Der Apostolische Stuhl 1986 Ansprachen, Predigten und Botschaften des Papstes Erklärungen der Kongregationen Vollständige Dokumentation Fachhochschule Osnabrück Bibliothek, Albrechtstraße 30 D-49076 Osnabrück 210593 Libreria Editrice Vaticana • Verlag J.P Bachem CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Ecclesia Catholica / Curia Romana: Der Apostolische StuhlAnsprachen, Predigten u. Botschaften d. Papstes, Erkl. d. Kongregationen; vollst. Dokumentation / Hrsg.: Sekretariat d. Dt. Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit d. Red. d. dt.-sprachigen L’Osservatore Romano. — [Cittä del Vaticano]: Libreria Editrice Vaticana; Köln: Bachem Erscheint jährl. Forts, von: Wort und Weisung 1982 (1984) - jbfoÖSf NE: Ecclesia Caftoliea^Papäy ¥fST'iß ISBN 3-7616-0913-2 Printed in Germany Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit der Redaktion des deutschsprachigen L’Osservatore Romano Verlag: J. P. Bachem, Köln, und Libreria Editrice Vaticana Druck: J. P. Bachem, Köln Vorwort „Der Apostolische Stuhl 1986“ setzt die bisherige Reihe fort. Die Übersetzungen der Dokumente sind weitgehend der deutschen Ausgabe des „L’Osservatore Romano“ entnommen. Sofern Texte dort nicht erschienen sind, wurden sie eigens für diesen Band übersetzt. Auch diesmal wurde innerhalb der einzelnen Kapitel eine chronologische Reihenfolge der Texte gewählt. Das ausführliche Register soll wieder das Auffinden jeder gewünschten Textstelle ermöglichen. Zur Vervollständigung der Reihe „Der Apostolische Stuhl“ können die Bände der Jahre 1982 bis 1985 noch bezogen werden. V Inhaltsverzeichnis I. Ansprachen hei den Generalaudienzen und heim Angelus Januar Im Namen Christi laßt uns beginnen Angelus am 1. Januar 3 Ein Jahr „im Geist der Brüderlichkeit“ Angelus am 5. Januar 4 „Wir haben seinen Stern gesehen“ Angelus am 6. Januar 5 Die Schöpfung — Zeichen der Liebe Gottes Generalaudienz am 8. Januar 6 Die Taufe Jesu im Jordan Angelus am 12. Januar 10 Erschaffen heißt „aus dem Nichts machen“ Generalaudienz am 15. Januar 12 „Ihr sollt meine Zeugen sein“ Angelus am 19. Januar 16 Ein „gewaltiger Chor“ ökumenischer Gemeinschaft Generalaudienz am 22. Januar 18 Nach Indien „als Pilger des Friedens“ Angelus am 26. Januar 22 Die Erschaffung der Welt ist Gottes Werk Generalaudienz am 29. Januar 24 Februar Zeit der Buße und der Versöhnung Angelus am 16. Februar 29 Die Fastenzeit ist eine „heilsame Zeit“ Generalaudienz am 12. Februar 30 VII Gott ist „Augenzeuge“ meiner Sünde Angelus am 23. Februar 35 Christus — „für alle der Herr der Zukunft“ Generalaudienz am 26. Februar 37 März Im Bußsakrament „ein neuer Mensch werden“ Angelus am 2. März 43 Die Spuren der Dreifaltigkeit in der Schöpfung Generalaudienz am 5. März 44 „Laßt euch mit Gott versöhnen!“ Angelus am 9. März 48 Die Schöpfung offenbart „Herrlichkeit Gottes“ Generalaudienz am 12. März 50 „Gerechtfertigt und von der Sünde befreit“ Angelus am 16. März 54 Josef: ein Mann mit gewinnender Sympathie Angelus in der Kathedrale von Prato am 19. März 56 Unsere innere Neugeburt Wort an die italienischen Pilger in der Generalaudienz am 20. März 58 Im Kreuz finden wir „Gottes Kraft und Weisheit“ Angelus am 23. März 60 Die Menschheit kann nicht „ohne Ostern leben“ Generalaudienz am 26. März 62 April Für die Erhaltung von Natur und Umwelt sorgen Generalaudienz am 2. April 66 „Er ist wieder da! Er ist in ihrer Mitte“ Angelus am 6. April 72 Gebetstreffen in Assisi am 27. Oktober Ankündigung nach dem Gebet des Angelus am 6. April 74 VIII „Als Abbild Gottes schuf er ihn“ Generalaudienz am 9. April 75 Der neue Heilige „ein neuer Lehrer“ Angelus am 13. April 79 Die Seele — direkt von Gott geschaffen Generalaudienz am 16. April 81 „Heute ist der Sonntag des Guten Hirten“ Angelus am 20. April 86 „Was an ihm menschlich und was göttlich ist“ Generalaudienz am 23. April 87 „Ein Zeugnis, das in der Erfahrung begründet ist“ Angelus am 27. April 93 Den Sinn der Welt in Gott wiederfinden Generalaudienz am 30. April 95 Mai „Heute feiern die Ostkirchen das Osterfest Angelus am 4. Mai 100 „Du hältst mein Los in deinen Händen“ Generalaudienz am 7. Mai 102 Der Mensch hat den Vorrang vor den Dingen Generalaudienz am 14. Mai 107 Der Geist, der lebendig macht Angelus am 18. Mai 112 Geschichte entfaltet sich unter dem „Blick“ Gottes Generalaudienz am 21. Mai 114 Geheimnis der Einheit in der Dreifaltigkeit Angelus am 25. Mai 120 „Was wird morgen mit mir sein?“ Generalaudienz am 28. Mai 122 Juni Von Anfang an „Worte des ewigen Lebens“ Angelus am 1. Juni 127 IX Fragen, die der Mensch an Gott richtet Generalaudienz am 4. Juni 129 Die „Fülle“ im Herzen Jesu Angelus am 8. Juni 135 Leiden und göttliche Vorsehung Generalaudienz am 11. Juni 136 „Wir bitten Dich, Herr, sende ihnen den Heiligen Geist“ Angelus am 15. Juni 141 „Widersprüche und Störungen des Gleichgewichts“ Generalaudienz am 18. Juni 143 „Herz Jesu, an dem der Vater sein Wohlgefallen hat“ Angelus am 22. Juni 148 Irdischer Fortschritt wird durch die Sünde behindert Generalaudienz am 25. Juni 150 Rom — auserwählt durch den Herrn der Geschichte Angelus am 29. Juni 155 Juli Der Glaube an rein geistige Wesen gründet in der Heiligen Schrift Generalaudienz am 9. Juli 157 „Der Herr öffne die Herzen der Entführer!“ Angelus am 13. Juli 161 Im Geist des Friedens Christi Generalaudienz am 16. Juli 162 „Bringe den Menschen die Befreiung, die in deinem Herzen begründet ist!“ Angelus in Castel Gandolfo am 20. Juli 168 „Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge“ Generalaudienz am 23. Juli 170 Herz Jesu — für alles Leid offen Angelus in Castel Gandolfo am 27. Juli 174 Lobt den Herrn, all seine Engel Generalaudienz am 30. Juli 175 X August Vor acht Jahren starb Papst Paul VI. Angelus am 3. August 179 Die „stets das Angesicht des Vaters sehen“ Generalaudienz am 6. August 181 „Ströme von lebendigem Wasser“ Angelus in Castel Gandolfo am 10. August 187 Die Lehre über den Satan Generalaudienz am 13. August 188 „Der Mächtige hat Großes an mir getan“ Angelus am 15. August 194 Herz Jesu — Sühne für die Sünden der Welt Angelus am 17. August 195 Der Satan: Wie kann sein Reich Bestand haben? Generalaudienz am 20. August 197 Herz Jesu — ein Zeichen des Widerspruchs Angelus in Castel Gandolfo am 24. August 201 Gott als Erlöser des Menschen und der Welt Generalaudienz am 27. August 202 „Führe uns zum Herzen deines Sohnes!“ Angelus am 31. August 207 September Im Anfang war alles Geschaffene gut Generalaudienz am 3. September 209 Europa möge seine Einheit wiederentdecken Angelus auf dem Montblanc am 7. September 213 Nur Gott kann absolut erkennen Generalaudienz am 10. September 217 Gebet — die mächtigste Waffe Angelus am 14. September 223 XI Die Wurzel der Sünde im Innern des Menschen Generalaudienz am 17. September 225 Weltreligion in Assisi: „Jeder wird Gott sein Gebet darbringen“ Angelus am 21. September 231 „Einbruch“ der Sünde in die Menschheitsgeschichte Generalaudienz am 24. September 233 In Assisi „einen gemeinsamen Weg beginnen“ Angelus am 28. September 238 Oktober Folgen der Sünde Adams für alle Menschen Generalaudienz am 1. Oktober 239 „Wo die Sünde mächtig ist, ist die Gnade übergroß“ Generalaudienz am 8. Oktober 244 Damit wir alle zu „Friedenstiftern“ werden Angelus am 12. Oktober 250 Rückblick auf die dritte Frankreichreise Generalaudienz am 15. Oktober 251 In Assisi: „Zusammensein, um zu beten“ Generalaudienz am 22. Oktober 256 Wesen der Sünde: „daß sie nicht an mich glauben“ Generalaudienz am 29. Oktober 262 November Heilige — Lichter in der Finsternis Angelus am 1. November 268 Totengedenken — „tröstliche Gewißheit der Unsterblichkeit“ Angelus am 2. November 270 Wie ist „Sünde der Welt“ zu verstehen? Generalaudienz am 5. November 272 „Mutter und Haupt aller Kirchen“ Angelus am 9. November 278 XII Menschenwürde durch jede Sünde „vermindert“ Generalaudienz am 12. November 279 Gott ist einziger Sinn des Lebens Angelus am 16. November 286 Dezember „Miteinander Diener sein des Advents des Herrn“ Generalaudienz am 3. Dezember 287 Die „erste Wohnung“ Gottes auf Erden Angelus am 7. Dezember 295 „Maria — die neue Eva“ Angelus am 8. Dezember 296 Die Ankündigung des Erlösers Generalaudienz am 10. Dezember 297 „Die Ankunft des Herrn steht nahe bevor“ Angelus am 14. Dezember 1 302 Die Frohe Botschaft kündet: Jesu Christi erlösende Kraft ist stärker als der Tod! Generalaudienz am 17. Dezember 304 Weihnachten lehrt uns die Würde des Kindes Angelus am 21. Dezember 309 Familie — „Hauskirche“ auf Erden Angelus am 28. Dezember 310 XIII II. Predigten und Ansprachen bei den Reisen 1. Pastoraireise nach Indien (31. Januar bis 10. Februar) Samstag, 1. Februar Ansprache bei der Ankunft auf dem Flughafen von Neu-Delhi 316 Ansprache bei der Kranzniederlegung am Raj-Ghat-Grabmal Mahatma Gandhis in Neu-Delhi 319 Gebet für den Frieden am Mahatma-Gandhi-Denkmal in Neu-Delhi 321 Predigt bei der Eucharistiefeier im Indira-Gandhi-Stadion in Neu-Delhi 322 Ansprache bei der Begegnung mit den indischen Bischöfen in Neu-Delhi 327 Sonntag, 2. Februar Predigt bei der Messe im Indira-Gandhi-Stadion in Neu-Delhi 335 Vor dem Angelus in Neu-Delhi 341 Ansprache bei der Begegnung mit den Repräsentanten des religiösen, kulturellen, sozio-ökonomischen und politischen Lebens Indiens im Indira-Gandhi-Stadion in Neu-Delhi 342 Montag, 3. Februar Predigt bei der Messe mit Arbeitern in Ranchi 348 Grußwort an die Gemeinschaft „Nirmal Hriday“ in Kalkutta 353 Ansprache bei der Begegnung mit den Führern der anderen christlichen Gemeinschaften im St.-Xavier’s-College in Kalkutta 354 Ansprache bei der Begegnung mit den Vertretern des Kultur- und Geisteslebens und der nichtchristlichen Religionen im St.-Xavier’s-College in Kalkutta 356 Gebet für die Sterbenden beim Besuch im Nirmal-Hriday-Haus von Mutter Teresa in Kalkutta 362 XIV Dienstag, 4. Februar Predigt bei der Messe in Shillong 363 Predigt bei der Eucharistiefeier in Kalkutta 368 Mittwoch, 5. Februar Ansprache bei der Begegnung mit den Führern nichtchristlicher Religionen in der Rajaji Hall in Madras 374 Predigt bei der hl. Messe in Madras 378 Donnerstag, 6. Februar Predigt bei der Messe in Goa 383 Predigt beim Wortgottesdienst in Mangalore 388 Ansprache an die Priester Indiens in der Bom-Jesus-Basilika in Goa 394 Freitag, 7. Februar Predigt beim Wortgottesdienst in Trichur 400 Predigt bei der Messe in Cochin 405 Ansprache bei der Begegnung mit dem Katholikos der malankarischen jakobitischen syrisch-orthodoxen Kirche, Mar Baselius Paulose II., in Cochin 410 Samstag, 8. Februar Predigt bei der Seligsprechung von P. Kuriakos und Sr. Alphonsa in Kottayam 412 Ansprache bei der Begegnung mit dem Katholikos der malankischen syrisch-orthodoxen Kirche, Mar Baselius Mar Thomas Mathews I., in Kottayam 418 Predigt beim Wortgottesdienst in Trivandrum 420 Sonntag, 9. Februar Predigt beim Wortgottesdienst in Vasai 425 Vor dem Angelus an der Basilika Unserer Lieben Frau vom Berg in Bandra 430 XV Predigt bei der Messe in Bombay 431 Weihegebet an die Muttergottes nach der Messe im Shivaji-Park in Bombay 438 Montag, 10. Februar Predigt bei der Eucharistiefeier in Poona 439 Ansprache bei der Begegnung mit den Ordensleuten im Goregoan-Semi-nar in Bombay 445 Ansprache bei der Begegnung mit der Jugend im Shivaji-Park in Bombay 450 2. Apostolische Reise in die italienische Region Emilia-Romagna (8. bis 12. Mai) Donnerstag, 8. Mai Angelus in Forli 458 Predigt bei der Eucharistiefeier und Spendung des Taufsakraments auf der Piazza Aurelio Saffi in Forli 460 Freitag, 9. Mai Predigt bei der Eucharistiefeier (mit Spendung des Firmsakraments) in Imola 465 Predigt bei der Eucharistiefeier (mit Spendung der Erstkommunion) in der Pferderennbahn von Cesena 470 Sonntag, 11. Mai Predigt in der Basilika Sant’ Apollinare in Classe in Ravenna All Aufruf bei der Predigt in Sant’ Apollinare in Ravenna 484 Angelus in Ravenna 485 3. Lateinamerikareise (1. bis 8. Juli) Sonntag, 29. Juni Rundfunk- und Fernsehbotschaft ab das kolumbianische Volk 488 XVI Dienstag, 1. Juli Ansprache nach der Ankunft auf dem Flughafen von Bogota 490 Ansprache auf der Plaza de Bolivar in Bogota 493 Ansprache an die führenden Persönlichkeiten Kolumbiens 495 Ansprache bei der Begegnung mit Priestern und Seminaristen in der Kathedrale von Bogota 502 Mittwoch, 2. Juli Predigt im „Simon Bolivar“-Park von Bogota 511 Ansprache an das Diplomatische Corps in Bogota 518 Radio-Botschaft an die Inhaftierten 521 Grußwort an den Vorstand und die Mitglieder der Lateinamerikanischen Konföderation der Ordensleute in Bogota 523 Ansprache an den Kolumbianischen Episkopat (SPEC) in Bogota 526 Ansprache an die Bischöfe des Lateinamerikanischen Bischhofsrates (CELAM) in Bogota 534 Ansprache an die Jugend im „El Campin“-Stadion von Bogota 540 Donnerstag, 3. Juli Predigt bei der heiligen Messe mit den Campesinos im Park „Juan Pablo II“ von Chiquinquirä 547 Weihegebet an Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz in Chiquinquirä 554 Predigt beim Wortgottesdienst mit den Bewohnern der „Barrios“ in Bogota 557 Freitag, 4. Juli Predigt beim Wortgottesdienst mit den Indios in Popayän 564 Ansprache bei der Begegnung mit den Kindern in Cali 570 Predigt bei der Eucharistiefeier mit den Familien im Sportstadion von Cali 572 Predigt beim Wortgottesdienst in Tumaco 581 XVII Samstag, 5. Juli Grußworte bei der Begegnung mit den Bewohnern von Chinchinä 588 Predigt bei der heiligen Messe mit Priesterweihe auf dem Flughafen von Medellin 592 Zur Bischofsausweisung aus Nicaragua 599 Ansprache bei der Begegnung mit den Bewohnern der Elendsquartiere (Barrios) im Stadion „Atanasio Girardot“ in Medellin 600 Ansprache an die Ordensfrauen und Mitglieder der weiblichen Säkularinstitute in der Kathedrale von Medellin 607 Ansprache an die Vertreter von Kultur und Wissenschaft in Medellin... 612 Sonntag, 6. Juli Grußwort bei der Ankunft in Armero 618 Gebet für die Opfer der Katastrophe von Armero 619 Predigt bei der Eucharistiefeier in Bucaramanga 620 Predigt beim Wortgottesdienst in Cartagena 625 Montag, 7. Juli Begegnung mit Priestern, Ordensleuten und Laien beim Heiligtum des hl. Petrus Claver in Cartagena 633 Predigt beim Wortgottesdienst auf dem Friedensplatz von Barranquilla 636 Ansprache vor dem Abflug von Kolumbien auf dem Flughafen von Barranquilla 643 Predigt bei der Messe in Saint Lucia 645 Ansprache in der Kathedrale von Saint Lucia 651 Ansprache vor dem Abflug von Saint Lucia 652 4. Pastoralbesuch in Aosta (7. September) Predigt beim Gottesdienst 656 Ansprache an die Rekruten der Alpinen Militärschule 661 XVIII Ansprache in Courmayeur 664 Ansprache an den Klerus und die Ordensleute 668 5. Pastoraireise nach Frankreich (4. bis 7. Oktober) Samstag, 4. Oktober Ansprache an den Präsidenten der Republik Frankreich, Frangois Mitterrand, auf dem Flughafen von Lyon 674 Ansprache beim ökumenischen Gebetstreffen im „Amphitheater der drei Gallier“ zu Lyon 677 Appell für einen Waffenstillstand am 27. Oktober während der ökumenischen Feier in Lyon 680 Predigt bei der Seligsprechung des Franziskaners Antoine Chevrier in Lyon 682 Sonntag, 5. Oktober Ansprache in der Kirche der Versöhnung in Taize 691 Grußwort an die Gemeinschaft von Taize 694 Predigt bei der Messe in Paray-le-Monial 696 Vor dem Angelus in Paray-le-Monial 702 Ansprache an die Kranken in der Kathedrale St. Jean von Lyon 703 Ansprache beim Treffen mit der Jugend im Stadion Gerland in Lyon.... 707 Ansprache an die Ordensleute in der Basilika Notre Dame de Fourviere von Lyon 724 Montag, 6. Oktober Predigt bei der Messe in Ars 727 Ansprache an die Vertreter der Pastoral- und Priesterräte im St.-Irenäus-Seminar in Lyon 734 Ansprache an die französischen Bischöfe im Seminar von Lyon 743 XIX Betrachtungen über das Priesteramt bei einem Einkehrtag für Seminaristen, Priester und Diakone, zusammen mit ihren Bischöfen in Ars 748 Dienstag 7. Oktober Ansprache an Ordensleute in der Basilika „Maria Heimsuchung“ in Annecy 765 Predigt beim Gottesdienst zu Ehren des hl. Franz von Sales und der hl. Johanna von Chantal in Annecy 768 Ansprache in der Universität von Lyon 775 Ansprache in der Kapelle des Prado-Institutes in Lyon 784 Ansprache auf dem Flughafen Lyon-Satolas 789 6. Pastoralbesuch in Perugia (26. Oktober) Ansprache an die Welt der Universität in der Aula Magna der Universität 794 Ansprache an die Jugend auf der Piazza IV Novembre 799 7. Pastoraireise nach Neuseeland und Australien (18. November bis 1. Dezember) Mittwoch, 19. November Ansprache an die Repräsentanten des religiösen und öffentlichen Lebens in Bangladesch 806 Predigt bei der Messe mit Priesterweihe im Stadion Ershad in Dakka... 812 Ansprache bei der Begegnung mit den Bischöfen von Bangladesch in Dakka 817 Donnerstag, 20. November Predigt bei der Euchariestiefeier in Singapur 823 XX Freitag, 21. November Predigt bei der Eucharistiefeier im „Albert Park“ in Suva, Fidschi-Inseln 830 Ansprache an die Pazifische Bischofskonferenz (CEPAC) in Suva 836 Samstag, 22. November Ansprache an die Jugend vor dem Abflug von Nandi, Fidschi 842 Predigt bei der Eucharistiefeier in Auckland, Neuseeland 845 Ansprache bei der Begegnung mit der Jugend von Auckland, Neuseeland 852 Sonntag, 23. November Ansprache vor dem Angelusgebet in Wellington 856 Predigt bei der hl. Messe in Wellington 857 Ansprache an die neuseeländischen Bischöfe in der Nuntiatur in Wellington 863 Montag, 24. November Ansprache bei der ökumenischen Begegnung in Christchurch, Neuseeland 870 Predigt bei der hl. Messe in Christchurch, Neuseeland 873 Predigt bei der Eucharistiefeier in Canberra 879 Ansprache an das australische Parlament in Canberra 885 Dienstag 25. November Ansprache an Behinderte, Invaliden und Kranke in Brisbane 889 Ansprache bei der Begegnung mit den Journalisten im Stadion von Brisbane 893 Ansprache während der Messe mit Katechumenen in Brisbane 895 Ansprache bei der Begrüßung in der Stadthalle in Brisbane 902 Ansprache bei dem Treffen mit der Jugend in Sydney 903 XXI Mittwoch, 26. November Ansprache an die Arbeiter in Sydney 909 Ansprache bei der Begegnung mit den Ordensleuten in Sydney 915 Ansprache bei der Begegnung mit den Bischöfen Australiens in Sydney 922 Ansprache an die Vertreter der Universitäten und Hochschulen Australiens in der Universität von Sydney 930 Ansprache während der Messe im Stadion „Randwick Racecourse“ von Sydney 936 Ansprache bei der Begegnung mit Vertretern der jüdischen Gemeinde in Sydney 943 Donnerstag, 27. November Ansprache bei einer Begegnung mit Arbeitslosen in Hobart 946 Predigt bei der heiligen Messe in der Pferderennbahn Elwick in Hobart 952 Ansprache beim ökumenischen Gebetsgottesdienst in Melbourne 957 Freitag, 28. November Ansprache bei der Begegnung mit Priestern und Seminaristen in Melbourne 961 Predigt bei der Messe in Melbourne 967 Ansprache an die Vertreter der katholischen höheren Schulen Australiens im Sportzentrum von Melbourne 974 Samstag, 29. November Predigt bei der Messe in Darwin 980 Ansprache bei der Begegnung mit den Ureinwohnern Australiens in Alice Springs 984 Sonntag, 30. November Ansprache während der Begegnung mit den Bauern Australiens in Adelaide 991 Predigt bei der hl. Messe in Adelaide 995 XXII Ansprache vor dem Angelus in Adelaide 1001 Begegnung mit der älteren Generation in Perth 1003 Predigt bei der Messe in Perth 1009 Montag, 1. Dezember Predigt bei der Eucharistiefeier in Victoria, Seychellen 1015 III. Ansprachen> Predigten, Botschaften und Rundschreiben Januar Der Friede, Wert ohne Grenzen — Nord-Süd, Ost-West: ein einziger Friede Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 1027 Friede — „ein Wert ohne Grenzen“ Predigt bei der Messe zum 19. Weltfriedenstag am 1. Januar 1037 Neuevangelisierung Europas dringlich Botschaft an die Bischofskonferenzen Europas vom 2. Januar 1041 Der Mensch weiß einiges von sich, vieles jedoch nicht Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Kongresses über „Die Seele in der Lehre des hl. Thomas“ am 4. Januar 1046 „Völker wandern zu deinem Licht“ Predigt beim feierlichen Gottesdienst am Fest der Erscheinung des Herrn, 6. Januar 1051 Berufungen erwachsen aus Familie und Pfarrei Botschaft zum Weltgebetstag für geistliche Berufe am Sonntag, 20. April, vom 6. Januar 1053 „Im UNO-Friedensjahr will die Kirche einen besonderen Beitrag zum Frieden anbieten“ Ansprache beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps am 11. Januar 1059 XXIII Die Taufe Jesu — endgültiger Übergang vom Alten zum Neuen Testament Predigt bei der Messe und Taufe in der Sixtinischen Kapelle am 12. Januar 1073 Eine Brücke zur modernen Welt Ansprache an die Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Kultur am 13. Januar 1076 Grußwort an Vorstand und Angestellte der „Swissair“ am 17. Januar 1079 Ansprache an den italienischen Staatspräsidenten Francesco Cossiga anläßlich seines offiziellen Besuches im Quirinal am 18. Januar 1080 Friedensgebet für den Libanon 19. Januar 1084 Rom — Erbe der ganzen Menschheit Ansprache beim Neujahrsempfang für den Oberbürgermeister und die Mitglieder der römischen Stadtregierung am 23. Januar 1084 Die besondere Berufung der Laien im Ordensstand Ansprache an die Vollversammlung der Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute am 24. Januar 1088 Zum Gebetstag nach Assisi eingeladen Predigt beim Gottesdienst zum Abschluß der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen in der Basilika St. Paul vor den Mauern am 25. Januar 1092 Tötung ungeborener Kinder unter Mitwirkung des Staates Ansprache bei der Audienz für Repräsentanten der italienischen „Bewegung für das Leben“ am 25. Januar 1097 „Solidarität für leprakranke Brüder“ 26. Januar 1099 „Freundschaftliches Verhältnis zwischen Staat und Kirche“ Ansprache an den neuen Botschafter des Fürstentums Liechtenstein beim Hl. Stuhl, Prinz Nikolaus von Liechtenstein, am 27. Januar 1100 Teilhabe am Petrusamt Ansprache an die Sacra Romana Rota zur Eröffnung des neuen Gerichtsjahrs am 30. Januar 1102 XXIV Februar „Ihr seid hochherzige Zeugen des Wortes Christi“ Botschaft an den Nationalkongreß der Kirche in Kuba vom 11. Februar 1106 „Die Zeit Gottes, der zu uns spricht“ Predigt beim Aschermittwochsgottesdienst in der Basilika Santa Sabina am 12. Februar 1108 Differenzierte Ursachenforschung nötig Ansprache an die Teilnehmer des 2. Internationalen Kongresses gegen den Hunger und zur Verteidigung des Rechtes auf Leben am 13. Februar 1110 „Mög^n sich eure Hände öffnen, um zu teilen“ Botschaft des Heiligen Vaters zur Fastenzeit 1986 vom 13. Februar 1114 „Das Konzil lebendig gemacht“ Schlußworte nach den Exerzitien im Vatikan am 22. Februar in der Mathildenkapelle 1115 Das Konzil hat neue Wege eröffnet Ansprache beim Besuch der 26. Vollversammlung der Italienischen Bischofskonferenz in der Domus Mariae in Rom am 26. Februar 1117 Kirche sollte direkt auf „Medien-Kanzel“ präsent sein Ansprache an die Vollversammlung der Päpstlichen Kommission für die sozialen Kommunikationsmittel am 27. Februar 1122 „In die Sichtweise der Kirche eintreten, wenn man von der Kirche spricht“ Ansprache bei der Audienz für italienische und ausländische Journalisten am 28. Februar 1125 März Dem Leben gegenüber „ein lebendiges Ja“ Ansprache an die Teilnehmer des von der Internationalen Vereinigung für das Recht auf Leben veranstalteten Seminars „Pro Vita“ am 1. März. 1130 Ein Akt „sinnloser Gewalt“ Beileidstelegramm an den schwedischen König Carl XVI. Gustaf anläßlich der Ermordung des Premierministers Olof Palme vom 2. März 1132 XXV Mutig sein bedeutet geduldig sein Ansprache an den römischen Klerus am 4. März 1132 Kräfte, die Indiens Zukunft gestalten Schreiben an die vom 9. bis 16. März in Bangalore tagende Nationalkonferenz über die Kultur in Indien vom 4. März 1137 Viele fanden „Hafen des Friedens“ Ansprache beim offiziellen Besuch Ihrer Exzellenz Mme. Jeanne Sauve, Generalgouverneur von Kanada im Vatikan am 6. März 1141 „Sache des Friedens und des Überlebens“ Ansprache an italienische Militärkapläne am 10. März 1145 Begegnung in einer Atmosphäre des Gebets und der Reflexion Ansprache an die zu Gesprächen mit Papst und Kurie im Vatikan versammelten Vertreter der Brasilianischen Bischofskonferenz am 13. März 1149 Dialog kann nicht tief genug gehen Ansprache zum Abschluß der dreitägigen Beratungen mit den brasilianischen Bischöfen im Vatikan am 15. März 1156 Sacerdotii nostri primordia Schreiben an alle Priester der Kirche zum Gründonnerstag 1986 vom 16. März 1161 Der Mensch braucht etwas, das über die Arbeit hinausgeht Ansprache an die Arbeiter und Arbeiterinnen von Prato am Fest des hl. Josef, 19. März 1177 Tiefer Zusammenhang zwischen menschlicher und göttlicher Vaterschaft Predigt bei der Eucharistiefeier in Prato am Fest des hl. Josef, 19. März. 1184 Von der Versöhnung Zeugnis geben Predigt beim Wortgottesdienst mit Mitgliedern einer ökumenischen Arbeitsgruppe aus den Niederlanden in der Kapelle Urbans VIII. am 21. März 1189 Vertrauen auf Gottes Erbarmen Ansprache bei der Privataudienz für die Mitglieder einer ökumenischen Arbeitsgruppe aus den Niederlanden im Anschluß an den Wortgottesdienst in der Kapelle Urbans VIII. am 21. März 1191 XXVI Den Menschen „ein inneres Licht vermitteln“ Ansprache an die Teilnehmer des Generalkapitels der Gesellschaft vom hl. Paulus am 22. März 1193 „Ihr jungen Menschen müßt dem Herrn als erste begegnen!“ Predigt beim Gottesdienst zum „Welttag der Jugend“ am Palmsonntag, 23. März 1197 Über Frieden, Scheinfrieden und den Kampf gegen die Sünde Ansprache an die Teilnehmer des 19. internationalen Kongresses des Instituts für universitäre Zusammenarbeit (UNIV) am 24. März 1201 Heiliges Öl — Zeichen der sakramentalen Kraft Predigt bei der Messe der Ölweihe am Gründonnerstag, 27. März 1206 Schwach und schutzlos geworden wie das Brot Predigt bei der Messe in St. Johann im Lateran am Gründonnerstag, 27. März 1208 „Das Kreuz ist das Wort des ewigen Lebens“ Ansprache nach dem Kreuzweg am Kolosseum am Karfreitag, 28. März. 1211 „Der Tod ist vom Tod besiegt worden“ Predigt bei der Osternachtsmesse am 29. März 1213 Die Auferstehung setzt das Mitwirken des Menschen voraus Osterbotschaft vor dem Segen „Urbi et Orbi“ am Ostersonntag, 30. März 1215 April „Christ sein heißt glauben und wachsen“ Ansprache an eine Gruppe von Jugendlichen aus Luxemburg am 4. April 1218 Das Wort Gottes „lebendig und kraftvoll“ Ansprache an das Exekutivkomitee des Katholischen Weltverbandes für das Bibelapostolat am 7. April 1220 „Erziehung zur Befreiung durch Erziehung zur Freiheit“ Schreiben an die Vollversammlung der Brasilianischen Bischofskonferenz vom 9. April 1222 XXVII Den Weg zu Glaube und Umkehr freilegen! Ansprache an die Teilnehmer des 5. Symposions des Rates der Europäischen Priesterräte am 10. April 1232 „Niemals ein Kompromiß mit dem Irrtum!“ Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses für Moraltheologie am 10. April 1235 Auf der Suche nach demselben Ziel Ansprache an die Teilnehmer am internationalen Dialog zwischen Vertretern des Weltkirchenrates und der Dikasterien der Römischen Kurie am 11. April 1240 „Ihr seid unsere älteren Brüder“ Ansprache anläßlich des Besuches der römischen Synagoge am Sonntag, 13. April 1242 Eine Liebe, die „über alles hinausging“ Predigt bei der Heiligsprechung des seligen Franziskus Antonius Fasani am 13. April 1248 Erstbeichte und Generalabsolution: Seelsorgepraxis nach den Weisungen ausrichten! Ansprache an die Vollversammlung der Kongregation für die Sakramente am 17. April 1253 Dem christlichen Erbe Europas wieder Bedeutung verleihen Ansprache an den internationalen Kongreß über „Das christliche Erbe der europäischen Kultur im zeitgenössischen Bewußtsein“ am 21. April 1257 Spirituale Militum Curae Apostolische Konstitution über die Militärseelsorge vom 21. April 1260 Beispiel der Treue zu Christus Schreiben an die Kirche von Peru anläßlich des 400. Geburtstages der hl. Rosa von Lima vom 23. April 1265 „Man kann Christus nicht töten!“ Ansprache an eine Gruppe albanischer Flüchtlinge am 27. April 1268 Mai „Neuanfang für euer religiöses Leben“ Ansprache bei der Audienz für die Teilnehmer der Fatima-Pilgerfahrt katholischer Verlage in Deutschland am 3. Mai 1270 XXVIII Gemeinde bedeutet Gemeinsamkeit Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Kongresses der „neuen Pfarreien“ der Fokolar-Bewegung am 3. Mai 1271 Von der Fähigkeit „zu sehen “ Ansprache bei der Audienz für die Teilnehmer am 25. Weltkongreß für Augenheilkunde am 5. Mai 1276 Ein Dienst „in der Nähe des Petrusgrabes“ Predigt bei der Messe für die Schweizergarde in der Sixtinischen Kapelle am 6. Mai 1281 Soziale Kommunikationsmittel und christliche Bildung der öffentlichen Meinung Botschaft zum 20. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel am 11. Mai.1282 Zu viele wissen wenig oder gar nichts von Christus Ansprache an die Vollversammlung des Obersten Rates der vier Päpstlichen Missionswerke am 13. Mai 1287 „Beherzte Glaubenszeugen Christi“ Schreiben an Kardinal Jozef Tomko, päpstlicher Legat bei der Jubiläumsfeier für die Märtyrer in Uganda, vom 13. Mai 1291 Beharrlich Berufungen fördern Botschaft an die Bischöfe der Vereinigten Staaten von Amerika vom 14. Mai 1292 „Fahrt fort, das Land Christi zu lieben!“ Ansprache an den Rat des Ordens der Ritter vom Hl. Grab in Jerusalem am 15. Mai 1295 „Ererbte kulturelle Eigenart erhalten!“ Ansprache an Vertreter der Sinti und Roma am 16. Mai 1297 Anzeichen für „eine neue, gesunde Generation“ Ansprache an das Generalkapitel der vom hl. Johannes Baptist de La Salle gegründeten Kongregation der christlichen Schulbrüder am 16. Mai.. 1297 Auf immer vollkommenere Weise „Kirche sein“ Predigt bei der Pfingstvigil am 17. Mai 1301 XXIX Enzyklika Dominum et vivificantem über den Heiligen Geist im Leben der Kirche und der Welt vom 18. Mai 1307 „Möge jedes Kind geboren werden...“ Grußwort zum Welttag der Kinder am 19. Mai 1390 „Alle Kräfte der Nation mobilisieren!“ Predigt bei der Eucharistiefeier mit den zur Vollversammlung der Italienischen Bischofskonferenz nach Rom gekommenen italienischen Erzbischöfen und Bischöfen am 20. Mai 1391 „Um jeden Preis Christus treu geblieben“ Botschaft an die Kirche in Uganda anläßlich des Hundertjahr-Jubiläums der ugandischen Märtyrer vom 21. Mai 1395 Marienverehrung — ein wunderbares Lebensprogramm Ansprache an die Mitglieder des Generalkapitels des Mercedarier-Or- dens am 22. Mai 1397 Christliches Beten ist Teilhabe am Gebet Christi Ansprache an die 7. Vollversammlung der internationalen Union der Ordensoberinnen am 22. Mai 1400 Mit dem unauslöschlichen Zeichen besiegelt Predigt bei Messe und Priesterweihe am Dreifaltigkeitssonntag, 25. Mai 1403 Für eine Spiritualität und Ethik des Familienlebens Schreiben an die Teilnehmer des Treffens „Worldwide Marriage Encounter“ in Tampa (USA) vom 28. Mai 1406 Das eucharistische Opfer Christi auf den Straßen verkünden Predigt beim Fronleichnamsgottesdienst vor der Basilika San Giovanni im Lateran am 29. Mai 1408 „Stets im Dienst des Menschen “ Ansprache an die Teilnehmer eines Studienseminars der „Baden-Badener Unternehmergespräche“ am 31. Mai 1410 „Für Altar und Herdfeuer“ Ansprache an die Teilnehmer der Romfahrt der Wiener Studentenverbindung „Austria“ am 31. Mai 1412 XXX „Gottes erbarmende Liebe...“ Grußwort an die Missionarinnen der Nächstenliebe in der Audienz am 31. Mai 1413 Die eheliche Liebe an Christi Vorbild orientieren Ansprache an die Teilnehmer des 3. Internationalen Kongresses für die Familie in Afrika und Europa vom 31. Mai 1413 Juni 25 Jahre „Päpstliches Liturgisches Intsitut“ Ansprache bei dem Besuch in Sant’ Anselmo auf dem Aventin am 1. Juni 1415 Dienst unter dem Zeichen des Glaubens Ansprache an die Priester-Alumnen der Päpstlichen Diplomatenakademie am 2. Juni 1420 Eure Friedensarbeit ist noch nicht beendet Ansprache bei Überreichung des Internationalen Friedenspreises „Johannes XXIII.“ an das Katholische Flüchtlingshilfswerk (COERR) der Thailändischen Bischofskonferenz am 3. Juni 1422 Umweltschutz: „Verantwortung für den Menschen von morgen“ Ansprache am 4. Juni 1429 Ein mutiges und unternehmungslustiges Volk Ansprache bei der Überreichung des Beglaubigungsschreibens des Botschafters der Niederlande, Baron Seger Jan Josph van Voorst tot Voorst, am 5. Juni 1430 In der Welt heiligmäßig leben! Ansprache an die Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Laien am 7. Juni 1433 Im leidenden Menschen Christus sehen Ansprache bei der Audienz für die Nationale Italienische Bruderschaft der Barmherzigkeit am 14. Juni 1437 „Der Heilige Geist wirke in euren Herzen“ Predigt bei der feierlichen Messe und Firmung am 15. Juni 1440 Sorge um inhaftierte Landsleute Ansprache am 18. Juni 1444 XXXI „Die lebendige und tätige Person Christi suchen“ Ansprache an den Internationalen Rat des Säkularordens der Franziskaner vom 19. Juni 1444 Technisch ist heute die Ernährung der ganzen Menschheit möglich Ansprache an die Teilnehmer einer von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften veranstalteten Studienwoche am 20. Juni 1447 Bischof Meinhard und seine Nachfolger: mutige und kluge Missionare Botschaft an Monsignore Michele Maccarrone, Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften und Organisator des internationalen Kolloquiums über die Christianisierung Lettlands vor 800 Jahren vom 21. Juni 1449 „Den edlen Auftrag eines angesehenen Instruments der Information erfüllen“ Schreiben zum 125jährigen Bestehen des „Osservatore Romano“ vom 21. Juni 1451 Ein „Projekt Mensch“ als Ausdruck christlicher Nächstenliebe Predigt bei der Einweihung des Italienischen Solidaritätszentrums „Paul VI.“ für Drogenabhängige am 21. Juni 1451 Glaubenszeugnis in militärischer Umgebung Ansprache an die Bischöfe des zentralen Verbindungsbüros der Militärordinariate und an den Vorstand des Internationalen Militärapostolats am 21. Juni 1456 An P. Wilhelm Möhler erinnert Predigt bei Eucharistiefeier in der Kirche San Salvatore in Onda anläßlich des Besuches im Generalat der Pallottiner am 22. Juni 1458 Vielfältiges Wirken belgischer Landsleute in Rom Ansprache an die belgische Gemeinde von Rom in der Kirche San Giulia- no dei Fiamminghi am 22. Juni 1463 Eine tausendjährige christliche Tradition Ansprache an den neuen Botschafter des Königreichs Dänemark beim Hl. Stuhl, Troels Munk, anläßlich der Übergabe seines Beglaubigungsschreibens am 23. Juni 1466 XXXII Kirchliche Gemeinschaft Schreiben an den Patriarchen von Alexandrien, Stephanos II. Ghattas, vom 23. Juni 1469 Viele unvergeßliche Bekenner des Glaubens Predigt bei der Messe anläßlich der 800-Jahr-Feier der Christianisierung Lettlands am 26. Juni 1470 „Wiedergeburt Lettlands in Christus“ Ansprache an die Teilnehmer einer Wallfahrt aus Anlaß des 800-Jahr-Jubiläums der Evangelisierung Lettlands am 26. Juni 1475 Meinungen entgegentreten, die dem Menschen schaden Ansprache an eine Delegation des Verbandes der katholischen Journalisten Belgiens am 26. Juni 1477 Wo der Mensch sich selbst wiederfindet Ansprache an die Teilnehmer des „Nova Spes“-Kongresses am 27. Juni 1478 Vor allem „Wiederevangelisierung Europas“ Ansprache anläßlich der europäischen Tagung der Missionare der Auswanderer (UCEI) am 27. Juni 1481 „Verkündigung der Frohbotschaft wird eine tiefe Einheit hervorrufen“ Brief an die Vollversammlung der Bischofskonferenz der Philippinen vom 28. Juni 1485 „Die Kirche muß zu einem Dialog mit der Welt kommen“ Ansprache an die Kardinäle und Mitarbeiter der Römischen Kurie beim Wortgottesdienst in St. Peter am 28. Juni 1488 „Dialog der Liebe“ immer wieder neu Ansprache an die Delegation des ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel am 28. Juni 1499 Durch Gottes Macht von aller Angst befreit Predigt bei der feierlichen Messe am Fest Peter und Paul, 29. Juni 1501 Der Dialog ist die einzige Alternative zur Gewalt Botschaft an den Bürgermeister von Rom, Nicola Signorello, anläßlich des in der Ewigen Stadt veranstalteten Kongresses zum Thema „Der Dialog als universale Grundlage des Friedens“ vom 29. Juni 1505 XXXIII Dienst an den Armen, Gemeinschaftsleben, Ausbildung für die Mission Ansprache an die Teilnehmer der Generalversammlung der Lazaristen am 30. Juni 1508 Juli Niemand darf vom Fortschritt ausgeschlossen bleiben Ansprache an den Präsidenten der Republik Brasilien, Jose Sarney am 10. Juli 1511 Die geistlichen Kräfte immer wieder beleben! Botschaft an die Generalversammlung der Konferenz der Ordensleute Brasiliens vom 11. Juli 1513 Fortsetzung des Dialogs in Verbundenheit mit dem Stuhl Petri Brief an die Bischöfe Perus vom 16. Juli 1519 Zu „Eintracht und Versöhnung“ aufgerufen Botschaft an die außerordentliche Versammlung der Bischöfe Perus vom 16. Juli 1521 „Der Arme ruft, und Gott erhört ihn“ Predigt in der Messe für Schweizer Gardisten und Polizeibeamte in Castel Gandolfo am 27. Juli 1523 August „Eine der bedeutendsten Gestalten der Kirche unserer Zeit ist dahingegangen“ Homilie bei der Totenmesse für Kardinal Carlo Confalonieri am 4. August 1525 „Gnadenzeit der Kirche Lettlands“ Botschaft an die katholische Gemeinde in Lettland vom 6. August 1529 Die Nachricht darf sich nicht von der Wahrheit lösen Botschaft an die Teilnehmer des 7. Treffens für die Freundschaft unter den Völkern in Rimini vom 6. August 1530 Das Reich Gottes ist nicht „für Teilnahmslose, Zerstreute und Oberflächliche“ Predigt bei der Messe für die „Route Nazionale“ der italienischen Pfadfinder in den Abruzzen am 9. August 1533 XXXIV „Ja, der rettende Sieg ist da“ Predigt in Castel Gandolfo am Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel am 15. August 1538 Die Not der ausgewanderten Familien Botschaft des Papstes zur Feier des diesjährigen Welttages der Migranten vom 15. August 1541 „Dein Reich komme!“ — eine Botschaft der Hoffnung, des Glaubens und der Liebe Schreiben an Bischof Dr. Klaus Hemmerle anläßlich des 89. Deutschen Katholikentages in Aachen vom 15. August 1548 Apostolisches Schreiben Augustinum Hipponensem zum 1600. Jahrestag der Bekehrung des hl. Augustinus, Bischof und Lehrer der Kirche, vom 28. August 1551 „Man muß glauben, aber man muß auch handeln“ Predigt bei der Eucharistiefeier in Anagni am 31. August 1584 September Alphabetisierung ist „bessere Kommunikation“ Botschaft zum Welttag der Alphabetisierung vom 1. September 1589 Mit Hilfe christlicher Wissenschaftler eine „Pastoral des Denkens“ entwickeln Ansprache an die Teilnehmer eines wissenschaftlichen Kolloquiums am 5. September 1590 Das Kreuz steht am Beginn des Heils Predigt bei der Eucharistiefeier in Aprilia am 14. September 1593 „Non vincit, nisi veritas — nur die Wahrheit kann siegen“ Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses über den hl. Augustinus im Patristikinstitut „Augustinianum“ am 17. September.. 1597 Ein Gott, der um das Schicksal des Menschen „besorgt“ ist Predigt bei der Eucharistiefeier für die internationale Vereinigung der Aussätzigenhilfswerke „Freunde der Leprakranken“ in St. Peter am 21. September 1603 XXXV Naturerscheinungen studieren, um Katastrophen zuvorzukommen Ansprache an die Teilnehmer einer Studienwoche der Päpstlichen Aka-diemie der Wissenschaften am 26. September 1608 Zwei Drittel der Menschheit im Elend Brief an die Tagung der Konferenz der Vereinten Nationen über Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf vom 26. September 1610 „Den Glauben habe ich bewahrt“ Predigt bei der Gedächtnismesse für die Päpste Paul VI. und Johannes Paul I. in St. Peter am 28. September 1612 „Der heilige Erzengel beschütze alle Römer!“ Ansprache bei der Weihe der Engelsstatue auf der Engelsburg am 29. September 1615 Oktober Kommunikation ein Akt der Liebe Ansprache an die Teilnehmer des 21. Verwaltungssymposions der Europäischen Rundfunkunion am 3. Oktober 1617 Vor allem Verkünder des inneren Friedens „Tonbandbotschaft“ des Papstes an die Jugendlichen der Katholischen Aktion Italiens in Assisi am 4. Oktober 1619 Die Herz-Jesu-Verehrung in geeigneter Weise fördern Brief an den Generaloberen der Gesellschaft Jesu vom 5. Oktober 1620 Eltern können fordern: Erziehung muß mit kirchlicher Lehre übereinstimmen Ansprache an die Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Familie am 10. Oktober 1622 „Nicht nachlassen in den Anstrengungen für die Einheit der Christen“ Ansprache an die Mitglieder des Salzburger Komitees der Stiftung „Pro Oriente“ am 10. Oktober 1626 „Eine Seele, immer bereit zu hören“ Predigt bei der Heiligsprechung des seligen Giuseppe Maria Tomasi am 12. Oktober 1627 Wahre Kunst hilft geistige Wirklichkeit erfassen Ansprache an den Kongreß der Internationalen Gesellschaft Christlicher Künstler am 14. Oktober 1631 XXXVI Uber die Seminarausbildung in den Missionen Ansprache an die Vollversammlung der Kongregation für die Evangelisierung der Völker am 17. Oktober 1635 Mit allen Mitteln die Wahrheit über den Menschen fördern Ansprache an die Repräsentanten der Kulturwelt im Palazzo Vecchio in Florenz am 18. Oktober 1638 Missionswerke bauten „Brücken der Solidarität“ Botschaft zum Weltmissionssonntag am 19. Oktober, veröffentlicht am 18. Mai 1648 Die Heiligen — wo andere wanken, halten sie stand Predigt bei der Seligsprechung der ehrwürdigen Teresa Manetti in Florenz am 19. Oktober 1653 „Mit den Afrikanern Afrikaner werden“ Ansprache an die Mitglieder des Generalkapitels der Weißen Vater am 23. Oktober 1658 Für die Kranken „Werke der Barmherzigkeit“ tun! Ansprache an die Teilnehmer der internationalen Konferenz über „Heilmittel für das menschliche Leben“ am 24. Oktober 1661 Eine gemeinsame Verpflichtung für den Frieden Ansprache zu Beginn des Weltgebetstags der Religionen für den Frieden in der Basilika Santa Maria degli Angeli in Assisi am 27. Oktober 1665 Der Friede ist ein Geschenk Gottes Ansprache beim Gebetstreffen der christlichen Konfessionen und Gemeinschaften in der San-Rufino-Kathedrale in Assisi am 27. Oktober... 1668 „Friede trägt den Namen Jesu Christi“ Ansprache zum Abschluß des Weltgebetstags der Religionen für den Frie- den vor der Franziskus-Basilika in Assisi am 27. Oktober 1670 Neuer Dialog zwischen der Kirche und der Welt der Wissenschaft Ansprache an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften anläßlich ihres 50jährigen Bestehens am 28. Oktober 1676 November Zu „Stellvertretern und Gesandten Christi“ bestellt Botschaften an die Jahresvollversammlung der US-amerikanischen Bischöfe in Washington vom 4. November 1686 XXXVII wenden! „Ein Band, das uns trotz unserer Unterschiede zu Brüdern macht“ Ansprache an die Teilnehmer des II. Internationalen Theologischen Gesprächs zwischen Christen und Juden am 6. November 1690 Weltraumtechnologie nur im Rahmen eines „neuen Humanismus“ an- Ansprache an Delegierte der „Inter Agency Consultative Group“ am 7. November 1692 Gemeinsamer Dienst am Menschen Botschaft an den Episkopat von Burundi vom 10. November 1696 Die Frage nach dem Sinn des Lebens beantworten helfen Ansprache an die Vollversammlung der Kongregation für das Katholische Bildungswesen am 13. November 1700 Instrument und wichtige Hilfe zur Gewährleistung der Einheit des Glaubens Ansprache an die Mitglieder der Päpstlichen Kommission zur Vorbereitung eines neuen Katechismus für die Gesamtkirche am 15. November. 1704 „Menschenwürdig, sachbezogen und kompromißbereit miteinander umgehen!“ Ansprache an Kommunalpolitiker des Landkreises Dillingen am 17. No- vember 1706 „Eucharistie — Quelle der Einheit und der Versöhnung“ Botschaft an die Bischöfe und Gläubigen von Nicaragua anläßlich des Eu-charistischen Kongresses in Managua (17.-23. November 1986) vom 12. November 1708 Dezember „...damit sich Werke der Menschen nicht gegen den Menschen richten“ Gebet an der Mariensäule auf dem Spanischen Platz in Rom am Fest der Immaculata, 8. Dezember 1712 Advent bedeutet das Kommen des Erlösers Predigt bei der Messe in der Basilika Santa Maggiore am Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens am 8. Dezember 1713 XXXVIII Arbeit auf den Menschen abstimmen Ansprache an die Teilnehmer einer Tagung zum 5. Jahrestag der Veröffentlichung der Enzyklika „Laborem exercens“ am 13. Dezember 1716 Der lateinischen Sprache sich widmen Ansprache an die Mitglieder und Freunde der Stiftung „Latinitas“ und an die Teilnehmer am XXIX. „Certamen Vaticanum“ am 15. Dezember 1720 Weltkirche zählt auf den Beitrag belgischer Priester Predigt bei der Eucharistiefeier im Belgischen Kolleg in Rom am 21. Dezember 1722 Friedensgebet in Assisi — ein Zeichen der Einheit Weihnachtsansprache an die Kardinäle und die Römische Kurie am 22. Dezember 1725 Das Geschehen der Weihnacht ist nur den Augen des Glaubens zugänglich Predigt bei der Christmette in der Peterskirche am 24. Dezember 1733 „Allein das Gebet und nur das Fasten“ Weihnachtsbotschaft vor dem Segen „urbi et orbi“ auf dem Petersplatz am 25. Dezember 1736 Gnade, aber auch große Verantwortung Silvesterpredigt in der römischen Kirche „II Gesü“ am 31. Dezember.... 1738 W. Ad-limina-Besuche Afrika 3. Oktober (Nordafrika) 1743 Antiochien 23. Juni 1748 Burkina-Faso und Niger 14. Juni 1752 XXXIX Indien 20. Juni 1756 22. November 1760 Irak 14. Februar 1764 Italien 12. April (Latium) 1766 26. April (Basilikata) 1772 5. Mai (Emilia-Romagna) 1776 11. Oktober (Kalabrien) 1783 11. Dezember (Kampanien) 1788 18. Dezember (Lombardei) 1794 Korea 18. November 1800 Spanien 17. Oktober 1805 Taiwan 8. November 1808 V. Erklärungen der Kongregationen Leitlinien der Kongregation für das Katholische Bildungswesen für die Ausbildung der künftigen Priester in den Medien der sozialen Kommunikation vom 19. März 1817 Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre über die christliche Freiheit und die Befreiung vom 22. März 1867 Klarstellung zu der am 8.4.1986 von Kardinal Augustin Mayer, dem Präfekten der Gottesdienstkongregation, gemachten Erklärung vor der Presse vom 11. April 1922 Als Theologe nicht geeignet, wer vom Lehramt abweicht Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre an Prof. Curran von der kath. Universität in Washington vom 25. Juli 1922 XL Prof. Schillebeeckx vom 15. September 1925 Mit dem Glauben der Kirche nicht im Einklang Notifikation der Kongregation für die Glaubenslehre zu einem Buch von Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Seelsorge für homosexuelle Personen vom 1. Oktober 1929 VI. Anhang Ist die gegenseitige Anerkennung der Ämter möglich? Dokumente zum katholisch-anglikanischen Dialog 1945 Gemeinsames Zeugnis für das Evangelium Gemeinsame Presseerklärung des Vatikans und des Ökumenischen Rates vom 15. April 1953 Sekten und neue religiöse Bewegungen — Eine Herausforderung für die Seelsorge Zwischenbericht erstellt auf der Grundlage der bis Oktober 1985 eingegangenen Antworten (ungefähr 75) und Dokumente der regionalen und nationalen Bischofskonferenz Sekretariat für die Einheit der Christen — Sekretariat für die Nichtglaubenden — Sekretariat für Nichtchristen und Päpstlicher Rat für Kultur vom 7. Mai 1955 Die Organe der Römischen Kurie Stand: August 1986 1979 Für Friede und Gerechtigkeit in Südafrika Reaktion des Papstes auf Mißhandlung des Sekretärs der Südafrikanischen Bischofskonferenz — Telegramm an Erzbischof Hurley vom 31. August 1986 Dem Rüstungswettlauf ein Ende setzen! Schreiben von Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli an den Ministerpräsidenten von Zimbabwe, Robert G. Mugabe, Präsident des achten Gipfeltreffens der Bewegung Blockfreier Staaten vom 1. September 1987 XLI Den „Geist von Helsinki“ neu aufleben lassen Intervention von Erzbischof Silvestrini auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa am 4. November 1988 Wortregister 1997 Personenregister 2115 Länder- und Ortsregister 2135 Zitierte Bibelstellen 2153 Quellenverezeichnis der Zitate 2169 Abkürzungen 2191 XLII Angelus und Generalaudienzen AUDIENZEN UNDANGELUS Im Namen Christi laßt uns beginnen Angelus am 1. Januar 1. Dir, der du der Anfang ohne Anfang bist, einziger Gott, dir, der du Wahrheit und Liebe, Allmacht und Erbarmen bist, überantworten wir heute diesen neuen Anfang unserer menschlichen Zeitrechnung: das Jahr 1986. Sei du in ihm gegenwärtig und wirke - denn in dir „leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,28). 2. Wir verbinden diesen ersten Tag des neuen Jahres mit der Geburt des Wortes auf Erden, des Sohnes, den du, o Vater, der Menschheit gegeben hast, damit er einer von uns sei. Heute bezeigen wir besondere Verehrung und zärtliche Liebe für die Mutterschaft der Jungfrau von Nazaret, die du, o Ewiger Vater, erwählt hast, die Mutter deines Sohnes zu sein durch das Wirken des Heüigen Geistes, der Eure Liebe im Geheimnis der unerforschlichen Dreifaltigkeit ist. 3. Wir grüßen dich, neues Jahr; vom heutigen Tag an beginnst du dich in der Geschichte der gesamten Menschheit und zugleich in der inneren Geschichte jedes einzelnen von uns einzuschreiben. Wir wenden uns an dich, neues . Jahr, mit den Worten der heutigen Liturgie: „Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende dir sein Angesicht zu und gewähre dir Heil“ (Num 6,24-26). Diese guten Wünsche tauschen wir zu Beginn des neuen Jahres gegenseitig aus: die einzelnen, die Nationen untereinander, die Kirche mit der Welt. Im Namen Jesu Christi laßt uns beginnen. Sein Name bedeutet: „Gott ist Heil.“ 3 A UDIENZEN UND ANGELUS Ein Jahr „im Geist der Brüderlichkeit“ Angelus am 5. Januar 1. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus“ (Eph 1,3), beten wir heute mit den Worten des Epheserbriefes. Er sei gepriesen, denn „er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel. Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt . . er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus“ (Eph 1,3-5). 2. Zum Angelusgebet zusammengekommen, wollen wir noch einmal über das freudenreiche Geheimnis von Weihnachten nachdenken. Es ist das ewige Geheimnis in Gott: die ewige Geburt. Der Vater und das Wort: der Sohn, der eines Wesens mit dem Vater ist. Der Vater und der Sohn vereint im Heiligen Geist. Das ist das Geheimnis von Bethlehem in der Geschichte der Menschheit: die Geburt des Gottessohnes von der Jungfrau durch den Heiligen Geist. „Der Name der Jungfrau war Maria“ (Lk 1,27). Es handelt sich zudem um das innerste Geheimnis des Menschen: Gott wird als Mensch geboren, damit der Mensch durch Gottes Gnade als „Adoptivkind“ Gottes geboren werden kann. Die Weihnachtszeit bringt uns diesem dreifachen Geheimnis Gottes näher: diesem dreifachen Geborenwerden, das den Mittelpunkt der Frohbotschaft und damit unseres christlichen Daseins bildet. 3. Schließen wir uns der Muttergottes bei der Betrachtung dieser „großen Taten Gottes“ (vgl. Apg 2,11) an. Und beten wir, daß der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, uns einen Geist der Wahrheit und der Offenbarung schenken möge, damit wir zur tieferen Erkenntnis von ihm gelangen (vgl. Eph 1,17). Laßt uns beten, daß er die Augen unseres Herzens erleuchte, damit wir begreifen, zu welcher Hoffnung er uns berufen hat, und sehen, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen bereithält (vgl. Eph 1,18). Es ist unabdingbar, daß die Augen unseres Herzens erleuchtet werden, damit Weihnachten für uns zur wahren Erscheinung Gottes werde. So wie es das für die Hirten, für die Sterndeuter als dem Morgenland, für Simeon und Anna, für Johannes den Täufer und für die Apostel war: der 4 AUDIENZEN UND ANGELUS in seinem Erbe für die Heiligen enthaltene Reichtum der Heiligkeit (vgl. Eph 1,18). Nach dem Angelus richtete der Papst zuerst Grußworte vor allem an die Kinder sowie an die Mitglieder des Zirkus „Moira Orfei“, die mit Elefanten und Kamelen (den Tieren, auf denen die Magier gemäß der Überlieferung nach Bethlehem gekommen waren) auf dem Petersplatz aufgezogen waren. Dann ein Neujahrswunsch für alle Anwesenden: Allen meine besten Wünsche für ein glückliches Jahr 1986! Möge es in voller Zugehörigkeit zum Glauben an Jesus Christus und im Geist der Brüderlichkeit, der Solidarität und des Friedens mit allen Menschen gelebt werden. „ Wir haben seinen Stern gesehen“ Angelus am 6. Januar 1. „Wir haben seinen Stern auf gehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen“ {Mt 2,2). Mit diesen Worten verlangen die Sterndeuter, die aus dem Morgenland nach Jerusalem gekommen waren, Auskunft über den „neugeborenen König der Juden“; diese Worte wiederholen auch wir heute, am Fest der Erscheinung des Herrn, wo den Völkern, die in der Finsternis des Heidentums leben, Jesus als der Messias, als Sohn Gottes und Erlöser, offenbar wird. Wir wollen unserer aufrichtigen Freude darüber Ausdruck geben, daß dieses der christlichen Volksfrömmigkeit so teure Fest in Italien wiedereingeführt worden ist, womit den Gläubigen die Möglichkeit gegeben wird, es noch voller und fröhlicher in seinen echten religiösen und liturgischen Inhalten zu feiern. Die Sterndeuter als Vertreter der heidnischen Völker sind ein Vorbild für unser Suchen nach Gott; denn sie nehmen in den Zeichen der Schöpfung die schweigende Gegenwart Gottes wahr. Um die Wahrheit zu finden, die sie nur unklar geahnt haben, begeben sie sich auf eine Reise, die voller Ungewißheiten und Gefahren ist; am Ende ihres Weges steht eine Entdeckung und ein Akt tiefer Huldigung für das Jesuskind, das sie mit seiner Mutter sehen: sie bringen ihm ihre Schätze dar und empfangen als 5 AUDIENZEN UNDANGELUS Gegengabe das unschätzbare Geschenk des Glaubens und der christlichen Freude. Hören wir die Predigt des hl. Basilius des Großen: „Beim bloßen Anblick des Sternes wurden die Magier von unermeßlicher Freude erfüllt. Nehmen auch wir in unserem Herzen jene große Freude an . . . Beten wir zusammen mit den Magiern das Kind an. . . Gott der Herr ist unser Licht: nicht in der Gestalt Gottes, um nicht unsere Schwachheit zu erschrecken, sondern in der Gestalt des Knechtes, um denen die Freiheit zu bringen, die sich in Knechtschaft befanden. Wer wäre so gefühllos, so undankbar, daß er nicht die Freude verspürte, seinem eigenen Jubel mit Geschenken Ausdruck zu verleihen? . . . Der Stern geht am Himmel auf, die Magier verlassen ihr Land, die ganze Erde findet sich in einer Grotte ein. Da darf es keinen geben, der nicht etwas mitbringt, keinen, der nicht dankbar ist“ (6. Homilie: PG 31, 1471 f.). Die Sterndeuter sollen uns Führer sein, damit unser täglicher Weg stets Jesus, den ewigen Sohn Gottes und zugleich Sohn Mariens, zum Ziel hat. 2. Heute nachmittag werde ich in der Petersbasilika die Weihe sieben neuer Bischöfe aus verschiedenen Teilen der Welt vornehmen. Ein wichtiges und bedeutsames Ereignis, weil, wie das Zweite Vatikanische Konzil versichert, „unter den verschiedenen Dienstämtern, die von den ersten Zeiten her in der Kirche ausgeübt werden, nach dem Zeugnis der Überlieferung das Amt derer einen hervorragenden Platz einnimmt, die zum Bischofsamt bestellt sind und kraft der auf den Ursprung zurückreichenden Nachfolge Ableger apostolischer Pflanzung besitzen“ {LG 20). Ich bitte euch alle, die ihr hier auf dem Platz anwesend seid, und alle, die mich hören, sich meinem inständigen Gebet für die zu weihenden Bischöfe und für die Kirchen und die besonderen Missionsgebiete, die ihrer pastoralen Sorge anvertraut werden sollen, anzuschließen. Die Schöpfung — Zeichen der Liebe Gottes Ansprache bei der Generalaudienz am 8. Januar 1. Bei der unausbleiblichen und notwendigen Betrachtung seines Lebens, die anzustellen sich der Mensch aller Zeiten gedrängt fühlt, erheben sich gleichsam als Widerhall der Stimme Gottes selber machtvoll zwei Fragen: „Woher kommen wir? Wohin gehen wir?“ Wenn die zweite Frage die 6 AUDIENZEN UND ANGELUS letzte Zukunft, das endgültige Ziel betrifft, so bezieht sich die erste Frage auf den Ursprung der Welt und des Menschen und ist ebenso grundlegend. Darum sind wir mit Recht beeindruckt von dem außerordentlichen Interesse, das man dem Problem des Ursprungs einräumt. Es geht dabei nicht allein darum zu wissen, wann und wie der Kosmos materiell entstanden und der Mensch aufgetreten ist, als vielmehr darum, herauszufinden, welchen Sinn dieser Ursprung haben kann, ob dabei der Zufall, das blinde Schicksal oder ein transzendentes, verständiges und gutes Wesen, das Gott genannt wird, waltet. Denn in der Welt gibt es das Böse, und der Mensch, der es erfährt, kann nicht umhin zu fragen, woher es kommt und wer dafür verantwortlich ist und ob es eine Hoffnung auf Befreiung gibt. „Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst?“ fragt zusammenfassend der Psalmist voller Staunen angesichts des Schöpfungsgeschehens (Ps 8,5). 2. Die Frage nach der Schöpfung taucht im Herzen aller auf, des einfachen Menschen ebenso wie des Gelehrten. Man kann sagen, daß die moderne Wissenschaft in enger Verbindung, wenn auch nicht immer in vollem Einklang mit der biblischen Wahrheit von der Schöpfung entstanden ist. Und heute, wo die wechselseitigen Beziehungen zwischen wissenschaftlicher und religiöser Wahrheit besser geklärt sind, nehmen sehr viele Wissenschaftler, auch wenn sie mit Recht durchaus keine geringen Probleme, wie jene der Evolution der Lebenwesen, insbesondere des Menschen, oder das Problem der dem Kosmos selbst in seinem Werden innewohnenden Finalität aufwerfen, eine zunehmend aufgeschlossenere und respektvollere Haltung gegenüber dem christlichen Schöpfungsglauben ein. Damit eröffnet sich also ein heilsamer Dialog zwischen den Möglichkeiten der Annäherung an die Wirklichkeit der Welt und des Menschen, die zwar durchaus als verschieden anerkannt werden, sich aber auf tieferer Ebene treffen zugunsten des einmaligen Menschen, der - wie es auf der ersten Seite der Bibel heißt - als „Abbild Gottes“ und damit als verstandesbegabter und weiser „Beherrscher“ der Welt erschaffen worden ist (vgl. Gen 1,27 f.). 3. Wir Christen erkennen sodann mit tiefem Staunen, wenn auch mit notwendig kritischer Haltung, wie man in sämtlichen Religionen, von den ältesten und bereits verschwundenen bis zu den heute auf unserem Planeten bestehenden, „eine Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins“ sucht: „Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das 7 A UDIENZEN UND ANGELUS Leid? ... Was ist jenes letzte und unsagbare Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“ (NA 1). Entsprechend der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen bekräftigen wir, daß „die katholische Kirche nichts von alledem ablehnt, was in diesen Religionen wahr und heilig ist“, da „sie nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet“ (NA 2). Andererseits ist die biblisch-christliche Schau vom Ursprung des Kosmos und besonders von der Herkunft des Menschen und seiner Geschichte so unleugbar großartig, anregend und originell - und hat seit über zweitausend Jahren eine so beträchtliche Auswirkung auf die geistige, sittliche und kulturelle Formung ganzer Völker gehabt -, daß es zur verpflichtenden und unbedingten Aufgabe jedes Seelsorgers und Katecheten gehört, darüber ausdrücklich, wenn auch nur zusammenfassend zu sprechen. 4. Die christliche Offenbarung zeigt in der Tat einen außerordentlichen Reichtum des Schöpfungsgeheimnisses auf, ein nicht geringes und sehr ergreifendes Zeichen der zärtlichen Liebe Gottes, die sich gerade bei den bedrückendsten Fragen der menschlichen Existenz, also ihrem Ursprung und ihrem künftigen Schicksal, ständig und konsequent, wenn auch in vielfältigen kulturellen Ausdrucksformen, vernehmbar machen wollte. So beginnt die Bibel mit einem ersten und dann mit einem zweiten Schöpfungsbericht, wo der Ursprung von allem — der Dinge, des Lebens, des Menschen - aus Gott (Gen 1-2) mit dem anderen, schmerzlichen Kapitel über die Herkunft der Sünde und des Bösen verknüpft wird, das vom Menschen stammt, der nicht ohne Versuchung des Bösen ist (Gen 3). Aber Gott verläßt eben seine Geschöpfe nicht. So entzündet sich ein Flämmchen der Hoffnung auf die Zukunft einer neuen, vom Bösen befreiten Schöpfung (es handelt sich um das sogenannte Protoevangelium, Gen 3,15 f.; vgl. 9,13). Diese drei Wege - das schöpferische und positive Handeln Gottes, die Auflehnung des Menschen und bereits von Anfang an, von seiten Gottes die Verheißung einer neuen Welt - bilden das Gefüge der Heilsgeschichte, das den Gesamtinhalt des christlichen Glaubens an die Schöpfung bestimmt. 5. Während bei unseren kommenden Katechesen über die Schöpfung die Heilige Schrift als wesentliche Quelle den gebührenden Platz erhalten soll, wird es meine Aufgabe sein, an die große Tradition der Kirche zu erinnern, zunächst mit den Äußerungen der Konzilien und des ordentli- 8 AUDIENZEN UND ANGELUS chen Lehramtes und dann auch in den begeisternden und durchdringenden Reflexionen so vieler Theologen und christlicher Denker. Die Katechese über die Schöpfung, die gleichsam aus einem Weg mit vielen Etappen besteht, wird vor allem deren wunderbares Geschehen berühren, wie wir es zu Beginn des Apostolischen Glaubensbekenntnisses aussagen: „Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Wir werden nachdenken über die geheimnisvolle Hervorrufung der ganzen geschaffenen Wirklichkeit aus dem Nichts, voll Bewunderung für die Allmacht Gottes und zugleich die freudige Überraschung einer kontingenten Welt, die kraft dieser Allmacht existiert. Wir werden erkennen können, daß die Schöpfung das aus Liebe erwachsene Werk der Allerheiligsten Dreifaltigkeit und Offenbarung ihrer Herrlichkeit ist. Dies hebt die legitime Autonomie der geschaffenen Dinge nicht auf, sondern bestätigt sie vielmehr, während dem Menschen als Zentrum des Kosmos in seiner Wirklichkeit als „Ebenbild Gottes“, als geistiges und leibliches Wesen, als Träger von Erkenntnis und Freiheit große Aufmerksamkeit zuteil wird. Andere Themenkreise werden uns später helfen, dieses großartige Schöpfungsereignis, insbesondere die Herrschaft Gottes über die Welt, seine Allwissenheit und Vorsehung zu erforschen und darüber nachzudenken, wie im Licht der treuen Liebe Gottes das Rätsel des Bösen und des Leides seine versöhnende Lösung finden kann. 6. Nachdem Gott dem Ijob seine göttliche Schöpferkraft kundgetan hatte (vgl. Ijob 38-41), antwortete dieser dem Herrn und sagte: „Ich hab’ erkannt, daß du alles vermagst; kein Vorhaben ist dir verwehrt. . . Vom Hörensagen nur hatte ich von dir vernommen; jetzt aber hat mein Auge dich geschaut“ (Ijob 42,2.5). Möge unsere Betrachtung über die Schöpfung uns zur Entdeckung führen, daß Gott im Gründungsakt der Welt und des Menschen das erste universale Zeugnis seiner mächtigen Liebe, die erste Prophezeiung der Geschichte unseres Heiles eingesetzt hat. 9 AUDIENZEN UND ANGELUS Die Taufe Jesu im Jordan Angelus am 12. Januar 1. Am liturgischen Dreikönigsfest wird Weihnachten zur Epiphanie. Der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus hat den Sterndeutern aus dem Osten die Augen des Herzens erleuchtet (vgl. Eph 1,18), so daß sie das Licht des Sternes wahrnahmen. Sie folgten diesem Stern und suchten den, der „geboren werden sollte“ {Mt 2,4). Nachdem sie im Palast des Herodes gewesen waren, kamen sie nach Bethlehem. Die erleuchteten Augen ihrer Herzen ermöglichten ihnen, in dem Kind, das in den Armen Mariens lag, den menschgewordenen Gott zu erblicken. Die Ärmlichkeit des Ortes hat sie daran nicht gehindert. Sie fielen nieder und brachten ihre mitgeführten Gaben dar. Die erleuchteten Augen ihrer Herzen ermöglichten es ihnen, Gott zu huldigen, der, obwohl reich, um der Menschen willen arm geworden ist (vgl. 2 Kor 8,9), und das gleich am Anfang, bereits im Geheimnis seiner Geburt auf Erden. Die drei Sterndeuter aus dem Osten sind die besonderen Zeugen der Epiphanie, der Erscheinung Gottes. 