturpolitik nicht von einer geistlichen Sicht des Menschen bei der Förderung der Kultur absehen darf. Sie hat damit in den kommenden Jahren folgende Ziele entschiedener zu verfolgen: - eine deutlichere Ausrichtung der Kultur auf die selbstlose Suche nach der Wahrheit und den menschlichen Werten; Wiederentdeckung dieser Werte als Antwort auf Lebensentwürfe, die nur scheinbar fortgeschrittener sind; - die Förderung einer Kultur, die immer mehr die Würde der menschlichen Person und des menschlichen Lebens, seine Achtung und seine Verteidigung hervortreten läßt, also einer Kultur, die wirksam der Förderung des menschlichen Lebens und nicht seiner Zerstörung dient; - die Rückverweisung der Technik an ihren richtigen Platz, wobei deutlich gemacht werden muß, daß sie dem Menschen zu dienen hat. Auf diesem Gebiet ist ein ernsthaftes Nachdenken über die Ethik dringend notwendig. Eine wissenschaftliche und technische Entwicklung, die sich über die ethischen Werte hinwegsetzen wollte, würde sich mehr und mehr gegen das Geschick des Menschen selber wenden. 1233 Botschaften und Ansprachen 6. Herr Generaldirektor, am Ende dieser Botschaft möchte ich Ihnen meine ergebenen und herzlichen Wünsche aussprechen für Sie persönlich und für alle Ihre Mitarbeiter bei der UNESCO. Zugleich wünsche ich der Konferenz von Mexiko für ihre Arbeiten alles Gute. Möge Gott die UNESCO und ihre glücklichen Initiativen segnen! PAPST JOHANNES PAUL II. Aus dem Vatikan, 24. Juli 1982. (O. R. 1. 8. 82) Seid Diener und Zeugen der Versöhnung Brief an die Bischöfe von El Salvador vom 6. August Geliebte Brüder im Bischofsamt! Anläßlich des Festes der Verklärung des Herrn, das von Eurer Nation, die den Namen Christi, des Erlösers, trägt, und so sehr geliebt wird, möchte ich mich, verehrte Brüder im Bischofsamt, einmal mehr an Euch wenden und Euch Worte der Hilfe und der Ermutigung für Eure pastorale Tätigkeit aussprechen. Damit erneuere ich meine herzliche Aufmerksamkeit und Teilnahme an Euren Sorgen und Nöten. Dieses Wort soll vor allem ein inständiger Ruf nach Frieden und Versöhnung sein. Ihr wißt sehr gut, und das habt Ihr auch in der Vergangenheit oftmals unter Beweis gestellt, daß unter den zahlreichen Gesichtspunkten, unter denen die Mission jedes Bischofs steht - daran erinnerte ich auch den argentinischen Episkopat letztlich auf meiner Reise -, einer der bedeutsamsten und wichtigsten Gesichtspunkte der ist, sich wie ein „Baumeister der Harmonie, des Friedens und der Aussöhnung“ zu verhalten. Aber das gilt nicht nur innerhalb der Kirche, um den Zusammenhalt in der Einheit zu retten und zu stärken, sondern auch auf nationaler Ebene, angesichts von Entzweiungen und Gegensätzen, die Euch als Priester nicht gleichgültig sein dürfen. Ihr seid die Überbringer der Botschaft der Rettung, die zur Brüderlichkeit und Solidarität einlädt. Indem ich diese Ermahnung an Euch erneuere, bin ich mir der Zwietracht und der Spaltungen bewußt, die Eure Heimat verwüsten und nun Konflikte und Gewalt hervorrufen. Ihre wahren und tiefen Wurzeln hegen in 1234 Botschaften und Ansprachen sozialen Ungerechtigkeiten: dieses Problem wirkt nachhaltig auf die Politik ein, es ist jedoch vor allem ethischer Natur. Die Gesetzmäßigkeiten der Gewalt, die einen Bruderkrieg entfacht haben, entbehren jeder rationalen Rechtfertigung, geschweige denn einer christlichen. Einerseits stützt sich der Bruderkrieg auf jene, die den bewaffneten Kampf als ein notwendiges Mittel ansehen, um zu einer sozialen Neuordnung zu gelangen. Auf der anderen Seite beziehen sie sich auf die Prinzipien der „nationalen Sicherheit“, um brutale Repression zu verteidigen. Angesichts der Methoden der Gewalt ist es nötig, auf Methoden des Friedens zu bestehen. „Der Frieden muß im Rahmen der Wahrheit geschaffen und auf die Gerechtigkeit gegründet sein; er muß von der Liebe beseelt und in Freiheit gelebt werden“ (Botschaft zum Weltfriedenstag, 1. 1. 1981). Ihr wißt sehr genau, verehrte Brüder, daß die Kirche diese Werte, „angestachelt im Dienst für den Menschen in seiner Ganzheit und Würde“ (Redemptor hominis, Nr. 13-14), verteidigt und unterstützt. Von diesen Werten ausgehend, verteidigt sie unerschütterlich die Rechte der menschlichen Person (ebd., Nr. 17) und aus der gleichen moralischen und christlichen Identität die der christlichen Nation. Sie bezieht sich auf diese Werte, um die moralische Kraft eines Landes zu stärken, wenn es darum geht, moralische, vor allem aber soziale Krisen zu überwinden. So mache ich mich, verbunden mit Euch, zum Fürsprecher der tiefen Sehnsüchte Eures Volkes, das sich seit langem nach wirklicher Freiheit, nach Menschenwürde und nach sozialer Gerechtigkeit sehnt, die sich auf einen doppelten Aspekt der Liebe gründen: auf Gott, den umsichtigen Vater und Geber alles Guten, und auf die Mitbrüder. Vertretet gegenüber Euren Gläubigen, die nach Wahrheit und Gerechtigkeit dürsten, ununterbrochen mit aller Inbrunst und mit allem Einsatz die Lehren der kirchlichen Soziallehre. Seid in lebendigem Eifer um die Leiden der Nation besorgt, einig in einer angemessenen Antwort auf die Erfordernisse der Gegenwart und einig in einem neuen Impuls für Eure pastorale Arbeit. Im Hinblick auf die neuen und noch offenen institutionellen Entwicklungen der letzten Zeit im Lande erweist es sich als eine dringende Pflicht, die Methoden des Friedens im Dienst der Versöhnung einzubringen durch das Wort des Evangeliums sowie durch die Tat, die aus dem Geist des Evangeliums entspringt. Versöhnung ist kein Zeichen von Schwäche oder Feigheit, noch bedeutet sie Verzicht auf gebührende Gerechtigkeit oder auf die Verteidigung der 1235 Botschaften und Ansprachen Armen und der Randgruppen. Versöhnung ist eine Übereinkunft zwischen Brüdern, die bereit sind, die Versuchungen des Egoismus zu überwinden und das Streben nach Pseudogerechtigkeit aufzugeben; sie ist die Frucht entschlossener, edler und großzügiger Empfindungen, die dazu anleiten, eine Übereinkunft zu erzielen, die sich auf die Anerkennung jedes einzelnen Menschen sowie auf die Werte der zivilen Gesellschaft gründet. Die Versöhnung muß sich auf allen Ebenen verwirklichen können und vor allem zwischen Brüdern, die Waffen tragen, die von unterschiedlichen Interessen geleitet sind und von Ideologien ausgehen, die die fundamentalen Werte der menschlichen Person verletzen. Auf beiden Seiten ist die unaufkündbare Bedingung der Versöhnung die Einstellung aller Feindseligkeiten und der Verzicht auf Waffengewalt mit der sicheren Garantie, daß niemand Repressalien oder Rache übt, nachdem die ehrenvolle Absicht erklärt wurde, alle Kraft und Initiative zu vereinigen, um dem Land neue Lebenskraft zu geben und einen geordneten Fortschritt zu garantieren. Die Versöhnung muß sich in der Familie verwirklichen. Ihr habt der Familie bereits besondere Aufmerksamkeit in Eurem Pastoralschreiben vom 24. Dezember vergangenen Jahres geschenkt. Versöhnung muß in den Pfarreien und in allen Sektoren der Kirche stattfinden. Versöhnung findet auch am Arbeitsplatz statt, wo oft menschliche Probleme entstehen, die die nationale Gemeinschaft quälen. Ihr, verehrte Brüder im Bischofsamt, und mit Euch alle Eure Mitarbeiter, seid aufgerufen, Diener und Zeugen des Werkes der Versöhnung zu sein in Erfüllung des Ideals des Evangeliums der christlichen Nächstenliebe, die Christus seinen Nachfolgern und allen Menschen auftrug und die allein die Widersprüche und Uneinigkeiten sowohl der Zwietracht, der Ungerechtigkeit als auch der bewaffneten Auseinandersetzung lösen kann, die in den sozialen Problemen auftreten. Eure Mitarbeiter und Eure Gläubigen erreicht durch Euch ein Ruf zur Hoffnung, der sie unter den derzeitigen schwierigen Verhältnissen stützt und ihnen bei der Erfüllung der gestellten Aufgaben hilft. Für Euch, verehrte Brüder, und für die geliebten Söhne der ganzen Nation rufe ich Christus, den Erlöser, „unseren Frieden und unsere Versöhnung“, um seine göttliche Gnade an und erteile Euch von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. PAPST JOHANNES PAUL II. Vatikan, 6. August 1982 (O. R. 7. 8. 82) 1236 Botschaften und Ansprachen Die Alphabetisierung: eine Pflicht der Gerechtigkeit Schreiben an den Generaldirektor der UNESCO, Amadou Mahtar M’Bow, zum 16. Welttag der Alphabetisierung vom 25. August Herrn Amadou Mahtar M’Bow Generaldirektor der UNESCO Sie laden dazu ein, am 8. September den Welttag der Alphabetisierung abzuhalten, der durch sein löjähriges Bestehen die Ausdauer beweist, mit welcher die UNESCO daran arbeitet, in diesem wichtigen Bereich die Entfaltung der menschlichen Person von ihren elementarsten Bedürfnissen her zu fördern. Alle Menschen und ihre Einrichtungen müssen sich in der Tat dessen bewußt werden und ihren Möglichkeiten entsprechend ihren Beitrag auf diesem Gebiet leisten. Setzt die neue internationale Ordnung, die einzuführen sich die Menschen guten Willens vornehmen, nicht voraus, daß die am meisten Benachteiligten ihren vollwertigen Platz in der modernen Gesellschaft einnehmen und nicht mehr wie Außenseiter behandelt werden? Die Analphabeten sind aber in ihrem kulturellen Fortschritt, in ihren Alltagsbeziehungen, in ihrer Eingliederung in die verschiedenen Lebensbereiche und in ihren Arbeitsmöglichkeiten stark benachteiligt. Es ist ein großes Handicap für die gesamte Gesellschaft der Entwicklungsländer, wenn der Analphabetismus einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung umfaßt. Und er ist in den wohlhabendsten Ländern eine erhebliche Beschämung für die Analphabeten selbst und ihre Umgebung: sie werden da um so mehr in ihrer allgemeinen Entwicklung links liegengelassen. Daher die Frage, die sich dem Gewissen der heutigen Menschen weiterhin stellt: Wie können die Analphabeten aus ihrer Randstellung befreit werden? Um die Geißel des Analphabetentums einzuschränken, sind im Laufe der letzten 15 Jahre gewiß bemerkenswerte Anstrengungen unternommen worden, indem man zahlreiche technische und materielle Mittel einsetzte, um die Alphabetisierung wirksamer zu gestalten. Und mit Recht fordern Sie, Herr Generaldirektor, dazu auf, diese Maßnahmen fortzusetzen. Aber muß man nicht auch auf die gesetzlichen Bestimmungen und auf die geistige Einstellung Gewicht legen, damit der Existenz der Analphabeten als vollwertiger Personen von allen Veranwortlichen in den verschiedenen Bereichen Rechnung getragen wird? 1237 Botschaften und Ansprachen Und da ist noch Raum für vielfältige Initiativen der Bewußtmachung, der Hilfeleistung, der gesetzlichen Bestimmungen - von seiten der Regierungen, der öffentlichen und privaten Institutionen, einzelner Personen - im Dienst an der Jugend, aber auch an den Erwachsenen, die nicht die Chance hatten, Lesen und Schreiben zu lernen, oder die sich mit anderen Kommunikationsmitteln vertraut machen müssen, weil sie ihr Land, ihre soziale Gruppe, ihren Arbeitsplatz verlassen haben. Ja, diese Chance muß den Erwachsenen geboten werden, genauso wie manche Gesellschaften heute die Möglichkeit zu einer Vervollkommnung der Berufsausbildung anbieten. Die Alphabetisierung findet daher mehr und mehr im Rahmen eines Anpassungsprozesses an die moderne technische Welt statt, in der man, um zu überleben und in seinen Rechten respektiert zu werden, lesen und schreiben können muß. Die Analphabeten sind die Opfer eines zu großen Abstands zwischen ihren eigenen Traditionen und den Regelungen und Bestimmungen der neuen Ordnung, an die sie sich anpassen müssen. Tiefgreifender als diese zweckbetonte und praktische Seite aber ist die Tatsache, daß die Alphabetisierung der Anfang von Bildung und Kultur ist. Sie ist heute die Ausgangsstufe zu jedem Entwicklungsprozeß der menschlichen Persönlichkeit durch ihre Beziehungen zu den anderen. Und sie ermöglicht auch die Entfaltung der Anlagen des Geistes und der Seele und des Nachdenkens über den Sinn des Lebens und die überirdische Bestimmung, zu der der Mensch berufen ist. Es ist daher zu wünschen, daß die Alphabetisierung nicht mehr bloß als eine Hilfe für Randexistenzen betrachtet wird, sondern als eine natürliche Pflicht der Gerechtigkeit. Und sollten nicht vor allem diejenigen dafür empfänglich sein, denen es die Religion zur Pflicht macht, sich mit jedem benachteiligten Bruder verbunden zu fühlen? Gott segne alle, die für diese Teilung der Güter des Geistes arbeiten wollen! So spreche ich Ihnen, Herr Generaldirektor, meine Wünsche für den vollen Erfolg dieses 16. Welttages für die Alphabetisierung aus, der im Dienst des wahren Fortschritts des Menschen durch den Menschen und seines Wunsches nach Frieden in Brüderlichkeit steht. PAPST JOHANNES PAUL II. Vatikan, 25. August 1982 (O. R. 10. 9. 82) Botschaften und Ansprachen „ Siegen möge das Herz der Mutter“ Predigt bei der hl. Messe zur 600-Jahr-Feier der Muttergottes von Jasna Göra am 26. August 1. „. . . So bitte ich euch, - bevor ich von hier fortgehe nehmt noch einmal das ganze geistige Erbe an, das ,Polen heißt, nehmt es an im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe - wie es uns Christus in der heiligen Taufe eingepflanzt hat. Ich bitte euch: - zieht dieses Erbe niemals in Zweifel, werdet seiner nicht leid und nicht überdrüssig; - reißt euch nicht selbst los von den Wurzeln, aus denen wir hervorwachsen. Ich bitte euch: - habt bei all eurer Schwachheit Vertrauen; - sucht die geistige Kraft immer bei dem, bei welchem so viele Generationen unserer Väter und Mütter sie fanden; - verlaßt es niemals; - verliert niemals jene Freiheit des Geistes, zu der er den Menschen befreit; - verachtet nie die Liebe, die die größte ist, die sich im Kreuz ausdrückt und ohne die das menschliche Leben weder Wurzel noch Sinn hat. Darum bitte ich euch: - durch das Gedächtnis und die mächtige Fürsprache der Gottesmutter von der Jasna Göra und allen ihren Heiligtümern auf polnischer Erde; - durch das Gedächtnis des hl. Adalbert, der am baltischen Meer für Christus starb; - durch das Gedächtnis des hl. Stanislaus, der unter dem königlichen Schwert in Skalka fiel. Um all das bitte ich euch.“ 2. Das sind die Worte, die ich am 10. Juni 1979 auf den Wiesen von Krakau bei der großen Eucharistiefeier zum 900. Todestag des heiligen Märtyrers Stanislaus, des Patrons von Polen, gesprochen habe. Heute, am 26. August 1982, stehe ich am Altar in der Kapelle der letzten Päpste in Castel Gandolfo. Zu ihnen zählt Pius XI., der in den ersten Jahren nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit Apostolischer Nuntius in Polen war. Er hat in dieser Kapelle und über ihrem Altar das Bild der Muttergottes von Jasna Göra anbringen lassen, das ihm vom polnischen Episkopat geschenkt worden war. Gewiß hatte sich die Erinnerung an 1239 Botschaften und Ansprachen Jasna Göra im Herzen dieses Nachfolgers Petri so tief verwurzelt, daß er dieses Bild auf dem Hauptaltar seiner Kapelle haben wollte. Tief senkte sich auch in sein Herz der Gedanke an die Ereignisse der Jahre 1655/56 sowie später des Jahre 1920, denn sie bilden das Thema der Fresken, mit denen ein polnischer Maler nach dem Willen des Papstes die Seitenwände der Kapelle geschmückt hat. 3. Hier an diesem Altar stehe ich heute und fühle mich tief mit Jasna Göra verbunden, das die 600-Jahr-Feier des hochverehrten Bildes der Muttergottes und Königin von Polen feiert. Schon als ich das letzte Mal in Polen war, wurde ich zu diesem Jubiläum eingeladen. Später haben verschiedene Kreise und zumal die Paulanerpa-tres diese Einladung erneuert. Zuletzt hat der Präsidialrat des Episkopates im Namen aller Bischöfe Polens und aller Katholiken des Landes die Einladung bekräftigt. Ich habe immer geantwortet - und so antworte ich auch heute -, daß die Teilnahme am Jubiläum von Jasna Göra für mich eine Verpflichtung sowohl gegenüber der Königin Polens als auch gegenüber meiner Nation und der Kirche in Polen bedeutet. Daher habe ich immer die Überzeugung ausgesprochen, daß die Erklärungen über eine Pilgerreise des Papstes in seine Heimat im Rahmen dieses Jubiläums realisiert werden sollten. Das verlangt auch der gute Name Polens bei den Nationen Europas und der Welt. 4. Aber heute stehe ich hier vor dem Büd der Mutter meines Vaterlandes, da wo die Hand Pius’ XI., der das unabhängige Polen liebte, und die Hand meiner Vorgänger es anbringen ließ. Ich beteüige mich hier an den Gebeten und Opfern, mit denen ihr, hebe Landsleute, am 26. August 1982 nach Jasna Göra zieht. Ich vereinige mich mit euch, euren Hirten, den Bischöfen Polens im gleichen Glauben, in der gleichen Hoffnung und Liebe, um dem Schatz der Gesamtkirche das Opfer beizufügen, das ihr dort vor Maria darbringt, die „das leuchtende Tschenstochau“ beschützt: das neue historische Opfer. Gleichzeitig wünsche ich, daß in diesem hochheiligen Opfer, das alle Kinder Gottes auf dem ganzen Erdkreis vereint, sich jener wunderbare Austausch der Gaben vollzieht, den Christus in der Geschichte der Menschen und der Nationen begonnen hat. Deswegen habe ich zu Anfang an die Worte erinnert, die ich bei der Eucharistiefeier zur denkwürdigen „Bekräftigung der Geschichte“ auf den Wiesen von Krakau im „Jahr des hl. Stanislaus“ 1979 gesprochen habe. 1240 Botschaften und Ansprachen 5. Aber welche Gabe bringen wir nun im Jahr des Herrn 1982 dar? Was wollen wir dem Vater allen Lichtes und dem unsterblichen König der Jahrhunderte vor den Augen der Mutter Christi schenken? Dies, hebe Brüder und Schwestern, ist unser besonderes Geschenk, der Ausdruck unseres Jahrhunderts - und zugleich das Zeichen der Beständigkeit des Heils im Kreuze Christi: Seht, bald soll der Selige Maximilian Maria Kolbe, das Opfer von Auschwitz, in das Verzeichnis der Heiligen der katholischen Kirche eingetragen werden. Ich möchte die Überzeugung aussprechen, daß dies das besondere Geschenk ist, das wir alle der Herrin von Jasna Göra zur 600-Jahrfeier darbringen. Doch ist es nicht vor allem ihr Jubiläumsgeschenk für uns? Ja, es ist vor allem die Muttergottes von Jasna Göra, die uns dieses Geschenk macht. Dieser Heilige stammt aus der polnischen Erde und ist zur Reife gelangt im heroischen Opfer auf dem schrecklichen Scheiterhaufen, auf dem seine Nation zusammen mit den anderen während der fürchterlichen Jahre 1939-1945 brannte. Ja, es ist die Mutter von Jasna Göra, die ihn uns schenkt. War er nicht zu seiner Zeit besonders der „Ritter der Unbefleckten“? Hat er nicht in einzigartiger Weise bis zum Ende durchgehalten in der Treue zu seiner Herrin, als er im Bunker von Auschwitz für einen Bruder sein Leben hingab? So wollen wir also zu diesem 600. Jahrestag von Jasna Göra dieses besondere Geschenk darbringen, das uns die Vorsehung bereitet hat. Wir wollen in dieser Gabe uns selbst darbringen und das ergänzen, was unser Seliger uns sagt und was er sozusagen an unserer Stelle sagt. 6. Er hat sich bis zu den äußersten Grenzen solidarisch gemacht mit einem anderen Menschen und sich bereit erklärt, statt seiner in den Tod zu gehen, eingedenk der Worte Christi: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Joh 15, 13). Das Opfer, das Maximilian am Ort schrecklichster Menschenverachtung in Auschwitz brachte, spricht zu den Menschen von heute, zu den Nationen, zur Gesellschaft. Es ist zu einem beredten Zeichen für die Zeiten geworden, in denen wir leben. Zu Füßen Unserer Lieben Frau von Jasna Göra flehe ich heute mit allen Söhnen und Töchtern der polnischen Nation und allen Menschen guten Willens in der ganzen Welt darum, daß dieses Zeichen von uns gut verstanden werden möge. Es möge uns sagen, daß man auf polnischer Erde jedem Menschen beistehen muß, ohne irgend jemand auszuschließen, und daß man das Gemeinwohl in der Gemeinschaft mit allen und im Dialog mit der Gesellschaft aufbauen muß. Man kann dieses Gut nicht mit 1241 Botschaften und Ansprachen den Mitteln der Gewalt aufbauen, vielmehr muß hier die Vernunft laut werden, die Achtung vor jedem Menschen bedeutet und deshalb jeden überzeugen kann. Die Geste von Pater Maximilian im Konzentrationslager Auschwitz ruft und mahnt zu einer solchen Einheit mit jedem Menschen, zur Einheit mit der ganzen Nation, die schon zu sehr im Verlauf vieler Abschnitte ihrer Geschichte geprüft worden ist. Es ist eine Geste, ein Akt, den die Vorsehung uns gezeigt und als Aufgabe gestellt hat, damit wir die schwierigen Probleme des Vaterlandes in diesem Geist lösen. Während der letzten schweren Monate hat die Kirche in Polen immer wiederholt und bekräftigt, daß die Macht nur dann wahrhaft stark sein kann, wenn die Gesellschaft sie unterstützt, und daß der Weg zu dieser Unterstützung nicht durch die Konfrontation führt, sondern durch den Dialog mit allen und durch eine echte soziale Abmachung. 7. Liebe Landsleute! Wie schwierig das Leben der Polen in diesem Jahre auch sein mag, das Bewußtsein möge in euch durchbrechen, daß dieses Leben vom Herzen der Mutter umfangen ist; so wie sie in Maximilian, dem Ritter der Unbefleckten Maria, gesiegt hat, so möge sie auch in euch siegreich sein. Wir danken ihr für das erste Wunder in Kana in Galiläa und für die 600 Jahre ihrer Gegenwart im Bild von Jasna Göra. Zugleich beten wir, daß sie sich in unseren Tagen allen Menschen verbinde, die auf polnischer Erde wohnen. Siegen möge das Herz der Mutter! Siegen möge Unsere Liebe Frau von Jasna Göra in uns und durch uns, ja sogar durch unsere Leiden und unser Versagen. Möge sie uns erwirken, daß wir nicht aufhören, für die Wahrheit und die Gerechtigkeit zu kämpfen, für die Freiheit und Würde unseres Lebens. Die Worte Mariens: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2, 5), bedeuten doch wohl auch dies. Möge die Kraft sich voll in der Schwachheit offenbaren, wie der Völkerapostel lehrt (vgl. 2 Kor 12, 9) und wie das Beispiel unseres Landsmanns, Pater Maximilian Kolbe, zeigt. Maria, Königin Polens, ich bin dir nahe, ich denke an dich, ich wache! (O. R. 27. 8. 82) 1242 Botschaften und Ansprachen „Seid echte Diener der Freiheit!“ Ansprache an die Regenten der Republik San Marino am 29. August Meine Herren Regenten, erlauchte Obrigkeiten! Herzlichen Dank für die vornehmen und erhebenden Worte, die Sie an mich richteten. 1. Ich freue mich, diesen Tag auf dem hohen Gipfel des Titano beginnen zu können, um Eurer geliebten Republik zu huldigen, die berühmt ist durch eine glorreiche, vom unablässigen Wunsch nach Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden getragene Vergangenheit im Zeichen eines nie erloschenen christlichen Glaubens und immer von edlen Idealen getrieben. Mein Wunsch, Euch zu besuchen und unter Euch zu sein, ergab sich aus Eurer wiederholten und herzlichen Einladung, einem Zeugnis jener „gefeierten, durch Freundlichkeit und Vornehmheit ausgezeichneten Gastfreundschaft“ (Insegnamenti di Paolo VI, I, S. 39), die Eure Tradition brüderlicher Solidarität und edler Menschlichkeit kennzeichnet. Ich richte also mit Dank und Ehrerbietung meinen Gruß an die Herren Regierenden Kapitäne und die anderen zivilen Obrigkeiten; und ich richte liebevolle Gedanken an alle Bürger der Republik. Euer lebhafter Applaus hat mir schon einen Vorgeschmack der Zuneigung gegeben, die über meine Person dem Hl. Stuhl und der Kirche gilt. 2. Die Geschichte dieser uralten und einzigartigen Gemeinschaft, auf die ich nur flüchtig eingehen kann, zeigt die Treue zum Grundwert der Freiheit, die im Denken und Leben ihrer Bewohner tiefe Wurzeln geschlagen hat. Gerade diesen Wert möchte ich bei dieser Begegnung öffentlich hervorheben und dazu auffordem, noch vor ihren politischen Aspekten sich auf ihre tiefe moralische und geistliche Wurzel zu besinnen. Denn Gott wollte, als er den Menschen nach „seinem Abbild“ schuf (Gen 1, 26), ihn als freies Geschöpf schaffen. Er machte ihn zum Herrn der Schöpfung und schenkte ihm mit dem Licht der Vernunft die Macht der Freiheit als Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Und obwohl unsere Daseinserfahrung von der Sünde gezeichnet ist und deshalb die innere Entscheidung für das Gute geschwächt wurde, müssen wir uns das von Christus vollzogene Erlösungswerk gegenwärtig halten: Er ist der wahre Befreier des Menschen! Gerade über diese Wurzeln der „ewigen Freiheit“, die immer in Euren bürgerlichen Einrichtungen wirkt, möchte ich Euch auffordem, nachzu- 1243 Botschaften und Ansprachen denken. Schützt ihre geistliche Grundlage, von der Christus in den bekannten Worten spricht: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird Euch befreien“ {Joh 8, 32). Wenn ihr also frei sein wollt, bringt Früchte der Wahrheit, handelt in Wahrheit und unterdrückt die Wahrheit nicht in Euch selbst, in Eurem Dienst; unterwerft sie nicht Eurer Willkür, Euren Interessen, Euren Zwecküberlegungen. 3. Ein zweiter Euch eigener Wert ist Eure Arbeitsamkeit, auch diese ein inneres Element des Menschen, das den Eifer und den Stil kennzeichnet, mit dem er die Arbeit in Angriff nimmt. Dieser Wert ist mithin eine persönliche Qualität, der sich als echte sittliche Tugend darstellt, als Liebe zur Arbeit, als Erwerb einer angemessenen Berufsfertigkeit durch die tägliche Verbesserung der eigenen Fähigkeiten. Sie ist zugleich Antwort auf das Geschenk der Freiheit und Antwort auf das göttliche Gebot, daß der Mensch eine erleuchtete und kluge Herrschaft über die Schöpfung ausüben soll. Ich weiß, daß diese Tugend die Bewohner von San Marino so auszeichnet wie die der benachbarten Gegenden; sie gibt Eurem Leben Profil, festigt den Charakter und ermöglicht einen ehrenhaften Wohlstand. Möge sie also erhalten bleiben und wachsen. 4. Wenn man auf die Gestalt Eures Gründers schaut, der sich auf diese lieblichen Berghänge zurückzog, um ein Leben des Gebets und der Buße zu führen, wird klar, daß Eure bürgerliche Gemeinschaft seit ihrer Entstehung als institutioneilen Grundwert den Glauben schätzt. Das ist ein kostbares Erbe, das Ihr eifersüchtig den kommenden Generationen bewahren, vermehren und überliefern müßt. In der heutigen Gesellschaft zeigt sich oft eine bedauerliche und widersprüchliche Situation. Durch die Errungenschaften in der Wissenschaft und ihre technische Anwendung hat die Menschheit einen großen Schritt zum Fortschritt und zum Wohlstand hin getan, zumindest seit fünfzig Jahren. Trotzdem war sie nie so unruhig und bedroht wie heute. Die Gesellschaft, die sich leidenschaftlich nach der Zukunft streckt, hat in Wirklichkeit Furcht vor dem, was kommt. Eine so dramatische Lage macht deutlich, daß der Mensch in seiner unablässigen Sorge um den Fortschritt vor allem sichere Motivationen und absolute Werte braucht. Die Religion ist also eine Wirklichkeit von höchster Bedeutung, auch geschichtlich und kulturell, die nicht aus dem Herzen des Menschen gerissen werden darf. Wie es aus Anlaß der feierlichen Einweihung dieses wiedererbauten Regierungspalastes geheißen hat: Nichts wird „Gott aus der Geschichte reißen“. 1244 Botschaften und Ansprachen In diesem Zusammenhang sagte ich den Herren Kapitänregenten bei ihrem Besuch im Vatikan: „Der christliche Glaube an Gott und an Jesus Christus, Erlöser des Menschen, ist auch ein Glaube an die unauslöschliche Würde des Menschen und kann nicht umhin, . . . dringend Freiheit und Gerechtigkeit zu fordern . . . Den Glauben abschwächen, seine Ausübung verhindern . . . würde bedeuten, die innere Wurzel der Gerechtigkeit und der Freiheit zu untergraben“ (Insegnamenti di Giovanni Paolo II, III, 2, 1980, S. 662). Als solchen edlen Dienst an der Freiheit und Gerechtigkeit muß man die besondere Verantwortung der politischen Obrigkeit verstehen, weil sie wesentlich auf das Gemeinwohl und die Legitimität hingeordnet ist wie jede andere Wirklichkeit des gesellschaftlichen Lebens, in Achtung vor der unverletzlichen Würde des Menschen. Echte Diener der Freiheit und Gerechtigkeit sein heißt, allen Bürgern die Möglichkeiten einer geordneten Selbstbehauptung und eines wünschenswerten moralischen und bürgerlichen Wachstums zu bieten, indem man Vorstellungen diskriminierender Methoden in Richtung auf die Hegemonie der Macht von sich weist. Es bedeutet, in Familie, Schule und Gesellschaft keine geistlich neutralen und moralisch minimalistischen Methoden und Inhalte zu fördern, die trotz guter Absichten und persönlicher Integrität dazu beitragen, die christlichen Werte zu entleeren, und mit denen durch ungesunde Widersprüche die Wurzeln höchster Institutionen selbst unterminiert werden könnten. Es bedeutet, keine Vorstellung von bürgerlicher Gesellschaft zu verfolgen, in der sich die Kraft sittlicher und geistlicher Tugenden in Konformismus auflöst. Der Herrgott wolle die Bewohner dieses hochedlen Landes schützen, indem er in ihnen Vorsätze zu einem geordneten bürgerlichen Fortschritt, zu wirksamer Eintracht, zu unüberwindlichem Glauben an die Werke des Geistes festige. Mit diesem Wunsch rufe ich über Ihre Person, meine Herren Kapitänregenten, die Obrigkeiten und alle Bewohner von San Marino die Gaben und den Beistand des göttlichen Schutzes herab. (O. R. 30./31. 8. 82) 1245 Botschaften und Ansprachen Die Freiheit hängt von der Wahrheit ab Predigt bei der Messe in San Marino am 29. August 1. „Zeige mir, Herr, deinen Weg, leite mich auf ebener Bahn“ (Ps 27, 11). Diese Worte des Psalmisten, die wir vor dem Evangelium gesungen haben, mögen am Anfang unserer Betrachtung über die heutige Sonntagsliturgie stehen. Sie geben mir zugleich Anlaß, dem Herrn dafür zu danken, daß er meinen Weg hierher, in die ruhmvolle Republik San Marino, geführt hat, und daß ich euch alle, liebe Einwohner von San Marino, herzlich begrüßen kann. Einen besonderen Gruß richte ich an die Mitglieder eurer Regierung sowie an die übrigen politischen und bürgerlichen Autoritäten, die bei dieser Eucharistiefeier anwesend sind. Recht herzlich grüße ich ferner Bischof Giovanni Locatelli und mit ihm alle Priester und Gläubigen der Diözese San Marino-Montefeltro. Ich grüße euch alle und spreche euch meine Anerkennung aus für die Herzlichkeit, mit der ihr mich empfangen habt. Ich freue mich wirklich, als erster Nachfolger Petri, der diese Republik besucht, unter euch zu weilen, und ich bete, daß dieses außerordentliche kirchliche Ereignis für euch alle Anlaß zur Freude sei und euch vor allem eine heilsame Gelegenheit biete, die Gründe eures Christseins tiefer zu bedenken. Die Freude geht freilich nicht nur auf diesen Anlaß zurück. Voll Freude erfaßt atmet mein Inneres hier auch die antike und kräftige, reine und edle Atmosphäre, wie sie Institutionen umgibt, die sich in der Geschichte bewährt haben, die sich der Herausforderung der Jahrhunderte gewachsen zeigten, sich selber treu blieben und zugleich mit der neuen Zeit Schritt hielten. Dieses Land hat nie auf seine Freiheit, seine nationale und religiöse Identität verzichtet, gemäß dem ursprünglichen Konzept, das mit der Gestalt des hl. Marinus verknüpft ist. Ihn betrachtet die Überlieferung nicht nur als den Beschützer, sondern auch als den Gründer eurer Republik. 2. Der Name San Marino hat für euch, die Bewohner von San Marino, und für alle eine große Bedeutung. Er ruft eine lange Reihe von Ereignissen und edlen Taten von zuweilen epischer Breite, die der Verteidigung bürgerlicher Selbstbestimmung galten und sich immer von den Werten des christlichen Glaubens bestimmen ließen, in Erinnerung. Der Name verbindet sich mit dem Leben eines christlichen Heiligen, der die Einsamkeit 1246 Botschaften und Ansprachen liebte, das Gebet pflegte, tapfer die Mühen der Arbeit auf sich nahm und unerschrocken die Freiheit verteidigte. Es ist nicht unsere Aufgabe, vor allem nicht in dieser erhabenen Stunde der Eucharistiefeier, näher auf historische Fragen und Einzelheiten — selbst wenn sie erbaulich sind - einzugehen; diese verlieren sich vielleicht im Legendären, für das die vergangenen Zeiten empfänglicher waren als wir. Hier wollen wir, gestützt auf die geschichtliche Wirklichkeit, bekräftigen, daß sich die dem hl. Marinus seit den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeit erwiesene Verehrung und die freie, auf dem Monte Titano entstandene Gemeinschaft mit der herausragenden Gestalt eines beispielhaften Nachfolgers Christi verbinden, der einmal selber zum Licht der Wahrheit und zum Leben der Gnade gelangte, auch im öffentlichen Leben ein dem Evangelium entsprechendes Zeugnis als Laie gab, das dem eigenen Glauben gerecht wurde, und die Würde des Menschen unerschrocken verteidigte. Euch allen sind die Worte bekannt, die man dem hl. Marinus zuschreibt, und die er angeblich in seiner Todesstunde gesprochen hat: „Meine Söhne, ich lasse euch frei zurück.“ Diese Worte bilden sozusagen das ideale geschichtliche, politische und rechtliche Fundament eurer Republik. Unter den damaligen Ortsverhältnissen bezogen sie sich auf das Gebiet eurer Gemeinschaft und umschrieben zugleich die wichtigsten Ziele der im Aufbau befindlichen Institutionen. Historisch betrachtet, leiteten sie eine politische Selbständigkeit ein, die bis heute unangetastet gebheben ist und sich zugleich hoffnungsvoll der Zukunft öffnet. Mit Recht begann daher das Volk dieses Landes im 11. Jahrhundert, als in den Herzen ein ausgesprochener Sinn für die kommunale Freiheit wach wurde und die Städte sich ihre eigenen Herren wählten, den hl. Marinus, den es seit jeher als heiligen Schutzpatron verehrte, auch immer mehr als Erhalter und Schützer, vor allem aber als Begründer seiner Freiheit anzurufen. Die eben zitierten Worte, idealer Leitspruch für das Leben in San Marino, rufen im Zusammenhang mit meinem heutigen Pastoralbesuch und mehr noch mit der Liturgie dieser Eucharistiefeier den Gedanken an die überragende Botschaft von der christlichen Freiheit wach, wie sie gerade euer Heiliger verkündet hat, wie sie in den verschiedensten Situationen von euren Vorfahren bezeugt wurde und wie sie für jung und alt bis ans Ende der Zeiten gültig bleibt. 3. Worin besteht diese christliche Botschaft der Freiheit? Die Frage ist sehr wichtig, ja wesentlich und unausweichlich, denn man weiß nur zu gut, daß es verschiedene und gegensätzüche Deutungen des Wertes der Frei- 1247 Botschaften und Ansprachen heit gibt und die praktischen Folgen oft im Gegensatz zueinander stehen. Will man ein echt christliches Verständnis von Freiheit gewinnen, muß man vor allem die Worte Jesu bedenken, die er an jene richtete, die ihm nicht glaubten: „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien . . . Amen, amen, das sage ich euch: Wer die Sünde tut, ist Sklave der Sünde . . . Wenn euch also der Sohn befreit, dann seid ihr wirküch frei“ (Joh 8, 31-36). Nach Jesus hängt die echte Freiheit vor allem von der Kenntnis der ganzen Wahrheit über das Geheimnis Gottes ab, die er ja verkündet und bezeugt hat, und dann, in der Folge, von der Loslösung vom Bösen, d. h. von der Sünde als Übertretung des Moralgesetzes. Der hl. Paulus, der das Wort des Herrn und zugleich das Drama des inneren Widerstreits wohl kannte, rühmt Größe und Reichtum der uns von Christus geschenkten Freiheit (vgl. Gal 4, 31). Diese besteht in der Befreiung von der Knechtschaft der Sünde und des damit verbundenen Gesetzes vom Tod (vgl. Röm 6, 22; 8, 2; 2 Tim 4, 18) sowie in der Fähigkeit, nach dem Gesetz des Guten, d. h. nach dem Geist Gottes zu leben. Der Apostel stellt kategorisch fest: „Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“ (2 Kor 3, 17). Wenn damit die Freiheit das größte Geschenk Gottes an den Menschen ist, der nach Gottes Gleichnis geschaffen, also mit Vernunft und Willen begabt ist, so ist sie andererseits die kostbarste Frucht des Erlöserwerkes Christi, der dem Menschen die Möglichkeit zur inneren, selbständigen Entscheidung für das Gute geschenkt hat, auch wenn die existentielle Erfahrung das nicht immer wahrnimmt. Dieses Geschenk der Freiheit bringt also eine schwere Verantwortung mit sich: die hohe und unverzichtbare Aufgabe, dem Gesetz Gottes anzuhängen. Daher gebraucht derjenige seine Freiheit voll und ganz, der aus ihr die größte Liebe zu den Mitmenschen zu gewinnen weiß. Der hl. Paulus ist hier erneut unser maßgebender Lehrer, wenn er an die Galater schreibt: „Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe!“ (Gal 5, 13). Gestattet mir, im bisher abgesteckten Rahmen zu wiederholen, was ich in meiner ersten Enzyklika geschrieben habe: „Die Worte Christi: ,Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen', schließen eine wesentliche Forderung und zugleich eine Ermahnung ein: die Forderung eines ehrlichen Verhältnisses zur Wahrheit als Bedingung einer authentischen Freiheit; und auch die Ermahnung, daß jede nur scheinbare Freiheit, jede oberflächliche und einseitige Freiheit und jede 1248 Botschaften und Ansprachen Freiheit, die nicht von der ganzen Wahrheit über den Menschen und die Welt geprägt ist, vermieden werde“ (Redemptor hominis, Nr. 12). Der Gebrauch der Freiheit muß daher im Licht der christlichen Wahrheit und mit Hilfe der Gnade zu Liebe und Hingabe werden, muß also die Früchte des Geistes bringen, die Freude, Friede, Geduld, Wohlwollen und Güte . . . sind (vgl. Gal 5, 22). In der Sprache des hl. Augustinus möchte ich sagen: die Wahrheit hat uns frei gemacht; die Liebe muß uns nun zum gegenseitigen Dienen hinführen. 4. Die Gefahren für die Freiheit. Die christliche Freiheit, die in Wahrheit „ewige Freiheit“ ist, weil sie sich auf die Bejahung und Achtung des ewigen Absoluten, des personalen Gottes, gründet, wird freilich ständig von Irrtümem und Verhaltensweisen bedroht, die im Gegensatz zu ihren Wurzeln und zu ihrer oben dargelegten zielgerechten Dynamik stehen. Welches sind die derzeitigen Gefahren, die die christliche Freiheit bedrohen? Die Irrtümer von heute und immer, die atheistische, agnostische oder bloß aufklärerische Sicht des Lebens führen dahin, daß manchmal aus uneingestandenen Machtinteressen in den verschiedenen Institutionen der Gesellschaft die transzendenten Werte als Fundament der Freiheit und Würde des Menschen praktisch gegenstandslos werden. Kurz: eine areligiöse Sicht des Menschen und der Geschichte führt zur Verletzung des göttlichen Gesetzes und damit zum falschen Gebrauch der Freiheit. Der hl. Jakobus empfiehlt uns in der heutigen Lesung, „seid sanftmütig und nehmt euch das Wort zu Herzen“ (Jak 1, 21), d.h. den Glauben an Gott, der in Christus zu uns gekommen ist und uns erlöst hat. Diesen Glauben sollen wir immer mehr Frucht tragen lassen und daher seine konkreten Forderungen annehmen. Wenn wir den göttlichen Samen des Glaubens vernachlässigen und nur gewisse andere Auffassungen fördern, so erweisen sich diese über kurz oder lang als ungeeignet und ungenügend. In der Frucht dagegen, die aus dem Glauben reift, ist auch alles enthalten und veredelt, was von anderen - nicht falschen - Früchten stammt. Dies gilt besonders und beispielhaft für das Leben der Familie, der fundamentalen Zelle der Gesellschaft, die sich auf die Ehe gründet. Sie wurde nämlich von Jesus Christus zur Würde eines Sakramentes erhoben, um die Liebe der Ehegatten zu stärken und zu heiligen, die nach Gottes Willen von den Ursprüngen der Menschheit an ebenso wie der Bund, der sich daraus herleitet, unauflöslich und treu sein soll. „Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mk 10, 9). Der Ehebund kann und darf daher von keiner menschlichen 1249 Botschaften und Ansprachen Autorität angetastet werden, und dies gilt von der Ehe sowohl unter ihrem natürlichen wie auch unter ihrem sakramentalen Aspekt. Aus diesen Gründen kann die Kirche ihre Lehre über die Ehe und die Familie weder ändern noch verharmlosen. Sie bedauert jeden Angriff sowohl auf die Einheit der Ehe, als auch auf ihre Unauflöslichkeit, wie es bei der Ehescheidung geschieht. Die Kirche betont ferner mit aller Klarheit, daß die Ehe von ihrer Natur her offen sein muß für die Weitergabe menschlichen Lebens, wenn die Vorsehung es schenken will, und daß sie es in jedem Fall vom Augenblick der Empfängnis an zu achten hat. Hier liegt die erhabene Aufgabe, die Gott den Eheleuten anvertraut hat, nämlich die, Leben zu zeugen. Diese Aufgabe bringt höchste Verantwortung mit sich, zugleich aber auch eine unermeßliche Würde, die Gott selber garantiert. Was die Schule angeht, muß dem Jugendlichen, d. h. dem Bürger von morgen, eine Ausbildung geboten werden, die jene erhabenen, schon von den Vätern hochgehaltenen Wahrheiten berücksichtigt, in denen eine sichere und erschöpfende Antwort auf die großen Fragen des menschlichen Herzens liegt. So wird der junge Mensch von der Spirale der Angst und der Verzweiflung befreit und bekommt zugleich Sinn für den Wert des Leidens und für das mühselige Leben auf Erden. 5. Liebe Bürger von San Marino, eure Gemeinschaft muß dem idealen Erbe treu bleiben, das auf Antrieb eures Gründers hier im Verlauf der Jahrhunderte aufgebaut wurde. Immer notwendiger wird es, gerade wenn man den derzeitigen Bedrohungen der Freiheit gewachsen sein will, die Gewissen gemäß der christlichen Moral zu büden, die natürlich nicht oberflächlich und äußerlich sein darf wie jene, die Christus im heutigen Evangelium mit sehr entschiedenen Worten zurückweist (vgl. Mt 7, 21-23), sondern die auf der Achtung vor der eigenen Freiheit wie der der anderen und besonders auf der Achtung vor dem heiligen Willen Gottes, des Schöpfers und Gebers der Freiheit, gründet. Das erfordert weise, nüchterne Lebensführung und treues Gebet, vor allem Treue im gemeinschaftlichen Gebet bei der Eucharistiefeier. Möge die Zukunft von San Marino auf solchem Boden heranreifen. Ich rufe den Segen Gottes auf euren heutigen und künftigen Weg herab und empfehle euch alle dem Herrn und seiner erhabenen Gnade bei dieser Eucharistiefeier, „so werdet ihr mehr und mehr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt“ (Eph 3, 19). Amen. (O. R. 30./31. 8. 82) 1250 Botschaften und Ansprachen „Entdeckt die wahren Lebensquellen!“ Ansprache beim dritten Treffen für die Freundschaft unter den Völkern in Rimini am 29. August Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich bin sehr froh, hier unter Euch zu sein, um das 3. Treffen für die Freundschaft unter den Völkern abzuschließen. Allein schon die Worte „Begegnung“, „Begegnung in Freundschaft“, „Freundschaft unter den Völkern“ auszusprechen, erfreut das Herz. Worte, die in diesen dramatischen Stunden der Weltgeschichte besondere Bedeutung gewinnen. Ich grüße Euch deshalb mit der Freude der Psalmen und der Freude Gottes selbst: „Seht, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen“ (Ps 133, 2). 2. Vor allem, wir erleben hier eine Begegnung. Jeder von Euch konnte in diesen Tagen diese Erfahrung machen. Jeder ist nicht nur den Hunderten und Tausenden von Menschen, die die Hörsäle füllten, begegnet, sondern auch den verschiedenen Persönlichkeiten, die in diese Begegnung ihre Gedanken und ihre Kreativität eingebracht haben. Aber diese Begegnung wurde ermöglicht, ja geradezu gefordert von einer anderen Begegnung. Dieses Treffen entstand ja aus der Freundschaft einer Gruppe von Christen dieser Stadt. Wie ich mir habe sagen lassen, entstand es aus dem leidenschaftlichen Bedürfnis nach Mitteilung, schöpferischem Wirken und Dialog, das der ganz gelebte christliche Glaube stets mit sich bringt. Ja, der Glaube, der als Echo und Fortsetzung jener ersten Begegnung gelebt wird, von denen das Evangelium berichtet, der Glaube, den man als Gewißheit und Forderung der Gegenwart Christi in jeder Lebenslage und bei jeder Gelegenheit erlebt, befähigt dazu, dem Menschen neue Lebensformen zu schaffen, er nährt das Bedürfnis, sich einander mitzuteilen, sich kennenzulemen, zu begegnen und zu entfalten. Die Begegnung mit Christus, die sich ständig im sakramentalen Gedächtnis seines heiligen Todes und seiner Auferstehung erneuert, befähigt und drängt zur Begegnung mit den Brüdern und Schwestern und mit allen Menschen. Mit Recht kann man als Stimme Eurer Bemühung die Worte des hl. Paulus an die Thessalonicher wiederholen: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ (I Thess 5, 21). Es freut mich, daß Eure Initiative ein Ausdruck der Vitalität der katholischen Laien Italiens ist: eine solche Laienschaft, „verantwortungsbewußt 1251 Botschaften und Ansprachen und aktiv, ist ein unschätzbarer Reichtum für jede Ortskirche“, wie ich den Bischöfen Liguriens am 8. Januar d. J. sagte (AAS 74, 1982, 396). Eine verantwortungsbewußte Laienschaft ist sich der Gemeinschaft bewußt, die sie mit Christus und der Kirche verbindet, sie ist aktiv, d. h., sie möchte in der Freiheit ihrer Initiativen die Schönheit und Menschlichkeit dessen ausdrücken, was sie erfahren hat. Das ist die gute Seite dieser Begegnung. 3. In diesem Jahr habt Ihr Eure Aufmerksamkeit auf ein besonders anregendes Thema konzentriert: „Die Kraftquellen des Menschen.“ Wollen wir gemeinsam darüber nachdenken? Allgemein zählt zu den Kraftquellen des Menschen alles, was ihm bei seinem Bemühen, sich am Leben zu erhalten und die Erde zu beherrschen, hilft. Die Dinge werden aber in Wahrheit nur dann zu Kraftquellen des Menschen, wenn der Mensch durch die Arbeit an sie herankommt. Durch seine Arbeit beherrscht der Mensch die Natur und stellt alle Dinge in seinen Dienst. Durch die Arbeit trägt der Mensch Sorge für die Erde, gebraucht ihre Reichtümer für sein Leben und verbessert und schützt zugleich die Erde. Mit Freuden stelle ich daher fest, daß Euer Thema vor allem auf die große derzeitige Sorge der Kirche um die menschliche Arbeit Bezug nimmt, die auch in meiner kürzlich veröffentlichten Enzyklika Laborem exercens zum Ausdruck kommt. Der Mensch tritt nämlich nur durch sein Inneres mit der äußeren Wirklichkeit in Beziehung. Der innere Reichtum seines Geistes und seines Herzens gestattet ihm, sich über die Dinge zu erheben und sie zu beherrschen. Der Mensch gilt nicht durch das, was er hat, sondern durch das, was er ist. Daher wird es nötig, besonders gründlich über die entscheidende Kraftquelle des Menschen, nämlich die Arbeit, nachzudenken, um das selbstlose, reine, nicht zweckgebundene Moment zu begreifen, das der menschlichen Arbeit zugrundeliegt und ihr Bedeutung gibt. 4. Das ist freilich verbunden - und damit gehen wir einen Schritt weiter -mit einer anderen grundlegenden Kraftquelle des Menschen: der Familie. Der Mensch arbeitet, um für sich selbst und für seine Familie den Unterhalt zu beschaffen. Wenn arbeiten Sorge für das Leben bedeutet, in Zusammenarbeit mit Gottes Schöpferwirken, dann wird dieser allgemeine Grundsatz für den Großteil der Menschen in der Tatsache anschaulich und existentiell konkret, daß er durch seine Arbeit für die Person seiner Angehörigen Sorge trägt. Wenn es wahr ist, daß der Mensch wie alle Lebewesen den Selbsterhaltungstrieb spürt, dann ist ebenso klar, daß es ungerecht wäre, an den Anfang der Arbeit nur Nützlichkeitsdenken und Egoismus zu stellen. Auch der Selbsterhaltungstrieb existiert im Men- 1252 Botschaften und Ansprachen sehen in einer eigentlich menschlichen Form, er ist auf die Person bezogen und meint den Willen, als Person zu existieren, den Willen, den Wert der Person in sich selber und in den anderen zu wahren, angefangen bei den eigenen Angehörigen. Diese Tatsache zeigt die Grenze einer jeden rein zweckgebundenen und von der Wirtschaft bestimmten Deutung der menschlichen Arbeit auf. Die Arbeit, durch die der Mensch die Natur beherrscht, ist ein Werk der ganzen Gemeinschaft der Menschen durch alle ihre Generationen hindurch. Jede Generation hat die Aufgabe, für die Erde Sorge zu tragen, um sie den kommenden Generationen als bewohnbar für den Menschen zu überlassen, möglichst immer besser bewohnbar. In diesem Zusammenhang möchte ich, wenn auch nur am Rande, daran erinnern, daß dann, wenn man das Band der Solidarität, das die Menschen untereinander und mit den kommenden Generationen verbinden muß, zerreißt, die Sorge für die Erde zu kurz kommt. Die Umweltkatastrophe, die heute die Menschheit bedroht, hat also ihre tiefe ethische Wurzel in der Vernachlässigung der wahren Natur der menschlichen Arbeit und zumal deren subjektiver Bedeutung, deren Wertes für die Familie und die Gesellschaft. Es ist Aufgabe der Kirche, die Aufmerksamkeit der Menschen auf diese Wahrheit zu lenken. 5. Doch es gilt, noch tiefer nachzudenken. Die wenn auch heiligen und erstrangigen Kraftquellen, die der Mensch in sich selber trägt: in seiner Natur, in seiner Würde als Bild und Gleichnis Gottes (vgl. Gen 1, 27). Dem Menschen sind sie in das Wesen seiner Persönlichkeit eingeprägt. Noch immer kommen einem hier die Worte des großen hl. Augustinus in den Sinn, dessen Fest wir gestern gefeiert haben: „Herr , du hast uns für dich geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir“ (Bekenntnisse 1, 1). Ja, hebe Brüder und Schwestern. Wir sind für den Herrn geschaffen, der uns das unsterbliche Siegel seiner Macht und Liebe eingeprägt hat. Hier brechen die großen Kraftquellen des Menschen auf und sie finden nur in Gott ihre Schutzwehr. Der Mensch ist groß durch seinen Verstand, durch den er sich selbst, die anderen, die Welt und Gott erkennt; der Mensch ist groß durch seinen Wißen, durch den er sich in der Liebe hingeben kann bis zum äußersten Heroismus. Auf diese Kraftquelle gründet sich das unauslöschliche Streben des Menschen: sein Streben nach Wahrheit (Leben des Geistes) und sein Streben nach Freiheit (Antrieb des Willens). Hier erreicht der Mensch seine unvergleichliche Größe, die niemand zertreten, verhöhnen oder ihm nehmen kann: die Größe des „Seins“, von der ich eben sprach. Dieser dem Menschen eigene Wert, durch den jeder 1253 Botschaften und Ansprachen Mensch wahrhaft Mensch ist, bildet die Grundlage der Kultur: vor allem in der Kultur werden die wesentlichen Schätze des Menschen sichtbar, wie ich es am Sitz der UNESCO (am 2. Juni 1980) in Paris formuliert habe: „Der Mensch lebt nur dank der Kultur ein wahrhaft menschliches Leben . . . Kultur ist das, wodurch der Mensch als solcher mehr Mensch wird, mehr Mensch ,ist‘, besser zum ,Sein‘ gelangt ... Die Kultur steht immer in wesentlicher und notwendiger Beziehung zu dem, was der Mensch ist, während ihre Beziehung zu dem, was er hat, zu seinem ,Haben, nicht nur zweitrangig, sondern völlig relativ ist . . . Im Bereich der Kultur ist der Mensch immer die Hauptfigur: Der Mensch ist das wesentliche und fundamentale Faktum der Kultur. Und der Mensch ist dies immer in seiner Totalität: in der integralen Ganzheit seiner geistigen und materiellen Subjektivität. Wenn auch die Unterscheidung zwischen geistiger und materieller Kultur im Hinblick auf den Charakter und den Gehalt der Werke, in denen sich die Kultur manifestiert, richtig ist, so müssen doch gleichzeitig zwei Feststellungen getroffen werden: Auf der einen Seite lassen die Werke der materiellen Kultur immer eine ,Vergeistigung der Materie, eine Unterwerfung des materiellen Elements unter die geistigen Kräfte des Menschen - seine Vernunft und seinen Willen -erkennen; andererseits stellen die Werke der geistigen Kultur auf eine ihnen eigene Weise eine ,Materialisation des Geistes, eine Inkarnation des Geistigen dar“ ( Wort und Weisung 1980, S. 224-226). So wird also die Kultur zum Fundament der Fähigkeit des Menschen, alle seine Kraftquellen zu entdecken und zu entfalten, jene, die seinem geistigen und jene, die seinem materiellen Sein zugehören. Doch muß er sie zu entdecken wissen! Er darf sie nicht zerstören. Brüder und Schwestern, denkt an die ungeheure Verantwortung, die Euch auferlegt ist. Werft sie nicht weg und mißachtet sie nicht! Um das zu tun, braucht Ihr alle Eure Kräfte. Vor allem aber braucht Ihr Ihn, der die Kraft Gottes und des Menschen ist: „Christus, die Kraft und Weisheit Gottes“ (1 Kor 1, 24). 6. Damit sind wir nun am Brennpunkt angelangt, den man bei unserer Frage nicht umgehen kann. Die größte „Kraftquelle“ des Menschen ist Christus, der Sohn Gottes und Menschensohn. In ihm zeigen sich die Umrisse des neuen Menschen in seiner ganzen Fülle, des Menschen schlechthin, verwirklicht. In Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, enthüllt sich dem Menschen die Möglichkeit und die Weise, wie er seine ganze Natur in tiefer Einheit annehmen kann. Hier haben wir sozusagen das einigende Band Eures Treffens vor uns, das ja den Kraftquellen des Menschen gewidmet ist; hier zeigt sich die Leitlinie der 1254 Botschaften und Ansprachen verschiedenen Punkte Eures Arbeitsprogramms: der auferstandene Christus als unerschöpfliche Lebensquelle des Menschen. Christus, die Kraftquelle des Menschen: dieses Motto habt Ihr ja über die Eucharistiefeier gestellt. Es war nicht unter seiner Würde, Menschennatur anzunehmen, und er hat das nicht nur theoretisch getan, sondern „er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave ... er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ {Phil 2, 7-8). Die Menschheit Christi ist durch das Geheimnis des Kreuzes und der Auferstehung der Ort geworden, wo der von der Sünde besiegte, aber nicht vernichtete Mensch seine eigene Menschheit wiedergefunden hat. Im Bewußtsein dieser einmaligen und unwiederholbaren Erfahrung ihres Stifters konnte die Kirche sich durch den Mund Pauls VI. als „Expertin in Menschlichkeit“ nennen. Unter diesem auf die Autorität des Meisters gegründeten und von ihrer zweitausendjährigen Existenz untermauerten Namen steht die Kirche heute auf dem Schauplatz der Geschichte mit dem Wunsch, dem Menschen erneut den Kern ihrer Botschaft nahezubringen: Christus als Erstling und Wurzel des neuen Menschen. Im übrigen habt Ihr gerade hier in Rimini das lebendige Zeugnis von Menschen erlebt, die sich in Ausübung ihres Berufes ganz Christus hingegeben haben und deren Beispiel noch immer weiter ausstrahlt: des Ingenieurs Alberto Marvelli, dessen Seligsprechungsprozeß eingeleitet ist, und des Dr. Igino Righetti, Mitarbeiter Msgr. Montinis, des künftigen Papstes Paul VI. seligen Andenkens, und mit ihm zusammen Gründer und erster Präsident des Katholischen Akademikerverbandes. Zwei Laien, zwei Apostel, zwei Menschen, die wußten, wie man die Kraftquelle, die Christus ist, findet. Sie haben ihn für sich selber gewonnen, in ihrem Innern, im Gebet und im sakramentalen Leben, und sie haben ihren Mitmenschen ein Beispiel und einen Appell hinterlassen. 7. Von Christus als Kraftquelle des Menschen zu sprechen, heißt bezeugen, daß auch heute die wesentlichen Elemente der Zivilisation tatsächlich bewußt oder unbewußt vom Christusereignis her bestimmt sind, das von der Kirche täglich als Botschaft verkündet wird. Der Mensch von heute ist ernsthaft damit beschäftigt, sein Verhältnis zu der Welt, die ihn umgibt, neu zu bestimmen; er tut es durch Wissenschaft und Technik. Er möchte immer neue Schätze entdecken, die sein Leben und das Zusammenleben der Völker erleichtern. Er möchte einen Prozeß in Gang setzen, der nach der Absicht aller friedfertig sein soll und zugleich seine schöpferische Freiheit zum Ausdruck kommen läßt. Trotzdem ist der Friede heute schwer bedroht, Wissenschaft und Technik sind dabei, 1255 Botschaften und Ansprachen ein Ungleichgewicht voll negativer Folgen für das Verhältnis von Mensch zu Mensch, von Mensch und Natur, zwischen den verschiedenen Nationen herbeizuführen. Von diesem Widerspruch, der, weil strukturell mit dem Geheimnis der Bosheit verbunden, unaufhaltsam scheint, muß sich der Blick daher notwendig zum Urheber unseres Heils erheben, damit eine aus der Wahrheit und Liebe geborene Gesellschaft entsteht. Eine Gesellschaft im Zeichen der Liebe! Sonst geraten wir in Todesangst, gehen in zügellosem Egoismus zugrunde oder in blinder Unzugänglichkeit für den Schmerz der anderen. Brüder und Schwestern, baut unermüdlich diese Gesellschaft auf! Diesen Auftrag gebe ich Euch heute: Arbeitet dafür, betet dafür, leidet dafür! Mit diesem Wunsch segne ich Euch alle im Namen des Herrn. (O. R. 30.131. 8. 82) Das Problem von Gut und Böse überdenken Predigt bei der Eucharistiefeier in Rimini am 29. August 1. „Wer darf Gast sein in deinem Zelt, wer darf weilen auf deinem heiligen Berg?“ (Ps 15, 1). So fragt in der heutigen Liturgie der Psalmist den Gott Israels und Gott des Bundes. Und auf diese Frage erhält er die Antwort: - Siehe, auf deinem heiligen Berg darf weilen, „wer makellos lebt und das Rechte tut; wer von Herzen die Wahrheit sagt und mit seiner Zunge nicht verleumdet“ (2-3). - Auf deinem heiligen Berg, im Zelt Gottes, darf wohnen, „wer seinem Freund nichts Böses antut und seinen Nächsten nicht schmäht, wer den Verworfenen verachtet, doch alle, die den Herrn fürchten, in Ehren hält“ (3-4). - Auf deinem heiligen Berg, im Zelt Gottes, darf wohnen, „wer sein Versprechen nicht ändert; wer sein Geld nicht auf Wucher ausleiht und nicht zum Nachteil des Schuldlosen Bestechung annimmt“. „Wer so handelt“, schließt der Psalmist, „wird niemals wanken“ (4—5). Es gibt also zwei Maßstäbe, mit denen der Psalmist die Werke des Menschen bewertet: Der erste ist das menschliche Gewissen, das mittels 1256 Botschaften und Ansprachen der inneren Stimme Gut und Böse zu unterscheiden sucht; der zweite ist in Gott, im Bild des heiligen Berges, den jeder Mensch, von Gott geführt und gleichzeitig vom eigenen Gewissen gerufen, auf Geheiß seiner Gebote besteigt. Er steigt auf im Maß seiner gerechten und würdigen Werke. Im umgekehrten Fall steigt er ab, und für ihn ist kein Platz im heiligen Zelt Gottes. 2. So spricht die Liturgie des heutigen Sonntags zu uns allen hier, zu den Einwohnern von Rimini, aus der Diözese und dem Umland. So spricht sie zu allen hier, aus den verschiedenen Teilen Italiens und den verschiedenen Ländern Europas. Rimini ist ein bekanntes Touristenzentrum, vor allem im Sommer. Der Antwortpsalm der heutigen Liturgie wird so ein besonderer Gruß an alle und jeden. (Die folgenden Worte sagte der Papst in deutscher Sprache und wiederholte sie in Französisch und Englisch:) Willkommen, wer hinauf will auf den heiligen Berg des Herrn! Willkommen ihr alle, die ihr euch zu diesem Gottesdienst eingefunden habt! (Dann fuhr er in Italienisch fort:) Mit besonderer Liebe grüße ich Bischof Locatelli, die Priester, die Ordensleute und Pastoralarbeiter, die Zivübehörden und alle, die ich erreiche. Alle, die hergekommen sind, um an dieser Abendmesse teilzunehmen, mögen die Aufforderung und den Ruf, den heiligen Berg zu besteigen, in das Haus des Herrn zu kommen, tief in ihr Herz aufnehmen. Das Leben verläuft Tag für Tag zwischen Beschäftigung und Zerstreuung, zwischen Ruhe und Kontakt mit der Natur - hier mit dem schönen Adriatischen Meer - . . . und diese Aufforderung, dieser Ruf prägen sich ständig unserem ganzen Dasein ein. Die Aufforderung zur Begegnung mit Gott dringt in das Innerste des Menschen, spricht in seinem Gewissen. Je mehr der Mensch mit ihr lebt, je tiefer sie ihn durchdringt, je mehr ihm die Einladung auf den heiligen Berg, in das Haus Gottes, bewußt wird, desto weniger verläßt er sich selbst. Er identifiziert sich tiefer mit dem, was jeder ist und was jeder am Ende erwartet. 1257 Botschaften und Ansprachen Deshalb grüße ich euch mit dieser Aufforderung, hebe Brüder und Schwestern. Dank dafür, daß ihr gekommen seid. Ich selbst bin gekommen, um mit euch im Sinn des liturgischen Psalms zusammenzutreffen und eine Antwort auf den Ruf Gottes zu geben, der in jedem von euch wirksam ist. Wir müssen uns als Christen begegnen, in der Eucharistie. Auch wenn wir uns nur flüchtig kennen, müssen wir uns „beim Brotbrechen“ erkennen (Lk 24, 35). 3. „Denn welche große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie unser Gott uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen?“(Z)t 4, 7). Eucharistie feiern heißt, die Nähe Gottes bezeugen. Man könnte sagen: die durchdringende Nähe Gottes! Des Gottes, der auf seinem heiligen Berg wohnt, des Gottes, zu dem wir mit unserem ganzen Dasein hinpilgem, gehorsam gegen unser Gewissen die Werke unseres Lebens erfüllend und gleichzeitig ihm ganz nah. Nahe in Brot und Wein, die wir mit dem Mund empfangen, um mit Herz und Seele ihn, den lebendigen Gott, zu empfangen. „Und welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsnormen, die so sachgemäß sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege?“ (Dt 4, 8). So fragt Mose die Israeliten, die aus der Knechtschaft Ägyptens zum verheißenen Land wandern. Und ähnlich sagt Christus mit Hinweis auf das Evangelium der Gnade und der Liebe: „Hört mir alle zuundbegreift, was ich sage: Was in den Menschen hineinkommt, kann ihn nicht unrein machen“, nein, „alles Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein“ (Mk 7, 14 f., 23). 4. So sind wir denn im Angesicht der Eucharistie, im Angesicht Gottes, der uns so durchdringend nah ist, noch einmal aufgefordert, das Problem von Gut und Böse zu überdenken. Vielleicht weü es unseren Wünschen widerspricht. Vielleicht sind wir an diesen Ort der Erholung gekommen, um diesem Problem zu entgehen, um das Gute zu vergessen und besonders das Böse, das in uns selbst und der Welt ist. Aber der Mensch kann auf keine Weise sich selbst entfliehen. Er kann sich nicht von der Welt trennen, in keiner Form und auf keine Weise. Sich erholen kann nicht heißen, sich von sich selbst trennen. Ja, erholen heißt, sich selbst begegnen und sich mit seinem Innern versöhnen. Nur so erholen wir uns wirklich. Die Aufforderung Christi führt uns zur Eucharistie hin. Nur wenn wir an der Eucharistie teilnehmen, können wir über Gut und Böse nachdenken, ohne den Mut zu verlieren, und in der Hoffnung wachsen. 1258 Botschaften und Ansprachen 5. Überdenken wir noch einmal mit größerer Aufmerksamkeit, was die Welt ist, von der das Wort der Liturgie am heutigen Sonntag spricht. Es ist die Welt, in der das Gute vom Bösen getrennt ist und ihm entgegensteht durch Gottes eigenen Willen. Dieser Wille drückt sich in den Worten des Mose in der ersten Lesung aus: „Israel, höre die Gesetze und Rechtsnormen, die ich euch zu halten lehre ... Ihr sollt dem Wortlaut dessen, worauf ich euch verpflichte, nichts hinzufügen und nichts davon wegnehmen . . . Ihr sollt auf sie achten und sollt sie halten. Denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker“ (Dt 4, 1—2. 6). Das Gute steht dem Bösen und das Böse dem Guten entgegen nach Gottes eigenem Willen. Der einzige Ort in der Welt, wo dieser Gegensatz erfahrbare Wirklichkeit wird, ist das Innere des Menschen. Christus sagt: „Von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch . . .“ (Mk 7, 21-22), , und er zählt noch mehr Übertretungen und Sünden auf. Der Mensch ist also gerufen, sein Inneres zu beurteilen, sein Herz zu erforschen und in sich ein reifes Gewissen zu formen. Wenn der Mensch auf den heiligen Berg gerufen wird, wenn er zur Eucharistie eingeladen wird, dann ist in dieser Einladung gleichzeitig der Appell enthalten, sein Inneres mit dem Blick des Glaubens und im Licht des Evangeliums zu prüfen. Gott steht in so durchdringender Weise neben jedem von uns, damit in uns allen das Böse vom Guten getrennt und beseitigt wird, so daß das Gute wächst und tiefere Wurzeln schlägt. 6. Ja, die Wirklichkeit, die uns die Worte der heutigen Liturgie vorstellen, ist die Welt des Guten und Bösen. Das Böse steht dem Guten, das Gute steht dem Bösen entgegen, und das im Menschen selbst. Trotzdem verkündet die Liturgie von heute gleichzeitig den Vorrang des Guten. So lesen wir: „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben, vom Vater der Lichter, bei dem es keine Veränderung und keine Verfinsterung gibt“ (Jak 1, 17). Ja, bei Gott gibt es keine Veränderung und keinen Wechsel. Hier gibt es keinen Widerspruch von Gut und Böse. Gott ist das Gute selbst. 1259 Botschaften und Ansprachen Die Liturgie von heute fordert uns nicht nur auf, über das Problem von Gut und Böse im Menschen und der Welt nachzudenken. Sie fordert uns auf, die ganze Wirklichkeit - die des Menschen und der Welt - im Licht Gottes zu betrachten! Dann bestätigt sich der Vorrang des Guten. Gott ist wirklich das Gute selbst. Gott ist die Gnade. Siehe, „aus freiem Willen hat er uns durch das Wort der Wahrheit geboren, damit wir gleichsam die Erstlingsfrucht seiner Schöpfung seien“ {Jak 1, 18). Gott ist der Vater der Gnade. Und Gott ist in dieser Gnade der Vater des Menschen. Wir müssen also den Menschen und die Welt, in der der Mensch lebt, im Licht Gottes betrachten. 7. Dann legen wir jene „Kraftquellen“ des Menschen frei, von denen in den vergangenen Tagen gerade hier in Rimini so viel gesprochen wurde. Das war eine sehr richtige Initiative in tiefer Übereinstimmung mit dem Wort der heutigen Eucharistiefeier. In Zeiten wachsender Spannung zwischen Gut und Böse muß der Mensch und muß die Welt im Bück auf den Primat des Guten betrachtet werden. Dieser Blick muß sich nicht nur allen, die an dem Treffen von Rimini teilgenommen haben, sondern allen, die an der Eucharistie teilnehmen, mitteilen: den Bewohnern von Rimini und allen, die hierhergekommen sind. Der Mensch kann dem Schrecken des Bösen nur dann begegnen, ja das Böse überwinden, wenn er in sich das Zeugnis vom Primat des Guten stärkt. Dieses Zeugnis gibt uns ein für allemal Christus. Aus diesem Zeugnis fließen außergewöhnliche Kraftquellen des Menschen. 8. Und deshalb erlaubt mir, zum Schluß die Worte des hl. Apostels Jakobus zu wiederholen, die wir eben gehört haben: „Nehmt euch das Wort zu Herzen, das in euch eingepflanzt worden ist und das die Macht hat, euch zu retten . . . Hört das Wort nicht nur an, sondern handelt danach, sonst betrügt ihr euch selbst“ {Jak 1, 21-22). Die Aufforderung, die ihr gehört habt, möge zur Erneuerung eurer Religiosität beitragen, im ontologischen wie im ethischen Sinn. Nach den Worten des gleichen Apostels Jakobus sei eure Frömmigkeit „ein reiner und makelloser Dienst vor Gott, dem Vater, der darin besteht, für Witwen und Waisen zu sorgen, wenn sie in Not sind“ (1, 27). Wieviel Leid ist in 1260 Botschaften und Ansprachen der heutigen Welt, und wie viele Menschen gibt es, unsere Brüder und Schwestern, die an der Last dieses Leids tragen! Diese „reine und makellose Frömmigkeit“ könnte man in moderner Sprache so definieren: ein ontologisch und ethisch reifes Christentum, das sich „vor jeder Befleckung durch die Welt bewahrt“ (ebd.). Muß man also noch von der Furcht vor der Welt, von Weltflucht sprechen? Nein. Notwendig ist nur, uns bewußt zu bleiben, daß der Vater „aus freiem Willen uns durch das Wort der Wahrheit geboren hat“ (Jak 1, 18). Und er hat uns in der Welt geboren, „damit wir gleichsam die Erstlingsfrucht seiner Schöpfung seien“ (ebd.). Deshalb möge sich in der ganzen Schöpfung, auch in der schwierigen Welt von heute, durch unseren Glauben und unseren Dienst der Primat des Guten erneuern! (Dann sagte der Papst noch in deutscher Sprache und wiederholte seine Worte in Französisch und Englisch:) Liebe Mitchristen deutscher Sprache! Die biblischen Texte der Eucharistiefeier, die uns hier versammelt hat, ließen mich über den Gegensatz zwischen Gut und Böse sprechen. Dieser ist im Urlaub genauso aktuell wie zu Hause. Denn nur in der Entschlossenheit zum Guten bin ich ganz ich selbst. Und in dieser Entschlossenheit erfahre ich Gott, der mich zum Guten verpflichtet und der mir zum Guten hilft. In ihm sind wir stärker als alles Böse! (O. R. 30./31. 8. 82) „Kehrt um und glaubt — erneuert die Welt“ Botschaft zum 87. Deutschen Katholikentag in Düsseldorf, per Lautsprecher übertragen beim Eröffnungsabend am 1. September Verehrte Mitbrüder, hebe Brüder und Schwestern! Gnade und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus sei mit Euch! Verbunden im gemeinsamen Zeugnis des Glaubens grüße ich zur Eröffnungsfeier des 87. Deutschen Katholikentages in Düsseldorf Dich, meinen gebebten Bruder, Joseph Kardinal Höffner, als 1261 Botschaften und Ansprachen den Oberhirten der gastgebenden Diözese und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Ich grüße Deine Mitbrüder im Bischofsamt und Euch alle, Brüder und Schwestern, die Ihr zu dieser Gemeinschaft des Glaubens in Gebet und Feier, in Gespräch und Begegnung zusammengekommen seid. Ich erinnere mich in dieser Stunde dankbar an meinen Besuch bei Euch vor zwei Jahren, an das Erlebnis des Glaubens und lebendiger Gemeinschaft, das ich von hier mitgenommen habe, und an die Herzlichkeit, mit der Ihr mich in Eurer Mitte aufgenommen habt. Wie ich Euch damals in Fulda ermutigt habe, einen neuen Anfang des Christentums in Eurem Land zu setzen, so möchte ich es auch heute tun. Mit dem Leitwort des Katholikentages rufe ich Euch zu: „Kehrt um und glaubt - erneuert die Welt!“ Macht einen neuen Anfang im Vertrauen auf Gottes Zusage und Treue! „Kehrt um!“ - Das ist der Bußruf der Propheten im Alten Bund, der Ruf Johannes’ des Täufers am Jordan, das ist die erste Forderung Christi am Beginn der Verkündigung seiner Frohen Botschaft. Nur wer sich unter dem Anruf Gottes neu besinnt und sich seinem richtenden Wort stellt, vermag menschliche Irrwege, Fehlformen im gegenseitigen Verhalten, Sünde und Schuld zu erkennen, vermag umzukehren und wieder neu aufzubrechen. Umkehr besagt persönliche Hinwendung zu Gott auf dem Weg, den Christus uns gewiesen hat und der er selber ist; besagt die gläubige Annahme seines richtungweisenden Wortes. „Kehrt um und glaubt!“ - Ein Glaube, in dem sich Umkehr ereignet und Freundschaft mit Christus gelebt wird, kann den Menschen, die Kirche und die Welt in der Tiefe, das heißt von innen her, aus der Kraft des Geistes erneuern. Unser Einsatz als Christen für die Welt, für Gerechtigkeit und Frieden und für brüderüche Solidarität unter den Menschen entspringt unserem lebendigen Bekenntnis zu Christus und unserer mitverantwortlichen Teilnahme an seiner Sendung zum Heil der Menschen. Gewinnt, liebe Brüder und Schwestern, die Freude am Glauben zurück; denn „die Freude am Herrn ist unsere Stärke“ (Neh 8, 10). Erneuert Euren Glauben an Christus und an seiner Frohen Botschaft! In ihm ist Gottes liebendes Ja zu dieser Welt und zum Menschen unter uns sichtbar und greifbar geworden; in ihm wird es uns fortwährend angeboten. Tragt das Licht des Evangeliums zu den Menschen unserer Zeit! Es zeigt Auswege aus den Sackgassen auf, in die die Menschheit geraten ist. Gerade die jungen Menschen unter Euch, die mit ihrem Drängen nach mehr Gerechtigkeit, Freiheit und Friede, nach mehr Menschlichkeit und Liebe in dieser Welt den Katholikentag ganz wesentlich mitprägen, rufe 1262 Botschaften und Ansprachen ich auf: Ergreift die Alternative eines Lebens aus dem Geist Christi und gebt seine Frohe Botschaft selber weiter durch den Einsatz Eurer besten Kräfte für Christus und den Dienst an den Mitmenschen. Unser Glaube hat sich im konkreten Zeugnis und in Werken der Liebe zu bewähren. Wenn die heutige Generation voll Ungestüm nach authentischen Werten und Modellen der Lebensgestaltung sucht, sollen wir Christen ihr aus der Kraft unseres Glaubens und unserer Hoffnung eine überzeugende, verständliche Weisung mit auf den Weg geben. Wenn sich aus Angst vor der Zukunft oder aus kurzsichtigem Egoismus eine lebensfeindliche Atmosphäre breitmacht, dann vermittelt Ihr den Menschen Mut zum Leben und schützt die Würde des Menschen in allen Phasen seiner Existenz! Wo die Grenzen des Wachstums und die krasse Ungleichheit zwischen Nord und Süd immer mehr bewußt werden, da entwickelt selbst einen neuen Lebensstil und eine Gemeinschaft brüderlichen Teilens! Wenn die Weltsituation angesichts totalitärer Ideologien und eines erschreckenden Rüstungswettlaufs immer bedrohlichere Formen annimmt, sollt Ihr Euch an Eurem jeweiligen Platz um politisch verantwortliche Wege der friedlichen Konfliktlösung bemühen. Tretet ein für die Vorbedingungen des Friedens: Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit! Nehmt einander an, wo Ihr auch als Christen meint, verschiedene konkrete Wege beschreiten zu müssen! Wenn trotz Fortschritt und Wohlstand einzelne oder ganze Gruppen in Eurem Land in Randsituationen leben müssen: beweist gerade gegenüber den Euch Nächsten, daß christliche Liebe konkret ist und keine Grenzen keimt! Laßt die Arbeitslosen nicht im Stich, drängt die Ausländer nicht an den Rand, überseht nicht die behinderten und kranken Menschen und entdeckt die verschiedenen Formen von Einsamkeit und Armut auch in Eurer Gesellschaft! Wenn so viele unserer Glaubensbrüder und -Schwestern in der ganzen Welt um ihres Glaubens willen bedrängt und um der Gerechtigkeit willen verfolgt sind, vergeßt sie nicht im Gebet und tretet für ihre Rechte ein! Nützt Eure Freiheit und Wirkungsmöglichkeit als Chance für Euch und als Hilfe für die anderen! Wir erinnern uns voll Dankbarkeit der vielen Initiativen, durch die die Bevölkerung, besonders auch die Kirche, in Eurem Land in den vergangenen Jahren notleidenden Mitmenschen, Unterdrückten und Verfolgten in aller Welt in Wort und Tat großzügig Beistand geleistet haben. Auf ganz persönliche Weise danke ich Euch in dieser Stunde für die menschliche Solidarität mit meiner polnischen Heimat. Liebe Brüder und Schwestern! Katholikentage haben in ihrer Geschichte wichtige kirchliche und gesellschaftspolitische Marksteine gesetzt. Auch 1263 Botschaften und Ansprachen auf diesen Katholikentag richten sich große Hoffnungen und Erwartungen. Sucht ihnen zu entsprechen, indem Ihr Euch im Sinne Eures Leitwortes um einen neuen Anfang bemüht! Ein jeder beginne bei sich selber! Stellt Euch ganz persönlich dem Aufruf Jesu zu Umkehr und Glaube! Geht mutig auf die Herausforderung unserer Zeit ein! Dann werden von diesen Tagen echte Impulse der Erneuerung für Kirche und Gesellschaft ausgehen. Bezeugt zusammen mit den teilnehmenden Glaubensbrüdern und -Schwestern aus anderen Ländern und mit den Mitchristen aus anderen Kirchen und christlichen Gemeinschaften Euren gemeinsamen Glauben an unseren Herrn Jesus Christus. Schreitet vertrauensvoll voran auf dem Weg zur Einheit, damit sich durch den Beistand des göttlichen Geistes ein neues Pfingstfest vorbereiten kann. „Kehrt um und glaubt - erneuert die Welt!“ Auf daß Gottes Gnade Euch dazu befähige und der Katholikentag Euch dafür reiche Anregung und Hilfe biete, begleite ich Eure gemeinsame Glaubensfeier mit meinem besonderen Gebet und segne Euch von Herzen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. JOANNES PA UL US PP. II (O.R. 3. 9. 82) Vorrang der Suche nach Gott Predigt bei der Eucharistiefeier vor der Kirche zum Hl. Kreuz des Kamaldulenserklosters in Fonte Avellana am 5. September „Dann werden die Augen der Blinden geöffnet, auch die Ohren der Tauben sind wieder offen. Dann springt der Lahme wie ein Hirsch, die Zunge des Stummen jauchzt auf“ (Jes 35, 5-6). 1. Mit der Schilderung dieser erfreulichen Szenen, die uns der Prophet vor Augen stellt, um die Glückseligkeit der messianischen Zeit anzukündigen, wende ich mich an euch, hebe Brüder und Schwestern, um euch meinerseits tiefe Freude darüber zu bekunden, daß ich heute mit euch die Eucharistie feiern kann im Angesicht dieser altehrwürdigen Kirche zum Hl. Kreuz in Fonte Avellana, die mit ihren klaren, einfachen Linien, aus festem Felsgestein erbaut, im Herzen des Menschen den Sinn für das Ewige und die Gewißheit der himmlischen Dinge weckt. Schon die Unberührtheit der mystischen Landschaft, von der diese berühmte Einsiedelei umfangen wird, ist von solcher Art, daß sie die Seele auf die 1264 Botschaften und Ansprachen Meditation und auf die Anbetung Gottes vorbereitet, dessen unermeßliche Vollkommenheit sich in den Schönheiten der Schöpfung widerspiegelt. Ich bin gekommen, um an diesem Brunnen der Spiritualität, in dieser Atmosphäre, wo alles auf die Werte des Geistes hinweist, meinen Durst zu stillen. Hier wo Stille und Frieden herrschen, spricht Gott zum Herzen des Menschen. Mit aufrichtiger Liebe grüße ich die Kamaldulenserkommunität, allen voran ihren Generalprior, Pater Benedetto Calati; ich begrüße Kardinal Palazzini und alle anwesenden Bischöfe, besonders Msgr. Constanzo Micci, der als Ortsbischof diesen Besuch gleichfalls so sehr herbeigesehnt hat; voll Hochachtung begrüße ich die politischen und zivilen Autoritäten der Region Marken und der Provinz. Ich begrüße alle Gläubigen und Püger, die sich hier eingefunden haben, um ein Zeugnis ihres christlichen Glaubens zu geben und ihre Anhänglichkeit gegenüber dem Nachfolger Petri zum Ausdruck zu bringen. Allen sage ich: Gelobt sei Jesus Christus! 2. Im Mittelpunkt des heutigen Evangeliums steht die Gestalt des Taubstummen, der geheilt wird. Jesus „nahm ihn beiseite, von der Menge weg, legte ihm die Finger in die Ohren und berührte dann die Zunge des Mannes mit Speichel; danach bückte er zum Himmel auf, seufzte und sagte zu dem Taubstummen: Effata!, das heißt: öffne dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit, und er konnte richtig reden“ (Mk 7, 33-35). Als Jesus dieses Wunder vollbringt, nimmt er mit einer bezeichnenden Geste den taubstummen Mann und führt ihn weg von der Menge: dort gibt er ihm die Gesundheit zurück! Das „Effata“, d. h. die fruchtbarste Art und Weise, sich Christus zu öffnen und das Heü, die Rettung zu erlangen, geschieht immer in der sehr persönlichen Begegnung zwischen dem Menschen und Gott. Um zum wahren Jünger Christi zu werden, muß man sich zurückziehen können, sich von ihm berühren lassen und sich seinem Wort, seinen Weisungen und seiner heilbringenden Gnade öffnen. Mir will scheinen, daß in der Berufung der Kamaldulenser, die im Laufe der Jahrhunderte in Fonte Aveüana eine ihrer klarsten und beständigsten Orientierungspunkte gefunden hat, das „Effata“ Christi in besonderer Weise seine Erfüllung erlangt, weil die Mönche sich entschüeßen, sich in die Stille und Einsamkeit zurückzuziehen, um ihren Geist besser der unsichtbaren Wirküchkeit der Geheimnisse Gottes öffnen zu können. So treten sie in direkten Kontakt mit Christus und nehmen in der Kirche, seinem mystischen Leib, einen hervorragenden Platz ein, weil sie „Gott 1265 Botschaften und Ansprachen ein erhabenes Lobopfer darbringen und dem Volk Gottes durch überreiche Früchte der Heiligkeit Licht schenken, es durch ihr Beispiel aneifern und es in geheimnisvoller apostolischer Fruchtbarkeit wachsen lassen. So sind sie eine Zier der Kirche und verströmen himmliche Gnaden“ (Perfec-tae caritatis, Nr. 7). 3. Wie in jedem kontemplativen Leben, so besteht auch in der Berufung der Kamaldulenser die wichtigste Aufgabe der Mönche im Gotteslob, das heißt in Jubel, Preis und Dank für seine Größe, seine Liebe, seine Treue, seine Gerechtigkeit und seinen wunderbaren Heilsplan. Es ist schön, an den Lobpreis zu denken, der seit mehr als tausend Jahren ununterbrochen von diesem Kloster zu Gott aufsteigt, dargebracht von vielen Generationen von Mönchen, die den Psalter in seinen unsterblichen gregorianischen Melodien zu ihrem offiziellen Gesang gemacht haben. Es ist jener Lobgesang, den die Mönche gerade vorhin dem Herrn dargebracht haben, um Kunde zu geben von den großen Werken, die er durch die Jahrhunderte unaufhörlich vollbringt, wenn er, wie wir im Responsorium gehört haben, ,die Gefangenen befreit, den Blinden die Augen öffnet, die Gebeugten auf richtet, die Gerechten liebt, die Fremden beschützt, den Waisen und Witwen zu ihrem Recht verhilft und die Schritte der Frevler in die Irre leitet“ (vgl. Ps 146, 7-9). Das eben sind die Gründe, weshalb man Gott in Ewigkeit loben muß und weshalb die Mönche sich aus der Welt zurückziehen, um Ihm ihr Leben zu weihen. Darin besteht ja das Wesen des kontemplativen Lebens, daß von dem glühenden Gotteslob vor allem die Kräfte der Kirche fruchtbar gemacht werden sollen, die der Welt das vom göttlichen Erlöser am Kreuz erwirkte Heil mitteilen. Deshalb haben die beschaulichen Orden auch einen beträchtlichen Anteil an der Evangelisierung der Welt. 4. Diese Lebensform verlangt vom Ordensmann eine Entäußerung und Selbstverleugnung nach dem Vorbild Christi, der „sich entäußerte und wie ein Sklave wurde“ (Phil 2, 7). Sie verlangt den Verzicht auf die Güter dieser Welt, die uns an die Erde ketten, indem sie uns nicht den Blick nach oben richten lassen, um mit dem Herrn zu sprechen. Sie verlangt die Entscheidung für die evangelische Armut, die die Seele von den Sorgen um die Welt befreit und sie verfügbar macht für den Empfang der Gaben von oben. Darum hat Gott, wie der hl. Paulus sagt, „das Schwache in der Welt erwählt, um das Starke zuschanden zu machen“ (1 Kor 1, 27). Und in der zweiten Lesung der heutigen Liturgie fragt uns der hl. Jakobus: „Hat Gott nicht die Armen in der Welt auserwählt, um sie durch den Glauben reich und zu Erben des Königreiches zu machen, das er denen verheißen hat, die ihn lieben?“ (Jak 2, 5). Bei dieser Aussage dachte 1266 Botschaften und Ansprachen Jakobus sicherlich an die Worte Jesu: „Selig, die arm sind vor Gott, denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5, 3). Denn in Jesus ist der Wert der Erwählung in ihrem ganzen Licht offenbar geworden, die Gott den Armen zuteil werden läßt, indem er sich mit ihrem Schicksal und ihrem Los vermählte. Er war selbst arm und hat auf die Armen als die bevorzugten Empfänger seines Evangeliums hingewiesen, denn er ,war gesandt worden, damit er den Armen eine gute Nachricht bringe (vgl. Lk 4, 18). Jesus schenkt seine bevorzugte Liebe denjenigen, die die evangelische Armut wählen, weil sie der „gute“ Boden ist, auf dem das Wort gedeiht, sich entfaltet und Frucht bringt, und weil er weiß, ,wie schwer es für Leute, die viel besitzen, ist, in das Reich Gottes zu kommen (vgl. Lk 18, 24). Die Mönche, die diese evangelische Seligpreisung von der Armut in ihrer ganzen Fülle leben, sind die Erben dieses Reiches, dessen Frohbotschaft sie nicht allein durch die Predigt verkünden, sondern vor allem durch die Nachfolge des armen Christus, der ehelos und gehorsam war bis zum Tod. 5. Einsamkeit, Öffnung zu Gott, evangelische Armut: das sind die Gedanken, die heute bei den Bibelstellen in uns aufsteigen, die wir vorhin verkündet haben, aber es sind zugleich auch Ideale, an denen sich in den letzten tausend Jahren die Mönche der Abtei Fonte Avellana inspiriert haben, die durch unzählige Ordensmänner von tiefem Wissen und heiligmäßigem Leben berühmt geworden ist. Unter ihnen ragt die große Gestalt des heiligen Einsiedlers und Kirchenlehrers Petrus Damiani hervor. Er war es ja, der der Gründung von Fonte Avellana eine dauerhafte Prägung im Geist des hl. Romuald und der Praxis des Lebens in geschriebenen Regeln und einer Rechtsordnung konkrete Gestalt gab, wobei ihm die Wahrung der Einsamkeit des Ortes, die Selbständigkeit und Freiheit der Ensiedelei von äußeren Einflüssen am Herzen lagen. Mit der Gründung neuer Einsiedeleien und weiterer drei Klöster legte er dann die Grundmauern für diese Kongregation, indem er durch die Verschmelzung wesentlicher Elemente der orientalischen Anachoreten mit dem benedik-tinischen Gemeinschaftsleben aus verschiedenen Kommunitäten gleichsam einen einzigen Körper bildete. Als großer Reformer und Moralist stand er an der Seite von sechs Päpsten, die sich vor allem im Kampf für die Integrität der Kirche und die Würde des Priestertums hervortaten. Wonach sich der hl. Petrus Damiani aber am meisten sehnte, war der Friede seines stillen Klosters in Fonte Avellana, wohin er, sobald es ihm möglich war, im Gewand eines einfachen Mönches zurückkehrte und auf sämtliche Ehren verzichtete, die ihm aus seiner Bischofs- und Kardinalswürde erwuchsen, und von wo er im Geist des Gehorsams erneut auf- 1267 Botschaften und Ansprachen brach, als man ihn in einer Zeit, die stark von Rivalitäten und inneren Zwistigkeiten heimgesucht und zerrissen wurde, um seinen Einsatz als Friedensstifter ersuchte. Indem er den Spuren seines großen Lehrers, des hl. Abtes Romualdus, folgte, der, wie er, aus Ravenna stammte, erkannte er in einer Zeit, in der die Kirche von schweren Übeln betroffen wurde, als Heilmittel die Notwendigkeit eines Ordenslebens, das vorwiegend der Beschauung und der Einsamkeit gewidmet sein sollte, womit er den Vorrang der Suche nach Gott vor allen zeitlichen Werten bekräftigte. Die Geschichte dieser Abtei entstand und enwickelte sich im Schatten dieser großen Gestalt, die noch heute, neunhundert Jahre nach seinem Tod, nicht aufhört, das Leben seiner Mönche zu unterweisen und zu nähren. 6. Tatsächlich ist die kamaldulensische Spiritualität heute - auch auf Grund des heilsamen Auftriebes, den sie vom Zweiten Vatikanischen Konzil empfangen hat - in der Kirche blühender denn je und stellt eine große Reserve von Gnaden und geistlichen Hilfen für alle Christen, ja für die ganze Menschheit dar. Ich bin heute nach Fonte Avellana gekommen, um das Zeugnis und den Beitrag, den das monastische Leben der Kirche und der Welt leistet, zu ehren. Die Mönche haben in der Kirche einen Platz und eine Funktion, von der man nicht absehen kann, weil sie für die ganze Kirche eine wertvolle und aufbauende Besonderheit darstellt. Sie bewahren und vertreten nämlich Werte, auf die die Welt um so weniger verzichten kann, als sie dem Leben einen Sinn geben, wenn sie wirklich voll gelebt werden. 7. Voll Dankbarkeit denke ich an das Gute, das ich persönlich im Kontakt mit den Kamaldulensermönchen in Krakau empfangen habe, und wie tief erbaut die Gläubigen waren, wenn sie die Einsiedeleien aufsuchten, von denen ein geheimnisvoller Geist des Friedens, der Freude und der Heiligkeit ausging. Seitdem der hl. Adalbert sie zum ersten Mal aus Italien ins Land gerufen hatte, sind sie in der Tat für viele Gläubigen meiner Heimat zu weisen und vorbildlichen Führern geworden. Liebe Kamaldulensermönche dieser Abtei oder ihr, die ihr euch in ähnlichen Klöstern voll Hochherzigkeit dem Herrn weiht: Erlaubt mir, daß ich die Aufforderung an euch richte, euer Leben immer mehr zu lieben, das von der Einsamkeit, vom „Effata“ und der Armut gekennzeichnet ist, um die anderen mit diesen Himmelsgaben zu bereichern. In dem Bewußtsein, daß euch eure Einsamkeit nicht von der Kirche trennt, 1268 Botschaften und Ansprachen sondern, im Gegenteil, die Gemeinschaft mit ihr noch intensiviert, liebt die Kirche, eure Mutter, immer mehr; unterstützt durch eure Gebete ihre apostolische Sorge, ihren Einsatz für den Frieden und ihren Schmerz über die dramatischen Situationen, in denen heute so viele Glaubensbrüder leben. Diese großen Sorgen der Kirche sollt ihr in Gebet und Buße übernehmen. Wenn wir jetzt die Eucharistiefeier fortsetzen, wollen wir vor allem dem göttlichen Vater für die tausend Jahre monastischen Lebens in dieser Abtei von Fonte Avellana danken. Bitten wir ihn um die Kraft, mutig, konsequent und standhaft dieses Leben weiterzuführen, indem wir hochherzig die in der ersten Lesung gehörten Worte des Propheten Jesaja annehmen: „Habt Mut! Fürchtet euch nicht! Seht, hier ist euer Gott. . ., er selbst wird kommen und euch erretten“ (Jes 35, 4). Amen. (O. R. 6J7. 9. 82) Die Priesterkleidung - ein Zeugnis Brief an den Generalvikar der Diözese Rom, Kardinal Ugo Poletti, vom 8. September An den ehrwürdigen Bruder, Kardinal Ugo Poletti, Generalvikar für die Diözese Rom! Die Sorge um die geliebte Diözese Rom stellt mir zahlreiche Probleme zur Entscheidung, unter denen dasjenige der Beobachtung der Regeln für die Priesterkleidung wegen der daraus folgenden pastoralen Konsequenzen besondere Beachtung zu verdienen scheint. Mehrmals habe ich bei den Begegnungen mit den Priestern meine diesbezüglichen Gedanken zum Ausdruck gebracht, wobei ich auf den Wert und die Bedeutung dieses Unterscheidungszeichens hinwies, und das nicht nur weil es zur Würde des Priesters in seinem Äußeren beiträgt, sondern vor allem weil es innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft das öffentliche Zeugnis betont, das jeder Priester von seiner Identität und besonderen Zugehörigkeit zu Gott geben muß. Und weü dieses Zeugnis konkret zum Ausdruck bringt, daß wir nicht von der Welt sind (vgl. Joh 17, 14), habe ich mich in dem für den Gründonnerstag dieses Jahres verfaßten Gebet unter Anspielung auf die Priesterkleidung mit folgender Anrufung an den 1269 Botschaften und Ansprachen Herrn gewandt: „Laß uns deinen Geist nicht beleidigen . . . mit der Absicht, das eigene Priestertum vor den Menschen zu verbergen und jedes äußere Kennzeichen zu meiden“ (AAS 14, 1982, 526; in: O. R. dt, Nr. 15—16 vom 9. April 1982, S. 4). Wir sind von Christus ausgesandt, das Evangelium zu verkünden, und haben eine Botschaft zu vermitteln, die sowohl in den Worten als auch in den äußeren Zeichen zum Ausdruck kommt, vor allem in der heutigen Welt, die so empfänglich für die Sprache der Büder und Zeichen ist. Dem Priester- und Ordenskleid kommt eine besondere Bedeutung zu: für den Weltpriester hat es in erster Linie den Charakter eines Zeichens, das ihn von der weltlichen Umgebung, in der er lebt, unterscheidet; für den Ordensmann und die Ordensfrau drückt es auch den Charakter des Gottgeweihtseins aus und macht das eschatologische Ziel des Ordenslebens deutlich. Die Kleidung nützt daher den Zielen der Glaubensverkündigung und gibt Anlaß zum Nachdenken über die Wirklichkeiten, die wir in der Welt vertreten, und dem Primat der geistlichen Werte, den wir im Dasein des Menschen geltend machen. Mit Hilfe dieses Zeichens wird es den anderen erleichtert, sich dem Geheimnis zu nähern, dessen Träger wir sind, und den zu erreichen, dem wir angehören und den wir mit unserem ganzen Sein verkündigen wollen. Ich weiß sehr wohl um die Gründe geschichtlicher, umweltbedingter, psychologischer und sozialer Art, die dagegen angeführt werden können. Ich könnte jedoch sagen, daß Gründe der gleichen Art dafür sprechen. Ich muß aber vor allem darauf hinweisen, daß Gründe oder Vorwände, die dagegen angeführt werden, wenn man sie objektiv und gelassen dem religiösen Bewußtsein und den Erwartungen der Mehrheit des Gottesvolkes und der positiven Frucht des mutigen Zeugnisses, auch in der Form der Kleidung, gegenüberstellt, viel mehr von rein menschlicher als von kirchlicher Denkart bestimmt scheinen. In der modernen verweltlichten Großstadt, wo der Sinn für das Heilige in so erschreckender Weise abnimmt, brauchen die Menschen auch diese Hinweise auf Gott, die man nicht übergehen kann, ohne zu einer gewissen Verarmung unseres priesterlichen Dienstamtes zu kommen. Aufgrund dieser Überlegungen halte ich es als Bischof von Rom für meine Pflicht, mich an Sie, Herr Kardinal, zu wenden, der aus nächster Nähe meine Sorgen bei der Leitung meiner Diözese teüt, damit Sie nach Vereinbarung mit den Kongregationen für den Klerus, für die Ordensleute und Säkularinstitute und für das katholische Bildungswesen nach geeigneten Initiativen suchen, die den Gebrauch des Priester- und 1270 Botschaften und Ansprachen Ordenskleides fördern, indem Sie die diesbezüglich notwendigen Verfügungen treffen und für ihre Einhaltung sorgen. Indem ich auf Sie, Herr Kardinal, und auf die ganze Diözese Rom die allmächtige Hilfe des Herrn durch die Fürsprache der seligsten Jungfrau Maria, der Gnadenmutter „Salus Populi Romani“, herabrufe, erteile ich von Herzen den Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, 8. September 1982 PAPST JOHANNES PAUL II. (O. R. 18./19. 10. 82) Franz von Assisi: ein lebendiges Bild des Evangeliums Ansprache an die Jugend Venetiens in Padua am 12. September Liebe Jugend Venetiens! „Friede und Heü euch allen!“ <37> <37> Gern habe ich die Einladung angenommen, zu Euch zu kommen, um Euch zum Abschluß dieses Tages, zu dem Ihr von Euren Bischöfen zur 800-Jahr-Feier der Geburt des hl. Franz von Assisi eingeladen wurdet, ein Wort der Aufmunterung und Ermutigung zu sagen. Ich freue mich, daß Ihr für Eure Zusammenkunft die Stadt gewählt habt, die im hl. Antonius und seligen Leopold über eine starke franziskanische Präsenz verfügt, und wo auch der selige Maximilian Kolbe bekannt ist und verehrt wird. Während ich jeden von Euch in diesem großen Stadion begrüße, gehen meine Gedanken und meine Wünsche auch zu den Sportlern, zu den hier vertretenen Vereinen und Gruppen. Es scheint mir sehr bezeichnend, daß Ihr jungen Leute die tragenden Veranstalter dieser Franziskus-Feier seid. Ja, denn der hl. Franziskus ist und wird auch achthundert Jahre nach seinem Tod in der Kirche Gottes noch immer ein Zeichen der Jugend bleiben - wegen seiner Hochherzigkeit, seiner Begeisterungsfähigkeit und der Radikaütät seiner Entscheidungen. Er wußte, in der konkreten kirchlichen und gesellschaftlichen Situation seiner Zeit das ewige Evangelium Jesu Christi lebendig zu machen. 1271 Botschaften und Ansprachen Genau das fordert der Herr heute von uns: daß wir in einer säkularisierten Industriegesellschaft mit ihren weltweiten Problemen lebendige Evangelien sind. Die Gestalt des hl. Franziskus regt zu einigen Überlegungen darüber an, wie auch heute eine Verkörperung des Evangeliums verwirklicht werden kann: Christus begegnen, ihm in der Kirche folgen, ihn in den Armen lieben durch die Verkündigung der Freude und des Friedens. 2. Der hl. Franziskus ist Christus begegnet; er hat sich von Christus gewinnen lassen. Das ist die Quelle und die Erklärung seiner einzigartigen, faszinierenden Persönlichkeit. Ohne Christus läßt sich die Armut, die Freiheit, die Liebe, die Freude, die Poesie des hl. Franziskus nicht erklären. Es ist interessant festzustellen, daß die Geschehnisse des Lebens, die Gefangenschaft, die Krankheit, ihm die Augen über den bedingten Wert der Dinge dieser Welt geöffnet und ihn darauf vorbereitet haben, den vollen Sinn seines Lebens in Christus zu suchen. Einige Jahre lang suchte Franziskus im Schweigen, im Gebet, in der Übung der Nächstenhebe seine Sendung und Berufung, bis er den Weg fand, den der Herr ihm bestimmt hat und dem er mit radikaler Opferbereitschaft folgte. Franziskus ist der reiche, junge Mann, der in der Nachfolge Christi den kostbaren Schatz entdeckt, für den es sich lohnt, das ganze Leben einzusetzen. „Franziskus, was ist besser: dem Herrn oder dem Knecht zu dienen?“ fragte die Stimme, die eines Nachts mit ihm sprach {Fonti Francescane, S. 587). Die Frage ist auch an jeden von Euch gerichtet, liebe, junge Leute. Heute, in einer Gesellschaft, die den Reichtum zur Schau stellt und zur Flucht in den Konsumismus erzieht, fehlt es nicht an Gelegenheiten, über den Sinn des Lebens nachzudenken; ja, viele Situationen bringen die Jugend nicht nur dazu, nach dem Sinn des Daseins zu fragen, sondern zu meinen, daß es überhaupt keinen Sinn habe. Das Evangelium bietet keine unmittelbaren Lösungen der Probleme, sondern erleuchtet den Geist des Menschen, damit er den Gesamtsinn des Lebens, der Person, der menschlichen Werte, wie Freiheit, Liebe, Familie, Arbeit, Kultur, Kunst, Sport . . ., findet. Wie bei Franziskus steht die Entscheidung für Christus nicht im Gegensatz zu den irdischen Realitäten, sondern ist eine Gnade, die ihnen eine vollkommenere Bedeutung verleiht. 1272 Botschaften und Ansprachen Euch jungen Menschen gilt mein Wunsch, daß Ihr Christus begegnen könnt - dem wahren Christus, nicht einem modisch entstellten -, und zugleich die Aufforderung, ihn zu suchen, ohne müde zu werden. Die venezianische Erde, der ihr gehört, ist Erbe einer jahrhundertealten katechetischen Tradition, die über Generationen ein getreues Bild Christi überliefert hat. Heute güt es, diese Katechese, diese ernste, sinnvolle und verpflichtende Begegnung mit Christus unter der Führung Eurer Bischöfe zu erneuern. Möget Ihr Christus immer besser kennenlernen, um ihm hochherzig zu folgen, wenn Ihr auf den Straßen dieser unserer Welt wandert. Ihr müßt Zeugen Christi unter der Jugend sein, damit keiner dieser jungen Menschen den Sinn seines Lebens in der Flucht in die Droge oder die Gewalttätigkeit sucht. 3. Franziskus ist Christus in der Kirche begegnet und gefolgt. In seiner Zeit konnte vielleicht noch stärker, als das heute der Fall ist, die Versuchung zu einer „Kirche der Auserwählten“, einer Parallelkirche, aufkom-men, die sich aus Menschen zusammensetzte, die sich an das „einfache, reine Evangelium“ hielten. Franziskus bat den Papst, die Form evangelischen Lebens, die der Herr ihm eingegeben hatte, zu bestätigen. Er fühlte, daß er nicht wirklich zu Christus gehören konnte, wenn er sich nicht dem Geist unterwarf, der durch die Hirten der großen Gemeinschaft, die die Kirche ist, spricht. Für Euch junge Leute aus Venetien klingt diese Liebe des hl. Franziskus zur Kirche als Aufforderung, eine glückliche Tradition zu bestätigen und zu erneuern. Eure Region hat weniger als andere den Gegensatz zwischen Klerus und Laien kennengelernt durch eine Lebenserfahrung, die Priester und Gläubige lehrte, Armut, Probleme und Hoffnungen miteinander zu teilen. Eure Aufgabe heute ist es, im Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils eine reifere Präsenz des Laientums in einer Kirche zu schaffen, die sich als „Gemeinschaft“ erkennt, als Volk Gottes, wo alle zu aktiver und mitverantwortlicher Teilhabe aufgerufen sind. Eine Schule der Teilhabe am Leben der Kirche sind für Euch die kirchlichen Verbände, Bewegungen und Gruppen, die in diesem Land eine große Entfaltung erlebt haben und noch immer erleben. Man braucht nur, stellvertretend für alle, die Katholische Aktion nennen, die nach ihrer Entstehung in Bologna im vorigen Jahrhundert in Venedig, in Padua und in anderen Städten Venetiens eine reiche Blütezeit erfahren hat und noch heute in Euren Diözesen so wirksam vertreten ist. Habt keine Angst, Euch anzuschließen: es ist eine Vermittlung kirchlichen Lebens, die vom richtig geleiteten Wachstum im Glauben echter 1273 Botschaften und Ansprachen Laienspiritualität, Zeugenschaft und missionarischem Geist in enger Gemeinschaft mit den Bischöfen der Kirche gefördert wird. 4. Schließlich läßt uns das Verhalten des hl. Franziskus über seine Liebe zu „den Geringsten“ nachdenken. Seine Bekehrung ist von der Begegnung mit dem Aussätzigen gekennzeichnet. Wie Ihr wißt: er gab ihm kein Geld, er umarmte ihn nicht nur einen kurzen Augenblick, um dann wieder fortzugehen. Franziskus umfaßte, ergriff in jedem Augenblick den Stil eines neuen Lebens, das von der Armut Christi und seiner Mutter leuchtete. In der Entscheidung für die Armut ist die Entscheidung für die Armen, für die Geringsten enthalten; das heißt, sich mit ihnen und für sie klein machen. Eure Bischöfe haben den Kirchen Italiens einen Auftrag erteilt: „Bei den Letzten beginnen“ (Dokument vom 23.10.1981: „Die italienische Kirche und die Perspektiven des Landes“). Sie stellen fest, daß man, wenn man seinen Weg mit den Letzten teilt, eine ganz andere Art von Leben entdeckt, das die Trugbilder zerstören und die echten Werte heraussteilen wird. Ich richte daher an Euch die Aufforderung, alle jene Erfahrungen der Nächstenliebe, die in Euren Kirchen präsent sind, zu vermehren und unaufhörlich dafür zu arbeiten, daß alle kirchlichen und staatlichen Strukturen die schutzlosesten Menschen berücksichtigen: vom noch ungeborenen Kind bis zum alten Menschen in seiner Einsamkeit. 5. Dieses Werk der Liebe und Gerechtigkeit wird den Frieden aufbauen. Wie Franziskus ein Mann des Friedens war, so wird von der heutigen Jugend gefordert, daß sie Baumeister des Friedens ist. Franziskus baute den Frieden auf, indem er sich mit Gott, mit sich selbst, mit den Brüdern, mit der geschaffenen Natur versöhnte. Sein Wandern von Stadt zu Stadt war darum ein Akt der Versöhnung. Heute brauchen wir „freiwillige Kämpfer für den Frieden“, junge, hartnäckige Arbeiter für den Frieden. Ich wende mich auch an die Tausende junger Mädchen in diesem Grenzland: Fühlt Euch dem Frieden verpflichtet! Setzt Euch dafür ein, jene Logik zu überwinden, die für die Verteidigung des Friedens eine immer mächtigere Kriegsrüstung zu fordern scheint. Auf dem Plakat für Euer Treffen sieht man eine Hand, die eine Taube fliegen läßt: jene Hand trägt die Zeichen des Kreuzes. Es ist die Hand Christi, die Hand des Franziskus: es soll Eure Hand sein! Zur Bestärkung dieser Aufforderung und zur Bekräftigung der ausgesprochenen Wünsche erteile ich Euch und Euren Familien meinen besonderen Apostolischen Segen. (O. R. 13J14. 9. 82) 1274 Botschaften und Ansprachen Die Linie von Buße und Umkehr Predigt bei der Eucharistiefeier in der Antoniusbasilika in Padua am 12. September Liebe Mitbrüder der franziskanischen Ordensgemeinschaft und ihr alle, liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich betrachte es als eine besondere Gnade des Herrn, daß ich zum idealen Abschluß der Feierlichkeiten anläßlich der 750-Jahr-Feier des Todes des hl. Antonius, die im vergangenen Jahr begonnen haben, heute meine Gebete mit den eurigen vereinen kann. Ich möchte sogleich auf jene besondere Note Bezug nehmen, die in der Lebensgeschichte dieses Heiligen immer wiederkehrt und ihn in dem so weiten und beinahe unbegrenzten Panorama der christlichen Heiligkeit auszeichnet. Antonius war - wie ihr wißt - in seinem ganzen Erdendasein ein Mann des Evangeliums, und wenn wir ihn als solchen verehren, tun wir das, weil wir glauben, daß auf ihm durch besondere Ausgießung der Geist des Herrn selbst ruhte, der ihn mit seinem wunderbaren Gaben reich beschenkte und „von innen her“ antrieb, ein Werk zu beginnen, das ihn schon in seinem vierzigjährigen Leben sehr bekannt machte und das, weit davon entfernt, sich mit der Zeit zu erschöpfen, auch in unseren Tagen kraftvoll und wirksam fortdauert. Während ich alle, die jetzt um den Altar versammelt sind, herzlich grüße, lade ich euch vor allem ein, über diese Note der „Evangelizität“ nachzudenken, die auch Grund dafür ist, daß Antonius einfach „der Heilige“ genannt wird. Ohne irgendwelche Ausnahmen oder Bevorzugungen ist das ein Zeichen dafür, daß in ihm die Heiligkeit einen außergewöhnlich hohen Gipfel erreicht hat, sein Beispiel allen imponiert und seine Verehrung in der Welt größte Verbreitung erfahren hat. Man wird in der Tat kaum eine Stadt oder ein Land des katholischen Erdkreises finden, wo es nicht wenigstens einen Altar oder ein Bild des Heiligen gibt: sein freundliches Bildnis mit seinem milden Lächeln erhellt Millionen christlicher Häuser, in denen der Glaube durch ihn die Hoffnung auf die Vorsehung des himmüschen Vaters nährt. Vor allem die ärmsten und schutzlosesten Gläubigen betrachten und empfinden ihn als ihren Heiligen: als stets bereiten und mächtigen Fürsprecher zu ihren Gunsten. 2. „Exulta, Lusitana felix; o felix Padua, gaude“ (Frohlocke, glückliches Portugal; glückliches Padua, freue dich), will ich mit meinem Vorgänger 1275 Botschaften und Ansprachen Pius XII. wiederholen (Apostolisches Schreiben Exulta, Lusitania felix vom 16. Jan. 1946, in: AAS 38, 1946, 200): Frohlocke, edles Portugal, daß du in der zahlreichen Schar deiner großen Franziskaner-Missionare als größten diesen deinen Sohn hast! Und freue dich, Padua: zum Ruhm deines römischen, ja vorrömischen Ursprungs, zu den Ruhmesblättern deiner Geschichte an der Seite des benachbarten und befreundeten Venedigs fügst du die erhabene Würde hinzu, in seiner berühmten Grabstätte das lebendige, pulsierende Andenken an den hl. Antonius zu pflegen. Von dir aus hat sich ja sein Name in der Welt verbreitet und ertönt noch immer in ihr durch jene besondere Eigenschaft, die ich bereits erwähnt habe: die Echtheit seiner evangelischen Gestalt. Ein weites Feld, auf dem die Evangelizität des hl. Antonius am besten zum Ausdruck kam, war ohne Zweifel die Predigt. Hier eben, in der klugen und mutigen Verkündigung des Wortes Gottes, finden wir einen der entscheidenden Züge seiner Persönlichkeit: neben seinen Schriften war es das unermüdliche Wirken als Prediger, das ihm den Beinamen „Doctor Evangelicus“ eingebracht hat (vgl. AAS 38, 1946, 201). „Er zog - vermerkt sein Biograph - durch Städte und Burgen, durch Dörfer und Felder und streute überall in reichlicher Fülle und voll glühender Leidenschaft die Samen des Lebens aus. Bei diesem Umherziehen von Ort zu Ort verzichtete er aus Eifer um die Seelen auf jede Rast. ..“ (Vita Prima oder „Assidua“ 9, 3-4). Seine Predigten waren nicht deklamatorisch und beschränkten sich nicht auf vage Ermahnungen, ein gutes Leben zu führen, er wollte wahrhaftig das Evangelium verkündigen, wobei er sehr wohl wußte, daß die Worte Christi nicht wie die anderen Worte waren, sondern eine Kraft besaßen, die die Zuhörer überwältigte. Er hatte sich jahrelang dem Studium der Heiligen Schrift gewidmet, und eben diese Vorbereitung erlaubte ihm, die Botschaft des Heils dem Volk mit außergewöhnlicher Kraft zu verkündigen. Seine feurigen Predigten gefielen den Leuten, die ein inneres Bedürfnis verspürten, ihn zu hören, und sich dann der geistigen Kraft seiner Worte nicht entziehen konnten. Man kann also sagen, daß dem evangelischen Stil, wie er den Jünger kennzeichnete, der von Stadt zu Stadt zog, um Umkehr und Buße zu verkündigen, der evangelische Inhalt entsprach: ausgebildet im Studium der Heiligen Schrift, was Papst Gregor IX. veranlaßt hatte, ihm den Beinamen „Bundeslade“ zu geben, hat er in seiner Verkündigung vor allem die reine Lehre Jesu Christi den Menschen seiner Zeit wieder vor Augen gestellt. 1276 Botschaften und Ansprachen 3. Mit dem Dienst am Wort wußte Antonius die Verwaltung des Bußsakramentes zu verbinden, wobei er den gleichen Eifer entfaltete. Ein großer Prediger auf der Kanzel, war er nicht minder groß im Dunkel des Beichtstuhls, indem er so verband, was auf Grund übernatürlicher Logik miteinander verbunden sein und bleiben muß. Verkündigung und Beichtdienst sind in der Tat zwei Momente der Pastoralarbeit, die im Grunde dasselbe anzielen: der Prediger sät zunächst das Wort der Wahrheit und bekräftigt es durch sein persönliches Zeugnis und das Gebet; dann sammelt er selbst als Beichtvater die Früchte dieser Saat, wenn er die reuigen Seelen aufnimmt und sie dem Vater des Erbarmens zur Vergebung und zum Leben anbietet. Der Übergang von einem zum anderen Dienst war für Antonius eine einfache und natürliche Sache: er predigte häufig von der Beichte, wie die Ausgabe seiner Predigten bestätigt, in der es kaum eine Seite gibt, die nicht einen Hinweis darauf enthält. Er beschränkte sich nicht darauf, die Tugenden der Buße zu verherrlichen und seinen Zuhörern lediglich zu empfehlen, zu beichten. Weü er seine Worte und Ermahnungen auch persönlich in die Tat umsetzte, lag ihm sehr daran, Beichte zu hören. Es gab Tage, an denen Antonius ununterbrochen, von morgens bis zum Sonnenuntergang, ohne Speise zu sich zu nehmen, Beichte hörte. Und wir wissen, daß „er eine so große Menge von Männern und Frauen bewog, ihre Sünden zu beichten, daß die keineswegs kleine Zahl von Franziskanern und anderen Priestern, die ihn begleiteten, nicht reichte, um alle Beichten zu hören“ ( Vita Prima 13, 13). Die Beichte war für ihn, nach seinen eigenen Worten, „Haus Gottes“ und „Tor zum Paradies“, und das in einer so lebendigen Glaubensauffassung, daß er dem sakramentalen und (von der mittelalterlichen Theologie stark vertieften) rechtlichen Aspekt als Höhepunkt die liebevolle Begegnung mit dem Vater im Himmel und die trostreiche Erfahrung seiner hochherzigen Vergebung hinzufügte. Wie sollte man sich im Lichte des Antonius als Diener des Bußsakraments hier in Padua nicht noch eines anderen Ordensmannes der franziskanischen Familie erinnern, des seligen Leopoldo Mandic da Castelnuovo, jenes demütigen, stillen Kapuziners, der in der Abgeschiedenheit seiner Zelle im Kloster Santa Croce jahrzehntelang als Beichtvater wirkte und durch das Sakrament der Vergebung unzählige Menschen jeden Alters und jeder Herkunft mit Frieden und Freude erfüllte? 4. Das sind berühmte Beispiele, von denen ich hier spreche, liebe Brüder und Schwestern, die ihr mir zuhört. Da ich mich aber in der Kirche befinde, die nach Antonius benannt ist, erlaubt, daß ich, bevor ich mich an 1277 Botschaften und Ansprachen die Laien wende, mein Wort vor allem an euch, Ordensleute, richte, die ihr hier an diesem Gottesdienst von Amts wegen teilnehmt, und an euch Diözesanpriester von Padua und Venetien. Predigt und Buße: das ist ein großartiges Wortpaar klaren evangelischen Ursprungs, das auch euch von dem leuchtenden Wirken des hl. Antonius erneut vor Augen gestellt wird, besitzt es doch volle Gültigkeit und dringende Notwendigkeit auch für unsere Zeit, mag sich diese noch so sehr von der des Heiligen unterscheiden. Die Zeiten ändern sich; ändern können sich auch - und ändern sich in der Tat entsprechend den klugen Verfügungen der Kirche - Methoden und Formen des seelsorglichen Wirkens: aber die grundlegenden Prinzipien dieses Wirkens und vor allem die sakramentale Ordnung bleiben ebenso unverändert wie die Natur und die Probleme des Menschen, der als Geschöpf zwar die Krönung der göttlichen Schöpfung darstellt, doch immer der dramatischen Möglichkeit der Sünde ausgesetzt ist. Das will heißen, daß es dringend notwendig ist, auch dem heutigen Menschen die ihrem Inhalt nach unveränderte Heilsbotschaft zu verkündigen (das eben ist die Predigt); ebenso muß auch dem Sünder heute unbedingt das Instrument des Sakraments der Versöhnung angeboten werden (das ist die Buße). Demzufolge ist die Evangelisierung in ihrer zweifachen Form der Verkündigung und des Heilsangebotes noch immer unerläßlich. Die Antoniusfeiern sind nicht bloß ein Jubüäum gewesen, wenn in euch allen, ob Welt- oder Ordenspriester, sich das Bewußtsein von diesen beiden unentbehrlichen wertvollen Diensten entfaltet und wenn im euch Laien das Verlangen, ja das Bedürfnis wächst, diese Dienste für euren geistlichen Fortschritt zu nützen. Ist nicht oft eine gute Beichte in dieser Entwicklung Ausgangspunkt oder Ziel? Immer - darauf müßt ihr achten -auf der evangelischen Linie von Buße und Umkehr. Wenn es Gott gefällt, wird im Herbst des kommenden Jahres eine neue Sitzungsperiode der Bischofssynode abgehalten werden, die der Buße und Versöhnung gewidmet sein soll. Nach den großen Themen Evangelisierung, Katechese und Familie schien es angebracht, dieses wichtige Thema der Sakramentenpastoral, das einen großen Teil des Lebens und des Wirkens der Kirche in der Welt bestimmt, unter allen seinen Aspekten zu prüfen. Im Hinblick auf dieses kirchliche Ereignis bitte ich alle hier Anwesenden, im Licht des Antonius-Jubiläums über die unvergleichliche Gnadengabe der Versöhnung nachzudenken: Die Priester fordere ich auf, immer gewissenhafte Diener der Versöhnung mit Gott zu sein (vgl. 2 Kor 5, 18-19); so wie ich die Gläubigen auffordere, immer bereit und verfügbar zu sein: „Laßt euch mit Gott versöhnen!“ (ebd. 20). (O. R. 13.H4. 9. 82) 1278 Botschaften und Ansprachen Wahrheitssuche auf allen Gebieten Ansprache an die Mitglieder der Universität in Padua am 12. September Sehr geehrter Herr Rektor! Liebe Professoren! 1. Voll lebhafter, tiefer Freude weile ich heute hier unter Ihnen in dieser berühmten Universität und begrüße Sie, womit ich das Gefühl tiefer Hochachtung gegenüber der Kultur, die Sie vertreten, und gegenüber dieser ausgezeichneten Stätte verbinde, wo sie einzigartige Zeichen gesetzt hat, die ausgeprägte Spuren im menschlichen Denken hinterlassen haben. Ich danke Ihnen herzlich für Ihren freundlichen Empfang; besonders Ihnen, Herr Rektor, für die vornehmen Worte, die Sie im Namen der ganzen Universität an mich gerichtet haben. Für jemanden, der die Bedeutung des Ortes, dessen Schwelle er überschreitet, kennt, ist es immer erregend, eine Universität zu betreten; aber das ist um so mehr der Fall beim Betreten dieser Universität, die so viele berühmte Persönlichkeiten zu ihren Dozenten und Studenten zählen konnte und die in ihrer jahrhundertealten Geschichte nicht wenige Episoden von hohem Interesse und bedeutsamen Folgen zu verzeichnen hat. Es ist, als sähen wir die auserwählte Schar der Gelehrten unter uns, die in den vergangenen Jahrhunderten manchmal unter großen Prüfungen Forschung und Lehre gefördert haben: Nikolaus Kopemikus, Kardinal Bes-sarion, Nikolaus von Kues, Pico della Mirandola, Galileo Galilei, Guic-ciardini, Torquato Tasso, Telesius, Erasmus von Rotterdam und zahlreiche andere. So viele berühmte Namen, die zusammen mit vielen anderen seit dem Jahr 1222, dem von der historischen Überlieferung verbürgten Gründungsjahr, dieser Universität Ehre gemacht haben! Ich möchte in dieser Stunde auch an diejenigen erinnern, die hier studiert haben und die die Kirche heiliggesprochen hat: Albertus Magnus, Johannes Nepomuk, Cajetan von Thiene, Antonio Maria Zaccaria, Robert Bellarmin, Franz von Sales, Gregorio Barbarigo. Heilige, Selige, spätere Päpste, Kardinäle, Bischöfe, Theologen, Phüosophen, Mediziner, Naturwissenschaftler, Schriftsteller von Bedeutung haben in diesen Hörsälen ihre Ausbüdung erhalten oder haben hier gelehrt. Ein Grund zu großer Freude ist es für mich auch, die Beziehungen hervorheben zu können, die zwischen der Universität von Padua und meiner Heimat bestehen. Bereits seit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts hielten sich zahlreiche polnische Studenten in Padua auf, das damals 1279 Botschaften und Ansprachen und später eine beachtliche Anzahl von Ärzten, Philosophen, Botanikern, Mathematikern und kirchlichen Würdenträgern für Polen ausgebildet hat. Deshalb hielt ich es 1964 anläßlich des sechshundertsten Gründungsjubiläums der Universität von Krakau für meine Pflicht, Ihrer Universität einen Besuch abzustatten. Auch hier schlägt also in gewissem Sinne das polnische Herz, und ich fühle mich ergriffen und danke Ihnen im Namen meines Vaterlandes! Außerdem möchte ich meiner großen Achtung Ausdruck geben für die Bedeutung, die diese Universität auf sozialem, gesellschaftlichem und politischem Gebiet nicht nur im Rahmen der Stadt, sondern auch Italiens und anderer Nationen besitzt. Angesichts des entscheidenden und ununterbrochenen Einflusses, den dieses Studienzentrum auf das gesellschaftliche Leben, auf die Bewußtseinsbildung und Ausformung der Ideale, auf die Leistungen der Gegenwart und auf die Zukunftsaussichten ausübt, stellt sich ein Gefühl der Bangigkeit und Sorge ein. 2. Nach dieser Einleitung will ich mit Ihnen kurz über zwei grundlegende Zielsetzungen der Universität sprechen, über die wissenschaftliche und die pädagogische, und dabei auch auf den so inhaltsreichen Wahlspruch Bezug nehmen, der seit Jahrhunderten Ihr Ideal und Programm ist: „Universa Universis Patavina Liberias“, was, wie ich glaube, hinweisen will auf den Geist, aus dem heraus diese Universität entstanden ist, und auf den Weitblick, mit dem die damalige Stadtbevölkerung sie aufgenommen hat, indem sie gleichsam ihre Freiheit allen zur Verfügung stellte. Seit ihren Anfängen wurde die Universität als universale Einrichtung aufgefaßt, das heißt im Sinn einer Institution, die allen offensteht und sich der Pflege jeder Wissensform und Wahrheitsforschung in allen ihren Ausdrucksformen - der wissenschaftlichen, philosophischen und theologischen - widmet. Der Universität obliegt also die Ermittlung der Wahrheit auf allen Gebieten und ihre Weitergabe durch die Lehre. Die den verschiedenen Zweigen der Wirklichkeit eigenen Wahrheiten werden in den verschiedenen Abteilungen, in die sich die Universität gliedert - Fakultäten, Instituten, Fachbereichen -, auf geordnete, systematische und gründliche Weise studiert; aber die Universität als solche hat die Erforschung der ganzen Wahrheit zur Aufgabe und nur aus der Erkenntnis der ganzen Wahrheit bezieht sie gültige Kriterien dafür, die Studien der einzelnen Bereiche zu organisieren und ihnen Bedeutung zu verleihen. Nun aber ist die Wahrheitsforschung als solche, wie Sie wissen, Sache jenes erhabenen Faches mit dem Namen Metaphysik, das den verschiedenen Aspekten der Wahrheit ihren Platz zuweist und sie in hierarchischer 1280 Botschaften und Ansprachen Weise ergänzt und integriert, um auf der Ebene der Erkenntnis jene tiefgehende, völlige Einheit der Dinge wiederherzustellen, die auf der Ebene des Seins bereits verwirklicht ist. Es ist wichtig, daß in einem Studienzentrum wie diesem diese höhere Sicht, in der sich die Spezialbereiche des Wissens ergänzen und miteinander verschmelzen, gepflegt wird. Denn das, was die Universität wesentlich und spezifisch darstellt, ist eben genau diese höhere Einheit des Wissens, zu der man vor allem durch die Metaphysik und insbesondere durch die christliche Metaphysik gelangt, die allen Wissenszweigen einen humanen und christlichen Sinn verleiht und sie auf diese Weise in eine Gesamtschau der Wirklichkeit aufnimmt. Daher besteht für jede Universität, die sich erneuern und ihre eigentliche Sendung wiederentdecken will, die dringende Notwendigkeit, ihren Hauptzweck zu klären, nämlich die Erforschung der Wahrheitsforschung in allen ihren Aspekten. Wenn ich heute in meiner Eigenschaft als demütiger Stellvertreter dessen, der die Wahrheit ist, hierherkomme, wende ich mich an Sie nicht nur als Gläubige, sondern auch als Wissenschaftler und bitte Sie, die Wahrheit zu lieben, nach ihr zu suchen, sie zu pflegen, zu vertiefen und zu lehren, damit Sie innerlich wachsen und das geistige Wachstum Ihrer Studenten bewirken können. 3. Die andere Zielsetzung der Universität, auf die ich Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte, ist die pädagogische, die nicht nur den Unterricht, sondern auch die Erziehung der jungen Generation zum Ziele hat. Die Erziehung ist ein typisch menschliches Phänomen, denn nur der Mensch kann und muß erzogen werden. Durch die Erziehung wird er in den verschiedenen Bereichen des Daseins zum Individuum und er wird infolgedessen immer mehr zu einem Ich, zu einer Person auch auf psychologischer Ebene, nachdem er dies auf der Seinsebene vom Mutterschoß an gewesen ist. Die Auffassung, die man von der Erziehung hat, ist natürlich abhängig von der Auffassung vom Menschen und seiner Bestimmung. Erst wenn man wirklich begriffen hat, wer der Mensch in sich ist und worin das letzte Ziel des menschlichen Lebens besteht, stellt sich ehrlicher- und logischerweise das Problem, wie er zur Erreichung seines persönlichen Zieles geführt werden kann. Unter Beachtung der Komponenten der menschlichen Natur bestehen die christlichen, aber nicht selten auch nichtchristliche Autoren auf der Notwendigkeit, daß im jungen Menschen im Büdungsstadium und auch im Erwachsenen mehr die geistige Dimension gepflegt werde, das heißt 1281 Botschaften und Ansprachen die Dimension des „Seins“ und nicht des „Habens“. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal an das erinnern, was ich bei meinem Besuch am Sitz der UNESCO vor deren Vertretern über die Kultur gesagt habe, um zu bekräftigen, daß bei der Erziehung der Dimension des Geistes größere Aufmerksamkeit zuzuwenden ist (vgl. Ansprache v. 2. Juni 1980, Nr. 7; in: O. R. dt., Nr. 23 vom 6. 6. 1980, S. 4). Ziel der Erziehung muß es immer sein, den Menschen reifer zu machen, das heißt, aus ihm eine Person zu machen, die alle ihre Fähigkeiten und Anlagen voll und ganz entfaltet. Das wird durch eine geduldige Vertiefung und eine fortschreitende Aneignung der absoluten, ewigen und transzendenten Werte erreicht. Geschichtlich gesehen hat sich jede Gesellschaftsform einen Entwurf des Menschen, ein Humanitätsideal geschaffen, um danach ihre Bürger zu formen: den Helden, den Weisen, den Ritter, den Redner, den Philosophen, den Wissenschaftler, den Technokraten usw. Für eine Gesellschaft, die ihre Werte dem Christentum entnimmt oder sich an ihm inspiriert, muß das pädagogische Ideal Jesus Christus sein, der die vollkommenste Verwirklichung des Gottesbildes ist, das dem Menschen eingeprägt ist. Im Widerspruch zu dieser Auffassung steht eine hedonistische Konsumgesellschaft, die versucht, die geistige Dimension aus dem Dasein des Menschen zu tilgen, und sich dadurch selbst jedes echten Humanitätsideals beraubt, das sie ihren Mitgliedern anbieten könnte. Das ist meiner Meinung nach der Hauptgrund für die schwere Verwirrung, deren Opfer die heutige Jugend ist, die sich gerade in der wichtigsten Phase ihrer Bildung, wie es eben jene ist, die auf den Universitäten vermittelt wird, ohne Ideale sieht, denen sie folgen könnte, und ohne Humanitätsvorstellungen, die sich verwirklichen ließen. So erklären sich auch manche symptomatischen Formen von Gewalttätigkeit, durch welche gewisse Gruppen ihrer Unzufriedenheit Luft machen oder sich der Illusion hingeben, sie könnten mit terroristischen Aktionen trügerische Projekte einer neuen Gesellschaft in die Tat umsetzen. 4. Einer der wichtigsten Werte, die bei der Formung der Person bedacht werden müssen, ist die Freiheit. Sie gehört jedoch leider zu den Werten, die von der Gesellschaft, in der wir leben, am meisten mißverstanden und manipuliert werden, auch wenn die moderne Kultur sie auf ihre Fahnen geschrieben hat. Das ist auf eine falsche Auffassung zurückzuführen, die aus dem Menschen ein höchstes und unabhängiges Wesen macht, während er ein geschaffenes Wesen ist, das von Gott abhängt; ein endliches und gesellschaftsfähiges Wesen, das für seine Entstehung, seine Entwicklung, sein 1282 Botschaften und Ansprachen Überleben ständig der Hilfe seiner Mitmenschen bedarf. In dem Dreiecksverhältnis, das sich zwischen dem eigenen Ich, den anderen und Gott abzeichnet, findet die Freiheit ihre Bedeutung und die Ziele, für die es sich mit allen Kräften einzusetzen und die es beständig zu üben gilt. Um dem Menschen eine Freiheit zurückzugeben, die tatsächlich als solche bezeichnet werden kann, ist es deshalb vor allem notwendig, jene religiöse und metaphysische Sicht des Menschen und der Dinge wiederzugewinnen, die allein den richtigen Maßstab für den Menschen und sein Verhältnis zu den Mitmenschen und seiner Umwelt geben kann. Hat man diese Ordnung der Ideen einmal angenommen, wird man sich rastlos darum bemühen müssen, die Freiheit von jenen ideologischen Verirrungen zu trennen, die sie schließlich in Frage stellen, sowie allen jenen Manipulationen und Zwängen politischer, sozialer, wirtschaftlicher und technischer Art, die sie zu ersticken oder auszulöschen drohen. Gleichzeitig wird man unermüdlich daran arbeiten müssen, den Menschen zum richtigen Gebrauch der Freiheit zu erziehen, indem man ihm wahre und edle Lebensideale vorstellt und ihm dabei hilft, für ihre Verwirklichung zu arbeiten. Mir will scheinen, daß sich diese Überlegungen auch auf den alten und ungewöhnlichen Wahlspruch anwenden lassen, den ich oben zitiert habe, und auf den viele der „Ruhmesblätter“ zurückzuführen sind, die den Stolz und die Besonderheit dieser Universität ausmachen und von denen ich mit großem Interesse erfahren habe. 5. Zum Abschluß dieser Überlegungen wende ich mich an Sie, die Dozenten, die Sie oft auf dramatische Weise Ihre Verantwortung als Erzieher fühlen und mitunter auch bittere Enttäuschungen erleben, und wiederhole die Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils: Ihr habt eine wunderbare und sehr wichtige Berufung! (vgl. Gravissimum educationis, Nr. 5). Was auch immer Gegenstand Ihrer Interessen und Ihres Unterrichts sein mag, bemühen Sie sich voll Emst und Begeisterung darum, Menschen heranzubilden, die Freunde der echten Kultur und der unverfälschten Freiheit sind, fähig, persönliche Urteile im Lichte der Wahrheit auszusprechen, engagiert in der Erfüllung alles Wahren, Guten und Gerechten. Durch Sie und durch die Vertreter der Studenten, die sich in dieser Aula befinden, wünsche ich allen Studenten dieser Universität von Herzen, daß sie in ihr die notwendigen Hilfen und Vorbilder für eine vollständige kulturelle und menschliche Bildung finden und insbesondere hier in jenem Klima echter Freiheit atmen können, das geeignet ist, in ihnen ein ständiges Wachstum, Pflichtgefühl und Achtung vor den anderen zu fördern. 1283 Botschaften und Ansprachen Auf dem Wappen und auf dem Siegel Ihrer Universität sind die Bilder des Erlösers Christus und der hl. Katharina von Alexandrien eingeprägt, Patrone jener beiden Studienzweige, die die Universität anfangs bildeten, nämlich der Fakultät der freien Künste und der Juristen: Christus, Weg, Wahrheit und Leben; eine Frau, die der Überlieferung nach Freundin und Pflegerin der Philosophie und der Theologie war und ihr Leben für den Glauben hingab. Diesen Schutzpatronen vertraue ich Sie alle an, die Studenten und das gesamte Personal dieser Universität, zusammen mit ihren Problemen und ihren Erwartungen, und mit dem Wunsch für eine immer stärkere und wirksamere kulturelle und gesellschaftliche Tätigkeit rufe ich auf alle den Segen des Allerhöchsten herab, der Sie erleuchte, führe und ermutige. (O. R. 13./14. 9. 82) „Begnügt euch nicht mit einem Mittelmaß!“ Ansprache an die Teilnehmer des Europa-Kongresses der internationalen Bewegung „Pax Romana“ vom 13. September Liebe Mitglieder und Freunde der internationalen Bewegung „Pax Romana“! Da Eure Tagung sich mit dem Thema „Ethische Verantwortung und christlicher Glaube in einem sich wandelnden Europa“ beschäftigt, bin ich sehr glücklich, Sie empfangen und begrüßen zu können, meine Damen und Herren, denn Sie tragen wegen Ihrer akademischen Bildung eine wichtige und vielfache Verantwortung in der Welt des Geistes. Wer könnte leugnen, daß in unserer Zeit die wissenschaftlichen Forschungen und der daraus folgende Fortschritt erhebliche Wandlungen im Leben des einzelnen und der Völker mit sich bringen? 1. Im Verlauf der letzten Jahrhunderte konnte die Gesellschaft langsame Wandlungen im Verhältnis von Kirche und Wissenschaft feststellen. Sie kennen alle das Unverständnis und auch die Konflikte, die auf diesem Gebiet häufig auftraten. Heute dagegen ist wenigstens allen, die die Dinge aufmerksam verfolgen, klar, daß diese Schwierigkeiten kein Hindernis mehr bilden können. Der Graben zwischen Wissenschaft und Glaube ist zum Teil durch die mehr und mehr überzeugenden Ergebnisse der Wis- 1284 Botschaften und Ansprachen senschaft eingeebnet, aber auch durch die wachsende Vertiefung der Theologie, die den Inhalt des Glaubens von sozialgeschichtlichen Elementen aus verschiedenen Epochen befreit hat. Daher hielt ich es bei meiner unvergeßlichen Begegnung mit den Wissenschaftlern und Studenten am 15. November 1980 in Köln für angebracht, erneut zu betonen, daß das Lehramt „ausdrücklich die Unterschiedlichkeit der Erkenntnisordnungen von Glaube und Vernunft ausgesprochen“ hat. „Es hat die Autonomie und Freiheit der Wissenschaften anerkannt und ist für die Freiheit der Forschung eingetreten. Wir fürchten nicht, ja, wir halten es für ausgeschlossen, daß eine Wissenschaft, die sich auf Vemunftgründe stützt und methodisch gesichert fortschreitet, zur Erkenntnissen gelangt, die in Konflikt mit der Glaubenswahrheit kommen. Dies kann nur dort der Fall sein, wo die Unterschiedlichkeit der Erkenntnisordnungen übersehen oder verleugnet wird“ (Nr. 3). 2. Leider muß man zugeben, daß diese Unterscheidung in der Praxis von der öffentlichen Meinung noch nicht voll angenommen wurde. Es kommt sogar vor, daß Verantwortliche oder Vertreter der Massenmedien entweder Schwierigkeiten haben, diese unterschiedlichen Zuständigkeiten anzuerkennen, oder sie gar kategorisch bestreiten. Was Sie, meine Damen und Herren, angeht, die Sie als katholische Akademiker aufgerufen sind, haben Sie sich nicht ohne Grund dem Apostolat der Welt der Wissenschaft und Kultur verschrieben, und ich betone gern, daß Sie auf dem bei Ihrer Tagung behandelten Gebiet eine wichtige Aufgabe haben, um so mehr als Ihre gründliche intellektuelle Vorbereitung Sie besonders dazu befähigt, Ihren je besonderen Teü zum reichen Ergebnis Ihrer Arbeit beizutragen. Jeder von Ihnen besitzt durch den Erwerb solider und sehr verschiedener wissenschaftlicher Grundlagen eine tiefe Kenntnis der Natur und der Gesetze, die die Dinge beherrschen. Jeder bemüht sich auch, auf dem neuesten Stand der Forschungen und Ergebnisse seines wissenschaftlichen Fachgebietes zu bleiben. Deshalb besitzen Sie ja auch die Achtung Ihrer Berufskollegen. Diese Berufsarbeit leisten Sie offensichtlich als Männer und Frauen der Wissenschaft, Sie leisten sie aber auch als Gläubige. Sie sind sich Ihrer Verantwortung gegenüber dieser Welt voll bewußt, wissen aber auch, daß sich nicht das gesamte Geschick des Menschen in dieser Welt erfüllt. Sie sind im Namen des ganzen Menschen Zeugen der Hoffnung auf eine endgültige Erfüllung in Gott. Dieses Zeugnis aber brauchen die Menschen unserer Zeit mehr denn je. Heute darf man sich nicht scheuen, oft die Botschaft des hl. Paulus zu widerholen: „Wenn wir unsere Hoffnung nur 1285 Botschaften und Ansprachen in diesem Leben auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran als alle anderen Menschen“ (I Kor 15, 19). 3. Diese Hoffnung wächst in Ihnen und uns allen, wenn Gott, der unser absolutes Glück ist, alle Entscheidungen unseres Daseins anregt und begleitet, wenn, mit anderen Worten, unser Christenname nicht nur ein Wort ist, sondern eine Überzeugung, die unser ganzes tägliches Werk prägt. Diese Hoffnung wächst auch, wenn alle Mitglieder der Kirchengemeinschaft durch ihre notwendigerweise verschiedenen, aber sich ergänzenden Berufungen auf die Einheit im Glauben und auf feste Verbindung mit ihren Bischöfen und den Ämtern des Apostolischen Stuhles achten. Schließlich entfaltet sie sich im täglichen Leben, wenn jeder bemüht ist, auch Zeiten der Anbetung zu pflegen, in denen sich sein Geist von seinem Ich löst und Gott für alles und für alle dankt im Gedanken an den Hinweis des hl. Paulus, daß eine sich selbst überlassene Wissenschaft „aufgeblasen macht“ (vgl. 1 Kor 8, 1). Dieses Gottesbild im Mittelpunkt Ihres Einsatzes für die Welt macht Ihr Apostolat fruchtbar. Es macht aus Ihnen lebendige Zeugen des Glaubens und Herolde der Frohbotschaft für Ihre Menschenbrüder. Das aber geschieht in oft kritischen Situationen, wo Sie spüren, wie Ihnen der Wind des Protestes ins Gesicht bläst und Sie sich Ihrer Lage als Fremdlinge in dieser Welt bewußt werden. Sie erfahren aber auch die Freude derer, die anderen helfen, Gott zu finden. Tun Sie das, so sind Sie nicht nur eingeschriebene Mitglieder einer apostolischen Bewegung, sondern in Wahrheit Apostel. Wegen dieses Engagements ist die Vereinbarkeit von Glaube und Wissenschaft nicht nur eine abstrakte Idee, sondern eine von konkreten Menschen gelebte Wirklichkeit. Sie beweisen durch Ihr Leben, daß der Glaube nicht den Freiraum der Wissenschaft einengt, sondern, im Gegenteil, daß die Antworten der verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft für den tief nach Wahrheit hungernden Menschen nur Teilantworten sind. Die Wissenschaft will und kann nämlich nur einen Teil der Wirklichkeit erfassen, um so mehr als dieses Erfassen erneut durch gewollte und notwendige methodische Verkürzung eingeschränkt ist. Der Glaube kann dagegen die Teilansichten der Wirklichkeit überschreiten, wenn er sie als Schöpfung Gottes betrachtet. In dieser Perspektive enthüllen die geschaffenen Dinge dann ihren Sinn. Zumal der Mensch gewinnt seine Würde aus der Tatsache, daß er seinen Ursprung und sein letztes Ziel in Gott hat. Ein Anspruch der Wissenschaft, der dem unveräußerlichen Wert der menschlichen Person schadet, muß daher bestritten und bekämpft werden. Religionsphilosophische Strömungen, die die 1286 Botschaften und Ansprachen menschliche Freiheit zerstören und das Paradies auf Erden versprechen, sind Ideologien. 4: Als Männer und Frauen der Wissenschaft sind Sie besonders kompetent für die Beobachtung und Orientierung der heutigen Gesellschaft. Sie und wir alle müssen den Hinweis des Apostels beachten: „Prüft alles und behaltet das Gute“ (1 Thess 5, 21). Wahrhaft Gläubige zeichnen sich immer durch ihre unerschütterliche, klare Sicht aus. Sie brauchen ihre Augen nicht vor dieser Welt verschließen, da sie ja alle Dinge im Lichte des Glaubens sehen. Schon das erste Kapitel der Genesis versichert uns, daß der Glaube an einen Schöpfergott eine Begegnung ohne Angst mit den geschaffenen Dingen ermöglicht. Der Glaube bewahrt den Menschen vor jedem magischen oder unruhigen Blick auf die Natur. Diese gehört nicht mehr dämonischen Mächten: Gott hat sie den Händen des Menschen anvertraut. Ferner sehen die wahrhaft Gläubigen in jedem Menschen ein Wesen, das absolut Interesse und Sorge verdient, weil jeder Mensch ohne Ausnahme als Bild Gottes geschaffen und für ihn gemacht ist. 5. Zweifellos macht diese fundamentale Orientierung auf Gott hin den Wert des Menschen aus, doch ist sie zugleich eine radikale Forderung. Tatsächlich ist der Mensch für seine ständige Entfaltung verantwortlich und er kann sich vor allem als Gläubiger niemals mit dem zufriedengeben, was er ist. Ein Christ ist nicht berufen, nur ethischen Werten anzuhängen und die von der Gesellschaft vorgestellten moralischen Verhaltensnormen zu befolgen. Jesus selber macht uns in der Bergpredigt das Gegenteü klar. Wir wollen jetzt also unsere ganze Aufmerksamkeit dieser entscheidenden Lehre schenken, die uns der hl. Matthäus überliefert hat. Liest man diese Seiten, so bemerkt man sogleich ihre unbeugsame Strenge. Sie alle haben die eine oder andere dieser Lehren im Gedächtnis. Jesus verbietet nicht nur das Töten, er lehnt auch die Beleidigung und den Zorn gegenüber dem Nächsten ab. Er verdammt nicht nur den vollzogenen Ehebruch, sondern auch den begehrlichen Blick auf eine Frau, den er als Ehebruch im Herzen ansieht. Ähnlich radikale Aussagen - auch den Mantel jenem zu überlassen, der schon den Rock genommen hat, und die linke Wange dem hinzuhalten, der einen bereits auf die rechte geschlagen hat, zweitausend Schritte mit dem zu gehen, der nur tausend Schritte gefordert hat - all das beleidigt oder verletzt uns wenigstens, (vgl. Mt 5, 21—42). Wir müssen zugeben, daß uns die Forderungen Jesu nur bis zu einem gewissen Punkt annehmbar und bedenkenswert erscheinen. Doch angesichts ihrer Radikalität empört sich die Vernunft des Menschen oder sucht falsche Ausflüchte. Aber können wir wirklich vor den ungewöhnli- 1287 Botschaften und Ansprachen chen Forderungen der Bergpredigt fliehen? Muß das Wort Gottes nicht trotz seiner Härte anerkannt und aufgenommen werden? Wir haben uns vielleicht zu sehr daran gewöhnt, uns mit den moralischen Normen zu begnügen, die rein menschliche Klugheit anrät, oder uns mit einem Mittelmaß zu begnügen, das der Mehrheit statistisch erfaßter Meinungen entspricht. Aber die Forderungen der Bergpredigt sind ihrerseits nicht das Ergebnis einer Art statistischen Durchschnitts. Sie erweisen sich vielmehr als ein Protest gegen Gesetze, die das menschliche Leben mittelmäßig und unbeweglich machen möchten. Den Grund für diesen Protest kann man in der Tatsache finden, daß diese Kapitel des Evangeliums sehr stark von der besonderen Sicht Jesu geprägt sind, der das ganze Leben der Menschen von seinem himmlischen Vater her sieht. Die Seligpreisungen zu Beginn der Bergpredigt (vgl. Mt 5,1-11) erfordern tatsächlich die wirksame Anwesenheit eines Vaters, der ihre Verheißungen erfüllt. Nur der Vater kann Garant für das Glück der Armen, Betrübten, Hungernden und Verfolgten sein. Gäbe es den himmlischen Vater nicht, so wären die Verheißungen Jesu völlig leer und nur fromme, aber täuschende Tröstungen. Der ständige Blick Jesu auf seinen Vater ist für ihn die lebendige Quelle seiner Kenntnis und seines Verständnisses für alles. Der Vater reicht nicht dem einen Stein, der ihn um Brot bittet; er gibt dem keine Schlange, die um einen Fisch gebeten hat; gibt der Mensch ein Almosen, so sieht es der Vater auch im verborgenen; wenn er betet, wird der Vater es ihm vergelten; und niemand soll beim Gebet viele Worte machen, denn der Vater weiß im voraus, was wir nötig haben. Man hat den Eindruck, daß Jesus gar nicht anders kann, als ohne Unterlaß an seinen Vater zu denken und alles auf ihn zu beziehen. So prägt er direkt oder indirekt seinen Jüngern die wesentliche Haltung des Evangeliums ein: sie müssen immer auf den Vater blicken und in jedem Augenblick ihres Lebens urteilen und handeln gemäß der Liebe, die der Vater ihnen anbietet. Mit dieser Lehre macht der Herr seinen Zuhörern klar, daß der Mensch imstande ist, sich den anderen gegenüber in einer Weise zu verhalten, die die normale Fähigkeit des Menschen übersteigt und die in den Augen der Welt unverständlich bleibt. Am Ende dieser Predigt wagt Jesus sogar, die Güte des Vaters als Verhaltensnorm für seine Jünger hinzustellen: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (Mt 5, 48). Die Ethik der Bergpredigt wird folglich zu einer Forderung an alle Jünger Jesu: wir müssen also seine Verheißungen ernst nehmen. Jesus ist überzeugt, daß der Mensch bei seiner Antwort auf die Anrufe und die Güte des Vaters die gewöhnlichen Grenzen zu überschreiten vermag. Er zeigt uns auf diese Weise, daß uns von seiten 1288 Botschaften und Ansprachen Gottes neue und unerwartete Kräfte Zuwachsen können. Damit wird sich dann eine Lebensart entfalten, die weit von der allzu häufigen Mittelmäßigkeit entfernt und weit jenseits der bloßen menschlichen Vernunft hegt. 7. Diese Betrachtung, die ich mit Ihnen über die fordernde Botschaft Jesu anstellen wollte, veranlaßt mich ferner, jedem einzelnen von Ihnen und Ihrer ganzen Konferenz meine besten Wünsche auszusprechen und Sie meines Gebets für die geistliche Fruchtbarkeit Ihrer Arbeiten zu versichern. Möge in der Mitte Ihres brüderlichen Austausches immer das Denken Jesu stehen, Sie an sein Evangelium erinnern und Ihnen persönlich und gemeinsam begegnen in schweigendem Gebet und in der Eucharistiefeier. Ich bin überzeugt, daß es Ihnen gelingen wird, die verschiedenen Lebensweisen unserer Zeit immer mehr von Einflüssen zu reinigen, die die Gefahr mit sich bringen, sie zu zerstören. Der Apostel sagt in seinem Römerbrief: „Gleicht euch nicht dieser Welt an“ (12, 2). Daher hoffe ich sehr, daß diese neue wichtige Konferenz der „Pax Romana“ in Ihrer Bewegung einen positiven und nachhaltigen Impuls für die menschlichen Werte weckt, die in Ihr persönliches Leben wie in Ihre gemeinsamen Aktionen einzufügen Ihre große Verpflichtung ist. Aus ganzem Herzen rufe ich auf Sie und Ihre Bewegung das Licht und die Kraft Gottes herab. (O. R. 13./14. 9. 82) Lösungen für die Menschheitsplagen Ansprache an die Mitglieder der Interparlamentarischen Union am 18. September Herr Präsident! Exzellenzen! Meine Damen und Herren! <38> <38> Ich würdige in besonderer Weise Ihre Anwesenheit hier anläßlich der bedeutenden Konferenz, die die angesehene Institution, deren Mitglieder Sie sind, zur Zeit in Rom abhält, und danke Ihnen für Ihren Besuch. Meine verehrten Vorgänger haben es nicht versäumt, ihr Interesse an der Interparlamentarischen Union zu bekunden und ihr Ermutigungen zuteil werden zu lassen. Papst Pius XII. zum Beispiel hob am 9. September 1948 1289 Botschaften und Ansprachen das Bestehen und die Zweckmäßigkeit einer solchen Vereinigung hervor. Und vor zehn Jahren, als die Union ihre letzte Konferenz in Italien abhielt, würdigte Papst Paul VI. offen Ihre Arbeit als Parlamentarier. Nachdem er Ihre politische Arbeit im Hinblick auf die Exekutive, die neuen „Mächte“ der Interessengruppen und Technokraten, eingeordnet hatte, stellte Paul VI. eine gewisse Funktions- und Identitätskrise des Parlaments fest, wünschte aber mit Recht, daß im Rahmen einer notwendigen Entwicklung diese Institution ihre Rolle noch wirksamer erfüllen möge, jenseits von Parteienstreit und unfruchtbarem Spiel. So verstanden, trägt das Parlament in der Tat zur Erhaltung der Demokratie bei. Zeigt die Erfahrung nicht jeden Tag, was eine Nation aufs Spiel setzt, wenn die Regierungsautorität einerseits und die „Pressure-Groups“ andererseits den demokratisch gewählten Vertretern der Gesellschaft - die frei handelt in dem Bewußtsein, die legitimen Ansprüche ihrer Mitbürger zu vertreten, wobei sie das gemeinsame Wohl des ganzen Volkes im Auge haben und die konkreten Realitäten sowie die Grundrechte der Menschen und ihrer Vereinigungen berücksichtigen - den ihnen von Rechts wegen zustehenden Platz nicht mehr überlassen? 2. Wenn Sie sich von den tiefen Erwartungen der Völker leiten lassen, die Ihrem Mandat als Volksvertreter zugrunde hegen, sind Sie sich gewiß der Dringlichkeit voh bewußt, zur Sicherheit und zum Fortschritt derer beizutragen, die Sie bevollmächtigt haben, und das nicht nur innerhalb jeder Nation, sondern in einem immer weiteren Rahmen, da Sie um die engen Bande wissen, die zwischen dem Gemeinwohl eines jeden Volkes und der Verwirklichung dieses Gemeinwohls in weltweitem Maßstab bestehen. Auf der internationalen Ebene wird der Wert und die Bedeutung der Interparlamentarischen Union übrigens durch die Zunahme an Beitritten bestätigt: mehr als ein Drittel im Laufe der letzten zehn Jahre. Der repräsentative Charakter der Union ist um so größer, da in ihr - wie übrigens auch in anderen internationalen Organisationen - Delegierte von Völkern, die um die Erhaltung oder Steigerung ihres oft sehr hohen Lebensstandards bemüht sind, Seite an Seite mit Vertretern von Völkern sitzen, die noch um ihr Überleben kämpfen, das durch Hunger, Krankheiten und Mangel an lebensnotwendigen Gütern gefährdet ist. Die Verschiedenheit der Lebensverhältnisse sowie die vielfältigen Unterschiede in politischer, sozialer und ethnischer Hinsicht verleihen der Interparlamentarischen Union eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Synthese und Förderung, was im übrigen die Themen beweisen, die Sie in diesen Tagen erörtern: die Skala dieser Themen reicht von der Verbindung zwischen der Reduzierung der Rüstungsausgaben und der wirt- 1290 Botschaften und Ansprachen schaftlichen wie sozialen Entwicklung der Dritten Welt bis zur Teilnahme der Parlamentarier im Bereich der internationalen Beziehungen; von der gewünschten Vereinheitlichung der Gesetze zum Umweltschutz, die der Erhaltung des ökologischen Gleichgewichts gelten, bis zu konkreten Maßnahmen zur Bekämpfung des Hungers in der Welt; und auch die Beseitigung von Resten des alten Kolonialismus oder Vorkehrungen gegen jede Form von Neokolonialismus. Statt auf Ihre Funktionen als Parlamentarier in Ihren jeweiligen Ländern zurückzukommen, will ich darum lieber einige dieser Weltprobleme aufgreifen und noch andere, die der katholischen Kirche besonders am Herzen liegen. 3. Ich möchte vor allem an meine Botschaft vom vergangenen Juni an die zweite außerordentliche Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen erinnern, die dem so wichtigen Problem gewidmet war, dem Wahnsinn des Rüstungswettlaufs Einhalt zu gebieten: und zwar nicht nur bei den Kernwaffen, die in Anbetracht ihrer furchtbaren Zerstörungskraft ganz sicher eine tiefe Beunruhigung hervorrufen, sondern auch im Hinblick auf die sogenannten konventionellen Waffen, die ungeheure Geldreserven der Menschheit verschlingen, die doch für ganz andere Ziele bestimmt sein können und sollen. Lassen wir uns nicht entmutigen! Sicher hat die Konferenz von New York am Ende nicht alle Früchte erbracht, mit denen die Völker und Menschen, die sich wirklich dem Frieden verpflichtet fühlen, gerechnet hatten. Sie hinterläßt jedoch die Hoffnung auf vertiefte Fortsetzung dieser Arbeit. Seien wir unermüdlich tätig bei den zuständigen Instanzen, damit die Abrüstung zu einer wirksamen Errungenschaft der heutigen Generationen wird. Dazu muß das Klima des Vertrauens und der Zusammenarbeit gestärkt werden. An Gelegenheiten fehlt es nicht. Für den europäischen Kontinent nennen wir zum Beispiel die bevorstehende Wiederaufnahme der Konferenz von Madrid, die Gelegenheit zu beachtlichen Fortschritten in der Sicherheit und der gegenseitigen Verständigung auf der Linie der Schlußakte von Helsinki bieten kann. Aber ich denke auch an Zusammenkünfte auf kontinentaler Ebene - Amerika, Afrika, Asien - und Initiativen, die den ganzen Planeten betreffen. Zu Beginn dieses Jahres habe ich in meiner üblichen Botschaft zum Weltfriedenstag den Frieden als „Gottes Geschenk, den Menschen anvertraut“, definiert. Der Friede ist also auch Ihnen anvertraut, und das in ganz besonderer Weise aufgrund Ihrer aktiven politischen Berufung und Ihrer großen Verantwortlichkeit auf diesem Gebiet: mögen Sie dazu 1291 Botschaften und Ansprachen beitragen, daß der Friede geschützt, gestärkt und dort, wo er fehlt, geschaffen wird! Muß man diesbezüglich nicht gerade in diesem Augenblick besondere Sorge um den Nahen Osten haben? Aber ich will mich jetzt nicht dabei aufhalten, denn Sie wissen zweifellos, daß ich am vergangenen Mittwoch am Schluß der Generalaudienz die tiefe Besorgnis der Kirche darüber und ihre Überzeugung von den unerläßlichen Maßnahmen, zu einem wirklichen Frieden zu gelangen, klar dargelegt habe. Das soll Ihnen, meine Damen und Herren, deutlich machen, wie sehr die Kirche bereit ist, alle ernsthaften Anstrengungen, die den Frieden zum Ziel haben, zu unterstützen und zu ermutigen, und wie sie ohne zu zögern verkündet, daß, wenn auch die Christen aus besonderen Gründen die aktiven Zeugen dieses göttlichen Geschenks des Friedens sind, die Wahrheit bestehen bleibt, daß das Wirken aller jener, die ihre besten Kräfte dieser Sache widmen, im Zusammenhang mit dem geheimnisvollen Plan Gottes steht und in unseren christlichen Augen große Bedeutung für das in Jesus Christus gestiftete Reich Gottes hat, auch wenn es sich davon unterscheidet (vgl. Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche in der Welt von heute, Gaudium et spes, Nr. 39). 4. Als ich von der Abrüstung sprach, machte ich eine Anspielung auf die Kraftquellen der Menschheit, die bewahrt und entwickelt werden müssen. Das ganze Problem des Hungers in der Welt ist davon betroffen, und ich habe mit Befriedigung festgestellt, daß es ebenfalls auf Ihrer Tagesordnung stand. Die Zusammensetzung Ihrer Union prädisponiert Sie dazu, dieses entscheidende Problem unserer Zeit mit Ernst und Gewissenhaftigkeit zu behandeln. Ich bin selbst wiederholt darauf zu sprechen gekommen, besonders vor den Vertretern und Mitgliedern der FAO. Ich beschränke mich hier auf eine Feststellung und einen Appell. Sind wir, wenn wir die Experten hören, nicht erstaunt über ein Paradox, das Unbehagen in unserem Gewissen zurückläßt? Sie führen uns nicht nur die erschreckenden Zahlenstatistiken des Hungers vor Augen, sondern sie enthüllen uns, daß die ganze Welt zusammen genug hat, um alle Menschen ausreichend zu ernähren, und daß ein ursächlicher Zusammenhang besteht zwischen denen, die sich satt essen, und denen, die den Hungertod sterben. Führt der ungeregelte Nahrungsmittelverbrauch der einen, die große Getreidemengen an ihr Vieh verfüttern, während es ihnen nur zugute käme, sich ausgewogener zu ernähren, nicht dazu, ihre unterernährten Brüder der Proteine zu berauben, die zum Überleben nötig sind? Und könnte die Verteilung nicht verbessert werden? Viele andere, ähnliche Fragen bedrängen unser Gewissen. Ja, es muß Lösungen geben, man 1292 Botschaften und Ansprachen muß sie der öffentlichen Meinung bewußt machen, man muß sie in die Tat umsetzen. Wie mir muß auch Ihnen diese Tragödie Angst einflößen; mit Ihnen fordere ich dringend, daß unsere Solidarität auf diesem Gebiet wirksamer werde, und ich hoffe, daß die auf dieser Konferenz erwogenen Maßnahmen dazu beitragen können. 5. Außerdem kann ich, auch wenn es das Programm der zur Zeit stattfindenden Konferenz überschreitet, eine so wichtige Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne Ihre Sensibilität als Gesetzgeber und politische Führer auf die Grundwerte der Familie und ihrer Aufgaben in der Gesellschaft hinzuweisen. Diese müssen auch in Formen politischen Handelns zum Ausdruck kommen, wie ich in dem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio (Nr. 44) in Erinnerung gerufen habe. Mit anderen Worten, die Familien müssen die ersten sein, die darüber wachen, daß die Gesetze und Einrichtungen des Staates nicht nur die Rechte und Pflichten der Familie nicht verletzen, sondern sie stützen und positiv verteidigen. Betrachten Sie diese vorrangige Aufgabe der Familien nicht als eine Einmischung in die öffentliche Macht auf die Gefahr hin, ihre Autorität zu verringern, denn dann wäre der Zusammenhang mit den wiederholten Appellen zur Beteiligung und zur Initiative nicht mehr gegeben. Sie wissen, wie sehr die katholische Kirche für ihren Teil die Werte der Familie, wie die eheliche Treue, den Sinn der Sexualität und die Forderungen wahrhaft zwischenmenschlicher Beziehungen, die Würde der Frau, das Geschenk und die Achtung des Lebens, das Erziehungsrecht der Eltern und ihre Erziehungspflicht, in allen Ländern unaufhörlich verteidigt, bewahrt und fördert. Wenn die Kirche soviel Energie darauf verwendet, das zu bekunden, und durch die Vermittlung ihrer Priester und Laien so viele Initiativen auf diesem Gebiet entfaltet, dann deshalb, weil sie großen Wert auf die Heiligkeit der Ehe für das Leben der Christen und den Fortschritt der Kirche legt und davon überzeugt ist, daß das ebenso wesentlich für die Gesellschaft ist, deren Lebenszelle die Familie ist. Die Kirche wünscht, daß die verschiedenen Verantwortlichen, vor allem die Gesetzgeber, mit ihr die Größe dieses Einsatzes für die Zukunft der Gesellschaft begreifen. 6. Es ist angebracht, auch noch das Problem der Religionsfreiheit zu erwähnen. Wie Sie wissen, fordert die Kirche für sich keine Privilegien von der zivilen Macht; mit einer Klarheit, die seit dem Konzil noch deutlicher ist als in der Vergangenheit, vertritt sie einen globalen Standpunkt, nach dem die Religionsfreiheit nur eine der Seiten des einheitlichen Prismas der Freiheit darstellt: sie ist ein wesentlicher Grundbestandteil einer wahrhaft modernen und demokratischen Gesellschaft. Demzu- 1293 Botschaften und Ansprachen folge kann kein Staat positive Wertschätzung beanspruchen oder es sogar als sein Verdienst betrachten, nur weil er Religionsfreiheit zu gewähren scheint, wenn er diese in Wirklichkeit aus dem Kontext der Freiheit herauslöst; und ein Staat kann sich nicht „demokratisch“ nennen, wenn er die Religionsfreiheit in wie immer gearteter Weise behindert. Nicht nur, was die praktische Ausübung des Gottesdienstes betrifft, sondern auch in bezug auf die gleichberechtigte Teilhabe an schulischen und erzieherischen Aktivitäten sowie sozialen Initiativen, in die sich das Leben des modernen Menschen immer mehr verknüpft sieht. Gerade die jüngste Geschichte beweist, daß die um das Wohl ihres Volkes besorgten Verantwortlichen des Staates von der Kirche nichts zu fürchten haben; vielmehr sorgen sie, wenn sie deren Aktivitäten respektieren, für eine Bereicherung des Volkes selbst, denn sie machen dadurch Gebrauch von einem sicheren Mittel zu seiner Förderung und Erhebung. 7. Liegt nicht für Sie selbst der Sinn Ihrer jährlichen Zusammenkünfte darin, gemeinsam nach dieser Förderung und Erhebung zu suchen, um eine menschlichere Welt vorzubereiten? Sie geben sich ja nicht damit zufrieden, über die Techniken der parlamentarischen Arbeit und die großen Themen des politischen Zeitgeschehens zu debattieren und sie miteinander zu konfrontieren. Durch die Diskussionen und Kontakte, die es Ihnen ermöglichen, sich gegenseitig besser kennenzulernen, sind Sie auch ständig auf der Suche nach Modellen, die die Überwindung der tiefen Spannungen erlauben würden, die aus den mannigfaltigen Verletzungen und Beschränkungen der Menschenrechte entstehen, z. B. der Ausbeutung im Arbeitsbereich und der verschiedenen Mißbräuche, die gegen die Würde des Menschen verstoßen. Als ich am 2. Oktober 1979 die Ehre hatte, vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen zu sprechen, habe ich bekräftigt, daß „das grundlegende Kriterium für einen Vergleich zwischen den sozialen, ökonomischen und politischen Systemen nicht das der beherrschenden Macht ist und sein darf, sondern das des menschlichen Wertes sein kann und muß, das heißt das Maß, in dem jedes von ihnen wirklich imstande ist, die verschiedenen Formen einer Ausbeutung des Menschen möglichst zu verringern, zu mildem und zu beseitigen und dem Menschen durch seine Arbeit nicht nur die gerechte Verteilung der unerläßlichen materiellen Güter zu sichern, sondern auch eine seiner Würde entsprechende Teilnahme am ganzen Produktionsprozeß und am gesellschaftlichen Leben selbst, das sich in Verbindung mit diesem Prozeß entfaltet. Wir dürfen nicht vergessen, daß der Mensch, wie sehr er auch zum Überleben von den Vorräten der materiellen Welt abhängt, doch nicht ihr Sklave sein darf, sondern ihr Herr“ (Ansprache vor der Vollver- 1294 Botschaften und Ansprachen Sammlung der Vereinten Nationen am 2. 10.1979, Nr. 17; in: O. R. dt. vom 5. 10. 79, S. 10). 8. Dank und Anerkennung sei Ihnen, meine Damen und Herren Parlamentarier, für den Beitrag ausgesprochen, den Sie in Ihren Parlamenten und auf internationaler Ebene im Rahmen Ihrer Interparlamentarischen Union leisten und weiter leisten werden. Könnten Sie, soweit es an Ihnen liegt, zum humanitären Fortschritt der Menschheit beitragen, die in manchen Bereichen unter der Last vergangener und neuer Ungerechtigkeiten stöhnt, die sich nach gleicher Behandlung und verantwortlicher Teilhabe sehnt, die einen legitimen Wohlstand in Frieden sucht, ohne auf eine echte und starke Freiheit zu verzichten! Das alles stimmt mit dem Plan Gottes für die Welt überein. Ich bete zum Herrn, er möge Ihrem Gewissen die Erleuchtung und die Kraft schenken, daß Sie uneigennützig diesem Plan dienen, und ich bin sicher, daß die, die das Glück haben, sich zu religiösem Glauben zu bekennen, es nicht versäumen werden, Gott in dieser Meinung anzurufen, denn er ist größer als unser Herz. Ich selbst rufe auf Sie alle, Ihre Familien und Ihre Länder den reichen Segen Gottes herab, der die Quelle alles Guten ist. (O. R. 20./21. 9. 82) „Eine gesunde Theologie fördern“ Ansprache beim „Ad-limina“-Besuch der belgischen Bischöfe am 18. September In Christus geliebte Brüder! 1. Wieder seid Ihr gemeinsam nach Rom gekommen, um den Besuch an den Gräbern der Apostelfürsten durchzuführen, der seit vielen Jahrhunderten ein Merkmal des katholischen Episkopats ist und ganz besonders zu seiner Einheit beiträgt. Die Wiederholung dieser gemeinsamen Reise alle fünf Jahre könnte eine gewisse Gewöhnung zur Folge haben. In Wirklichkeit aber bringt dieser Besuch eine geheimnisvolle und wirksame Gnade mit sich, die von Christus selbst kommt und von der Sendung, die er dem Apostel Petrus ausdrücklich aufgetragen hat, nämlich seine Brüder im Glauben zu stärken. Die innige Gemeinschaft mit dem Nachfolger des ersten Oberhauptes des Apostelkollegiums ist bereits bei jedem von 1295 Botschaften und Ansprachen Euch Wirklichkeit. Sie nimmt in diesem Augenblick noch mehr den Charakter der Gemeinschaft an, so wie Ihr sie regelmäßig im Rahmen der Tagungen der Belgischen Bischofskonferenz erkennen laßt, die nicht nur für die Diözesen, die Euch übertragen sind, sondern auch für Euer geliebtes, durch den Gebrauch der flämischen und wallonischen Sprache gekennzeichnetes Land, eine Quelle der Einheit darstellen. Möge der Herr, die erste und nie versiegende Quelle der Wahrheit und der Liebe, über dieser brüderlichen Begegnung einen Hauch glühenden Glaubens und dynamischer pastoraler Kraft zum Wohl Eurer Diözesen und Eurer ganzen Nation wehen lassen. Da ich nicht auf sämtliche Aspekte des kirchlichen Lebens in Belgien eingehen kann, möchte ich Euch auf drei Gebieten, die in Euren Berichten häufig erwähnt wurden, und von denen bei unseren Einzelgesprächen die Rede war, meine lebhafte Ermutigung aussprechen, nämlich: die Förderung einer Theologie, die zugleich der Überheferung treu und offen für die Fragen unserer Zeit ist; die Fortsetzung Eurer Bemühungen um eine wirkliche Pastoral der Aufforderung zum ehelosen Priestertum und ständigen Diakonat; schließlich ein schon eingeleiteter Impuls, um die Laien zur Mitarbeit an den vielfältigen Aufgaben des Lebens und der Sendung der Kirche zu veranlassen. 2. Im Rahmen des Bischofskollegiums ist der Bischof nicht bloß der Hüter eines ererbten Glaubensschatzes. Während jeder Bischof gewissenhaft über die Identität des von den Aposteln überkommenen Glaubensschatzes wacht, muß er auch Förderer eines Glaubensverständnisses sein, das - unter Berücksichtigung der Transzendenz der göttlichen Offenbarung - für die heutigen Menschen, so wie sie sind, mit ihrer häufigen Forderung nach Beweisen, annehmbar ist. Ich weiß, daß Ihr auf eine gesunde Theologie bedacht seid, und das mit gutem Grund in einer Zeit, die alte gnostische Lehren aufkommen oder wiederaufkommen sieht, gewagte Vereinigungen, die an das Herz des katholischen Glaubens rühren, wie z. B. das Fehlen oder zumindest die Ungewißheit einer klaren Gleichsetzung Christi mit dem Sohn Gottes und viele andere grundwichtige Punkte des Credos. Ich lege auch Wert darauf zu unterstreichen, daß Ihr das Glück habt, in Löwen eine angesehene katholische Doppeluniversität zu besitzen, mit der ich selbst mich glücklicherweise vertraut machen konnte. Ich würde gern sagen, daß die Bischöfe — deren apostolischer Auftrag es ist, das christliche Volk in seiner Glaubenseinheit zu bewahren - Theologen sein müssen, die auf diesem Gebiet unmittelbar und täglich präsent sind und auf die Veränderungen und Risiken des Lebens der Menschen, 1296 Botschaften und Ansprachen der verschiedenen Gemeinschaften, der apostolischen und anderer Bewegungen achten. Aber es ist ebenso unerläßlich, daß Fachtheologen die spezifische Aufgabe der methodischen Vertiefung des gelebten, bezeugten und vollzogenen Glaubens wahmehmen . . . Theologen-Bischöfe und Berufstheologen ergänzen einander notwendigerweise. Sie müssen gemeinsam, auch durch möglichst häufige und vertrauensvolle Begegnungen, der Kirche ermöglichen, einem gewissen gefährlichen Zwiespalt zwischen einem rein spekulativen und verkapselten lehrhaften Denken und einem pastoralen Denken, das sich den theologischen Quellen allzu leicht entfremdet, zu entgehen. Muß man wiederholen, daß unsere Zeit überall Bischöfe und Theologen braucht, die zugleich klar und mutig sind? Es genügt nicht, die Kommentare der Vergangenheit wieder aufzugreifen. Es wäre von großem Nachteil, angesichts der Neuartigkeit und Komplexität der lehrhaften und ethischen Probleme, die Ihr kennt, zu kapitulieren, und so füge ich hinzu - um verschiedene Eurer Feststellungen zu unterstützen - vor dem Liberalismus, dem Agnostizismus, dem Atheismus oder zumindest dem Säkularismus zu kapitulieren, vor Erscheinungen, die auch Eure Nation christlicher Tradition heimsuchen und Euch große Sorgen bereiten. Ich ermutige Euch daher nachdrücklich - ich sage das den Bischöfen häufig - zum Wohl des christlichen Volkes eine gesunde Theologie zu fördern, indem Ihr zumindest die folgenden vier Punkte berücksichtigt. Wacht weiterhin sorgfältig über die Richtigkeit „des Glaubens, der verstanden werden will“, um so mehr als zahlreiche Theologen sich alle Mühe geben, ihn in neuen Formeln auszudrücken. Denkt auch an das Problem der Kommunikation. Die „Lehrer des Glaubens“ müssen den Hermetismus und auch die schlechterdings verworrene Sprache meiden, die eine Mehrdeutigkeit verursachen können. Die Theologen und ihre Mitarbeiter müssen in der Tat die Christen lehren, die Ereignisse und Umwälzungen, durch die ihr christlicher Glaube und ihre Berufung praktisch in Frage stehen, richtig zu begreifen. Ich füge noch hinzu, daß die Bischöfe, als Garanten der unversehrten Lehre, und diejenigen, die beauftragt sind, für die richtige Entfaltung der Dogmen unter der unverzichtbaren Autorität der Bischöfe zu sorgen, in sich einen tiefen Sinn für die Einheit der Kirche bewahren müssen. Denn es geht nicht darum, genau so viele Theologien aufzubauen wie es Kontinente, Regionen oder Lebensbereiche gibt. Schließlich - und das ist ein Zeichen evangelischer Einfachheit - müssen die Darstellungen der Theologen den Glauben durchsichtiger machen, indem sie daran denken, daß er nicht dazu da ist, nur in Büchern und 1297 Botschaften und Ansprachen theologischen Lehrwerken - so notwendig diese auch sein mögen -niedergeschrieben zu werden, sondern damit er in einfacher, ja ich möchte sagen volkstümlicher Weise gelebt wird. Der Erfolg mancher Sekten kann uns da zu einer heilsamen Überlegung veranlassen. 3. Nun komme ich auf den Rückgang des Diözesanklerus und den spärlichen Priesternachwuchs zu sprechen, die für Euch als Verantwortliche der Diözesen eine der größten Sorgen und ein Leid darstellen, an dem nicht selten auch Eure Gläubigen teilhaben. Es ist nicht das erste Mal, daß die Kirche eine solche Prüfung durchmacht. In Belgien wie auch anderswo kommt es darauf an, unverzüglich eine realistische und ausdauernde Pastoral zur Gewinnung von Berufen zu entwickeln oder wiederzuentwik-keln. Ich habe festgestellt, daß Ihr versucht, unter Jugendlichen Gruppen für die Ausbildung zum geistlichen Leben zu bilden, die sich „Emmaus-Gruppen“ oder ähnlich nennen. Bei der Aufmerksamkeit und glühenden Begeisterung, die Christus selber darauf verwandt hat, sollt Ihr nicht zaudern, Menschen zu rufen. Und laßt Euch dabei von Priestern helfen, die ein gewisses Charisma besitzen, nicht um die Priesterberufe, die das christüche Volk unbedingt benötigt, zu erzwingen, sondern um sie zu wecken und zu leiten. Ich bin überzeugt, daß Eure Diözesen über genügend ausgewogene, hochherzige junge Menschen verfügen, die offen und bereit sind, sich dem evangelischen Ideal zu öffnen. Die Stunde ist gekommen, um die Komplexe und Ängste hinter sich zu lassen, die durch übertriebene und zweideutige Fragen nach der Identität des Priesters oder durch die Ausblutung des Welt- und Ordensklerus in den letzten Jahrzehnten ausgelöst wurden. Ruft junge Erwachsene, die durch ihre Schul- und Universitätsausbildung oder die Ausübung eines Berufs schon in ihrer Persönlichkeit gefestigt sind, zum Priesterberuf. Deshalb dürfen wir freilich nicht eine wichtige und seit Jahren allzu vernachlässigte Tatsache vergessen, nämlich das die Berufungen von Kindheit an vorbereitet werden. Ich glaube fest daran, daß heute wie in vielen Epochen der Kirchengeschichte zahlreiche junge Menschen fähig sind, sich von Christus anziehen zu lassen und sich ausschließlich ihren Mitmenschen zu widmen. Sie scheinen oft wie verirrte Schafe ohne Hirten zu sein, inmitten einer neuen Zivilisation, die zu begreifen, ja zu ertragen sie Mühe haben, solange die wirklichen Werte, die dem Leben und der Menschheitsgeschichte einen Sinn geben, erschüttert und durch die verführerische Zurschaustellung falschen Glücks, wenn nicht gar durch die Lehre, von der Sinnlosigkeit des Daseins ersetzt werden. Muß man noch sagen, daß das alles gleicherweise für die Ordensberufe gilt. 1298 Botschaften und Ansprachen Wenn ich Euch hier empfange, ist es so, als empfange ich die Priester und Ordensleute, die mit Euch für den Dienst am Evangelium arbeiten. Sagt ihnen von mir, wie teuer sie mir sind und wie sehr ich auf ihre Treue zähle. Mögen sie auch weiterhin einzeln und gemeinsam kundtun können, daß sie glücklich sind, ganz und ausschließlich im Dienst Christi zu stehen! Es war sehr tröstlich für mich zu erfahren, daß in zahlreichen Gegenden der Welt am Gründonnerstag oder an einem der diesem denkwürdigen Datum vorausgehenden Tag Versammlungen der Diözesanpriester als Widerhall auf den Appell, den ich in meinen Briefen an die Priester gerichtet hatte, einen an Zahl und Eifer immer größeren Zulauf erlebt haben. Aber auch Eure Sorge, nach einem wohlüberlegten Engagement und einer angemessenen Ausbildung das ständige Diakonat in Belgien zu entwickeln, hat meine Unterstützung. Ohne die alte Kirche sklavisch nachahmen zu wollen, müssen wir uns von den jungen Gemeinden inspirieren lassen, die gewissermaßen unter der ersten Eingebung des Pfingstgeistes gelebt haben. 4. Eure Berichte wie auch die Gespräche, die wir geführt haben, zeugen von Eurem einmütigen Willen, das entscheidende Werk der Ausbildung und Einbeziehung christlicher Laien für die vielfältigen Aufgaben, die sich einer Kirche im Missionszustand stellen, fortzusetzen. Die Entwicklung der Pastoralräte und die Vermehrung der Animatoren für Pfarrarbeit sind ein Beweis dafür. Die Kirche in Belgien ist also weiterhin sehr bedacht auf Organisation und Strukturen. Ich beglückwünsche Euch dazu. Keine christliche Gemeinde, wie groß oder klein sie auch sein mag, kann heute ohne die tätige Solidarität aller ihrer Mitglieder leben oder überleben. Lehrt Eure Priester und bittet sie, auch voneinander zu lernen, sich zugleich als verschieden zu akzeptieren und gegenseitig zu ergänzen. Ich wußte das bereits, doch war ich überrascht, auf meinen apostoüschen Reisen die Bestätigung dafür zu sehen: in jeder Gemeinde gibt es sehr viele und verschiedene Gaben, die von den Verantwortlichen der Gemeinde nicht immer entdeckt, angeregt und eingesetzt werden. Es gibt Menschen, die die Fähigkeit besitzen, Gedanken und Vorstellungen zu liefern, und es gibt andere, die in der Lage sind, diese Gedanken durch einsame und dann gemeinsame Reflexion zu vertiefen. Es gibt Menschen, die geborene Organisatoren sind, und solche, die wertvolle und perfekte Mapager sind. Es gibt Menschen, die besonders begabt sind für die Planung und Verwaltung eines Budgets, und solche, die sehr geschickt sind, die Gründe für Sammlungen verständlich zu machen. Es gibt Menschen, die eine christliche Lebenserfahrung und eine bemerkenswerte 1299 Botschaften und Ansprachen Klugheit besitzen, um an der Vorbereitung auf die Sakramente teilzuhaben, und andere, die imstande sind, zur Beseelung des Gottesdienstes beizutragen. Es gibt Menschen, die bei der religiösen Erziehung von Kindern Wunder wirken oder wirken könnten, und solche, die die Gabe haben, die Heranwachsenden geistlich anzusprechen und mitzureißen. Es gibt Menschen, denen die Gnade zuteil wurde, Gebetsgruppen leiten zu können, und andere, die es verstehen, christlich inspirierte Freizeit zu gestalten. Es gibt Menschen, die die Fähigkeit besitzen, Probleme der Gesellschaft zu erfassen und voranzutreiben und so den „Sauerteig“ des Evangeliums bilden, und andere, die erfolgreiche Multiplikatoren oder auch Redakteure der christlichen Presse sind. Mir will scheinen, daß Eure Kirche in Belgien fähig ist, auf diesem Gebiet noch mehr zu leisten. Sie muß vor allem darüber wachen, daß diese verschiedenen Dienste mit Glauben, mit Sinn für die Kirche erfüllt und mit Gebet verbunden sind, damit sie nicht zu einem Aktivismus werden, der kein Heilmittel gegen den Säkularismus der Umwelt wäre. Der Apostel Paulus - mit seinem apostolischen Eifer und seinem apostolischen Geist - wäre glücklich gewesen, Euch zur Entdeckung und zum Einsatz aller jener Gaben anzuspomen, die im Leben Eurer Christen schon praktisch oder potentiell vorhanden sind. Er hätte Euch vielleicht sogar ermutigt, noch mehr Gebrauch von den audio-visuellen Medien zu machen - und das mit äußerster Sorgfalt für die Qualität der Sendungen -zur richtigen Information Eurer Diözesanen über die aktuellen Probleme, die das Dogma und die christliche Moral betreffen, oder über Perioden der Kirchengeschichte, von denen sie oft wenige oder recht ungenaue Kenntnisse haben. Die heutige Kirche würde bei der häufigeren und besseren Anwendung der modernen Kommunikationsmittel gewinnen. Mit einem Wort, ich möchte, daß Eure Diözesen und Eure Pfarreien summenden Bienenstöcken gleichen, die in Belgien und darüber hinaus offenbar machen, was das Volk Gottes ist, darauf bedacht, die Impulse tatsächlich zu leben, die es besonders vom Zweiten Vatikanischen Konzil erhalten hat. Die Zeit ist gekommen, Fragestellungen und Kritiken, die die Kirche geschwächt haben, hinter sich zu lassen. Möge die Förderung des bischöflichen Dienstes, des priesterlichen Dienstes, des ständigen Diakonats und des Laikats mit solcher Ausdauer und in solcher Harmonie vorgenommen werden, daß Eure verschiedenen Gemeinschaften daraus eine Lebenskraft schöpfen, die bereits das Heilmittel ist - und noch mehr werden wird - gegen einen Säkularismus, der eine eindimensionale Welt schafft, die der ganzheitlichen Entfaltung des Menschen diametral entgegengesetzt ist! 1300 Botschaften und Ansprachen Liebe Brüder im Bischofsamt, die Ihr für die Diözesen in Belgien verantwortlich oder als Weihbischöfe Euren Bischöfen zur Seite steht, habt mehr Mut und Vertrauen denn je! Der Herr ist immer mit denen, die sein Haus bauen, das heißt, die den Leib Christi, die Kirche, aufbauen, das sichtbare Zeichen des Heils, das Gott der Menschheit unaufhörlich vorstellt. (O. R.19. 9. 82) Wahre Wissenschaft - echter Glaube Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses der italienischen Akademie der Wissenschaften vom 21. September Geehrte Herren! 1. Ich schätze mich glücklich, Sie mit herzlichen Gefühlen der Sympathie für jeden einzelnen und aufrichtiger Anerkennung für Ihr wissenschaftliches Schaffen empfangen zu dürfen, verehrte Präsidenten und Vertreter der Akademie der Wissenschaften, die Sie aus zahlreichen Nationen der Erde in Rom zusammengekommen sind, um das 200jährige Gründungsjubiläum der italienischen Akademie der Wissenschaften, auch Akademie der Vierzig genannt, zu feiern, der Prof. Gian Battista Marini-Bettölo vorsteht, der mir seit langem durch seine Mitgliedschaft an der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften bekannt ist. Das Thema Ihres Kongresses lautet: „Die Akademie der Wissenschaften vor dem Jahr 2000.“ Mit Interesse habe ich in das Arbeitsprogramm Einblick genommen, das Zeugnis gibt von der Vitalität Ihrer Akademien, die mit der begründeten Überzeugung, in Zukunft die Arbeit der Wissenschaften und der internationalen Zusammenarbeit im Geist ihrer jahrhundertealten Tradition weiterführen zu können, dem dritten Jahrtausend der christlichen Zeitrechnung entgegengehen. Die Akademien der Wissenschaften entstanden im 17. Jahrhundert in den einzelnen Nationen und festigten sich vor allem im 18. Jahrhundert als Einrichtungen, die der Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaftlern der einzelnen Länder durch Kommunikation und Diskussion, entsprechend der experimentellen Methode Galileis und Newtons, Rechnung trugen. Heute erweitern die Akademien den Rahmen der Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen und sind oft dazu aufgeru- 1301 Botschaften und Ansprachen fen, zu wissenschaftlichen und technischen Problemen größter gesellschaftlicher Bedeutung auf nationaler und internationaler Ebene Stellung zu, nehmen. 2. Ihr Kongreß mit seinen Vorträgen und Diskussionen beweist die Absicht der Akademie der Wissenschaften, im Geist internationaler Zusammenarbeit die wissenschaftliche Forschung, ihre Ausrichtung und ihre großen Entwicklungslinien voranzutreiben, vor der gesamten Welt den Einfluß der Wissenschaft auf die Gesellschaft darzustellen und den Einfluß der wissenschaftlichen Errungenschaften und der technologischen Entscheidungen auf das Leben des Menschen aufzuzeigen: in der Gesamtheit ihrer Aufgaben sind die Akademien dazu aufgerufen, Kultur zu schaffen, und Kultur ist alles, was sich im Sinn von Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe dem Menschen dienstbar macht. Es ist eine streng wissenschaftliche Aufgabe der Akademien, die Grenzen der Wissenschaften zu erweitern; doch ist es außerdem ihre soziale Aufgabe, auf die Fragen der Gesellschaft zu antworten, und es ist ihre moralische Pflicht, ihr Werk zugunsten des Menschen und des Friedens unter den Völkern fortzuführen. Die Wissenschaft war besonders in diesem letzten Jahrhundert einer der Faktoren, die am stärksten auf die Entwicklung der Gesellschaft und auf die Zukunft des Menschen eingewirkt haben, doch oft haben sich die im wachsenden Maß perfekten und tödlichen Technologien, die diese Entwicklung nach sich zog, gegen den Menschen gerichtet, so weit, daß erschreckende Lager von konventionellen und atomaren Waffen, von biologischen und chemischen Mitteln geschaffen wurden, die imstande sind, einen Großteil der Menschheit zu zerstören. 3. Die Akademien der Wissenschaften können mit einer beispielhaften Geste internationaler Zusammenarbeit, die auf den allgemeinen Grundwerten der Kultur und der Ethik gründet, einen entscheidenden Einfluß auf die Regierungen und die öffentliche Meinung ausüben, so daß durch eine neue, wirksame Politik des Friedens und der Solidarität unter allen Staaten und Nationen der Erde, die die Menschenrechte achtet und den Wohlstand jener Völker fördert, die im gegenwärtigen Weltwirtschaftssystem immer ärmer werden - was besonders für die Kinder den tragischen Tod bedeutet -, eine endgültige Wende in der Menschheitsgeschichte erfolgt. 4. Durch die wachsende Perfektionierung der Maschinen wird der Mensch von der körperlichen Mühe befreit und erhält eine Hilfe in der nicht schöpferischen, geistigen Arbeit, wird aber auch in einen Zustand der Abhängigkeit von der Maschine versetzt. Die Entwicklung der Tech- 1302 Botschaften und Ansprachen nologien, die von gewissen Industrien angewandt werden, wirkt sich schädlich auf die Umwelt aus und führt zu Störungen des ökologischen Gleichgewichts, die das Leben des einzelnen und ganzer Völker oft schwerwiegend beeinträchtigen. Die durch die Anwendung von Insektenbekämpfungsmitteln zum Schutz der Ernte und anderer schädlicher Mittel verursachte Verseuchung der Lebensmittel läßt nicht geringe Sorgen um die Gesundheit der Menschen entstehen. Ernste Vorbehalte müssen bezüglich der genetischen Manipulation am Menschen geäußert werden. Die Technik könnte bei richtiger Anwendung durch die Produktion höherentwickelter und widerstandsfähigerer Pflanzen und geeigneter Medikamente jedoch ein wertvolles Instrument zur Lösung schwerwiegender Probleme darstellen, angefangen von denen des Hungers und der Krankheit. 5. Aufgrund der negativen Seiten der modernen Technologien wird die Wissenschaft heute von vielen mit schwerer Sorge betrachtet. Ich bin der Ansicht, daß die Akademien der Wissenschaften, weil sie aus Wissenschaftlern von hohem Ruf und bewährter Erfahrung, aus treuen Jüngern und Suchern der Wahrheit bestehen, mit ihrer wissenschaftlichen Autorität, mit der Freiheit und Unabhängigkeit ihres Urteils eine gültige Antwort auf alle Sorgen, in die die heutige Welt verstrickt ist, geben können und daß sie mit Wissen und Gewissen ihre Technologien auf das Wohl des Menschen hinlenken können. Es ist dies eine harte Aufgabe angesichts der herrschenden Interessen und der skrupellosen Mächte, aber eine edle und schöne Aufgabe, nicht zu trennen von der Mühe der wissenschaftlichen Untersuchung und dem moralischen Gewissen des Wissenschaftlers; es ist eine Aufgabe, die den einzelnen Wissenschaftler wie die universelle Gemeinschaft der Wissenschaftler im Einsatz zum Wohl des einzelnen, der Nationen, der gesamten Menschheit einschließen muß. Diese edle Aufgabe ist von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften mit voller Unterstützung des Hl. Stuhls sowie meiner eigenen erfüllt worden, als sie - zu einem Zeitpunkt, in dem das Problem von den Staatsoberhäuptern und der öffentlichen Meinung noch nicht maßgeblich gesehen wurde - die Auswirkungen des Einsatzes von Atomwaffen aufzeigte und mit wissenschaftlicher Zuständigkeit und moralischer Gewissenhaftigkeit bewies, daß weder Wissenschaft noch Medizin den Auswirkungen einer Atombombardierung abhelfen können. Ich habe dieses Beispiel aus der Tätigkeit der Päpstlichen Akademie, die mit Klugheit und fester Initiative von Prof. Carlos Chagas geleitet wird, angeführt, um zu beteuern, daß die Akademien der Wissenschaften über ihre traditionellen Aufgaben hinaus nicht auf eine richtige Information 1303 Botschaften und Ansprachen über den Gebrauch der wissenschaftlichen Errungenschaften und das Bemühen, sie glaubwürdig zum Wohl der Menschheit anzuwenden, verzichten können. 6. Die obengenannte Aufgabe der Information und Wegweisung der öffentlichen Gewalt und der öffentlichen Meinung beweist, daß die Akademien trotz Beibehaltung ihrer stark selektiven Strukturen, was ihre Pflicht ist, sich nicht in ihre geschlossenen Diskussionen wie in Elfenbeintürme einschließen dürfen, sondern sie müssen bereit sein, im Dialog mit der gesamten Menschheit die Programme zu diskutieren, die den zeitgenössischen Menschen im Hinblick auf das dritte Jahrtausend bedrängen, beispielsweise das Energieproblem, das Problem der erschöpfbaren Rohstoffquellen, des Hungers in der Welt, der Krankheiten und Epidemien, von denen Hunderte Millionen von Menschen betroffen sind und die ihre Kraft und Arbeitsfähigkeit verringern; das Problem der Drogen, die auf die psychische Sphäre des Menschen und sein Leben einwirken, besonders bei Jugendlichen. Das künftige Schicksal der Menschheit legt den Mitgliedern einer Akademie aufgrund der wissenschaftlichen Verdienste, die sie berühmt gemacht haben, die schwere Pflicht auf, sich für das gemeinsame Wohl der ganzen Welt nach ihrem Gewissen einzusetzen. 7. In jenen Ländern, die in der Industrialisierung eine bessere Zukunft suchen, müssen die bestehenden und noch zu errichtenden Akademien zur Bildung eines wissenschaftlichen Gewissens der einzelnen Völker beitragen, so daß sie die wissenschaftliche und technische Orientierung leiten und Irrwege korrigieren. Durch die Verbindung der Akademien der Industrieländer mit den Akademien der Entwicklungsländer auf der Ebene der Parität in der wissenschaftlichen Weltgemeinschaft und vom Geist der Zusammenarbeit beseelt und frei von materiellen und parteilichen Interessen, wird man eine in wachsendem Maß dringende internationale Zusammenarbeit verwirklichen können, die vom Geist der Enzyklika Populorum progressio meines Vorgängers Paul VI. und von der Liebe zu den weniger entwickelten Völkern inspiriert wird, aber auf konkreten Direktiven gegründet ist. Heute muß die Wissenschaft wie nie zuvor mit all ihrer Kraft zum wahren Fortschritt des Menschen beitragen und die drohende Gefahr der verbrecherischen Anwendung ihrer Entdeckungen femhalten: Es ist also die Notwendigkeit geboten, daß die Gemeinschaft der Wissenschaftler, im Bewußtsein, daß die Wissenschaft ein wesentliches Element des menschlichen Fortschritts darstellt, über die richtige Anwendung ihrer Forschungen im Dienste des Menschen wacht. 1304 Botschaften und Ansprachen Wie es das Zweite Vatikanische Konzil unterstrich und wie auch ich selbst mehrmals zu äußern Gelegenheit hatte, existieren heute die alten Antinomien zwischen wahrer Wissenschaft und echtem Glaube nicht mehr. Die Kirche ist somit Ihre Verbündete, meine Herren Präsidenten und Akademievertreter, und sie will Ihren absolut notwendigen moralischen Einsatz, als einzelne oder insgesamt, über alle territorialen und ideologischen Grenzen hinaus unterstützen, um der Menschheit den Frieden zu sichern und mit ihm die Erfüllung der zu einem menschenwürdigen Dasein notwendigen Bedürfnisse des Menschen, der von Gott als sein Ebenbild geschaffen ist. Auf Sie und auf Ihre Arbeit rufe ich von Herzen Gottes Segen herab. (O. R. 22. 9. 82) „Aus den Schätzen der Vergangenheit erbauen wir die Zukunft“ Ansprache an die Jugend auf dem Domplatz von Brescia, 26. September Liebe, junge Freunde! 1. Ich habe diese Begegnung mit Euch sehr herbeigesehnt und begrüße Euch nun aus ganzem Herzen. In dieser festlichen, von Herzlichkeit erfüllten Stunde fühle ich mich der ganzen geliebten Jugend von Brescia nahe: allen, die in der großen und volkreichen Kirche der hll. Faustinus und Giovita die jugendliche Substanz darstellen, in den drei Tälern von Brescia, der Stadt und ihren Vororten und im Flachland. Junge Leute jeder Herkunft und jeden Standes, aus der Welt der studierenden Jugend und jener der Land- und Fabrikarbeiter: Ihr sollt wissen, daß Ihr alle im Herzen des Papstes einen Platz habt und er Euch herzlich grüßt und segnet. 2. Unsere Begegnung findet auf diesem Platz statt, der nach Paul VI. benannt und von großen Erinnerungen umgeben ist, die, in ferne Zeiten zurückreichend, das historische Antlitz von Brescia gestalten, der römischen und klassizistischen Stadt, kommunal und vom Risorgimento geprägt, gottesfürchtig und unerschrocken. Es ist das Antlitz des katholischen Brescia, von dessen jahrhundertealten Wurzeln der Rundbau des 1305 Botschaften und Ansprachen alten Domes zeugt, während seine weite Ausdehnung in den folgenden Jahren sich in den aufstrebenden, klaren Linien des neuen Domes zu verkörpern scheint. Aber mehr noch. Dieser Ort ruft uns in ergreifender Weise die Kindheit und Jugend Eures großen Mitbürgers, meines unvergeßlichen Vorgängers Papst Paul VI., in Erinnerung. Hier hat er sich auf das Leben vorbereitet, zunächst behütet von der liebevollen und warmen Familienatmosphäre in der Via delle Grazie, dann als Schüler und Student bewährter und hochverdienter Institute, wie des Collegio Arici, des Oratoriums Deila Pace des hl. Filippo Neri und schließlich des Diözesanpriesterseminars. Diese sorglose und gedankenvolle Jugendzeit, die hier die ersten Erfahrungen der Freundschaft und des Apostolats machte und sich auch in journalistischen Schlachten erprobte, mündete ein in die Priesterweihe, die Giovanni Battista Montini in dieser Kathedrale empfangen hat. Von hier nahm sein weiterer Lebensweg seinen Ausgang, der ihn von Brescia weg- und nach und nach über immer wichtigere Funktionen schließlich zum Sendungsauftrag des Oberhirten der Universalkirche hinführte. Aber in all dem Wechsel von Zeiten und Orten kehrte Euer großer Landsmann in Gedanken häufig in die Jugendjahre zurück, die er wegen der großen Gnaden, an denen sie reich waren, „immer in Dankbarkeit gegenüber dem Herrn in Erinnerung bewahrte“ (Insegnamenti di Paolo VI, III, 1965, S. 1021). Aus diesen Erinnerungen gewann Papst Paul ein Lebensprinzip, an das ich hier gern erinnern möchte. Als er einmal zu den Priestern dieser Diözese sprach, sagte er: „Aus der Größe der Vergangenheit schöpft die Hochachtung, die wir der Tradition schulden, ihre Daseinsberechtigung und das fromme Geheimnis ihrer Schönheit. Der Tradition in ihrer feierlichen und theologischen Bedeutung als Uberheferung des Gotteswortes . . . und der Tradition in ihrer bescheideneren und sehr viel weniger verpflichtenden Bedeutung, die wir als Ortsgeschichte bezeichnen können, die aber gleichfalls ein kostbarer Schatz ist, wenn wir begreifen, wieviel Gutes die Erfahrung, die Weisheit, der besondere Charakter eines Volkes von Generation zu Generation weitervererben, nicht als Last, die es zu tragen, oder als Zügel, die es zu erdulden gilt. . ., sondern als Lichtbündel, das seine Strahlen auf künftige Wege wirft und die Schritte zu beherzterem Lauf anspornt“ (Insegnamenti, VIII, 1970, S. 602-603). 3. Das ist eine Lehre von ungeheurer Tragweite. Ich möchte sie Euch, meine lieben, jungen Freunde, heute wieder vorlegen mit derselben Kraft 1306 Botschaften und Ansprachen und demselben Nachdruck, mit der Paul VT. ihr bei jenem Anlaß Ausdruck verliehen hat. Und ich setze hinzu: erweist Euch Eurer erhabenen und reichen Tradition würdig! Macht der Fülle der von den Vorfahren ererbten Erfahrungen und Werke, von denen viele dem Namen des katholischen Brescia über seine Ortsgrenzen hinaus Ehre erwiesen haben, Eurerseits alle Ehre! Das ist eine Forderung und eine Frage der Treue. Die Treue erschöpft sich nicht im eifrigen Hüten und in der klugen Auswertung des aus der Vergangenheit überkommenen Erbes. Die Treue ist der auf die Zukunft gerichtete Blick und der engagierte Einsatz für diese Zukunft. Das war einer der Brennpunkte der geduldigen nachkonzi-liaren Pädagogik Pauls VI. (vgl. z. B. Insegnamenti, XIV, 1976, S. 200). Ich möchte, daß er auch zum Leitstern Eurer Jugend wird. Papst Paul VI. lebt nicht mehr, er weilt nicht mehr unter den Lebenden. Aber wir sehen ihn heute als Jugendlichen. Wir sehen ihn als jungen Menschen unter den jungen Leuten seiner Stadt. Gehen wir zwei, drei Generationen zurück, und wir sehen ihn jung, wie ihr jung seid. Was hätte Euch jener Paul VI. zu sagen, der nicht mehr unter den Lebenden weilt, aber einst jung war, ein junger Mann aus Brescia? Was würde er Euch sagen? Nun, etwa folgendes: Ihr legt mit Recht das Ziel Eurer Erwartungen für morgen fest. Aber es gibt kein Morgen, das aus dem Nichts entspringt. Es gibt keine, es kann keine Zukunft geben, die auf der Leere oder auf Sand gebaut wäre. Nur wenn Ihr Euch auf das Erbe der menschlichen und christlichen Werte stützt, die von den Generationen junger Leute der Vergangenheit errungen worden sind, werdet ihr die heutige Welt zu Fortschritten auf neue und gültige Ziele hin bewegen können. 