2. Am heutigen Sonntag stellt uns die Kirche einen weiteren Zeugen der göttlichen Epiphanie vor Augen: Johannes den Täufer. Wie erleuchtet sind die Augen seines Herzens, als er beim Anblick Jesu von Nazaret am Ufer des Jordan ausruft: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ {Joh 1,29). Und doch war Jesus an den Jordan gekommen, um sich unter die Sünder zu mischen, die aus der Hand Johannes die Bußtaufe empfingen. Trotz der Proteste Johannes empfängt auch Jesus die Taufe. Johannes wußte jedoch, wer dieser Mann war, der aus seiner Hand die Bußtaufe empfing. Er hatte mit aller Klarheit verkündet: „Es kommt einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen“ (Lk 3,16). 3. Diese beiden Ereignisse, die zeitlich auseinanderliegen, verbindet die Kirche in einer liturgischen Einheit: die drei Sterndeuter, die kurz nach der Geburt Jesu in Bethlehem aus dem Osten kamen, und die Taufe Jesu im Jordan. Der geheimnisvolle Stern hat den Sterndeutern angezeigt, wo das Kind in 10 AUDIENZEN UND ANGELUS Bethlehem geboren war. Die Stimme aus dem Himmel bei der Taufe Jesu im Jordan hat allen verkündet: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe“ {Mt 3,11). Mit diesen beiden Ereignissen beginnt in der Menschheitsgeschichte die endgültige Epiphanie Gottes in Verbindung mit der „Fülle der Zeit“ sich zu entwickeln. Beten wir auf die Fürsprache der Gottesmutter darum, daß wir an der Epiphanie teilhaben dürfen: daß uns die Augen des Glaubens weit geöffnet werden, die uns erlauben, die „großen Werke Gottes“ {Apg 2,11) zu schauen und zu hören. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Ein herzliches Willkommen zur heutigen ersten Audienz im neuen Jahr. Gerade die Vergänglichkeit der Zeit stellt uns immer wieder vor die drängenden Fragen: „Von woher kommen wir? Und wohin gehen wir?“ Die erste Frage forscht ganz allgemein nach dem Ursprung der Welt und des Menschen. Es geht nicht nur darum, unseren geschichtlichen Herkunftsort zu bestimmen, sondern mehr noch um den Sinn unserer Herkunft und der Entwicklung. Es ist letztlich die Frage nach der Schöpfung und dem Schöpfer selber. Viele Wissenschaftler nehmen gegenüber dem christlichen Glauben von der Schöpfung heute eine sehr aufgeschlossene und gesprächsbereite Haltung ein. Zugleich sehen wir Christen mit Freude, daß die Menschen in allen Religionen eine Antwort suchen „auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins . . .: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was ist die Sünde? Woher kommt das Leid . . .?“ {NA 1). Die christliche Offenbarung gibt uns auf diese drängenden und tiefsten Fragen unserer menschlichen Existenz schon auf den ersten Seiten der Bibel, im Schöpfungsbericht, die entscheidenden Antworten. Sie sagt uns, daß alles Bestehende in Gott seinen Ursprung hat, daß das Böse in der Welt durch die Sünde des Menschen verursacht worden ist und daß Gott dem gefallenen Menschen schon gleich am Anfang Errettung und endgültige Befreiung in einer neuen Schöpfung verheißen hat. Diese christliche Lehre von der Schöpfung werden wir in unseren nachfolgenden katechetischen Überlegungen in ihren verschiedenen Glaubensaussagen eingehend erörtern. Herzlich grüße ich noch einmal alle heutigen deutschsprachigen Audienzteilnehmer und wünsche ihnen und ihren Angehörigen ein glückliches und gesegnetes Jahr 1986. Einen besonderen Gruß richte ich an die Ordens- 11 AUDIENZEN UND ANGELUS Schwestern verschiedener Kongregationen, die bei den Franziskanerinnen von Dillingen in La Storta an einem geistlichen Emeuerungskurs teilnehmen. Ich erbitte euch als besondere Gnade dieser Weihnachtszeit, daß ihr durch das Geheimnis der Menschwerdung Gott als Immanuel, als „Gott-mit-uns“ erfahrt und euch seiner Gegenwart in eurem Leben und Wirken neu bewußt werdet. Ferner grüße ich noch ganz besonders die anwesenden Vertreter des Oberösterreichischen Bauern- und Nebenerwerbsbauernbundes und alle sie begleitenden Personen. Die Weihnachtszeit, in der wir die uns in Christus erschienene Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes anbetend verehren, ist ein sehr geeigneter Rahmen, um Ihnen für die großzügige Hilfe zu danken, die Sie in christlicher Solidarität bedürftigen Brüdern und Schwestern in meiner polnischen Heimat bisher haben zukommen lassen und noch weiter gewähren. Von Bedeutung ist nicht nur die materielle Unterstützung, sondern auch die dadurch diesen Menschen geschenkte neue Hoffnung und Zuversicht. Möge der Herr selbst Ihre Hilfsbereitschaft und Tatkraft durch seine Gnade reich lohnen! Von Herzen erteile ich Ihnen und allen Pilgern und Besuchern aus den Ländern deutscher Sprache für Gottes bleibenden Schutz und Beistand im neuen Jahr meinen besonderen Apostolischen Segen. Erschaffen heißt „aus dem Nichts machen“ Ansprache bei der Generalaudienz am 15. Januar 1. Die Wahrheit über die Schöpfung ist Gegenstand und Inhalt des christlichen Glaubens, sie ist ausdrücklich nur in der Offenbarung vorhanden. In den mythologischen Kosmogonien außerhalb der Bibel ist sie nur sehr unklar anzutreffen, und in den Spekulationen der antiken Philosophen, auch der größten, wie Platon und Aristoteles, fehlt sie überhaupt, obwohl diese einen recht erhabenen Gottesbegriff - Gott als ganz und gar vollkommenes Wesen, als ein Absolutes - erarbeitet hatten. Der menschliche Verstand kann von sich aus zur Formulierung der Wahrheit gelangen, daß die Welt und die kontingenten (nicht notwendigen) Wesen vom Absoluten abhängen. Aber die Formulierung dieser Abhängigkeit als „Schöpfung“ - also aufgrund der Wahrheit über die Schöpfung - ist 12 AUDIENZEN UND ANGELUS ursprünglich Teil der göttlichen Offenbarung und in diesem Sinne eine Glaubenswahrheit. 2. Diese Wahrheit wird anfänghch in den Glaubensbekenntnissen verkündet, beginnend mit den ältesten, wie dem Apostolischen Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott . . . den Schöpfer des Himmels und der Erde“, und dem nizänokonstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott . . . den Schöpfer des Himmels und der Ede, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge“; bis hin zu jenem Glaubensbekenntnis, das von Papst Paul VT. verkündet und als Credo des Gottesvolkes bekannt wurde: „Wir glauben an einen einzigen Gott . . . Schöpfer der sichtbaren Dinge, wie dieser Welt, wo sich unser flüchtiges Leben abspielt, der unsichtbaren Dinge, wie der reinen Geister, die auch Engel genannt werden, und Schöpfer der geistigen und unsterblichen Seele in jedem Menschen“ (Insegnamenti di Paolo VI, VI, 1968, 302). 3. Im christlichen Credo nimmt die Wahrheit über die Erschaffung der Welt und des Menschen durch Gott wegen des besonderen Reichtums ihres Inhalts eine fundamentale Stellung ein. Denn sie bezieht sich ja nicht nur auf den Ursprung der Welt als Ergebnis von Gottes Schöpfungsakt, sondern sie offenbart auch Gott als Schöpfer. Gott, der durch die Propheten und zuletzt durch seinen Sohn gesprochen hat (vgl. Hebr 1,1), hat alle, die seine Offenbarung annehmen, nicht nur erkennen lassen, daß eben er die Welt geschaffen hat, sondern vor allem, was Schöpfer sein bedeutet. 4. Die Heilige Schrift (Altes und Neues Testament) ist in der Tat durchdrungen von der Wahrheit über die Schöpfung und über den Schöpfergott. Das erste Buch der Bibel, die Genesis, beginnt mit der Feststellung dieser Wahrheit: „Im Anfang hat Gott Himmel und Erde geschaffen“ (Gen 1,1). Auf diese Wahrheit kommen zahlreiche andere Bibelstellen zurück, was zeigt, wie tief sie in den Glauben Israels eingedrungen ist. Wir wollen hier wenigstens einige erwähnen. In den Psalmen heißt es: „Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner. Denn er hat ihn auf Meere gegründet“ (PS 24,1 f.). „Dein ist der Himmel, dein auch die Erde; den Erdkreis und was ihn erfüllt, hast du gegründet“ (PS 89,12). „Sein ist das Meer, das er gemacht hat, das trockene Land, das seine Hände gebildet“ (PS 95,5). „Die Erde ist erfüllt von der Huld des Herrn. Durch das Wort des Herrn wurden die Himmel geschaffen . . . Denn der 13 A UDIENZEN UND ANGELUS Herr sprach, und sogleich geschah es; er gebot, und alles war da“ (PS 33,5-6.9). „Seid gesegnet vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“ (PS 115,15). Zur selben Wahrheit bekennt sich der Verfasser des Buches der Weisheit: „Gott der Vater und Herr des Erbarmens, du hast das All durch dein Wort gemacht . . .“ (Weish 9,1). Und der Prophet Jesaja läßt den Schöpfungsgott in der ersten Person sprechen: „Ich bin der Herr, der alles bewirkt“ (Jes 44,24). Nicht weniger klar sind die im Neuen Testament enthaltenen Zeugnisse. So heißt es zum Beispiel im Prolog des Johannesevangeliums: „Im Anfang war das Wort. . . Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist“ (Joh 1,1.3). Der Hebräerbrief seinerseits stellt fest: „Aufgrund des Glaubens erkennen wir, daß die Welt durch Gottes Wort erschaffen worden und daß so aus Unsichtbarem das Sichtbare entstanden ist“ (Hebr 11,3). 5. In der Wahrheit von der Schöpfung kommt der Gedanke zum Ausdruck, daß alles, was außerhalb Gottes existiert, von ihm ins Dasein gerufen worden ist. Wir finden in der Heiligen Schrift Texte, die mit aller Klarheit davon sprechen. Da ist der Fall der Mutter der sieben Söhne, von dem das Buch der Makkabäer berichtet: Im Angesicht der Todesdrohung ermutigt sie den jüngsten ihrer Söhne, den Glauben Israels zu bekennen, und sagt zu ihm: „Ich bitte dich, mein Kind, schau dir den Himmel und die Erde an . . . Gott hat das aus dem Nichts erschaffen, und so entstehen auch die Menschen“ (2 Makk 7,28). Im Brief an die Römer lesen wir: „Abraham hat dem Gott geglaubt, der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft“ (Röm 4,17). „Erschaffen“ heißt also: aus dem Nichts machen, ins Dasein rufen, das heißt, aus dem Nichts ein Seiendes formen. Die biblische Sprache läßt diese Bedeutung bereits im ersten Wort des Buches Genesis aufscheinen: „Im Anfang hat Gott Himmel und Erde geschaffen.“ Der Ausdruck „er hat geschaffen“ ist die Übersetzung des hebräischen „bara“, das eine Handlung von außerordentlicher Macht ausdrückt, deren einziges Subjekt Gott ist. In der postexilischen Reflexion gelangt man zu einem immer besseren Verständnis der Bedeutung des Eingreifens Gottes am Anfang, das im zweiten Buch der Makkabäer schließlich als ein Hervorbringen „von etwas vorher nicht Existierendem“ vorgestellt wird (2 Makkl,28). Die Kirchenväter und die Theologen sollten die Bedeutung der Tat Gottes noch weiter klären, indem sie von Erschaffung „aus dem Nichts“ (creatio ex nihilo, genauer: ex nihilo sui et subjecti) sprachen. Im Schöp- 14 AUDIENZEN UNDANGELUS fungsakt ist Gott das ausschließliche und unmittelbare Prinzip des neuen Seins unter Ausschluß jeglicher vorher existierender Materie. 6. Als Schöpfer ist Gott gewissermaßen „außerhalb“ des Geschaffenen, und das Geschaffene ist „außerhalb“ Gottes. Zugleich verdankt das Geschaffene seine Existenz (zu sein, was ist) voll und ganz Gott, weil es seinen Ursprung voll und ganz in der Macht Gottes hat. Man kann auch sagen, daß durch diese Schöpfermacht (die Allmacht) Gott im Geschaffenen ist und das Geschaffene in ihm. Doch diese Immanenz Gottes tut der Transzendenz, die ihm in bezug auf alles, dem er die Existenz verleiht, eigen ist, keinerlei Abbruch. 7. Als der Apostel Paulus den Areopag von Athen betrat, sprach er zu den dort versammelten Zuhörern: „Als ich umherging und mir eure Heiligtümer ansah, fand ich auch einen Altar mit der Aufschrift: EINEM UNBEKANNTEN GOTT. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch. Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde . . .“ (Apg 17,23 f.). Es ist kennzeichnend, daß die Athener, die viele Götter anerkannten (heidnischer Polytheismus), diese Worte über den einzigen Gott und Schöpfer anhörten, ohne Einwände zu erheben. Diese Besonderheit bestätigt anscheinend, daß die Wahrheit über die Schöpfung einen Berührungspunkt zwischen den Menschen darstellt, die sich zu verschiedenen Religionen bekennen. Vielleicht ist die Wahrheit von der Schöpfung ursprünglich und elementar in verschiedenen Religionen verwurzelt, auch wenn sich in ihnen keine hinreichend klaren Begriffe, wie sie in der Heiligen Schrift enthalten sind, finden. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Auch mit euch möchte ich die Betrachtungen fortsetzen, die ich in diesen wöchentlichen Generalaudienzen über unser christliches Glaubensbekenntnis halte. Heute geht es um den Glaubenssatz, den ihr sicher schon oft gesprochen oder gehört habt: „Ich glaube an Gott, ... den Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Mit diesen Worten bekennen wir unseren Glauben, daß „Himmel und Erde“, das heißt der ganze Kosmos, alle Dinge und Wesen, ihr Dasein letztlich der Schöpferkraft Gottes verdanken. Kein Ding und kein Lebewesen hat die Garantie seiner Existenz in sich selbst; über alle Zweitursachen hinweg hängt alles und jedes vom liebenden Wollen Gottes ab: Er ist unser aller Schöpfer. 15 AUDIENZEN UND ANGELUS Diese grundlegende Wahrheit, so entscheidend für eine richtige Einschätzung von Wert und Grenze aller Dinge, wird uns in der Heiligen Schrift vielfältig bezeugt. Bekannt ist der feierliche Anfang des Buches der Genesis: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (1,1). Und der Psalmist betet: „Dein (o Gott) ist der Himmel, dein auch die Erde; den Erdkreis und was ihn erfüllt, hast du gegründet“ (Ps 89,12). Der Evangelist Johannes sieht im ewigen Wort Gottes die unmittelbare göttliche Ursache aller Schöpfung: „Im Anfang war das Wort . . . Alles ist durch das Wort geworden“ (Joh 1,3). „Erschaffen“ bedeutet aus dem Nichts ins Dasein rufen; bedeutet einem Geschöpf mit göttlicher Vollmacht das Dasein selbst schenken. „Erschaffen“ ist also unendlich mehr als „umformen“, als „gestalten“, als „verändern“: All das können auch wir. „Erschaffen“ aber können wir kein einziges Atom, keine einzige Zelle. Das kann nur Gott als das absolute, allumfassende Sein. Ihm gebührt darum unser Dank und unsere Anbetung. Euch allen, ob hier gegenwärtig oder durch das Radio oder den „Osserva-tore Romano“ mit uns verbunden, erbitte ich einen lebendigen Glauben an die liebende Gegenwart des Schöpfers in eurem Land. Er sei euch treuer Schutz und weise Führung! „Ihr sollt meine Zeugen sein“ Angelus am 19. Januar „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast“ {Joh 17,21). Heute möchte ich eure Aufmerksamkeit und die aller in der Welt zerstreuten Katholiken auf die Bedeutung des Gebets für die Einheit der Christen lenken. Gestern hat auf der ganzen Welt die „Gebetswoche für die Einheit“ begonnen, die bis zum nächsten Samstag, dem 25. Januar, dauern wird. Katholiken, Orthodoxe, Anglikaner und Protestanten beten einträchtig zum Herrn und meditieren über das für dieses Jahr gewählte Thema: „Ihr sollt meine Zeugen sein“ (Apg 1,8). 16 AUDIENZEN UNDANGELUS Das gemeinsame Zeugnis erfordert die konsequente Gleichförmigkeit mit dem Willen des Herrn gegenüber seiner Kirche, der einen und einzigen Kirche. In unserer Zeit, wo es nicht an Brüchen, Uneinigkeiten, Gegensätzen und Kriegen fehlt, muß das Zeugnis der Einheit der Christen ein prophetisches Zeichen für die Zukunft der Menschheit in ein neues Leben in Eintracht und Frieden sein. Die Forderung nach einem gemeinsamen Zeugnis soll der Suche nach der vollen Einheit einen neuen Impuls geben. Die kürzlich zur 20. Jahresfeier des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils abgehaltene außerordentliche Bischofssynode hat in ihrem Schlußdokument bestätigt, daß der Ökumenismus im Bewußtsein der Kirche tief und unauslöschlich eingeschrieben ist und daß der ökumenische Dialog bewirkt, daß „die Kirche noch klarer als Sakrament der Einheit erscheint. Die Gemeinschaft zwischen Katholiken und anderen Christen ruft, obwohl sie unvollständig ist, alle dazu auf, auf den verschiedenen Ebenen zusammenzuarbeiten. So ermöglicht sie in gewisser Weise das gemeinsame Zeugnis von der heilbringenden Liebe Gottes gegenüber der Welt, die nach dem Heil ruft“ (Schlußdokument der außerordentlichen Bischofssynode, II, C, 7: O.R., dt. 3. 1. 86, 14). Ich fordere euch daher eindringlich zum Gebet für die volle Einheit aller Christen auf, damit der Herr alle, die an ihn glauben, einträchtig und wirksam sein einziges Evangelium vom Heil bezeugen läßt. Ebenso fordere ich alle männlichen und weiblichen Ordensgemeinschaften, die Pfarrgemeinden und alle in der Welt verstreuten Katholiken zum Gebet auf. Möge die Eintracht im Gebet alle Christen zu einem übereinstimmenden Glaubensbekenntnis führen. Am kommenden Samstag werden wir diese „Weltgebetswoche“ mit einer Eucharistiefeier in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern abschließen. Nach dem Angelus sagte der Papst: Einen besonderen Gruß richte ich an die Jugend der Katholischen Aktion, die aus den römischen Pfarreien zum „Fest des Friedens“ gekommen sind, dessen Motto heuer lautet: „Jedes Angesicht ein Komet.“ Mit ihren bunten Luftballons, die eine Botschaft des Friedens und der Brüderlichkeit enthalten, wollen sie den Flug der beiden weißen Tauben begleiten, die ich von diesem Fenster auslassen werde. Liebe Jugend, eure Anwesenheit bereitet mir große Freude: Lebt stets mit allen in Frieden und macht den Verpflichtungen Ehre, die ihr in diesen Tagen gewiß übernommen habt, nämlich jeden als Bild Gottes geschaffenen Menschen zu achten und zu heben. 17 AUDIENZEN UNDANGELUS Ein „gewaltiger Chor“ ökumenischer Gemeinschaft Ansprache bei der Generalaudienz am 22. Januar 1. „Man fördert die ökumenische Bewegung besondes durch das Gebet füreinander.“ Mit diesen Worten hat die außerordentliche Bischofssynode, die anläßlich des zwanzigsten Jahrestages des Zweiten Vatikanischen Konzils zusammengetreten ist, die ganz besondere Bedeutung bekräftigt, die dem Gebet für die Förderung der vollen Einheit aller Christen zukommt (vgl. Schlußdokument, II, C, 7: O.R., dt. 3. 1. 86, 14). Diese Woche (vom 18. bis 25. Januar) ist in besonderer Weise dem Gebet für die Einheit gewidmet. In der ganzen Welt richten Katholiken, Orthodoxe, Anglikaner und Protestanten sowohl in ihren eigenen Kirchen wie auch miteinander in gemeinsamen Versammlungen inständige Gebete an den einen gemeinsamen Herrn und erflehen jene Einheit, um die er selbst für alle seine Jünger zum Vater gebetet hat (vgl. Joh 17,21). Heute lade ich auch euch ein, euch mit aufrichtigem Herzen und brennendem Verlangen diesem gewaltigen Chor der ökumenischen Gemeinschaft anzuschließen, wie die außerordentliche Synode die neue unter den Christen unserer Zeit entstandene geistliche Situation genannt hat. Diese gemeinsamen Gebete sind zweifellos „ein höchst wirksames Mittel“, um die Gnade der Einheit zu erflehen, sie sind „ein echter Ausdruck“ der Bande, durch welche die Katholiken noch mit den anderen christlichen Brüdern verbunden sind (vgl. UR 8). Der reiche Inhalt des Konzilsdekrets über den Ökumenismus behält seine volle Gültigkeit, auch von einer zwanzigjährigen Erfahrung, die sie nur noch bekräftigt hat. Er nährt das gemeinsame Vertrauen in den Herrn, der das menschliche Geschick auf sein letztes Ziel hinlenkt; er unterstützt und beseelt das auf die Einheit ausgerichtete ökumenische Bemühen, ohne es aber bei den positiven Zwischenergebnissen bewenden zu lassen, die durch die brüderlichen Beziehungen und den im Gang befindlichen Dialog erreicht wurden. Das gemeinsame Gebet gründet sich vor allem auf den bei den Christen vorhandenen Glauben und auf die gemeinsame Taufe, das sakramentale Band, das das unentgeltliche Geschenk der vom Herrn vollbrachten Erlösung wirksam werden läßt und zum Ausdruck bringt. Das gemeinsame Gebet geht aus der einen Taufe hervor, die „ihrem ganzen Wesen nach hinzielt auf die Erlangung der Fülle des Lebens in Christus“; sie ist daher ihrem Wesen nach „hingeordnet auf das vollständige Bekenntnis des Glaubens, auf die völlige Eingliederung in die Heilsveranstaltung, wie 18 AUDIENZEN UNDANGELUS Christus sie gewollt hat, schließlich auf die vollständige Einfügung in die eucharistische Gemeinschaft (UR 22). Diese ihr innewohnende Forderung macht die tiefste Dynamik der ganzen ökumenischen Bewegung aus. Das Gebet wird folglich zum demütigen und bewußten Bitten um die Gnade der Einheit, denn „dieses heilige Anliegen der Wiederversöhnung aller Christen in der Einheit der einen und einzigen Kirche Christi übersteigt die menschlichen Kräfte und Fähigkeiten“ (UR 24). Unser Flehen läßt uns unsere Hoffnung auf den festen Grund des immerwährenden Gebetes Christi für seine Kirche, auf die Liebe des Vaters zu uns und auf die Kraft des Heiligen Geistes setzen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat uns daran erinnert, daß das Gebet „ein höchst wirksames Mittel“ ist (vgl. UR 8) und daß die Hoffnung, die wir in die Liebe Gottes setzen, „nicht trügt“ (Röm 5,5). Deshalb soll die jährliche Gebetswoche für die Einheit den Glauben stärken, die Liebe anfachen, die Hoffnung vermehren. 2. Den beiden vom Konzil angegebenen Beweggründen haben wir heute einen neuen hinzuzufügen: die Dankbarkeit gegenüber dem Herrn für den positiven Weg zur vollen Einheit, den die Christen zurückgelegt haben. Die außerordentliche Bischofssynode hat bestätigt, daß in diesen zwanzig Jahren „der Ökumenismus tief und unauslöschlich im Bewußtsein der Kirche eingeschrieben“ wurde (Schlußdokument, II, C, 7). Mit allen anderen Kirchen des Ostens und des Westens wurde, wenn auch in verschiedenen Formen und mit unterschiedlichen Mitteln und Ergebnissen, der Dialog eröffnet und weitergeführt. Das gemeinsame Ziel, das sich die verschiedenen Dialoge setzen, ist die Versöhnung und die Einheit. Seien wir dem Herrn dafür dankbar, daß sich eine Läuterung der Herzen vollzieht und sich die gegenseitige Liebe der Christen untereinander ergeben hat. Zudem waren die Dialoge nicht nur eine günstige Gelegenheit und ein geeignetes Mittel, um miteinander jenen Glauben zu bekräftigen, der den Katholiken und den anderen Christen gemeinsam ist, sondern auch bedeutsame Übereinstimmung bei Fragen und Problemen zu erzielen, idie in der Vergangenheit umstritten waren; man konnte mit größerer Klarheit und in neuer Form die Differenzen feststellen, die man noch im Lichte der Heiligen Schrift und der großen Tradition der Kirche einander gegenüberstellen und in gemeinsamem Einvernehmen lösen muß. Das alles ist ein wichtiges Ereignis im Leben der Christen unserer Zeit. Die brüderliche und interessierte Gegenwart der Beobachter der anderen Kirchen und christlichen Weltgemeinschaften sowie des Ökumenischen 19 AUDIENZEN UND ANGELUS Rates der Kirchen bei den Arbeiten der außerordentlichen Bischofssynode hat für diese neuen Beziehungen, die entstanden sind, Zeugnis abgelegt: So wurde der gemeinsame Wille geäußert, die gemeinsamen Anstrengungen weiterzuführen, damit man mit Gottes Gnade zu der vollen Gemeinschaft gelange, um in unserer Welt, in der Spaltungsversuche und Konflikte zuzunehmen scheinen, für die Einheit Zeugnis abzulegen. 3. „Das Zeugnis ist also ein Gebot des Evangeliums“, erinnert uns treffenderweise die Einführung zu den Texten dieser Weltgebetswoche, die gemeinsam vom Sekretariat für die Einheit der Christen und von der Kommission „Glaube und Verfassung“ des ökumenischen Rates der Kirchen vorbereitet wurden. „Ihr sollt meine Zeugen sein“ (Apg 1,8) lautet das für dieses Jahr vorgeschlagene Thema. Es ist ein anspruchsvolles Thema: es ist einem ausdrücklichen Gebot entnommen, das der auferstandene Jesus Christus seinen Jüngern gegeben hat. Es ist ein aussichtsreiches Thema, das sämtliche Reichtümer der ökumenischen Bewegung nutzt. Es ist ein aktuelles Thema von großer Dringlichkeit, weil die heutige Welt Überzeugungskraft, wahres Zeugnis und authentisches Leben nötig hat. Ein bestimmtes gemeinsames Zeugnis unter den Christen ist auf verschiedenen Gebieten möglich; es gründet sich auf den gemeinsamen Glauben, der bei ihnen vorhanden ist und den die Gegenüberstellung im gegenwärtigen Dialog neu hervorgehoben hat. Dieses Zeugnis ist allerdings labil, weil die bestehenden Uneinigkeiten keine volle Übereinstimmung zulassen. Daraus entspringt der Impuls zu neuen Fortschritten auf ökumenischem Gebiet. Das gemeinsame Zeugnis, das wir heute geben können, spornt dazu an, nach der vollen Einheit zu streben: aber erst die volle Einheit wird dieses Zeugnis schließlich authentisch machen. Die vor kurzem abgehaltene außerordentliche Bischofssynode hat bedeutsame Feststellungen gemacht: „Wir Bischöfe wünschen sehnlichst, daß die noch unvollkommene schon bestehende Gemeinschaft mit den nichtkatholischen Kirchen und Gemeinschaften durch Gottes Hilfe zu einer vollen Gemeinschaft werde . . .“ Und weiter: „Die Gemeinschaft zwischen Katholiken und anderen Christen ruft, obwohl sie unvollständig ist, alle dazu auf, auf den verschiedenen Ebenen zusammenzuarbeiten. So ermöglicht sie in gewisser Weise das gemeinsame Zeugnis von der heilbringenden Liebe Gottes gegenüber der Welt, die nach Heil ruft“ (Schlußdokument, II, C, 7). 20 AUDIENZEN UNDANGELUS 4. In diesem Prozeß begreift man die unersetzliche Bedeutung des Gebets. Die Synode hat vom Gebet füreinander gesprochen. Um die Wiederherstellung der vollen Einheit aller Christen zu fördern, bedarf es des Gebets: nicht allein des Gebets für die Einheit unserer Kirchen; nicht allein des gemeinsamen Gebets, das Katholiken und andere Christen miteinander verrichten; sondern auch des Gebets füreinander als Ausdruck der aus der Taufe erwachsenden christlichen Solidarität. Das Gebet füreinander läßt eine neue Gemeinschaft entstehen. Schließen wir darum diese Begegnung mit einem gemeinsamen Gebet für die Wiederherstellung der vollen Einheit aller Christen: Der Papst: Bitten wir den Herrn, daß sich die Christen trotz ihrer Spaltungen immer mehr bemühen mögen, gemeinsam Zeugnis zu geben von ihrem Glauben an Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist, damit die Welt glaubt. Alle: Sie mögen eins sein, damit die Welt glaube. Der Papst: Beten wir darum, daß die Christen, insbesondere jene, die um des Namens Jesu willen leiden, Zeugnis von einem lebendigen Glauben geben und vorankommen auf dem Weg zum vollen Bekenntnis des gemeinsamen Glaubens. Alle: Sie mögen eins sein, damit die Welt glaube. Der Papst: Beten wir darum, daß die Christen sich zusammenschließen, um in der Welt Gerechtigkeit und Frieden zu verwirklichen. Alle: Sie mögen eins sein, damit die Welt glaube. Der Papst: Vater unser im Himmel, blicke auf die Bestrebungen des Herzens deiner Kinder; erhöre unsere Bitten und laß alle Christen in deiner einen und einzigen Kirche vereint sein. Durch deinen Sohn Jesus Christus, der mit dir in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes von Ewigkeit zu Ewigkeit lebt und herrscht. Alle: Amen. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Man fördert die ökumenische Bewegung besonders durch das Gebet füreinander. Mit diesen Worten hat die kürzliche außerordentliche Bischofssynode die große Bedeutung des Gebetes für die Einheit aller Christen unterstrichen. Die jetzige Weltgebetsoktav lädt uns ein, uns in einer besonderen Weise an diesem wichtigen Gebetsanliegen der ganzen Christenheit persönlich zu beteiligen. Das Zweite Vatikanische Konzil nennt das gemeinsame Gebet aller 21 AUDIENZEN UNDANGELUS Christen „ein wirksames Mittel“ und einen „echten Ausdruck der Gemeinsamkeit, in der die Katholiken mit den getrennten Brüdern immer noch verbunden sind“ ( UR 8). Es gründet auf dem verbindenden Glauben der Christen und dem ihnen gemeinsamen Sakrament der Taufe. Die Taufe ist der sie alle schon vereinende Ausgangspunkt, der jedoch von seinem innersten Wesen her „hinzielt auf die Erlangung der Fülle des Lebens in Christus“ (UR 22). Denn die Taufe ist „hingeordnet auf das vollständige Bekenntnis des Glaubens, auf die volle Eingliederung in die Heilsveranstaltung, wie Christus sie gewollt hat, schließlich auf die vollständige Einfügung in die eucharistische Gemeinschaft (UR 22). Da die Wiederherstellung der vollen Einheit unter den Christen die menschlichen Kräfte übersteigt, bedarf es vor allem unseres Gebetes. Wir schauen dankbar auf die uns vom Herrn schon geschenkte brüderliche Annäherung unter den verschiedenen Konfessionen und begehen gemeinsam diese Gebetswoche für die Einheit unter dem Auftrag Christi: „Ihr werdet mir Zeugen sein“ (Apg 1,8). Es ist der direkte Auftrag des Herrn, den aber die Christen nur in der vollen Einheit untereinander vollkommen erfüllen können. Laßt uns deshalb darum beten! Indem ich euch, liebe Brüder und Schwestern, und alle, die meine heutigen Worte vernehmen, herzlich grüße, lade ich euch alle ebenso herzlich ein, euch ganz persönlich an diesem weltweiten Gebet für die Einheit aller Christen zu beteiligen, jetzt in der Gebetsoktav und auch immer wieder während des ganzen Jahres. Dabei begleite ich euch von Herzen mit meinem besonderen Apostolischen Segen. Nach Indien „als Pilger des Friedens). 5. Ähnlich drückt sich der hl. Apostel Jakobus aus, wenn er die Christen auffordert, die Prüfungen mit Freude und Geduld auf sich zu nehmen: „Seid voll Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchungen geratet. Ihr wißt, daß die Prüfung eures Glaubens Ausdauer bewirkt. Die Ausdauer aber soll zu einem vollendeten Werk führen“ (Jak 1,2-4). Der hl. Paulus endlich vergleicht in seinem Brief an die Römer die Leiden der Menschen und des Kosmos mit einer Art „Geburtswehen“ der gesamten Schöpfung, wobei er das „Seufzen“ derer unterstreicht, die die „Erstlings- 138 AUDIENZEN UNDANGELUS gäbe“ des Geistes besitzen und auf das volle Offenbarwerden der Gotteskindschaft, das heißt „die Erlösung unseres Leibes“, warten (Röm 8,22-23). Aber er fügt hinzu: „Wir wissen, daß Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt. . (Röm 8,28), und einige Verse später: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert?“ (Röm 8,35), um mit dem Satz zu schließen: „Denn ich bin gewiß: Weder Tod noch Leben . . . noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,38). Neben Gottes Väterlichkeit, wie sie von der göttlichen Vorsehung geof-fenbart wird, zeigt sich auch die Erzieherkunst Gottes: „Haltet aus, wenn ihr gezüchtigt werdet. Gott behandelt euch wie Söhne. Denn wo ist ein Sohn, den sein Vater nicht züchtigt? . . . (Gott) tut es zu unserem Besten, damit wir Anteil an seiner Heiligkeit gewinnen“ (Hebr 12,7.10). 6. Mit den Augen des Glaubens gesehen läßt daher das Leiden, auch wenn es noch immer als der dunkelste Aspekt der Bestimmung des Menschen auf Erden erscheinen mag, doch das Geheimnis der göttlichen Vorsehung durchscheinen, das in der Offenbarung Christi und insbesondere in seinem Kreuz und seiner Auferstehung enthalten ist. Zweifellos kann es immer wieder geschehen, daß der Mensch, wenn er sich die alten Fragen über Übel und Leiden in einer von Gott geschaffenen Welt stellt, nicht sogleich eine Antwort findet, besonders wenn er keinen lebendigen Glauben an das Ostergeheimnis Jesu Christi hat. Nach und nach jedoch und mit Hilfe des vom Gebet genährten Glaubens entdeckt man den wahren Sinn des Leidens, das jeder in seinem Leben erfährt. Es ist eine Entdeckung, die vom Wort der göttlichen Offenbarung und vom „Wort vom Kreuz“ (1 Kor 1,18) Christi abhängt, das „Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ ist (7 Kor 1,24). Wie das Zweite Vatikanische Konzil sagt: „Durch Christus und in Christus also wird das Rätsel von Schmerz und Tod hell, das außerhalb seines Evangeliums uns überwältigt“ (GS 22). Wenn wir durch den Glauben diese Macht und diese Weisheit entdecken, befinden wir uns auf den Heilswegen der göttlichen Vorsehung. Es bestätigt sich dann der Sinn der Worte des Psalmisten: „Der Herr ist mein Hirte . . . Muß ich auch wandeln in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir“ (Ps 23,1.4). So offenbart sich die göttliche Vorsehung als das Wandeln Gottes an der Seite des Menschen. 7. Abschließend können wir sagen: Die Wahrheit über die Vorsehung, die aufs engste mit dem Schöpfungsgeheimnis verbunden ist, muß im 139 AUDIENZEN UNDANGELUS Zusammenhang mit der gesamten Offenbarung, mit dem ganzen Glaubensbekenntnis gesehen werden. Auf diese Weise sieht man, daß in die Wahrheit der Vorsehung die Offenbarung von der Vorherbestimmung (praedestinatio) des Menschen und der Welt in Christus, die Offenbarung des gesamten Heilsplanes und seine Verwirklichung in der Geschichte organisch einfließen. Die Wahrheit von der göttlichen Vorsehung ist auch aufs engste mit der Wahrheit vom Reich Gottes verbunden, und darum kommt den von Christus in seiner Lehre über die Vorsehung gesprochenen Worten eine grundlegende Bedeutung zu: „Euch aber muß es zuerst um das Reich Gottes und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt 6,33; vgl. Lk 12,13). Die Wahrheit von der göttlichen Vorsehung, also von der transzendenten Herrschaft Gottes über die geschaffene Welt, wird verständlich im Lichte der Wahrheit über das Reich Gottes, über jenes Reich, dessen Verwirklichung in der geschaffenen Welt aufgrund der „Vorherbestimmung in Christus“, dem „Erstgeborenen der ganzen Schöpfung“ (Kol 1,15), von Ewigkeit her Gottes Absicht war. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Solange Menschen auf dieser Erde bewußt leben und Gott als ihren Herrn und Schöpfer anerkennen, stellt sich ihnen immer wieder die bohrende Frage, wieso es unter diesem heiligen und allmächtigen Gott zu soviel Leid und Schmerz in der Welt kommen kann. Die Heilige Schrift stellt dieser verständlichen Frage zunächst den Glaubensgrundsatz entgegen: „Über die Weisheit Gottes siegt keine Schlechtigkeit“ (Weish 7,30); dann weist sie darauf hin, daß Gott das Übel, vor allem die moralische Unordnung, nicht wolle, sie aber zulasse um des hohen Gutes der menschlichen Freiheit willen. Als tiefste Antwort auf die Frage nach dem Leid lenkt die Frohe Botschaft aber unseren Blick auf das Kreuz Jesu Christi. Was zunächst wie ein elendes: Scheitern aussah, nennt Paulus „Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1 Kor 1,24). Gerade in der Erniedrigung Jesu leuchtet diese Kraft und Weisheit auf, weil der Herr bei seinem Leiden in unendlicher Liebe und Treue seinem göttlichen Vater verbunden blieb und so die Nacht seines Sterbens mit einem neuen Licht überwand. Zugleich eröffnete Christus hierdurch aller Sünde, die sich gegen ihn zusammengebraut hatte, einen hoffnungsvollen Ausweg zur Vergebung und Erlösung. Die Freude über diese entscheidende Wende aus der Kraft des Herzens Jesu 140 AUDIENZEN UND ANGELUS läßt die Kirche in der Osterliturgie das kühne Wort sprechen: „ O felix culpa“ - „o glückliche Schuld“. Die Apostelbriefe zeigen uns, wie die ersten Christen trotz vielerlei Leiden und Verfolgungen von tiefer Freude und Zuversicht erfüllt blieben, eben weil sie der befreienden Kraft des Kreuzes Christi vertrauten. Zusammen mit dem Apostel Paulus konnten sie ausrufen: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung? Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert?“ {Rom 8,35). Angesichts vielfältiger heutiger Ängste sollten wir uns an dieser im harten Leben erprobten Glaubenszuversicht ein Beispiel nehmen. Die Menschen warten auf unsere Antwort auf Leid und Lebensbedrohung, auf Angst und Verzweiflung. Allen Besuchern deutscher Sprache wünsche ich von Herzen die tröstende Erfahrung von Gottes hebender Vorsehung an hellen wie an dunklen Tagen. Einen besonderen Gruß richte ich heute an die Ordensschwestern, die gegenwärtig in La Storta zu einem Monat geistlicher Erneuerung versammelt sind: Ich erbitte euch die reiche Fülle der Gaben des Heiligen Geistes für euer persönliches und euer gemeinschaftiches Ordensleben. Ebenso grüße ich die Besuchergruppe von der Komturei Köln im Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem. Allen schenke ich gern mein Gebet und meinen Segen. Gelobt sei Jesus Christus! „ Wir bitten Dich, Herr, sende ihnen den Heiligen Geist“ Angelus am 15. Juni 1. Zum „Engel des Herrn“ versammelt, erinnern wir uns heute der Worte des Propheten Jesaja, die sich auf den kommenden Messias, also auf Christus, beziehen. Der Prophet Jesaja spricht: „Und der Geist des Herrn läßt sich nieder auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht. Er erfüllt ihn mit dem Geist der Gottesfurcht“ (Jes ll,2f.). Diese Worte haben sich in Jesus von Nazaret erfüllt, den der Vater gesalbt und in die Welt gesandt hat. Er ist also voll Heiligen Geistes und machtvoll gekommen. 141 AUDIENZEN UND ANGELUS Nach der Auferstehung „hauchte“ Christus die Apostel mit dem Heiligen Geist an und sprach: „Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20,22). 2. In. der Petersbasilika hat heute eine Gruppe junger Christen das Sakrament der Firmung empfangen. Als ich ihnen das Sakrament spendete, habe ich ihnen die Hand aufgelegt und dabei die folgenden Worte gesprochen: „Allmächtiger Gott, Vater unseres Herrn Jesus Christus, du hast diese jungen Christen in der Taufe von der Schuld Adams befreit, du hast ihnen aus dem Wasser und dem Heiligen Geist neues Leben geschenkt. Wir bitten dich, Herr, sende ihnen den Heiligen Geist, den Beistand, gib ihnen den Geist der Weisheit und der Einsicht, des Rates, der Erkenntnis und der Stärke, den Geist der Frömmigkeit und der Gottesfurcht.“ Dieses Gebet - das sich auf die Worte des Jesaja bezieht - wird von den Bischöfen der ganzen Welt in verschiedenen Sprachen gesprochen, wenn sie den Getauften das Sakrament der Firmung spenden. 3. Durch dieses Gebet bleiben wir - von Generation zu Generation - in ununterbrochener Verbundenheit mit dem Abendmahlssaal, wo der auferstandene Christus die Apostel anhauchte und sprach: „Empfangt den Heiligen Geist“. Durch dieses Gebet schöpft die Kirche seit dem Pfingst-tag aus dem gekreuzigten und auferstandenen Christus den Heiligen Geist. Sie „schöpft“ ihn sozusagen aus diesem Herzen, in dem die ganze Fülle des Heiligen Geistes für alle Generationen der Menschheit, für jeden Menschen wohnt. Voll des Heiligen Geistes ist Christus in die Welt gekommen, hat er sich seinen Zeitgenossen geoffenbart. In dieser Fülle bleibt er nach seiner Verherrlichung an der Rechten des Vaters: Er, der Souverän und Mittelpunkt aller Herzen. 4. Im Monat Juni sprechen wir die Worte der Litanei: „Herz Jesu, in dem die ganze Fülle der Gottheit wohnt . . . Herz Jesu, aus dessen Gnade wir alle empfangen haben . . .“ In diesem Gebet vereinen wir uns mit Maria, die besser als wir diese ganze Fülle kennt und voll aus ihr zu schöpfen weiß. 142 AUDIENZEN UND ANGELUS ,, Widersprüche und Störungen des Gleichgewichts“ Ansprache bei der Generalaudienz am 18. Juni 1. Die Wahrheit über die göttliche Vorsehung erscheint als der Konvergenzpunkt der vielen Wahrheiten, die in der Aussage enthalten sind: „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Wegen ihrer Fülle und fortwährenden Aktualität mußte sie vom Zweiten Vatikanischen Konzil gründlich behandelt werden, was auch in hervorragender Weise geschehen ist. Wir finden in der Tat in vielen Konzilsdokumenten eine passende Bezugnahme auf diese Glaubenswahrheit: ganz besonders ist sie in der Konstitution Gaudium et spes gegenwärtig. Dies aufzuzeigen heißt, eine aktualisierende Zusammenfassung der vorangegangenen Katechesen über die göttliche Vorsehung anzubieten. 2. Die Pastoralkonstitution Gaudium et spes setzt sich bekanntlich mit dem Thema auseinander: die Kirche in der Welt von heute. Von den ersten Abschnitten an sieht man jedoch ganz klar, daß die Behandlung dieses Themas auf der Grundlage des Lehramtes der Kirche nicht möglich ist, ohne auf die geoffenbarte Wahrheit von der Beziehung Gottes zur Welt und schließlich auf die Wahrheit von der göttlichen Vorsehung zurückzugreifen. Wir lesen nämlich: „Vor seinen (d. h. des Konzils) Augen steht also die Welt der Menschen . ..; die Welt, die nach dem Glauben der Christen durch die Liebe des Schöpfers begründet ist und erhalten wird; die unter die Knechtschaft der Sünde geraten, von Christus aber, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, durch Brechung der Herrschaft des Bösen befreit wurde; bestimmt, umgestaltet zu werden nach Gottes Heilsratschluß und zur Vollendung zu kommen“ (GS 2). Diese „Beschreibung“ bezieht die gesamte Lehre von der Vorsehung mit ein, verstanden sowohl als ewiger Plan Gottes mit der Schöpfung als auch als Verwirklichung dieses Planes in der Geschichte sowie als Heil schenkende und endzeitliche Vollendung des Universums und im besonderen der Welt des Menschen gemäß der „Vorherbestimmung in Christus“, dem Zentrum und Angelpunkt aller Dinge. Auf diese Weise wird mit anderen Worten die dogmatische Aussage des Ersten Vatikanums wieder aufgegriffen: „Alles, was Gott schuf, schützt und leitet er mit seiner Vorsehung, ,die ihre Kraft machtvoll von einem Ende zum andern entfaltet und das All voll Güte durchwaltet“ ( Weish 8,1). ,Alles liegt nackt und bloß vor seinen Augen1 (Hebr 4,13), selbst das, was aus freier Initiative der 143 AUDIENZEN UNDANGELUS Geschöpfe geschehen wird“ (DS 3003). Noch gezielter stellt Gaudium et spes von Anfang an eine Frage, die ebenso zu unserem Thema gehört wie sie dem heutigen Menschen am Herzen liegt: Wie lassen sich das Wachsen des Reiches Gottes und die Entwicklung (Evolution) der Welt vereinbaren? Wir folgen den großen Linien dieser Auffassung, wobei wir ihre wichtigsten Aussagen genauer heraussteilen. 3. In der sichtbaren Welt ist der Mensch der Hauptträger der geschichtlichen und kulturellen Entwicklung. Nach Gottes Ebenbild geschaffen, von ihm im Dasein erhalten und mit väterlicher Liebe bei der Aufgabe geleitet, über die anderen Geschöpfe zu „herrschen“, ist der Mensch gewissermaßen selber „Vorsehung“. „Das persönliche und gemeinsame menschliche Schaffen, dieses gewaltige Bemühen der Menschen im Lauf der Jahrhunderte, ihre Lebensbedingungen stets zu verbessern, entspricht als solches der Absicht Gottes. Der nach Gottes Ebenbild geschaffene Mensch hat ja den Auftrag erhalten, sich die Erde mit allem, was zu ihr gehört, zu unterwerfen, die Welt in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu regieren und durch die Anerkennung Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die Gesamtheit der Wirklichkeit auf Gott hinzuordnen, so daß alles dem Menschen unterworfen und Gottes Name wunderbar sei auf der ganzen Erde“ (GS 34). Zuvor heißt es im gleichen Konzilsdokument: „Der Mensch irrt nicht, wenn er seinen Vorrang vor den körperlichen Dingen bejaht und sich selbst nicht nur als Teil der Natur oder als anonymes Element in der menschlichen Gesellschaft betrachtet, denn in seiner Innerlichkeit übersteigt er die Gesamtheit der Dinge. In diese Tiefe geht er zurück, wenn er in sein Herz einkehrt, wo Gott ihn erwartet, der die Herzen durchforscht, und wo er selbst unter den Augen Gottes über sein eigenes Geschick entscheidet“ (GS 14). 4. Die Entwicklung der Welt in der Richtung wirtschaftlicher und kultureller Einrichtungen, die den gesamtheitlichen Bedürfnissen des Menschen immer; mehr entsprechen, ist eine Aufgabe, die gleichfalls zur Berufung des Menschen gehört, sich die Erde untertan zu machen. Somit gehören auch die tatsächlichen Erfolge der modernen wissenschaftlichen und technologischen Zivilisation ebenso wie jene der humanistischen Kultur und der Weisheit aller Zeiten zu dem Bereich der Vorsehung, der dem Menschen für die Verwirklichung des Planes Gottes in der Welt anvertraut wurde. In diesem Licht sieht und erkennt das Konzil den Wert und die Funktion der Kultur und der Arbeit unserer Zeit. Tatsächlich wird 144 AUDIENZEN UND ANGELUS in der Konstitution Gaudium et spes die neue kulturelle und soziale Situation der Menschheit mit ihren hervorstehenden Merkmalen und ihren Möglichkeiten beschrieben, einen sich überstürzenden, Staunen und Hoffnung erregenden Fortschritt hervorzurufen (vgl. GS 53 f.). Das Konzil zögert nicht, Zeugnis für die großartigen Erfolge des Menschen abzulegen, indem es sie in den Rahmen des Planes und Gebotes Gottes zurückführt und sie darüber hinaus mit dem von Jesus Christus verkündeten Evangelium der Brüderlichkeit in Verbindung bringt: „Wenn nämlich der Mensch mit seiner Handarbeit oder mit Hilfe der Technik die Erde bebaut, damit sie Frucht bringe und eine würdige Wohnstätte für die gesamte menschliche Familie werde, und bewußt seinen Anteil nimmt an der Gestaltung des Lebens der gesellschaftlichen Gruppen, dann führt er den schon am Anfang der Zeiten kundgemachten Auftrag Gottes aus, sich die Erde untertan zu machen und die Schöpfung zu vollenden, und entfaltet sich selbst; zugleich befolgt er das große Gebot Christi, sich in den Dienst seiner Brüder zu stellen (GS 57; vgl. auch Nr. 63). 5. Das Konzil schließt jedoch nicht die Augen vor den enormen Problemen, welche die Entwicklung des heutigen Menschen in ihrer personalen wie in ihrer gemeinschaftlichen Dimension mit sich bringen. Es wäre eine Illusion, wenn man meinte, sie ignorieren zu können, so wie es ein Irrtum wäre, in unangebrachter oder ungenügender Weise an sie heranzugehen aus der widersinnigen Forderung heraus, auf die notwendige Bezugnahme zur Vorsehung und zum Willen Gottes zu verzichten. Das Konzil sagt: „Gewiß ist die Menschheit in unseren Tagen voller Bewunderung für die eigenen Erfindungen und die eigene Macht, trotzdem wird sie oft ängstlich bedrückt durch die Fragen nach der heutigen Entwicklung der Welt, nach Stellung und Aufgabe des Menschen im Universum, nach dem Sinn seines individuellen und kollektiven Schaffens, schließlich nach dem letzten Ziel der Dinge und Menschen“ (GS 3). Erklärend heißt es: „Wie es bei jeder Wachstumskrise geschieht, bringt auch diese Umgestaltung nicht geringe Schwierigkeiten mit sich. So dehnt der Mensch seine Macht so weit aus und kann sie doch nicht immer so steuern, daß sie ihm wirklich dient. Er unternimmt es, in immer tiefere seelische Bereiche einzudringen, und scheint doch oft ratlos über sich selbst. Schritt für Schritt entdeckt er die Gesetze des gesellschaftlichen Lebens und weiß doch nicht, welche Ausrichtung er ihm geben soll“ (GS 4). Das Konzil spricht ausdrücklich von „Widersprüchen und Störungen des Gleichgewichts“, die durch eine allzu schnelle und ungeordnete Entwicklung in den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umständen, in den Gewohnheiten, in 145 AUDIENZEN UND ANGELUS der Kultur wie auch im Denken und im Bewußtsein des Menschen, in der Familie, in den sozialen Verhältnissen, in den Beziehungen zwischen den Gruppen, den Gemeinschaften und den Nationen entstehen, deren Folge „gegenseitiges Mißtrauen und Feindschaft, Konflikte und Notlagen sind. Ihre Ursache und ihr Opfer zugleich ist der Mensch“ (vgl. GS8-10). Und schließlich gelangt das Konzil an die Wurzel des Ganzen, wenn es sagt: „In Wahrheit hängen die Störungen des Gleichgewichts, an denen die moderne Welt leidet, mit jener tiefer liegenden Störung des Gleichgewichts zusammen, die im Herzen des Menschen ihren Ursprung hat“ (GS 10). 6. Angesichts dieser Situation des Menschen in der Welt von heute erscheint die Auffassung ganz und gar ungerechtfertigt, nach welcher die „Herrschaft“, die er sich anmaßt, absolut und radikal ist und ohne jede Bezugnahme zur göttlichen Vorsehung verwirklicht werden kann. Es ist eine leere und gefährliche Illusion, ausschließlich mit seinen eigenen Kräften sein Leben aufzubauen und die Welt zum Reich des eigenen Glücks zu machen. Das ist die große Versuchung, der der moderne Mensch verfallen ist, wobei er vergißt, daß die Gesetze der Natur auch die industrielle und nachindustrielle Zivilisation bestimmen (vgl. GS 26 f.). Aber es ist leicht, dem Fehler einer anmaßenden Selbstgenügsamkeit bei der fortschreitenden Herrschaft über die Naturkräfte solange nachzugeben, bis man Gott vergißt oder sich an seine Stelle setzt. Dieser Anspruch führt heute in manchen Bereichen zu Formen der biologischen, genetischen, psychologischen . . . Manipulation, die in der Vorherrschaft des Menschen über den Menschen mit verhängnisvollen, tragischen Folgen enden kann, wenn sie nicht von den Kriterien des Sittengesetzes (und damit von der Endbestimmung für das Reich Gottes) geleitet wird. Das Konzil, das dem modernen Menschen seine Größe zuerkennt, aber auch um seine Grenze in der berechtigten Autonomie der irdischen Wirklichkeiten weiß (vgl. GS 36), hat ihm die Wahrheit von der göttlichen Vorsehung in Erinnerung gerufen, die ihm entgegenkommt, um ihm beizustehen und zu helfen, in dieser Beziehung zu Gott, Vater, Schöpfer und vorsehende Kraft, kann der Mensch das Fundament seines Heiles ständig wieder neu entdecken. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Im Glauben an Gott, den „Schöpfer des Himmels und der Erde“, sind viele Wahrheiten enthalten. In ihrem Mittelpunkt steht die Wahrheit von 146 AUDIENZEN UND ANGELUS der göttlichen Vorsehung. Viele Dokumente des II. Vatikanischen Konzils sprechen von ihr, besonders die Konstitution Gaudium etspesüber die Kirche in der Welt von heute. Das Konzil beschreibt darin die Welt der Menschen als von der Liebe des Schöpfers geschaffen und im Dasein erhalten, als von Christus aus der Knechtschaft der Sünde befreit und zur endzeitlichen Vollendung bestimmt (vgl. GS 2). In ihr hat der Mensch als Gottes Ebenbild die Herrschaft über alle anderen Geschöpfe und ist durch sein Wirken in einer besonderen Weise Werkzeug der göttlichen Vorsehung. Das Konzil sagt ausdrücklich, daß sein unermüdliches Bemühen, die Lebensbedingungen zu verbessern, als solches der Absicht Gottes entspricht (vgl. GS 34). Die Entfaltung und Vervollkommnung der Welt gehören zur Berufung des Menschen, sich die Erde untertan zu machen. Somit gehören auch die großen Erfolge der modernen wissenschaftlichen und technologischen Zivilisation zu jenem Bereich der „Vorsehung“, den Gott zur Verwirklichung seiner Pläne mit der Welt dem Menschen anvertraut hat. Das Konzil sieht und anerkennt also den Wert der Kultur und der Arbeit unserer Zeit. Dennoch aber verkennt es auch nicht die Probleme und Schwierigkeiten, die sich nicht selten für den Menschen daraus ergeben. Es spricht von „Widersprüchen und Störungen des Gleichgewichts“ aufgrund einer allzu schnellen und ungeordneten Entwicklung, die zu gegenseitigem Mißtrauen und Feindschaft, zu Konflikten und Notlagen führen, deren Ursache und Opfer zugleich der Mensch selber ist (vgl. GS 8-10). Das Konzil bemerkt dazu: „In Wahrheit hängen die Störungen des Gleichgewichts, an denen die moderne Welt leidet, mit jener tiefer hegenden Störung des Gleichgewichts zusammen, die im Herzen des Menschen ihren Ursprung hat“ (GS 10). Die relative Selbständigkeit der Welt darf nicht als Unabhängigkeit von Gott und als Selbstgenügsamkeit mißverstanden werden. Deshalb hat uns das II. Vatikanische Konzil wieder nachdrücklich die Glaubenswahrheit von der göttlichen Vorsehung ins Gedächtnis gerufen. Mit dieser kurzen Zusammenfassung meiner italienischen Ausführungen grüße ich sehr herzlich alle heutigen deutschsprachigen Audienzteilnehmer: die genannten Pilgergruppen, die Familien und Einzelpilger und besonders die Jugendlichen. Ich wünsche euch schöne und erlebnisreiche Tage in der Ewigen Stadt, vor allem eine Vertiefung eures Glaubens und religiösen Lebens. Indem ich euch und eure Angehörigen in der Heimat Gottes Güte und Vorsehung anempfehle, erteile ich euch allen von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. 147 AUDIENZEN UND ANGELUS „Herz Jesu, an dem der Vatersein Wohlgefallen hat“ Angelus am 22. Juni 1. Herz Jesu, an dem der Vater sein Wohlgefallen hat. Wenn wir so beten, denken wir besonders jetzt, im Monat Juni, über das ewige Wohlgefallen nach, das der Vater am Sohn hat: Gott an Gott, Licht am Licht. Dieses Wohlgefallen bedeutet auch Liebe: die Liebe, der alles Seiende sein Leben verdankt: ohne sie, ohne Liebe und ohne das zum Sohn gewordene Wort „wurde nichts, was geworden ist“ (Joh 1,3). Dieses Wohlgefallen des Vaters hat seine Offenbarung im Schöpfungswerk gefunden, insbesondere in der Erschaffung des Menschen, als Gott „sah, daß alles, was er gemacht hatte, sehr gut war“ {Gen 1,31). Ist also nicht das Herz Jesu der „Punkt“, an dem auch der Mensch wieder volles Vertrauen in alles Geschaffene finden kann? Er sieht die Werte, er sieht die Ordnung und die Schönheit der Welt. Er erkennt den Sinn des Lebens. 2. Herz Jesu, an dem der Vater sein Wohlgefallen hat. Begeben wir uns an das Ufer des Jordan. Begeben wir uns auf den Berg Tabor. In beiden von den Evangelisten beschriebenen Ereignissen ist die Stimme des unsichtbaren Gottes zu hören, und es ist die Stimme des Vaters: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“ {Mt 17,5). Das ewige Wohlgefallen des Vaters begleitete den Sohn, als er Mensch wurde, als er den messianischen Sendungsauftrag empfing, den er in der Welt erfüllen sollte, als er sagte, seine Speise sei es, den Willen des Vaters zu erfüllen. Bis zuletzt hat Christus diesen Willen erfüllt, indem er gehorsam war bis zum Tod am Kreuz, und damals ist jenes ewige Wohlgefallen des Vaters am Sohn, das zum innersten Geheimnis des dreifältigen Gottes gehört, Teil der Geschichte. des Menschen geworden. Denn der Sohn selbst ist Mensch geworden und hat als solcher ein Menschenherz gehabt, mit dem er geliebt und die Liebe erwidert hat; allen voran die Liebe des Vaters. Und deshalb hat sich auf dieses Herz, auf das Herz Jesu, das Wohlgefallen des Vaters konzentriert. Es ist das heilbringende Wohlgefallen. Denn der Vater umfängt mit ihm -im Herzen seines Sohnes - alle, für die dieser Sohn Mensch geworden ist, alle, für die er ein Herz hat, alle, für die er gestorben und auferstanden ist. 148 AUDIENZEN UND ANGELUS Im Herzen Jesu finden der Mensch und die Welt wieder das Wohlgefallen des Vaters. Es ist das Herz unseres Erlösers. Es ist das Herz des Erlösers der Welt. 3. Im „Engel des Herrn“ schließen wir uns Maria an. Schließen wir uns ihr an, von der der Sohn Gottes ein menschliches Herz empfangen hat. Beten wir, daß sie uns ihm nahebringt. Beten wir, daß sie im Herz des Sohnes dem Menschen und der Welt das Gefallen des Vaters, die Liebe des Vaters, das Erbarmen des Vaters nahebringt. Nach dem Angelus sagte der Papst: Bei der Erinnerung an die „Ad-limina“-Besuche der letzten Monate gilt heute mein herzliches Gedenken den Bischöfen Koreas, die ich im vergangenen Herbst freudig empfangen habe. Die Kirche in Korea, befruchtet durch das Blut ihrer Märtyrer, die ich während meiner Pilgerreise in jenes Land im Mai 1984 zu meiner Freude heiligsprechen konnte, liefert den Beweis eines lebendigen Wachstums. Dafür müssen wir Gott danken und ihn bitten, daß diese Brüder weiter ausharren in ihrem offenen Glaubenszeugnis, besonders im Familienleben, in der Welt der Jugend, an den Arbeitsplätzen und im Dialog mit den Kulturen, und damit den Sauerteig des Evangeliums in der Dynamik der Entwicklung der ganzen Gesellschaft einbringen. Die koreanische Nation erfährt nämlich einen beachtlichen Fortschritt, sie muß sich aber auch komplexen Problemen stellen. Beten wir, daß die Christen ihren eigenständigen Beitrag der Weisheit und evangelischen Liebe leisten und daß der Herr alle Koreaner dazu inspiriere, das gemeinsame Wohl in der Gerechtigkeit und in der Freiheit zu suchen und unter allen Umständen die Achtung des Menschen und seiner fundamentalen Rechte sicherzustellen. Auf Spanisch sagte der Papst: Mit besonderer Zuneigung grüße ich die Pilger spanischer Sprache und in besonderer Weise diejenigen, die aus Kolumbien kommen: den Pfarrer und die Pfarrgemeinde S. Francisca Romana von Bogota; die das 25jäh-rige Gründungsjubiläum feiert. Ich fordere euch auf, beständig der christliche „Sauerteig“ unter euren kolumbianischen Brüdern und Schwestern zu sein, die ich mit Gottes Hilfe Anfang des nächsten Monats Juli besuchen werde. Mit tiefem Bedauern habe ich die Nachricht von dem Erdrutsch in der Gegend von Putumayo vernommen, von dem die Autobusse auf dem Weg 149 AUDIENZEN UND ANGELUS von Pasto nach Mocoa im Bezirk Narino erfaßt wurden* wodurch zahlreiche Todesopfer und Verletzte zu verzeichnen waren. Ich nehme aufrichtig Anteil an dem Schmerz der betroffenen Familien und bitte den Allerhöchsten um die Seelenruhe der Todesopfer; den Verletzten spreche ich meine besten Wünsche aus für eine baldige Genesung. Bei diesem schmerzlichen Anlaß erteile ich von Herzen meinen trostspendenden Apostolischen Segen. Irdischer Fortschritt wird durch die Sünde behindert Ansprache bei der Generalaudienz am 25. Juni 1. Wie bei der vorigen Katechese wollen wir auch heute eingehend aus den Überlegungen schöpfen, die das Zweite Vatikanische Konzil dem Thema der geschichtlichen Situation des heutigen Menschen gewidmet hat, der einerseits von Gott dazu berufen wurde, die Schöpfung zu beherrschen und sie sich untertan zu machen, und andererseits als Geschöpf selber der liebenden Gegenwart Gottes, des Sorge tragenden Vaters und Schöpfers, unterworfen ist. Mehr als früher ist der Mensch heute besonders empfänglich für die Größe und Eigenständigkeit seiner Aufgabe als Erforscher und Beherrscher der Kräfte der Natur. Er muß jedoch feststellen, daß es eine schwerwiegende Behinderung in der Entwicklung und im Fortschritt der Welt gibt. Sie besteht in der Sünde und dem Widerstand, den sie mit sich bringt, also im sittlichen Übel. Von dieser Situation gibt die Konzilskonstitution Gaudium et spes umfassendes Zeugnis. So stellt das Konzil folgende Überlegung an: „Obwohl in Gerechtigkeit von Gott begründet, hat der Mensch unter dem Einfluß des Bösen gleich von Anfang der Geschichte an durch Auflehnung gegen Gott und den Willen, sein Ziel außerhalb Gottes zu erreichen, seine Freiheit mißbraucht“ (GS 13). Deshalb die unvermeidliche Folge, daß „der menschliche Fortschritt, der ein großes Gut für den Menschen ist, freilich auch eine große Versuchung mit sich bringt: Dadurch, daß die Wertordnung verzerrt und Böses mit Gutem vermengt wird, beachten die einzelnen Men- 150 AUDIENZEN UND ANGELUS sehen und Gruppen nur das, was ihnen, nicht aber, was den anderen zukommt. Daher ist die Welt nicht mehr der Raum der wahren Brüderlichkeit, sondern die gesteigerte Macht der Menschheit bedroht bereits diese selbst mit Vernichtung“ (GS 37). Mit Recht ist sich der moderne Mensch der eigenen Rolle bewußt, „wird aber mit den Worten ,Autonomie der zeitlichen Dinge“ gemeint, daß die geschaffenen Dinge nicht von Gott abhängen und der Mensch sie ohne Bezug auf den Schöpfer gebrauchen könne, so spürt jeder, der Gott anerkennt, wie falsch eine solche Auffassung ist. Denn das Geschöpf sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts . . . Überdies wird das Geschöpf selbst durch das Vergessen Gottes unverständlich“ (GS 36). 2. Wir erinnern vor allem an einen Text, der uns die andere Dimension der geschichtlichen Entwicklung der Welt erfassen läßt, die das Konzil stets im Auge hat. In der Konstitution heißt es: „Der Geist Gottes, dessen wunderbare Vorsehung den Lauf der Zeiten leitet und das Antlitz der Erde erneuert, steht dieser Entwicklung bei“ (GS26). Das Böse überwinden bedeutet zugleich den sittlichen Fortschritt des Menschen wollen, der die Würde des Menschen wahrt, und eine Antwort geben auf die wesentlichen Forderungen nach einer immer menschlicheren Welt. In dieser Sicht findet das Reich Gottes, das sich in der Geschichte entfaltet, gewissermaßen seinen „Stoff“ und die Zeichen seiner wirksamen Gegenwart. Mit großer Klarheit hat das Zweite Vatikanische Konzil die ethische Bedeutung der Entwicklung betont, indem es aufzeigte, daß das ethische Ideal einer menschlicheren Welt mit der Lehre des Evangeliums im Einklang steht. Wenn es auch die Entwicklung der Welt klar von der Heilsgeschichte unterscheidet, versucht es gleichzeitig, die Bindungen, die zwischen ihnen bestehen, in ihrer ganzen Fülle aufzudecken: „Obschon der irdische Fortschritt eindeutig vom Wachstum des Reiches Christi zu unterscheiden ist, so hat er doch große Bedeutung für das Reich Gottes, insofern er zu einer besseren Ordnung der menschlichen Gesellschaft beitragen kann. Alle guten Erträgnisse der Natur und unserer menschlichen Bemühungen nämlich, die Güter menschlicher Würde, brüderlicher Gemeinschaft und Freiheit, müssen im Geist des Herrn und gemäß seinem Gebot auf Erden gemehrt werden; dann werden wir sie wiederfinden, gereinigt von jedem Makel, lichtvoll und verklärt, dann nämlich, wenn Christus dem Vater ,ein ewiges, allumfassendes Reich übergeben wird: das Reich der Wahrheit und des Lebens, das Reich der Heiligkeit und der Gnade, das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“. Hier 151 AUDIENZEN UND ANGELUS auf Erden ist das Reich schon im Geheimnis da; beim Kommen des Herrn erreicht es seine Vollendung“ (GS 39). 3. Das Konzil spricht die Überzeugung der Gläubigen aus, wenn es verkündet, daß „die Kirche anerkennt. . ., was an Gutem in der heutigen gesellschaftlichen Dynamik vorhanden ist, besonders die Entwicklung hin zur Einheit, den Prozeß einer gesunden Sozialisation und Vergesellschaftung im bürgerlichen und wirtschaftlichen Bereich. Forderung von Einheit hängt ja mit der letzten Sendung der Kirche zusammen, da sie ,in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ ist. . . Die Kraft nämlich, die die Kirche der menschlichen Gesellschaft von heute mitzuteilen vermag, ist jener Glaube und jene Liebe, die sich in Tat und Wahrheit des Lebens auswirken, nicht aber irgendeine äußere, mit rein menschlichen Mitteln ausgeübte Herrschaft“ (GS 42). Aus diesem Grund entsteht eine tiefe Bindung und sogar eine Grundidentität zwischen den wichtigsten Bereichen der Geschichte und Entwicklung der „Welt“ und der Heilsgeschichte. Der Heilsplan schlägt in den realeren Bestrebungen und Zielsetzungen der Menschen und der Menschheit Wurzeln. Auch die Erlösung ist ständig auf den Menschen und auf die Menschheit „in der Welt“ ausgerichtet. Im Bereich dieser Bestrebungen und Zielsetzungen des Menschen und der Menschheit begegnet die Kirche immer der „Welt“. In gleicher Weise geht die Heilsgeschichte in den Strom der Weltgeschichte über und beträchtet diesen gewissermaßen als ihren eigenen. Und umgekehrt: die wahren Errungenschaften des Menschen und der Menschheit, echte Siege in der Geschichte der Welt, sind auch „Substrat“ des Reiches Gottes auf Erden (vgl. Kard. Karol Wojtyla, Alle fonti del rinnovamento. Studio sull’attuazione del Concilio Vaticano II „An den Quellen der Erneuerung. Studie über die Verwirklichung des Zweiten Vatikanischen Konzils““ LEV, Vatikanstadt, 1981, 150—160. 4. In diesem Zusammenhang lesen wir in der Konstitution Gaudium et spes: „So wie das menschliche Schaffen aus dem Menschen hervorgeht, so ist es auch auf den Menschen hingeordnet. . . Ein Wachstum dieser Art ist, richtig verstanden, mehr wert als zusammengeraffter äußerer Reichtum. Der Wert des Menschen liegt mehr in ihm selbst als in seinem Besitz. Ebenso ist alles, was die Menschen zur Erreichung einer größeren Gerechtigkeit, einer umfassenderen Brüderlichkeit und einer humaneren Ordnung der gesellschaftlichen Verflechtungen tun, wertvoller als der technische Fortschritt. . . Richtschnur für das menschliche Schaffen ist 152 AUDIENZEN UNDANGELUS daher, daß es gemäß dem Plan und dem Willen Gottes mit dem echten Wohl der Menschheit übereinstimme und dem Menschen als Einzelwesen und als Glied der Gesellschaft gestatte, seiner ganzen Berufung nachzukommen und sie zu erfüllen“ {GS 35; vgl. auch Nr. 59). Im gleichen Dokument heißt es weiter: „Die gesellschaftliche Ordnung muß sich ständig weiterentwickeln, muß in Wahrheit gegründet, in Gerechtigkeit aufgebaut und von Liebe beseelt werden und muß in Freiheit ein immer humaneres Gleichgewicht finden. Um dies zu verwirklichen, sind Gesinnungswandel und weitreichende Änderungen in der Gesellschaft selbst notwendig“ {GS 26). 