4. Meine Lieben, lebt Eure Jugend in echt christlichem Lebensstil. Beweist durch die Tiefe Eurer Überzeugung und Eures folgerichtigen Verhaltens, daß Jesus Christus unser Zeitgenosse ist. Also nicht nur Paul VI., Jesus Christus ist unser Zeitgenosse. Auf diese Weise leben wir die Tradition. Aus den Schätzen der Vergangenheit erbauen wir die Zukunft. Jesus Christus ist unser Zeitgenosse, nicht ein ehrwürdiges Museumsstück, sondern der absolut Lebendige, der Weggefährte des Menschen unserer Zeit. Das Christentum ist die Religion der Jugend. Das ist keine Phrase und natürlich auch keine Behauptung, die Ausschließlichkeit beansprucht. Das Wort des Herrn ist für alle bestimmt und allen angepaßt. Es zeigt sich jedoch besonders verwandt mit der Jugend wegen der ihr innewohnenden Kraft zur Rückeroberung und Erneuerung, wegen seiner geheimnisvollen 1307 Botschaften und Ansprachen Fähigkeit, unaufhörlich den Rhythmus des geistlichen Weges in Schwung zu halten, ihm die Hochherzigkeit, den Enthusiasmus zu geben, die typische Merkmale der Jugend sind. Die Gunst dieses Alters ist ein unermeßliches und zugleich vorübergehendes Gut. Wehe, man würde das vergessen. Das Evangelium breitet einen Schleier des Schweigens über jenen Jüngling, der nicht den Mut hatte, auf die Einladung Jesu mit Ja zu antworten (vgl. Mt 19, 16-22; Mk 10, 17-22; Lk 18, 18-23). Ein reicher, junger Mann, aber nicht glücklich; ein Mensch ohne Entwicklung und ohne Geschichte, dem wohl keiner von Euch, meine heben, jungen Freunde, seinen Namen leihen würde. Ich bin sicher, daß Ihr Euch hingegen in denjenigen Eurer Altersgenossen wiedererkennen wollt, die mit lautem Jubel für Christus Zeugnis ablegten, als er vor dem Herannahen seiner Passion in Jerusalem Einzug hielt. Paul VI. wollte, daß der betont jugendliche Charakter jenes Ereignisses bei den liturgischen Feiern des Palmsonntags in der vatikanischen Basilika einen konkreten Ausdruck finden sollte, und führte darum den schönen Brauch ein, sich bei diesem Anlaß mit Jugendlichen zu umgeben. Er wollte damit klar herausstellen, daß unter dem Volk, das den Messias intuitiv erkannte „die jungen Menschen die am meisten begeisterten und die aktivsten waren. Sie waren die Boten des Messias. Sie schauten in die Zukunft; kühn traten sie auf; man sah ihnen ihr Glück und ihre Freude an. Sie begriffen, daß das die Stunde Gottes war“ (Insegnamenti, XIV, 1976, S. 242-243). 5. Auch heute ist die Stunde Gottes. Die Jugend weiß das oder ahnt es zumindest. Pater Giulio Bevilacqua, der glühende „Kardinal-Pfarrer“, der unvergleichliche Lehrer und Freund ganzer Generationen von Einwohnern Brescias, stellte, als er die Krise der modernen Jugend analysierte, mit dem für ihn charakteristischen, kraftvollen Ungestüm - zwar unter negativem Aspekt - fest, es gäbe einen „Lebensinstinkt, der besagt, daß sich das Leben nicht auf dem Nein aufbauen läßt“ {Laparola di Padre Giulio Bevilacqua, Brescia 1967, S. 78). Das Ja zu Christus muß Eurem Lebensstil unauslöschlich eingeprägt sein. Ein totales und klares Ja, entschieden und vollständig, fern von Sophismen, Zweideutigkeiten und Schwankungen. Das scharfe Bewußtsein für das Heute, das Euch junge Leute kennzeichnet, wird von der Sicht des Glaubens harmonisch abgestimmt und beseelt, nämlich von der Gewißheit, daß der auferstandene Christus in der heutigen Geschichte und im Herzen des Menschen am Werk ist. Ihr gesunden und starken, jungen Leute! Ich spreche zu Eurem Herzen, dem das Siegel Christi aufgeprägt worden ist. In seinem Namen und mit 1308 Botschaften und Ansprachen seiner Autorität wiederhole ich Euch die Botschaft der Seligpreisungen, die ganz erfüllt ist von himmlischer Kraft und zugleich verkörpert in der täglichen Mühe des Lebens. Und ich sage Euch: meßt Euch an der Größe Gottes und bemüht Euch eifrig, die verborgenen Bereiche Eurer inneren Welt zu erforschen. Ihr werdet immer eine Antwort auf Euer Warum finden. Wer ist Christus? Christus ist derjenige, der auf alle unsere Fragen eine Antwort zu geben weiß. Ihr werdet begreifen, daß tausend Schwierigkeiten nicht die Kraft haben, einen Zweifel aufkommen zu lassen: daß kein Steinwurf in das Gefüge der Ehrlichkeit, der Keuschheit, der Hochherzigkeit eine Bresche schlagen kann. Mit den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils wiederhole ich für Euch: „Die Kirche bückt voü Vertrauen und Liebe auf euch . . . Blickt auf sie und ihr werdet in ihr das Antütz Christi finden, den wahren Helden, demütig und weise, den Propheten der Wahrheit und der Liebe, den Begleiter und Freund der Jugend“ (Botschaft des Zweiten Vatikanischen Konzils an die Jugend). 6. Niemand von Euch, meine Lieben, darf übrigens vergessen, daß diese persönüche Erfahrung von Christus die klare Verpflichtung mit sich bringt, all denen davon Zeugnis zu geben, die noch nicht das Glück einer ähnlich befreienden Begegnung mit dem Erlöser hatten. In der Tat, wie wäre es mögüch, Christus kennenzulemen und in ihm die entscheidende Antwort auf die tiefsten Erwartungen des Menschen zu entdecken und nicht instinktiv das Verlangen zu spüren, auch anderen von der Freude mitzuteilen, die aus dieser Entdeckung wie aus einer unversiegbaren Quelle entspringt? Jeder von Euch hat die Aufgabe, unter seinen Altersgenossen Prophet Christi, Apostel des Herrn zu sein. Denen, die keine Hoffnung mehr haben, denen, die sich den anderen nicht mehr zu öffnen vermögen, denen, die von sich behaupten, mit materiellen Dingen zufrieden zu sein, denen, die Opfer des Konsumismus, der Angst, der Vergnügungssucht sind, müßt Ihr den auferstandenen Herrn, sein Leben, seine Hoffnung, sein Reich, seine Liebe verkündigen. Lebt Christus und Ihr werdet auch die Welt begeistern! Der heutige Mensch, vor allem der Jugendüche, ist auf der Suche nach der Wahrheit, die Freiheit und Zukunft schenkt: Ihr werdet gebraucht! Junge Leute werden gebraucht, die imstande sind, die Botschaft Christi wahr, überzeugt und lebensnah darzustellen; junge Leute, die es verstehen, aufrichtig und unaufhörüch die Wirküchkeit zu verschenken, die ihnen begegnet ist und sie mitgerissen hat, die größer ist als sie und sie dazu anspomt, in die Furchen der tägüchen Geschichte den Samen der Unendlichkeit zu säen. 1309 Botschaften und Ansprachen 7. Bei dieser Aufgabe können Euch die Werke und Organisationen, die ganz speziell für die Jugend bestimmt sind und die einen beachtlichen — von vielen bewunderten — Teil der Tradition von Brescia darstellen, von großer Hilfe sein. Mit großer Freude habe ich gesehen, daß die vor kurzem zu Ende gegangene Diözesansynode der Kinder- und Jugendseelsorge eine eigene Sektion gewidmet hat. Sie wies auf Grundsätze hin und entwarf Richtlinien, die die Jugendvereinigungen, -bewegungen und -gruppen stärken sollen, damit sie immer vollkommener dem Erneuerungsimpuls entsprechen, der alle Bereiche einer Gemeinschaft, die Christus folgt und ihn verkündet, beseelen muß, und zugleich den Bedürfnissen der jungen Generationen entgegenkommen. In diesem Zusammenhang habe ich insbesondere den Platz zu schätzen gewußt, der in der Diskussion der Synode den Oratorien eingeräumt wurde. Ganze Generationen haben durch diese Einrichtung Halt, Ansporn, Kraft und Nahrung für einen gültigen Glaubensweg gefunden. Das System der Oratorien, das auf die schöpferische Genialität von Heiligen und Freunden der Jugend, wie Philipp Neri und Johannes Bosco, zurückgeht und sich in Brescia einer besonderen Geschichte rühmen darf, ist noch immer von lebendiger Aktualität. Paul VI. hat es bei vielen Gelegenheiten gelobt und seine Entwicklung empfohlen. Ich mache mir den Gedanken des großen Papstes zu eigen und wünsche eine immer größere Zunahme der Oratorien, da ich sicher bin, daß dadurch alle verdienstvollen Institutionen zur Glaubensverkündigung und Katechese in der Welt der Jugend gefördert werden. Meine Lieben, viele Eurer Altersgenossen sind auf der mühsamen Suche nach echten Werten, doch allzuoft gehen sie dabei Wege des Todes statt des Lebens und der Hoffnung. Ihnen müßt Ihr die Gewißheit bringen, die Euch daraus erwächst, daß Ihr in Christus und der Kirche verwurzelt seid, daß Ihr Euch an das Wort Gottes haltet und die Eucharistie Euch Nahrung ist. Jeder von Euch wird gebraucht. Fühlt Euch als Schuldner derer, die in Zweifeln und Angst sind, derer, die weder glauben noch hoffen können; fühlt Euch als Schuldner aller für die Liebe Christi, die Euch erreicht und gerettet hat, und bringt, von ihm unterstützt, jedem Jugendlichen, jedem Menschen, jedem Bruder die Botschaft seiner Freude! Und nun, da es 12 Uhr Mittag geworden ist, wollen wir, der Gewohnheit der betenden Kirche entsprechend, das Geheimnis der Menschwerdung im Gebet verehren, indem wir Maria, Mutter des menschgewordenen Wortes, grüßen. Wir berufen uns dabei auf die Worte Pauls VI., der vom 1310 Botschaften und Ansprachen „Engel des Herrn“ sagte, daß „seine einfache Struktur, sein biblischer Charakter, sein geschichtlicher Ursprung, der zum Gebet für Frieden und Sicherheit mahnt, sein fast liturgischer Rhythmus, der verschiedene Augenblicke des Tages heiligt, die Ausrichtung auf das Ostergeheimnis“ bewirkt haben, „daß dieses Gebet noch nach Jahrhunderten unverändert seinen Wert und seine ursprüngliche Frische bewahrt“ (Apostol. Schreiben Marialis cultus, Nr. 41, in: Wort und Weisung, 1974, S. 469). Und vor dem Gebet des sonntäglichen Angelus sagte Papst Paul VI. einmal, als er das Geheimnis der Menschwerdung - „das einmaligste, umwälzendste, herrlichste Ereignis der Menschheit: Gottes Wort wird Mensch“ - betrachtete, mit beinahe kindlicher Begeisterung: „Maria, die Demütigste, die Reinste, ist in ihrem liebenswerten Gehorsam bereit, durch den Heiligen Geist die jungfräuliche Mutter des Gottmenschen Christus zu werden. Das ist eine derartige Fülle von Geheimnissen, von Wahrheiten, von Realitäten, in die die göttlichen Pläne und zugleich unser Schicksal verwoben sind, daß die besondere und kindliche Verehrung, die die Kirche, die gläubige und ihrer Erlösung entgegengehende Menschheit für Maria empfinden, gerechtfertigt, ja geradezu gefordert scheint“ (Inse-gnamenti, XI, 1973, S. 284). Als Zeugnis solcher „besonderen“ Verehrung erklärte Paul VI. beim Zweiten Vatikanischen Konzil die allerseligste Jungfrau Maria zur „Mutter der Kirche“, wobei er betonte, daß Maria als „die Mutter desjenigen, der vom ersten Augenblick der Menschwerdung in ihrem jungfräulichen Schoß seinen mystischen Leib mit sich als Haupt vereint hat, . . . auch Mutter der Gläubigen und aller ihrer Priester und Bischöfe, also der Kirche, ist“ (vgl. Insegnamenti, II, S. 675). Erheben wir nun mit vertrauensvollem Herzen unseren Blick zu ihr und beten wir den „Engel des Herrn“. (O. R. 27./28. 9. 82) „Gott ist ein Grund, der trägt“ Predigt bei der Eucharistiefeier in Brescia am 26. September 1. „Die Weisung des Herrn ist vollkommen, sie erquickt den Menschen. Das Gesetz des Herrn ist verläßlich, den Unwissenden macht es weise . . . Die Furcht des Herrn ist rein, sie besteht für immer. Die Urteile des Herrn sind wahr, gerecht sind sie alle“ (Ps 19, 8. 10). 1311 Botschaften und Ansprachen Paul VI., Sohn dieser Erde und dieser Diözese, hat während seines Lebens vom Gesetz des Herrn und von der Weisheit Gottes Zeugnis gegeben. Sie haben seiner Seele auf seiner irdischen Pilgerreise, die am 26. September 1897, also vor 85 Jahren, in Concesio begann und am 6. August 1978 auf dem Stuhl Petri endete, Kraft verliehen. Mit meinem heutigen Besuch in dieser Stadt und bei der Kirche von Brescia möchte ich mit euch der Heiligsten Dreifaltigkeit dafür danken, daß sie uns Paul VI. geschenkt hat. Ich möchte ihr in dieser Diözese danken, in der er sein Erdenleben begann, und in dieser Kirche, durch deren Dienst er im Sakrament des Wassers und des Heiligen Geistes Christ geworden ist. Es war seit langem mein Wunsch, hierherzukommen, so wie ich den Geburtsort Johannes Pauls I. und dann den Johannes’ XXIII. anläßlich der hundertsten Wiederkehr von dessen Geburtstag besuchen konnte. Es war deshalb auch mein brennender Wunsch, den Geburtsort zu besuchen, aus dem die göttliche Vorsehung Paul VI. berufen hat, weil ich mich mit diesem Papst, der für mich nicht nur mein Vorgänger, sondern mein Vater auf dem Stuhl des Bischofs von Rom war, besonders verbunden fühlte. Wenn ich mich heute hier aufhalte, möchte ich in eurer Mitte und zusammen mit euch meine Freude kundtun, denn ihr wißt euch mit Recht in besonderer Weise mit eurem großen Mitbürger verbunden. Paul VI. hat also das Gesetz des Herrn und jene Weisheit geliebt, die dem Menschen Einfachheit und Demut und zugleich Größe verleiht. Er war, nach den Worten der heutigen Liturgie, der Mann der Furcht des Herrn: einer Furcht, die „rein ist und für immer besteht“. „Die Urteile des Herrn“, die „alle wahr und gerecht sind“, sind über ihn schon gefällt. Er lebt bereits im Herrn, in der göttlichen Ewigkeit, er, dem es gegeben war, das Zeugnis der Apostel auf sich zu nehmen und die große, ihm vom Herrn anvertraute Sendung zu erfüllen. 2. Brescia, die Heimat Pauls VI., ist Sitz bedeutender katholisch inspirierter kultureller Einrichtungen. Man braucht nur an die Verlagshäuser zu denken, die hier entstanden sind, und an die von ihnen geförderten Publikationen und Initiativen. Gestattet, daß ich mich gerade an diese Welt der Kultur mit den Worten eures verehrten Mitbürgers wende: „Die Kultur - sagte er - ist menschliche Reifung, ist Wachstum von innen, ist eine echte geistige Errungenschaft; Kultur ist die Erhöhung der edelsten Fähigkeiten, die Gott, der Schöpfer, dem Menschen verliehen hat, um ihn zum Menschen zu machen, um ihn mehr Mensch sein zu lassen, um ihn sich ähnlich zu machen!“ (Insegnamenti di Paolo VI, XIII, 1975; S. 655). Und bei 1312 Botschaften und Ansprachen anderer Gelegenheit sagte er: „Wer hat im Laüfe der Jahrhunderte mehr als die Apostel des menschgewordenen Gottes dazu beigetragen, die Völker zu erhöhen, ihnen außer der Größe Gottes auch ihre eigene Würde zu offenbaren?“ (Insegnamenti III, 1965, S. 811). Das sind nur zwei kurze Zitate: aber wie sollte man in ihnen nicht die leuchtende Klarheit bewundern, mit der Papst Paul sowohl die wesentliche Funktion der Kultur als auch den spezifischen Beitrag zu sehen vermochte, den ihr im Laufe der Geschichte das Christentum gebracht hat? Mit diesen Worten Pauls VI. will ich darum, 85 Jahre nach seiner Geburt, seine Stadt, die kulturelle Umwelt grüßen, der dieser große Papst die ersten Jahre seines Schulunterrichts verdankt. Die schulische Erziehung vervollständigte das grundlegende Werk, das von den Eltern und der Familie im Leben des jungen Christen vollbracht worden war. Es sei mir darum gestattet, heute auch ihrer mit tiefer Verehrung und Dankbarkeit zu gedenken. 3. Brescia, die Heimat Pauls VI., ist eine Stadt der Arbeit und der Industrie. Ich möchte, daß er selbst heute zu diesem Kreis spricht, mit den von Glaube und Inspiration erfüllten Worten, mit denen er sich 1964 an die Arbeiter und Betriebsleiter der Nationalen Elektrizitätsgesellschaft (ENEL) von Brescia wandte: „Ihr könnt. . . die Bedeutung gegenseitiger Erbauung und Hilfe, die die Arbeit besitzt, als eine Gemeinschaft des Willens und der Liebe verstehen, die den Brüdern dient, in der weiteren Sicht des Dienstes, den wir Gott schuldig sind und der von ihm zum Wohl aller geboten ist. In diesem gut organisierten Gefüge ist keiner unnütz, keiner darf sich seiner Verantwortung entziehen, die in Verbindung mit der der anderen einen unersetzlichen Beitrag zum allgemeinen Fortschritt leistet. Alle haben etwas zu geben und etwas zu erhalten und alle sind aufgerufen, sich zu bemühen, indem sie ihre Anlagen und Fähigkeiten entfalten und in angemessener Weise einsetzen. Um aber das oberste Ziel, zu dem Gott uns beruft, nicht aus den Augen zu verlieren, ist das der ständige Gedanke an den Himmel, der alles menschliche Handeln und Tun leiten und adeln und zu edlen und heiligen Vorhaben inspirieren muß: das ist die vom Willen Gottes vorgezeichnete Bestimmung des Menschen“ (Insegnamenti II, 1964, S. 324). Das sind also einige Worte Pauls VI., eures großen Mitbürgers, die er euch heute abend mit der Stimme meines Herzens und meiner Lippen sagen wül. 4. Wie tief fühlte sich Paul VI. den Problemen der heutigen Welt, den Problemen des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. 1313 Botschaften und Ansprachen Vielleicht ist es angebracht, hier noch einmal die Mahnungen des Apostels Jakobus zu lesen, die in der heutigen Liturgie vorgetragen werden: „Ihr aber, ihr Reichen, weint nur und klagt über das Elend, das euch treffen wird! . . . Aber der Lohn der Arbeiter, die eure Felder abgemäht haben, der Lohn, den ihr ihnen vorenthalten habt, schreit zum Himmel; die Klagerufe derer, die eure Ernte eingebracht haben, dringen zu den Ohren des Herrn der himmlischen Heere“ (Jak 5, 1.4). Diese Worte wurden vor ungefähr 2000 Jahren geschrieben, aber ihr Sinn bewahrt noch immer seine eindringliche Bedeutung. Die Kirche versucht, in jeder Epoche durch ihre starke Ausdruckskraft die evangelische Botschaft von der Gerechtigkeit, die die grundlegende Bedingung der sozialen Ordnung und des Friedens ist, wieder zu lesen und zu verkündigen. In diesem Zusammenhang erinnert euch daran, daß Paul VI. in seiner grundlegenden Enzyklika Populorum progressio nach der Warnung, daß das Festhalten an den sozialen Ungerechtigkeiten nur „das Urteil Gottes und den Zorn der Armen - mit unvorhersehbaren Folgen - hervorrufen“ könne (Nr. 49), feststellte: „Die allzu großen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Unterschiede zwischen den Völkern rufen Spannungen und Uneinigkeiten hervor und bringen den Frieden in Gefahr ... In der Bekämpfung des Elends und im Kampf gegen die Ungerechtigkeit besteht zusammen mit der Verbesserung der Lebensbedingungen die Förderung des menschlichen und geistigen Fortschritts aller und also zum gemeinsamen Wohl der Menschheit. Der Friede beschränkt sich nicht auf das Fehlen des Krieges, was jeweils nur Ergebnis des immer gefährdeten Gleichgewichts der Kräfte ist. Der Friede wird Tag für Tag aufgebaut durch die Bemühungen um eine gottgewollte Ordnung, die eine vollkommenere Gerechtigkeit unter den Menschen mit sich bringt“ (Nr. 76). Im Prisma dieser Erklärungen gedenken wir heute Pauls VI., des Papstes unserer Zeit, der die im Jakobusbrief und im ganzen Evangelium enthaltene Botschaft fortgesetzt hat. Als Hüter des apostolischen Erbes stellte sich dieser Papst energisch auf die Seite jeder guten Tat, jeden „Glases Wasser“, das dem Nächsten gereicht wurde (vgl. Mt 10, 42), und er stellte sich ebenso gegen alle jene Skandale, von denen das heutige Sonntagsevangelium spricht und die in unserer Zeit so zahlreich sind. 5. Er war der Hirte des Volkes Gottes wie Mose - von dem die heutige Liturgie spricht - und brachte in ähnlicher Weise den glühenden Wunsch zum Ausdruck, den wir in den Worten des Mose lesen: „Wenn nur das ganze Volk des Herrn zu Propheten würde, wenn nur der Herr seinen Geist auf sie alle legen würde!“ (Num 11, 29). 1314 Botschaften und Ansprachen In der Tat, während des Pontifikats Pauls VI. hat das Zweite Vatikanische Konzil seine Tätigkeit entwickelt und abgeschlossen; und dieses Konzil hat seiner Lehre die Wahrheit von der Teilhabe des ganzen Gottesvolkes an der prophetischen, priesterlichen und königlichen Sendung Christi zugrunde gelegt, das heißt die Wahrheit von der Berufung und dem Apostolat aller Christen (vgl. Dekret Apostolicam actuositatem, Nr. 2). Und wie das Konzil hat Paul VI. die Kirche in dem universalen Dialog über das Heil gesehen, in dem Christus gegenwärtig ist; wo er gegenwärtig ist und die Worte zu verkündigen scheint, die wir in der heutigen Evan-gelienperikope gehört haben: „Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns“ (Mk 9, 40). Vor euch, Mitbürger Pauls VI., wollte ich heute wenigstens kurz auf seinen gesamten pastoralen Dienst Bezug nehmen, durch den er ständig auf jenen Wegen Christi, des Guten Hirten, anwesend sein wollte, die unsere ganze heutige Zeit, den Geist, die Herzen und das Bewußtsein der Menschen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchdringen. 6. So möchte ich denn zum Abschluß, daß noch einmal euer großer Mitbürger zu euch spricht, und zwar mit den Worten, die er im Jahre 1977 an seine Geburtsstadt richtete, nachdem er einige herausragende Gestalten Brescias erwähnt hatte, auf welche die jungen Generationen blicken könnten, um sie als Vorbild für ihren Einsatz zu nehmen: „Die Fundamente Brescias stützen sich auf den Glauben an Gott: das war die Überzeugung der Väter. Es möge auch die Überzeugung ihrer heutigen Nachkommen und der späteren Generationen bleiben. Gott ist ein Grund, der trägt. Auf ihn kann man mit zuversichtlichem Blick in die Zukunft bauen . . . Der Herr schütze immer diese Stadt (Brescia), die uns so teuer ist, damit ihre Bewohner in tätiger Eintracht leben und, unterstützt und geleitet von den unvergänglichen Grundsätzen des Evangeliums, beständig in der friedlichen Suche nach gerechtem Wohlstand voranschreiten können“ (Insegnamenti XV, 1977, S. 1184). Gott bewahre dich, Brescia! Und du, beachte stets sein Gesetz! Sei stets Christus und seiner Kirche treu! Mit inniger Bewegung grüße ich euch alle: voll Hochachtung grüße ich die Autoritäten der Provinz und der Stadt; voll Zuneigung grüße ich den Bischof dieser Diözese und die Bischöfe der Lombardei sowie den Klerus, die Ordensmänner und Ordensfrauen; die Männer und Frauen aus der Welt der Kultur und der Arbeit; die Jugend, die Alten und die Kranken. Ich grüße ganz Brescia in seinem menschlichen und christlichen Reichtum, indem ich die aus dieser Stadt Gebürtigen und die Zugewanderten gemeinsam in die Arme schließe: unter letzteren gilt ein besonderer 1315 Botschaften und Ansprachen Gedanke meinen Landsleuten, von denen eine Gruppe an dieser Begegnung teilnimmt. 7. Dein Wort, o Herr, ist die Wahrheit. Heilige uns in der Wahrheit (vgl. Joh 17, 17 und den Halleluja-Gesang). Liebe Brüder und Schwestern, nehmt diesen Dienst des Wortes an, den ich euch gegenüber erfüllen wollte, indem ich die Erinnerung an Papst Paul VI., euren Mitbürger, wachrief. Gesegnet sei das Wort Gottes, das in seinem Dienstamt als Priester, als Bischof, als Papst Ausdruck gefunden hat! Gesegnet sei Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Ihm danken wir für das Geschenk eines Mannes, den er als sein Abbüd und Gleichnis geschaffen und den er als Hirten der Kirche nach seinem Herzen eingesetzt hat! (O.R. 27.128. 9. 82) „Paul VI. war ein Geschenk des Herrn an seine Kirche“ Ansprache bei der Einweihung des Instituts „Paul VI.“ in Brescia am 26. September Brüder und Schwestern im Herrn! 1. „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ {Phil 1, 2). Diese Grußworte, die dem hl. Paulus teuer waren, richte ich heute mit tiefer Zuneigung und aufrichtiger Freude an Euch alle. Ich danke Herrn Doktor Giuseppe Camadini, dem Präsidenten des Instituts „Paul VI.“, für die freundlichen Worte, die er an mich richtete und die mir Eure gemeinsamen Gefühle zum Ausdruck bringen sollten. Ich danke allen für ihre Anwesenheit und den herzlichen Empfang. 2. Diese Begegnung hat für mich besondere Bedeutung. Sie findet aus Anlaß der offiziellen Einweihung des Instituts „Paul VI.“ statt, des internationalen Zentrums, das vom Christlichen Erziehungswerk in Brescia errichtet wurde, um das Dokumentationsmaterial zu sammeln und mit zweckentsprechenden Initiativen das Studium über das Leben und Denken meines geliebten Vorgängers Paul VI. zu fördern. Für diese gut überlegte Einrichtung spreche ich den Katholiken Brescias und ihrem 1316 Botschaften und Ansprachen ehrwürdigen Bischof nochmals meine Genugtuung aus. Alle, die in irgendeiner Form und in irgendeiner Funktion dem Institut ihren sachkundigen Beitrag anbieten, möchte ich meiner herzlichen Wertschätzung versichern. Alles was unternommen wird, damit die Erinnerung an Paul VI. lebendig bleibt, und das Licht seines Zeugnisses den Weg der Kirche auch weiterhin erleuchtet, kann mit meiner Zustimmung rechnen. Die ersten Schritte des Instituts verdienen alles Lob. Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen; die Broschüren, die Mitteilungsblätter; das erste internationale Kolloquium, das der Enzyklika Ecclesiam suam gewidmet war und 1980 in Rom abgehalten wurde, beweisen bereits jetzt die Ernsthaftigkeit der Absichten des Instituts und die feste Entschlossenheit, mit der es vorgeht. Ich bin sicher, daß die Entwicklung der so glücklich begonnenen Forschung eine umfassendere Kenntnis des Werks und der Zeit Pauls VI. möglich machen wird. Das wird den historischen Studien wie der Kirche zum Nutzen gereichen. Das ist auch der Grund, warum ich bei der offiziellen Einweihung des Instituts dieses für ein geniales, dynamisches, zur Erinnerung an Paul VI. errichtetes Denkmal halten möchte; und es liegt mir daran, den Wunsch auszusprechen, daß es immer ein Werkzeug der Wahrheit und der Liebe zur Kirche sein möge. 3. Ein solches Denkmal stellt wie jede andere Initiative zu Ehren seines Andenkens, wo immer sie auch unternommen wird, einen Tribut des Geistes, aber auch eine Forderung des Glaubens und des Herzens dar. Paul VI. war ein Geschenk des Herrn an seine Kirche. Wie ich am ersten Jahrestag seines Todes sagte, hatte er, zusammen mit dem von ihm und von mir so verehrten Johannes XXIII., „vom Heiligen Geist das Charisma der Verwandlung empfangen, durch das sich das Bild der Kirche, wie alle es kannten, als unverändert und doch verwandelt darstellte“ (Ansprache bei der Generalaudienz vom 1. August 1979). Die dem Herrn treue Kirche bleibt sich immer gleich; aber die Kirche, die ständig von der Liebe zum Herrn bewegt wird, hört auch nie auf, ihr Wissen über sich selbst zu vertiefen. So wie sie den göttlichen Plan erkennt und sich ihm anpaßt, so erneuert sie sich auch und vermag, die Sendung, die Christus ihr anvertraut hat, auf wirksame Weise in der Welt zu erfüllen. Das war das von der Vorsehung bestimmte Programm des Zweiten Vatikanischen Konzüs, das Paul VI. zu Ende führte und dessen erster Verkünder und Vollstrecker er war. Wir werden nie die Probleme und die Schwierigkeiten genügend einschätzen können, mit denen er sich auseinandersetzen mußte, damit die Identität der Kirche nicht von einer mißverstandenen „Umwandlung“ verletzt würde. Wir werden dem Herrn Christus nie genug dafür danken können, daß er Paul VI. zum Steuermann des 1317 Botschaften und Ansprachen mystischen Schiffes Petri in einer Zeit ausersehen hat, in der die Wogen es von allen Seiten erschütterten. Heute begreifen wir besser, wie fest sein Glaube war; wie groß seine Liebe zur Kirche, wie tief seine Spiritualität, wie weitblickend seine Entscheidungen waren; wie leuchtend seine Weisheit. Sein Leben ragt für uns als Beweis dafür empor, daß es in der Kirche „Umwandlung“ nur durch unsere persönliche Heüigung geben kann. Er hat uns durch sein Leben und durch seinen Tod gelehrt, wie man Christus lieben muß; wie man der Kirche dienen muß; wie man sich dem Heil der Menschen widmen muß. Paul VI. war auch ein Geschenk des Herrn an die Menschheit. Er hat den Menschen unserer Zeit verstanden und ihn mit übernatürlicher Liebe geliebt, das heißt, indem er ihn mit den erbarmenden Blicken Christi ansah. Nachdem er bei der Eröffnung der vierten Sitzungsperiode das Konzil als „einen feierlichen Akt der Liebe zur Menschheit“ bezeichnet hatte, fuhr er fort: „Nochmals und vor allem Liebe; Liebe zu den Menschen von heute, wie und wo immer sie sind, zu allen“ (14. September 1965). Seine Intelligenz und Kultur schenkten ihm ein tiefes Gespür für die Größe und die Not des Menschen in einer widersprüchlichen Situation, wie es die unserer Generation ist; doch sein Glaube und seine Liebe inspirierten ihn zu jener „Zivilisation im Zeichen der Liebe“, ohne die die Menschheit heute weniger als je die Lösung für die Probleme finden kann, die sie zutiefst beunruhigen. Er hat den Menschen verstanden, weil er ihn mit den Augen Christi sah. Er hat dem Menschen geholfen, weil er ihn mit der Liebe Christi liebte. Er hat dem Menschen gedient, weil er ihn auf die Wahrheit Christi in ihrer ganzen Fülle hinwies. 4. Diese unsere Begegnung hat für mich auch deshalb eine besondere Bedeutung, weil mit den maßgeblichen Mitgliedern der verschiedenen Abteilungen des Instituts „Paul VI.“ die Vertreter der katholischen Laien der Kirche von Brescia anwesend sind. Eine solche Präsenz ist von einzigartiger Bedeutung und ist ihrerseits eine Würdigung des Andenkens Pauls VI. Wenn im Volk von Brescia der Glaube noch immer tief verwurzelt ist, wenn er auch im Verlauf der Schwierigkeiten, die oft von traumatischen Veränderungen der Denkweise und Gewohnheiten ausgelöst wurden, noch immer lebendig und wirksam gebheben ist, so ist das gewiß einem gläubigen und hochherzigen Klerus zu verdanken, aber auch dem Wirken von Laien, die den christlichen Glauben aus tiefer Überzeugung, mit vorbehaltloser Zustimmung und mit unerschrockener Präsenz und tätiger Einsatzbereitschaft gelebt haben. Paul VI. hatte in seiner eigenen Familie 1318 Botschaften und Ansprachen das Beispiel eines solchen Laientums: in seiner geliebten Mutter Giuditta Alghisi und vor allem in seinem liebevoll verehrten Vater Giorgio Mon-tini, der durch lange und schwierige Jahre anerkannter Führer der Katholiken Brescias war. Und' eben in der Familie lernte er schon früh die Hauptgestalten der ruhmreichen katholischen Laienbewegung von Brescia kennen und schätzen: den Diener Gottes Don Giuseppe Tovini, Luigi Bazoli, Giovanni Longinotti, Emilio Bonomelli, Carlo Bresciani und viele andere weniger bekannte, aber gleichfalls bedeutende Männer von unerschrockenem Glauben, mutig und unermüdlich. Seit seiner frühen Jugend verfolgte er voll Bewunderung und Liebe ihre Initiativen: die Zeitschriften, die katholischen Schulen, die Verlagshäuser, die Schule des Familienlebens, die frommen Werke; die Jugendverbände und Arbeitervereinigungen; die Teilnahme an der öffentlichen Verwaltung; selbst das politische Engagement, das als Zeugnis für den Wert des Christentums auch in der Organisierung der Gesellschaft verstanden wurde. Paul VI. trug die Erinnerung an diese Männer und ihre bemerkenswerten Tätigkeiten das ganze Leben über im Herzen. Er war immer dankbar für das, was sie für die Verteidigung des Glaubens der Menschen in Brescia und die Sicherstellung der katholischen Präsenz in der Gesellschaft geleistet hatten. Ja, er war der Überzeugung, daß die Erfahrung von Brescia einen Wert besaß, der nicht auf den Raum einer Stadt oder einer Provinz beschränkt ist. Es gab einige Merkmale jener Erfahrung, die, nach ihm, die Lehre des Konzils über die Laien um viele Jahrzehnte vorweggenommen hatten und es verdienen, als charakteristisch für jene Aktion zu gelten, die heute als kathoüsch eingestuft werden will. 5. Die Zeit erlaubt mir nicht, auf die Charaktereigenschaften der Katholiken einzugehen, die wichtige Initiativen in die Tat umsetzten. Ich beschränke mich auf die Bemerkung, daß es Männer des Gebets waren. Und kann man die Praxis des täglichen Rosenkranzgebets in der Familie oder die Tatsache unerwähnt lassen, daß Giuseppe Tovini eine Gemeinschaft zur nächtlichen Anbetung der Heiligsten Eucharistie durch die Laien gründete? Gebet und Glaube nährten in ihnen die Gewißheit, daß das Christentum nicht nur im Leben der einzelnen, sondern auch im Leben der ganzen Gesellschaft das kostbarste Gut ist. Das ist die Grundlage, die ihr ganzes Tun trug, dessen letztes Ziel immer religiöser Natur war, auch wenn sie nach Mitteln suchten, um in einer Umwelt, die der katholischen Präsenz oft feindlich gesinnt war, wirken zu können. 1319 Botschaften und Ansprachen Sie wußten, welche Bedeutung der Schule und dem Erziehungsproblem in der Entwicklung der modernen Gesellschaft zukam, und riefen die Euch wohlbekannten Initiativen ins Leben, die in einem Ausmaß gewachsen sind, das man sich bei Beginn nicht einmal hätte vorstellen können, und die ihren Dienst an der Kirche und an der italienischen Schule fortsetzen, wofür ich ihnen aufrichtige Anerkennung ausspreche, verbunden mit der Aufforderung, der ursprünglichen christlichen Inspiration treu zu bleiben. Sie waren durch aufrichtige Freundschaft miteinander verbunden: in Freunschaft bereiteten sie die Aktion vor und in Freundschaft arbeiteten sie. Liebe Brüder und Schwestern, seid Euch des unschätzbaren Schatzes bewußt, den Ihr von einer an katholischem Engagement besonders reichen Geschichte geerbt hat, die in Paul VI. einen unvergleichlichen Sohn hat. Seid Eurer Erfahrung aus der Vergangenheit eingedenk, auch wenn Ihr in einem so völlig verschiedenen Heute arbeiten müßt. Zögert nie, Christus in den Mittelpunkt Eures Lebens zu stellen und zur Grundlage Eures Handelns zu machen. Auf diese Weise werdet Ihr ein lebendiges Denkmal zur Erinnerung an Paul VI. errichten, der Euch mit Recht so sehr schätzte und liebte. Ihr sollt wissen, daß der Papst Euch kennt und Euch hebt und daß er viel von Euch erwartet zum gemeinsamen Nutzen der Arbeit der katholischen Laien von Brescia. Dazu erteile ich Euch meinen Apostolischen Segen. (O. R. 27J28. 9. 82) Er wollte seine Zeit zu Christus führen Ansprache an die Bevölkerung von Concesio, dem Geburtsort Pauls VI., am 26. September Meine Lieben! 1. Groß ist meine Freude, heute hier in Concesio zu sein, der zur Diözese Brescia gehörenden Pfarrgemeinde, wo am 26. September vor 85 Jahren mein unvergeßlicher Vorgänger Giovanni Battista Montini, der als Papst den Namen Paul VI. annahm, geboren wurde. Ich richte einen herzlichen Gruß an alle: an meinen lieben Mitbruder Msgr. Luigi Morstabilini, an den Herrn Bürgermeister, die Priester, 1320 Botschaften und Ansprachen Ordensmänner und -frauen, die Männer, Frauen, Jugendlichen und Kinder dieses gesegneten Ortes, dem die Ehre zuteil wurde, Geburtsort eines großen Papstes zu sein. Mein Gruß gilt sodann jedem der Anwesenden, unter denen sich, wie ich weiß, viele aus dem Val Trompia befinden. Meine Lieben, es wird Aufgabe der Historiker sein, die vielgestaltigen Aspekte jener fünfzehn Jahre päpstlichen Dienstes zu analysieren, die in eine für das Leben der Kirche und der Menschheit gewiß großen Zeit fielen, eine Zeit, die aber auch von Unruhen und Spannungen durchzogen war, deren Last wir zum Teü heute noch spüren. Wir alle hier in Concesio wollen vor allem im Gebet Pauls VI. gedenken, aber zugleich wollen wir einige wichtige Aspekte seines reichen und umfassenden Werkes wieder lebendig werden lassen und sein Wort des hohen Lehramtes wieder hören. 2. Paul VI. war ein Papst der Kirche: er hat als Priester, als Minutant im Staatssekretariat, als Nationalassistent der Italienischen Kathoüschen Studentenvereinigung (FUCI), als Substitut im Staatssekretariat, als Pro-Staatssekretär, als Erzbischof von Mailand, als Papst die Kirche mit unerschütterlicher Intensität und Hingabe geliebt, mit einer Tiefe, die sich aus dem Wort Gottes und der großen patriotischen und theologischen Überlieferung nährte, hat er ihr Wesen und ihre Funktionen erläutert; er arbeitete unermüdlich dafür, daß sie wahrhaftig als eine unbefleckte Braut Christi erscheine, ohne Flecken und Falten (vgl. Eph 5, 27). In seiner ersten Enzyklika unterstrich er, daß dies die Stunde sei, „wo die Kirche die Kenntnis über sich selbst vertiefen, über ihr Geheimnis nachdenken und zur eigenen Belehrung und Erbauung die Lehre . .. von ihrem Ursprung, ihrem Wesen, ihrer Sendung und ihrer endgültigen Bestimmung erforschen muß“ (Ecclesiam suam, Nr. 10). Und eben darum befindet sich die Kirche, in ihrer gottmenschlichen Wirklichkeit, auf dieser Erde auf Pilgerschaft. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit des Dialogs: „Die Kirche muß zum Dialog mit der Welt gelangen, in der sie lebt. Die Kirche wird zum Wort; die Kirche wird zur Botschaft; die Kirche wird zum Dialog“ (ebd., Nr. 67). 3. Und Paul VI. war wirklich der Papst des Dialogs: er sprach mit der Menschheit, auch mit den Nichtglaubenden; mit denjenigen, die denselben einen und höchsten Gott verehren wie wir, also mit den Söhnen und Töchtern des jüdischen Volkes; und mit denen, die Gott nach der monotheistischen, besonders der islamischen Vorstellung anbeten; mit den Angehörigen der nichtkatholischen christlichen Kirchen und Gemeinschaften, indem er vor allem durch persönliche Begegnungen und gemein- 1321 Botschaften und Ansprachen same Erklärungen mit den Leitern dieser Kirchen und Gemeinschaften die ökumenischen Beziehungen in großartiger Weise förderte. Er hat auch den Dialog innerhalb der katholischen Kirche empfohlen und verwirklicht, wobei er die große Verantwortung bekräftigte, die für alle ihre Mitglieder daraus erwächst, daß sie „Kirche sind“. So wurde er nicht müde, zu den Priestern von ihrer hohen und verpflichtenden kirchlichen Sendung zu sprechen. „Das priesterliche Leben erfordert eine echte und aufrichtige geistige Intensität, um vom Geist zu leben und sich vom Geist lenken zu lassen, eine wahrhaft männliche innere und äußere Askese“ (Enzyklika Sacerdotalis caelibatus, Nr. 78). So mahnte er mit nachdrücklicher Aufforderung die Ordensleute, das Zeugnis zu geben, das das Volk Gottes von ihnen erwartet: „Männer und Frauen, die imstande sind, das Unbekannte der Armut anzunehmen, sich von der Einfachheit und der Demut anziehen zu lassen; die den Frieden lieben, kompromißlos zu völliger Entsagung entschlossen, frei und zugleich gehorsam, spontan und beharrlich, sanft und stark in der Gewißheit des Glaubens: diese.Gnade wird euch von Jesus geschenkt werden im Maß der vollkommenen Hingabe eurer selbst, die ihr geleistet habt, ohne sie je wieder zurückzunehmen“ (Apostol. Schreiben Evangelien testifica-tio, Nr. 31). Und den Laien, Männern und Frauen, wurde er nicht müde, zu erläutern und einzuprägen, daß sie ihre besondere Berufung zu leben und eine einzigartige Form der Glaubensverkündigung auszuüben hätten. Ihre erste und unmittelbare Aufgabe ist es, „alle christlichen, vom Evangelium her gegebenen Möglichkeiten, die zwar verborgen, aber dennoch in den Dingen der Welt schon vorhanden sind und aktiv sich auswirken, zu verwirklichen“ (Apostol. Schreiben Evangelii nuntiandi, Nr. 70, in: Wort und Weisung, 1975, S. 589). Diese Kirche, die zum Dialog, zum Gespräch wird, ist für Paul VI. auch eine wesentlich missionarische Kirche. Von der ersten Rundfunkbotschaft zum Weltmissionstag (19. August 1963) bis zu dem großartigen Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi vom 8. Dezember 1975 hat Paul VI. dem Herzen seiner Brüder - Bischöfe, Priester, Ordensleute, Laien -seine unbezähmbare missionarische Leidenschaft eingeflößt: „Evangeli-sieren ist in der Tat die Gnade und eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität. Sie ist da, um zu evangelisieren, d.h., um zu predigen und zu unterweisen, Mittlerin des Geschenkes der Gnade zu sein, die Sünder mit Gott zu versöhnen, das Opfer Christi in der heiligen Messe immer gegenwärtig zu setzen, welche die Gedächtnisfeier seines Todes und 1322 Botschaften und Ansprachen seiner glorreichen Auferstehung ist“ (Evangelii nuntiandi, Nr. 14, in: Wort und Weisung, 1975, S. 547). 4. In dieser ekklesiologischen Sicht muß das außerordentliche Werk gesehen und gewürdigt werden, das Paul VI. gegenüber dem Zweiten Vatikanischen Konzil vollbracht hat: Er setzte es fort, er führte es zu Ende und er verwirklichte es mit wahrhaft erstaunlicher Beharrlichkeit und Weitblick. Er führte die Liturgiereform durch; die Reform der Römischen Kurie; er schuf neue Einrichtungen - Sekretariate, Räte, Kommissionen -, die in Zusammenarbeit mit den bereits bestehenden Dikasterien für die Verwirklichung der aus den Konzüsdebatten und Konzilsentscheidungen ergangenen Weisungen sorgen sollten; er setzte die Bischofssynode ein - Ausdruck der Kollegialität —, die unter seinem Pontifikat vier Vollversammlungen abgehalten hat; und mit starker und fester Hand vermochte er das Steuer des Schiffes Petri inmitten der Wogen und Sturzwellen, die die wahren Absichten des Konzüs hätten zunichte machen können, auf dem rechten Kurs zu halten. Für das alles schuldet ihm die Kirche ewigen und gebührenden Dank! 5. Paul VI. war der Papst der Menschheit: wenn er die Kirche tief geliebt hat, so hat er nicht weniger aufrichtig den Menschen geliebt, geachtet, gepriesen und verteidigt. Er ist wirklich allen alles geworden, um allen das Heil Christi zu bringen (vgl. 1 Kor 9, 22), denn - wie er sagte - „niemand ist im Hause des Vaters ein Fremder“ {Ansprache vom 24. Oktober 1963 in: Insegnamentil, 1963, S. 256). Er hat in allen den Widerschein des Ebenbildes Gottes gesehen. Deshalb nahm er die Einladung an, sich an den Sitz der Organisation der Vereinten Nationen zu begeben, um dort vom Menschen und vom Frieden zu sprechen. Mit erschütternden und starken prophetischen Akzenten ließ er an diesem eindrucksvollen Ort die Stimme der Kirche und ihres sichtbaren Oberhauptes vernehmen: „Nicht einer über dem anderen! . . . Nie wieder sollen die einen gegen die anderen sein, nie, nie wieder! . . . Nie wieder Krieg, nie wieder Krieg! Der Friede, der Friede muß das Geschick der Völker und der ganzen Menschheit lenken! . . . Wenn Sie Brüder sein wollen, dann lassen Sie die Waffen aus Ihren Händen gleiten! Mit Angriffswaffen in der Faust kann man sich nicht heben!“ (Ansprache vom 4. 10. 1965) Und der - von ihm aufgrund einer glücklichen Intuition eingeführte - jährliche „Weltfriedenstag“ ist für alle zum Anlaß geworden, über diese Themen nachzudenken, die das Schicksal der Menschheit auf Erden betreffen. 1323 Botschaften und Ansprachen Zur Verteidigung des ausgebeuteten, gedemütigten und in seinen fundamentalen Rechten verletzten Menschen griff er den Schrei und die Angst der Armen auf und wünschte auf Weltebene die Förderung eines „vollen Humanismus“, das heißt der „Entwicklung jedes Menschen und aller Menschen“ (Enzyklika Populorum progressio, Nr. 42). Von dieser Sorge bewegt, versäumte er es nicht, während seines ganzen Pontifikats den Problemen der Welt der Arbeit eine ganz besondere Aufmerksamkeit vorzubehalten, indem er sich ständig für die Verteidigung und Förderung der Rechte der arbeitenden Menschen einsetzte. Er hat übrigens immer, seitdem er Substitut im Staatssekretariat und dann Erzbischof von Mailand war, mit lebhaftem Wohlwollen und aufrichtiger Freundschaft auf die Welt der Arbeit geblickt. Als er Papst wurde, beschränkte er sich nicht darauf, die Arbeiter zu empfangen, sondern er besuchte sie persönlich in ihren Fabriken: auf den Bauplätzen von Pietra-lata in Rom, den Eisenhüttenwerken von Tarent, wo er die Christnacht des Jahres 1968 verbrachte, und dann, Weihnachten 1972, unter den Bergarbeitern des Bergwerkes unter dem Monte Soratte. Seine diesbezügliche Lehre, die so erfüllt war von aufrichtiger Liebe für die Arbeiter und von Solidarität mit ihren Sorgen und legitimen Sehnsüchten und Erwartungen, erreicht ihren Höhepunkt in der Enzyklika Populorum progressio (vom 26. März 1967), für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen und die solidarische Entwicklung der Menschheit, und in dem Apostolischen Schreiben Octogesima adveniens (vom 14. Mai 1971), die zum 80. Jahrestag von Herum novarum erschien. Zum Schutz der Würde des Menschen beteuerte Paul VI. außerdem aufs neue den hohen Wert der ehelichen Liebe, die „ihre wahre Natur und Vortrefflichkeit enthüllt, wenn sie in ihrem höchsten Ursprung gesehen wird, Gott, der Liebe ist, der Vater, von dem jede Vaterschaft im Himmel und auf Erden ihren Namen hat“ (Enzyklika Humanae vitae, Nr. 8). Der apostolische Eifer, die Botschaft Christi der ganzen Welt zu verkündigen, drängte Paul VI. dazu, denkwürdige Reisen in Kontinente und Nationen durchzuführen, in denen noch kein Papst gewesen war. Auf seinen Spuren und nach seinem Vorbild habe auch ich diese Pilgerreisen fortsetzen wollen - als Bote des Friedens für alle Menschen. 6. Wenn wir an den Erdenweg dieses Papstes zurückdenken, wird die Größe sichtbar, die ihn ausgezeichnet hat. Die Kirche verdankt ihm viel. Wenn wir uns dann fragen, was denn der geheime Antrieb seines Wirkens als Papst war, so glaube ich, daß uns die Antwort nicht schwerfällt: das Papsttum Pauls VI. war ein äußerst „christozentrisches“ Papsttum. Er lebte in tiefer'Einheit mit Jesus; er verkündigte unermüdlich Jesus. Rufen 1324 Botschaften und Ansprachen wir uns seine leidenschaftlichen Worte bei der Eröffnung der zweiten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils in Erinnerung: „Christus, unser Anfang, Christus, unser Leben und unser Führer! Christus, unsere Hoffnung und unser Ende . . . Kein anderes Licht als Christus, das Licht der Welt, soll in dieser Versammlung leuchten; keine andere Wahrheit als die Worte des Herrn, unseres einzigen Lehrmeisters, soll unsere Herzen begeistern; kein anderes Verlangen als der Wunsch, ihm absolut treu zu sein, soll uns leiten“ (Ansprache vom 29. September 1963; Insegnamentil, 1963, S. 171). Das Thema der Versöhnung in Christus war zusammen mit dem der inneren Erneuerung die geistliche Zielsetzung des Heiligen Jahres 1975, in dessen Verlauf sich Millionen Pilger um Paul VI. versammelten, um seinen Aufruf zur Liebe, zur gegenseitigen Einheit im Band der einen Liebe zu Christus und von Christus zu hören. In seinen Predigten, in seinen katechetischen Unterweisungen bei den Mittwochsaudienzen sprach er von Christus mit Akzenten, die des Apostels Paulus würdig gewesen wären. Aber neben Jesus erscheint die Gestalt seiner Mutter Maria. Paul VI. hegte für die Gottesmutter, die er zur „Mutter der Kirche“ erklärte, eine liebevolle, intensive Verehrung. Als Beweis dafür soll die Erinnerung an seinen Besuch in der Basilika S. Maria Maggiore am 11. Oktober 1963 dienen, wohin er sich begab, um gemeinsam mit den Konzilsvätem Maria, der Gnadenmutter „Salus Populi Romani“, ein Jahr nach Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils, seine Verehrung zu erweisen. Und wie könnte man sein wöchentüches Mariengedenken beim sonntäglichen Angelus unerwähnt lassen; seine Dokumente über die Muttergottes und schließlich sein wunderbares Apostolisches Schreiben Marialis cultus aus dem Jahr 1974? Gestützt auf diese frohen Gewißheiten, wußte Paul VI., auch dem Tod entgegenzusehen und zu begegnen, dem er als Mensch, als Christ, als Papst gegenübertrat! Mit der Bemerkung, daß „der Tag sich neigt und alles auf dieser faszinierenden und dramatischen zeitlichen und irdischen Bühne endet und sich auflöst“, dankte er dem Herrn und schrieb in seinem Testament: „Ich schließe die Augen auf dieser schmerzreichen, dramatischen und herrlichen Erde, indem ich noch einmal die Güte Gottes auf sie herabrufe.“ 7. Meine lieben Brüder und Schwestern von Concesio! Wenn wir bei unserer Begegnung hier, in dem Ort, wo er seine Augen dem Sonnenlicht öffnete und für die Gnade in der Taufe geboren wurde, zu unserer Ermutigung und unserer Belehrung die fünfzehn Jahre des 1325 Botschaften und Ansprachen Pontifikats Pauls VI. zusammenfassen wollten, könnten wir sagen, daß sie eine Botschaft der Hoffnung und auch der Freude gewesen sind: „Die Freude darüber, ein Christ, mit der Kirche verbunden, ,in Christus“, im Stand der Gnade Gottes zu sein, ist in der Tat imstande, das Herz des Menschen zu erfüllen“, so schrieb er im Heiligen Jahr 1975 in dem Apostolischen Schreiben Gaudete in Domino ( Wort und Weisung, 1975, S. 536). Er hat, wie nur wenige, seine Zeit geliebt und geschätzt, in dem glühenden Wunsch, sie zu Christus zu führen. Euch, die ihr das Privileg habt, seine Mitbürger zu sein, fällt die Aufgabe zu, Euch eines so großen Papstes würdig dadurch zu erweisen, das kostbare Erbe an Weisungen, die er uns durch sein Wort und sein Beispiel hinterlassen hat, anzunehmen und in die Tat umzusetzen. Dazu will Euch mein Besuch und mein Segen ermutigen. (O. R. 27.128. 9. 82) Alle Wege führen zum Menschen Ansprache an den Generalrat des Laieninstituts der Franziskaner (ehemaliger „Dritter Orden“) und an die Teilnehmer eines Internationalen Kongresses am 27. September Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich heiße Euch herzlich willkommen, Mitglieder des Generalrates des franziskanischen Laieninstituts, der hier in Rom seine Vollversammlung abhält, und ebenso alle Teilnehmer an dem Internationalen Kongreß und möchte in Euch alle franziskanischen Laien, die ehemaligen Terziarer (Dritter Orden), die Laien und Priester in der ganzen Welt und ihre geistlichen Assistenten grüßen. Ich weiß, daß diese von Euch so sehr gewünschte Begegnung Eure Liebe und Anhänglichkeit zum Apostolischen Stuhl bekunden und um ein Wort der Orientierung und der Bestätigung bitten wül, wie es Eure Tradition ist, seitdem der demütige Franziskus zum Papst nach Rom kam, um ihm alles mitzuteilen, was der Herr durch ihn zu tun begonnen hatte (vgl. Tre Compagni, c. 12; Fonti Francescane, S. 1100). Im Lauf der Jahrhunderte - von Nikolaus IV. mit der Bulle Supra Montem aus dem Jahr 1289 bis Papst Paul VI. seligen Andenkens, der mit 1326 Botschaften und Ansprachen dem Breve Inter Spirituales Familias die neue Regel billigte - haben meine Vorgänger immer und mit Wohlwollen diese Wünsche entgegengenommen und Euch Anregungen und Bestätigungen in Eurem Vorhaben evangelischer Lebensführung geboten. Ich freue mich, daß auch ich Euch meiner aufrichtigen Verehrung und tiefen Liebe versichern kann, gerade in diesem der ganzen franziskanischen Ordensfamilie so teuren Jahr, in dem wir tiefbewegt der 800 Jahre gedenken, die der hl. Franz von Assisi nun schon „in der Kirche lebt“. Auch sein Werk lebt noch: es leben sein erster, zweiter und dritter Orden, reich an unzähligen und unschätzbaren Heiligen, die Franziskus folgten, geführt von Maria,, der Mutter der Kirche und des Ordens, die ein unvergleichliches Vorbild jeder evangelischen Tugend ist. 2. Ihr habt Euch hier eingefunden und wartet auf ein ermutigendes Wort und gute Wünsche vom Papst, dem Nachfolger Petri. Nun, meine Ermutigung an Euch lautet: 1. studiert - 2. liebt - 3. lebt die Regel des franziskanischen Laieninstituts, die von meinem Vorgänger Paul VI. für Euch gutgeheißen und gebilligt wurde. Sie ist ein echter Schatz in Euren Händen; sie ist abgestimmt auf den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils und entspricht dem, was die Kirche von Euch erwartet. Liebt, studiert und lebt diese Eure Regel, weil die Werte, die sie enthält, in höchstem Maße evangelisch sind. Lebt diese Werte in Brüderlichkeit und lebt sie in der Welt, in die Ihr eben durch Eure Laienberufung einbezogen und in der Ihr verwurzelt seid. Lebt diese evangelischen Werte in Euren Familien, gebt durch Gebet, Beispiel und Erziehung den Glauben weiter, und lebt die evangelischen Forderungen der gegenseitigen Liebe, der Treue und der Achtung vor dem Leben (vgl. Regel, Nr. 17). Der arme und gekreuzigte Christus sei für Euch - wie er es für Franz von Assisi war - „der geistige Mittelpunkt des Lebens mit Gott und mit den Menschen“ {Regel, Nr. 4). Seit vor allem Zeugen des Vaters und seines Planes der Liebe zu den Menschen und „macht das Gebet und die Betrachtung zur Seele eures Daseins und eurer Arbeit“ {Regel, Nr. 8). Die Kirche braucht Euch, damit Ihr dafür sorgt, daß die Welt den Vorrang der geistlichen Werte wiederentdecken kann. Eure Anwesenheit soll vor allem eine Botschaft bringen, die erfüllt ist von Freude, Fröhlichkeit, tiefem Glauben, Eintracht und Frieden: so werdet Ihr zu Verkündern Christi und des Reiches Gottes durch das Leben und durch das Wort. 3. Als Thema Eures Kongresses habt Ihr gewählt: „Franziskus - Zeichen der Hoffung“. In meinem kürzlichen Schreiben Radiabat velutstella an die 1327 Botschaften und Ansprachen Generalminister der franziskanischen Orden habe ich an die Grundlagen der Freude, der Freiheit, der Hoffnung bei Franz von Assisi erinnert: vertieft diese Grundlagen und die Zeichen des Geistes im Leben der Kirche, und ihr werdet selber ein Zeichen der Hoffnung in der heutigen Welt sein. Neben den evangelischen Werten, aber auch ihnen innewohnend, ragen sodann in derselben Regel die menschlichen Werte ausgeprägt hervor, für die Ihr als Bürger der irdischen Stadt und zugleich als Christen irdische und soziale Verpflichtungen übernehmt. Auf diese Weise wollt Ihr Triebkraft in der irdischen Wirklichkeit sein, in der Ihr Euch vom Kern Eurer Berufung her gleichsam zu Hause fühlt, in Eurem eigenen, heimatlichen Bereich. Eingedenk dessen, daß es in Euch auf Grund der Taufe ein königliches Priestertum gibt; seid gewiß, daß Euch niemand den Zutritt zu irgendeiner irdischen, sozialen und menschlichen Wirklichkeit verwehren kann, denn gerade Ihr seid ja dazu berufen, all dem eine christliche und menschliche Seele zu verleihen. Nehmt sodann die von mir an alle Menschen guten Willens gerichtete Aufforderung an, der menschlichen Arbeit ihre Würde zuzuerkennen, die sie vor Gott hat, und in der gegenwärtigen schwierigen Situation jedem Menschen zu gewähren, daß er sich selbst verwirklichen und mit Freude am Schöpfungswerk und dem Wohl der Gesellschaft durch eine menschenwürdige Arbeit mitarbeiten kann (vgl. Laborem exercens, Nr. 24). Damit werdet Ihr Euch in den Dienst der umfassenden Förderung des Menschen stellen; Ihr werdet zu Förderern der Gerechtigkeit, zu Überbringern des Friedens, eingedenk, daß alle Wege der Kirche zum Menschen führen, den Christus erlöst hat (vgl. Redemptor hominis, Nr. 14). Begegnet diesem Menschen, Eurem Bruder, demütig und höflich, sucht stets den Weg des Dialogs und der Versöhnung (vgl. Regel, Nr. 13 u. 19; vgl. auch die Bulle Supra Montem Nikolaus’ IV.). Habt immer das Beispiel des Franziskus vor Augen, des Bruders aller und „Mannes der Grenze“, der gerade deshalb nicht aufhört, einen außergewöhnlichen Zauber auch auf Fernstehende auszuüben (vgl. AAS 74, 1982, 580). 4. Eure Vereinigungen schließlich nennen sich Bruderschaften. Sie sollen sichtbares Zeichen der Kirche sein, die eine Gemeinschaft der Liebe ist. Mögen sie wahre kirchliche Gemeinschaften sein, auf dem Evangelium aufgebaut, in lebendiger und aktiver Gemeinschaft mit den Lokalkirchen und durch sie mit der Universalkirche. Lebt „in voller Gemeinschaft mit dem Papst und den Bischöfen in einem offenen Dialog apostolischer Kreativität“ {Regel, Nr. 6). 1328 Botschaften und Ansprachen Als solche, die jene Bewegung evangelischen Lebens weiterführen, der sich damals die „poenitentes de Assisio“ anschlossen, sollt Ihr Eure Berufung in der Welt leben als „Brüder und Schwestern der Buße“, mit einem erleuchteten Sinn für Umkehr und dauernde Erneuerung. Und nun wünsche ich allen, die im Laieninstitut des Franziskanerordens besondere Verantwortung tragen, Einigkeit in den Absichten und einen festen Willen, damit sie als Animatoren und kluge Führer den Brüdern in der Liebe zum Evangelium und in der Treue zur Kirche vorangehen können. Ich danke Euch für das, was Ihr bis jetzt für diese Bruderschaft getan habt, und danke mit Euch den Patres Generalministern und Patres Assistenten, die Eure Lehrmeister und Führer sind. Mit tiefer Freude erteile ich allen einen besonderen Apostolischen Segen, in den auch Eure Familienangehörigen, Verwandten und Freunde eingeschlossen sind. (O.R. 27.128. 9. 82) Ein reiches Erbe an Beispielen und Weisungen Predigt bei der Gedächtnismesse für Paul VI. und Johannes Paul I. in St. Peter am 28. September Liebe Brüder und Söhne! Vor vier Jahren endete der Erdenweg der Päpste Paul VI. und Johannes Paul I. Wir gedenken ihrer heute mit der gleichen Verehrung und Hingabe, mit der wir ihnen im Verlauf ihrer universalen Sendung gefolgt sind und sie bei ihrem Heimgang beweint haben. Die rasch ablaufende Zeit hat die gelehrige Zustimmung des Geistes und die tiefe Zuneigung des Herzens nicht geschmälert. Und so versammeln wir uns in dieser Stunde des ernsten und feierlichen Gebets, getreu der frommen kirchlichen Gewohnheit, im Gedenken an ihre freundlichen Gestalten: liebenswerte Gestalten von Päpsten, die uns mit dem Licht ihrer geistigen Größe erreichen in einem Zwiegespräch, das keine Unterbrechungen keimt. Ich bin dem Herrn zutiefst dankbar, daß er mir die Möglichkeit gab, am vergangenen Sonntag den Geburtsort Pauls VI. zu besuchen und mich als schlichter, demütiger Pilger dort aufzuhalten. Ich konnte den langgeheg- 1329 Botschaften und Ansprachen ten und brennenden Wunsch befriedigen, durch einen bedeutungsvollen Akt die innigen und bleibenden Bande zum Ausdruck zu bringen, die mich mit meinen hervorragenden Vorgängern verbinden, deren Namen ich zum Zeichen des ideellen Weiterbestehens ihrer pastoralen Bemühungen und Programme angenommen habe. Papst Johannes Paul I., der unerwartet am Beginn seines päpstlichen Dienstamtes in die Ewigkeit abberufen wurde, hat uns ein reiches Erbe an Beispielen und Weisungen hinterlassen, die er mit jener einmaligen Unmittelbarkeit der Sprache und Gesten weitergab, die es ihm erlaubte, sofort in die Herzen einzudringen und sie zu erobern. Uber die bestürzende zeitliche Kürze hinaus ist sein Pontifikat ein fester Bezugspunkt auf dem verheißungsvollen und mühsamen Weg geblieben, den die Kirche am Ende dieses Jahrhunderts und an der Wende zum dritten christlichen Jahrtausend geht. Wie ich am 26.. August 1979 bei der Eucharistiefeier auf dem Platz vor der Pfarrkirche von Canale d’Agordo - der Platz ist passenderweise nach Papst Albino Luciani benannt worden - daran erinnerte, daß dieser geliebte Papst uns Lehren und Weisungen von grundlegendem Wert für die Liebe zur heiligen Kirche, zu Christus, unserem Herrn, zu Gott, unserem Vater, geschenkt hat (vgl. Insegnamenti di Giovanni Paolo II, II, 2, 1979, S. 168-173). Als wahrer Meister in der Kunst der Katechese hat er allen eine eigenständige Formulierung der großen Wahrheiten des christlichen Glaubens geboten, wofür er sich der „Hilfe“ der Kinder bediente, weü die Kinder die bevorzugten Liebünge Jesu sind, und weil das Evangelium als unumgängliche Bedingung, in das Himmelreich aufgenommen zu werden, von allen verlangt, daß sie wie die Kinder werden (vgl. Mt 18, 3). Mit solcher Spontaneität hat der Hebenswerte „Katechet auf dem Papstthron“ den Menschen seine überzeugende Botschaft bewußtgemacht, die ganz von jener Weisheit der Demütigen durchdrungen war, die nicht unerheblichen Anteil an seinem geistlichen Erbe hat. Wenn wir jetzt sein Andenken mit dem an Paul VI., dem er innig zugetan war, verbinden, wollen wir unser Gebet zu Gott erheben und ihm für das Beispiel der Treue zu seinem Wort und des Dienstes an der Kirche danken, das diese beiden Päpste uns hinterlassen haben, und ihn zugleich darum bitten, daß er uns hilft, ihren Weisungen zu folgen. (O. R. 30. 9. 82) 1330 Botschaften und Ansprachen Die Spaltung durch Eintracht ersetzen Brief an den Erzbischof von Malta und den Bischof von Gozo vom 29. September An meine verehrten und heben Brüder Joseph Mercieca, Erzbischof von Malta, und Nicholas J. Cauchi, Bischof von Gozo! Da die Kirche in Malta am Beginn des Vorbereitungsjahres auf den Neunten Internationalen Marianischen Kongreß steht, möchte ich Euch diesen Brief schreiben und durch Euch Grüße an das ganze geliebte Volk von Malta senden. Mit dem Apostel Petrus sage ich: „Friede sei mit euch allen, die ihr in Christus seid“ (1 Petr 5, 14). Es ist eine besondere Genugtuung, zu wissen, daß Ihr am 1. Oktober in ganz Malta die Diözesanmission beginnen werdet, deren Ziel die geistliche Erneuerung des maltesischen Volkes ist. Als Bischof der weltweiten Kirche Christi ist es mir eine Freude, mit Euch, den Ortsbischöfen, in diesem feierlichen Aufruf des Volkes Gottes zu immer größerer Heiligkeit des Lebens verbunden zu sein. Mögen in diesem gnädigen und willkommenen Augenblick die Worte des hl. Paulus in Eurem ganzen Land widerhallen: „Erneuert euren Geist und Sinn! Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4, 23-24). Seinem Wesen nach ist der Aufruf zu geistlicher Erneuerung Einladung zum Gebet. Deshalb werden die Menschen auf Malta eingeladen, ihre Herzen Gott zu öffnen, ihren Geist seinem Sohn, unserem Herrn und Heiland Jesus Christus zuzuwenden und um das läuternde Wirken des Heiligen Geistes in ihrem Leben zu bitten. Durch das Gebet - das persönliche und das liturgische - werden alle Gemeindemitglieder die Kraft finden, die für ein wahrhaft christliches Leben nötig ist. Im Gebet werden sie zutiefst erkennen, daß die Aufforderung zur Erneuerung ein Aufruf zur Treue zu Christus ist, so wie er in der Gemeinschaft der Kirche lebt. Diese Gemeinschaft ist die Gemeinschaft eines einzigen Glaubens - eine Gemeinschaft der Wahrheit und des Lebens, der Heiligkeit und der Gnade, der Gerechtigkeit, der Liebe und der Hoffnung. Sie ist eine Gemeinschaft, die von ihren Mitgliedern gegenseitige Achtung, brüderliche Unterstützung und liebevollen Gehorsam gegenüber den Hirten der Herde verlangt. Die Kirche ist eine universale Gemeinschaft, in welcher Priester, Ordensleute und Laien ihre Berufung leben und durch gemeinsames Handeln in Verbundenheit mit 1331 Botschaften und Ansprachen den Bischöfen und dem Nachfolger Petri in der Heilssendung Christi Zusammenarbeiten. In diesem gemeinsamen und aufeinander abgestimmten kirchlichen Wirken ist die Gewißheit der Treue zu Christus und die Garantie eines wirksamen Beitrags zum Reich Gottes zu erkennen. Der Aufruf zur Erneuerung ist zugleich ein Aufruf zur Einheit - Einheit im Glauben und christlichen Leben. Eine Glaubens- und Gebetsgemeinschaft muß in ihrem Verhalten das verkündigen, an das sie glaubt und das sie bekennt. Der Glaube der Kirche muß im privaten und im öffentlichen Leben ihrer Mitglieder zum Ausdruck kommen. Überzeugungstreue muß sich in einem immer sichtbareren und lebendigeren christlichen Zeugnis äußern, in allen Ämtern und Funktionen, welche die Gläubigen innehaben. Die christliche Herausforderung - der Ruf nach Überzeugungstreue - schließt für jedermann letzte Entscheidungen und Opfer ein; er stellt Forderungen an jene, die bescheidene Stellungen, und jene, die hohe Verantwortung innehaben. An jede Personengruppe stellt das Christentum dieselben Forderungen: Christus im Glauben umfangen und seine Lehren auf die konkreten Lebenssituationen anwenden. Es ist zudem die Erfahrung von Jahrhunderten christlichen Lebens, daß die Treue zu Christus und zu seiner Kirche, die keineswegs die Ergebenheit des einzelnen gegenüber seinem Heimatland beeinträchtigt, ein wirkungsvoller Beitrag zum Wohlergehen der ganzen Gemeinschaft ist. Christus selbst lehrte uns: „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört“ {Mt 22, 21). In dieser wichtigen Stunde müssen alle Christen durch eine gemeinsame Verpflichtung ernsthaft ihre Verantwortung wahrnehmen und den Reichtum der christlichen Werte fördern, welche die maltesische Nation und das Volk Maltas zusammenschließen und ihnen ein authentisches Antlitz verleihen. Um die christlichen Werte, die dem gemeinsamen Wohl der ganzen Nation dienen, zu fördern, müssen die Katholiken jene erzieherischen, karitativen und sozialen Einrichtungen unterstützen, welche von der Kirche in so großzügiger Weise geführt werden. Eine geistliche Erneuerung wird auch weitere Bemühungen um die Versöhnung in dem Streben nach der kostbaren nationalen Einheit einschließen - die Einheit der Brüder und Schwestern in Freiheit, Gerechtigkeit und Liebe. Erneuerung und Versöhnung, das bedeutet eine neue Ära, wo die Spaltung durch Eintracht ersetzt, und die Feindseligkeit von den Kräften brüderlicher Achtung und christlicher Liebe beseitigt wird. Diese neue Ära wird zugleich ein günstiges Klima sowohl für das materielle als 1332 Botschaften und Ansprachen auch für das geistliche Wohlergehen jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes in Malta mit sich bringen. Bei all Euren Bemühungen um die geistliche Erneuerung und um den Aufbau des religiösen und ethischen Gefüges Eurer Nation zählt Ihr mit Recht auf die Fürsprache Mariens, derMuttergottes, die das Geschick Eures Volkes leitet und ihm hilft, alle Schwierigkeiten zu überwinden und mit seiner Identität christlicher Kultur ins dritte Jahrtausend einzutreten. In dieser Hinsicht hege ich die Hoffnung, daß die geplanten marianischen Feiern und das Jahr der geistlichen Erneuerung als ein kirchliches Ereignis betrachtet werden, das unter anderem eine immer größere Einheit des Glaubens und der Liebe unter den Söhnen und Töchtern Maltas bewirken wird, das sich voll Stolz die Insel des hl. Paulus nennt. Und so soll es sein unter dem Schutz Mariens, deren liebevoller, mütterlicher Sorge ich alle Bewohner Maltas anvertraue. Durch Euch, ehrwürdige Brüder, sende ich meinen besonderen Apostolischen Segen an alle Gläubigen - mit den überzeugenden Worten Eures Apostels Paulus: „Meine Liebe ist mit euch allen in Jesus Christus“ (.1 Kor 16, 24). Vatikan, 29. September 1982 PAPST JOHANNES PAUL II. (O. R. 3. 10.82) Seligpreisung der „Armut vor Gott“ Predigt bei der Seligsprechung von P. Salvatore Lilli und Gefährten und Jeanne Jugan in St. Peter am 3. Oktober Liebe Brüder und Schwestern! 1. Groß ist die Freude der Kirche über die Erhebung einiger ihrer erlauchten Kinder zur Ehre der Altäre: es sind dies der selige Salvatore Lilli aus dem Franziskanerorden und die selige Jeanne Jugan, Gründerin der Kleinen Schwestern der Armen. Ein Italiener und eine Französin; zu ersterem gesellen sich weitere sieben Christen aus der Osttürkei als Märtyrer für den Glauben. Es ist ein bedeutungsvolles Zeichen, daß die Seligsprechung von Pater Salvatore Lilli, Franziskanermissionar im Heiligen Land und Pfarrer an 1333 Botschaften und Ansprachen der Missionsstation Mujuk-Deresi, gerade heute, am Vortag des Festes des hl. Franz von Assisi, erfolgt. Am 700. Todestag des Heiligen aus Assisi im Jahr 1926 wollte mein Vorgänger Pius XI. die Verbundenheit, die zwischen dem hl. Franziskus und dem Lande Jesu bestand, dadurch hervorheben, daß er acht Franziskaner der Kustodie, die 1860 in Damaskus getötet worden waren, seligsprach. Heute, im 800. Geburtsjahr des hl. Franziskus, wird ein weiterer seiner Söhne, der gleichfalls in einem Land des Orients seelsorglich tätig war, zusammen mit sieben Gläubigen seiner Pfarrei, die zusammen mit ihm den Märtyrertod erlitten, zur Ehre der Altäre erhoben. 2. Der Lebenslauf des seligen Salvatore ist einfach, aber reich an Tatsachen, die seine große Liebe zu Gott und zu seinen Brüdern bezeugen; sie findet ihren Höhepunkt im Martyrium, das ein Leben der Treue zur franziskanischen und missionarischen Berufung krönt. Von den sieben Gefährten, die mit ihm den Märtyrertod erlitten, kennen wir die Namen, die Familien und die Lebensumstände: es waren einfache Bauern und überzeugte Christen, die aus einem Volk stammten, das jahrhundertelang trotz schwieriger und bisweilen auch dramatischer Augenblicke seine Treue zu Gott und Kirche bewahrt hatte. Diesen einfachen Leuten widmete sich der junge Missionar mit ganzer Hingabe und verwirklichte in kurzer Zeit, was den anderen undenkbar schien. Er gründete drei neue Dörfer, um die zerstreuten Familien wieder zusammenzuführen und sie so besser betreuen und unterweisen zu können; er sorgte für den Erwerb eines weiten Terrains, um denen Arbeit und Brot zu geben, die keines hatten, und förderte mit zäher Anstrengung den Unterricht der Jugend. Vor allem prägte er dem religiösen Leben seiner Pfarrkinder, die sich von seinem Vorbild, seiner Frömmigkeit und seiner Herzensbüdung mitreißen ließen, einen intensiveren Rhythmus auf; seine besondere Liebe galt den Kranken, den Armen und den Kindern. Er war ein weiser Berater und eifriger Förderer sozialer Werke, der allen zur Verfügung stand: den Katholiken, Orthodoxen und Muslimen, und für alle hatte er ein Lächeln und bot ihnen seine Hilfe an; deshalb liebten ihn seine Gläubigen ganz besonders, während ihm die anderen mit Achtung begegneten. Während die Cholera wütete, erstrahlte sein heroisches Apostolat der Liebe: er war zugleich Priester und Arzt. Ungeachtet der Ansteckungsgefahr ging er von Haus zu Haus und stand den Kranken moralisch und materiell bei. Damals schrieb er an seine Schwester, die dem Trinitarier-orden angehörte: „Ich spürte einen solchen Mut, daß es mir ganz natürlich erschien, die an der Cholera erkrankten Menschen aufzusuchen, ihnen 1334 Botschaften und Ansprachen beizustehen und sie mit Medikamenten zu versorgen usw.“ Er gab selbst die klare Begründung dafür an: „Der vom Glauben an Gott erfüllte Priester fürchtet keine Gefahren“ und „eilt, um dem armen, unglücklichen Bruder Erleichterung zu bringen, der sich so oft auch von seinen Liebsten verlassen sieht“ {Brief an seine Schwester Maria Pia vom Trinita-rierorden, 4. Dezember 1890). Als sich mit aller Heftigkeit die warnenden Vorzeichen des drohend heraufziehenden Gewitters zeigten, forderten die Mitbrüder Pater Salva-tore auf, an einen sichereren Ort zu flüchten. Selbst die Bewohner der Gegend, die um das Leben ihres Paters besorgt waren, drängten ihn, er möge sich in Sicherheit bringen. Pater Lillis Antwort war ruhig und entschieden: „Ich kann meine Schafe nicht allein lassen; ich will, wenn es notwendig ist, lieber mit ihnen sterben“ {Positio super Martyrio, Summa-rium, teste III, ad artv. 16, S. 36); und er blieb auf der Missionsstation. Am 19. November 1895 betraten Soldaten das Pfarrhaus, und der Kommandant stellte ihn sogleich vor die Entscheidung: entweder Christus verleugnen oder sterben. Klar und fest war die Antwort des Priesters, der deshalb einen ersten Ausbruch der Gewalt über sich ergehen lassen mußte: einige Bajonettstiche, die ihm das Blut aus den Adern strömen ließen. Drei Tage später wurde der Ordensmann mit sieben seiner Gläubigen von der Truppe weggebracht; sie marschierten zwei Stunden; in der Nähe eines Flusses mußten sie anhalten, und der Hauptmann ließ sie zum letzten Mal zwischen dem Abfall vom Glauben und dem Tod wählen: „Außer Christus anerkenne ich niemanden“, sagte der Pater. Die Antwort der anderem Märtyrer war nicht weniger vortrefflich: „Bringt uns um, aber wir werden nicht von unserer Religion abfallen“ {Positio super Martyrio, Summarium, teste V, S. 53 ad 8). Als erster wurde der selige Salvatore getötet, durchbohrt von den Bajonetten der Soldaten; unmittelbar darauf erlitten die anderen sieben dasselbe Schicksal. 3. Dieser Franziskanermissionar und seine sieben Gläubigen sprechen mit eindringlicher Kraft zur Welt von heute: sie sind für uns alle ein heilsamer Hinweis auf das tiefste Wesen des Christentums. Wenn uns die Lebensumstände vor die grundsätzliche Entscheidung zwischen irdischen und ewigen Werten stellen, lehren uns die acht seligen Märtyrer, wie man auch unter schwierigsten Umständen das Evangelium lebt. Die Anerkennung Jesu Christi als Meister und Erlöser schließt die volle Annahme der Folgen ein, die sich im Leben aus einem solchen Glaubens- 1335 Botschaften und Ansprachen akt ergeben. Die heute zur Ehre der Altäre erhobenen Märtyrer werden dadurch geehrt, daß wir ihr Beispiel an Tapferkeit und Christusliebe nachahmen. Ihr Zeugnis und die Gnade, die ihnen beistand, sind für uns Grund zu Mut und Hoffnung: sie beweisen uns, daß es auch angesichts der härtesten Schwierigkeiten möglich ist, dem Gesetz Gottes zu folgen und die Hindernisse zu überwinden, die sich in den Weg stellen, wenn wir dieses Gesetz leben und in die Tat umsetzen wollen. Unsere seligen Märtyrer haben die Worte, die Jesus an seine Jünger richtete, persönlich erlebt: „Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen“ (Mt 10, 32). Der selige Salvatore und seine Gefährten haben den Tod auf sich genommen, um vor der Welt ihr heldenmütiges Zeugnis für Christus abzugeben, und der Herr hat sich vor seinem Vater zu ihnen bekannt und ihnen das ewige Leben geschenkt. Möge diese Lehre zusammen mit jener von der heroischen Liebe der seligen Jeanne Jugan für alle Getauften Ansporn zu einem immer konsequenteren und selbstloseren christlichen Leben im Dienst des Herrn, der Kirche und der Menschen sein! 4. „Er hat die Niedrigen erhöht!“ Diese Worte, die uns aus dem Magnifi-kat wohlbekannt sind, erfüllen meinen Geist und mein Herz mit Freude und Ergriffenheit, wenn ich nun die bescheidene, demütige Gründerin der Kleinen Schwestern der Armen seligspreche. Ich danke dem Herrn dafür, daß er Wirklichkeit werden ließ, was Papst Johannes XXIII. mit Recht erhofft und Paul VI. glühend gewünscht hatte. Gewiß könnte man auch hier den Text anwenden, der gerade vorhin für die unzähligen, von der höchsten Autorität der Kirche selig- oder heiliggesprochenen Jünger Christi zitiert wurde. Doch aufgrund der aufmerksamen Lektüre der Darlegung über die Tugenden von Jeanne Jugan sowie der jüngsten Biographien, die ihrer Person und ihrem hohen Lied evangelischer Nächstenliebe gewidmet sind, meine ich sagen zu können, daß Gott keine demütigere Dienerin hätte verherrlichen können. Ohne Zögern lade ich euch, hebe Pilger, ein, jene Werke zu lesen oder wieder zu lesen, die so ausgezeichnet von der heroischen Demut und Bescheidenheit der seiligen Jeanne sowie von der wunderbaren göttlichen Weisheit sprechen, die mit Geduld und Diskretion die Ereignisse so ordnet, daß durch sie das Aufkeimen einer außergewöhnlichen Berufung und das Entstehen eines neuen kirchlichen und zugleich sozialen Werkes gefördert wird. 5. Nach diesen Worten möchte ich mit euch und für euch über die Aktualität der geistlichen Botschaft der neuen Sehgen nachdenken. Jeanne lädt uns ein - ich zitiere jetzt die Worte der Regel der Kleinen 1336 Botschaften und Ansprachen Schwestern uns „der Seligpreisung von der Armut vor Gott anzuschließen, die uns zu der völligen Entblößung führt, die eine Seele Gott preisgibt“. Sie fordert uns dazu mehr durch ihr Leben auf als durch die wenigen Worte, die von ihr erhalten sind und das Siegel des Heiligen Geistes tragen, wie etwa die folgenden: „Es ist schön, arm zu sein, nichts zu haben, alles vom gütigen Gott zu erwarten.“ Im Wissen um ihre Armut und voll Freude darüber zählt sie ganz und gar auf die göttliche Vorsehung, die, wie sie erkennt, in ihrem eigenen und im Leben der anderen am Werke ist. Dieses Vertrauen bedeutet deshalb nicht Untätigkeit. Mit dem Mut und dem Glauben, welche die Frauen ihrer Heimat auszeichnen, zögert sie nicht, „für die armen, die sie bei sich aufnimmt, betteln zu gehen“. Sie will ihre Schwester sein, ihre „Kleine Schwester“. Sie will mit dieser ganzen Welt der alten Menschen, die oft krank und verlassen sind, eins werden. Ist das nicht das Evangelium in seiner reinsten Form (vgl. Mt 25, 34-40)? Ist das nicht der Weg, den der Dritte Orden des hl. Johannes Eudes sie gelehrt hatte: „ . . . nur ein Leben, ein Herz, eine Seele, einen Willen mit Jesus haben“, um zu denen zu gelangen, die Jesus immer bevorzugt hat: die Kiemen und die Armen? Dank ihrer täglichen Frömmigkeitsübungen - langes, stilles Gebet, Teilnahme am eucharistischen Opfer und an der Kommunion des Leibes Christi öfter als es zur damaligen Zeit üblich war, betrachtendes Rosenkranzgebet, das sie niemals aufgab, mitfühlendes Niederknien vor den Stationen des Kreuzweges -war Jeannes Seele wirklich im Geheimnis Christi, des Erlösers, versunken, insbesondere in seinem Leiden und seinem Kreuz. Ihr Ordensname -Schwester Maria vom Kreuz - ist dafür ein echtes und ergreifendes Sinnbüd. Von ihrem Geburtsort Petites-Croix (Kleine Kreuze - Zufall oder Vorzeichen?) bis zu ihrem Scheiden aus dieser Welt am 29. August 1879 ist das Leben dieser Ordensgründerin einem langen und fruchtbaren Kreuzweg vergleichbar, der in unbeirrbarer Freude nach dem Evangelium gelebt wurde. Wie könnte man hier übersehen, daß Jeanne vier Jahre nach der Gründung ihres Werkes das Opfer mißbräuchlicher äußerer Einmischungen in die Gruppe ihrer ersten Gefährtinnen wurde? Sie ließ sich ihres Amtes als Oberin entheben und akzeptierte es, in das Mutterhaus zurückzukehren, um dort - ohne den geringsten Protest - siebenundzwanzig Jahre in Zurückgezogenheit zu leben. Bei der Beurteilung derartiger Ereignisse kommt einem spontan des Wort Heroismus in den Sinn. Der hl. Johannes Eudes, ihr geistlicher Lehrer, sagte: „Das wahre Maß der Heiligkeit ist die Demut.“ Indem sie den Kleinen Schwestern oft empfahl: „Seid klein, wirklich klein! Bewahrt den Geist der Demut, der Einfachheit! Wenn wir von uns selbst etwas hielten, würde die Kongrega- 1337 Botschaften und Ansprachen tion nicht mehr dem gütigen Gott danken, wir würden zu Fall kommen“, gab Jeanne wahrhaftig ihre eigene geistige Erfahrung preis. Während ihrer langen Zurückgezogenheit in Tour Saint-Joseph übte sie sicherlich auf mehrere Generationen von Novizinnen und Kleinen Schwestern einen entscheidenden Einfluß aus, indem sie durch die stille und zugleich beredte Ausstrahlung ihres Lebens der Kongregation ihren Geist aufprägte. In unserer Zeit haben der Stolz, das Geltungsbedürfnis, das Machtstreben ein leichtes Spiel in der Welt und leider manchmal auch in der Kirche. Sie werden zum Hindernis für das Kommen des Reiches Gottes. Deshalb vermag die Spiritualität Jeanne Jugans, die Jünger Christi anzuziehen und ihre Herzen mit der Einfachheit und Demut, der Hoffnung und der Freude des Evangeliums zu erfüllen, die aus Gott und aus der Selbstverleugnung geschöpft werden. Ihre geistliche Botschaft kann die Getauften und Gefirmten zu einer Wiederentdeckung und praktischen Verwirklichung des Realismus der Liebe veranlassen, der in einem Leben als Kleine Schwester oder als christlicher Laie erstaunlich wirksam ist, wenn der Gott der Liebe und des Erbarmens voll und ganz herrscht. 6. Jeanne Jugan hat uns ebenso eine durchaus aktuelle apostolische Botschaft hinterlassen. Man kann behaupten, daß sie vom Geist gleichsam eine prophetische Eingebung bezüglich der Bedürfnisse und der tiefen Sehnsüchte alter Menschen empfangen hat: der Wunsch, respektiert, geschätzt, geliebt zu werden; die Furcht vor der Einsamkeit und zugleich das Verlangen nach einem Raum der Freiheit und Intimität; die Sehnsucht, sich noch einmal nützlich zu machen, und sehr oft das Verlangen, den Glauben zu vertiefen und besser zu leben. Ich würde hinzufügen, daß Jeanne, ohne die schönen Texte von Gaudium etspes gelesen und darüber nachgedacht zu haben, bereits in verborgenem Einklang mit dem war, was dort von der Errichtung einer großen Menschheitsfamilie gesagt wird, in der alle Menschen einander wie Brüder behandeln (Nr. 24) und an den Gütern der Schöpfung gemäß dem von der Liebe untrennbaren Gesetz der Gerechtigkeit teilhaben (Nr. 69). Auch wenn die Systeme der sozialen Sicherheit, die heutzutage in Kraft sind, das Elend der Zeit von Jeanne Jugan überwunden haben, so stoßen wir noch in vielen Ländern, wo ihre Töchter arbeiten, auf die traurige Lage alter Menschen. Selbst dort, wo es Fürsorgesysteme gibt, bieten diese den alten Menschen nicht immer die Mögüchkeit familiären Wohnens, wie es ihrer Erwartung und ihren leiblichen und geistigen Bedürfnissen entsprechen würde. Man sieht: in einer Welt, in der die Zahl der alten Menschen im Steigen begriffen ist - der letzte internationale Kongreß in Wien hat sich damit befaßt -, steht die Aktualität der apostolischen Botschaft von Jeanne Jugan und ihren Töch- 1338 Botschaften und Ansprachen tem außer Zweifel. Von Anfang an wollte die Gründerin, daß ihre Kongregation, die sich ja keineswegs auf den Westen Frankreichs beschränken sollte, zu einem wahren Netz von familienähnlichen Häusern werde, wo jeder aufgenommen, ehrenvoll behandelt und sogar - je nach den individuellen Möglichkeiten - in der Entfaltung seiner Existenz gefördert wird. Die Aktualität der von der Seligen eingeleiteten Mission ist so unumstritten, daß die Anfragen um Aufnahme und die Bitten um Gründung neuer Häuser nicht abreißen. Als Jeanne starb, standen 2400 Kleine Schwestern im Dienst armer und alter Menschen in zehn Ländern. Heute sind es 4400, verteilt auf dreißig Nationen und über alle fünf Kontinente. Die gesamte Kirche und selbst die Gesellschaft können das wunderbare Wachstum des kleinen, dem Evangelium gemäßen Samenkorns, das vor mehr als einhundertfünfzig Jahren von einer demütigen jungen Frau aus Cancale - arm an Gütern, aber reich an Glauben - in die bretonische Erde gesenkt worden war, nur bewundern und mit Beifall bedenken! 7. Möge die Seligsprechung ihrer geliebten Gründerin die Kleinen Schwestern der Armen in der Treue zum geistlichen und apostolischen Charisma ihrer Ordensmutter bestärken! Möge die Nachwirkung dieses Ereignisses viele junge Mädchen erleuchten und dazu bewegen, sich den Kleinen Schwestern anzuschließen! Möge die Verherrlichung ihrer Landsmännin für die Gläubigen aus den Pfarreien von Cancale und für alle Angehörigen der Diözese Rennes ein kräftiger Aufruf zum Glauben und zur evangelischen Liebe sein! Möge schließlich diese Seligsprechung für die alten Menschen der ganzen Welt zu einer belebenden Quelle der Freude und der Hoffnung werden - dank des feierlich anerkannten Zeugnisses derjenigen, die sie im Namen Jesu Christi und seiner Kirche so sehr geliebt hat! (O. R. 4J5. 10. 82) Statuten der Internationalen Theologenkommission Motu proprio vom 6. August 1982, veröffentlicht am 3. Oktober Dreizehn Jahre sind bereits vergangen, seitdem unser Vorgänger Paul VI. dem von der Bischofssynode geäußerten Wunsch nachkam (vgl. Ansprache im Konsistorium vom 28. April 1969: AAS 61, 1969, 431-432) und die Internationale Theologenkommission gründete. Im Laufe dieser fast 1339 Botschaften und Ansprachen eineinhalb Jahrzehnte haben die Pfleger der heiligen Theologie, die zu diesem Amt berufen worden sind, ihre Aufgabe mit viel Eifer und Klugheit erfüllt, und ihre hervorragende Arbeit hat in der Tat Früchte getragen. Aus diesem Grund haben Papst Paul VI. und wir selbst sie voll Freude und öffentlich väterlich ermuntert und zu ihren Studien und Arbeiten beglückwünscht, von denen ein Großteil ja bereits bekannt ist, da er nach dem Willen Pauls VI. öffentliche Rechtsgültigkeit erhielt. 1969 wurden die Statuten der Internationalen Theologenkommission „ad experimentum“ approbiert (vgl. AAS 61, 1969, 540-541). Jetzt aber scheint es an der Zeit, ihnen unter Berücksichtigung der bisher gewonnenen Erfahrung eine feste und endgültige Form zu geben, so daß die Kommission die ihr übertragene Aufgabe angemessener erfüllen kann, die Paul VI. in seiner Ansprache anläßlich der ersten Vollversammlung ausdrücklich beschrieben hat, als er erklärte, dieses neue Institut sei dazu gegründet worden, „mit seiner Tätigkeit dem Hl. Stuhl und vor allem der Glaubenskongregation Hilfe zu leisten“ (vgl. AAS ebd., 713 ff.). Denn in der Tat haben Petrus und die übrigen Apostel und ebenso ihre Nachfolger in der heiligen Überlieferung — das ist der römische Papst und mit ihm alle Bischöfe der Kirche - in ganz einzigartiger Weise das Amt und die Verantwortung des authentischen Lehramtes, dem Gebot Jesu Christi entsprechend, erhalten: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie ... und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ {Mt 28, 19—20). Das Zweite Vatikanische Konzil aber wertet — vor allem in der dogmatischen Konstitution Lumen gentium (Kap. III), in der die Merkmale der Gesamttradition der Kirche hervorgehoben werden — diese Ämter als Charismen, die ihnen Kraft, Stärke und Authentizität verleihen. Doch dieses besondere Amt bedarf auch des Studiums und der Arbeit der Theologen und erwartet von ihnen nach den Worten Pauls VI. „entscheidende Hilfe . . . bei der Durchführung des von Christus seinen Aposteln mit den Worten übertragenen Amtes;. Gehet hin und lehret alle Völker . . .“ (vgl. AAS ebd., 715). Es ist nun zu wünschen, daß diese Hüfe in besonderer und gleichsam „institutioneller“ Weise von den Mitgliedern der Internationalen Theologenkommission geleistet wird. Diese besitzen nämlich, da sie aus mehreren Nationen kommen und Verbindungen zu den Kulturen verschiedener Völker haben, bessere Erfahrungen bezüglich der neuen Probleme, die gleichsam die alten Probleme in neuer Gestalt darstellen, und sind deshalb auch in der Lage, die Wünsche, Erwartungen und Geisteshaltungen der heutigen Menschen besser zu verstehen; sie 1340 Botschaften und Ansprachen können also wesentlich dazu beitragen, daß die aufgeworfenen Fragen gemäß dem von Christus offenbarten und in der Kirche überlieferten Glauben tiefgehender und passender beantwortet werden. Nachdem wir also alles reiflich überlegt haben, schreiben wir aus eigenem Antrieb („motu proprio“) und kraft unserer apostolischen Vollmacht die neuen Statuten der Internationalen Theologenkommission vor und setzen sie, wie folgt, fest: 1. Aufgabe der Internationalen Theologenkommission ist es, Lehrfragen, denen große Bedeutung zukommt, vor allem solche, die einen neuen Aspekt aufweisen, zu studieren und so dem Lehramt der Kirche und insbesondere der Glaubenskongregation, bei der sie eingerichtet winde, Hilfe zu bieten. 2. Das Amt des Vorsitzenden der Internationalen Theologenkommission übt der Kardinal-Präfekt der Glaubenskongregation aus, der jedoch für die einzelnen Sitzungen, wenn die Notwendigkeit gegeben ist, einen anderen Moderator delegieren kann. 3. Die Internationale Theologenkommission besteht aus Vertretern der Theologischen Wissenschaften aus verschiedenen Schulen und Nationen, die sich durch ihr Wissen, ihre Klugheit und ihre Treue gegenüber dem Lehramt der Kirche auszeichnen. 4. Die Mitglieder der Internationalen Theologenkommission werden vom Papst ernannt, dem sie vom Kardinal-Präfekten der Glaubenskongregation nach Anhörung der Bischofskonferenzen vorgeschlagen werden. Sie werden für jeweüs fünf Jahre ernannt, nach deren Ablauf sie erneut bestätigt werden können. Die Zahl der Mitglieder soll jedoch, außer in Ausnahmefällen, dreißig nicht überschreiten. 5. Der Generalsekretär der Internationalen Theologenkommission wird auf Vorschlag des Kardinal-Präsidenten der Kommission vom Papst für fünf Jahre ernannt und in die Zahl der Konsultoren der Glaubenskongregation aufgenommen. Nach fünf Jahren kann er erneut in seinem Amt bestätigt werden. Es empfiehlt sich aber, daß der Kardinal-Präsident, wenn es sich machen läßt, unter den Kommissionsmitgliedem eine Beratung abhält, ehe er die Namen der für dieses Amt Geeigneten dem Papst unterbreitet. Zur Aufgabe des Generalsekretärs gehört vor allem die Koordinierung der Arbeiten sowie die Verbreitung der Schriften der Kommission sowohl zur Zeit der Sitzungen wie vor und nach der Abhaltung dieser Sitzungen. 6. Der Untersekretär wird vom Kardinal-Präsidenten ernannt. Er steht dem Generalsekretär bei seiner ordentlichen Aufgabe bei und kümmert 1341 Botschaften und Ansprachen sich insbesondere um die technischen und ökonomischen Angelegenheiten. 7. Eine Vollversammlung der Internationalen Theologenkommission wird nur einmal im Jahr einberufen, wenn nicht entgegengesetzte Umstände die Tagung verhindern. 8. Die Mitglieder der Internationalen Theologenkommission können auch schriftlich um Rat gefragt werden. 9. Die Fragen und Themen, die eingehend geprüft werden sollen, werden entweder vom Papst oder vom Kardinal-Präsidenten bestimmt. Sie können auch von der Glaubenskongregation, von anderen Dikasterien der Römischen Kurie, von der Bischofssynode und den Bischofskonferenzen vorgeschlagen werden. Einzuhalten ist jedoch die Bestimmung Nr. 136 der Apostolischen Konstitution Regimini Ecclesiae Universae. 10. Zur Vorbereitung der Prüfung besonderer Fragen richtet der Kardinal-Präsident aus Mitgliedern, die in dieser Sache besondere Erfahrung besitzen, eigene Unterkommissionen ein. Die Arbeit dieser Unterkommissionen wird von einem Mitglied geleitet, das vom Kardinal-Präsidenten damit beauftragt wird, nach entsprechender Beratung mit dem Generalsekretär die Vorbereitung der Arbeit der Vollversammlung durchzuführen. Diese Unterkommissionen bestehen normalerweise aus weniger als zehn Mitgliedern und sie können auch außerhalb Roms zu einer eigenen, kurzen Vorbereitungstagung Zusammentreffen. Es können auch andere, wenn es der Fall erfordert, sogar nichtkatholische Experten zu Rate gezogen werden. Diejenigen, die zu einer solchen Beratung einberufen werden, sind nicht Mitglieder der Internationalen Theologenkommission. Die Unterkommissionen beenden ihr Amt nach beendeter Prüfung der Fragen und nicht erst nach fünf Jahren. 11. Die Beschlüsse, zu denen die Internationale Theologenkommission bei der Vollversammlung oder in den spezialen Unterkommissionen gelangt ist, und ebenso, wenn das angebracht erscheint, Sondervoten einzelner Mitglieder werden dem Papst unterbreitet und an die Glaubenskongregation zur Verwendung weitergeleitet. 12. Die von der Mehrheit der Internationalen Theologenkommission ausdrücklich gebilligten Texte können die öffentliche Rechtsgültigkeit bekommen, wenn sie das Nihil obstat des Hl. Stuhls eingeholt haben. Texte, die nur allgemein angenommen werden, können als persönliche Arbeiten von Mitgliedern der Internationalen Theologenkommission publiziert werden, aber zumindest unter der Verantwortung der Kommis- 1342 Botschaften und Ansprachen sion. Diese Verfügung gilt um so mehr, wenn es sich um vorbereitende Berichte oder die Voten auswärtiger Experten handelt. Die Unterscheidung dieser Qualifikationen muß bei der Veröffentlichung der Texte klar ersichtlich sein. 13. Die Mitglieder der Internationalen Theologenkommission sind in den von der Kommission zu behandelnden Angelegenheiten nach Art und Bedeutung dieser Fragen zur strengen Geheimhaltung verpflichtet und damit zur Beobachtung der Normen, die für das sogenannte Berufsgeheimnis gelten. Angelegenheiten, die in den Bereich der Zusammenarbeit der Kommission oder des einzelnen mit der Glaubenskongregation gehören, werden der Natur der Sache nach vom Sekretum dieser Kongregation geschützt bzw. vom päpstlichen Sekretum entsprechend den Normen der Instruktion über dieses Sekretum (vgl. AAS 66, 1974, 89-92). Alle Bestimmungen dieses Motu proprio treten hiermit in Kraft und sind ab 1. Oktober dieses Jahres rechtswirksam, etwa entgegenstehende, auch wenn sie besonderer Erwähnung wert wären, entfallen. Gegeben zu Rom bei St. Peter, am 6. August 1982, dem Fest der Verklärung unseres Herrn Jesus Christus, im vierten Jahr unseres Pontifikats. JOANNES PAULUS PP. II. (O. R. 3. 10. 1982) Die Krise der europäischen Kultur ist die Krise der christlichen Kultur Ansprache an die Teilnehmer des 5. Symposions des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen am 5. Oktober Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Ich freue mich, bei euch zu sein und an den Überlegungen dieses fünften Symposions des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) teilzunehmen. Ich betrachte das als eine Begegnung ganz besonderer Art, weü sie uns allen erlaubt, uns lebhafter die Sorge für die Kirchen in Europa bewußtzumachen, die wir gemeinsam tragen. Im 1343 Botschaften und Ansprachen Wissen um die Bedeutung und die Größe des uns anvertrauten Sendungsauftrags wollen wir in diesen Tagen besonders eindringlich und brüderlich den Heiligen Geist anrufen, damit er uns bei der Ausübung des apostolischen Dienstes erleuchte und stärke. Unsere Begegnung hat einen ganz besonderen Charakter, der sie kennzeichnet und prägt. Das Symposion ist ja in der Tat auf gesamteuropäischer Ebene ein bedeutsamer Ausdruck jener bischöflichen Kollegialität, die eine der zentralsten Entwicklungen und weitreichendsten Konsequenzen der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums gewesen ist. Noch tiefer erleben wir hier eine besondere Erfahrung jener kirchlichen koinonia, die ihre Lebensquelle im Geheimnis der Dreifaltigkeit selbst hat. In euch sind hier gewissermaßen die verschiedenen Ortskirchen des ganzen Kontinents mit ihrem gesamten Erbe und ihrem spezifischen Charakter anwesend. Unsere Kirchen sind aus der Verkündigung der Apostel hervorgegangen, sind vom Blut der ersten Märtyrer befruchtet und vom Charisma der Heiligen mit Leben erfüllt worden. Es sind Kirchen, die Europa in seinen ersten Anfängen aus der Taufe gehoben haben; die erhebende herrliche Epen des Glaubens und der missionarischen Evangelisierung geschrieben und dunkle Krisen und dramatische Zeiten durchgemacht haben. Eure Kirchen haben zum Glück die volle Gemeinschaft mit der römischen Kirche bewahrt, auch wenn sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Geschichte die traurige Feststellung machen mußten, daß ein Teil von ihnen abfiel. Voll Liebe und Verehrung grüße ich diese Kirchen, die aus dem ersten Jahrtausend kommen und auf das dritte christliche Jahrtausend zugehen. Ich betrachte sie als Schwesterkirchen, die miteinander im Heiligen Geist und in der Feier der Eucharistie den einen Leib Christi bilden. Das ist der theologische „Ort“, an dem wir stehen müssen, um das Heute der Heilsgeschichte in Europa zu erfassen, indem wir uns öffnen und auf das hören, was der Heilige Geist unseren Kirchen sagt, damit sie ihre Aufgabe der Evangelisierung erfüllen. 2. Euer Blick ist in diesen Tagen auf Europa geheftet, und während man versucht, den Plan und den Ruf Gottes zu begreifen, fragt man, was denn Europa heute eigentlich ist; man fragt nach seinem Bewußtsein, seinen Bestrebungen, seinen Krisen, seiner Bestimmung. Ich möchte euch vor allem sagen, daß euer Symposion als solches das ursprüngliche Antlitz Europas zutage treten läßt und die Hoffnung für ganz Europa entzündet. Der alte Kontinent trägt noch heute die tiefen, offenen Wunden, die ihm in einer fernen und einer sehr nahen Vergangenheit zugefügt wurden, die gekennzeichnet war von Kriegen, von ideologischen, politischen, militäri- 1344 Botschaften und Ansprachen sehen und wirtschaftlichen Gegensätzen. Mancher wird sich sogar fragen, ob Europa heute nicht ein Mythos ist und wird darauf hinweisen, daß in Wirklichkeit Europa in der Mehrzahl existiert: vom wirtschaftlichen und politischen bis hin zum kulturellen und militärischen Europa. Trotz des Bemühens, die im Laufe der Geschichte entstandenen Brüche wieder zusammenzufügen und trotz der auf die Einheit abzielenden Kräfte gehen die Trennungslinien zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd quer durch den Kontinent. Unsere Versammlung kann diese Spaltungen und Gegensätze natürlich nicht ignorieren, aber sie übernimmt sie nicht. Die kollegiale Wirklichkeit unserer Begegnung und unserer Sendung ist alles andere als eine Sakralisierung der gegenwärtigen Spaltungen; sie ist vielmehr ein kreativer Regenerationsakt für ein vereintes Europa. Unser Symposion beweist tatsächlich die Berufung Europas zur Brüderlichkeit und zur Solidarität aller seiner Völker, vom Atlantik bis zum Ural. Auf dem Symposion vertretet ihr Völker, die sich ethnisch voneinander unterscheiden, und bringt eine große kulturelle Vielfalt mit. Eure Tagung will den Reichtum der Kulturen der einzelnen Nationen weder verbergen noch ihm seine Gültigkeit absprechen; sie bringt sie miteinander in Verbindung und öffnet sie auf diese Weise für eine gegenseitige Bereicherung. Wie es bereits das Christentum im ersten Jahrtausend Europas getan hat, indem es das griechisch-römische Erbe, die Kultur der germanischen und jene der slawischen Völker integrierte und von der ethnischen und kulturellen Vielfalt her einem gemeinsamen europäischen Geist Leben verlieh, so bemüht ihr euch - ohne Nostalgie für die Vergangenheit, sondern vielmehr voll Zuversicht bezüglich der inneren einigenden Kraft des Christentums und seiner Rolle in der Geschichte - in kollegialer Gemeinschaft darum, aus der Vielfalt der lokalen und nationalen Erfahrungen eine neue und gemeinsame europäische Zivilisation entstehen zu lassen. Diese Hoffnung, die in euch lebt, müßt ihr dem Europa von heute mitteilen. Ihr wollt natürlich nicht neben dem bereits bestehenden ein zweites Europa aufbauen, doch zielt eure Arbeit darauf ab, Europa sich selbst zu enthüllen. Ihr weist Europa auf seine Seele und seine Identität hin und bietet ihm den Schlüssel zur Deutung seiner Berufung. 3. Die Kirche und Europa: Das sind zwei Wirklichkeiten, die in ihrem Sein und in ihrer Bestimmung eng miteinander verknüpft sind. Sie haben miteinander jahrhundertelang einen gemeinsamen Weg zurückgelegt und bleiben von derselben Geschichte geprägt. Europa ist vom Christentum aus der Taufe gehoben worden, und die europäischen Nationen in ihrer Verschiedenartigkeit haben die christliche Existenz verkörpert. Bei ihrer 1345 Botschaften und Ansprachen Begegnung haben sie einander bereichert und Werte mitgeteilt, die nicht allein zur Seele der europäischen Kultur, sondern auch zum Gut der ganzen Menschheit geworden sind. Wenn im Laufe nachfolgender Krisen die europäische Kultur versuchte, vom Glauben und von der Kirche Abstand zu gewinnen - was einst als Wille zu Emanzipation und Autonomie bezeichnet wurde -, so war das in Wirklichkeit eine innere Krise des Europabewußtseins selbst, das hinsichtlich seiner tiefgreifenden Identität, seiner grundlegenden Entscheidungen und seiner geschichtlichen Bestimmung auf die Probe gestellt und in Versuchung geführt wurde. Europa könnte das Christentum gar nicht wie einen fremd gewordenen Reisegefährten aufgeben, ebenso wie ein Mensch nicht die Gründe seines Lebens und Höffens aufgeben kann, ohne sich in eine dramatische Krise zu stürzen. Deshalb bleiben die Veränderungen des europäischen Bewußtseins, die bis zu den radikalsten Leugnungen des christlichen Erbes vorangetrieben werden, nur im wesenhaften Bezug zum Christentum voll verständlich. Die Krisen des europäischen Menschen sind die Krisen des christlichen Menschen; die Krisen der europäischen Kultur sind die Krisen der christlichen Kultur. Es ist von äußerster Bedeutung, den Wandel zu untersuchen, den der europäische Geist in diesem letzten Jahrhundert erfahren hat. Europa durchziehen heute Strömungen, Ideologien und Bestrebungen, die man als glaubensfremd, wenn auch nicht direkt dem Christentum entgegengesetzt bezeichnen könnte. Aber es ist interessant festzustellen, daß man -ausgehend von Systemen und Entscheidungen, die den Menschen und seine irdischen Errungenschaften absolut absetzen wollten - heute dahin gelangt ist, den Menschen selbst, seine Würde und seine inneren Werte, seine ewigen Gewißheiten und sein Verlangen nach dem Absoluten in Frage zu stellen. Wo sind heute die feierlichen Proklamationen einer gewissen Wissenschaftsgläubigkeit, die dem Menschen unbegrenzte Räume des Fortschritts und des Wohlstands zu erschließen verhieß? Wo sind die Hoffnungen, der Mensch würde sich, nachdem er Gott für tot erklärt hat, endlich in Welt und in Geschichte an Gottes Stelle setzen und einem neuen Zeitalter entgegengehen, in dem er alle seine Übel allein besiegen könnte? Die tragischen Geschehnisse dieses Jahrhunderts, die Europas Erde in schrecklichen, brudermörderischen Kriegen mit Blut getränkt haben; der Aufstieg autoritärer und totaütärer Regime, die Freiheit und Grundrechte des Menschen mißachtet haben und mißachten; die Zweifel und Vorbehalte eines Fortschritts, der die Güter des Universums manipuliert, um 1346 Botschaften und Ansprachen Reichtum und Wohlstand zu steigern, nicht nur die Umwelt des Menschen schädigt, sondern auch entsetzliche Vernichtungswaffen herstellt; das schicksalhafte Nachspiel der kulturphilosophischen Strömungen und Befreiungsbewegungen, die der Transzendenz gegenüber verschlossen sind: Das alles hat schließlich die Ernüchterung des europäischen Menschen zur Folge gehabt, ihn zum Skeptizismus und Relativismus geführt, wenn nicht gar in den Nihilismus, die Bedeutungslosigkeit und Existenzangst gestürzt. Dieser Gegensatz und dieser dramatische und unvorhergesehene Ausgang scheinen paradox und schwer erklärbar. Manche werden sagen, daß es sich um eine Wachstumskrise gemäß dem Wesen des Menschen handle, das entscheidend von der Begrenztheit und Geschichtlichkeit seiner Situation geprägt wird. Das Drama scheint jedoch eine tiefere Bedeutung einzuschließen, die voll zu enthüllen eure Aufgabe ist, indem ihr ihre geistliche Auslegung im Licht einer Theologie der Geschichte vornehmt, die den Menschen in einem freien Dialog mit Gott und mit seinem Heilsplan sieht. 4. In diesem Licht vermag das Christentum in dem Abenteuer des europäischen Geistes die Versuchungen, die Treulosigkeiten und die Risiken zu entdecken, die dem Menschen in seiner wesenhaften Beziehung zu Gott in Christus eigen sind. Und weiter vertiefend können wir behaupten, daß diese Prüfungen, diese Versuchungen und dieser Ausgang des europäischen Dramas das Christentum und die Kirche nicht nur von außen als Schwierigkeit oder äußeres Hindernis herausfordem, das bei der Evangelisierungsarbeit zu überwinden ist, sondern daß sie wirklich dem Christentum und der Kirche selbst innewohnen. Der europäische Atheismus ist eine Herausforderung, die im Horizont eines christlichen Bewußtseins verstanden werden muß; er ist mehr eine Auflehnung gegen Gott und eine Untreue gegenüber Gott als eine bloße Leugnung Gottes. Der Säkularismus, den Europa in der Welt verbreitet hat und der die Gefahr in sich birgt, blühende Kulturen der Völker anderer Kontinente zum Verdorren zu bringen, hat sich genährt und nährt sich noch immer von der biblischen Vorstellung der Schöpfung und der Beziehung des Menschen zum Kosmos. Liegt etwa das wissenschaftlich-technische Unterfangen, die Welt zu unterwerfen, nicht auf der biblischen Linie der Aufgabe, die Gott dem Menschen übertragen hat? Ist der Wunsch nach Macht und Besitz nicht die Versuchung des Menschen und des Volkes unter dem Zeichen des Bundes mit Gott? 1347 Botschaften und Ansprachen Wir könnten in unserer Analyse noch fortfahren. . . Wir werden vielleicht nicht ohne Staunen entdecken, daß die Krise und die Versuchung Europas und seiner Menschen Krisen und Versuchungen des Christentums und der Kirche in Europa sind. Wenn aber die Schwierigkeiten und Hindernisse für die Evangelisierung in Europa in der Kirche und im Christentum selbst Vorwände finden, dann werden auch die Heilmittel und Lösungen in der Kirche und im Christentum gesucht werden müssen, das heißt, in der Wahrheit und in der Gnade Christi, des Erlösers der Menschen, Mittelpunkt des Kosmos und der Geschichte. Die Kirche muß sich also selbst evangelisieren, um den Herausforderungen des heutigen Menschen gerecht werden zu können. Wenn der Atheismus eine Versuchung des Glaubens ist, wird er durch die Vertiefung und Läuterung des Glaubens besiegt werden. Wenn der Säkularismus die Stellung des Menschen in der Welt und die Nutzung des Universums in den Vordergrund rückt, wird die Evangelisierung wieder jene kosmische Theologie und Spiritualität anbieten müssen, die, begründet in der Bibel und präsent in der Liturgie, vom Zweiten Vatikanischen Konzil in neues Licht gerückt wurde (vgl. Gaudium etspes, Nr. 37). Wenn die in Europa begonnene industrielle Revolution einen Wirtschaftstyp, soziale Beziehungen und Bewegungen entstehen ließ, die sich der Kirche zu widersetzen und die Evangelisierung zu behindern scheinen, werden wir dadurch, daß wir das Evangelium der Gerechtigkeit, der Brüderlichkeit und der Arbeit leben, verkünden und verkörpern, die Welt der Arbeit wieder zu einer menschlichen und christlichen Welt machen. Wir werden weiterhin diese Begriffe auf so wichtige Wirklichkeiten anwenden können wie die Familie, die Jugend, die Armutszonen und die „neuen Armen“ in Europa, die ethnischen und religiösen Minderheiten, die Beziehungen zwischen Europa und der Dritten Welt. Wenn wir an den Glauben und an die Heiligkeit der Kirche appellieren, um auf diese Probleme und diese Herausforderungen zu antworten, so ist das nicht Ausdruck eines Verlangens, die Macht zu ergreifen oder wiederzuergreifen, sondern es ist der verpflichtende Weg, der bis zu den letzten Ursachen der Herausforderungen und Probleme führt. Damit die Kirche ihrer heutigen Sendung in Europa nachkommen kann, muß sie sich dessen bewußt sein, daß sie - weit davon entfernt, dem europäischen Menschen fremd zu sein oder noch viel weiter davon, sich zur Lösung der Krisen und Probleme Europas ungeeignet oder unfähig zu 1348 Botschaften und Ansprachen fühlen - vielmehr die Heilmittel für die Schwierigkeiten und die Hoffnung für morgen in sich selbst trägt. Durch ihre Treue zu Christus bis zum äußersten und durch die Heiligkeit des Lebens und die evangelischen Tugenden macht die Kirche Christus mehr und mehr sichtbar und wird in den Geist und das Herz Europas eintreten. 5. Unsere Verantwortung und unser Sendungsauftrag gegenüber Europa sind also recht groß ebenso die Hoffnung groß ist, die wir in uns tragen. Unsere Gemeinden, die in den ersten Stunden der Geschichte der Kirche evangelisiert wurden, haben kostbare Talente zu verwalten. Wir dürfen uns natürlich nicht wie die Arbeiter im Gleichnis des Evangeliums gegenüber den jungen Kirchen der anderen Kontinente unserer Verdienste rühmen. Ja, wir müssen mit ehrlicher Demut um Vergebung bitten für unsere Treulosigkeit, für unsere Uneinigkeit und für die Übel, die wir in der Welt verbreitet haben. Aber zugleich müssen wir mit neuer Überzeugung die Sendung auf uns nehmen, die Gott uns heute im Hinbück auf Europa anvertraut. Wir haben keine Wirtschaftsrezepte oder poütische Programme vorzuschlagen, aber wir haben eine Botschaft, eine Frohbotschaft zu verkünden. Es wird auch von uns abhängen, ob Europa sich in seine kleinen zeitüchen Bestrebungen, in seine Egoismen einschließt und der Angst und Bedeutungslosigkeit erüegt, weil es auf seine Berufung und seine Rolle in der Geschichte verzichtet, oder ob es in der Kultur des Lebens, der Liebe und der Hoffnung seine Seele wiederfindet. Ich wünsche euch, daß ihr bei den Reflexionen dieses Symposions die Wege entdeckt, die der Heüige Geist der Kirche und euren Kirchen für die Verkündigung ihrer Botschaft an das heutige Europa erschüeßt. Mein Segen begleite euch! (O.R.7.10.82) 1349 Botschaften und Ansprachen Blickt auf die „Magna Domina Hungarorum“ Ansprache an die ungarischen Bischöfe beim „Ad-limina“-Besuch am 7. Oktober Ehrwürdige Brüder im Bischofsamt! 1. Ich möchte euch alle ganz herzlich begrüßen, Erzbischöfe und Bischöfe Ungarns, unter der Führung des hochwürdigsten Herrn Kardinal Läszlo Lekai, Erzbischof von Esztergom und Vorsitzender eurer Bischofskonferenz: Ihr seid nach Rom gekommen, um gemeinsam am Grab des Apostelfürsten zu beten und seinen Nachfolger zu besuchen. Über euch aber richtet sich mein hebevoller Gruß an eure Nation, die berühmt und reich ist wegen ihrer tausendjährigen christlichen Geschichte, und an die geliebte Kirche Ungarns, die im Laufe der Jahrhunderte immer größten Gehorsam und tiefe Ergebenheit gegenüber dem Römischen Papst und dem Stuhl Petri gezeigt hat, wie es bereits in den Anfängen eurer Nation die heiligen Könige Stephan und Ladislaus und der heilige Märtyrerbischof Gerardus bezeugt haben. Unsere heutige Zusammenkunft ist nicht die einzige und auch nicht zufällig; denn sie stellt die Abrundung, ja in gewissem Grad die Krönung der häufigen Kontakte mit euch dar, die seit Beginn meines Pontifikats gepflegt wurden. Das geschah sowohl durch mehrere Briefe, die ich euch geschrieben habe, als auch durch Herrn Kardinalstaatssekretär Casaroli, der zur 1000-Jahr-Feier der Geburt des hl. Märtyrerbischofs Gerardus Ungarn besuchte, durch die Reisen von Erzbischof Poggi in euer Land und schließlich durch eure Besuche, die ihr einzeln oder gemeinsam in Rom gemacht habt, besonders als die Kapelle der „Magna Domina Hungarorum“ in den vatikanischen Grotten feierlich eingeweiht wurde. Mir ist nicht entgangen, ehrwürdige Brüder, mit welcher Sorgfalt ihr unsere Zusammenkunft vorbereitet habt, und dafür bin ich euch herzlich dankbar. Ich hatte umgekehrt die Freude, mit jedem von euch einzeln zusammenzutreffen, und habe mit lebhaftem Interesse die Berichte über die Lage der Kirche in eurem Vaterland und in den einzelnen Diözesen gelesen. Wie in den Einzelgesprächen üblich, wolltet ihr auch bei dieser gemeinsamen und abschließenden Zusammenkunft mir euer Herz öffnen und mir die Freuden, Betrübnisse und Hoffnungen eures Hirtenamtes darlegen. Und ich versichere euch umgekehrt, daß ich nicht nur an diesen Gefühlen teilnehme, sondern sie mir zu eigen mache. 1350 Botschaften und Ansprachen 2. Mit großem Trost habe ich von der bleibenden Kraft echter christlicher Tradition erfahren, die von einer gesunden Frömmigkeit genährt wird von der ich hoffe, daß sie in Zukunft noch zunimmt, vor allem vor der tief in den Herzen der Ungarn verwurzelten Marienverehrung. Mit großer Zuversicht lassen sich die ersten Regungen eines religiösen Erwachens bei jungen Menschen bemerken; der apostolische Einsatz muß bewußter und tatkräftiger werden; unter den Gläubigen ist stärker das Bedürfnis zu spüren, den Glauben besser kennenzulemen - das beweist die Zahl derer, die an Briefkursen in Theologie teilnehmen. Außerdem nährt die Tatsache, daß heute alle ungarischen Diözesen von Bischöfen regiert werden - und eure große Zahl hier beweist das -, die Hoffnung, daß die Versuche, die Situation der Kirche in eurer Heimat zum Besseren zu wenden - Versuche, sage ich, die mit größter Beharrlichkeit und in gegenseitiger Achtung der Zuständigkeiten unternommen wurden -, haltbare Früchte erbringen werden. Ich wünsche von Herzen, daß diese Versuche auch zur Lösung der schweren, noch ausstehenden Probleme führen. 3. Zugleich, ehrwürdige Brüder, kann ich jedoch nicht die Sorgen mit Schweigen übergehen, die euch bei der Ausübung eures Amtes umgeben und die ihr mir sowohl in euren Fünfjahresberichten wie auch in unseren Gesprächen auseinandergelegt habt. Einige Probleme haben da wohl Vorrang, da sie eure besondere Sorge zu erfordern scheinen. Vor allem die Katechese der Jugend und der Gläubigen ganz allgemein verlangt von euch ständigen, besorgten und hochherzigen Eifer. Ihr wißt, daß es sich hier um ein Problem von größter Bedeutung handelt. In dem Brief, den ich am 6. April 1980, dem Osterfest, an euch und an die ganze Kirche in Ungarn gesandt habe, erinnerte ich deshalb an diese schwere Verpflichtung, die sowohl den Bischöfen der Diözesen als auch den Priestern in den Pfarreien, ja, den Eltern selbst obliegt, die von Gott die sehr hohe Aufgabe der religiösen Erziehung ihrer Kinder erhalten haben. Wieviel Schwierigkeiten sich auch immer in den Weg stellen, ihr seid als gute Hirten der Herde Christi berufen, euch ohne Unterlaß darum zu bemühen, auf bestmögliche Weise dieser heiligen und schweren Verpflichtung Genüge zu leisten und euren Gläubigen - vor allem aber den Jugendlichen - eine solide reügiöse Erziehung zu gewähren. Aus diesem Grund müßt ihr alle Möglichkeiten und Mittel, die in eurer Macht stehen, suchen und einsetzen. Ich ermutige euch daher, euch mit immer größerer Sorge der — freilich geringen Zahl - der noch in eurem Land bestehenden katholischen 1351 Botschaften und Ansprachen Schulen anzunehmen, damit sie besonderen Aufgaben in angemessener Weise entsprechen. Im Zusammenhang mit dem Problem der Katechese habt ihr seit einiger Zeit auch gewisse Schwierigkeiten, die sich bisweilen aus einigen sogenannten „kirchlichen Basisgemeinden“ ergeben. Mit Recht beunruhigt euch als Bischöfe, die sich ihrer Aufgabe in der Kirche bewußt sind, dieses Problem, dessen Lösung nicht mehr länger ohne Schaden für die Gemeinschaft aller in der Kirche hinausgeschoben werden kann. In meinem oben erwähnten Brief vom 6. April 1980 habe ich unter Berufung auf die von meinem Vorgänger Paul VI. in dem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi dargelegten Normen betont, daß diese Gemeinschaften - um sich wirklich als „kirchlich“ bezeichnen zu können - vor allem fest mit den Ortskirchen, in die sie eingegüedert sind, und durch sie mit der Universalkirche verbunden sein müssen, während sie in Gemeinschaft mit und unter ihren jeweiligen Bischöfe ihre Tätigkeit entfalten. Die „Basisgemeinden“ aber, die diese Normen beachten - und ich wünsche, daß sich alle möglichst bald diesen Normen anpassen -, werdet ihr - daran habe ich keinen Zweifel - offen unterstützen und fördern. Eine besondere Sorge verlangt sodann das Problem der Familie; denn auch in eurem Vaterland befindet sich, wie es allgemein der Fall ist, die Familie in einer schweren geistlichen Krise: Das Übel der Ehescheidungen breitet sich aus, die Seuche der Abtreibungen nimmt zu, die Geburtenzahlen nehmen ab. Das ist ein Problem der Gesellschaften unserer Zeit in der industrialisierten Welt. Zu den vorrangigsten Aufgaben der Kirche gehört es, die Institution der Familie dadurch zu schützen, daß sie durch geeignete Vorbereitung der Eheleute, durch ständigen Empfang der Sakramente, durch moralische und gemeinsame Hilfe aller in den Prinzipien des christlichen Glaubens verankert und die Eheleute zu einem Leben der Liebe, der Treue, der Geduld und des gemeinsamen Gebets erzieht und hinführt. In dem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio habe ich gesagt: „In einem geschichtlichen Augenblick, in dem die Familie Ziel von zahlreichen Kräften ist, die sie zu zerstören oder jedenfalls zu entstellen trachten, ist sich die Kirche bewußt, daß das Wohl der Gesellschaft und ihr eigenes mit dem der Familie eng verbunden ist, und fühlt um so stärker und drängender ihre Sendung, allen den Plan Gottes für Ehe und Familie zu verkünden, um deren volle Lebenskraft und menschlich-christliche Entfaltung zu sichern und so zur Erneuerung der Gesellschaft und des Volkes Gottes beizutragen“ (Nr. 3). Und dann, ehrwürdige Brüder, wie sollte ich meine liebevolle Aufmerksamkeit nicht den männlichen und weiblichen Ordensgemeinschaften 1352 Botschaften und Ansprachen zuwenden, die sich um die menschliche Kultur, um die Geschichte und um den Fortschritt der ungarischen Nation so verdient gemacht haben? Ich kann nichts anders, als hier dem inständigen Wunsch und der Bitte -die ohne Zweifel von euch geteilt werden - Ausdruck geben, daß auch heute alle, die in eurem Vaterland die Stimme Gottes hören, der sie ruft, sich ihm im Ordensleben, beschauliche Ordensinstitute nicht ausgeschlossen, zu weihen, ihrer Berufung zum Aufbau des Gottesvolkes und zum Dienst an der bürgerlichen Gemeinschaft folgen können. Mit besonderer Liebe und Sorge aber begleite ich eure Priester, die eure unentbehrlichen und nächsten Helfer bei der täglichen Ausübung eures Dienstamtes sind. Und es erfüllt euch mit berechtigter Freude, wenn ihr seht, daß euch tüchtige Priester zur Seite stehen, die - keine Mühe scheuend - hochgemuten Sinnes „des Tages Last“ im Weinberg des Herrn tragen, obwohl sehr viele von ihnen bereits in vorgerücktem Alter stehen und oft nicht bei bester Gesundheit sind. Steht ihnen also, ehrwürdige Brüder, wie zweite Väter bei; schätzt ihre Arbeit hoch, und wenn sie in Schwierigkeiten sind, leistet ihnen fürsorglichen Rat und Hilfe. Vor allem aber unterhaltet zu ihnen eine feste, beständige Beziehung der Freundschaft, des Vertrauens und des Wohlwollens, damit ihr einen geschlossenen und einmütigen Klerus um euch habt und eure Sendung als Bischöfe wirksamer machen könnt. Namentlich denke ich an dieser Stelle an die älteren Diözesan- und Ordenspriester und an die Ordensschwestern, die jetzt in den „Sozialheimen“ leben und die mit großer Hingabe Jahre ihres Lebens bald mit der Leitung von Schulen und dem Unterricht der Jugend und bald mit der Betreuung von Kranken in Pflegeheimen verbracht haben. Offen danke ich jedem einzelnen von ihnen für die Gebete, die sie jeden Tag für den Stellvertreter Christi und für die ganze Kirche an Gott richten, während sie die Unbequemlichkeiten und Schmerzen ihres Alters hochherzig für das Heil der ganzen Welt auf opfern. Ich bitte den barmherzigen Gott, daß er diese seine Diener und Dienerinnen, die jetzt alt und vielleicht dem Tod nahe sind, mit den himmlischen Tröstungen erfüllen und stärken möge. Bei dieser Gelegenheit muß ich wohl das Problem der Seminare und der Priesterberufe berühren, zu deren eifriger, sorglicher Förderung ich euch trotz der großen Fülle an Aufgaben, die auf euch lastet, auffordere. Auch eingedenk der Worte Christi: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Lk 10,2), müßt ihr geeignete Initiativen unternehmen, um die Gebete in euren Diözesen zu intensivieren, damit Gott viele und 1353 Botschaften und Ansprachen hochherzige Arbeiter zum Dienst am Heil der Seelen entsende. Vor allem aber bemüht euch darum, daß die Seminare Stätten einer soliden und gründlichen geistlichen wie intellektuellen Ausbildung der Priesteralumnen sind, ohne jene zu vernachlässigen, die Militärdienst leisten. Und schließlich rate ich euch im Hinblick auf den breiteren Kreis eurer Gläubigen, diese so zu erziehen, daß sie mehr und mehr an der Bischofssorge ihrer Hirten teilnehmen und sie mittragen, wie die Taufe und das allgemeine Priestertum es fordern (vgl. 1 Petr 2, 9) und die Normen des Zweiten Vatikanischen Konzils es vorschreiben. Ehrwürdige Brüder, ich wollte gemeinsam mit euch über eure Freuden, Nöte und Sorgen meditieren. Niemand würdigt besser als der Stellvertreter Christi eure Weisheit und Festigkeit als Väter und Lehrer der Herde, die der Herr einem jeden von euch anvertraut hat. Zum Abschied möchte ich deshalb noch etwas brüderlich hinzufügen. Es muß euch am Herzen liegen, daß in euren Diözesen ein aufrichtiges Zeugnis christlichen Glaubens erbracht wird, von einem Klerus, der sich durch Einigkeit und Eifer für die Frömmigkeit und das Heil der anderen auszeichnet, und von Laien, die richtig informiert und Gott und der Kirche treu sind. Bemüht euch selbst darum, durch geeignete Beschlüsse der Bischofskonferenz gemeinsame Formen der Pastoralarbeit einzuführen, euch hochherzig gegenseitig Hilfe zu leisten, ein systematisches Programm zur Lösung pastoraler Probleme aufzustellen und die euch zur Verfügung stehenden Mittel und Kräfte klug zu verteilen. Ich richte an euch die mahnenden Worte des hl. Apostels Petrus: „Sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde Gottes, nicht aus Zwang, sondern freiwillig, wie Gott es will. . . Wenn dann der oberste Hirt erscheint, werdet ihr den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen“ (1 Petr 5, 2.4). Es hilft mir, diese Gefühle durch einen besonderen Apostolischen Segen zu bekräftigen, den ich gern auf eure Priester und Seminaristen, Ordensmänner, Ordensfrauen und auf alle Gläubigen Ungarns ausweiten will, und denen ihr, bitte, die Liebe deutlich machen sollt, mit der ich sie alle und von ganzem Herzen umfange. Einen besonderen Gruß in meinem Namen und alle guten Wünsche überbringt, bitte, auch allen euren Mitbürgern, die nicht denselben Glauben mit euch teilen. (O. R. 8.10.82) 1354 Botschaften und Ansprachen ,, Wenn du es sagst, dann werde ich die Netze auswerfen“ Predigt bei der Konzelebration mit den europäischen Bischöfen am 8. Oktober Liebe Brüder! 1. Im Johannesevangelium gibt es einen Text, den wir gut kennen und der uns sehr teuer ist; dort spricht Christus von sich als dem Guten Hirten. In der heutigen Liturgie hingegen sprechen wir zum Guten Hirten mit den gleichfalls wohlbekannten Worten des Psalmisten: „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er läßt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen. Muß ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, den Stock und dein Stab geben mir Zuversicht“ (Ps 23,1-4). Was war das Symposion der europäischen Bischöfe anderes als ein Gebet zum Guten Hirten, wie es mit den Worten des Psalms der heutigen Liturgie zum Ausdruck gebracht wird? Ein Gebet der vielen Hirten zu dem einen Hirten, dem einen und ewigen Hirten! Durch dieses Gebetssymposion wolltet ihr, liebe Brüder, vor allem die Gestalt des Guten Hirten herausstellen, der sich voll Sorge dem europäischen Kontinent zuneigt und hervortritt, um den Menschen und Völkern zu begegnen, zu denen er uns gerufen hat. Er kommt auch, um der Zeit zu begegnen, in die er uns gerufen hat, denn als Bischöfe haben wir teil an seiner Hirtensorge, an seiner Sendung. Heute, wo eure gemeinsame Arbeit ihren Abschluß findet, hoffe ich, daß das Bewußtsein der Gegenwart Christi, seiner Hirtenliebe und seiner Sorge das wichtigste Ergebnis des Symposions ist, damit ihr, aufs neue von diesem Bewußtsein erfüllt, aufs neue von ihm beseelt werdet, wenn ihr von hier in die verschiedenen Richtungen abreist. „Muß ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil. . .“ 2. Und deshalb kehren wir bei diesem heutigen Abschiedsgottesdienst zu den Ufern des Sees Gennesaret zurück. Dort, wo sich das Volk um Jesus drängte, um das Wort Gottes zu hören, stieg er in ein Boot, das dem Simon gehörte, und bat ihn, ein Stück weit vom Land wegzufahren (vgl. Lk 5, 2-3). Damals entstand das wunderbare Gleichnis vom Hören des Gotteswortes und der Arbeit der Fischer. 1355 Botschaften und Ansprachen Die Fischer leben vom Fischfang. Wenn sie die Netze auswerfen, und diese kommen leer in ihre Hände zurück, sind die Fischer betrübt. Ja, vielleicht resignieren sie sogar. Ist aus Simons Boot nicht ein Ton von Traurigkeit, ja, Resignation zu vernehmen, wenn er sagt: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen“ (Lk 5, 5)? So antwortet er auf die ermunternde Aufforderung Christi: „Fahr hinaus auf den See! Dort werft eure Netze zum Fang aus!“ {Lk 5, 4). Vielleicht, liebe Brüder, ist auch euer europäisches Symposion ein Augenblick der Einladung Christi gewesen, wie sie gewöhnlich in die Ohren der Fischer drang und ebenso in die Ohren der Bischöfe dringen kann, die die Nachfolger der Fischer von Galiläa sind. Was ist für einen Fischer selbstverständlicher, als die Netze auszuwerfen? Was ist für einen Bischof selbstverständlicher, als das Evangelium zu verkündigen, die Seelen zu suchen und das Schiff der Kirche zu führen? Wir stellen uns daher heute die Frage: Haben wir auf die Einladung des Meisters: „Fahr hinaus auf den See!“ geantwortet? Haben wir versucht, in diesen Tagen die Probleme unseres Sendungsauftrages in Europa im richtigen Rahmen zu sehen? Haben wir versucht, sie in der ganzen Breite des Evangeliums Gottes und zugleich der menschlichen Wirklichkeit zu erfassen? 3. „Doch, wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen“ {Lk 5, 5). Der Verfasser des Epheserbriefes, der „um des Herrn willen im Gefängnis ist“, fordert die Empfänger seines Briefes auf, ein Leben zu führen, „das des Rufes würdig ist, der an euch erging“, in Demut, Friedfertigkeit und Geduld, und sich einander in Liebe zu ertragen (vgl. Eph 4, 1-2). Denn sie sind berufen worden zur Hoffnung, zu der einen Hoffnung, die ihnen durch ihre Berufung gegeben worden ist (vgl. Eph 4, 4). Ist der am See Gennesaret erlebte Augenblick, als Christus den Fischern gebietet, die Netze auszuwerfen nicht eine solche Berufung zur Hoffnung? Zu jener einen Hoffnung, die ihnen durch die Berufung gegeben ist? Und die Berufung der Fischer ist es, zum Nutzen der Menschen die Fische aus dem tiefen Wasser zu ziehen. Doch die Aufforderung Christi in jenem Augenblick schließt die ganze Analogie ein, die zwischen der Arbeit der Fischer und der Verkündigung des Evangeliums besteht. Wenn die Fischer eine so große Menge Fische heraufholen werden, daß die Netze reißen, - wenn Simon beim Anblick des Wunders Christus zu Füßen fällt und ausruft, er sei als Sünder nicht würdig, ihn, Christus, in seinem Boot zu haben, 1356 Botschaften und Ansprachen - da wird Christus die in diesem wunderbaren Zeichen zum Ausdruck gebrachte Analogie zu Ende führen und zu Simon sagen: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen“ (Lk 5, 10). Liebe Brüder, auch wir Bischöfe des europäischen Kontinents müssen dieses galiläische Gleichnis noch einmal in seiner ganzen Fülle erfahren. Wir müssen wieder das „Fürchte dich nicht“ hören, weil wir vielleicht entmutigt und resigniert sind. Auch wir müssen diesen Appell zur Hoffnung wiederentdecken - zu der „einen Hoffnung“, die uns unsere Berufung gibt. Und wir müssen unermüdlich die Netze auswerfen und mit Simon wiederholen: „Doch, wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen“ {Lk 5, 5). Der ewige Hirte der menschlichen Seelen ist der Herr aller Fischzüge. 4. Ihr seid hier in Rom zusammengekommen, ihr, Bischöfe verschiedener europäischer Länder, um die „Hoffnung, zu der ihr berufen seid“, neu zu beleben. Aber jeder von uns „empfing die Gnade in dem Maß, wie Christus sie ihm geschenkt hat“ {Eph 4, 7). Mit der Arbeit in euren Gemeinden - von der täglichen Arbeit in der eigenen Diözese bis zu der breiteren in der nationalen Bischofskonferenz - wollt ihr noch in anderer Weise am „Aufbau des Leibes Christi“ mitwirken. Der Heilige Geist hat euch „als Hirten und Lehrer eingesetzt, um die Brüder für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten“ {Eph 4, 12); „Zweck“ dieses Dienstes ist eben der Aufbau des Leibes Christi. Dieser Leib „ist einer“, so wie es „nur einen Geist gibt“ {Eph 4, 4) und wie es auch nur „einen Herrn, einen Glauben, eine Taufe“ gibt {Eph 4, 5) und vor allem „einen Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“ {Eph 4, 5-6). Die Frucht des Symposions - quer durch alle Differenzierungen, die den Reichtum der Nationen und der Kirchen ausmachen, quer durch Trennungen, die ein schweres Erbe der Vergangenheit sind, durch — ich wiederhole es — Differenzierungen und Trennungen von nicht unwesentlicher Bedeutung, die von den Menschen herkommen - muß vor allem die Entdeckung der Einheit sein. Der Einheit, die für die Menschen bestimmt ist und von Gott kommt. Die Einheit des Volkes Gottes: Sie ist groß, universal und somit pan-europäisch. Von dieser Einheit, die von Gott kommt, muß man immer ausgehen, und sie muß man auch als Ziel sehen, ja als Ziel setzen. Jesus Christus, der Gute Hirte, ist bei uns auf allen Wegen, die vom göttüchen Anfang zur Einheit des erlösten Leibes führen. 5. „Per evangelica dicta . . .“ Möge unsere Schuld hinweggenommen werden durch die Worte des Evangeliums. 1357 Botschaften und Ansprachen Die Worte des Evangeliums mögen uns helfen, die Probleme Gottes zu spüren und die Tiefe der Geheimnisse zu verstehen. Das Wort des Evangeliums lasse uns die Hoffnung unserer Berufung wiederentdecken. (O. R. 9.10.82). ,,Besseren Schutz der geistigen Werte fördern“ Ansprache an die Teilnehmer des 33. Kongresses der internationalen Konföderation der Komponisten- und Autorengesellschaften (CISAC) am 8. Oktober Meine Damen und Herren! 1. Bei Ihrem Kongreß in Rom hatten Sie die Freundlichkeit, um eine Begegnung mit mir zu ersuchen. Ich danke Ihnen herzlich dafür, weil Sie mir so Gelegenheit geben, das Interesse zu bekunden, das die Kirche Ihrer täglichen Arbeit und Ihren Koordinierungsbemühungen im Rahmen Ihrer nationalen Gesellschaften wie auf internationaler Ebene entgegenbringt. Als Schriftsteller, Künstler, Komponisten und Verleger haben Sie in der Tat eine kostbare Gabe empfangen, deren einzigartigen Reichtum mein Vorgänger, Papst Paul VI., bei der Audienz, die er Ihnen vor nunmehr 20 Jahren gewährte, hervorgehoben hat. In der Tat, Ihre Mission stellt Sie in den Dienst der menschlichen Kultur. Und die modernen Medien bieten Ihnen ein Instrument, das es ermöglicht, Ihre Eingebungen und Forschungen im Bereich der Kunst und des Denkens mit immer mehr Menschen zu teilen. So ergibt sich zwischen Ihnen als Schöpfern und einem unzähligen Publikum die Möglichkeit der Gemeinschaft bei der Suche nach den vielfältigen Werten, die dem Menschen erlauben, über sich hinauszugehen, wenn er sich nicht in die engen Grenzen seiner wirtschaftlichen Dimension einschließen will. 2. Gleichzeitig geben Ihnen diese neuen Möglichkeiten der Kulturverbreitung größere Verantwortlichkeit auf ethischem, geistigem und politischem Gebiet. Kultur verbreiten heißt ja nicht, sich mit jeder beliebigen Erscheinungsform von Gedanken und Gefühlen zu verschmelzen. Im Gegenteü, Ihre Aufgabe besteht darin, jeden einzuladen, in eine freie Begegnung der Geister und Herzen einzutreten. Es ist darum wichtig, daß Ihr Wunsch, das Publikum an Ihren Ideen und Ihren Entdeckungen durch Ihre Werke 1358 Botschaften und Ansprachen teilnehmen zu lassen, Hand in Hand geht mit einer ganz hohen Achtung vor der Freiheit aller. Ist im übrigen Ihre Hingabe an den Dienst des Geistes nicht an sich schon ein Appell, Ihren Leser, Ihren Zuschauer oder Zuhörer zu einem Schritt auf dem Weg der Freiheit und der Entfaltung aller Werte anzuregen, die der Mensch in sich birgt? Denn die wahre Freiheit ist nicht schädlich; im Gegenteil, sie führt den Menschen dahin, besser und brüderlicher zu werden. 3. Natürlich kann die Kultur nicht wenigen einzelnen oder einer Elite Vorbehalten bleiben; sie prägt ganze Völker durch die Beziehung der einen zu den anderen. Aber dadurch, daß so zwischen allen Kindern ein und derselben Nation eine Gemeinschaft entsteht, lädt sie jene ein, sich die gemeinsamen Ideen zu eigen zu machen. Gerade die modernen Medien stärken mehr denn je den Volkscharakter der Kultur, weil sie einer wachsenden Zahl von Personen heute den Zugang zu den Werten ermöglichen, die sie vermittelt und die eine wahrhaft menschliche Gesellschaft festigen. 4. Deshalb trägt die Tätigkeit Ihrer Vereinigung durch den fruchtbaren Austausch, den Sie miteinander pflegen, durch die Entdeckung der zeitlichen Dimension der kulturellen Erscheinungen, durch den bei dieser Tätigkeit vorausgesetzten Willen, unterschiedliche Gesichtspunkte zu respektieren, sicher dazu bei, Ihrer persönlichen Arbeit wie der Arbeit derer, die Sie repräsentieren, einen brüderlichen Charakter zu geben. Dort ist es Ihnen möglich, das Wesen und die Grenzen Ihres Einflusses besser zu ermessen in dem Sinn, auf den ich hinzuweisen versucht habe, und zu beurteilen, was sich empfiehlt, um einen besseren Schutz der menschlichen und geistigen Werte jeder Kultur zu fördern. Erlauben Sie mir zum Abschluß, Sie ganz herzlich zu ermutigen. Ich weiß, wie erhebend Ihre Aufgabe als schöpferische Menschen ist, wie enttäuschend sie sich aber manchmal auch herausstellen kann. Es handelt sich um mühevolle Arbeiten, das weiß ich, und ich bin in der Lage, sie zu verstehen und zu schätzen. Mögen sie dazu beitragen, unseren Zeitgenossen jenes Mehr an Seele zu bringen, das sie so sehr nötig haben! Auf Sie, auf Ihre Familien, auf alle, die Sie hier vertreten, rufe ich aus ganzem Herzen den Segen Gottes herab. (O.R. 9.10. 82) 1359 Botschaften und Ansprachen „ Unser ganzer Dienst gilt der Hoffnung“ Ansprache an die skandinavischen Bischöfe beim „Ad-limina“-Besuch am 9. Oktober Liebe Brüder in unserem Herrn Jesus Christus! 1. Wie vor fünf Jahren seid ihr nun wieder nach Rom „ad limina Apostolorum“ gekommen, um als die Hirten der Kirche in Skandinavien an den hiesigen Gedenkstätten der Apostel zu beten und Petrus in seinem Nachfolger zu begegnen. Beim letzten Mal war das Paul VI.; heute begegnet ihr mir. Seit eurem letzten Besuch sind nun auch mit Dänemark, Norwegen und Schweden die diplomatischen Beziehungen voll aufgenommen, was mich mit dankbarer Freude erfüllt. Im Gegensatz zu jenem Besuch im Jahr 1977 ist der bischöfliche Stuhl von Stockholm wieder besetzt, und so heiße ich in eurer Mitte besonders Bischof Brandenburg willkommen. Es ist dies sein erster „ad-limina“-Besuch als Hirte der Kirche in Schweden. Liebe Brüder, in unserer Begegnung erneuert sich das Geheimnis apostolischer Sukzession und kirchlicher Kommunion. Das ist die Wirklichkeit, die wir heute miteinander begehen. Euer „Ad-limina“-Besuch hat eine tiefe Bedeutung. In ihm vollzieht sich kirchliche Kommunion, und zwar für die Gesamtkirche und für eure Ortskirchen - ein lebendiger Austausch der Liebe im großen Kraftfeld kirchlicher Einheit. 2. Von seiten des Bischofs von Rom ist die Begegnung „Ad limina“ ein Akt ehrender Wertschätzung für eure Ortskirchen, in denen Jesus Christus lebt; ein Akt der Verehrung gegenüber dem Wort Gottes, wie es im Herzen eurer Gläubigen Wurzel geschlagen und sich in euren Ländern ausgebreitet hat - durch eure großen Glaubensboten Ansgar, Knut, Heinrich, Olaf, Erich, Brigitte, Katharina und so viele andere. Euer Besuch gibt mir die Gelegenheit, all jener Hochachtung Ausdruck zu verleihen, welche der Hl. Stuhl den Anstrengungen gegenüber empfindet, die dank der Gnade des Heiligen Geistes im Laufe der christlichen Geschichte eurer Länder gemacht wurden, damit die Heilsbotschaft gepredigt und gelebt werde. Durch diesen Dienst des Nachfolgers Petri wird euer „Ad-limina“-Besuch somit zu einer Begegnung, in welcher die Weltkirche die Ortskirchen in Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden in katholischer Einheit hebend umarmt. 1360 Botschaften und Ansprachen 3. Von eurer Seite bedeutet der Besuch in Rom eine neue Hingabe an euren pastoralen Auftrag, „den unergründlichen Reichtum Christi zu verkündigen“ (Eph 3, 8); einen Auftakt erneuerten apostolischen Einsatzes aus der erneuten Erfahrung des Haltes, mit welchem euch euer Bruder-Bischof von Rom aus im Glauben Petri bestärkt. Und diese brüderliche Stütze der Bestärkung im Glauben ist zugleich eine neue Garantie der übernatürlichen Fruchtbarkeit all eurer Anstrengungen für das Reich Gottes. In euch, den Hirten der Herde und geistlichen Führern des Volkes Gottes, ist jede kirchliche Gemeinschaft eingeladen, als lebendiger Teil der ganzen Kirche ihren Glauben am Glauben Petri auszurichten und ihre Entschlossenheit zu einem christlichen Leben zu erneuern. 4. Das ist der lebendige Zusammenhang, in welchem der Bischof von Rom bei eurem „Ad-limina“-Besuch zu euch, seinen Brüdern im Bischofsamt, spricht. Er weiß dabei um die Lebensbedingungen der Kirche Gottes in Skandinavien. Eure Geschichte, eure Kultur, die Umstände, in welchen ihr lebt, drängen mich zu einem besonderen Wort brüderlicher Stütze. Die Weltkirche ist sich bewußt, daß ihr euer Apostolat unter schwierigen klimatischen Bedingungen und in relativ kleinen, weitverstreuten Gemeinden von Katholiken ausübt. Das tägliche Leben spielt sich weitgehend inmitten eines großen materiellen Fortschritts ab, der nicht nur Gutes bedeutet; ist er doch von der Versuchung zu falscher Säkularisierung und zur Verdrängung Gottes aus dem Leben des Menschen begleitet. Das alles ist eine Herausforderung für euren Dienst; und um euch in ihm gerade in dieser Hinsicht zu bestärken, möchte ich zu euch über die Hoffnung sprechen. 5. Die Hoffnung, von der ich spreche, ist gemeint als theologische Tugend, die Vertrauen erzeugt und, damit verbunden, Gelassenheit und Freude. In der Mitte unseres Lebens und Dienstes, liebe Mitbrüder, steht „Christus Jesus, unsere Hoffnung“ (2 Tim 1, 1). Auf ihn haben wir alle unsere Hoffnung gesetzt; er selbst ist wirklich unsere Hoffnung geworden, und das nicht zunächst wegen irgendwelcher Werke und Taten, die wir vollbracht hätten, sondern aufgrund einer Zusage. Die Zusage Christi an die Apostel steht über der ganzen Heilsgeschichte und durchwirkt alles apostolische Handel: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ {Mt 28, 20). Auf dieser Zusage Christi beruht unsere Hoffnung, auf seinem Wort und seinem erlösenden Handeln. Jesus Christus wollte uns durch seine Heilsbotschaft erlösen; denn sie ist „eine Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt“ {Röm 1, 16). Die Verkündigung dieser Frohen Botschaft erreicht ihren Höhepunkt im eucharistischen Opfer, das täglich 1361 Botschaften und Ansprachen in der Liturgie der Kirche gegenwärtig wird. Ja, trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse haben wir unsere Hoffnung auf Jesus Christus gesetzt. Unser ganzer Dienst gilt der Hoffnung: Wir sind dazu berufen, Hoffnung zu verkünden und an Beispielen aufzuzeigen; wir sollen beten, daß die Kirche in jener Hoffnung lebt, zu der sie geboren ist. Niemand hat dies besser verstanden als der Apostel Petrus. Hört seine Worte: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns in seinem großen Erbarmen neu geboren, damit wir durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten eine lebendige Hoffnung haben“ (7 Petr 1, 3). Unsere Hoffnung ist unerschütterlich, weil sie eine Ostergabe ist, die der auferstandene Herr selbst in unsere Herzen gesenkt hat. Dieses Geheimnis müssen wir leben und verkünden: Wir sind neu geboren zu einer lebendigen Hoffnung. 6. Mit dieser Hoffnung auf Christus im Herzen ringen wir zum Beispiel um die Wiederherstellung der vollen Einheit der Christen, wie er sie will. All unser ökumenisches Wirken ist von der Hoffnung motiviert und geht von der unbegrenzten Macht des Kreuzesopfers Christi aus, „um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (Joh 11, 52). Wir sind uns gewiß, daß die christliche Einheit zur gottgewollten Zeit wiederhergestellt werden kann, weil sie gerade Gegenstand des Betens Christi ist. Und dessen Wirksamkeit übersteigt unsere Einsicht und Vorstellung. Während ihr euch weiterhin an die Fülle katholischer Lehre haltet und ein echt katholisches Zeugnis gebt, verehrte Mitbrüder, solltet ihr alle wertvollen Bemühungen fortsetzen, zusammen mit euren protestantischen Mitchristen ein gemeinsames Zeugnis für Jesus Christus abzulegen. Es gibt ja in der Tat viele Bereiche und Inhalte des christlichen Lebens, die gemeinsam vertreten werden können und sollen, „damit die Welt glaubt“ (Joh 17, 21). Die Tugend der Hoffnung gibt uns auch die Überzeugung, daß die geistige Erneuerung, die Gottes Kraft unter euren Gläubigen angeregt hat, noch zunehmen kann und so vielleicht eine Macht wird, welche die Gesellschaft von innen her durchformt. 7. Christliche Hoffnung drückt sich auch aus in einer Haltung übernatürlichen Vertrauens. Gerade, weil wir auf den Herrn all unsere Hoffnung setzen, vertrauen wir auch darauf, daß er unser Bemühen unterstützt, eine Gemeinde des Glaubens und der Liebe unter den Menschen zu bilden. Weiterhin vertrauen wir darauf, daß das Reich Gottes wirklich durch das Handeln Christi wächst, der in den Gliedern seines mystischen Leibes lebt, durch sie wirkt und in ihnen betet. Christus forderte uns auf, die Frohe Botschaft zu verkünden und die Menschen „zu lehren, alles zu 1362 Botschaften und Ansprachen befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28, 20); er sicherte uns jedoch keinen Erfolg nach den Maßstäben dieser Welt zu. Und doch sind unsere Herzen voller Vertrauen, weil wir die Kraft seines Wortes kennen. Wir wissen, daß Christus uns den Auftrag gegeben hat, das Evangelium in seiner Fülle zu predigen, und daß er durch die Macht des Heiligen Geistes seinem Volk die Kraft geschenkt hat, seinem Wort eine hochherzige Antwort zu geben und Früchte der Gerechtigkeit und eines heiligmäßigen Lebens hervorzubringen. Dieses Vertrauen bestimmt uns, wenn wir der Welt zu zeigen versuchen, daß pastorale Feinfühligkeit nicht abgelöst sein darf von eindeutiger Treue zu Jesus Christus und zur Fülle seiner Botschaft: „. . . Lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“ Wenn wir uns darum bemühen, dem Herrn zu gehorchen, und seine Botschaft all denen verkünden, die sie bereitwillig anhören, dann wächst in unseren Herzen die Zuversicht, daß wir dadurch auch der Sache des Menschen dienen und der Gesellschaft im allgemeinen einen besonderen Beitrag leisten. Wenn auch unsere Predigt nur von der „kleinen Herde“ angenommen wird, bewirkt sie doch ein Bewußtsein von Gott in der ganzen menschlichen Gemeinschaft. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf Sünde und Erlösung. Auch das ist ein Grund dafür, zuversichtlich und froh zu sein, denn wir helfen dadurch der Kirche, ihre grundlegende Aufgabe zu erfüllen, „den Bück des Menschen, das Bewußtsein und die Erfahrung der ganzen Menschheit auf das Geheimnis Gottes zu lenken und auszurichten, allen Menschen zu helfen, mit dem tiefen Geheimnis der Erlösung, die sich in Christus ereignet hat, vertraut zu werden“ (Redemptor hominis, Nr. 10). 8. Die Zuversicht und frohe Gelassenheit, die euch durch eure übernatürliche Hoffnung auf Jesus Christus beseelt, ist in der Tat eine Kraft, die ihr auch euren Gläubigen vermitteln sollt. Ich bin besonders davon überzeugt, daß euer persönlicher Kontakt mit euren Seminaristen - von denen ich einigen bei einer kürzlichen Audienz auf dem Petersplatz begegnet bin - eine Ermutigung für sie sein wird, ihre ganze Hoffnung auf Christus zu setzen. Was ihre Vorbereitung auf das Priestertum betrifft, so bin ich sicher, daß ihr alles euch mögliche tun werdet, damit sie immer wirksamer gestaltet wird und so die Erwartungen des Zweiten Vatikanischen Konzüs bezüglich der Seminarerziehung voll erfüllt. 9. Die Bedeutung des Zeugnisses, das die Ordensleute - auch jene mit strenger Klausur - in Skandinavien geben sollen, kann nicht genug betont werden. Schon ihre bloße Anwesenheit unter den Menschen spricht von Gott und bekundet den Glauben an die Wiedergeburt zu einer lebendigen Hoffnung. Kürzlich erhielt ich von einer evangelischen Christin aus Island 1363 Botschaften und Ansprachen einen schönen Brief, in dem sie die Wertschätzung und Zuneigung bekräftigte, die so viele Menschen für das Ordensleben empfinden. Im großen Werk der Evangelisierung ist es eure Aufgabe als Bischöfe, zusammen mit euren Priestern die katholischen Laien in ihrem Apostolat zu bestärken. Ihr Zeugnis wird das authentische Zeugnis von Christen sein, die in ihrer weltlichen Tätigkeit nach der Botschaft Jesu leben und die Welt wie ein Sauerteig von innen her verwandeln. Wenn ihr Wirken durch die Gnade beseelt ist, so trägt es nicht nur zu ihrer eigenen Heiligung bei, sondern auch zur Errettung der Welt. Durch das treue Zeugnis von Laienchristen kann die Welt die Bedeutung der Hoffnung auf Jesus Christus erkennen. Indem ich vor euch die Hoffnung besonders hervorhebe, ist es mein Wunsch, daß ihr eurerseits mit Petrus in einer „Wiedergeburt zu einer lebendigen Hoffnung“ das Volk Gottes in Skandinavien bestärkt. Laßt uns zusammen in der vollen Kollegialität des Bischofsamtes alle unsere Priester, Ordensleute und Laien dazu ermutigen, fest zu bleiben in der Hoffnung des Evangeliums. Laßt uns mit den Worten des Psalmisten immer wieder den Gläubigen Zurufen: „Habt Mut. . ., ihr alle, die ihr auf Gott eure Hoffnung setzt“ (Ps31, 25). (O. R. 10.10. 82). „Sein Tod ist ein Zeichen des Sieges über Haß und Verachtung“ Predigt bei der feierlichen Messe zur Heiligsprechung von P. Maximilian Kolbe auf dem Petersplatz am Sonntag, 10. Oktober Von heute an möchte die Kirche einen Mann heilig nennen, dem es gegeben war, diese Worte des Erlösers in ganz und gar wörtlichem Sinne zu erfüllen. Als man nämlich im Jahre 1941 gegen Ende des Monats Juli auf Befehl des Lagerleiters die Gefangenen antreten ließ, die zum Hungertod bestimmt waren, hat dieser Mann, Maximilian Kolbe, sich spontan gemeldet und bereit erklärt, an Stelle von einem aus der Reihe in den Tod zu gehen. Diese Bereitschaft wurde angenommen und nach mehr als zwei Wochen voller Hungerqualen nahm man ihm schließlich am 14. August 1941 mit einer tödlichen Spritze das Leben. Dies alles geschah im Konzentrationslager von Auschwitz, wo im Zweiten 1364 Botschaften und Ansprachen Weltkrieg ungefähr vier Millionen Menschen umgebracht wurden, darunter auch die Dienerin Gottes Edith Stein, die Karmelitin Schwester Theresa Benedikta vom Kreuz, deren Seligsprechungsprozeß bei der zuständigen Kongregation im Gang ist. Der Ungehorsam gegen Gott, den Schöpfer des Lebens, dessen Wort lautet: „Du sollst nicht töten“, hat an jenem Ort einen ungeheuren Massenmord an so vielen Unschuldigen bewirkt. So bleibt unsere Epoche zugleich in schrecklicher Weise gezeichnet vom Massaker am unschuldigen Menschen. 2. Pater Maximilian Kolbe, selbst ein Gefangener im Konzentrationslager, hat am Ort des Todes das Lebensrecht eines unschuldigen Menschen verteidigt, eines Menschen unter vier Millionen. Dieser Mann, Franz Gajowniczek, lebt noch und ist heute unter uns. P. Kolbe hat dessen Lebensrecht verteidigt, indem er sich bereit erklärte, an seiner Stelle in den Tod zu gehen; denn jener war ein Familienvater, dessen Leben für seine Liebe unersetzlich war. P. Maximilian Kolbe hat so das ausschließliche Recht des Schöpfers auf das Leben des unschuldigen Menschen bekräftigt und dabei Zeugnis gegeben für Christus und die Liebe. Der Apostel Johannes schreibt ja hierzu: „Daran haben wir die Liebe erkannt, daß er sein Leben für uns hingegeben hat. So müssen auch wir für die Brüder das Leben hingeben“ (7 Joh 3, 16). Indem P. Maximilian Kolbe, den die Kirche schon seit dem Jahre 1971 als Seligen verehrt, sein Leben für einen Bruder dahingab, wurde er in besonderer Weise Christus ähnlich. 3. Wir möchten nun an diesem Sonntag, dem 10. Oktober, wo wir vor der Petersbasilika versammelt sind, den besonderen Wert herausstellen, den der Märtyrertod von P. Maximilian Kolbe in den Augen Gottes hat: „Kostbar ist in den Augen des Herrn das Sterben seiner Frommen“ (Ps 116, 15), so haben wir beim Antwortpslam wiederholt gesungen. Ja, wirklich kostbar und unschätzbar! Durch den Tod, den Christus am Kreuz erlitten hat, ist die Welt erlöst worden; denn dieser Tod hat den Wert der größten Liebe. Durch den Tod, den P. Maximilian Kolbe auf sich genommen hat, ist ein helles Zeichen dieser Liebe in unserem Jahrhundert auf geleuchtet, das in so hohem Maße und auf so vielfältige Weise von Sünde und Tod bedroht ist. In der feierlichen Liturgie der heutigen Heiligsprechung tritt dieser „Märtyrer der Liebe“ von Auschwitz - wie ihn Paul VI. genannt hat -gleichsam in unsere Mitte und spricht: „Ich bin dein Knecht, Herr, dein Knecht bin ich, der Sohn deiner Magd; du hast meine Fesseln gelöst“ (Ps 116, 16). Und indem er das Opfer seines ganzen Lebens zusammenfaßt, spricht er als Priester und geistiger 1365 Botschaften und Ansprachen Sohn des heiligen Franziskus: „Wie kann ich dem Herrn all das vergelten, was er mir Gutes getan hat? Ich will den Kelch des Heils erheben und anrufen den Namen des Herrn“ (Ps 116, 12 f.). Das sind Worte der Dankbarkeit. Der Tod, der aus Liebe angenommen wird, um einen Bruder zu vertreten, ist ein heroischer Akt des Menschen, durch den wir, zusammen mit dem seligen Kolbe, Gott preisen. Von ihm her kommt ja die Gnade eines solchen Heroismus und Martyriums. 4. Preisen wir also heute das große Werk Gottes am Menschen. Vor uns allen, die wir hier versammelt sind, erhebt P. Maximilian Kolbe seinen „Kelch des Heiles“, in dem das Opfer seines Lebens enthalten ist, besiegelt vom Märtyrertod „für einen Bruder“. Für dieses endgültige Lebensopfer hat sich P. Maximilian Kolbe dadurch vorbereitet, daß er Christus seit den ersten Jahren seines Lebens in Polen nachgefolgt ist. Aus jenen Jahren stammt der geheimnisvolle Traum von den zwei Kronen, einer weißen und einer roten, von denen unser Heiliger nicht etwa eine auswählt, sondern beide annimmt. Von seinen Jugendj ähren an durchdrang ihn tatsächlich eine starke Liebe zu Christus und die Sehnsucht nach dem Martyrium. Diese Liebe und Sehnsucht führten ihn auf den Weg der franziskanischen und priesterlichen Berufung, auf die er sich in Polen und hier in Rom vorbereitete. Die gleiche Liebe und Sehnsucht begleiteten ihn auf allen Stationen seines Dienstes als Priester und Franziskaner in Polen wie auch als Missionar in Japan. 5. Bewegende Mitte seines ganzen Lebens war die Unbefleckt Empfangene; ihr vertraute er seine Christusliebe und seine Sehnsucht nach dem Martyrium an. In ihrem Geheimnis enthüllte sich vor den Augen seiner Seele jene wunderbare übernatürliche Welt der dem Menschen angebotenen göttlichen Gnade. Sein Mitwirken mit dieser Gnade verstand P. Kolbe als einen Ritterdienst unter dem Zeichen der Unbefleckten Empfängnis, wie aus seinem Glauben und seinem ganzen Lebenswerk deutlich wird. Diese marianische Prägung tritt in P. Kolbes Leben und seiner Heiligkeit besonders hervor. Sie gilt aber auch für sein ganzes Apostolat in der Heimat wie in der Mission. Zentrum dieses Apostolats waren in Polen wie in Japan die Städte der Immakulata (polnisch: Niepokalanow; japanisch: Mugenzai no Sono). 6. Was geschah an jenem 14. August im Hungerbunker des Konzentrationslagers von Auschwitz (Oswiecim)? Die Antwort wird uns von der heutigen Liturgie gegeben; sie heißt: „Gott hat“ Maximilian Maria „geprüft und fand ihn seiner würdig“ (vgl. Weish 3, 5). „Wie Gold im 1366 Botschaften und Ansprachen Schmelzofen hat er ihn erprobt und ihn angenommen als ein vollgültiges Opfer“ (vgl. Weish 3, 6). Wenn er auch „in den Augen bestraft wurde, so ist doch seine Hoffnung voll Unsterblichkeit“. Denn „die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand, und keine Qual kann sie berühren“. Und wenn sie, menschlich gesprochen, von Qual und Tod getroffen werden, wenn sie „in den Augen der Toren gestorben sind“, wenn „ihr Scheiden von uns als Vernichtung gilt“, „sind sie doch in Frieden“: erfahren sie das Leben und die Herrlichkeit „in Gottes Hand“ (vgl. Weish 3, 1-4). Solches Leben kommt aus einem Tod in der Nachfolge Christi; solche Herrlichkeit ist Teilnahme an seiner Auferstehung. Was geschah am 14. August 1941 im Hungerbunker? Es erfüllten sich die Worte Christi an die Apostel, sie sollten „sich aufmachen und Frucht bringen, und ihre Frucht soll bleiben“ (vgl. Joh 15, 16). In wunderbarer Weise bleibt die Frucht von Maximilians Heldentod in der Kirche und in der Welt. 7. Die Menschen bückten auf dieses Geschehen im Lager von Auschwitz. Und wenn es in ihren Augen auch scheinen mußte, daß hier ein Leidensgenosse von ihnen „stirbt“, und wenn sie auch „sein Scheiden“ rein menschüch als „Vernichtung“ betrachten konnten, so spürten sie doch: hier ist mehr als bloßes „Sterben“. P. Maximilian ist nicht gestorben, er hat „sein Leben gegeben ... für den Bruder“. Es war in diesem Sterben, so schrecküch es - menschüch gesehen - war, die ganze unaufhebbare Größe menschücher Tat und Entscheidung: Von sich aus hat er sich in den Tod gegeben - aus Liebe. Und in diesem menschlichen Sterben leuchtet das Zeugnis für Christus auf: ein in Christus gegebenes Zeugnis für die Würde des Menschen, für die Unantastbarkeit seines Lebens und die heilstiftende Kraft seines Sterbens, in welchem sich die Macht der Liebe offenbart. Gerade hierin wurde der Tod Pater Kolbes ein Zeichen des Sieges. Das war der Sieg über jenes ganze System der Verachtung und des Hasses gegenüber dem Menschen und dem, was in ihm göttüch ist, dem Sieg ähnüch, den unser Herr Jesus Christus auf Golgota errungen hat. 8. Dieses Zeichen des Sieges aus der Kraft der Erlösungstat Christi nimmt die Kirche verehrungsvoü und dankbar entgegen. In Demut und Liebe sucht sie seine Botschaft zu vernehmen. Wie immer, wenn sie einen Sohn oder eine Tochter heiügspricht, ist sie auch in diesem Faü verantwortungsbewußt bemüht, mit aüer gebotenen Genauigkeit das Leben und Sterben des Dieners Gottes nach aüen Seiten hin zu erheüen. 1367 Botschaften und Ansprachen Doch muß sie sich davor hüten, in der Deutung des Zeichens, das Gott durch die Heiligkeit seines Dieners auf Erden gab, sich die volle Botschaft und letzte Bedeutung dieses Zeichens entgehen zu lassen. Und so mußten beim Heiligsprechungsprozeß des seligen Maximilian Kolbe - schon bald nach der Seligsprechung - vielfache Stimmen aus dem Volke Gottes und besonders von unseren Brüdern im Bischofsamt, sowohl aus Polen wie auch aus Deutschland, Berücksichtigung finden, die darum baten, Maximilian Kolbe als Märtyrer heiligzusprechen. Hört man auf die Botschaft des Lebens und Sterbens des seligen Maximilian, so kann man nicht verkennen, was wohl der Hauptinhalt und Wesenskem des Zeichens ist, das Gott der Kirche und der Welt durch diesen Tod gab. Ist dieser aus Liebe zum Menschen frei übernommene Tod nicht eine ganz besondere Erfüllung der Worte Christi? Verleiht er nicht unserem Heiligen eine besondere Ähnlichkeit mit Christus, dem Urbild aller Märtyrer, der am Kreuz sein Leben hingibt für die Brüder? Ist nicht gerade solch ein Tod eine besonders eindringliche Botschaft für unsere Zeit, ein besonders glaubwürdiges Zeugnis der Kirche für die heutige Welt? 9. So habe ich kraft meiner apostolischen Vollmacht beschlossen, daß Maximilian Kolbe, der von seiner Seligsprechung an als Bekenner verehrt wurde, nunmehr auch als Märtyrer verehrt werde! „Kostbar ist in den Augen des Herrn das Sterben seiner Freunde!“ Amen. (Anschließend wandte sich der Papst in polnischer Sprache an seine Landsleute und sagte dann auf deutsch:) Liebe Brüder und Schwestern deutscher Sprache! Durch die heutige Heiligsprechung stellt die Kirche das heroische Lebensopfer von P. Maximilian Kolbe als höchstes Zeugnis christlicher Bruderhebe vor Augen. Es geschah im Konzentrationslager von Auschwitz, wo zusammen mit ihm unter unzähligen gemarterten Menschen auch die Dienerin Gottes Edith Stein den Tod gefunden hat. Auch für sie hat der Seligsprechungsprozeß schon begonnen. Durch seine heroische Liebestat hat Pater Maximilian Kolbe das Lebensrecht eines Unschuldigen verteidigt und das ausschließliche Recht des Schöpfers auf das Leben des Menschen bekräftigt. Er ist dadurch in einer besonderen Weise Christus ähnlich geworden, der sein Leben am Kreuz für uns hingegeben hat. Folgen auch wir wie der hl. Maximilian Kolbe diesem Beispiel Christi in opferbereitem, hebendem Einsatz für unsere Mitmenschen. 1368 Botschaften und Ansprachen Gebet beim Wortgottesdienst in den Vatikanischen Grotten am 20. Jahrestag der Konzilseröffnung, 11. Oktober 1. „Heiliger Geist Gottes, wir kommen heute, um Dank zu sagen. An diesem Tag, dem 11. Oktober, vor zwanzig Jahren begann in der Petersbasilika das Zweite Vatikanische Konzil. Heute, nach zwanzig Jahren, wollen wir dafür danken, daß dieses Konzil begonnen hat und daß es im Lauf der Jahre 1962-1965 seine Arbeiten zu Ende führen konnte, bis es am 8. Dezember 1965 feierhch beendet wurde. 2. Wir danken dir, Heiüger Geist Gottes, daß du deinem Diener Papst Johannes XXIII. den Gedanken zur Einberufung des Konzils eingegeben hast; daß du ihm geholfen hast, dieses Konzil vorzubereiten und es am 11. Oktober 1962 zu eröffnen, dem Tag, der nach dem damals gültigen liturgischen Kalender der Mutterschaft der seligen Jungfrau Maria geweiht war. Wir danken dir sodann, daß du Paul VI. eingegeben hast, die Arbeiten des Konzils nach dem Tod seines Vorgängers zu übernehmen und sie zu Ende zu führen. 3. Wir danken dir, Geist, Licht der Herzen, daß du durch dieses Konzil der Kirche besonders nah gewesen bist und zu ihr durch den Dienst des Wortes und der Gedanken, durch den Dienst des Willens und des Zeugnisses aller versammelten Bischöfe gesprochen hast. Wir danken dir für diese große Erfahrung des Bekenntnisses und der Lehre des Glaubens. Wir danken für diese besondere Kundgebung der pastoralen Sorge für die ganze Kirche, für die Kirche und für die Welt von heute. Wir danken für alle damit verbundenen Mühen und für alle aus diesem Dienst erwachsenen Freuden. Wir danken dir, Geist der Liebe und der Wahrheit, daß du uns in so einzigartiger Weise ermöglicht hast, eine brüderliche Gemeinschaft zu bilden, daß du uns aus dem gemeinsamen Schatz hast „Altes und Neues“ (Mt 13, 52) hervorholen lassen im Dienst der Uberheferung der Kirche und ihrer Erneuerung. 4. Wir gedenken aller derer, die Tag für Tag dieses Konzilswerk verrichtet haben, vor allem der Brüder im Bischofsamt und Konzilsväter, und auch aller Mitarbeiter in unserem Dienstamt, Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und Laientheologen, der Experten auf verschiedenen Gebieten, bis hin zu denen, die die gewöhnlichsten Dienste ausführten. Wir freuen uns heute mit denen, die noch an diesem 20jährigen Jubiläum teilnehmen können. Wir empfehlen diejenigen, die uns schon verlassen haben, der Güte des Vaters. Das Verdienst der einen und der anderen 1369 Botschaften und Ansprachen besteht darin, daß sie der Stimme des Geistes, der vor der Kirche die Quellen des Evangeliums öffnete und zugleich durch „die Zeichen der Zeit“ sprach, Gehör geschenkt haben. Das ist das Verdienst aller und die Freude aller. 5. Wir danken dir für das Konzil, so wie es aus der großen Werkstatt jener Jahre hervorgegangen ist und so wie es mit dem Inhalt aller seiner Aussagen - Konstitutionen, Dekrete und Erklärungen - zu leben begonnen hat. Wir danken dir für den reichen Inhalt, der die Kirche in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts erleuchtet hat, und wir danken für die Richtung, die uns in so vielen wichtigen Fragen gewiesen wurde. Wir danken für die ekklesiologische und ökumenische Wahrheit, wir danken für die Öffnung gegenüber allen, für die Liebe zur „Welt“ im Geist des Evangeliums. Wir danken für die neue Glaubensreife und die Bereitschaft zum Dialog. 6. Während wir heute, nach zwanzig Jahren, dir, Geist unseres Herrn, der gesandt wurde, um uns ständig „alle Dinge“ zu lehren, danken, kommen wir zugleich, um zu bitten! Wir bitten dich, daß die Arbeit des Konzils, die in diesen zwanzig Jahren begonnen und abgeschlossen wurde, unablässig verwirklicht werde; daß sie ständig, von Jahr zu Jahr, von Tag zu Tag, Wirklichkeit werde; daß seine Lehre von allen in ihrer ganz besonderen Identität und Tiefe wieder gelesen werde. Und daß es entsprechend dieser Identität und Tiefe weiter verwirklicht werde - und der Kirche bei der Erfüllung ihrer Sendung helfe. Daß dadurch die Welt erkenne, daß du sie beauftragt hast, damit die Welt glaube und sich bekehre. Daß durch die Kirche, die sich durch das Licht und die Kraft des Geistes Christi ständig erneuert, der Dienst des Heils an der Welt erfüllt werde bis zu dem Zeitpunkt, den der Vater in seiner Liebe bestimmt hat. Und daß Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, in dem der Anfang und das Ende der ganzen Schöpfung ruht, angebetet werden in Ewigkeit. Amen. (O. R. 13.10. 82) 1370 Botschaften und Ansprachen „In der Feuerprobe“ einander nähergekommen Ansprache beim „Ad-limina“-Besuch der polnischen Bischöfe am 11. Oktober Herr Kardinalerzbischof-Metropoht von Krakau, geliebte Brüder, Metropoliten, Erzbischöfe und Bischöfe Polens! 1. „Gnade wird mit uns sein, Erbarmen und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in Wahrheit und Liebe“ (2 Joh 1, 3; vgl. 1 Tim 1, 2 und 2 Tim 1, 2). Mit diesem aus den Briefen der Apostel Johannes und Paulus entnommenen Grußwort heiße ich euch an der Schwelle des Apostolischen Hauses willkommen, dem gemeinsamen Haus der gesamten, von der Kirche Christi gebildeten Gottesfamilie. Ich möchte vor allem meiner Freude und auch meiner tiefen Ergriffenheit über diesen Besuch „Ad-limina-Apostolorum“, an den Gräbern der Apostelfürsten, Ausdruck geben. Wenn ich auf diese so zahlreiche Gruppe polnischer Bischöfe blicke, kann ich nicht umhin, mich an die Zeit vor fünf Jahren zu erinnern: an den letzten „Ad-limina“-Besuch bei Paul VI. im November 1977, an dem ich als einer der polnischen Bischöfe teilgenommen habe. Damals führte uns der verstorbene Kardinal Stefan Wyszynski, Primas von Polen, an. Sein Nachfolger ist heute nicht unter euch. Die Ereignisse der letzten Tage hatten zur Folge, daß er nicht zur Kanonisierung des hl. Maximilian kommen konnte. Sein Verantwortungsbewußtsein hat den Primas veranlaßt, in diesen Tagen in seinem Land und bei seinem Volk zu bleiben. Drei Jahre sind es bereits her seit jener denkwürdigen Begegnung mit dem ganzen zur Vollversammlung zusammengekommenen Episkopat am 5. Juni 1979 in Jasna Göra während meines Besuches in Polen. Ich habe sie in lebendiger Erinnerung. Laßt mich bei dem heutigen Anlaß der Mitglieder des Episkopats gedenken, die der himmlische Vater seit jener Begegnung aus unserer Mitte abberufen hat. In Gott und in dankbarer Erinnerung der Kirche leben der große Primas der Jahrtausendfeiern, Kardinal Stefan; Bischof Bernhard von Chetmno; Bischof Peter von Sandomierz; Bischof Johannes von Kielce; Bischof Nikolay von Lomza sowie die Weihbischöfe Edmund und Aleksander. Gleichzeitig wurden in die apostolische Gemeinschaft sechzehn neue Bischöfe auf genommen; sie empfange ich ganz herzlich in diesem Haus des Papstes. Es ist mein herzlicher Wunsch, daß unsere heutige Begegnung Zeugnis sei für die tiefe brüderliche Verbundenheit und gemeinsame pastorale Sorge für das Volk Gottes in unserer Heimat. Sie soll Ausdruck dieser Teilhabe 1371 Botschaften und Ansprachen an dem heiligen Hirtenamt sein, dessen wichtigste Aufgabe in der Sorge für die einzelnen und für alle Kirchen besteht. 2. Der Priester wird „aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott“ (vgl. Hebr 5, 1). Der Bischof ebenso. Seine Verantwortung betrifft also nicht bloß das Schicksal der Kirche, sondern auch das der Nationen, mit denen die Kirche in den wechselvollen Ereignissen des Lebens immer verbunden war. Ebenso hat die polnische Gesellschaft in der Kirche immer die Vertraute ihrer Hoffnungen gesehen. Denn die Kirche verteidigte in der Tat die legitimen nationalen und bürgerlichen Rechte. Aus Liebe zur Mutter Heimat übernahm die Kirche die Verteidigung der Freiheiten und der Würde Polens, die Verteidigung seiner Souveränität und Unabhängigkeit, der Gesetzlichkeit und Ordnung. Die Kirche brachte dem Opfer des im Dienst der Heimat und der Nation hingegebenen Lebens hohe Achtung entgegen. Die Kirche behauptete sich gegenüber der Gewalt, sie schützte bewußt die nationalen Traditionen und bewahrte sorgfältig das Erbe der christlichen Kultur. Sie trat gegen die seelische und geistige Unterdrückung auf, sie wehrte sich gegen die Vergewaltigung des Gewissens, sie gewährleistete das Gefühl der Freiheit des Geistes, jener inneren Freiheit, die zu allen Zeiten für den Menschen und für den Christen das wichtigste ist. Ich wünsche euch, liebe Brüder, und der euch anvertrauten Herde, daß ihr niemals der Freiheit des Geistes verlustig geht, die Christus allen Kindern Gottes geschenkt hat. Das gilt auch für den gegenwärtigen Zeitpunkt. Die letzten Jahre haben eine Bewegung der sozialen und moralischen Wiedergeburt entstehen lassen, die sich auf das legitime Bestreben gründete, die Würde des Menschen und der menschlichen Arbeit zu stärken, eine Bewegung, mit der Millionen von Polen die Hoffnung auf eine bessere und unbeschwertere Zukunft Polens verbunden haben und noch immer verbinden. Es ist von grundlegender Bedeutung, daß wesentliche Inhalte und Werte dieser Erneuerung nicht von der polnischen Wirklichkeit zunichte gemacht werden. „Mit Ihnen und mit vielen anderen erlebe ich selbst die jetzige Situation in Polen als ein zutiefst trauriges Ereignis“, sagte ich zu einer internationalen Gruppe von Gewerkschaftsführern bei einer Sonderaudienz am 9. Februar d. J. „Mit Ihnen teile ich die Überzeugung, daß die Wiederherstellung der tatsächlichen und vollständigen Respektierung der arbeitenden Menschen, insbesondere ihres Rechtes auf eine bereits geschaffene und gesetzlich anerkannte Gewerkschaft, den einzigen Weg zur Lösung dieser schwierigen Situation darstellt. . .Ja, die Arbeit muß der Schlüssel 1372 Botschaften und Ansprachen des Lebens in der Gesellschaft sein, die freiwillig übernommene und nicht gewaltsam aufgezwungene Arbeit, die Arbeit mit ihrer Mühe, aber auch mit ihrer Fähigkeit, den Menschen frei und zum wahren Baumeister der Gesellschaft zu machen“ (O. R. dt. vom 19. 2. 82, S. 10). 3. Ein Anlaß zu großer Freude ist die Tatsache, daß unsere Brüder und Schwestern in Polen sich heute, in der Feuerprobe persönlicher Erfahrungen und in der Zerreißprobe materieller Schwierigkeiten, einander näher fühlen, bereit, einander zu helfen, und daß sie empfänglicher sind für die Not der anderen. Diese ständige Bekundung des menschlichen Wohlwollens und der Solidarität hat ihre gesellschaftliche und moralische Bedeutung. Denn dadurch wird ein neues geistiges Band hergestellt und enger geknüpft, das die Söhne und Töchter dieser Nation miteinander verbindet. Wir müssen voll Zuversicht und Hoffnung in die Zukunft blicken, während die Gesellschaft unter Beweis stellt, daß sie immer entschlossener ist, die Unterdrückten, Leidenden und Gedemütigten zu verteidigen. Hier fallen uns die Worte Christi ein: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25, 40). Im Namen dieser Brüder Christi, im Namen aller Polen, die interniert und eingekerkert sind, und ihrer verängstigten Familien, im Namen der zahllosen unter vielfachen Schwierigkeiten leidenden Familien spreche ich euch ein herzliches „Bog zaplac“ (Vergelt’s Gott) aus für die moralische und materielle Hirtensorge, die ihr den Nöten und Bedürfnissen eurer Gemeinden entgegenbringt. Ich danke auch für die gegenseitige Wohltätigkeit und die humanitäre Hilfe aus anderen Ländern und anderen Nationen. Worte besonderen Dankes und besonderer Anerkennung richte ich von hier aus an den Präsidenten und an die Mitglieder des Caritasausschusses des Episkopats sowie an alle Hilfskomitees für die ihrer Freiheit beraubten Personen und ihre Familien, für den vielfältigen karitativen Einsatz, der auf zentraler, diözesaner und Pfarrebene geleistet wurde. Im Namen Christi bitte ich euch und das ganze Volk Gottes: Werdet nicht müde, allen diesen meinen Brüdern und Schwestern, die als Folge des Kriegsrechtes getrennt von ihren Familien oder Verwandten, losgerissen von ihrer beruflichen Arbeit und ihren Pflichten leben müssen, zu Hilfe zu eilen! Sie gehören alle zu der großen nationalen Gemeinschaft, und die Kirche hat die Pflicht, sich ihrer aller in der Not, in der sie sich befinden, anzunehmen. Ein konkretes Vorbild haben wir in der Person unseres gestern heiliggesprochenen Landsmannes Maximilian Maria Kolbe. 4. Mit einem demütigen, tiefen Gefühl der Verehrung danke ich mit euch dem Einen und Dreifältigen Gott dafür, daß die seit langem vorbereitete 1373 Botschaften und Ansprachen 600-Jahr-Feier des Gnadenbildes der seligen Jungfrau Maria von Jasna Göra in Tschenstochau zum nationalen Dankfest für die vierhundertjährige Hilfe und den Schutz unserer Mutter und Königin geworden ist. Eine allgemeine Dankesbezeugung der Nation für die Geheimnisse der göttlichen Gnade, die die Nation im Heiligtum von Jasna Göra oder im Verlauf der königlichen Pilgerreise der Kopie des Gnadenbildes durch unser Land unablässig erfährt. Dieses Gnadenbild vereinigt in sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, als gäbe es nur eine einzige, überzeitliche Dimension, die zugleich über unsere kindliche und patriotische Verehrung, die wir dem Bild entgegenbringen, hinausgeht. Es ist vor allem ein Geheimnis der Gegenwart. Ein Geheimnis der Gegenwart der Mutter des menschgewordenen Gottes im Leben der ganzen Menschheitsfamilie und unmittelbar im Leben unserer Nation. Wir spüren diese mütterliche Gegenwart, wenn wir uns voll Verehrung und Liebe um das Gnadenbild von Jasna Göra versammeln. Vor ihm finden wir seit Generationen unsere nationale Identität und unsere christliche Lebenskraft wieder. Vor ihm finden die Kirche und die Nation ihre geistige Einheit und Solidarität wieder. Ich danke dem Herrn, unserem Gott, für die großen Geheimnisse des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, die unsere Heimat während des Jubiläumsjahres von Jasna Göra erfahren durfte. Ich danke für die frommen Mühen, die Tausende und aber Tausende Pilger auf sich nehmen, wobei sie manchmal Entfernungen von einigen hundert Kilometern in wenigen Tagen überwinden, nicht selten barfuß, bei Hitze und Staub, Kinder am Arm oder sogar große Kreuze auf den Schultern. Ich danke dem Herrn für alle Marienheiligtümer und Kirchen, die mit Gläubigen gefüllt sind, für die große nationale Einkehr beim „Besuch“ der Kopie des Gnadenbildes in den Diözesen, für die öffentliche Bekundung der religiösen Gefühle und für alle äußeren Zeichen der Verehrung für die Gottesgebärerin, für die Umkehr und die Versöhnung mit Gott von seiten derer, die ihm fernstanden. Ein besonderes Gefühl der Dankbarkeit für den Leitspruch der Pilger: „Mit den Anstrengungen zum Jubiläumsjahr helfen wir dem Heiligen Vater und der Heimat.“ Ich brauche diese Hilfe sehr. 5. Und nun einige praktische Gedanken. Das Zweite Vatikanische Konzil konnte nicht umhin hervorzuheben, daß im Leben der Teilkirche die territoriale Größe und die Zahl der Gläubigen eine wichtige Rolle spielen. Es ist klar, daß jede Diözese hinsichtlich ihrer Ausdehnung ein geschlossenes Gebiet sein soll. Die Zahl ihrer Bewohner soll im allgemeinen so sein, daß der Bischof alle mit dem 1374 Botschaften und Ansprachen dreifachen pastoralen Dienstamt eng verknüpften Tätigkeiten erfüllen und alle seine Priester, Ordensleute und Laien, die an der Verwaltung der Diözese mitarbeiten, kennen kann. Ich beziehe mich damit auf ein Problem, dem wir bereits bei den früheren Begegnungen gegenüberstanden. Denn das Echo der diesjährigen Diöze-sanfeiern im Slupsk, Köslin, Kolberg, Stettin, Landsberg und Oppeln im Zusammenhang mit den wichtigen, von Paul VI. getroffenen Entscheidungen, ist noch nicht verklungen. Vor zehn Jahren wurden kraft der Bulle Episcoporum Poloniae coetus vom 28. Juni 1972 in den Gebieten im Norden und Westen des Landes die neuen Diözesen Oppeln, Landsberg, Stettin, Kamien und Köslin-Kolberg errichtet. Gleichzeitig damit wurden durch die Einbeziehung oder Trennung der neuen Diözesen die Kirchenprovinzen Breslau, Gnesen und auch Warschau (ihr wurde die Diözese Ermland eingegliedert) neu organisiert. Dieser 10. Jahrestag der Errichtung, in einigen Fällen der Wiedererrichtung der Diözesen in den alten Piasten-Ländem erneuert sozusagen und vergrößert unsere gemeinsame Sorge für das Wohl des Gottesvolkes in ganz Polen, wo die Einwohnerzahl in den letzten Jahren um einige Millionen gewachsen ist. Die fortgeschrittenen sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen, die Entwicklung der Städte und Vorstädte, die Entstehung der neuen Industrie-, Kultur- und Wissenschaftszentren - das alles löst immer neue pastorale Probleme aus, denen die Kirche zu begegnen versucht. Denn als Folge davon hat sich die Notwendigkeit der Errichtung von Pfarreien und Katechesenzentren sowie des Baues von Kirchen ergeben. Ich weiß, daß diese Probleme ständiger Gegenstand eurer Sorge sind. 6. Die organisatorischen Strukturen der Ortskirche sind wichtig, aber noch wichtiger ist der lebendige, vom Blut Christi erlöste Mensch, der Glied des Gottesvolkes ist: sowohl als Laie wie als Angehöriger des geweihten Standes. a) Laßt mich euch gegenüber die Gefühle der Freude und Dankbarkeit kundtun für eure Hirtensorge zugunsten der Priester- und Ordensberufe. Die Kirche in Polen erntet seit vielen Jahren die Früchte der vielfältigen Untersuchungen und Bemühungen, die unternommen wurden, um geistliche Berufe zu wecken, zu formen und reifen zu lassen. Das Gottesvolk in anderen Kontinenten genießt seit vielen Jahren den Dienst unserer Missionare und Missionarinnen, die sowohl aus den Ordenskongregationen wie aus den diözesanen Pfarrgemeinden kommen. Loben wir Gott und danken ihm, daß in diesem für unser Land so schwierigen Jahr nahezu alle 1375 Botschaften und Ansprachen Seminare wieder ihre normale Lehrtätigkeit aufgenommen und Gruppen von Kandidaten, deren Zahl sich beträchtlich erhöht hat, zum ersten Mal die Absicht kundgetan haben, Christus im Ordensstand dienen zu wollen. Mit Recht bezeichnet das Konzil das Priesterseminar als „das Herz der Diözese“ {Optatam totius, Nr. 5) und ersucht die Bischöfe, es zum Gegenstand ihrer besonderen Sorge zu machen {ebd. Nr. 4 und 5). Eine solide geistliche, intellektuelle und pastorale Ausbildung der künftigen Diener des Altars muß in enger Verbindung mit dem Geheimnis der Kirche als mystischer Leib Christi erfolgen. Ihr werdet euch daran erinnern, daß ich, als ich noch zu euch gehörte, immer versucht habe, alles nur mögliche zu tun, um der Kirche ihr Recht auf eine Klerusausbildung auf akademischer Ebene sicherzustellen. Heute bitte ich euch herzlich, euren Priestern und euren Alumnen in allen Seminaren meinen Gruß und Segen zu übermitteln. Liebe Brüder! Gott hat euch mit Priesterberufen reich gesegnet. Nehmt dieses Geschenk dankbar an und denkt daran, daß es nicht nur der Kirche in Polen, sondern auch in der ganzen Welt dienen soll. Der Bedarf der Kirche (an Priestern) ist in der Tat übergroß. Wir müssen immer die Worte unseres Herrn wiederholen: „Die Ernte ist groß. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden!“ {Mt 9, 37.38). b) Ich bitte euch, Brüder, auch darum, vor allem auf das besondere Band zu achten, das euch kraft des Bischofsamtes mit euren unmittelbaren Helfern und Mitarbeitern im Pastoraldienst verbindet. Kümmert euch mit ganzem Herzen um diejenigen, die der Sache Gottes voll Enthusiasmus und Hingabe dienen. Umgebt jene, die sich infolge verschiedener Umstände in moralischen oder gesundheitlichen Schwierigkeiten befinden, mit wahrhaft väterlicher Liebe. Im Namen Christi, der „gekommen ist, um zu suchen und zu retten, was verloren ist“ {Lk 19, 10), reicht auch denen die Hand, die außerhalb der Gemeinde stehen, damit sie zu euch zurückkehren können. c) Meine Gedanken gehen sodann zu allen männlichen und weiblichen Ordensfamilien in Polen. Auch hier freue ich mich über die neuen Berufungen. Jede durch die Ordensgelübde gottgeweihte Person ist ein besonderes Zeugnis für das Reich der Ewigkeit. Gleichzeitig jedoch ist es - wie das Beispiel des hl. Maximilian Kolbe mit solcher Beredtheit beweist - ein Zeugnis für den Menschen, den vielfältigen Dienst am Menschen. Ich wünsche euch herzlich, daß dieses Zeugnis im Licht der letzten Heiligsprechung unter den Brüdern und Schwester der Orden und Kongregationen in Polen noch an Bedeutung gewinnen möge. 1376 Botschaften und Ansprachen d) Noch einige Worte zur Berufung der Laien. „Die Kirche . . . hat noch nicht ihr volles Leben, ist noch nicht ganz das Zeichen Christi unter den Menschen, solange nicht mit der Hierarchie auch ein wahrer Laienstand da ist und arbeitet; denn das Evangelium kann nicht in Geist, Leben und Arbeit eines Volkes tief Wurzeln schlagen ohne die tätige Anwesenheit der Laien . . ., der Männer und der Frauen, deren Hauptaufgabe das Christuszeugnis ist, das sie durch Leben und Wort in ihrer Familie, in ihrer Gesellschaftsschicht und im Bereich ihrer Berufsarbeit geben müssen. Denn es muß in ihnen der neue Mensch erscheinen, der nach Gottes Bild in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit geschaffen ist (vgl. Eph 4, 24). Diese Neuheit des Lebens aber müssen sie im Bereich der heimatlichen Gesellschaft und Kultur ausdrücken, den Traditionen des eigenen Volkes entsprechend. Sie selbst müssen diese Kultur kennen, sie heilen und bewahren, sie müssen sie im Zug der modernen Entwicklung entfalten und endlich in Christus vollenden“ {Ad gentes, Nr. 21). • Ich führe diesen Abschnitt aus einem Konzilsdokument an, weü er das Ziel der Pläne und Initiativen zum Ausdruck bringt, die der Gründung des Kulturrates zugrunde hegen, wobei ich an die Koordinierung der Bemühungen denke, die die weitere Entfaltung der christlichen Kultur in Polen anstreben. Zugleich möchte ich, wenn auch nur kurz, auf zwei große Bereiche des Lebens der Laien Bezug nehmen: auf die Familie und auf die Arbeit und die beiden diesbezüglichen päpstlichen Dokumente: Familiaris consorüo und Laborem exercens. Mögen sie durch euch auch der Kirche in Polen nützlich sein! 7. Liebe Brüder, zum Abschluß dieser heutigen Begegnung „Ad-limina-Apostolorum“ flehe ich zusammen mit euch Christus, den Hohenpriester, an, damit sich in meinem und in eurem Dienst immer die Kirche darstellt, die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Aus ganzem Herzen wünsche ich allen meinen Brüdern im Bischofsamt -sowohl denen, die sich hier eingefunden haben, wie denen, die aufgrund der Erfordernisse ihrer Hirtenpflicht in der Heimat gebheben sind -, daß die Kraft des Heiligen Geistes ihre Gedanken und ihre Werke ständig begleiten möge. In der Liebe dieses Geistes erteile ich euch den Apostolischen Segen und bitte euch, zugleich alle unsere Landsleute in und außerhalb der Heimat zu segnen. An alle richte ich die Worte des Apostels Petrus: „Grüßt einander mit dem Kuß der Liebe! Friede sei mit euch allen, die ihr in Christus seid!“ (7 Petr 5,14). (O. R. 11./12.10. 82) 1377 Botschaften und Ansprachen „Beseelen, koordinieren, bereichern!“ Ansprache an die Teilnehmer der 6. Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Laien am 12. Oktober Herr Kardinal, liebe Brüder im Bischofsamt, liebe Freunde! 1. Es ist mir eine Freude, Sie hier anläßlich der Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Laien wiederzusehen. Trotz meiner vielen Verpflichtungen in diesen Tagen war mir an dieser Begegnung sehr gelegen. Außer den für das ganze Volk Gottes so ermutigenden Zeremonien der Selig- und Heiligsprechung sind die zahlreichen Besuche von Bischöfen eine vorzügliche Gelegenheit, die Bindungen innerhalb des Bischofskollegiums zu festigen und gemeinsam zu überlegen, wie wir die Mission der Kirche unter den verschiedenen kulturellen Gegebenheiten erfüllen können. Ihr, Mitglieder, Konsultoren, Leiter und Mitarbeiter des Päpstlichen Rates für die Laien, vertretet alle Laien, die bestrebt sind, ihre christliche Berufung unter den verschiedensten Bedingungen in Kirche und Welt überzeugungstreu zu leben. Es ist mir daran gelegen, euch für die ausdauernde Arbeit zu danken, die ihr hochherzig innerhalb des Dikasteriums und in eurem Lebensmilieu leistet. 2. In diesen Tagen begehen wir das 20jährige Jubiläum der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Welch denkwürdiger Tag, dessen wir mit Freude, Bewunderung und Dankbarkeit Gott gegenüber gedenken! Die Feier dieses Jubiläums erinnert uns auch daran, daß wir mit Ausdauer das von unseren Vorgängern begonnene Werk fortsetzen, d. h., daß wir das Konzil ernsthaft in die Tat umsetzen müssen, damit es mit der Hilfe des Geistes Gottes reiche Früchte trägt. Gerade der Päpstliche Rat für die Laien findet in diesem Erbe die Richtlinien, die seine Arbeit beseelen müssen. Änderung der Mentalität Zwanzig Jahre nach diesem Ereignis, das eine Gnade war, fühlen wir uns gedrängt, die zahlreichen Zeichen des Wirkens Gottes in der Kirche und unter den Menschen zu erkennen und gleichzeitig zu wünschen, daß seine Entfaltung Früchte tragen möge: durch Stärkung der kirchlichen Gemeinschaft, geistliche Erneuerung, tiefere Zustimmung zu den grundlegenden 1378 Botschaften und Ansprachen Wahrheiten des Glaubens, neuen missionarischen Eifer. Für viele Laien war das Konzil ein kraftvoller Ansporn: Von seinen Lehren erleuchtet haben sie sich auf vielen Gebieten des Apostolats engagiert und damit nicht nur eine Verpflichtung, sondern auch eine Quelle der Freude und vollen Selbstverwirklichung entdeckt. Das Zweite Vatikanische Konzil war der Ausgangspunkt für eine vertiefte Reflexion über die Laien, die Familie, die Kultur, und diese Reflexion führte in der Folge zur Errichtung von drei nachkonziliaren Ämtern: Ich meine damit den Päpstlichen Rat für die Laien; den Päpstlichen Rat für die Familie und den Päpstlichen Rat für die Kultur. Diese Ämter befassen sich mit Bereichen, die viele Berührungspunkte haben. Deshalb fordere ich sie nachdrücklich zu einer fortschreitenden engen Zusammenarbeit auf, die die Kompetenz der einzelnen nicht beeinträchtigt. 3. Ihr seid in Rom zusammengekommen, um insbesondere über „Die nachkonziliaren Strukturen, die auf nationaler, diözesaner und pfarrlicher Ebene sowie auf der Ebene der Basisgemeinden direkt die Laien betreffen“ zu beraten. Die dogmatische Konstitution Lumen gentium hat die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit zwischen geweihten Amtsträgern und Laien hervorgehoben. „Die geweihten Hirten wissen sehr gut - so stellt sie fest -, wieviel die Laien zum Wohl der ganzen Kirche beitragen“, sie müssen „deren Dienstleistungen und Charismen so anerkennen, daß alle in ihrer Weise zum gemeinsamen Werk einmütig Zusammenarbeiten“ (Nr. 30). Wir wissen, daß eine solche Zusammenarbeit tiefgreifende Änderungen der Mentalität und der Mittel nach sich gezogen hat. Sie erforderte auch Strukturen, die auf der in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils vorgelegten Theologie beruhen. Die Laien sind dazu berufen, das Reich Gottes auszubreiten, indem sie sich „in all den einzelnen irdischen Pflichten und Werken und den gewöhnlichen Bedingungen des Familien- und Gesellschaftslebens, aus denen sich ihre Existenz zusammensetzt“, engagieren. Ihr Engagement in der Welt schließt jedoch nicht ihre Teilnahme am Leben der Kirche unter der Leitung ihrer Hirten aus. Ganz im Gegenteil, es setzt sie voraus, wie das Dekret über das Laienapostalat betont: „Als Teilhaber am Amt Christi, des Priesters, Propheten und Königs, haben die Laien ihren aktiven Anteil am Leben und Tun der Kirche“ (Nr. 10). Durch die Gnade der Taufe und der Firmung ist jeder Christ dazu berufen, konkret in der Gemeinschaft der Kirche zu leben und für diese Gemeinschaft Zeugnis abzulegen. 4. Die ersten christlichen Gemeinschaften hatten als Bezugspunkt für das Apostolat der geweihten Amtsträger wie auch das der Laien den Begriff 1379 Botschaften und Ansprachen des Zeugnisses nach den Worten des Herrn: „Ihr werdet meine Zeugen sein ... bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1, 8). Heute wird das Evangelium mehr denn je nur in dem Maß vernommen und akzeptiert, in dem sein Zeuge glaubwürdig ist. Damit nun die Worte und Werke des Apostels glaubwürdig werden, muß zuerst sein Leben sprechen. Zu diesem Zweck muß er sein apostolisches Leben täglich mit „jedem Wort nähren, das aus Gottes Mund kommt“ {Mt4, 4). Er kann auch nicht der aktiven Gegenwart des Vaters in seinem Leben sicher sein, wenn er nicht an der Eucharistie teilnimmt, d. h., wenn er nicht Tag für Tag sein Herz zutieftst umwandeln läßt, indem er sich mit dem Sohn Gottes vereint, der seinen Tod und seine Auferstehung unter uns gegenwärtig macht. So wachsen wir in der Verfügbarkeit und im Gehorsam gegenüber dem Heiligen Geist. Ja, das ist der Weg zur Heüigkeit. 