5. Die Anpassung an die Führung und das Wirken des Geistes Gottes in der Entwicklung der Geschichte erfolgt durch den ständigen Anruf und die konsequente und treue Antwort auf die Stimme des Gewissens: „Durch die Treue zum Gewissen sind die Christen mit den übrigen Menschen verbunden im Suchen nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben der einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen. Je mehr also das rechte Gewissen sich durchsetzt, desto mehr lassen die Personen und Gruppen von der blinden Willkür ab und suchen sich nach den objektiven Normen der Sittlichkeit zu richten“ {GS 16). Das Konzil erinnert realistisch an das Vorhandensein des radikalsten Hindernisses für den wahren Fortschritt des Menschen und der Menschheit in der gegebenen Situation des Menschen: an das moralische Übel, an die Sünde, infolge derer „der Mensch in sich selbst zwiespältig (ist). Deshalb stellt sich das ganze Leben der Menschen, das einzelne wie das kollektive, als Kampf dar, und zwar als ein dramatischer, zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis. Ja, der Mensch findet sich unfähig, durch sich selbst die Angriffe des Bösen wirksam zu bekämpfen, so daß ein jeder sich wie in Ketten gefesselt fühlt“ (GS 13). Dieser Kampf des Menschen ist „ein Kampf, der schon am Anfang der Welt begann und nach dem Wort des Herrn (vgl. Mt 24,13; 13,24-30.36-43) bis zum letzten Tag andauern wird. Der einzelne Mensch muß, in diesen Streit hineingezogen, beständig kämpfen um seine Entscheidung für das Gute, und nur mit großer Anstrengung kann er in sich mit Gottes Gnadenhilfe seine eigene innere Einheit erreichen“ {GS 37). 6. Abschließend können wir sagen: auch wenn das Wachstum des Reiches Gottes nicht mit der Entwicklung der Welt gleichzusetzen ist, so ist doch das Reich Gottes in der Welt und zuallererst im Menschen da, der in 153 AUDIENZEN UND ANGELUS der Welt lebt und arbeitet. Der Christ ist sich bewußt, daß er mit seinem Einsatz für den Fortschritt der Geschichte und mit der Gnadenhilfe Gottes zum Wachsen des Reiches bis hin zur geschichtlichen und endzeitlichen Erfüllung des Planes der göttlichen Vorsehung beiträgt. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! In der Pastoralkonstitution Gaudium et spes über die Kirche in der Welt von heute befaßt sich das II. Vatikanische Konzil eingehend mit der Lage des Menschen in der modernen Gesellschaft. Mehr als früher ist der Mensch sich heute der Größe und Eigenständigkeit seiner Aufgabe als Erforscher und Beherrscher der Natur und ihrer Kräfte bewußt. Zugleich erfährt er aber auch die großen Widerstände und Schwierigkeiten, die sich jedem wahren Fortschritt in der Welt entgegenstellen und die letztlich im sittlichen Übel, in der Sünde, ihre Wurzel haben. Der menschliche Fortschritt birgt in sich auch eine große Versuchung, nämlich die des egoistischen, selbstgenügsamen Mißbrauchs, der Gottvergessenheit bis hin zur eigenen Selbstzerstörung. Dennoch ist das Konzil davon überzeugt, daß der Geist Gottes, dessen wunderbare Vorsehung den Lauf der Zeiten leitet und das Antlitz der Erde erneuert, auch der Entwicklung in der modernen Welt beisteht (vgl. GS 26). Es legt besonderen Wert auf die ethische Bedeutung der Entwicklung, indem es aufzeigt, wie das ethische Ideal von einer immer „menschlicheren“ Welt mit der Lehre des Evangeliums durchaus im Einklang steht. Wenn sich auch die Entwicklung der Welt von der Heilsgeschichte unterscheidet, so bestehen doch gleichzeitig vielfältige Verbindungen zwischen ihnen. Die Kirche erkennt deshalb an, „was an Gutem in der heutigen gesellschaftlichen Dynamik vorhanden ist, besonders die Entwicklung hin zur Einheit, den Prozeß einer gesunden Sozialisation und die Vergesellschaftung im bürgerlichen und wirtschaftlichen Bereich“ (GS 42). Die echten Errungenschaften des Menschen und der Menschheit sind auch das „Substrat“ des Reiches Gottes auf Erden. Wichtig ist vor allem, daß sich die Ordnung und Entwicklung der Dinge auf Wahrheit und Gerechtigkeit gründen und von Solidarität und Liebe beseelt sind. Deshalb ist der Mensch ständig aufgerufen, sich gegen das Böse und für das Gute einzusetzen. Das Reich Gottes ist in der Welt, zuallererst aber im Menschen selber. Herzlich grüße ich mit dieser kurzen Betrachtung alle anwesenden Pilger deutscher Sprache. Ich erbitte euch Gottes Licht und Führung, damit ihr euch eurer Verantwortung als Christen in der Welt von heute neu bewußt 154 AUDIENZEN UNDANGELUS werdet und das Wirken der Kirche zum Wohl der Menschen durch Gebet, Wort und Tat nach Kräften unterstützt. Von Herzen erteile ich euch meinen besonderen Apostolischen Segen. Rom — auserwählt durch den Herrn der Geschichte Angelus am 29. Juni 1. O Roma felix! O glückliches Rom! Die heutige Liturgie verkündet das Martyrium der Apostel Petrus und Paulus. Durch das Gedächtnis an ihren Tod feiert sie heute ihr Leben. Denn der Tod ist nicht nur das Ende des Lebens, sondern auch seine Erfüllung in den Grenzen der Zeit, in den Grenzen der Geschichte. Er ist gleichsam das letzte Siegel, das der gesamten irdischen Existenz des Menschen eingeprägt wird. So verkündet also der Tod der Apostel Petrus und Paulus zugleich die Geschichte ihres Lebens. Dieses Leben - das Leben beider ist so außergewöhnlich durch die Beziehung zu Christus gewesen, der sie in seine Nachfolge berief. Er berief Simon, den Sohn des Jonas, der Fischer in Galiläa war, und gab ihm den Namen Petrus, das heißt „Fels“. Ebenso berief er Saulus aus Tarsus, der die Christen verfolgte und machte aus ihm Paulus, den Völkerapostel, sein „auserwähltes Werkzeug“ (Apg9,15). Das Leben der beiden ist so außergewöhnlich durch die Macht des Heiligen Geistes, die es ihnen ermöglicht hat, Zeugnis zu geben vom gekreuzigten und auferstandenen Christus: „Er wird Zeugnis von mir ablegen. Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen“ (Joh 15,26f.). Der Tod beider im Rom zur Zeit des Kaisers Nero war das letzte Wort dieses Zeugnisses. Er entschied dessen endgültige Erfüllung. Durch diesen Märtyrertod bleibt ihr Leben in besonderer Weise im Gedächtnis der Kirche gegenwärtig. Es bleibt vor allem in Gott, der „nicht der Gott der Toten, sondern der Gott der Lebenden ist“ (Mt 22,32); in Gott, in dem „alles lebt“. 2. O Roma felix! Wenn die heutige Liturgie so von Rom spricht, dann tut sie das eben wegen des Todes der Apostel. Glücklich bist du, Rom, denn du hast den Tod bereitet, der das Zeugnis 155 AUDIENZEN UNDANGELUS des Lebens festigt. Ja, du bist ein neuer Boden „für die großen Dinge Gottes“ (magnalia Dei) geworden. Zu dir, in die Hauptstadt der Cäsaren, ist Simon Petrus, der einfache Fischer aus Galiläa, gekommen, geführt von der unsichtbaren Hand des Herrn der Geschichte. Zu dir ist danach auch Paulus gekommen, der unermüdliche Apostel dieses Christus, der der Bräutigam der Kirche ist. Ein Dichter (Norwid) hat bemerkt, daß das Wort „Roma“ von rückwärts gelesen Amor - (Liebe) wird: ROMA - AMOR. Rom, Hauptstadt der antiken Welt! Du hast dich gegen viele Christengenerationen sehr grausam gezeigt. Du hast die ersten Apostel Christi als Märtyrer sterben lassen. Dennoch hat sich durch deinen Namen die Wahrheit in der Liebe gefestigt, die größer als alle Grausamkeiten, Foltern und Verfolgungen ist, ja selbst größer als der Tod. Darum sagt die Liturgie von dir „o Roma felix“. Wir freuen uns heute über deine Auserwählung durch den Herrn der Geschichte und Bräutigam der Kirche. Darüber hinaus beten wir alle, die wir uns am Grab der heiligen Apostel Christi, Petrus und Paulus, eingefunden haben, „daß dein Glaube nicht erlischt“ (Lk 22,32). Bekehre dich! Bekehre dich immer von neuem! Und einmal bekehrt, stärke deine Brüder! Pastoraireise nach Kolumbien Liebe Brüder und Schwestern, ich vertraue euren Gebeten die Pastoraireise nach Kolumbien an, die ich am kommenden Dienstag antreten werde. Sie wird mich zu den lieben christlichen Gemeinden dieser edlen Nation und, auf dem Rückweg, zu den Gläubigen der Insel Santa Lucia führen. Der Besuch, der in den Gesamtrahmen der Vorbereitung auf die 500-Jahr-Feier der Erstevangelisierung des lateinamerikanischen Kontinents gehört, hat, wie meine vorangegangene Reise, überwiegend religiöse Ziele. Er will der besonderen Aufgabe des Nachfolgers Petri nachkom-men, nämlich die Brüder in ihrer Anhänglichkeit an Christus stärken. Daher möchte ich mit jenen Gläubigen beten und meinen Gefühlen der Wertschätzung für ihre kulturellen und religiösen Traditionen und meinen Wünschen für ein immer konsequenteres und engagierteres kirchliches Leben Ausdruck verleihen. Möge der Herr, möge die von den Kolumbianern im Heiligtum Unserer 156 AUDIENZEN UND ANGELUS Lieben Frau von Chiquinquirä so sehr verehrte selige Jungfrau mir auf dieser Reise beistehen und sie reich an geistlichen Früchten machen. Ich weiß, daß hier auf dem Platz einige kolumbianische Journaüsten zugegen sind. Ich grüße sie alle herzlich und bin ihnen dankbar, wenn sie ihren Landsleuten berichten, mit welch tiefer Freude ich mich auf die Begegnungen in Kolumbien vorbereite. Anwesend sind auch einige Letten, die in den vergangenen Tagen zur 800-Jahr-Feier der Christianisierung ihres Volkes nach Rom gekommen sind. Noch einmal spreche ich ihnen meine Grüße und Wünsche aus. Der Glaube an rein geistige Wesen gründet in der Heiligen Schrift Ansprache bei der Generalaudienz am 9. Juli 1. Wir können unsere Katechesen über Gott, den Schöpfer der Welt, nicht abschließen, ohne einem bestimmten Inhalt der göttlichen Offenbarung entsprechende Aufmerksamkeit zu widmen: nämlich der Schöpfung der rein geistigen Wesen, die die Heilige Schrift Engel nennt. Diese Schöpfung erscheint klar in den Glaubensbekenntnissen, besonders im nizänokonstantinopolitanischen: „Ich glaube an den einen Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge (d. h.: Wesen)“. Wir wissen, daß innerhalb der Schöpfung der Mensch eine einzigartige Stellung genießt: Dank seines Leibes gehört er der sichtbaren Welt an, während er sich durch die geistige Seele, die den Leib belebt, gleichsam an der Grenze zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Schöpfung befindet. Dieser letzteren gehören nach dem Glaubensbekenntnis, das die Kirche im Lichte der Offenbarung bekennt, noch andere, rein geistige Wesen an, die freilich nicht zur sichtbaren Welt gehören, auch wenn sie in ihr gegenwärtig und tätig sind. Sie stellen eine eigene Welt dar. 2. Heute wie in vergangenen Zeiten spricht man mit mehr oder weniger Weisheit über diese geistigen Wesen. Man muß zugeben, daß die Verwirrung bisweilen groß ist und die Gefahr mit sich bringt, etwas als Glaube der Kirche über die Engel hinzustellen, was nicht zum Glauben gehört, 157 AUDIENZEN UND ANGELUS oder umgekehrt, einen wichtigen Aspekt der geoffenbarten Wahrheit zu übergehen. Die Existenz der geistigen Wesen, die die Heilige Schrift gewöhnlich „Engel“ nennt, wurde bereits zur Zeit Christi von den Sadduzäern geleugnet (vgl. Apg 23,8). Ebenso bestreiten sie die Materialisten und Rationalisten aller Zeiten. Doch wie ein moderner Theologe treffend bemerkt, „wollte man sich von den Engeln befreien, müßte man die Heilige Schrift selbst und mit ihr die ganze Heilsgeschichte radikal revidieren“ (A. Winklhofer, Die Welt der Engel, Ettal 1961,144, Anm. 2: Mysterium Salutis, II, 2, 726). Die gesamte Überlieferung stimmt in dieser Frage überein. Das Glaubensbekenntnis der Kirche ist im Grunde ein Widerhall auf das, was Paulus an die Kolosser schreibt: „Denn in ihm (Christus) wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten, alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen“ (Kol 1,16). Das heißt, Christus, der als Sohn das ewige mit dem Vater wesensgleiche Wort, „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ {Kol 1,15) ist, steht im Mittelpunkt des Universums — als Grund und Angelpunkt der ganzen Schöpfung, wie wir bereits in den vorangegangenen Katechesen gesehen haben und wie wir noch sehen werden, wenn wir unmittelbarer von ihm sprechen. 3. Die Bezugnahme auf den Primat Christi hilft uns zu verstehen, daß die Wahrheit über die Existenz und das Wirken der (guten und bösen) Engel nicht den zentralen Inhalt des Wortes Gottes bildet. In der Offenbarung redet Gott vor allem „die Menschen an . . . und verkehrt mit ihnen, um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen“, wie wir in der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die göttliche Offenbarung lesen (DV2). So bildet „die tiefe Wahrheit. . . über Gott und über das Heil der Menschen“ den Hauptinhalt der Offenbarung, der uns in der Person Christi am vollständigsten auf leuchtet (vgl. DV 2). Die Wahrheit über die Engel ist gewissermaßen collateral (sekundär) doch nicht zu trennen von der Hauptoffenbarung, nämlich Existenz, Majestät und Herrlichkeit des Schöpfers, die in der ganzen (der sichtbaren und der „unsichtbaren“) Schöpfung und im Heilswirken Gottes in der Geschichte des Menschen erstrahlen. Die Engel sind also in der Wirklichkeit der Offenbarung nicht Geschöpfe ersten Ranges, doch sie gehören voll dazu, ja manchmal sehen wir sie im Namen Gottes selbst fundamentale Aufgaben erfüllen. 4. Alles, was zur Schöpfung gehört, gehört nach der Offenbarung zum Geheimnis der göttlichen Vorsehung. Das macht auf treffendste Weise 158 AUDIENZEN UND ANGELUS das Erste Vaticanum deutlich, das wir schon mehrmals zitiert haben: „Alles, was Gott geschaffen hat, erhält und leitet er mit seiner Vorsehung, die ,machtvoll ihre Kraft von einem Ende zum andern entfaltet und voll Güte das All durchwaltet‘ (vgl. Weish 8,1).,Alles hegt nackt und bloß vor seinen Augen“ (vgl. Hebr 4,13), auch das, was aus freier Initiative der Geschöpfe geschehen wird“ (DS 3003). Die Vorsehung umfaßt also auch die Welt der reinen Geister, die noch mehr als die Menschen freie Vernunftwesen sind. In der Heiligen Schrift finden wir wertvolle Hinweise auf sie. Da ist auch die Offenbarung eines geheimnisvollen, doch wirklichen Dramas, das diese Engelwesen betraf, ohne daß irgendwas der ewigen Weisheit entgangen wäre, die machtvoll (fortiter) und zugleich mit Güte (suaviter) alles im Reich des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zur Vollendung führt. 5. Wir erkennen vor allem, daß die Vorsehung als liebevolle Weisheit Gottes gerade in der Erschaffung rein geistiger Wesen offenbar wird, wodurch die Gottähnlichkeit an ihnen besser zum Ausdruck kommt, die alles in der sichtbaren Welt Erschaffene, den Menschen eingeschlossen, der gleichfalls ein unauslöschliches Ebenbild Gottes ist, so sehr überragen. Gott, der absolut vollkommener Geist ist, spiegelt sich vor allem in den geistigen Wesen wider, die ihm von ihrer Natur her, das heißt wegen ihrer Geistigkeit, viel näherstehen als die materiellen Geschöpfe, und die gleichsam die allernächste Umgebung des Schöpfers bilden. Die Heilige Schrift bietet ein recht deutliches Zeichen von dieser größten Gottnähe der Engel, wenn sie von ihnen in bildhafter Sprache als dem Thron Gottes, seinen „Scharen“, seinem Himmel spricht. Sie hat die Dichtung und die Kunst der christlichen Jahrhunderte inspiriert, die uns die Engel als „Gefolge Gottes“ darstellen. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Bevor ich mein Grußwort an euch richte und in meinen Ausführungen über das Glaubensbekenntnis fortfahre, gedenke ich Gott mit tief dankbarem Herzen für die Pastoraireise nach Kolumbien, von der ich gestern mit vielen reichen Eindrücken aus der Begegnung mit den gläubigen Menschen in diesem Teil des lateinamerikanischen Kontinents zurückgekehrt bin. Zugleich danke ich allen kirchlichen und staatlichen Autoritäten, die diesen in vieler Hinsicht bedeutsamen Besuch mit ihrer Hilfe ermöglicht haben. 159 AUDIENZEN UNDANGELUS Im Glaubensbekenntnis beten wir: „Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt.“ In der Schöpfung nimmt der Mensch selbst eine einzigartige Stellung ein: Durch seinen Leib gehört er zur sichtbaren Welt, durch seine Geistseele, die seinem Leib Leben gibt, findet er sich auf der Grenze zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt vor. Zur unsichtbaren Welt gehören nach dem Glauben, den die Kirche im Licht der Offenbarung bekennt, reine Geistwesen. Sie sind nicht Teil der sichtbaren Welt, aber sie sind in ihr handelnd gegenwärtig: die Engel. Unser Glaube bekennt hier, was Paulus an die Kolosser schreibt: „Denn in ihm (in Christus) wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten, alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen“ (1,16). Die Beziehung zu Christus, dem „Erstgeborenen der ganzen Schöpfung“ (Kol 1,15), hilft uns, die Wahrheit über die Existenz und das Wirken der Engel (guter wie böser) zu verstehen. Wenn auch die Wahrheit über die Engel nicht den zentralen Inhalt der Offenbarung bildet - die uns in Christus aufleuchtet, „der zugleich der Mittler und die Fülle der ganzen Offenbarung ist“ (DF2) —, so ist sie jedoch nicht von dieser zu trennen. Die Wahrheit über die Engel gehört zur Offenbarung, zumal wir den Engeln in der Heilsgeschichte begegnen, wie sie in göttlichem Auftrag handeln. Als Geistwesen sind sie Gott, der reiner absoluter Geist ist, näher als die materielle Kreatur. Die Heilige Schrift berichtet uns in Bildern ausdrücklich von dieser Nähe der Engel zu Gott. Davon haben sich christliche Dichtung und Kunst durch die Jahrhunderte inspirieren lassen und oft wundervolles gläubiges Zeugnis darüber abgelegt. Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich alle anwesenden Besucher deutscher Sprache herzlich, insbesondere die Gruppe von Priestern aus der Diözese Trier sowie die Kursteilnehmer in Rocca di Papa aus den Diözesen Linz und Klagenfurt und aus der Pfarrei Weiler. Ich wünsche euch allen schöne und bereichernde Tage in Rom und erteile euch für eine gute Rückkehr in eure Heimat von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. 160 AUDIENZEN UNDANGELUS „Der Herr öffne die Herzen der Entführer!“ Angelus in Castel Gandolfo am 13. Juli 1. Herz Jesu, aus dessen Gnade wir alle empfangen. Nachdem, wir uns zum Angelusgebet eingefunden haben, schließen wir uns Maria im Augenblick der Verkündigung an, als das Wort Fleisch wurde und unter ihrem Herzen zu wohnen begann: unter dem Herzen der Mutter. Wir schließen uns also dem Herzen der Mutter an, die vom Augenblick der Empfängnis an das menschliche Herz ihres göttlichen Sohnes besser kennt. „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade“ {Joh 1,16). 2. Was bestimmt die Fülle des Herzens? Wann können wir sagen, daß das Herz voll ist? Wovon ist das Herz Jesu voll? Es ist voll Liebe. Die Liebe bestimmt diese Fülle des Herzens des Gottessohnes, an die wir uns heute im Gebet wenden. Es ist ein Herz voll Liebe zum Vater: voll - auf göttliche und auf menschliche Weise. Denn das Herz Jesu ist wahrhaftig das menschliche Herz des Gottessohnes. Es ist daher voll kindlicher Liebe: alles, was er auf Erden getan und gesagt hat, gibt eben von dieser Sohnesliebe Zeugnis. 3. Gleichzeitig hat die kindliche Liebe des Herzens Jesu der Welt die Liebe des Vaters geoffenbart - und offenbart sie ihr unablässig weiter. Denn der Vater „hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab“ (Joh 3,16) für die Rettung der Welt; für die Rettung des Menschen, damit er „nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ {Joh 3,16). Das Herz Jesu ist also voll Liebe zum Menschen. Es ist voll Liebe zum Geschöpf. Voll Liebe zur Welt: Wie ist es übervoll! Diese Fülle versiegt niemals. Wenn die Menschheit die Grundstoffvorräte an Erde, Wasser, Luft ausschöpft, gehen diese Vorräte zurück und versiegen mit der Zeit. Über dieses Thema wird viel gesprochen im Zusammenhang mit der immer rascheren Ausbeutung dieser Vorräte, die in unseren Tagen stattfindet. Daher stammen Mahnungen wie: „Laßt uns die Ausnutzung nicht übertreiben!“ Ganz anders ist es bei der Liebe. Ganz anders ist es bei der Fülle des Herzens Jesu. Sie versiegt niemals, noch wird sie je versiegen. Aus dieser Fülle empfangen wir alle - Gnade über Gnade. Es muß sich 161 AUDIENZEN UNDANGELUS nur unser Herz ausweiten, unsere Bereitschaft, aus diesem Überfluß an Liebe zu schöpfen. Eben dazu schließen wir uns dem Herzen Mariens an. Nach dem Angelus richtete der Papst in verschiedenen Sprachen kurze Grußworte an die anwesenden Pilger! Auf deutsch sagte er: Herzlich begrüße ich auch die anwesenden Besucher aus den deutschsprachigen Ländern. Ich wünsche euch allen frohe Ferientage und erbitte euch mit dem Apostolischen Segen gute Rückkehr in eure Heimat. Dann gab Johannes Paul II. seiner Betroffenheit über die Entführung von zehn Nonnen auf den Philippinen Ausdruck: Mit tiefem Schmerz und großer Bestürzung habe ich erfahren, daß auf den Philippinen zehn Karmelitinnen, eine ganze Ordenskommunität, aus dem Kloster von Marawi City entführt und fortgebracht worden sind. Während ich meiner Betrübnis und Mißbilligung darüber Ausdruck gebe, daß wehrlose Personen, die sich in der Sammlung der Klausur ausschließlich dem Gebet und der Betrachtung widmen, zum Ziel solcher Gewalt und solchen Mißbrauchs gemacht werden, appelliere ich eindringlich an die Verantwortlichen für diese unglaubliche Tat, jene guten Schwestern, die ihr Leben dem anbetenden Gotteslob und dem Erbitten von Gnaden für die Kirche und für die Menschheit geweiht haben, sofort unverletzt freizulassen. Ich lade die bei dieser sonntäglichen Begegnung hier Anwesenden und alle, die mich hören, ein, den Herrn zu bitten, daß er unsere Schwestern tröste und die Herzen der Entführer für Gefühle der Redlichkeit und Gerechtigkeit öffne. Im Geist des Friedens Christi Ansprache bei der Generalaudienz am 16. Juli 1. „Mit dem Frieden Christi auf den Straßen Kolumbiens“: diese Worte beinhalten das Hauptthema, unter das die kolumbianischen Bischöfe die Pilgerreise des Papstes in ihrer Heimat gestellt haben. Ich möchte jenen Bischöfen herzlich für die Einladung zu diesem Besuch danken, den ich in den ersten Julitagen verwirklichen konnte. 162 AUDIENZEN UND ANGELUS Gleichzeitig danke ich den staatlichen Behörden und insbesondere Präsident Betancur sowohl für die Einladung, wie für die verschiedenen Erleichterungen, die mir bei der Durchführung dieses pastoralen Dienstes „auf den Straßen Kolumbiens“ zuteil wurden. 2. Diese „Straßen“ heben vor allem die „Geographie“ des Besuches hervor. Kolumbien ist ein großes Land (über eine Million Quadratkilometer). Der Großteil davon — der Südosten - ist von tropischem Urwald bedeckt und kaum bewohnt. Dichter besiedelt hingegen ist die Pazifikküste, wo die Bewohner größtenteils Afroamerikaner sind. Doch der überwiegende Teil der Kolumbianer wohnt im zentralen Gebiet zwischen den Gebirgsketten der Anden und der Atlantikküste, der Karibikzone. So erklärt sich auch der Ablauf des Besuches. Beginnend in der Hauptstadt Bogota, führte der Weg zunächst nach Süden: Cali - Tumaco (Pazifikküste) -Popayän, um sich dann nach Norden zu wenden: Pereira — Medellin — Bucaramanga, und schließlich zur Atlantikküste: Cartagena - Barranquilla. 3. In die so umrissene „Geographie“ der Pilgerreise ist auch ihre historische Dimension eingeschrieben: die Geschichte des Landes läuft parallel zur Geschichte der Evangelisierung. Wir nähern uns dem 500. Gedenkjahr der Entdeckung Amerikas und damit dem Beginn der Evangelisierung auf jenem Kontinent. Für Kolumbien ist dieser Beginn mit dem 450. Jahrestag der wunderbaren Erneuerung des Gnadenbildes der Madonna vom Rosenkranz in Chiquinquirä verbunden. Aus diesem Anlaß wollte man in Kolumbien auch ein Nationales Marianisches Jahr feiern. Diesem Heiligtum galt denn auch die Pilgerfahrt des Papstes am 3. Juli, um dem Herrn und der Allerseligsten Jungfrau zu danken für das große Geschenk des Glaubens und dafür zu beten, daß es immer reiche Früchte bringe. Die Anfänge der Evangelisierung rufen uns diejenigen in Erinnerung, denen dieses Werk im Laufe der Generationen soviel verdankt: die Priester, die Ordensfamilien, die Laien, wobei wir besonders der berühmten Gestalten des hl. Luis Berträn und des hl. Petrus Claver gedenken. 4. Leider ist Kolumbien — ein schönes und reiches Land — häufig Opfer von Naturkatastrophen. 1983 zerstörte ein schreckliches Erdbeben die Stadt Popayän; im November 1985 hatte der Ausbruch des Vulkans 163 AUDIENZEN UNDANGELUS Nevado del Ruiz gewaltige Schäden und zahllose Menschenopfer zur Folge. Die Pilgerreise „auf den Straßen Kolumbiens“ hat daher auch zu diesen Orten der Zerstörung und des Leidens geführt: Popayän, Chinchinä, Armero, Lerida, wo ich im Gebet verweilte und alle zum Vertrauen auf Gott und zu brüderlichem Einsatz aufforderte. 5. Als die Bischöfe der Kirche den Papst im Geiste des Friedens Christi auf diese Straßen Kolumbiens einluden, hatten sie vor allem das universale Werk der Evangelisierung vor Augen. Denn die Evangelisierung will bewirken, daß Christus unser Friede und unsere Versöhnung mit Gott und mit den Menschen wird. Sowohl die Bischöfe Kolumbiens als auch die Bischöfe ganz Lateinamerikas haben diese Überzeugung und hegen diese Hoffnung. Die Begegnung vom 2. Juli mit der Kolumbianischen Bischofskonferenz und mit dem Lateinamerikanischen Bischofsrat bot mir die willkommene Gelegenheit, an ganz Lateinamerika den Aufruf zum Frieden in Christus, zur Versöhnung, zur sozialen Gerechtigkeit, zur Solidarität zu richten. Daraus erwächst die besondere Sorge für die Priester- und Ordensberufe, die mit der Feier der Priesterweihen in Medellin (5. Juli) und bei der Begegnung mit den Ordensfrauen (am selben Tag) und mit den Leitern der Lateinamerikanischen Konföderation der Ordensleute (2. Juli) feierlich hervorgehoben wurde, 6. Hand in Hand mit der Sorge für die Priester und Ordensleute geht auch das Wiedererwachen des Apostolatsbewußtseins der Laien. Dieses in der heutigen Kirche und Gesellschaft so wichtige Thema ist besonders bei der hl. Messe in Bucaramanga (6. Juli) betrachtet worden, an welcher die Vertreter der Organisationen und Bewegungen der Laien teilnahmen. Bei der Eucharistiefeier in Cali (4. Juli) habe ich im besonderen über die Familie gesprochen, über die Jugend während des großartigen Treffens in Bogota (2. Juli), über die Kinder und über die missionarischen Bewegungen ebenfalls in Cali (4. Juli), über die Intellektuellen in Medellin (5. Juli) und schließlich über die Welt der Arbeit in der Industrie und insbesondere in der Landwirtschaft. 7. Die Kirche in Kolumbien weiß darum, immer missionarisch zu sein; aber nicht nur in Kolumbien, sondern in ganz Lateinamerika gibt es Gebiete, die eine missionarische Pastoral erfordern (vgl. Ansprache in Tumaco, 4. Juli). 164 AUDIENZEN UNDANGELUS Dieses Bewußtsein verbindet sich mit der Notwendigkeit, auch Aufgaben sozialen Charakters zu übernehmen: gegenüber den Eingeborenen (Indios, Popayän, 4. Juli) wie auch gegenüber den Afroamerikanern, den Nachkommen derjenigen, die die damaligen Kolonisatoren als Sklaven dorthin gebracht hatten (Ansprache in Tumaco, 4. Juli, und dann in Cartagena, 6. Juli), und gegenüber den sozial benachteiligten Gruppen, wovon die Begegnung mit den Bewohnern der Elendsviertel („Barrios“) in Bogota (3. Juli) und Medellin (5. Juli) zeugte. 8. Damit der Friede, den Christus bringt, auf den Straßen Kolumbiens herrschen kann, bedarf es einer vollkommenen und im Geiste der Soziallehre der Kirche koordinierten Evangelisierung, die sich in ihrer vielfältigen Tätigkeit für die soziale Gerechtigkeit, den Schutz und die Förderung der Rechte des Menschen, die Familie und die menschlichen Gemeinschaften einsetzt, um ein größeres Gleichgewicht zwischen den krassen Gegensätzen einer sehr reichen und einer allzu armen Welt zu schaffen. Das alles kam bei verschiedenen Gelegenheiten während der Pilgerfahrt auf den Straßen Kolumbiens zur Sprache (vgl. z. B. die Ansprache an die führenden Persönlichkeiten am 1. Juli oder die Abschlußansprache in Barranquilla am 7. Juli). Wenn man über das Leben und Werk des hl. Petrus Claver nachdenkt, kann man sagen, daß diese heroische Gestalt eines Missionars ein Symbol der echten „Theologie der Befreiung“ ist. 9. Im Laufe dieser Pilgerreise - an die ich eine tiefe Erinnerung im Herzen bewahre - bin ich einer zutiefst christlichen Nation, voll Hoffnung und Friedensliebe, begegnet. Leider ist diese Nation vom schmerzhaften Phänomen der Guerilla beunruhigt, die der Grund so vieler Leiden und so vielen Blutvergießens ist. Von der Stadt Bogota aus habe ich dazu auf gerufen, daß diejenigen, die sich auf diese Straße begeben haben, ihre Energien, die vielleicht von Idealen der Gerechtigkeit inspiriert sind, auf konstruktive Aktionen richten, die wirklich zum Fortschritt des Landes beitragen. Die schwerwiegenden sozialen Unterschiede müssen überwunden werden durch einen Dialog unter den Beteiligten: das ist der Weg, den die Kirche seit langem einzuschlagen aufruft. In Kolumbien bin ich einem guten Volk begegnet, das bereit ist, gegen die Sklaverei der Droge zu kämpfen, den Handel mit dem Tod, der von einer Gruppe Menschen betrieben wird, die nicht die Seele und das wirkliche Antlitz Kolumbiens widerspiegelt. Große Hoffnung für die Zukunft jener geliebten Nation bietet die Lebendigkeit der katholischen Laien, die sich zunehmend der eigenen Rolle in 165 AUDIENZEN UND ANGELUS der Kirche und der eigenen Verantwortlichkeiten in dem vom Evangelium erleuchteten sozialen Einsatz bewußt werden. Auch auf dem Gebiet der Familienpastoral und dem eng damit verbundenen Gebiet der Pastoral für die geistlichen Berufe sammelt man tröstliche Früchte. Jungen und Mädchen in immer größerer Zahl antworten mit totaler Selbsthingabe auf die Einladung Christi und sind bereit, ihm vorbehaltlos zu folgen, indem sie ihre Kräfte in den Dienst des Reiches Gottes stellen. Das erlaubt der Kirche in Kolumbien, mit ihren Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen anderen Kirchen zu helfen. 10. Die apostolische Reise nach Kolumbien fand dann im Pastoralbesuch auf der Insel Santa Lucia ihren Abschluß: ein kurzer Besuch von wenigen Stunden Dauer, der aber sehr intensiv und herzlich war. Mit lebhafter Ergriffenheit denke ich an die Eucharistiefeier im „Reduit Park“ von Castries, wo ich daran erinnert habe, daß der Glaube ein kostbares Geschenk ist, das Kultur und Geschichte jener Insel geformt hat. In der Kathedrale traf ich darin mit den Kranken, den Behinderten und den alten Menschen zusammen, denen ich ein Wort des Trostes brachte. An alle richte ich von neuem die Aufforderung eifrig auszuharren im christlichen Glauben mit der Konsequenz in der Lebensführung und dem Engagement in der Liebe. Danken möchte ich dem Generalgouverneur, Sir Allen Montgomery Lewis, dem Bischof von Castries, Monsignor Kelvin Edward Felix, allen zivilen und religiösen Behörden und der lieben, zutiefst christlichen Bevölkerung. 11. Nach Abschluß dieser wichtigen apostolischen Reise will ich von Herzen auch allen denen danken, die mit lebhaftem Glauben gebetet und mich mit ihrer Zuneigung begleitet haben. Ich habe im Namen Gottes einen kirchlichen Dienst getan. Allen Menschengruppen habe ich das Wort Christi erläutert, das erleuchtet und rettet; allen, Kleinen und Großen, Armen und Reichen, Gesunden und Kranken, Kindern und Erwachsenen, habe ich eine Botschaft der Liebe und der Ermutigung überbracht. Für alle habe ich inständig um Gerechtigkeit, Eintracht und einen geordneten Fortschritt gebetet. Von Herzen wünsche ich der Bevölkerung Kolumbiens und auch den lieben Gläubigen von Santa Lucia den Frieden Christi in einem immer glühenderen und eifrigeren Glauben, in einer immer dynamischeren und engagierteren Liebe, in einer immer empfindsameren und herzlicheren Brüderlichkeit. 166 AUDIENZEN UND ANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Mit dankbarem Herzen gegen Gottes Vorsehung gedenke ich noch einmal meiner kürzlichen Pilgerreise nach Kolumbien, diesem großen, schönen und reichen Land, das jedoch schon häufig Opfer von Naturkatastrophen geworden ist. Denken wir dabei nur an das Erdbeben von 1983, das die Stadt Popayän zerstörte, und an den Ausbruch des Vulkans Nevado del Ruiz im vergangenen Jahr, bei dem zahlreiche Menschen den Tod fanden und ungeheure Zerstörungen angerichtet wurden. Meine Pastoraireise stand unter dem Thema „Mit dem Frieden Christi auf den Straßen Kolumbiens“. Damit ist das universale Werk der Erlösung angesprochen. Denn Evangelisierung bedeutet, daß Christus unser Friede und unsere Versöhnung mit Gott und mit den Menschen wird. Mein pastoraler Dienst „auf den Straßen Kolumbiens“ führte mich in die verschiedenen Teile des großen Landes, wo ich auch der Geschichte Kolumbiens sowie den Anfängen seiner Evangelisierung begegnete. Um dem Herrn und seiner jungfräulichen Mutter vor allem für das große Geschenk des Glaubens zu danken und weitere reiche geistliche Früchte zu erbitten, feierte ich mit den Pilgern im Heiligtum von Chinquinquirä eine Eucharistiefeier. Dort wird bald die Vierhundertfünfzig-Jahrfeier der wunderbaren Auffindung des Gnadenbildes der Madonna del Rosario begangen, die einhergeht mit der bevorstehenden Fünfhundert-Jahrfeier der Entdeckung Amerikas. Beim Zurückschauen auf die Anfänge der Evangelisierung Kolumbiens stehen vor unserem geistigen Auge die vielen Priester, Ordensleute und Gläubigen, die im Laufe von Generationen das Evangelium verkündet und den Glauben weitergereicht haben. Unter ihnen sei besonders an den hl. Luis Berträn und an den hl. Petrus Claver erinnert. Die Kirche in Kolumbien weiß darum, immer missionarisch zu sein; aber nicht nur in Kolumbien, sondern in ganz Lateinamerika gibt es Gebiete, die eine missionarische Pastoral erfordern. Hierzu gehören auch Aufgaben sozialer Natur im Blick auf die Indios, die Afroamerikaner und andere gesellschaftlich benachteiligte Gruppen. Damit der Friede Christi auf allen Straßen Kolumbiens herrschen kann, braucht es eine Evangelisierung aus dem Geist der kirchlichen Soziallehre, die sich in vielfältiger Weise für soziale Gerechtigkeit und für den Schutz der Menschenrechte einsetzt, um so auch ein größeres Gleichgewicht zu schaffen angesichts der Gegensätze zwischen einer sehr reichen und einer sehr armen Welt. 167 AUDIENZEN UND ANGELUS Ich habe in Kolumbien eine zutiefst christliche Nation vorgefunden, voll von Hoffnung und Friedensbereitschaft. Freilich gibt es auch, dort Bereiche, die die Gerechtigkeit und die Eintracht stören, die aber nicht das authentische Gesicht Kolumbiens widerspiegeln. Den Abschluß meiner Pastoraireise bildete ein Besuch auf der Insel Santa Lucia. Es war zwar ein kurzer Aufenthalt von nur wenigen Stunden, aber geprägt von intensiver und herzlicher Begegnung mit den Gläubigen. Ich wünsche den Menschen in Kolumbien und auf Santa Lucia den Frieden Christi, auf daß sie im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe wachsen mögen zu einer wahren brüderlichen Gemeinschaft der Kinder Gottes. Indern ich, liebe Brüder und Schwestern, diese Pilgerreise eurem Gebet empfehle, damit daraus reiche Früchte für die Kirche in Kolumbien und auf Santa Lucia erwachsen, grüße ich euch alle zugleich sehr herzlich. Für frohmachende Ferientage, zu denen auch die Stille und die Begegnung mit Gott gehören, erteile ich euch von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen. „Bringe den Menschen die Befreiung, die in deinem Herzen begründet ist!“ Angelus in Castel Gandolfo am 20. Juli 1. Herz Jesu, du Sehnsucht der Schöpfung von Anbeginn . . . Im Laufe dieser Sonntage, während wir zum Mittagsgebet Zusammenkommen, sprechen wir in besonderer Verbundenheit mit der Mutter Jesu eine Anrufung der Herz-Jesu-Litanei. Denn der sonntägliche „Engel des Herrn“ ist unser Gebetstreffen mit Maria. Zusammen mit ihr erinnern wir uns an die Verkündigung, die sicher ein entscheidendes Ereignis in ihrem Leben gewesen ist. Und im Mittelpunkt dieses Ereignisses entdecken wir das Herz. Es handelt sich um die Liebe des Gottessohnes, die sich vom Augenblick der Menschwerdung an unter dem Herzen der Mutier zusammen mit dem menschlichen Herzen ihres Sohnes zu entfalten beginnt. 168 AUDIENZEN UND ANGELUS 2. Ist dieses Herz die „Sehnsucht“ der Welt? Wenn wir die Welt so betrachten, wie sie sich uns sichtbar darstellt, müssen wir mit dem hl, Johannes feststellen, daß sie der Begierde des Fleisches, der Begierde der Augen und dem Hochmut des Lebens unterworfen ist (vgl. 1 Joh 2,16) - und diese „Welt“ scheint weit entfernt zu sein vom Sehnen des Herzens Jesu. Sie teilt seine Wünsche nicht. Sie steht ihm fremd und manchmal geradezu feindselig gegenüber. Das ist die „Welt“, von der das Konzil sagt, daß sie „unter die Knechtschaft der Sünde geraten ist“ (GS2). Und es sagt das in Übereinstimmung mit der gesamten Offenbarung, mit der Heiligen Schrift und mit der Überlieferung (und sogar - sagen wir es nur - mit unserer menschlichen Erfahrung). 3. Gleichzeitig jedoch ist diese selbe „Welt“ durch die Liebe des Schöpfers ins Dasein gerufen worden und wird durch diese Liebe ständig im Dasein erhalten. Es handelt sich um die Welt als Gesamtheit der sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfe und im besonderen um „die ganze Menschheitsfamilie mit der Gesamtheit der Wirklichkeiten, in denen sie lebt“ (GS 2). Es ist die Welt, die eben wegen der „Knechtschaft der Sünde“ der Vergänglichkeit unterworfen ist - wie der hl. Paulus lehrt - und darum seufzt und in Geburtswehen liegt, während sie voll Ungeduld auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes wartet, da sie nur auf einem solchen Weg wahrhaftig von der Sklaverei der Verderbnis befreit werden kann, um an der Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes teilzuhaben (vgl. Rom 8,19-22). 4. Diese Welt ist — trotz der Sünde und der dreifachen Begierde - der Liebe zugewandt, die das menschliche Herz des Sohnes Mariens erfüllt. Und deshalb bitten wir, indem wir uns ihr anschließen: Herz Jesu, Sehnsucht der Schöpfung von Anbeginn, bringe den Herzen der Menschen, bringe unserer Zeit jene Befreiung, die in deinem Evangelium, in deinem Herzen und deiner Auferstehung begründet ist: die in deinem Herzen ist! Nach dein Angelus richtete der Papst kurze Grußworte in verschiedenen Sprachen an die anwesenden Püger aus anderen Ländern. Auf deutsch sagte er: Von Herzen begrüße ich auch die anwesenden Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Ich danke euch für euer Kommen und eure Teilnahme 169 AUDIENZEN UND ANGELUS am Gebet des „Engel des Herrn“. Ich wünsche euch einen frohen Ferienaufenthalt und erbitte euch und euren Lieben daheim mit dem Apostolischen Segen weiterhin Gottes treuen Beistand auf eurem Lebensweg. „Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge“ Ansprache bei der Generalaudienz am 23. Juli 1. Wir setzen heute unsere Katechese über die Engel fort; ihre von einem Akt der ewigen Liebe Gottes gewollte Existenz bekennen wir mit den Worten des nizänokonstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses: „Ich glaube an den einen Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge.“ In der Vollkommenheit ihrer geistigen Natur sind die Engel von Anfang an kraft ihres Intellekts dazu berufen, die Wahrheit zu erkennen und das Gute zu lieben, das sie in viel umfassenderer und vollkommenerer Weise, als dies dem Menschen möglich ist, in der Wahrheit erkennen. Diese Liebe ist der Akt eines freien Willens, auf Grund dessen auch für die Engel die Freiheit die Möglichkeit bedeutet, eine Entscheidung für oder gegen das Gute, das sie erkennen, also Gott selber, zu treffen. Es muß hier wiederholt werden, was wir bereits seinerzeit in bezug auf den Menschen gesagt haben: mit der Erschaffung freier Wesen wollte Gott, daß sich in der Welt jene wahre Liebe verwirkliche, die allein auf der Grundlage der Freiheit möglich ist. Er wollte also, daß das nach dem Bild und Gleichnis seines Schöpfers geformte Geschöpf ihm, Gott, der „die Liebe ist“ (1 Joh 4,16), möglichst vollständig ähnlich werden könnte. Wenn Gott die reinen Geister als freie Wesen erschuf, mußte er in seiner Vorsehung auch die Möglichkeit der Sünde der Engel voraussehen. Aber eben weil die Vorsehung ewige Weisheit ist, die liebt, wußte Gott aus der Geschichte dieser Sünde, die als Sünde eines reinen Geistes unvergleichlich radikaler ist, das endgültige Gute des ganzen geschaffenen Kosmos zu gewinnen. 2. Tatsächlich scheiden sich die reinen Geister, wie die Offenbarung deutlich sagt, in gute und böse. Doch diese Spaltung wurde nicht durch Gottes Schöpfung bewirkt, sondern auf Grund der Freiheit der geistigen Natur, die einem jeden dieser Wesen eigen ist. Sie wurde bewirkt durch 170 AUDIENZEN UNDANGELUS die Entscheidung, die bei den reinen geistigen Wesen einen unvergleichlich radikaleren Charakter besitzt als beim Menschen und irreversibel, d. h. nicht rückgängig zu machen ist in Anbetracht des hohen Grades von intuitiver Erkenntnis und Durchdringung des Guten, mit denen ihr Verstand ausgestattet ist. In diesem Zusammenhang muß man sagen, daß auch die reinen Geister einer moralischen Prüfung unterworfen worden sind. Es war eine Entscheidung vor allem im Hinblick auf Gott selbst, einen Gott, der dem Wesen nach von ihnen stärker und direkter erkannt wurde, als es dem Menschen möglich ist, einen Gott, der diesen geistigen Wesen noch vor dem Menschen die Teilhabe an seiner göttlichen Natur geschenkt hat. 3. Im Fall der reinen Geister bezog sich die Entscheidung vor allem auf Gott selber, das erste und höchste Gut, das mehr dem Wesen nach und direkter angenommen bzw. abgelehnt wurde, als das im Wirkungskreis des freien Willens des Menschen geschehen kann. Die reinen Geister haben eine unvergleichlich vollkommenere Kenntnis von Gott als der Mensch, weil sie kraft ihres Intellekts, der von der Vermittlung der Erkenntnis durch die Sinne weder bedingt ist noch von ihr beschränkt wird, die Größe des unendlichen Seins, der ersten Wahrheit, des höchsten Guten bis auf den Grund sehen. Dieser sublimen Erkenntnisfähigkeit der reinen Geister bot Gott das Geheimnis seiner Göttlichkeit dar und machte sie so durch die Gnade zu Teilhabern an seiner unendlichen Herrlichkeit. Eben weil sie Wesen geistiger Natur sind, war in ihrem Verstand die Fähigkeit, das Verlangen nach dieser übernatürlichen Erhöhung gegeben, zu der Gott sie berufen hatte, um sie noch vor dem Menschen „Anteil an der göttlichen Natur“ erhalten zu lassen (2 Petr 2,4), sie zu Teilhabern an dem innersten Leben dessen zu machen, der Vater, Sohn und Heiliger Geist ist, dessen, der in der Gemeinschaft der drei göttlichen Personen „Liebe ist“ (2 Joh 4,16). Gott hatte alle reinen Geister früher als den Menschen und in stärkerer Weise zur ewigen Gemeinschaft der Liebe zugelassen. 4. Die Wahl, die auf Grund der durch die Klarheit ihres Intellekts in höherer Form erkannten Wahrheit über Gott getroffen wurde, hat auch die Welt der reinen Geister in Gute und Böse geteilt. Die Guten haben Gott als höchstes und endgültiges Gut erwählt, das sie im Licht des von der Offenbarung erleuchteten Intellekts erkannt hatten. Ihre Entscheidung für Gott bedeutet, daß sie sich mit der ganzen inneren Kraft ihrer Freiheit, der Kraft, die Liebe ist, ihm zugewandt haben. Gott ist zum 171 AUDIENZEN UND ANGELUS totalen und endgültigen Ziel ihrer geistigen Existenz geworden. Die anderen hingegen haben sich von Gott abgewandt im Gegensatz zu der erkannten Wahrheit, die ihn als das umfassende und endgültige Gut auswies. Sie haben ihre Entscheidung getroffen gegen die Offenbarung des Geheimnisses Gottes, gegen seine Gnade, die sie teilhaben ließ an der Dreifaltigkeit und an der ewigen Freundschaft und Liebesgemeinschaft mit Gott. Aufgrund ihrer geschaffenen Freiheit haben sie eine ebenso radikale und irreversible Wahl getroffen wie die guten Engel, jedoch dieser diametral entgegengesetzt: statt Gott liebevoll anzunehmen, haben sie ihm eine Absage erteilt, die bestimmt war von einem irrigen Gedanken ihrer Unabhängigkeit, von Ablehnung und sogar Haß, der sich schließlich in Rebellion verwandelte. 5. Wie sollen wir eine solche Opposition und Rebellion gegen Gott bei Wesen verstehen, die mit so lebendigem Intellekt begabt und mit solcher Geistesklarheit ausgestattet sind? Was kann der Grund für eine so radikale und nicht mehr rückgängig zu machende Entscheidung gegen Gott sein, der Grund eines so tiefen Hasses, daß er nur als Frucht des Wahnsinns erscheinen kann? Die Kirchenväter und die Theologen zögern nicht, von Verblendung zu sprechen, hervorgerufen von der Überschätzung der Vollkommenheit des eigenen Seins und so weit getrieben, daß sie die Oberhoheit Gottes verschleierte, der einen Akt williger und gehorsamer Unterwerfung verlangte. Das alles scheint sehr treffend in den Worten ausgedrückt: „Ich will nicht dienen“ (Jer 2,20). Sie zeigen die radikale und nicht rückgängig zu machende Weigerung, am Aufbau des Reiches Gottes in der geschaffenen Welt teilzunehmen. „Satan“, der rebellische Geist, will sein eigenes Reich, nicht das Reich Gottes, und erhebt sich zum ersten Widersacher des Schöpfers, zum Gegner der Vorsehung, zum Widerstreiter gegen die liebende Weisheit Gottes. Aus der Auflehnung und aus der Sünde Satans wie auch aus der des Menschen müssen wir, die weise Erfahrung der Schrift aufgreifend, den Schluß ziehen: „Der Stolz führt ins Verderben“ (Tob 4,13). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Unser Glaube an Gott, den Schöpfer „aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge“, umfaßt auch die Überzeugung von der Existenz geistiger Wesen, die wir Engel nennen. Als reine Geister sind diese von Anfang an dazu berufen, die Wahrheit noch vollkommener als der Mensch zu erkennen 172 AUDIENZEN UNDANGELUS und die erkannte Wahrheit zu lieben. Die Liebe und Annahme der Wahrheit aber ist ein Akt des freien Willens. Auch die Engel sind vor eine Entscheidung gestellt. Sie haben die Möglichkeit der freien Wahl und somit auch die Möglichkeit der Ablehnung und der Rebellion gegen den Schöpfer. In der Tat bezeugt uns die Offenbarung deutlich, daß die Welt der reinen Geister auf Grund einer unterschiedlichen endgültigen Entscheidung geteilt ist in gute und böse Geistwesen. Ihre Entscheidung betraf vor allem Gott selber. Die guten Geister wählten Gott als ihr höchstes und endgültiges Gut und wandten sich ihm mit der ganzen inneren Kraft ihrer Freiheit und Liebe zu. Die anderen hingegen wandten sich von Gott im Gegensatz zur erkannten Wahrheit endgültig ab, geblendet von einem falschen Verständnis ihrer eigenen Selbständigkeit, von Abneigung und von Haß gegen Gott, ihren Schöpfer und Herrn. Sie weigerten sich, am Aufbau des Reiches Gottes in der Welt mitzuarbeiten, dem göttlichen Gebot der Unterordnung und des Gehorsams versagten sie ihre Gefolgschaft. Sie wollen nicht dienen, sondern selber herrschen. Satan, wie dieser böse Geist heißt, will sein eigenes Reich errichten und wird fortan zum ersten Gegner Gottes. Es bewahrheitet sich in der Rebellion und in der Sünde Satans, was wir im Buch Tobit lesen: „Der Stolz führt ins Verderben“ (Tob 4,13). Mit dieser kurzen wöchentlichen Glaubenskatechese grüße ich alle anwesenden Besucher und Pilger deutscher Sprache. Ich freue mich über eure Teilnahme an dieser Audienz und erbitte euch aus diesem Erlebnis weltweiter kirchlicher Gemeinschaft Festigung eures Glaubens und eurer Liebe zur Kirche Jesu Christi. Die jetzige Ferienzeit schenke euch nicht nur körperliche, sondern auch geistige Erholung, wobei ihr euch auch eurer Verantwortung vor Gott wieder neu bewußt werdet. Mögen die Engel des Herrn euch mit ihrem besonderen Schutz begleiten. Von Herzen erteüe ich euch und allen, die euch verbunden sind, den Apostolischen Segen. 173 AUDIENZEN UNDANGELUS Herz Jesu — für alles Leid offen Angelus in Castel Gandolfö am 27. Juli 1. Herz Jesu, geduldig und voll Erbarmen! Heute, bei Gelegenheit des Angelusgebetes, wollen wir gemeinsam mit Maria noch einmal das Evangelium lesen; in gewissem Sinn wollen wir es insgesamt und in einem Augenblick lesen. Dann sehen wir in ihm das Herz Jesu, geduldig und voll Erbarmen, eingeschrieben. Ist nicht so das Herz dessen, der „umherzog“ und allen „Gutes tat“ (Apg 10,38), das Herz dessen, der den Blinden das Augenlicht schenkte, die Lahmen gehen und die Toten aufstehen hieß und den Armen das Evangelium verkündete (vgl. LA: 7,21 f.)? Ist nicht so das Herz Jesu, dessen, der keinen Ort hatte, wo er sein Haupt hinlegen konnte, während die Füchse ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester haben (vgl. Mt 8,20)? Ist nicht so das Herz Jesu, dessen, der die Ehebrecherin vor der Steinigung bewahrte und ihr dann sagte: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8,11)? Ist nicht so das Herz dessen, der „Freund der Zöllner und Sünder“ genannt wurde (Mt 11,19)? 2. Blicken wir gemeinsam mit Maria in dieses Herz! Betrachten wir es von neuem in dem gesamten Evangelium! Vor allem aber betrachten wir dieses Herz im Augenblick der Kreuzigung, als es von der Lanze durchbohrt wurde, als sich das in ihm eingeschriebene Mysterium bis in den Grund enthüllte; das geduldige Herz, weil es für alle Leiden des Menschen offen ist, das geduldige Herz, weil es bereit ist, ein nicht nach menschlichen Maßstäben meßbares Leiden auf sich zu nehmen, das geduldige Herz, weil es voll Erbarmen ist! In der Tat, was ist das Erbarmen, wenn nicht jenes spezielle Maß der Liebe, die sich im Leiden ausdrückt? In der Tat, was ist das Erbarmen, wenn nicht jenes unendliche Maß der Liebe, die zur Wurzel des Übels selbst vordringt, um es durch das Gute zu überwinden? Was ist es, wenn nicht die Liebe, die die Sünde der Welt überwindet durch das Leiden und den Tod? 174 AUDIENZEN UND ANGELUS 3. Herz Jesu, geduldig und voll Erbarmen! Mutter, du hast in dieses Herz geblickt, als du unter dem Kreuz standest! Mutter, nach dem Willen dieses Herzens bist du die Mutter von uns allen geworden. Wer hat wie du das Geheimnis des Herzens Jesu in Betlehem, in Nazaret und auf Golgota erkannt? Wer weiß wie du, daß es geduldig und voll Erbarmen ist? Wer legt wie du unaufhörlich davon Zeugnis ab? Ich bin all jenen nahe, die von der Tragödie, die den Ort Senise in Basilikata heimgesucht hat, in Mitleidenschaft gezogen wurden. Zugleich mit meinem Gedenken im Gebet für die Opfer bete ich um Trost für die Verletzten. Allen, die von Schmerz und Trauer betroffen sind, gelten meine Solidarität und meine Ermutigung. Nach dem Angelusgebet richtete der Papst kurze Grußworte in verschiedenen Sprachen an die Pilger. Auf deutsch sagte er: Herzlich grüße ich auch alle deutschsprachigen Pilger und Besucher. Ich freue mich über diese kurze Begegnung mit euch und danke euch hierfür aufrichtig. Für euren Aufenthalt in Rom und in Italien wünsche ich euch viel Freude und tiefe innere Bereicherung und erbitte euch mit dem Apostolischen Segen eine gute und glückliche Heimkehr. „Lobt den Herrn, all seine Engel“ Ansprache bei der Generalaudienz am 30. Juli 1. In der vorangegangenen Katechese sind wir bei dem Glaubensartikel stehengeblieben, in dem wir Gott nicht nur als Schöpfer der ganzen erschaffenen Welt, sondern auch der „unsichtbaren Dinge“ verkünden und bekennen. Wir haben über das Thema der Existenz der Engel gesprochen, die berufen waren, durch tiefgreifenden und unwiderruflichen Akt der Zustimmung oder der Ablehnung seines Heilswillens sich für oder gegen Gott zu entscheiden. 175 AUDIENZEN UNDANGELUS Wenn wir uns bei unseren Überlegungen an die Heilige Schrift halten, stellen die Engel, insofern sie reine Geistwesen sind, sich als eine besondere Verwirklichung des „Abbildes Gottes“ dar. Er ist ja der vollkommenste Geist, wie Jesus selbst es der samaritanischen Frau in Erinnerung ruft: „Gott ist Geist“ (Joh 4,24). Von diesem Gesichtspunkt aus sind die Engel die dem göttlichen Vorbild am nächsten stehenden Geschöpfe. Der Name, den die Heilige Schrift ihnen gibt, weist darauf hin, daß das, was in der Offenbarung am meisten zählt, die Wahrheit über die Aufgaben der Engel gegenüber den Menschen ist: angelus nämlich bedeutet „Bote“. Die hebräische Bezeichnung malak, die im Alten Testament gebraucht wird, bedeutet noch genauer „Delegat“, Beauftragter, Gesandter. Die Engel, geistige Geschöpfe, haben die Aufgabe der Vermittlung und des Dienstes in den Beziehungen zwischen Gott und den Menschen. Unter diesem Gesichtspunkt sagte der Brief an die Hebräer, daß Christus ein „Name“ — also ein Amt der Vermittlung — gegeben wurde, der ihren Namen weit überragt (vgl. Hebr 1,4). 2. Das Alte Testament unterstreicht vor allem die besondere Teilnahme der Engel an der Bezeigung des Lobpreises und der Verherrlichung, die der Schöpfer als Lobopfer von seiten der geschaffenen Welt empfängt. In besonderer Weise sprechen die Psalmen davon, wenn sie z.B. ausrufen: „Lobet den Herrn vom Himmel her, lobt ihn in den Höhen: Lobt ihn, all seine Engel. . .“ (Ps 148, 1 f.). Ähnlich der Psalm 103: „Lobt den Herrn, ihr seine Engel, ihr starken Helden, die seine Befehle vollstrecken,■ seinen Worten gehorchen!“ (Ps 103,20). Dieser letzte Vers von Psalm 103 weist darauf hin, daß die Engel auf ihre Weise nach dem von der göttlichen Vorsehung aufgestellten Plan als „starke Helden . . . seine Befehle vollstrecken.“ Insbesondere ist den Engeln Obhut und Schutz der Menschen anvertraut. Sie tragen deren Bitten und Gebete vor Gott, wie z.B. das Buch Tobit sagt (vgl. besonders Tob 3,17 und 12,12), während es in dem Psalm 91 heißt: „Er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen. Sie tragen dich auf ihren Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt“ (Ps 91,11 f.). Nach dem Buch Daniel kann man behaupten, daß die Aufgaben der Engel als Gesandte des lebendigen Gottes sich nicht nur auf die einzelnen Menschen und auf solche erstrecken, denen besondere Dienste obliegen, sondern auch auf ganze Nationen (vgl. Dan 10,13-21). 3. Das Neue Testament hebt die Aufgaben der Engel in ihrer Beziehung zur Sendung Christi als Messias hervor, vor allem zum Geheimnis der 176 AUDIENZEN UND ANGELUS Menschwerdung des Sohnes Gottes, wie wir im Bericht über die Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers (vgl. Lk 1,11) und Christi selbst (vgl. Lk 1,26), in den erklärenden Worten und Aufträgen an Maria und Josef (vgl. Lk 1,30-37; Mt 1,20-21), in den Hinweisen an die Hirten in der Nacht der Geburt des Herrn (vgl. Lk 2,9-15), im Schutz des.Neuge-borenen vor der Gefahr der Verfolgüng des Herodes (vgl. Mt 2,13) sehen. Des weiteren sprechen die Evangelien von der Gegenwart der Engel während der 40 Tage des Fastens Jesu in der Wüste (vgl. Mt 4,11) und beim Gebet in Getsemani (vgl. Lk 22,43). Nach der Auferstehung Christi ist es wiederum ein Engel, in Gestalt eines jungen Mannes, der den Frauen sagt, als sie, zum Grab gekommen, erstaunt waren, es leer zu finden: „Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier . . . geht und sagt seinen Jüngern . . .“ (Mk 16,6 f.). Auch von Maria Magdalena, die den Vorzug einer persönlichen Erscheinung Jesu hatte, wurden zwei Engel gesehen (vgl. Joh 20,12-17, vgl. auch Lk 24,4). Engel zeigten sich den Aposteln nach dem Weggehen Christi, um ihnen zu sagen: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen“ (Apg 1,11). Es sind die Engel des Lebens, des Leidens und der Verherrlichung Christi. Die Engel dessen, der, wie der hl. Petrus schreibt, „in den Himmel gegangen ist. . . zur Rechten Gottes, und Engel, Gewalten und Mächte sind ihm unterworfen“ (2 Petr 3,22). 4. Wenn wir weitergehen bis zur Wiederkunft Christi, zur Parusie, finden wir bei allen Synoptikern die Bemerkung, daß „der Menschensohn. . . mit den heiligen Engeln in der Hoheit seines Vaters kommt“ (so Mk 8,38, auch Mt 16,27 und 25,31 in der Beschreibung des Letzten Gerichts; sowie Lk 9,26; vgl. auch beim hl. Paulus 2 Thess 1,7). Man kann also sagen, daß die Engel als reine Geistwesen nicht nur in der ihnen eigenen Weise an der Heiligkeit Gottes selbst Anteil haben, sondern auch in den entscheidenden Augenblicken Christus umgeben und ihn begleiten bei der Erfüllung seiner Heilssendung für die Menschen. In gleicher Weise haben auch durch die Jahrhunderte hindurch die gesamte Überlieferung und das Lehramt der Kirche den Engeln diesen besonderen Charakter und diese Funktion messianischen Dienstes zuerkannt. 177 AUDIENZEN UND ANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Unser christlicher Glaube bekennt die Existenz der Engel. Als reine Geistwesen sind sie Gott in einer besonderen Weise nahe und ähnlich, der ja Geist in höchster Vollkommenheit ist. Das hebräische und lateinische Wort für Engel malak und angelus bezeichnet ihre spezifische Aufgabe. Sie sind „Gesandte“ und „Boten“ und als solche Vermittler zwischen Gott und den Menschen. Das Alte Testament unterstreicht vor allem ihre besondere Mitwirkung beim Lobpreis, den die Geschöpfe ihrem Schöpfer darbringen. So singt der Psalmist: „Lobet den Herrn vom Himmel her, lobt ihn in den Höhen: Lobt ihn, all seine Engel“ (Ps 148,11). Nach einem anderen Psalm nehmen die Engel teil an der Herrschaft Gottes über die Schöpfung als „starke Helden, die seine Befehle vollstrecken“ (Ps 103,20). Zugleich ist ihnen eine besondere Fürsorge für die Menschen aufgetragen: „Denn er befiehlt seinen Engeln,dich zu behüten auf all deinen Wegen“ (Ps9l, 11). Im Neuen Testament hingegen stehen die Engel vor allem im Dienst des Erlösungswerkes Jesu Christi. Wir begegnen ihnen bei der Verkündigung und bei der Geburt Jesu. Sie dienen Jesus während seines vierzigtägigen Fastens in der Wüste und während seiner Agonie im Garten Getsemani. Sie verkünden den Frauen am Grabe die Auferstehung Jesu und ermahnen die Jünger nach der Himmelfahrt Jesu an seine endzeitliche Wiederkehr, „wenn er mit den heiligen Engeln in der Hoheit seines Vaters“ kommen wird (Mk 8,38). Indem ich auch euch, hebe Brüder und Schwestern, heute ganz besonders dem Schutz der Engel Gottes anempfehle, grüße ich euch alle sehr herzlich zu dieser Audienz. Werden wir uns der tieferen, religiösen Dimension unseres Lebens wieder neu bewußt. Gott hat uns erschaffen und ruft uns zur ewigen Gemeinschaft mit sich. Auf unserem Weg dorthin sollen die Engel unsere Weggefährten sein. Durch sie begleite euch stets Gottes besonderer Beistand und Segen! Zum Gebet für den Libanon aufgefordert In der Generalaudienz am 30. Juli rief der Papst erneut alle Gläubigen zum Gebet für den Frieden im Libanon auf und sagte: Ein weiteres schreckliches Massaker hat sich gestern im westlichen Stadtteil von Beirut ereignet und neun Todesopfer gefordert, und dies knapp 24 Stunden nach dem Blutbad im Ostteil der Hauptstadt, bei dem zahlreiche Personen getötet wurden. 178 AUDIENZEN UNDANGELUS Gestern sandte ich eine Botschaft an den maronitischen Patriarchen, um ihm meine Bestürzung und meine Solidarität in dieser Stunde der schweren Prüfung zu bekunden. Wiederum rufe ich alle auf, darum zu beten, daß der Herr den Todesopfern die ewige Ruhe und den trauernden Familienangehörigen Trost schenke. Er möge es jener Nation gestatten, endlich den Frieden zu erfahren, den die blindwütige Gewalt ununterbrochen verletzt, und bald den Tag herbeiführen, an dem die ganze libanesische Nation in der langersehnten Eintracht und Ruhe leben kann. Vor acht Jahren starb Papst Paul VI. Angelus am 3. August 1. Herz Jesu, reich für alle, die dich anrufen! Wir versammeln uns heute zum Gebet des „Engel des Herrn“, um mit dir, Mutter Christi, die Begebenheit in Erinnerung zu rufen, die sich in Kana in Galiläa ereignete. Es geschah zu Beginn der messianischen Sendung. Jesus war mit dir und seinen ersten Aposteln zur Hochzeit geladen. Als der Wein ausging, sagtest du, Maria, zu Jesus: „Sie haben keinen Wein mehr“ (Joh 2,3). Du kanntest sein Herz. Du wußtest, daß es reich ist für alle, die es anrufen. Mit deiner Bitte in Kana in Galiläa hast du bewirkt, daß sich das Herz Jesu in seinem Reichtum offenbarte. 2. Dieses Herz ist reich für alle, weil in ihm tatsächlich die Fülle wohnt: in Christus, dem wahren Menschen, die Fülle der Gottheit; und Gott ist Liebe. Dieses Herz ist reich für alle, weil es liebt - und lieben heißt reich sein für andere, heißt andere beschenken. Lieben heißt Geschenk sein, heißt für andere dasein, für alle dasein, für jeden einzelnen da sein: Für jeden, der ruft, der manchmal sogar ohne Worte ruft. Er ruft durch die Tatsache, daß er seine ganze nackte Wahrheit enthüllt - und in dieser Wahrheit ruft er die Liebe herbei! Die Wahrheit besitzt die Macht, die Liebe herbeizurufen. Alle jene, die „arm sind vor Gott“, die „hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit“, 179 AUDIENZEN UND ANGELUS die selbst barmherzig sind, haben mittels der Wahrheit die Macht, die Liebe herbeizuführen. All diese - und noch viele andere - haben eine wunderbare Macht über die Liebe. Sie alle bewirken, daß die Liebe sich mitteilt, sich schenkt, und daß sich der Reichtum des Herzens, kundtut. Unter diesen stehst du, Maria, an erster Stelle. 3. Herz Jesu, reich für alle, die dich anrufen! Mittels dieses „Reich-Seins für alle“ versiegt die Liebe nicht, sondern nimmt zu. Sie wächst ständig. So ist das geheimnisvolle Wesen der Liebe beschaffen. Und so ist das Geheimnis des Herzens Jesu beschaffen, das reich ist für alle. Es öffnet sich für alle und für jeden einzelnen. Es öffnet sich ganz von sich aus. Und in diesem Reichtum erschöpft es sich nicht. Der Reichtum des Herzens beweist die Tatsache, daß die Liebe nicht den Gesetzen des Todes unterworfen ist, sondern den Gesetzen der Auferstehung und des Lebens. Er beweist die Tatsache, daß die Liebe mit der Liebe wächst. So ist ihre Natur beschaffen. ■ 4. Von dieser Wahrheit über die Liebe hat in unserer Zeit Paul'VT. Zeugnis gegeben. Am Fest der Verklärung des Herrn vor acht Jahren hörte sein Herz hier in Castel Gandolfo auf zu schlagen. Sein demütiger Nachfolger macht sich dieselbe Wahrheit über die Liebe zu eigen, die der verstorbene Papst durch sein Wort und sein Leben bis zum Ende verkündete, und ruft das göttliche Herz an. Deshalb vereinen wir uns heute in besonderer Weise mit Maria zum Gebet des „Engel des Herrn“ und bitten: Herz Jesu, reich für alle, die dich anrufen, nimm deinen Diener auf in dein ewiges Licht! Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: Ich möchte euch von meiner inneren Bewegung und tiefen Freude berichten, die ich am vergangenen Mittwoch bei meiner Begegnung mit dem lieben Servitenpater Martin Lawrence Jenco empfand, der wenige Tage vorher nach neunzehnmonatiger Geiselhaft im Libanon freigelassen worden war. Pater Jenco erzählte mir von den Leiden, die er in dieser langen Periode ertragen mußte, und von der Wiedersehensfreude mit seinen Lieben und von seiner überaus großen Dankbarkeit gegenüber dem Herrn und all jenen, die sich in dieser schmerzlichen Angelegenheit eingesetzt haben. Er hat mir gegenüber auch seine tiefe Angst und Sorge für alle Personen, 180 AUDIENZEN UND ANGELUS die sich derzeit noch im Libanon in Geiselhaft befinden, zum Ausdruck gebracht. Danken wir dem Herrn für die Freilassung von Pater Jenco und rufen wir ihn vertrauensvoll an, damit alle Personen, die im Libanon noch in Geiselhaft sind, bald in Freiheit gesetzt werden. Ich denke nicht nur an die ausländischen Geiseln, sondern auch an die Hunderte von Libanesen, Christen und Muslimen, die in unzähligen gewalttätigen und kriegerischen Handlungen ihrer Freiheit beraubt wurden. Der Herr erhöre unser Gebet und das Gebet so vieler Mütter, Väter, Ehefrauen, Kinder und Brüder und Schwestern, die in angstvoller Sorge die Sicherheit und die Rückkehr ihrer Lieben fordern. An die einzelnen Pilgergruppen richtet der Papst Grußworte in verschiedenen Sprachen; auf deutsch sagte er: Herzlich grüße ich auch alle anwesenden Pilger deutscher Sprache. Möge uns das Gebet - wie heute hier in Castel Gandolfo - auch in Zukunft stets vor Gott vereinen. Heiligt dadurch auch bei euch daheim in den Familien besonders den Sonntag als „Tag des Herrn“. Mit besten Ferienwünschen erteile ich euch von Herzen meinen Apostolischen Segen. Einen besonderen Willkommensgruß richte ich an die Pilgergruppe aus Arlesheim in der Schweiz und an die Vertretung der Gemeinde Traunreut in Bayern zusammen mit ihrem Bürgermeister. Möge dieser Besuch die Partnerschaft zwischen ihrer Gemeinde und Nettuno vertiefen und ihre Verbundenheit vor allem im gemeinsamen christlichen Glauben verankern. Gott behüte und segne euch alle! Die „stets das Angesicht des Vaters sehen“ Ansprache bei der Generalaudienz am 6. August 1. In den vorausgegangenen Katechesen haben wir gesehen, wie die Kirche, erleuchtet durch das Licht, das die Heilige Schrift schenkt, durch die Jahrhunderte hindurch die Wahrheit über die Existenz der Engel als reine, von Gott erschaffene Geistwesen, bekannt hat. Sie hat es von Anfang an bekannt im nizänokonstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis und hat es im Vierten Laterankonzil (1215) bestätigt. Dessen Aussage wurde vom Ersten Vatikanischen Konzil im Zusammenhang mit der 181 AUDIENZEN UND ANGELUS Lehre über die Schöpfung aufgenommen: Gott „erschuf zu Beginn der Zeit beide Schöpfungen zugleich aus dem Nichts, die geistige und die körperliche, nämlich die der Engel und die der Welt; und dann erschuf er die menschliche Natur, der beides eigen ist, da sie aus Geist und Leib besteht“ (Konst. De fide cath., DS 3002). Das heißt: Gott schuf am Anfang beide Wirklichkeiten: die geistige und die körperliche, die irdische Wirklichkeit und die des Engels. Das alles erschuf er zugleich (simul), was die Natur des aus Geist und Materie bestehenden Menschen betrifft, der nach der biblischen Erzählung dann in den Rahmen einer bereits nach ihren Gesetzen und vom Maß der Zeit (deinde) bestimmten Welt eingesetzt wurde. 2. Zusammen mit der Existenz der Engel erkennt der Glaube der Kirche auch bestimmte Züge an deren Natur. Ihre rein geistige Existenz schließt vor allem ihr nicht-materielles Dasein und ihre Unsterblichkeit ein. Die Engel haben keinen Leib (wenn sie auch unter bestimmten Umständen aufgrund ihrer Sendung zugunsten der Menschen in sichtbarer Gestalt erscheinen) und sind daher nicht dem Gesetz der Vergänglichkeit unterworfen, das die ganze materielle Welt verbindet. Jesus selbst sagte, sich auf die Natur der Engel beziehend, über das zukünftige Leben der Auf erstandenen: „Sie können nicht mehr sterben, weil sie den Engeln gleich . . . sind“ (Lk 20,36). 3. Insofern sie Geschöpfe geistiger Natur sind, sind die Engel mit Verstand und freiem Willen begabt, wie der Mensch, aber in höherem Grad als er, jedoch auf endliche Weise infolge der Grenzen, die allen Geschöpfen eigen sind. Die Engel sind also personale Wesen, und als solche sind auch sie „Bild und Gleichnis“ Gottes. Die Heilige Schrift gibt den Engeln auch Benennungen, und zwar nicht nur persönliche (wie die Eigennamen Rafael, Gabriel, Michael), sondern auch Gattungsnamen (wie die Bezeichnungen: Serafim, Cherubim, Throne, Mächte, Gewalten, Fürsten), und sie unterscheidet Engel und Erzengel. Wenn wir die analogisie-rende und darstellende Ausdrucksweise des heiligen Textes berücksichtigen, können wir daraus entnehmen, daß diese Personenwesen, fast wie in Gesellschaften gruppiert, sich nach Ordnungen und Abstufungen unterteilen, entsprechend dem Maß ihrer Vollkommenheit und den ihnen anvertrauten Aufgaben. Die frühen Autoren und auch die Liturgie sprechen ferner von Engelschören (deren neun, nach Dionysios, dem Areopa-giten). Die Theologie, besonders die patristische und die des Mittelalters, hat diese Darstellungsweise nicht zurückgewiesen, sondern versucht, ihr 182 AUDIENZEN UND ANGELUS eine doktrinäre und mystische Erklärung zu geben, ohne ihr jedoch einen absoluten Wert beizumessen. Der hl. Thomas hat es vorgezogen, die Seinsweise, das Erkennen und Wollen und die geistige Erhebung dieser reinen Geistwesen tiefer zu erforschen, sei es wegen ihrer Würde auf der Stufenleiter der Geschöpfe, sei es, weil er in ihnen die Fähigkeiten und die Tätigkeiten, die dem Geist in seinem Zustand als solchem eigen sind, besser und gründlicher erforschen konnte, um daraus nicht wenig Licht zu empfangen über die Grundprobleme, die von jeher das menschliche Denken bewegen und anregen: die Erkenntnis, die Liebe, die Gelehrigkeit Gott gegenüber, die Erfüllung seines Reiches. 4. Das Thema, das wir berührt haben, kann dem Denken des heutigen Menschen fernliegend oder weniger lebenswichtig Vorkommen. Und doch glaubt die Kirche dem Menschen einen großen Dienst zu erweisen, wenn sie freimütig die ganze Wahrheit über Gott als den Schöpfer auch der Engel vorlegt. Der Mensch ist überzeugt, daß in Christus, dem Gottmenschen, er (und nicht die Engel) sich im Mittelpunkt der göttlichen Offenbarung befindet. So wird nun die im Glauben vollzogene Begegnung mit der Welt der reinen Geistwesen zu einer kostbaren Offenbarung seiner eigenen, nicht nur leiblichen, sondern aueh geistigen Natur und seines Einbezogenseins in einen wahrhaft großartigen und wirksamen Heilsplan mit einer Gemeinschaft von personalen Wesen, die für den Menschen und mit dem Menschen den Plänen der göttlichen Vorsehung dienen. 5. Wir bemerken, daß die Heilige Schrift und die Tradition jene Geistwesen als Engel bezeichnet, die bei der grundlegenden Prüfung der freien Entscheidung sich für Gott, für seine Ehre und sein Reich entschieden haben. Sie sind mit Gott verbunden in der verzehrenden Liebe, die aus der beseligenden Schau der Heiligsten Dreifaltigkeit, von Angesicht zu Angesicht, hervorgeht. Jesus selbst sagt: „Die Engel im Himmel sehen stets das Angesicht meines himmlischen Vaters“ (Mt 18,10). Dieses „stets das Angesicht des Vaters sehen“ bedeutet den höchsten Ausdruck der Anbetung Gottes. Man kann sagen, es stellt jene „himmlische Liturgie“ dar, die im Namen des ganzen Universums vollzogen wird und mit der sich unaufhörlich die Liturgie der Kirche auf Erden verbindet, vor allem an den Höhepunkten der Liturgiefeier. Es sei nur daran erinnert, daß die Kirche täglich und stündlich über die ganze Welt hin zu Beginn des Eucharistischen Hochgebetes im Herzstück der hl. Messe sich auf die „Engel und Erzengel“ beruft, um das Lob des dreimal Heiligen zu singen und sich so mit jenen ersten Anbetern Gottes in der Verehrung und der 183 AUDIENZEN UND ANGELUS liebenden Erkenntnis des unaussprechlichen Geheimnisses seiner Heiligkeit zu vereinen. 6. Nach der Offenbarung sind die Engel, die am Leben des dreifältigen Gottes im Licht der Glorie Anteil haben, auch berufen, an der Heilsgeschichte der Menschen ihren Anteil zu nehmen in Augenblicken, die vom Plan der göttlichen Vorsehung festgesetzt sind. „Sind sie nicht alle dienende Geister, ausgesandt, um denen zu helfen, die das Heil erben sollen?“, fragt der Verfasser des Briefes an die Hebräer (Hebr 1,14). Das glaubt und lehrt die Kirche aufgrund der Heiligen Schrift, von der wir erfahren, daß der Schutz der Menschen und die Sorge für deren Heil die Aufgabe der guten Engel ist. Das finden wir an verschiedenen Stellen der Heiligen Schrift ausgedrückt, z. B. im Psalm 91, den wir schon mehrmals zitiert haben: „Er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen. Sie tragen dich auf ihren Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt“ (Ps 91,11 f.). Und als Jesus von den Kindern sprach und mahnte, ihnen kein Ärgernis zu geben, berief er sich auf „ihre Engel“ (Mt 18,10). Er schreibt überdies den Engeln Zeugnisfunktion zu im Endgericht Gottes über das Los derer, die Christus anerkannt oder zurückgewiesen haben: „Wer sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch der Menschensohn vor den Engeln Gottes bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, der wird auch vor den Engeln Gottes verleugnet werden“ (Lk 12,8 f.; vgl. Offb 3,5). Diese Worte sind bedeutungsvoll, denn wenn die Engel am Gericht Gottes teilnehmen, so sind sie interessiert am Leben des Menschen. Ein Interesse und eine Anteilnahme, die in der Rede Jesu über die Endzeit, in der er die Engel auch bei der Parusie, das heißt der endgültigen Wiederkunft Christi am Ende der Geschichte, beteiligt sein läßt, besonders unterstrichen zu sein scheint (vgl. Mt 24,31; 25,31.41).. 7. Unter den Büchern des Neuen Testamentes läßt uns besonders die Apostelgeschichte einige Tatsachen erkennen, die. bezeugen, wie die Engel um den Menschen und sein Heil besorgt sind. So, wenn der Engel Gottes die Apostel aus dem Gefängnis befreit (vgl. Apg 5,18-20) und vor allem Petrus, der von Herodes selbst mit dem Tode bedroht war (vgl. Apg 12,5-10). Oder wenn er Petrus führt bei dem, was dieser hinsichtlich des Hauptmanns Kornelius, des ersten aus dem Heidentum Bekehrten, unternimmt (Apg 10,3-8; 11,11 f.), in ähnlicher Weise bei dem, was Philippus an der Straße von Jerusalem nach Gaza tat (Apg 8,26-29). Mit Hilfe dieser wenigen als Beispiel angeführten Tatsachen läßt sich 184 A UDIENZEN UND ANGELUS verstehen, daß sich im Bewußtsein der Kirche die Überzeugung herausbilden konnte, daß den Engeln ein Dienst zugunsten der Menschen anver-traut ist. Darum bekennt die Kirche ihren Glauben an die Schutzengel, und sie verehrt sie mit einem eigenen Fest. Sie empfiehlt uns, daß wir uns ihnen häufig im Gebet anvertrauen, wie z. B. in den uns bekannten Anrufungen des Schutzengels. Es ist, als ob solche Gebete sich die schönen Worte des hl. Basilius zu eigen machten: „Jeder Gläubige hat einen Engel als Beschützer und Hirten neben sich, der ihn zum Leben führen soll“ (vgl. S. Basilius, Adv. Eunomium, III, 1; siehe auch Hl. Thomas v.A., Summa, I, q.ll.,a.3). 8. Abschließend möchte ich noch die Gelegenheit wahrnehmen und bemerken, daß die Kirche in der Liturgie drei Engelgestalten verehrt, die in der Heiligen Schrift mit Namen genannt werden. Der erste ist der Erzengel Michael (vgl. Dan 10,13.20; Offb 12,7; Jud 9). Sein Name drückt zusammenfassend die wesentliche Haltung der guten Geister aus. Mica-El heißt nämlich: „Wer ist wie Gott?“. In diesem Namen finden wir also die heilbringende Entscheidung ausgedrückt, dank derer die Engel „das Angesicht des himmlischen Vaters schauen“. Der zweite ist Gabriel: eine Gestalt, die vor allem mit dem Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes verbunden ist (vgl. Lk 1,19.26). Sein Name bedeutet: „Meine Macht ist Gott“ oder „Macht Gottes“, als ob er sagen wollte, daß auf dem Höhepunkt der Schöpfung die Menschwerdung das erhabenste Zeichen des allmächtigen Vaters darstellt. Der dritte Erzengel schließlich heißt Rafael. Rafa-Elbedeutet: „Gott heilt“. Er ist uns bekannt geworden aus der Geschichte des Tobias im Alten Testament (vgl. Tob 12,15.20, etc.). Sie ist so bedeutsam im Hinblick darauf, daß wir die kleinen Kinder Gottes, die immer der Obhut, der Sorge und des Schutzes bedürfen, den Engeln anvertrauen. Wenn wir ein wenig darüber nachdenken, sehen wir, daß aus jeder dieser drei Gestalten auf besondere Weise die Wahrheit aufleuchtet, die in der vom Verfasser des Briefes an die Hebräer gestellten Frage enthalten ist: „Sind sie nicht alle dienende Geister, ausgesandt, um denen zu helfen, die das Heil erben sollen?“ (Hebr 1,14). In deutscher Sprache sagte der Papst: Auch euch, liebe Brüder und Schwestern deutscher Sprache, begrüße ich herzlich bei dieser Begegnung. In wenigen Worten möchte ich euch an einen Bereich unseres christlichen Glaubens erinnern, der durch seine enge Verbindung mit dem Bild vom Menschen und mit seiner Erlösung durch Christus seine besondere Bedeutung hat. Ich meine jene Geschöpfe 185 AUDIENZEN UND ANGELUS Gottes, die als körperlose, rein geistige Wesen und Personen geschaffen worden sind. Wir nennen sie mit der Heiligen Schrift die Engel. Älteste Glaubensbekenntnisse sowie auch einige ökumenische Konzilien geben uns die Glaubensgewißheit, mit der wir festhalten dürfen, daß der allmächtige Gott in seiner Weisheit sowohl Geschöpfe materieller und körperlicher Art als auch solche rein geistiger Art erschaffen hat sowie den Menschen, der an beiden Bereichen teilhat. Als Geistwesen können die Engel denken und sind so offen für Wahrheit; sie können wollen und darum Werte anstreben; sie können lieben und so in eine innige Gemeinschaft gelangen mit Gott, ihrem Schöpfer, und mit allen übrigen Geschöpfen. Mit dieser Begabung sind die Engel geeignet, besondere Aufgaben im Erlösungswerk Gottes für den Menschen zu übernehmen. Sie bilden die Kerngemeinschaft jener unaufhörlichen Anbetung Gottes, zu der die gesamte Schöpfung in allen ihren Bereichen berufen ist. Die Heiligen haben sich darin den Engeln bereits angeschlossen; das pilgernde Gottesvolk der Kirche darf an einigen herausragenden Momenten seiner irdischen Liturgie auch daran teilnehmen. Ich erinnere hierbei an den festlichen Gesang des dreimaligen „Heilig“, der das Hochgebet der Messe eröffnet. Aus den zahlreichen weiteren Aufgaben, wie die Heilige Schrift sie in vielfältiger Form den Engeln zuerkennt, möchte ich hier vor allem an den Schutz erinnern, den sie nach gläubigem Verständnis auch dem einzelnen Menschen gewähren auf dem risikoreichen Lebensweg, wie ihn wohl jeder von uns persönlich kennt. Wer Großes denkt von Gott, darf auch Großes denken von seinen Geschöpfen, darunter vor allem auch von den Engeln. Möge sich an jedem von euch erfüllen, was der Psalmenbeter mit großem Vertrauen ausspricht: „Der Herr ist deine Zuflucht ... er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf allen deinen Wegen“ (Es- 91,9.11). Dank sei Gott! 186 AUDIENZEN UND ANGELUS ,, Ströme von lebendigem Wasser“ Angelus in Castel Gandolfo am 10. August 1. Herz Jesu, du Quell des Lebens und der Heiligkeit! Erinnern wir uns daran, als Jesus sich nach Sichar begab, einer kleinen Stadt in Samaria, zu einem Brunnen, der aus der Zeit des Patriarchen Jakob stammte. An diesem Brunnen begegnete er einer samaritischen Frau, die Wasser schöpfen wollte. Er sagte zu ihr: „Gib mir zu trinken.“ Die Frau antwortete: „Wie kannst du als Jude, mich, eine Samariterin, um Wasser bitten?“ Jesus antwortete ihr: „Wenn du wüßtest, worin die Gabe Gottes besteht, und wer es ist, der zu dir sagt: gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.“ Und er fuhr fort: „Das Wasser, das ich . . . geben werde, wird . . . zur sprudelnden Quelle, deren Wasser ewiges Leben schenkt“ (vgl. Joh 4,5-14). Du Quell des Lebens und der Heiligkeit! 2. Bei einer anderen Gelegenheit, am letzten Tag des Laubhüttenfestes in Jerusalem, rief Jesus - wie ebenfalls der Evangelist Johannes berichtet -mit erhobener Stimme aus: „Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt; wie die Schrift sagte: aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen.“ Er fügt hinzu: „Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glaubten“ (vgl. Joh 7,37-39). 3. Wir alle möchten uns dieser Quelle lebendigen Wassers nähern. Wir alle haben den Wunsch, vom göttlichen Herzen zu trinken, das Quelle des Lebens und der Heiligkeit ist. In ihm ist uns der Heilige Geist gegeben worden, der beständig bei all jenen ist, die sich in Verehrung und Liebe Christus und seinem Herzen nähern. An die Quelle herangehen heißt den Ursprung erreichen. Es gibt keinen anderen Ort in der geschaffenen Welt, woraus Heiligkeit im menschlichen Leben entstehen kann, außerhalb dieses Herzens, das so sehr geliebt hat. „Ströme des lebendigen Wassers“ sprudeln aus so vielen Herzen und werden daraus weiterfließen! Zeugnis davon geben die Heiligen aller Zeiten. 4. Wir bitten dich, Mutter Christi, führe uns zum Herzen deines Sohnes. Wir bitten dich, führe uns ganz nah an es heran und lehre uns, tief innerlich mit diesem Herzen zu leben, das Quelle des Lebens und der Heiligkeit ist. 187 AUDIENZEN UNDANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst folgendes: Beste Sonntags- und Urlaubswünsche richte ich auch an die Besucher deutscher Sprache: Die Freude aus dieser freien Zeit lasse euch gesunden an Leib und Seele. Seid dankbar für alles, was euch geschenkt ist. Vor allem aber: An Gottes Segen ist alles gelegen! - Besonders grüße ich heute den „Musikverein Kehlen“ und danke herzlich für die musikalische Darbietung. Die Lehre über den Satan Ansprache bei der Generalaudienz am 13. August 1. Wir wollen das Thema der letzten Katechesen, die dem Glaubensartikel über die Engel als Geschöpfe Gottes gewidmet waren, fortsetzen und uns heute mit der Untersuchung des Geheimnisses der Freiheit befassen, von der einige Engel einen Gebrauch gemacht haben, der gegen Gott und seinen Heilsplan hinsichtlich der Menschen gerichtet war. Wie der Evangeüst Lukas bezeugt, sprach Jesus in dem Augenblick, als die Jünger voll Freude über die bei ihrer Probemission geernteten Früchte zum Meister zurückkehrten, einen Satz aus, der zum Nachdenken anregt: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“ (Lk 10,18). Mit diesen Worten bestätigt der Herr, daß die Verkündigung des Reiches Gottes immer einen Sieg über den Teufel darstellt, aber zugleich zeigt er auch, daß der Aufbau dieses Reiches fortwährend den Nachstellungen des bösen Geistes ausgesetzt ist. Die Aufmerksamkeit darauf richten, wie wir es in unserer heutigen Katechese tun wollen, bedeutet, sich auf den Zustand des Kampfes einstellen, der in diesem letzten Zeitabschnitt der Heilsgeschichte zum Leben der Kirche gehört (wie es das Buch der Offenbarung des Johannes bestätigt, vgl. 12,7). Andererseits erlaubt es uns, den rechten Glauben der Kirche klarzustellen gegenüber jenen, die ihn verzerrt darstellen, indem sie die Bedeutung des Teufels übertreiben, und anderen, die ihn leugnen oder seine schädliche Macht verharmlosen. Die vorausgegangenen Katechesen über die Engel haben uns darauf vorbereitet, die in der Heiligen Schrift offenbarte und von der Tradition der Kirche uns überlieferte Lehre über den Satan, d. h. den gestürzten Engel, den bösen Geist, der auch Teufel oder Dämon heißt, zu verstehen. 188 AUDIENZEN UND ANGELUS 2. Dieser „Sturz“, gekennzeichnet durch die Ablehnung Gottes und den daraus folgenden Zustand der Verdammung, besteht in der freien Entscheidung jener geschaffener Geister, die radikal und unwiderruflich Gott und sein Reich zurückgewiesen, sich seine Herrscherrechte angemaßt und versucht haben, die Heilsökonomie und die Ordnung alles Geschaffenen umzukehren. Ein Ausdruck dieser Haltung findet sich in den Worten des Versuchers an die Stammeltern: „Ihr werdet wie Gott“ oder „wie Götter“ (Gen. 3,5). So versucht der böse Geist jene Haltung der Rivalität, der Widersetzlichkeit und Opposition gegen Gott, die gleichsam zur Begründung seiner ganzen eigenen Existenz geworden ist, in den Menschen zu verpflanzen. 3. Was das Alte Testament im Buch Genesis über den Sturz des Menschen berichtet, deutet hin auf die Haltung der Gegnerschaft, die Satan in den Menschen hineintragen will, um ihn zum Zuwiderhandeln zu bringen (vgl. Gen 3,5). Auch im Buch Ijob (vgl. Ijob 1,11; 2,5.7) lesen wir, daß Satan den Versuch macht, den Menschen, der leidet, zur Auflehnung anzustacheln. Im Buch der Weisheit (vgl. Weish 2,24) wird Satan als Urheber des Todes vorgestellt, der zusammen mit der Sünde in die Geschichte des Menschen eingetreten ist. 4. Die Kirche lehrt im Vierten Laterankonzil (1215), daß der Teufel (oder Satan) und die anderen Dämonen „von Gott gut geschaffen wurden, aber durch ihren eigenen Willen böse geworden sind“. In der Tat lesen wir im Judasbrief. „Die Engel, die ihren hohen Rang mißachtet und ihren Wohnsitz verlassen haben, hat er mit ewigen Fesseln in der Finsternis eingeschlossen, um sie am großen Tag zu richten“ (Jud 6). Ähnlich wird im zweiten Petrusbrief gesprochen von „Engeln, die gesündigt haben“ und die Gott „nicht verschont, sondern in die finsteren Höhlen der Unterwelt verstoßen“ hat und sie „dort eingeschlossen hält bis zum Gericht“ (2 Petr 2,4). Es ist klar, daß, wenn Gott die Sünde der Engel „nicht verzeiht“, er das tut, weil sie in ihrer Sünde bleiben, weil sie ewig in den „Fesseln“ jener Entscheidung sind, die sie am Anfang, als sie Gott ablehnten, getroffen haben gegen die Wahrheit des höchsten und endgültigen Gutes, das Gott selbst ist. In diesem Sinn schreibt der hl. Johannes: „Der Teufel sündigt von Anfang an“ (1 Joh 3,8). Und „er war ein Mörder von Anfang an. Und er steht nicht in der Wahrheit; denn es ist keine Wahrheit in ihm“ (Joh 8,44). 189 AUDIENZEN UNDANGELUS 5. Diese Texte helfen uns die Natur und das Ausmaß der Sünde Satans verstehen. Sie besteht in der Ablehnung der Wahrheit über Gott, der im Licht des Verstandes und der Offenbarung als unendliches Gut, als die wesenhafte Liebe und Heiligkeit erkannt wird. Die Sünde war um so größer, je größer die geistige Vollkommenheit und der erkennende Scharfblick des Intellektes der Engel war, je größer ihre Freiheit und ihre Nähe zu Gott. Indem der Satan die erkannte Wahrheit über Gott durch einen Akt seines freien Willens ablehnt, wird er zum kosmischen „Lügner“ und „Vater der Lüge“ (Joh 8,44). Darum lebt er in der radikalen und nicht mehr umkehrbaren Verneinung Gottes und sucht der Schöpfung, den anderen als Abbild Gottes erschaffenen Wesen, und besonders den Menschen seine tragische Lüge über das Gut, das Gott ist, aufzunötigen. Im Buch Genesis finden wir eine genaue Beschreibung dieser Lüge und Fälschung der Wahrheit über Gott, die der Satan (in Gestalt der Schlange) den ersten Vertretern des menschlichen Geschlechts aufzudrängen sucht: Gott sei eifersüchtig auf seine Vorzüge und erlege deshalb dem Menschen Einschränkungen auf (vgl. Gen 3,5). Der Satan fordert den Menschen auf, sich von diesem auf erlegten Joch zu befreien und „wie Gott“ zu werden. 6. In diesem Zustand existentialer Lüge wird der Satan - nach dem Wort des hl. Johannes - auch zum Mörder, das heißt zum Zerstörer des übernatürlichen Lebens, das Gott im Anfang ihm und den anderen als Abbild Gottes erschaffenen Wesen verliehen hatte, den anderen reinen Geistwesen und den Menschen. Der Satan will das Leben nach der Wahrheit, das Leben in der Fülle des Guten, das übernatürliche Leben der Gnade und der Liebe zerstören. Der Verfasser des Buches der Weisheit schreibt: „Durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle, die ihm angehören“ ( Weish 2,24). Und im Evangelium mahnt Jesus Christus: „. . . fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib ins Verderben der Hölle stürzen kann“ (Mt 10,28). 7. Als Folge der Sünde der Stammeltern hat dieser gestürzte Engel in einem gewissen Maß die Herrschaft über den Menschen gewonnen. Diese Lehre hat die Kirche stets ausdrücklich bekannt und verkündet, und das Konzil von Trient hat sie im Traktat über die Erbsünde bestätigt (vgl. DS 1511). Sie findet einen dramatischen Ausdruck in der Liturgie der Taufe, wenn der Katechumene aufgefordert wird, dem Teufel und seinen Verführungen zu entsagen. Verschiedene Hinweise auf diese Beeinflussung des Menschen in seiner 190 AUDIENZEN UND ANGELUS geistigen (und körperlichen) Verfassung finden wir in der Hl. Schrift, in der Satan „der Herrscher dieser Welt“ (vgl. Joh 12,31; 14,30; 16,11), ja sogar „Gott dieser Weltzeit“ genannt wird (2 Kor 4,4). Wir finden noch viele andere Namen, die seine unheilvollen Beziehungen zum Menschen beschreiben: „Beelzubul“ oder „Belial“, „unreiner Geist“, „Versucher“, „der Böse“ und schließlich „der Antichrist“ (2 Joh 4,3). Er wird mit einem Löwen verglichen (vgl. 1 Petr 5,8), mit einem Drachen (in der Offenbarung des hl. Johannes) und mit einer Schlange (vgl. Gen 3). Sehr oft wird das Wort „diabolus“, Teufel, gebraucht, um ihn zu benennen. Es kommt aus dem griechischen diaballein, das bedeutet: Zerstörung und Spaltung verursachen, verleumden, täuschen. Und wirklich geschieht ja das alles seit jeher durch den bösen Geist, den die Hl. Schrift als Person vorstellt und der beteuert, nicht allein zu sein: „Wir sind viele“, schreien die Teufel im Gebiet der Gerasener Jesus entgegen (vgl. Mk 5,9), und vom „Teufel und seinen Engeln“ spricht Jesus bei der Beschreibung des zukünftigen Gerichtes (vgl. Mt 25,41). 8. Nach der Hl. Schrift, besonders nach dem Neuen Testament, umfassen Herrschaft und Einfluß Satans und der anderen bösen Geister die ganze Welt. Wir denken an das Gleichnis Christi vom Acker (der die Welt ist), an das Gleichnis vom guten Samen und von dem nicht guten, den der Teufel mitten unter den Weizen sät, in der Absicht, die gute Saat aus den Herzen auszureißen (vgl. Mt 13,88 f.). Wir denken an die zahlreichen Mahnungen zur Wachsamkeit (vgl. Mt 26,41; 2 Petr 5,8), an das Gebet und das Fasten (vgl. Mt 17,20). Wir denken an die nachdrückliche Versicherung des Herrn: „Diese Art (von Dämonen) kann nur durch Gebet ausgetrieben werden“ (Mk 9,29). Das Handeln Satans besteht vor allem darin, die Menschen zum Bösen zu versuchen, indem er ihr Vorstellungsvermögen und ihre höheren Fähigkeiten beeinflußt, um sie abzulenken in die dem Gesetz Gottes entgegengesetzte Richtung. Der Satan stellte sogar Jesus auf die Probe (vgl. Lk 4,3-13) mit dem extremen Versuch, den Forderungen der Heilsökonomie, so, wie sie von Gott geplant war, entgegenzuarbeiten. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der böse Geist es in gewissen Fällen so weit treibt, seinen Einfluß nicht nur auf materielle Dinge, sondern auch auf den Leib des Menschen auszuüben, dann spricht man von „Besessenheit vom Teufel“ (vgl. Mk 5,2—9). Es ist oft schwierig, das Außernatürliche, das in solchen Fällen vorkommt, zu unterscheiden, und die Kirche versteht sich nicht leicht dazu und gibt nicht leicht der Tendenz nach, viele Tatsachen direkten Interventionen des Teufels zuzuschreiben. Aber vom 191 A UDIENZEN UND ANGELUS Prinzip her kann man es nicht verneinen, daß der Satan in seinem Willen, zu schaden und zum Bösen zu verführen, es zu dieser extremen Bekundung seiner Gewalt bringen kann. 9. Schließlich müssen wir noch anfügen, daß die beeindruckenden Worte des Apostels Johannes: „Die ganze Welt steht unter der Macht des Bösen“ (1 Jöh 5,19), auch auf die Anwesenheit Satans in der Geschichte der Menschheit hindeuten, eine Präsenz, die sich allmählich zuspitzt, wenn der Mensch und die Gesellschaft sich von Gott entfernen. Der Einfluß des bösen Geistes kann ganz tief im Dunkeln verborgen am Werk sein: es entspricht ja seinen Interessen, unerkannt zu bleiben. Die besondere Gewandtheit des Satans in der Welt besteht darin, die Menschen zu verführen, daß sie seine Existenz leugnen, und zwar im Namen des Rationalismus und jeglichen Denksystems, das alle möglichen Ausflüchte sucht, nur, um nicht sein Wirken zuzugeben. Das bedeutet aber nicht, daß dem Menschen sein freier Wille und seine Verantwortung genommen und das Heilswirken Christi hinfällig würde. Es handelt sich vielmehr um einen Konflikt zwischen den finsteren Gewalten des Bösen und der Kraft der Erlösung. In dieser Hinsicht sind die Worte Jesu an Petrus zu Beginn der Passion vielsagend: „. . . Simon, der Satan hat verlangt, daß er euch wie Weizen sieben darf. Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt“ (Lk 22,31 f.). Darum begreifen wir, wie Jesus in dem Gebet, das er uns gelehrt hat, dem Vaterunser, das das Gebet vom Gottesreich ist, fast herb abschließt, im Gegensatz zu vielen anderen Gebeten seiner Zeit. Er erinnert uns an unsere Lage als solche, die den Nachstellungen des Bösen, des Widersachers ausgesetzt sind. Der Christ, der im Namen Jesu den Vater anruft und um das Kommen seines Reiches bittet, ruft mit der Kraft des Glaubens: Laß uns nicht der Versuchung unterliegen, erlöse uns vom Bösen! Gib, Herr, daß wir nicht in die Untreue fallen, zu der uns jener verführt, der von Anfang an untreu war. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Im Verlauf der Katechesen, die ich seit einiger Zeit in der Generalaudienz zum Thema der Geschöpfe Gottes halte, spreche ich heute zu euch über die gefallenen Engel. In der Tat bezeugt uns die Heilige Schrift die Existenz von rein geistigen geschaffenen Wesen, von Engeln, die sich in ihrer überragenden Intelligenz und Freiheit gegen Gott auflehnen, ihn als einen eifersüchtigen Gott verleumden und versuchen, ihm ständig entge- 192 AUDIENZEN UND ANGELUS genzuwirken. Dadurch verraten diese Engel ihr hohes Wesen: Sie fallen in die Tiefe, ins Dunkle der Unwahrheit, in die Gegenwelt der Hölle. Einen dieser gefallenen Engel, Satan, nennt der Evangelist Johannes den „Vater der Lüge“ (Joh 8,44), weil er in seiner grundsätzlichen Ablehnung und Verfälschung Gottes nun auch allen Geschöpfen, vor allem dem Menschen, das Antlitz Gottes verzerren möchte. Satan lädt den Menschen ein, sich von jenem „Joch“ zu befreien, das Gott für seine Freiheit darstelle, und selbst „Gott“ zu werden. Die Heilige Schrift bezeugt deutlich die reale, wenn auch begrenzte Macht, die Satan und seine Mitengel als Versucher, Verleumder und Verwirrer auf uns Menschen und unsere Geschichte ausüben. Dabei wäre es sein größter Erfolg, wenn möglichst viele Menschen, weil sie sich für aufgeklärt halten, seine Existenz leugneten. Sein Ziel ist es gerade, den Menschen zu einer Scheinfreiheit zu führen, die sich dann als leere Lüge herausstellt. Mit der ganzen Kirche beten wir Christen dagegen mit allem Realismus und Gottesvertrauen im Vaterunser“: „Vater . . . führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“; erlöse uns von jeder Lebenslüge und schenke uns deine befreiende Wahrheit! Mit diesen kurzen Hinweisen zu einem besonderen Bereich unseres Glaubens grüße ich alle Besucher deutscher Sprache hier bei dieser Audienz. Herzlich willkommen heiße ich heute vor allem eine Gruppe evangelischer Pfarrer aus dem Rheinland. Beten wir zusammen um die Gnade der Einheit unserer Kirchen und Altäre, wenn wir gleich sprechen: „Dein Reich komme!“ Gottes Segen sei mit Ihnen und Ihrem Wirken! Gelobt sei Jesus Christus! Im Rahmen der Generalaudienz ging der Papst in deutscher Sprache auf den 25. Jahrestag der Errichtung der Berliner Mauer ein: „Die katholische Gemeinde von Berlin hat uns unterrichtet, daß sie heute einen Sühnegottesdienst halten wird zum 25. Jahrestag der Errichtung der ,Mauer1, um dabei aller Opfer seit dieser Errichtung zu gedenken. In Antwort darauf wollen wir mit unseren Brüdern und Schwestern beten vor allem für diese Opfer wie auch für alle Personen und Familien, die dabei direkt Schaden erlitten haben. Bei derselben Gelegenheit erbitten wir von unserem Vater im Himmel die Gaben der Versöhnung und des Friedens in Gerechtigkeit und Freiheit, im Bewußtsein, daß sich auf diese Werte die stärkste und berechtigtste Sehnsucht aller Völker in Europa und in der Welt richtet.“ 193 AUDIENZEN UNDANGELUS „Der Mächtige hat Großes an mir getan“ Angelus am 15. August 1. Wir alle, die wir zum gemeinsamen Gebet versammelt sind, wollen heute dich, Mutter Christi, mit den Worten deiner Verwandten Elisabet grüßen: „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen . . . Selig ist die, die geglaubt hat“ (Lk 1,42.45). 2. Du bist wirklich voll der Gnade, Maria; und aus dieser Gnadenfülle ist in dir eine neue Welt gewachsen; die Welt des Emmanuel, die Welt des Gott-mit-den-Menschen, die Welt des Glaubens, der die übernatürliche Wirklichkeit Gottes umfaßt. Diese Wirklichkeit ist in dir. Gott ist in dir, Jungfrau Mutter: „Gesegnet ist die Frucht deines Leibes“ (Lk 1,42). 3. Wir kommen, um dich auf der Schwelle des Hauses der Elisabet zu treffen, der du nach der Verkündigung einen Besuch machtest. Und wir kommen zugleich, um dir auf der Schwelle des Tempels zu begegnen, der im Himmel offensteht: der Tempel, der Gott selbst ist: der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Wir kommen, um dir zu begegnen, Maria, am Tag deiner Aufnahme in den Himmel. 4. Wir, die Kirche deines Sohnes, die wir in Sammlung deine Worte vernehmen. Und wir denken - da uns die Liturgie des heutigen Hochfestes dazu anregt daß die Worte, die du während des Besuches bei Elisabet gesprochen hast, dir im Augenblick deiner Aufnahme in den Himmel wieder neu auf die Lippen gekommen sind. Die gleichen Worte, aber um wie vieles intensiver geworden durch die Frucht deines ganzen Lebens! 5. Du sagst: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. . . Der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig“ (Lk 1,46-49). 6. Ja, Maria, heilig ist der Name Gottes, und dein Name empfängt von ihm seine Heiligkeit. Darum preisen dich selig alle Geschlechter (vgl. Lk 1,48). So preisen auch wir, die wir heute hier versammelt sind, dich selig in dieser schwierigen Generation der menschlichen Geschichte, denn der Allmächtige hat Großes an dir und an uns getan: „Er vollbringt mit 194 AUDIENZEN UNDANGELUS seinem Arm machtvolle Taten“ - „Er hat uns einen starken Retter erweckt!“ (Lk 1,51.69). 7. Mutter, Frau, mit der Sonne der göttlichen Liebe bekleidet, großes Zeichen für alle, die als Pilger auf dieser Erde dem „Heiligtum des lebendigen Gottes“ entgegengehen, erhöre uns! Erhöre uns, damit „sein Erbarmen von Geschlecht zu Geschlecht“ {Lk 1,50) nicht aufhöre, sich den Söhnen und Töchtern dieser Erde mitzuteilen, o gütige, o milde, o liebe Jungfrau Maria. Amen. In deutscher Sprache sagte der Papst: Zu diesem gemeinsamen Mittagsgebet am Fest Mariä Himmelfahrt begrüße ich auch herzlich die Besucher deutscher Sprache: Möge euch die Aufnahme der Muttergottes mit Leib und Seele in die Herrlichkeit Gottes daran erinnern, daß das Ziel auch eurer Wege und Reisen letztlich Gott selber ist, der uns einmal bleibende Freude und ewiges Leben schenken möchte. Er segne alle eure Schritte auf dieses herrliche Ziel hin! Herz Jesu - Sühne für die Sünden der Welt Angelus am 17. August 1. Herz Jesu, du Sühne für unsere Sünden! Das Herz Jesu ist Quelle des Lebens, denn es hat über den Tod gesiegt. Es ist Quelle der Heiligkeit, denn in ihm wird die Sünde besiegt, der Gegner der Heiligkeit im Menschenherzen. Als Jesus am Ostersonntag durch die verschlossene Tür in den Abendmahlssaal kommt, sagt er zu den Aposteln: „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben“ {Joh 20,22 f.). Und während er dies sagt, zeigt er ihnen seine Hände und seine Seite, in denen die Spuren der Kreuzigung sichtbar sind. Er zeigt die Seite, die Stelle des von der Lanze des Hauptmanns durchbohrten Herzens. 2. So sind die Apostel also auf gerufen, zu dem Herzen zurückzukehren, das die Versöhnung ist für die Sünden der Welt. Und mit ihnen sind auch wir aufgerufen. Die Vollmacht zur Sündenvergebung, die Macht des Sieges über das Böse, das im Herzen des Menschen wohnt, birgt sich im 195 AUDIENZEN UNDANGELUS Leiden und Sterben Christi, des Erlösers. Gerade das Herz ist ein besonderes Zeichen dieser erlösenden Macht. Das Leiden und Sterben Christi hat sich seines ganzen Leibes bemächtigt. Alle seine Wunden, die er während der Passion an sich trug, sind daran beteiligt. Vor allem aber das Herz, denn das Herz durchlitt die Todesnot, als die Körperkräfte erloschen. Das Herz verzehrte sich im Leidensrhythmus aller Wunden. 3. In dieser Entäußerung brannte das Herz vor Liebe. Eine lebendige Flamme der Liebe hat das Herz Jesu am Kreuz verzehrt. Diese Liebe des Herzens war die Macht der Versöhnung für die Sünden. Sie hat alles Böse, das die Sünde in sich trägt, überwunden - und überwindet es für immer -, alle Gottesferne, alle Auflehnung des freien menschlichen Willens, jeden schlechten Gebrauch der erschaffenen Freiheit, die sich Gott und seiner Heiligkeit widersetzt. Die Liebe, die das Herz Jesu verzehrt hat, die Liebe, die den Tod seines Herzens verursacht hat, war und ist eine unbesiegbare Macht. Durch die Liebe des göttlichen Herzens hat der Tod den Sieg über die Sünde gewonnen. Es ist die Quelle des Lebens und der Heiligkeit geworden. 4. Christus selbst kennt bis auf den Grund dieses erlösende Geheimnis seines Herzens. Er ist dessen unmittelbarer Zeuge. Wenn er zu den Aposteln sagt: „Empfangt den Heiligen Geist zur Vergebung der Sünden“, gibt er Zeugnis für dieses Herz, das die Versöhnung für die Sünden der Welt ist. Maria, du Zuflucht der Sünder, bringe uns dem Herzen deines Sohnes nahe! In deutscher Sprache sagte der Papst; Auch den Besuchern deutscher Sprache wünsche ich alles Gute und Gottes Segen zu diesem Sonntag und für die ganze Urlaubszeit. Erholt euch an Leib und Seele und bleibt dankbar für alles Schöne auf euren Wegen! 196 AUDIENZEN UNDANGELUS Der Satan: Wie kann sein Reich Bestand haben? Ansprache bei der Generalaudienz am 20. August 1. Unsere Katechesen über Gott, den Schöpfer der „unsichtbaren“ Dinge, haben uns dazu geführt, unseren Glauben, soweit er die Wahrheit über den Bösen oder den Satan betrifft, zu klären und zu stärken. Der Böse war sicherlich nicht von Gott, der höchsten Liebe und Heiligkeit gewollt, und die weise und starke göttliche Vorsehung weiß unser Dasein zum Sieg über den Fürsten der Finsternis zu führen. Der Glaube der Kirche lehrt uns ja, daß die Macht Satans nicht unendlich ist. Er ist nur ein Geschöpf, als reines Geistwesen zwar mächtig, aber doch immer ein Geschöpf, mit den Grenzen des Geschöpfes, dem Willen und der Herrschaft Gottes unterworfen. Wenn Satan in der Welt aus Haß gegen Gott und sein Reich am Werk ist, dann ist ihm das von der göttlichen Vorsehung zugestanden, die mit Macht und Güte (fortiter et suaviter) die Geschicke des Menschen und der Welt lenkt. Wenn die Machenschaften Satans gewiß auch den einzelnen und der Gesellschaft viel Schaden zufügen - geistiger und indirekt auch körperlicher Natur - so ist er aber doch nicht imstande, die endgültige Bestimmung, auf die hin der Mensch und die ganze Schöpfung angelegt sind, nämlich das Gute, zunichte zu machen. Er kann den Aufbau des Gottesreiches nicht verhindern, in welchem am Ende die Gerechtigkeit und Liebe des Vaters zu den von Ewigkeit her im Sohn, dem göttlichen Wort, vorherbestimmten Geschöpfen zu voller Verwirklichung kommen. Wir können sogar mit dem hl. Paulus sagen, daß selbst das Werk des Bösen schließlich zum Guten führt (vgl. Rom 8,28) und den Auserwählten zum Ruhm gereicht (vgl. 2 Tim 2,10). 2. So kann die ganze Geschichte der Menschheit im Dienst der sich vollziehenden allumfassenden Erlösung gesehen werden, die geprägt ist vom Sieg Christi über den „Herrscher dieser Welt“ (Joh 12,31; 14,30; 16,11). „Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen“ (Lk 4,8), ist die unumstößliche Antwort Christi an den Satan. In einem dramatischen Augenblick seines Dienstes, als ihn jemand herausfordernd beschuldigte, die Dämonen auszutreiben, weil er mit Beelzebub, dem Anführer der Dämonen, verbündet sei, antwortet Jesus mit den ernsten und doch auch tröstlichen Worten: „Jedes Reich, das in sich gespalten ist, geht zugrunde, und keine Stadt und keine Familie, die in sich gespalten ist, wird Bestand haben. Wenn also der Satan den Satan 197 AUDIENZEN UNDANGELUS austreibt, dann liegt der Satan mit sich selbst in Streit. Wie kann sein Reich dann Bestand haben? . . . Wenn ich aber die Dämonen durch den Geist Gottes austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen“ {Mt 12,25 f.28). „Solange ein bewaffneter starker Mann seinen Hof bewacht, ist sein Besitz sicher; wenn ihn aber ein Stärkerer angreift und besiegt, dann nimmt ihm der Stärkere all seine Waffen weg, auf die er sich verlassen hat, und verteilt die Beute“ (Lk 11,21 f.). Die Worte, die Christus in bezug auf den Satan sprach, finden ihre geschichtliche Erfüllung im Kreuz und in der Auferstehung des Erlösers. Wie wir im Brief an die Hebräer lesen, hat Christus das menschliche Dasein geteilt bis hin zum Kreuz, „um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel, und um die zu befreien, die . . . der Knechtschaft verfallen waren“ {Hebr 2,14 f.). Das ist die große Gewißheit des christlichen Glaubens: „Der Herrscher dieser Welt ist gerichtet“ (Joh 16,11); „der Sohn Gottes ist erschienen, um die Werke des Teufels zu zerstören“ (7 Joh 3,8), wie uns der hl. Johannes bestätigt. Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, hat sich also als jener „Stärkere“ offenbart, der den „starken Mann“, den Teufel, besiegt und dem er die Gewalt genommen hat. Die Kirche hat Anteil am Sieg Christi über den Teufel: Christus hat in der Tat seinen Jüngern die Gewalt gegeben, Dämonen auszutreiben (vgl. Mt 10,1 u. Parall.; Mk 16,17). Die Kirche übt diese sieghafte Gewalt aus durch den Glauben an Christus und durch das Gebet (vgl. Mk 9,29; Mt 17,19 f.), das in bestimmten Fällen die Form des Exorzismus annehmen kann. 3. Diese geschichtliche Phase des Sieges Christi ist von der Ankündigung und dem Beginn des Endsieges, der Parusie geprägt, des zweiten und endgültigen Kommens Christi am Abschluß der Geschichte, auf das hin das Leben des Christen entworfen ist. Wenn es auch wahr ist, daß die irdische Geschichte weiterhin abläuft unter dem Einfluß „jenes Geistes, der“ - wie der hl. Paulus sagt - „in den Ungehorsamen wirksam ist“ {Eph 2,2), so wissen die Gläubigen doch, daß sie dazu berufen sind, für den endgültigen Sieg des Guten zu kämpfen: „Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs“ {Eph 6,12). 4. Der Kampf wird allmählich, wenn es dem Ende zugeht, in gewissem Sinn immer heftiger, wie es vor allem die Offenbarung des hl. Johannes 198 AUDIENZEN UND ANGELUS hervorhebt, das letzte Buch des Neuen Testamentes (vgl. Offb 12,7-9). Aber gerade dieses Buch betont die Gewißheit, die uns von der ganzen göttlichen Offenbarung gegeben ist: daß nämlich der Kampf mit dem endgültigen Sieg des Guten endet. In diesem Sieg, der bereits im voraus im Ostergeheimnis Christi enthalten ist, erfüllt sich definitiv die erste Ankündigung aus dem Buch Genesis, die den bezeichnenden Namen Protoevangelium trägt. Darin hält Gott der Schlange entgegen: „Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau“ {Gen 3,15). In dieser entscheidenden Phase wird Gott das Geheimnis seiner väterlichen Vorsehung zur Vollendung bringen und jene „der Macht der Finsternis entreißen“, die er ewig „in Christus vorausbestimmt hat“, und wird sie „in das Reich seines geliebten Sohnes aufnehmen“ {Kol 1,13 f.). Dann wird der Sohn dem Vater auch das ganze Universum unterwerfen, damit „Gott herrscht über alles und in allem“ {1 Kor 15,28). 5. Hier schließen die Katechesen über Gott, den Schöpfer der „sichtbaren und unsichtbaren Dinge“, die wir in der Anordnung unserer Darlegungen mit der Wahrheit über die göttliche Vorsehung verbunden hatten. In den Augen des Glaubenden ist ganz offensichtlich das Geheimnis vom Anfang der Welt und der Geschichte unlösbar verbunden mit dem Geheimnis des Endes, in dem alles Erschaffene seiner Bestimmung gemäß zur Erfüllung kommt. Das Credo, das viele Wahrheiten so organisch verbindet, ist wirklich die harmonisch aufgebaute Kathedrale unseres Glaubens. In fortschreitender und organischer Weise konnten wir staunend das große Geheimnis der Weisheit und Liebe Gottes in seinem Handeln als Schöpfer des Kosmos, der Menschen und der Welt der reinen Geistwesen bewundern. Wir haben den trinitarischen Urgrund dieses Handelns betrachtet, die weise Zielbestimmung für das Leben des Menschen, der ein wahres „Abbild Gottes“ ist und berufen, seine volle Würde in der Anschauung der göttlichen Herrlichkeit zu finden. Wir haben Licht empfangen über eines der größten Probleme, die den Menschen beunruhigen und von denen seine Suche nach der Wahrheit erfüllt ist: das Problem des Leidens und des Bösen. An dessen Wurzel steht nicht eine Fehlentscheidung von seiten Gottes, sondern sein Wunsch und in gewisser Weise sein Wagnis, uns als Freie zu erschaffen, um uns als Freunde zu haben. Aus der Freiheit ist das Böse hervorgegangen. Aber Gott gibt nicht nach, und in seiner transzendenten Weisheit bestimmt er uns zu seinen Söhnen und Töchtern in Christus und leitet alles mit Macht und Milde, damit das Gute nicht vom Bösen besiegt wird. 199 AUDIENZEN UNDANGELUS In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Unsere Katechese über Gott den Schöpfer der „sichtbaren und unsichtbaren Dinge“ verweilt zur Zeit bei der Wahrheit von der Existenz böser Geister, die wir Satan oder Teufel nennen. Nach dem Glauben der Kirche ist die Macht Satans nicht unbegrenzt. Er kann zwar viel Unheil anrichten. Aber auch sein Wirken unterliegt letztlich Gottes Vorsehung und Heilsratschluß und hat deshalb indirekt sogar der Auferbaung des Reiches Gottes zu dienen. Der Sieg Christi durch Tod und Auferstehung ist vor allem der Sieg über den „Fürsten dieser Welt“ (Joh 12,31). Wie der Hebräerbrief sagt, hat Christus „Fleisch und Blut angenommen, um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel, und um die zu befreien, die . . . der Knechtschaft verfallen waren“ (2,14f.). Nach dem christlichen Glauben ist der Herrscher dieser Welt durch Christus gerichtet und besiegt. Und die Kirche hat fortan teil an diesem seinem Sieg. Mit den Aposteln hat sie von Christus die Vollmacht erhalten, die unreinen Geister aus den Menschen auszutreiben (vgl. Mt 10,1). Als Christen sind wir in einer besonderen Weise aufgerufen zum. Kampf gegen das Böse und für den Sieg des Guten. Dieser Sieg wird vollkommen und endgültig sein in der endzeitlichen Vollendung, wenn Christus alles dem Vater übergeben wird, damit Gott über alles und in allem herrscht (vgl. 1 Kor 15,28). Mit dieser kurzen Betrachtung grüße ich herzlich alle heutigen Audienzteilnehmer deutscher Sprache, die genannten Gruppen und auch die ungenannten Einzelpilger. Ich empfehle euch in eurem Kampf gegen das Böse in euch und um euch dem besonderen Schutz jener guten Geister, der Engel, die Gott eigens zu unseren Weggefährten bestimmt hat. Mögen sie euch auch wieder wohlbehalten in eure Heimat zurückbegleiten! Einen besonderen Willkommensgruß richte ich an die Gruppe der Schwestern, die in La Storta an einem religiösen Erneuerungskurs teilnehmen, und erbitte ihnen in ihren geistlichen Übungen Gottes Licht und Beistand. Schließlich grüße ich noch mit Freude die Jugendlichen aus Vietnam, die in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Heimat gefunden haben. Ich versichere euch und euer ganzes Volk meiner besonderen Nähe und meines Gebetes. Von Herzen erteile ich euch und allen anwesenden Pilgern deutscher Sprache meinen besonderen Apostolischen Segen. 200 AUDIENZEN UNDANGELUS Herz Jesu - ein Zeichen des Widerspruchs Angelus in Castel Gandolfo am 24. August 1. Herz Jesu, mit Schmach gesättigt. Die Worte der Herz-Jesu-Litanei helfen uns, das Evangelium vom Leiden Christi wieder zu lesen. Wir wollen uns mit den Augen der Seele diese Augenblicke und Ereignisse noch einmal vergegenwärtigen: die Gefangennahme in Getsemani, das Verhör vor Hannas und Kajaphas, die nächtliche Einkerkerung, am Morgen den Gerichtsspruch des Hohen Rates, das Verhör vor dem Richterstuhl des römischen Statthalters und das vor Herodes, dem Galiläer; dann die Geißelung, die Dornenkrönung, die Verurteilung zum Kreuzestod, den Kreuzweg hinauf nach Golgota und durch die Todesnot am Schandpfahl des Kreuzes hin bis zum letzten „Es ist vollbracht!“ Herz Jesu, mit Schmach gesättigt! 2. Herz Jesu — menschliches Herz des Gottessohnes — der Würde eines jeden Menschen so bewußt - und so bewußt der Würde des Gott-Menschen. Herz des Sohnes, der der Erstgeborene vor aller Schöpfung ist: — so bewußt der besonderen Würde der Menschenseele und des Menschenleibes, - so empfindsam für alles, was diese Würde beleidigt: „mit Schmach gesättigt“. 3. So sagen die Worte des Propheten Jesaja: „Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen . .... Er bringt den Völkern das Recht. Er schreit nicht und lärmt nicht . . . Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus . . .“ (Jes 42,1-3). „Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch, seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen“ (Jes 52,14). „. . . ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht . . .“ (Jes 53,3). 4. Herz Jesu, mit Schmach gesättigt! Herz Jesu, mit Schmach gesättigt: Zeichen des Widerspruchs . . . (vgl. Lk 2,34). 201 AUDIENZEN UND ANGELUS Auf deutsch sagte der Papst nach dem Angelusgebet: Mein herzlicher Gruß gilt auch den Pilgern deutscher Sprache. Nach unserem gemeinsamen Gebet empfehle ich euch dem besonderen Schutz der Gottesmutter. Sie ist ja unser aller Mutter und als Königin des Himmels zugleich unsere mächtige Fürsprecherin. Möge Maria euch stets mit ihrer mütterlichen Sorge und Liebe begleiten! Ebenso segne auch ich euch alle von Herzen. Gott als Erlöser des Menschen und der Welt Ansprache bei der Generalaudienz am 27. August 1. Das Geheimnis der Erlösung und die Realität der Sünde. Nach den Katechesen über Gott, den Einen und Dreifältigen, den Schöpfer und Gott der Vorsehung, den Vater und Herrn des Universums, wollen wir nun eine weitere Serie von Katechesen beginnen, und zwar über Gott, den Erlöser. Auch bei diesen bilden die Glaubensbekenntnisse den fundamentalen Bezugspunkt, besonders das älteste, das Apostolisches Glaubensbekenntnis genannt wird, und jenes, das nizänokonstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis heißt. Diese sind auch die bekanntesten und in der Kirche gebräuchlichsten', das erstere als Teil des persönlichen Gebetsschatzes des Christen, das andere in der Liturgie. Beide Texte entsprechen einander in der Darbietung des Inhalts, die gekennzeichnet ist durch den Übergang der Glaubensartikel über Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der sichtbaren und der unsichtbaren Welt, zu jenen, die von Jesus Christus sprechen. Das Apostolische Glaubensbekenntnis ist gedrängt in seiner Formulierung: (Ich glaube) „an Jesus Christus, seinen (Gottes) eingeborenen Sohn, unseren Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria . . .“ usw. Das nizänokonstantinopolitanische Glaubensbekenntnis hingegen erweitert beträchtlich das Bekenntnis des Glaubens an die Gottheit Christi, des Gottessohnes, „aus dem Vater geboren vor aller Zeit. . . gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“. Und dann folgt der Übergang zum Geheimnis der Menschwerdung des Wortes: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der 202 AUDIENZEN UNDANGELUS Jungfrau Maria und ist Mensch geworden.“ Anschließend enthalten dann beide Formen des Glaubensbekenntnisses die Aussage über das Ostergeheimnis Jesu Christi und die Verkündigung seiner Wiederkunft zum Gericht. Beide fahren fort mit dem Bekenntnis des Glaubens an den Heiligen Geist. Es muß also unterstrichen werden, daß ihre Struktur wesentlich trinitarisch ist: Vater - Sohn - Heiliger Geist. Gleichzeitig enthalten sie die Elemente, die sich aus dem ergeben, was das Wirken der Heiligsten Dreifaltigkeit „nach außen“ (ad extra) darstellt. Darum sprechen sie erst vom Geheimnis der Schöpfung (vom Vater, dem Schöpfer) und dann von den Geheimnissen der Erlösung (vom Sohn, dem Erlöser) und der Heiligung (vom Heiligen Geist, dem Heiligmacher). 2. Darum also wollen wir nun, den Glaubensbekenntnissen folgend, nach dem Zyklus der Katechesen über das Geheimnis der Schöpfung oder besser: über Gott als Schöpfer aller Dinge, übergehen zu einem Zyklus von Katechesen, die das Geheimnis der Erlösung betreffen oder besser: Gott als Erlöser des Menschen und der Welt. Es sind die Katechesen über Jesus Christus (Christologie), denn das Werk der Erlösung, wenn es auch, gerade wie das Werk der Schöpfung, dem dreieinen Gott zugehört, wurde in der Zeit von Jesus Christus, dem Sohn Gottes verwirklicht, der Mensch wurde, um uns zu retten. Wir bemerken gleich, daß im Bereich des Geheimnisses der Erlösung die Christologie auf dem Boden der Anthropologie und der Geschichte ihren Platz einnimmt. In der Tat tritt der dem Vater wesensgleiche Sohn, der durch den Heiligen. Geist Mensch geworden ist und von der Jungfrau Maria geboren wurde, in die Geschichte der Menschheit im Zusammenhang mit dem ganzen geschaffenen Kosmos ein. Er wird Mensch „für uns Menschen (propter nos homines) und zu unserem Heil (etpropter nostram salutem)“. Das Geheimnis der Menschwerdung (et incarnatus est) wird von den Glaubensbekenntnissen im Dienst der Erlösung gesehen. Nach der Offenbarung und dem Glauben der Kirche hat es also erlösende (soteriologische) Bedeutung. 3. Aus diesem Grund berühren die Glaubensbekenntnisse, wenn sie das Geheimnis der erlösenden Menschwerdung auf den Schauplatz der Geschichte stellen, die Realität des Bösen und an erster Stelle die Wirklichkeit der Sünde. Erlösung bedeutet ja vor allem Befreiung vom Bösen und insbesondere Befreiung von der Sünde, wenn auch die Tragweite dieses Begriffes sich offensichtlich nicht darauf allein beschränkt, sondern 203 AUDIENZEN UND ANGELUS den Reichtum des göttlichen Lebens umfaßt, das Christus dem Menschen gebracht hat. Nach der Offenbarung ist die Sünde das hauptsächliche und grundlegende Übel, denn in ihr steckt die Ablehnung des Willens Gottes, der Wahrheit und Heiligkeit Gottes und seiner väterlichen Güte, die sich schon im Werk der Schöpfung offenbart hat, besonders in der Erschaffung der vernunftbegabten und freien Wesen, die als „Bild und Gleichnis“ des Schöpfers geschaffen sind. Gerade dieses „Bild und Gleichnis“ wird gegen Gott gebraucht, wenn das vernunftbegabte Wesen aus eigenem freien Willen die Zielbestimmung zurückweist, die Gott dem Sein und Leben des Geschöpfes gegeben hat. Die Sünde beinhaltet also eine besonders tiefe Entstellung des geschaffenen Guten, vor allem in einem Geschöpf, das, wie der Mensch, Bild und Gleichnis Gottes ist. 4. Das Geheimnis der Erlösung ist in der Tat wurzelhaft mit der Wirklichkeit der Sünde des Menschen verbunden. Wenn wir also in einer systematischen Katechese die Glaubensartikel erläutern wollen, die von Jesus Christus handeln, in dem und durch den Gott das Heil gewirkt hat, müssen wir uns vor allem mit dem Thema der Sünde auseinandersetzen, dieser düsteren Realität, die die gottgeschaffene Welt durchsetzt und an der Wurzel alles Schlechten im Menschen und, man kann sagen, im Geschaffenen steckt. Nur auf diesem Weg ist es möglich, die Bedeutung der Tatsache voll zu verstehen, daß, wie die Offenbarung lehrt, der Sohn Gottes „für uns Menschen und zu unserem Heil“ Mensch geworden ist. Die Heilsgeschichte setzt „de facto“ die Existenz der Sünde in der Geschichte der von Gott erschaffenen Menschheit voraus. Das Heil, von dem die göttliche Offenbarung spricht, ist vor allem anderen die Befreiung von jedem Übel, das die Sünde darstellt. Das ist die zentrale Wahrheit in der christlichen Erlösungslehre: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen.“ Und hier müssen wir beachten, daß in Anbetracht der zentralen Stellung, die die Wahrheit über das Heil in der ganzen göttlichen Offenbarung einnimmt und, mit anderen Worten, in Anbetracht der zentralen Stellung des Erlösungsgeheimnisses, auch die Wahrheit über die Sünde zu den Kernwahrheiten des christlichen Glaubens gehört. Ja, Sünde und Erlösung sind aufeinander bezogene Begriffe in der Heilsgeschichte. Man muß also zuerst über die Wirklichkeit der Sünde nachdenken, um der Wahrheit der von Jesus Christus gewirkten Erlösung, die wir im Credo bekennen, den rechten Sinn geben zu können. Man kann sagen, daß die innere Logik der Offenbarung und des Glaubens, wie sie in den Glaubensbekenntnissen zum Ausdruck kommt, es uns 204 AUDIENZEN UNDANGELUS auferlegt, in diesen Katechesen uns vor allem mit der Sünde zu beschäftigen. 5. Auf dieses Thema wurden wir in einem gewissen Maß vorbereitet durch den Zyklus der Katechesen über die göttliche Vorsehung. „Alles, was Gott geschaffen hat, erhält und lenkt er durch seine Vorsehung“, lehrt das Erste Vatikanische Konzil. Es zitiert dabei das Buch der Weisheit: „Machtvoll entfaltet sich ihre Kraft von einem Ende zum anderen und durchwaltet voll Güte das All ( Weish 8,1)“ (DS 3003). Das Konzil bestätigt jene universale Vorsorge für die Dinge, die Gott mit starker Hand und väterlicher Güte bewahrt und weiterführt, und noch genauer erklärend sagt es, daß die göttliche Vorsehung in besonderer Weise alles das umfängt, was die vernunftbegabten und freien Wesen in das Werk der Schöpfung einbringen. Nun wissen wir aber, daß dies in Taten besteht, die jene nach ihrer freien Wahl vollziehen und die mit dem göttlichen Willen übereinstimmen oder ihm entgegengesetzt sein können, wozu also auch die Sünde gehört. Wie man sieht, erlaubt uns die Wahrheit über die göttliche Vorsehung, auch die Sünde in der richtigen Perspektive zu sehen. Und die Glaubensbekenntnisse helfen uns, sie in diesem Licht zu betrachten. In Wirklichkeit - das wollen wir gleich bei der ersten Katechese über die Sünde feststellen - berühren die Glaubensbekenntnisse dieses Thema kaum. Aber gerade dadurch geben sie uns Anlaß, die Sünde vom Gesichtspunkt des Erlösungsgeheimnisses aus in soteriologischer Betrachtung zu prüfen. Und dann können wir sofort hinzufügen: Wenn schon die Wahrheit über die Schöpfung und noch mehr die über die göttliche Vorsehung es uns erlaubt, dem Problem des Bösen und besonders dem der Sünde mit Klarheit und exakten Aussagen näherzukommen auf Grund der Offenbarung der unendlichen Güte Gottes, dann läßt uns die Wahrheit über die Erlösung mit dem Apostel bekennen: „ Ub abundavit delictum, super-abundavit gratia“ - „Wo die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden“ (Röm 5,20), denn diese Wahrheit hilft uns, die geheimnisvolle Versöhnung in Gott besser zu entdecken, nämlich die Versöhnung zwischen der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit, den beiden Dimensionen dieser seiner Güte. Wir können also schon jetzt sagen, daß die Realität der Sünde im Licht der Erlösung uns Gelegenheit gibt, das Geheimnis Gottes, der die Liebe ist (vgl. 1 Joh 4,16), tiefer zu erfassen. Der Glaube kommt so in einen aufmerksamen Dialog mit vielen Äußerungen der Philosophie, der Literatur, der großen Religionen, die sich 205 AUDIENZEN UNDANGELUS nicht wenig mit den Wurzeln des Bösen und der Sünde beschäftigen und oft nach einem erlösenden Licht seufzen. Und gerade auf diesem gemeinsamen Boden möchte der christliche Glaube die Wahrheit und die Gnade der göttlichen Offenbarung allen zunutze machen. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! In der Reihe meiner Katechesen bei dieser regelmäßigen Mittwochsaudienz möchte ich heute zusammen mit euch einen neuen Abschnitt beginnen: Nach der Darlegung unseres Glaubens an den dreifältigen Gott, unseren Schöpfer und Herrn, folgt nun die Katechese über Gott, unseren Erlöser. Unser Vorbild sind dabei die alten Glaubensbekenntnisse, die ja einen trinitarischen Aufbau haben. So bekennen wir im bekannten Credo der heiligen Messe zunächst unseren Glauben „an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat“. Dann wendet sich der Text dem ewigen Sohne Gottes zu, „eines Wesens mit dem Vater“. Darauf folgt der Satz, welcher die Grundlage unserer Katechese über die Erlösung darstellt; es heißt im Glaubensbekenntnis: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er (der Sohn Gottes) vom Himmel gekommen . . . und ist Mensch geworden“. Hier wird es ganz deutlich gesagt: Gott hat in seinem ewigen Sohn die Menschennatur angenommen, um uns Menschen - und damit die ganze Schöpfung - zu heilen, um sie zu erlösen. Geheilt werden muß derjenige, der krank ist; erlöst werden muß, wer gefesselt ist. Im Glauben wissen wir, daß die wesentliche Krankheit des Menschen, die eigentliche Fessel seiner Freiheit die Sünde ist, das moralische Übel. Der Mensch, als „Ebenbild“ Gottes geschaffen, kann durch den Mißbrauch seiner höchsten Gaben des Verstandes und der Freiheit dieses Bild Gottes entstellen und verzerren: Er kann sündigen gegen Gott und damit auch gegen den Mitmenschen und alle anderen Geschöpfe. Wenn wir also den Glaubensbereich unserer Erlösung betrachten wollen, müssen wir zunächst Sünde und Schuld des Menschen behandeln; dies aber keineswegs in einer pessimistischen Perspektive, sondern stets im Licht der unendlichen Barmherzigkeit Gottes, der die Liebe selber ist. Mit dieser kurzen Erinnerung an einige Grundlagen unseres gemeinsamen Glaubens grüße ich noch einmal herzlich alle Besucher deutscher Sprache und erbitte euch mit meinem Segen die weise Führung Gottes auf allen euren Lebenswegen. 206 AUDIENZEN UNDANGELUS „Führe uns zum Herzen deines Sohnes!“ Angelus am 31. August „Beten wir für die Schwestern und Brüder der Kirche in Litauen“ 1. Herz Jesu, um unserer Sünden willen durchbohrt! Jesus von Nazaret, der beim letzten Abendmahl gesagt hat: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird . . . Das ist mein Blut, das für euch vergossen wird.“ Jesus: Hoher Priester, der durch sein eigenes Blut in den ewigen Tempel eingetreten ist. Jesus: Hoher Priester, der nach der Ordnung des Melchisedek uns sein Opfer übertragen hat: Tut dies! . . . Jesus - Herz Jesu! 2. Herz Jesu in Getsemani, der „zu Tode betrübt“ war, der „Furcht und Angst“ fühlte. Der damals sagte: „Abba, Vater, alles ist Dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir!“ Er wußte aber, was der Wille des Vaters warr, und er wollte nichts anderes, als ihn erfüllen: Den Kelch bis zur Neige trinken. Herz Jesu - durchbohrt durch ewigen Spruch: Denn Gott hat die Welt so geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn dahingab ... 3. Viele Jahrhunderte vorher hatte Jesaja gesagt: „Er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt“ (Jes 53,4). Er hat sich für unsere Sünden geopfert; und sagten sie nicht trotzdem auf Golgo-ta: „wenn du Gottes Sohn bist, steig herab vom Kreuz!“ (Mt 27,40)7 4. So sprachen sie: Und trotzdem wußte es der Prophet. Und trotzdem sagte Jesaja viele Jahrhunderte früher: „Er wude durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. . . Wir hatten uns verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg. Doch der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen ... Er wurde vom Land der Lebenden abgeschnitten und wegen der Verbrechen seines Volkes zu Tode getroffen“ (Jes 53,5-8). 5. Durchbohrt um unserer Sünden willen! Herz Jesu - durchbohrt um der Sünden willen . . . Die Leiden des Todeskampfes umarmen den ganzen Leib des Gekreuzigten. Der Tod tritt langsam an das Herz heran. Jesus sagt: „Alles ist vollbracht!“ - „Vater, in deine Häne lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Wie anders müssen wir die Schrift erfüllen? Wie anders müssen wir die Worte des Propheten erfüllen, der sagt: 207 AUDIENZEN UNDANGELUS Mein Knecht, der Gerechte, macht die vielen gerecht ... es erfüllt sich durch den Willen des Herrn (vgl. Jes 53,11). Der Wille des Vaters! Nicht mein Wille, sondern dein Wille! 