5. Gerade in diesen Tagen frohlockt die Kirche über die Seligen und Heiligen, die Gott ihr geschenkt hat. Gleichzeitig lehrt sie uns, daß wir alle zur Heiligkeit berufen sind. Heute können oder vielmehr müssen wir auch über das 5. Kapitel der Konstitution über die Kirche sprechen: „Die allgemeine Berufung zur Heiligkeit“; wir müssen uns selbst und den anderen das Ideal der Heiligkeit als Ziel vor Augen halten, das wir anstreben. „Das ist es, was Gott will: eure Heiligung“ (I Thess 4, 3), sagt uns der hl. Paulus. Gott hat uns dazu berufen, daß wir uns in das glorreiche Bild Christi verwandeln lassen (vgl. 2 Kor 3, 18). Der beste Apostel ist der Heilige, denn nur wer in Christus bleibt und in dem Christus bleibt, „bringt reiche Frucht“ {Joh 15, 5). Wenn man nicht diese vom Glauben inspirierte Sicht vor Augen hat, läuft man Gefahr, sich aus bedenklichen Gründen mit den Strukturen zu befassen; so mancher könnte unter dem Einfluß der Maßstäbe der Welt versucht sein, nur nach Effizienz oder Macht zu streben - oder in die Kirche sogar die Spaltungen hineinzutragen, die es in der Gesellschaft gibt, wie etwa die Zwietracht zwischen politischen Gruppen, die auf ideologische Auseinandersetzungen zurückzuführen ist. Obwohl diese Gefahren bestehen, kann man nicht behaupten, daß theologisch gültige Strukturen nicht notwendig sind. Es wäre unrealistisch, die Hilfe übersehen zu wollen, die diese Strukturen darstellen. Man kann jedoch nicht Strukturen kirchlichen Apostolats schaffen oder sich in diesen engagieren, ohne sich zu bekehren, um seine Beweggründe im Geist der Versöhnung mit Gott und den Mitmenschen zu läutern. Was nun diese Läuterung anbelangt, so wissen wir, daß sie sich auf die tiefste und nachhaltigste Weise im Empfang des Bußsakraments vollzieht. Welcher Reichtum wäre es für die Kirche, wenn die christlichen Gemeinden 1380 Botschaften und Ansprachen anläßlich der nächsten Bischofssynode die außerordentliche Gabe wiederentdecken würden, die uns der Herr mit diesem Sakrament gemacht hat! 6. Besondere Aufmerksamkeit verdient unter den kirchlichen Strukturen die Pfarrei, wobei man der Tatsache eingedenk sein muß, daß sie „ein Hauptbezugspunkt für die Christen, selbst für die nichtpraktizierenden bleibt“ und daß sie „ihre Berufung wiederfinden muß, das Haus der Pfarrfamilie zu sein, brüderlich und gastfreundlich, wo die Getauften und Gefirmten sich bewußt werden, Volk Gottes zu sein“ (Apostolisches Schreiben über die Katechese in unserer Zeit, Nr. 67). Im Verlauf eurer zahlreichen Kontakte mit den Bischöfen habt ihr sicher Gelegenheit, das Folgende hervorzuheben: Der Großteü der Christen, die nicht Angehörige von Laienorganisationen sind, lebt seine Teilnahme am Leben der Kirche in den pfarrlichen und diözesanen Gemeinden. Die Pfarreien sind ebenso wie die meisten kirchlichen Strukturen ihrem Wesen nach institutioneile Mittel, die die Gemeinsamkeit und das Glaubensleben fördern und das Apostolat wirksamer gestalten sollen. Ihr Zweck ist es also, zu beseelen, zu koordinieren und die bewundernswerte Vielfalt der Charismen und Dienste zu bereichern. Was die Basisgemeinden betrifft, die ebenfalls ein Zeichen für die ständige Gegenwart des Heiligen Geistes in seiner Kirche sind, so ist es wichtig, daß die Kriterien ihrer Ekklesialität genau festgelegt werden, wie Paul VI. im Apostolischen Schreiben über die Evangelisierung in der Welt von heute, Nr. 58, und ich selbst in meiner Ansprache an den brasilianischen Episkopat es getan haben. 7. Wenn von den Strukturen die Rede ist, die die Laien betreffen, denken wir selbstverständlich auch an die Bewegungen und Vereinigungen. Diese Bewegungen sind, wie die Bischöfe oft anläßlich ihrer „Ad-limina“-Besuche hervorheben, für die Unterstützung des christlichen Lebens und das Apostolat von großer Bedeutung. In ihrer Verschiedenheit leisten sie einen wertvollen Beitrag zur Erfüllung der Mission der Kirche. Sie sind der Rahmen, in dem Jugendliche und Erwachsene die Kirche erfahren, einander helfen, als Christen in einer wenig gläubigen Welt zu leben und sich, indem sie ihren Glauben und ihre kirchliche Bindung stärken, auf den apostolischen Dialog vorbereiten. Ohne klare christliche Identität kann man nämlich heute nicht Apostel sein. Die verschiedenen Bewegungen können sich übrigens nicht selbst genügen. Sie müssen die Komplimentarität anerkennen, die zwischen allen lebensvollen Kräften der Kirche besteht, und müssen mit den nachkonzi-liaren Strukturen, d. h. den Pastoralräten auf allen Ebenen Zusammenarbeiten. 1381 Botschaften und Ansprachen Ich möchte hier hinzufügen, daß ich das Entstehen neuer Formen von Gruppenbildung mit Freude zur Kenntnis nehme. In seinen Briefen besteht der hl. Paulus immer wieder auf der Vielfalt der Gaben des Geistes in der Kirche. Das gilt auch für die einzelnen Augenblicke der Geschichte der Kirche. In jedem Zeitalter tut der Geist Gottes seine Gegenwart unter dem Volk Gottes auf eine Weise kund, die zum Wachstum des Leibes Christi beiträgt. Unsere Treue zum Heiligen Geist muß also veranlassen, diese neuen Bewegungen mit der nötigen Unterscheidung und vor allem mit Sympathie anzunehmen, sei es, daß sie bereits bestehen, sei es, daß sie erst im Kommen sind. 8. Es war mir nicht möglich, mich mit allen Aspekten zu befassen, auf die sich eure Arbeiten beziehen. Ich werde jedoch die Beschlüsse eurer Versammlung mit großem Interesse zur Kenntnis nehmen. Aus ganzem Herzen spende ich euch meinen Apostolischen Segen, indem ich den Herrn bitte, sein Geist möge euch erleuchten, damit eure Überlegungen und Richtlinien reiche Frucht tragen. Für die Laien füge ich noch ein letztes Wort hinzu: Ich bitte euch, meine Grüße und meinen Segen euren Familienangehörigen zu überbringen -den Ehegatten und euren Kindern -, die gewissermaßen an diesen Arbeiten des Päpstlichen Rates teilnehmen, indem sie euch mit ihrem Gebet begleiten und auch durch die zusätzliche Arbeit, die sie während eurer Abwesenheit, die durch eurer Engagement bedingt ist, zu Hause leisten müssen. (O.R. 13.10.82) Ein Höhepunkt für die Kultur der Menschheit Fernsehbotschaft an die Katholiken Spaniens anläßlich des 400. Todestages der hl. Theresia von Avila vom 15. Oktober Liebe Söhne und Töchter Spaniens! Vierhundert Jahre sind es her, daß die hl. Theresia von Jesus von dieser Erde Abschied nahm und den Weg in den Himmel antrat - nach einem für die damalige Zeit recht langen Leben; obgleich sie es mit dem ihr eigenen Humor mit einer Nacht in einer schlechten Herberge verglichen hat. Mit Interesse und Wohlwollen habe ich die Feierlichkeiten dieses Gedenkjahres verfolgt. Ihr wißt, daß ich meinen ersehnten Besuch in Spanien für die Eröffnung dieser Feierlichkeiten, also für den 15. Oktober 1382 Botschaften und Ansprachen des vergangenen Jahres, geplant hatte. Die bekannten Ereignisse haben mich zur Verschiebung dieser Reise gezwungen, die mit Gottes Hilfe demnächst stattfinden wird. So werde ich am 1. November in Avila und Alba de Tormes das theresianische Gedenkjahr feierlich abschließen. Ich konnte aber über dieses wichtige Datum nicht hinweggehen, ohne euch meine besonderen Glückwünsche und mein Gedenken zu übermitteln, denn die Gestalt der Theresia von Jesus stellt für die Kirche und für die Kultur der Menschheit einen Höhepunkt dar. Sie verband die Heüig-keit mit den höchsten Gipfeln der Mystik. Die Bedeutung ihres literarischen Werkes, die Gefälligkeit ihres Stils, ihr einzigartiges geistliches Zeugnis und vor allem ihre Sympathie gewinnende Haltung einer Frau von hoher Intelligenz, außerordentlichem Einfühlungsvermögen und Realismus sind ein leuchtendes Beispiel, das uns mit Hoffnung erfüllt und uns mit seiner reichen, auch für unsere Zeit gültigen Botschaft ermutigt. Der Lebensweg Theresias fällt in eine der glänzendsten Epochen der kirchlichen und weltlichen Geschichte Spaniens; es war gleichsam Spaniens Goldenes Zeitalter. Theresia von Jesus wollte aktiv an dem gewaltigen Unternehmen der Evangelisierung des kurz zuvor entdeckten amerikanischen Kontinents teilnehmen. Als Frau beschloß sie, ihr möglichstes, „das wenige zu tun, das ihr in die Hand gegeben war“. Aufgrund eines providen-tiellen Vorsatzes stellte sie bei ihrer Reformtätigkeit und bei der Gründung von Klöstern immer die geistigen Horizonte in den Vordergrund. Angesichts des Kultureinbruchs der Renaissance, deren tiefste Wurzel der Ersatz der Idee Gottes durch die Idee vom Menschen als Maß und Licht der Schöpfung war, hat Theresia von Jesus, als die neue Denkensart das Dasein zu säkularisieren und die göttlichen Werte zu übergehen drohte, den Weg der Innerlichkeit eingeschlagen. So gelangte sie auf wunderbare Weise durch die Kammern ihrer Seelenburg in die Nähe des Zentrums, in dem Gott wohnt, und fand das Tiefste, das Wahrhaftigste des Menschen: die aktive und hebende Gegenwart Gottes in ihm. Aus dieser Sicht heraus, die zugleich menschlich und sakral ist, rechtfertigt und verteidigt Theresia die Freiheit, spornt zur Gerechtigkeit an, fordert zur totalen Liebe auf. Ihre großartigen Lehren verbinden sich auf vollkommene Weise mit den Bestrebungen unserer Zeit. Das konnte ich selbst feststellen, als ich in den schwierigen Verhältnissen meiner Jugendjahre der Lehre Theresias und des Johannes vom Kreuz näherkam. Es ist kein geringeres Wunder, daß dieses abenteuerliche Wagnis sich in einer Frau erfüllte, die, obwohl von Krankheit geplagt, immer fröhlichen Sinnes, allem Unechten, Gekünstelten feind, schlicht, aufrichtig und echt war. 1383 Botschaften und Ansprachen Geliebtes Volk von Spanien! Ich beschließe diese Botschaft, indem ich eine Haltung der hl. Theresia besonders hervorhebe: ihre Treue zur Kirche, in deren Schoß sie lebte und starb. Ich stelle schon jetzt meinen Besuch unter den Schutz der hl. Theresia von Jesus. Mit ihr sage ich euch: Habt Mut, lebt die Hoffnung, seid eurem Glauben treu! Sei bereit, Spanien, Land der Heiligen, Land Theresias! Ich segne dich aus ganzem Herzen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. (O. R. 16.10. 82) Das Erbe christlicher Weisheit Brief an den Krakauer Erzbischof Kardinal Macharski zum Beginn des akademischen Jahres 1982/83 der Päpstlichen Theologischen Akademie in Krakau vom 17. Oktober Sehr verehrter Herr Kardinal! Am 17. Oktober wird sich, dem alten Brauch entsprechend, die theologische Welt der Erzdiözese Krakau bei den Reliquien des hl. Johannes von Kety, Professor der Universität Krakau, zur feierlichen Eröffnung des akademischen Jahres 1982/83 einfinden. Diese traditionelle Meßfeier wird in diesem Jahr besonderen Charakter haben, da die bisherige Päpstliche Theologische Fakultät, die die frühere Theologische Fakultät der Jagellonen-Universität fortsetzt, im vergangenen Jahr in den Rang einer Akademie mit den Fakultäten für Theologie, Philosophie und Geschichte erhoben worden ist. Es handelt sich dabei nicht um eine bloße Namensänderung, sondern es geht um die Schaffung neuer Voraussetzungen, Möglichkeiten und Aufgaben im reichen Krakauer Milieu und die Entwicklung einzelner Disziplinen. So kann - wie das Konzil lehrt - ein immer tieferes Verständnis der Offenbarung erlangt werden, damit das von den Vorfahren überlieferte Erbe christlicher Weisheit mit größerer Gewißheit offenbar werde und die Studenten sowohl auf den priesterlichen Dienst wie auf den Unterricht in den höheren Instituten für kirchliche Studien vorbereitet und ausgebildet werden, sei es für die selbständige wissenschaftliche Arbeit, sei es für die Übernahme der schwierigeren Aufgaben des intellektuellen Apostolats (vgl. Gravissimum educationis, Nr. 10). 1384 Botschaften und Ansprachen Die Errichtung der Päpstlichen Theologischen Akademie von Krakau ist gewissermaßen die Abgeltung der Schuld, die unsere Zeit gegenüber der in dieser Hinsicht großen Vergangenheit Krakaus hat. Und sie bedeutet eine Fortsetzung des ansehnlichen Erbes und Beitrags, das ihr Milieu für die Wissenschaften in Polen und in der ganzen Welt geleistet hat; aber sie ist auch eine offenkundige Anerkennung der bisher geleisteten Arbeit und der unter gewiß nicht leichten Bedingungen vollbrachten Tätigkeit. Sie ist zugleich Ausdruck des Schutzes und der Sorge des Papstes und des Hl. Stuhls um die vielseitige Entfaltung der Wissenschaften und in diesem Fall vor allem der Theologie und der Disziplinen, die die Vertiefung des christlichen Verständnisses von Gott, vom Menschen und von der Welt im übernatürlichen Strom der Heilsgeschichte, wie sie sich in jeder Epoche der Geschichte entwickelt, ermöglichen. Ich fühle mich darum herzlich mit allen verbunden, die an dieser feierlichen Zeremonie im Oktober in der St.-Anna-Kirche in Krakau teilnehmen. Im innersten Herzen trage ich all das, was ihr heute beginnen wollt und was den Gegenstand eurer Arbeit und eures Gebets in diesem neuen Studienjahr sein wird. Zu Ihren Händen, Herr Kardinal-Metropolit von Krakau und Großkanzler, sende ich die herzlichsten Wünsche, damit die Akademie mit Hilfe des Herrn ihre Aufgaben in unserer Zeit so erfüllen kann, wie Gott und die Kirche es von ihr erwarten. Herzlich grüße ich den hochwürdigen Rektor, die Wissenschaftler, Dozenten, Studenten und Studentinnen und das gesamte Personal der Akademie. Ein besonderes Wort der Ermutigung und herzliche Wünsche richte ich an die zahlreichen Alumnen des ersten theologischen Jahres und an alle, die in diesem Jahr zum ersten Mal eine Arbeit und ein Studium an den Fakultäten bzw. den Fakultätskursen beginnen: Mögen sie ihre Berufung voll erfüllen und sich gut auf die besonderen Dienste gegenüber dem Volk Gottes in den einzelnen Diözesen vorbereiten. Möge diese neue katholische Hochschule in Krakau für alle zur Schule dafür werden, in Frömmigkeit an den Herrn zu denken und ihn mit reinem Herzen zu suchen (vgl. Weish 1, 1). Durch die Fürsprache des „Sitzes der Weisheit“ und Mutter der Kirche und der heiligen Schutzpatrone Polens - des Märtyrerbischofs Stanislaus, Johannes’ von Kety, der seligen Königin Hedwig, des hl. Maximilian Maria Kolbe - vertraue ich im Jubiläumsjahr von Jasna Göra Gott eure große Arbeit und ihre Früchte, die Gegenwart und die Zukunft der Päpstlichen Theologischen Akademie von Krakau an. 1385 Botschaften und Ansprachen Der ganzen Akademie, allen Dozenten, den Studenten, allen, denen ihr Wohl und ihre Entwicklung am Herzen liegt, den Teilnehmern an den Eröffnungsfeierlichkeiten des neuen Studienjahres und den Gästen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 17. Oktober 1982 PAPST JOHANNES PAUL II. (O. R. 17. 10. 82) „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ Predigt bei der Eucharistiefeier zum Beginn des neuen Studienjahres der kirchlichen Hochschulen Roms am 19. Oktober 1. „Ihr seid das Salz der Erde . . .“ {Mt 5, 13). „Ihr seid das Licht der Welt“ {Mt 5, 14). Mit diesen Worten grüßt euch, Professoren und Studenten der kirchlichen Hochschulen Roms, die heutige Liturgie. Mit diesen Worten beginnen wir das neue akademische Jahr. Wir wollen, daß die wissenschaftliche und erzieherische Arbeit dieses Jahres bestehen soll, bei der Eucharistiefeier ihren Anfang nimmt; daß sie sich im Geist der Eucharistie entfaltet. Mit der Feier des heiligen Opfers grüße ich euch an der Schwelle dieser apostolischen Kirche in Rom. Indem ich euch willkommen heiße, begrüße ich euch, während ich euren Gruß als den von geliebten Brüdern und Söhnen in der Gemeinschaft der Berufung Christi entgegennehme. 2. Im heutigen Evangelium sagt Christus: „Ihr seid“: „Ihr seid das Salz der Erde . . .“, „Ihr seid das Licht der Welt. . .“. Zugleich spüren wir jedoch, daß er sagen will: „Ihr sollt sein“: Ihr sollt das Salz der Erde und das Licht der Welt sein und dazu werden. Die Worte des heutigen Evangeliums machen gleichzeitig eine Verpflichtung geltend und sprechen sie aus. Also: Wer seid ihr oder wer und was sollt ihr werden? Der Meister bedient sich einer Metapher: Salz und Licht. Das Salz dient dazu, der Speise den rechten Geschmack zu geben. Das Licht dient dazu, „allen im Hause zu leuchten“ {Mt 5, 15). Das Gleichnis sagt aber vor allem folgendes aus: Was ihr sein sollt und für wen: für die Welt, für die Menschen. 1386 Botschaften und Ansprachen Das evangelische Gleichnis spricht von der Aufgabe, die die Jünger Christi haben. Es macht diese Aufgabe deutlich. Aber indem es sie deutlich macht, weist es auf einen jeden von ihnen als Träger der Aufgabe hin. Und in dieser Beziehung macht es geltend: Wer soll es sein, der diese Aufgabe erfüllen soll, und welche Aufgabe soll es sein? „Salz“ und „Licht“ - gleichnishaft gebrauchte Worte - enthalten die Synthese des ganzen Programms. Das ist das Programm, das sich die kirchlichen Universitäten und Hochschulen Roms vornehmen. Ein Programm, das für das kommende Jahr, zugleich aber mit Blick auf die ganze Zukunft geplant wurde; so wie Christus seinen Jüngern das „Salz und Licht“ als Programm für alle Generationen bis an das Ende der Welt gegeben hat. Das organisch geplante Programm bezieht sich auf die Professoren und die Erzieher mit Blick auf die Studenten. Und es bezieht sich, auf Grund des Prinzips der Gegenseitigkeit, auf die Studenten. Es bezieht sich auf die Zukunft. Durch alles, was auf eure Studien, eure akademische, geistliche, pastorale Ausbildung Bezug hat, muß die Kirche in der Zukunft neues „Salz“ und „Licht“ empfangen, wohin auch immer euch die göttliche Vorsehung führen wird. 3. Somit ist also der Sinn des evangelischen Gleichnisses von „Salz“ und „Licht“ ein erster und entscheidender Ausgangspunkt der Gedanken zur Eröffnung des Studienjahres. Damit aufs engste verbunden ist das zweite Element: das Gebet. Davon spricht vor allem die dem Buch der Weisheit entnommene Lesung. Das Gebet gehört zur Logik des Gleichnisses Christi. Wenn „Salz“ und „Licht“ die Versprechen nicht nur geltend machen, sondern gleichzeitig ansprechen; wenn sie auf die Frage gerichtet sind „Was soll ich sein?“, „Wie soll ich sein?“ - dann berufen sie sich zugleich auf das Gebet. Diese logische Verbindung ergibt sich aus den Grundvoraussetzungen der christlichen Anthropologie, das heißt der christlichen Wahrheit vom Menschen. Nicht nur durch die Übernahme der Versprechen wird der Mensch zum „Salz der Erde“ und zum „Licht der Welt“, sondern auch dadurch, daß er die Gnade empfängt und mit ihr wirkt. Die Gnade ist die Dimension des göttlichen Anfangs des Menschen und seiner göttlichen Bestimmung. Die Gnade ist ein Geschenk der Erlösung Christi. Und eben darum bedarf es des Gebets. Durch das Gebet entdecken wir die Dimension der Gnade, antworten wir auf das Geschenk der Erlösung. 1387 Botschaften und Ansprachen „Daher betete ich, und es wurde mir Klugheit gegeben; ich flehte, und der Geist der Weisheit kam zu mir“ (Weish 7,7). In diesen Worten macht der Verfasser des alttestamentlichen Buches uns mit den tiefsten Problemen seines Lebens vertraut. Mögen diese Worte des Verfassers des Buches der Weisheit auch zu euch allen sprechen, die ihr der Gemeinschaft der kirchlichen Hochschulen Roms angehört. Möge sie zugleich zu einer Aussage werden, die jeder von euch machen kann. Denn ihr gehört dieser Gemeinschaft von Lehrenden und Studierenden ja aus Liebe zur Weisheit an: „Ich liebte sie mehr als Gesundheit und Schönheit und zog ihren Besitz dem Lichte vor; denn niemals erlischt der Glanz, der von ihr ausstrahlt“ ( Weish 7, 10). Die Weisheit! Sie gilt es, im evangelischen Gleichnis vom „Salz“ und „Licht“ zu entdecken. Ja. Denn sie sorgt dafür, daß der Mensch zu dem wird, der er für die anderen Menschen, für die Welt sein soll. In ihr offenbart sich zugleich die „Versprechung“ und die „Gnade“. Sie kommt zu uns durch die beständige Arbeit und das nicht minder beständige Gebet. O, wie sehr hat die Kirche heute diese evangelische Weisheit nötig! Wie notwendig ist es, „gemäß der Einsicht zu sprechen und zu denken, wie es der empfangenen Gaben würdig ist“ (Weish 7, 15). Diese Art zu sprechen und zu denken empfängt der Mensch von Gott im Gebet. „Denn er ist der Führer der Weisheit und hält die Weisen auf dem rechten Weg. Wir und unsere Worte sind in seiner Hand, auch alle Klugheit und praktische Erfahrung“ (Weish 7, 15-16). So ist es. Von Gott empfangen wir im Gebet das Wort der Weisheit. Und darum ist die heutige Eucharistiefeier auch der Beginn des ständigen Gebets. Die Studien müssen immer vom Gebet getragen werden und die Anstrengungen von der Arbeit an sich selbst durchdrungen sein, damit sie nicht ins Leere laufen. Verstand und Herz müssen dauernd mit Hilfe des Gebets gepflegt und gebüdet werden, damit der Lehrer und der Student in ihren gegenseitigen Beziehungen zum „Salz der Erde“ und zum „Licht der Welt“ werden. 4. „So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ {Mt 5, 16). Verehrte Professoren, hebe Studenten der kirchlichen Hochschulen Roms! Vor euch hegt das letzte Ziel der ganzen Schöpfung. Das Ziel des Menschen in der Welt: die Ehre Gottes! 1388 Botschaften und Ansprachen Ihr seid durch das Gleichnis vom Salz und Licht aufgerufen, für die Ehre Gottes zu leben, diese Ehre in allen Dingen zu entdecken, sie im ganzen Reichtum der Schöpfung wiederzufinden, sie mit den Augen des Glaubens und der Theologie in den Geheimnissen der göttlichen Offenbarung zu sehen. Ihr seid aufgerufen, durch euer ganzes Denken und eure ganze Lebensführung den Menschen die Ehre Gottes zu verkündigen und zu predigen. Christus sagt zu euch: „So soll eurer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ {Mt 5, 16). Eure Berufung in Christus konzentriert sich auf die Ehre des Vaters. Eure Berufung in Christus ist theozentrisch und dadurch auf die Menschen und auf die Welt gerichtet. Denkt zu Beginn des akademischen Jahres darüber nach, welch wesentlicher Sinn sich in den Worten verbirgt: „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“, und versucht ihn zu leben. (O. R. 21.10. 82) Geist und Herz auf Frieden gerichtet Ansprache des Papstes bei der Audienz für den libanesischen Präsidenten Amin Gemayel am 21. Oktober Herr Präsident! Der Besuch, den Ihre Exzellenz heute dem Apostoüschen Stuhl abstattet, ist mir sehr willkommen und scheint mir tiefe Bedeutung zu besitzen in einem für das Leben und die Geschichte des Libanon entscheidenden Augenblick. Als die tragische Krise, die Ihr Land seit über sieben Jahren heimsucht, mit der Besetzung Beiruts und der schrecklichen Ermordung des gewählten Präsidenten Bechir Gemayel - erlauben Sie mir, Ihnen an dieser Stelle zu sagen, wie sehr ich an Ihrem persönlichen Schmerz, am Kummer Ihrer heben Eltern, Cheikh Pierre und seiner Gemahlin, und am Schmerz Ihrer mit zwei kleinen Kindern zurückgebliebenen Schwägerin teilnehme -ihren Höhepunkt erreicht zu haben schien, da kam es im libanesischen Volk zu einem Wiedererwachen der Liebe zur Heimat und des brüderlichen Geistes, das seine legitimen Vertreter, die Abgeordneten der Natio- 1389 Botschaften und Ansprachen nalversammlung, veranlaßte, sich in der Wahl Ihrer Exzellenz zum Präsidenten der Republik zusammenzuschließen. Zur gleichen Zeit konnten Sie und Ihre Mitbürger feststellen, wie dieser Geist der Verständigung unter den Libanesen in den befreundeten Ländern, und zwar nicht nur im Nahen Osten, sondern in den verschiedenen Teilen der Welt und der internationalen Gemeinschaft herzliches und konkretes Interesse weckte. Zu den „Freunden des Libanon“ gehört auch - wie niemand bezweifelt -der Hl. Stuhl. Und ich zögere nicht zu behaupten, daß die Zuneigung und das Interesse, das er dem Libanon entgegenbringt, einen besonderen Charakter besitzen und auf vielerlei Weise und seit langem, vor allem aber im Laufe dieser schmerzlichen Jahre offenbar geworden sind. Ihre Exzellenz erinnert sich gewiß an die so ergreifenden Gesten des verehrten Papstes Paul VI. gegenüber Ihrem Land wie an die außergewöhnliche, Intervention der Kardinäle, die am Vorabend des Konklaves vom Oktober 1978 Botschaften an die Verantwortlichen sandten, damit sie die Kämpfe auf libanesischem Boden beendeten. Während meines vierjährigen Pontifikats bereitete mir das Schicksal des Libanon ständig Sorge, und ich kann insbesondere meine Begegnung mit Ihrem verehrten Vorgänger, Seiner Exzellenz Herrn Elias Sarkis, nicht vergessen. Ebenso muß ich an die Mission erinnern, die Kardinal Paolo Bertoü, der frühere Apostolische Nuntius in Ihrem Land, im Libanon durchführte, und an den Besuch, den mein Staatssekretär, Kardinal Agostino Casaroli, dem Libanon abstattete. Warum hat der Hl. Stuhl ein besonderes Interesse am Libanon? Auf diese Frage gebe ich zur Antwort: Zunächst kann ich nicht vergessen, daß es in diesem Land die sehr lebendige maronitische Gemeinschaft gibt, die seit Jahrhunderten im rauhen libanesischen Bergland verwurzelt ist und zur Zeit von ihrem Patriarchen, meinem geliebten Bruder Antoine-Pierre Khoraiche, geleitet wird. Diese Gemeinschaft, der Sie ja selbst angehören, hat der Kirche herrliche Heiligengestalten geschenkt. Sie ist immer durch enge Bande mit dem Apostolischen Stuhl verbunden gewesen. Und sie hat eine entscheidende Rolle bei der Unabhängigkeit des Libanon gespielt. Sodann, weil die Maroniten und die anderen christlichen Gemeinschaften ein glanzvolles evangelisches Zeugnis geben, das in den ganzen Nahen Osten, die Wiege der drei großen monotheistischen Religionen, ausstrahlt. Schließlich deshalb, weil der Libanon ein Land des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens verschiedener ethnischer und religiöser Gemeinschaften ist und - dieser Überzeugung gebe ich mit viel Hoffnung Ausdruck - weiterhin sein wird; zwischen katholischen, orthodoxen und 1390 Botschaften und Ansprachen anderen Christen auf der einen, sünnitischen und schiitischen Muslimen oder Drusen auf der anderen Seite. Es gibt so viele religiöse Gemeinschaften, die ihre Identität bewahrt haben und so in entsprechender Weise an den Institutionen, den gemeinsamen Aktivitäten und dem Gemeinwohl der Heimat teilhaben. Ihre Exzellenz macht sich keine Illusionen über die Schwierigkeiten, die die Ihnen übertragene Aufgabe gerade in diesem Augenblick mit sich bringt. Es handelt sich in der Tat darum, die wirkliche Unabhängigkeit und volle Souveränität des libanesischen Staates auf seinem gesamten nationalen Territorium wiederherzustellen. Dann gibt es die Probleme des materiellen und vor allem des sozialen und moralischen Wiederaufbaus des Landes; ich denke unter anderem an die Überwindung der vom Krieg ausgelösten Gefühle der Verbitterung und des Hasses, an die Wiederherstellung eines Geistes intensiver, friedlicher Tätigkeit bei allen Libanesen, insbesondere der Jugend. Darum setzt Ihre Exzellenz ja an die erste Stelle Ihres Programms die volle Wiederversöhnung zwischen allen Ihren Mitbürgern, die sich hinsichtlich ihrer Rechte wie ihrer Pflichten gegenüber der Heimat völlig gleichberechtigt fühlen sollen, während sie die Verbindung zu ihren jeweiligen Gemeinschaften aufrechterhalten. Auf diese Weise wird der neue Libanon erstehen, den die Welt sicher als ein Land alter Zivilisation und Religion betrachten wird, der aber imstande ist, dank der Zusammenarbeit aller seiner Söhne und Töchter, einschließlich derer, die außerhalb des Landes leben, heute allen Völkern ein schönes Beispiel von Dynamik, Kultur und Spiritualität zu bieten. Schließlich möchte ich Ihnen gegenüber noch einen dringenden Wunsch aussprechen, von dem ich weiß, daß er in den edlen Herzen der Libanesen und besonders bei meinen katholischen Söhnen und Töchtern Widerhall finden wird: Ich vertraue darauf, daß die Regierung Ihrer Exzellenz - mit der vollen Unterstützung des ganzen libanesischen Volkes und obgleich sie mit dem Wiederaufbau des Landes beschäftigt ist - aktiv zur endgültigen Lösung der Nahostkrise und zur Regelung des Problems des palästinensischen Volkes beiträgt. Der Libanon wird das in aktiver und konkreter Weise tun können: Ihr Land wird, während es in dem ihm seit der Unabhängigkeit eigenen Rahmen bleibt, sich um die Beseitigung der noch immer so tiefen Gegensätze bemühen können, die zwischen den am Konflikt beteiligten Parteien bestehen. Während Geist und Herz auf diese Friedensaussicht gerichtet sind, möchte ich Ihrer Exzellenz gern nochmals meine herzlichsten Wünsche 1391 Botschaften und Ansprachen für den Erfolg Ihrer so erhabenen Aufgabe aussprechen. Ich darf Ihnen versichern, daß Sie bei ihrer Erfüllung auf die von Herzen kommende und uneigennützige Hilfe des Hl. Stuhles in den Bereichen zählen können, wo er entsprechend seinen Mitteln und Möglichkeiten helfen kann. Vertrauen Sie darauf, Herr Präsident, daß meine Gebete Sie begleiten und zum allmächtigen Gott und zu Unserer Lieben Frau vom Libanon aufsteigen, damit Ihr Vaterland eine neue Seite in seiner Geschichte aufschlagen kann und sein Bild in der Welt erstrahlt, das Bild eines vom Allerhöchsten gesegneten, an Kultur, Spiritualität und Frieden reichen Landes. (O. R. 22. 10.82) Hoffnung auf moderne Biologie Ansprache an die Teilnehmer einer Studienwoche der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften vom 23. Oktober Herr Präsident! Meine Damen und Herren! <39> <39> Ich möchte Ihnen meinen herzlichen Dank für Ihren Besuch und meine besten Wünsche aussprechen für Ihre Aktivitäten, von denen Professor Chagas gesprochen hat. Lassen Sie mich zuerst den Präsidenten der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften beglückwünschen zu der auf verschiedenen Gebieten der Wissenschaft geleisteten Arbeit und zu den Initiativen, die zum Wohl der gesamten Menschheit unternommen wurden, wie der jüngste Appell gegen den Atomkrieg, der von annähernd vierzig Akademie-Präsidenten der ganzen Welt und anderen Wissenschaftlern unterzeichnet wurde, die am 23. und 24. September in der Casina Pio IV, dem Hauptsitz unserer Akademie, eine Tagung abhielten. 2. Die von Ihnen in diesen Tagen geleistete Arbeit besitzt nicht nur hohen wissenschaftlichen Wert, sondern ist auch von großem religiösen Interesse. Mein Vorgänger Paul VI. sprach in seiner Rede vor der Organisation der Vereinten Nationen am 4. Oktober 1965 vom Standpunkt eines „Sachverständigen in Fragen der Humanität“ aus. Diese Sachkenntnis ist tatsächlich mit der der Kirche eigenen Weisheit verbunden, aber sie stammt ebenso aus der Kultur, in der die Naturwissenschaften einen immer bedeutenderen Platz einnehmen. 1392 Botschaften und Ansprachen In meiner Ansprache an die UNESCO am 2. Juni 1980 erwähnte ich, was ich jetzt vor Ihnen als Naturwissenschaftlern wiederholen möchte: daß „eine organische und grundlegende Verbindung zwischen Kultur und Religion“ besteht. Ich muß vor dieser auserlesenen Versammlung auch bekräftigen, was ich in meiner Ansprache vom 3. Oktober 1981 vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften anläßlich der jährlichen Studienwoche gesagt habe: „Ich habe das feste Vertrauen in die wissenschaftliche Weltgemeinschaft - besonders in die Päpstliche Akademie der Wissenschaften -, daß dank ihr der Fortschritt und die biologischen Forschungen, wie übrigens jede andere wissenschaftliche Forschung und ihre technologische Anwendung, in voller Respektierung der sittlichen Normen und unter Wahrung der Würde, Freiheit und Gleichheit der Menschen sich entwickeln.“ Und ich fügte hinzu: „Die Wissenschaft muß immer von der Weisheit begleitet und kontrolliert werden, die zu dem ewigen geistigen Erbe der Menschheit gehört und sich an dem Plan Gottes inspiriert, der in die Schöpfung schon eingeschrieben war, noch ehe er durch sein Wort verkündet wurde“ (in: Wortund Weisung, 1981, S. 518). 3. Wissenschaft und Weisheit, die in ihren wahrsten und unterschiedlichsten Ausdrucksformen ein höchst kostbares Erbe der Menschheit darstellen, stehen im Dienst des Menschen. Die Kirche ist aufgrund ihrer wesenseigenen Berufung geheißen, den Fortschritt des Menschen zu fördern, da - wie ich in meiner ersten Enzyklika schrieb - „. . . der Mensch der erste Weg ist, den die Kirche bei der Erfüllung ihres Auftrags beschreiten muß: Er ist der erste und grundlegende Weg der Kirche, ein Weg, der von Christus selbst vorgezeichnet ist“ (Redemptor hominis, Nr. 14). Der Mensch ist auch für Sie das letzte Glied der wissenschaftlichen Forschung, und zwar der ganze Mensch, Geist und Leib, auch wenn das unmittelbare Objekt der Wissenschaften, die Sie vertreten, der Leib mit allen seinen Organen und Geweben ist. Der menschliche Leib ist nicht unabhängig vom Geist, genauso wie der Geist nicht unabhängig vom Leib ist wegen der tiefen Einheit und wechselseitigen Beziehung, die zwischen ihnen besteht. Die wesenhafte Einheit zwischen Geist und Leib und indirekt mit dem Kosmos ist so wesentlich, daß jede menschliche Tätigkeit, auch die geistigste, irgendwie von der leiblichen Situation durchdrungen und gefärbt wird; zugleich muß umgekehrt der Leib vom Geist geleitet und zu seinem Endziel geführt werden. Es besteht kein Zweifel, daß die geistigen Tätigkeiten des Menschen vom Zentrum der Person des einzelnen ausgehen, das vom Leib, mit dem der Geist wesenhaft verbunden ist, prädispo- 1393 Botschaften und Ansprachen niert wird. Daher die große Bedeutung der Naturwissenschaften, die das Wissen um die physische Gegebenheit und Wirksamkeit fördern, für das Leben des Geistes. 4. Infolgedessen habe ich keinen Grund, wegen der biologischen Experimente beunruhigt zu sein, die von Wissenschaftlern durchgeführt werden, die wie Sie eine tiefe Achtung vor der menschlichen Person haben, denn ich bin sicher, daß sie zum Gesamtwohl des Menschen beitragen werden. Andererseits verurteile ich ausdrücklich und offiziell experimentelle Eingriffe am menschlichen Embryo, da ein Menschenwesen vom Augenblick der Zeugung bis zum Tod für keinen wie immer gearteten Zweck mißbraucht werden darf. Denn wie das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, ist der Mensch „auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur“ (Gaudium etspes, Nr. 24). Wertschätzung verdient die Initiative jener Wissenschaftler, die ihre Mißbilligung von Experimenten, die die menschliche Freiheit verletzten, zum Ausdruck gebracht haben, und ich lobe diejenigen, die sich mit voller Achtung vor der Würde und Freiheit des Menschen darum bemüht haben, Richtlinien und Begrenzungen für Experimente am Menschen aufzustellen. Die Art des Experimentierens, über die Sie diskutiert haben, gilt einer breiteren Kenntnis der intimsten Lebensmechanismen mittels künstlicher Modelle, wie die Züchtung von Gewebsarten, und des Experiments an einigen genetisch ausgewählten Tierarten. Darüber hinaus haben Sie auf Experimente hingewiesen, die an Tierembryos durchgeführt werden, was Sie besser erkennen läßt, wie sich Zellenunterschiede feststellen lassen. Es muß hervorgehoben werden, daß neue Techniken, wie die Züchtung von Zellen und Geweben, eine beachtliche Entwicklung genommen haben, die einen sehr bedeutsamen Fortschritt in den biologischen Wissenschaften erlaubt; und diese Techniken ergänzen auch das Tierexperiment. Natürlich stehen Tiere im Dienst des Menschen und können daher Gegenstand von Experimenten sein. Dennoch müssen sie als Geschöpfe Gottes behandelt werden, die dazu bestimmt sind, dem Wohl des Menschen zu dienen, aber nicht von ihm mißhandelt zu werden. Darum entspricht die Verringerung der Tierversuche, die nach und nach immer entbehrlicher wurden, dem Plan und Wohl der ganzen Schöpfung. 5. Mit Befriedigung habe ich gesehen, daß Sie unter den Themen Ihrer Studienwoche die Aufmerksamkeit auf „In-vitro“-Experimente konzentrieren, die Ergebnisse für die Behandlung von Krankheiten erbracht haben, die mit Chromosomenschäden Zusammenhängen. In bezug auf Ihre Tätigkeit darf man auch hoffen, daß die neuen Techniken zur Abänderung des Genkodex in besonderen Fällen von Gen- und 1394 Botschaften und Ansprachen Chromosomenerkrankungen für die Mehrheit der von solchen Krankheiten befallenen Menschen einen Grund zur Hoffnung darstellen. Es ist auch daran zu denken, daß durch Genverpflanzungen spezifische Krankheiten geheilt werden können, wie z.B. die sogenannte Sichelzellen-Anämie, die in vielen Ländern Personen derselben ethnischen Herkunft befällt. Ebenso muß daran erinnert werden, daß sich manche Erbkrankheiten durch den Fortschritt in biologischen Versuchen vermeiden lassen. Die Forschung der modernen Biologie gibt Anlaß zur Hoffnung, daß die Verpflanzung und Veränderung von Genen den Zustand derjenigen zu verbessern vermag, die von Chromosomenerkrankungen betroffen sind; auf diese Weise können die kleinsten und schwächsten menschlichen Wesen noch im Mutterleib oder unmittelbar nach der Geburt behandelt werden. 6. Schließlich möchte ich zusammen mit den wenigen Fällen, die ich als nutzbringende Beispiele der biologischen Experimente angeführt habe, noch die bedeutsamen Vorteile erwähnen, die sich aus der gesteigerten Nahrungsmittelproduktion und der Züchtung neuer Pflanzenarten zum Nutzen aller, besonders der Bedürftigsten, ergeben. Zum Abschluß meiner Überlegungen, die Ihnen zeigen, wie sehr ich Ihre wertvollen Forschungen billige und unterstütze, versichere ich noch einmal, daß sie alle moralischen Prinzipien und Werten unterworfen sein müssen, die die Würde des Menschen in ihrer ganzen Fülle achten und verwirklichen. Ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß die Wissenschaftler jener Länder, die die fortschrittlichsten modernen Techniken entwickelt haben, den Problemen der Entwicklungsländer hinreichend Rechnung tragen werden und daß es über jeden wirtschaftlichen oder poütischen Opportunismus hinaus, der das System des alten Kolonialismus in einer neuen wissenschaftlich-technischen Ausgabe Wiedererstehen läßt, zu einem fruchtbaren und selbstlosen Austausch kommen kann. Dieser Austausch muß die Kultur im allgemeinen und die Wissenschaft im besonderen betreffen und zwischen den Wissenschaftlern von Nationen verschiedener Entwicklungsstufen stattfinden; auf diese Weise kann in jedem Land ein Kern von Gelehrten von hohem wissenschaftlichem Niveau gebildet werden. Ich bitte Gott, der der barmherzige Vater aller ist, besonders aber der Verlassensten und derer, die weder über die Mittel noch die Kraft zu ihrer Selbstverteidigung besitzen, die Anwendung der naturwissenschaftlichen Forschung auf die Produktion neuer ergänzender Lebensmittel hinzulenken, da eine der größten Herausforderungen, denen die Menschheit 1395 Botschaften und Ansprachen begegnen muß, neben der Gefahr eines atomaren Holocaust, der Hunger der Armen dieser Welt darstellt. In dieser Meinung und für einen echten allgemeinen Fortschritt des Menschen, der als Abbild und Gleichnis Gottes geschaffen ist, rufe ich auf Sie und auf ihre wissenschaftliche Arbeit reichen göttlichen Segen herab. (O. R. 24.10. 82) Mission nicht mehr „Einbahnstraße“ Botschaft zum Weltmissionssonntag am 24. Oktober Verehrte Brüder, geliebte Söhne und Töchter der Kirche! Da der Weltmissionssonntag näherrückt, möchte ich, wie jedes Jahr, an euch alle eine persönliche Botschaft richten, die zu gemeinsamem Nachdenken anregen soll über die missionarische Dimension, die dem innersten Wesen der Kirche, des mystischen Leibes Christi und Volkes Gottes, eigen ist, und auch über die Verpflichtung, der wir alle nachkommen müssen, damit das Evangelium Jesu in der ganzen Welt gepredigt und aufgenommen wird. Ausgangspunkt für die Botschaft dieses Jahres ist ein bedeutungsvoller Anlaß, nämlich der 25. Jahrestag der Enzyklika Fidei donum meines verehrten Vorgängers Pius XII. (vgl. Apostolicae Sedis 49, 1957, S. 225-248). Mit ihr hat sich hinsichtlich der Missionspastoral eine wichtige Entwicklung angebahnt. Das Zweite Vatikanische Konzü gab ihr jene Richtlinien, nach denen die Kirche heute, eingedenk ihrer Natur und Sendung und stets bestrebt, die Zeichen der Zeit zu lesen, ihren Weg weitergeht in der Absicht, dem Menschen zu dienen und ihm zum Heil zu führen, indem sie ihm „den unergründlichen Reichtum Christi“ (Eph 3, 8) enthüllt. Dieses bedeutende Dokument war zwar in erster Linie für Afrika gedacht, enthält aber Weisungen, die für die Missionstätigkeit der Kirche in allen Erdteilen Gültigkeit haben. Bekanntlich fanden seine Aussagen ihren Niederschlag vor allem im Konzilsdekret Ad gentes und vor nicht langer Zeit in Postquam Apostoli, den Neuen Richtlinien der Kongregation für 1396 Botschaften und Ansprachen den Klerus über den Priesteraustausch zwischen Bistümern (vgl. AAS 72, 1980, S. 343-363). Die Enzyklika Fidei donum weist in erster Linie und in feierlicher Form auf den Grundsatz der Mitverantwortung der Bischöfe für die Evangelisierung der Welt hin, und zwar aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Bischofskollegium. Als Nachfolgerin der Apostel erteilte und erteilt Christus ihnen vor allen anderen den gemeinsamen Auftrag, die Frohbotschaft bis an die Grenzen der Erde zu verkünden und zu verbreiten. Wenn sie auch als Hirten für die einzelnen Gemeinden bestellt sind, so müssen sie sich doch, mit dem Stellvertreter Christi verbunden, gemeinsam verantwortlich fühlen für den Fortgang und für den Missionsauftrag der Gesamtkirche. Ihre besondere Sorge wird also „jenen Gegenden“ gelten, „in denen das Wort Gottes noch nicht verkündet ist oder in denen die Gläubigen, besonders wegen der geringen Zahl der Priester, in Gefahr schweben, den Geboten des christlichen Lebens untreu zu werden, ja den Glauben selbst zu verlieren“ (Christus Dominus, Nr. 6). Dieses Grundprinzip, das vom Konzil erheblich unterbaut und weiterentwickelt wurde (vgl. Lumen gentium, Nr. 23-24; Ad gentes, Nr. 38), möchte ich heute erneut unterstreichen, sowohl um auf seine Aktualität hinzuweisen als auch um meine verehrten Brüder im Bischofsamt zu ermuntern, sich immer mehr dieser ihrer hohen Verantwortung bewußt zu. werden, indem sie beherzigen, daß sie „nicht nur für eine bestimmte Diözese, sondern für das Heil der ganzen Welt die Weihe empfangen“ (Ad gentes, Nr. 38). Dieses Prinzip wird noch besser verständlich, wenn man sich die engen Wechselbeziehungen zwischen den Teilkirchen und der Universalkirche vor Augen hält. Wenn nämlich in jeder Teilkirche, deren Angelpunkt und Grundlage der Bischof ist, „die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche wirkt und gegenwärtig ist“ (Christus Dominus, Nr. 11), dann folgt daraus, daß die Teilkirche in ihrem eigenen Bereich alle Tätigkeiten der Gesamtkirche fördern muß (vgl. Postquam Apostoli, Nr. 13-14; a. a. O., S. 352-354). Jede Diözese ist deshalb aufgerufen, sich immer mehr dieser universalen Dimension bewußt zu werden, das heißt, die eigene missionarische Natur zu entdecken oder wiederzuentdecken, „den Raum ihrer Liebe bis zu den Grenzen der Erde hin auszuweiten und eine ähnliche Sorge für jene zu tragen, die in der Feme leben, wie für jene, die ihre eigenen Mitglieder sind“ (Ad gentes, Nr. 37). 1397 Botschaften und Ansprachen Darum wird jeder Bischof, der einer Teilkirche vorsteht, sich nach Kräften bemühen und dafür einsetzen müssen, seiner Diözese einen entschiedenen missionarischen Ansporn zu geben. An ihm liegt es in erster Linie, in den Gläubigen eine katholische Gesinnung im vollen Sinn des Wortes zu entwickeln, aufgeschlossen für die Bedürfnisse der Universalkirche; das Volk Gottes zur unabdingbaren Pflicht der Mitarbeit in allen ihren Formen anzuhalten und geeignete Initiativen der geistigen und materiellen Hüfe für die Missionen zu fördern, indem er die bestehenden Strukturen verstärkt oder neue errichtet. Ganz besonders muß er die Priester-und Ordensberufe fördern und zugleich den Priestern helfen, sich der ausgesprochen apostoüschen Dimension des priesterlichen Dienstes bewußt zu werden (vgl. Ad gentes, Nr. 38). Eine konkrete Form, ihrer Mitverantwortung für das Werk der Evangelisierung nachzukommen, besteht für die Bischöfe darin, Diözesanpriester in die Mission zu senden, denn für viele Kirchen ist heute der besorgniserregende Mangel an Aposteln und Dienern des Evangeliums eines der drückendsten Probleme. Und das ist die große Neuerung, die die Enzyklika Fidei donum gebracht hat. Eine Neuerung, die die territoriale Begrenzung des priesterlichen Dienstes überwunden und ihn auf die ganze Kirche ausgerichtet hat, wie auch das Konzil nahelegt: „Die Geistesgabe, die den Priestern in ihrer Weihe verliehen wurde, rüstet sie nicht für irgendeine begrenzte und eingeschränkte Sendung, sondern für die alles umfassende und universale Heilssendung ,bis an die Grenzen der Erde (Apg 1, 8), denn jeder priesterliche Dienst hat teil an der weltweiten Sendung, die Christus den Aposteln übertragen hat“ (Presbyterorum ordinis, Nr. 10). Gerade weil der Mangel an „Arbeitern im Weinberg des Herrn“ eines der schwerstwiegenden Hindernisse für die Verbreitung der Botschaft Christi ist, möchte ich diese Gelegenheit benutzen, um alle Bischöfe zu ermuntern, in ihren Bemühungen um die Förderung des Werkes der Evangelisierung großherzig zu sein und Priester in jene Gebiete zu senden, die ihrer dringend bedürfen, auch wenn ihre eigenen Diözesen nicht Priester in Überfluß haben. Pius XII. erinnerte an das Wort des hl. Paulus: „Es geht nicht darum, daß ihr in Not geratet, indem ihr anderen helft; es geht um einen Ausgleich“ (2 Kor 8, 13), und sagte: „Dennoch aber sollen die Diözesen, die unter solchem Mangel leiden, sich diesem Hilferuf für die fernen Missionen nicht verschließen. Das Scherflein der Witwe wird vom Herrn als nachahmenswertes Beispiel hingestellt. Wenn eine arme Diözese einer anderen armen Diözese hüft, wird sie dadurch keineswegs ärmer, da Gott sich 1398 Botschaften und Ansprachen an Großmut nicht übertreffen läßt“ (Fidei donum, a. a. O., S. 244; s. a. Postquam Apostoli, Nr. 10, a. a. O., S. 350). Aber nicht nur an die Priester richtet Fidei donum seinen Aufruf, sondern auch unmittelbar an die Laien, deren Mitarbeit mit den Priestern und Ordensleuten sich heute mehr denn je zuvor als wertvoll und unersetzbar erweist (vgl. Adgentes, Nr. 41). Das hat die Voraussetzung geschaffen zu einem Unternehmen, das für unsere Zeit typisch erscheint und das ich sehr empfehlen möchte: den Christlichen Internationalen Freiwilligen-Dienst (vgl. Ansprache an die Förderation Christlicher Organismen des Internationalen Freiwilligen-Dienstes, 31. Januar 1981: Insegnamenti di Giovanni Paolo II., IV, 1, 1981, S. 196-199). Zweifellos ist es der Einführung dieser Formen der Mitarbeit wie auch dem nachdrücklichen Hinweis auf den Grundsatz der Mitverantwortung des Bischofskollegiums in der Evangelisierung der Welt zu verdanken, daß sich eine missionarische Erneuerung der Kirche angebahnt hat. Den Anstoß dazu hat offensichtlich schon Pius XII. gegeben, wenn er weitblik-kend sagte: „Früher entfaltete das Leben der Kirche in seiner äußeren Erscheinung seine Kraft vornehmlich in den alten Ländern Europas, von wo aus ... es in jene Gebiete strömte, die man als die Grenzen der Erde bezeichnen könnte. Heute dagegen offenbart es einen wechselseitigen Austausch von Leben und Kräften zwischen allen Gliedern des mystischen Leibes Christi“ (Fidei donum, a. a. O., S. 235). Der grundlegende Gedanke, daß sich jede Ortskirche direkt für das Werk der Evangelisierung einsetzen muß, so gut sie kann, hat sich immer mehr durchgesetzt und ist vom Konzil weiterentwickelt und mit Nachdruck bekräftigt worden. Das hat augenscheinlich zu einer Vertiefung des Missionsbewußtseins der Teilkirchen geführt, da ihnen verständlich geworden ist, daß sie die Mentalität und die Praxis des „Delegierens“, die ihre Einstellung zu ihrer missionarischen Verpflichtung vielfach kennzeichnete, überwinden müssen. So ist in diesen Kirchen entschieden ein Wandel vor sich gegangen. Sie sind in zunehmendem Maße Hauptträger der Missionstätigkeit geworden (vgl. Ad gentes, Nr. 20), die sich persönlich dafür verantwortlich fühlen (vgl. ebd., Nr. 36-37), wie ich bei meinen Reisen nach Afrika, Lateinamerika und Asien selbst festellen konnte. Nachdem sich die Teilkirchen bewußt in die Rolle des „Subjekts der Missionstätigkeit“ hineingelebt haben, fühlen sie das Bedürfnis, Verbindung mit den Schwesterkirchen in der ganzen Welt aufzunehmen in jener „Gemeinschaft und Zusammenarbeit, die für die Durchführung des Werkes der Evangelisierung heute so notwendig ist“ (Ad gentes, Nr. 38). Sie 1399 Botschaften und Ansprachen ist einer der aktuellsten Aspekte der Mission und äußert sich in einem Austausch von Werten und Erfahrungen, der es den einzelnen Kirchen ermöglicht, aus den Gnadengaben Nutzen zu ziehen, die der Geist des Herrn überall austeilt (vgl. ebd., Nr. 20). Also kein Sich-Abkapseln seitens der Teilkirchen, kein Sich-Absondern, kein egoistisches und ausschließliches Sich-Konzentrieren auf die eigenen Probleme! Das würde nur den missionarischen Elan lähmen und unweigerlich zu einer Verkümmerung des ganzen geistlichen Lebens führen (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 64; Postquam Apostoli, Nr. 14, a. a. O., S. 353). So zeichnet sich also der neue Begriff der missionarischen Zusammenarbeit ab. Sie versteht sich nicht mehr als „Einbahnstraße“, als Hilfe, die die Kirchen leisten, sondern als fruchtbarer gegenseitiger Austausch von Kräften und Gütern im Geist brüderlicher Gemeinschaft zwischen den Kirchen. Überholt ist die Unterscheidung zwischen „reichen Kirchen“ und „armen Kirchen“, als ob es zwei verschiedene Kategorien gäbe, nämlich Kirchen, die „geben“, und Kirchen, die nur „empfangen“. In Wirklichkeit besteht eine wahre Wechselwirkung, wodurch die Armut einer Kirche, die Hilfe empfängt, die Kirche bereichert, die sich durch Geben entäußert. Mission wird auf diese Weise nicht nur zur großmütigen Hilfeleistung von „reichen“ Kirchen an „arme“ Kirchen, sondern zum Segen für jede Kirche, Voraussetzung zur Erneuerung, Grundgesetz des Lebens (vgl. Ad gentes, Nr. 37; Postquam Apostoli, Nr. 14-15, a. a. O., S. 353 ff.). Der Aufruf an die Teilkirchen, Priester und Laien auszusenden, bedeutet aber nicht - das muß unterstrichen werden -, daß die traditionellen Formen und Kräfte missionarischer Zusammenarbeit überholt oder überflüssig geworden seien, denn diese tragen immer noch die Hauptlast der Evangelisierung. Das Neue will nicht als Alternative an die Stelle des Früheren treten, sondern als Ergänzung, als eine vom Heiligen Geist angeregte Bereicherung den traditionellen Kräften zur Seite stehen. Nach dieser Erfahrung von 25 Jahren, die sich als bemerkenswert beständig und zuverlässig erwiesen hat, beginnen sich aber auch gewisse Ermüdungserscheinungen zu zeigen. Das ist teils auf die rückläufige Zahl der geistlichen Berufungen zurückzuführen, teils auf die Notwendigkeit, sich der Krisensituation zu stellen, die in vielen christlichen Gemeinschaften älterer Tradition herrscht. Angesichts des Phänomens der Entchristli-chung liegt die Versuchung nahe, sich auf sich selbst zurückzuziehen, sich nur mit den eigenen Problemen zu beschäftigen, die missionarischen Anstrengungen auf den eigenen inneren Bereich zu konzentrieren. 1400 Botschaften und Ansprachen Was jedoch vonnöten ist, ist ein neuer missionarischer Aufbruch, gestützt auf dem stets neuen Antrieb, den der Herr seiner Kirche gibt (vgl. Evangelii nuntiandi, Nr. 50), getragen von zuversichtlicher Hoffnung und vom gemeinsamen Einsatz der Teilkirchen und aller Christen. Bei der Planung dieser neuen missionarischen Initiative, die für das Leben und das Wachstum der Ortskirchen und der Gesamtkirche unerläßlich ist, möchte ich schließlich empfehlen, sich an die Päpstlichen Missionswerke zu halten, die von meinen Vorgängern als das unersetzliche Instrument der missionarischen Mitarbeit empfohlen worden sind, von denen das Konzilsdekret Ad gentes, Nr. 38 sagt, daß ihnen „mit Recht der erste Platz gebührt“ und die verdienen, in allen Diözesen verstärkt und ausgebaut zu werden. Der Weltmissionssonntag lenkt unsere Aufmerksamkeit besonders auf das Päpstliche Werk der Glaubensverbreitung. Auf seine Anregung hin hat Papst Pius XI. im Jahr 1926 diesen jährlichen Tag zur Förderung der Missionstätigkeit der Kirche eingeführt, und es ist beauftragt, im Verein mit den anderen Päpstlichen Missionswerken und unter der Leitung des zuständigen Diözesanbischofs die Feier dieses Tages zu fördern und zu organisieren. Mehr Beachtung und Unterstützung verdient auch die Missionsunion des Klerus, der die wichtige Aufgabe übertragen ist, durch Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen wie durch ein Kapillametz alle Schichten des Gottesvolkes zu mobilisieren und ihnen die Dringlichkeit des missionarischen Problems zum Bewußtsein zu bringen. Von einer entsprechenden Förderung dieser Vereinigung wird zu einem großen Teil der Grad der missionarischen Einstellung der ganzen Ortskirche abhängen, und insbesondere die missionarische Aufgeschlossenheit der Priester, an die sich die Union in erster Linie wendet. Wenn die Priester sich lebhafter und tiefer auf die apostolische Ausrichtung ihres Priestertums besinnen, werden sie sich unwillkürlich gedrängt fühlen, nicht nur auf geistige Weise, sondern auch persönlich über die Grenzen ihrer eigenen Diözese hinauszugehen und ihren Dienst den Kirchen in weitentlegenen Gebieten der Erde anzubieten, aus denen die inständigsten Hilferufe kommen. Zum Abschluß dieser Botschaft möchte ich allen - Bischöfen, Priestern, Ordensmännern, Ordensfrauen und Laien - meinen Dank dafür aussprechen, daß sie unter oft unvorstellbaren Schwierigkeiten und Opfern die besten Kräfte ihres Lebens einsetzen, um an „vorderster Front“ oder auch in der „Etappe“ die Heilsbotschaft bis an die Grenzen der Erde zu tragen, 1401 Botschaften und Ansprachen damit der Name Christi, des Erlösers, von allen Menschen erkannt und verherrlicht werde. Euch allen, verehrte Brüder und geliebte Söhne und Töchter der Kirche, erteile ich von Herzen meinen väterlichen Apostolischen Segen als Unterpfand reicher himmlischer Gnaden und als Zeichen meines steten Wohlwollens. Aus dem Vatikan, am 30. Mai 1982 PAPST JOHANNES PAUL II. „Eure Sorgen sind auch meine Sorgen“ Ansprache beim „Ad-limina“-Besuch der Bischöfe der Berliner Bischofskonferenz am 28. Oktober Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! In herzlicher Freude fühle ich mich euch bei dieser gemeinsamen Begegnung verbunden, nachdem ich bereits jeden einzelnen im Rahmen eures diesjährigen „Ad-limina“-Besuches getroffen habe. In eurer Person stehen mir die verschiedenen Seelsorgsgebiete lebendig vor Augen, die euch anvertraut sind, und vor allem die Menschen dort, die mit euch die katholische Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik bilden: die Priester, Diakone und Ordensleute, die Laienhelfer und alle Gläubigen. Seit eurem letzten derartigen Besuch bei Papst Paul VI. hat der Herr zwei herausragende Mitbrüder eurer Bischofskonferenz aus dem Hirtendienst abberufen, den hochverehrten Kardinal Bengsch und den mir ebenfalls gut bekannten Bischof Aufderbeck. Sie bleiben uns in dankbarer Erinnerung. Ihren beiden Nachfolgern erbitte ich Gottes besonderen Segen. Zugleich möchte ich in Bischof Meisner, verbunden mit einem herzlichen Glückwunsch, den neuen Vorsitzenden der Berliner Bischofskonferenz begrüßen und dem verehrten Vorgänger in diesem Amt, Bischof Schaffran, Dank und Anerkennung für seinen Dienst an der Kirche in eurem Lande bezeugen. Liebe Mitbrüder! Eure persönlichen Berichte über die seelsorgliche Lage in euren Gebieten sowie die Darstellung, die uns soeben euer Vorsitzender gegeben hat, habe ich aufmerksam und in brüderlicher Solidarität verfolgt. Laßt mich nun einige Gedanken davon aufgreifen und eurer vertieften Betrachtung anvertrauen. 1402 Botschaften und Ansprachen 1. Die gelebte und praktizierte Einheit der Bischöfe einer Ortskirche mit dem Papst als dem Bischof von Rom und dem Garanten der weltweiten Einheit der Kirche Christi ist und bleibt eine wesentliche Bedingung für die notwendige innere Freiheit und Selbstbestimmung jeder Ortskirche. Diese Einheit macht sichtbar, daß der Verbund der Ortskirchen der Welt die im staatlichen Bereich gegebenen Grenzen überschreitet. Kirchliche Gemeinschaft ist deutlich unterschieden von jeder politischen Organisationsform. Eine katholische Ortskirche kann wesensgemäß niemals zu einer reinen Landeskirche werden; sie ist immer katholische Kirche in einem Land. Den Internationalismus, den moderne Staaten heute in verschiedener Weise zu einem Wert und Ziel ihres Handelns machen, hat die Kirche bereit seit ihren Anfängen auf ihre Weise praktiziert. Mit dem Namen „katholisch“ bezeichnen wir eben diese grenzüberschreitende Wesensart der Kirche. Durch die heutige mitbrüderliche Begegnung mit ihrem freimütigen, vertrauensvollen Gedankenaustausch realisieren wir diesen katholischen Charakter der Kirchen. Ich darf euch dabei versichern, daß eure Freuden auch meine Freuden sind, so wie auch ich mir von euch ein geistiges Mittragen meiner Aufgaben und Lasten erhoffe. 2. Die innerlich bejahte und vollzogene Einheit mit dem Papst und der weltweiten Kirche gibt euch dann auch die Kraft, die Einheit innerhalb eurer Bischofskonferenz beständig und aufmerksam zu leben. An sich berechtigte Einzehnteressen oder unterschiedliche Bewertungen sind dabei immer wieder neu untereinander abzuwägen, um zu einer gemeinsamen Linie integriert werden zu können. Dies gibt dann dem einzelnen Oberhirten eine wertvolle Hilfe und eine größere Sicherheit bei der Suche nach pastoralen Antworten auf die Probleme seiner Gläubigen. Die Bereitschaft, solche gemeinsamen Handlungsmaximen herzustellen und zu vertreten, wird natürlich um so größer sein, je besser das brüderliche Zusammenwirken aller Mitgüeder eurer Konferenz gesichert wird und je mehr sich jeder einzelne unter euch mit seinen speziellen Anliegen und Vorschlägen verstanden fühlt. Bedenkt dabei auch, daß die überzeugend gelebte Einheit unter euch Bischöfen ein starkes Motiv für den Willen zur Einheit bei euren Priestern darstellt. Dankbar möchte ich an dieser Stehe bemerken, daß diese innere Einheit eurer jeweiligen Presbyterien bisher stark und vorbildlich gewesen ist. 3. Aus solcher inneren Einheit erwächst euch dann auch der Mut, brüderliche Beziehungen zu den Kirchen in euren Nachbarländern zu unterhalten. Nach dem Maß eurer Möglichkeiten übt ihr diese besondere „katholische“ Verantwortung seit längerem bereits in mannigfacher Weise aus. Ich möchte euch darin bestärken, diese lebenswichtigen Kontakte fortzu- 1403 Botschaften und Ansprachen setzen und so in christlicher Solidarität Glauben zu festigen und das Gefühl der Isolation zu mildern. Aber auch die Kirchen in der sogenannten Dritten Welt verdienen eure wache und herzliche Aufmerksamkeit. In lebendigem beiderseitigem Austausch können diese euch dazu verhelfen, die eigenen Bedrängnisse nicht zu überschätzen und im jugendlichen Glaubenszeugnis der anderen Ermutigung für den eigenen Weg zu finden. An dieser Stelle bitte ich euch, euren Gläubigen ein Wort dankbarer Anerkennung für die praktische Hilfe zu übermitteln, die sie durch das bischöfliche Werk „Not in der Welt“ den Menschen in jenen Gebieten zukommen lassen. 4. Gewiß erlebt ihr eure Ortskirche zusammen mit euren Priestern und Gläubigen oft nur als kleine Herde; dennoch ist sie Trägerin der Verheißungen Christi für euer ganzes Land. Diese Situation macht den Charakter des Evangeliums als Licht, als Sauerteig und Salz besonders anschaulich und sollte darum kein Anlaß für Kleinmut sein. Wenn ihr euch immer wieder aus einer tief und fromm gefeierten Liturgie Kraft und Sendung geben laßt für ein eindeutiges christliches Lebenszeugnis in eurer Umwelt, kann der Geist Gottes durch euch auch heute noch blinde Augen für die Wahrheit Christi öffnen. Eine wichtige Aufgabe bleibt dabei immer der Aufweis der wahren Würde des Menschen und die glaubwürdige Darstellung christlicher Hoffnung und realistischer Gelassenheit gegenüber einer um sich greifenden pessimistischen Lebenssicht. Besonders aktuell ist auch die Antwort der Kirche auf die Fragen vor allem der jungen Menschen nach der Natur des Friedens, wie Christus ihn verkündet, gelebt und geschenkt hat, sowie nach den konkreten Wegen, wie wir uns in der heutigen Situation diesem Frieden nähern können. Hierüber sollte auch ein Gedankenaustausch mit den evangelischen Gemeinschaften versucht werden. 5. Dankbar möchte ich einige besondere pastorale Initiativen erwähnen, die als Impulse auch in benachbarte Ortskirchen und in die Weltkirche ausgegangen sind. Vor allem nenne ich die Diakonatshelfer, die bei euch seit vielen Jahren auf den Außenstationen das Volk Gottes zum Gottesdienst versammeln, das Evangelium verkünden und die heilige Kommunion austeilen. Die systematische Kinderkatechese in den Ferienmonaten ist seit langem bei euch fest eingeführt und hat sich gut bewährt, so daß sie von anderen Ortskirchen als nachahmenswertes Beispiel angesehen wird. Mit besonderer Freude stelle ich fest, daß ihr ein wohlorganisiertes Werk karitativer Arbeit mit Krankenhäusern, Altersheimen, Behindertenheimen und Kindergärten unterhaltet. Trotz zurückgehender Ordensberufe, so höre ich, führt ihr diese Häuser mit viel Einsatz und Geschick weiter. 1404 Botschaften und Ansprachen Den vielen selbstlosen Mitarbeitern jener Werke sowie den ihnen anvertrauten hilfsbedürftigen Menschen fühle ich mich besonders verbunden. 6. Wenn diese lobenswerte Lebendigkeit eurer Gemeinden fortdauern und vielleicht noch vertieft werden soll, müssen immer wieder neu geistliche Berufungen bei euch geweckt und gefördert werden, um das Zeugnis der vollen Nachfolge Christi als Priester und Diakon, als Ordensmann und Ordensfrau in euren Gemeinden zu garantieren und so deren lebendige Einheit mit dem Herrn zu sichern. Für die jungen Menschen in euren Ausbüdungsstätten zum Priesterberuf sowie in den verschiedenen Ordenshäusem trage ich euch meine herzlichen Grüße und guten Wünsche für ein gesegnetes Voranschreiten auf dem erwählten Wege auf. Mit euren Priestern aber teilt Sorge und Leid, Freude und Hoffnung in Gesinnung, Wort und Tat! Achtet darauf, daß die notwendige Solidarität mit euren Presbyterien bei allen unterschiedlichen Lebensbedingungen gewahrt bleibt! Die heiligen Bischöfe Norbert und Benno mögen euch immer bei Gott diese unverbrüchliche und zugleich herzliche Einheit der Jünger Christi erbitten. Liebe Mitbrüder! Wenn ihr nun wieder zu euren Gemeinden zurückkehrt, dann versichert eure Gläubigen meiner innigen Verbundenheit und liebevollen Zuneigung! Segnet sie alle in meinem Namen, vor allem die Kinder, die alten Menschen, die Kranken, die Bedrängten. Der Friede Christi wohne in euch in Fülle! (O. R. 29. 10. 82) Staat und Kirche müssen die Grundwerte verteidigen Ansprache an den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Prof. Dr. Karl Carstens, beim Staatsbesuch im Vatikan am 28. Oktober Sehr geehrter Herr Bundespräsident! 1. In froher Erinnerung an meine Pastoraireise in die Bundesrepublik Deutschland heiße ich Sie und Ihre Begleitung sehr herzlich im Vatikan willkommen. Ich danke Ihnen für Ihren heutigen offiziellen Besuch, durch den Sie zugleich meine Begegnung mit Ihnen und mit verantwortlichen Vertretern aus Staat und Gesellschaft im Schloß Augustusburg erwidern. Ich grüße in Ihnen den höchsten Repräsentanten eines Volkes, das sich 1405 Botschaften und Ansprachen durch seine Lebenskraft und geistige Ausstrahlung in der Gemeinschaft der Völker einen angesehenen Platz erworben hat. Seine Geschichte und Kultur, denen ich schon während meines Pastoralbesuches meine hohe Wertschätzung bekunden durfte, sind von ihren frühen Anfängen an tief geprägt von der fruchtbaren Begegnung mit dem Christentum. Auch heute noch bekennt sich - trotz tiefgreifender geistiger Wandlungen in der modernen, säkularisierten Welt - der weitaus größte Teil der deutschen Bürger zur christlichen Religion. 2. Meine denkwürdige Deutschlandreise und Ihr heutiger persönlicher Besuch unterstreichen die freundschaftlichen Beziehungen, die auch auf offizieller Ebene zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Hl. Stuhl bestehen. Sie sind zugleich getragen von einem vertrauensvollen partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Ihrem Land. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert ihre gegenseitige rechtliche und organisatorische Unabhängigkeit. Über die verfassungsrechtlichen Bestimmungen hinaus besteht - im Einklang mit einer bewährten geschichtlichen Tradition - auch eine Reihe von Konkordaten und gemeinsamen Vereinbarungen, die in besonderem Maße geeignet sind, das gute Einvernehmen und Zusammenwirken zwischen Staat und Kirche auf Dauer und im Geist echter Partnerschaft zu gewährleisten. Mit Freude dürfen wir feststellen, daß das Verhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland der Kirche in beispielhafter Weise ein hohes Maß an Freiheit gewährt. Es bietet ihr günstige äußere Voraussetzungen für die Erfüllung ihres Auftrages, nämlich der Verkündigung der Frohen Botschaft durch das Wort und das karitative Werk. Die Kirche betrachtet dabei ihren Auftrag als einen Dienst am Menschen, der zugleich Bürger des Staates und Christ ist. 3. Die Freiheit, derer sich die Kirche in Ihrem Land erfreut, gibt ihr auch eine gesteigerte Verantwortung in der aktiven Mitgestaltung der Gesellschaft. Dieser konkrete Dienst der Kirche ist um so dringlicher in einer Zeit, da eine wachsende Mißachtung menschlicher Grundwerte die Fundamente der gesellschaftlichen Ordnung untergräbt und den Menschen selbst in seiner innersten Würde bedroht. Ich freue mich über den Ernst, mit dem in Ihrem Land in der Öffentlichkeit unter lebhafter Veteidigung der Kirche über die unverzichtbaren Grundlagen für ein gutes Zusammenleben der Menschen diskutiert wird. Staat und Kirche müssen sich in verstärktem Maße um die Wahrung allgemeinverbindlicher Werte bemühen. Ich bekunde Ihnen, sehr verehrter Herr Bundespräsident, meine aufrichtige Wertschätzung für das hohe Engagement, mit dem Sie persönlich aus christlicher Überzeugung für die Verteidigung dieser Grundwerte 1406 Botschaften und Ansprachen in der heutigen Gesellschaft eintreten und diese vor allem der Jugend immer wieder als verpflichtende Aufgabe vor Augen stellen. In diesem Zusammenhang kommt dem wirksamen Schutz und der Förderung der Familie, des „Ursprungs und Fundaments der menschlichen Gesellschaft“, wie das Konzil sie nennt (Apost. act., Nr. 11), eine außerordentliche Bedeutung zu. Aus derselben Überzeugung stellt auch die Verfassung Ihres Landes die Ehe und Familie „unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ (Art. 6). Denn es gibt in der heutigen Gesellschaft kaum etwas, was zugleich so zukunftsweisend und so bedroht ist wie diese ursprünglichste der menschlichen Gemeinschaften. Dasselbe gilt in zunehmendem Maße für das menschliche Leben selbst. Möge der Auftrag Ihrer Verfassung zur Sicherung und Förderung der Familie voll zur Ausführung gelangen und das Leben als das höchste dem Menschen anvertraute irdische Gut wieder neu die ihm gebührende uneingeschränkte Achtung erfahren. Es ist mein aufrichtiger Wunsch, daß die Initiative „Wähle das Leben“, die die deutsche Kirche in diesen Wochen in Ihrem Land begonnen hat, möglichst viele ermutigt, im privaten und öffentlichen Bereich das menschliche Leben zu schützen und zu fördern. 4. Als ein besonders gelungenes Werk staatlich-kirchlicher Zusammenarbeit in der Bundesrepublik Deutschland möchte ich den Einsatz zugunsten der Völker in der Dritten Welt erwähnen. Angesichts des Elends und der großen Not, die in vielen Völkern, statt sich zu verringern, noch immer zu wachsen scheinen, ist sehr zu wünschen, daß die deutsche Bevölkerung ihre hochherzigen Hilfeleistungen durch Staat und Kirche unvermindert fortsetzt. Ebenso verfolge ich mit großer Anteilnahme die Anstrengungen der christlichen Kirchen, aber auch anderer Gruppen, die sich in ihrem Land um ein gutes Klima und um geeignete Entfaltungsmöglichkeiten für die Ausländer bemühen, die bei Ihnen Gastrecht gefunden haben. Es würde einem humanen Fortschritt im besten Sinn dienen, wenn es gelänge, auch in der Ausländerfrage so wirkungsvoll zwischen Staat und Kirche zum Wohl der betroffenen Menschen zusammenzuwirken, wie dies seit vielen Jahren in der Hilfe für die Entwicklungsländer geschieht. Wichtige Bereiche für eine enge Zusammenarbeit zwischen der Bundesre-pulik Deutschland und dem Hl. Stuhl sind vor allem die gemeinsame Sorge für einen dauerhaften Frieden unter den Völkern und der Einsatz für die Verwirklichung einer größeren sozialen Gerechtigkeit in der Welt. Die Erhaltung des Weltfriedens erfordert das energische Eintreten für die Achtung der Menschenrechte und entschlossene Anstrengungen für eine allgemeine Abrüstung. Kühne und schöpferische Entscheidungen sind erforderlich, um innerhalb der ganzen Menschheitsfamilie den Geist der 1407 Botschaften und Ansprachen Solidarität und weltweiter Hilfsbereitschaft zu festigen, der allein die Menschen und Völker vor neuem, noch größerem Unheil zu bewahren vermag. Im Hinblick auf unsere gemeinsame Verantwortung für Europa wiederhole ich die Worte, die ich am Ende meines Pastoralbesuches in München gesagt habe: „Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um dem Leben und dem Zusammenhalt der Menschen und Nationen dieses Kontinents eine neue Grundlage und Form zu geben und so die Folgen der entsetzlichen Erfahrung unseres Jahrhunderts zu überwinden“ (Ansprache in München am 19. November 1980); Folgen, die auch Deutschland noch immer spürt. 5. Sehr verehrter Herr Bundespräsident! Ich kann meinen Willkommensgruß an Sie und Ihre Begleitung nicht schließen, ohne daß ich in Ihnen zugleich alle Bürger Ihres geschätzten Landes, besonders die Katholiken unter ihnen und alle, die sich zum christlichen Glauben bekennen, herzlich grüße. Die Konfessionen haben durch einen langen, schmerzhaften Prozeß zu einem brüderlichen Miteinander gefunden im Bewußtsein der Gemeinsamkeiten des Glaubens und der Verantwortung für das Gemeinwesen. Möge der innere und äußere Frieden Ihrem Land stets erhalten bleiben und sich in Freiheit und sozialem Fortschritt weiter festigen. Ihnen und der Deutschen Bundesregierung sowie allen Ihren Mitbürgern erbitte ich von Herzen Gottes bleibenden Schutz und Segen. (O. R. 29.10.82) „Nun können die Früchte der Ernte gesammelt werden“ Glückwunschschreiben an Kardinal Joseph Höffner zu dessen 50jährigem Priesterjubiläum vom 30. Oktober An meinen ehrwürdigen Bruder, den hochwürdigsten Herrn Kardinal Joseph Höffner, Erzbischof von Köln! Dem Fest Allerheiligen, das die gesamte Kirche in Kürze feiern wird, geht ein anderes Fest voraus, ein Fest Deiner persönlichen Freude, ehrwürdiger Bruder, das Du am 30. Oktober dieses Jahres, dem 50. Jahrestag Deiner Priesterweihe, fromm und würdig feierst. An diesem Tag freuen 1408 Botschaften und Ansprachen sich nicht nur die Gläubigen in Köln, sondern auch die Freunde und die vielen Schüler, die Du ausgebildet hast, in besonderer Weise mit Dir. Zu ihnen aber, ehrwürdiger Bruder, zähle auch mich, der ich schon immer Deine Tugend, Klugheit und Weisheit hochgeschätzt und sie nach Übernahme des Pontifikats besonders herausgestellt habe. Während ich also nach den Worten meines Vorgängers, des hl. Gregors des Großen (vgl. Ad Eulog. 8, 30: PL 77, 933), gewohnt bin, mich über die Verehrung und Liebe, die den ehrwürdigen Brüdern im Bischofsamt zuteil wird, zu freuen, freue ich mich über das, was aus passendem Anlaß zu Deinen Ehren gesagt und getan wird, ganz außerordentlich. Denn Gott hat Großes an Dü getan und durch Deinen Dienst an der ganzen Kirche. Er hat Dich aus der allgemeinen Schar der Gläubigen erwählt und zum Priestertum berufen, indem er Dein Herz zu gutem und richtigem Handeln hinwendete. Und die Hoffnung bezüglich des Ausgangs täuschte nicht, wie Deine außerordentliche Frömmigkeit, Deine Lehre, Dein Einsatz für die Ehre Gottes und Deine Sorge um das Heil der Seelen beweisen. Mit Deiner reichen und fruchtbaren Begabung hast Du viel Nützliches erforscht, das Deinen Schülern und anderen dienlich war. Denn es war immer die Eigenheit Deines Geistes, daß Du nicht endlos an die Dinge herangegangen bist, sondern auf das, dessen unsere Zeit bedarf, und seine entsprechende praktische Anwendung zieltest. Und das immer mit jener Liebe zur Wahrheit, mit jener Ehrfurcht gegenüber der Küche und mit jener Sorge um das Heil ihrer Söhne und Töchter, die sowohl Deine Schriften wie Deine Taten erkennen lassen. Zunächst als Bischof von Münster und danach als Erzbischof von Köln (zu dem Du 1969 ernannt wurdest) hast Du in der Tat Deine väterliche Hirtensorge, wenn das überhaupt möglich war, geradezu ins Unermeßliche gesteigert. Denn durch das Bischofsamt (20 Jahre haben Dich das gelehrt!) hast Du Dich nicht nur in die Ehre der Apostel wie in ein Kleid gehüllt (vgl, Ps 104, 2), sondern Du hast auch die Last ihrer Aufgaben und Pflichten übernommen, von denen jeder weiß, wie schwer sie sind. Du aber, ehrwürdiger Bruder, ausgerüstet mit Tugend, ausgestattet mit Lehre, erfahren in praktischen Dingen, erfüllt von fester Hoffnung und unerschrockener Liebe, hast in der Gesinnung, die die Umstände erforderten, die Sache Deiner Gläubigen gefördert, indem Du Dich um die Unversehrtheit des Glaubens, die Heiligkeit der Familie, die Zahl und Tugend der Priester, also um die Erhaltung und Mehrung des Erbes der Küche überall gekümmert hast; und nun können die reifen Früchte der Ernte gesammelt werden. Im übrigen ist überhaupt Deine Verbundenheit mit uns und diesem ehrwürdigen Stuhl Petri beachtenswert. 1409 Botschaften und Ansprachen Es war also nicht verwunderlich, daß Du im Jahr 1969 in die Reihe der Purpurträger der Kirche aufgenommen und zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt wurdest. Während ich Dir, ehrwürdiger Bruder, darum mit Recht für all das danke, was Du Nützliches für die Kirche getan hast, beglückwünsche ich Dich ganz herzlich und wünsche Dir sowie auch den Weihbischöfen, dem Klerus und dem Volk von Köln alles Heilige, Gute und Glückliche mit dem Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 30. Oktober 1982, im vierten Jahr meines Pontifikats. (O. R. 31.10. 82) PAPST JOHANNES PAUL II. Die Gnade war auf guten Boden gefallen Predigt bei der Heiligsprechung von Marguerite Bourgeoys und Jeanne Delanoue im Petersdom am Sonntag, 31. Oktober Liebe Brüder und Schwestern! 1. „Kommt und seht alle die Werke, die Gott getan hat“ (Eröffnungs-vers). Wir feiern heute, was der Geist Gottes in Marguerite Bourgeoys und Jeanne Delanoue, die vor ungefähr 300 Jahren lebten, gewirkt hat. Bereits mein Vorgänger Pius XII. hatte sie auf Grund ihrer heorischen Tugenden zu Sehgen erklärt. Wenn wir sie heute mit der Gewißheit und Autorität, die den Ritus der Kanonisierung kennzeichnen, in die Zahl der Heiligen aufnehmen, stellen wir sie nicht nur ihren Diözesen Troyes und Angers, der Stadt Saumur oder den beiden von ihnen gegründeten Kongregationen, sondern der ganzen Kirche als Beispiel hin und laden alle Christen ein, sie als Heilige zu verehren und sich an sie um Fürsprache zu wenden. Der heutige Tag ist ein Tag der Freude und des Stolzes für ihre französischen und kanadischen Landsleute, die hier von bedeutenden Delegationen vertreten werden. Ich begrüße sie alle herzlich. Es ist aber vor allem ein Tag des Dankes an Gott seitens der Universalkirche. An diesem Tag, der durch eine glückliche Fügung mit der Vigü des Allerheiligenfestes zusammenfällt, wird unsere Hoffnung auf das ewige Leben gestärkt, an dem im Himmel die hl. Marguerite Bourgeoys und die hl. Jeanne Dela- 1410 Botschaften und Ansprachen noue, erfüllt von der Gegenwart Gottes, der Liebe ist, teilhaben. Und unser tägliches Leben auf dieser Erde erhält Anregung aus der Weise, wie sie auf den Anruf dieser Liebe geantwortet haben. Sie haben das in authentischer Form getan, das heißt in einer Form, die ganz in den Rahmen ihrer Zeit hineingestellt war. Das, worauf es ankommt, ist nicht so sehr, sie wortwörtlich nachzuahmen, sondern mit ihnen Jesus Christus nachzuahmen. Aber ihre vom Heiligen Geist inspirierten Intuitionen bleiben für uns und die heutige Welt wertvolle Hinweise. 2. Einen ersten Schlüssel zum Verständnis der Berufung der beiden Heiligen liefert uns das Evangelium dieser Messe. „Maria . . . eilte in eine Stadt . . ., ging in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth . . . Da wurde Elisabeth vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme . . . In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Selig ist die, die geglaubt hat!“ (Lk 1, 39-45). Es ist tatsächlich der Heilige Geist, der in jeder der beiden neuen Heiligen eine plötzliche und entscheidende Verwandlung bewirkt hat, als sie das Erwachsenenalter erreichten - 25 bzw. 27 Jahre -, und das im Rahmen eines Gebets zur Jungfrau Maria. Für Marguerite Bourgeoys war es am Fest Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz, und die selige Jungfrau hat seit damals Marguerite während ihres ganzen Lebens in ihren kühnen Initiativen voll unterstützt: „Geh, ich werde dich nicht verlassen.“ Wenn Marguerite sich dann in ein missionarisches Leben stürzt, das ein „Leben auf Reisen“ rund um die „Stadt Mariens“ (Ville-Marie) in der neuen kanadischen Welt sein sollte, ahmt sie die Jungfrau Maria auf dem Besuch nach, die Elisabeth und Johannes dem Täufer, der Mutter und dem Sohn, mit dem menschlichen Dienst ihrer Liebe das Gottesgeschenk brachte, das sie in sich trug, um sie zu heiligen. Die erste Kapelle, die sie errichten ließ, ist Unserer Lieben Frau von der immerwährenden Hilfe geweiht, und ihre Kongregation wird der Muttergottes geweiht sein. Ebenso läßt sich die Bekehrung der Jeanne Delanoue, die zu Pfingsten erfolgte, nicht von dem Heiligtum Notre-Dame des Ardilliers in Saumur trennen: eine glühende, arme Pügerin dieses Heiligtums, Franchise Souchet, übermittelte ihr Aufforderungen, in denen Jeanne den Anruf des Geistes der Liebe erkannte. Jeanne Delanoue wird eine mystische Vertrautheit mit der Jungfrau Maria bewahren. Und das Beispiel des jungen Pater Gri-gnion de Montfort konnte sie auf diesem Weg nur ermutigen. Sicher ist die Gnade auf guten Boden gefallen; es handelte sich um junge Mädchen, die in soliden, bedürftigen, gutchristlichen Familien aufgewachsen waren; aber der Heilige Geist dringt durch die Jungfrau Maria in sie ein, ohne ihnen dabei je eine realistische Sicht der Dinge zu rauben, mit 1411 Botschaften und Ansprachen einer Liebesglut, die ihre Gnade als Getaufte bis zum äußersten Maß zur Entfaltung bringen sollte. „Selig sind die, die geglaubt haben!“ Wir wollen uns nun mit einem spezifischen Zug ihres Apostolats befassen. 3. Was die hl. Marguerite Bourgeoys betrifft, wird man vor allem ihren eigenständigen Beitrag zur Förderung der Familien, der Kinder, der künftigen Eheleute und der Eltern berücksichtigen. Sie, die man in Montreal die „Mutter der Kolonie“ nannte, hätte wie der hl. Paulus sagen können: „Wir sind euch freundlich begegnet: Wie eine Mutter für ihre Kinder sorgt, so waren auch wir euch zugetan und wollten euch nicht nur am Evangelium Gottes teilhaben lassen, sondern auch an unserem eigenen Leben“ (1 Thess 1, 7-8). Bereits als junges Mädchen in Troyes hatte sie sich zusammen mit anderen Gefährtinnen den armen Familien der Vorstadtviertel zugewandt, um dort deren Kinder zu unterrichten, und in ihrer eigenen Familie, wo es ein Dutzend Kinder gab, mußte sie sich nach dem Tod ihrer Mutter des Haushalts und der Erziehung ihrer Geschwister annehmen. Aber ihre missionarische Sorge, die sie auf den Spuren der kanadischen Märtyrerheiligen in die neue Welt Amerikas gezogen hatte, völlig mittellos und ohne Besitz und Geld, widmete sie dort vor allem den Kindern als Laienlehrerin. Diese Aufgabe der Volksschullehrerin erfüllte sie mit Sachkenntnis, ohne Unterschiede zwischen den Indianermädchen und den Töchtern der französischen Siedler zu machen; sie schätzte und achtete sie alle „als Blutstropfen unseres Herrn“. Sie wollte sie durch eine umfassende Erziehung darauf vorbereiten, gute Frauen und Mütter zu werden. Dabei handelte es sich natürlich vor allem darum, sie zum Glauben, zur Frömmigkeit, zum christlichen Leben und zum Apostolat zu erziehen, aber auch darum, sie in die Kunst der Hauswirtschaft und die praktischen Arbeiten einzuführen, die es ihnen ermöglichen würden, von ihrem Arbeitslohn ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und vor allem ihr Leben am häuslichen Herd (ob einem reichen oder armen) zu formen oder abwechslungsreicher zu gestalten. Anstand und intellektuelle Bildung standen ebenfalls auf dem Programm; das Ergebnis war, daß ihre Mädchen fast gebildeter waren als die Jungen; eine Wegbereiterin der zu jener Zeit seltenen Förderung der Frau. Sie vertraute auf die Fähigkeiten der Indianerinnen, die nicht zögerten, Lehrerinnen zu werden. Da ist noch eine Besonderheit anzuführen: Statt die Schüler in einem Pensionat in der Großstadt unterzubringen - das war übrigens einer der Gründe, warum sie für ihre Schwestern der Säkulargenossenschaft von Notre-Dame ein klausuriertes Leben ablehnte -, zog sie Schulen am Ort, unter der Bevölkerung vor, Schulen, die stets offen sind für die Präsenz und die 1412 Botschaften und Ansprachen Anregungen der Eltern, denn es geht nicht an, daß die Schule an ihre Stelle tritt. Und Marguerite Bourgeoys hielt es nicht für weniger unentbehrlich, den Grund für solide und gesunde Familien zu legen. Sie sollte damit zur Lösung eines für diesen Ort und für diese Zeit ganz spezifischen Problems beitragen. Den Männern, die als Soldaten oder Siedler in dieses Land der Neuen Welt gekommen waren, fehlte es für die Realisierung eines Zentrums der Glaubensverkündigung in Ville-Marie, das sich von anderen Kolonisierungen unterscheiden sollte, an guten Ehefrauen. Marguerite Bourgeoys ließ möglichst kräftige und tugendhafte Mädchen aus Frankreich suchen und ihnen ihr erzieherisches Können zuteil werden. Sie wachte über sie wie eine Mutter mit Liebe und Vertrauen, sie nahm sie in ihr Haus auf, um sie auf die Rolle zuverlässiger, christlicher, gebildeter, fleißiger und ausstrahlender Ehefrauen und Mütter vorzubereiten. Gleichzeitig war sie diesen rauhen Männern behilflich, verständnisvolle Ehegatten und gute Väter zu werden. Aber dabei machte sie nicht halt. Wenn die Familien gegründet waren, gewährte sie ihnen weiterhin die notwendige materielle Unterstützung im Falle von Not oder Krankheit und sorgte dafür, daß vor allem den Frauen Gelegenheit zur Erholung, zur gemeinsamen Freundschaft geboten wurde, damit sie in ihrer Entschlußkraft gestärkt und erneuert wurden, Gelegenheit zur Vertiefung der Spiritualität, unter denen sie Einkehrtage oder auch Zusammenkünfte nennt. Kurz, das, was man heute mit den Methoden, Institutionen und Vereinigungen unserer Zeit für eine qualifizierte Erziehung, Ehevorbereitung, Familienberatung und -hilfe zu tun sucht, scheint in anderer Form im Geist und in den Initiativen der Marguerite Bourgeoys bereits im Keim vorhanden zu sein. Für die Christen bedeutet es eine große Freude und Ermutigung, wenn das, was die letzte Synode über die Familie gesagt hat und was ich im vergangenen Jahr in dem Apostolischen Schreiben Fami-liaris consortio der Kirche unterbreitet habe, entschlossen in die Tat umgesetzt wird. Könnte doch die gesamte heutige Gesellschaft, auf der Ebene ihrer höchsten zivilen Instanzen, auch davon überzeugt werden, daß sich keine langfristige Lösung finden läßt, wenn man nicht der Familie ihren zentralen Platz und die Bedingungen für ihre Stabilität und ihre Entfaltung zurückgibt! Daß man, wenn eine Familie eine Krise durchmacht, nicht von ihr abläßt, und nicht, um sie zu kritisieren und zurückzuweisen - das fürchtete unsere Heilige -, sondern um sie zu fördern, ihr Vertrauen zu stärken und ihr bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu helfen, ohne ihre Eigendynamik verdrängen zu wollen. 1413 Botschaften und. Ansprachen Und vergessen wir nicht, daß Marguerite Bourgeoys in ihrem erstaunlichen Werk von ihrer Verehrung für die Heilige Familie getragen wurde und sie inmitten ärgster Schwierigkeiten - „Sorgen und Mühen“ - den Familien mit der Liebe gedient hat, die vom Heiligen Geist kommt. 4. Die hl. Jeanne Delanoue, das letzte von zwölf Kindern, ist auch den Familien zu Hilfe gekommen, aber das geschah im Milieu ihrer Heimatstadt Saumur, am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, das von großen materiellen und sozialen Schwierigkeiten gekennzeichnet war, die durch Hungersnöte, Mißernten und strenge Winter noch verschärft wurden. Hervorzuheben ist vor allem ihre wirksame Hilfe für die Ärmsten. Sie, die zunächst als kluge und interessierte Geschäftsfrau bekannt war, wurde plötzlich zu „einer ganz großen Verschwenderin in der Liebe“, als der Heilige Geist „das Feuer ihrer Knauserei“ löschte und sie begreifen ließ, daß ihr glühender Glaube auch „das Feuer der Liebe“ verlangte, und sie die Größe der Armut erfassen ließ. Das Buch Jesaja sagte uns vorhin: „. . . den Hungrigen dein Brot zu geben, die Armen aufzunehmen, die keine Wohnung haben, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und deinen Bruder nicht im Stich zu lassen“ (Jes 58, 7). Jeanne Delanoue hat das im buchstäblichen Sinn verwirklicht: Sie besuchte die Menschen, die wie Tiere in Ställen hausten, brachte ihnen Nahrung und Kleidung, wusch ihre Kleider und gab ihnen notfalls ihre eigenen, sie bemühte sich, diese Elendsquartiere zu heizen, sammelte die auf, die sie unterwegs antraf, begann sie in ihre eigene Unterkunft aufzunehmen, dann richtete sie nach und nach drei Häuser ein, die man ihr überlassen hatte und die sie „Vorsehung“ nannte, um dort Waisenkinder, sich selbst überlassene junge Mädchen, in Not geratene Frauen, alte und bedürftige, von Hunger und Kälte heimgesuchte Menschen aufzunehmen, kurz alle, die am Tag des letzten Gerichts zu ihr sagen würden: Ich hatte Hunger, Durst, ich war nackt, krank, ohne Wohnung. Sie hat niemals einen Unterschied zwischen Armen gemacht, die ihre Fürsorge verdienten, und solchen, die das nicht taten. Sie hat ihnen allen geholfen, aber sie trachtete auch, sie an ihrer Arbeit teilnehmen zu lassen, die Kinder und jungen Mädchen einen Beruf zu lehren. Sehr häufig machte Jeanne Delanoue die Erfahrung, wie die Armen gedemütigt wurden, wenn sie manchmal selbst betteln ging, sich so schlecht wie diese Ärmsten ernährte, nicht zu reden von ihrem ständigen Fasten, ihren kurzen und unbequem verbrachten Nächten. Sie wollte, daß ihre Schwestern im selben Haus wie die Armen wohnen, daß sie essen wie diese, daß sie im Krankheitsfall behandelt werden wie diese und sich in ein einfaches graues Kleid kleiden. Ihre Armen umgibt sie mit Zärtlichkeit, 1414 Botschaften und Ansprachen manchmal bereitet sie ihnen Festmahlzeiten; sie verlangt von den Schwestern, daß sie diese mit Achtung grüßen, sie zuerst bedienen. Die Bürger ihrer Stadt, selbst Priester kritisierten ihre „übertriebene“ Strenge und ihre „zügellose“ Nächstenliebe. Aber nichts wird sie zurückhalten, nicht einmal der Einsturz ihres ersten Aufnahmequartiers für Arme: „Ich will leben und sterben mit meinen lieben Brüdern, den Armen.“ In Frankreich hatten bereits andere Initiativen, wie die aus der Nächstenliebe des hl. Vinzenz von Paul erwachsenen, Verbreitung gefunden. Aber in Saumur fehlte zu jener Zeit noch ein Heim für Alte und Kranke, und Jeanne Delanoue wollte einen karitativen Dienst für die Bedürftigen und die sich selbst überlassenen Kranken ins Leben rufen, einen Besuchsdienst organisieren und eventuell kleine Schulen für ihre Kinder einrichten. Zu ihrer Zeit trachtete sie, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln der Armut und dem Vagabundentum abzuhelfen. Ihr Beispiel wird bestimmt auch unsere moderne Welt ansprechen. So viele Länder leben in großer Armut! Und selbst den Industrienationen fehlen die i materiellen Sorgen nicht; auch sie haben ihre Armen aller Art. Man wird sich heute vielleicht mehr damit befassen, die Ursachen dieser Not ausfindig zu machen, gerechtere Lebensbedingungen für alle zu schaffen, Vorsorgemaßnahmen zu treffen, den Armen zu helfen, daß sie ihre Sache selbst in die Hand nehmen und sich nicht nur helfen lassen. Aber auch die Aufmerksamkeit auf die Bedürftigen, die Liebe zu den Armen, die unmittelbare und wirksame Hilfe bleiben grundlegend, um der in unserer Welt bekannten Härte abzuhelfen. Deshalb sagt Jesaja, daß das „Licht in der Finsternis aufgeht“ (Jes 58, 10). Schließlich ist es, wenn wir die Heiligkeit von Jeanne Delanoue verkünden, wichtig, zu versuchen, das geistliche Geheimnis ihrer unvergleichlichen Opferbereitschaft zu begreifen. Es scheint nicht, daß ihr Temperament sie aus Sentimentalität oder Mitleid zu den Armen geführt hätte. Sondern der Heilige Geist ließ sie in diesen Armen Christus erkennen, das Christuskind in ihren Kindern - für es empfand sie eine ganz besondere Verehrung -, Christus als Freund der Armen, den gedemütigten, gekreuzigten Christus. Und mit Christus wollte sie den Armen die Liebe des Vaters erweisen. An diesen Gott wandte sie sich mit kindlicher Kühnheit, indem sie von ihm, von seiner Vorsehung alles erwartete; „Vorsehung“ war denn auch der Name, mit dem sie ihre Häuser und zuerst ihre Ordensgründung bezeichnete: die Kongregation der hl. Anna von der Vorsehung. Ihre ständige Hingabe an Maria war nicht zu trennen von der Heiligsten Dreifaltigkeit. Das eucharistische Geheimnis stand im Mittel- 1415 Botschaften und Ansprachen punkt ihres Lebens. Das alles war weit entfernt vom Jansenismus ihrer Umgebung. Ihre Anhänglichkeit an die Kirche hielt sie davon ab, neue Wege einzuschlagen, ohne ihre Beichtväter und den Bischof der Diözese zu konsultieren. Aber es würde wohl nicht genügen, hier von einer vernünftigen Theologie, von einer reichen, im übrigen aus dem Besten der französischen Schule ererbten Spiritualität zu sprechen. Jeanne Delanoue hat sehr rasch nicht nur den heroischen Charakter der evangelischen Tugenden, d. h. der Tugenden der Bergpredigt, erreicht, sondern ist auch zu einer tiefen Beschauung der göttlichen Personen gelangt, mit den Zeichen ihrer höchsten Verbundenheit mit Gott auf dem Weg zur mystischen Vereinigung, glühend von leidenschaftlicher Liebe zu Jesus, „ihrem Bräutigam“. Hieraus beziehen die „Narrheit“ ihrer Liebe, die Kühnheit ihrer Initiativen ihre Inspiration und ihre Vollendung. Möge sich die Kirche von heute hüten, das zu vergessen: so wie am Ende des siebzehnten oder zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts wird es heute keine echte Reform noch fruchtbare Bewegungen geben ohne eine echte mystische Strömung! 5. Liebe Brüder und Schwestern, ich überlasse es jetzt eurer Sorgfalt, selbst das wunderbare Leben dieser beiden Heiligen genauer zu betrachten. Im Psalm heißt es: „Der König wird verlockt von deiner Schönheit.“ Ja, Gott hat sie in seine ewige Freude aufgenommen. Mögen sie Fürsprache für uns einlegen! Für die Schwestern der Kongregation von Notre-Dame, die das erzieherische und missionarische Werk der hl. Marguerite Bourgeoys unter den Mädchen und in den Familien in so vielen Ländern weiterführen! Für die Dienerinnen der Armen, die Schwestern der Jeanne Delanoue, die weiterhin zu den Armen gehen, sie aufnehmen und ihnen helfen, indem sie ihre Lebensbedingungen mit ihnen teilen, damit sich ihnen die Liebe Gottes offenbart! Für alle, die für die Förderung der Familien und im Dienst der Bedürftigen tätig sind! Für die Diözesen der beiden Heiligen und für die ganze Kirche, damit sie, angeregt von einer solchen Heiligkeit des Lebens, neue Wege der Liebe und Barmherzigkeit geht. Amen. Halleluja. (O. R. 1./2.11. 