6. Wir sind vereint im Gebet mit dir, Mutter Christi: Mit dir, die an seinen Schmerzen teilgenommen hat ... du hast uns zum Herzen deines sterbenden Sohnes am Kreuz geführt: als es sich in seiner Entblößung als Liebe enthüllte. O du, die du teilhattest an seinen Leiden, hilf uns immer, dieses Geheimnis zu umarmen. Mutter des Erlösers: führe uns zum Herzen deines Sohnes hin! Nach dem Angelus sagte der Papst: Meine Gedanken richten sich jetzt an die Kirche in Litauen, an alle Brüder und Schwestern dieser Nation, die ich besonders liebe. In diesen Tagen, vor dem Fest der Geburt der Jungfrau Maria, pilgern zahlreiche Gläubige nach einer vielhundertjährigen Tradition zum Heiligtum von Siluva, dem Herzen der marianischen Frömmigkeit dieses Volkes. Es ist ein wunderbarer Ausdruck von Gebet und Buße, der den starken Glauben dieser unserer Brüder öffentlich bezeugt, die sich auf die 600-Jahr-Feier der „Taufe“, d. h. der Bekehrung zum Katholizismus im nächsten Jahr vorbereiten. Durch diese Taufe ist Litauen ein Teil der großen Familie der christlichen Völker Europas geworden. Wir wollen zusammen die Fürsprache Mariens anrufen für diese katholische Gemeinschaft, damit sie das Geschenk des Glaubens und der christlichen Berufung, das sie vor 600 Jahren empfangen hat, bewahre und das sie in der wechselnden manchmal schmerzlichen Geschichte lebendig erhalten hat. Wir wollen dem mütterlichen Schutz der Jungfrau vor allem die Jugend dieses edlen Landes anvertrauen, damit sie mit Freude und Verantwortungsbewußtsein das unschätzbare Geschenk ihrer Väter zu bewahren versteht, es verlebendigt und ihrerseits mit hochherziger Treue weitergibt. In deutscher Sprache sagte der Papst: Einen gesegneten Sonntag wünsche ich auch den deutschsprachigen Besuchern. Unser Herr Jesus Christus, die menschgewordene Liebe Gottes, helfe euch, auch selbst immer mehr vollkommene Menschen zu werden nach dem Maßstab Gottes. Die Fürbitte Mariens ist euch dabei gewiß! 208 AUDIENZEN UNDANGELUS Im Anfang war alles Geschaffene gut Ansprache bei der Generalaudienz am 3. September 1. Wenn die Glaubensbekenntnisse nur wenig von der Sünde sprechen, so erscheint hingegen in der Heiligen Schrift der Begriff und der Ausdruck „Sünde“ mit größerer Häufigkeit. Das beweist, daß die Heilige Schrift, so gewiß sie ein Buch von Gott und über Gott ist, doch auch ein großes Buch über den Menschen ist, den Menschen nach den Bedingungen seiner Existenz und seiner Erfahrung. Die Sünde gehört in der Tat zum Menschen und zu seiner Geschichte. Man würde vergeblich versuchen, sie zu ignorieren oder dieser düsteren Realität andere Bezeichnungen und andere Deutungen zu geben, wie es im Anschluß an den Illuminismus und den Säkularismus geschehen ist. Wenn man die Sünde zugibt, erkennt man gleichzeitig auch ein tiefes Band zwischen Gott und Mensch an, denn außerhalb dieser Beziehung Mensch — Gott erscheint die Sünde nicht in ihrer wahren Dimension, obschon sie offensichtlich im Leben des Menschen und in der Geschichte weiterbesteht. Die Sünde lastet als düstere und unheilvolle Wirklichkeit umso schwerer auf dem Menschen, je weniger sie erkannt und anerkannt wird, je weniger sie in ihrem Wesen als Ablehnung Gottes und Widerstand gegen ihn identifiziert wird. Subjekt und Vollzieher dieser Entscheidung ist natürlich der Mensch, der das, was das Gewissen ihm eingibt, zurückweisen kann, auch ohne sich dabei ausdrücklich auf Gott zu beziehen; aber dieses sein törichtes und unheilvolles Handeln nimmt nur dann seine negative Bedeutung an, wenn man es auf dem Hintergrund der Beziehung des Menschen zu Gott sieht. 2. Darum wird in der Heiligen Schrift die erste Sünde im Zusammenhang mit dem Geheimnis der Schöpfung beschrieben. Mit anderen Worten: Die Sünde, die am Anfang der menschlichen Geschichte begangen wurde, wird auf dem Hintergrund der Schöpfung, das heißt der Verleihung des Daseins von seiten Gottes, dargestellt. Der Mensch erhält im Zusammenhang mit der sichtbaren Welt das Dasein als „Abbild“ Gottes, nämlich auf der Ebene eines vernunftbegabten Wesens, das mit Verstand und Willen ausgestattet ist. Auf dieser Ebene des erschaffenden Schenkens von seiten Gottes ist auch das Wesen der Sünde des „Anfangs“ besser zu erkennen, nämlich als eine Wahl, die der Mensch durch schlechten Gebrauch dieser Fähigkeiten vollzogen hat. Es versteht sich, daß wir hier nicht vom Anfang der Geschichte sprechen, wie sie - hypothetisch - von der Wissenschaft beschrieben wird, sondern vom „Anfang“, wie er auf den Seiten der 209 AUDIENZEN UND ANGELUS Heiligen Schrift erscheint. Diese entdeckt in jenem „Anfang“ den Ursprung des sittlich Bösen, dessen Erfahrung die Menschheit unaufhörlich macht, und sie identifiziert es als Sünde. 3. Das Buch Genesis betont im ersten Schöpfungsbericht (Gen 1,1-28, der chronologisch später ist als der zweite, Gen 2,4-15) das ursprüngliche Gut-Sein alles Geschaffenen und besonders das Gut-Sein des Menschen, der von Gott als Mann und Frau erschaffen wurde (vgl. Gen 1,27). In die Beschreibung der Schöpfung wird verschiedene Male die Feststellung eingefügt: „Gott sah, daß es gut war“ (Gen 1,12.18.21.25), und schließlich, nach der Erschaffung des Menschen: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut“ (Gen 1,31). Da es sich hier um das Wesen handelt, das nach dem Bild Gottes erschaffen ist, nämlich vernunftbegabt und frei, weist der Satz hin auf das Gut-Sein, das nach dem Plan des Schöpfers einem solchen Geschöpf eigen ist. 4. Hierauf stützt sich die von der Kirche gelehrte Glaubens Wahrheit über die ursprüngliche Unschuld (iustitia originalis) des Menschen. Sie ergibt sich aus der Beschreibung im Buch Genesis über den Menschen, der aus der Hand Gottes hervorgegangen ist und in voller Vertrautheit mit ihm lebt (vgl. Gen 2,8-25). Auch das Buch Kohelet sagt: „Gott hat die Menschen rechtschaffen gemacht“ (Koh 7,29). Wenn das Konzil von Trient lehrt, daß der erste Adam die Heiligkeit und Gerechtigkeit, in der er erschaffen wurde, verloren hat („Primum hominem Adam . . . sanctita-tem et justitiam, in qua constitutus fuerat, amisisse“, Decr.de pecc. orig.: DS 1511), dann will das sagen, daß dem Menschen vor dem Sündenfall die heiligmachende Gnade mit all den übernatürlichen Gaben zu eigen war, die den Menschen vor Gott „gerecht“ machen. Zusammenfassend können wir sagen, daß der Mensch am Anfang in Freundschaft mit Gott lebte. 5. Im Licht der Bibel erscheint der Zustand des Menschen vor dem Sündenfall als Zustand ursprünglicher Vollkommenheit, in gewisser Hinsicht ausgedrückt im Bild des Paradieses, das das Buch Genesis zeichnet. Wenn wir uns fragen, welches die Quelle dieser Vollkommenheit war, so heißt die Antwort: Sie fand sich vor allem in der Freundschaft mit Gott durch die heiligmachende Gnade und in jenen anderen Gaben, die in theologischer Sprache praeternatural genannt werden und durch die Sünde verlorengingen. Dank dieser Gaben Gottes besaß der Mensch, der in Freundschaft und Harmonie mit seinem Ursprung und Anfang verbun- 210 AUDIENZEN UNDANGELUS den war, innere Ausgeglichenheit und bewahrte sie, ohne von der Angst vor Verfall und Tod gequält zu sein. Die Herrschaft über die Welt, die Gott dem Menschen am Anfang verliehen hatte, verwirklichte sich vor allem im Menschen selbst als Herrschaft über sich selber. Und in dieser Selbstbeherrschung und dieser Ausgeglichenheit bestand die Unversehrtheit (integritas) des Daseins in dem Sinn, daß der Mensch in seinem ganzen Sein intakt und geordnet war, weil er frei war von der dreifachen Begierde, die ihn geneigt macht zur Freude der Sinne, zur Gier nach irdischen Gütern und zur Selbstbestätigung, gegen den Spruch der Vernunft. Deshalb bestand auch Ordnung in den Beziehungen zum andern, in jener Gemeinschaft und Intimität, die glücklich macht, wie etwa in der anfänglichen Beziehung zwischen Mann und Frau, Adam und Eva, dem ersten Paar und auch ersten Kern der menschlichen Gesellschaft. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint sehr vielsagend jener erste Satz aus der Genesis: „Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander“ {Gen 2,25). 6. Das Vorhandensein der ursprünglichen Gerechtigkeit und der Vollkommenheit im Menschen, der, wie wir aus der Offenbarung wissen, nach dem Bild Gottes erschaffen war, schloß nicht aus, daß dieser Mensch als ein mit Freiheit ausgestattetes Geschöpf schon im Anfang einer Probe der Freiheit unterworfen wurde, wie die anderen Geistwesen. Die gleiche Offenbarung, die uns mit dem ursprünglichen Zustand der Gerechtigkeit des Menschen bekanntmacht, die er vor dem Sündenfall kraft seiner Freundschaft mit Gott — der Quelle seines Daseinsglückes — besaß, die gleiche Offenbarung setzt uns auch in Kenntnis über die grundlegende Prüfung, die dem Menschen Vorbehalten war, und in der er versagte. 7. In der Genesis wird diese Prüfung beschrieben in Form eines Verbotes, von den Früchten „vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ zu essen. Der Text lautet: „Dann gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon ißt, wirst du sterben“ {Gen 2,16f.). Das bedeutet, daß der Schöpfer sich von Anfang an einem vernunftbegabten und freien Wesen als der Gott des Bundes und daher Gott der Freundschaft und der Freude offenbart, doch auch als Quelle des Guten und daher der Unterscheidung von Gut und Böse im moralischen Sinn. Der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse weist symbolisch hin auf die 211 AUDIENZEN UNDANGELUS unüberschreitbare Grenze, die der Mensch als Geschöpf anerkennen und beachten muß. Der Mensch ist abhängig vom Schöpfer. Er ist den Gesetzen unterworfen, auf die der Schöpfer die Ordnung der von ihm erschaffenen Welt gegründet hat, die wesentliche Ordnung der Existenz (ordo rerum)\ und daher auch den sittlichen Normen, die den Gebrauch der Freiheit regeln. Die uranfängliche Prüfung ist also auf den freien Willen des Menschen gerichtet, auf seine Freiheit. Wer weiß, ob der Mensch durch sein Verhalten die grundlegende Ordnung der Schöpfung bestätigen und mit seinem Willen anerkennen will, daß er selbst erschaffen worden ist, die Wahrheit der Würde, die ihm als Abbild Gottes eigen ist, aber auch die Wahrheit seiner Grenze als Geschöpf? Leider kennen wir den Ausgang der Prüfung: der Mensch versagte. Die Offenbarung sagt es uns. Sie gibt uns aber diese traurige Kunde im Zusammenhang mit der Wahrheit der Erlösung, damit wir bereit sind, mit Vertrauen auf unseren barmherzigen Schöpfer und Erlöser zu schauen. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Wir beginnen das neue Kapitel unserer Glaubenskatechese über das Erlösungswerk Christi mit einigen Ausführungen zur Wirklichkeit der Sünde. Diese gehört zum Menschen und zu seiner Geschichte. Die Heilige Schrift beschreibt die erste Sünde des Menschen sogar im Zusammenhang des Geheimnisses der Schöpfung selbst. Als „Abbild und Gleichnis Gottes“ mit Verstand und Willen ausgestattet, sündigt der Mensch zum ersten Mal, indem er gleich „am Anfang“ sich durch einen schlechten Gebrauch dieser seiner höchsten Fähigkeiten gegen Gott entscheidet. Die Heilige Schrift sagt ausdrücklich, daß alles Geschaffene ursprünglich „gut“ war. Das galt in einer besonderen Weise vom Menschen. Er besaß eine ursprüngliche Unschuld und Rechtschaffenheit; er lebte in inniger Vertrautheit und Freundschaft mit Gott. Der Schöpfungsbericht beschreibt diesen anfänglichen Zustand der Vollkommenheit und des Glücks mit dem Bild vom „Paradies“. Mit der heiligmachenden Gnade besaß der Mensch noch weitere Gnadengaben. Er war frei von jeglicher Begierde und ganz Herr seiner selbst. Die Schrift verdeutlicht das mit den Worten: „Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander“ (Gen 2,25). Diese ursprüngliche Rechtschaffenheit und Vollkommenheit des Menschen schließt jedoch nicht aus, daß er als geistbegabtes Geschöpf von Anfang an der Prüfung der Freiheit unterworfen war. Das Buch Genesis 212 A UDIENZEN UND ANGELUS stellt sie in der Form eines Verbotes dar: „Vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon ißt, wirst du sterben“ (Gen 2,17). Der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse versinnbildet symbolisch jene Grenze, die der Mensch gegenüber Gott nicht überschreiten darf; jene Gesetze des Schöpfers, die das Geschöpf beobachten muß. Die Prüfung richtete sich an seinen freien Willen, an seine Freiheit. Der Mensch aber fehlte und sündigte. Die Heilige Schrift berichtet uns jedoch von dieser traurigen Tatsache, indem sie damit zugleich die Frohe Botschaft von der kommenden Erlösung verbindet. Nach diesen kurzen Ausführungen grüße ich sehr herzlich alle Pilger und Besucher der heutigen Audienz; unter ihnen besonders die Romwallfahrt der Diözese Eichstätt unter der Leitung ihres Oberhirten Bischof Braun sowie die Mitglieder der Katholischen Männerbewegung der Steiermark aus der Diözese Graz-Seckau. Möge euch diese Pilgerfahrt zu den Gräbern der Apostel in eurem Glauben bestärken und euch ermutigen, auch im Alltag, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft für Christus freimütig Zeugnis zu geben. Von Herzen erteile ich euch allen meinen besonderen Apostolischen Segen. Europa möge seine Einheit wiederentdecken Angelus auf dem Montblanc am 7. September 1. „Ehe die Berge geboren wurden, die Erde entstand und das Weltall, bist du, o Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Ps 90,2). Vor dem erhabenen Schauspiel dieser mächtigen Berggipfel und dieser unberührten Gletscher schwingt sich das Denken unwillkürlich zu dem empor, der der Schöpfer dieser Wunder ist: „Du, o Gott, bist von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Die Menschheit hat zu allen Zeiten die Berge als einen Ort betrachtet, Gott und seine unermeßliche Größe in bevorzugter Weise zu erfahren. Das Dasein des Menschen hat vorläufigen Charakter und ist der Veränderung unterworfen, der Berg ist feststehend und dauerhaft: ein ausdrucksvolles Bild für die unwandelbare Ewigkeit Gottes. Auf den Bergen verstummt der chaotische Lärm der Stadt, es herrscht die Stille des unbegrenzten Raumes: eine Stille, in welcher der Mensch in 213 AUDIENZEN UND ANGELUS seinem Inneren deutlicher das Echo der Stimme Gottes zu vernehmen vermag. Beim Anblick der Berggipfel hat man den Eindruck, die Erde hebe sich empor, als wollte sie den Himmel berühren: in diesem Aufschwung sieht der Mensch gewissermaßen seine Sehnsucht nach Transzendenz und Unendlichkeit verkörpert. Was für einen Eindruck erlebt man, wenn man die Welt von oben sieht und dieses großartige Panorama in einer Gesamtsicht betrachtet! Das Auge wird nicht müde, zu staunen und zu bewundern, und das Herz wird nicht müde, sich noch weiter zu erheben; da kommen uns die Worte aus der Liturgie in den Sinn: „Sursum corda“, „Erhebet die Herzen“, Worte, die uns auffordern, immer weiter hinaufzusteigen - zu den unvergänglichen Wirklichkeiten und selbst über die Zeit hinaus, zum zukünftigen Leben. „Sursum corda“: ein jeder ist eingeladen, sich selbst zu überwinden, zu suchen, „was oben ist“ - „strebt nach dem, was im Himmel ist“, lauten die Worte des Paulus (Kol 3,1) -, den Blick zum Himmel emporzurichten, wohin Christus aufgestiegen ist, „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Denn in ihm wurde alles erschaffen, im Himmel und auf Erden“ {Kol 1,15 f.). Der heutige Mensch, der manchmal einem Prinzip zu folgen scheint, das dem vom selben Apostel angegebenen, „zu suchen, was oben ist“, entgegengesetzt ist, das heißt, in einer materialistischen Lebensauffassung, in einer ausschließlichen Zuwendung zu irdischen Dingen besteht, muß von neuem imstande sein, nach oben zu blicken, zu den Gipfeln der Gnade und der Herrlichkeit, für die er geschaffen worden ist und zu denen er von der Güte und Größe Gottes berufen ist. „Erkenne, o Christ, deine Würde!“: Gehe über die Schöpfung hinaus, übersteige auch dich selber, um die Spur des lebendigen Gottes zu finden, die nicht nur in diese großartigen Naturschönheiten eingeprägt ist, sondern vor allem in deinen unsterblichen Geist! Suche wie deine Väter „nach dem, was im Himmel ist, und nicht das Irdische“! 2. Angezogen vom Zauber der Berge, hat der Mensch im Laufe der Zeiten versucht, auch die unwegsamsten Gipfel zu erklimmen, ohne angesichts von Härten und Mißerfolgen je aufzugeben. Auch die Eroberung dieses Montblanc-Massivs, der höchsten Erhebung Europas, hat der Mensch immer wieder sehnlichst herbeigewünscht. Die Schwierigkeit des Unternehmens hat jedoch die Verwirklichung des Planes lange Jahre verzögert. Erst vor zweihundert Jahren, am Nachmittag des 8. August 1786, konnten zwei mutige Bergsteiger zum ersten Mal 214 AUDIENZEN UNDANGELUS ihren Fuß auf den höchsten Gipfel des in Schnee und Eis gehüllten Bergriesen setzen. Wir sind hierhergekommen, um jenes historische Ereignis zu feiern, in welchem wir die Bestätigung des grundlegenden Auftrags der Herrschaft über die Erde bewundern, den Gott dem Menschen am Anfang der Zeiten anvertraut und den die Bibel bereits auf ihren ersten Seiten getreu festgehalten hat. Und wir sind auch hier, um nachzudenken über die Bedeutung des lebhaften Interesses, das jenes siegreiche Unternehmen damals in ganz Europa ausgelöst hat und auch heute noch auslöst. Das Interesse entspringt der Tatsache, daß Europa in dem hohen Gipfel des Montblanc, der geographisch inmitten des Kontinents gelegen ist, stets einen Grund zum Stolz, sozusagen ein Symbol seiner selbst erblickt hat. Die Zweihundertjahrfeier der kühnen Erstbesteigung bietet daher gewissermaßen Gelegenheit, eine Betrachtung anzustellen über die tiefe Einheit, die die Nationen Europas miteinander verbindet. 3. Es handelt sich um eine Einheit, die ihre Wurzeln in dem gemeinsamen Erbe der Werte hat, von denen die einzelnen Nationalkulturen leben. Und der Wesenskern dieses Erbes wird von den Wahrheiten des christlichen Glaubens gebildet. Ein Blick auf die Geschichte der Bildung der europäischen Nationen zeigt uns die entscheidende Rolle, die die fortschreitende Inkulturation des Evangeliums in jeder von ihnen gespielt hat. Auf der Grundlage dieses Wesenskernes aus menschlichen und christlichen Werten kann Europa daher versuchen, seine neue, gefestigtere Einheit wiederaufzubauen und so seinen bedeutenden Platz auf dem Weg der Menschheit zu Zielen echter Kultur und Zivilisation zurückzugewinnen. Von der Höhe dieses alpinen Schauplatzes, der den Blick über das Gebiet dreier verschiedener Nationen schweifen läßt, erneuere ich daher meinen Appell an Europa, daß es nach Überwindung anachronistischer Spannungen und veralteter Vorurteile die Gründe seiner Einheit wiederentdecken und jene Werte wiederfinden möge, die seine Geschichte im Laufe der Jahrhunderte groß gemacht haben. 4. Ich erneuere diesen Appell am Vorabend des Tages, an dem die Kirche das Fest der Geburt der Jungfrau Maria feiert. Maria ist die Mutter der erlösten Menschheit, weil sie die Mutter Christi, des Erlösers, ist. Niemand vermag das gegenseitige Verständnis und die innige Verbunden- 215 AUDIENZEN UNDANGELUS heit zwischen den Mitgliedern der Familie mehr zu fördern als die Mutter. Und Europa ist eine Familie von Völkern, die durch die Bande einer gemeinsamen religiösen Herkunft miteinander verbunden sind. An Maria richte ich darum mein Gebet, daß sie mit dem Blick des mütterlichen Wohlwollens auf Europa schauen möge, auf diesen mit unzähligen ihr geweihten Heiligtümern übersäten Kontinent. Möge ihre Fürsprache für die heutigen Europäer den lebendigen Sinn für die unzerstörbaren Werte erlangen, die die Bewunderung der Welt auf das Europa von gestern lenkten, und sein Vorankommen zu wertvollen Zielen der Kultur und des Wohlergehens fördern. Europa hat in dem Menschheitsgeschehen des dritten Jahrtausends seine Rolle zu spielen: Nachdem es während der vergangenen Jahrhunderte, so viel zum menschlichen Fortschritt beigetragen hat, wird es auch morgen noch ein strahlender Leuchtturm der Kultur für die Welt sein können, wenn es versteht, in friedlichem Einklang wieder aus seinen ursprünglichen Quellen zu schöpfen: dem besten klassischen Humanismus, erhöht und bereichert durch die christliche Offenbarung. Seligste Jungfrau Maria, erste Blüte der erlösten Menschheit, hilf Europa, seiner geschichtlichen Aufgabe würdig zu sein, und stehe ihm bei, wenn es sich den Herausforderungen stellt, die ihm die Zukunft bereithält. An alle Personen französischer Sprache, die mich hier hören, möchte ich einen ganz herzlichen Gruß richten, besonders an die Landsleute und an die Gefolgsleute der ersten Bergsteiger, die den Montblanc vor zweihundert Jahren von Chamonix aus bezwungen haben. Vor diesem höchsten Gipfel Europas, wo sich in einem grandiosen Rahmen die Grenzen treffen, spreche ich den Männern und Frauen des Kontinents meine Wünsche aus: Mögen sie den Unternehmungsgeist ihrer Vorfahren bewahren! Ich wünsche den Europäern, daß sie den Werten treu bleiben, die ihre Geschichte befruchtet haben, und sich den Herausforderungen der heutigen Zeit zu stellen verstehen. Wir rufen den Schöpfer des Himmels und der Erde an: daß er euch die Kraft der Hoffnung und die Glut der Liebe gewähre! Die Jungfrau Maria setze sich mit ihrer Fürbitte für euch ein! Die Bewohner von Courmayeur wollten unbedingt auf diesem Berg Chetif ihre Statue aufstellen, um ihr für ihren Schutz zu danken, und sie rufen sie unter dem Titel „Königin des Friedens“ an. Möge sie alle Völker dieser Gegend im Frieden erhalten! Sie sei die Führerin der Gläubigen, die den steilen Weg einschlagen, der zu ihrem Sohn, dem Erlöser, führt! Gott bedenke euch reich mit seinen Segnungen! 216 AUDIENZEN UNDANGELUS „Sorge um den Frieden wird zur Angst“ Appell nach den Terrorakten von Karatschi und Istanbul nach dem Angelusgebet auf dem Montblanc am 7. September Unser Gebet zur Königin des Friedens wird zu einem schmerzerfüllten Flehen aufgrund der beiden tragischen Terrorakte, die im Zeitraum von wenigen Stunden unschuldiges Blut vergossen haben; Blut von Brüdern auf der Reise; Blut von Brüdern, die an einer Gebetsstätte versammelt waren. Angesichts so schrecklicher, ja beinahe unfaßbarer Ereignisse wird die Sorge um den Frieden zur Angst. Das Gewissen der Menschheit fühlt sich im Kern seiner Werte, seiner Bestrebungen verletzt und fordert entschieden, daß es notwendig und nunmehr unaufschiebbar ist, alles Menschenmögliche zu tun, damit der unaufhörlichen Spirale des Hasses und des Terrorismus ein Ende gesetzt werde. Ich gedenke der Opfer und empfehle sie der göttlichen Barmherzigkeit mit der Versicherung, daß ich all jenen, den einzelnen und den Familien, geistig nahe bin, die von diesen Wahnsinnstaten betroffen wurden. Gleichzeitig bringe ich meinen tiefen und heftigen Schmerz zusammen mit der entschiedensten und erschüttertsten Mißbilligung zum Ausdruck. Der Herr gebe auf die Fürsprache Mariens, daß die Liebe den Haß überwinde, damit endlich ein brüderliches und friedliches menschliches Zusammenleben sichergestellt werde. Nur Gott kann absolut erkennen Ansprache bei der Generalaudienz am 10. September 1. Im Zusammenhang mit der Schöpfung und den Gaben, mit welcher Gott den Menschen in seinen Zustand ursprünglicher Heiligkeit und Gerechtigkeit einsetzt, gewinnt die Schilderung der ersten Sünde im dritten Kapitel der Genesis größere Klarheit. Bei der Interpretation dieses Berichtes, der sich auf die Übertretung des göttlichen Gebotes, „nicht von den Früchten des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen“, stützt, muß natürlich die Eigenart des alten Textes und insbesondere das 217 AUDIENZEN UNDANGELUS literarische Genus, dem er angehört, berücksichtigt werden. Aber auch wenn wir beim Studium des ersten Buches der Heiligen Schrift diese wissenschaftliche Forderung bedenken, läßt sich nicht leugnen, daß aus der Besonderheit jener Erzählung vom Sündenfall ein erstes sicheres Element in die Augen springt: nämlich daß es sich um ein Urereignis handelt, das heißt um einen Vorfall, der der Offenbarung nach am Anfang der Menschheitsgeschichte stattgefunden hat. Eben deshalb bietet er noch ein weiteres sicheres Element: nämlich die fundamentale und entscheidende Bedeutung jenes Ereignisses für die Beziehung zwischen dem Menschen und Gott und infolgedessen für die innere „Situation“ des Menschen selber, für die Beziehungen der Menschen untereinander und überhaupt für das Verhältnis des Menschen zur Welt. 2. Das Geschehen, um das es hinter den Formen deskriptiver Darstellung geht, ist moralischer Natur und prägt sich in die Tiefe des menschlichen Geistes ein. Es bewirkt eine grundsätzliche Veränderung der „Situation“: Der Mensch wird aus dem Zustand der ursprünglichen Gerechtigkeit verstoßen und findet sich im Zustand der Sündhaftigkeit wieder (Status naturae lapsae): einem Zustand, der die Sünde in sich trägt und die Neigung zur Sünde mit sich bringt. Von diesem Augenblick an sollte die Menschheitsgeschichte von diesem Zustand belastet sein. Denn das erste Menschenpaar (Mann und Frau) hat nicht nur für sich, sondern als Stammeltern der Menschheit für alle seine Nachkommen von Gott die heiligmachende Gnade empfangen. Es hat deshalb mit der Sünde, die es in Konflikt mit Gott gebracht hat, auch im Hinblick auf das Erbe für seine Nachkommen die Gnade verloren (ist in Ungnade gefallen). In diesem Verlust der der Natur zugedachten Gnade besteht — nach der Lehre der Kirche, die sich auf die Offenbarung stützt - das Wesen der Ursünde als Erbe der Stammeltern. 3. Wir werden den Charakter dieses Erbes besser verstehen, wenn wir den Bericht über die erste Sünde im 3. Kapitel der Genesis analysieren. Er beginnt mit dem Gespräch, das der Versucher in Gestalt der Schlange mit der Frau führt. Das ist ein ganz neues Moment. Bisher hatte das Buch Genesis nicht davon gesprochen, daß in der geschaffenen Welt außer dem Mann und der Frau noch andere verstandesbegabte und freie Wesen existierten. Denn der Schöpfungsbericht in den beiden ersten Kapiteln der Genesis bezieht sich auf die Welt der „sichtbaren Wesen“. Der Versucher gehört dagegen der Welt der unsichtbaren, rein geistigen Wesen an, auch wenn er für die Dauer dieses Gesprächs von der Bibel in sichtbarer 218 AUDIENZEN UND ANGELUS Gestalt vorgeführt wird. Wir müssen dieses erste Erscheinen des bösen Geistes auf den Seiten der Bibel im Zusammenhang mit all dem sehen, was wir zu diesem Thema in den Büchern des Alten und Neuen Testaments finden. (Wir haben das bereits in den Katechesen der vorangegangenen Wochen getan.) Besonders aufschlußreich ist das letzte Buch der Heiligen Schrift, die Offenbarung des Johannes, nach welcher „der große Drache, die alte Schlange“ (hier haben wir es mit einer klaren Anspielung auf Gen 3 zu tun!)“, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt“ (Offb 12,9), auf die Erde gestürzt wird. Weil er „die ganze Welt verführt“, wird er an anderer Stelle auch „Vater der Lüge“ genannt (Joh 8,44). 4. Die erste menschliche Sünde, die Ursünde, von der wir in Gen 3 lesen, geschieht unter dem Einfluß dieses Wesens. Die „alte Schlange“ fordert die Frau heraus: „Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen, und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben“ {Gen 3,1-5). 5. Es ist nicht schwer, in diesem Text die in einem scheinbar so einfachen Inhalt verborgenen Probleme zu entdecken, auf die es im Leben des Menschen entscheidend ankommt. Das Essen oder Nicht-Essen der Frucht eines bestimmten Baumes mag an sich als eine belanglose Frage erscheinen. Doch der Baum „der Erkenntnis von Gut und Böse“ zeigt das erste Prinzip des menschlichen Lebens an, mit dem ein grundsätzliches Problem verbunden ist. Der Versucher weiß das nur zu gut, wenn er sagt: „Sobald ihr davon eßt, . . . werdet ihr wie Gott und erkennt Gut und Böse“ {Gen 3,5). Der Baum bedeutet also für den Menschen und für jedes Geschöpf, wäre es auch das vollkommenste, die unüberschreitbare Schranke. Denn das Geschöpf ist immer nur Geschöpf und nicht Gott. Es kann sicher nicht den Anspruch erheben, zu sein „wie Gott“, „Gut und Böse zu erkennen“ wie Gott. Gott allein ist die Quelle allen Seins, Gott allein ist die absolute Wahrheit und das absolut Gute, woran gemessen und von woher unterschieden wird, was gut und was böse ist. Gott allein ist der ewige Gesetzgeber, von dem jedes Gesetz in der geschaffenen Welt stammt, insbesondere das Gesetz der menschlichen Natur (lex naturae). Der Mensch als Vernunftswesen erkennt dieses Gesetz und muß sich in seinem Verhalten von ihm leiten lassen. Er kann nicht beanspruchen, selbst das Moralgesetz festzulegen, selbst - unabhängig vom Schöpfer, ja 219 AUDIENZEN UND ANGELUS gegen den Schöpfer - zu entscheiden, was gut und was böse ist. Weder der Mensch noch irgendein anderes Geschöpf kann sich an Gottes Stelle setzen, indem er sich gegen das ontologische Gesetz der Schöpfung, das sich im psychologisch-ethischen Bereich mit den Grundgeboten des Gewissens und damit des menschlichen Verhaltens widerspiegelt, die Herrschaft über die moralische Ordnung anmaßt. 6. Im Bericht der Genesis liegt also unter dem Schleier einer scheinbar belanglosen Handlung das Grundproblem des Menschen im Zusammenhang mit seinem geschöpflichen Zustand verborgen: Der Mensch als Vernunftwesen muß sich von der „ersten Wahrheit“ leiten lassen, die im übrigen ja die Wahrheit seiner eigenen Existenz ist. Der Mensch kann es sich nicht herausnehmen, sich an die Stelle dieser Wahrheit zu setzen oder sich mit ihr gleichzustellen. Sobald dieses Prinzip in Zweifel gestellt wird, wird in der Tiefe des menschlichen Handelns auch das Fundament der Gerechtigkeit des Geschöpfes gegenüber dem Schöpfer erschüttert. Und tatsächlich stellt der Versucher, der „Vater der Lüge“, dadurch, daß er an der Wahrheit der Beziehung zu Gott Zweifel weckt,, den Zustand der ursprünglichen Gerechtigkeit in Frage. Und der Mensch begeht dadurch, daß er dem Versucher nachgibt, eine persönliche Sünde und ruft in der menschlichen Natur den Zustand der Erbsünde hervor. 7. Wie aus der biblischen Erzählung hervorgeht, hat die menschliche Sünde ihren ersten Ursprung nicht im Herzen (und im Gewissen) des Menschen, sie entspringt nicht seiner spontanen Initiative. Sie ist in gewissem Sinne die Auswirkung und Folge der Sünde, die bereits vorher in der Welt der unsichtbaren Wesen begangen wurde. Dieser Welt gehört der Versucher, „die alte Schlange“, an. Schon viel früher (in antico) waren diese mit Bewußtsein und Freiheit ausgestatteten Wesen geprüft worden, um ihrer rein geistigen Natur entsprechend ihre Entscheidung zu treffen. In ihnen war der „Zweifel“ aufgebrochen, den - wie es im 3. Kapitel der Genesis heißt - der Versucher in den Stammeltern weckt. Sie hatten schon früher Gott verdächtigt und angeklagt, der als Schöpfer die einzige Quelle der Ausgießung des Guten an alle Geschöpfe ist, auch und besonders an die rein geistigen Wesen. Sie hatten die Wahrheit des Daseins angefoch-ten, die die völlige Unterordnung des Geschöpfes unter den Schöpfer verlangt. Diese Wahrheit war von einem Urhochmut verdrängt worden, der sie dazu trieb, ihren Geist zum Prinzip und zur Regel der Freiheit zu machen. Sie hatten sich als erste angemaßt, „wie Gott Gut und Böse erkennen“ zu können, und hatten sich gegen Gott entschieden, statt sich 220 AUDIENZEN UNDANGELUS „in Gott“ zu entscheiden, wie es den Gegebenheiten ihrer Geschöpflich-keit entsprochen hätte: denn „wer ist wie Gott“? Dadurch, daß er der Einflüsterung des Versuchers nachgab, wurde der Mensch zum Hörigen und Komplizen der rebellischen Geister! 8. Die Worte, die nach Gen 3 der erste Mensch beim „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ vernimmt, bergen die ganze Potenz des Bösen in sich, das im freien Willen des Geschöpfes gegen den ausbrechen kann, der als Schöpfer die Quelle alles Seins und alles Guten ist: Als absolut selbstlose und wahrhaft väterliche Liebe ist er seinem Wesen nach Wille zur Hingabe! Gerade diese Liebe, die sich hingibt, stößt auf Widerspruch, auf Widerstand, auf Ablehnung. Das Geschöpf, das sein will „wie Gott“, vertritt konkret die Haltung, wie sie vom hl. Augustinus recht treffend definiert wurde: „Selbstliebe bis zur Gottesverachturig“ (vgl. De civitate Dei, XIV, 28: PL 41, 436). Dies ist vielleicht die schärfste Formulierung des Begriffes jener Sünde, die am Anfang der Geschichte dadurch begangen wurde, daß der Mensch den Einflüsterungen des Versuchers nachgab: „Contemptus Dei“, die Ablehnung Gottes, die Verachtung Gottes, der Haß allem gegenüber, das etwas Göttliches an sich hat oder von Gott kommt. Das ist leider kein isolierter Vorfall in jenen Anfangszeiten der Geschichte. Wie oft stehen wir vor Ereignissen, Taten, Worten, Lebenssituationen, in denen das Erbe jener ersten Sünde sichtbar wird! Die Genesis bringt jene Sünde in Beziehung zu Satan, und diese Wahrheit über die „alte Schlange“ wird dann in vielen weiteren Abschnitten der Bibel bestätigt. 9. Wie stellt sich vor diesem Hintergrund die Sünde des Menschen dar? Lesen wir noch einmal in Gen 3: „Da sah die Frau, daß es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, daß der Baum eine Augenweide war und dazu verlockte, klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß“ (Gen 3,6). Was will diese in ihrer Weise sehr präzise Schilderung unterstreichen? Sie bezeugt, daß der erste Mensch, bezwungen von der Zusicherung des Versuchers, „die Früchte dieses Baumes dienen zur Erlangung der Erkenntnis“, gegen den Willen des Schöpfers handelte. Aus dem Text geht nicht hervor, daß der Mensch die Wucht der Ablehnung und des Hasses gegen Gott, die in den Worten des „Vaters der Lüge“ enthalten ist, voll annahm. Angenommen hat er hingegen die Einflüsterung, sich gegen das Verbot des Schöpfers einer geschaffenen Sache zu bedienen in 221 AUDIENZEN UND ANGELUS der Annahme, daß auch er - der Mensch - „wie Gott Gut und Böse erkennen“ könnte. Nach dem hl. Paulus besteht die erste Sünde des Menschen vor allem im Ungehorsam gegen Gott (vgl. Röm 5,19). Die Analyse des 3. Kapitels der Genesis und die Überlegungen zu diesem unglaublich tiefgründigen Text zeigen, in welcher Weise jener Ungehorsam Gestalt annehmen und in welche Richtung er sich im Willen des Menschen entwickeln kann. Man kann sagen, daß die in Gen 3 beschriebene Sünde des „Anfangs“ in gewissem Sinne das Urmodell jeder Sünde enthält, zu welcher der Mensch fähig ist. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Die Worte der Schriftlesung, die ihr soeben am Beginn dieser Audienz gehört habt, leiten das bekannte 3. Kapitel des Buches Genesis ein: Dort beschreibt die Heilige Schrift, wie es am Anfang der Menschheitsgeschichte zu einer ersten Sünde des Menschen gekommen ist, die so schwerwiegend und grundsätzlich war, daß sie von da an die moralische Situation des Menschen vor Gott bis an die Wurzel mitbestimmt. Deshalb wird diese Sünde auch Ursünde oder Erbsünde genannt. Worum geht es bei dieser Ursünde? Scheinbar um eine Kleinigkeit: Von den Früchten eines einzigen Baumes im Garten Gottes darf der Mensch nicht essen; denn es ist „der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“, was nach hebräischer Ausdrucksweise soviel bedeutet wie: Baum der Macht über Gut und Böse, oder wie: der Schlüssel zu Gut und Böse. Und gerade hier setzt die Versuchung der Schlange an: Wenn ihr von diesem Baum eßt, könnt ihr über Gut und Böse verfügen, könnt ihr werden wie Gott. Jeder von uns versteht die Wucht dieser Versuchung für ein intelligentes und freies Geschöpf; wir erbeben aber auch vor der Schuld, die der Mensch auf sich lädt, wenn er dieser Versuchung nachgibt. Er überschreitet damit die existentielle und zugleich moralische Schranke zwischen Gott, dem Schöpfer, und seinen Geschöpfen. Anstatt das Gesetz Gottes in seiner eigenen Natur und in den Strukturen des Kosmos zu entdecken, anzuerkennen und zu befolgen, gibt sich der Mensch dem Wahn hin, er könne dieses Gesetz selbst bestimmen, es verändern, wann er wolle, es anwenden, wie es ihm passe. Das bedeutet Aufstand gegen Gott; letztlich äußert sich darin eine stolze Verachtung Gottes. Als solche ist die Ursünde kein isoliertes Geschehen einer fernen Vergan- 222 AUDIENZEN UNDANGELUS genheit; ihr trauriges Erbe zeigt sich vielmehr in allen Epochen — und so auch in der unsrigen - an zahllosen Taten und Worten, Strukturen und Moden dieser Welt. Und wir dürfen uns nicht wundern, daß ein solch grundsätzlicher Angriff des Menschen auf die Stellung Gottes immer wieder neu zu schweren Störungen in der Seele des Menschen wie auch zugleich in seiner materiellen und sozialen Umwelt führt. Mit diesen kurzen Hinweisen auf einen wichtigen Bereich unseres Glaubens grüße ich noch einmal alle deutschsprachigen Besucher, darunter vor allem die Romwallfahrt der Erzdiözese Bamberg mit einigen Kirchenchören sowie die Pilgergruppe des Trierer Bistumsblattes mit Herrn Weihbischof Leo Schwarz. Ein besonderer Gruß geht auch an alle Ordensleute, unter ihnen vor allem an die Gruppe von Franziskanerinnen auf den Spuren des heiligen Franziskus und ihrer verehrten Gründerin. Diese Begegnung mit dem Papst sei euch wie eine neue Sendung durch die Kirche für das Reich Gottes unter den Menschen. - Gelobt sei Jesus Christus! Gebet — die mächtigste Waffe Angelus am 14. September 1. Bekanntlich habe ich am 25. Januar dieses Jahres in der Basilika St. Paul vor den Mauern alle Verantwortlichen der christlichen Kirchen und Gemeinschaften sowie der anderen großen Weltreligionen „zu einem besonderen Gebetstreffen für den Frieden in Assisi, der Stadt, die durch die Gestalt des hl. Franz zu einem Zentrum weltweiter Brüderlichkeit geworden ist“, eingeladen {Predigt in St. Paul vor den Mauern am 25. Januar 1986: O.R., dt. 14. 2. 86, 8). Ich wollte diese Einladung zum Gebet auch deshalb machen, weil das Jahr 1986 von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr des Friedens proklamiert worden ist. Die Begegnung steht nun unmittelbar bevor. So möchte ich bei unserer heutigen Zusammenkunft zum Angelus-Gebet dazu auffordern, die Gedanken und das Gebet auf dieses Ereignis zu richten, das, so Gott will, am Montag, dem 27. Oktober, stattfinden wird. 2. Das Treffen von Assisi soll ein Tag sein, der ganz dem inständigen Gebet um das große Geschenk des Friedens gewidmet ist. Denn wir alle, 223 AUDIENZEN UNDANGELUS die wir an Gott glauben, sind überzeugt, daß er es ist, der uns den Frieden schenkt. Je verworrener die Konfliktsituationen und die in menschlicher Sicht unüberwindlichen Schwierigkeiten werden, je schwerer die Bedrohungen auf der Menschheit lasten, um so inniger müssen wir zu Gott flehen, damit er uns die Gnade gewährt, als Brüder in einer versöhnten Welt zu leben. Unsere menschlichen Kräfte und Mittel reichen in der Tat nicht aus. Und die Alternative ist nur Zerstörung und Tod. Da kommt uns in Erinnerung, was Franziskus, dem Sohn des Pietro Bernardone, widerfuhr, der in einem entscheidenden Augenblick seines Lebens diese einfache Wahrheit erkannte, nachdem er an einer bewaffneten Auseinandersetzung teilgenommen hatte, als verschiedene Städte gegeneinander Krieg führten. Nach der Niederlage wurde Franziskus gefangengenommen und blieb ein Jahr im Gefängnis. Diese Erfahrung führte ihn zu einer anderen Lebensauffassung; sie trieb ihn dazu, ein echter Friedensstifter zu werden, ein außerordentlicher Diener des inneren und des sozialen Friedens. 3. Gott „hat keine Freude am Untergang der Lebenden“ ( Weish 1,13). Gott ist „ein Freund des Lebens“ (Weish 11,26). Gestärkt durch diese Überzeugung, die allen, die an Gott glauben, gemeinsam ist, werden wir zusammen nach Assisi gehen, um unsere Bitten vorzubringen, damit die Menschheit nicht von einer derartigen Katastrophe heimgesucht werde. Und ich bin sicher, daß uns jeder Katholik und jeder andere Glaubende im Gebet nahe sein wird. Das Gebet ist das harmloseste Mittel, zu dem man greifen kann, und doch ist es die mächtigste Waffe; es ist ein Schlüssel, der auch Situationen tiefverwurzelten Hasses zu lösen vermag. Das Gebet entspringt dem Herzen und wurzelt in einem Geist, der an die Möglichkeit von Versöhnung und Frieden glaubt. 4. Wir Christen wissen, daß uns Jesus den wahren Frieden schenkt (vgl. Joh 14,27). Zu ihm sprechen wir daher jetzt mit dem Gebet, das der eucharistischen Kommunion vorausgeht: „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünden der Welt, gib uns deinen Frieden.“ Und Maria, die Mutter des unbefleckten Lammes, lege bei ihm Fürsprache für uns ein. 224 AUDIENZEN UND ANGELUS Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: Wie ihr wißt, ist heute das Fest der Kreuzerhöhung. Heute lädt uns die Kirche ein, in besonderer Weise über das Mysterium des Kreuzes Christi als Weg, als einzigen Heilsweg für den Menschen, nachzudenken. Wir bitten den gekreuzigten Jesus, daß er uns heute dieses Heilsgeheimnis besser verstehen lasse, damit wir es mit tieferem Glauben leben und der Welt durch unser christliches Zeugnis glaubwürdig machen. Auf deutsch sagte der Papst: Auch den Besuchern deutscher Spräche möchte ich heute das Anliegen des Gebetstages für den Frieden ganz besonders ans Herz legen, der am kommenden 27. Oktober in Assisi stattfindet. Möge jeder einzelne von euch innerlich bereit sein, seinen eigenen Anteil für den Weltfrieden zu leisten, gemäß der konkreten Begabung und Verantwortung, die ein jeder hat - besonders durch das persönliche Gebet, zu dem ich euch alle heute von Herzen einlade. Einen besonderen Gruß richte ich an die Gruppe von Schwestern vom Heiligen Geist: Gott segne euer gemeinsames Beten und euer Bemühen um Vertiefung und Kräftigung eurer Ordensberufung! Die Wurzel der Sünde im Innern des Menschen Ansprache bei der Generalaudienz am 17. September 1. Den Inhalt der Katechese der vergangenen Woche können wir mit folgenden Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils zusammenfassen: „Obwohl in Gerechtigkeit von Gott begründet, hat der Mensch unter dem Einfluß des Bösen gleich von Anfang der Geschichte an durch Auflehnung gegen Gott und den Willen, sein Ziel außerhalb Gottes zu erreichen, seine Freiheit mißbraucht“ (GS 13). Damit ist das Wesentliche der ersten Sünde in der Geschichte der Menschheit zusammengefaßt, die wir auf der Grundlage des Buches Genesis (Gen 3) gemacht haben. Es handelt sich um die Sünde der Stammeltern. Aber mit ihr verbindet sich ein Zustand der Sünde, der sich auf die ganze Menschheit erstreckt und Erbsünde genannt wird. Was bedeutet dieser Begriff? Offen gestan- 225 AUDIENZEN UNDANGELUS den, in der Heiligen Schrift kommt dieser Ausdruck nicht ein einziges Mal vor. Hingegen beschreibt die Bibel vor dem Hintergrund der Erzählung von Gen 3 in den anschließenden Kapiteln der Genesis und auch in anderen Büchern als Folge der Sünde Adams eine wahre „Invasion“ der Sünde, die die Welt überflutet und mit einer Art weltweiter Infektion die ganze Menschheit ansteckt. 2. Bereits in Gen 4 lesen wir, was sich zwischen den beiden Söhnen Adams und Evas abspielte: der von Kain an seinem jüngeren Bruder Abel begangene Brudermord (vgl. Gen 4,3-15). Und im sechsten Kapitel ist bereits von der weltweiten Verderbnis auf Grund der Sünde die Rede: „Der Herr sah, daß auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und daß alle Gedanken seines Herzens den ganzen Tag nur böse waren“ {Gen 6,5). Und weiter: „Gott sah sich die Erde an: Sie war verdorben, denn alle Wesen aus Fleisch auf der Erde lebten verkehrt und verdorben“ {Gen 6,12). Das Buch Genesis zögert nicht, in diesem Zusammenhang zu sagen: „Da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh“ {Gen 6,6). Die Folge jener allgemeinen Verderbtheit durch die Sünde ist - immer nach dem Buch Genesis - die Sintflut zur Zeit Noahs (vgl. Gen 7-9). In der Genesis wird auch der Turmbau zu Babel erwähnt (vgl. Gen 11,1-9), der — entgegen den Absichten der Erbauer - zum Anlaß der Zerstreuung der Menschen und der Verwirrung der Sprachen wird. Das bedeutet: kein äußeres Zeichen und in analoger Weise keine rein irdische Vereinbarung genügt, um die Einheit unter den Menschen zu verwirklichen, wenn die Verwurzelung in Gott fehlt. In diesem Zusammenhang müssen wir festhalten, daß sich im Laufe der Geschichte die Sünde nicht nur als eine offen „gegen“ Gott gerichtete Aktion erweist; sie ist hin und wieder auch ein Handeln ohne Gott, als ob es Gott nicht gäbe, man gibt vor, ihn nicht zu kennen, ohne ihn auszukommen, um statt dessen die Macht des Menschen zu unterstreichen, auf die man sich unendlich viel einbildet. In diesem Sinne kann der Turm von Babel auch für die heutigen Menschen eine Warnung sein. Deshalb habe ich auch in dem Apostolischen Schreiben Reconciliatio et paenitentia (Nr. 13-15) daran erinnert. 3. Das Zeugnis von der allgemeinen Sündhaftigkeit der Menschen, das bereits in der Genesis so klar vorliegt, kehrt in verschiedenen Formen in anderen Texten der Bibel wieder. Jedenfalls wird dieser universale Zustand der Sünde mit der Tatsache in Verbindung gebracht, daß der Mensch Gott den Rücken kehrt. Der hl. Paulus spricht im Römerbrief 226 AUDIENZEN UND ANGELUS besonders beredt über dieses Thema: „Und da sie sich weigerten, Gott anzuerkennen“ - schreibt der Apostel „lieferte Gott sie einem verworfenen Denken aus, so daß sie tun, was sich nicht gehört: Sie sind voll Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier und Bosheit, voll Neid, Mord, Streit, List und Tücke, sie verleumden und treiben üble Nachrede, sie hassen Gott, sind überheblich, hochmütig und prahlerisch, erfinderisch im Bösen und ungehorsam gegen die Eltern, sie sind unverständig und haltlos, ohne Liebe und Erbarmen . . . Sie vertauschten die Wahrheit Gottes mit der Lüge, sie beteten das Geschöpf an und verehrten es anstelle des Schöpfers - gepriesen ist er in Ewigkeit. Amen. Darum lieferte Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; ebenso gaben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer trieben mit Männern Unzucht und erhielten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung ... Sie erkennen, daß Gottes Rechtsordnung bestimmt: Wer so handelt, verdient den Tod. Trotzdem tun sie es nicht nur selber, sondern stimmen bereitwillig auch denen zu, die so handeln“ (Röm 1,28—31.25—28.32). Man kann hier von einer lapidaren Schilderung des „Zustands der Sünde“ zur Zeit, als die Kirche geboren wurde, sprechen, zu der Zeit, als der hl. Paulus schrieb und zusammen mit den anderen Aposteln wirkte. Sicher mangelte es in der damaligen Welt nicht an vortrefflichen Werten, aber sie waren weithin verseucht durch das vielfältige Eindringen der Sünde. Das Christentum begegnete dieser Situation mit Mut und Festigkeit und erreichte bei seinen Anhängern als Frucht der Bekehrung des Herzens eine radikale Änderung der Gewohnheiten, die in der Folge den Kulturen und Zivilisationen, die sich unter seinem Einfluß herausbildeten und entwickelten, eine charakteristische Prägung gab. In breiten Schichten der Bevölkerung erfreut man sich, besonders in bestimmten Nationen, noch heutzutage dieses Erbes. 4. Bezeichnend für die Zeit, in der wir heute leben, ist, daß sich eine Schilderung ähnlich derjenigen des hl. Paulus im Römerbrief in der Konstitution Gaudium et spes des Zweiten Vatikanischen Konzils findet: „Was . . . zum Leben selbst in Gegensatz steht, wie jede Art Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie und auch der freiwillige Selbstmord; was immer die Unantastbarkeit der menschlichen Person verletzt, wie Verstümmelung, körperliche oder seelische Folter und der Versuch, psychischen Zwang auszuüben; was immer die menschliche Würde angreift, wie unmenschliche Lebensbedingungen, willkürliche Verhaf- 227 AUDIENZEN UNDANGELUS tung, Verschleppung, Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel und Handel mit Jugendlichen, sodann auch unwürdige Arbeitsbedingungen, bei denen der Arbeiter als bloßes Erwerbsmittel und nicht als freie und verantwortliche Person behandelt wird: all diese und andere ähnliche Taten sind an sich schon eine Schande; sie sind eine Zersetzung der menschlichen Kultur, entwürdigen weit mehr jene, die das Unrecht tun, als jene, die es erleiden. Zugleich sind sie in höchstem Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers“ (GS 27). Hier ist nicht der Ort, um eine historische Analyse oder eine statistische Erhebung vorzunehmen zur Feststellung, in welchem Maße dieser Konzilstext - unter vielen anderen Erklärungen der Bischöfe der Kirche, aber auch von katholischen und nichtkatholischen Gelehrten und Lehrern -eine Schilderung der „Situation der Sünde“ in der heutigen Welt darstellt. Es ist jedoch sicher, daß das Vorhandensein dieser Tatsachen, über ihr quantitatives Ausmaß hinaus, ein schmerzlicher und erschütternder Beweis für jene „Verschmutzung“ der menschlichen Natur ist, wie sie aus der Bibel hervorgeht und vom Lehramt der Kirche gelehrt wird, wie wir in der nächsten Katechese sehen werden. 5. Hier müssen wir nun zweierlei feststellen. Erstens, daß die göttliche Offenbarung und das sie authentisch auslegende Lehramt der Kirche unveränderlich und systematisch vom Vorhandensein und von der Universalität der Sünde in der Geschichte des Menschen sprechen. Zweitens ist über die Generationen dieser Zustand der Sünde von außen in der Geschichte zu erkennen aufgrund der schwerwiegenden krankhaften Erscheinungen sittlicher Art, die im Leben des einzelnen und der Gesellschaft zu beobachten sind. Er wird aber vielleicht noch erkennbarer und erschütternder, wenn man sich dem „Inneren“ des Menschen zuwendet. Dasselbe Konzilsdokument sagt auch an anderer Stelle: „Was uns aus der Offenbarung Gottes bekannt ist, steht mit der Erfahrung in Einklang: der Mensch erfährt sich, wenn er in sein Herz schaut, auch zum Bösen geneigt und verstrickt in vielfältige Übel, die nicht von seinem guten Schöpfer herkommen können. Oft weigert er sich, Gott als seinen Ursprung anzuerkennen; er durchbricht dadurch auch die geschuldete Ausrichtung auf sein letztes Ziel, zugleich aber auch seine ganze Ordnung hinsichtlich seiner selbst wie hinsichtlich der anderen Menschen und der ganzen Schöpfung“ (GS 13). 6. Diese Aussagen des Lehramtes der Kirche unserer Tage enthalten nicht nur die Daten der geschichtlichen und geistigen Erfahrung, sondern 228 AUDIENZEN UNDANGELUS sie spiegeln auch und vor allem getreu die Lehre wider, die sich in vielen Büchern der Bibel wiederholt, angefangen von jener Schilderung in Gen3, die wir letztes Mal analysiert haben als Zeugnis für die erste Sünde in der Geschichte des Menschen auf Erden. Hier wollen wir nur an die aus Leiderfahrung erwachsenen Fragen Ijobs erinnern: „Ist wohl ein Mensch vor Gott gerecht, ein Mann vor seinem Schöpfer rein?“ (Ijob 4,17). „Kann denn ein Reiner von Unreinem kommen?“ (Ijob 14,4). „Was ist der Mensch, daß rein er wäre, der Weibgeborene, daß er im Recht sein könnte?“ {Ijob 15,14). Und eine andere ähnliche Frage aus dem Buch der Sprüche: „Wer kann sagen: Ich habe mein Herz geläutert, rein bin ich von meiner Sünde?“ {Spr 20,9). Derselbe Aufschrei ertönt in den Psalmen: „Geh mit deinem Knecht nicht ins Gericht; denn keiner, der lebt, ist gerecht vor dir“ {Ps 143,2). „Vom Mutterschoß an sind die Frevler treulos, von Geburt an irren sie vom Weg ab und lügen“ {Ps 58,4). „Denn ich bin in Schuld geboren; in Sünde hat mich meine Mutter empfangen“ {Ps 51,7). Alle diese Texte weisen auf die Kontinuität des Fühlens und Denkens im Alten Testament hin und werfen das schwierige Problem des Ursprungs des allgemeinen Zustandes der Sündhaftigkeit auf. 7. Die Heilige Schrift hält uns dazu an, die Wurzel der Sünde im Innersten des Menschen, in seinem Gewissen, in seinem Herzen zu suchen. Aber gleichzeitig stellt sie die Sünde als ein ererbtes Übel dar. Dieser Gedanke scheint im 51. Psalm ausgedrückt, wonach der in Schuld „empfangene“ Mensch zu Gott ruft: „Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen beständigen Geist!“ (Es 51,12). Sowohl die Universalität der Sünde wie ihr Erbcharakter, durch den sie der menschlichen Natur gewissermaßen „angeboren“ ist, sind Aussagen, die in der Bibel häufig wiederkehren. So im 14. Psalm: „Alle sind sie abtrünnig und verdorben, keiner tut Gutes, auch nicht ein einziger“ {Ps 14,3). 8. In diesem biblischen Zusammenhang kann man die Worte Jesu über die „Hartherzigkeit der Menschen“ {Mt 19,8) verstehen. Der hl. Paulus versteht diese „Hartherzigkeit“ hauptsächlich als moralische Schwachheit, ja als eine Art Unfähigkeit, das Gute zu tun. Hier sind seine Worte: „ . . . ich bin Fleisch, das heißt: verkauft an die Sünde. Denn ich begreife mein Handeln nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse“ {Röm 7,14 f.). „Das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen . . .“ {Röm 7,18). „ ... in mir ist das Böse vorhanden, obwohl ich das Gute tun will“ {Röm 7,21). Worte, die sich, 229 AUDIENZEN UNDANGELUS wie schon oft erwähnt, durch eine interessante Analogie mit jenen anderen Worten des heidnischen Dichters in Zusammenhang bringen lassen: „ Video meliora proboque, deteriora sequor“, „Ich sehe das Bessere, prüfe und billige es, folge aber dem Schlechteren“ (vgl. Ovid, Metamorph. 7,20). In beiden Fällen - aber auch in vielen anderen Beispielen der Spiritualität und der Weltliteratur - wird einer der bestürzendsten Aspekte der menschlichen Erfahrung sichtbar, in den allein die Offenbarung über die Erbsünde etwas Licht bringt. 9. Die Lehre der Kirche unserer Zeit, die vor allem im Zweiten Vatikanischen Konzil Ausdruck findet, gibt genau diese geoffenbarte Wahrheit wieder, wenn sie von der Welt spricht, „die . . . durch die Liebe des Schöpfers begründet . . ., unter die Knechtschaft der Sünde geraten ist“ (GS 2). In dieser Pastoralkonstitution lesen wir weiter: „Die ganze Geschichte der Menschheit durchzieht ein harter Kampf gegen die Mächte der Finsternis, ein Kampf, der schon am Anfang der Welt begann und nach dem Wort des Herrn bis zum letzten Tag andauern wird. Der einzelne Mensch muß, in diesen Streit hineingezogen, beständig kämpfen um seine Entscheidung für das Gute, und nur mit großer Anstrengung kann er in sich mit Gottes Gnadenhilfe seine eigene innere Einheit erreichen“ (GS 37). In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Der Sündenfall der ersten Menschen, von dem uns das Buch Genesis berichtet, war nicht nur ein rein persönliches Geschehen. Durch die Ursünde verfällt die ganze Menschheit in einen Zustand der Ungnade und der Auflehnung gegen Gott. Die Sünde breitet sich auf alle Menschen aus. Deshalb nennen wir diese erste Sünde am Anfang auch Erb-Sünde. Schon im 6. Kapitel der Genesis heißt es: „Der Herr sah, daß auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm“, und es reute ihn sogar, „den Menschen gemacht zu haben“ (Gen 6,5.6). Die Menschen sündigen nicht nur, wenn sie offen gegen Gott aufbegehren, sondern auch dadurch, daß sie so leben, als ob es Gott nicht gäbe; also „ohne Gott“. Die allgemeine Sündenverfallenheit des Menschen wird von vielen Stellen der Heiligen Schrift betont. So schreibt der hl. Paulus im Römerbrief. „Da sie (die Menschen) sich weigerten, Gott anzuerkennen, lieferte Gott sie einem verworfenen Denken aus, so daß sie tun, was sich nicht gehört“ (Röm 1,28). Da sie die Wahrheit Gottes mit der Lüge vertauschten und 230 AUDIENZEN UND ANGELUS statt den Schöpfer das Geschöpf anbeten, hat Gott sie entehrenden Leidenschaften ausgeliefert (vgl. Rom 1,25 f.). Selbst die vielen positiven Werte in der Welt sind auf vielfältige Weise von der Sünde befallen und oft durch sie entstellt. Diese Lehre der Heiligen Schrift fand ihren Niederschlag im Lehramt der Kirche und so auch in den Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils, besonders in der Konstitution „Gaudium et spes“. Beide, Schrift und Lehramt, unterstreichen die Universalität der Sünde in der Geschichte des Menschen. Zugleich stellen sie die Existenz der Sünde nicht nur in den äußeren Umständen des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens fest, sondern vor allem und mehr noch „im Innern“ des Menschen, von dem Paulus sagt: „Ich stoße auf das Gesetz, daß in mir das Böse vorhanden ist, obwohl ich das Gute tun will . . . Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse“ (Röm 7,21.15). Das Konzil faßt diese Wahrheit über die Sünde mit folgenden Worten zusammen: „Die ganze Geschichte der Menschheit durchzieht ein harter Kampf gegen die Mächte der Finsternis, ein Kampf, der schon am Anfang der Welt begann . . . und bis zum letzten Tag andauern wird. Der einzelne Mensch muß, in diesen Streit hineingezogen, beständig kämpfen für seine Entscheidung für das Gute . . .“ (GS 37). Mit diesen kurzen Darlegungen grüße ich sehr herzlich alle deutschsprachigen Audienzteilnehmer, vor allem die zahlreichen Jugendlichen. Einen besonderen Willkommensgruß richte ich an die anwesenden Sakristane aus der Erzdiözese Freiburg. Euch und allen Pilgern erbitte ich reiche Gnaden für eure Romwallfahrt und erteile euch und euren Angehörigen von Herzen den Apostolischen Segen. Weltreligionen in Assisi: „Jeder wird Gott sein Gebet darbringen“ Angelus am 21. September 1. Ich möchte schon jetzt allen danken, die in den christlichen Kirchen und in den anderen großen Weltreligionen die Einladung angenommen haben, am 27. Oktober zu einem besonderen Gebetstreffen für den heute so zerbrechlichen und bedrohten Frieden nach Assisi zu kommen. 231 AUDIENZEN UND ANGELUS Meinen ganz herzlichen Dank spreche ich in gleicher Weise denen aus, die an Christus glauben, wie den Anhängern der nichtchristlichen Religionen. Der Einladung Folge zu leisten ist ja bereits ein Beweis für den Eifer, der die verschiedenen Religionen zugunsten eines wahren, allseitigen und dauerhaften inneren und äußeren Friedens beseelt. 2. Niemand dürfte sich darüber wundern, wenn sich die Mitglieder der verschiedenen christlichen Kirchen und der verschiedenen Religionen treffen, um miteinander zu beten. Die Männer und Frauen, die einen animus religiosus, einen Sinn der Frömmigkeit, besitzen, können in der Tat den Sauerteig bilden für ein neues Bewußtsein der ganzen Menschheit in bezug auf ihre gemeinsame Verantwortung für den Frieden. Jede Religion lehrt die Überwindung des Bösen, den Einsatz für die Gerechtigkeit und die Annahme des anderen. Diese gemeinsame volle Treue zu den jeweiligen religiösen Überlieferungen ist heute mehr denn je ein Erfordernis des Friedens. 3. Jeder der in Assisi Anwesenden wird Gott sein Gebet gemäß seiner eigenen religiösen Tradition darbringen. Wir Christen werden dank der Gemeinschaft, die bereits zwischen uns besteht, gemeinsam beten können. Wenn wir uns in der Stadt zum Gebet versammeln, in der jener Mann des Friedens, der Franziskus war, das Licht der Welt erblickte, werden wir auf diese Weise imstande sein, der Welt ein gültiges Zeugnis unseres gemeinsamen Einsatzes für den Frieden und für die Sache des Menschen zu geben. Mit dem „Poverello“ wollen wir der heutigen Menschheit „Pax et Bonum“ wünschen: Frieden und Glück! Und der Herr, der „uns ins Herz sieht“ (7 Sam 16,7) und unsere irdischen Schritte vom Himmel herab verfolgt, wird - darauf vertrauen wir - unsere Bitten annehmen und uns dieses große Geschenk gewähren, nach dem sich die ganze Menschheit sehnt. Ihm und der seligsten Jungfrau Maria, an die wir uns jetzt mit dem „Engel des Herrn“ wenden, vertrauen wir die Vorbereitung des Tages von Assisi an. Nach dem Angelus sagte der Papst: Ich möchte noch einmal alle grüßen, die an der Feier anläßlich des 25jährigen Bestehens der Italienischen Vereinigung „Freunde der Leprakranken“ und des 20jährigen Gründungsjubiläums des Weltbundes der Vereinigung zum Kampf gegen die Lepra teilgenommen haben. 232 AUDIENZEN UNDANGELUS Mein Gruß gilt den einzelnen Personen und den verschiedenen Vereinigungen, wobei ich besonders herzlich derer gedenke, die in den Missionsländern eingesetzt sind. Während ich meine lebhafte Anerkennung all denen ausspreche, denen die schwierige und oft dramatische Lage unserer vom Aussatz befallenen Brüder und Schwestern ein Herzensanliegen ist, möchte ich alle an die Pflichten erinnern, sich der verschiedenen Formen des Leidens, die weite Teile der Menschheit heimsuchen, anzunehmen. Der Christ kann nicht ruhen, solange es auf Erden einen Menschen gibt, der gezwungen ist, unter Bedingungen zu leben, die seiner Würde Abbruch tun. An alle, die sich mit Weisheit und Tatkraft, die sie aus der Liebe schöpfen, um die Bekämpfung der Lepra und um die allseitige Förderung des Menschen bemühen, ergeht mein Segen. „Einbruch“ der Sünde in die Menschheitsgeschichte Ansprache bei der Generalaudienz am 24. September 1. Dank der im Rahmen des derzeitigen Zyklus bereits entwickelten Katechesen haben wir einerseits die Analyse der ersten Sünde in der Menschheitsgeschichte, wie sie im 3. Kapitel der Genesis beschrieben wird, und andererseits das umfassende Bild dessen vor Augen, was die göttliche Offenbarung über das Thema der Universalität und des erblichen Charakters der Sünde lehrt. Diese Wahrheit wird vom Lehramt der Kirche ständig, auch in unserer Zeit, neu dargelegt. Verbindlicher Bezugspunkt für uns sind die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils, besonders die Konstitution Gaudium et spes; eigens erwähnt sei auch das Apostolische Schreiben im Anschluß an die Bischofssynode Reconciliatio etpaenitentia (1984). 2. Quelle dieser Lehre ist vor allem der Abschnitt des Buches Genesis, wo wir sehen, wie der Mensch unter der Versuchung des Bösen („Sobald ihr davon eßt, ... werdet ihr wie Gott und erkennt Gut und Böse“, Gen 3,5) „durch Auflehnung gegen Gott und den Willen, sein Ziel außerhalb Gottes zu erreichen, seine Freiheit mißbraucht“ (GS 13). „Da gingen beiden (d. h. dem Mann und der Frau) die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“ (Gen 3,7). „Und als Gott, der Herr, nach dem 233 AUDIENZEN UND ANGELUS Menschen rief und sprach: Wo bist du?, antwortete dieser: ... Ich bekam Angst, weil ich nackt bin, und habe mich versteckt“ (Gen 3,9 f.). Eine sehr vielsagende Antwort. Der Mensch, der vorher (im Zustand der Urgerech-tigkeit) in der ganzen Wahrheit seines nach dem Abbild Gottes geschaffenen geistig-leiblichen Seins freundschaftlich und vertrauensvoll mit dem Schöpfer verkehrte, hat nun das Fundament jenes Freundschaftsbundes verloren. Er hat die Gnade der Teilhabe am Leben Gottes verloren: das Gut der Zugehörigkeit zu ihm in der Heiligkeit, nämlich des ursprünglichen Verhältnisses von Unterordnung und Kindschaft. Die Sünde hat sich jedoch in der Existenz und im ganzen Verhalten des Mannes und der Frau sogleich bemerkbar gemacht: Scham wegen der Übertretung des Gebotes und des daraus folgenden Zustandes der Sündhaftigkeit und deshalb Angst vor Gott. Offenbarung und psychologische Analyse sind in diesem Bibelabschnitt miteinander verbunden, um den Zustand des Menschen nach dem Sündenfall zum Ausdruck zu bringen. 3. Wir haben gesehen, daß sich aus den Büchern des Alten und des Neuen Testaments noch eine andere Wahrheit ergibt: eine Art „Einbruch“ der Sünde in die Menschheitsgeschichte. Die Sünde ist zum gemeinsamen Schicksal des Menschen, zu seinem Erbe vom „Mutterschoß an“ geworden. „In Sünde hat mich meine Mutter empfangen“, ruft der Psalmist in einem Augenblick der Existenzangst aus, was seine Reue und die Anrufung der göttlichen Barmherzigkeit hervorruft {Ps 51,7). Der hl. Paulus, der sich oft auf diese angstauslösende Erfahrung bezieht, gibt, wie wir in der Katechese der Vorwoche gesehen haben, im Römerbrief eine. theoretische Formulierung dieser Wahrheit: „Alle stehen unter der Herrschaft der Sünde“ (Röm 3,9). „Damit jeder Mund verstummt und die ganze Welt vor Gott schuldig wird“ {Röm 3,19). „Wir waren von Natur aus Kinder des Zorns“ (Eph 2,3). Das alles sind Anspielungen auf die sich selbst überlassene menschliche Natur, wenn sie — so kommentieren die Bibelwissenschaftler - ohne die Hilfe der Gnade bleibt; auf die Natur, wie sie von der Sünde der Ureltern herabgewürdigt wurde, und damit auf die Situation aller ihrer Nachkommen und Erben. 4. Die biblischen Texte über die Universalität und den Erbcharakter der Sünde, die der Natur gleichsam „angeboren“, insofern sie jeder Mensch bei der Empfängnis durch die Eltern erhält, führen uns in die unmittelbare Untersuchung der katholischen Lehre über die Erbsünde ein. Es handelt sich um eine Wahrheit, die in der Lehre der Kirche von Anfang an implizit weitergegeben wurde und durch die XV. Synode von Karthago 234 AUDIENZEN UND ANGELUS im Jahr 418 und durch die Synode von Orange 529, hauptsächlich gegen die häretischen Irrtümer des Pelagius, zur formellen Erklärung des kirchlichen Lehramtes geworden ist (vgl. DS 222 f.; 371 f.). In der Folge ist diese Wahrheit dann in der Reformationszeit 1546 auf dem Konzil von Trient feierlich verkündet worden (vgl. DS 1510—1516). Das tridentini-sche Dekret über die Erbsünde formuliert diese Wahrheit in der präzisen Form, in der diese Gegenstand des Glaubens und der Lehre der Kirche ist. Wir können uns daher auf dieses Dekret beziehen, um daraus die wesentlichen Inhalte des katholischen Dogmas bezüglich diesen Punkt abzuleiten. 