82) 1416 Botschaften und Ansprachen Die Kirche sollte nur von Spenden leben! Schreiben an Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli vom 20. November Meinem ehrwürdigen Bruder Kardinal Agostino Casaroli, Staatssekretär 1. Der Apostolische Stuhl bedient sich bei der Ausübung seiner Sendung der wirksamen und wertvollen Arbeit der besonderen Gemeinschaft, die sich aus allen jenen Männern und Frauen, Priestern, Ordensleuten und Laien zusammensetzt, die sich in seinen Dikasterien und Ämtern dem Dienst der Universalkirche widmen. Den Mitgliedern dieser Gemeinschaft sind Aufgaben und Pflichten übertragen, von denen jede sowohl im Hinblick auf den inhaltlichen Gegenstand und Wert der zu leistenden Arbeit als auch auf die Person, die sie erfüllt, ihre eigene Zielsetzung und Würde besitzt. Dieser Begriff von Gemeinschaft, angewandt auf diejenigen, die dem Bischof von Rom in seinem Dienstamt als Hirt der Universalkirche helfen, ermöglicht uns vor allem, den einheitlichen Charakter der in sich unterschiedlichen Aufgaben zu präzisieren. Denn alle Personen, die zu deren Durchführung berufen sind, nehmen wirklich an der einen und unaufhörlichen Tätigkeit des Apostolischen Stuhls teil, und das heißt an der „Sorge für alle Gemeinden“ (vgl. 2 Kor 11, 28), die schon von den ersten Zeiten an den Dienst der Apostel beseelte und die heute in besonderem Maß das Vorrecht der Nachfolger des hl. Petrus auf dem römischen Stuhl ist. Es ist sehr wichtig, daß alle, die in irgendeiner Weise mit den Tätigkeiten des Apostoüschen Stuhls verbunden sind, sich des besonderen Charakters ihrer Aufgaben bewußt sind: Dieses Bewußtsein ist übrigens immer Tradition und Ruhm derer gewesen, die sich diesem edlen Dienst widmen wollten. Diese Überlegung betrifft sowohl die Kleriker und Ordensleute wie die Laien; sowohl jene, die Positionen von hoher Verantwortung innehaben, wie die Angestellten und Arbeiter, denen Hilfsdienste übertragen sind. Sie betrifft sowohl die Personen, die unmittelbarer im Dienst des Apostolischen Stuhls selbst stehen, weil sie ihre Arbeit bei jenen Organen leisten, die zusammen mit dem Namen „Heiliger Stuhl“ bezeichnet werden, als auch alle, die im Dienst des Vatikanstaates stehen, der aufs engste mit dem Apostolischen Stuhl verbunden ist. In meiner letzten Enzyklika Läborem exercens habe ich an die Grundwahrheiten des „Evangeliums der Arbeit“ und der katholischen Lehre über die menschliche Arbeit erinnert, die in der Tradition der Kirche noch 1417 Botschaften und Ansprachen immer lebendig ist. Diesen Wahrheiten muß das Leben der einzigartigen Gemeinschaft entsprechen, die „sub umbra Petri“, im Schatten des Petrus, in so unmittelbarem Kontakt mit dem Apostolischen Stuhl ihre Arbeit verrichtet. 2. Um diese Grundsätze in geeigneter Weise in die Wirklichkeit umzusetzen, muß man sich ihre objektive Bedeutung und gleichzeitig die spezifische Natur des Apostolischen Stuhls vor Augen halten. Dieser hat -obwohl er, wie ich oben betont habe, aufs engste mit dem Vatikanstaat verbunden ist - nicht die Gestalt wirklicher Staaten, die Träger der politischen Souveränität einer bestimmten Gesellschaft sind. Auf der anderen Seite ist der Vatikanstaat souverän, doch besitzt er nicht alle Wesensmerkmale, die für eine politische Gemeinschaft üblich sind. Es handelt sich um einen atypischen Staat: Er besteht mit der entsprechenden Garantie zur Ausübung der geistlichen Freiheit des Apostolischen Stuhls, und das heißt als Mittel, die tatsächliche und sichtbare Unabhängigkeit eben dieses Apostolischen Stuhls in seiner Leitungstätigkeit zugunsten der Universalkirche wie auch seiner pastoralen Tätigkeit, die sich an die gesamte Menschheit wendet, sicherzustellen: Er besitzt keine eigene Gesellschaft, für deren Dienst er errichtet worden wäre, und schon gar nicht gründet er sich auf die Formen gesellschaftlichen Handelns, die üblicherweise die Struktur und Organisation aller anderen Staaten bestimmen. Außerdem sind die Personen, die dem Apostolischen Stuhl helfen oder auch an der Leitung des Vatikanstaates mitarbeiten, bis auf wenige Ausnahmen nicht Bürger dieses Staates und haben infolgedessen nicht die Rechte und Pflichten (insbesondere die Pflicht der Steuerzahlung), die gewöhnlich der Zugehörigkeit zu einem Staat entspringen. Der Apostolische Stuhl entfaltet - während er in bedeutsamen Aspekten über die engen Grenzen des Vatikanstaates hinausgeht, um seine Sendung auf die ganze Erde auszuweiten - nicht einmal die einem Staat eigene wirtschaftliche Aktivität und kann sie gar nicht entfalten; die Produktion von Wirtschaftsgütem und die Steigerung der Erträge gehen über seine institutioneilen Zielsetzungen hinaus. Neben den eigenen Erträgen des Vatikanstaates und den begrenzten Einnahmequellen, die aus den Geldmitteln resultieren, die er anläßlich der Lateranverträge als Schadenersatz für den Kirchenstaat und die an den italienischen Staat übergegangenen kirchlichen Güter erhalten hat, sind die Hauptgrundlage für den Unterhalt des Apostolischen Stuhls Spenden, die von den Katholiken der ganzen Welt und eventuell auch von anderen Menschen guten Willens freiwillig erbracht werden. Das entspricht der Tradition, die ihren Ursprung im Evangelium (vgl. Joh 12, 6-8) und in den Lehren der 1418 Botschaften und Ansprachen Apostel hat. Dieser Tradition entsprechend, die je nach den in den verschiedenen Geschichtsepochen herrschenden Wirtschaftsstrukturen im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Formen angenommen hat, ist zu sagen, daß der Apostolische Stuhl in die Nutznießung guten Willens kommen kann und muß, ohne auf andere Mittel zurückzugreifen, die seinen besonderen Charakter weniger zu respektieren scheinen. 3. Die genannten materiellen Beiträge sind Ausdruck einer ständigen und lebendigen Solidarität mit dem Apostolischen Stuhl und der von ihm entfalteten Tätigkeit. Einer so großen Solidarität, der meine tiefe Dankbarkeit gilt, muß von seiten des Apostolischen Stuhls, seiner einzelnen Organe und der Personen, die in ihnen arbeiten, ein Sinn für Verantwortung entsprechen, der der Natur der Beiträge angemessen ist, die ausschließlich und immer gemäß den Verfügungen und dem Wülen der Spender zu verwenden sind: für das allgemeine Anhegen, das der Unterhalt des Apostoüschen Stuhls und des Gesamtkomplexes seiner Tätigkeiten ist; oder für besondere Zwecke (missionarische, karitative usw.), wenn diese genau angegeben worden sind. Die Verantwortung und Loyalität gegenüber allen, die durch ihre Hilfe mit dem Apostolischen Stuhl solidarisch werden und in gewisser Weise seine pastorale Sorge teilen, äußert sich in der gewissenhaften Treue gegenüber allen übertragenen Aufgaben und Pflichten wie auch im Fleiß, im Arbeitseifer und in der Berufseinstellung, die jeden, der an den Aktivitäten des Apostoüschen Stuhls beteiligt ist, auszeichnen muß. Darüber hinaus gilt es immer, die richtige Gesinnung zu pflegen, damit sowohl die materiellen Mittel, die gespendet werden, sowie alles, was mit diesen Mitteln vom Apostoüschen Stuhl erworben oder erhalten wird - ein-schüeßlich der Wahrung und Würdigung des wertvoüen Erbes des Stuhles Petri im reügiös-kultureüen und künstlerischen Bereich — sorgfältig und ihrem Zweck entsprechend verwaltet wird. Bei der Verwendung der für diese Zwecke bestimmten Mittel müssen sich der Apostoüsche Stuhl und jene, die mit ihm unmittelbar Zusammenarbeiten, nicht nur durch den Geist der Sparsamkeit, sondern auch durch die Verfügbarkeit auszeichnen, stets den tatsächlichen, begrenzten finanziellen Mögüchkeiten des Hl. Stuhls und ihrer Herkunft Rechnung zu tragen. Diese innere Haltung muß natürüch dem Herzen der Ordensangehörigen und Kleriker durch ihre Ausbildung wie angeboren sein; doch sie darf auch jenen Laien nicht fehlen, die aus freier Entscheidung bereit sind, für und mit dem Apostoüschen Stuhl zu arbeiten. Darüber hinaus werden aUe, die besondere leitende Verantwortung in den Organen, Ämtern und Diensten des Apostoüschen Stuhls innehaben, wie 1419 Botschaften und Ansprachen auch die Angestellten in den verschiedenen Funktionen den Geist der Sparsamkeit mit einem ständigen Einsatz zu verbinden wissen, um die verschiedenen Tätigkeiten durch Organisation der aufgetragenen Arbeit immer wirksamer zu machen, die einerseits unter voller Achtung der Personen und des wertvollen Beitrags, den jeder entsprechend seinen Zuständigkeiten und Funktionen leistet, und anderseits unter Anwendung von Strukturen und geeigneten technischen Mitteln, damit die entfaltete Tätigkeit immer besser den Erfordernissen des Dienstes an der Universalkirche entspricht. Indem man von all dem Gebrauch macht, was Erfahrung, Wissenschaft und Technologie lehren, wird man sich darum bemühen, daß die menschlichen und finanziellen Reserven mit größter Wirksamkeit eingesetzt werden, während Verschwendung, Suche nach Sonderinteressen und ungerechtfertigten Privilegien vermieden und zugleich gute menschliche Beziehungen in allen Bereichen sowie das wahre und gerechte Interesse des Apostolischen Stuhls gefördert werden. Zu diesen Verpflichtungen muß ein tiefes Vertrauen in die Vorsehung hinzukommen, die es an Spenden der Guten und damit den Mitteln, um die dem Apostolischen Stuhl eigenen Zwecke verfolgen zu können, nicht fehlen lassen wird. Falls der Mangel an Mitteln die Verwirklichung eines grundlegenden Zieles verhindern würde, kann man einen besonderen Appell an die Hochherzigkeit des Gottesvolkes richten und es über die nicht hinreichend bekannten Notwendigkeiten informieren. Normalerweise jedoch wird man sich mit dem zufriedengeben müssen, was die Bischöfe, Priester, Ordensinstitute und Gläubigen freiwillig spenden, da sie selbst die gerechten Bedürfnisse zu sehen oder zu ahnen vermögen. 4. Unter denen, die mit dem Apostolischen Stuhl Zusammenarbeiten, sind viele Kleriker, die, weil sie im Zölibat leben, keine eigene Familie haben, auf deren Kosten sie leben könnten. Ihnen steht eine der von ihnen geleisteten Aufgaben entsprechende Entlohnung zu, die einen angemessenen Unterhalt sicherstellt und die Erfüllung ihrer Standespflichten erlaubt, einschließlich auch jener Verantwortung, die sie in bestimmten Fällen haben können: Unterstützung der Eltern oder anderer Familienangehöriger. Und die Erfordernisse einer geordneten sozialen Beziehung dürfen nicht übergangen werden, im besonderen und vor allem die Verpflichtung, den Bedürftigen zu helfen: eine Verpflichtung, die für die Kleriker und Ordensleute auf Grund ihrer evangelischen Berufung dringender ist als für die Laien. Auch die Entlohnung der Laienangestellten des Apostolischen Stuhls muß den verrichteten Aufgaben entsprechen, wobei zugleich beachtet 1420 Botschaften und Ansprachen werden muß, daß sie die Verantwortung für den Unterhalt ihrer Familien tragen. Im Geiste lebhafter Sorge und Gerechtigkeit wird man daher zu prüfen haben, was ihre objektiven materiellen Bedürfnisse und die ihrer Familien sind, einschließlich jener, die sich aus der Erziehung der Kinder und einer entsprechenden Altersversorgung ergeben, damit sie entsprechend Vorsorgen können. Die grundlegenden Hinweise auf diesem Gebiet finden sich in der katholischen Lehre über die Entlohnung der Arbeit. Unmittelbare Hinweise für die Bewertung der Umstände ergeben sich aus der Prüfung der Erfahrungen und der Programme der Gesellschaft, der in der Tat fast sämtliche Laienangestellte des Apostolischen Stuhls angehören und in der sie somit leben. Um diesen Geist der Sorge und Gerechtigkeit zu fördern, werden in Vertretung aller, die beim Apostolischen Stuhl arbeiten, Arbeitnehmer-Vereinigungen, wie die kürzlich errichtete Vereinigung der vatikanischen Laienangestellten, eine wirksame Aufgabe der Zusammenarbeit entfalten können. Ähnliche Organisationen, die beim Apostolischen Stuhl einen besonderen Charakter annehmen, stellen eine Initiative in Übereinstimmung mit der Soziallehre der Kirche dar, die in ihnen eines der geeigneten Instrumente sieht, die soziale Gerechtigkeit in den Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber besser zu gewährleisten. Der Soziallehre der Kirche entspricht jedoch nicht das Abgleiten dieser Art von Organisationen auf die Ebene einer bis zum äußersten getriebenen Konfliktlage oder des Klassenkampfes; und sie dürfen auch keine politische Prägung haben oder - offen oder geheim - den Interessen einer Partei oder anderer Gruppen dienen, die Zielsetzungen ganz anderer Art im Auge haben. Ich gebe der Zuversicht Ausdruck, daß Vereinigungen wie die derzeit bestehende, die ich oben erwähnte - indem sie sich von den Prinzipien der Soziallehre der Kirche inspirieren lassen -, eine nützliche Funktion in der Arbeitsgemeinschaft in solidarischer Übereinstimmung mit dem Apostolischen Stuhl entwickeln werden. Ich bin auch sicher, daß sie beim Aufgreifen der die Arbeit betreffenden Probleme und bei der Entwicklung eines konstruktiven und ständigen Dialogs mit den zuständigen Organen nicht versäumen werden, in jedem Fall den besonderen Charakter des Apostolischen Stuhls, wie er im ersten Teil des vorliegenden Schreibens ausgeführt wurde, zu bedenken. Unter Bezugnahme auf alles, was hier dargelegt wurde, möge Ihre Eminenz die entsprechenden Vollzugsdokumente vorbereiten, um durch entsprechende Normen und Strukturen die Förderung einer Arbeitsgemeinschaft gemäß den dargelegten Grundsätzen zu unterstützen. 1421 Botschaften und Ansprachen 5. In der Enzyklika Laborem exercens habe ich unterstrichen, daß die Würde des arbeitenden Menschen sich in einer besonderen Beziehung zu der ihm anvertrauten Arbeit ausdrücken muß. Diese Beziehung - die sich objektiv auf verschiedene Weise, je nach Art der verrichteten Arbeit, verwirklichen läßt - wird subjektiv erreicht, wenn der Arbeiter, auch bei Ausübung einer „bezahlten“ Tätigkeit, diese erfährt, als würde er sie „für sich selbst“ ausüben. Da es sich hier um Arbeit handelt, die im Bereich des Apostolischen Stuhls geleistet und daher von jener grundlegenden Eigenart gekennzeichnet wird, auf die wir oben hingewiesen haben, verlangt diese Beziehung eine spürbare Anteilnahme an jener „Sorge für alle Kirchen“, die dem Stuhl Petri eigen ist. Die Angestellten des Hl. Stuhls müssen deshalb die tiefe Überzeugung haben, daß ihr Dienst vor allem eine kirchliche Verantwortlichkeit ein-schließt, nämlich im Geist echten Glaubens zu leben, ünd daß die verwaltungsrechtlichen Aspekte der Beziehung zum Apostolischen Stuhl unter einem besonderen Licht stehen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat uns eine Fülle von Lehren darüber geboten, wie alle Christen, Kleriker, Ordensleute und Laien sich diese kirchliche Sorge zu eigen machen können - und müssen. Es scheint also insbesondere für alle, die mit dem Apostolischen Stuhl Zusammenarbeiten, notwendig, vor allem das persönliche Bewußtsein von der universalen apostolischen Verpflichtung der Christen und jener Verpflichtung, die sich aus der besonderen Berufung jedes einzelnen ergibt (des Bischofs, Priesters, Ordensangehörigen, Laien), zu vertiefen. Die Antworten auf die heutigen Schwierigkeiten im Bereich der menschüchen Arbeit werden in der Tat im Bereich der sozialen Gerechtigkeit gesucht; aber man muß sie überdies auch wieder im Bereich des inneren Verhältnisses zur Arbeit finden, die jeder zu verrichten berufen ist. Es scheint ganz natürlich, daß die Arbeit - welche auch immer es sei -, die in Abhängigkeit vom Apostolischen Stuhl geleistet wird, das in ganz besonderem Maße fordert. Außer einer vertieften inneren Beziehung verlangt diese Arbeit, um erfolgreich und befriedigend zu sein, eine auf menschliche und christliche Brüderlichkeit gegründete wechselseitige Achtung von seiten aller und für alle, die sie erwarten. Nur wenn sie mit einer solchen Brüderlichkeit verbunden ist (d. h. mit der Liebe des Menschen in der Wahrheit), kann sich die Gerechtigkeit als wahre Gerechtigkeit darstellen. Wir müssen versuchen herauszufinden, „was für ein Geist aus uns spricht“ (vgl. Lk 9, 55 Vulg.). 1422 Botschaften und Ansprachen Diese letzten, nur kurz angedeuteten Fragen lassen sich in verwaltungsrechtlichen Begriffen nicht entsprechend formulieren. Das entbindet jedoch nicht von der Suche und Anstrengung, die notwendig ist, um -gerade im Bereich des Apostolischen Stuhls - jenen Geist der menschlichen Arbeit wirksam zu machen, der von unserem Herrn Jesus Christus stammt. Während ich diese Gedanken, Herr Kardinal, Ihrer aufmerksamen Erwägung anvertraue, rufe ich auf den von ihrer praktischen Verwirklichung geforderten künftigen Einsatz die Fülle der Gaben des göttlichen Beistands herab und erteile Ihnen von Herzen meinen Segen, den ich gern auf alle ausdehne, die ihren wertvollen Dienst dem Apostolischen Stuhl anbieten. Aus dem Vatikan, 20. November 1982 PAPST JOHANNES PAUL II. (O. R. 24. 11.82) Jeder hat Anspruch auf ein Heim Predigt des Papstes bei der Eucharistiefeier im Belicetal am 20. November Brüder und Schwestern des Belicetals! 1. „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (I Kor 1, 3). Heute vormittag geht ein Wunsch in Erfüllung, den ich seit langem im Herzen trug: in euer von dem schrecklichen Erdbeben von 1968 heimgesuchtes Land zu kommen, um euch das Zeugnis meiner Liebe zu bringen und euch in dem hochherzigen Einsatz zu ermutigen, mit dem ihr euch langsam von den Folgen jenes schmerzlichen Geschehens erholt. Gelobt sei Gott, der mir die Freude dieser so innigen und herzlichen Begegnung mit euch gewährt! Ich begrüße den Bischof von Mazara del Vallo, der den Gefühlen der Mitbrüder in den Diözesen Agrigent, Monreale und Trapani sowie den Empfindungen der ganzen Bevölkerung des Tales und insbesondere von euch, meine Lieben, die ihr euch in der wunderbaren Landschaft dieses malerischen Winkels Siziliens eingefunden habt, so wirkungsvoll Ausdruck gegeben hat. Einen ergebenden Gruß richte ich außerdem an die 1423 Botschaften und Ansprachen anwesenden Vertreter der Behörden und danke dem Bürgermeister von Calatafimi, der mich auch im Namen der Kollegen der vom Erdbeben betroffenen Gemeinden mit edlen Worten, die ich zu würdigen weiß, willkommen geheißen hat. Ich begrüße die Priester, die Ordensmänner und die Ordensfrauen, die tagtäglich Sorgen, Freuden und Hoffnungen mit der ihnen anvertrauten Herde teüen. Ich begrüße euch, Männer und Frauen dieses Landstriches, die ihr die schreckliche Erfahrung jener Nacht vom 14. auf den 15. Januar 1968 gemacht habt und euch in all diesen Jahren, ohne darunter zusammenzubrechen, mit den unsäglichen Unannehmlichkeiten und Entbehrungen, die die Folge jenes Geschehens waren, auseinandersetzen mußtet. Ganz besonders grüße ich die Jugend, euch, die ihr damals die ersten Schritte im Leben machtet oder noch gar nicht geboren wart: Die Zukunft des Belicetals hegt in euren Händen! 2. Es war mein Wunsch, daß meine erste Station unter den Menschen Siziliens hier im Belicetal sein sollte. Nicht nur deshalb, weil es richtig ist, daß sich der Vater vor aüem den am meisten geprüften Kindern zuwendet, sondern auch, weil ich euch die Einlösung eines Versprechens schuldig bin. Msgr. Trapani hat mit Recht daran erinnert: Als im vergangenen Jahr eine Delegation der Gemeinden dieser Region mich im Vatikan besuchte, versprach ich, diese Freundlichkeit zu erwidern und persönlich in euer Tal zu kommen, um euch in die Augen zu sehen und damit ihr in meinem Gesicht das warme Empfinden lesen könnt, das ich für euch, für eure Alten, für die Kranken, für eure Kinder hege. Ja, eure Kinder. Eine Gruppe von ihnen kam vor einigen Jahren nach Rom und wurde auch von meinem Vorgänger Papst Paul VI. empfangen, der beim Zusammentreffen mit ihnen unter anderem sagte: „Ihr sollt wissen, daß wir euer Anwalt sein werden!“ Mein heutiger Besuch steht in ideellem Zusammenhang mit dem Einsatz dieses großen Papstes für euch. Ich bin hier, um euch zu bezeugen, daß die in den vergangenen Jahren auf verschiedene Weise bekundete Sorge der Kirche nicht abgenommen hat, sondern immer lebendig und tätig bleibt. Ich bin außerdem hier, um mit Händen zu greifen, daß trotz der mehr als 14 Jahre, die seit jener Schreckensnacht vergangen sind, die Folgen des Erdbebens noch immer nicht völlig beseitigt sind. Noch immer besteht das besonders schwerwiegende Wohnungsproblem: Viele Familien leben noch in Baracken und tragen die Last eines so prekären, zivilisierter Menschen unwürdigen Zustandes. Muß man da nicht seine Stimme erheben, um das unnatürliche Andauern einer so schmerzlichen Situation anzuklagen? Das Heim ist ein wesentlicher und 1424 Botschaften und Ansprachen grundlegender Anspruch des Menschen; in ihm keimen und erblühen die Gefühle familiärer Liebe und Zuneigung, werden die Kinder erzogen und die Früchte der eigenen Arbeit genossen. In einem an Geschichte, Zivilisation, menschlichen und christlichen Familientraditionen reichen Sizilien ist die Baracke eine Schande und ein sehr bedenkliches Zeichen, das beleidigt und demütigt. Daher muß allen die Möglichkeit einer angemessenen Unterkunft geboten werden; insbesondere den Kindern, die ihr eigenes Nest brauchen, einen heiteren, warmen Ort, wo sie ohne die Gefahr von Traumata und Krankheiten aufwachsen und sich entwickeln können. Meine Anwesenheit unter euch, meine Lieben, soll ein Aufruf an die Verantwortlichen und an alle Personen guten Willens sein, sich sowohl im öffentlichen wie im privaten Bereich darum zu bemühen, den Wiederaufbau zu beschleunigen, indem die Fertigstellung der Baupläne und der wirtschaftliche und soziale Aufschwung des Belicetales gefördert werden, das in den Geistes- und Herzensgaben seiner Bewohner die sicheren Voraussetzungen für die bedeutungsvollen Fortschritte zum eigenen und zum Vorteü der ganzen nationalen Gemeinschaft besitzt. 3. Aber, Bürger des Belicetals, auch wenn ich zur gebotenen Hilfe seitens der Verwaltungsorgane dränge, sage ich euch: Habt vor allem Vertrauen zu euch selbst! Diese Jahre des Mißgeschicks haben euch nicht nur Entbehrungen und Leiden gebracht; sie haben in euch auch unvorhersehbare Reserven an Opferbereitschaft und Mut freigelegt, wunderbare Fähigkeiten der Erfindungsgabe und Selbstlosigkeit, einen ergreifenden Aufschwung der Nächstenhebe und Solidarität. Ihr habt daher Grund, eure Kräfte für den Wiederaufbau einzusetzen, von dem eure Zukunft abhängt. Gewiß ist es recht, daß ihr auch auf die Unterstützung seitens der nationalen Gemeinschaft und die Ehrenhaftigkeit aller zählen könnt, in deren Händen die Verteilung der öffentlichen Gelder oder ihre Weiterleitung an gemeinnützige Werke hegt. Auf diesem Gebiet ist leider nicht alles mit der nötigen Klarheit verlaufen, und es ist bekannt, daß von vielen Seiten in solchen Mängeln die Gründe für Verzögerungen und Nichterfüllung im Wiederaufbau erkannt wurden. Die Pfhcht verlangt daher, an das Verantwortungsbewußtsein der Politiker, Verwaltungsbeamten und Unternehmer zu appellieren. Man muß jedoch auch jeden privaten Staatsbürger an seine Pflichten erinnern, die er im Interesse des Gemeinwohls zu erfüllen hat. Nur mit dem solidarischen Beitrag aller kann man Naturkatastrophen von solcher Tragweite bewältigen und auf dem Weg des zivilen Fortschritts weiterkommen, 1425 Botschaften und Ansprachen indem angemessene Lebensräume für die neuen Generationen geschaffen werden, die sich dem Leben stellen und verlangen, dem Gemeinwohl auch den Beitrag ihrer frischen Kräfte leisten zu können. 4. Brüder und Schwestern des Belicetals! Was es in Zeiten der Schwierigkeiten und Krisen vor allem zu fördern gilt, ist die Formung reifer, für den Appell der moralischen Werte empfänglicher Gewissen. Der materielle Wiederaufbau eures Landes wird in zufriedenstellender Weise erfolgen und die dauerhaften Früchte in der Zeit erbringen, wenn er sich auf den unerschütterlichen Felsgrund der moralischen Werte stützt, die das Erbe eurer Vorfahren gebildet haben und ihnen das Überleben in Schwierigkeiten erlaubten, die nicht geringer waren als jene, die ihr heute überwinden müßt. Ihr wißt, welches die Werte waren, die die Lebensentscheidungen eurer Väter inspiriert haben: Trotz der Schwachheiten und Verirrungen, die auch die vorangegangenen Epochen aufwiesen, steht außer Zweifel, daß der Glaube eure Vorväter erleuchtet und ihnen geholfen hat, indem er ihre Gedanken und Gefühle fortlaufend läuterte und ihren Entscheidungen eine Richtung gab, die immer besser den Ansprüchen der Würde von Menschen und Kindern Gottes entsprach. Aus dieser Quelle muß auch die heutige Generation schöpfen, wenn sie die Ziele der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens erreichen will, nach denen sie sich leidenschaftlich sehnt. Denn der Glaube öffnet das Herz für Christus. Und Christus weiß, „was im Menschen ist“ (Joh 2, 25). Er kann euch daher den rechten Weg zur vollen Verwirklichung der Hoffnungen und der Ideale angeben, die in eurem Herzen brennen. Habt also keine Angst vor Christus, sondern öffnet ihm die Tore eures Herzens! 5. Wir sind jetzt um den Altar versammelt, auf dem er das Geheimnis seines Leidens und seiner Auferstehung erneuern wird. Er ist also mitten unter uns. Wie soll man nicht an die Szene denken, die in dem soeben gelesenen Abschnitt des Evangeliums beschrieben ist? Auch damals drängte sich eine große Menge um Jesus; und bei diesem Anlaß antwortete der göttliche Meister, als man ihm sagte: „Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und fragen nach dir . . . und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder! Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (vgl. Mk 3, 31—35). „Wer den Willen Gottes erfüllt.“ Jeder fühlt den forschenden Blick Christi auf sich gerichtet, während er diese Worte für uns wiederholt. Der an jenem Tag verkündete Grundsatz bleibt die Jahrhunderte hindurch gültig. Was über die Zugehörigkeit zu Christus entscheidet, weil es 1426 Botschaften und Ansprachen zwischen ihm und der Seele ein so tiefes geistiges Band herstellt, daß es mit dem Band verglichen werden kann, das die Mitglieder ein und derselben Familie miteinander verbindet, ist das „Erfüllen des Willens Gottes“. Es gibt nichts anderes, das in den Augen Christi dieses Eine ersetzen könnte, nicht einmal die leibliche Mutterschaft. Wenn Maria in Gottes Plänen das erste Geschöpf ist, dann deshalb, weil sie darüber hinaus, daß sie die leibliche Mutter Christi ist, mit totaler Verfügbarkeit das Wort Gottes angenommen hat, indem sie es in jeder Stunde des Tages zum lebendigen Inhalt ihres eigenen Daseins macht. Daher wird sie auch „als überragendes und völlig einzigartiges Glied der Kirche wie auch als ihr Typus und klarstes Urbild im Glauben und in der Liebe gegrüßt“ (Lumen gentium, Nr. 53). Auf sie muß deshalb jeder Gläubige bücken, um zu erfassen, wie „man den Wißen Gottes erfüllt“ und wie man in Lebensgemeinschaft mit Christus, dem aus Liebe zum Menschen vom Himmel herabgestiegenen Wort Gottes, eintritt. 6. Bewohner des Beücetals, ich vertraue euer Land dem mütterüchen Schutz der seügen Jungfrau an: Ihre Statue habe ich vorhin gesegnet und dabei ihre Fürbitte für die vielen Opfer des Erdbebens erfleht, deren Namen in die Marmorstelle zu ihren Füßen eingraviert sind. Maria nehme jeden von euch, eure Gemeinden, die einzelnen Famiüen unter ihren Mantel und erhalte in euren Herzen die Flamme des Glaubens lebendig und glühend. Sie hüte in den Kindern die Reinheit der Unschuld; sie wecke in der Jugend die Leidenschaft für große Ideale; sie schenke den Eheleuten den lebendigen Sinn für den sakralen Charakter der Liebe; sie schütze das reife Alter vor den Versuchungen des Opportunismus und des Kompromisses; sie tröste das verschiedenen Prüfungen an Leib und Geist ausgesetzte Alter mit dem inneren Balsam der Hoffnung. Mit ihrer Hilfe möge euer Gebiet, Hebe Brüder und Schwestern, zusammen mit der ganzen Insel Siziliens stark und unerschütterüch bleiben im Bekenntnis des Glaubens und damit auch weiterhin verdienen, zu jenen „zahlreichen Nationen“ gezählt zu werden, für die der Prophet Sacharja voraussah, daß sie „sich dem Herrn anschüeßen“ und „sein Volk“ werden. Möge man von dieser Insel, wo verschiedene Völker glorreiche Spuren ihrer Vergangenheit hinterlassen haben, immer das feierüche Wort sagen können, das wir in der ersten Lesung der heutigen Liturgie gehört haben: „Er, der Herr, wird in deiner Mitte wohnen“ (Sach 2, 15). Wenn der Herr „in deiner Mitte wohnt“, Erde Siziliens, die du dich aus dem geschichtsträchtigsten Meer erhebst und im Laufe der Jahrhunderte Kreuzungspunkt der Völker gewesen bist, wirst du auch in Zukunft eine providentielle Rolle der Verbindung zwischen Orient und Okzident ent- 1427 Botschaften und Ansprachen falten und die Begegnung zwischen verschiedenen Zivilisationen und Kulturen fördern, wobei auf alle das Licht zurückstrahlt, das den Menschen von Christus, dem Sohn Gottes und dem Sohn Mariens, gebracht wurde. Wenn der Herr „in deiner Mitte wohnt“. Vergiß das nicht! Hier hegt das Geheimnis deiner künftigen Bestimmung. (O. R. 21.11. 82) Im Namen Christi, des Königs Predigt bei der Messe auf der Pferderennbahn von Palermo am Sonntag, 21. November 1. „Der Herr ist König, bekleidet mit Hoheit“ (Ps 93, 1). Dieser Ruf ist kennzeichnend für das heutige Christkönigsfest. Ich bin glücklich, daß mein Besuch in Palermo mit diesem Fest zusammenfällt und ich im Rahmen dieses feierlichen Gottesdienstes im Namen Christi, des Königs, das Wort an euch richten kann. Das Reich Christi ist die Herrschaft der Wahrheit, der Gnade, der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit. Eine Herrschaft, in die man sich mit freier, persönlicher Zustimmung fügt, und wir müssen es zulassen, daß Christus immer in unserem Leben herrscht; wir müssen ihm voll Freude das Tor unseres Geistes öffnen, ihn in unser Leben eintreten lassen, indem wir sein Wort annehmen und darauf mit der täglichen Treue gegenüber unseren Verpflichtungen, mit einem Lebenskonzept antworten, das sich auf wirksame, in Konsequenz des Glaubens getroffene Entscheidungen stützt. Ich habe die Freude, bei dieser Eucharistiefeier mit euch allen zusammenzutreffen, die ihr das ganze Volk Gottes vertretet, das in Sizilien lebt und bemüht ist, Gott zu dienen, indem es im Geist des Dienstes das Leben der Gemeinschaft lebt. Da ihr durch die Taufe lebendig in Christus aufgenommen seid, bildet ihr die pilgernde Kirche Gottes in Sizilien. Als Kreuzpunkt von Kulturen und Ort der Begegnung zwischen Ost und West gehörte Sizilien zu den ersten Regionen Italiens, die die Apostel aufnahmen, die Verkündigung des Wortes Gottes empfingen und dem Glauben auf so hochherzige Weise anhingen, daß hier selbst unter Schwierigkeiten und Verfolgungen immer die Blüte der Heiligkeit aufkeimte und zum Erblühen kam. Eure Insel war und ist ein Land der 1428 Botschaften und Ansprachen Heiligen, der Angehörigen aller Lebensstände, die das Evangelium einfach und ganz gelebt haben. Ich grüße euch herzlich, hebe Palermitaner und liebe Sizilianer, wobei ich besonders an den ehrwürdigen Kardinal Pappalardo, an alle Bischöfe wie auch an die zivilen Behörden der Region und der Stadt denke. Meine Gedanken und meine Liebe gelten auch den Söhnen dieser sizilia-nischen Erde, die sich genötigt sahen, in anderen Regionen oder andere Länder zu ziehen, um eine Arbeit zu suchen, die eine redliche und angemessene Existenzgrundlage für sie und für ihre Famüie wäre. An sie ergeht mein Wunsch, daß sie immer und überall die Voraussetzungen für ein Leben finden mögen, das Menschen und Christen würdig ist; aber zugleich wünsche ich, daß die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Insel die jungen Menschen nicht mehr zwingt, auszuwandem, um einen Arbeitsplatz zu finden. 2. „Der Herr ist König, bekleidet mit Hoheit.“ Das ist die vom Psalm der heutigen Liturgie verkündete Wahrheit. Sie erklang wieder auf unseren Lippen, als wir den Responsorialvers des Psalms wiederholten. Heute, am letzten Sonntag des Kirchenjahres, will die Kirche feierlich als Wahrheit verkünden: Gott herrscht über das Weltall, das er geschaffen hat, das sein Werk ist. Kann das anders sein? Kann vielleicht ein anderer über die Welt herrschen, ein anderer außer ihm, der allem das Sein geschenkt hat - und dauernd schenkt? Er ist König, weil er der Schöpfer ist! „Der Erdkreis ist fest gegründet, nie wird er wanken. Dein Thron steht fest von Anbeginn, du bist seit Ewigkeit“ (Ps 93, 1-2). So verkündet also die Kirche heute das Schöpfungswerk - und durch das Schöpfungswerk verkündet sie das Reich Gottes in der Welt: Das Reich Gottes ist da! Es ist unerschütterüch seit der Gründung der Welt. Und es wird dauern bis an ihr Ende. Die Welt ist das Reich Gottes, weil sie von ihm geschaffen wurde. „Ich bin das Alpha und das Omega, spricht Gott, der Herr, der ist und der war und der kommt, der Herrscher über die ganze Schöpfung“ (Offb 1,8). 3. Und zugleich betet die Kirche, wie Christus es sie gelehrt hat: „Dein Reich komme!“ Der heutige Gottesdienst stellt die Herrschaft Gottes als eine Wirklichkeit vor, die in der Welt durch das Werk Christi entsteht. Dieses Reich gehört bereits in unsere Gegenwart, noch mehr aber in die Zukunft. In Jesus Christus ist Gott, das Alpha und das Omega, der, der ist und der war, aber zugleich der, der kommt. 1429 Botschaften und Ansprachen Das Reich Gottes, das durch das Schöpfungswerk im ganzen Universum unerschütterlich bleibt, hat zugleich durch das Werk der Erlösung in der Menschheit seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es hat seine Geschichte, die sich zusammen mit der Menschheitsgeschichte entwickelt. Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht Jesus Christus. Die Kirche, die mit der Geschichte der Menschheit, mit der Heilsgeschichte verbunden ist, verkündet am heutigen Sonntag das Reich Gottes in Jesus Christus: ein Reich, diese Herrschaft Gottes, die mit ihm in die Geschichte des Menschen eingetreten ist - und sich durch sein Wirken von Generation zu Generation in der Geschichte verwirklicht. Der heutige Sonntag ist das Christkönigsfest. Mit dem Gesang des Halleluja grüßen wir ihn feierlich mit den Worten: „Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich, das kommt“ (vgl. Mk 11, 9-10). 4. Wer ist Christus, der König? Auf diese Frage antwortet die Liturgie des heutigen Sonntags vor allem mit den Worten des Apostels und Evangelisten Johannes. In der Geheimen Offenbarung des Johannes lesen wir: „Jesus Christus, der uns liebt und uns von unseren Sünden erlöst hat durch sein Blut; der uns zu Königen gemacht hat und zu Priestern vor Gott, seinem Vater“ {Offb 1, 5-6). Jesus Christus ist ein König, der liebt. Er ist König, weil er liebt. Weil er uns Menschen bis zum Vergießen seines Blutes geliebt hat. Weil er uns liebt, hat er uns von unseren Sünden erlöst, denn allein die Liebe kann uns von der Sünde befreien. Dadurch, daß er uns Menschen von der Sünde erlöst hat, hat er uns zu Königen vor Gott gemacht. Weil er uns geliebt hat bis zur Aufopferung seines Lebens, hat Christus uns zu Königen vor Gott gemacht. Christus ist König, deshalb hat er uns zu Königen vor Gott gemacht. Er hat nicht nur durch seine Lehre das Reich Gottes verkündet, sondern er hat uns „zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott, seinem Vater“ {Offb 1, 6). Das ganze Volk Gottes, das am Priestertum Christi und an seinem Opfer -an seinem Kreuz - teilhat, nimmt dadurch, daß es das Reich Gottes in der Schöpfung bestätigt, auch an seiner Königsherrschaft teil. Das erfüllt sich durch Christus. Auf diese Weise besteht das Reich Gottes in der Geschichte des Menschen als Königtum Christi. So ist Christus König. 1430 Botschaften und Ansprachen 5. „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18, 36), antwortet Christus auf die Frage des Pilatus am Karfreitag. Pilatus fragt: „Bist du der König der Juden?“ (Joh 18, 33). Er stellte diese Frage, weil die Vertreter der jüdischen Behörden Christus eben deshalb anklagten: weil er sich als König der Juden ausgab. Der Messias war von den Propheten als „König der Juden“ angekündigt worden - als Nachkomme Davids, als Erbe seines Zepters und seines Thrones. Und dennoch antwortet Christus mit aller Entschiedenheit: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.“ „Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde“ (Joh 18, 36). Also: Mein Reich ist nicht von hier, von der Erde. Es ist nicht von dieser Welt. Auch wenn der Messias ein Nachkomme Davids ist, streckt er nicht und streckte er nie seine Hand nach dem irdischen Zepter und Thron des Königtums der Juden aus. So verstanden ist er nicht König - und das erklärt er vor Pilatus. Und doch ist er zugleich König. In der Tat erklärt er dem römischen Statthalter und Richter: „Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (Joh 18, 37). Jeder, der das Zeugnis annimmt, das Jesus Christus von der Königsherrschaft Gottes in der Schöpfung ablegt, gehört dem Königtum Christi an. Jeder, der das Zeugnis annimmt, das Jesus Christus von der Herrschaft Gottes durch sein Opfer am Kreuz ablegt, gehört dem Reich Christi an. Christus sagt zu Püatus: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“, das heißt für die Heüswahrheit. Jeder, der die Heilswahrheit annimmt und sie lebt, baut die Königsherrschaft Christi auf. 6. In der Liturgie des heutigen Sonntags kommt auch der Prophet Daniel zu Wort. Hier seine Worte: „Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter“ (Dan 7. 14). Der Menschensohn ist Christus, der König. Sein Reich geht niemals unter. Das Reich dessen, „der uns liebt und uns von unseren Sünden erlöst hat durch sein Blut, der uns zu Königen gemacht hat und zu Priestern vor Gott, seinem Vater“, geht niemals 1431 Botschaften und Ansprachen unter. Die Herrschaft der Wahrheit, der Liebe, der Gerechtigkeit und der Vergebung geht nicht unter. Sein Reich geht nicht unter. Und in ihm geht die Herrschaft des Menschen nicht unter. Nur in ihm! In Christus, der in die Welt gekommen ist, um Zeugnis abzulegen für die Wahrheit. In ihm, der „der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten, der Herrscher über die Könige der Erde ist“ {Offb 1, 5). In ihm, der das Kreuz zum Zeichen seines Königtums gewählt hat. In ihm als einzigem! „Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit“ (Offb 1, 6). 7. Während wir in der Welt leben, wo die Wahrheit und die Liebe auf verschiedene Weise bedroht sind, - wo die Sünde immer mehr Bürgerrecht gewinnt und dieses Recht verbissen verteidigt, - wo der Mensch zum Objekt vielfältiger Manipulation wird und zum Opfer der schrecklichen Kräfte werden kann, die er freigesetzt hat, blicken wir heute mit den Augen des Glaubens auf das Königtum Christi und wiederholen die Worte, mit welchen Christus selbst uns gelehrt hat, uns an den Vater zu wenden: „Dein Reich komme!“ Amen. (O. R. 22.123.11. 82) Die „Flamme der Einheit“ entzünden! Ansprache an die italienische griechisch-albanische Gemeinde in Palermo am 21. November Lavdar Qofte Jesu Krishti! Gelobt sei Jesus Christus! <40> <40> Voll brüderlicher Zuneigung begrüße ich Msgr. Ercole Lupinacci, den Bischof dieser albanischen Kirche des byzantinischen Ritus in Sizilien; sodann Msgr. Giovanni Stamati, Bischof von Lungro; Pater Paolo Gian-nini, Archimandrit von Grottaferrata. Und herzlich begrüße ich euch alle hier anwesenden Brüder und Schwestern der italienisch-albanischen Gemeinde des griechischen Ritus. Ich freue mich sehr, mit euch in dieser Kirche, der Mit-Kathedrale der albanischen Eparchie von Piana, an dem Tag zusammenzukommen, an 1432 Botschaften und Ansprachen dem die Kirche des lateinischen Ritus das Christkönigsfest feiert, das Fest Christi, des „Pantokrators“; kenne ich doch gut sowohl eure alte Geschichte, die mit der Treue zu Christus und zum Stuhl Petri verflochten ist, als auch die ökumenische Funktion, die im Hinblick auf die Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft der Kirchen zwischen Ost und West auszuüben euch die Vorsehung und auch die geographischen Gegebenheiten berufen haben. 2. Ihr befindet euch seit mehr als fünfhundert Jahren hier. Die römischen Päpste haben euren Führer Giorgio Kastriota mit vollem Recht „Kämpfer Christi“ und das albanische Volk „Bollwerk der Christen“ genannt. Der Stuhl des Apostels Petrus hat immer auf die Heimat eurer Vorfahren und auf euch alle mit ganz besonderer Liebe geblickt. Im Jahre 1968 hat mein verehrter Vorgänger Paul VI. mit dem Handschreiben Quinto revoluto saeculo die Taten eurer Vorväter wieder in Erinnerung gerufen. Aus ihrem Lande ausgewiesen, brachten sie zusammen mit dem heiligen Erbe der väterüchen Traditionen den katholischen Glauben nach dem altehrwürdigen byzantinisch-konstantinopolitanischen Ritus und die treue und beständige Anhänglichkeit an den Stuhl Petri hierher mit. Ein Erbe, das für sie den Grund ihres erzwungenen Exodus und, im Hinblick auf die Zukunft, ein Motiv der Sicherheit darstellte. Mit dem Blick auf den Stuhl Petri, den Eckpfeiler der übereinstimmenden Einheit, fanden eure Vorfahren auf diesem zu hochherziger Aufnahme bereiten Boden bei den Brüdern des lateinischen Ritus Gastfreundschaft und teilten mit ihnen dauernd die Freuden, die Mühen und die Hoffnungen der täglichen Arbeit. Die Schar der Flüchtlinge, die, gestützt auf ihren tiefen Glauben an das Evangelium, vor 534 Jahren hier in Sizilien eintrafen, fanden als Gruppe aus der fernen Heimat hier nicht nur einen sicheren Lande- und künftigen Siedlungsplatz für ihre Familien, sondern auch die größte Insel des Mare Nostrum, des Mittelmeeres, die auf Grund ihrer natürlichen Lage ein Mittelpunkt der Kommunikation zwischen Ost und West ist, eine provi-dentielle Verbindung zwischen den Gestaden verschiedener Völker. 3. ; Liebe Brüder und Schwestern, das Jahr 1448 kann als Geburtstag der albanischen Kirche des byzantinischen Ritus in Sizilien betrachtet werden, die heute in Piana ihren Bischofssitz hat, und es muß auch als Bezugspunkt für die Funktion angesehen werden, die die göttliche Vorsehung ihr im Rahmen des Ökumenismus zugedacht hat. Das Zweite Vatikanische Konzil erklärt nicht nur, daß dem kirchlichen und geistigen Erbgut der Ostkirchen schuldige Achtung und gebührendes 1433 Botschaften und Ansprachen Lob zu zollen sei, sondern es „betrachtet all das darüber hinaus als echtes Erbgut der gesamten Kirche Christi“ (Orientalium Ecclesiarum, Nr. 5). Die göttliche Vorsehung, deren Weisheit alles zum Wohl der Menschen lenkt, hat also eure Situation zu einer an Verheißungen fruchtbaren Lage gemacht: Euer Ritus, die albanische Sprache, die ihr weiterhin sprecht und pflegt, bilden zusammen mit euren jahrhundertealten Bräuchen eine Oase echten ostkirchlichen Lebens und Geistes, die in das Herz des Abendlandes verpflanzt wurde. Man kann daher sagen, ihr seid mit einer besonderen ökumenischen Sendung ausgestattet worden. Anläßlich des fünften Todestages eures Führers Giorgio Skanderberg empfing euch mein Vorgänger Paul VI. am Grab des Apostelfürsten mit dem Wunsch, ihr möget „das Bindeglied von Übereinkünften und Zusammenarbeit“ sein. Die Kirche erwartet von euch und von den gleicherweise verehrten und verdienstvollen albanischen Gemeinden des Eparchats von Lungro und des exarchen Klosters in Grottaferrata jene Mitarbeit am Dialog, der die Flamme der ersehnten Einheit zwischen den Schwesterkirchen des Ostens und des Westens entzündet halten und neu beleben soll. Euer Einsatz muß dadurch gekennzeichnet sein, daß er ein Element wachsender Verständigung und des Friedens, einen Grund der Kontinuität und Einheit der gesamten pilgernden Kirche darstellt. Wenn ihr euer echten ostkirchlichen Spiritualität treu seid, wird die Sehnsucht nach der vollen Einheit deren Erfüllung beschleunigen können, dem Gebet Christi entsprechend: „Ich bitte für sie, daß sie eins seien“ (vgl. Joh 17, 20 f.). 4. Als Nachfolger des Petrus und Bruders des Andreas, der als erster der Apostel den Auftrag erhalten hat, das harmonische Zusammenspiel der heiligen Kirchen Gottes in der Treue zum götthchen Gebot zu gewährleisten, richte ich von dieser gesegneten Insel wie vom Bug eines in den Hafen einlaufenden Schiffes einen brüderlichen Gruß des Friedens und der Liebe an die Schwesterkirchen in Konstantinopel und in Griechenland, indem ich euer Sehnen zusammen mit dem Sehnen der ganzen christlichen Welt aufgreife. In eurer Gemeinde und ihren Ausdrucksweisen im Ritus und im Glauben haben diese Kirchen immer eine Garantie für die Echtheit des Evangeliums gesehen. Das soll für uns alle ein Grund der Sicherheit für einen nutzbringenden Weg in Richtung auf die volle Einheit sein. Dies ist unser brennender Wunsch, in Zustimmung zu dem gebieterischen Aufruf des Evangeliums und voll Erwartung, den Lobgesang anstimmen zu können: „Halleluja! Denn König geworden ist der Herr, unser Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung . . . Denn gekommen ist die 1434 Botschaften und Ansprachen Hochzeit des Lammes, und seine Frau hat sich bereit gemacht“ (Offb 19, 6-7). 5. Liebe Brüder und Schwestern! Christus, der Herr, ist, weil er aus dieser Welt hinübergegangen ist zum Vater (vgl. Joh 13, 1), euer „Exodus“ gewesen. Er ist unser „Exodus“, unser „Pascha“, „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14, 6). Er ist also auch die „Erfüllung“. In Christus hat sich alles erfüllt, weil er den vollkommenen „Exodus“ für die Christen zustande gebracht hat, die „ungesäuertes Brot“ sind; und alles muß sich von Tag zu Tag weiter erfüllen in einer ununterbrochenen Aufnahme des Geistes, der alle Kirchen zur Einheit im „Pascha“ des Herrn umwandeln muß. Die Gottesgebärerin und ewige Jungfrau Maria, die „Odighitria“, die ihr die „Führerin“ nennt, hat gleich einem „Morgenstern“ zuerst in der Heimat eure Schritte gelenkt und euch dann einen neuen Weg gewiesen. Möge ihre mütterliche Fürsprache zusammen mit den heiligen Aposteln Petrus und Andreas die Schwesterkirchen, die katholische und die orthodoxe, in Freude zur vollen Einheit gelangen lassen: Das Herz von evangelischer Hoffnung erfüllt, hören wir die Worte des hl. Johannes Chrysosto-mos: „Unsere Hoffnung ist die Kirche, unser Heil ist die Kirche, unsere Zuflucht ist die Kirche“ (Hom. de capto Eutropio, 6), und wiederholen mit demselben heiligen Kirchenlehrer: „Der Name des Herrn sei gelobt jetzt und in Ewigkeit“ (Aus der Liturgie des hl. Johannes Chrysostomos): „Emri it’yne Zotit Qofte ibekuar. Amin. Amin.“ (O.R.22./23.11. 82) Wie zur Zeit der Urgemeinden Ansprache an die Vollversammlung des Päpstlichen Rates COR UNUM am 22. November Herr Kardinal! Liebe Brüder und Schwestern! <41> <41> Für den Bischof von Rom, der „in der universalen Gemeinschaft der Liebe den Vorsitz führt“ (Ignatius von Antiochia), ist es immer eine Freude, die Mitglieder des Päpstlichen Rates COR UNUM zu empfangen, der ihm bei der Ausübung seiner Diakonie der Liebe zur Seite steht. Seid also willkommen zu dieser neuerlichen Begegnung anläßlich eurer Vollversammlung. 1435 Botschaften und Ansprachen Von eurem Präsidenten, dem lieben Kardinal Gantin, und vom Sekretariat des Päpstlichen Rates werde ich während des Jahres auf dem laufenden gehalten über die Tätigkeiten, die ihr in den verschiedenen euch anvertrauten Bereichen entfaltet: in Notsituationen, auf dem Gebiet der Entwicklung, der Gesundheitsfürsorge, kurz das, was der Einsatzbereich „menschlichen und christhchen Fortschritt“ betrifft. Ich weiß um die intensive und ernste Arbeit, die alle diese vom Jahresbericht vorgelegten Aktivitäten voraussetzen, und das mit einem zahlenmäßig beschränkten Personal, das sich mit aller Hingabe einsetzt. Für diesen mit Hochherzigkeit, Uneigennützigkeit und sachhcher Kompetenz geleisteten Dienst danke ich euch, euch und allen, die daran mitarbeiten. 2. Der Sendungauftrag von COR UNUM läßt sich nicht allein durch die Arbeit des Präsidiums und des Sekretariats erfüllen. Es ist Sache von euch allen gemeinsam, die von Papst Paul VI. in seinem Einführungsschreiben vom 15. Juli 1971 für den Päpstlichen Rat festgelegten Ziele zu verwirklichen; ich zitiere daraus nur die ersten: „Sich bemühen, die Kräfte und Initiativen sämtlicher katholischer Organisationen und darüber hinaus des ganzen Gottesvolkes in Einklang zu bringen durch den Austausch von Informationen und eine vermehrte Anstrengung um Zusammenarbeit, um durch eine laufende Absprache den menschlichen Fortschritt mit Hilfe geeigneter Mittel sicherzustellen und zu fördern.“ Die Aufgabe eures Rates auf diesem Gebiet ist natürlich heikel und schwierig. In seiner Dienstfunktion für die Liebestätigkeit der Kirche steht der päpstliche Rat COR UNUM insbesondere mit den Ortskirchen, mit den Bischofskonferenzen und Bischöfen der verschiedenen Diözesen und mit den von ihnen abhängigen Hilfsorganisationen in Beziehung. Er kann sie natürlich nicht ersetzen, noch kann er zu einem zentralistischen Organ werden, vor allem nicht im Hinblick auf die Finanzverwaltung dieser Organisationen. Aber er steht ihnen zur Verfügung, um ihnen zu helfen, ihre Entscheidungen unter einem universelleren und mit Rücksicht auf eine noch weiter vertiefte Nächstenliebe besser koordinierten Gesichtspunkt zu treffen. Er ist ein Ort des Austausches und der Begegnung zwischen ihnen und mit dem Papst, wenn es sich um Probleme handelt, die sich aus der Praxis ihrer Liebestätigkeit ergeben. Für den Geist, der eine solche Aufgabe zu leiten hat, braucht es den klaren Blick für die Wahrheit und das Besorgtsein um sie, Vertrauen in den Ernst und die guten Verfügungen der Organisationen, ferner die Respektierung ihrer Persönlichkeit und ihrer je besonderen Verantwortlichkeiten, freundliche Aufnahme, Dialog, wenn nötig auch brüderliche Mahnung, kurz praktisch geübte Nächstenliebe. Und das setzt umgekehrt Annahme, 1436 Botschaften und Ansprachen Vertrauen und Zusammenarbeit von seiten der diözesanen, nationalen oder internationalen karitativen Institutionen voraus, von denen übrigens etliche in diesem Päpstlichen Rat vertreten sind. Kurz und gut, COR UNUM arbeitet dafür, daß alle Ortskirchen und in jeder Ortskirche die von ihr anerkannten Organisationen ihre eigentüchen Verantwortlichkeiten bei voller Respektierung der anderen Ortskirchen und Organisationen in einer harmonischen Koordinierung ausüben. Und COR UNUM kann diesen Dienst durch sein Charisma der Uneigennützigkeit, das noch durch seine breite Information und seine universale Sorge gefördert wird, in Abhängigkeit vom Papst leisten, der ihm dazu Kompetenz und Vollmacht verliehen hat. 3. Diese universale Sorge, von der ich gesprochen habe, verlangt nicht nur diesen Austausch von einem Land zum andern, sondern bisweilen eine weltweite Solidarität der Christen, um Notlagen von solchem Ausmaß und solcher Zuspitzung zu begegnen, daß sie dringende und ausreichende Hilfsmaßnahmen seitens einer großen Zahl von Gruppen erfordern, um zum Beispiel mit Naturkatastrophen fertigzuwerden oder besonders schwerwiegende Situationen zu meistern, wie jene der Flüchtlinge oder einer Bevölkerung, die vom Krieg heimgesucht wurde. Auch da hat COR UNUM einen einzigartigen Auftrag, nämlich zu informieren, zu sensibilisieren und eine rasche und wirksame Zusammenarbeit zustande zu bringen, „wobei die Persönlichkeit und die Verantwortung der Ausführung bei jeder einzelnen Organisation unangetastet bleiben“ (vgl. obengenannten Brief Pauls VI.). Wie viele Beispiele könnte man gerade heutzutage auf diesem Gebiet anführen, die die Berechtigung eurer Institution veranschaulichen! Bei derartigen Anlässen wendet sich der Papst direkt an COR UNUM, um seine Initiativen auf karitativer Ebene in die Tat umzusetzen und seine persönliche Beteiligung am Zeugnis der Nächstenhebe zu erbringen, wenn auch durch Gaben, die angesichts des ungeheuren Ausmaßes der Not notwendigerweise symbolisch bleiben. Für die Rohe, die ihr da als sein wirksames Werkzeug übernehmt, dankt er euch gleichfalls. 4. Schließlich - und das ist nicht weniger bedeutsam - ist es Sache des Päpstlichen Rates COR UNUM, eine wahrhaft katholische Reflexion über die Nächstenhebe in unserer Zeit zu fördern. Eine solche Reflexion bleibt nahe bei konkreten Erfahrungen, beim Handeln, und zielt darauf ab, im ganzen Volk Gottes und in der öffenthchen Meinung eine Bewegung der Nächstenliebe zu stärken, die der Größe der wirklichen Bedürfnisse entspricht und von einer echt christlichen, auf das Evangehum und die Soziallehre der Kirche gegründeten Sicht inspiriert wird. Deshalb bin 1437 Botschaften und Ansprachen ich froh, daß euch die jetzige Versammlung die Möglichkeit geboten hat, die Orientierung gründlicher zu studieren, die ich euch im vergangenen Jahr gab, als ich von eurer „katechetischen Sendung“ auf diesem Gebiet sprach. Man sagt mit Recht: „Die Liebe ist es, die rettet“; aber ich würde es wagen, in einem anderen Sinn hinzuzufügen: es gilt, genau genommen, die Liebe „zu retten“, das heißt, sie zu rehabilitieren, richtig zu sehen, was sie auf geistlicher Ebene miteinbezieht, sie wieder mit dem großen Plan der Liebe Gottes, mit dem dreifältigen Leben, von dem sie Zeugnis geben soll, zu verknüpfen, sie wieder im Hören des Evangeliums, des Wortes Gottes, entspringen zu lassen, sie im Gebet und in der Teilnahme an der Eucharistie, die ihr Höhepunkt ist, zu nähren. Es gilt daher, auch zu achten, daß die Liebe nicht von den anderen Forderungen der Seligpreisungen isoliert wird, es gilt, ihre Beziehungen zur Gerechtigkeit klarzustellen, auf die sie freilich nicht eingeengt werden darf, auch wenn diese gleichfalls die Förderung des Menschen zum Ziel hat. Und es gilt ferner, die Eigenart der Liebe im Vergleich zu den sozio-politischen Aktionen der weltlichen Behörden zu überdenken. Es ist wichtig, in den Blick zu bekommen, zu welchem individuellen und gemeinschaftlichen Engange-ment sie führen, auf welche zeitlichen und geistlichen Bedürfnisse sie sich erstrecken soll, welche Formen des Hungers und Durstes sie zu stillen versucht. Heutzutage erklären sich, Gott sei Dank, viele Menschen bereit, für unsere notleidenden Brüder einzutreten; und eine ganze Reihe tut das auf wirksame und uneigennützige Weise bis hin zu der Form des freiwilligen Einsatzes. Darüber muß man sich freuen! Ihr selbst unterhaltet gern Kontakte zu den nichtkatholischen und nichtkonfessionellen Einrichtungen zur Hilfe und Förderung des Menschen, vor allem auf internationaler Ebene. Die Kirche nimmt, was sie betrifft, „die Werke der Liebe als ihre eigene Pflicht und ihr unveräußerliches Recht in Anspruch“ (Apostolicam actuositatem, Nr. 8). Sie verlangt von ihren Söhnen und Töchtern die Übung dieser Liebe in ihrer ganzen evangelischen Ursprünglichkeit und Tiefe, in Perspektiven und mit Mitteln, die frei sind von jeder Parteilichkeit und Zweideutigkeit. Wie zur Zeit der ersten apostolischen Gemeinden gehört diese ausgesprochen christliche Nächstenliebe zum Wesen der Kirche, die inmitten dieser Welt insbesondere Zeugnis geben muß vom Vorrang der Hilfe für die Armen, für die Ärmsten, für die neuen Armen, und vom Vorrang der evangelischen Werte. Darin liegt die Bedeutung der Arbeit, die als Katechese der Liebe, als Erziehung des Gottesvolkes weiterzuführen ist, um ihm Klarstellungen, Motivierungen, Anregungen zu liefern. Es handelt sich im Grunde um eine Aufgabe der Evangelisie- 1438 Botschaften und Ansprachen rung. Viele Einrichtungen in der Kirche müssen sich dieser Aufgabe annehmen. Aber als Mitglieder des Päpstlichen Rates COR UNUM leistet ihr hier einen besonderen Beitrag ersten Ranges, wenn ihr den anderen verantwortlichen Stellen dabei helft, sich dessen bewußt zu werden. Für alle diese Aufgaben dankt und ermutigt euch der Papst. Er zählt auf euch und segnet euch von ganzem Herzen. Möge der Heilige Geist durch die Fürsprache der Jungfrau Maria, der Jungfrau von der Heimsuchung, euch erleuchten und das Feuer der Liebe in euch erhalten, daß sie euch in dem einen Herzen Christi vereint! (O. R. 22.123.11.82) Die Römische Kurie braucht eine immer stärkere pastorale Ausrichtung Ansprache bei der Eröffnung der Vollversammlung des Kardinalskollegiums am 23. November Liebe und ehrwürdige Brüder, Kardinäle der Heiligen Römischen Kirche! 1. Mit lebhafter und aufrichtiger Freude kann ich euch heute in dieser Aula nahe dem Petrusgrab, gleichsam im Herzen der Kirche, willkommen heißen. In den vergangenen Jahren sind viele von euch, auch mehrmals, aus den verschiedenen Teilen der Welt entweder zu ihrem „Ad-limina“-Besuch oder aus anderem Anlaß hierhergekommen; heute aber finden sich die Kardinäle aus besonderem Anlaß alle gemeinsam hier ein: Es beginnt nämlich die Vollversammlung des Heiligen Kollegiums, die erste, die auf jene Versammlung vor drei Jahren folgt, die am 5. November 1979 eröffnet wurde. Eine Versammlung dieser Art hatte — wie man behaupten darf - wenigstens in der neueren Zeit und in unseren Tagen noch nie stattgefunden mit Ausnahme der historischen Bedeutung besitzenden Konklaven. Ich begrüße euch voll Liebe und danke euch, daß ihr meiner Einladung gefolgt seid, obwohl das, wie ich sehr wohl weiß, manche Unannehmlichkeit für euch mit sich brachte, weil eure täglichen Arbeiten und Sorgen groß sind und euch belasten und beunruhigen. Da wir nun nach drei Jahren Zusammenkommen, kann ich nicht umhin, derjenigen zu gedenken, die in dieser Zeit von Gott in die himmlische 1439 Botschaften und. Ansprachen Heimat berufen worden sind; es sind folgende Kardinäle, deren Tod wir beklagen: Alfred Bengsch, Sergio Pignedoli, Egidio Vagnozzi, Stefan Wyszynski, Franjo Seper, Pericle Felici, John Patrick Cody, Carlos C. de Vasconcellos Motta, Giovanni Benelli. An sie alle haben wir eine lebendige Erinnerung und halten ihr Andenken in Ehren, und sie legen - daran zweifeln wir nicht - bei Gott Fürsprache ein für uns und für unsere Arbeiten, an denen sie bis an ihr Lebensende teilgenommen haben. 2. Zunächst möchte ich an das erinnern, was ich damals gesagt habe (vgl. Wort und Weisung, 1979, S. 273-283), um die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Einberufung von Versammlungen, an denen alle Mitglieder des Heüigen Kollegiums teilnehmen, zu beweisen und zu bekräftigen. Die Gründe dafür lassen sich klar veranschaulichen im Rückblick auf das Zweite Vatikanische Konzil, das die Kollegialität des gesamten Episkopats, was die pastorale Sorge für die Kirche betrifft, so deutlich ins Licht gestellt hat. Diese Kollegialität erreicht im ökumenischen Konzil eine besondere Fülle. Damit jedoch die Kollegialität des bischöflichen Dienstamtes im Leben der Kirche auch außerhalb des Konzils sichtbar wird, hat das Konzü selbst die Einrichtung der Bischofssynode gewünscht, der das Lob zusteht, daß sie - im Zeitraum gar nicht so vieler Jahre seit dem Konzil - viele Probleme behandelt hat, die für die Kirche von höchster Bedeutung sind. Gerade jetzt bereiten sich die Bischöfe der ganzen Welt auf eine ordentliche Tagung der Synode im Jahre 1983 vor, deren Thema Versöhnung und Buße eine ganz vorrangige Bedeutung für die Sendung der Kirche und der Christenheit in der heutigen Welt besitzt. Nicht zu vergessen ist, daß das Statut der Bischofssynode außer den ordentlichen Tagungen auch außerordentliche und Sondertagungen vorsieht. Auch Tagungen dieser Art sind in der nachkonziliaren Zeit bereits abgehalten worden. Unter diesen Zeichen der Kollegialität kann — das ist klar — das altehrwürdige Heilige Kollegium nicht übergangen werden. Während der Abhaltung der vorigen Versammlung hatte ich Gelegenheit, die Bande hervorzuheben, die dieses Kollegium mit der Römischen Kirche und dem universalen Dienstamt des Bischofs von Rom in der katholischen Kirche verbinden. Man kann sagen, daß sich die Präsenz dieses Kollegiums, was die besonders eng mit diesem Dienstamt verknüpften Probleme betrifft, nicht nur auf die historische Funktion dieses Kollegiums stützt, sondern auch auf die allgemeine Entwicklung der Kollegialität, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil als konkretes Faktum hervortritt. Der neue Einfluß, der dem Kardinalskollegium bei zeitgemäßen Problemen zuerkannt wird, verdunkelt den kollegialen Charakter des Bischofsamtes 1440 Botschaften und Ansprachen nicht, sondern macht ihn noch deutlicher, das heißt, die kollegiale Sorge aller Bischöfe der Kirche im Bereich der Unterweisung, der Seelsorge und der Heiligung des Gottesvolkes. 3. Nach diesen einleitenden Bemerkungen will ich in besonderer Weise auf die vorige Versammlung, die im November 1979 abgehalten wurde, zurückkommen. Ihr erinnert euch gut an die Probleme, über die damals wirksam und fruchtbringend verhandelt wurde, im Licht der „Grundlagen, von denen der Erfolg der gestellten Aufgabe in der Sicht der ganzen Kirche und in diesem geschichtlichen Augenblick abhängt“ (Wort und Weisung, 1979, S. 282): Das erste Problem betraf die Gesamtstruktur der Römischen Kurie; das zweite die Arbeit der Päpstlichen Akademien; das dritte die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Apostolischen Stuhls. In diesen kurzen Jahren, die jedoch an schweren und schmerzlichen Ereignissen reich waren, bemühte sich der Apostolische Stuhl, die Programme durchzuführen, die damals von den Mitgliedern dieser Versammlung - von einzelnen wie von den Sprachgruppen - vorgeschlagen und beraten wurden und über die ich zum Abschluß dieser Versammlung am 9. November 1979 zusammenfassend gesprochen habe. Ebenso wißt ihr auch, daß die von euch vorgeschlagenen Anregungen in die Tat umgesetzt wurden und werden. Ich möchte hier vor allem daran erinnern, daß das, was über das enge Verhältnis zur Kultur gesagt wurde, mit der Gründung des Päpstlichen Rates für die Kultur durch mein Schreiben vom 20. Mai d. J. an den Kardinalstaatssekretär konkrete Gestalt angenommen hat; dieser Rat ist bereits eifrig an der Arbeit. Darüber hinaus bewirkt die wachsende Sorge um die wirtschaftlichen Probleme ständige und wachsende Aufmerksamkeit; Ergebnis dieser Sorge ist der „Kardinalsrat zur Prüfung der organisatorischen und wirtschaftlichen Probleme des Apostolischen Stuhls“, der am 31. Mai vergangenen Jahres durch das Handschreiben Comperta habentes (AAS 73, 1981, S. 545 f.) eingesetzt wurde; ich fühle mich außerdem verpflichtet, euch allen für die kräftige Unterstützung zu danken, die der Apostolische Stuhl insbesondere von den Ortskirchen erhält. Auch andere Fragen, über die bei jener Gelegenheit verhandelt wurde und die den allgemeinen Bereich des Wirkens der Kirche für den Menschen in der modernen Welt betreffen, wurden günstig vorangebracht: Ich möchte gern die überaus wichtige Funktion erwähnen, die der Familien-pastoral zukommt; sie ist inzwischen bei der letzten Sitzungsperiode der Bischofssynode erörtert und untersucht worden; ihre Anregungen und Vorschläge wurden dann in das Apostolische Schreiben Familiaris consor-tiovom 22. November 1981 eingebracht (AAS74, 1892, S. 81-191); vor 1441 Botschaften und Ansprachen allem aber ist diese Aufgabe durch ein neues Organ der Römischen Kurie sichtbar geworden, nämlich den Päpstlichen Rat für die Familie, der mit dem Motu proprio Familia a Deo instituta am 9. Mai vergangenen Jahres eingerichtet wurde. Erinnern möchte ich auch an die Gründung des Päpstlichen Instituts für Studien über Ehe und Familie an der Päpstlichen Lateranuniversität, dessen volle Rechtsgestalt kürzlich von mir durch die Apostolische Konstitution Magnum matrimonii sacramentum vom 7. Oktober d. J. anerkannt und bestätigt wurde. Zum Ausdruck gekommen sind ferner durch Einleitung geeigneter Wege die Sorgen des Apostolischen Stuhls um die richtige und nachdrückliche Förderung der Heiligen Liturgie entsprechend den Richtlinien und Weisungen, die das Zweite Vatikanische Konzil für die Erneuerung gegeben hat. Bekanntlich ist, gemäß den bei unserer Versammlung vor drei Jahren ausgesprochenen Wünschen, die jeweilige Kompetenz der beiden Sektionen, aus denen sich die Kongregation für die Sakramente und den Gottesdienst zusammensetzt, genauer definiert worden; dadurch wurde -wie ich am Vorabend des Festes der Heiligen Petrus und Paulus den Mitgliedern der Römischen Kurie gesagt habe - der Sektion für den Gottesdienst größere Wirksamkeit verliehen in der Absicht, daß die Weisungen des Konzüs im religiösen und lebendigen Bereich der Heiligen Liturgie immer gewissenhafter befolgt werden. 4. Obwohl unsere Versammlung 1979 nur einige Probleme zum Thema und' Gegenstand hatte, die bereits damals eine dringende Erörterung erforderten, ist es jetzt jedoch notwendig, daß bei dieser Versammlung das ganze Problem dargelegt und behandelt wird. Und dieses Problem betrifft die Apostolische Konstitution Regimini Ecclesiae universae und ihren Gesamtkomplex, das heißt, sämtliche Dienststellen und ihre spezifischen Arbeiten, die im Dienst des Apostolischen Stuhls gegenüber der Gesamtkirche stehen. Papst Paul VI., der am 15. August 1967, kurz nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in jener Konstitution die Gesamtheit der auf die einzelnen Dienststellen, die den Apostolischen Stuhl bilden, verteilten Tätigkeiten zusammengefaßt und geordnet hatte, erkannte sehr wohl die Notwendigkeit, daß in dieser Angelegenheit noch weitergegangen werden muß. Diesem sehr schwierigen Problem wollen wir die jetzige Versammlung widmen. Zur genaueren und gründlicheren Erläuterung des Sinns der Dokumentation, die die Mitglieder des Kardinalskollegiums erhalten haben, wird dann ein detaillierter Bericht vorgelegt werden. Ich will also nur folgendes sagen: Nicht lange nach Veröffentlichung der Konstitutionen Regimini 1442 Botschaften und Ansprachen Ecclesiae universae wurde eine Sonderkommission eingesetzt, die Untersuchungen zu diesem Problem unter dem Vorsitz von Kardinal Ferdi-nando Antonelli anstellen sollte. In der Folge ist dasselbe Problem auf einigen Zusammenkünften behandelt worden, an denen unter dem Vorsitz des Papstes alle Präfekten der einzelnen Dikasterien der Römischen Kurie teilgenommen haben. Im Rahmen dieser Zusammenkünfte haben die Mitglieder des Kardinalskollegiums ihre Ansichten vorgetragen, die täglich mit den verschiedenen Gegenständen der vielfältigen Arbeit des Apostolischen Stuhls in Berührung kommen. Ihre Bemerkungen und Vorschläge entspringen daher der unmittelbaren Praxis, der Erfahrung der Dinge aus nächster Nähe. Wenn ich mich jetzt mit demselben Problem an alle Mitglieder des Kardinalskollegiums wende, dann tue ich das deshalb, weü - wenn auch nicht alle direkt an der Arbeit der Römischen Kurie teilnehmen - doch diese Probleme in gewiß verschiedener Weise ihre Erfahrung und ihren Eifer berühren. Ihr seid darum aufgefordert, das, was ihr meint, auch zu sagen. Ich erwarte mir von dieser Hilfe großen Nutzen. 5. Der Zeitpunkt, an dem wir unsere Versammlung eröffnen, ist von Bedeutung, weü bereits die letzten Verbesserungen vor Veröffentlichung des neuen Codex Iuris Canonici durchgeführt werden; auch damit wird sich ein eigener Bericht beschäftigen. Alle wissen nur zu gut, wie viele Konsultationen dem jetzigen Stand dieser Arbeit vorauf gegangen sind und daß sowohl die einzelnen Bischöfe wie die Bischofskonferenzen und auch andere erfahrene und durch besondere Gelehrsamkeit qualifizierte Personen ihre Meinung zu dieser wichtigen Frage darlegen konnten. Das Problem, mit dem wir uns auf dieser Versammlung beschäftigen, hat keinen so weiten Umfang noch eine so große Bedeutung. Trotzdem müßt ihr eure ganze Aufmerksamkeit darauf richten, damit alles, was den Dienst des Apostolischen Stuhls gegenüber der Gesamtkirche betrifft, den Notwendigkeiten und Zielsetzungen dieses Dienstes entsprechend bestimmt wird. Außer konkreten Verbesserungen, Ergänzungen und Änderungen, die in den Text der Konstitution Regimini Ecclesiae universae eingefügt werden müssen, erscheint eine Reflexion über die eigentlichen Grundlagen dieser Sache notwendig. Wenn aber zu Beginn für diese Reflexion die Teilnahme sämtlicher Mitglieder des Kardinalskollegiums unerläßlich ist, wird später - um geeignete Strukturen der Ämter und Arbeiten der Römischen Kurie zu schaffen - die Hilfe und Mitarbeit der Bischofskonferenzen und vor allem ihrer Vorsitzenden nützlich sein. Man muß nämlich die Beziehungen zwischen den Dienstämtern des Apostolischen Stuhls und den vielfältigen 1443 Botschaften und Ansprachen Organen, deren sich die Bischöfe bei ihrer Arbeit bedienen, in der richtigen Weise aufeinander abstimmen. Dieser Vorschlag, den wir zu Beginn unserer Arbeit aufgreifen, erlaubt uns nämlich, einige „grundsätzliche Prioritäten“ festzulegen. So erscheint es - bei Wahrung der hergebrachten Rechtsgrundlagen - notwendig, für die Strukturen der Römischen Kurie immer mehr die pastoralen Ausrichtungen zu suchen, die in der ganzen Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils so klar sichtbar wird. In dieser Richtung sind auch die Arbeiten der Bischofssynode nach dem Konzil gegangen. Sowohl die Aktivitäten selbst wie auch die Verbundenheit und Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Dikasterien der Kurie müssen noch viel stärker diese pastorale Ausrichtung zeigen. Heute arbeitet jede Diözese der Welt vorrangig pastoral. Der Dienst für die Einheit der Kirche, der Sache des Apostolischen Stuhls ist, muß sich also nach diesen pastoralen Notwendigkeiten und Aufgaben richten. Daß diese Notwendigkeien und Aufgaben sich beträchtlich voneinander unterscheiden, haben wir nach den hervorragenden Untersuchungen begriffen, die auf den Sitzungen der Bischofssynode über die Evangelisierung, über die Katechese und über das Familienleben durchgeführt wurden. Zusammen mit dieser Unterscheidung der Notwendigkeiten und Aufgaben stoßen wir auch auf das Problem oder die Dimension der Kultur, die wegen ihrer besonderen Eigenart die Evangelisierung, die Katechese, die christliche Sendung der Familie und ähnliches auf verschiedene Weise berührt. Wenn die Absicht des Apostolischen Stuhls in Richtung Seelsorge gehen soll, darf ein eigenes Organ nicht fehlen, das die Grundlagen der verschiedenen Kulturen unterscheidet und Verbindung zu ihnen sucht. Reicht unser Zeugnis auf dem Gebiet der Liebe zum Menschen und der sozialen Liebe aus? Das ist die erste und wichtigste Frage, die wir auch -und vielleicht vor allem - dem Apostolischen Stuhl selbst stellen müssen, weil man die Jünger Christi daran erkennen wird, daß sie Liebe üben (vgl. Joh 13, 35). 6. Diese Gedanken, die ich euch, Hebe und ehrwürdige Brüder, vor allem im Schlußteil meiner Eröffnungsansprache vorgelegt habe, beabsichtigen nicht, die Diskussion über das Generalthema bereits im eine bestimmte Richtung zu lenken; aber sie können zum Fortschritt der Diskussion nach den Erfahrungen und Überlegungen jedes Mitglieds beitragen. Euch alle, ehrwürdige MitgUeder des Kardinalskollegiums, bitte ich um eure voUe Mitarbeit im Rahmen der für die Versammlung bereits festhegenden Tagesordnung. Wenn es Vorschläge oder Bedenken zu diesem Programm 1444 Botschaften und Ansprachen geben sollte, können sie den Präsidenten vorgetragen werden, die darüber entscheiden, in welcher Weise sie in die Gesamtdiskussion auf genommen werden können. Schließlich empfehle ich unsere Arbeiten dem mütterlichen Beistand der hl. Maria, der Mutter der Kirche, und der Fürbitte der heiligen Apostel Petrus und Paulus für uns: Mögen sie uns erleuchten und in unserer Arbeit leiten, die nichts anderes will, nichts anderes sucht, nichts anderes verlangt als das Wohl der Kirche Christi und die Ehre des göttlichen Vaters. (O. R. 24.11. 82) Ankündigung des „Heiligen Jahrs der Erlösung“ für 1983 Ansprache zum Abschluß der Vollversammlung des Kardinalskollegiums am 26. November Ehrwürdige Brüder und Mitglieder des Hl. Kollegiums der Kardinäle! 1. Während die Arbeiten, mit denen wir uns in diesen Tagen eingehend beschäftigt haben und zu denen sich das gesamte Heilige Kollegium eingefunden hat, um wichtige Fragen, die zentrale Leitung der Kirche betreffend, zu behandeln, ihren Abschluß finden, kommen uns unwillkürlich die folgenden Psalmworte auf die Lippen: „Lobet, ihr Knechte des Herrn, lobt den Namen des Herrn! Der Name des Herrn sei gepriesen von nun an bis in Ewigkeit“ (Ps 113, 1-2). Ja, hebe Brüder, loben wir vor allem miteinander Gott, der uns Kraft und Beharrlichkeit gewährt hat, so daß wir aufs neue Zeugnis geben konnten von unserer vollen Anhänglichkeit an die Kirche, von unserem vitalen Einsatz, damit sie, in Suche nach einer besseren Nutzung der Mittel, die ihr zur Verfügung stehen, die ihr vom Herrn Christus übertragene Sendung zum Dienst an den Menschen glücklich fortsetzen kann. Wir gehören zur Kirche, wir leben für die Kirche, und wir wollen, mit Gottes Hilfe, alle unsere Kräfte der Kirche widmen. Mit Gottes Hilfe konnten wir im kurzen Zeitraum weniger Tage das vollbringen, was uns vorgeschwebt hatte. „Vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang sei der Name des Herrn gelobt!“ (Ps 113, 3). 1445 Botschaften und Ansprachen 2. Aber einen besonders herzlichen Dank muß ich euch, ehrwürdige Brüder des Heiligen Kollegiums, aussprechen. Wie vor drei Jahren, so seid ihr auch jetzt auf meine Einladung hin hergekommen, ungeachtet der Unbequemlichkeiten, die nicht wenige von euch auf sich nehmen mußten, während ihr zugleich eure Ortskirchen zurückließt, jede mit ihren eigenen Problemen und ihren eigenen Pastoralprogrammen. Ich danke euch vor Gott für eure Sorge um die vorrangigen Probleme der einen Kirche Christi, der die „Sorge für alle Gemeinden“ obliegt (2 Kor 11, 28); ich danke euch auch für den Ernst und den Eifer, den ihr in diesen arbeitsreichen Tagen bewiesen habt, für die Aufmerksamkeit, die ihr den behandelten Themen gewidmet habt, für die konkreten und verständigen Beiträge, die ihr teils mündlich, teils schriftlich geleistet habt oder durch kollegiale Erarbeitung der Voten der verschiedenen Sprachzirkel. Die Bemerkungen und Empfehlungen, die ihr vorgetragen habt sowie die Bemerkungen, die ihr in Monatsfrist hierhersendet, werden berücksichtigt; durch diese Vereinbarung wird in diesem Augenblick den Notwendigkeiten und Erwartungen der Kirche am ehesten entsprochen. 3. Am Ende dieser zweiten Versammlung des Heiligen Kollegiums muß folgendes festgestellt werden: - Auch diesmal sind der vitale Charakter und die besonderen Aufgaben des alten Instituts des Kardinalskollegiums als Senat, der den Papst bei der Erfüllung seiner universalen Pflichten im Dienst der Kirche und der Brüder unterstützt, wirksam geworden. - Wieder ist ein Fortschritt auf jenem Weg der Kollegialität erzielt worden, den das Zweite Vatikanische Konzil vorgezeichnet hat. Es stimmt, daß das Heilige Kollegium seine eigene, von der Bischofssynode verschiedene Physiognomie besitzt. Die Synode ist gewiß die wichtigste Darstellung der „Kollegialität“, das heißt jener besonderen „Verantwortlichkeit“ der Bischöfe, die das Konzil gewollt hat. Aber trotzdem bilden auch alle Kardinäle gemeinsam ein Kollegium - eben das Heilige Kollegium, das sich durch seinen alten und unverwechselbaren historischen Charakter auszeichnet -, und deshalb müssen die verschiedenen Möglichkeiten betont werden, die ihm und den Formen des Dienstes, die es zu übernehmen vermag, eigen sind. Die Zukunft wird auf diesem Gebiet immer neue und reiche Erfahrungen liefern. Die beiden Organismen bestätigen also auf hervorragende Weise jene Wahrheit, die von der dogmatischen Konstitution über die Kirche unterstrichen wurde: Das Kollegium der Bischöfe „stellt, insofern es aus vielen zusammengesetzt ist, die Vielfalt und Universalität des Gottesvolkes, insofern es unter 1446 Botschaften und Ansprachen einem Haupt versammelt ist, die Einheit der Herde Christi dar“ (Lumen gentium, Nr. 22). So betrachtet erhält die kollegial durchgeführte Arbeit, in deren Verlauf die zentralen Strukturen des Apostolischen Stuhls geprüft und erörtert wurden, große Bedeutung: insofern nämlich - trotz der knappen Zeit, die zur Verfügung stand - die neuralgischen Punkte der heutigen Arbeitsweise des Apostolischen Stuhls für das ganze Gottesvolk diskutiert wurden. 4. Die behandelten Punkte werden in einem Schlußkommunique zusammengefaßt werden. Daher will ich mich nicht bei jedem einzelnen Punkt aufhalten. Doch stelle ich nach Abschluß unserer Versammlung mir und euch noch einmal die Frage, die ich zu Beginn der Arbeiten dieses Jahres gestellt habe: Ist unser Zeugnis auf dem Gebiet der Liebe ausreichend? Im Hinblick auf diese Frage gewinnen die einzelnen Tagungspunkte Bedeutung. Was die Liebe im universalen Dienst der Römischen Kurie betrifft, habe ich in meinem jüngsten Brief an den Kardinalstaatssekretär geschrieben: Dieser „Dienst schließt vor allem eine kirchliche Verantwortlichkeit ein, nämlich im Geist echten Glaubens zu leben“ (vgl. Schreiben an Kard. Casaroli vom 20. November 1982, Nr. 5). Anhand des euch vorgelegten Berichts habt ihr euch über den Stand der Arbeiten zur Revision der Ap. Konst. Regimini Ecclesiae universae unterrichtet und über die immer dringlichere Notwendigkeit, daß die Römische Kurie ihrer ganz besonderen Sendung, Berufung und Verantwortung entspricht, nämlich dem Dienst an der „universalen Versammlung der Liebe“. Ich danke schon jetzt für die Vorschläge, die ihr gemacht habt und noch übersenden werdet, damit alles zu einem sicheren und glücklichen Ende geführt wird. Dieser Dienst findet ferner seinen Ausdruck in der wesentlich pastoralen Orientierung, die das Fundament des gewaltigen Werkes der Beratung und Redaktion des neuen Codex Iuris Canonici bildete und die auch den Geist seiner Anwendung bestimmen wird. Der neue Kodex, der mit umfassender Konsultierung der Bischöfe der ganzen Welt zustande kam, ist schon an sich das Ergebnis einer kollegialen Arbeit. Jetzt hegt es am Papst - auf Grund der ihm von Christus übertragenen Autorität -, durch die Promulgierung den letzten Abschnitt dieser Arbeit zu vollziehen. Die Wichtigkeit dieses Werkes erfordert aber noch eine gewisse Zeit der Prüfung und Überlegung. Mit dieser Aufgabe habe ich eine kleine und qualifizierte Studiengruppe betraut. Das alles hat nur den einen Zweck, daß der neue Kodex wirklich den empfundenen pastoralen Notwendigkeiten entspricht und so für die Kirche unserer Zeit brauchbar ist. 1447 Botschaften und Ansprachen Die Liebe aber, die von den Menschen zu Gott emporsteigt, muß alle Formen des Gottesdienstes beseelen und, indem sie aus der sakramentalen Kommunikation mit Gott ihre Lebenskraft schöpft, sich horizontal den am dringendsten empfundenen Bedürfnissen unserer heutigen Gesellschaft zuwenden: in der Familienpastoral, im Einsatz für die Kultur, gemäß den Richtlinien, die hier schon erläutert worden sind. 5. Ganz besonders möchte ich euch für die Aufmerksamkeit danken, mit der ihr euch dem Problem des „Instituts für die Werke der Religion“ (IOR) gewidmet habt. Eine Kommission von fünfzehn Kardinälen hat die Sache bekanntlich geprüft, noch bevor sich das Kollegium der Kardinäle dieser Tage hier versammelte. Es handelt sich um eine heikle, komplizierte Frage, die in allen Einzelheiten besprochen wurde; ihr habt ein entsprechendes Expose erhalten; es wird in dem heutigen Kommunique in zusammengefaßter Form veröffentlicht werden, und ihr konntet diese Frage auch anhand der notwendigen Vorschläge kennenlemen. Der Apostolische Stuhl ist bereit, alles zu tun, um eine Zusammenarbeit beider Teile zu erreichen, damit die volle Wahrheit ans Licht kommt. Auch in dieser Angelegenheit will er einzig und allein der Liebe dienen. Und in der Tat, das wirtschaftliche Problem des Apostolischen Stuhls, mit dem ihr euch ausführlich beschäftigt habt - wofür ich euch danke -, muß in seinem ganzen Umfang auch und immer unter dem Aspekt der Liebe betrachtet werden. Denn der Apostolische Stuhl lebt ja von jener Liebe, die gewissermaßen das Kennzeichen christlicher Präsenz in der Welt ist. In dem bereits erwähnten Brief schrieb ich daher: „. . . Die Hauptgrundlage für den Unterhalt des Apostolischen Stuhls sind Spenden, die von den Katholiken der ganzen Welt und eventuell auch von anderen Menschen guten Willens freiwillig erbracht werden. Das entspricht der Tradition, die ihren Ursprung im Evangelium (vgl. Joh 12, 6-8) und den Lehren der Apostel hat“ (Schreiben an Kardinalstaatssekretär Casaroli vom 20. November 1982, Nr. 2). Die Liebe Christi, die uns drängt (vgl. 2 Kor 5, 14), legt dem Apostolischen Stuhl die Verpflichtung auf, ein Pastoralprogramm von universalen Proportionen und Dimensionen durchzuführen, wozu die Verwirklichung des Konzils, die Evangelisierung sämtlicher Bereiche der Gesellschaft und der gerechte Unterhalt seiner Mitarbeiter gehören. Der Apostolische Stuhl leistet das alles mit äußerst geringen Mitteln, die sich - verglichen mit den Ausgaben der verschiedenen Organisationen politischen, sozialen und internationalen Charakters - wahrhaftig eher mit dem „Scherflein der armen Witwe“ (vgl. Lk 21,2) vergleichen lassen. Das verlangt natürlich große, ja, ich würde sagen, sorgfältigste Achtsamkeit bei der Verwaltung 1448 Botschaften und Ansprachen dieser Mittel: Daran also will sich der Hl. Stuhl möglichst gewissenhaft halten, wenn er von seinen Mitarbeitern dringend den Geist der Sparsamkeit und zugleich jenes Vertrauen in die Göttliche Vorsehung fordert, über die ich gleichfalls in dem Schreiben an den Kardinalstaatssekretär gesprochen habe (ebd., Nr. 3). 6. Schließlich ist mir jetzt sehr daran gelegen, euch etwas anzukündigen, was für euch und für die ganze Kirche zweifellos eine große Freude sein wird. Im Jahre 1933 beging mein Vorgänger seligen Andenkens Pius XI. durch ein außerordentliches Heiliges Jahr feierlich die Wiederkehr der Erlösung vor 1900 Jahren; im kommenden Jahr werden es 1950 Jahre sein. Obwohl es bisher nicht üblich war, ein dazwischenhegendes Heiliges Jahr zu feiern, gibt es starke Gründe dafür, dieses Gedenken 50 Jahre danach auch 1983 in entsprechender Weise zu begehen; an erster Stelle steht die außerordentliche Bedeutung des Ereignisses selbst, das die Herzen der Menschen zu immer größerer Liebe und Verehrung für das Heilswerk Christi, des „Erlösers des Menschen“, das er durch das österliche Geheimnis seines Leidens, seines Todes und seiner Auferstehung vollbracht hat, anleiten soll. Dann steht die nächste Bischofssynode bevor, bei der über Versöhnung und Buße in der Sendung der Kirche gesprochen wird: Das Heilige Jahr wird sicher nachdrücklich und lebhaft dazu beitragen, daß dieses Thema tiefer empfunden und die Gedanken und Gefühle der Menschen unserer Zeit eindringlicher das Sakrament gelenkt werden, das Christus eingesetzt hat, um jedem einzelnen Menschen die Schätze seiner durch sein Blut erwirkten Erlösung zuteil werden zu lassen: „Denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden“ (1 Kor 6, 20), „nicht um einen vergänglichen Preis, nicht um Silber oder Gold . . ., sondern mit dem kostbaren Blut Christi“ (1 Petr 1, 19-10). Nicht zuletzt aber soll das Jubeljahr der Erlösung auch dazu beitragen, das Heilige Jahr 2000 in angemessener Weise vorzubereiten. In Anbetracht all dieser Gründe und entsprechend verschiedener Bitten, die hierzu eingegangen sind, schien es daher angebracht, für das Jahr 1983 ein „Heiliges Jahr der Erlösung“ anzusetzen, das in der kommenden Fastenzeit beginnen soll. Wir bitten den Herrn, daß die Feier einen kräftigen Impuls zur geistlichen Erneuerung in allen Bereichen der Kirche mit sich bringe. Ich bin voller Zuversicht, daß eine entsprechende und richtige Vorbereitung des Heiligen Jahres diese Initiative möglichst fruchtbar machen wird. 7. Ehrwürdige Brüder! Nun, da wir auseinandergehen, bringe ich voll Hoffnung und Freude noch einmal jenem göttlichen Beistand unseren Dank dar, der uns bei unseren 1449 Botschaften und Ansprachen Arbeiten erleuchtet hat, uns bei unseren demütigen Bemühungen und Untersuchungen unterstützt und auf dem Weg der Liebe geführt hat. Und „wo Liebe ist, dort ist Gott“. Und Gott war bei uns. Wenn wir von hier auseinandergehen, nehmen wir den erneuerten Willen mit uns, mit allen Kräften, mit allen Fähigkeiten, mit vollem und glühendem Herzen Christus und der Kirche zu dienen. Maria, die Mutter der Kirche, die Königin der Apostel, die Mutter der Bischöfe, die im Abendmahlssaal das Gebet des Apostelkollegiums unterstützte und durch ihre Gegenwart die entstehende Kirche stützte, wird durch ihre Fürsprache für uns erwirken, daß wir nie von dem Gebot der Liebe, das uns Christus aufgetragen hat, ablassen. Ihr stellen wir uns zur Verfügung und bitten sie darum, uns nie zu verlassen. Euch allen, geliebte Brüder, erteile ich von ganzem Herzen meinen Apostolischen Segen. (O. R. 27.11. 82) Fortpflanzung im göttlichen Heilsplan Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses der „Bewegung für das Leben“ am 4. Dezember Sehr geehrte Herren! 1. Mit großer Freude heiße ich Sie herzlich willkommen, während ich Sie zum Abschluß Ihres internationalen Kongresses zum Thema „Pränatale Diagnose und chirurgische Behandlung angeborener Mißbildungen“ hier in Sonderaudienz empfange. Ich begrüße und danke Herrn Professor Bompiani, der mich freundlicherweise über die bei den Arbeiten erzielten Ergebnisse informierte, und mit ihm begrüße ich auch alle, die ihren wissenschaftlichen Beitrag zur Vertiefung eines ganz neuen und für die Zukunft wichtigen Themas geleistet haben. Mein Gruß gilt sodann den Veranstaltern des Kongresses, also den Mitgliedern der „Bewegung für das Leben“, die sich hochherzig bei der Suche nach allen nützlichen Wegen zum Schutz und zur Förderung dieses fundamentalen Wertes der Person einsetzen. Gern nehme ich diese Gelegenheit wahr, um den Führern dieser Bewegung und allen, die ihre Initiativen unterstützen, meinen aufrichtigen Dank zum Ausdruck zu bringen, während ich sie auffordere, sich von Schwierigkeiten und Hin- 1450 Botschaften und Ansprachen dernissen, die sich ihnen in den Weg stellen könnten, nicht bei ihrem engagierten Dienst an einer so edlen Sache einschränken zu lassen. Ein Grußwort habe ich schließlich noch für die Verantwortlichen des Bundes der „Casse Rurali ed Artigiane“ (Land- und Handwerkssparkassen) bereit, die durch ihren großzügigen Beitrag die Veranstaltung des Kongresses möglich gemacht haben. Die sozialen Zielsetzungen, von denen sich die Arbeit ihrer Institute leiten läßt, können sehr wohl in Initiativen Ausdruck finden, die sich wie die gegenwärtige der Förderung des Lebens zuwenden, weil sich jede andere Verwirklichung des Menschen auf diesen Wert stützt. 2. Das behandelte Thema öffnet sehr wichtige Perspektiven hinsichtlich heilender Eingriffe, die der Medizin und Chirurgie der Vergangenheit unbekannt waren und die der moderne wissenschaftliche Fortschritt schon heute möglich macht oder in nächster Zukunft zu ermöglichen verspricht. Der Christ muß sich, wie im übrigen jeder Mensch guten Willens, über die Schritte freuen, die die Wissenschaft auf einem Weg tut, der offen ist für immer geeignetere und wirksamere Therapien, auch in den heikelsten und entscheidendsten Bereichen. Indem die Kirche die bisher erreichten Ergebnisse voll Freude zur Kenntnis nimmt, möchte sie gern alle jene ermutigen, die die Gaben ihres Verstandes auf diesem äußerst wichtigen Gebiet der medizinischen Forschung, das die ersten Monate der Existenz des Menschenwesens betrifft, fruchtbar einsetzen. Jeder wird sich zudem der Risiken bewußt sein, die jeder therapeutische Eingriff für ein Wesen bedeutet, das gerade erst zum Leben erwacht ist und daher noch besonders schwach und der Gefahr des Todes oder nicht mehr zu behebender Schäden mehr als später ausgesetzt ist. Eingedenk des Gebotes antiker Weisheit: primum non nocere („das erste Gebot lautet: nicht schaden“), soll der Wissenschaftler also alle Sorge darauf verwenden, dem Leben, das er retten und verbessern will, keinen Schaden zuzufügen, indem er sich bei seinen Entscheidungen von der größten Klugheit und Vorsicht leiten läßt. In diesem Zusammenhang wird man indessen nachdrücklich darauf hin-weisen müssen, daß man vielen angeborenen Mißbüdungen erblichen Charakters mit einer Eheberatung zuvorkommen kann, wenn man sich an die noch immer gültigen Orientierungen hält, die Papst Pius XII. zu dieser Frage angegeben hat (vgl. Ansprache an die Teilnehmer am VII. Internationalen Kongreß für Hämatologie am 12. 9. 1958: AAS 50, 1958, 732—740). Die Entdeckungen von P. Gregor Mendel und die von ihnen ausgehende Vererbungslehre erlauben das Risiko von Erbkrankheiten zu ermessen. Aufgabe des verantwortungsvollen Arztes wird es daher sein, 1451 Botschaften und Ansprachen im weiten Umfeld möglicher Mißbildungen diejenigen in Betracht zu ziehen, die sich auf der Grundlage eines sorgfältigen Studiums des Stammbaumes der Personen, die ein neues Wesen ins Leben rufen wollen, als wahrscheinlich ergeben. 3. Ein besonderes Thema Ihrer Überlegungen auf dem Kongreß waren die Mißbildungen, die bereits beim Ungeborenen vorhanden sind, und die verschiedenen Techniken, derer man sich bedienen kann, um sie erkennbar zu machen und rechtzeitig zu heilen. Das ist ein Thema, das ausschließlich in Ihre Kompetenz fällt. Mich drängt es hier, an einige sittliche Grundwerte zu erinnern, auf die man ständig Bezug nehmen muß, wenn man vermeiden will, daß sich Fortschritte auf dem Gebiet der Wissenschaft statt dessen als schreckliche Rückschritte im Bereich des Humanen erweisen. So gesehen gilt es vor allem, die Heiligkeit der Zeugungsfunktion zu bekräftigen, in der Mann und Frau mit Gott Zusammenwirken bei der Fortpflanzung des menschlichen Lebens nach seinem überirdischen Heilsplan. Ich will hier nicht wiederholen, was ich in diesem Zusammenhang in dem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio gesagt habe. Ich muß jedoch wenigstens die im Naturgesetz selbst wurzelnde strenge Verurteilung aller direkten Angriffe auf das Leben des Unschuldigen bekräftigen: Das Menschenwesen, das sich im Mutterleib entwickelt, ist unschuldig im Vollsinn des Wortes. Es ist somit klar, daß intrauterine Untersuchungen, die dazu dienen, die erbliche Belastung von Embryos oder Föten so frühzeitig festzustellen, um diese sogleich durch Abtreibung beseitigen zu können, von Anfang an verfehlt und als in sich moralisch unzulässig zu betrachten sind. <42> Ebenso unannehmbar ist jede Form des Experimentierens am Fötus, die seine Unversehrtheit gefährden oder seine Lage verschlechtern könnte, außer wenn es sich um den äußersten Versuch handelt, ihn vor dem sicheren Tod zu retten, da für ihn das allgemeine Prinzip gilt, das die Manipulation eines menschlichen Wesens zum Vorteil der Wissenschaft oder zum Wohl eines anderen untersagt. <42> Gemeint sind intrauterine Fruchtwasseruntersuchungen = Amniocentese (Anmerkung des Herausgebers). 