5. Unsere Stammeltern (im Dekret heißt es: „Primum hominem Adam“) im irdischen Paradies (und somit im Zustand der ursprünglichen Gerechtigkeit und Vollkommenheit) haben durch Übertretung des Gebotes Gottes schwer gesündigt. Durch ihre Sünde haben sie die heiligmachende Gnade verloren; sie haben also auch die Heiligkeit und Gerechtigkeit, in der sie von Anfang an „begründet“ gewesen waren, verloren, da sie Gottes Zorn auf sich zogen. Die Folge dieser Sünde war der Tod, wie wir ihn erfahren. Hier sei an die Worte des Herrn in Gen 2,17 erinnert: „Vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn wenn du davon ißt, wirst du sterben.“ Auf den Sinn dieses Verbots gingen wir bei den vorangegangenen Katechesen ein. Infolge der Sünde gelang es Satan, seine „Herrschaft“ auf den Menschen auszudehnen. Das tridentini-sche Dekret spricht von „Knechtschaft unter der Herrschaft dessen, der die Macht des Todes besitzt“ (vgl. DS 1511). Das Dasein unter der Herrschaft Satans wird also als „Knechtschaft“ beschrieben. Auf diesen dramatischen Gesichtspunkt der Anfangszeiten werden wir noch zurückkommen müssen, um die Elemente der „Entfremdung“ zu untersuchen, die die Sünde mit sich gebracht hat. Wir heben indessen hervor, daß das tridentinische Dekret sich auf die „Sünde Adams“ als eigene, persönliche Sünde der Stammeltern bezieht (von den Theologen peccatum originale originans genannt), aber es nicht versäumt, die unheilvollen Konsequenzen zu beschreiben, die sie in der Geschichte des Menschen gehabt hat (das sogenannte peccatum originale originatum). Vor allem gegenüber der Erbsünde in diesem zweiten Sinn meldet die moderne Kultur starke Vorbehalte an. Sie bringt es nicht fertig, dem Gedanken einer ererbten Sünde zuzustimmen, das heißt einer Sünde, die mit der Entscheidung eines „Stammvaters“ und nicht mit der des betroffenen Subjekts zusammenhängt. Sie glaubt, daß eine solche Auffassung im Widerspruch stehe zu der personalistischen Sicht vom Menschen und 235 ' A UDIENZEN UND ANGELUS zu den Forderungen, die aus der vollen Berücksichtigung seiner Subjektivität erwachsen. Und dennoch kann sich die Lehre der Kirche über die Erbsünde auch für den heutigen Menschen als äußerst wertvoll heraussteilen, da es ihm, nachdem er die Gegebenheit des Glaubens in diesem Bereich zurückgewiesen hat, nicht mehr gelingt, sich Rechenschaft zu geben über die geheimnisvollen und beängstigenden Seiten des Bösen, das ihm täglich widerfährt, bis er schließlich zwischen einem oberflächlichen und unverantwortlichen Optimismus und einem radikalen und verzweifelten Pessimismus hin und herschwankt. In der nächsten Katechese wollen wir Überlegungen über die Botschaft anstellen, die uns der Glaube über ein, für den einzelnen Menschen und für die Menschheit als Ganzes so wichtiges Thema anbietet. In deutscher Sprache sagte der Papst: Liebe Brüder und Schwestern! Auch euch möchte ich bei dieser kurzen Begegnung einige geistliche Gedanken mit auf den Weg geben und euch an eine Glaubenswahrheit erinnern, die unser Menschenleben - ob wir wollen oder nicht - bis in die Wurzel hinein bestimmt: Ich meine die Erbsünde. Sie wird uns als persönliche schwere Schuld unserer Ureltern am Anfang der Menschheitsgeschichte im bekannten 3. Kapitel der Genesis offenbart. Im Neuen Testament ist es vor allem der heilige Paulus, der die Erbfolgen dieser Sünde des Anfangs herausstellt: Jeder Mensch wird geboren im Unfrieden mit Gott - das Böse hält sein Denken, Fühlen und Handeln gefangen - er braucht Erlösung - sie wird ihm angeboten in Jesus Christus, dem neuen Adam, in dem sich Gott aufs neue mit der Schöpfung versöhnt. Diese Glaubenslehre, die in der Kirche von Anfang an gemeinsam mit der Erlösungsbotschaft verkündet wurde, hat das Konzil von Trient im 16. Jahrhundert ausführlich und im einzelnen behandelt. Hier finden wir den bleibenden Glaubensmaßstab für die Beurteilung der menschlichen Natur und ihrer Tendenzen zum Guten wie zum Bösen. Gewiß fällt es dem Menschen, der den personhaften Charakter von Schuld ernstnimmt, nicht leicht, die Wahrheit von der ererbten Sünde zu verstehen und anzuerkennen. Und doch ist diese Wahrheit der Schlüssel zum stets bedrückenden Rätsel der Sünde in ihren vielfältigen, den einzelnen offensichtlich übersteigenden Formen. Die Kirche versucht dabei die Mitte einzuhalten zwischen leichtfertigem Optimismus und hoffnungslosem Pessimismus. Diesen christlichen Realismus, der Wachsamkeit vor der Macht des Bösen, zugleich aber auch tatkräftige Mitarbeit 236 AUDIENZEN UND ANGELUS bei der Förderung des Guten einschließt, möchte ich euch allen von Herzen wünschen. Dabei grüße ich heute besonders die Dechanten des Südvikariates in Wien mit Herrn Weihbischof Kuntner. Ein herzliches Willkommen in der Liebe Christi auch für die Gruppe evangelischer Pfarrer aus der Württem-bergischen Landeskirche. Einen fruchtbaren Romaufenthalt wünsche ich dann den Schwestern, von der Göttlichen Vorsehung, die in ihrer Gemeinschaft mit der Einführung junger Mitschwestern ins Ordensleben betraut sind; reiche Gaben des Heiligen Geistes erbitte ich auch einer Gruppe von Missionsschwestern vom heiligsten Herzen Jesu auf ihrem Erneuerungskurs. Ferner möchte ich die Pilgergruppe der Kölner Kirchenzeitung erwähnen sowie eine Gruppe von Gläubigen aus den Militärpfarren von Westösterreich. Einen besonderen Gruß richte ich schließlich an die Teilnehmer der Laufstafette von Eisenstadt nach Rom, die auf ihre Weise das 25jährige Bestehen ihrer Diözese feiern wollen. Den genannten Gruppen und allen anderen Besuchern deutscher Sprache wünsche ich für ihren weiteren Lebensweg Gottes steten Schutz und weise Führung. „Es geht um ihr Überleben“ Der Papst appelliert zugunsten der Hilfe für den Sudan. „Ich möchte eure Aufmerksamkeit und die aller Zuhörenden auf die äußerst ernste Lage lenken, in der sich ca. zwei Millionen Menschen in der Südregion des Sudans befinden. Diese unsere Brüder und Schwestern schweben in der Gefahr, Hungers zu sterben, wenn sie nicht in kürzester Zeit Hilfe an Nahrung und anderen Mitteln erhalten. Es wurde bekannt, daß verschiedene Länder auf die Einladung der internationalen Hilfsorganisationen und insbesondere des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen hochherzig Antwort gaben und Lebensmittel und andere Soforthilfe zur Verfügung stellten. An die Regierungen der Interessenten und an alle betroffenen Autoritäten richte ich gern den Appell, die freie Durchfahrt der für die notleidenden Menschen im Südsudan bestimmten Soforthilfsmittel zu gestatten. Ich bin gewiß, daß angesichts der Grundbedürfnisse zum Überleben so vieler Menschen das Empfinden der brüderlichen Solidarität überwiegen wird, das jeden anderen Beweggrund oder einseitiges Interesse übersteigen muß. 237 AUDIENZEN UNDANGELUS In Assisi „einen gemeinsamen Weg beginnen“ Angelus am 28. September 1. Auf dem Weg der Vorbereitung auf den bevorstehenden ökumenischen und interreligiösen Gebetstag in Assisi möchte ich in dieser kurzen Betrachtung vor dem sonntäglichen Angelus mit euch einen Augenblick über das Engagement der Kirchen und Religionen für den Frieden nachdenken. Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß „der Krieg von wenigen beschlossen werden kann, der Frieden aber das gemeinsame Bemühen aller voraussetzt“ (Predigt in St. Paul vor den Mauern, 25. 1. 1986: O.R., dt. 14. 2. 86, 8). Das geduldige und hartnäckige Wirken für den Aufbau des Friedens schließt somit alle ein: Staatsmänner und Regierungsmitglieder, Parlamentarier, Diplomaten, öffentliche internationale Organisationen und Gruppen aller Art, aber auch gewöhnliche Männer und Frauen, private Staatsbürger, auf die sich üblicherweise die furchtbare Last des Krieges am härtesten auswirken würde; und dann die Jugend, die sich so brennend nach gegenseitiger Verständigung und Brüderlichkeit sehnt. Aber der Einsatz für den Frieden muß vor allem die Gläubigen einbeziehen. Deshalb sehen ja die christlichen Kirchen und die großen Weltreligionen das Wirken für den Frieden als eine ihrer besonderen Aufgaben an. Für diejenigen, die an Gott, an einen Gott, der das Leben liebt (vgl. Weish 11,26), glauben, ist die gegenseitige Annahme in Achtung und Solidarität füreinander eine ganz logische Konsequenz ihres Dienstes an Gott und den Menschen. Das Wissen um die überirdische Dimension der menschlichen Geschichte macht sie gegenüber den Problemen, die sich auf Erden stellen, nicht gleichgültig. Das Wort Christi in diesem Zusammenhang ist eindeutig. Bei der Verkündigung der Seligpreisungen nennt er auch die, „die Frieden stiften“ - natürlich auf Erden -; „denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“ (Mt 5,9). 2. Als „Söhne Gottes“ und um immer vollkommener dazu zu werden, wollen wir Männer und Frauen des Glaubens uns also um den Frieden bemühen. Und das wollen wir gemeinsam tun. Gewiß, die Unterschiede zwischen uns sind zahlreich und tiefgehend. Nicht selten sind sie in der Vergangenheit auch Ursache schmerzlicher Auseinandersetzungen gewesen. Nun läßt uns der Herr besser begreifen, daß es, über unsere Wahrheiten und Divergenzen hinaus, den Mann, die Frau, die Kinder dieser Welt sind, 238 AUDIENZEN UNDANGELUS denen allen wir das Beste geben wollen, das wir haben, unseren Glauben, der die Welt zu verändern vermag. Der gemeinsame Glaube an Gott besitzt einen fundamentalen Wert. Dadurch, daß er uns alle Menschen als Geschöpfe Gottes erkennen läßt, hilft er uns die universale Brüderlichkeit entdecken. Deshalb wollen wir mit unserem Treffen in Assisi einen gemeinsamen Weg beginnen. Das Agieren auf politischer, diplomatischer und technischer Ebene ist nicht unsere Aufgabe, gehört nicht in unsere besondere Zuständigkeit. Unsere Aufgabe ist vor allem das Gebet, die Anrufung des Namens Gottes, die demütige und inständige Bitte, die die Herzen verwandelt. Und wir sind gewiß, daß dieses unser Zusammenkommen zum Gebet durch Gottes. Gabe nicht ohne einen echten, tiefen Einfluß auf das gegenwärtige Drama der Menschheit bleiben wird, die sich zutiefst nach Frieden sehnt. Folgen der Sünde Adams für alle Menschen Ansprache bei der Generalaudienz am 1. Oktober 1. Das Konzil von Trient hat in einem feierlichen Text den Glauben der Kirche über die Erbsünde formuliert. In der Katechese der vergangenen Woche haben wir die Lehre des Konzils in bezug auf die persönliche Sünde der Stammeltern betrachtet. Heute wollen wir über das nachden-ken, was das Konzil über die Folgen sagt, die jene Ursünde für die Menschheit gehabt hat. In diesem Zusammenhang stellt der Text des tridentinischen Dekrets als erstes fest: 2. Die Sünde Adams ist auf alle seine Nachkommen übergegangen sowie auf ihre Erben in der menschlichen Natur, denen nunmehr die Freundschaft mit Gott entzogen ist. Das tridentinische Dekret (vgl. DS 1512) sagt ausdrücklich: Die Sünde Adams hat nicht nur ihm, sondern seiner ganzen Nachkommenschaft Schaden zugefügt. Adam hat die ursprüngliche Heiligkeit und Gerechtigkeit, Frucht der heiligmachenden Gnade, nicht nur für sich, sondern auch „für uns“ (nobis etiam) verloren. 239 AUDIENZEN UND ANGELUS Darum hat er an die ganze Menschheit nicht nur den leiblichen Tod und andere Strafen (als Folgen der Sünde), sondern auch die Sünde selbst als Tod der Seele (Peccatum, quod mors est animae) weitergegeben. 3. Hier kommt das Konzil von Trient auf eine Bemerkung des hl. Paulus im Römerbrief zurück, auf die bereits die Synode von Karthago Bezug genommen hatte, womit es übrigens eine in der Kirche bereits verbreitete Lehre aufnimmt. In der heutigen Übersetzung lautet der Paulustext wie folgt: „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten“ {Röm 5,12). Im griechischen Original heißt es: „iqj’oj nävxeg f]fiagroV‘-, diese Formulierung wurde in der alten lateinischen Vulgata übersetzt: „in quo omnes peccaverunf‘, also „in welchem (einem Menschen) alle gesündigt haben“. Doch die Griechen verstanden von Anfang an ganz klar das, was die Vulgata mit „in quo“ übersetzt, als „weil“ oder „insofern“; dieser Sinn wurde nun von den modernen Übersetzungen allgemein übernommen. Diese unterschiedliche Auslegung des griechischen Ausdrucks £ <1> Weihnachten stellt uns die Würde der Kindheit des Menschen vor Augen. Die menschliche Person besitzt immer ihre höchste, edle Personenwürde in jedem Augenblick ihres Lebens, vom Anfang an bis zum Ende! Das lehrt uns der Sohn Gottes, der durch seine Geburt Menschensohn, Sohn Mariens in der Familie Josefs, geworden ist. Liebe Kinder, ich danke euch für die schönen Weihnachtslieder, die ihr soeben gesungen habt. Ihr Kleinen habt ein kindliches und offenes Herz und könnt besser als alle anderen die tiefe Bedeutung von Weihnachten verstehen. Ihr wißt, daß die Menschwerdung des Gottessohnes höchster Ausdruck der Liebe Gottes des Vaters gegenüber allen Menschen ist. Ich möchte euch einladen, heute an alle Kinder in der Welt zu denken, besonders an jene, die aus verschiedenen Gründen leiden, die Kinder, die verlassen sind, die hungern, denen es an der nötigen Fürsorge mangelt. Wir wollen nun auch für sie beten. Wir wollen das Christkind bitten, ihnen beizustehen und sie zu beschützen. 309 AUDIENZEN UNDANGELUS Wir wollen ihn bitten, uns eine Welt zu schenken, in der es keine Kinder mehr gibt, die leiden. Die Jungfrau Maria sei unsere Fürsprecherin. 3. Gebenedeit bist Du, Braut des Heiligen Geistes! Sogleich werden wir uns in dem Gebet vereinen, mit dem die Kirche die Worte in Erinnerung ruft, die auf den Erlöser hinweisen: „Der Heilige Geist wird über dich kommen. . . Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“ (Lk 1,35). Braut des Heiligen Geistes, Mutter Christi, lehre unsere Familien unaufhörlich diese Liebe, die der Mensch nie anderswo, sondern nur im Schoß der Familie lernen kann: die Liebe der Eltern zu den Kindern, die Liebe der Kinder zu den Eltern, die eheliche Liebe, die treue, demütige, geduldige und diensteifrige Liebe. Gott ist Liebe. Braut des Heiligen Geistes, führe uns immer, führe alle Familien zu dieser unversiegbaren Quelle der Liebe! Nach dem Angelusgebet sagte der Papst: „Heute wird in Paris des hundertsten Jahrestages der Bekehrung von Paul Claudel gedacht, die sich zu Weihnachten in der Kathedrale Notre Dame ereignete. Ich danke Gott für diese einzigartige Gnade, die in diesem Schriftsteller den Anfang setzte zu einem bemerkenswerten geistlichen Weg, der für unsere Zeit ein außergewöhnliches Zeugnis des Übergangs vom Unglauben zum Glauben bleibt. Im gleichen Jahr geschah auch die Bekehrung von Charles de Foucauld. Es ist also ein bedeutsames Gedenkjahr für alle, die an seinem geistlichen Erbe teilhaben.“ Familie - „Hauskirche“ auf Erden Angelus am 28. Dezember „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten; dort bleibe, bis ich dir etwas anderes auftrage, denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten“ {Mt 2,13). Das heutige Evangelium vom Sonntag in der Weihnachtsoktav ruft uns in Erinnerung, wie die Heilige Familie während ihres Aufenthaltes in Bethlehem bedroht wurde. Es ist eine 310 AUDIENZEN UND ANGELUS Bedrohung von seiten der Welt, die dem Kind nach dem Leben trachtet. Wenn wir heute zum Angelusgebet versammelt sind, möchten wir zusammen mit der ganzen Kirche unserer Verehrung und Liebe zu dieser Familie Ausdruck geben, die dank dem Sohn Gottes die „Hauskirche“ auf Erden geworden war, noch bevor er seine Kirche auf die Apostel und auf Petrus gründete. Zugleich schließt das Gebet der universalen und apostolischen Kirche heute alle Familien auf der Erde ein, alle „Hauskirchen“. Allem, was die menschliche Familie in unserer heutigen Welt bedroht, was sie im Innern und von außen bedroht, wollen wir entgegentreten: allem, was die eheliche Liebe, Treue und Ehrbarkeit bedroht, allem, was das Leben bedroht! Das Leben: die große Würde des menschlichen Lebens! Beten wir also mit dem Apostel: Ihr Familien, „das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch!“ (Kol 3,16). Ihr Familien, „in eurem Herzen herrsche der Friede Christi!“ {Kol 3,15). „Bekleidet euch mit . . . Geduld! Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander . . . Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht“ {Kol 3,12-14). Ihr Familien, Eheleute und Kinder! „Seid dankbar“ für das Geschenk der Gemeinschaft und der Verbindung, zu denen euch Christus berufen hat und wozu er euch das Vorbild der Heiligen Familie von Nazaret vor Augen stellt! Heute möchte ich mit allen Familien Roms und der Kirche diese Gnade, die sie im Ehesakrament empfangen haben, neu beleben, damit sie alle Tage ihres Lebens in ihnen wirksam sei. 311 II. Predigten und Ansprachen bei den Reisen 1. Pastoraireise nach Indien (31. Januar bis 10. Februar) REISEN „Ich komme als Diener der Einheit und des Friedens“ Ansprache bei der Ankunft auf dem Flughafen von Neu-Delhi am 1. Februar Herr Präsident! Herr Ministerpräsident! Werte Mitglieder und Beamte der Indischen Regierung! Meine Damen und Herren! Ihnen allen: „Namaste“! Seien Sie gegrüßt! 1. Es ist für mich eine große Freude, in Indien zu sein. Ich danke Ihnen, Herr Präsident, für Ihre Begrüßungsworte, und besonders danke ich Ihnen für die Einladung, diese große, so alte und doch so junge Nation zu besuchen. Ich möchte auch Ihnen, Herr Ministerpräsident, für Ihre Anwesenheit meinen Dank zum Ausdruck bringen. Ich fühle mich geehrt, daß Sie gemeinsam mit dem Präsidenten diese offizielle Begrüßungszeremonie vornehmen. Ich weiß alles, was für die Vorbereitung dieses Besuchs getan wurde, sehr zu schätzen. Ich bin dankbar für die hochherzigen Anstrengungen von seiten so vieler Leute, die es mir möglich machen werden, in verschiedene Teile dieser riesigen und mannigfaltigen Republik Indien zu reisen, mit möglichst vielen Angehörigen des geliebten indischen Volkes zusammenzutreffen und ein tieferes Verständnis der reichen Kulturen Ihres Landes zu erlangen. Ich bete darum, daß mein Besuch dem Wohl Ihrer Nation und des ganzen indischen Volkes dienen und förderlich sein möge. <2> <2> Ihre Einladung, Herr Präsident, und diese Begegnung unmittelbar nach meiner Ankunft in Neu-Delhi stehen in getreuem Zusammenhang mit den guten offiziellen Beziehungen, die seit vielen Jahren zwischen Indien und dem Hl. Stuhl bestehen. Weitere besonders bedeutsame Augenblicke dieser Geschichte waren der Besuch Ihres ersten Ministerpräsidenten,Pandit Jawaharlal Nehru, im Jahre 1955 bei Papst Pius XII., der Besuch Papst Pauls VI. in Bombay 1964, bei welcher Gelegenheit er mit den höchsten Autoritäten Ihres Staates zusammentraf und der Besuch von Frau Ministerpräsidentin Indira Gandhi im Vatikan vor nicht ganz fünf Jahren. Diese guten Beziehungen, denen dieser Besuch weiteren Ausdruck verleiht, spiegeln zugleich das insgesamt herzliche Verhältnis wider, das 316 REISEN zwischen Kirche und Staat in Indien herrscht. Ich bin sehr angetan zu erfahren, welcher Wertschätzung sich die katholische Kirche in Ihrem Land erfreut, und ich weiß wohl um den bedeutenden Beitrag, den sie durch Ihren hingebungsvollen Einsatz auf verschiedenen Gebieten der Förderung des Menschen, wie Erziehung, Gesundheitsfürsorge und Entwicklung, zu leisten trachtet. Die Kirche ist in Indien seit den Anfängen des Christentums anwesend. Sie gestaltet also seit beinahe zweitausend Jahren einen wesentlichen Teil der Entwicklung und des Lebens Ihres Volkes. Und ich versichere Sie, daß die Kirche immer gern Ihren loyalen und hochherzigen Beitrag zur Einheit und Brüderlichkeit der Nation, zur Förderung von Gerechtigkeit, Liebe und Frieden und zum echten allgemeinen Fortschritt Ihres Landes in vielfältiger Hinsicht anbietet. 3. Meine Absicht, nach Indien zu kommen, hat sowohl eine religiöse wie eine menschliche Ausrichtung. Ich komme, um den Katholiken Indiens einen Pastoralbesuch abzustatten, und ich komme in Freundschaft mit dem tiefen Verlangen, Ihrem ganzen Volk und Ihren verschiedenen Kulturen meine Ehre zu erweisen. Ich ergreife gleich zu Beginn die Gelegenheit, mein aufrichtiges Interesse an allen Religionen Indiens zum Ausdruck zu bringen - ein Interesse, das von aufrichtiger Achtung, von Aufmerksamkeit für das uns Gemeinsame und von einem Verlangen gekennzeichnet ist, den Dialog zwischen den Religionen und die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Menschen verschiedenen Glaubens zu fördern. In diesem Zusammenhang erwähne ich mit besonderer Bewunderung, daß die Indische Verfassung mit ihrer offiziellen Anerkennung der Religionsfreiheit die Würde jeder Person in ihrer heiligsten Dimension ehrt und zugleich die Förderung echter geistlicher Werte gestattet, die so grundlegend für das gesamte Leben der Gesellschaft sind. Menschen und die Jugend. Ich möchte mit möglichst vielen von euch 4. Mit Gefühlen brüderlicher Liebe und Achtung für das ganze Indische Volk beginne ich diesen Besuch. Durch Sie, Herr Präsident, grüße ich die Männer und Frauen jeder Region, die Kinder und ihre Eltern, die alten Menschen und die Jugend. Ich möchte mit möglichst vielen von euch Zusammentreffen, voller Erwartung, von euch und von eurer Lebensweisheit zu lernen. Gleichzeitig bin ich lebhaft interessiert an den verschiedenen Kulturen Indiens: an den vielen alten kulturellen Ausdrucksformen, die in eurer Kunst und Architektur, in eurer Literatur und eurem Brauchtum enthalten sind; und an jenen kulturellen Ausdrucksformen des modernen 317 REISEN Indiens, die eine feine Mischung von Altem und Neuem reflektieren, sowie an jenen Formen, die sich zum Teil aus den unvermeidlichen und oft dringend notwendigen sozialen Veränderungen und als Antwort auf die Herausforderungen der modernen Industrie und Technik ergeben haben. Das alles ist Zeichen einer lebendigen und dynamischen Gesellschaft. 5. Die vielen Aktivitäten, die das interne und internationale Leben Indiens kennzeichnen, wecken seit langem in der Welt starkes Interesse. Dazu gehören Ihr anhaltendes Bemühen, die praktische Anerkennung der Gleichheit und der gleichen menschlichen Würde jeder Person in der Gesellschaft zu fördern, Ihr Streben nach sozialer Eintracht und nach Einheit in der Verschiedenheit, Ihre mannigfachen Initiativen zur Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Ihres Landes, besonders zugunsten der Ärmsten, und Ihre Versuche, eine Atmosphäre des Vertrauens und des Dialogs sowohl innerhalb wie außerhalb der Grenzen Ihres Landes zu festigen. Unter Bezugnahme auf Ihr und auf sein Land schrieb Tagore: „Wo der Geist ohne Furcht ist und man mit erhobenem Haupt geht; wo Wissen frei ist; wo die Welt nicht von engen Hauswänden in Fragmente zerbrochen worden ist; wo Worte aus der Tiefe der Wahrheit kommen; wo unermüdliches Streben die Arme nach Vollkommenheit ausstreckt; wo der klare Strom der Vernunft nicht in der trostlosen Wüste toter Gewohnheiten versandet ist; wo Dein Geist das Denken und Handeln leitet und immer mehr erweitert; in jenem Himmel der Freiheit, mein Vater, laß mein Land erwachen“ (Gitanjali, 35). Diese vielen Aspekte des modernen Indiens sind alle bezeichnenderweise mit dem Anhegen des Friedens in der Internationalen Gemeinschaft verknüpft, besonders seitdem Indien die größte Demokratie auf der Welt ist. Wie ich in meiner Botschaft zum Weltfriedenstag 1986 sagte: „Der rechte Weg zu einer Weltgemeinschaft, in der Gerechtigkeit und Friede ohne Grenzen unter allen Völkern und auf allen Kontinenten herrschen werden, ist der Weg der Solidarität, des Dialogs und der universalen Brüderlichkeit“ (Nr. 4: O.R., dt. 20. 12. 85, 6). Ich komme nach Indien als ein Diener der Einheit und des Friedens. Und ich möchte auf die Männer und Frauen dieser edlen Nation hören und von ihnen lernen. Ich freue mich darauf, die Bewunderung und Freundschaft, die ich für das indische Volk bereits hege, noch zu vertiefen. Sie sollen täglich einen Platz in meinen Gebeten haben. Gott segne Sie alle! „Jai Hind!“ 318 REISEN Das Erbe Gandhis spricht noch immer zu uns Ansprache bei der Kranzniederlegung am Raj-Ghat-Grabmal Mahatma Gandhis in Neu-Delhi am 1. Februar Liebe Freunde! 1. Mein Besuch in Indien ist eine Pilgerfahrt des guten Willens und des Friedens und die Erfüllung eines Wunsches, die wahre Seele eures Landes persönlich zu erleben. Es ist ganz angemessen, daß diese Pilgerfahrt hier am Raj Ghat beginnt, der Stätte, die dem Andenken des berühmten Mahatma Gandhi, des Vaters der indischen Nation und „Apostels der Gewaltlosigkeit“, gewidmet ist. Die Gestalt Mahatma Gandhis und die Bedeutung seines Lebenswerkes haben sich dem Bewußtsein der Menschheit tief eingeprägt. Pandit Jawa-harlal Nehru hat in seinen bekannten Worten die Überzeugung der ganzen Welt ausgesprochen: „Das Licht, das in diesem Land geleuchtet hat, war kein gewöhnliches Licht“ (Nachruf auf Mahatma Gandhi, Neu Delhi, 1948, 9f.). Vor zwei Tagen jährte sich Gandhis Todestag zum 38. Mal. Er, der gemäß der Gewaltlosigkeit lebte, wurde allem Anschein nach von der Gewalt niedergestreckt. Einen Augenblick lang schien das Licht erloschen zu sein. Doch seine Lehren und das Beispiel seines Lebens leben im Geist und in den Herzen von Millionen Männern und Frauen weiter. Und so wurde gesagt: „Das Licht unseres Lebens ist erloschen, und überall herrscht Finsternis, und ich weiß nicht recht, was ich euch sagen und wie ich es aussprechen soll. . . Das Licht ist erloschen, sagte ich, und doch irrte ich mich. Denn das Licht, das in diesem Lande geleuchtet hat, war kein gewöhnliches Licht. Das Licht, das dieses Land so viele Jahre erleuchtet hat, wird dieses Land noch viele weitere Jahre erleuchten . . .“ (ebd.). Ja, das Licht leuchtet noch, und das Erbe Mahatma Gandhis spricht noch immer zu uns. Und heute bin ich als Pilger des Friedens hierhergekommen, um Mahatma Gandhi, dem Helden der Menschlichkeit, meine Huldigung zu erweisen. <3> <3> Von diesem Ort aus, der für immer mit dem Andenken an diesen außergewöhnlichen Mann verbunden ist, will ich den Menschen Indiens und der Welt meine tiefe Überzeugung zum Ausdruck bringen, daß der Friede und die Gerechtigkeit, deren die heutige Gesellschaft so dringend 319 REISEN bedarf, nur auf dem Weg erlangt werden wird, der den innersten Kern seiner Lehre ausmachte: die Vorherrschaft des Geistes und satya graha, die „Macht der Wahrheit“, die ohne Gewalt, allein mit der Kraft siegt, die einer gerechten Handlung innewohnt (vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben an die Jugendlichen der Welt, 31. März 1985, Anm. 41: 0. R., dt. 29. 3. 85, 11). Die Macht der Wahrheit führt uns dahin, daß wir mit Mahatma Gandhi die Würde, Gleichheit und brüderliche Solidarität aller Menschen anerkennen, und sie veranlaßt uns, jede Form der Diskriminierung abzulehnen. Sie weist uns erneut darauf hin, wie dringend notwendig in der pluralistischen Gesellschaft des modernen Indiens und überall in der Welt gegenseitiges Verständnis, Annahme und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen sind. 3. Die herkömmlichen Probleme von Armut, Hunger und Krankheit sind in unserer Welt noch keineswegs überwunden. Ja, in mancher Hinsicht sind sie heimtückischer denn je. Außerdem sind neue Quellen von Spannung und Angst entstanden. Das Bestehen riesiger Arsenale mit Massenvernichtungswaffen löst in uns ernste und berechtigte Unruhe aus. Die Ungleichheit in der Entwicklung begünstigt die einen und stößt die anderen in eine Abhängigkeit, aus der sie nicht mehr herausfinden. Unter diesen Gegebenheiten ist der Friede eine brüchige Angelegenheit, und es überwiegt die Ungerechtigkeit. Von diesem Ort aus, der in gewissem Sinn zur Geschichte der ganzen Menschheitsfamilie gehört, will ich jedoch erneut die Überzeugung bekräftigen, daß mit Gottes Hilfe die Errichtung einer besseren Welt in Frieden und Gerechtigkeit für die Menschen erreichbar ist. Aber die Führer der Völker und alle Männer und Frauen guten Willens müssen daran glauben und sich in ihrem Handeln nach diesem Glauben richten, daß die Lösung im menschlichen Herzen liegt: „aus einem neuen Herzen wird der Friede geboren“ (vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag, 1. Januar 1984). Mahatma Gandhi offenbart uns sein Herz, wenn er heute zu denen, die hören, wieder sagt: „Das Gesetz der Liebe regiert die Welt. . . Die Wahrheit triumphiert über die Unwahrheit. Die Liebe besiegt den Haß . . .“ (Young India, 23. Oktober 1924). 4. Während wir an dieser Stätte über die Gestalt dieses Mannes nachsinnen, der so von seiner vornehmen Gottesverehrung und seiner Achtung für jedes Lebewesen geprägt war, möchte ich auch an jene Worte Jesu erinnern, die in der christlichen Bibel überliefert sind - sie waren dem 320 REISEN Mahatma sehr vertraut, und er fand in ihnen die Bestätigung der tiefen Gedanken seines Herzens. „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig, die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3-10). Mögen diese und andere Worte in den heiligen Büchern der großen religiösen Überlieferungen, die auf dem fruchtbaren Boden Indiens vorhanden sind, allen Völkern und ihren Führern eine Quelle der Inspiration sein bei ihrer Suche nach Gerechtigkeit unter den Menschen und Frieden zwischen allen Nationen der Welt. Mahatma Gandhi lehrte, daß eine neue Weltordnung - eine Gesellschaft im Zeichen der Liebe — erreicht werden kann, wenn sich alle Männer und Frauen trotz aller und wie immer gearteten Unterschiede zwischen ihnen voll Achtung für die einmalige Würde jedes Menschen an die Wahrheit halten. Und heute vernehmen wir noch immer seine dringende Bitte an die Welt: „Besiegt den Haß durch Liebe, Unwahrheit durch Wahrheit, Gewalt durch Leiden“ (Selections frorn Gandhi, ed. Nirmal Kumar Bose, Navajivan Publishing House, Ahmedabad, 1948, 184). Möge Gott uns führen und segnen, wenn wir uns bemühen, miteinander — Hand in Hand - zu gehen und gemeinsam eine Welt des Friedens aufzubauen! Gebet für den Frieden am Mahatma-Gandhi-Denkmal in Neu-Delhi am 1. Februar Unser aller Herr und Gott, nach deinem Willen sollen alle deine Kinder, durch den Geist vereint, einander annehmen und in Harmonie und Frieden Zusammenleben und wachsen. Es tut uns von Herzen leid, daß unsere menschliche Selbstsucht und unsere Habgier die Verwirklichung deines Planes in unserer Zeit verhindert haben. 321 REISEN Wir erkennen an, daß der Frieden ein Geschenk von dir ist. Wir wissen auch, daß unsere Mitarbeit als deine Werkzeuge einen vernünftigen Umgang mit den Schätzen der Erde erfordert für einen wirklichen Fortschritt aller Völker. Sie erfordert ebenso tiefen Respekt und Ehrfurcht vor dem Leben, eine entschiedene Hochschätzung der Würde des Menschen und der Unverletzlichkeit des Gewissens jedes einzelnen sowie einen immerwährenden Kampf gegen alle Formen von Diskriminierung, sei es durch Gesetze oder Taten. Zusammen mit all unseren Brüdern und Schwestern verpflichten wir uns, ein vertieftes Bewußtsein von deiner Gegenwart und deinem Handeln in der Geschichte zu pflegen, die Wahrheitsliebe und das Verantwortungsgefühl zu fördern und nach Befreiung von allen Formen von Unterdrückung, nach der Brüderlichkeit über alle Grenzen hinweg und nach der Gerechtigkeit und Lebensfülle für alle zu streben. Wir sind versammelt in der Hauptstadt Indiens, am Denkmal des Vaters der Nation - eines herausragenden Zeugen für Wahrheit, Liebe und Gewaltlosigkeit. Hier flehen wir deinen Segen herab auf die Führer dieses Landes und aller Nationen, auf die Anhänger aller religiösen Traditionen und auf alle Menschen guten Willens. Mache uns fähig, o Herr, mit dir und miteinander als aktive Partner zu leben und zu wachsen in der gemeinsamen Aufgabe, eine Kultur ohne Gewalt aufzubauen, eine Weltgemeinschaft, die ihre Sicherheit nicht in der Herstellung immer tödlicherer Waffen sieht, sondern in gegenseitigem Vertrauen und in echter Sorge um eine bessere Zukunft für alle deine Kinder in einer von Wahrheit, Liebe und Frieden gekennzeichneten Gesellschaft, die die ganze Welt umfaßt. Wir „erreichen“ Gott durch die Wahrheit Predigt bei der Eucharistiefeier im Indira-Gandhi-Stadion in Neu-Delhi am 1. Februar Liebe Brüder und Schwestern! 1. Heute nachmittag wiederholt Jesus Christus uns die Worte aus dem Evangelium: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Zu Beginn meiner Pilgerreise zu dem Heiligtum, das das in diesem 322 REISEN riesigen Land Indien lebende Volk Gottes ist, möchte ich an diese Worte Jesu Christi aus der heutigen Liturgie erinnern. Diese Worte sprechen von unserem Pilgerweg des Glaubens. Im Glauben pilgern wir auf dem Weg, der Christus ist, hin zu Gott. Christus ist der Sohn Gottes, und er ist eines Wesens mit dem Vater. Gott von Gott und Licht vom Licht, ist er Mensch geworden, um für uns der Weg zum Vater zu sein. Während seines Erdenlebens sprach er unaufhörlich mit dem Vater. Auf ihn, den Vater, lenkte er die Gedanken und Herzen seiner Zuhörer. Er teilte ja gewissermaßen mit ihnen Gottes Vaterschaft, was in besonderer Weise in dem Gebet deutlich wurde, das er seine Jünger lehrte: dem Vaterunser. Am Ende seiner messianischen Sendung auf Erden, am Tag vor seinem Leiden und Sterben, sagte er zu den Aposteln: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?“ (Joh 14,2). Wenn das Evangelium die Offenbarung der Wahrheit von der Pilgerschaft des menschlichen Lebens zum Haus des Vaters ist, dann ist es gleichzeitig ein Aufruf zu dem Glauben, durch den unser Pilgerweg führt: ein Aufruf zum Glauben des Pilgers. Christus sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ <4> <4> Ja, das menschliche Leben auf Erden ist eine Pilgerschaft. Wir sind uns alle bewußt, durch die Welt hindurchzugehen. Das Leben des Menschen beginnt und endet, es beginnt mit der Geburt und geht auf den Augenblick des Todes zu. Der Mensch ist ein „vorübergehendes“, ein vergängliches Wesen. Und auf dieser Pilgerschaft des Lebens hilft die Religion dem Menschen so zu leben, daß er sein Ziel erreicht. Der Mensch sieht sich ständig mit der Vergänglichkeit eines Lebens konfrontiert, von dem er weiß, daß es äußerst wichtig ist als Vorbereitung auf das ewige Leben. Sein Pilgerglaube richtet den Menschen auf Gott hin aus und veranlaßt ihn, seine Entscheidungen so zu treffen, daß sie ihm helfen, das ewige Leben zu erlangen. Darum ist jeder Augenblick der Erdenpilgerschaft des Menschen von Bedeutung - von Bedeutung in ihren Herausforderungen und Entscheidungen. Auf seiner Pilgerschaft kommt der Mensch in enge Berührung mit der Wirklichkeit der menschlichen Kultur. Das Zweite Vatikanische Konzil hat nachdrücklich betont, daß „vielfache Beziehungen bestehen zwischen der Botschaft des Heils und der menschlichen Kultur. Denn Gott hat in der Offenbarung an sein Volk bis zu seiner vollen Selbstkundgabe im fleischgewordenen Sohn entsprechend der den verschiedenen Zeiten eige- 323 REISEN nen Kultur gesprochen“ (GS 58). Und an anderer Stelle: „Die Christen müssen auf der Pilgerschaft zur himmlischen Vaterstadt suchen und sinnen, was oben ist; dadurch wird jedoch die Bedeutung ihrer Aufgabe, zusammen mit allen Menschen am Aufbau einer menschlicheren Welt mitzuarbeiten, nicht vermindert, sondern gemehrt“ (GS 57). Die Kirche verkündet, daß der Mensch in seinem Pilgerleben eben deshalb um so mehr der Achtung, Liebe und Sorge in den vielfältigen Einzelheiten seines irdischen Daseins wert ist, weil er dazu bestimmt ist, ewig zu leben. Und jede echte menschliche Kultur, die die Würde des Menschen und seine endgültige Bestimmung berücksichtigt, ist dem Menschen eine Hilfe in seinem edlen und rechtschaffenen Leben in diesem Land der Pilgerschaft. Der hl. Paulus selbst richtet an die christliche Gemeinde folgende Aufforderung: „Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht!“ (Phil 4,8). 3. Auf seinem irdischen Weg von der Geburt zum Tod ist sich der Mensch bewußt, ein Pilger zum Absoluten zu sein. Hier in Indien ist dieses Bewußtsein sehr tief. Eure alten Weisen haben den Angstschrei der Seele nach dem Absoluten zum Ausdruck gebracht. Es gibt in der Tat eine uralte Sehnsucht nach dem Unendlichen, ein ständiges Bewußtsein der göttlichen Gegenwart und endlose Bekundungen religiöser Gefühle durch volkstümliche Feste und Feiern. In der wahren Suche nach dem Absoluten steckt bereits eine Erfahrung des Göttlichen. Unter all denen, die im Lauf der Jahrhunderte nach Gott gesucht haben, sei nur der bekannte Augustinus von Hippo erwähnt, der, als er Gott fand, ausrief: „Wo also habe ich dich gefunden, daß ich dich kennenlernte? Wo anders als in dir, über mir?“ (Bekenntnisse, X, 26). In Indien waren diese Suche nach Gott und diese Erfahrung Gottes von großer Einfachheit, Askese und Verzicht begleitet. Das alles gereicht Indien als einer religiösen Nation, die hochherzig auf dem Weg ihrer geistlichen Pilgerschaft ist, zu großer Ehre. 4. In der Offenbarung des Alten und des Neuen Bundes ist der in der sichtbaren Welt, inmitten irdischer Verhältnisse lebende Mensch sich zugleich zutiefst der Gegenwart Gottes bewußt, der sein ganzes Leben durchdringt. Dieser lebendige Gott ist in der Tat das letzte und endgültige Bollwerk für den Menschen in all den Heimsuchungen und Leiden seines Erdendaseins. Er sehnt sich danach, diesen Gott endgültig so zu besitzen, wie er schon jetzt seine Gegenwart erfährt. Er strebt danach, zur Schau 324 REISEN seines Antlitzes zu gelangen. Die Worte des Psalmisten drücken diese Sehnsucht aus: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich kommen und Gottes Antlitz schauen?“ (Ps 42,2f.). 5. Wie der Mensch bemüht ist, Gott kennenzulernen, sein Antlitz zu sehen und seine Gegenwart zu erfahren, so wendet sich Gott dem Menschen zu, um sein Leben zu offenbaren. Das Zweite Vatikanische Konzil geht ausführlich auf die Bedeutung des Eingreifens Gottes in der Welt ein. Es legt dar, daß „durch seine Offenbarung Gott sich selbst und die ewigen Entscheidungen seines Willens über das Heil des Menschen kundtun und mitteilen wollte“ (DV6). Zugleich aber bleibt der barmherzige und liebende Gott, der sich durch seine Offenbarung mitteilt, für den Menschen weiterhin ein unerforsch-liches Geheimnis. Und der Mensch, der Pilger zum Absoluten, bleibt sein ganzes Leben hindurch auf der Suche nach dem Antlitz Gottes. Doch am Ende seiner Glaubenspilgerschaft kommt der Mensch zum „Haus des Vaters“, und in diesem „Haus“ sein heißt, Gott „von Angesicht zu Angesicht“ schauen (1 Kor 13,12). 6. Dieses Schauen Gottes „von Angesicht zu Angesicht“ ist die tiefste Sehnsucht des menschlichen Geistes. Wie vielsagend und überzeugend sind in diesem Zusammenhang die Worte des Apostels Philippus im heutigen Evangelium, wenn er zu Jesus sagt: „Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns“ (Joh 14,8). Diese Worte sind tatsächlich vielsagend, weil sie Zeugnis geben von dem tiefen Dürsten und Sehnen des menschlichen Geistes, noch mehr sagt uns aber die Antwort, die Jesus darauf gibt. Jesus erklärt: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). Jesus ist die Offenbarung des Vaters; er macht der Welt klar, wie der Vater ist, nicht weil er selbst der Vater ist, sondern weil er eins ist mit dem Vater in der Gemeinschaft göttlichen Lebens. Er sagt: „Ich bin im Vater, und der Vater ist in mir“ (Joh 14,11). Der Mensch braucht nicht mehr länger allein zu sein auf seiner Suche nach Gott. Zusammen mit Christus entdeckt der Mensch Gott und er entdeckt ihn in Christus. 7. Im Sohn, in Jesus Christus, erreicht Gottes Selbstoffenbarung ihre Fülle und ihren Höhepunkt. Das hat der Verfasser des Briefes an die 325 REISEN Hebräer betont, als er er schrieb: „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn“ (Hebr 1,1 f.). Deshalb ist Christus für immer der Weg. Er ist der Weg, weil er die Wahrheit ist. Er gibt die letzte Antwort auf die Frage: „Wer ist Gott?“ Der Apostel Johannes bezeugt: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18). Durch seine Menschwerdung gibt Jesus Christus als Sohn Gottes Kunde von der Liebe, der Güte und der Barmherzigkeit des ewigen Gottes. Und er tut das als der Sohn Mariens, als der Mensch gewordene Gott, auf eine Weise, die die Menschheit verstehen kann. Wir „erreichen“ Gott durch die Wahrheit. Durch die Wahrheit über Gott und durch die Wahrheit über alles, was sich außerhalb Gottes befindet: über die Schöpfung, den Makrokosmos, und über den Menschen, den Mikrokosmos. Wir „erreichen“ Gott durch die Wahrheit, die Christus verkündet, durch die Wahrheit, die Christus wirklich ist! Wir „erreichen“ Gott in Christus, der noch immer wiederholt: „Ich bin die Wahrheit“. Und dieses „Erreichen“ Gottes durch die Wahrheit, die Christus ist, ist die Quelle des Lebens. Es ist die Quelle des ewigen Lebens, das hier auf Erden, in der „Dunkelheit des Glaubens“, seinen Anfang nimmt, um durch das Licht der Glorie in der Schau Gottes „von Angesicht zu Angesicht“ - wie er wirklich ist - seine Fülle zu erreichen. Christus bringt uns dieses Leben, denn er ist das Leben - wie er ja sagt: „Ich bin das Leben.“ „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ 8. „Meine Seele, warum bist du betrübt? . . . Harre auf Gott“ (Ps 43,5). So wollen wir nun zum Altar Gottes treten, zum Gott unserer Freude (vgl. Ps 43,4). Wir sind hierhergekommen, um die Eucharistie zu feiern. Die Eucharistie ist das heiligste Sakrament unserer Pilgerschaft im Glauben. Sie ist die Nahrung für unseren Weg. Sie ist das Festmahl des Lebens. In ihr sind wir verbunden mit Christus, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Wir machen ihn unter den sichtbaren Zeichen von Brot und Wein in seinem Tod und seiner Auferstehung gegenwärtig. Unsere Glaubenspilgerschaft hat in der Eucharistie ihr reichstes und ausdruckstärkstes Zeichen. Und gleichzeitig verbinden wir uns miteinander in brüderlicher Gemeinschaft. Wir verbinden uns mit der ganzen Kirche. Wir verbinden uns mit der ganzen Menschheit und mit den Engeln. Wir geben die ganze Schöp- 326 REISEN fung an Gott zurück. Mit allen zusammen singen wir „Heilig! Heilig! Heilig!“. Und aus dem Herzstück dieses Gottesdienstes, aus der Eucharistie, verkünden wir allen: Freut euch! Freut euch mit uns! Der Herr ist nahe! Amen. Die Einheit ist Gottes Wille Ansprache bei der Begegnung mit den indischen Bischöfen in Neu-Delhi am 1. Februar Liebe Brüder im Bischofsamt! „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (1 Kor 1,3). 1. Mit großer Freude grüße ich euch, meine Brüder im Bischofsamt, am ersten Tag meines Indienbesuches. Ich bin als Pilger unterwegs zum Heiligtum des Gottesvolkes in diesem großen Land. Als ein Apostel Jesu Christi bin ich gekommen, um über die Liebe zu sprechen, um Zeugnis vom Evangelium der Liebe abzulegen, dem Evangelium von dem, der sich selbst als einen liebevollen Hirten, den „Guten Hirten“ bezeichnet hat. Meine Botschaft ist die Botschaft von der Liebe Gottes: „Die Liebe Gottes wurde unter uns dadurch offenbart, daß Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben“ (I Joh 4,9). Und aufgrund dieser Liebe bin ich hierhergekommen, um für die Kirche in Indien die Einheit zu verkünden, die Christus für alle wünscht, die ihm folgen - eine Einheit nach dem Vorbild des Lebens und Liebeseinheit, die in der Allerheiligsten Dreifaltigkeit besteht. Ich bin von Rom gekommen, um diese Tage in Einheit und Liebe mit euch, den Bischöfen Indiens, zu verbringen — mit euch allen, die ihr zusammen mit mir das Hirtenamt über die Herde Christi innehabt. Dies ist darum eine Stunde kirchlicher Gemeinschaft - der „communio“ in der Liebe Christi, in der Einheit seiner Kirche und der Einheit unserer pastoralen Sendung. Als Hirte der Gesamtkirche muß ich meine eigene Pflicht im Dienst der Einheit der Kirche erfüllen. Aus diesem Grund habe ich den Wunsch, 327 REISEN euch in eurer Verantwortung als Hirten der Ortskirchen zu unterstützen. Außerdem besteht unsere gemeinsame Aufgabe darin, das Geheimnis der Kollegialität in seinen universalen Dimensionen darzustellen. Als Nachfolger des Petrus bin ich gekommen, um euch und eure Ortskirchen im Glauben zu stärken. Ich bin hier, um euch in allen Bereichen eures schwierigen apostolischen Amtes zu stärken. Liebe Brüder im Bischofsamt! Ich bin gekommen, um mir euren geistlichen Beitrag zum Leben der Kirche zunutze zu machen und ihn in die Universalkirche einzubringen. 2. Euer bischöfliches Amt, wie es heute in Indien ausgeübt wird, schließt ein großes Privileg und eine große Verpflichtung ein. Denn ihr seid zu der apostolischen Aufgabe berufen, in eurem Volk Zeugnis abzulegen vom Evangelium Christi. Ihr seid dazu berufen, im Namen Gottes, der „die Welt so sehr geliebt hat, daß er seinen einzigen Sohn hingab“ (Joh 3,16), Rettung, Vergebung und Erbarmen zu verkünden. Ihr teilt direkt mit Christus die Aufgabe, den Armen die Frohbotschaft zu bringen. Ihr seid Diener der Menschheit, Boten der Liebe Gottes. Und das alles kreist um jenes Geheimnis, durch welches Jesus Christus, „der reich war, euretwegen arm wurde, um euch durch seine Armut reich zu machen“ (2 Kor 8,9). Ihr legt Zeugnis ab von der Wirklichkeit der Menschwerdung, in der Gott sich mit der Armut des Menschseins identifiziert, um die Menschheit zu sich emporzuheben. Tag für Tag übt ihr euer Amt aus, indem ihr Gottes Offenbarung verkündet: Gottes Liebe zum Menschen, Gottes Sorge für das Wohlergehen des Menschen, Gottes Umsicht für den ganzen Menschen, der aus Leib und Seele besteht. Alles, was ihr tut, geschieht im Namen Jesu Christi, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Alles, was ihr tut, wird für Gott, zu seiner Ehre getan, und alles, was ihr tut, wird für den Menschen getan, für sein Wohlergehen und sein Heil. Euer Verkündigen heißt notwendigerweise Zeugnis geben vom „Namen, von der Lehre, dem Leben, den Verheißungen, dem Reich, dem Geheimnis Jesu von Nazaret, des Sohnes Gottes“ (EN22: Wort und Weisung, 1975, 553). Gleichzeitig heißt es, der Welt die zärtliche Liebe Christi zum Menschen vor Augen zu führen - zu dem nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffenen, im Geheimnis der Menschwerdung erhöhten und in größere Verbundenheit mit Gott gebrachten, dem für das ewige Leben bestimmten Menschen. <5> <5> Eure Verkündigung der Liebe Gottes zum Menschen berücksichtigt auch die zeitlichen Bedürfnisse des Menschen. Wenn die Kirche den vergänglichen Charakter dieser Welt verkündet, so verkündet sie gleich- 328 REISEN falls Gottes Willen, die Welt in jeder Hinsicht umzuwandeln, damit sie eine würdige Vorausdarstellung der künftigen Welt sein kann. Die Kirche lehrt, daß „der irdische Fortschritt große Bedeutung für das Reich Gottes hat, insofern er zu einer besseren Ordnung der menschlichen Gesellschaft beitragen kann“ (GS 39). Tag für Tag werdet Ihr euch in eurem Dienstamt der tiefen Wirklichkeit bewußt, die Paul VI. so beschrieb: „Zwischen Evangelisierung und menschlicher Entfaltung - Entwicklung und Befreiung - bestehen in der Tat enge Verbindungen“ (EN 31: a.a.O., 558). Er sprach von den Bedürfnissen der Völker, „die sich mit all ihren Kräften dafür einsetzen und für die Überwindung all dessen kämpfen, was sie dazu verurteilt, am Rande des Lebens zu bleiben: Hunger, chronische Krankheiten, Analphabetismus, Armut, Ungerechtigkeiten in den Internationalen Beziehungen und besonders im Handel“ (EN 30: a. a. O., 558). Bei all diesen Anstrengungen im Namen des Zeugnisses für das Evangelium bemüht sich die Kirche um die echte Entwicklung und Befreiung von Millionen von Menschen. Immer wieder verkündet die Kirche ihre Überzeugung, daß der Kern des Evangeliums die aus der Gottesliebe entspringende Bruderhebe ist. Die Verkündigung des neuen Liebesgebots kann niemals von den Anstrengungen zur Förderung des Gesamtfortschritts des Menschen in Gerechtigkeit und Frieden getrennt werden. Als euer Bruder in Christus möchte ich euch versichern, daß ich euch in allen Anstrengungen, die ihr in diesem wichtigen Bereich eures Amtes unternehmt, nahe bin. 4. Eine andere Sache, der euer Eifer gilt, ist der Dialog zwischen den Religionen. Auch er ist ein wichtiger Teil eures apostolischen Dienstes. Der Herr ruft euch, besonders in den partikulären Verhältnissen, in die ihr hineingestellt seid, alles nur Mögliche zu tun, um diesen Dialog dem Auftrag der Kirche entsprechend zu fördern. Es war Paul VI., der einen großen Teil seiner ersten Enzyklika dem Thema des Dialogs gewidmet hat. Er handelte von der Notwendigkeit des Dialogs, seinen Bedingungen, seinem Inhalt, seinen Merkmalen und seinem Geist. Bei der Beschreibung des Dialogs stellte Paul VI. fest: „Noch bevor man spricht, muß man auf die Stimme, ja sogar auf das Herz des Menschen hören . . . Das Klima des Dialogs ist die Freundschaft, ja der Dienst“ (ES 87). Als Bischöfe verkörpert ihr die hebende Kirche Christi, die offen sein will für die ganze Welt, um zu hören und Freundschaft und Dienst anzubieten. Der Dialog, zu dem ihr aufgerufen seid, ist ein Dialog, der von liebenswürdiger Achtung, Sanftmut und Vertrauen geprägt ist und aus dem jede Art von Rivalität und Polemik ausgeschlossen ist. Es ist ein Dialog, der 329 REISEN aus dem Glauben erwächst und in demütiger Liebe geführt wird. Zugleich aber „hat die Kirche etwas zu sagen; die Kirche hat eine Botschaft weiterzugeben; die Kirche hat eine Mitteilung zu machen“ (ES 65). Sie wünscht aufrichtig, über die transzendente Bestimmung des Menschen, über Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Fortschritt, Harmonie, Frieden und Zivilisation zu sprechen. Und dieser Dialog ist von Natur aus auf Zusammenarbeit zugunsten des Menschen und seines geistigen und materiellen Wohlergehens ausgerichtet. Als Diener des Evangeliums hier in Indien habt ihr die Aufgabe, die Achtung und Wertschätzung der Kirche für alle eure Brüder und für die geistlichen, sittlichen und kulturellen Werte, die ihre verschiedenen religiösen Traditionen hochhalten, zum Ausdruck zu bringen. Indem ihr das tut, müßt ihr von euren eigenen Glaubensüberzeugungen Zeugnis ablegen und das Evangelium von der Liebe und dem Frieden Christi sowie seinen Geist des Dienens allen jenen zur Betrachtung anbieten, die aus freien Stücken darüber nachdenken wollen, so wie ihr selbst frei über die Werte anderer religiöser Traditionen nachdenkt. In diesem Dialog der Religionen untereinander, der seiner Natur nach Zusammenarbeit einschließt, ist das oberste Kriterium Liebe und Wahrheit. Ihr selbst werdet immer an die Mahnung des hl. Paulus denken: „Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt“ (Eph 4,15). 5. Eure pastoralen Bemühungen, Zeugnis zu geben vom Evangelium Christi, müssen auch die klare Verkündigung einschließen, „daß in Jesus Christus, dem menschgewordenen, gestorbenen und auferstandenen Sohne Gottes, das Heil einem jeden Menschen angeboten ist als ein Geschenk der Gnade und des Erbarmens Gottes selbst“ (EN 21: a. a. O., 556). Das muß mit gebührender Rücksichtnahme auf die große Herausforderung der Inkulturation geschehen. Gottes Offenbarung erfolgte in einer besonderen Kultur, sie war aber von allem Anfang an für alle Kulturen bestimmt. Es ist die Aufgabe der Kirche, allen Kulturen die Frohbotschaft vom Heil zu bringen und sie in einer Weise vorzulegen, die der geistigen Eigenart eines jeden Volkes entspricht. Die vor uns liegende Aufgabe besteht darin, den Glaubensschatz in der Echtheit seines Inhalts in die legitime Ausdrucksvielfalt aller Völker der Welt zu übersetzen. Der eigentliche Kern der Herausforderung kam auf der Bischofssynode 1974 zur Sprache und wurde in der Folge so formuliert: „Die wahrhaft eingewurzelten Teilkirchen, die sich sozusagen verschmolzen haben mit den Menschen, aber auch mit den Wünschen, Reichtümern und Grenzen, mit 330 REISEN der Art zu beten, zu lieben, Leben und Welt zu betrachten,. . ., haben die Aufgabe, das Wesentliche der Botschaft des Evangeliums sich tief zu eigen zu machen und es ohne den geringsten Verrat an seiner wesentlichen Wahrheit in eine Sprache zu übersetzen, die diese Menschen verstehen“ (SV 63: a. a. O., 583). Bei der Aufgabe, eine echte und zuverlässige Anpassung sicherzustellen, kommt den Bischöfen der Ortskirchen eine spezifische Verantwortung zu. Sie wird in enger Zusammenarbeit mit dem Heiligen Stuhl und in Gemeinschaft mit der ganzen Kirche ausgeübt. Sie schließt Unterscheidungsvermögen ein, das seinerseits Gebet, Studium und Beratung verlangt - ein Unterscheidungsvermögen, das von einem pastoralen Charisma getragen ist. Eine besondere Verantwortung haben die Bischöfe hinsichtlich der liturgischen Inkulturation, die die immer wirksamere Einbringung des „unergründlichen Reichtums Christi“ (Eph 3,8) in das gottesdienstliche Leben der Kirche zum Ziel hat. Hier sind weitere Reflexion und Studium erforderlich. Hier kommt es auch darauf an, daß der Durchführung liturgischer Bestimmungen stets die Prüfung am Maßstab der Lehre und die pastorale Vorbereitung der Gläubigen vorausgehen. Diese Durchführung muß gebührende Achtung und Rücksichtnahme vor den unterschiedlichen religiösen Empfindungsweisen der Menschen innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft beweisen, wobei die Vorliebe von einzelnen und Gruppen den Erfordernissen der kirchlichen Einheit im Gottesdienst untergeordnet werden müssen. Jede liturgische Inkulturation muß zudem mit pastoraler Liebe und Verständnis vollzogen werden. 6. Die oben erwähnten Themen - Verkündigung des Evangeliums, Dialog der Religionen untereinander und Inkulturation - sind in der Tat Aufgaben, die das Wohl der ganzen Kirche betreffen und deshalb die Mitarbeit aller Bereiche der kirchlichen Gemeinschaft erfordern. Dennoch ist es wichtig, den besonderen Beitrag des Klerus zu diesen Lebensbereichen, unter der Führung der Bischöfe, nachdrücklich zu unterstreichen. Das Priesteramt steht im direkten Dienst des Wortes Gottes. Der Priester ist Verkünder und Diener des Evangeliums, aufgerufen zum Heilsdialog mit den Brüdern. Die Effizienz des Dienstes der Priester hängt zu einem beachtlichen Grad von ihrer Vorbereitung ab. Diese Vorbereitung ist sowohl in ihrer geistlichen, wie in ihrer intellektuellen Dimension mit dem Wort Gottes verknüpft, mit dem Verständnis, der Annahme und der Anwendung des Wortes Gottes. Priester sind dazu berufen, den Gläubigen das Wort 331 REISEN Gottes in all seiner Reinheit und Ganzheit mitzuteilen. Um das Wort Gottes getreu weitergeben und in seiner Fülle leben zu können, verfügt die Kirche über ein besonderes apostolisches und pastorales Charisma, das der ganzen Gemeinschaft der Gläubigen nützt. Dieses Charisma ist das Lehramt der Kirche, ein Geschenk des Heiligen Geistes, das ganz im Dienst des Wortes Gottes steht. Vollkommene Treue gegenüber diesem Lehramt ist ein wesentliches Merkmal jeder wirksamen Seminarausbildung und aller Programme für die ständige Weiterbildung des Klerus. Diese Treue ist eine Gewähr für die übernatürliche Wirksamkeit des Lebens und Dienstes des Klerus. Sie wird durch die Demut des Herzens und im Gebet gepflegt. 7. Liebe Brüder, mitten im Herzen all eurer Hirtensorge steht die Einheit der Kirche. In ihrer Einheit erkennen wir den größten Segen, das Verlangen des Herzens Jesu, den Ausdruck der Treue zum Herrn, das Zeichen der Glaubwürdigkeit seiner Kirche und von Christi wahrer Sendung. In der Einheit der Kirche sehen wir den Sinn von Jesu Tod: „die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (Joh 11,52). Das Zweite Vatikanische Konzil betonte nicht nur die Einheit der Kirche, sondern auch ihre Berufung, Zeichen der Einheit der Menschheit zu sein, die so oft durch ethnische, politische, kulturelle und sprachliche Rivalitäten gespalten und von mancherlei Spannungen unterdrückt wird. Aufgerufen zur Erfüllung ihres Auftrages in der modernen Welt, weiß die Kirche, daß sie in sich selbst das Geheimnis der Einheit leben muß. Diese ihre Berufung bringt die Notwendigkeit der Versöhnung mit sich, dort, wo die Einheit beeinträchtigt, geschädigt oder zerbrochen wurde. Wir wissen, daß die Einheit Gottes Wille ist. Die Kirche ist berufen, durch die Gnade in der Einheit der Allerheiligsten Dreifaltigkeit zu leben. Das Gebet Christi um Einheit läßt sich auf jede Situation in der Kirche anwenden: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin“ (Joh 17,21). Die Ortskirchen sind aufgerufen, über diese Einheit in allen ihren internen Beziehungen zwischen dem Bischof, dem Klerus, den Ordensleuten und den Laien nachzudenken. In jeder Ortskirche subsi-stiert die Einheit der katholischen Kirche. Die Gemeinschaft zwischen den Ortskirchen ist auch ein Ausdruck des Geheimnisses der Einheit, welche die Gesamtkirche vom Heiligen Geist empfängt. Die Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom stellt die Katholizität der einzelnen Kirchen sicher und befähigt die Bischöfe, am Geheimnis der bischöflichen Kollegialität teilzuhaben. Der einzelne Bischof ist das sichtbare Prinzip und Fundament der Einheit in seiner Teilkirche, so wie der Nachfolger 332 REISEN Petri die immerwährende und sichtbare Quelle und das immerwährende und sichtbare Fundament der Einheit für die Bischöfe und die Gläubigen ist (vgl. LG 23). Wenn wir über das Geheimnis von kirchlicher Einheit und Gemeinschaft unter den Kirchen nachdenken, begreifen wir die sehr große Bedeutung, die die gesamte Überlieferung der Kirchenväter diesem Element des Lebens der Kirche beimaß. Wir begreifen, wie wichtig es ist, einige Probleme, die innerhalb der Kirche auftreten, zu lösen, ebenso wie Probleme mit getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. In dieser Hinsicht muß auch zu enger Gemeinschaft und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Riten der Kirche ermutigt werden, damit die Kirchen in ihren Beziehungen untereinander die Einheit leben, wie sie dem Willen Christi entspricht. Ich weiß, daß hier in Indien ehrliche Anstrengungen hierzu im Gange sind. Was die noch ungelösten Probleme zwischen den Riten betrifft, so bemüht sich der Heilige Stuhl, behilflich zu sein. Die Frage ist während geraumer Zeit studiert worden. Die verschiedenen Standpunkte wurden mit Aufrichtigkeit und tiefer Überzeugung vorgetragen. Die Abschlußphase dieser Studie wird sobald als möglich in Angriff genommen werden. Seid versichert, daß ich alles tun werde, was möglich ist, um eine gerechte und faire Beilegung des Problems zu gewährleisten, die alle pastoralen Erfordernisse von Einheit und Wahrheit berücksichtigen wird. Ich habe großes Vertrauen, daß die Entscheidung des Heiligen Stuhles die volle Unterstützung aller Bischöfe erfahren wird. 8. Liebe Brüder im Bischofsamt, es gibt noch viele Aspekte eures heiligen Dienstes, die ich gerne mit euch bedenken würde, aber es ist unmöglich, sie alle in diese Ansprache aufzunehmen. Noch einmal möchte ich jedoch die äußerste Wichtigkeit des Bußsakraments beim Vollzug der vom Zweiten Vatikanischen Konzil beabsichtigten Erneuerung der Kirche betonen. Die Kirche hat immer die Notwendigkeit von Buße und Reue für eine volle Teilhabe an der erlösenden Wirkung der Eucharistie, dem eigentlichen Mittel- und Höhepunkt allen sakramentalen Lebens, verkündet. Ich habe vom Beginn meines Pontifikats an die Notwendigkeit betont, besonderen Nachdruck auf die Wichtigkeit der Einzelbeichte zu legen. In meiner ersten Enzyklika führte ich aus: „Die Kirche verteidigt also, indem sie die jahrhundertealte Praxis des Bußsakramentes bewahrt — die Praxis der individuellen Beichte in Verbindung mit dem persönlichen Akt der Reue und dem Vorsatz, sich zu bessern und wiedergutzumachen — 333 REISEN das besondere Recht der menschlichen Seele. Es ist das Recht zu einer mehr persönlichen Begegnung des Menschen mit dem gekreuzigten Christus, der verzeiht“ (RH Nr. 20). Ich stelle zu meiner Freude die große Treue der Kirche in Indien diesbezüglich fest und bin sicher, daß mit eurer ständigen Ermutigung der Klerus, die Ordensleute und die Laien zunehmend von dem großen Schatz an Liebe, Vergebung und Versöhnung Gebrauch machen werden, den Christus seiner Kirche im Bußsakrament hinterlassen hat. 9. In besonderer Weise sind die Laien zur Mitarbeit in den Bereichen des kirchlichen Lebens aufgerufen, die die irdische Ordnung betreffen. Ihre Tätigkeitsbereiche umfassen Politik, soziale Probleme, Wirtschaft, Kultur, die Wissenschaften, die Künste, das Internationale Leben und die Massenmedien (vgl. EN 70). Bei ihrem Dienst an der Welt muß die Kirche zunehmend auf den Beitrag der Laien zählen. Bei der Hilfe für die Armen, bei der Ausrottung des Hungers und der Förderung der menschlichen Entwicklung, sozialer Reformen und des Friedens sind die Laien in besonderer Weise in der Lage, Aufgaben des Dienstes und der Führung zu übernehmen. Die volle Durchführung des Zweiten Vatikanischen Konzils ruft dazu auf, sich die Aufgabe der Laien bei der Erneuerung der irdischen Ordnung in Gerechtigkeit und Liebe immer mehr bewußt zu machen. „Wo immer Menschen leben, denen es an Speise und Trank, an Kleidung, Wohnung, Medikamenten, Arbeit, Unterweisung, notwendigen Mitteln zu einem menschenwürdigen Leben fehlt, wo Menschen von Drangsal und Krankheit gequält werden, Verbannung und Haft erdulden müssen, muß die christliche Hilfe sie suchen und finden, alle Sorgen für sie aufwenden, um sie zu trösten und mit tätiger Hilfe ihr Los zu erleichtern“ (AA 8). Selbstverständlich „muß man zuerst den Forderungen der Gerechtigkeit Genüge tun, und man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist“ (AA 8). Wenn die Kirche diesen Weg der Liebe und Gerechtigkeit auf allen Ebenen verfolgt, versucht sie damit nur, ihrer Berufung treu zu sein, nämlich der Welt im Namen Jesu einen Liebesdienst anzubieten. 10. Anläßlich meiner Pilgerreise nach Indien möchte ich der tiefen Bewunderung der Kirche für alle Ausdruck geben, die in diesem Land für das Evangelium Zeugnis abgelegt haben, für alle, die euch vorausgegangen sind, „bezeichnet mit dem Siegel des Glaubens“. Mit Gefühlen tiefer Dankbarkeit ehrt die Kirche die Generationen von Missionaren, die heroische Opfer vollbracht haben, um in dieses euer Land zu kommen. Sie 334 REISEN haben großzügig ihr Leben für das Evangelium und im Dienst an den Armen und Notleidenden hingegeben. Die Kirche bringt der Allerheiligsten Dreifaltigkeit Lobpreis und Anbetung dar für die Wunder, die vom offenbarten Wort Gottes in den Herzen von Millionen eurer Landsleute vollbracht wurden. Mein abschließendes Dankeswort gilt euch, den Hirten der Herde. Im Namen Jesu, des „obersten Hirten“ (2 Petr 5,4) und „Bischofs eurer Seelen“ (2 Petr 2,25), danke ich euch für eure Verkündigung von Gottes rettender Liebe. Ich danke auch allen euren Mitarbeitern bei der Verkündigung des Evangeliums: Jenen, die zusammen mit euch Verkünder der Frohbotschaft des Heiles, Diener der Armen, Boten des Friedens, Zeugen der Liebe, Bauleute der Einheit und Jünger Jesu Christi, des Sohnes Gottes und Erlösers der Welt, sind. Ich empfehle euch und euren Dienst der liebenden Sorge Mariens, der Mutter der Kirche, und bete, daß sie euch alle untestütze in Freude bis zum Tag Christi Jesu. Jesus spricht mit Autorität Predigt bei der Messe im Indira-Gandhi-Stadion in Neu-Delhi am 2. Februar 1. „Ihr Tore, hebt euch nach oben, hebt euch, ihr uralten Pforten; denn es kommt der König der Herrlichkeit!