4. Von welchen Kriterien wird sich also der Arzt leiten lassen, der sein Verhalten den fundamentalen Werten der sittlichen Norm anpassen will? Er wird vor allem sorgfältig die möglichen negativen Konsequenzen abschätzen müssen, die die notwendige Anwendung einer bestimmten Technik für das ungeborene Leben haben kann, und er wird die Anwendung diagnostischer Methoden vermeiden, für deren ehrenvollen Zweck 1452 Botschaften und Ansprachen und wesentliche Gefahrlosigkeit man keine ausreichenden Garantien besitzt. Und wenn er sich, wie es bei menschlichen Entscheidungen oft der Fall ist, einem Risikofaktor stellen muß, wird er bemüht sein zu prüfen, ob dieser von einer echten Dringlichkeit der Diagnose und der Wichtigkeit der damit erreichbaren Ergebnisse zugunsten des Ungeborenen selbst aufgewogen wird. Falls dann das Vorhandensein einer Mißbildung nachgewiesen ist, wird der Arzt nicht versäumen, sämtliche sicheren therapeutischen Hilfsmittel anzuwenden, die beim gegenwärtigen Stand der Forschung zur Verfügung stehen: also nicht nur die medizinischen Therapien, die seit langem in Gebrauch sind, sondern auch - natürlich nur, wenn es ihm die Vorbildung erlaubt - jene neuesten chirurgischen Eingriffe, die aufgrund der auch bei Ihrem Kongreß bekanntgemachten Informationen Ergebnisse von überraschender Tragweite erbringen. Die Entscheidung für die Durchführung des chirurgischen Eingriffs oder den Verzicht darauf sowie die Wahl der Axt des Eingriffs und der dabei konkret anzuwendenden Technik sind Fragen, die der Arzt selbst nach Wissen und Gewissen lösen muß, wobei er sich sorgfältig zu vergewissern hat, daß der Eingriff wirklich notwendig ist, von den Eltern in freier Entscheidung gebilligt wird und als solcher normalerweise die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges bietet, der eindeutig die schädlichen Folgen überwiegt. Leider gibt es häufig Mißbildungen, die von Chromosomenkrankheiten herrühren, die sich zumindest vorläufig therapeutischen Eingriffen entscheidender Art entziehen. Auch in diesen Fällen wird die Medizin alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Äußerungen der Krankheit zu lindern, doch sie wird sich gewissenhaft vor jeder Behandlung hüten, die eine verschleierte Form einer absichtlich herbeigeführten Abtreibung sein könnte. Denn der Träger dieser Anomalie verliert ja durch sie nicht die dem Menschenwesen eigenen Vorrechte, so daß ihm die Achtung gezollt werden muß, auf die jeder Patient ein Recht hat. 5. Sehr geehrte Herren, die sittlichen Grundsätze, an die ich soeben erinnert habe, stellen - das wissen Sie - kein Hindernis für den wissenschaftlichen Fortschritt dar, der ja auch ein Fortschritt des Menschen sein will, wenn er in der höheren Würde seiner transzendenten Bestimmung gesehen wird. Eine der ernstesten Gefahren, denen unsere Zeit ausgesetzt ist, ist in der Tat der Bruch zwischen Wissenschaft und Moral, zwischen den Möglichkeiten, wie sie von einer auf immer erstaunlichere Ziele ausgerichteten Technologie angeboten werden, und den sittlichen Normen, die sich aus der in immer höherem Maße vernachlässigten Natur ergeben. Es ist unbedingt notwendig, daß sich alle verantwortlichen 1453 Botschaften und Ansprachen Personen darin einig sind, wieder den Vorrang der Ethik vor der Technik, den Primat der Person über die Dinge, die Überlegenheit des Geistes über die Materie zu betonen. Nur unter dieser Bedingung wird der wissenschaftliche Fortschritt, der uns durch so viele seiner Aspekte in Begeisterung versetzt, sich nicht in eine Art modernen Moloch verwandeln, der seine unvorsichtigen Anhänger verschlingt. „Der Mensch überragt unendlich den Menschen“, hat Pascal geschrieben (Pensees, 434). Diese Intuition, zu der man noch hinzufügen kann: „schon mit den Mitteln seiner eigenen Vernunft“, wird vom Glauben bekräftigt, der im Menschen das Hauptwerk des Schöpfers sieht, das im Blut Christi erneuert wurde und berufen ist, auf ewig einzugehen in die Familie der Kinder Gottes. Diese tiefen Wahrheiten der Vernunft und des Glaubens, liebe Mediziner und Chirurgen, mögen stets Ihre edle Tätigkeit erleuchten und die Richtung angeben für Handlungsentscheidungen, damit niemals der höchste Wert, die Würde der Person, verletzt wird. Mit diesem Wunsch erteile ich Ihnen und allen Anwesenden sowie auch den Angehörigen aus ganzem Herzen den Apostolischen Segen als Unterpfand jeder ersehnten himmlischen Gnade. (O.R. 5. 12. 82) In Staat und Gesellschaft glaubwürdig wirken! Ansprache bei der Audienz für eine Gruppe christlicher Parlamentarier aus Österreich am 6. Dezember Sehr geehrte Damen und Herren! Zu Ihrem heutigen Besuch im Vatikan, dem Sitz des Nachfolgers Petri, heiße ich Sie herzlich willkommen. Es ist mir eine besondere Freude, Sie, die Sie als christliche Politiker im Bundesrat, im Nationalrat oder in einzelnen Landtagen Österreichs dem Wohl Ihres Volkes dienen, hier mit Ihren Angehörigen und Freunden begrüßen zu können. In der Vielfalt der Meinungen und politischen Überzeugungen bekennen Sie sich in Ihrem Staat zu der Notwendigkeit einer Politik aus christlicher Verantwortung. Sie haben sich als Christen Jesus Christus, seine Lehre und sein Leben, als wegweisendes Vorbild genommen. Daraus erwächst eine besondere Verpflichtung für Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft. Dieses muß von persönlicher Glaubwürdigkeit getragen sein, die den 1454 Botschaften und Ansprachen Christen im öffentlichen wie privaten Leben gleichermaßen erkennen läßt. Christliches Apostolat und politische Verantwortung sollen sich gegenseitig durchdringen und im Dienst am Mitmenschen für eine würdige und gerechte Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens fruchtbar werden. Als christliche Politiker teilen Sie in einer besonderen Weise den Auftrag des katholischen Laien, der nach dem Konzüsdokument über das Laienapostalat darin besteht, der christlichen Auffassung vom Menschen im gesellschaftlichen und staatlichen Leben zu Anerkennung und Geltung zu verhelfen, indem Sie sich entschlossen darum bemühen, „das Gemeinwohl zu fördern und das Gewicht ihrer Meinung stark zu machen, damit die staatliche Gewalt gerecht ausgeübt wird und die Gesetze der sittlichen Ordnung und dem Gemeinwohl entsprechen“ (Ap. act., Nr. 14). Im gegenwärtigen Augenblick wird Ihre besondere Aufmerksamkeit dem Schutz des menschlichen Lebens, der Achtung von Ehe und Familie sowie der Förderung der öffentlichen Sittlichkeit zu gelten haben. Christliche Politik besagt zugleich auch überzeugenden Einsatz im kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Bereich, auf daß Fortschritt, Sicherheit und Wachstum nicht Selbstzweck werden, sondern dem wahren Wohl und der ganzheitlichen Entfaltung des Menschen dienen. Eine besondere Verantwortung erwächst Ihrem Land aus seiner zentralen Lage in der Mitte Europas, an der Scheidelinie zwischen Ost und West. Wie in der Vergangenheit erfüllt es auch in der Gegenwart vielfach die Funktion des Brückenschlags zwischen den Völkern. Österreich hat sich durch seine Stellung als neutraler Staat nicht seiner Verantwortung in der Völkergemeinschaft entzogen, sondern sich stets bemüht, seinen Beitrag zur Friedenssicherung und Völkerverständigung zu leisten. Das zeigt sich auch vor allem dann, wenn Menschen in anderen Staaten in Not geraten. So haben gerade in den letzten Monaten auch viele meiner Landsleute in den verschiedenen österreichischen Bundesländern gastfreundliche Aufnahme gefunden. In der Hoffnung, daß ich im kommenden Jahr persönlich Ihrem geschätzten Land meinen geplanten Pastoralbesuch abstatten kann, grüße ich durch Sie zugleich alle, die für das Leben und Wirken Ihres Volkes Verantwortung tragen. Ebenso wünsche ich Ihnen in diesen Tagen einen schönen und fruchtbaren Romaufenthalt. Möge Ihnen aus der Begegnung mit dem reichen kulturellen und religiösen Erbe der Ewigen Stadt für Ihre verantwortungsvolle Tätigkeit in der Heimat neue Kraft und Zuversicht erwachsen. Das erbitte ich Ihnen mit meinem besonderen Apostolischen Segen. (O. R. 6J7.12. 82) 1455 Botschaften und Ansprachen „Sei gegrüßt, der Herr ist mit dir“ Predigt bei der Messe in Santa Maria Maggiore am 8. Dezember „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“ (Lk 1, 28). 1. Während diese Grußworte des Engels in unserem Herzen nachklingen, möchte ich gemeinsam mit euch, hebe Brüder und Schwestern, den Blick auf das Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis der seligen Jungfrau Maria richten, und zwar aus der geistigen Sicht des hl. Maximilian Kolbe. Er hat sein ganzes Lebenswerk und seine Berufung mit der unbefleckt empfangenen Jungfrau Maria verbunden. Und darum hat er uns gerade in diesem Jahr, in dem er zur Ehre der Altäre erhoben wurde, am Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau, als deren ergebenen „Streiter“ er sich gern bezeichnete, viel zu sagen. Die Liebe zur unbefleckt empfangenen Jungfrau war in der Tat Mittelpunkt seines spirituellen Lebens, sprudelnde Quelle und treibende Kraft seines apostolischen Wirkens. Das erhabene Vorbild der Immaculata erleuchtete und leitete sein ganzes Dasein auf den Straßen der Welt und machte seinen heldenmütigen Tod im Vernichtungslager von Auschwitz zu einem großartigen Zeugnis eines Christen und Priesters. Mit dem Gespür des Heiligen und geschärften Sinn des Theologen stellte Maximilian Kolbe außerordentlich tiefe Überlegungen über das Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis Mariens im Licht der Heiligen Schrift, des Lehramtes und der Liturgie der Kirche an und gewann daraus wunderbare Lebenslehren. Er ist in unserer Zeit als Prophet und Apostel eines neuen „marianischen Zeitalters“ hervorgetreten, das zum Ziel hat, Jesus Christus und sein Evangelium in der ganzen Welt in hellem Licht erstrahlen zu lassen. Dieser Sendungsauftrag, den er voll leidenschaftlicher Hingabe voranbrachte, „reiht ihn - wie Paul VI. in der Predigt anläßlich der Seligsprechung Pater Kolbes sagte - unter die großen Heiligen und Seher ein, die das Geheimnis Mariens begriffen, verehrt und besungen haben“ (O.R.dt., Nr. 3 vom 22. 10.1971). Obgleich er sich der unerschöpflichen Tiefe des Mysteriums der Unbefleckten Empfängnis - weshalb ja „menschliche Worte nicht imstande sind, diejenige darzustellen, die wahrhaftig die Mutter Gottes geworden ist“ (Gli scritti di Massimiliano Kolbe, eroe di Oswiecjm e Beato della Chiesa, 3 Bde., Florenz 1975, Bd. III, S. 690) -bewußt war, bildete seinen größten Kummer die Tatsache, daß die ohne Erbsünde empfangene Jungfrau nicht hinreichend bekannt sei und geliebt werde in der Nachfolge Jesu Christi, und wie es die Überlieferung der 1456 Botschaften und Ansprachen Kirche und das Beispiel der Heiligen lehren. Denn, indem wir Maria lieben, ehren wir Gott, der sie zur Würde der Mutter seines eingeborenen Sohnes in seiner Menschwerdung erhob, und verbinden uns mit Jesus Christus, der sie als Mutter geliebt hat; wir werden sie niemals lieben, wie er sie geliebt hat: „Jesus war der erste, der sie als seine Mutter verehrt hat, und wir müssen ihn und darin nachahmen. Es wird uns niemals gelingen, an die Liebe heranzureichen, mit der Jesus seine Mutter geliebt hat“ {ebd., Bd. II, S. 351). Die Liebe zu Maria - versichert Pater Maximilian -ist der einfachste und leichteste Weg zu unserer Heiligung und zur Verwirklichung unserer christlichen Berufung. Die Liebe, von der er spricht, ist gewiß nicht oberflächliche Sentimentalität, sondern sie bedeutet hochherziges Bemühen, Ganzhingabe der Person, wie er selbst es uns mit seinem Leben evangelischer Treue bis hin zu seinem heldenmütigen Tod bewiesen hat. 2. Der hl. Maximilian Kolbe konzentriert seine Aufmerksamkeit unablässig auf die Unbefleckte Empfängnis Mariens, um den wunderbaren Reichtum, die Fülle begreifen zu können, die der Name einschließt, den sie selbst offenbart hat und der die Erläuterung all dessen darstellt, was uns das heutige Evangelium mit den Worten Gabriels lehrt: „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir“ (Lk 1, 28). Unter Berufung auf die Erscheinungen von Lourdes - die für ihn Ansporn und Anregung zum besseren Verständnis der Offenbarungsquellen waren - stellt er fest: „Der hl. Bernadette gab Maria auf deren mehrmalige Fragen zur Antwort: Ich bin die Immaculata. Mit diesen Worten gab sie mit aller Klarheit zu verstehen, daß sie nicht nur ohne Erbsünde empfangen worden ist, sondern daß sie die Unbefleckte Empfängnis verkörpert, so wie ein weißer Gegenstand und das Weiße zweierlei, eine vollkommene Sache und die Vollkommenheit nicht dasselbe sind {ebd., Bd. III, S. 516). Immaculata ist der Name, der genau offenbart, wer Maria wirklich ist; er macht nicht nur eine Eigenschaft geltend, sondern umreißt ganz exakt ihre Person: Maria ist von Anfang an ganz und gar heilig in der Gesamtheit ihrer Existenz. 3. Die erhabene, übernatürliche Größe wurde Maria im Hinblick auf Jesus Christus gewährt; in ihm und durch ihn hat Gott sie an der Fülle der Heiligkeit beteiligt: Maria ist die unbefleckt Empfangene, weil sie Mutter Gottes war, und sie wurde Mutter Gottes, weil sie die unbefleckt Empfangene war, sagt Maximilian Kolbe sehr plastisch. Die unbefleckte Empfängnis Mariens offenbart auf einzigartige und erhabene Weise die absolute Zentralstellung und die universale Hilfsfunktion Jesu Christi. „Aus der Gottesmutterschaft erwachsen sämtliche der heiligen Jungfrau Maria 1457 Botschaften und Ansprachen gewährten Gnaden, deren erste die Unbefleckte Empfängnis ist“ {ebd., Bd. III, S. 475). Aus diesem Grund ist Maria nicht einfach so wie Eva vor dem Sündenfall ohne Sünde, sondern sie wurde mit einer unvergleichlichen Gnadenfülle ausgestattet, weil sie die Mutter Christi werden sollte, und die Unbefleckte Empfängnis bildete den Anfang einer ununterbrochenen wunderbaren Ausweitung ihres übernatürlichen Lebens. 4. Das Geheimnis der Heiligkeit Mariens muß in der Gesamtheit der göttlichen Heilsordnung betrachtet werden, um harmonisch aufgenommen zu werden und nicht als Privileg zu erscheinen, das sie von der Kirche, dem Leib Christi, trennt. Pater Maximilian war sorgfältig darauf bedacht, die unbefleckte Empfängnis Mariens und ihre Funktion im Heilsplan wieder mit dem Geheimnis der Dreifaltigkeit und ganz besonders mit der Person des Heiligen Geistes zu verbinden. Mit genialer Tiefgründigkeit legte er die vielfältigen Aspekte dar, die in dem aus der patristischen und theologischen Überlieferung bekannten und vom Neuen Testament angeregten Begriff „Braut des Heiligen Geistes“ enthalten sind: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1, 35). Das ist eine Analogie, betont der hl. Maximilian Kolbe, die uns die unaussprechliche, innigste und fruchtbringende Vereinigung zwischen dem Heiligen Geist und Maria ahnen läßt. „Der Heilige Geist hatte in Maria Wohnung genommen vom ersten Augenblick ihres Daseins an, er nahm absolut von ihr Besitz und durchdrang sie derartig, daß der Name ,Braut des Heiligen Geistes' nur einen fernen, blassen, unvollkommenen Schatten dieser Vereinigung auszudrücken vermag“ {ebd., Bd. III, S. 515). 5. Während er mit höchster Bewunderung den göttüchen Heilsplan erforschte, der seinen Ursprung im Vater hat, der den Geschöpfen das göttliche Leben Jesu Christi frei mitteilen wollte, und der sich in der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau Maria auf wunderbare Weise offenbart, ruft Pater Kolbe fasziniert und ergriffen aus: „Die Liebe ist überall“ {ebd., Bd. III, S. 690); die Liebe, die Gott schenkt, ist die Antwort auf alle Fragen. „Gott ist Liebe“, sagt der hl. Johannes {1 Joh 4, 8). Alles, was existiert, ist Widerschein der freien Liebe Gottes, und darum spiegelt jedes Geschöpf in besonderer Weise den unendlichen Glanz dieser Liebe wider. Die Liebe ist auf besondere Weise Mittel- und Höhepunkt der nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffenen menschlichen Person. Die ohne Erbsünde empfangene Jungfrau Maria, die erhabenste und vollkommenste menschliche Person, gibt in hervorragender Weise das Bild Gottes wieder und ist daher fähig, ihn mit unvergleichlicher Intensität, ohne 1458 Botschaften und Ansprachen Umschweife oder Einschränkungen, zu heben. Sie ist die einzige Magd des Herrn (vgl. Lk 1, 38), die mit ihrem freien und persönlichen Fiat auf die Liebe Gottes antwortet, indem sie stets alles erfüllt, was er von ihr fordert. Wie bei jedem anderen Geschöpf ist auch ihre Antwort keine selbständige Antwort, sondern Gnade und Geschenk Gottes; in diese Antwort ist ihre ganze Freiheit, die Freiheit der unbefleckt Empfangenen, einbezogen. „In der Vereinigung des Heiligen Geistes mit Maria verbindet die Liebe nicht nur diese beiden Personen, sondern die erste Liebe ist die ganze Liebe der Heiligsten Dreifaltigkeit, während die zweite, die Liebe Mariens, die ganze Liebe der Schöpfung ist, und so verbindet sich in dieser Vereinigung der Himmel mit der Erde, die ganze ungeschaffene Liebe mit der ganzen geschaffenen Liebe ... Es ist der Höhepunkt der Liebe“ (ebd., Bd. III, S. 758). Der Kreis der Liebe, die vom Vater ihren Ausgang nimmt und in der Antwort Mariens zu ihrem Ursprung zurückkehrt, ist ein charakteristischer und wesentlicher Aspekt des marianischen Denkens Pater Kolbes. Dieser Grundsatz hegt seiner christlichen Anthropologie, der Auffassung von der Geschichte und dem spirituellen Leben jedes Menschen zugrunde. Maria, die ohne Erbsünde Empfangene, ist Urbild und Fülle jeder geschöpflichen Liebe; ihre klare und intensive Liebe zu Gott enthält in ihrer Vollkommenheit jene zerbrechhche und durch die Sünde entstellte Liebe der anderen Geschöpfe. Die Antwort Mariens ist die der ganzen Menschheit. Das alles verdunkelt nicht, noch vermindert es die absolute Zentralstellung Jesu Christi in der Heilsordnung, sondern es erhebt und verkündet sie mit Nachdruck, weil Maria ihre ganze Größe ja von ihm zukommt. Wie die Kirchengeschichte lehrt, besteht die Funktion Mariens darin, ihren Sohn erstrahlen zu lassen, zu ihm hinzuführen und zu helfen, daß er aufgenommen wird. Die ständige theologische Vertiefung des Geheimnisses Mariens, der ohne Erbsünde Empfangenen, wurde für Maximilian Kolbe zur Quelle und zum Anlaß unbegrenzter Hingabe und einer außergewöhnlichen Dynamik; er vermochte die Wahrheit dem Leben einzuverleiben, auch deshalb, weil er die Kenntnis über Maria wie über alle Heiligen nicht bloß aus der vom Glauben geleiteten Reflexion, sondern vor allem aus dem Gebet schöpfte: „Wer nicht imstande ist, die Knie zu beugen und von Maria in schüchtern Gebet die Gnade zu erbitten, erfahren zu dürfen, wer sie wirklich ist, kann nicht hoffen, noch etwas über sie zu erfahren“ (ebd., Bd. III, S. 474). 6. Und während wir zum Schluß diese Mahnung des heroischen Sohnes Polens und authentischen Künders der Marienverehrung vernehmen, 1459 Botschaften und Ansprachen wollen wir, die wir uns in dieser herrlichen Basiüka zur Eucharistiefeier zu Ehren der Unbefleckten Empfängnis Mariens eingefunden haben, nun unsere Knie vor ihrem Bild beugen und mit jener Inbrunst und kindlichen Liebe, wie sie für den hl. Maximilian kennzeichnend waren, die Worte des Engels wiederholen: „Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir.“ Amen. (O. R. 9./10. 12. 82) Der Friede: ein Geschenk Gottes Ansprache bei der Audienz für eine Gruppe Friedensnobelpreisträger am 10. Dezember 1. Seien Sie willkommen! Ja, ich heiße Sie alle willkommen, die Sie selbst den Friedensnobelpreis erhalten haben oder Organisationen vertreten, denen diese Ehre zuteil wurde. Sie alle sind herzlich willkommen in diesem Haus, wo der Friede eine der ständigen und vorrangigen Sorgen in unserem Gebet und unserer Arbeit ist. Aus dieser Sicht möchte ich Sie alle zu dem Beitrag beglückwünschen, den Sie bereits zur Sache des Friedens geleistet haben, und Sie zugleich ermutigen, niemals darin nachzulassen, für die Sache des Friedens zwischen den Völkern und Nationen zu arbeiten, was auch die Achtung der Grundrechte des Menschen voraussetzt. Sie kommen hierher, nachdem Sie sich in Rom und auch in Assisi, dem Geburtsort des hl. Franziskus, dieses Freundes des Friedens und der Brüderlichkeit, getroffen haben. Franziskus wußte, daß das Geschenk des Friedens ein wunderbares Geschenk Gottes und damit ein überirdisches Geschenk ist. Er hat sein Leben darauf verwendet, dem Allmächtigen zu danken und überall von ihm Zeugnis zu geben, indem er Menschen und Städte bewog, Frieden zu schließen. Für ihn war das Evangelium Jesu die Friedenscharta; er sah im Nächsten das Antlitz Christi, und Christus war es, der ihm so viel Liebe und Kraft schenkte. Grundsätzlich ist der dauerhafte Friede ein Friede, der auf transzendente Werte, auf die Werte des sittlichen Guten gegründet ist; also jene Werte, die das Wohl der Menschheit fördern und daher die Ausrichtung auf das Absolute, auf Gott, die Quelle und Garantie des Friedens, voraussetzen. 1460 Botschaften und Ansprachen Und eben dieser Friede wird sich in der Achtung der Menschenwürde, in Glück, Harmonie, Eintracht, Wohlstand, Sicherheit und Brüderlichkeit zwischen den Völkern und Nationen äußern (vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag 1982, Nr. 4). 2. Wir wissen jedoch, daß, wenn der Friede ganz und gar von transzendenten Werten inspiriert wird, diese Werte nur dann Leben gewinnen können, wenn Menschen dafür arbeiten und miteinander sich dafür engagieren. Deshalb ist der Friede in der Tat ein Geschenk Gottes, das uns allen anvertraut ist, ein Geschenk, das wir uns durch die Ziele, die wir uns stecken, und durch Verwirklichung der persönlichen und gemeinsamen Pläne, die wir zu diesem Zweck entwerfen, zu eigen machen müssen. Mit anderen Worten, hier ist zu erkennen, daß die transzendenten Werte der Vermittlung in der Welt bedürfen und daß wir ihre Vermittler sein sollen. Ein solches Engagement setzt Menschenliebe, Scharfblick und viel Mut voraus, manchmal auch Geduld, um Unverständnis, Prüfungen und Verfolgungen zu ertragen. Die Vermittlung dieser Werte wird viele verschiedene Formen annehmen; sie setzt eine Fülle verschiedener Projekte voraus. Der Friede läßt sich nicht auf eine einzige Art konkret verwirklichen. Es gibt keine vorgefaßte Ordnung, die den Frieden garantieren könnte. Die Vermittlungsarbeit der Menschen für den Frieden wird daher viele Aspekte annehmen, auf allen Ebenen des menschlichen Daseins. Das wird mir ganz klar, wenn ich heute um mich blicke: denn manche von Ihnen haben sich in der Politik aktiv für den Aufbau des Friedens engagiert; andere unter uns haben sich den Methoden gewidmet, die die Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen oder die Hilfe für die Leidenden und Bedrängten zum Ziel haben. Das alles sind edle Aufgaben, und keine hat absoluten Vorrang vor den anderen, insofern sie alle im menschlichen Bereich tatsächlich die Vermittlung von Werten bewirken, die das überirdische Ideal eines dauerhaften Friedens für die ganze Menschheit und damit eines gerechten Friedens verkörpern. Das verlangt von uns allen, daß wir mit Hilfe konkreter Pläne, die unserem Ideal Ausdruck geben, die Wirklichkeit verändern. 3. Unser engagierter Einsatz bei dieser Aufgabe, der darin besteht, die Leiden zu lindem, bei der Lösung der Streitfälle mitzuhelfen oder zum Aufbau von Strukturen beizutragen, die den Frieden gewährleisten und stärken, macht uns in unserem eigenen Leben empfänglicher für die Bedürfnisse des menschlichen Lebens heute und in Zukunft. Diese konkreten Aufgaben helfen jedem unter uns, tiefe Möglichkeiten zu entdecken, die bei Beginn unseres Einsatzes nur mit inbegriffen waren, uns 1461 Botschaften und Ansprachen aber Gelegenheit geben, unsere Arbeit in die größere Perspektive gemeinsamer Bemühungen zu stellen. „Unsere Zukunft ist in den Händen Gottes, der allein den wahren Frieden schenkt“ {Botschaft zum Weltfriedenstag 1982, Nr. 13: O.R. dt., 1. 1. 82, S. 5). Indem ich diese Gewißheit im Geist festhalte, kann ich Sie zum Abschluß alle ermutigen, Ihre erhabene Aufgabe als Baumeister des Friedens fortzusetzen, der Welt auch weiter Programme anzubieten, die Ihren Fähigkeiten und Begabungen und Ihrer Verantwortlichkeit für das Wohl des Menschengeschlechts entstammen, und in der Verwirklichung Ihrer Arbeit die Mögüchkeit zu finden, die tiefsten Ziele Ihres eigenen Lebens im Dienst des Friedens, der Brüderlichkeit, des Wohles der Menschen unter Beweis zu stellen. 4. Ich freue mich, zusammen mit Ihnen die Mitglieder des Exekutivrates des italienischen Nationalkomitees für die Veranstaltungen zur 800-Jahr-Feier der Geburt des hl. Franziskus begrüßen zu können: sie haben ja die Initiative ergriffen und Sie nach Assisi und Rom eingeladen. Dieses Jahr war reich an Begegnungen, Gebet, Zeugnissen, Reflexionen und Zusammenarbeit, die die außergewöhnliche und hochaktuelle Ausstrahlung des Beispiels des hl. Franz von Assisi, des so transparenten Zeugen der evangelischen Liebe zu jedem Menschenbruder, bekunden. Ich freue mich darüber und beglückwünsche alle Initiatoren. Diese letzte Versammlung der Friedensnobelpreisträger und die Überlegung, die ihr Ergebnis war, beweisen das mit aller Deutlichkeit. Ich danke allen! Im Geist, der den hl. Franziskus beseelte und der der Geist meiner Vorgänger auf dem Apostolischen Stuhl war, richte ich an jeden von Ihnen und an Ihre Familien meine herzlichsten Wünsche und bitte Gott, Sie mit seinem überreichen Segen zu beschenken. (O.R. 11. 12. 82) Aus der Kraft der Eucharistie, Geheimnis der Einheit und Versöhnung Ansprache bei der Audienz für die ältere Generation und die Gemeinschaft Sant’Egidio am 20. Dezember Liebe Brüder und Schwestern der älteren Generation! 1. Ich freue mich besonders, euch ältere Menschen meiner gebebten Diözese Rom in einer eigenen Audienz zum Abschluß dieses Jahres 1462 Botschaften und Ansprachen empfangen zu können, in dem die verschiedenen dringenden Probleme, die Menschen des fortgeschrittenen Alters betreffen, erörtert und hervorgehoben worden sind. Diese Begegnung soll Ausdruck meiner Liebe und Wertschätzung für euch alle sein, die ich einzeln herzlich begrüße, während ich den Herrn bitte, euch Trost zu sein, und euch zu christlicher Hoffnung ansporne. Ich danke auch der Gemeinschaft Sant’Egidio und allen Ordensmännern, Ordensfrauen und Freiwilligen, die ihre Kräfte der materiellen und geistlichen Hilfe in den Heimen oder Einzelwohnungen der einsamen oder verlassenen alten Menschen widmen. 2. Euch, die ihr in diesem schwierigen und heiklen menschlichen Lebensbereich arbeitet, wird gewiß nicht die soziale und kirchliche Bedeutung entgehen, die eurer höchst verdienstvollen Arbeit gerade heute zukommt, in einer Zeit, wo die ältere Generation, auch wegen der erhöhten Lebenserwartung und dem Bestreben, das Rentenalter herabzusetzen, an Zahl stark zugenommen hat und gleichsam eine Welt für sich bildet. Die moderne Gesellschaft, die die Personen bevorzugt, die noch imstande sind, einen gültigen Beitrag zum Gemeinwohl zu erbringen, verweigert dann der älteren Generation einen angemessenen Raum, sei es innerhalb der Familien, die sich aus partriarchalischen in engere Familien verwandelt haben, sei es in den öffentlichen Strukturen, die die alten Menschen im Namen einer produktiven Effizienz an den Rand drängen. So entsteht im Herzen des alten Menschen der traurige Eindruck, für sich selbst und für die anderen unbrauchbar zu sein. Hingegen sollte er für die Erwachsenen und die Jungen einen sicheren Pol der Orientierung in Zeiten der Unsicherheit darstellen, einen Antrieb, die höheren Werte des Geistes zu leben, die niemals veralten, und außerdem eine wertvolle Verbindung zwischen den Generationen von gestern und heute. Das erfordert jedoch, daß der alte Mensch nicht nur nach dem eingeschätzt wird, was er jetzt leistet, sondern auch nach dem, was er gegeben hat; nicht so sehr nach dem, was er tut, sondern nach dem, was er ist: mit einem Wort, der reiche Schatz an Erfahrung und Weisheit, den er besitzt, muß anerkannt und hochgeschätzt werden. Wir dürfen nicht übersehen, wie sehr er mit seinem ausgewogenen Rat und mit seinem weisen Zeugnis der Familie und der Gesellschaft nützlich und behilflich ist. 3. Vor dieser Gesellschaft, die ihre von der Arbeit bereits verbrauchten Söhne und Töchter erbarmungslos abschiebt, muß die Kirche den absoluten Wert der menschlichen Person in jeder Lebensphase bekräftigen. 1463 Botschaften und Ansprachen Nach dem Vorbild ihres göttlichen Meisters, der sich so für die Schwachen und Leidenden aufopferte, hört die Kirche nicht auf, die Würde der alten Menschen und die ihnen geschuldete Ehre zu verkünden. Die Heilige Schrift fordert ihnen gegenüber größten Respekt und gebührende Achtung. Es ist bekannt, mit wieviel Liebe sie uns im Alten Testament die ehrwürdigen Gestalten von Abraham und Sara, Isaak und Rebekka, Jakob und Lia vor Augen führt; und im Neuen Testament Simeon und Anna; im übrigen werden auch die Priester, die Verantwortlichen der Gemeinden, einfach mit dem Titel „Presbyter“, das heißt „Ältester“, benannt, um ihre Autorität, ihr Ansehen, ihre Weisheit und Klugheit zu betonen und auszudrücken. Bedeutungsvoll scheint auch, daß das Bild Gottes selbst mit den menschlichen Zügen eines ehrwürdigen weißhaarigen Greises dargestellt wird, vor dem sich alle ehrfürchtig verneigen (vgl. Dtn 7, 9-10). Im Zuge dieser Lehren fordert die Kirche, die auch und vor allem über die Zeit hinausblickt, für die alten Menschen das Recht auf ein ehrenhaftes und ruhiges Dasein, das ihnen ermöglicht, nachzudenken, zu beten und sich auf die letzte Begegnung mit dem Vater vorzubereiten, denn unsere Erde hier ist ja nicht unsere ewige Heimat. Der Gedanke an den Tod muß in unser Leben Eingang finden, nicht um es herabzusetzen oder zu entmutigen, sondern um zu richtigem Denken und Handeln anzuregen und niemals jenes Freude verheißende endgültige Ziel aus dem Blick zu verlieren, das Gott selber, das einzige und höchste Gut, ist. Diesbezüglich muß ein langes Leben als ein kostbares Geschenk angesehen werden, weil es dem Menschen erlaubt, sich nach und nach vom direkten Kontakt mit der Welt zu lösen, einen großen Zeitraum zum Nachdenken und zu einer immer tieferen Erkenntnis Gottes und des ewigen Lebens zu benutzen. 4. Die Liebe der Kirche zu den alten Menschen wird heute zum Appell, damit man sich mit großer Hochherzigkeit darum bemüht, eine Annäherung, ja, ich würde sagen, eine Versöhnung zwischen den Alten und den Jungen zu fördern: eine lebendige Verschmelzung dieser beiden Gruppen, die die Alten aus ihrer Isolierung und Verlassenheit befreien und die Jungen mit der Weisheit der Alten bereichern soll. Solches wahrhaft verdienstvolle Tun schöpft seine Kraft aus der Eucharistie, die das Geheimnis der Einheit und Versöhnung ist. In ihr gilt es, das Geheimnis und die Stärke zu finden, die diese ersehnte und wunderbare kirchliche Erfahrung zur Reifung und Entfaltung bringen sollen. Junge und Alte, die sich vom selben Leib und Blut des Herrn nähren, können einander nicht fremd bleiben, sondern müssen sich, im Gegenteil, solidarisch fühlen und einander ergänzen in einem einzigen Ideal der Liebe und des Glaubens, 1464 Botschaften und Ansprachen wie der hl. Paulus sagt: „Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot“ (1 Kor 10, 17). Es ist in diesem Zusammenhang tröstlich festzustellen, daß in den letzten Jahren Bewegungen entstanden sind, die sich bemühen, Kraft und Wärme aus der Eucharistie zu gewinnen, um ihre christliche Berufung zu leben und den anderen nahezukommen. Zu diesen gehören eben auch die Mitglieder der Gemeinschaft Sant’Egidio in Rom, die heute diese einzigartige familiäre Begegnung organisiert haben. Sie, die einen Beweis tatkräftiger Solidarität gegenüber der älteren Generation erbringen, ermutige ich, in allen Dingen dem innigen Verhältnis zu dem im euchari-stischen Geheimnis gegenwärtigen Christus den Vorrang einzuräumen. Kraft dieses Innenlebens werden sie gewiß auch weiterhin allen, die unter Krankheit oder den Gebrechen des Alters leiden, Trost bringen können und kein Hindernis bei ihrer apostolischen Dynamik fürchten, weil sie sehr wohl wissen, daß das, was man Gott gibt, niemals für den Menschen verloren ist. 5. Während ich euch allen, liebe alte Leute, in die Augenblicke, lasse ich euch ein Wort zum Abschied: als Pilger, die ihr seid, wie wir alle es sind, verlangsamt nicht euren Schritt, auch wenn ihr bisweilen auf einem mit Schwierigkeiten gepflasterten Pfad dahingeht, sondern setzt guten Willens euren Weg in Richtung auf den fort, der eure Freude sein wird und der schon jetzt die Sehnsucht eurer Herzen bildet. Verweigert ihm nicht die Gabe eures Opfers und eurer beharrlichen Treue und seid gewiß, daß er es euch an Belohnung nicht fehlen lassen wird. Mit diesen Gefühlen wünsche ich euch frohe Weihnachten und ein glückliches Neues Jahr, während ich euch aus ganzem Herzen den Apostolischen Segen erteile, in den auch alle eure Angehörigen, Freunde und Wohltäter einbezogen sind. (O.R. 20.121. 12. 82) 1465 Botschaften und Ansprachen Das „Heilige Jahr der Erlösung“ ist nicht auf Rom beschränkt Weihnachtsansprache an die Kardinäle und alle Mitarbeiter der Römischen Kurie am 23. Dezember Ehrwürdige Brüder des Heiligen Kollegiums, liebe Söhne! 1. Das bevorstehende Weihnachtsfest findet uns hier zum üblichen herzlichen Austausch der Glückwünsche versammelt. Unsere Herzen ergießen sich in wechselseitiger Freude: „Dominus prope est! Der Herr ist nahe!“ {Phil 4, 5). Im Warten auf die irdische Geburt des menschgewordenen Gottessohnes konzentriert sich in diesen Tagen unsere Aufmerksamkeit, unsere Wachsamkeit und unser Gebet, es wird dringender, intensiver und demütiger. Ich danke euch sehr für eure Anwesenheit, die uns in der Gemeinschaft des Geistes den Reichtum des Geheimnisses, das wir neu erleben möchten, schon im voraus verkosten läßt. Besonders danke ich dem verehrten Herrn Kardinaldekan für die trefflichen Worte, die er in euer aller Namen eben an mich gerichtet hat. Gemeinsam gehen wir dem Erlöser, der kommt, entgegen: Die Adventsliturgie hat uns inzwischen voll für diesen geistlichen Weg, dem Erwarteten der Völker entgegen, verfügbar gemacht. Wir sind auf diesem Weg schon dem Jesaja gefolgt, dem „Typus“ der messianischen Erwartung; den Spuren des Täufers, der wieder einmal für uns seine Stimme ertönen ließ, um „die Wege zu bereiten“ (vgl. Mt 3, 3; Lk 3, 4); und vor allem steht und Maria, die Jungfrau, die Hörende, mit ihrem Beispiel und ihrer Fürbitte zur Seite, denn dort, wo man Jesus erwartet, ist Maria immer gegenwärtig, der „Morgenstern“, der die Ankunft der „Sonne der Gerechtigkeit“ {Mal 4, 2) vorbereitet. 2. Nun aber erfüllen sich die Tage (vgl. Lk 2, 6) jener gesegneten Christgeburt, die wir in den göttlichen Geheimnissen der Heiligen Nacht neu erleben werden; „die Fülle der Zeit“ ist da, in der nach den Worten des hl. Paulus „Gott seinen Sohn sandte, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt, um freizukaufen“ {Gal 4, 4). Jesus wird geboren, um freizukaufen, er kommt, um uns zu erlösen. Er kommt, um uns mit Gott zu versöhnen. Der hl. Augustinus betont das sehr gut in seiner gewohnten Ausdruckskraft: „Durch unser Haupt werden wir mit Gott versöhnt, denn in ihm ist die Gottheit des Eingeborenen 1466 Botschaften und. Ansprachen unserer Sterblichkeit teilhaft geworden, damit wir seiner Unsterblichkeit teilhaft werden“ {Brief 187, 6, 20; CSEL 57, S. 99). Weihnachten ist der Anfang jenes „wunderbaren Tausches“, der uns mit Gott vereint. Es ist der Anfang der Erlösung. Ihr versteht daher, welches Echo in uns das bevorstehende Fest wecken muß, wenn wir uns mit der ganzen Kirche voll Eifer auf die Feier des Jubiläums unserer Erlösung vorbereiten. Bei diesem außergewöhnlichen Ereignis möchte ich jetzt verweilen, da ich zum ersten Mal seit seiner Ankündigung beim Abschluß der Vollversammlung des Kardinalskolle-giums am vergangenen 26. November dazu Gelegenheit habe. Ich möchte euch mein Herz öffnen und euch - wie auch die ganze Kirche mit euch -wissen lassen, was meine Absichten sind, mit einem Wort, wie ich Bedeutung und Wert dieses Heiligen Jahres sehe. Es ist hier nicht der Ort, auf organisatorische und praktische Einzelheiten einzugehen. Das wird bald geschehen. Ich möchte vielmehr mit euch über die verschiedenen Aspekte des Jubiläums, das wir vorbereiten, nachdenken. 3. Vor allem ist jener Aspekt hervorzuheben, der jeden anspricht, der auf das hört, was „der Geist den Gemeinden sagt“ {Off 2, 29): die besondere Funktion, die dieses Gnadenjahr hat zwischen dem Heiligen Jahr 1975 und dem, das im Jahr 2000 an der Schwelle des dritten Jahrtausends gefeiert wird, dem großen Heiligen Jahr. Unser Heiliges Jahr ist also ein Jubiläum des Übergangs zwischen diesen beiden Daten. Es ist wie eine Brücke in die Zukunft, die von den außerordentlichen Erfahrungen ausgeht, die alle vor acht Jahren gemacht haben. Damals hat ja Paul VI. seligen Andenkens alle Gläubigen aufgerufen, die eigene „geistliche Erneuerung in Christus und Versöhnung mit Gott“ zu erfahren. Das Jubiläum der Erlösung also: Wenn jedes Heilige Jahr allgemein eine neue Vertiefung in das Geheimnis der Erlösung vorschlägt und dieses in Glaube und Buße neu erleben läßt; wenn die Kirche sogar ständig der Erlösung gedenkt, nicht nur in jedem Jahr, sondern an jedem Sonntag, an jedem Tag, in jedem Augenblick ihres Lebens, weil sie in der Feier der Sakramente völlig in das erhabene und einzigartige Geschenk der Liebe, die uns Gott in Christus, dem Erlöser, entgegenbringt, eintaucht, dann ist das kommende Jubiläum ein gewöhnliches Jahr, das in außergewöhnlicher Weise gefeiert wird. Der Erwerb der Erlösungsgnade, gewöhnlich innerhalb der Struktur der Kirche und durch diese erfahren, wird außergewöhnlich durch das Besondere der angekündigten Feier. So, im Kairos der Geschichte, die wir miterleben, gesehen, wird das Jubiläum zu einer Herausforderung an den Menschen, den Gläubigen von heute, das Geheimnis der Erlösung tiefer zu begreifen und sich durch die außerge- 1467 Botschaften und Ansprachen wohnliche Anziehungskraft dieses Jubiläums zur Erlösung hinführen zu lassen. Ihre Wirklichkeit begegnet uns ständig in der Kirche als Institution, und wir müssen sie uns als Charisma in der Stunde der Gnade zu eigen machen, die der Herr für jeden Menschen auf den Höhepunkten christlicher Erfahrung anbrechen läßt. Es handelt sich um eine zentrale geistliche Bewegung, die von nun an in der ganzen Kirche gefördert und vorbereitet werden muß. Von daher ergibt sich die Notwendigkeit, diese außerordentlich wichtige Zeit intensiv zu nützen. Wenn das kommende Jubiläum auch nicht in der gewohnten Form langfristig vorbereitet wird, so findet es die Kirche dennoch zu seiner Feier bereit. Die beiden Enzykliken Redemptor hominis und Dives in misericordia sind konkrete Hinweise, die in gewisser Weise schon den Weg zeigen und Weisung geben können, wie das Ereignis angemessen zu feiern ist. Außerdem stehen wir als Gesamtkirche in der Erwartung der Bischofssynode, die als glücklicher Zufall während des Jubiläums stattfinden wird und ein Thema behandelt, das eng mit dessen konkreten Inhalten verbunden ist, nämlich: „Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche“. Die Synode wird bereits seit zwei Jahren vorbereitet, und daher sind alle Episkopate der Welt schon voll eingestimmt auf die innerste Bedeutung des Jubiläums der Erlösung; und durch sie ist bereits die ganze Kirche auf dem Weg zur Feier des Jahres der Gnade und des Erbarmens. 4. Das kommende Jubiläum will die Feier der Erlösung „bewußt machen“, die in der ganzen Kirche unaufhörlich in Erinnerung gebracht und gelebt wird. Seine besondere Zielsetzung ist der Aufruf zu einer vertieften Reflexion des Erlösungsgeheimnisses und seiner konkreten Anwendung im Bußsakrament. Daher ist sein Gehalt schon aus der Formulierung klar: Jahr der Erlösung. Der ganze Reichtum des Christusgeheimnisses und die ganze Dringlichkeit des Aufrufs im Evangelium ist im Wort „Erlösung“ beschlossen. Das Erlösungsereignis hat in der Heilsgeschichte zentrale Bedeutung, und alles läßt sich in dem Satz zusammenfassen: Christus ist gekommen, uns zu erlösen. Er ist der Erlöser des Menschen „Redemptor hominis“. Für den Menschen, der nach Wahrheit, Gerechtigkeit, Glück, Schönheit und Güte sucht, ohne sie aus eigener Kraft finden zu können, und der unbefriedigt bleibt von den Angeboten der heutigen immanentistischen und materialistischen Ideologien, der sich daher in den Abgrund der Verzweiflung und Langeweile geworfen sieht oder sich selber lähmt im unfruchtbaren, selbstzerstörerischen Sinnengenuß, für den Menschen, der in Geist und Herz das Bild Gottes in sich trägt und daher den Durst nach 1468 Botschaften und Ansprachen dem Absoluten spürt, ist Christus die einzige Antwort. Christus kommt dem Menschen entgegen, um ihn aus der Sklaverei der Sünde zu befreien und ihm die anfängliche Würde zurückzugeben. Die Erlösung umfaßt das ganze Geheimnis Christi und bildet das Grundgeheimnis des christlichen Glaubens, das Geheimnis eines Gottes, der Liebe ist und sich als Liebe geoffenbart hat in der Hingabe seines Sohnes als Opfer, als „Sühne für unsere Sünden“ (1 Joh 4, 8-10). Die Erlösung ist Offenbarung der Liebe und ein Werk der Liebe, wie ich in meiner ersten Enzyklika geschrieben habe (vgl. Redemptor hominis, Nr. 9). Das Jubüäum soll daher alle Christen zur Wiederentdeckung des Geheimnisses der Liebe führen, das in der Erlösung beschlossen ist, ferner zu einer Vertiefung in die Reichtümer, die seit Jahrhunderten in Christus verborgen sind, im „Glutofen“ des Ostergeheimnisses. Die Erlösung offenbart ferner nicht nur dem Menschen, wer Gott ist, sondern sagt dem Menschen auch, wer er selber ist (vgl. Gaudium et spes, Nr. 22). Sie ist ein konstitutives Element der menschlichen Geschichte, denn man ist kein Mensch im Vollsinn, wenn man nicht in der Erlösung lebt, die dem Menschen die tiefen Wurzeln seiner Person zeigt, die verwundet durch die Sünde und ihre quälenden Widersprüche, aber in Christus von Gott erlöst ist und, erhoben „zum vollkommenen Menschen, Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellt“ (Eph 4, 13). Das Jahr der Erlösung bietet daher Gelegenheit zur Wiedergewinnung dieser tröstlichen und verwandelnden Wahrheiten, und es wird Aufgabe der Seelenhirten sein, aber auch der theologischen Reflexion, der Pastoral und der Verkündigung, die Botschaft vom Heil soweit wie möglich zu verbreiten, in der das Wesen des Evangeliums beschlossen ist: Christus ist der einzige Erlöser, „in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ {Apg 4, 12). 5. Die objektive Wirklichkeit des Erlösungsgeheimnisses muß zur subjektiven Wirklichkeit aller Gläubigen werden, um konkret wirksam zu sein in der geschichtlichen Situation des Menschen, der in der Zeit des ausgehenden zweiten Jahrtausends nach Christus lebt, leidet und arbeitet. Bei diesem Jubiläum, das dem Elend des Menschen das Erbarmen Gottes nahebringen möchte, muß der Wunsch nach der Gnade sich neu entzünden, muß das Bemühen der Gewissen ausgeprägter werden, sich auch subjektiv das Geschenk der Erlösung zu eigen zu machen, jene Liebe, die vom gekreuzigten und auferstandenen Christus kommt. Das Heilige Jahr ist damit ein Aufruf zur Buße und zur Umkehr als notwendiger Voraussetzung für die Teilhabe an der Gnade der Erlösung. Der Mensch kann 1469 Botschaften und Ansprachen sich nicht von seinen Sünden freikaufen, er muß erlöst werden, indem er die vom Erlöser erwirkte Vergebung annimmt. Wir wollen daher das Geheimnis der Erlösung leben, indem wir uns amegen lassen von den erhabenen Wirklichkeiten, die das Leitmotiv meiner ersten Enzyklika sind: Christus, der Erlöser des Menschen; Christus, der den Vater in seinem reichen Erbarmen offenbart. Auch die Feier der Synode wird das Verständnis dieser unschätzbaren Gabe erleichtern und die Herzen bereiten, sich die Erlösung subjektiv zu eigen zu machen: sie durch Buße und Versöhnung zu erfahren, d. h. im Sieg über das sittlich Böse, in der Rückkehr zu Gott, in der Umkehr. In Dives in misericordia schrieb ich: „Die wahre Kenntnis Gottes in seinem Erbarmen und seiner wohlwollenden Liebe ist eine ununterbrochene und nie versiegende Quelle der Bekehrung, die nicht nur als vorübergehender innerer Akt zu verstehen ist, sondern als ständige Haltung, als Zustand der Seele. Denn wer Gott auf diese Weise kennenlemt, ihn so ,sieht“, kann nicht anders, als in fortwährender Bekehrung zu ihm zu leben“ (Nr. 13). Man muß den Sinn für die Sünde wiederentdecken, dessen Verlust mit dem radikaleren und verborgeneren Verlust des Sinnes für Gott zusammenhängt. Das Sakrament der Buße ist das Sakrament der Versöhnung mit Gott, wo das Elend des Menschen dem Erbarmen Gottes begegnet, das in Christus, dem Erlöser, und in der Vollmacht der Kirche personifiziert ist. Das Sündenbekennntis ist eine praktische Anwendung des Glaubens an die Erlösung. Das Bußsakrament wird daher, durch das Jubiläum, als Zeugnis für den Glauben an die dynamische Heiligkeit der Kirche empfohlen, die aus Sündern Heilige macht; als Forderung der kirchlichen Gemeinschaft, die durch jede Sünde immer als ganze verwundet wird, auch wenn diese persönlich begangen wurde, als Reinigung im Hinblick auf die Eucharistie und tröstliches Zeichen jener Heilsökonomie, durch die der Mensch in direkten und persönlichen Kontakt mit Christus tritt, der für ihn gestorben und auferstanden ist: „der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ {Gal 2, 20). In allen Sakramenten, angefangen bei der Taufe, wird dieses persönliche Verhältnis zwischen Christus und dem Menschen gefestigt; doch vor allem in Buße und Eucharistie belebt es das ganze menschliche Leben neu und wird Wirklichkeit, Besitz, Stütze, Licht und Freude. Er hat mich geliebt. 6. Da ist aber noch eine weitere Bedeutung des Jubiläums der Erlösung. Wir leben in einer Welt, die leidet: so viele Menschen, unsere Brüder und Schwestern, haben ein trauriges Erbe: Ängste und Schmerzen, die niemanden gleichgültig lassen können. Nun hat das Leid seine theologische 1470 Botschaften und Ansprachen und anthropologische Wurzel im Geheimnis der Sünde, und deshalb ist es ein konstitutives Element der Erlösung durch Christus. Es gibt nichts in der Welt, das dem Leid des Menschen mehr gerecht wird, als das Kreuz Christi. Christus hat seine Passion auf sich genommen, indem er sich mit der Sünde der Welt belud: „Gott hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden“ (2 Kor 5, 21). Das Zweite Vatikanische Konzil hat die dramatischen Gegensätze und Zerreißproben herausgestellt, die den Menschen von heute so aushöhlen mit den Rätseln und Herausforderungen, vor die sich seine Vernunft und seine Gefühle gestellt sehen; es hat in Christus, dem neuen Menschen, in seinem Kreuz und seiner Auferstehung die einzige Antwort auf die dramatischen Fragen des Menschen nach dem Leid und dem Tod gezeigt (vgl. Gaudium et spes, Nr. 22). Die Erlösung öffnet uns das herrliche Buch unserer Solidarität mit dem leidenden Christus, und in Ihm führt sie uns in das Geheimnis unserer Solidarität mit den leidenden Brüdern und Schwestern ein. Das Jubiläum der Erlösung aber läßt uns noch inniger im Geist der „Gemeinschaft der Heiligen“ leben. Die Leiden der Menschen sind gemeinsames Erbe aller: jeder muß seinen persönlichen Beitrag zur Erlösung leisten, die zwar ein für allemal geschehen ist, aber diese geheimnisvolle Ergänzung, dieses Aufopfern der gewaltigen Last der Leiden und Schmerzen der Menschheit braucht: „Ich ergänze in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt, für den Leib Christi, die Kirche“ (Kol 1,24). Wenn die Kirche heute die traditionellen Bußübungen erheblich erleichtert hat, dann eben deswegen, weil in der Welt, entgegen allem Augenschein, die Zahl derer wächst, die eine große christliche Buße leisten können, weil ihr ganzes Leben eine große Buße ist. Ich denke hier an die Kranken, die Einsamkeit der Alten, die Sorgen der Eltern um ihre Kinder, die Entmutigung der Arbeitslosen, die Frustration so vieler Jugendlicher, denen es nicht gelingt, sich in die Gesellschaft einzugliedem; ich denke auch an jene, die die Verletzung ihrer Rechte in zuweüen raffinierten Formen der Verfolgung, ja des bürgerlichen Todes erleiden. Das Jubüäum der Erlösung steht in Verbindung mit dieser vielfältigen und geheimnisvollen „Gemeinschaft der Heiligen“. Wahr ist, daß uns die Feier jedes Jubiläums mit dem unvergleichlichen Reichtum der Verdienste und Leiden verbindet, den die Märtyrer und Heiligen im Lauf der alten und neueren Geschichte der Kirche als eine wunderbare Krone gebildet haben durch die Hingabe ihres Lebens und durch ihre heldenhafte Tapferkeit; aber es wird immer deutlicher - und das wird gewiß ein grundlegender Erfolg des kommenden Jubiläums sein -, daß das Leiden 1471 Botschaften und Ansprachen der Brüder, vereint mit dem Leiden Christi, ein Schatz ist, von dem die Kirche lebt und der den Glauben aller trägt. Wenn die mit der Feier des Jubiläums verbundenen Strapazen heute gegenüber früheren Zeiten oder auch nur gegenüber den letzen Jahrzehnten geringer werden, dürfen wir darüber nicht vergessen, daß jeder den Beitrag an Leiden leisten kann und muß, der, ob er will oder nicht, mit dem menschlichen Dasein als solchem verbunden ist und in Christus mit dem Leid der anderen vereint werden muß. Heute spürt man diese Solidarität im Leid sehr. Unter den Christen läßt sich eine ausgeprägte Liebe zueinander und über die Grenzen der Kirche hinaus feststellen. Man nimmt die Verantwortung für die Leidenden in Formen wahr, die früher nicht so deutlich waren. Das Jubiläum, das vor der Tür steht, macht daher eine weitere Bereicherung dieser Sensibilität möglich, die echter „sensus Ecclesiae“ ist im wachsenden Bewußtsein für diese Solidarität, für das „Ich ergänze“. 7. Aus all den Gründen, von denen ich gesprochen habe, versteht ihr, daß die Feier der Erlösung sich nicht auf Rom beschränken kann, wie bei der gewohnten Feier anderer Jubiläen. Das Geheimnis der Erlösung erstreckt sich auf alle Menschen, und daher nimmt sich der Stuhl Petri, getreu seinem Auftrag, aller Menschen an. Das Jubiläum ist allen Gläubigen zugedacht, wo immer sie wohnen. Es möchte ihnen helfen, besser „den unergründlichen Reichtum Christi“ zu verstehen und „zu enthüllen, wie jenes Geheimnis Wirlichkeit geworden ist, das von Ewigkeit her in Gott, dem Schöpfer des Alls, verborgen war, damit sie jetzt durch die Kirche von der vielfältigen Weisheit Gottes Kenntnis erhalten“ (Eph 3, 8 ff.). Gewiß, Rom bietet sich allen Pilgern an durch seinen einzigartigen Charakter, seine Apostelgräber, seine Feiern in Gegenwart des Papstes, seine jahrhundertealte organisatorische Erfahrung. Aber es will nicht einen Schatz, der allen gehört, für sich allein beanspruchen. Daher soll das Jubiläum mit den gleichen Rechten und geistlichen Wirkungen in allen Ortskirchen der Welt gefeiert werden. Das Jubiläum wird also gleichzeitig in der ganzen Kirche gefeiert, in Rom und in den Ortskirchen und im gleichen Jahr. Das wird in den Gläubigen den Sinn für die Universalität der Kirche, für ihre „katholische“ Note stärken. Und es legt anderen nahe, die Botschaft von der Erlösung sowie das Bemühen um Umkehr und geistliche Erneuerung, das diese einschließt, zu vertiefen, wozu es mit starker Suggestivität aufruft. 8. Das Jubiläum wird vom 25. März kommenden Jahres, dem Fest der Menschwerdung des Herrn, bis zum Osterfest am 22. April 1984 gefeiert. Das ganze Erdendasein Jesu galt der Erlösung: Redemptor hominis. 1472 Botschaften und Ansprachen „Darum spricht Christus bei seinem Eintritt in die Welt: ,Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen . . . Da sagte ich: Ja, ich komme - so steht es über mich in der Schriftrolle -, um deinen Willen, Gott, zu tun. . . Aufgrund dieses Willens sind wir durch die Opfergabe des Leibes Jesu Christi ein für allemal geheiligt“ (Hebr 10, 5-10). Jesus lebte im Warten auf die „Stunde“, die ihm der Vater aufgetragen hatte: „Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen! Ich muß mit einer Taufe getauft werden, und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist“ (Lk 12, 49). „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu Ende zu führen“ (JohA, 34). Dieses Werk wurde am Kreuz vollendet im letzten „Es ist vollbracht“ (Joh 19, 30). Der Vater aber antwortete auf diese vollkommene heilige Hingabe, indem er ihn „dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt hat als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten . . . Jesus Christus, unsem Herrn“ (Röm 1, 4). Von der Empfängnis bis zur Auferstehung ist Christus der Erlöser. Wir können daher alle Etappen im Leben des Heilandes erneut durchlaufen, um uns die Früchte seiner Erlösung zu eigen zu machen. 9. Ich vertraue fest darauf, daß auch unsere Brüder und Schwestern, die nicht in voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, die in der Feier des Jubiläums hegenden Werte voll verstehen und daher mit neuer Hoffnung und Liebe zur Kirche darauf schauen. Das Jubiläum ist ein großer Dienst für die Sache des ökumenismus. Wenn wir die Erlösung feiern, betreten wir ein Feld jenseits historischer Mißverständnisse und zufälliger Kontroversen und befinden uns auf dem gemeinsamen Boden unseres Christseins, d. h. Erlöstseins. Die Erlösung eint uns alle in der einen Liebe zu Christus, dem Gekreuzigten und Auferstande-nen. Dies vor allem ist die wertvollste Bedeutung, die im Licht der ökumenischen Bemühungen dem kommenden Jubiläum beizumessen ist. Es gibt aber noch einen weiteren Grund, der uns Hoffnung für diese Verschmelzung der Herzen macht: der Geist des Gebetes und der Buße, der die Feiern des Jubüäums prägt, muß zu jener Umkehr der Herzen führen, die die Konzilsväter als wesentliche Vorbedingung für die Herstellung der Einheit in der Kirche bezeichnet haben: „Es gibt keinen echten Ökumenismus - sagt das Konzilsdokument - ohne innere Bekehrung. Denn aus dem Neuwerden des Geistes, aus der Selbstverleugnung und aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach der Einheit. Deshalb müssen wir vom göttlichen Geist die Gnade aufrichtiger 1473 Botschaften und Ansprachen Selbstverleugnung, der Demut und des geduldigen Dienstes sowie der brüderlichen Herzensgüte zueinander erflehen“ (Unitatis redintegratio, Nr. 7). Ich richte daher schon jetzt einen herzlichen Appell an alle Verantwortlichen und Mitglieder der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, damit sie die Feier des Jahres der Erlösung mit ihrem Gebet begleiten, mit ihrem Glauben an Christus, den Erlöser, mit ihrer Liebe, die mit uns zusammen zu einem immer tieferen Verlangen wird, das Gebet Jesu vor seinem erlösenden Leiden zu verwirklichen: Alle sollen eins sein“ (Joh 17, 21). 10. Zum Schluß möchte ich, daß das Jubiläum in allen Ortskirchen zu einer allgemeinen Katechese wird, zu einer ausgedehnten Evangelisierung über die Wirklichkeit der Erlösung: Christus führt den Menschen zum Heil durch seine am Kreuz hingeopferte Liebe. Der Mensch läßt sich von Christus zum Heil führen. Das ist eine Aufforderung, das Geheimnis des Heils besser zu verstehen und es in der Praxis des sakramentalen Lebens zu vertiefen. Bei dieser Aktion, die uns zu Christus führt, um uns in ihm den Vater wiederfinden zu lassen, ist auch das verborgene und richtunggebende Wirken des Heiligen Geistes herauszustellen und zu immer vollerer Verfügbarkeit sowie zum Verlaß auf seine Gaben einzuladen, damit das Heilswerk, bei dem er direkt eingreift, in jedem Gläubigen Wirklichkeit werde. So wird das erste und grundlegende Ziel des Jubiläums erreicht, das vor allem eine innere und geistliche Erbauung des Menschen bezweckt, aber eben deswegen auch zur tätigen Liebe unter den Völkern beiträgt. Tatsächlich ist nur Christus „unser Friede“ (Eph 2,14); „Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort der Versöhnung anvertraut“ (2 Kor 5, 19). Das Thema der Versöhnung ist daher eng mit dem des Friedens verknüpft, des Sieges über die Sünde, der sich im Sieg der Liebe über alle Feindschaften, Rivalitäten und Gegensätze zwischen den Völkern auswirken muß, wie auch im Sieg der Liebe im Innern der einzelnen zivilen Gemeinschaften und noch tiefer im Herzen jedes einzelnen Menschen. Das Wirken für den Frieden ist eine besondere Form der Treue zum Geheimnis der Erlösung, weil der Friede die Ausstrahlung der Erlösung ist, ihre Anwendung im konkreten Leben der Menschen und Völker. Das Jubiläum wird dazu beitragen, in der Welt eine Mentalität des Friedens zu befestigen: einen Wunsch, der von Herzen kommt. 1474 Botschaften und Ansprachen 11. Ich vertraue dieses Programm von Anfang an der Fürbitte der Jungfrau Maria an. Sie ist der Höhepunkt der Erlösung. Sie ist unauflöslich mit diesem Werk verbunden als Mutter des Erlösers und als erhabenste Frucht der Erlösung. Ist sie doch die „Ersterlöste“, erlöst nämlich im Hinblick auf die Verdienste Christi, der Sohn Gottes und ihr Sohn ist. Die Kirche wird noch inniger auf sie schauen müssen, die in sich das Bild verkörpert, das die Kirche selbst zu sein erhofft und erwartet: „herrlich, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig und makellos“ (Eph 5, 27). Das Jubiläum der Erlösung gewinnt damit auch einen tiefen marianischen Charakter: das Zusammentreffen seiner Feier mit der Erwartung des dritten Jahrtausends läßt jene Adventshaltung verstehen, die in der ganzen Heilsgeschichte die Gegenwart Mariens auszeichnet. Sie geht als „Morgenstern“ Christus voran und bereitet ihn vor, sie nimmt ihn in sich auf und schenkt ihn der Welt. Wir glauben und wissen sie auch bei der Vorbereitung des Jubiläums gegenwärtig, um unsere Herzen auf das große Ereignis vorzubereiten. Dazu wird sie beauftragt durch ihre Mutterfunktion. Wie das Zweite Vatikanische Konzil formuliert, „hat sie beim Werk des Erlösers in durchaus einzigartiger Weise in Gehorsam, Glaube, Hoffnung und brennender Liebe mitgewirkt zur Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens der Seelen“ (Lumen gentium. Nr. 61). „In ihrer mütterlichen Liebe trägt sie (weiter) Sorge für die Brüder ihres Sohnes, die noch auf der Pilgerschaft sind und in Gefahren und Bedrängnissen weilen, bis sie zur seligen Heimat gelangen“ (ebd., Nr. 62). „Deshalb ist sie uns in der Ordnung der Gnade Mutter“ {ebd., Nr. 61). In wenigen Tagen wird sie uns das menschgewordene Wort zeigen, auf das sie ihren inneren Bück gerichtet hält: „sie bewahrte alles in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ {Lk 2, 19, 51). Daher steigt zu ihr unser Gebet auf, sie möge der ganzen Kirche, ja der ganzen Menschheit erneut jenen Jesus zeigen, der die „gesegnete Frucht ihres Leibes“ ist, der Erlöser aller. 12. Ehrwürdige Brüder und liebe Söhne! Dies wollte ich euch und der ganzen Kirche dringend mitteilen, wenn wir uns anschicken, das Weihnachtsgeheimnis erneut zu erleben, das die Morgenröte der Erlösung ist, fällt doch auf die äußerste Armut von Bethlehem bereits der Schatten des Kreuzes. Maria möge uns immer beistehen. Der hl. Erzengel Michael, der hl. Johannes der Täufer, die heüigen Apostel Petrus und Paulus und alle übrigen Apostel mögen uns immer reichere Gnaden des Heils erflehen, damit wir das Jubiläum würdig und fruchtbar feiern. Sie mögen die ganze 1475 Botschaften und Ansprachen Kirche bereitmachen, das große Ereignis zu leben. Sie mögen die ganze Kirche darauf vorbereiten, die Erlösung in Christus voll anzunehmen. Daher rufe ich nun der ganzen Kirche zu: „Öffnet die Tore dem Erlöser!“ (O.R. 24.12.82) Venite, adoremus! Kommt, wir wollen ihn anbeten! Predigt in der Christmette am 24. Dezember „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Auf seinen Schultern ruht die Herrschaft“ (Jes 9, 5). 1. Die Geburt Jesu Christi in der Nacht von Bethlehem wird uns in diesem feierlichen Gottesdienst vor allem in Form einer Beschreibung dargestellt. Der Evangelist Lukas ist es, der uns das Ereignis schildert. Wir haben es gerade gehört. Die Beschreibung geht in die Einzelheiten. Sie beantwortet zunächst die Frage nach dem historischen Rahmen, in dem das Ereignis stattfand. Wir erfahren, daß auf Befehl von Kaiser Augustus eine Aufschreibung angeordnet wurde „zur Zeit, als Quirinus Statthalter von Syrien war“ (vgl. Lk 2, 1 f.). Auf diesem Hintergrund wird dann das Ereignis selbst geschildert. Um der Anordnung der Behörden nachzukommen, „zog Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Bethlehem heißt, „weil er aus dem Haus und Geschlecht Davids war“. Bekanntlich hatte das Haus und Geschlecht Davids eine Beziehung zu Bethlehem, und die angeordnete Eintragung mußte offenbar in derjenigen Gemeinde erfolgen, aus welcher die Familie stammte. Maria war damals schwanger. Sie erwartete ein Kind. 2. Das alles wird uns im Bericht des Evangelisten Lukas eingehend beschrieben. Auch der Bericht über die Geburt des Kindes selbst geht ins einzelne und ist zugleich äußerst schlicht. Wir erfahren, das Ereignis habe sich nach ihrer Ankunft in Bethlehem zugetragen, „als sie dort waren“ {Lk 2, 6). Wir erfahren ferner, daß es unter ungewohnten Umständen geschah, „weil in der Herberge kein Platz für sie war“ {Lk 2, 7). Der Sohn Mariens kam also nicht in einem Haus zur Welt, in einer menschlichen Wohnung, sondern in einem Raum, der für Tiere bestimmt war. Es heißt ja, daß Maria ihren Erstgeborenen in Windeln wickelte und „in eine Krippe legte“ {Lk 2, 7). 1476 Botschaften und Ansprachen Aus der Schilderung erfahren wir dann noch, daß kurze Zeit danach an die Stelle, wo der Sohn Mariens zur Welt gekommen war, Hirten kamen, die „in jener Gegend lagerten und Nachtwache bei ihrer Herde hielten“ {Lk 2, 8). Ein besonderes Zeichen vom Himmel hatte sie hingeführt. 3. Was in der Nacht von Bethlehem wirklich geschehen ist, kann von einer Schilderung des äußeren Ablaufes nicht erfaßt werden. Sie ist zwar Inhalt der heutigen Lesungen, und zwar recht ausführlich, aber sie sagt noch nicht alles. Um alles zu erfassen, müssen wir uns in den Ablauf der Ereignisse im Licht der Botschaft des Propheten Jesaja hineinversenken, die ich am Anfang zitierte: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Auf seinen Schultern ruht die Herrschaft“ (Jes 9, 5). Was ist das für eine Herrschaft auf den Schultern dieses Kindes, das in der Stunde seiner Ankunft in der Welt nicht einmal ein gewöhnliches Dach über dem Kopf hatte; dem als erste Wiege eine Futterkrippe der Tiere diente? In der Nacht von Bethlehem sinnen wir nach über diese Herrschaft, die der Neugeborene mit sich bringt. Sprechen die Jesaja-Worte etwa von der Zukunft dieses Kindes als einem irdischen Herrscher des Volkes? Aber wir wissen doch aus dem weiteren Verlauf seines Lebens, der uns vertraut ist: Das Leben Jesu vonNazaret, das in der Nacht von Bethlehem begann, wird mit dem Tod am Kreuz enden. Was also ist das für eine Herrschaft auf seinen Schultern in jener Nacht seiner Geburt und auch in der Stunde von Golgota? 4. Die Antwort auf diese Fragen ist im liturgischen Text enthalten. Sie trifft den Kern der Ereignisse in der Nacht von Bethlehem, übersteigt aber deren rein menschliche Dimension. Bei dem Engel, der den Hirten die Geburt des Retters verkündete, „war plötzlich ein großes himmlisches Heer, das lobte Gott und sprach: Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade“ {Lk 2, 13 f.). Dieses innerste Geheimnis der Nacht von Bethlehem konnten rein menschliche Lippen nicht aussprechen. Es konnte überhaupt nicht „ausgesprochen“, sondern nur „verkündet“ werden - so wie das Geheimnis der Empfängnis des Gott-Menschen im Schoß der Jungfrau von Nazaret. Und hier, in der Verkündigung von Bethlehem, bekommen wir eine Antwort auf unsere Frage. Was für eine Herrschaft ruhte in jener Nacht auf den Schultern Christi? Eine einzigartige Herrschaft! Eine Herrschaft, die nur Er besitzt! Nur Er hat die Macht, die Seele jedes Menschen mit dem Frieden des göttlichen Wohlgefallens zu erfüllen. Nur Er hat die Macht, die Menschen zu 1477 Botschaften und Ansprachen Kindern Gottes zu machen. Nur Er vermag die Geschichte des Menschen zur Höhe der Ehre Gottes zu erheben. Nur Er! Grüßen wir ihn voll Dankbarkeit und Freude in dieser strahlenden Nacht! Venite, adoremus! - Kommt, wir wollen ihn anbeten! (O. R. 27.128. 12. 82) Der Anfang unserer Erlösung Weihnachtsbotschaft vor dem Segen „Urbi et Orbi“ auf dem Petersplatz am 25. Dezember 1. Christus ist uns geboren. Kommt, wir wollen ihn anbeten! Kommt und betet ihn an, der von Ewigkeit her aus dem Vater geboren wird: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott; eines Wesens mit dem Vater; durch den alles geschaffen ist. 2. Kommt, beten wir an den von der Jungfrau Geborenen, das Wort Gottes, der für uns Menschen und zu unserem Heil Mensch geworden ist durch den Heüigen Geist. Aus dem Vater geboren vor aller Zeit, wird er als Mensch geboren in der Zeit, kommt zur Welt als ein Kind in der Nacht von Bethlehem. 3. Jedes Jahr verehren wir diese Nacht, und der Tag, der auf sie folgt, ist uns heilig. Kommt, wir wollen ihn anbeten! Kommt, wir wollen den Beginn unserer Erlösung anbeten! Denn er hat uns erlöst: Er gab uns die „Macht, Kinder Gottes zu werden“ (Joh 1, 12). 4. Erlösen will sagen: zurückgeben - den Menschen an Gott und gleichzeitig Gott dem Menschen. Erlösen will auch sagen: den Menschen sich selbst zurückgeben, ist er doch von Grund auf nichts anderes als Bild und Gleichnis Gottes. Und gerade darum ist er Mensch. 5. Die Erlösung geschah in der Zeit. Heilig ist uns der Tag, an dem Christus geboren wird: der Anfang unserer Erlösung. Und heilig ist uns die Zeit, in der durch Christi Kreuz und Auferstehung sich unsere Erlösung vollendet hat. So möchten wir in besonderer Weise Gott unsere Zeit weihen: Gott weihen wir vor allem das kommende Jahr, das nach der überlieferten Zeitrechnung den 1950. Jahrestag unserer Erlösung bringt. Wie das Jahr 1933, wird dieses für uns aufs neue ein Heiliges Gedenkjahr unserer Erlösung sein. 1478 Botschaften und Ansprachen 6. Herzlich bitte ich euch, hebe Brüder und Schwestern, daß ihr schon heute, von der Krippe von Bethlehem aus, in Glaube, Hoffnung und Liebe auf dieses Gedenkjahr schaut wie auf eine Pforte. SoUten wir denn nicht eintreten in diese heilige Zeit, wir, die wir gerade heute singen: Christus ist uns geboren; kommt, wir wollen ihn anbeten? Können wir dieses besondere Bemühen der Kirche außer acht lassen? Sind wir nicht die Arbeiter auf dem Felde, die unter Tränen säen, um dann im Jubel zu ernten (vgl. Ps 126, 5)? 7. Darum lade ich heute ahe Ortskirchen und alle Hirten ein, in brüderlicher Gemeinschaft diese geisthche Mühe der Braut Christi auf sich zu nehmen: eine Mühe, für welche die Liebe der gebärenden Mutter in der Nacht von Bethlehem das erste Beispiel ist; ihr zur Seite die Sorge Josefs, des Zimmermanns, und die Teilnahme der Hirten, der Püger zum Stall des neugeborenen Kindes. 8. Auch alle unsere Brüder, mit denen wir zusammen zur Einheit des Glaubens in der einen Kirche Christi hinstreben, bitte ich: Gewährt uns für dieses Heilige Jahr die Gabe eures Gebetes. Im Einklang mit der Überlieferung möchten wir Wasser schöpfen aus den Quellen des Heilandes (vgl. Jes 12, 3). Wir möchten tiefer eindringen in das Geheimnis dieser Erlösung, in der uns schon unsere Einheit gegeben ist. 9. In diesem Geheimnis sind wir mit jedem Menschen vereint und mit allen zusammen; denn die Erlösung geschah für alle, und alle umfaßt sie, ohne Unterschied. Für alle ist Gott Mensch geworden und in der Nacht von Bethlehem geboren. Kommt, wir wollen ihn anbeten. 10. Wir möchten, daß das Licht dieser Nacht vor allem zu jenen gelange, die leiden, wo auch immer auf dieser Erde sie sind und welches Geschick auch immer sie erdulden. Mit Christi Geburt nimmt Gott selbst das Leiden der Menschen auf sich; ist sie doch der Anfang des Weges zum Kreuz und auch Anfang der Verherrlichung. 1479 Botschaften und Ansprachen „Laßt euch von Christus ergreifen!“ Ansprache an die Teilnehmer des europäischen Jugendtreffens der Gemeinschaft von Taize bei der Gebetsstunde in St. Peter am 30. Dezember Liebe Freunde! 1. Ich freue mich und bin tief bewegt, euch auf Initiative von Taize nochmals in Rom vereint zu sehen. Ihr seid so zahlreich, so begeistert, so bereit, in einer Atmosphäre des Gebets die Eingebungen des Geistes Gottes zu empfangen und ihnen zu folgen! Und ich danke Frere Roger herzlich für seine aufrichtigen und eindrucksvollen Worte. Ihr seid hierher an die Gräber der Apostel Petrus und Paulus gekommen, der Märtyrer und Heiligen, deren Herz vor Glaube und Liebe brannte und die in den Katakomben und Kirchen Roms verehrt werden. Und ihr wolltet mit dem Nachfolger des Petrus Zusammentreffen, dessen Berufung es ist, wie Petrus den Glauben an „Christus, den Sohn des lebendigen Gottes“ (vgl. Mt 16, 16), und seine vorrangige Liebe für ihn (vgl. Joh 21, 15-17) zu verkündigen und so die Rolle des Hirten aller wahrzunehmen, während er mit den anderen Nachfolgern der Apostel, den Bischöfen, im Dienst Christi steht, um „die Gemeinschaft in der Einheit zu vollenden: im Bekenntnis des einen Glaubens, in der gemeinsamen Feier des Gottesdienstes und in der brüderlichen Eintracht der Familie Gottes“ ( Unitatis redintegratio, Nr. 2). Ihr seid als Pilger des Glaubens und der Versöhnung gekommen, um euch - wie der hl. Paulus sagte — der „Vermittlung geistlicher Gaben“ zu erfreuen, „damit ihr dadurch gestärkt werdet“ (vgl. Rom 1,11), insbesondere in eurer Entscheidung, in immer stärkerem Maße „Friedensstifter“ zu sein (vgl. Mt 5, 9). Es ist eine große Freude für mich, euch helfen zu können, diesen Weg der Versöhnung zu gehen. Ich will das im Dialog mit euch tun, anders ausgedrückt, ich will einige der mir von euch gestellten Fragen beantworten, jede Frage in einer anderen Sprache. Ich weiß, daß sich unter euch eine Anzahl von Christen befindet, die nicht dem kathoüschen Glauben angehören. Andere junge Leute sind auf der Suche nach dem Glauben. Ich respektiere diese Situation und diesen Weg der Annäherung. Vor allem will ich Zeugnis geben von Christus, dem Weg, der Wahrheit und dem Leben, und Zeugnis geben von seiner Kirche. Dort, wo ich Forderungen oder Weisungen zu eurer Aufgabe in der Kirche an euch richte, wende ich mich besonders an die Katholiken, 1480 Botschaften und Ansprachen und zwar in Verbundenheit mit ihren Bischöfen, die ihre zuständigen Hirten sind. 2. Wie können wir in diesen unruhigen Zeiten Zeugen der Freude und des Vertrauens sein? (Frage Nr. 1). Wir sind es dank unseres Glaubens (vgl. 1 Joh 5, 4): „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat..., damit die Welt durch ihn gerettet wird“ (Joh 3, 16-17). Und was uns die Sicherheit auf der Ebene des Tuns verleiht, ist, daß wir versuchen zu lieben, wie er uns geliebt hat: „Wir wissen, daß wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weü wir die Brüder heben“ (1 Joh 3, 14). Natürlich dürft ihr niemals die Augen vor den tatsächlichen Schwierigkeiten verschließen. Die Probleme der Welt bleiben schwierig und kom-plizert: Wie sollen die Menschen dazu gebracht werden, wie Brüder zusammenzuleben, wenn sie so verschieden sind und offensichtlich gegensätzliche direkte Interessen haben, so daß jeder seinen Teil an Brot, Würde, Liebe erhält? Und vor allem, wie lassen sich die schweren Bedrohungen von Unterdrückung und Kriegen überwinden, die aus dem Herzen der Menschen kommen, wenn sich diese mit Aggressivität von Angst, Lüge, Egoismus, Hochmut und Haß leiten lassen? Es gibt also Katastrophengefahren, das stimmt. Es gibt sogar einen Kampf, der geführt werden muß, einen Kampf gegen das Böse in ahen seinen Formen. Und die nach dem Guten suchen, werden deswegen in diesem Leben keineswegs vom Zugriff des Bösen verschont bleiben: wurde Christus etwa verschont? Und doch ist es unsere Pflicht, zur Vermeidung dieser Gefahren beizutragen, um „das Böse durch das Gute zu besiegen“ (Röm 12, 21). Durch Christus, mit ihm ist das möglich. Das Böse, die Bosheit soll nicht das letzte Wort haben (vgl. Joh 16, 33). Und bereits der Sinn für das Gute, der Sinn für die Gerechtigkeit und die Liebe, die Gott in uns hineinlegt, er legt sie auch in das Herz anderer hinein, vieler anderer, so daß wir auf diesem Gebiet einander begegnen und uns über die Grenzen hinweg die Hand reichen können, um eine Welt von Brüdern zu schaffen. Wenn wir mit Ihm kämpfen, tun wir das schon mit einem großen Frieden im Herzen. Darum sage ich euch noch einmal: „Fürchtet euch nicht!“ 3. Ihr habt mich über euer Vorhaben unterrichtet, eure kleinen Laiengemeinschaften in die Pfarreien einzugliedern, und fragt, ob ihr dort wirklich ein Sauerteig der Kontemplation sein könnt (2. Frage). Ich beglückwünsche euch, liebe Freunde, und ermutige euch zu diesem Vorhaben. Es ist nur normal und kann belebend sein, sich in geistiger 1481 Botschaften und Ansprachen Verbundenheit mit jungen Leuten zusammenzufinden, die dasselbe Ideal, dieselbe Art zu beten, dieselbe Dynamik des Tuns teilen: es ist das Interesse vieler heutiger christlicher Jugendbewegungen mit ihrer besonderen Akzentsetzung, ihrer besonderen Spiritualität; ob es sich um apostolische oder erzieherische oder verschiedene Gebetsgruppen handelt. Das schafft oft einen notwendigen Austausch. Aber ihr begreift das Risiko und wollt vermeiden, euch auf die eigene Gruppe, die eigene Entscheidung, das eigene Empfinden zurückzuziehen. Eine Kirche aus einer bestimmten Kategorie von Alter, Klasse und Rasse kann es nicht geben. Kirche - das Wort bedeutet Versammlung - ist der Zusammenschluß der Christen zu einem einzigen Volk, zu einem einzigen Leib, der von seinem Haupt, Christus - vertreten durch den in der apostolischen Nachfolge eingesetzten Diener -, das Wort Gottes und das Leben empfängt, die sie sich allein nicht geben könnte. In Ihm sind die Trennungen zwischen Gliedern und Kategorien von Gliedern aufgehoben, wie der hl. Paulus es für seine Zeit kommentierte: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau“ (Gal 3, 28); man könnte hinzufügen: es gibt nicht mehr Junge und Alte, Reiche und Arme usw. Diese geistige Wirklichkeit - die der Universalkirche und der Diözesankirche entspricht - wird in der Pfarrei gut vertreten und gelebt. Das sagte ich in dem Apostolischen Schreiben über die Katechese: „Ohne ein Monopol aufstellen oder alles gleichmachen zu wollen, ... muß die Pfarrei ihre Berufung wiederfinden, das Haus der Pfarrfamilie zu sein, brüderlich und gastfreundlich, wo die Getauften und Gefirmten sich bewußt werden, Volk Gottes zu sein. Hier wird ihnen das Brot der Frohen Botschaft und das Brot der heiligen Eucharistie in reicher Fülle gebrochen in ein und demselben Gottesdienst. Von hier aus erhalten sie täglich neu den Auftrag für ihre apostolische Sendung an allen möglichen Wirkungsstätten im Leben der Welt“ (Catechesi tradendae, Nr. 67; in: O.R. dt., vom 2. 11. 79, Beüage, S. XI). Ja, liebe katholische Freunde, geht also in die Pfarreien: um zu geben und zu empfangen. Ihr werdet dort Räume des Gebets und der Anbetung schaffen können, die eure Brüder anlocken und ihnen bei der Suche nach Gott helfen werden — wobei zu berücksichtigen ist, daß es oft bereits andere Gebetsgruppen ergänzender oder allgemeiner Art gibt — und wo ihr mit ihnen auch an den üblichen liturgischen Feiern, die für das ganze Gottesvolk gedacht sind und allen Gefühlsrichtungen offenstehen, teilnehmt. Ihr könnt dort Sauerteig der Versöhnung sein und euch mit den verschiedenen Zielsetzungen vertraut machen, die eine Pfarrei auf kate-chetischem, sakramentalem, apostolischem und karitativem Gebiet ver- 1482 Botschaften und Ansprachen wirklichen soll. Ihr werdet eure Fragen und eure Appelle dorthin tragen und werdet auch die Fragen der anderen und die Verantwortlichkeit derer annehmen, die als Pfarrer eingesetzt sind, um mit ihnen durch Gebet und Liebe die Kirche aufzubauen. 4. Was sind die Risiken, die ihr auf euch nehmen könnt, um die Menschen zum Frieden aufzurufen? Um die Menschenwürde zu verteidigen? (3. Frage). Das erste Risiko, das für den Frieden gewagt werden muß, scheint mir der Dialog zu sein, der uns für uns selbst und für die anderen öffnet und durchsichtig macht. Das ist auch das Thema der Friedensbotschaft, die ich in diesen Tagen an die Welt richte. Der Dialog, so sage ich dort (Nr. 6), geht aus von der Suche nach dem Wahren, dem Guten und dem Gerechten für jeden Menschen! Er verlangt Offensein und Annehmen-, verlangt, sich einzulassen auf das Anderssein und das Besondere im Dialogpartner, mit allem Risiko, das sich daraus ergibt. Und das, ohne aus Feigheit oder falscher Rücksicht aufzugeben, was man selbst als wahr und recht erkennt, aber auch ohne den anderen zu einem bloßen Objekt zu erniedrigen, wo er doch vielmehr als ein Subjekt mit Verstand, Freiheit und Verantwortung zu achten ist. Darum sollte der Dialog zunächst einmal die Suche nach all dem sein, was den Menschen gemeinsam ist. Selig diejenigen, die auch bereit sind, gemeinsam darum zu beten, daß der Heilige Geist sie all das im anderen heben lehrt, was Gott selbst an ihm liebt! Was die konkreten Mittel im einzelnen angeht, die zum Frieden führen oder wenigstens die Kriegsdrohung abwenden können, wie zum Beispiel ein Verzicht auf weiteres Wettrüsten, so liegen dort schwierige und vielschichtige Probleme, die noch weitere Verantwortlichkeiten ins Spiel bringen. Hierzu habe ich mich schon bei anderer Gelegenheit geäußert. Eure Rolle scheint mir dabei vor allem zu sein, Herz und Kopf der Menschen dafür zu motivieren, den Frieden ernsthaft zu wollen, ihn zwischen den einzelnen und den Gruppen überzeugend zu verwirklichen, ferner Gerechtigkeit zu verlangen, die beste Garantie des Friedens, und das Teüen anzuregen und zu üben, ein guter Weg dorthin. 5. Die gerechte Verteilung der Güter der Erde war Gegenstand einer weiteren Frage (Nr. 5). Ihr seid dafür um so empfänglicher, weil ihr nicht geblendet scheint von der Konsum- und Genußgesellschaft, die ihr in Europa nur zu gut kennt, und vor allem, weü ihr das Elend eurer Brüder in den Ländern der Dritten Welt kennengelernt habt: durch euren Aufenthalt unter ihnen oder durch die Zeugnisse, die ihr darüber in euren Rundbriefen erhalten habt. Ja, das Evangelium drängt die Christen, die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu beheben, die einen großen Teil 1483 Botschaften und Ansprachen der Menschheit daran hindern, ihren Grundbedürfnissen an Nahrung, Wohnung, sozialer Betreuung zu entsprechen. Die Kirche muß die gerechte Verteilung predigen, durch welche sich die Menschen von dem Elend befreien, das im Gegensatz zu den Plänen Gottes steht, wobei sie auch allen den evangelischen Geist der Armut verkündet. Und natürlich muß die Kirche zugleich selbst ein Zeugnis davon geben. Dazu rufen wir ja unentwegt auf. Viele Christen, viele Heilige haben das bis zum Heroismus getan und ihrerseits Gemeinschaften gegründet, die dieses Teilen übten. Die Übergabe von Geldmitteln an kirchliche Einrichtungen mag euch bisweilen als eine Art administrativer Vorwand gegenüber den Armen erscheinen; versucht zu verstehen, daß diese Mittel eine Garantie dafür sein wollen, für morgen eine hochherzige und wirksame Hilfe sicherzustellen. Es ist immer eine heikle Sache, über unsere Brüder zu urteilen. Aber es stimmt, daß die Institutionen ehrlich und streng darüber wachen müssen, auch die Gefahren des Reichtums und der Empfindungslosigkeit für die Bedürfnisse der Brüder zu vermeiden. Eure dritte Frage bezog sich auch ausdrücklich auf die Würde jedes Menschen, auf den Wert jedes menschlichen Lebens. Also: greift Risiken auf, tut alles in eurer Macht Stehende, um diese Werte zu gelegener und ungelegener Zeit zu verkündigen, damit sie entschieden und klar respektiert werden. Doch — das wißt ihr nur zu gut — dieses Zeugnis ruft zuallererst jeden einzelnen von uns zur Verantwortung; es ist nur dann glaubwürdig, wenn jeder das Leben des anderen in seiner Geringfügigkeit, in seinem Gesichtskreis, in seiner Schwäche, in seinem Alter und alle seine Grundrechte absolut achtet. Hoffentlich könnt ihr, liebe Freunde, dazu beitragen, diese Achtung vor dem Menschen, vor jedem Menschen immer stärker zu fördern! 6. Aber wenn beim anderen diese Achtung nicht vorhanden ist, wenn er verstockt ist, wenn die Verzeihung von unserem Gegenüber abgelehnt, zurückgewiesen wird? Wie soll da eine Versöhnung zustande kommen, so fragt ihr (4. Frage). Ich kann verstehen, daß euch das Sorge bereitet, weil ihr ja eure Berufung und euren Einsatz vor allem unter das Zeichen der Versöhnung stellen wollt. Ihr seid im übrigen überzeugt, daß diese Versöhnung bei uns, durch uns, schon heute beginnen müsse. Was die Bedeutung der Vergebung angeht, kennt ihr ebenfalls die Antwort Jesu, die im Evangelium so oft wiederkehrt: geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, ehe du Gott deine Opfergäbe darbringst; schließ Frieden mit ihm, solange du mit ihm noch auf dem Weg bist; geh über die strenge Gerechtigkeit hinaus (vgl. Mt 5, 24.25.40). Es ist angebracht, auch in uns selbst nach dem zu 1484 Botschaften und Ansprachen suchen, was uns von den anderen femhält. Es ist gut, uns selbst zu bessern. Aber trotz alledem kommt es vor, daß der andere die Verzeihung, den Friedensvorschlag ablehnt. Nun gut, nach dem Evangelium erwarten wir ja nicht, daß die anderen kommen, um sich mit uns zu versöhnen. Wir gehen ihnen entgegen. Tun wir, was das alttestamentliche Buch der Sprüche uns in einem Text sagt, der vom hl. Paulus wiederaufgegriffen wurde: „Wenn dein Feind Ehmger hat, gib ihm zu essen, wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken; tust du das, dann sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt“ (Spr 25, 21-22; Röm 12, 20). Kurz, wenn der andere ablehnt, ist das seine Sache; wir kennen vielleicht nicht die inneren Hemmungen, die er hat. Wir jedenfalls tun das, was an uns liegt. Und vor allem wollen wir nicht aufhören, für ihn zu beten und ihn zu lieben, um würdige Kinder unseres Vaters im Himmel zu sein (vgl. Mt 5, 43-48). Das ist das Risiko, das die Jünger Christi eingehen; und dann, wenn Gott will, wird dieses Risiko die Welt verändern, ganz ähnlich wie die Haltung Jesu. Ist es nicht so, daß ihr versucht, Friedensstifter zu sein, indem ihr mit euch selbst und mit euren Mitmenschen in euren Familien, in den Kirchen, deren Mitglieder ihr seid, in den Gemeinschaften oder Gesellschaftsbereichen, denen ihr angehört, lebt? Es versteht sich von selbst, daß diese Haltung der Demut und der wohlwollenden Annahme von Personen niemals dazu verleiten darf, die Suche nach der Wahrheit noch die Treue zu dem Glauben aufzugeben, dessen Gnade Gott uns geschenkt hat. Mit vollem Recht wollt ihr nicht, auch wenn ihr euch vom Charisma des anderen ansprechen laßt, die Glaubenswerte nivellieren, in irgendeiner Weise über etwas diskutieren, über das nicht diskutiert werden kann, was eurem Urteil nicht zusteht, in Einklang bringen, was nicht vereinbar ist, sondern vielmehr euren Glauben auf den Grund stützen, den Gott uns in Christus (vgl. 1 Kor 3,11) und in seiner einen Kirche gelegt hat, die wir, wie es in der Konzilskonstitution Lumen gentium heißt, „als die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen“ und die „in der katholischen Kirche verwirklicht ist“ (Nr. 8). 7. Schließlich fragt ihr, was ihr tun müßt, um Christus über alles zu heben, euer Leben für ihn hinzugeben (6. Frage). Ich sage euch: „Öffnet die Türen dem Erlöser!“ Das ist das Motto des Jahres der Erlösung, das ich vor kurzem angekündigt habe und das von der katholischen Kirche gefeiert werden wird. Wir können uns untereinander nicht wirklich versöhnen, wenn wir nicht die Versöhnung mit Gott, die Versöhnung, die von Gott kommt, annehmen. „Gott war es, der uns in Christus mit sich versöhnt hat“, und Christus hat uns die frohe Kunde 1485 Botschaften und Ansprachen gegeben, daß wir versöhnt sind, indem er uns zu seinen „Gesandten“ gemacht hat, wie der hl. Paulus sagt (vgl. 2 Kor 5,18—20). Versöhnung ist auch eine Pflicht der Kirche; sie ist eine kirchliche Handlung. Das ist ja die Bedeutung des Bußsakraments, wo durch ein wirksames Gnadenzeichen, das uns mit Gott und untereinander versöhnt, Vergebung gewährt wird. Das ist auch die Bedeutung des Kampfes, in den wir verstrickt sind. „Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, ... sondern gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs“ (Eph 6, 12), gegen die Sünde, die Sünde, die Gott beleidigt und unseren Brüdern und Schwestern Unrecht zufügt und die die Quelle allen Übels in der Welt ist. Ein solcher Kampf muß mit den Waffen Gottes ausgefochten werden (vgl. Eph 6, 14-17). Darum fordere ich euch wie der hl. Paulus auf: laßt euch von Christus ergreifen, damit ihr die Macht seiner Auferstehung erfahrt und an seinen Leiden teilhabt (vgl. Phil 3, 11-12). Man kann aber nicht von Christus ergriffen werden ohne Einkehr und Gebet. Nur dann wird Christus euer inneres Licht sein und euch verwandeln. Das ist das Erste, was der Nachfolger Petri von euch erhofft. Dann werdet ihr imstande sein, „Salz“ und „Licht“ zu sein, wie wir es soeben von den Lippen Jesu vernommen haben. Denn es ist wirklich Christus, der dem Salz gleich den irdischen Dingen Bedeutung und Geschmack gibt und verleiht; der wie die Sonne unser Dunkel erleuchtet. Euer Auftrag besteht darin, diese Bedeutung und diesen Geschmack gegenwärtig und wirksam zu machen, dieses Licht erstrahlen zu lassen durch „eure guten Werke“, wie Jesus ebenfalls sagt, und das heißt, durch euer ganzes Leben. Und das wird noch mehr für diejenigen unter euch zutreffen, die in der Berufung zum Priester- oder Ordensleben ihr ganzes Dasein Jesus Christus weihen wollen. Dann richtete der Papst kurze Grußworte an die anwesenden kroatischen, polnischen und slowenischen Jugendlichen in ihren Landessprachen. Zum Schluß sagte er in Französisch: 8. Nicht zuletzt, liebe Freunde, sollt ihr ganz gewiß sein, daß ich für euch bete (7. Frage), so wie ich täglich für alle bete, die unter schwierigen Bedingungen das Evangelium zu leben versuchen, wie ich häufig für die jungen Menschen bete, die die Welt aus ganz neuer Sicht sehen und sie so gern erneuern würden! Um über alle Furcht hinaus wieder Mut zu schöpfen, erhebt eure Blicke zu denen, die zur Heiligkeit gelangt sind! Sie haben ihr Leben für Christus 1486 Botschaften und Ansprachen und zugleich für ihre Brüder hingegeben. Sie haben die Angst und das Böse besiegt. Ihr wißt zum Beispiel, daß Pater Maximilian Kolbe in seinem ganzen Leben und in seinem Tod für die Versöhnung der Welt gewirkt hat. Und die jetzige Weihnachtszeit läßt uns noch stärker auf Maria, die heilige Mutter Jesu, blicken. Sie hat in der Person ihres Sohnes der Welt die Versöhnung gebracht. Sie hat sich mit einem Höchstmaß an Bereitschaft in den Plan Gottes einbeziehen lassen. Sie ist das Urbild der versöhnten Menschheit. Bildet mit ihr überall in der Welt Häuser von Nazaret! Ehe ich auf jeden von euch, auf eure Famüien, auf eure Zusammenkünfte den Schutz und die Hälfe der Heiligsten Dreifaltigkeit herabrufe, indem ich euch meinen Segen erteile, wollen wir mit Maria die Herrlichkeit Gottes besingen, der für sie und durch sie Wunder gewirkt hat und der in gewisser Weise auch durch euch Wunder wirken will! Amen! Halleluja! (O.R. 1. 1. 83) 1487 IV. Erklärungen der Kongregationen Der katholische Laie -Zeuge des Glaubens in der Schule Kongregationen Inhalt Vorwort 5 Einleitung 7 I. Identität des katholischen Laien in der Schule 9 Der Laie in der Kirche 9 Der katholische Laie in der Schule 11 Die Schule 11 Der katholische Laie als Erzieher 12 II. Zum Leben der eigenen Identität 16 Gemeinsame Merkmale der gelebten Identität . 17 Offenheit auf Hoffnung hin 17 Beruf und christliches Verständnis des Menschen und des Lebens 17 Synthese von Glaube, Kultur und Leben 18 Zeugnis des Lebens. Direkter und persönlicher Kontakt mit dem Schüler 20 Gemeinschaftliche Aspekte 21 Mehr eine Berufung als ein Beruf 22 Charakteristische Merkmale des katholischen Laien in verschiedenen Schulen 23 In der katholischen Schule 23 In Schulen mit verschiedenen Erziehungsprogrammen 27 In anderen Schulen mit nichtchristlichem oder christentumsfeindlichem Erziehungsprogramm 28 Der katholische Laie als Lehrer des Religionsunterrichts 29 <43> <43> Bildung des katholischen Laien für sein Glaubenszeugnis in der Schule 31 Bewußtseinsbildung 31 Berufliche und religiöse Büdung 32 Aggiornamento - Fortbildung 33 1492 Kongregationen IV. Hilfe der Kirche für die katholischen Laien in der Schule 35 Halt im Glauben, im Wort und im sakramentalen Leben 35 Hilfe durch die Gemeinschaft 35 Hilfe von seiten der Erziehungsinstitute. Die katholische Schule und die Laien 36 Schluß 38 1493 Kongregationen Vorwort Die christliche Erziehung gewinnt in unserer Zeit des geistigen Pluralismus und der zunehmenden Säkularisation der verschiedenen Lebensbereiche zunehmend an Bedeutung. Die Kongregation für das katholische Bildungswesen widmet darum dem Schulbereich besondere Aufmerksamkeit. In ihrer Erklärung zur katholischen Schule hat sie sich im Jahr 1977 umfassend zum Wesen und zu den Arbeitsbedingungen dieser kirchlichen Ausbildungsstätten geäußert. In diesem Dokument bereits hat sie auf die fundamentale Bedeutung der Lehrerpersönlichkeit für die Verwirklichung des christlichen Bildungsauftrags der katholischen Schule hingewiesen. Die vorliegende Erklärung nimmt dieses wichtige Thema erneut auf. Ausgehend von den Grundaussagen des II. Vaticanums beschreibt und begründet sie Aufgabe und Rolle des katholischen Laien, der als Erzieher an katholischen, aber auch an Schulen anderer Prägung tätig ist. Dabei will die Kongregation das Thema keineswegs abschließend behandeln, sondern eine Grundlage für die weitere Reflexion und gedankliche Durchdringung bieten. Aus ihrer weltweiten Perspektive trägt sie dem Umstand Rechnung, daß das Schulwesen in den Ländern der Erde außerordentliche Unterschiede aufweist. Die Erklärung formuliert darum allgemeine Aussagen, die sich nicht immer unmittelbar auf Einzelprobleme eines Landes oder einer Region anwenden lassen. Die Aussagen bedürfen der Umsetzung auf die konkreten Verhältnisse, um auf diese Weise wirksam werden zu können. Auch die Diktion der Erklärung ist darauf gerichtet, von möglichst vielen Menschen mit sehr unterschiedlichem Erfahrungshorizont verstanden zu werden. Der deutsche Leser wird darum bisweilen Begriffe vermissen, die ihm aus dem eigenen Erfahrungsbereich des deutschen Schulwesens vertraut und gebräuchlich sind. Nichts-destoweniger vermittelt sie mit ihren grundlegenden Aussagen und Gedanken zur Sendung des Laien in der Schule doch wichtige Anstöße. Diese Impulse aufzunehmen und das Engagement des katholischen Laien in der Schule verstärkt im Sinne eines gelebten Apostolats zu verstehen, ist eine aktuelle Aufgabe. 1494 Kongregationen Die Erklärung wendet sich an alle, die im Bereich der Erziehung Verantwortung tragen - an die Bischöfe ebenso, wie an die Eltern und die Schulbehörden. Insbesondere aber spricht sie den Laien an, der als Lehrer tätig ist. Ihm will sie Wegweisung und Ermunterung für seinen verantwortungsvollen Dienst sein. 1495 Kongregationen Einleitung 1. Die katholischen Laien, Männer und Frauen, die sich dem Unterricht in den Grund-, Haupt- und Mittelschulen und höheren Schulen widmen, haben in den letzten Jahren eine immer größere Bedeutung gewonnen. Es handelt sich um eine verdiente Bedeutung, die sich auf die Schule im allgemeinen und die katholische Schule im besonderen erstreckt. Tatsächlich hängt von den Laienlehrern und von allen Laien, ob sie gläubig sind oder nicht, wesentlich ab, inwieweit es der Schule gelingt, ihre Aufgabe zu erfüllen und ihre Ziele zu erreichen. Die Rolle und Verantwortung, welche in einer solchen Situation alle katholischen Laien haben, die in den oben genannten Schulen in verschiedener Weise - in Unterricht, Leitung, Verwaltung oder ergänzenden Diensten - tätig sind, wurden von der Kirche im 2. Vatikanischen Konzil, vor allem in der Erklärung über die christliche Erziehung, welche hier zugrundeliegt und weitergeführt werden soll, anerkannt. Damit sollen aber die großen auf diesem Gebiet erzielten Leistungen der Christen anderer Konfessionen und auch der Nichtchristen keineswegs verkannt oder gemindert werden. 2. Das katholische Laientum wird von der Kirche in theologischer Hinsicht grundsätzlich positiv betrachtet und geschätzt. Das authentische Wesen des Laien im Volk Gottes wurde vor allem in diesem letzten Jahrhundert in der Kirche wiederentdeckt und hat in zwei Dokumenten des 2. Vatikanischen Konzils, welche den inneren Reichtum und die Besonderheit der Berufung des Laien vertiefen - nämlich in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche und im Dekret über das Laienapostolat - ins Konkrete gehende Entfaltung erfahren. <44> <44> Zu dieser theologischen Vertiefung haben die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse der jüngsten Zeit beigetragen. Das kulturelle Niveau, das mit den wissenschaftlichen und technischen Fortschritten aufs engste verknüpft ist, hat sich stufenweise gehoben und fordert folglich eine größere Vorbereitung für die Ausübung aller Berufe. Außerdem wurde man sich des Rechts der Person auf ganzheitliche Erziehung, die allen ihren Ansprüchen entspricht, immer mehr bewußt. Diese zwei Errungenschaften der Menschheit haben eine beträchtliche Entfaltung des Schulwesens in der ganzen Welt und eine bemerkenswerte 1496 Kongregationen Zunahme derer, die sich diesem beruflich widmen, und folglich auch des katholischen Laientums, das in ihm tätig ist, gefordert und diese Entfaltung und Zunahme sind inzwischen zum Teil erreicht. Dieser Prozeß fällt in den letzten Jahren mit einer beträchtlichen Verminderung von im Unterricht stehenden Priestern, Ordensmännem und Ordensfrauen zusammen. Diese Verminderung kommt vom Fehlen an geistlichen Berufen, von der Notwendigkeit, sich anderen apostoüschen Aufgaben zuzuwenden und in Einzelfällen auch von der irrtümlichen Meinung, daß die Schule nicht ein für das Apostolat der Priester und Ordensleute geeigneter Bereich sei. <45> Auf jeden Fall weiß die Kirche, daß in der Vergangenheit wirksame und geschätzte apostolische Arbeit von vielen Ordensgemeinschaften in der Schule geleistet worden ist, und kann deswegen nicht unterlassen, die Verminderung an Ordensleuten, welche die katholische Schule vor allem in einzelnen Ländern getroffen hat, zu beklagen. Sie ist der festen Meinung, daß die Gegenwart von Ordensleuten und katholischen Laien für die ganzheitliche Erziehung der Kinder und Jugendlichen notwendig ist. <45> Zu dieser theologischen Vertiefung haben die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse der jüngsten Zeit beigetragen. Das kulturelle Niveau, das mit den wissenschaftlichen und technischen Fortschritten aufs engste verknüpft ist, hat sich stufenweise gehoben und fordert folglich eine größere Vorbereitung für die Ausübung aller Berufe. Außerdem wurde man sich des Rechts der Person auf ganzheitliche Erziehung, die allen ihren Ansprüchen entspricht, immer mehr bewußt. Diese zwei Errungenschaften der Menschheit haben eine beträchtliche Entfaltung des Schulwesens in der ganzen Welt und eine bemerkenswerte 4. Durch diese Tatsachen wurde die Kongregation bewogen, in ihnen ein authentisches „Zeichen der Zeit“ für die Schule und eine Einladung zu einer spezifischen Reflexion auf den katholischen Laien als Zeugen des Glaubens in einem für die Ausbildung des Menschen so privüegierten Bereich zu sehen. Sie beabsichtigt nicht, das Thema erschöpfend zu behandeln. Sie möchte aber nach langer und gründlicher Beschäftigung damit einige Überlegungen vorlegen, welche die im Dokument „Die Katholische Schule“ schon gemachten ergänzen. Diese Überlegungen können wohl den an der Frage Interessierten Aufschluß geben und auch zu weiteren und tieferen Reflexionen anregen. 1497 Kongregationen I. Identität des katholischen Laien in der Schule 5. Zunächst scheint es notwendig zu sein, eine Beschreibung der Identität des katholischen Laien in der Schule zu finden, denn seine Weise, Zeuge des Glaubens zu sein, hängt von seiner besonderen Identität in der Kirche und in seinem Arbeitsbereich ab. Die Kongregation für das katholische Bildungswesen möchte mit ihrem Beitrag dem katholischen Laien, der in der Schule tätig ist und die spezifischen Merkmale seiner Berufung klar kennen soll, sowie dem Volk Gottes, das ein klares Bild vom Laien braucht, der ja ein aktiver Teil in ihm ist und mit seiner Tätigkeit eine wichtige Rolle für die Kirche innehat, einen Dienst leisten. Der Laie in der Kirche 6. Der in der Schule tätige Laie ist aufgrund seines Christseins Glied des Volkes Gottes und hat als solches, durch die Taufe mit Christus verbunden, teil an der fundamentalen und allen, die zu ihm gehören, gemeinsamen Würde, denn „gemeinsam ist die Würde der Glieder aus ihrer Wiedergeburt in Christus, gemeinsam die Gnade der Kindschaft, gemeinsam die Berufung zur Vollkommenheit, eines ist das Heil, eine die Hoffnung und ungeteilt die Liebe“. Wenn auch in der Kirche „einige nach Gottes Willen als Lehrer, Ausspender der Geheimnisse und Hirten für die anderen bestellt sind, so waltet doch unter allen eine wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi“. Aufgrund des Christseins hat der Laie auch „am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi“ teil und sein Apostolat ist „Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst und Apostolat, zu dem alle vom Herrn selbst bestellt sind“. <46> <46> Die Berufung zur persönlichen Heiligkeit und zum Apostolat, die allen 1498 Kongregationen zuüben und so wie ein Sauerteig zur Heiligung der Welt gewissermaßen von innen her beizutragen und vor allem durch das Zeugnis ihres Lebens, im Glanz von Glaube, Hoffnung und Liebe Christus den anderen kundzumachen“. 8. Die Erneuerung und christliche Belebung der zeitlichen Ordnung, welche in spezifischer Weise den Laien zukommt, verpflichtet diese, „die Einrichtungen und Verhältnisse der Welt, da wo Gewohnheiten zur Sünde auf reizen“ <47> <48> zu heilen, die menschlichen Wirklichkeiten so zu erhöhen, daß sie so weit wie möglich dem Evangelium entsprechen. „So soll die Welt vom Geist Christi erfüllt werden und in Gerechtigkeit, Liebe und Frieden ihr Ziel wirksamer erreichen“. „Sie sollen also durch ihre Zuständigkeit in den profanen Bereichen und durch ihre innerlich von der Gnade Christi erhöhte Tätigkeit einen gültigen Beitrag leisten, daß die geschaffenen Güter . . . zum Nutzen wirklich aller Menschen entwickelt und besser unter ihnen verteilt werden“. <49> <47> Die von den Laien durch ihre Lebensweise und durch ihre Gegenwart in den verschiedenen Bereichen menschlicher Aktivität gemachte Erfahrung befähigt sie in besonderer Weise, die Zeichen der Zeit, welche die geschichtliche Periode, in welcher das Volk Gottes heute lebt, charakterisieren, genau aufzuzeigen. Ihre Initiativen, ihre Kreativität, ihre sachkun- dige, gewissenhafte und mit Begeisterung durchgeführte - Merkmale, die ihrer Berufung eigen sind - Arbeit auf diesem Gebiet bewirken, daß das ganze Volk Gottes die evangelischen Werte und Gegenwerte, welche diese Zeichen beinhalten, mit größerer Genauigkeit unterscheiden kann. 9. Die Evangelisierung der Welt findet sich einer solchen Mannigfaltigkeit von Situationen gegenüber, daß sehr häufig in konkreten Verhältnissen und für viele Menschen nur Laien wirksame Zeugen des Evangeliums sein können. Deswegen sind sie „besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen zu vergegenwärtigen und wirksam werden zu lassen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann“. <50> Durch diese Gegenwart der ganzen Kirche und des Herrn, den sie verkündet, müssen die Laien bereit sein, die Frohbotschaft mit dem Wort zu verkünden und mit den Werken zu bezeugen. <50> Die Schule übt eine unersetzbare soziale Funktion aus. Bis heute erweist sie sich als die institutionell bedeutendste Antwort der Gesellschaft auf das Recht jedes Menschen auf Erziehung und darin Selbstverwirklichung, sowie als einer der entscheidensten Faktoren für die Strukturierung und das Leben der Gesellschaft selbst. Die wachsende Wichtigkeit des Einflusses der Umgebung und der Massenmedien mit ihren widersprechenden und manchmal schädlichen Einflüssen, die ständige Ausdehnung des kulturellen Bereichs, die Dringlichkeit der Vorbereitung 1499 Kongregationen Der katholische Laie in der Schule 11. Den besonderen Merkmalen der Berufung der Laien in der Kirche entsprechen eindeutig die Merkmale derer, die ihre Berufung in der Schule leben. Die Tatsache, daß die Laien ihre spezifische Berufung in den verschiedenen Sektoren und Bereichen des menschlichen Lebens verwirklichen, bewirkt, daß ihre gemeinsame Berufung besondere Merkmale aufgrund der Bereiche und Lebensverhältnisse, in denen sie verwirklicht wird, erwirbt. Um die Berufung des katholischen Laien in der Schule besser verstehen zu können, sind einige Präzisierungen nötig. Die Schule 12. Sicherlich sind die Eltern die ersten und hauptsächlichen Erzieher ihrer eigenen Kinder. <51> <52> Ihr Recht und ihre Pflicht diesbezüglich sind „unabgeleitet und ursprünglich, verglichen mit der Erziehungsaufgabe anderer“. <53> Unter denen, die die Ausübung dieses Rechts und dieser Pflicht der Familie unterstützen und ergänzen, hat die Schule eine besondere Stellung und fundamentale Bedeutsamkeit. Sie hat kraft ihrer Sendung die intellektuellen, kreativen und ästhetischen Fähigkeiten des Menschen sorgfältig auszubilden, die Urteilsfähigkeit, den Willen und das Gemütsleben richtig zu entfalten, das Wertempfinden zu pflegen, die guten Anlagen und die klugen Verhaltensweisen zu fördern, in das von den früheren Generationen geschaffene kulturelle Erbe einzuführen, für das Berufsleben vorzubereiten, freundschaftliche Beziehungen zwischen Schülern verschiedener Anlage und Voraussetzung zu nähren und sie zu gegenseitigem Verstehen zu führen. <54> Auf diese Weise tritt die Schule in die spezifische Sendung der Kirche ein. <51> Die Schule übt eine unersetzbare soziale Funktion aus. Bis heute erweist sie sich als die institutionell bedeutendste Antwort der Gesellschaft auf das Recht jedes Menschen auf Erziehung und darin Selbstverwirklichung, sowie als einer der entscheidensten Faktoren für die Strukturierung und das Leben der Gesellschaft selbst. Die wachsende Wichtigkeit des Einflusses der Umgebung und der Massenmedien mit ihren widersprechenden und manchmal schädlichen Einflüssen, die ständige Ausdehnung des kulturellen Bereichs, die Dringlichkeit der Vorbereitung auf ein immer vielschichtigeres, verschiedenartigeres und spezialisierteres Berufsleben und die fortschreitende Unfähigkeit der Familien, sich von sich aus diesen schwierigen Problemen zu stellen - dies alles führt dazu, daß die Schule immer notwendiger wird. <54> Hier soll nicht vom Lehrer als einem Fachmann, der sich darauf 1500 Kongregationen 14. Aufgrund der Bedeutsamkeit der Schule unter den Mitteln der Erziehung des Menschen kommt dem zu Erziehenden selbst bzw., wenn er dazu noch nicht fähig ist, seinen Eltern, da ihnen die Erziehung ihrer Kinder an erster Stelle zusteht, <55> <56> die Wahl des Erziehungssystems und folglich der Art der Schule, die sie vorziehen, zu. <57> <55> Hier soll nicht vom Lehrer als einem Fachmann, der sich darauf beschränkt, in der Schule systematisch eine Reihe von Erkenntnissen zu vermitteln, sondern als dem Erzieher, d. h. demjenigen, der Menschen So scheint deutlich auf, daß das Schulmonopol von seiten des Staates prinzipiell unzulässig ist, <58> und, daß nur der Pluralismus der Schulen die Ausübung eines fundamentalen Rechts des Menschen und seiner Freiheit respektiert, wobei die Ausübung dieses Rechtes von vielfältigen Umständen entsprechend der sozialen Wirklichkeit eines Landes abhängen mag. In dieser Pluralität der Schulen bietet die Kirche mit der katholischen Schule ihren spezifischen Beitrag und eine Bereicherung. Der katholische Laie verwirklicht Evangelisierung in den verschiedenen Schulen, nicht nur in der katholischen Schule, und zwar in dem ihm von den in der heutigen Welt existierenden sozio-politischen Zusammenhängen gewährten Rahmen. formt, gesprochen werden. Die Aufgabe des Lehrers übertrifft bei weitem Der katholische Laie als Erzieher 15. Das 2. Vatikanische Konzil betont in spezifischer Weise die Berufung des Erziehers, <59> die sowohl den Laien als auch denjenigen zukommt, die in der Kirche eine andere Lebensweise haben. die des einfachen Dozenten, schließt diese natürlich nicht aus. Für diese Wenn auch jede Person, die zur ganzheitlichen Bildung des Menschen etwas beiträgt, Erzieher ist, so verdienen die Lehrer in den Schulen, deren Beruf diese Tätigkeit ist, sowohl aufgrund ihrer Zahl als auch aufgrund der Zielsetzung des Schulwesens besondere Beachtung. Dazu kommen dann noch alle jene, die in verschiedenem Grad an der genannten Bildung mitwirken, vor allem als Berater, Tutoren und Koordinatoren, welche die Erziehertätigkeit der Lehrer ergänzen, oder diejenigen, die Verwaltungsaufgaben haben oder sonstige notwendige Dienste leisten. Die Analyse des Begriffs „katholischer Laie als Erzieher“, die sich auf seine Rolle als Lehrer konzentriert, kann alle hinsichtlich ihrer eigenen Aktivität zur besseren Einsicht führen und kann ihnen zur tieferen persönlichen Reflexion verhelfen. 1501 Kongregationen wie auch für jene, und für jene noch mehr, ist eine entsprechende fachliche Vorbereitung gefordert. Dies ist die menschliche Grundlage, ohne welche es unmöglich ist, erzieherisch tätig sein zu können. Der Beruf des Erziehers hat eine besondere Note: die Vermittlung der Wahrheit. Diese Vermittlung findet im katholischen Erzieher ihre tiefste Bedeutung. Für diesen ist jede Wahrheit immer Teilhabe an der einzigen Wahrheit. Und die Vermittlung der Wahrheit als Verwirklichung seines Berufslebens ist für ihn wesentlich eine besondere Teilhabe an der prophetischen Sendung Christi, welche er mit seinem Unterricht fortsetzt. 17. Die ganzheitliche Bildung des Menschen als Ziel der Erziehung umfaßt die Entfaltung aller menschlichen Fähigkeiten des zu Erziehenden, seine Vorbereitung auf das Berufsleben, die Bildung seines ethischen und sozialen Verhaltens, seine Hinwendung zum Transzendenten und seine religiöse Erziehung. Jede Schule und jeder Erzieher müssen bedacht sein, „starke und verantwortliche, zur freien und gerechten Wahl fähige Persönlichkeiten zu formen“ und die Jugendlichen so vorzubereiten, „daß sie sich fortschreitend der Wirklichkeit öffnen und ein bestimmtes Verständnis der Welt bilden“. 18. Jede Erziehung inspiriert sich an einem bestimmten Menschenbild. In unserer pluralistischen Welt ist der katholische Erzieher berufen, die eigene Tätigkeit bewußt in Verbindung mit dem Lehramt der Kirche am christlichen Verständnis des Menschen zu inspirieren. Dieses Verständnis schließt die Verteidigung der Menschenrechte ein und anerkennt den Menschen in seiner Würde als Gotteskind, in seiner vollen Freiheit, weil er durch Christus selbst von der Sünde befreit ist, und in seiner höchsten Bestimmung, nämlich der endgültigen und vollkommenen Teilhabe an Gott durch die Liebe. Es stellt ihn in Solidarität mit allen Menschen durch brüderliche Liebe und kirchliche Gemeinschaft, es spornt ihn an, die höchste Entfaltung des Menschengeschlechtes anzustreben, weil der Mensch von seinem Schöpfer als Herr der Welt eingesetzt worden ist, es zeigt ihm schließlich Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes, den vollkommenen Menschen, dessen Nachahmung für den Menschen die unausschöpfliche Quelle der Bewältigung seiner personalen und kollektiven Fragen ist, als Vorbild und Ziel. So kann der katholische Erzieher sicher sein, daß er den Menschen mehr zum Menschen macht. Es liegt vor allem am Erzieher, der Laie ist, den Schülern existentiell aufzuzeigen, daß auch der in die irdischen Dinge verwickelte Mensch - also derjenige, der voll das weltliche Leben führt, wozu die große Mehrheit der Menschheitsfamilie gehört, - im Besitz einer so hohen Würde ist. 1502 Kongregationen 19. Die Berufung des katholischen Erziehers ist auf ständige soziale Entfaltung ausgerichtet. Denn sie bereitet den Menschen auf seine Eingliederung in die Gesellschaft vor. Sie disponiert ihn, eine soziale Aufgabe zu übernehmen, die es ermöglicht, die Strukturen zu verbessern, indem diese nach den Prinzipien des Evangeliums geregelt werden, und friedliches, brüderliches und gemeinschaftliches Zusammenleben unter den Menschen zu verwirklichen. Die heutige Welt mit ihren fürchterlichen Problemen - Hunger, Analphabetismus, Ausnützung des Menschen, große Gegensätze im Lebensstandard einzelner Personen und von Völkern, Aggressivität und Gewalt, wachsende Verbreitung der Drogen, gesetzliche Erlaubtheit der Abtreibung und vielfache Unterdrückung des menschlichen Lebens - fordert, daß der katholische Erzieher große soziale Sensibilität und große bürgerliche und politische Verantwortung in sich entwickelt und in seinen Schülern nährt. Der kathoüsche Erzieher ist letztlich in die Aufgabe hineingenommen, Menschen zu formen, die die „Gesellschaft der Liebe“ <60> schaffen sollen. Der Erzieher, der Laie ist, muß in diese Planung und soziale Sensibilisierung auch das Zeugnis seines Lebens und seine Erfahrung einbringen, damit der junge Mensch, der in die Gesellschaft eingegliedert werden soll, das Spezifische des Lebens der Laien erkennt, zu dem ja fast alle berufen sind. <60> Die gemeinschaftliche Struktur der Schule bringt den katholischen Erzieher mit einer großen Zahl verschiedener Personen in Verbindung: 20. Die ganzheitliche Bildung des Menschen findet in der Schule ein spezifisches Mittel, nämlich die Vermittlung der Kultur. Für den katholischen Erzieher ist es von bemerkenswerter Bedeutung, die zwischen Kultur und Kirche bestehende tiefe Beziehung zu sehen. Die Kirche hat nämlich nicht nur Einfluß auf die Kultur und ist ihrerseits von dieser betroffen, sondern nimmt diese auch in allem auf, was mit der Offenbarung vereinbar und notwendig ist, um die Botschaft Christi den charakteristischen Merkmalen der einzelnen Völker und verschiedenen Epochen entsprechend zu verkünden. In der Beziehung zwischen dem Leben der Kirche und der Kultur offenbart sich die zwischen Schöpfung und Erlösung bestehende Einheit in einzigartiger Klarheit. Die Weitergabe der Kultur muß, um den Namen „erzieherisch“ zu verdienen, organisch und darüber hinaus kritisch, wertend, geschichtlich und dynamisch sein. Der Glaube bietet dem katholischen Erzieher einige wesentliche Voraussetzungen für solche Kritik und Wertung. Er zeigt ihm die menschlichen Wechselfälle als Heüsgeschichte, die zur Fülle des Reiches führt. Kultur hat demnach ihren Platz im Rahmen des Schöpferischen auf ständige Vervollkommnung hin. Auch bei der Vermittlung der Kultur ist der Laienerzieher, da er an den 1503 Kongregationen mehr weltlichen Aspekten teilhat, derjenige, der von seinem Gesichtspunkt als Laie aus die Sendung hat, dem zu Erziehenden den eigentlichen Gesamtcharakter der Kultur, die Synthese, die die weltlichen und religiösen Aspekte in ihr bilden, sowie den persönlichen Beitrag, den er selbst zu leisten hat, verständlich zu machen. 21. Die Weitergabe der Kultur unter dem erzieherischen Aspekt erfolgt in der Schule mittels einer Methodologie, die ihre Prinzipien und Anwendungen in der gesunden Pädagogik hat. In den verschiedenen pädagogischen Prinzipien muß der katholische Erzieher in der Kraft des christlichen Menschenbildes seine Anregungen erhalten. Es geht um die Praxis einer Pädagogik, die besondere Bedeutung dem direkten und persönlichen Kontakt mit dem Schüler beimißt. Dieser Kontakt erlaubt, wenn er vom Erzieher in der Überzeugung gepflegt wird, daß der Schüler in seiner Erziehung schon fundamentale positive Werte besitzt, eine Öffnung und einen Dialog, der das im Verhalten des Lehrers gegebene Glaubenszeugnis leicht verständlich macht. 22. Diese Arbeit des katholischen Erziehers in der Schule steht in der Erziehungsgemeinschaft als einer Struktur, die durch die Begegnung und Zusammenarbeit verschiedener Gruppen - der Schüler, der Eltern, der Lehrer, des Schulträgers und des Personals, das nicht unterrichtet -zustandekommt und die Schule als Institution der ganzheitlichen Bildung charakterisiert. Das Verständnis der Schule als Gemeinschaft, wenn sie sich darin auch nicht erschöpft, und das Sich-Bewußtsein dieser Wirklichkeit ist eine der wertvollsten Errungenschaften des heutigen Schulwesens. Der katholische Erzieher übt als Glied einer fundamentalen Gruppe dieser Gemeinschaft seine Tätigkeit aus. Diese Gemeinschaft bietet ihm gerade aufgrund ihrer Struktur die Möglichkeit, die gemeinschaftliche Dimension des Menschen selbst zu leben und seine Schüler leben zu lehren. Es handelt sich um den sozialen Aspekt, zu dem jeder Mensch als soziales Wesen und Glied des Volkes Gottes berufen ist. Die Schulgemeinschaft erzieht somit zur Zugehörigkeit zu den umfassenderen Gemeinschaften. Und wenn die Schulgemeinschaft noch dazu katholisch ist, dann wird sie der Raum, in dem der Erzieher die günstige Gelegenheit hat, den zu Erziehenden zur lebendigen Erfahrung zu führen, was es bedeutet, Glied der Kirche zu sein. <61> <61> Die gemeinschaftliche Struktur der Schule bringt den katholischen Erzieher mit einer großen Zahl verschiedener Personen in Verbindung: 1504 Kongregationen nicht nur mit den Schülern, die der Grund für die Existenz der Schule und seines Berufes sind, sondern auch mit seinen Kollegen, mit den Eltern der Schüler, mit dem ganzen Personal der Schule, mit dem Träger. Mit allen diesen, sowie mit den schulischen und kulturellen Organismen, mit denen die Schule in Verbindung ist, mit der Ortskirche und mit den Pfarreien, mit der Umwelt, in der sie steht und mit der sie in verschiedener Weise ihr Programm zu machen hat, muß der katholische Erzieher eine Aktivität spiritueller Animation entfalten, welche verschiedene Formen der Evangelisierung umfassen kann. 24. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß der katholische Laie als Erzieher seine Sendung in der Kirche ausübt, indem er im Glauben seinen weltlichen Beruf in der Schule als Gemeinschaft lebt, und zwar mit der größtmöglichen beruflichen Befähigung und einer vom Glauben inspirierten apostolischen Hinwendung zur ganzheitlichen Bildung des Menschen in der Weitergabe der Kultur, in der Praxis einer Pädagogik des direkten und persönlichen Kontakts mit dem Schüler, in der spirituellen Animation der Erziehungsgemeinschaft, zu der er gehört, und der anderen Gruppen von Personen, mit welchen die Erziehungsgemeinschaft in Verbindung steht. Ihm als Glied der Gemeinschaft vertrauen die Familien und die Kirche die Erziehungsaufgabe in der Schule an. Der Laienlehrer muß überzeugt sein, daß er an der Erziehungsaufgabe und somit an der Heilssendung der Kirche Anteü hat und daß er sich nicht von der Kirche distanzieren kann. II. Zum Leben der eigenen Identität 25. Da die Arbeit Berufung des Menschen und eines der Merkmale, welche ihn von den übrigen Geschöpfen unterscheiden, ist, genügt es offensichtlich nicht, eine berufliche Identität zu haben, die sein Sein durchdringt, wenn diese nicht lebendig ist. Mehr im Konkreten heißt dies, daß der Mensch mit seiner Arbeit „vor allem zur ständigen kulturellen und moralischen Höherentwicklung der Gesellschaft“ beitragen muß. Der Erzieher, der seine Erziehungsaufgabe nicht erfüllt, hört damit von selbst auf, Erzieher zu sein. Und wenn er sie erfüllte, ohne daß dabei etwas von seiner Identität als Katholik aufschiene, dann könnte er sich kaum als katholischen Erzieher bezeichnen. Dieser praktische Aspekt der 1505 Kongregationen Identität umfaßt einige gemeinsame Elemente, die wesentlich sind und in keinem Fall fehlen können, wie auch immer die Schule ist, in welcher der Erzieher seinen Beruf lebt. Es gibt dann auch noch andere Merkmale, die den verschiedenen Schultypen ihrer Natur entsprechend eigen sind. Gemeinsame Merkmale der gelebten Identität Offenheit auf Hoffnung hin 26. Die Identität eines katholischen Laien als Erzieher enthält notwendig die Züge eines Ideals, angesichts dessen sich viele Widerstände erheben. Diese kommen von den persönlichen Verhältnissen, von den Mängeln der Schule und der Gesellschaft, die in besonderer Weise auf die Kinder und Jugendlichen Rückwirkung haben. Identitätskrisen, Fehlen des Vertrauens in die sozialen Strukturen, folglich Unsicherheit und Mangel an persönlichen Überzeugungen, die Seuche der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft, der Verlust des Sinns für Autorität und für den rechten Gebrauch der Freiheit sind nur einige der zahlreichen Schwierigkeiten, welche die Heranwachsenden und Jugendlichen unserer Zeit mehr oder weniger, den verschiedenen Kulturen und Ländern entsprechend, dem katholischen Erzieher machen, der sich außerdem auch, da er ja Laie ist, von der Krise der Familie und der Arbeitswelt schlechthin belastet sieht. Die bestehenden Schwierigkeiten müssen realistisch anerkannt, gleichzeitig aber auch mit gesundem Optimismus und mutig betrachtet und in Angriff genommen werden, wie von allen Glaubenden durch die christliche Hoffnung und die Teilnahme am Geheimnis des Kreuzes gefordert wird. Außerdem ist die erste und unverzichtbare Grundlage, die Identität des katholischen Laien als Erzieher zu leben, daß man die Aussagen, welche die Kirche im Licht der Offenbarung über diese Identität gemacht hat, beherzigt und sich zu eigen macht und daß man bestrebt ist, die nötige Festigkeit in der persönlichen Identifizierung mit Christus zu erreichen. Beruf und christliches Verständnis des Menschen und des Lebens 27. Wenn fachliche Qualifikation ein Merkmal der Identität jedes katholischen Laien ist, so ist das erste, worum sich ein Laie, der bestrebt ist, seine eigene kirchliche Berufung als Erzieher zu leben, ernstlich bemühen muß, eine solide berufliche Ausbildung zu erwerben, was konkret ein 1506 Kongregationen breites Spektrum von kulturellen, psychologischen und pädagogischen Kompetenzen einschließt. Es genügt aber ganz und gar nicht, zu Beginn ein hohes Niveau in der Ausbildung erreicht zu haben. Es ist vielmehr notwendig, es zu erhalten und weiterzuentfalten. Man muß auf dem Laufenden bleiben. Es bedeutete, außerhalb der Wirklichkeit zu leben, wenn man die großen Schwierigkeiten ignorierte, welche damit gegeben sind. Denn der Erzieher, der häufig nicht genügend Lohn erhält, muß bisweilen zu viele Verpflichtungen übernehmen, was mit seiner Tätigkeit und deren beruflicher Exaktheit hinsichtlich der Zeit, die sie fordert, und der Anstrengung, die sie mit sich bringt, gleichsam unvereinbar ist. Diese Schwierigkeiten sind in vielen Ländern, vor allem in den weniger entwickelten, bis heute unlösbar. Die Erzieher wissen zur Genüge, daß schwächerer Unterricht, den eine ungenügende Vorbereitung der Stunden oder Vernachlässigung der pädagogischen Methoden mit sich bringt, notwendig zum Schaden der ganzheitlichen Bildung des zu Erziehenden führt, zu welcher sie aufgrund ihrer Berufung beitragen und welche sie durch ihr Lebenszeugnis anbieten müssen. 28. Die Aufgabe des katholischen Erziehers muß auf die ganzheitliche Bildung des Menschen hingeordnet sein, so daß sich ihm der wunderbare Horizont der Antworten öffnet, welche die christliche Offenbarung hinsichtlich des Sinns des Menschen selbst, des menschlichen Lebens, der Geschichte und der Welt gibt. Ausgangspunkt für die Antworten an den zu Erziehenden ist die tiefe Glaubensüberzeugung des Erziehers, verbunden mit höchster Ehrfurcht vor dem Gewissen des Schülers. Sicherlich verlangen die verschiedenen existentiellen Situationen des Lernenden hinsichtlich des Glaubens verschiedenartige Darstellung der christlichen Sicht der Existenz, die von einfacheren Formen der Evangelisierung bis zur vollen Glaubensgemeinschaft gehen können. Immer muß diese Darstellung den Charakter des Angebots, wenn auch des dringenden Angebots, haben, niemals aber den einer Auflage. Andererseits darf dieses Angebot aber nicht kühl und nur theoretisch sein, sondern es handelt sich um eine vitale Wirklichkeit, welche die innere Hingabe des Menschen und seines Lebens verdient. Synthese von Glaube, Kultur und Leben 29. Diese umfassende Aufgabe ist ohne Zusammenspiel verschiedener erzieherischer Elemente, hinsichtlich derer der katholische Erzieher sich 1507 Kongregationen als Zeuge des Glaubens verhalten muß, nicht zu erfüllen. Die organische, kritische und wertende Weitergabe der Kultur enthält selbstverständlich eine Weitergabe von Wahrheiten und Wissen. Und unter diesem Aspekt muß der katholische Erzieher ständig achtgeben, daß ein Dialog zwischen Kultur und Glaube, die zutiefst miteinander verbunden sind, zustandekommt, um die notwendige innere Synthese im zu Erziehenden zu erleichtern. Es handelt sich hierbei um eine Synthese, die der Erzieher vorausgehend in sich selbst schon erworben haben muß. 30. Die kritische Vermittlung bedeutet für den Erzieher auch die Darbietung einer Reihe von Werten und Gegenwerten, deren Betrachtung als solche von der Sicht des Lebens und des Menschen abhängt. Folglich kann sich der katholische Erzieher nicht damit zufriedengeben, positiv und geschickt eine Reihe von Werten mit christlichem Charakter als einfache, abstrakte Objekte, die Hochschätzung verdienen, vorzulegen, sondern er muß in den Schülern Haltungen wecken: Freiheit, die die Ehrfurcht vor den anderen einschließt, bewußte Verantwortung, ausgewogene und ausgeglichene Kritik, Solidarität und Dienstbereitschaft allen gegenüber, Sensibilität für Gerechtigkeit und das spezielle Bewußtsein, zur positiven Beteiligung an der Entwicklung in einer im ständigen Wandel befindlichen Gesellschaft berufen zu sein. Der Laie als Erzieher muß in dem allgemeinen Bereich der Säkularisierung und des Unglaubens, in dem er seine Sendung oft zu erfüllen hat, eine rein pragmatisch-kritische Mentalität überwinden, seine Schüler in ihrem Bewußtsein für die Transzendenz öffnen und sie auf diese Weise für die Annahme der geoffenbarten Wahrheiten disponieren. 31. Von diesen Haltungen ausgehend kann der Erzieher mit größerer Leichtigkeit auch den positiven Aspekt von Verhaltensweisen, die aus diesen Haltungen folgen, aufzeigen. Er soll aber darauf bedacht sein, daß diese genannten Dispositionen und Verhaltensweisen aus dem Glauben des zu Erziehenden hervorgehen und motiviert sind. Der junge Mensch soll dabei zu seinem größten Reichtum kommen und zu den Wirklichkeiten, die das spezifische Erbe der Glaubenden bilden: nämlich zum Gebet und sakramentalen Leben, zur brüderlichen Liebe und Nachfolge Christi. Die volle Übereinstimmung von Wissen, Werten, Haltungen und Verhaltensweisen mit dem Glauben führt zu einer persönlichen Synthese von Leben und Glauben des zu Erziehenden. So sind nur wenige Katholiken qualifiziert, als Erzieher das Ziel der Evangelisierung, welche die Inkarnation der christlichen Botschaft im Leben des Menschen ist, zu erreichen. 1508 Kongregationen Zeugnis des Lebens. Direkter und persönlicher Kontakt mit dem Schüler 32. Bei der Bildung eines Menschen hat das Verhalten immer Vorrang vor dem Wort. Ein je lebendigeres Vorbild des Menschen der Erzieher als Ideal vorstellt, um so glaubwürdiger und nachahmenswerter ist es, weil der Schüler es als vernünftig und lebenswert, als nahe und verwirklichbar betrachten kann. Eine ganz besondere Bedeutung hat hierbei das Glaubenszeugnis des Erziehers, der Laie ist. In ihm kann der Schüler die christlichen Haltungen und Verhaltensweisen sehen, die in der säkularisierten Umgebung, in welcher er lebt und welche ihn so vermuten läßt, daß sie im Leben nicht verwirklichbar sind, häufig fehlen. Man darf nicht vergessen, daß in den Krisen, „die vor allem die Generation der Jugend treffen“, das wichtigste Element in der Erziehungsaufgabe „immer der Mensch, und seine moralische Würde, welche von der Wahrheit seiner Prinzipien und von der Übereinstimmung seiner Handlungen mit diesen kommt“, ist. 33. Unter diesem Aspekt gewinnt das, was vom direkten und persönlichen Kontakt des Erziehers mit dem Schüler, dem privilegierten Mittel durch das Zeugnis des Lebens, gesagt worden ist, eine besondere Wichtigkeit. Diese persönliche Beziehung, die nie ein Monolog sein darf, sondern ein Dialog sein und im Erzieher mit der Überzeugung existieren muß, daß sie eine gegenseitige Bereicherung bedeutet, fordert gleichzeitig vom katholischen Erzieher die ständige Erinnerung an seine eigene Sendung. Der Erzieher soll nicht vergessen, daß der Schüler während seines Wachstums die Notwendigkeit der Freundschaft und einer Führung spürt und daß er Hilfe für die Überwindung der eigenen Zweifel und Fehlorientierungen braucht. In seinem Verhältnis zum Schüler muß er außerdem mit klugem Realismus und in Aufmerksamkeit für jeden einzelnen Fall Annäherung und Entfernung im Gleichgewicht halten. Die Vertrautheit erleichtert die persönliche Beziehung. Aber es kann auch auf einen gewissen Abstand nicht verzichtet werden, damit der zu Erziehende dazu kommt, seine eigene Persönlichkeit ohne Bedingungen zu entwickeln. In der Erziehung zum verantwortlichen Gebrauch der Freiheit soll der Erzieher Verbote vermeiden. Hier kann treffend daran erinnert werden, daß der verantwortliche Gebrauch einer solchen Freiheit die Wahl des eigenen Lebensstandes einschließt. Der katholische Erzieher kann in seiner Beziehung zu seinen gläubigen Schülern das Thema der persönlichen Berufung des einzelnen innerhalb der Kirche nicht übergehen. Hierher gehört die Entdeckung 1509 Kongregationen und Sorge für Priester- und Ordensberuf, für den besonderen Einsatz in den Säkularinstituten oder in katholischen apostolischen Bewegungen -vielfach vernachlässigte Aufgaben, - hierher gehört auch die Hilfe bei der Unterscheidung der Berufung zur Ehe oder zum Zölibat - auch zum geweihten Zölibat - im Leben des Laien. Der persönliche und direkte Kontakt ist nicht nur eine geeignete Methode, damit der Erzieher den zu Erziehenden bilden kann, sondern ist Quelle, aus welcher der Erzieher die notwendige Kenntnis des Schülers gewinnt, welche ihm erlaubt, ihn entsprechend zu bilden. Diese Kenntnis ist heute um so mehr nötig, je größer in den jüngst vergangenen Jahren die Veränderungen der Generationen in ihrer Tiefe und Häufigkeit waren. Gemeinschaftliche Aspekte 34. Gleichzeitig mit der ausgewogenen Bejahung der eigenen Persönlichkeit und als Teil davon muß der Schüler vom katholischen Erzieher auch auf das gesellschaftliche Verhalten zu den anderen Gliedern der Erziehungsgemeinschaft, der anderen Gemeinschaften, zu denen er gehört, sowie der ganzen Menschheitsfamilie hingelenkt werden. Andererseits fordert die Zugehörigkeit zur Erziehungsgemeinschaft und der Einfluß, der von der sozialen Umgebung auf die Schule ausgeübt wird, daß der katholische Laie, der Erzieher ist, seine Beziehungen ausdehne und seine Arbeiten im Team mit seinen Kollegen, in Beziehung zu den anderen Gruppen der Gemeinschaft verrichte und daß er die notwendige Disponibilität habe, in den verschiedenen Sektoren, welche die Zugehörigkeit zur gemeinsamen Erziehungsaufgabe des Schulzentrums mit sich bringt, zusammenzuarbeiten. Da die Familie „die erste und fundamentale Schule der Gesellschaft“ ist, muß der Erzieher vor allem den schuldigen Kontakt mit den Eltern der Schüler gerne aufnehmen und auch suchen. Diese Kontakte sind nötig, damit die Erziehungsaufgabe der Familie und der Schule in den konkreten Aspekten gleichgeordnet ist, um „die schwere Pflicht der Eltern, mit ganzem Einsatz ein herzliches und aktives Verhältnis zu den Lehrern und Schulleitern zu pflegen“ zu erleichtern und vielen Familien die nötige Hilfe zu leisten, damit sie in entsprechender Weise ihre eigenen Kinder erziehen und so die ihnen zukommende „unersetzbare und unveräußerliche Funktion“ erfüllen können. 1510 Kongregationen 35. Gleichzeitig ist es auch notwendig, daß der Erzieher ständig die Aufmerksamkeit auf die sozio-kulturelle, wirtschaftliche und politische Lage der Schule, sei es auf die nähere des Viertels, in dem die Schule hegt, sei es auf die regionalen und nationalen Zusammenhänge, die durch die Massenmedien häufig einen spürbaren Einfluß ausüben, richtet. Nur wenn er mit Aufmerksamkeit die wirkliche nationale und internationale Situation verfolgt, hat er die genauen Kenntnisse, um auf die von der Bildung seiner Schüler gestellten Forderungen antworten zu können und die Schüler für die Zukunft, wie er sie jetzt sieht, vorzubereiten. 36. Man darf wohl gerechterweise erwarten, daß der katholische Erzieher mit Vorzug katholischen Berufsvereinigungen beitritt. Dennoch darf man nicht annehmen, daß es außerhalb seiner Erziehungsaufgabe hegt, auch an anderen Gruppen und Vereinigungen, die beruflich ausgerichtet oder mit der Erziehung verbunden sind, teilzunehmen und mitzuarbeiten und an der Erreichung einer nationalen Erziehungspohtik und seiner möglichen gewerkschafthchen Aktivität immer in Übereinstimmung mit den menschlichen Rechten und den christlichen Prinzipien der Erziehung seinen Beitrag zu leisten, so bescheiden er auch sein mag. Der Erzieher soll bedenken, wie weit ein ungerechtfertigtes Fernbleiben von den Bewegungen und Vereinigungen sein Berufsleben beeinträchtigen und schwere Rückwirkungen auf wichtige Erziehungsprobleme mit sich bringen kann. Es ist wahr, daß viele dieser Tätigkeiten nicht entlohnt werden und daß darum deren Verwirklichung von der Hochherzigkeit derer abhängt, die sie verrichten. Aber man muß ohne Zweifel an die Hochherzigkeit dringend appellieren, wenn Dinge auf dem Spiel stehen, die einem katholischen Erzieher nicht gleichgültig sein können. Mehr eine Berufung als ein Beruf 37. Der Laie als Erzieher übt eine Tätigkeit aus, die unleugbar einen fachlichen Aspekt hat, aber auf diesen nicht beschränkt werden kann. Seine Berufstätigkeit ist in seine übernatürliche christliche Berufung eingeschlossen und aufgenommen. Er muß sie also als eine persönliche Berufung in der Kirche und nicht nur als Ausübung eines Berufes wirksam leben. Es handelt sich demnach um eine Berufung, die gerade aufgrund ihrer Natur auf die Verbindung von Uneigennützigkeit und Hochherzigkeit mit der berechtigten Verteidigung der eigenen Rechte hinzielt. Es ist wesentlich eine Berufung mit der ganzen Fülle des Lebens und einem persönlichen Engagement, mit allem, was dieses Wort beinhaltet, das sehr 1511 Kongregationen weite Horizonte eröffnet, so daß das Leben wirklich mit Begeisterung geführt werden kann. Es ist höchst wünschenswert, daß sich jeder katholische Erzieher - es sind hierbei die Laienerzieher gemeint - der Wichtigkeit, des Reichtums und der Verantwortung einer solchen Berufung voll bewußt wird und daß er sich bemüht, ihr ganz zu entsprechen. Er soll die Gewißheit haben, daß dadurch die irdische Stadt errichtet und ständig erneuert wird und die Welt Evangelisierung erfährt. Charakteristische Merkmale des katholischen Laien in verschiedenen Schulen In der katholischen Schule 38. Charakteristisches Merkmal der katholischen Schule „ist es, einer vom evangelischen Geist der Freiheit und Liebe durchdrungenen Schulgemeinschaft Leben zu geben, den Heranwachsenden zu helfen, daß sie in der Entfaltung ihrer eigenen Persönlichkeit zugleich als neues Geschöpf wachsen, das sie durch die Taufe geworden sind, sowie schließlich die Beziehung aller menschlichen Kultur zur Botschaft vom Heil aufzuzeigen, so daß die Sicht der Welt, des Lebens, des Menschen, welche die Schüler langsam erwerben, vom Glauben erleuchtet wird“. Alle diese Motive zeigen, daß die katholische Schule „in die Heilssendung der Kirche und vor allem in den Anspruch der Erziehung zum Glauben eintritt“ und eine lautere Verbindung mit dem Lehramt der Kirche, die Darbietung Christi als höchstes Vorbild des Menschen und eine besondere Sorge um die Qualität des Religionsunterrichts einschließt. Angesichts dieser Ideale und spezifischen Zielsetzungen, die das generelle Erziehungsprogramm der katholischen Schule bilden, muß der katholische Laie, der in ihr arbeitet, der Überzeugung sein, daß die katholische Schule der schulische Raum ist, in dem er seine volle Berufung mit größerer Freiheit und tiefgehender verwirklichen kann, und daß sie auch das Vorbüd seiner apostolischen Tätigkeit in jeder beliebigen Schule nach den gegebenen Möglichkeiten ist. Dies alles muß ihn anspornen, sich beim Erwerb dieser Ideale und Zielsetzungen in voller und aufrichtiger Hingabe an sie verantwortlich einzusetzen. Dies bedeutet nicht, daß es keine Schwierigkeiten geben wird. Es sei hier nur wegen der vielen Konsequenzen an die sehr große innere Verschiedenheit der Schüler und Lehrer in den katholischen Schulen vieler Länder erinnert. 1512 Kongregationen 39. Bei den allen katholischen Schulen gemeinsamen Merkmalen gibt es verschiedene mögliche Verwirklichungen, welche praktisch in vielen Fällen dem spezifischen Charisma des religiösen Instituts, welches sie gegründet hat und fördert, entsprechen. Jede katholische Schule kann, ob sie nun ihren Ursprung als Werk des Weltklerus, der Ordensleute oder der Laien hat, die eigenen Merkmale, die im konkreten Erziehungsprogramm oder in der Pädagogik zum Ausdruck kommen, bewahren. In diesem Fall muß der katholische Laie, der in ihr arbeitet, suchen, diese Merkmale und ihre Ursachen, die diese inspiriert haben, zu verstehen; und er muß bedacht sein, sich mit ihnen in genügender Weise zu identifizieren, damit das Spezifische der Schule durch seine persönliche Arbeit erreicht wird. 40. Es ist wichtig, daß die katholischen Laien, die in dieser Schule tätig sind, in Übereinstimmung mit dem Glauben, den sie bekennen, und dem Zeugnis des Lebens, das zu geben sie berufen sind, schlicht und aktiv am liturgischen und sakramentalen Leben der Schule teilnehmen. Die Schüler werden durch das lebendige Beispiel die Wichtigkeit, welche dieses Leben für die Gläubigen hat, besser verstehen. Es ist höchst positiv, daß die Schüler in einer säkularisierten Gesellschaft, in der sie leicht feststellen, daß viele Laien, die sich Katholiken nennen, gewohnheitsmäßig außerhalb der Liturgie und der Sakramente leben, sehen können, daß andere erwachsene Laien diese Wirklichkeit als Quelle und Nahrung des eigenen christlichen Lebens ernst nehmen. 41. Die Erziehungsgemeinschaft muß bedacht sein, in der katholischen Schule zu einer christlichen Gemeinschaft, d. h. zu einer Glaubensgemeinschaft zu werden. Das ist ohne Teilnahme wenigstens eines Teils der hauptsächlichen Gruppen der Erziehungsgemeinschaft - Eltern, Lehrer und Schüler - nicht einmal anfanghaft verwirklichbar. Es ist höchst wünschenswert, daß der katholische Laie und vor allem der Erzieher bereit ist, an den Gruppen, von denen Leben nach dem Evangelium ausgehen kann, aktiv teilzunehmen. 42. Bisweüen besuchen Schüler, die den katholischen Glauben nicht kennen oder vielleicht überhaupt keinen religiösen Glauben haben, kirchliche Schulen. Da der Glaube eine persönlich gewollte Antwort des Menschen auf den sich offenbarenden Gott ist, darf kein Zwang ausgeübt werden. Deshalb müssen die katholischen Erzieher in der Darlegung der Lehren in Übereinstimmung mit ihren religiösen Überzeugungen und mit 1513 Kongregationen der Identität der Schule größte Achtung vor der Freiheit der nichtkatholischen Schüler haben. Sie sollen immer für einen authentischen Dialog offen sein. Sie dürfen überzeugt sein, daß die Hebevolle und aufrichtige Hochachtung für denjenigen, der nach seinem eigenen Gewissen aufrichtig Gott sucht, in diesen Verhältnissen das entsprechendste Zeugnis des eigenen Glaubens bildet. 43. Die katholische Schule, die als Erziehungsgemeinschaft letztlich zum Glauben führen will, wird um so geeigneter ihre Aufgabe erfüllen können, je mehr sie den Reichtum der kirchlichen Gemeinschaft vergegenwärtigt. Das Zusammensein von Priestern, Ordensmännern, Ordensfrauen und Laien in ihr zeigt dem Schüler in lebendiger Weise diesen Reichtum, welcher ihm eine größere Assimilation der Wirkhchkeit der Kirche ermöglicht. Der katholische Laie soll bedenken, daß von diesem Gesichtspunkt aus seine Gegenwart in der katholischen Schule wie die der Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen wichtig ist. Denn jede dieser Formen kirchlicher Berufung ist für den zu Erziehenden ein Beispiel für verschiedene Verwirklichung des Christseins: der katholische Laie verweist auf die innerste Abhängigkeit der irdischen Wirkhchkeit von Gott in Christus, auf den weltHchen Beruf als Weihe der Welt an Gott; der Priester verweist auf die vielfältigen Quehen der Gnade, die Christus in den Sakramenten allen Glaubenden gewährt, auf das offenbarende Licht des Wortes, auf den Dienstcharakter der hierarchischen Struktur der Kirche; die Ordensleute verweisen auf den erneuernden Geist der Seligpreisungen, auf den ständigen Ruf zum Reich Gottes als einzige definitive Wirkhchkeit, auf die Liebe Christi und die Liebe der Menschen in Christus. 44. Im Blick auf die Merkmale der einzelnen Berufungen sollen alle den großen Vorteil des Zusammenseins der verschiedenen Gruppen und der gegenseitigen Ergänzung, um den Charakter der katholischen Schule zu sichern, bedenken. Sie sollen zur aufrichtigen Sorge um Einheit und Koordination angeregt werden. Auch die Laien sollen mit ihrem Verhalten an der geschuldeten Einghederung der katholischen Schule in die Gesamtpastoral der Ortskirche - eine Perspektive, die nie vergessen werden darf - und in die Bereiche der Pfarrseelsorge beitragen. Sie sollen auch ihre Initiativen und ihre Erfahrungen für eine bessere Beziehung und Zusammenarbeit der kathohschen Schulen untereinander und mit anderen, vor allem christhch bestimmten Schulen und mit der Gesellschaft anbieten. 1514 Kongregationen 45. Die katholischen Laien, die Erzieher sind, sollen auch die drohende Verarmung, welche die katholische Schule durch das Verschwinden oder die Verminderung der Priester und Ordensleute an ihr treffen könnte, sehr ernstlich bedenken. Diese Verarmung soll soweit wie möglich vermieden werden. Gleichzeitig muß man sich aber auch darauf in entsprechender Weise vorbereiten, daß die Laien fähig werden, wenn nötig allein die existierenden und zukünftigen katholischen Schulen fortzuführen. Tatsächlich läßt die heutige Entwicklung im Schulbereich voraussehen, daß wenigstens für die nächste Zeit die Existenz der katholischen Schule in einigen traditionell katholischen Ländern fundamental von den Laien abhängen wird, wie sie mit gutem Erfolg in so vielen jungen Kirchen von den Laien abhing und abhängt. Eine solche Verantwortung kann nicht in einer bloß passiven Haltung der Furcht und Klage getragen werden. Sie muß vielmehr zu entschiedener und wirksamer Tätigkeit anspornen. Man muß mit Hilfe der religiösen Institute, die von der oben aufgezeigten Entwicklung besonders betroffen sind, Vorsorgen und vorausplanen. 46. Bischöfe sollen Laien, die sachkundig, verfügbar und bestrebt sind, ein klares christliches Zeugnis im Erziehungsbereich zu geben, die gesamte Leitung einer katholischen Schule anvertrauen und sie auf diese Weise an der apostolischen Sendung der Kirche teilnehmen lassen. Da das Schulwesen sich ständig ausdehnt, muß ja die Kirche alle für die christliche Erziehung der Jugend zur Verfügung stehenden Mittel benutzen. Die größere Beteiligung von katholischen Laienerziehem nimmt demnach nichts von der Bedeutung der von Ordensfamiüen geleiteten Schulen. Das ausgezeichnete individuelle und gemeinschaftliche Zeugnis der Ordensmänner und Ordensfrauen in ihren eigenen Erziehungsinstituten bedeutet, daß dieses in einer säkularisierten Welt mehr denn je notwendig ist. Die Mitglieder der Ordensgemeinschaften können in nur wenigen Bereichen so wie in ihren Schulen dieses Zeugnis geben. In den Schulen können sie einen unmittelbaren und bleibenden Kontakt mit der Jugend pflegen, und zwar in einem Zusammenhang, der oft ganz spontan die Wahrheiten des Glaubens zur Erhellung der verschiedenen Dimensionen der Existenz zur Sprache bringt. Dieser Kontakt ist von besonderer Bedeutsamkeit in einer Zeit, in der die Ideen und Erfahrungen eine bleibende Spur in der Persönlichkeit des Schülers hinterlassen. Der Ruf, den die Kirche an die katholischen Laienerzieher richtet, sich im aktiven Apostolat der Erziehung einzusetzen, ist aber nicht auf die eigentlichen Schulzentren begrenzt. Er erstreckt sich vielmehr auf den 1515 Kongregationen ganzen weiten Bereich der Unterweisung, soweit in ihm ein christliches Zeugnis gegeben werden kann. In Schulen mit verschiedenen Erziehungsprogrammen 47. Es werden hier die staatlichen und nichtstaatlichen Schulen betrachtet, die Erziehungsprogramme haben, welche von denen der katholischen Schule verschieden, aber mit der christlichen Sicht des Menschen und des Lebens vereinbar sind. Diese Schulen sind die Mehrzahl der in der Welt existierenden. Sie sind in ihrem Erziehungsprogramm entweder auf ein bestimmtes Verständnis des Menschen und der Welt oder viel einfacher und eingeschränkter auf eine bestimmte Ideologie orientiert. Oder sie lassen im Rahmen allgemeiner Prinzipien die Koexistenz verschiedener Anschauungen oder Ideologien unter den Erziehern zu. Man strebt diese Koexistenz als offene Pluralität an, insofern an diesen Schulen jeder Erzieher seinen Unterricht erteilt, seine Kriterien darlegt und als bestimmte positive Werte im Dienst seines Menschenbildes und seiner Ideologie darbietet. Man spricht hier nicht von neutraler Schule, denn in der Praxis existiert diese nicht. 48. In unserer pluralistischen und säkularisierten Gesellschaft ist die Gegenwart des katholischen Laien oft die einzige Gegenwart der Kirche in den genannten Schulen. In ihnen herrscht die oben genannte Situation, in der die Kirche nur durch den Laien bestimmte Bereiche und Einrichtungen erreichen kann. Daß man sich dieser Situation klar bewußt ist, trägt viel dazu bei, daß der katholische Laie seine Verantwortung übernehmen kann. 49. Der katholische Erzieher muß seinen Stoff vom Gesichtspunkt des christlichen Glaubens her in Übereinstimmung mit den Möglichkeiten der einzelnen Stoffe und den konkreten Verhältnissen der Schüler und der Schule vortragen. Auf diese Weise hilft er dem zu Erziehenden, die authentischen menschlichen Werte zu entdecken. Und er trägt, wenn auch mit den Grenzen, die einer Schule eigen sind, die die Erziehung nach dem Glauben nicht anstrebt und in welcher viele Faktoren auch gegen ihn sein können, in seinen Schülern zu einem Dialog zwischen Kultur und Glauben bei, der eines Tages zur wünschenswerten Synthese zwischen beiden führen kann. Dies könnte in besonderer Weise für die katholischen Schüler fruchtbar sein und für die anderen eine Weise von Evangelisierung bilden. 1516 Kongregationen 50. Eine ähnliche Haltung aus dem Glauben ist in der pluralistischen Schule vom Ausdruck einer besonderen Achtung der Überzeugungen und Anstrengungen der anderen Erzieher begleitet, wenn diese die Menschenrechte des Schülers nur nicht unterdrücken. Diese Achtung soll zu einem konstruktiven Dialog vor allem mit den getrennten christlichen Brüdern und mit allen Menschen guten- Wülens führen. So wird mit größerer Klarheit aufscheinen, daß der christliche Glaube in der Praxis die religiöse und menschliche Freiheit stützt, verteidigt und logisch in der Gesellschaft in einem weiten Pluralismus zusammenfaßt. 51. Die aktive Teilnahme des katholischen Laien in den Tätigkeiten der eigenen Gruppe, in den Beziehungen zu den anderen Gliedern der Erziehungsgemeinschaft und im besonderen zu den Eltern der Schüler ist außerdem von größter Wichtigkeit, damit die Zielsetzungen, Programme und Erziehungsmethoden der Schule, in welcher er tätig ist, fortschreitend vom evangelischen Geist durchtränkt werden. 52. Der katholische Laie muß in diesem Schultyp durch seine berufliche Befähigung, durch sein Eintreten für Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit, durch seine Offenheit und seine ständige Dienstbereitschaft, durch seine Hinwendung zu den Schülern und seine brüderliche Solidarität mit allen, durch sein moralisches Leben in jeder Hinsicht ein Spiegel sein, in dem alle und jedes einzelne Glied der Schulgemeinschaft das Büd des evangelischen Menschen reflektiert sehen können. In anderen Schulen mit nichtchristlichem und christentumsfeindlichem Erziehungsprogramm 53. Es geht hier im besonderen um die anderen in Missionsländern oder in praktisch entchristlichten Ländern existierenden Schulen. Dabei sind in besonderer Weise die Funktionen zu unterstreichen, die der katholische Laie aufgrund seines Glaubens verrichten muß, wenn er die einzige und ausschließliche Gegenwart der Kirche nicht nur in der Schule, sondern auch am Ort, an dem sich die Schule befindet, ist. Unter diesen Umständen ist er die einzige Stimme, welche die evangelische Botschaft den Schülern, den Mitgliedern der Erziehungsgemeinschaft und allen Menschen, mit denen er als Erzieher und Person Beziehungen hat, kündet. Was über das Bewußtsein der eigenen Verantwortung, die christliche Ausrichtung des Unterrichts und der Erziehung, die Achtung vor der Überzeugung der anderen, den konstruktiven Dialog mit den anderen 1517 Kongregationen Christen und mit den Nichtglaubenden, die aktive Teilnahme in den verschiedenen Gruppen der Schule und vor allem das Zeugnis des Lebens gesagt worden ist, erhält in diesem Fall eine außergewöhnliche Bedeutung. 54. Schließlich darf man die katholischen Laien nicht vergessen, die in Schulen von Ländern arbeiten, in denen die Kirche verfolgt ist und wo das Katholischsein in sich schon ein Verbot der Ausübung der Aufgabe des Erziehers bedeutet. Sie sind gezwungen zu verbergen, daß sie gläubig sind, damit sie in einer Schule atheistischer Orientierung arbeiten können. Ihre Gegenwart allein, die in sich schon sehr schwierig ist, ist bereits, wenn sie sich schweigend, aber vital an das Bild des evangelischen Menschen anpaßt, eine wirksame Verkündigung der Frohbotschaft Christi, die zur schädlichen Intention, welche die atheistische Erziehung in der Schule verfolgt, einen Gegensatz bildet. Das Zeugnis des Lebens und das persönliche Verhältnis zu den Schülern können alle Schwierigkeiten überwinden und die Schüler auch zu einer ausdrücklicheren Kenntnis des Christentums führen. Für viele Jugendliche dieser Länder kann der Erzieher, bei dem man sieht, daß er aufgrund von menschlich und religiös schmerzlichen Motiven sein Katholischsein anonym leben muß, das einzige Mittel sein, um das Evangelium und die Kirche, welche in der Schule entstellt und angegriffen werden, richtig kennenzulernen. 55. In jedem Schultyp vor allem bestimmter Regionen begegnet der katholische Erzieher nicht selten nichtkatholischen Schülern. Er muß vor ihnen nicht nur Achtung haben, sondern sie aufnehmen und offen sein für den Dialog. Er muß von der alle umfassenden christlichen Liebe bestimmt sein. Man muß sich außerdem bewußt sein, daß die wahre Erziehung sich nicht darauf beschränkt, nur Wissen zu vermitteln, sondern auch menschliche Würde und Brüderlichkeit nährt und dazu vorbereitet, daß man sich der Wahrheit öffnet, welche Christus ist. Der katholische Laie als Lehrer des Religionsunterrichts 56. Religionsunterricht ist für die Schule im allgemeinen charakteristisch, denn sie zielt ja die Formung des Menschen in seinen fundamentalen Dimensionen, zu denen die Religiosität gehört, an. Der Religionsunterricht in der Schule ist tatsächlich ein Recht - mit der entsprechenden Pflicht - des Schülers und der Eltern. Er ist, wenigstens als katholischer 1518 Kongregationen Religionsunterricht, für die Bildung des Menschen auch ein sehr wichtiges Instrument, um eine entsprechende Synthese von Glaube und Kultur, wie oben betont worden ist, zu erreichen. Deswegen müßte katholischer Religionsunterricht, der von der Katechese im engeren Sinne unterschieden ist und gleichzeitig diese ergänzt, in allen Schulen geboten werden. 57. Der Religionsunterricht in der Schule ist wie die Katechese „eine ausgezeichnete Weise des Laienapostolats“. Aufgrund dieser Tatsache und weil für diesen Unterricht im heutigen Schulwesen weltweit sehr viele Lehrer nötig sind, ist es in den meisten Verhältnissen, vor allem in den Grund- und Hauptschulen Sache der Laien, ihn zu geben. 58. Die katholischen Erzieher sollen sich also den Orten und Verhältnissen entsprechend der großen Aufgabe, die sich ihnen auf diesem Gebiet anbietet, bewußt werden. Ohne ihre hochherzige Mitarbeit kann der Religionsunterricht in der Schule nicht den bestehenden Notlagen gerecht werden, was in verschiedenen Ländern schon der Fall ist. Die Kirche hat in diesem Bereich — wie auch in vielen anderen — die Mitarbeit der Laien nötig. Diese Dringlichkeit kann in den jungen Kirchen in besonderer Weise spürbar sein. 59. Der Religionslehrer hat ohne Zweifel eine Aufgabe ersten Ranges. Dabei gilt, „daß im Religionsunterricht nicht jeder seine eigene Lehre oder die eines anderen Meisters vermitteln will, sondern die Lehre Jesu Christi“. Bei der Vermittlung dieser Lehre werden die Religionslehrer wie die Katecheten im Hinblick auf diejenigen, an die sie sich wenden, „klug aus dem Gebiet der theologischen Forschung das auf greifen, was ihre eigenen Überlegungen und ihren Unterricht erhellen kann, indem sie sich ... im Licht des Lehramtes“, von dem sie in ihrer Tätigkeit abhän-gen, „auf die echten Quellen stützen“ und „sie werden sich weigern, den Geist der Kinder und Jugendlichen . . . mit fremdartigen Theorien ... zu verwirren“. Sie sollen hinsichtlich der eigenen theologischen und pädagogischen Bildung sowie der Einteüung des Stoffes treu die Normen des Ortsepiskopats befolgen. Vor allem sollen sie sich der großen Wichtigkeit bewußt sein, welche das Zeugnis des Lebens und eine intensiv gelebte Spiritualität auf diesem Gebiet haben. 1519 Kongregationen III. Bildung des katholischen Laien für sein Glaubenszeugnis in der Schule 60. Die gelebte Erfahrung einer so reichen und so tiefen Berufung wie die der katholischen Laien in der Schule fordert die entsprechende Bildung sowohl auf beruflicher wie auch auf religiöser Ebene. Im Erzieher ist vor allem eine reife geistliche Persönlichkeit verlangt, welche sich in einem tiefen christlichen Leben zeigt. „Eine solche Berufung fordert. . . eine sehr genaue Vorbereitung“, sagt im Hinblick auf die Erzieher das 2. Vatikanische Konzil. Die Lehrer „sollen mit besonderer Sorgfalt ausgebildet werden, damit sie mit einem profanen wie auch religiösen Wissen ausgerüstet sind, das durch hinreichende Zeugnisse bestätigt ist, und über Erziehungsmethoden verfügen, die mit den Ergebnissen der fortschreitenden Zeit Schritt halten“. Die Weiterbildung muß ebenfalls auf dem religiösen und geistlichen Gebiet erfolgen, auf dem der katholische Laie häufig seine Grundbildung nicht in demselben Maß vervollkommnet, wie er dies im kulturellen, allgemeinen und vor allem beruflichen Bereich tut. Bewußtseinsbildung 61. Die katholischen Laien, die sich für die Tätigkeit in der Schule vorbereiten, sind sich der Notwendigkeit einer guten beruflichen Ausbildung für die Verwirklichung ihrer Erzieheraufgabe, wofür sie eine authentische menschliche Berufung haben, gewöhnlich sehr bewußt. Dies ist aber, auch wenn es im Innern des beruflichen Bereiches liegt, nicht das spezifische Bewußtsein, das ein katholischer Laie haben soll, der seine Erzieheraufgabe als fundamentales Mittel seiner persönlichen Heüigung und des Apostolats leben will. Von ihm ist gefordert, eine Berufung zu leben. Wie weit die katholischen Laien, die in der Schule tätig sind, dieses Bewußtsein besitzen, müssen sie sich selbst fragen. 62. Mit diesem spezifischen Bewußtsein des katholischen Laien steht das Bewußtsein in Verbindung, das sich auf die Notwendigkeit bezieht, die eigene religiöse Büdung in der Weise fortzusetzen und auf dem laufenden zu halten, daß sie mit der ganzen menschlichen Bildung harmonisch verbunden ist und diese begleitet. Von seiten des Laien ist wirklich das lebendige Bewußtsein einer solchen religiösen Bildung nötig, denn von dieser hängt nicht nur die Möglichkeit des Apostolats ab, sondern auch 1520 Kongregationen die geschuldete Ausübung der Berufsaufgabe, vor allem wo es sich um eine Erziehungsaufgabe handelt. 63. Diese Überlegungen sollen dazu helfen, dieses Bewußtsein zu wecken und über die persönliche Situation in einem solch fundamentalen Punkt nachzudenken, um zur vollen Verwirklichung der Berufung des katholischen Laien als Erzieher zu kommen. Sein oder Nichtsein, das hier auf dem Spiel steht, muß das Bemühen anstacheln, das immer die Suche nach dem Erwerb der Büdung, wenn sie vernachlässigt ist, oder nach deren Erhaltung auf dem geschuldeten Niveau voraussetzt. In allen Fällen darf innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft der katholische Erzieher grundsätzlich hoffen, daß die Bischöfe, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen, vor allem diejenigen, die im Apostolat der Erziehung stehen, sowie die Bewegungen und Vereinigungen der katholischen Erzieher ihm helfen, sich der persönlichen Notwendigkeiten auf dem Gebiet der Bildung voll bewußt zu werden, und daß sie ihn in entsprechender Weise anspornen, sich der Aufgabe, welche eine solche Bildung verlangt, mehr zu widmen. Berufliche und religiöse Bildung 64. Nicht alle Büdungszentren für Dozenten bieten in gleicher Weise dem katholischen Erzieher die für die Verwirklichung seiner Erziehungsaufgabe geeignetste berufliche Grundlage. Man muß sich dabei die bestehende enge Beziehung zwischen der Weise der Darbietung des Stoffes, vor allem der humanistischen Fächer, und dem Verständnis des Menschen, des Lebens und der Welt vergegenwärtigen. Es kann leicht geschehen, daß in den Bildungszentren für Dozenten, in denen ein ideologischer Pluralismus besteht, der zukünftige katholische Lehrer sich sehr anstrengen muß, in bestimmten Fächern seine Synthese von Glaube und Kultur zu finden. Man darf bei der Ausbildung nicht vergessen, daß die Situation in der Schule gleich ist, wenn man im Unterricht in den eigenen Schülern zuerst den Dialog zwischen Kultur und Glauben und dann die weitere persönliche Synthese von beiden anregen muß. Aufgrund zahlreicher Aspekte ist der Besuch der Lehrer in den verschiedenen von der Kirche geleiteten Bildungszentren, wo solche existieren, sehr zu empfehlen, außerdem die Schaffung solcher Zentren, wo sie noch nicht existieren, soweit dies möglich ist. 1521 Kongregationen 65. Die religiöse Formung des katholischen Erziehers darf nicht beim Abschluß seiner Schulbildung stehenbleiben. Sie muß vielmehr seine berufliche Ausbildung begleiten und ergänzen, um auf dem Niveau seines Glaubens als dem eines erwachsenen Menschen, seiner Kultur und seiner spezifischen Berufung als Laien zu sein. Die religiöse Bildung muß auf die persönliche Heiligung und auf das Apostolat, untrennbare Elemente der christlichen Berufung, hingeordnet sein. „Die Bildung zum Apostolat setzt eine gewisse, der Begabung und der Situation eines jeden gemäße gesamtmenschliche Bildung voraus“ und fordert „außer der geistlichen Bildung eine gründliche theoretische Unterweisung, und zwar eine theologische, ethische, philosophische“. Ebensowenig darf man beim Erzieher eine entsprechende Bildung bezüglich der Soziallehre der Kirche vergessen, welche „integraler Teil der christlichen Sicht des Lebens“ ist und hilft, die unverzichtbare soziale Sensibilität wach und lebendig zu halten. Hinsichtlich des Lehrplans und in bezug auf die Lehrer spricht das 2. Vatikanische Konzil von der Notwendigkeit eines religiösen Wissens, das durch hinreichende Zeugnisse bestätigt ist. Es ist also sehr empfehlenswert, daß alle katholischen Laien, die in der Schule und vor allem als Erzieher tätig sind, in kirchlichen Fakultäten und in Instituten für Religiöse Wissenschaften, wo dies möglich ist, Kurse der religiösen Bildung bis zum Erwerb der entsprechenden Abschlüsse besuchen. 66. Ausgestattet mit den diesbezüglichen Titeln und mit einer entsprechenden Vorbereitung in Religionspädagogik werden sie für den Religionsunterricht grundlegend befähigt sein. Die Episkopate sollen die ganze Vorbereitung für den Religionsunterricht und für die Katechese fördern und erleichtern. Sie sollen dabei den Dialog der gegenseitigen Inspiration mit den Lehrern, die in der Ausbildung stehen, nicht vergessen. Aggiornamento - Fortbildung 67. Der außerordentliche wissenschaftliche und technische Fortschritt und die ständige kritische Analyse, der in unserer Zeit alle Wirklichkeiten, Situationen und Werte unterzogen werden, haben unter anderen Ursachen bewirkt, daß unsere Epoche charakterisiert ist von einer ständigen und beschleunigten Umwandlung, welche den Menschen und die Gesellschaft auf allen Gebieten berührt. Dieser Wandel läßt alles erwor- 1522 Kongregationen bene Wissen und die geltenden Strukturen schnell veralten und fordert neue Verhaltensweisen und Methoden. 68. Angesichts dieser Tatsache, die der Laie als erster erfährt, besteht die Notwendigkeit eines ständigen Aggiomamento, das beim katholischen Erzieher hinsichtlich seiner persönlichen Haltungen die Inhalte der Disziplinen, die er unterrichtet, und die pädagogischen Methoden, die er anwendet, betrifft. Es soll daran erinnert werden, daß die Berufung des Erziehers „die Fähigkeit, sich ständig zu erneuern und auch umzustellen“ verlangt. Die Notwendigkeit eines ständigen Aggiomamento erfordert ständige Fortbildung. Diese betrifft nicht nur die berufliche Bildung, sondern auch die religiöse und allgemein die Bereicherung der ganzen Persönlichkeit, wodurch die Kirche immer ihre pastorale Sendung an die Verhältnisse der Menschen jeder Epoche anzupassen versucht, um die christliche Botschaft verständlich und den Verhältnissen entsprechend zu künden. 69. Die ständige Fortbildung verlangt aufgrund ihrer verschiedenen Aspekte eine dauernde persönliche und gemeinschaftliche Suche der Möglichkeiten ihrer Verwirklichung. Unter ihren verschiedenen Mitteln sind die gewöhnlichen und praktisch unverzichtbaren Instrumente dieser Fortbildung die Lektüre von entsprechenden Zeitschriften und Büchern, Teilnahme an Konferenzen und Kursen, an Zusammenkünften, Begegnungen und Kongressen, die der Erneuerung dienen, sowie das Verfügen über eine gewisse Freizeit. Alle katholischen Laien, die in der Schule tätig sind, sollen darauf bedacht sein, daß sie diese Mittel in ihrem beruflichen und religiösen Leben regelmäßig gebrauchen. 70. Jedermann weiß, daß solche bleibende Fortbildung, wie schon der Name sagt, eine Herausforderung ist, angesichts derer viele kapitulieren, vor allem wenn man die wachsende Vielschichtigkeit des Lebens, die Härte, welche die Erziehungsaufgabe mit sich bringt, um die ungenügenden wirtschaftlichen Bedingungen, welche häufig bestehen, betrachtet. Aber trotzdem darf sich kein katholischer Laie, der in der Schule tätig ist, dieser Herausforderung unserer Zeit entziehen und an Wissen, Kriterien und Haltungen, die überholt sind, festklammern. Der Verzicht auf Weiterbildung im menschlichen, beruflichen und religiösen Bereich brächte ihn an den Rand dieser Welt, der er das Evangelium bringen soll. 1523 Kongregationen IV. Hilfe der Kirche für die katholischen Laien in der Schule 71. Die verschiedenen Situationen, in denen sich die Tätigkeit des katholischen Laien in der Schule entfaltet, bewirken, daß er sich häufig isoliert, unverstanden und demnach zur Entmutigung und Aufgabe seiner Verantwortung versucht fühlt. Zur Bewältigung dieser Situationen und ganz allgemein zur besseren Verwirklichung der erhaltenen Berufung muß der katholische Laie, der in der Schule tätig ist, immer mit der Hilfe und Sorge der ganzen Kirche rechnen können. Halt im Glauben, im Wort und im sakramentalen Leben 72. Der katholische Laie findet vor allem in seinem Glauben Halt. Im Glauben findet er sicher die Demut, die Hoffnung und die Liebe, welche ihm für das Durchhalten in seinem Beruf nötig sind. Denn jeder Erzieher hat Demut nötig, um seine Grenzen anzuerkennen, sein Sich-Irren, die Notwendigkeit des ständigen Wachstums und die Feststellung, daß das Ideal, das er verfolgt, ihn ständig übersteigt. Er braucht auch eine feste Hoffnung, denn niemand kann selbst die Früchte der Arbeit ernten, die er mit seinen Schülern hatte. Schließlich ist eine ständig wachsende Liebe gefordert, welche in seinen Schülern immer den nach dem Bild und der Ähnlichkeit Gottes gemachten und durch die Erlösung Jesu Christi zum Sohn erhobenen Menschen hebt. Dieser demütige Glaube, diese Hoffnung und diese Liebe erhalten nun von der Kirche durch das Wort, das sakramentale Leben und das Gebet des ganzen Volkes Gottes Hilfe. Denn das Wort erinnert den Erzieher ständig an die ungeheure Größe seiner Identität und seine Aufgabe, das sakramentale Leben gibt ihm Kraft für sein Leben und Halt, wenn er fehlt, und das Gebet der ganzen Kirche trägt, in der Sicherheit einer von Christus verheißenen Antwort, Gott für ihn und mit ihm vor, was sein Herz ersehnt und erbittet bis zu dem, was er noch nicht zu erbitten und zu ersehnen vermag. Hilfe durch die Gemeinschaft 73. Die Erziehungsaufgabe ist schwierig, aber sehr wichtig. Ihre Verwirklichung ist vielschichtig. Sie verlangt Ruhe, inneren Frieden, Nichtüber- 1524 Kongregationen lastetsein von Arbeit und ständige kulturelle und religiöse Bereicherung. Es bestehen also Bedingungen, die man in der heutigen Gesellschaft nur selten vereint finden kann. Das Wesen der Berufung des katholischen Erziehers müßte dem ganzen Volk Gottes von all denen, die in der Kirche imstande sind, es zu tun, häufig und gründlich bekannt gemacht werden. Das Thema der Erziehung mit allen seinen Implikationen müßte entschiedener angegangen werden, denn die Erziehung ist einer der großen Bereiche der Heilssendung der Kirche. 74. Aus solcher Kenntnis kommt logischerweise Verständnis und die geschuldete Achtung. Alle Gläubigen müßten sich bewußt sein, daß die Erziehung zum Glauben in der Kirche ohne den katholischen Laien eines ihrer Fundamente entbehrte. Deswegen müssen alle Glaubenden im Maß ihrer Möglichkeiten aktiv Zusammenarbeiten, daß der Erzieher den sozialen Rang und das wirtschaftliche Niveau, das er verdient, zusammen mit der geschuldeten Sicherheit und Stabilität in der Ausübung seiner Aufgabe hat. Jedes Glied der Kirche muß sich miteinsetzen, daß im eigenen Land die Erziehungspolitik soweit wie möglich in Gesetzgebung und Praxis die christlichen Erziehungsprinzipien berücksichtigt. 75. Die Bedingungen der heutigen Welt müssen die Hierarchie und die religiösen Institute, die sich der Erziehung widmen, anregen, die Gruppen, Bewegungen und existierenden katholischen Vereinigungen aller in der Schule beschäftigten gläubigen Laien zu ermutigen und andere neue zu schaffen, wobei sie die der Zeit und den verschiedenen nationalen Gegebenheiten entsprechenden Formen finden. Viele der Erziehungsziele mit ihren sozialen und religiösen Implikationen, welche die Berufung des katholischen Laien in der Schule fordert, sind ohne die Einheit der Kräfte, welche Vereinigungen bieten, kaum zu erreichen. Hilfe von seiten der Erziehungsinstitute -Die katholische Schule und die Laien. 76. Die Wichtigkeit der katholischen Schule lädt zu einer besonderen Reflexion ein, die für andere katholische Einrichtungen als konkretes Beispiel für die Hilfeleistungen, welche den Laien, die in ihnen tätig sind, geboten werden müssen, dient. Auch diese Hl. Kongregation hat, indem sie sich auf die Laien bezogen hat, nicht gezögert zu behaupten, daß „die Lehrer mit ihrer Tätigkeit und ihrem Zeugnis zu den Hauptpersonen 1525 Kongregationen gehören, die der katholischen Schule ihren spezifischen Charakter gewährleisten“. 77. Die Laien müssen in der katholischen Schule vor allem ein Ambiente der aufrichtigen Achtung und Herzlichkeit finden, in dem authentische menschliche Beziehungen unter allen Erziehern bestehen können. Priester, Ordensleute und Laien müssen sich, wobei sie das Besondere der eigenen Berufung wahren, voll in die Erziehungsgemeinschaft integrieren und in ihr echte Gleichberechtigung haben. 78. Es sind zwei Elemente grundlegend, um dasselbe Ideal von seiten des Trägers und der in der katholischen Schule tätigen Laien zusammen zu leben. Das erste ist eine entsprechende wirtschaftliche, vertraglich genau festgelegte Entlohnung für die in der Schule geleistete Arbeit, eine Entlohnung, die den Laien ein menschenwürdiges Leben ohne die Notwendigkeit anderer Beschäftigungen oder von Überbelastung, die der Erziehung hinderlich ist, erlaubt. Das mag nicht zu verwirklichen sein, ohne daß den Familien eine große finanzielle Belastung auferlegt wird, die Schule teuer und somit nur einer kleinen Gruppe reserviert wird. Aber solange die voll entsprechende Entlohnung noch nicht erreicht ist, müssen die Laien sehen können, daß die Leiter der Schule ihre echte Sorge darauf richten, die nötigen Mittel aufzutreiben, um zu diesem Ziel zu kommen. Das zweite Element ist eine authentische Teilhabe der Laien an den Verantwortungen der Schule auf allen Gebieten entsprechend ihrer Fähigkeit und ihre aufrichtige Identifizierung mit den Erziehungszielen, welche die katholische Schule charakterisieren. Diese muß ihrerseits mit allen Mitteln versuchen, die Identifikation, ohne welche die angestrebten Ziele nicht erreicht werden können, zu fördern. Man darf nicht vergessen, daß die Schule selbst immer neu sich gleichsam schafft durch die Arbeit, die von allen, welche in ihr ihre Aufgabe erfüllen, und vor allem von den Lehrern, getan wird. Um diese wünschenswerte Beteiligung zu erreichen, sind unverzichtbare Bedingungen die authentische Hochschätzung der Berufung der Laien, die nötige Information, echtes Vertrauen und, wo es notwendig erscheint, die Übergabe von bestimmten Verantwortungen des Unterrichts, der Verwaltung und Leitung der Schule an Laien. 79. Es gehört auch zur katholischen Schule als eigene Aufgabe, für die ständige Weiterbildung beruflicher und religiöser Art der Laien-Mitglie-der zu sorgen. Diese erwarten von der Schule für diese unverzichtbare 1526 Kongregationen Bildung Richtlinien und die notwendigen Hilfen, darunter auch die Gewährung der entsprechenden geforderten Zeit. Ohne diese Hilfen würde sich die Schule mehr und mehr von ihren eigenen Zielen entfernen. Die katholische Schule kann zusammen mit anderen Erziehungszentren und katholischen Berufsvereinigungen Konferenzen, Kurse und andere Treffen zur Förderung der genannten Bildung leicht organisieren. Nach den gegebenen Verhältnissen sollen daran auch andere katholische Erzieher, die nicht in katholischen Schulen tätig sind, teilnehmen können. Diesen würde so ein Dienst geleistet, den sie häufig nötig haben und anderswo nicht leicht finden. 80. Die ständige Verbesserung der katholischen Schule und die Hilfe, die sie zusammen mit anderen Erziehungseinrichtungen der Kirche dem katholischen Erzieher gewähren kann, hängen zum großen Teil von der Unterstützung ab, welche die katholischen Familien im allgemeinen und diejenigen, welche ihre eigenen Kinder in die katholische Schule schicken, im besonderen leisten. Die Familien müssen sich in dieser geschuldeten Unterstützung sehr verantwortlich fühlen. Diese Verantwortung soll sich auf alle Aspekte erstrecken: auf das Interesse, auf die Hochschätzung, auf die Zusammenarbeit im allgemeinen und auf die wirtschaftliche Lage. Es können nicht alle diese Zusammenarbeit im gleichen Grad und in derselben Weise anbieten. Aber alle sollten dabei so hochherzig wie möglich sein. Diese Zusammenarbeit muß sich auch auf die Beteiligung bei der Erreichung der Ziele und auf die Verantwortung der Schule beziehen. Die Schule ihrerseits muß ihnen die entsprechende Information über Verwirklichung und Vervollkommnung des Erziehungsprogramms, über die Bildung, Verwaltung und in bestimmten Fällen auch über die Geschäftsführung geben. Schluß 81. Die katholischen Laien, die in der Schule in Erziehungs-, Leitungs-, Verwaltungsaufgaben und Hilfsdiensten tätig sind, können keinen Zweifel darüber haben, daß sie für die Kirche eine große Hoffnung sind. Auf sie hat die Kirche ihr Vertrauen gesetzt, daß die diesseitige Welt fortschreitend vom Evangelium integriert wird, und daß dieses zu allen Menschen gelangt. Und in ganz besonderer Weise hat die Kirche auf sie ihr Ver- 1527 Kongregationen trauen gesetzt hinsichtlich ihres Bemühens um die ganzheitliche Bildung des Menschen und die Erziehung der Jugend zum Glauben, wovon die größere oder geringere Hinwendung zu Christus in der Welt von morgen abhängt. 82. Die Kongregation für das Katholische Bildungswesen macht sich zum Echo für diese Hoffnung und betrachtet den großen evangelischen Reichtum, den die Millionen von katholischen Laien in der Welt, die ihr Leben der Schule widmen, bedeuten. Sie tut dies mit den Worten, mit denen das 2. Vatikanische Konzil das Dekret über das Laienapostolat beschließt, und „beschwört im Herrn inständig alle Laien, dem Ruf Christi, der sie in dieser Stunde noch eindringlicher einlädt, . . . gern, großmütig und entschlossen zu antworten . . . Sie sollen ihn mit Freude und Hochherzigkeit aufnehmen .. . dabei seien sie auf das, was sein ist, wie auf ihr Eigenes bedacht (vgl. Phil 2,5). Sie sollen sich in seiner heilbringenden Sendung zusammenschließen, . . . damit sie sich in den verschiedenen Formen und Weisen des einen Apostolates der Kirche, das dauernd den neuen Bedürfnissen der Zeiten anzupassen ist, als seine Mitarbeiter erweisen. So wirken sie allezeit und mit aller Kraft für das Werk des Herrn; dabei wissen sie wohl, daß ihre Mühe nicht vergebens ist im Herrn (vgl. I Kor 15,58)“. Am 15. Oktober 1982, am Fest der heiligen Theresia von Avila, aus Anlaß des 400. Todestages. William Kardinal Baum, Präfekt Antonio M. Javierre, Sekretär Tit. Erzbischof von Meta 1528 Kongregationen Anmerkungen 1 2. Vat. Konzil, Die Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, Nr. 31: „Unter der Bezeichnung Laien sind hier alle Christgläubigen verstanden mit Ausnahme der Glieder des Weihestandes und des in der Kirche anerkannten Ordensstandes“. 2 Vgl. 2. Vat. Konzil, Erklärung über die christliche Erziehung Gravissimum Educationis, Nr. 8. 3 Vgl. Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Die Katholische Schule, Rom 1977, Nm. 18-22. 4 Lumen Gentium, Nr. 32. 5 Ebd. 6 Lumen Gentium, Nr. 31. 7 Lumen Gentium, Nr. 33. 8 Lumen Gentium, Nr. 31. 9 Ebd. 10 Lumen Gentium, Nr. 36; vgl. 2. Vat. Konzil, Dekret über das Apostolat der Laien Apostolicam Actuositatem, Nr. 7. 11 Lumen Gentium, Nr. 36. 12 Ebd. 13 Lumen Gentium, Nr. 33. 14 Vgl. Gravissimum Educationis, Nr. 3. 15 Apostolisches Schreiben Papst Johannes Pauls II. Familiaris consortio vom 22. November 1981, AAS 74 (1982) Nr. 36. S. 126. 16 Vgl. Gravissimum Educationis, Nr. 5. 17 Ebd., Nr. 6; vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 26,3. 18 Ebd., Nr. 3. 19 Vgl. Gravissimum Educationis, Nr. 6. 20 Ebd., Nr. 5; vgl. Die päpstliche Exhorte Pauls VI. Evangelii nuntiandi vom 8. Dezember 1975, AAS 68 (1976) Nr. 70 SS. 59-60. 21 Die Katholische Schule, Nr. 31. 22 Vgl. Die Entwicklungsenzyklika Papst Pauls VI. Populorum Progressio vom 26. März 1967, AAS 59 (1967) Nr. 19 S. 267-268; Ansprache Papst Johannes Pauls II. bei der UNESCO am 2. Juni 1980, AAS 72 (1980) Nr. 11 S. 742. 23 Paul VI., Weihnachtsansprache vom 25. Dezember 1975, in: AAS 68 (1976) 145. 24 Vgl. Enzyklika Papst Johannes Pauls II. Laborem exercens vom 14. September 1981, AAS 73 (1981) Einleitung S. 578. 25 Ebd. S. 577 26 Vgl. oben Nr. 16. 27 Vgl. oben Nr. 20. 28 Ansprache Papst Johannes Pauls II. bei der UNESCO am 2. Juni 1980, AAS 72 (1980) Nr. 11 S. 742. 29 Vgl. oben Nr. 21. 30 Familiaris consortio, Nr. 37. 31 Ebd. Nr. 40. 32 Ebd. Nr. 36. 33 Vgl. Laborem exercens, Nr. 20. 34 Gravissimum Educationis, Nr. 8; Vgl. Die Katholische Schule, Nr. 34. 35 Die Katholische Schule, Nr. 9. 1529 Kongregationen 36 Vgl. ebd. Nm. 29 und 32. 37 Vgl. 2. Vat. Konzil, Dignitatis Humanae, Nr. 3. 38 Vgl. Apostolicam Actuositatem, Nr. 2. 39 Ideologie ist hier im weiten Sinn als ein System von an soziale, wirtschaftliche und/oder politische Strukturen gebundene Ideen verstanden. 40 Vgl. Die Katholische Schule, Nr. 9. 41 Vgl. 2. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, Nr. 21. 42 Vgl. Ansprache Papst Johannes Pauls n. an den Klerus von Rom über Religionsunterricht und Katechese vom 5. März 1981, Nr. 3, in „Insegnamenti di Giovanni Paolo II“, 1981, IV, 1, Nr. 3 S. 630. 43 Apostolisches Schreiben Papst Johannes Pauls II. Catechesi Tradendae vom 16. Oktober 1979, AAS, 71 (1979), Nr. 66 S. 1331. 44 Ebd. Nr. 6. 45 Ebd. Nr. 61. 46 Gravissimum Educationis, Nr. 5. 47 Ebd. Nr. 8. 48 Apostolicam Actuositatem, Nr. 29. 49 (Nichtgehaltene) Ansprache Papst Johannes Pauls 11. zur 90.-Jahr-Feier von Rerum novarum vom 13. Mai 1981, Nr. 8, in: „L'Osservatore Romano“ (15. Mai 1981). 50 Ebd. 51 Gravissimum Educationis, Nr. 8. 52 Ebd., Nr. 5. 53 Die Katholische Schule, Nr. 75. 54 Ebd., Nr. 78. 55 Vgl. ebd., Nr. 43. 56 Laborem exercens, Nr. 14 S. 614. 57 Apostolicam Actuositatem, Nr. 33. 1530 Sachregister Abendmahl, Letztes: 1040, 1153 f. Abrüstung: 1291; Vereinte Nationen und 1155-1166; (cf. Frieden). Abtreibung: 41, 237. Advent: 217. Afrika: 2. Pastoralbesuch in -, 226-360. Afrikanische Kirche: Leben und Sendung der -, 59-63. Agnes von Böhmen OSCL, sei: 896-901. Alphabetisierung: Schreiben an den Generaldirektor der UNESCO zum Welttag der-, 1237 f. Altarssakrament: cf. Eucharistie. Alter: Das -, Krönung der menschlichen Existenz, 1120-1125; 1222-1230; 1338 f. Anglikanische Kirchengemeinschaft: cf. ökumenismus. Anthropologie: 88, 644; Paulinische -, 48f.; 56, 88; Christliche - und Wissenschaft, 120; (cf. Auferstehung). Apostolat: 645, 1129; Prakt. - der Ordensleute, 269; - der Laien, 257, 368, 1214 f., Erfordernisse des -, 270,274; — der Ehepaare, 353; (cf. Schule). Apostolischer Stuhl: Verhältnis - und Vatikanstaat, 1418, 1421; (cf. Hl. Stuhl). Arbeit: 282 ff., 339 f., 419, 620-635, 869-873, 902-905, 982-993, 125 f„ 1328, 1372 f.; - und Familie, 869-873; Mensch als Subjekt der -, passim; Humanisierung der -, 622 ff., 871; (cf. Solidarität). Arbeiter: 118, 340; Recht auf Zusammenschluß, 283, 904; Probleme der-in der Industriegesellschaft, 338 f.; Grundrechte der -, 633 f. Arbeitgeber: Verantwortung als -, 637 f. Arbeimehmer: 638 ff., -verbände, 335 f. Arbeitslosigkeit: 526, 632 f., 637. Arme: 235 f., 306 ff., 638 f. Armut: Evangelische -, 269, 953, 1267, 1337; weltweite -, 1415. Atomenergie: Friedliche Verwendung der -, 654. Atomkrieg: Drohung eines -, 1034. Atomwaffen: Gefahr von -, 654,1303; (cf. Abrüstung). Auferstehung: — am Jüngsten Tag, 38—42, 47-51, 57 f., 76, 131 f., 135 ff; Osterbotschaft, 1047-1050; Ehelosigkeit und -, cf. Ehelosigkeit. Behinderte: - als besondere Schützlinge Gottes, 552. Beichte: cf. Bußsakrament. Bergpredigt: 88; - als Magna Charta christlichen Lebens, 562 f.; Forderungen der -, 1288. Berufe, Geistliche: 211, 253-356, 270 f., 393 f., 1015, 1091-1094, 1185 f„ 1216, 1298. Berufung: - der Christen, 144 f., 1184 f. Biologie: Hoffnung auf moderne -, 1395. Bischof: 271, 275, 278, 280, 389-396, 844f., 855, 1179f., 1230; einheimische -, 849; -skollegium, 915 ff., 1279. Bischofskonferenz, Berliner: 1402—1405. Buße: Zusammenhang von - und Beichte, 279; Aufruf zur -, 918ff.; - als Merkmal kontemplativen Lebens, 1140 f.; (cf. Versöhnung). 1531 Bußsakrament: 279, 511, 529; Läuterung im -, 1380; Unersetzlichkeit der Ohrenbeichte, 279 f., 1218. China: Kirche in -, 847-851, 998 f. Christus: - und die Kirche, 152-155, 155-158, 159-162; -nachfolge, 410f. Cor Unum, Päpstlicher Rat: 1435—1439. Demut: 1336 f. Deutschland, Bundesrepublik: An den Präsidenten der -, 1406. Dialog: - zwischen den Nationen, 286 f.; Bedeutung des - im Priester- und Ordensleben, 413 f.; - zwischen Wissenschaft und Glaube, 653;-zwischenKirche und Kulturen, 1133; (cf. ökume-nismus). Diplomatisches Korps: Ansprache an das -in Nigeria, 285-288; Ansprache an das beim Hl. Stuhl akkreditierte -, 860-876. Ehe: 131-135, 138-141, 143-146, 148-151, 152-155, 155-158,159-162, 162-166, 174-178, 179-182,182-186, 186-189, 191-194, 195-197, 203-206, 206-210, 212-215, 886-891; 237 f.; 536-539; 353; (cf. Familie). Ehelosigkeit: 66-68, 71-74, 76-79, 79-82, 85-89, 89-92, 93-96, 97-100, 100-103, 121-123, 123-127, 127-131, 131-135. Einheit: 276, 1021, 1357, 1403f.; (cf. ökumenismus). Hl. Salvador: Friedensappell für -, 65. Eltern: cf. Familie. Enthaltsamkeit: zeitweilige -, 134; (cf. Ehelosigkeit). Entwicklung: 281 f., 325, 630. Erlösung: 135—138, 185, 187f., 204, 1469. Erziehung: 215, 1281 f. Eschatologie: cf. Auferstehung, Ehelosigkeit, Leib. Eucharistie: 261, 576, 656 ff., 1040 ff., 1153 ff., 1258, 1380. Europa: 1343—1349. Evangelisierung: 229 f., 276 f., 305 f., 1399; - Osteuropas, 955; Jugend und-, 960. Familie: 219, 220 f., 236-240, 262, 344, 352f., 394f., 459-469, 517f., 873ff., 950, 1093 f., 1202, 1226 f., 1249, 1252, 1293, 1352. Fatima: Botschaft von -, 104-109. Flüchtlinge: 168 f., 1170-1173. Fokolar-Bewegung: an die -, 915 ff. Fortschritt: 365, 627; - und Personenwürde, 234 f; Wissenschaft und -, 1087. Franz von Assisi: 951-956; - und der Friede, 835. Franziskaner: 951-956. Frau: 133, 148-151, 155-158, 353. Freiheit: 1243-1245, 1246-1250, 1282 f.; — der Kirche in Deutschland, 1406. Friede: 520 ff., 590, 825-836, 836-840, 1050, 1075 ff, 1113-1116, 1147 ff, 1184, 1221 f, 1234 ff. Fronleichnamsfest: Predigt am —, 1466 ff. Gebet: 254, 578-581, 1130-1387 f.; -gruppen von Jugendlichen und Erwachsenen, 304. Gemeinwohl: 336 f, 987; Internationales -, 640, 1033 ff. 1532 Gerechtigkeit: 640-642, 642-645, 933; -und Liebe, 1438; soziale -, 983. Germanikum: - und seine Bedeutung für die Priesterausbildung, 928 f. Glauben: 856, 944, 993-996, 1018, 1083, 1103, 1134, 1251; - in Nigeria, 228 f., 253, 302 ff., die Brüder im - stärken, 1295 ff. Gnade: 133, 179f., 1060, 1144ff.; Zeichen der -, 133, 140f., 162-166; - als Geschenk der Erlösung, 1387. Gott: 139, 152, 167, 175 f., 179 f., 184, 187, 203, 217 f., 245 f„ 253 ff., 262 f., 826, 836 f., 880, 1259 f. Gottesvolk: Einheit des -, 1145. Grab: das - Christi, 1047 ff. (cf. Ostern). Grundwerte: 337 ff., 340 ff.; Staat und Kirche müssen die - verteidigen, 1405. Gut und Böse: das Problem von -, 1256. Heilsplan Gottes: 162-166, 167 f. Heiliger Geist: 227 f., 237 ff., 1017, 1021, 1063 ff, 1092, 1175. Heiliges Jahr: Ankündigung des — der Erlösung, 1445-1450, 1472-1475. Hl. Stuhl: der - in der Völkergemeinschaft, 285, 311, 643 f, 861-867. Hochschulseelsorge: 942-951. Hoffnung: 135-138, 637, 994, 1208—1212, 1360—1346; — leben und - geben, Motto des österreichischen Katholikentags, 1151 f. Humanismus: Suche nach einem neuen -, 1077; Förderung eines vollen -, 1324. Information: - muß der Wahrheit entsprechen, 1118. Inkulturation: — des Evangeliums in beiden Völkern, 277 f. Internationale katholische Organisationen (OIC): 642-645. Internationales Arbeitsamt (IAA): 639-642. Jeanne Juyan, sei.: 1336-1339. Jesuiten: Ansprache an die Ordensleitung und Provinziale der Gesellschaft. Judentum: Katholische Kirche und -, 939-942. Jugend: Ansprache an die - Nigerias, 241 ff.; Ansprache an die - in Bologna, 1061-1066; Ansprache an die - in Brescia, 1305-1311; für die Erziehung der - Sorge tragen, 1351. Kapuziner: Ansprache an das Generalkapitel der -, 1204-1207. Karmelitinnen: Schreiben an die -, 1138-1142. Katecheten: - sind unerläßliche Helfer für die Priester, 229, 258. Kernenergie: cf. Atomenergie. Kirche: das Wirken der -, 862; die - steht an der Seite des Menschen, 276, 872; die Sendung der -, 883; Bedarf für die Verkündigung auch finanzieller Mittel, 1099; - im Dialog mit den Kulturen, 1107; katholische - und UNESCO, 1133; Christus und die-, 143 ff, 152 ff, 154, 155, 156f, 159-161, 164, 168 f, 177, 179 f, 187-189, 191 ff, 195 f, 993, 1016, 1321. Kleine Schwestern der Armen: 1336-1339. Kollegialität: Grundsatz der -, 493; Bischöfliche -, 1344, 1440. Kommunikationsmittel: Bedeutung der —, 296 f, 650f.; Botschaft zum 16. Welttag der-, 1120 ff. Kranke: Sorge um -, 244 ff. 1533 Krankensalbung: — ist Quelle der Kraft für Seele und Leib, 490. Kreuz: -wegandacht am Karfreitag, 1042. Kultur: Kirche und -, 856f., 858, 864f., 1132 f.; - ist Wesensmerkmal der Nation, 323; - und Wissenschaft, 453, 653, 1302, 1382; Krise der europäischen -, 1343 ff.; - muß den Menschen in seiner Gesamtheit sehen, 1231—1234. Kultur, Päpstlicher Rat für die: Schreiben zur Gründung -, 1104-1110. Laien: Verantwortung der - in Diözese und Gemeinde, 320 f., 366 f., 1180 f-, 1215, 1299; Hauptaufgabe der - ist das Christuszeugnis, 1377; Ansprache an den Päpstlichen Rat für die -, 1378-1382. Leben, ungeborenes: Tötung - ist verwerflich, 1064 f., 1365 (cf. Abtreibung). Lehramt: 1019; authentisches -, 1031, 1340. Leib: 184f., 208 f., 213; Theologie des -, 165 ff., 203 f. Leiden: 244 f., 490; das - in der Nachfolge Christi, 255. Libanon: zum Tod des Präsidenten des -170-172; Audienz für Staatspräsident Gemayel, 1389-1392. Liebe: zwischen Mann und Frau als Abbild der — Christi zur Kirche, 89—92, 120, 152, 156 f., 159-162, 167-170, 174-178, 179-182, 236-240; Wesen der -, 886-891; die - Gottes, 997 f. Luxemburg: an den Botschafter -, 876 ff. Maria: - Mutter Christi und Mutter der Kirche, 239; Besuch im - Heiligtum Fatima, 396-404; - Frömmigkeit, 1186 f.; Unbefleckte Empfängnis -, 1456-1460. Massenmedien: cf. Kommunikationsmittel. Maximilian Kolbe: Heiligsprechung von -, 1364-1368, 1373 f.; - ein besonderer Verehrer Mariens, 1456. Mensch: eschatologische Vollendung des -, 56-59; der erlöste -, 135-138; der -als Mann und als Frau, 182-186, 186-190, 191-194, 203-206; der - in Zeit und Geschichte, 220 ff.; der - und die Arbeit, 469-476; Lebensquellen des -, 1251-1256; (cf. Arbeit, Freiheit, Friede). Menschenrechte: 233, 294 f., 439 f., 633 f., 646 f., 902, 905. Menschwerdung: (cf. Weihnächten). Messe, hl.: (cf. Eucharistie). Missio (päpstl. Missionswerk): Schreiben zum 150jährigen Bestehen von -, 1099-1100. Mission: Botschaft zum Sonntag der Welt-, 1396-1402; (cf. Evangelisierung). Missionare: 302 ff., 350. Mönche: die Lebensform der -, 1264-1269. Österreich: Botschaft an die Katholiken -, 1151 f.; an die Bischöfe -, 1208-1212. Offenbarung: die Selbst— Gottes in der Auferstehung Christi, 48 f. Ökumenismus: geistlicher -, 230 f.; - in Nigeria, 294; der - und das Zweite Vatikanische Konzil, 346; Ansprache an den Pneumatologischen Kongreß, 1016-1023; Ansprache an den griechischen Präsidenten, 1036; - als Hauptanliegen des Pontifikats, 1177 f.; Rolle der Unierten im -, 1432—1435. Ordensberufe: cf. Berufe, geistliche. Ordensstand: 91 f., 497-502, 547-549. 1534 Ostern: - Botschaft des Papstes, 1047-1050. Pfarreien: - fördern die Gemeinsamkeit und das Glaubensleben, 1381. Polen: Besorgnis um -, 291, 865 f., an die Bischöfe -, 1371-1377; (cf. Maximilian Kolbe). Politik: Zusammenhalt der sozialen Kräfte in der -, 622ff.; - aus christlicher Verantwortung, 1454. Priester, Priestertum: 246—251, 253—256, 307 f., 316-319, 344 f., 531-534, 594-598, 1084-1089, 1353f.; (cf. Berufe, geistliche). Priesterkleidung: Brief an Kardinal Poletti zur -, 1269-1271. Priesterseminar: 1013-1016, 1376. Römische Kurie: der pastorale Dienst der -, 1417-1423, 1439-1445, 1445 f. Rota, Sacra Romana: Ansprache an die -, 886-891. Rotes Kreuz: Ansprache an das Internationale Komitee des - in Genf, 646-649. Schweiz: an die Bischöfe der -, 1213-1219. Solidarität: — in der Welt der Arbeit, 624 ff., 628-634. Soziale Frage: 630, 1025. Sozialenzykliken: 636, 1023-1026. Spenden: Kirche und -, 1417, 1419. Streik: - ein Grundrecht, 283. Stundengebet: 254. Sündenfall: die Schöpfung nach dem -, 47-51, 187. Taufe: 158, 195 f., 317, 486 f„ 1379. Terrorismus: 865, 909-915. Theologenkommission, internationale: Statuten der -, 1339-1343. Theresia von Avila, hl.: 1138-1142. Tod: - und Auferstehung 48 f., 917,1048; — als wesentliches Element des Lebens, 1225. Treue: zur priesterlichen Sendung, 317 ff.; eheliche -, 889, (cf. Ehe). Tschechoslowakei: Brief an den Erzbischof von Prag, Kard. Tomasek, 896-901. Sakrament: -, allgemein, 140 ff., 192-194, 1154; (cf. Buße, Eucharistie, Priestertum, Taufe). Salvatore Lilli OFM, sei.: 1333-1336. San Marino: Ansprache an die Regenten von -, 1243 ff.; Predigt bei der Messe in -, 1246-1250. Schule: Apostolat der -, 275; katholische —, 324; konfessionelle und öffentliche —, 337 f.; Erklärung der Kongregation für das katholische Bildungswesen: „Der katholische Laie - Zeuge des Glaubens in der -“, 1494-1530. Ungarn: an die Bischöfe -, 1350-1354. Universität: Kirche und -, 942-951; Forschung und Lehre in der -, 1279-1284. Vereinte Nationen: Ansprache an den Generalsekretär der -, 1033 ff.; - und Abrüstung; (cf. Abrüstung). Versöhnung: - und Buße, 64, 69, 75, 82 ff., 106 f. Volkskirche: Gefahren der —, 1195f. 1535 Weihnachten: 216 ff., 220 ff., 1476-1478; - Ansprache an die Kardinäle, 1466-1476; - Botschaft, 1478 f. Weltgebetswoche: - für die Einheit der Christen, 881-886. Wissenschaft: 264-268, 649-654, 1304-1393; Verhältnis von Kirche und -, 1284 f. Zentralamerika: bedrohliche Lage in -, 865. Zeugnis: gemeinschaftliches - geben, 319 f., 1134; glaubwürdiges - der Kirche in der heutigen Welt, 1368. Zivilisation: — im Zeichen der Liebe, 1318; (cf. Kultur). Zukunft: junge Menschen schauen auf die -, 1305-1311.