“ {Ps 24,7). Liebe Brüder und Schwestern in Christus! Diese Psalmworte aus der heutigen Liturgie richten sich an den antiken Tempel in Jerusalem. Die Tore dieses Tempels mußten weit geöffnet werden für den Einzug des Königs der Herrlichkeit. Am Fest der Darstellung des Herrn, das wir feiern, gedenken wir zum ersten Mal der Tatsache, daß der König der Herrlichkeit seinen Tempel in Jerusalem als menschgewordenes Wort betrat. Wir sind heute in der Hauptstadt Indiens versammelt, zu Füßen des höchsten Gebirges der Erde. Und wir richten bei dieser Gelegenheit das Wort des Psalmisten an einen anderen Tempel Gottes, jenen Tempel, der die ganze Welt ist, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Gott ist in dieser Welt gegenwärtig, und doch wünscht er, ihr noch näher zu kommen. So mögen die Gipfel des Himalayagebirges, „das Dach der Welt“, 335 REISEN sich beim Kommen des Herrn erheben. Mögen zugleich die Tore der uralten Kulturen, deren Wiege dieses Land ist, sich dem Herrn öffnen. Gott ist im innersten Herzen der menschlichen Kulturen gegenwärtig, weil er im Menschen gegenwärtig ist — im Menschen, der als sein Bild geschaffen und Baumeister der Kultur ist. Gott ist gegenwärtig in den Kulturen Indiens. Er war gegenwärtig in allen Menschen, die durch ihre Erfahrungen und Bestrebungen zur Gestaltung jener Werte, Bräuche, Institutionen und Kunstwerke beigetragen haben, die zum kulturellen Erbe dieses alten Landes gehören. Und der König der Herrlichkeit möchte in diese Kulturen immer voller eintreten: Er möchte in jedes menschliche Herz eintreten, das sich ihm öffnet: „Ihr Tore, hebt euch nach oben, hebt euch, ihr uralten Pforten; denn es kommt der König der Herrlichkeit!“ 2. Ja, am heutigen Fest der Darstellung zieht Gott in seinen Tempel ein als „der König der Herrlichkeit“. Aber, „wer ist der König der Herrlichkeit“ (Ps 24,8)? Das heutige Fest gibt uns Antwort. Schauen wir auf Maria und Josef, die ein Kind zum Tempel nach Jerusalem bringen. Es ist der 40. Tag nach seiner Geburt. Und sie stellen es im Tempel dar, um eine Vorschrift des Gesetzes zu erfüllen. Doch durch ihren Gehorsam wird weit mehr als das Gesetz erfüllt. Sämtliche alten Prophezeiungen werden hier erfüllt. Denn Maria und Josef bringen das „Licht aller Völker“ zum Tempel. Gott betritt den Tempel nicht als machtvoller Herrscher, sondern als kleines Kind auf den Armen seiner Mutter. Der König der Herrlichkeit veranstaltet hier keine Schau menschlicher Stärke und Macht, er kommt nicht unter Fanfarenstößen und viel Geräusch, er verbreitet weder Schrecken noch Zerstörung um sich. Er kommt in den Tempel so, wie er in die Welt kam, als Kind, in Schweigen und Armut, umgeben von Armen und Weisen. Gott kommt als kleines Kind - Gott der Schöpfer des Alls, der allmächtige Gott des Himmels und der Erde, der König der Herrlichkeit. Der erste Eintritt Gottes in den Tempel seines Volkes ist in das Geheimnis des Kleinen, der unter Schlichtheit und Hilflosigkeit verborgenen Kraft, gehüllt. Sein Kommen ist völlig im Geheimnis verborgen. <6> <6> Unerwartet steigt aber aus dem Innern des Geheimnisses eine Stimme. Der alte Simeon spricht, denn die Bibel sagt uns: „Der Heilige Geist ruhte auf ihm“ (Lk 2,25). Simeon spricht daher als Prophet. Und was er stammelt, ist erstaunlich. Er stimmt das Lob Gottes an und sagt: „Nun . . . 336 REISEN Herr . . . haben meine Augen das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2,29-32). Das sind überraschende Worte über ein Kind. Und doch entspricht die Prophezeiung Simeons der Wahrheit, und die Worte des Psalms sind erfüllt. Er, der den Tempel zu Jerusalem als Kind betreten hat, wird Licht und Heil für die ganze Welt werden, und ebenso, nämlich Licht und Heil bringend, kommt er als König der Herrlichkeit. 4. Aber wie wird dieser König sein „Reich der Herrlichkeit“ auf Erden errichten? Wie sollte Jesus, der in Bethlehem geboren wurde, Licht und Heil der Welt werden? Simeon beantwortet diese Frage, wenn er von „einem Zeichen des Widerspruchs“ {Lk 2,34) spricht. Diese Worte enthüllen den gesamten messianischen Weg Christi von seiner Geburt bis hin zu seinem Tod am Kreuz. Obwohl Jesus das Licht zur Erleuchtung aller Nationen ist, bleibt er doch in seiner eigenen Zeit und zu allen Zeiten zum Zeichen bestimmt, dem widersprochen wird, dem man sich widersetzt, einem Zeichen des Widerspruchs. Das gleiche galt für die Propheten Israels vor ihm. Es galt von Johannes dem Täufer, und es sollte von allen gelten, die ihm nachfolgen werden. Er tat große Zeichen und Wunder - er heilte die Kranken, vermehrte die Brotlaibe und die Fische, gebot den Stürmen und erweckte Tote zum Leben. Die Massen strömten von überallher zu ihm hin und hörten aufmerksam auf ihn, denn er sprach mit Autorität. Und doch traf er auf den erbitterten Widerstand derer, die ihm Geist und Herz nicht öffnen wollten. Der greifbarste Beweis dieses Widerspruchs liegt schließlich in seinem Leiden und Tod am Kreuz. Die Verheißung des Simeon erwies sich als wahr. Sie galt vom Leben Jesu, und sie gilt vom Leben derer, die -ihm in jedem Land und zu allen Zeiten nachfolgen. 5. Damit wird das Kreuz zum Licht; das Kreuz wird Heil. Ist dies nicht die wahre Frohbotschaft für die Armen und alle, die die Bitterkeit des Leidens verkostet haben? Hier in Indien und an zahlreichen anderen Orten der Welt gibt es Millionen von Armen, die am Kreuz Christi teilhaben, weil Christus am Kreuz sämtliche Kreuze der Welt auf sich genommen hat. Denken wir an das Kreuz des Hungers, durch das zahllose Männer, Frauen und Kinder das „tägliche Brot“ entbehren müssen und die Herzen der Eltern voll Angst und Sorge sind, wenn sie ihre Kinder Hunger leiden oder sogar im Kindesalter sterben sehen. So viele andere 337 REISEN leben in Armut und Not, wenn sie Opfer einer Krankheit geworden sind und machtlos oder gar verzweifelt dastehen. Und doch kann das Kreuz der Armut, das Kreuz des Hungers und das Kreuz jedes sonstigen Leidens verwandelt werden, weil das Kreuz Christi in unserer Welt zum Licht geworden ist, ein Licht der Hoffnung und des Heils. Es gibt allem menschlichen Leid seinen Sinn. Es bringt die Verheißung des ewigen Lebens ohne Leid und Sünde mit sich. Auf das Kreuz folgte nämlich die Auferstehung, und der Tod wurde vom Leben besiegt. Alle aber, die mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn verbunden sind, können auch die Teilhabe am gleichen Sieg erwarten. Das Kreuz Christi brachte uns Freiheit von der Sklaverei der Sünde und des Todes. Diese Freiheit und Befreiung ist so fundamental und umfassend, daß sie nach Freiheit auch von allen anderen Formen der Sklaverei ruft, die mit dem Kommen der Sünde in diese Welt verbunden sind. Diese Befreiung fordert den Kampf gegen die Armut. Von allen aber, die zu Christus gehören, verlangt sie das beharrliche Bemühen, die Leiden der Armen zu mildern. Daher schließt die Sendung der Kirche zur Evangelisierung das energische und beharrliche Eintreten für Gerechtigkeit, Frieden und ganzheitliche Entwicklung des Menschen ein. Diesen Aufgaben sich zu verweigern, wäre Betrug am Werk der Evangelisierung, Untreue gegenüber dem Beispiel Jesu, der kam, „um den Armen die Frohbotschaft zu verkünden“ (Lk 4,18). Es würde tatsächlich eine Zurückweisung der Folgen der Menschwerdung bedeuten, bei der „das Wort Fleisch wurde“ (Joh 1,14). 6. Die Kirche hat in Indien viele Jahre hindurch einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Landes und zur Erleichterung des Problems der Armut geleistet. Die Arbeit von Mutter Teresa von Kalkutta und vieler ariderer bietet ein beredtes Zeugnis für diesen Beitrag, ebenso die eindrucksvollen Leistungen zahlreicher katholischer Institute für Bildung, Gesundheitsfürsorge und soziale Dienste. Gleichzeitig haben die Christen hier und im Ausland das Bemühen jener vielen anderen begrüßt, die die Last des Elends erleichtert und Haltungen und Strukturen überwunden haben, durch die Millionen in Armut versklavt wurden. Wir denken an den gewaltigen Beitrag von Mahatma Gandhi, der soziale Schranken und Trennungen niederringen half und eine neue Zeit der Einheit und des Fortschritts möglich machte. „Wir sind alle gleich. Die Berührung mit Sünde beschmutzt uns, niemals aber die Berührung eines Menschen. Niemand steht hoch oder niedrig für den, der mit seinem Leben dienen will“ (Mahadev Desai, The Diary of Mahadev 338 REISEN Desai, Ahmadabad, 1953, 286 f., vol. I YeravdaPrison, 14. August 1932). Dieser Mann steht da als Symbol für die höchsten Qualitäten und Werte des indischen Volkes und wird in allen Ländern der Welt bewundert. Rabindranath Tagore half ebenfalls mit, den Geist des modernen Indien zu prägen. Er schätzte die Wichtigkeit der Technik und des materiellen Fortschritts, half euch aber zugleich, den Primat der geistlichen Werte hochzuhalten. 7. Man könnte noch viele andere erwähnen, die eine wichtige Rolle bei der Aufrichtung der Armen gespielt haben, die ihr ins Herz geschlossen habt und die in zahlreichen Fällen in der ganzen Welt geachtet und bewundert werden. Das edle Bemühen dieser bedeutenden Männer und Frauen Indiens, das zugleich die soziale Befreiung und die ganzheitliche menschliche Entwicklung fördern wollte, steht in Einklang mit dem Geist des Evangeliums. Wer immer die Würde und Freiheit seiner Brüder und Schwestern gefördert hat, steht gesegnet da in den Augen Christi, des Königs der Herrlichkeit. Durch ihren Einsatz haben diese Menschen zum Aufbau einer Gesellschaft im Zeichen der Liebe beigetragen, wo die Reichen willig mit den Armen teilen, die Armen aber ohne Hunger und Not leben können, wo jeder sich klar wird: „Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt!“ {Mt 4,4). 8. Diese Gesellschaft ist aber noch nicht voll da, und zahlreiche Hindernisse blockieren ihre gänzliche Verwirklichung. Am heutigen Fest der Darstellung des Herrn müssen wir bei der Betrachtung des Kommens des Herrn in seinen Tempel die Worte des Propheten Maleachi aus der ersten Lesung der heutigen Liturgie bedenken: „Dann kommt plötzlich zu seinem Tempel der Herr, den ihr sucht. . . Doch wer erträgt den Tag, an dem er kommt? Wer kann bestehen, wenn er erscheint?. . . Denn er ist wie das Feuer im Schmelzofen und wie die Lauge im Waschtrog. Er setzt sich, um das Silber zu schmelzen und zu reinigen“ {Mal 3,1-3). So viele Probleme des sozialen Lebens in Indien und über die Welt hin bedürfen der Läuterung und Reinigung. Einzelne und Gruppen brauchen Heilung und Versöhnung. Unwissenheit und Vorurteile müssen durch Toleranz und Verständnis ersetzt werden. Gleichgültigkeit und Klassenkampf müssen zu Brüderlichkeit und engagiertem Dienst werden. Diskriminierung aufgrund von Rasse, Farbe, Glauben, Geschlecht oder ethnischer Herkunft sind als völlig mit der Menschenwürde unvereinbar abzulehnen. Ja, der Herr wird kommen, um unsere Geister und Herzen zu 339 REISEN reinigen und unsere Motive zu läutern. Wir wollen ihn freudig willkommen heißen und die Gnade der Bekehrung von ihm annehmen. 9. Ehrwürdige Brüder, liebe Brüder und Schwestern, bischöfliche Brüder, Priester, Ordensleute und Laien aus den Erzdiözesen Delhi und Agra, aus den Diözesen Ajmer und Jaipur, Allahabad, Bijnor, Gorakhpur Jhansi, Jullundur, Lucknow, Meerut, Simla und Chandigarh, Udaipur und Varanasi, aus den Apostolischen Präfekturen Jammu und Kaschmir sowie aus dem Königreich Nepal: Heute, am Fest der Darstellung des Herrn, erheben sich die Gipfel der höchsten Berge der Erde. Die Pforten der ältesten Kulturen der Erde sind geöffnet. Heißt den willkommen, den uns Maria und Josef im Geheimnis der Liturgie des Tages herbeibringen. Er ist „ein Zeichen des Widerspruchs“. Er ist aber auch das „Licht der Erleuchtung der Heiden“. Er ist das „Licht der Welt“: - durch seine Geburt in Armut in der Nacht von Betlehem, - durch das Evangelium der acht Seligpreisungen, - durch sein Kreuz und die Auferstehung. Wirklich wurde er uns, seinen Brüdern und Schwestern, gleich. Er wurde den Söhnen und Töchtern dieses uralten Landes gleich. „Da er selbst in Versuchung geführt wurde und gelitten hat, kann er denen helfen, die in Versuchung geführt werden“ (Hebr 2,18). Er kann uns allen helfen. Er sorgt sich auch um alle, wie er für alle Nachkommen Abrahams Sorge trägt. Er trägt endlich Sorge für uns durch das Herz seiner Mutter Maria. Am Fuß des Kreuzes wurde das Herz seiner Mutter „durchbohrt. . ., damit die Gedanken vieler Menschen offenbar werden“ (Lk 2,35). Jesus Christus ist das Licht, das die Gedanken unserer Herzen offenbart. Jesus Christus ist die Wahrheit, die frei macht. Wir wollen ihn willkommen heißen. Wir wollen ihn willkommen heißen in Glauben und Liebe. Amen. 340 REISEN Das Ewige Wort ist Mensch geworden Angelus in Neu-Delhi am 2. Februar Auf der ganzen Welt, in Häusern und Kirchen, in Klöstern und Seminaren, auf dem Land und in den Städten, bei der Arbeit oder in der Ruhe halten viele Christen zu Mittag inne, um den „Engel des Herrn“ zu beten, um Geist und Herz für wenige Augenblicke zum Herrn zu erheben und mit der Gottesmutter für das Geheimnis der Menschwerdung zu danken. „Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft, und sie empfing vom Heiligen Geist.“ Maria empfing den ewigen Sohn Gottes. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Über dieses große Geheimnis denken wir jeden Tag beim Angelusgebet nach: Gott ist Mensch geworden im Schoß Mariens. Durch dieses große Geheimnis wurde das gesamte Menschenleben verwandelt. Das Menschsein erhielt eine neue Würde. Gott ist uns in allem außer der Sünde gleich geworden, so daß wir mit Gott eins werden konnten. In dem Augenblick, wo Maria ja sagte - „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ -, kam Gott auf die Erde herab, und das Leben jedes Mannes und jeder Frau wurde erhöht. Wir Menschen wurden dadurch, daß Gott sich uns näherte, Gott nähergebracht. Aber nicht nur das — wir wurden auch einander nähergebracht. Das Ewige Wort, der Sohn Gottes, ist Mensch und unser leibhaftiger Bruder geworden. Infolgedessen sind wir als Brüder und Schwestern im Herrn eng miteinander verbunden. In der Menschwerdung Gottes wurde jeder Mann unser Brüder und jede Frau unsere Schwester. Darum schreibt der hl. Johannes: „Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, aber seinen Bruder haßt, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht. Und dieses Gebot haben wir von ihm: Wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder heben“ (7 Joh 4,20 f.). Vereinen wir uns bei diesem Angelusgebet mit Maria, unserer Mutter, indem wir Gott für die Menschwerdung lobpreisen, und bitten wir unseren himmlischen Vater um die Gnade, alle unsere Brüder und Schwestern zu lieben, wie Christus uns geliebt hat. 341 REISEN Der Mensch im Mittelpunkt von Gottes Plan Ansprache bei der Begegnung mit den Repräsentanten des religiösen, kulturellen, sozio-ökonomischen und politischen Lebens Indiens im Indira-Gandhi-Stadion in Neu-Delhi am 2. Februar Liebe Freunde! 1. Es ist eine Freude für mich, daß meine Pilgerfahrt nach Indien mich nach Delhi geführt hat und wiederum in das Indira-Gandhi-Stadion. Hier erfahren wir gemeinsam in einem religiösen und kulturellen Rahmen die Realität, die der Mensch in Ihrem ausgedehnten und bezaubernden Land darstellt. Sie sind die Vertreter und Führer auf verschiedenen Gebieten des menschlichen Lebens und Strebens. Ihnen allen gelten mein freundschaftlicher Gruß, meine Achtung und brüderliche Liebe. Allen, die diese Begegnung ermöglicht haben, möchte ich meinen Dank aussprechen. Ganz besonders freut es mich, daß so viele junge Menschen kommen konnten. Sehr dankbar bin ich denen, die verschiedenen Religionen angehören und die mich so herzlich willkommen geheißen und ihre tiefschürfenden Gedanken zusammen mit ihren aufrichtigen Hoffnungen für Indien und die Welt vorgelegt haben. Uns alle führt diese Erfahrung zu einer tiefen Reflexion über diese Realität des Menschen, die wir wahrnehmen und in die wir eingegliedert sind. In Indien bietet uns diese Realität zweifellos eine spirituelle Auffassung zum Menschen. Ich glaube, daß diese spirituelle Auffassung für das Volk Indiens und für seine Zukunft von größter Bedeutung ist; sie sagt viel über ihre Werte, ihre Hoffnungen, ihre Bestrebungen und ihre menschliche Würde aus. Ich glaube, daß eine spirituelle Auffassung vom Menschen für die gesamte Menschheit von größter Bedeutung ist. Wenn sie die spirituellen Werte betont, ist die Welt fähig, eine neue Haltung sich selbst gegenüber einzunehmen — eine neue Haltung, die jedoch in hohem Maß auf den jahrhundertelang aufrechterhaltenen ethischen Werten beruht, von denen viele in diesem alten Land anzutreffen sind. Diese Werte schließen den Geist brüderlicher Liebe und hingebungsvollen Dienstes ein, Vergebung, Opferbereitschaft und Verzicht, Reue und Buße für moralische Fehltritte sowie Beharrlichkeit und Geduld. <7> <7> Im Lauf der Zeit wird es offensichtlich, daß man immer wieder zum zentralen Wert der Welt zurückkehren muß, der der Mensch ist: der Mensch als Geschöpf und Kind Gottes; der Mensch, der in seinem Herzen 342 REISEN und seiner Seele das Abbild Gottes trägt; der Mensch, der dazu bestimmt und berufen ist, ewig zu leben. Derjenige, der heute zu Ihnen spricht, ist davon überzeugt, daß die katholische Kirche den Weg des Menschen gehen muß, wenn sie sich selbst treu bleiben will. In meiner ersten Enzyklika stellte ich fest: „Der Mensch in der vollen Wahrheit seiner Existenz, seines persönlichen und zugleich gemeinschaftsbezogenen und sozialen Seins - im Bereich der eigenen Familie, auf der Ebene der Gesellschaft und so vieler verschiedener Umgebungen, auf dem Gebiet der eigenen Nation und des eigenen Volkes, . . . schließlich auch im Bereich der gesamten Menschheit, -dieser Mensch ist der erste Weg, den die Kirche bei der Erfüllung ihres Auftrages beschreiten muß“ (RH 14). Und mit gleicher Überzeugung möchte ich feststellen, daß der Mensch der erste Weg ist, den die gesamte Menschheit beschreiten muß - wobei der Mensch immer der in der „vollen Wahrheit seiner Existenz“ sein muß. 3. Indien hat der Welt so viel zu bieten, gerade was die Aufgabe des Verstehens des Menschen und der Wahrheit seiner Existenz betrifft. Was Indien insbesondere bietet, ist eine vornehme spirituelle Auffassung vom Menschen - der Mensch, ein Pilger des Absoluten, der einem Ziel entgegengeht und das Antlitz Gottes sucht. Drückte sich nicht Mahatma Gandhi folgendermaßen aus: „Was ich erzielen möchte - wonach ich gestrebt und was zu erreichen ich mich gesehnt habe ... ist die Selbstverwirklichung - Gott von Angesicht zu Angesicht schauen. Ich lebe und bewege mich und habe mein Sein in der Verfolgung dieses Ziels“ (Autobiographie, 4f.). Auf der Richtigkeit dieser spirituellen Auffassung gründet der Schutz des Menschen in seinem täglichen Leben. Mit dieser spirituellen Auffassung vom Menschen sind wir in der Lage, den konkreten Problemen gegenüberzutreten, die den Menschen berühren, seine Seele ängstigen und seinen Leib plagen. Dieser Auffassung entspringt der Antrieb, für die Verbesserung der Lebensbedingungen des Menschen zu kämpfen und unaufhaltsam um seine ganzheitliche menschliche Entwicklung bemüht zu sein. Ihr entspringt die Kraft, dieses Ziel ausdauernd zu verfolgen, und gleichzeitig die erforderliche Klarheit des Denkens, wenn es sich um das Auffinden konkreter Lösungen für die Probleme des Menschen handelt. Eine spirituelle Auffassung vom Menschen ist der Ursprung der Inspiration, nach Hilfe zu suchen und die Mitarbeit bei der Förderung des wahren Wohls der Menschheit auf allen Ebenen anzubieten. Ja, dieser spirituellen Auf- 343 REISEN fassung entspringt der unbezähmbare Wille, für den Menschen - für jeden Menschen - den ihm zustehenden Platz in der Welt zu erobern. Trotz aller mächtigen Kräfte der Armut und der Unterdrückung, des Bösen und der Sünde in all ihren Formen wird die Macht der Wahrheit den Sieg davontragen - die Macht der Wahrheit über Gott und den Menschen. Sie wird den Sieg davontragen, weil sie unbesiegbar ist. „Satyam eva jayate - Nur die Wahrheit triumphiert“, lautet der Wahlspruch Indiens. 4. Die volle Wahrheit über den Menschen stellt ein ganzes Programm für weltweiten Einsatz und weltweite Zusammenarbeit dar. Mein Vorgänger Paul VI. kam immer wieder auf den Begriff der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung zurück, weil er auf der Wahrheit vom Menschen beruht. Er schlug ihn als den einzigen Weg vor, der jederzeit zum wahren Fortschritt des Menschen führen könnte, ganz besonders aber in diesem historischen Augenblick. Insbesondere erblickte Paul VI. in der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung eine Bedingung zur Erreichung jenes großen und allumfassenden Gutes, das der Frieden ist. Tatsächlich stellte er fest, daß Entwicklung „der neue Name für Frieden“ ist (Populorum progressio, 87). Will man eine ganzheitliche menschliche Entwicklung erreichen, so muß man für das Größte und Vornehmste im Menschen eintreten: man muß über sein Wesen, sein Leben und seine Bestimmung nachdenken. Mit einem Wort, die ganzheitliche menschliche Entwicklung erfordert eine spirituelle Auffassung vom Menschen. Wenn wir den Fortschritt des Menschen fördern wollen, müssen wir herausfinden, was seinem Gesamtwohl entgegensteht und ihm widerspricht und was seinem Leben schadet; wir müssen herausfinden, was sein Leben verletzt, schwächt oder zerstört, was die Menschenwürde bedroht und den Menschen daran hindert, zur Wahrheit zu gelangen oder der Wahrheit gemäß zu leben. Das Streben nach ganzheitlicher menschlicher Entwicklung ist eine Einladung für die Welt, über die Kultur nachzudenken und sie in ihrer Beziehung zur letzten Bestimmung des Menschen zu sehen. Die Kultur ist nicht nur ein Ausdruck des zeitlichen Lebens des Menschen, sondern eine Hilfe zur Erreichung seines ewigen Lebens. Bei all dem kommt der Sendung Indiens eine entscheidende Bedeutung zu, hat doch Indien ein Gespür für die spirituelle Natur des Menschen. Tatsächlich kann es Indiens größtes Geschenk für die Welt sein, ihr eine spirituelle Auffassung vom Menschen anzubieten. Die Welt wird gut 344 REISEN daran tun, wohlwollend diese alte Weisheit anzunehmen und in ihr eine Bereicherung für das menschliche Leben zu finden. 5. Die Erreichung der ganzheitlichen Entwicklung für die Menschheit stellt an jeden einzelnen Forderungen. Sie erfordert ein radikales Offensein den anderen gegenüber, und die Völker sind eher bereit, einander gegenüber offen zu sein, wenn sie ihr eigenes spirituelles Wesen und das des Nachbarn verstehen. Das Zweite Vatikanische Konzil nahm in unserer Welt die „Geburt eines neuen Humanismus (wahr), in dem der Mensch vor allem durch die Verantwortung für seine Brüder und Schwestern und für die Geschichte bestimmt wird“ (GS 55). So ist es offensichtlich, daß in dieser Welt kein Platz für die „menschliche Unmenschlichkeit dem Menschen gegenüber“ ist. Die Selbstsucht ist ein Widerspruch. Seinem Wesen nach ist der Mensch dazu berufen, sein Herz in Liebe für seinen Nächsten zu öffnen, da er von Gott geliebt wurde. In der christlichen Tradition, wie sie Johannes zum Ausdruck bringt, lesen wir: „Liebe Brüder, wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben . . . wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollendet“ (1 Joh 4,llf.). Der Aufbau einer neuen Welt erfordert von jedem Menschen etwas zutiefst Persönliches. Die Erneuerung der Welt in all ihren sozialen Beziehungen beginnt im Herzen jedes einzelnen. Sie erfordert innere Erneuerung und Buße. Sie erfordert eine Läuterung des Herzens und eine echte Hinwendung zu Gott, Und was zutiefst persönlich ist, ist in höchstem Maß sozial, denn „der Mensch wird vor allem durch die Verantwortung für seine Brüder und Schwestern . .. bestimmt“. Den Christen ist die Tatsache teuer, daß Jesus, als er seine Jünger beten lehrte, ihnen sagte, sie sollten sich an Gott mit der Anrede „Vater unser“ wenden. Während ich meine eigenen Überzeugungen zum Ausdruck bringe, ist es mir bewußt, daß vieles, was ich sage, mit der alten Weisheit dieses Landes im Einklang steht. In dieser Weisheit finden wir heute eine alte und immer wieder neue Grundlage für die brüderliche Solidarität in der Sache des Menschen und daher letztlich im Dienst Gottes. Die spirituelle Auffassung vom Menschen, die Indien der Welt mitteilt, ist die Auffassung vom Menschen, der das Antlitz Gottes sucht. Die von Mahatma Gandhi für sein eigenes geistliches Suchen verwendeten Worte geben die vom hl. Paulus zitierten Worte wieder, mit denen er erklärt, daß Gott nicht fern von uns allen ist: „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,28). 345 REISEN 6. Die Religion richtet unser Leben ganz auf Gott aus; gleichzeitig muß unser Leben ganz von unserer Beziehung zu Gott durchdrungen sein - so, daß unsere Religion unser Leben wird. Die Religion sorgt sich um die Menschheit und um alles, was zur Menschheit gehört, und gleichzeitig lenkt sie alles, was in uns menschlich ist, zu Gott hin. Ich möchte wiederholen, was ich zu Beginn meines Pontifikats schrieb: „Die Kirche, die aus einem eschatologischen Glauben lebt, betrachtet diese Besorgnis des Menschen um seine Menschlichkeit, um die Zukunft der Menschen auf Erden und damit auch um die Richtung von Entwicklung und Fortschritt als ein wesentliches Element ihrer Sendung, das hiervon nicht getrennt werden darf“ (RH 15). Da die Religion um die Förderung des Reiches Gottes in dieser Welt bemüht ist, strebt sie danach, der ganzen Gesellschaft zu helfen und die transzendente Bestimmung des Menschen zu fördern. Gleichzeitig lehrt sie ihre Anhänger eine tiefe persönliche Sorge um den Nächsten und bürgerliche Verantwortung für die Gemeinschaft. Der Apostel Johannes richtet an die erste christliche Gemeinschaft eine Aufforderung, die für alle religiösen Völker gilt, wo immer sie auch leben mögen: „Wenn jemand Vermögen hat und sein Herz vor dem Bruder verschließt, den er in Not sieht, wie kann die Gottesliebe in ihm bleiben?“ (lJoh 3,17). 7. In der heutigen Welt ist eine Zusammenarbeit aller Religionen erforderlich, um der Sache der Menschheit zu dienen, und zwar vom Standpunkt der spirituellen Natur des Menschen aus. Heute finden wir uns als Hindus, Muslime, Sikhs, Buddhisten, Jains, Parsen und Christen in brüderlicher Liebe zusammen, um dies durch eure Gegenwart zu bekräftigen. Wenn wir die Wahrheit über den Menschen verkünden, bestehen wir darauf, daß das Streben des Menschen nach zeitlichem und sozialem Wohlstand und nach voller Menschenwürde dem tiefen Sehnen seiner spirituellen Natur entspricht. Die Arbeit, die auf die Erreichung und Bewahrung aller menschlichen Rechte - einschließlich des grundlegenden Rechtes auf eine Gottesverehrung nach den Gesetzen des Gewissens und auf äußerliche Kundgabe des Glaubens - abzielt, muß mehr und mehr zum Gegenstand der interreligiösen Zusammenarbeit auf allen Ebenen werden. Diese interreligiöse Zusammenarbeit muß auch dem Kampf gegen Hunger, Elend, Unwissenheit, Verfolgung, Diskriminierung und gegen jede Form von Versklavung des menschlichen Geistes gelten. Die Religion ist die Triebkraft der Gesellschaft für die Gerechtigkeit, und die interreligiöse Zusammenarbeit muß dies in der Praxis neuerlich bestätigen. 346 REISEN 8. Alle Bemühungen um die Sache des Menschen sind an eine besondere Auffassung vom Menschen gebunden, und alle tatsächlichen und vollständigen Bemühungen erfordern eine spirituelle Auffassung vom Menschen. Mit Paul VI. wiederhole ich die Überzeugung, daß „nur jener Humanismus . . . der wahre (ist), der sich zum Absoluten hin öffnet, in Dank für eine Berufung, die die richtige Auffassung vom menschlichen Leben schenkt. Der Mensch . . . ist nur so viel Mensch, als er . . . den Menschen unendlich übersteigt“ (Populorum progressio 42). Der verstorbene indische Präsident Dr. Radhakrishnan hatte recht, als er sagte: „Nur eine moralische und spirituelle Revolution im Namen der menschlichen Würde kann den Menschen über die Götzen der wirtschaftlichen Produktion, der technischen Organisation, der rassischen Diskriminierung und des nationalen Eigendünkels stellen“ ( The Present Crisis of Faith, Delhi 1983, 14). Weiter heißt es: „Die neue Welt des Friedens, der Freiheit und der Sicherheit für alle kann nur von jenen verwirklicht werden, die von hohen geistlichen Idealen motiviert sind“ {The Present Crisis of Faith, a. a. O., 104). Die Weisheit Indiens wird durch ihr Zeugnis für die Tatsache, daß die Versuchung des Wohlstandes nicht der letzte Zweck des Lebens ist, der Welt einen unschätzbaren Dienst leisten. Die wahre Befreiung des Menschen wird nur dann zustande kommen, wenn auch all das überwunden wird, was sich seiner Würde entgegenstellt; wenn die spirituelle Auffassung vom Menschen geachtet und hochgehalten wird. Nur in diesem Rahmen kann die Welt entsprechend den zahlreichen Problemen der Gerechtigkeit, des Friedens und der ganzheitlichen Entwicklung gegenübertreten, die dringend eine Lösung erfordern. In diesem Rahmen der Wahrheit über den Menschen wird auch die Heiligkeit Gottes in der Geradheit und Rechtschaffenheit der menschlichen Beziehungen auf sozialem, politischem, kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet zum Ausdruck kommen. 9. Dies ist der Humanismus, der uns heute verbindet und zu brüderlicher Zusammenarbeit einlädt. Dies ist der Humanismus, den wir allen heute hier anwesenden Jugendlichen und auch allen Jugendlichen der Welt anbieten. Dies ist der Humanismus, zu dem Indien einen unvergänglichen Beitrag leisten kann. Was hier auf dem Spiel steht, ist das Wohl der gesamten menschlichen Gesellschaft - der Aufbau einer indischen Stadt, die bereits ein Urbild der ewigen ist und in ihren Anfängen jene Elemente einschließt, die für immer einen Teil der ewigen Bestimmung des Menschen bilden werden. 347 REISEN Der Prophet Jesaja bietet uns eine Schau dieser Wirklichkeit: „Ich setze den Frieden als Aufsicht über dich ein und die Gerechtigkeit als deinen Vogt.' Man hört nichts mehr von Unrecht in deinem Land, von Verheerung und Zerstörung in deinem Gebiet. Deine Mauern nennst du ,Rettung1 und deine Tore ,Ruhm‘. Bei Tag wird nicht mehr die Sonne dein Licht sein, und um die Nacht zu erhellen, scheint dir nicht mehr der Mond, sondern der Herr ist dein ewiges Licht, dein Gott dein strahlender Glanz“ (Jes 60,17-19). Wie immer wir unsere spirituelle Auffassung vom Menschen beschreiben, wir wissen, daß er im Mittelpunkt des Planes Gottes steht. Und eben zur Arbeit für die Menschen sind wir alle berufen - zur mühevollen Arbeit für seine Förderung, seinen Fortschritt und seine ganzheitliche menschliche Entwicklung. Ein Geschöpf und Kind Gottes ist der Mensch, heute und immer; er ist der Weg der Menschheit - der Mensch ist die volle Wahrheit seines Daseins! Gerechter Lohn für alle, die arbeiten Predigt bei der Messe mit Arbeitern in Ranchi am 3. Februar „Ehe die Berge geboren wurden, die Erde entstand und das Weltall, bist du, o Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Ps 90,2). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Gemeinsam mit euch allen möchte ich Gott, den Schöpfer, anbeten: Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Ich möchte ihn auf indischem Boden anbeten. Ich möchte ihn hier, in diesem weiten Land anbeten, das von den Himalayariesen im Norden bis zur Malabar- und Coromandelküste im Süden reicht. Ich möchte den Schöpfer hier in Ranchi anbeten, zusammen mit euch allen, den Bewohnern von Bihar, Orissa und Madhya Pradesh, von den Andamanen und Nicobaren und schließlich aus dem Königreich Nepal. In besonderer Weise preise und rühme ich Gott mit den vielen Millionen Arbeitern in Indien: mit jedem Mann und mit jeder Frau, die auf den Feldern, in den Bergwerken und Fabriken, in Büros und daheim arbeiten, in den entlege- 348 REISEN nen Dörfern ebenso wie in den städtischen Zentren. Bei dieser Eucharistiefeier in Ranchi vereinen wir unsere Stimmen und Herzen, um unseren Gott anzubeten, der weder Anfang noch Ende hat. 2. Der Psalmist verkündet die Ewigkeit Gottes, wenn er singt: „Tausend Jahre sind für dich wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht“ (Ps 90,4). Gott ist ewig, er ist die Ewigkeit selbst. Und doch bleibt er nicht fern von uns oder unzugänglich für uns. Er ist der Schöpfer der Welt: von ihm nahm alles seinen Anfang. Er ist der Schöpfer des Menschen. Und zu uns sterblichen Menschen, die wir in unseren Leibern zur Verwesung bestimmt sind, spricht Gott die Worte: „Kehrt zurück, ihr Menschenkinder“ (Ps 90,3). Und doch lädt Gott jede Person, die er als sein Bild und Gleichnis geschaffen hat, ein, Anteil zu gewinnen an seinem Leben, seiner Weisheit und Ewigkeit. Daher ist jeder Mensch, Mann wie Frau, Pilger auf dieser Erde - ein Pilger des Absoluten, ein Pilger auf der Suche nach dem Absoluten! Und jeder ist gerufen. Wir alle sind Pilger, Glieder des Volkes Gottes, die der Schöpfer und Vater zu seiner eigenen Heiligkeit hinführt. Er führt uns zu sich durch die Erfahrungen und Prüfungen des jetzigen Lebens. 3. Um uns den Weg des Lebens zu lehren, der zur Vereinigung mit Gott führt, hat der Vater uns seinen Sohn geschenkt. Er hat ihn zum Eckstein gemacht, so daß wir dem Heil entgegenwachsen können (vgl. 1 Petr 2,6-8). Denn in ihm, in Jesus Christus, werden auch wir zu lebendigen Steinen, „zu einem geistigen Haus auf erbaut, zu einer heiligen Priesterschaft, um . . . geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen“ (1 Petr 2,5). Diese geistlichen Opfer sind mit allem verbunden, was unser Leben ausmacht, in besonderer Weise mit der menschlichen Arbeit, denn Arbeit ist eine Grunddimension menschlichen Lebens auf Erden. 4. Heute möchte ich mit euch über Wert und Würde der menschlichen Arbeit nachdenken. Jesus Christus war der Sohn eines Zimmermanns. Den größten Teil seines Lebens übte er das gleiche Handwerk aus wie sein Pflegevater Josef. In dem er arbeitete, verkündete Jesus in den gewöhnlichen Verrichtungen seines täglichen Lebens die Würde der Arbeit. Alle menschliche Arbeit ist Teilhabe an der Tätigkeit des Schöpfers selbst. Ob wir in einer Fabrik oder in einem Büro, in einem Krankenhaus oder auf den Feldern, als Rikschafahrer oder als Familienmutter daheim arbeiten - 349 REISEN was immer wir tun wir nehmen dabei teil am Schöpfungswerk Gottes. Dies verleiht aller Arbeit Bedeutung und Wert. „Die Grundlage zur Bewertung menschlicher Arbeit ist nicht in erster Linie die Art der geleisteten Arbeit, sondern die Tatsache, daß der, der sie verrichtet, Person ist“ (Laborem exercens, 6). Daraus folgt, daß alle menschliche Arbeit, wie niedrig sie auch erscheinen mag, voll geachtet, geschützt und gerecht entlohnt werden muß, so daß die Familien und auch die ganze Gemeinschaft in Frieden, Wohlstand und Fortschritt leben können. 5. Arbeit bringt Freude und Erfüllung mit sich, zu ihr gehören aber auch Last und Mühe. Erfüllung und Freude kommen von der Tatsache her, daß menschliche Arbeit Mann und Frau die Möglichkeit bietet, jene Herrschaft über die Erde auszuüben, die Gott ihnen auf getragen hat (vgl. Gen 1,26-28). Denn Gott sprach zu den ersten Menschen: „Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen“ (Gen 1,28). Mag sein, daß die Arbeit, die wir verrichten, nicht jene Art von Arbeit ist, die wir am liebsten täten, sie kann gefährlich sein wie jene tief in den Bergwerken. Unsere Arbeit mag schwer, eintönig und erschöpfend sein. Das gehört zu unserem menschlichen Los. In der Bibel steht geschrieben, daß der Mensch aufgrund seines Ungehorsams sein Brot im Schweiß seines Angesichts erwerben und das Land, das er bebaut, nicht leicht für ihn Frucht bringen wird (vgl. Gen 3,16-19). Und doch bleiben für einen Arbeiter, der sein Vertrauen auf Gott setzt, Last und Mühe der Arbeit mit der Freude verbunden, da man weiß, man arbeitet mit dem Schöpfer zusammen. 6. Für die Christen unter uns ist Jesus das vollkommene Beispiel, das unsere Arbeit anregt. Blieb Jesus doch bei seiner Arbeit tief mit seinem himmlischen Vater vereint. Wir sollten daher sorgfältig bedenken, daß Jesus während seiner vielen Lebensjahre in Nazaret seine tägliche Arbeit treu verrichtet hat. Dies ist ein gewaltiges Beispiel für uns alle. Das Zeugnis Jesu in seiner Arbeit als Zimmermann erfüllt uns mit Freude und ermutigt uns, in unserem bescheidenen Dienst für die Menschheit auszuhalten. Liebe Brüder und Schwestern in Christus, wir dürfen ferner nie vergessen, warum Jesus in diese Welt kam. Er kam, um das Heilswerk zu erfüllen. Und wie erfüllte er es? Durch sein Leiden und den Tod am Kreuz und durch den Sieg seiner glorreichen Auferstehung. Alle menschliche Arbeit, 350 REISEN wie unbedeutend auch immer sie erscheinen mag, hat teil an diesem Heilswerk. In meiner Enzyklika über die menschliche Arbeit habe ich ausgeführt: „Indem der Mensch die Mühsal der Arbeit in Einheit mit dem für uns gekreuzigten Herrn erträgt, wirkt er mit dem Gottessohn an der Erlösung der Menschheit auf seine Weise mit. Er erweist sich als wahrer Jünger Christi, wenn auch er Tag für Tag bei der ihm aufgegebenen Lästigkeit sein Kreuz auf sich nimmt“ (Laborem exercens, 27). 7. Weil die Kirche dem Beispiel und Zeugnis Christi treu sein möchte, trägt sie besondere Sorge für das Wohlergehen der Arbeiter. Die wohl-bekannten Enzykliken der Päpste, beginnend mit Herum novarum von Leo XIII., haben beständig das Recht der Arbeiter auf gerechten Lohn und entsprechende Arbeitsbedingungen verteidigt. Die Lehre der Kirche gründet sich dabei auf den Grundsatz, daß jede menschliche Person als Bild Gottes geschaffen ist und eine einzigartige gottgegebene Würde besitzt. Daher darf niemand als bloßes Produktionsmittel benutzt werden, als ob die Person eine Maschine oder ein Lasttier wäre. Die Kirche lehnt jedes soziale oder wirtschaftliche System ab, das zur Entpersönlichung von Arbeitern führt. Uber ihren Einsatz für entsprechende Arbeitsbedingungen hinaus fordert die Kirche für die Arbeiter einen gerechten Lohn, der die Bedürfnisse ihrer Familie berücksichtigt. „Die gerechte Entlohnung für die Arbeit eines Erwachsenen, der Verantwortung für eine Familie trägt, muß dafür ausreichen, eine Familie zu gründen, angemessen zu unterhalten und für die Zukunft zu sichern“ (Laborem exercens, 19). In besonderer Weise wendet mein Herz sich den vielen Arbeitslosen zu, die arbeiten möchten, aber keine passende Beschäftigung finden können, manchmal, weil sie aufgrund ihrer Religion, Kaste, Gruppe oder Sprache diskriminiert werden. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung führen zu Frustrierung und einem Gefühl der Nutzlosigkeit, sie verursachen Unfrieden in der Familie; sie bringen Angst und namenloses Leid mit sich und erschüttern das Geflecht und die Grundstruktur der Gesellschaft. Sie bedeuten einen Angriff auf die Würde eines jeden Mannes und jeder Frau. Es ist dringend notwendig, neue Initiativen zur Lösung dieses schweren Problems zu ergreifen, und diese erfordern oft eine Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene. Von entscheidender Wichtigkeit ist es, daß die Verhandlungen und Pläne zur Überwindung der Arbeitslosigkeit in gegenseitiger Achtung und im Dialog zwischen den Arbeitgebern und denen, die Arbeit suchen, durchgeführt werden. 351 REISEN 8, Voll Freude trage ich bei dieser heiligen Messe heute liturgische Gewänder, die eine besondere Bedeutung für die Katholiken in diesem Teil Indiens haben. Die Stickereien auf dem Meßgewand sind ein Symbol eures Glaubens an den überreichen Segen, den Gott der Schöpfer über sein Volk ausgießt. Sie zeigen zugleich euren Glauben an die Macht Gottes, jedes Übel zu überwinden. Meßgewand und Stola sind Zeichen des Priestertums: Zeichen der prie-sterlichen Berufung, des priesterlichen Charakters und Dienstes. Durch seinen Dienst an Gottes Wort und den Sakramenten, zumal der Eucharistie, erinnert der Priester alle Getauften an die Fülle dessen, was die erste Lesung dieser heiligen Messe so herrlich ausdrückt: „Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde“ (1 Petr 2,9). Da ihr also Gottes Auserwählte seid, müßt ihr auch die wunderbaren Werke Gottes verkünden, die wunderbaren Werke Gottes, des Schöpfers, die er durch alle Ergebnisse und Früchte menschlicher Arbeit wirkt. Gerade aus diesem Grund bringen wir die Früchte menschlicher Arbeit zum Altar und opfern sie. 9. Gott hat euch „aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen“ (I Petr 2,9). Ja, er hat uns alle gerufen in Jesus Christus. Er ist das Licht, er ist in Wahrheit „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Und so kann er uns zum Vater geleiten, zu seinem Gott, der das Licht, die Wahrheit und die Heiligkeit selbst ist. Jesus ruft uns und lädt uns ein, an seinem eigenen göttlichen Leben Anteil zu haben - durch alles, was unsere irdische Existenz ausmacht, durch alle Mühe unserer menschlichen Arbeit. Wenn wir aber das Licht, das in Christus ist, annehmen, müssen auch wir „Licht der Welt“ {Mt 5,14) werden. Wir müssen „das Salz der Erde“ {Mt 5,13) werden, das dem menschlichen Leben Geschmack gibt. Als Jünger Christi seid ihr berufen, hier in Indien das Licht Christi zu sein und mit Christus die Welt umzugestalten. Laßt eure Arbeit dem Wohl des Nächsten dienen. Teilt mit den Unterprivilegierten, den Kranken und Behinderten. Sucht alles zu beseitigen, was Menschen unterdrückt, und bemüht euch, durch Zusammenarbeit alles zu erreichen, was möglich ist, um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Versucht, wo immer ihr seid, die Gegenwart Christi auszustrahlen: in euren Familien, vor euren Kindern, an eurem Arbeitsplatz, durch freudige Übung der Tugenden, die ihr in Jesus gefunden habt. Ich bitte euch, liebe Brüder und Schwestern, in dieser großen Nation und vor dem Hintergrund des uralten Erbes Indiens, die Worte Christi anzu- 352 REISEN nehmen, die er heute an euch gerichtet hat, gerade so, wie er sie einst an seine ersten Zuhörer und Jünger richtete: „Euer Licht soll vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Mt 5,16). Söhne und Töchter des großen indischen Mutterlandes, nehmt diese Worte an! Ihr seid die Kirche des lebendigen Gottes in diesem sehr alten Land, durch das so viele Generationen, Sprachen und Kulturen gezogen sind. Nehmt diese Worte an! Es sind die Worte Jesu Christi. Der Erlöser der Welt spricht hier, und er sagt euch: „Ihr seid das Licht der Welt“! „Ihr seid das Salz der Erde“! Und er ist der „Eckstein“ unseres Heils, der Eckstein unseres Lebens in Gott. Amen. „Kostbar in den Augen Gottes“ Grußwort an die Gemeinschaft „Nirmal Hriday“ in Kalkutta am 3. Februar Liebe Brüder und Schwestern! Ich bin Gott dankbar, daß mein erster Halt in Kalkutta im „Nirmal Hriday Ashram“ stattfindet, an einem Ort, der Zeugnis gibt vom Vorrang der Liebe. Als Jesus Christus seine Jünger lehrte, wie sie am besten ihre Liebe zu ihm bezeigen konnten, sagte er: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (M/25,40). Von Mutter Teresa, den Missionarinnen der Nächstenliebe und vielen anderen, die hier Dienst getan haben, wurde Jesus innig geliebt in Menschen, die die Gesellschaft oft als „die Geringsten unserer Brüder“ betrachtet. „Nirmal Hriday“ ist ein Ort des Leidens, ein Haus, in dem Angst und Schmerz vertraut sind, ein Heim für die Notleidenden und Sterbenden. Aber gleichzeitig ist „Nirmal Hriday“ ein Ort der Hoffnung, ein Haus, auf Mut und Glauben gegründet, ein Heim, wo Liebe herrscht, ein Heim, erfüllt mit Liebe. Im „Nirmal Hriday“ begegnet das Mysterium des menschlichen Leidens dem Mysterium des Glaubens und der Liebe. Und bei dieser Begegnung 353 REISEN werden die tiefsten Fragen des menschlichen Daseins laut: „Warum? Was ist der Sinn des Leidens? Warum muß ich sterben?“ Und die Antwort, die oft ohne Worte in Form der Zuwendung und des Mitleids kommt, ist voll Wahrheit und Glauben: „Ich kann deine Fragen nicht alle beantworten; ich kann alle deine Schmerzen nicht wegnehmen. Aber eines ist für mich sicher: Gott liebt dich mit immerwährender Liebe. Du bist kostbar in seinen Augen. In ihm liebe ich auch dich. Denn in Gott sind wir echte Brüder und Schwestern.“ „Nirmal Hriday“ verkündet die hohe Würde jeder menschlichen Person. Die liebevolle Fürsorge, die hier bezeigt wird, bestätigt die Wahrheit, daß der Wert eines Menschenwesens nicht an seinem Nutzen, seinen Fähigkeiten, an Gesundheit oder Krankheit, Alter, Herkunft oder Rasse zu messen ist. Unsere Menschenwürde kommt von Gott, unserem Schöpfer, nach dessen Bild wir alle geschaffen sind. Wie groß das Maß an Not und Leid auch immer sein mag, nie kann es diese Würde auslöschen, denn wir sind immer kostbar in Gottes Augen. Der Evangelist Johannes sagt uns: „Wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit“ (I Joh 3,18). Mögen sich diese Worte des hl. Johannes für jeden von uns bewahrheiten. Mögen die mutige Liebe und der lebendige Glaube, die wir hier im „Nirmal Hriday“ vorfinden, uns zu der gleichen, echten und tatkräftigen Liebe ermuntern. Die ökumenische Bewegung ernst nehmen! Ansprache bei der Begegnung mit den Führern der anderen christlichen Gemeinschaften im St.-Xavier’s-College in Kalkutta am 3. Februar Liebe Brüder in Christus! „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (Röm 1,7). 1. Es ist mir eine Freude, Sie, meine Mitchristen, bei diesem meinem ersten Besuch in Ihrem Land zu begrüßen. Ich danke Gott, daß ein solcher Besuch möglich ist mit allem, was er an Verbundenheit und gegenseitiger Anerkennung als Nachfolger des einen Herrn einschließt. In Indien haben Sie in Sachen Einheit eine Tradition trefflicher Initiati- 354 REISEN ven. Sie haben der ökumenischen Bewegung nicht nur in Indien, sondern auf Weltebene Führer geschenkt. Das alles weckt in meinem Herzen eine verständnisvolle und wohlwollende Reaktion, denn — wie ich vor einiger Zeit gesagt habe - „die Einheit der Kirche geht den Bischof von Rom in einer einzigartigen Weise an“ (Predigt beim Gottesdienst für die Römische Kurie am 28. Juni 1985, Nr. 4: O.R., dt. 5. 7. 85, 4). Aus diesem Grund höre ich nicht auf, die Söhne und Töchter der katholischen Kirche in ihrer ökumenischen Verantwortung zu ermutigen, und betone immer wieder nachdrücklich, daß sie eine ganz wichtige pastorale Priorität für die katholische Kirche darstellen müsse. Ich hoffe, daß es hier in Indien möglich sein wird, „die Zusammenarbeit noch stärker zu entfalten, um zu einem wirksameren Dienst an der Sache der Einheit zu gelangen“ (Predigt beim Gottesdienst für die Römische Kurie, a. a. O.). 2. Eine solche Zusammenarbeit kann nicht aus eigener Kraft bestehen. Sie muß Ausrichtung und Zielsetzung vom theologischen Dialog erhalten, der versucht, auf die Lösung all jener Fragen hinzuarbeiten, die uns im Bekenntnis des Glaubens noch voneinander trennen. Im Dialog spricht man die Wahrheit in Liebe aus und ist bedacht auf eine gemeinsame Vertiefung „des Glaubens, der den Heiligen ein für allemal anvertraut ist“ (Jud 3): Eine unerläßliche Aufgabe, wenn wir die ökumenische Bewegung ernst nehmen. „Die Einheit im Bekenntnis des Glaubens ist das grundlegende Element der Bekundung der kirchlichen Gemeinschaft“ (Predigt beim Gottesdienst für die Römische Kurie am 28. Juni 1985, a. a. O.). <8> <8> Dieser Dialog muß natürlich immer von Bemühungen um Zusammenarbeit, von gemeinsamem Zeugnis, wo immer möglich, und vor allem von inständigem Gebet und innerer Erneuerung getragen sein und darin zum Ausdruck kommen. Ich bete darum, daß alle Christen Indiens vom Heiligen Geist Gottes dazu aufgerüttelt werden, hochherzig und weise für die Sache der Einheit zu wirken. Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, um mich zu begrüßen. Ich erwidere herzlich Ihre guten Wünsche und ermuntere Sie in Ihrem Dienst an Jesus Christus und an der Welt, der er Gottes rettende Liebe gebracht hat. Möge er Sie, Ihre Familien, Ihre Lieben und alle, denen Sie dienen, segnen. 355 REISEN ,,Dienst am Menschen ist Gottesdienst“ Ansprache bei der Begegnung mit den Vertretern des Kultur-und Geisteslebens und der nichtchristlichen Religionen im St.-Xavier’s-College in Kalkutta am 3. Februar Liebe Freunde! Es ist für mich eine besondere Freude, daß ich diese Gelegenheit zu einer Begegnung mit Ihnen, den hervorragenden Vertretern des religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens dieser Stadt Kalkutta, Benga-lens und ganz Indiens habe. 1. In Ihnen grüße ich die geistige Lebenskraft Bengalens und ganz Indiens. In Ihnen grüße ich die ehrwürdige Kultur dieses Landes. Sie sind die Erben von mehr als dreitausend Jahren intensiven künstlerischen, kulturellen und religiösen Lebens in dieser Region. Hier leistete ein ganzes Heer von Männern und Frauen dem menschlichen Geist vortreffliche Dienste, Männer und Frauen, die wegen ihrer Gelehrsamkeit und Weisheit, wegen ihres Gespürs für das tiefste Sehnen des menschlichen Herzens, wegen ihrer wertvollen künstlerischen Leistungen mit Recht hoch-geschätzt werden. In Ihnen anerkenne und ehre ich voller Bewunderung nicht nur die Leistungen der Vergangenheit, sondern auch die des modernen Bengalens und des modernen Indiens. Ich habe mich auf diese Begegnung im Geist des brüderlichen Dialogs, voller Gefühle der Solidarität mit Ihnen, die Sie in vielen verschiedenen Formen des Dienstes an Ihren Mitbürgern engagiert sind, gefreut. Ich möchte Ihnen sagen, was das Zweite Vatikanische Konzil den Männern und Frauen des Geistes und der Wissenschaft erklärte: „Glücklich diejenigen, die, während sie im Besitz der Wahrheit sind, noch ernsthafter nach ihr forschen, um sie zu erneuern, zu vertiefen und anderen mitzuteilen! Glücklich auch jene, die die Wahrheit zwar noch nicht gefunden haben, aber aufrichtigen Herzens für sie tätig sind! Mögen sie das Licht von morgen mit dem Licht von heute suchen, bis sie zur Fülle des Lichtes gelangen“ (Schlußbotschaft). Das soll unsere gemeinsame Hoffnung und unser Gebet sein! 356 REISEN 2. Heute nachmittag besuchte ich den Nirmal Hriday, das „Heim der Sterbenden“ am Kalighat. In jedem Land der Welt, in jeder Stadt und in jedem Flecken und jedem Dorf, in jeder Familie, ja in jedem Menschenleben kommen wir in Berührung mit der immer gegenwärtigen Wirklichkeit menschlichen Leidens. Das ungeschriebene Buch der Menschheitsgeschichte spricht ständig vom Thema des Leidens (vgl. Apostolisches Schreiben Salvifici doloris, 7). Einzelne und Gruppen und ganze Bevölkerungen leiden, wenn sie etwas Gutes sehen, an dem sie teilhaben sollten, das ihnen aber verwehrt ist. Gelegentlich hat dieses Leiden eine besondere Dichte. In bestimmten geschichtlichen Situationen scheint die von der Menschheitsfamilie zu ertragende Last des Leidens über alle Möglichkeiten, es zu lindern, hinauszuwachsen. An anderer Stelle habe ich im Hinblick auf unsere moderne Welt darüber gesprochen, „die noch nie so vom Fortschritt durch das Wirken des Menschen verwandelt worden ist und zugleich sich noch nie so durch die Irrtümer und die Schuld des Menschen in Gefahr befunden hat“ {Salvifici doloris, 8). Besonders dramatisch und akut wird das Leiden, das mit Angst und Enttäuschung einhergeht, wenn die Frage gestellt wird: Warum? - und keine ausreichende, befriedigende Antwort in Aussicht ist. Ich glaube fest daran, daß - so wie alle Menschen durch die Erfahrung von Schmerz und Leid miteinander verbunden sind - sich auch alle im Bereich der intellektuellen und künstlerischen Tätigkeit führenden Männer und Frauen guten Willens in einer neuen Solidarität zusammenschließen müssen, um auf die grundlegenden Herausforderungen unserer Zeit zu antworten. In diesem Sinne sind Sie mit einer besonderen gemeinsamen Verantwortung für das Wohl Ihres Vaterlandes ausgestattet. Die neue Situation, in welche die Fortschritte des Wissens und der Technik die Menschheitsfamilie gedrängt haben, verlangt Weitblick und Weisheit, die dem Besten gleichkommt, was die Menschheit unter der Führung ihrer Heiligen und Weisen hervorgebracht hat. Eine neue Zivilisation ringt um ihren Durchbruch: eine Zivilisation des Verständnisses und der Achtung für die unveräußerliche Würde jedes Menschen, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist; eine Zivilisation der Gerechtigkeit und des Friedens, in der reichlich Raum für berechtigte Unterschiede sein wird und in der Streitfragen durch vorurteilsfreien Dialog, nicht durch Konfrontation beigelegt werden. 357 REISEN 3. Religiöse Führer haben einen besonderen Grund, für die Leiden und Nöte der Menschheit empfänglich zu sein. „Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der Menschen im tiefsten bewegen: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? . . (NA 1). Hier eröffnet sich ein breites Feld für den Dialog zwischen den verschiedenen Philosophien und religiösen Traditionen zur Beantwortung dieser Fragen sowie für die gegenseitige Zusammenarbeit bei der Suche nach einer konkreten Antwort auf die Herausforderungen der Entwicklung und Hilfe insbesondere für die Ärmsten. Die Heiligen und die wahrhaft religiösen Menschen waren zu allen Zeiten durch ein starkes und aktives Mitleiden mit den Armen und Leidenden bewegt. In unseren Tagen wird unser religiöses und soziales Gewissen, das bemüht ist, das Elend von einzelnen und Gruppen zu lindern, ebenso herausgefordert durch die Fragen, welche die wachsende Ungleichheit zwischen hochentwickelten Gebieten auf der einen und zunehmend abhängigen Gebieten auf der anderen Seite aufwerfen, sowie durch die Ungerechtigkeit, daß dringend benötigte Geldmittel in die Herstellung schrecklicher Todes- und Vernichtungswaffen fließen. Unser religiöser Glaube, der uns den Wert und die Würde jedes Lebens lehrt, drängt uns, unsere Kräfte mit dem Bemühen der Menschen guten Willens, in erster Linie der Armen selbst, zu vereinen, um eine Änderung jener Haltungen und Strukturen herbeizuführen, die für die vom Menschen geschaffene Armut und das drückende Leiden verantwortlich sind. Das fordert einen mächtigen Einsatz von intellektueller Energie und Phantasie. Dabei steht Ihr Beitrag in der Sache der Wahrheit an erster Stelle. Als Intellektuelle, Denker, Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler müssen Sie immer darauf bedacht sein, in der Welt die Macht der Wahrheit für den Dienst an der Menschheit zu entfesseln. Und ich bin gewiß, Sie teilen eine Überzeugung, die einst Paulus von Tarsus aussprach: „Denn wir können unsere Kraft nicht gegen die Wahrheit einset-zen, nur für die Wahrheit“ (2 Kor 13,8). Das ist in der Tat ein Widerhall dessen, was in den altehrwürdigen Upanischaden ausgesagt und als der wahre Wahlspruch eurer verehrten Nation hochgehalten wird: „Allein die Wahrheit siegt - Satyam eva jayate“ (Mundaka Upanischad, 3,1,6). Es ist eine tiefe religiöse Erkenntnis, daß der „Dienst an den Menschen Gottesdienst ist“ - wie es Swami Vivekananda, eine der berühmten Gestalten, die mit dieser Stadt verbunden sind, formulierte - und daß wir, 358 REISEN wenn wir in brüderlicher Liebe zu unseren Brüdern und Schwestern hinausgehen, mehr von ihnen empfangen, als wir ihnen geben. Das ist auch eine zutiefst indische Erkenntnis, die eure heiligen Bücher und das Zeugnis so vieler religiöser Männer und Frauen bestätigen. Ich möchte wieder bekräftigen, daß sich die katholische Kirche den Entwicklungsprozessen verpflichtet weiß, die zu größerer Gerechtigkeit für alle führen. Ich fordere die katholische Gemeinschaft in Bengalen und ganz Indien auf, ernsthaft auf dieses Ziel hinzuarbeiten, und ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß die Anhänger aller religiöser Überzeugungen sich in der Errichtung einer neuen Gesellschaft im Zeichen des Friedens und der Liebe zusammenschließen werden. 4. Wenn ich zu Ihnen, Männern und Frauen der akademischen Welt, zu Ihnen, den Vertretern der Welt der Künste und der Wissenschaften, sowie zu Ihnen, den religiösen Führern, spreche, kann ich nicht umhin, die hohe Wertschätzung der katholischen Kirche für das mannigfaltige kulturelle Leben, das Sie repräsentieren, zu betonen. Die Kirche freut sich über den schöpferischen Reichtum, der die Kultur Indiens während ihrer jahrtausendealten Geschichte ausgezeichnet hat. Während dieser Zeit hat sie inmitten einer großen Vielfalt von Ausdrucksformen eine erstaunliche Kontinuität und subtile Einheit bewahrt. Ihre Lebendigkeit und Bedeutung werden dadurch bestätigt, daß sie viele Weise und heiligmäßige Mystiker, Dichter und Künstler, Philosophen und Staatsmänner von großer Vortrefflichkeit geformt hat. Ja, die Kirche blickt voll Bewunderung auf Ihren Beitrag für die Menschheit und fühlt sich Ihnen in so vielen Äußerungen Ihrer Ethik und Ihrer Askese sehr nahe. Sie bezeigt ihre tiefe Achtung für die geistliche Sicht vom Menschen, die Jahrhundert für Jahrhundert in Ihrer Kultur und in der Erziehung, die sie weitergibt, zum Ausdruck kommt. Sie freut' sich darüber, daß das Christentum von Anfang an auf indischem Boden und in indischen Herzen Gestalt angenommen hat. Ja, Kultur ist die Verkörperung der geistigen Erfahrungen und Sehnsüchte eines Volkes. Sie verfeinert und entfaltet die geistigen und angeborenen Anlagen jeder menschlichen Gruppe. Sie schafft die Bräuche und Einrichtungen, die das soziale und gesellschaftliche Leben menschlicher und dem Gemeinwohl förderlicher zu gestalten suchen. In einer Vielzahl künstlerischer Formen verleiht sie der Wahrheit, dem Guten und dem Schönen Ausdruck (vgl. GS 53-62). Hier ist es angebracht, insbesondere das reiche kulturelle Erbe Bengalens und der Stadt Kalkutta zu erwähnen, die sich durch eine große Vielfalt 359 REISEN von Volksstämmen auszeichnet, wovon jeder seinen eigenen Beitrag zur Gesamtkultur leistet. Trotz einer Aufeinanderfolge von erschütternden Erlebnissen in der Folge von Naturkatastrophen und politischen Ereignissen ist Bengalen bis heute berühmt für die Lebendigkeit seines kulturellen und künstlerischen Lebens. In Gesang, Poesie, Drama, Tanz und in den graphischen Künsten verleiht diese Kultur den im Leben des Volkes vorhandenen ursprünglichen Werten Ausdruck. Es ist eine dem Boden dieser Region tief verwurzelte Kultur. Besonders zu erwähnen sind die herzliche Gastfreundschaft, die Offenheit für andere und die Intensität des Familienlebens. Vor dem Hintergrund des großen Leidens und der sozialen Probleme hilft uns das alles, an die Kräfte der Hoffnung und an den Sieg des menschlichen Geistes unter Gottes Führung zu glauben. 5. Bei meiner Vorbereitung auf diesen Besuch habe ich erfahren, daß Bengalen Bahnbrechendes geleistet hat bei der Einführung einer modernen Erziehung auf breiter Ebene. Das heißt nicht, daß Sie heute nicht mit ernsten Problemen auf dem Gebiet der Erziehung und Kultur zu kämpfen haben. Indem Sie diese Probleme mit Mut und Einfallsreichtum angehen, beweisen Sie gerade die Ungebrochenheit Ihrer geistigen und intellektuellen Führerschaft. Ich freue mich zu erfahren, daß die christlichen Kirchen durch ihre Erziehungseinrichtungen zur kulturellen Entwicklung Bengalens beigetragen haben. Ich möchte die katholischen Erzieher in ganz Indien ermutigen, ihre Schulen und Zentren der höheren Schulbildung zu immer besseren Werkzeugen im Dienst von Gerechtigkeit, Entwicklung und Harmonie im gesellschaftlichen Leben zu machen, dadurch, daß sie einen ständig wachsenden Sinn für die Berufung zum Dienst am Gemeinwohl des Volkes, besonders der Jugend und der Armen, wecken. Um diese Aufgabe vollständig zu erfüllen, sind diese Institutionen zu einer zweifachen Treue aufgerufen. Da ist an erster Stelle die Treue zur Botschaft des Evangeliums von der universalen Brüderlichkeit und Solidarität unter der liebenden Vorsehung unseres himmlischen Vaters und die Treue zum Besten und Wertvollsten der indischen Kultur. Christen in Indien wissen, daß ihre Berufung nicht nur im Geben, sondern auch im Empfangen besteht. Ihr Weg ist eine Pilgerschaft zu den Tiefen des menschlichen Geistes, eine Pilgerschaft, die ihre Sicht und ihr Verständnis der religiösen Wahrheit und des Evangeliums unseres Herrn Jesus Christus bereichert. 360 REISEN 6. Meine lieben Freunde, in der katholischen Kirche werden Sie einen bereitwilligen Partner im Dialog der Wahrheit und im Dienst am Menschen finden; Sie werden einen beharrlichen Verbündeten finden, der Sie dazu ermutigt, Ihren unersetzlichen Beitrag für die Menschheit zu leisten. Katholiken in allen Teilen der Welt werden vom Zweiten Vatikanischen Konzil aufgefordert, „durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial kulturellen Werte, die sich bei ihnen befinden, anzuerkennen, zu wahren und zu fördern“ (NA 2). Die katholische Kirche wiederum erwartet von Ihnen, Männern und Frauen der Welt der Kultur, daß Sie das geistige und moralische Wohl Ihres Volkes verteidigen und fördern, im gemeinsamen Anliegen des Schutzes und der Pflege menschlicher Würde, sozialer Gerechtigkeit, des Friedens und der Freiheit in der ganzen Welt. Zum Abschluß möchte ich das folgende inhaltsreiche Gebet, das von einem der größten Söhne dieser Region, Rabindranath Tagore, stammt, zu Gott emporsenden: „Schenke uns die Kraft, unser Leben mit seinen Freuden und Sorgen, mit seinen Siegen und Niederlagen, in seinem Aufsteigen und Sinken zu lieben, ganz zu lieben. Gib uns genügend Kraft, dein Universum ganz zu sehen und zu hören und mit voller Kraft darin zu arbeiten. Laß uns das Leben, das du uns geschenkt hast, voll leben, laß uns tapfer nehmen und tapfer geben. Das ist unser Gebet zu dir“ (Sadhana, Madras 1979, 113). Der allmächtige Gott helfe uns, miteinander eine Gesellschaft im Zeichen der Eintracht und Liebe für jeden Menschen aufzubauen! 361 REISEN Gebet für die Sterbenden beim Besuch im Nirmal-Hriday-Haus von Mutter Teresa in Kalkutta am 3. Februar Allmächtiger und ewiger Gott! Vater der Armen, Tröster der Kranken, Hoffnung der Sterbenden! Deine Liebe leitet uns in jedem Augenblick unseres Lebens. Hier in Nir-mal Hriday, an diesem Ort liebevoller Fürsorge für die Kranken und Sterbenden, erheben wir Herz und Sinn zu dir im Gebet. Wir preisen dich für das Geschenk des menschlichen Lebens und besonders für die Verheißung des ewigen Lebens. Wir wissen, daß du den Niedergedrückten und den Armen und allen Schwachen und Leidenden stets nahe bist. O Gott der Liebe und des Erbarmens, nimm die Gebete an, die wir für unsere kranken Brüder und Schwestern darbringen. Vermehre ihren Glauben und ihr Vertrauen auf dich. Tröste sie mit deiner liebenden Gegenwart und, wenn es dein Wille ist, laß sie genesen, gib ihnen neue Kraft an Leib und Seele. O liebender Vater, segne die Sterbenden, segne alle, die dir bald von Angesicht zu Angesicht begegnen werden. Wir glauben, daß du aus dem Tod das Tor zum ewigen Leben gemacht hast. Bewahre unsere sterbenden Brüder und Schwestern in deiner Liebe und führe sie sicher heim zum ewigen Leben bei dir. O Gott, Quelle aller Kraft, behüte und beschütze jene, die sich der Kranken annehmen und den Sterbenden beistehen. Verleihe ihnen einen mutigen und gütigen Geist. Stehe ihnen bei in ihrem Bemühen, Trost und Heilung zu bringen. Mache sie immer mehr zu einem strahlenden Zeichen deiner alles verwandelnden Liebe. O Herr des Lebens und Grund unserer Hoffnung, gieße über alle, die in Nirmal Hriday leben und arbeiten und sterben, deinen überreichen Segen aus. Erfülle sie mit deinem Frieden und deiner Gnade. Laß sie erkennen, daß du ein liebender Vater bist, ein Gott des Erbarmens und des Trostes. Amen. 362 REISEN Verbundenheit mit Gott ,,durch Zeichen und Symbole“ Predigt bei der Messe in Shillong am 4. Februar „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen ... Er führt mich ... Er stillt mein Verlangen.“ (Ps 23, 1—3) Liebe Brüder und Schwestern in Jesus Christus! 1. Mit euch möchte ich meine Gedanken auf ihn, unseren ewigen Vater, richten. Er ist es, der uns zusammengeführt hat. Er hat uns auf unseren verschiedenen Wegen hierher geleitet, damit wir an dem zweifachen Tisch, den er „für uns gedeckt hat“, Platz nehmen. Am Tisch des Wortes Gottes und dem Tisch der Eucharistie. Laßt uns ihm gemeinsam danken. Lieber Erzbischof D’Rosario, liebe Brüder im Bischofsamt, liebe Brüder und Schwestern in Jesus Christus, unserem Herrn: da wir uns hier an diesem Morgen in dieser schönen Umgebung der Hügel von Meghalaya -„dem Sitz der Wolken“ - versammeln, begrüße ich euch mit großer Freude in „Gott, der voll Erbarmen ist“ (Eph 2,4). Er gibt mir dieses Vorrecht, die Eucharistie hier mitten unter euch zu feiern, die ihr so vielen verschiedenen, an Schönem so reichen und an Ausdrucksformen so unterschiedlichen Völkern und Kulturkreisen angehört. Ich heiße die hier anwesenden zivilen Autoritäten sowie die ehrwürdigen Vertreter der verschiedenen religiösen Traditionen freudig willkommen. Die Staaten dieser Region Nordostindien wurden treffend die „sieben Schwestern“ genannt und geben so eurem Sinn für Einheit und Solidarität Ausdruck. <9> <9> In jeder Kultur sind Gottes Werke erkennbar. Für euch ist Gott nicht nur eine abstrakte Idee, er ist vielmehr ein Teil eures Lebens. Die Natur selbst zeigt euch durch ihre Schönheit seine liebende Gegenwart. Aus Liebe offenbart er sich uns. Daß wir alle der einen Sprache der Liebe mächtig sind, verdanken wir Gott, der uns zuerst geliebt hat. Er hat seine Liebe zu uns offenbart. Ihr wißt auch, daß sich der Mensch einst durch die Sünde gegen den Schöpfer wandte, daß Gott jedoch in seiner Gnade das Menschengeschlecht nicht verließ. Er offenbarte vielmehr seinen liebevollen Plan der Erlösung. 363 REISEN Besonders in dieser Region Nordostindien besitzt jede Gruppe in sich eine weit zurückreichende Tradition über die Verbundenheit Gottes mit den Menschen, ausgedrückt durch Zeichen und Symbole, die einen heiligen Charakter angenommen haben. Wir können tatsächlich Gott als unseren Hirten darstellen, der seine Herde niemals verläßt, sondern die Verstreuten sucht, um sie alle in der Einheit der Kinder Gottes zusammenzuführen. Die erste Lesung der heutigen Liturgie spricht darüber in besonderer Weise: „Gott aber, der voll Erbarmen ist, hat uns, die wir infolge unserer Sünden tot waren, in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht“ (Eph 2,4 f.). Gottes Selbstoffenbarung erreicht ihre Fülle in Christus, der das Wort des Vaters ist, der ewige Sohn Gottes, der Mensch wurde. Der gesamte Plan Gottes für die Menschenfamilie ist durch das Geheimnis der Menschwerdung verkündet worden. Durch Christus gelangen wir zu einer volleren Kenntnis des Vaters, denn „niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18). 3. Als Jesus seinen Dienst unter seinem Volk begann, verkündete er das Reich Gottes: er offenbarte den Vater und sich selbst durch Worte und Taten (vgl. DV17). Wie der hl. Lukas im heutigen Evangelium beschreibt, begann Jesus sein Wirken in der Synagoge von Nazaret mit der Verkündung, daß der gesamte Heilsplan Gottes für die Menschheitsfamilie in seiner eigenen Person verwirklicht sei: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Lk 4,18 f.). Jesus kam, um endgültig zu verkünden, daß die Menschen dazu berufen sind, Gott anzugehören und in das Reich Gottes einzugehen, das Reich der Rechtschaffenheit, des Friedens und der Freude im Heiligen Geist. Jesus legte Zeugnis dafür ab, daß das, was er predigte, in seiner Person schon verwirklicht war. Er heilte die Kranken, die Blinden, die Tauben, die Stummen und die Lahmen. Er erweckte die Toten zum Leben und sättigte die Hungernden. Er tat dies alles, um die Liebe Gottes, die bereits durch ihn am Werk war, zu offenbaren. Die Offenbarung der Liebe Gottes zu uns erreichte ihren höchsten Ausdruck in Christi Leiden und Tod: „Es gibt keine größere Liebe, als 364 REISEN wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13). Durch Liebe trat Jesus gänzlich und ohne Vorbehalt in Gemeinschaft mit Gott und den Menschen. In ihm finden wir die totale Selbstmitteilüng Gottes und die totale Antwort des Menschen. Er wurde zum Fundament unseres Friedens und unserer Einheit. 4. Das Evangelium von Jesus Christus ist, weit entfernt davon nur Worte zu sein, der Ausdruck der liebevollen Sorge, die Gott für uns hegt und die er in konkreter Weise durch die Worte, Taten und die Person Jesu Christi deutlich machte. Dieses Evangelium predigten die Apostel überall, nachdem Jesus unsere sichtbare Welt verlassen hatte. Sie wagten das zu tun, da sie die Gabe des Heiligen Geistes empfangen hatten, der sie mit furchtlosem Eifer ausstattete, um zu verkünden, „was von Anfang war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefaßt haben, . . . das Wort des Lebens . . . Was wir gesehen und gehört haben, das verkünden wir auch euch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt. Wir aber haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus“ (I Joh 1,1.3). Durch die Predigt dieser Botschaft entstanden Gemeinden, in denen man das Wort weiter verkündete und daran glaubte und wo der Glaube konkreten Ausdruck fand im Gottesdienst und in rechter Lebensweise. Seither führten die gleiche Anschauung und Verpflichtung zahllose mutige Priester, Ordensleute und Laienapostel dazu, die Frohe Botschaft von der Erlösung in Jesus Christus auf der ganzen Welt zu predigen und dabei unzähligen Schwierigkeiten und allen möglichen Hindernissen standzuhalten, bis hin zum Vergießen des eigenen Blutes. 5. Beinahe hundert Jahre ist es her, daß die Assam-Mission gegründet und den Salvatorianern anvertraut wurde, deren Missionare ein solides Fundament für die weitere Verkündung des Evangeliums legten. Auch andere einsatzfreudige katholische Missionare, besonders solche vom Pariser und vom Mailänder Missionsseminar, mühten sich in dieser Region ab. Wir möchten hier den heroischen Tod von Pater Krick und Pater Broury ins Gedächtnis rufen. Missionare verschiedener anderer christlicher Kirchen gingen manchmal den Katholiken bei der Evangelisierungsarbeit voraus. Wir gedenken ihrer aller, dankbar für die Opfer, die sie bei der Aussaat des Wortes Gottes unter sehr schwierigen Umständen gebracht haben. Die Salesianer Don Boscos, die mit der Assam-Mission 1921 betraut wurden, haben in besonderer Weise zum Wachstum der Kirche in diesem Gebiet beigetragen. Mit Bewunderung bewahren wir das Andenken an 365 REISEN Männer voller Hingabe wie Leo Piasecki, der in der Ebene von Assam tätig war, und Constantine Vendrame, als Apostel der Khasihügel bekannt, sowie an die Scharen anderer, deren Opfer ihnen einen Platz in den Herzen der Menschen dieser Region gesichert haben. Dieses Werk der Evangelisierung wird auch heute durch die unermüdlichen und eifrigen Anstrengungen des Diözesanklerus fortgesetzt, dessen stetig steigende Anzahl ein Zeichen für das Wachstum und die Reife eurer Ortskirchen ist. Die Entwicklung und der gegenwärtige Zustand dieser Mission in Nordostindien ist auch die Frucht des aktiven Beitrages verschiedener Kongregationen von Ordensmännern und -frauen, denen die Kirche ihre tiefe Dankesschuld, ihren Respekt und ihre Liebe ausdrücken möchte. Die Geschichte eurer Mission war ebenfalls durch den aktiven Einsatz zahlreicher Laien, Männer und Frauen, vor allem Katecheten, gekennzeichnet. Oft waren sie es, die den Boden für die Aussaat des Evangeliums vorbereiteten. Die Wahrheit und die Werte des Evangeliums haben wirklich im Herzen und in der Vorstellungskraft der jungen Leute dieses Gebietes Wurzel gefaßt. 6. Als die ersten Missionare in diese Region kamen, begegneten sie einer Vielfalt an Völkern und Kulturen, die ihnen ganz unbekannt waren. Dennoch haben sie voller Eifer die Botschaft des Evangeliums in jedes kulturelle Milieu eingepflanzt. Heute wird die Verkündung fortgesetzt, und in jedem Winkel dieses Gebietes wird sie im harmonischen Dialog mit der Tradition vor Ort gelebt. Das Evangelium, das gepredigt wird, kam in diese Gebiete, nicht um zu herrschen, sondern um jedem Volk zu dienen. Das Evangelium kam, um in euren Kulturen inkarniert zu werden, ohne ihnen Gewalt anzutun. In diesem Prozeß schenkt die christliche Tradition Bereicherung, und andererseits wird sie selbst bereichert durch den Kontakt mit der Vielfalt der Werte, die die Herzen der Menschen, die diese Hügel und Ebenen bewohnen, bewahren. Was sagt euch das Evangelium Jesu Christi? Was bedeutet seine Botschaft im Nordosten Indiens? Ihr seid von einer tiefen Sehnsucht erfüllt, an Gottes Leben hier auf Erden teilzuhaben. Ihr habt ein tiefes Streben nach den vornehmsten Idealen der menschlichen Würde, der Achtung für eure Menschenrechte und nach Entwicklung und Frieden. Aber ihr habt auch euren Anteil an den allgemeinen Problemen und Enttäuschungen, denen die Welt heute gegenübersteht: Analphabetismus, Armut der Bauern, Probleme, die mit 366 REISEN dem raschen Wachstum der Städte Zusammenhängen, Spannungen zwischen dem Bewußtsein eurer eigenen kulturellen Identität und den vielen entmenschlichenden Kräften, die in der Gesellschaft am Werke sind. Eure eigenen Traditionen jedoch entbehren nicht der Antworten auf diese Probleme. Darauf aufbauend, offenbart und vergegenwärtigt das Evangelium mit seiner einzigartigen Botschaft von der Gotteskindschaft, der Liebe und Solidarität, verkörpert in der Person Christi, den „überfließenden Reichtum“ der Gnade Gottes, durch die wir erlöst sind (vgl. Eph 2,7). Auf diese Weise werden eure menschlichen Bestrebungen erfüllt mit der Weisheit und der Kraft des gleichen Heiligen Geistes, der Christus für sein messianisches Werk salbte. Christus ist die Antwort Gottes auf die tiefste Sehnsucht des Menschen: Christus macht dem Menschen Gott offenbar und er macht dem Menschen den Menschen offenbar (vgl. GS 22). 7. Brüder und Schwestern, eine gewaltige Aufgabe liegt noch vor uns. Diejenigen, die die Heilsbotschaft des Evangeliums angenommen haben, haben die besondere Pflicht, die Inkulturation der christlichen Botschaft in diesen Gebieten zu fördern. Laßt eure Ortskirchen in enger Verbundenheit mit der Universalkirche in einem einzigartigen Austausch die bleibenden Werte, die in der Weisheit, den Bräuchen und Traditionen eurer Völker enthalten sind, in sich aufnehmen, auf daß „das christliche Leben dem Geist und der Eigenart einer jeden Kultur angepaßt wird“ (AG 22). Mit pastoraler Hoffnung und Freude ermutige ich den evangelischen Eifer und die Tätigkeit eines jeden Priesters, Ordensangehörigen, Katecheten und Laienapostels. Seid einig in brüderlicher Liebe und faßt einander an den Händen, um gemeinsam das Reich Gottes in dieser Region auszubreiten. Ich freue mich zu erfahren, daß ihr mitten in der Novene, der neunjährigen Vorbereitungszeit auf die Hundertjahrfeier der Evangelisierung dieser Region seid. Möge Gott eure Anstrengungen vollauf segnen! Ich appelliere besonders an die Jugend: Seid vom Geist des Evangeliums erfüllt! Lernt eure Kultur, eure Sprache und eure Vergangenheit lieben und schätzen! Ihr alle, Brüder und Schwestern, müßt zu Verkündern von Gottes erlösender Gegenwart überall in diesen Hügeln und Ebenen Nordostindiens werden. 8. Die Apostelgeschichte erinnert uns daran, daß die erste Gemeinde der Jünger Christi in Jerusalem „an der Lehre der Apostel festhielt und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). 367 REISEN Nach beinahe 2000 Jahren tun wir, die wir hier versammelt sind, das gleiche: wir sind im Gebet, im Hören der Lehre der Apostel und bei der Meßfeier vereint. Wir sind am Tisch des Wortes Gottes und der Eucharistie versammelt. Und es ist der gleiche ewige Hirte, Jesus Christus, der uns zusammenführt. Seine Güte und Gnade soll uns an allen Tagen unseres Lebens begleiten, damit wir am Ende „ewig im Hause des Herrn wohnen“ können (Ps 23,6). Christus selbst hat versprochen, uns „einen Platz zu bereiten“ (Joh 14,3). Dieser „Platz“ des Menschen in der Ewigkeit des lebendigen Gottes ist das Ende und das Ziel unserer Pilgerfahrt auf Erden. Möge der Herr Jesus Christus, der in der Gestalt von Brot und Wein zu euch kommt, eure Herzen mit Eifer für all das erfüllen, was den Menschen veredelt und ihn zum Vater führt! Möge euch der Heilige Geist Mut und Hoffnung schenken! Und Maria, die Mutter der Kirche, der diese Region geweiht ist, möge euch auch weiterhin anregen und führen! Amen. Den Armen ,,eine gute Nachricht bringen“ Predigt bei der Eucharistiefeier in Kalkutta am 4. Februar 1. „Der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe“ (Lk 4,18). Liebe Brüder und Schwestern! Dies sind die Worte, die zu Beginn vom Propheten Jesaja geschrieben wurden, als er vom zukünftigen Messias sprach. Messias heißt „der Gesalbte“. Aber damit ist nicht einfach eine Salbung mit Öl gemeint, sondern die Salbung durch den Heiligen Geist. Und so sagt der Prophet: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt.“ Eine Salbung mit Öl bedeutet die Verleihung von Macht. Der Messias ist derjenige, der durch den Heiligen Geist gesalbt wird und so unter die Macht des Heiligen Geistes kommt. Er bringt den Menschen den Geist der Wahrheit und die Kraft dieses Geistes. 368 REISEN Der Messias ist Christus: Jesus Christus. Jesus von Nazaret. Genau dort, in Nazaret, hat Jesus die Worte des Propheten Jesaja über den Messias verlesen, die Worte über die Salbung durch den Heiligen Geist. Und er sprach zu den Menschen, die in der Synagoge von Nazaret versammelt waren: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,21). Es erfüllte sich in ihm. 2. Jesus von Nazaret ist „der, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat“. Die Prophezeiungen über ihn haben sich erfüllt. Die Hoffnungen Israels und der ganzen Menschheit haben sich in ihm erfüllt. Denn er, Jesus Christus, hat die Fülle des Lebens gebracht, die von Gott selbst stammt. Es ist die Fülle des Lebens in geistigem Sinn, für jeden erschaffenen Geist. Gott, der selbst der unendlich vollkommene Geist ist, öffnet diese Fülle im Heiligen Geist der ganzen Menschheit. Schon bei der Erschaffung der Welt „schwebte Gottes Geist über dem Wasser“ (Gen 1,2), wie das Buch Genesis berichtet. Und der als Bild Gottes erschaffene Mensch wurde von Beginn an berufen, kraft des Heiligen Geistes am Leben Gottes teilzuhaben. Als die Sünde zwischen dem Menschenherzen und der Heiligkeit Gottes, des Sohnes, des Vaters und des Heiligen Geistes, entsprang, konnte der Weg zu dieser Fülle des Lebens, die von Gott kommt, nur durch die Erlösung wieder geöffnet werden. Die Erlösung der Menschheit! Die Erlösung der Welt! Der, den Jesaja angekündigt hatte, ist der Erlöser. Die Salbung durch den Heiligen Geist bedeutet die Kraft der Erlösung. Nur um den Preis der Erlösung, den Preis des Kreuzes Christi, konnte die Menschheit jenes Leben wiederge-winnen, das von Gott ist, jenes Leben, das durch die Sünde verloren war, jenes Leben, das durch den Heiligen Geist dem menschlichen Geist mitgeteilt wird. Jesus Christus hat durch seinen Tod und seine Auferstehung dieses Leben offenbart. Er hat es für alle Menschen hinterlassen im Mysterium seiner Kirche. Auf diese Weise erfüllt sich die Frohbotschaft von der Erlösung. Der Mensch hat teil an der göttlichen Natur. Er empfängt das Leben, das von Gott kommt, und er empfängt es „in Fülle“ (Joh 10,10). <10> <10> Liebe Brüder und Schwestern in Christus, unserem Erlöser! Die grundlegende Mission der Kirche ist, der Welt die Frohbotschaft der Erlösung zu verkünden. Und das ist der Grund, warum ich zu euch gekommen bin: um mit euch, vor allem in der Eucharistie, das Heilsmysterium von Christi Passion und Auferstehung zu feiern und euch in 369 REISEN eurem Einsatz zu ermutigen, vor der Welt Zeugnis zu geben von diesem Mysterium. Indem sie anderen die Frohbotschaft von der Erlösung anbietet, bemüht sich die Kirche, deren Kulturen zu verstehen. Sie bemüht sich, die Gedanken und Herzen ihrer Zuhörer, ihre Werte und Gebräuche, ihre Probleme und Schwierigkeiten, ihre Hoffnungen und Erwartungen zu erfahren. Hat sie diese verschiedenen Aspekte der Kultur einmal kennengelernt und verstanden, dann kann sie den Heilsdialog beginnen; sie kann voll Achtung, aber klar und mit Überzeugung die Frohbotschaft von der Erlösung all jenen anbieten, die aus freien Stücken zuhören und Antwort geben wollen. Das ist die evangelische Herausforderung der Kirche zu allen Zeiten. Ich bin glücklich, im Verlauf meines Indienbesuches auch in diese Großstadt der Ostregion zu kommen. Im reichen Mosaik eurer vielen Volksstämme bezeigt die Bevölkerung dieser Region einen besonderen Charakter, und sie hat durch die Lebenskraft ihrer Kultur in bedeutender Weise zur Geschichte und zur Dynamik der Nation beigetragen. Dieser Gegend entstammen große Staatsmänner und Führer, hervorragende Wortführer der Ziele und Ideale eures Volkes, die die nationale Unabhängigkeit und Einheit zu verwirklichen suchten. Aus dieser Gegend sind Künstler, Poeten, Männer und Frauen der Literatur gekommen, die den Geist, die Herzen und Gefühle ihrer Landsleute angesprochen haben, indem sie in ihnen den Sinn für Selbstvertrauen und Würde geweckt und sie Werten verpflichtet haben, die Opfer und Selbstbeherrschung erfordern. 4. Diese Gegend hat auch herausragende religiöse Denker hervorgebracht, unter ihnen den bekannten Nobelpreisträger Gurudev Rabindra-nath Tagore. Diese Leute haben eine religiöse und kulturelle Bildung gefördert, die das Leben des Landes bereichert hat. Die Kirche schätzt sie hoch, zusammen mit den Religionen, die sie vertreten. Wie Papst Paul VI. einmal über die nichtchristlichen Religionen sagte: „In ihnen wird die Gottsuche von Millionen deutlich ... Sie besitzen einen eindrucksvollen Schatz tief religiöser Schriften. Zahllose Generationen von Menschen haben sie beten gelehrt. In ihnen finden sich unzählbar viele Samenkörner des Wortes Gottes1. Sie sind . . . eine echte ,Vorbereitung auf das Evangelium1“ {EN 53). Auch wenn sie die Werte dieser Religionen hochschätzt und in ihnen zeitenweise das Wirken des Heiligen Geistes erkennt, der - wie der Wind - „weht, wo er will“ (Joh 3,8), so bleibt doch die Kirche von der 370 REISEN Notwendigkeit der Erfüllung ihrer Aufgabe überzeugt, der Welt die Fülle der offenbarten Wahrheit, der Wahrheit der Erlösung in Jesus Christus, anzubieten. 5. Jesaja sagt, und Christus macht sich die Worte des Propheten zu eigen: „Denn der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Lk 4,18 f.). Die Kirche in Bengala und ganz Indien hat sich in verschiedener Weise darum bemüht, dieses messianische Programm Jesu Christi in die Tat umzusetzen, indem sie ihrer alten apostolischen Tradition folgt und sich für die konkreten Notwendigkeiten am Ort einsetzt. Ich denke hier z. B. an den wichtigen Beitrag, den die Kirche im Bereich der Erziehung geleistet hat. Im vergangenen Jahr feierte das Saint Xavier’s College in dieser Stadt das 125jährige Jubiläum seines Dienstes, und es ist erwähnenswert, daß die ganze Stadt und das Land an den Feierlichkeiten teilgenommen hat, die sogar durch die Anwesenheit von Indiens Ministerpräsidenten geehrt wurden. Den Jesuitenpatres, die außer im Saint Xavier’s College noch in vielen anderen Einrichtungen tätig sind, folgte bald das Institut von der seligsten Jungfrau Maria, besser bekannt als die Nonnen von Loreto. Sie eröffneten 1842 ihre erste Mädchenschule, und bis heute ist die Qualität ihrer Erziehungseinrichtungen wohlbekannt und sehr geschätzt. Viele andere religiöse Kongregationen von Männern und Frauen haben seitdem den gleichen wohlverdienten Ruf der Qualifikation und Hochherzigkeit geteilt. Alle Erziehungs- und Dienstinitiativen, die die Kirche unter der Leitung der Bischöfe in dieser Region unternommen hat, sind nicht nur um der Christen willen, sondern für alle Bewohner hier verwirklicht worden. Eure Institutionen, in denen Geistliche, Laien-Christen und ihre Mitarbeiter Zusammenwirken, haben Menschen aller Stände und Glaubensbekenntnisse geholfen. Indem ihr diese Dienste ausübt, habt ihr Zeugnis gegeben von der Botschaft der Erlösung. Und ihr habt in einzigartiger Weise zur Einheit und Entwicklung der Gesellschaft beigetragen. 6. In unserer Zeit, vor allem hier in Indien und vor allem auch in Kalkutta, hat das messianische Programm Jesu von Nazaret eine Bestäti- 371 REISEN gung gefunden, die besonders kennzeichnend und zugleich auch Zeugnis ist. Es ist ein Zeugnis, das von der ganzen Welt beachtet wird, ein Zeugnis, das das Gewissen der Welt aufrüttelt. Ich spreche hier von dem Zeugnis des Lebens und der Arbeit einer Frau, die, obwohl nicht in Indien geboren, unter dem Namen Mutter Teresa von Kalkutta bekannt ist. Vor vielen Jahren, gedrängt von der Liebe Christi und dem Wunsch, ihm in denen, die das größte Elend und Leid erfahren, zu dienen, verließ sie eines der Erziehungsinstitute und gründete die Missionarinnen der Nächstenliebe. Diese Form des evangelischen Dienstes an den Ärmsten der Armen erfüllt auf konkrete Weise das messianische Programm Jesu, „den Armen eine gute Nachricht zu bringen“ (Lk 4,18). Dies ist für die Welt ein herausforderndes Beispiel von Mitleid und echter Liebe zu unserem Nächsten in Not. Es hat gezeigt, daß die Kraft der Erlösung Männer und Frauen zu heroischem Dienst inspirieren kann und sie darin Jahr für Jahr unterstützt. Diese Nächstenliebe und diese Selbstaufgabe, in der Liebe zu Christus getan, fordert die Welt heraus, eine Welt, die nur allzusehr an Egoismus und Genußsucht, an die Gier nach Geld, Prestige und Macht gewöhnt ist. Angesichts der Übel unserer modernen Zeit verkündet dieses Zeugnis nicht mit Worten, aber durch Taten und Opfer den alles übersteigenden Wert der Liebe, der Liebe Christi, unseres Erlösers. Sie ruft den Sünder zur Bekehrung auf und lädt ein, dem Beispiel Christi zu folgen, „den Armen eine gute Nachricht zu bringen“ (Lk 4,18). 7. Aber wer sind die Armen der heutigen Welt? Die Bibel spricht von „den Blinden“, „den Gefangenen“ und „den Zerschlagenen“ {Lk 4,18). Und mit den Armen sind auch all diejenigen gemeint, die ohne das Minimum an materiellen und geistigen Erfordernissen leben müssen. In der heutigen Welt gibt es auch Millionen Flüchtlinge, die ihre Heimatländer verlassen mußten, und viele Millionen mehr, manchmal ganze Stämme oder Völker, die vom vollständigen Aussterben durch Dürre und Hunger bedroht sind. Und wer könnte nicht die Armut der Unwissenheit erkennen, unter der all jene leiden, die nie die Gelegenheit haben, zu studieren? Oder die große Ohnmacht, die unzählige Menschen empfinden angesichts von Ungerechtigkeit und Unterentwicklung? Und es gibt zahllose Menschen, denen das Recht auf Religionsfreiheit verweigert wird und die unendlich leiden, weil sie Gott nicht nach den Geboten eines rechten Gewissens verehren können. Unser Zeitalter steht auch vielen Arten von moralischer Armut gegenüber, die die Freiheit und Würde des Menschen bedrohen, wie die Armut 372 REISEN derjenigen, die leben, ohne den Sinn des Lebens zu erfassen, die Armut eines fehlgeleiteten und irrigen Gewissens, die Armut zerrütteter und getrennter Familien, die Armut der Sünde. In dieser modernen Welt, die so viele verschiedene Formen von Armut erleidet, versucht die Kirche, „den Armen eine gute Nachricht zu bringen“. Und sie tut es durch die Anstrengungen von Menschen wie Mutter Teresa und anderen wie sie, deren Liebe zu Christus und deren Dienst an den Ärmsten der Armen zutiefst prophetisch, zutiefst evangelisch ist. Solch ein Werk der Selbsthingabe und christlichen Liebe ist in der Tat ein eindrucksvoller Weg, „um das Gnadenjahr des Herrn auszurufen“ (Lk 4,19). Es ist für mich und für die ganze Kirche eine „Ermahnung in Christus“, ein „Zuspruch aus Liebe“, eine „Gemeinschaft des Geistes“ (FM 2,1). 8. Und deshalb, wenn ich dieses Werk hier, in Kalkutta, sehe, hier, wo es entstanden ist durch die große Liebe zu Christus im Herzen einer einfachen Dienerin des Herrn, möchte ich mit den Worten des Apostels Paulus an die Christen in Philippi sagen: „Wenn es also Ermahnung in Christus gibt, Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes, herzliche Zuneigung und Erbarmen, dann macht meine Freude dadurch vollkommen, daß ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig“ (FM 2,1 f.). Wurden diese Worte des Apostels nur für die Kirche in Philippi geschrieben? Nur für die Kirche in Kalkutta? Nein! Für alle Kirchen der ganzen Welt! Für alle Christen! Für die Anhänger aller Religionen. Für alle Menschen guten Willens. Das ist das Zeugnis brüderlicher Liebe. Das ist die Mahnung des hl. Paulus: „. . . dann macht meine Freude dadurch vollkommen, daß ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig, daß ihr nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei tut“ (FM 2,2 f.). Tut nichts, was Haß, Ungerechtigkeit und Leiden verbreiten könnte! Tut nichts zugunsten der Wettrüstung! Nichts, was die Unterdrückung der Völker und Nationen fördern könnte! Nichts, was von heuchlerischen Formen des Imperialismus oder menschenfeindlichen Ideologien inspiriert ist. Laßt diejenigen, die keine Stimme haben, endlich sprechen! Laßt Indien sprechen! Laßt die Armen von Mutter Teresa und alle Armen der Welt sprechen! Ihre Stimme ist die Stimme Christi! Amen. 373 REISEN „ Wahrheit ist Licht, Neuheit und Kraft“ Ansprache bei der Begegnung mit den Führern nichtchristlicher Religionen in der Rajaji Hall in Madras am 5. Februar Verehrte Freunde! 1. Ich habe mich danach gesehnt, Indien, das Land vieler Religionen und eines reichen Kulturerbes, zu besuchen; ich habe mich auf diese Begegnung gefreut. Ich bin sehr glücklich über diese Gelegenheit zur geistigen Gemeinschaft mit Ihnen. Indien ist in der Tat die Wiege uralter religiöser Traditionen. Der Glaube an eine den Menschen betreffende Wirklichkeit, die jenseits der materiellen und biologischen Wirklichkeit liegt, der Glaube an das Höchste Wesen, das die Tatsache erklärt, rechtfertigt und ermöglicht, daß der Mensch sämtliche Bereiche seines materiellen Seins übersteigt, dieser Glaube wird in Indien zutiefst erfahren. Eure Meditationen über unsichtbare und geistige Dinge haben auf die Welt tiefen Eindruck gemacht. Euer überwältigender Sinn für den Vorrang der Religion und die Größe des Höchsten Wesens ist ein machtvolles Zeugnis wider eine materialistische und atheistische Lebensauffassung gewesen. Der Inder ist mit Recht der Meinung, daß die Religion für ihn eine tiefe Bedeutung hat. Sein wahres Wesen erfährt Impulse, Instinkte, Fragen, Sehnsüchte und Bestrebungen, die von der größten aller menschlichen Fragen zeugen: der Suche nach dem Absoluten, der Suche nach Gott. In meiner ersten Enzyklika nach der Wahl zum Papst nahm ich auf die Tatsache Bezug, daß die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über die nichtchristlichen Religionen „voll tiefer Wertschätzung ist für die großen geistigen Werte, ja mehr noch, für den Primat dessen, was geistig ist und im Leben der Menschheit in der Religion und in den moralischen Prinzipien, die sich in der jeweiligen Kultur widerspiegeln, seinen Ausdruck findet“ (RH 11). <11> <11> Die katholische Kirche erkennt die Wahrheiten an, die in den religiösen Traditionen Indiens enthalten sind. Diese Anerkennung ermöglicht einen echten Dialog. Hier und heute möchte die Kirche wiederum ihre echte Wertschätzung des großen Erbes religiösen Geistes aussprechen, der sich in ihrer Kulturtradition kundtut. Die Annäherung der Kirche an andere Religionen geschieht mit aufrichtiger Achtung; sie sucht Zusammenarbeit mit ihnen. Diese Achtung ist zweifach: Achtung vor dem 374 REISEN Menschen auf seiner Suche nach Antworten auf die tiefsten Fragen seines Lebens und Achtung vor dem Wirken des Geistes im Menschen. Als eine innere Haltung des Geistes und des Herzens schließt die Spiritualität eine Betonung des inneren Menschen ein und bewirkt eine Umwandlung seines Selbst. Die geistige Natur des Menschen betonen heißt, die erhabene Würde jeder menschlichen Person hervorkehren. Spiritualität lehrt, daß im Herzen aller äußeren Erscheinungen jenes innere Selbst da ist, das in so vielfältiger Weise auf das Unendliche bezogen ist. Diese Geistigkeit der Innerlichkeit, die in der religiösen Überlieferung Indiens so vorherrschend ist, erreicht ihre Vervollkommnung und Erfüllung im äußeren Leben des Menschen. Die Spiritualität Gandhis veranschaulicht dies in beredter Weise. Er sagt: „Laßt mich erklären, was ich unter Religion verstehe . . ., das, was jemandes wahres Wesen verändert, was einen untrennbar an die Wahrheit im Innern bindet und einen ständig läutert. Sie ist das Dauerelement in der menschlichen Natur, der keine Kosten zu hoch sind, um vollen Ausdruck zu finden, und das die Seele solange ganz und gar ruhelos läßt, bis sie sich selbst gefunden und ihren Schöpfer erkannt hat und die wahre Übereinstimmung zwischen dem Schöpfer und ihr selbst zu schätzen weiß“ (All Men are Brothers, Ahmedabad 1960, 74). <12> <12> In einer Welt voller Armut, Krankheit, Unwissenheit und Leiden vermag echte Spiritualität nicht nur den Geist des Menschen, sondern die ganze Welt zum Besseren zu wandeln. Echte Spiritualität befaßt sich ernsthaft damit, allen Leidenden und Bedürftigen Erleichterung zu bringen. In den Heiligen Schriften der Christen gibt es einen besonderen Abschnitt, mit dem, wie ich glaube, die Anhänger aller religiösen Traditionen übereinstimmen werden: „Wer sagt, er sei im Licht, aber seinen Bruder haßt, ist noch in der Finsternis. Wer seinen Bruder hebt, bleibt im Licht; da gibt es für ihn kein Straucheln“ (1 Joh 2,9 f.). Die Beseitigung unmenschlicher Lebensbedingungen ist ein echter geistlicher Sieg, weil sie dem Menschen Freiheit, Würde und die Möglichkeit zu geistlichem Leben bringt. Sie befähigt ihn, sich über das Materielle zu erheben. Jeder Mensch, wie arm oder bedauerlich er auch sein mag, ist auf Grund seiner geistigen Natur der Achtung und Freiheit wert. Weil wir an den Menschen, an seinen Wert und an seine angeborene Vorzüglichkeit glauben, lieben wir ihn und dienen ihm und bemühen uns, seine Leiden zu erleichtern. Ein Weiser aus Tamilnadu, Pattinattar, drückt es so aus: „Glaube an den Einen oben. Glaube, daß Gott ist, 375 REISEN Wisse, daß jeder andere Besitz nichtig ist. Speise die Hungernden. Wisse, daß Redlichkeit und gute Gesellschaft wohltuend sind; Sei zufrieden, daß Gottes Wille getan wird. . Das ist eine an dich gerichtete Predigt, o Herz!“ (Temple Beils ed. A. J. Appasamy, Kalkutta, 72 f.). Die katholische Kirche hat immer wieder der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß alle Menschen, Glaubende und Nichtglaübende, sich verbinden und Zusammenarbeiten müssen an der Aufgabe der Verbesserung dieser Welt, in der sie alle gemeinsam leben. „Das kann gewiß nicht geschehen ohne einen aufrichtigen und klugen Dialog“ (GS 21). Ein Dialog, der vom „inneren Antrieb der Liebe“ (ES 64) ausgeht, ist ein wirksames Mittel der Zusammenarbeit zwischen Menschen bei der Ausrottung des Bösen aus dem Leben des Menschen und der Gemeinschaft, bei der Errichtung einer rechten Ordnung in der menschlichen Gesellschaft und trägt damit zum Gemeinwohl aller Menschen jeden Standes bei. 4. Der Dialog zwischen Mitgliedern verschiedener Religionen vermehrt und vertieft die gegenseitige Achtung und bahnt den Weg für Beziehungen, auf die es bei der Lösung der Probleme menschlichen Leidens entscheidend ankommt. Ein Dialog, der voll Achtung und offen für die Meinungen anderer ist, kann Einigkeit und eine Bindung an dieses edle Anliegen fördern. Außerdem vermittelt die Erfahrung des Dialogs ein Gefühl der Solidarität und den Mut, Schranken und Schwierigkeiten beim Aufbau einer Nation zu überwinden. Denn ohne Dialog können die Schranken des Vorurteils, des Argwohns und des Mißverständnisses nicht wirksam beseitigt werden. Mit dem Dialog macht jeder Partner einen ernsthaften Versuch, sich mit den gemeinsamen Lebensproblemen zu beschäftigen, und wird zur Annahme der Herausforderung ermutigt, nach der Wahrheit zu streben und das Gute zu erreichen. Die Erfahrung von Leid, Fehlschlägen, Enttäuschung und Konflikten werden aus Zeichen des Scheiterns und des Verhängnisses in Gelegenheiten zum Fortschritt in Freundschaft und Vertrauen verwandelt. Noch einmal sei es gesagt: der Dialog ist ein Mittel, um nach der Wahrheit zu suchen und sie mit anderen zu teilen. Denn Wahrheit ist Licht, Neuheit und Kraft. Die katholische Kirche glaubt, daß „die Wahrheit auf eine Weise gesucht werden muß, die der Würde der menschlichen Person und ihrer Sozialnatur eigen ist, d. h. auf dem Wege der freien Forschung, mit Hilfe des Lehramtes oder der Unterweisung, des Gedankenaustauschs 376 REISEN und des Dialogs, wodurch die Menschen einander die Wahrheit, die sie gefunden haben oder gefunden zu haben glauben, mitteilen, damit sie sich bei der Erforschung der Wahrheit gegenseitig zu Hilfe kommen“ (DH3). Der moderne Mensch sucht den Dialog als ein geeignetes Mittel, um zwischen einzelnen oder Gruppen gegenseitiges Verständnis, Achtung und Liebe herzustellen und zu entfalten. In diesem Geist des Verständnisses drängt das Zweite Vatikanische Konzil die Christen, die geistlichen und sittlichen wie auch die sozialen und kulturellen Werte, die sich bei Nichtchristen finden, anzuerkennen, zu schützen und zu fördern (vgl. NA 2). Die Frucht des Dialogs ist Vereinigung unter den Menschen und Vereinigung der Menschen mit Gott, der die Quelle aller Wahrheit ist und sie offenbart und dessen Geist die Menschen nur dann in die Freiheit führt, wenn sie einander in aller Aufrichtigkeit und Liebe begegnen. Durch den Dialog lassen wir Gott in unserer Mitte gegenwärtig sein; denn wenn wir uns einander im Dialog öffnen, so öffnen wir uns auch Gott. Wir sollten dabei vom legitimen Mittel menschlicher Freundlichkeit, gegenseitigen Verständnisses und innerer Überzeugungskraft Gebrauch machen. Wir sollten die persönlichen und bürgerlichen Rechte des einzelnen respektieren. Als Anhänger verschiedener Religionen sollten wir uns zusammenschließen bei der Förderung und Verteidigung gemeinsamer Ideale in den Bereichen von Religionsfreiheit, menschlicher Brüderlichkeit, Erziehung, Kultur, sozialer Wohlfahrt und bürgerlicher Ordnung. Bei all diesen großen Vorhaben sind Dialog und Zusammenarbeit möglich. 5. Im Zusammenhang mit dem religiösen Pluralismus ist der Geist der Toleranz, der seit jeher zum indischen Erbe gehört, nicht nur wünschenswert, sondern geboten und muß in einem Rahmen praktischer Hilfsmaßnahmen verwirklicht werden. Es ist Lehre der Kirche, daß die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit bedeutet, daß alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von seiten einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen oder jeglicher menschlicher Gewalt, so daß niemand gezwungen wird, in religiösen Dingen gegen sein Gewissen zu handeln, oder daran gehindert wird, nach seinem Gewissen zu handeln, weder privat noch öffentlich, als einzelner oder in Verbindung mit anderen, innerhalb der gebührenden Grenzen (vgl. DH 2). Die Welt stellt mit großer Befriedigung fest, daß Indien in der Präambel zu seiner Verfassung allen seinen Staatsbürgern Gedankenfreiheit, Freiheit der Meinungsäußerung, Freiheit des Glaubens und Kultes zugesichert hat. Es ist daher Pflicht aller Bürger, insbesondere der Führer im religiö- 377 REISEN sen Leben, diesen wertvollen Grundsatz, der insbesondere das Recht „auf Bekenntnis, Ausübung und Verbreitung der Religion“ einschließt, zu unterstützen und zu bewahren. Das geschieht am besten dadurch, daß seine Wirksamkeit in der Realität des öffentlichen Lebens sichtbar gemacht wird. Jedermann ist aufgerufen, diese religiöse Freiheit zu unterstützen und für Frieden und Harmonie unter Menschen verschiedener religiöser Traditionen, unter Gesellschaften und unter Nationen zu arbeiten. 6. Es ist mein demütiges Gebet, daß der so bemerkenswerte Sinn für „das Heilige“, der Ihre Kultur kennzeichnet, die Gemüter und Herzen aller Männer und Frauen überall auf der Welt durchdringen möge. Auf diese Weise wird Gott geehrt werden, und die Menschheitsfamilie wird ihre Einheit und ihre gemeinsame Bestimmung immer voller erfahren. Völker werden angesichts der enormen Herausforderungen, denen die Menschheit gegenübersteht, die Dringlichkeit einer weltumspannenden Solidarität spüren. Die Weisheit und Kraft, die aus der religiösen Bindung hervorgeht, wird den Weg des Menschen durch die Geschichte in Zukunft menschlicher machen. Möge Gott, der Höchste, der Schöpfer und Vater von allem, was da ist, des Menschen höchstes Gut, uns bei unserer Aufgabe segnen und unsere Schritte zum Frieden führen! Mit aufrichtigem Dank für die großzügige Gastfreundschaft, mit der Sie mich aufgenommen haben, wünsche ich Ihnen die Fülle des Friedens in Freude und Liebe! Der hl. Thomas als Zeuge Christi Predigt bei der hl. Messe in Madras am 5. Februar „Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle!“ (Ps 67,4). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Mit diesen Worten unserer heutigen Liturgie möchte ich in diesem Teil eures Heimatlandes Gott huldigen. Heute läßt der Herr mir auf meiner apostolischen Pilgerfahrt durch Indien die Ehre zuteil werden, hier in 378 REISEN Madras zu sein, das für seine reiche Kultur und seine tiefe religiöse Tradition bekannt ist. Ich freue mich, diese heilige Eucharistie mit euch allen zu feiern und des hl. Johannes de Britto zu gedenken, des Heiligen, der in Tamil Nadu predigte und zum Märtyrer wurde, des Heiligen, den ihr als Arul Anandar kennt. An diesem Punkt meiner Pilgerfahrt grüße ich euch alle, die ihr anwesend seid: die Bischöfe, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen, die Laien, die Jungen, die Alten und euch alle, die ihr euren Glauben an unseren Herrn und Heiland Jesus Christus bekennt. Ich grüße die zivilen Autoritäten und die Vertreter der Welt der Kunst und Kultur, alle, die im öffentlichen Leben, in Industrie, Erziehung und jedwedem Dienst an ihren Mitbürgern tätig sind. Ich möchte meine Achtung für die Angehörigen der anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und für die Vertreter aller in diesem Gebiet bestehenden religiösen Traditionen ausdrücken. Mögen die Worte des Antwortpsalms eine verbindende Einladung an uns alle sein: „Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle!“ 2. Brüder und Schwestern, wir haben die feierlichen Worte des hl. Paulus gehört, die das zentrale Thema seiner apostolischen Predigt noch einmal zum Ausdruck bringen: „Denk daran, daß Jesus Christus, der Nachkomme Davids, von den Toten auferstanden ist; so lautet mein Evangelium“ (2 Tim 2,8). In gewissem Sinne sind diese Worte eine Zusammenfassung der gesamten Verkündigung der Kirche. An diesem Ort, in Madras, lenken sie unsere Gedanken auf einen Apostel Christi, den hl. Thomas, dessen Amt gerade mit diesem Land in Verbindung steht. Auch er war davon überzeugt, daß das Wort Gottes - das Wort, das die Auferstehung Christi betrifft - nicht unterbunden werden kann (vgl. 2 Tim 2,9). Und nach der Überlieferung kam er in dieses Gebiet. Hier war er ein Zeuge Christi, ein Zeuge des erlösenden Leidens, des Todes und der Auferstehung Christi. <13> <13> Dieses große Land und insbesondere Tamil Nadu haben die besondere Ehre gehabt, das Evangelium Jesu Christi durch drei große Heilige und andere berühmte Pioniere empfangen zu haben, die zu bekannten Ordensgemeinschaften und Missionsgesellschaften gehörten: - Der hl. Thomas starb in der Nähe dieser Stadt den Märtyrertod, und sein Grab wird hier verehrt. - Der hl. Franz Xaver arbeitete, so wird es von der Geschichte überlie- 379 REISEN fert, an der Perlfischerküste und hielt sich einige Zeit in der Nähe des Apostelgrabes auf, wo er von Mut und Stärke inspiriert wurde, seine Bemühungen bis nach Japan auszudehnen. - Und schließlich der hl. Johannes de Britto, dessen wir in der heutigen Liturgiefeier gedenken. Er wurde 1647 in Lissabon geboren. Nachdem er in die Gesellschaft Jesu eingetreten war, folgte er dem hl. Franz Xaver nach Indien, wo er die Arbeit für die Armen und Bedürftigen wählte. Später war dies als Madureimission bekannt. Seine geduldige Arbeit, sein selbstloser Eifer und seine echte Liebe für die Armen gewannen ihm ihr Vertrauen. Wie Jesus war er „ein Zeichen des Widerspruchs“, und sein Erfolg rief Eifersucht und Feindseligkeit hervor. Das führte am 4. Februar 1693 zum Märtyrertod des Johannes de Britto, zum Zeugnis für Christus. Diese Heiligen und unzählige Männer und Frauen verschiedener Kongregationen und Gesellschaften haben in diesem Land die Kenntnis Jesu Christi und die Liebe zu ihm verbreitet. Wir erinnern uns heute an sie alle und besonders an die, deren Dienst bis zur Hingabe des Lebens für das Evangelium geführt hat als Zeugen und Märtyrer nach dem Beispiel des Menschensohns, der „nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). 4. Christus wird im heutigen Evangelium in der Tat als „guter Hirte“ beschrieben, der sein Leben für seine Schafe opfert. Sein Opfer offenbart die unendliche Gnade Gottes, des Vaters, der ihn vom Tode auferstehen ließ. Vom Tode kehrte Christus zum Leben zurück! Und der Sieg des Lebens über den Tod, die unendliche Liebe des Vaters zum Sohn und des Sohnes zum Vater steht uns unverhüllt vor Augen. Im Heiligen Geist werden wir in das Geheimnis des ewigen Lebens selbst eingeführt, denn, wie Jesus beim letzten Abendmahl ausrief: „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“ (Joh 17,3). Dies war die Erfahrung, die die Jünger nach der Auferstehung umwandelte. Sie sahen, daß die Dunkelheit des Todes ins Licht des Lebens aufgenommen wurde. Durch dieses Licht erleuchtet, begannen sie, der ganzen Welt die Botschaft von Gottes erbarmender Liebe und seinem Aufruf zur Versöhnung und Einheit zu verkündigen. 5. Auch wir sind wie die Apostel dazu aufgerufen, Zeugen dieses Geheimnisses zu werden, Zeugen des Kreuzes und der Auferstehung 380 REISEN Christi, Zeugen der rettenden Liebe des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wir sind zu dieser Aufgabe vor allem durch die Sakramente der Taufe und der Firmung aufgerufen. Der Apostel sagt: „Wenn wir mit Christus gestorben sind, werden wir auch mit ihm leben“ (2 Tim 2,11). Und eben durch die Taufe stirbt jeder von uns mit Christus für die Sünde, um mit ihm zu neuem Leben aufzuerstehen: zum Leben der Gnade, zum Leben der Gotteskindschaft! Nachdem wir im Wasser der Taufe „begraben“ und durch die Kraft des Heiligen Geistes gereinigt sind, gehen wir als Träger des neuen Lebens Christi für die Welt hervor. 6. Die tiefe Wandlung, die durch die Taufe und die Firmung in uns stattfindet, ist Quelle und Grundlegung eines jeden Apostolats und insbesondere des Laienapostolats. Denn wir alle werden, zunächst durch die Taufe und dann auf neue Weise durch die Firmung, zu Teilhabern an der dreifachen Sendung Christi als Prophet, Priester und König (vgl. LG 34-36; AA 2). Daher ist die Hauptaufgabe der Laien, Männer und Frauen, mit den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils, „das Christuszeugnis, das sie durch Leben und Wort in ihrer Familie, in ihrer Gesellschaftsschicht und im Bereich ihrer Berufsarbeit geben müssen“ (AG 21). Das Konzil besteht weiterhin darauf, daß das Laienapostolat „im Bereich der heimatlichen Gesellschaft und Kultur“ Ausdruck finden muß, „den Traditionen des eigenen Volkes entsprechend. Sie selbst müssen diese Kultur kennen, sie heilen und bewahren, sie müssen sie im Zug der modernen Entwicklung entfalten und endlich in Christus vollenden, so daß der Christusglaube und das Leben der Kirche der Gesellschaft, in der sie leben, nicht mehr äußerlich sei“ (AG 21). In Indien galt dies seit fast zweitausend Jahren und gilt es auch heute noch. Wie ich kürzlich in Erinnerung an die Apostel der Slawen, den hl. Kyrill und Method, schrieb: „Das Evangelium führt nicht zu Verarmung oder zur Auslöschung dessen, was jeder Mensch, jedes Volk und jede Nation, was jede Kultur während ihrer Geschichte als Wert, Wahrheit und Schönheit anerkennt und lebt. Es regt vielmehr an, diese Werte aufzunehmen und sie weiter zu entwickeln; sie mit Freude und Großmut zu leben und im geheimnisvollen und erhebenden Licht der Offenbarung zu vollenden“ (Slavorum Apostoli, 18). Der Dialog zwischen Glaube und Kultur bezieht in besonderer Weise die Laien ein, deren Glaube ihren täglichen Dienst an ihren Mitbürgern und an ihrem Land inspiriert. 381 REISEN 7. Das Leben des hl. Johannes de Britto spiegelte getreu das Leben unseres Herrn und Heilands Jesus Christus wider, denn es war ein Leben des Dienstes bis zum Tode. Heute fordert es uns alle auf, mit frischer Kraft die Rolle der Kirche, die die des liebenden Dienstes an der Menschheit ist, weiterzuführen. Die unermeßliche und zärtliche Liebe Jesu Christi zu den Armen und Unterdrückten, zu Sündern und Leidenden, bleibt eine Herausforderung für jeden Christen. Das unermüdliche Eintreten Christi für die Wahrheit ist ein überwältigendes Beispiel. Vor allem ist die in seinem Leiden und seinem Tod bewiesene Hochherzigkeit als Höhepunkt seines Dienstes an der Menschheit und als höchste Tat der Erlösung das Vorbild für uns. Wir sind zum Dienen aufgerufen. Es kann kein echtes christliches Leben geben ohne tätige Nächstenliebe. Zum Abschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils bestätigte Papst Paul VI. „wenn . . . wir im Antlitz jedes Menschen, insbesondere wenn es durch seine Tränen und sein Leiden gezeichnet ist, das Antlitz Christi erkennen können und müssen, . . . und im Antlitz Christi können und müssen wir das Antlitz unseres himmlischen Vaters erkennen, . . . dann wird unsere Menschlichkeit zur Christlichkeit und unsere Christlichkeit wird theozentrisch. Und daher können wir auch sagen: Man muß Gott kennen, um den Menschen zu kennen“ (7. Dez. 1965). Heute leben wir in einem Zeitabschnitt der Geschichte, in dem Frieden und Harmonie zwischen Nationen und Rassen fortlaufend bedroht sind. Spaltung und Haß, Angst und Frustration zählen zu den Anti-Werten unserer Tage. Wir haben die Botschaft der Liebe in Jesus Christus nötig. Darum ist die Aufgabe der Kirche, das Evangelium zu verkündigen und im Dienst der Gesellschaft zu stehen, heute in Indien äußerst wichtig. Diese Aufgabe erfordert die aktive Zusammenarbeit aller Sektoren der kirchlichen Gemeinschaft und insbesondere der Laien. 8. Jedem von euch, der auf besondere Weise an der Sendung Christi und der Kirche teilhat, möchte ich die Überzeugung wiederholen, die der Apostel Paulus in der ersten Lesung dieser Messe ausdrückte: Das Wort Gottes ist nicht gefesselt“ (2 Tim 2,9); es kann in der Tat niemals gefesselt sein. Durch das Zeugnis eures Lebens, durch eure Worte und Taten wird das Wort Gottes den Herzen und Gedanken anderer, die ihn suchen, bekannt, so daß „auch sie das Heil in Jesus Christus und die ewige Herrlichkeit erlangen“ (2 Tim 2,10) - damit „sie das Heil erlangen“! Brüder und Schwestern, wenn wir mit Christus sterben, so werden wir 382 REISEN auch mit ihm leben, „wenn wir standhaft bleiben, werden wir auch mit ihm herrschen“ (2 Tim 2,12). Christus, der Hirte, der Prophet und der Priester, hat unseren Herzen mit seinem Ruf ein Siegel aufgeprägt, so wie er die Herzen der Apostel, die Herzen des hl. Thomas, des hl. Franz Xaver und des hl. Johannes de Britto berührt hat. Mögen sie für die Kirche in Indien, für dieses geliebte Land und sein Volk Fürsprache einlegen! Wir werden glücklich sein, wenn wir treu bleiben. Denn er, Christus, ist treu: „Er bleibt doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen“ (2 Tim 2,13). Brüder und Schwestern: Ihr seid dazu aufgerufen, lebendige Zeugen Christi zu sein, lebendige Zeugen des Wortes Gottes, lebendige Zeugen der Heilsbotschaft der Liebe und der Gnade, die Christus der Welt offenbarte. Amen. Die Einheit ist ein Geschenk Predigt bei der Messe in Goa am 6. Februar Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Ich freue mich ganz besonders, hier in Goa zu sein, diesem historischen Mittelpunkt, von dem aus der hl. Franz Xaver und seine Begleiter das Evangelium verkündeten. In der Liebe unseres Herrn Jesus Christus begrüße ich die Angehörigen dieser Ortskirche und all jene, die von den Diözesen Karwar und Beigaum hierhergekommen sind. Heute sammeln wir unsere Gedanken und unsere Herzen im Gebet und bringen der Heiligsten Dreifaltigkeit Lob und Preis dar. Wir sind hierhergekommen, um die heilige Eucharistie zu feiern, den Höhe- und Mittelpunkt des Lebens der Kirche, das Gedächtnis des Kreuzes und der Auferstehung unseres Heilands, das Brot des Lebens und den Kelch des ewigen Heils. Bei dieser Eucharistie richten wir unsere Aufmerksamkeit vor allem auf das Mysterium der Einheit der Kirche, auf des Herrn Aufruf zur Einheit. Am Vorabend seines Leidens beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern betete Jesus um Einheit unter all denen, die an ihn glauben würden. Er sagte: „Aber ich bitte nicht nur für diese hier“, und er meinte hiermit die Apostel, „sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. 383 REISEN Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein“ (Joh 17,20f.). Wir schließen uns diesem Gebet Christi an, der der eine Priester des Neuen und Ewigen Bundes ist. Christus, der Priester, bringt sich selbst zum Opfer dar; er opfert seinen Leib und sein Blut, sein Leben und seinen Tod. Und durch dieses heilige Opfer versöhnt er die Welt mit sich, er stirbt am Kreuz, „um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (Joh 11,52). Die Worte des Hohepriesterlichen Gebetes Christi kommen aus dem Innersten jenes Opfers. Sein Gebet und sein Opfertod haben das gleiche Ziel: „Alle sollen eins sein.“ 2. Welche Einheit meint Christus? Er meint die Einheit, die aus der Taufe kommt. Der hl. Paulus spricht in seinem Brief an die Galater davon, wenn er schreibt: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt . . . denn ihr alle seid ,einer <14> <15> in Jesus Christus“ (Gal 3,27 f.). <14> Die Einheit, die die Christen untereinander zu einem verbindet, ist die Einheit, die von Gott stammt. Das höchste Vorbild dieser Einheit ist die Heiligste Dreifaltigkeit, die Gemeinschaft der drei göttlichen Personen: des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. So betete Jesus beim letzten Abendmahl: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein“ (Joh 17,21). All diejenigen, die durch denselben Glauben und dieselbe Taufe Kinder Gottes werden, sind zu dieser Einheit berufen. „Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Jesus Christus“ {Gal3,26), sagte der Apostel Paulus. Daher müssen wir, die wir durch den Glauben Kinder Gottes in ihm, dem eingeborenen Sohn des Vaters, sind, vereinigt werden in dieser Durch die Taufe werden wir nicht nur in Wasser getaucht, sondern vor allem in den erlösenden Tod Christi. Und ebenso wie der Tod Christi der Anfang seines neuen, durch die Auferstehung kundgewordenen Lebens ist, so ist auch für uns das sakramentale Eintauchen in das Taufwasser der Beginn eines neuen Lebens: eines Lebens durch die Gnade, desselben Lebens, das uns durch die Auferstehung Christi offenbart wurde. Es ist das Leben Christi, das uns der Vater im Heiligen Geist gibt. Dieses Leben ist eines und einzig. Es ist in all jenen gegenwärtig, die die Taufe empfangen. Und daher bilden alle Getauften eine Einheit in Christus. Die Taufe bedeutet die grundsätzliche Berufung aller Christen zur Einheit und verursacht sie. Zugleich ist sie ein Aufruf zur Einheit in dem einen Leib der Kirche durch die Kraft des Heiligen Geistes. 384 REISEN höchsten Quelle der Einheit, nämlich der göttlichen Einheit des Sohnes mit dem Vater. Der Vater und der Sohn haben den Heiligen Geist auf die Kirche ausgegossen. Der Geist wohnt- in den Herzen aller Getauften und gibt ihnen ein, mit Vertrauen zu beten und Gott „Abba, Vater“ zu nennen. Und, wie das Zweite Vatikanische Konzil lehrte: „Der Heilige Geist, der in den Gläubigen wohnt und die ganze Kirche leitet und regiert, schafft diese wunderbare Gemeinschaft der Gläubigen und verbindet sie in Christus so innig, daß er das Prinzip der Einheit der Kirche ist. Er selbst wirkt die Verschiedenheit der Gaben und Dienste (vgl. 1 Kor 12,4-11), indem er die Kirche Jesu Christi mit mannigfaltigen Gaben bereichert ,zur Vollendung der Heiligen im Werk des Dienstes zum Aufbau des Leibes Christi4 {Eph 4,12)“ (UR 2). 4. Die Einheit, die vom Glauben und von der Taufe kommt, beinhaltet auch eine besondere Widerspiegelung der Herrlichkeit Gottes, der Herrlichkeit, die der Vater ewig dem Sohne verleiht, der Herrlichkeit, die er dem Sohne auf Erden verlieh, ganz besonders, als er am Kreuz erhöht wurde. Das Streben nach Einheit ist also durchdrungen von dem Ruf nach Teilhabe an dieser Herrlichkeit. So betete Jesus zum Vater mit den Worten: „Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind“ (Joh 17,22). Und welche Herrlichkeit verlieh der Vater dem Sohn? Die Herrlichkeit des demütigen Dienstes an anderen, die Herrlichkeit, in allem den Willen des Vaters zu erfüllen, die Herrlichkeit, die in seinem freiwillig angenommenen Tod am Kreuz, dem Opfer für die Erlösung der ganzen Welt gipfelte. Dies ist die Herrlichkeit Christi. Dies bleibt der Weg zur Herrlichkeit für alle Jünger Christi. Der beste Weg, Gott zu verherrlichen, besteht darin, dem Beispiel Jesu zu folgen, der sagte: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Lk 9,23). Wer immer Gott auf diese Weise verherrlicht, wird an der Einheit Gottes teilhaben und eins mit ihm sein, wie der Vater und der Sohn eins sind. 5. Einheit ist ein Geschenk des einen Gottes in drei göttlichen Personen. Wo dieses Geschenk im Glauben empfangen wird, sind die Früchte des Heiligen Geistes zu finden: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“ {Gal5,22f.). Darüber hinaus hilft uns Gott, die Spaltungen zu überwinden und die Einheit zurückzuerlangen und zu erreichen. Er gibt uns das Licht der Wahrheit 385 REISEN und die für den Wandel des Herzens notwendige Gnade. Er befreit uns von Unwissen, Irrtum und Sünde, von allem, was Spaltungen in uns selbst und in unserer Beziehung zu anderen verursacht. Der Heilige Geist ist dem Herzen und dem Geist derer nahe, die zu ihm beten. Er schenkt uns die Fülle der Gemeinschaft mit Gott selbst und den Segen der Versöhnung mit unseren Brüdern und Schwestern. Obschon die Einheit ein Geschenk ist, das wir Menschen niemals aus uns selbst erreichen könnten, haben wir dennoch die Pflicht, sie zu suchen und dafür zu arbeiten. Sie ist ein wesentliches Kennzeichen der Kirche, die, so wie wir es im Credo bekennen, immer die „eine, heilige, katholische und apostolische“ Kirche ist. Aber während die Kirche eine einzige ist, besteht Uneinigkeit unter den Christen. Und die Aufgabe der Wiederherstellung der Einheit unter allen, die an Christus glauben, wird immer dringender. Die vergangenenen und gegenwärtigen Spaltungen sind für die Nichtchristen ein Skandal, ein schreiender Widerspruch zum Willen Christi, ein ernstes Hindernis für die Bemühungen der Kirche, das Evangelium zu verkünden. 6. Die ökumenische Arbeit fordert unsere beständigen Anstrengungen und innigen Gebete. Sie beginnt mit der Anerkennung jener grundlegenden Einheit, die schon aufgrund der Taufe besteht, einer Einheit, die die Getauften wahrhaftig aneinander bindet und ihnen eine gemeinsame Teilhabe am Leben der Heiligen Dreifaltigkeit verleiht, einer Einheit, die trotz aller entstandenen Teilungen und Spaltungen ewig fortbesteht. Die Worte des hl. Paulus bleiben für immer wahr: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ,einer1 in Christus Jesus“ (Gal 3,27 f.). Aber wir müssen den Eifer haben, für die Fülle der Einheit unter den Jüngern Christi hier in Indien und in der ganzen Welt zu arbeiten. Wir freuen uns, den ökumenischen Fortschritt zu sehen, der schon erreicht worden ist: die Überwindung langwährender Vorurteile, falscher Überzeugungen und herabwürdigender Äußerungen; das große Wachstum im gegenseitigen Verständnis und in der brüderlichen Achtung; der beachtliche Fortschritt im Dialog und in der Zusammenarbeit im Dienst der Menschheit und die wachsenden Gelegenheiten zum gemeinsamen Gebet, das verschiedene Traditionen berücksichtigt. Mögen wir auf dem Weg zur vollen Einheit fortschreiten und uns hoffnungsvoll auf den Tag freuen, an dem wir wahrhaftig eins sein werden, wie der Vater und der Sohn eins sind. 386 REISEN 7. In gewissem Sinne ist die Einheit der Jünger Christi eine Bedingung für die Erfüllung der Mission der Kirche; und nicht nur das: Sie ist eine Bedingung für die Erfüllung der Mission Christi selbst in der Welt. Sie ist eine Bedingung für die wirksame Verkündigung und Festigung des Glaubens an Christus. Daher betet Jesus: „Alle sollen eins sein . . . damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast ... So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“ (Joh 17,21.23). Die Einheit der Christen ist entscheidend für die Verkündigung des Evangeliums. Die Evangelisierung hängt von dem überzeugenden Zeugnis der christlichen Gemeinschaft ab und nicht nur von den Worten, die gepredigt werden. Wie können Nichtglaubende dazu kommen, an die in Christus geoffenbarte Liebe Gottes zu glauben, wenn sie nicht „sehen, wie diese Christen sich gegenseitig lieben“? Liebe kann sich nicht offenbaren oder in die Herzen eingehen, es sei denn durch das Zeugnis der Einheit. Die große Sehnsucht nach Einheit und Einigkeit bildet den Beginn dieses Zeugnisses. 8. Das Geschenk der Einheit, das die Kirche von Gott empfangen hat, gibt ihr eine besondere Verantwortlichkeit für die Familie der Menschheit, nämlich: den Dialog und die Verständigung unter allen zu fördern und für Einheit und Frieden in unserer gespaltenen Welt zu arbeiten. Konflikte und Spannungen nehmen gegenwärtig überhand. Nationen sind geteilt in Ost und West, Nord und Süd, Freund und Feind. Und innerhalb der Grenzen eines jeden Landes und auch innerhalb der Grenzen Indiens sind widerstreitende Gruppen und Parteien zu finden, Rivalitäten, die aus Vorurteilen und Ideologien, aus geschichtlichen Klischees und völkischen Schranken und aus einer Vielzahl anderer Faktoren hervorgehen, von denen keiner unserer menschlichen Würde wert ist. Die Kirche ist heute gesandt, in dieser gespaltenen Welt Harmonie und Frieden zu fördern. In Liebe und Wahrheit geht sie vor: in jener Liebe, die jeden Menschen als Kind Gottes, als Bruder oder Schwester in gleicher Würde ansieht, ohne seinen sozialen Stand, seine Rasse oder Religion in Betracht zu ziehen, und in der Wahrheit, welche die Sklaverei der Falschheit überwindet und dem Geist und dem Herzen neue Freiheit bringt. Vor allem müssen wir als Christen im Glauben an die Macht des Kreuzes voranschreiten, um die Bedrohung der Sünde zu überwinden und die Welt mit Gott zu versöhnen. Wie ich in meiner Botschaft zum Welttag des Friedens 1986 darlegte, „wissen die Christen im Licht des Glaubens, daß 387 REISEN der letzte Grund dafür, daß die Welt ein Schauplatz ist von Spaltungen, Spannungen, Rivalitäten, Blöcken und ungerechten Unterschieden, anstatt ein Ort echter Brüderlichkeit, die Sünde ist, d. h. die sittliche Unordnung des Menschen. Christen wissen aber auch, daß die Gnade Christi, die diese Lage des Menschen verändern kann, ständig der Welt angeboten wird; denn ,wo die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden4 (Röm 5,20)44 (Nr. 6). Liebe Brüder und Schwestern in Christus! Jesus ruft uns dazu auf, eins zu sein, so wie er und der Vater eins sind. In unserer Einheit mit Jesus und in der Gemeinschaft der Kirche finden wir Stärke und Anregung dafür, alle Schranken und Spaltungen zu überwinden und ein neues und engeres Band der Einheit zu schmieden: Einheit in Familien und Pfarreien, Einheit in Ortskirchen und zwischen Riten, Einheit in der ganzen Kirche Indiens, in der Gemeinschaft der Weltkirche und mit dem Bischof von Rom. Die Welt erwartet ein immer glühenderes Zeugnis unseres Glaubens und unserer Liebe: „Alle Christgläubigen sollen sich bewußt sein“, so sagt das Zweite Vatikanische Konzil, „daß sie die Einheit der Christen um so besser fördern, ja sogar einüben, je mehr sie nach einem reinen Leben gemäß dem Evangelium streben“ ( UR 7). Laßt uns, liebe Brüder und Schwestern, eins sein in der Einheit Jesu Christi und seiner Kirche. Amen. Jesus Christus - einziger Mittler zwischen Gott und den Menschen Predigt beim Wortgottesdienst in Mangalore am 6. Februar Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, verehrte Autoritäten, Brüder und Schwestern in Jesus Christus, liebe Freunde! Es ist mir eine besondere Freude, Ihre Region im Lauf meiner Pilgerfahrt durch Indien, dieses ausgedehnte und alte, lebens- und verheißungsvolle Land, besuchen zu können. Ihnen allen danke ich für Ihren warmen Willkommensgruß. Besonders schätze ich die Anwesenheit all jener, die im kulturellen, sozialen und politischen Leben dieser Region engagiert sind. 388 REISEN Ich bringe meine herzliche Hochachtung für alle Mitglieder der verschiedenen christlichen Kirchen und Gemeinschaften zum Ausdruck sowie für alle unsere Freunde, die Hindu, Muslime, Sikh, Dschaina, Buddhisten und Parsen sind. Mögen wir alle in dem ehrlichen Wunsch vereint sein, der Sache des Friedens und des Fortschritts aller Völker zu dienen, ohne jede Unterscheidung oder Diskriminierung, haben wir doch den Glauben an Gott, unseren Schöpfer und Vater, gemeinsam. An euch, Glieder der katholischen Gemeinde, an euch, Hirten und Gläubige, Priester und Seminaristen, an alle Ordensleute, an die Katechisten und an alle, die Ihr am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi teilhabt, richte ich erneut die Worte des hl. Paulus an die Philipper: „Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, sei mit eurem Geist!“ {Phil 4,23). 1. Die Lesung aus dem Evangelium nach Lukas, die wir soeben vernommen haben, hat uns zur Betrachtung den Besuch Mariens, der „Magd des Herrn“ (Lk 1,38), bei ihrer Verwandten Elisabeth vorgeschlagen. Diese so menschliche Begegnung offenbart nicht nur den Wert und die Schönheit der Liebe zwischen den beiden Verwandten. Sie führt uns vor allem in das Geheimnis der göttlichen Initiative ein, welche der grenzenlosen Liebe Gottes zum Menschen greifbar Ausdruck gibt und den Weg zu unserer ewigen Bestimmung freilegt: ich meine die Menschwerdung. Nachdem sie ihre freie Zustimmung zur Verwirklichung des göttlichen Plans gegeben hat, eilt Maria zu ihrer Verwandten, um ihr in dem Augenblick beizustehen, in dem sie Hilfe braucht. Maria möchte ihr auch die frohe Botschaft mitteilen, daß der Herr daran ist, das Heilsversprechen zu erfüllen, das er ihren Ahnen gegeben hatte und das in Israel durch die Predigt der Propheten und durch die Heiligen Schriften wachgehalten worden war. Vom Geist Gottes bewegt, erkennt Elisabeth die Gegenwart des lange erwarteten Messias im Schoß ihrer jungen Cousine und begrüßt sie als „die Mutter des Herrn“. Ihr eigener noch ungeborener Sohn wird ebenfalls von der erlösenden Gegenwart des Messias berührt. Es ist dies eine Gegenwart, die nur im Glauben, im Geist voll erfahren werden kann. „Gesegnet ist sie, die geglaubt hat ...“ Dieser Segen steht voll und ganz Maria zu, „die geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ {Lk 1,45). Aber er gilt auch allen jenen, die Maria auf dem Weg des Glaubens folgen, ist sie doch „der Kirche ... klarstes Urbild im Glauben und in der Liebe“ {LG 53). Heute gilt dieser Segen uns, die wir sie ehren. Unsere Verehrung bezeugt 389 REISEN die Wahrheit ihrer eigenen Worte: „Mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig“ (Lk 1,47—49). 2. Das Zweite Vatikanische Konzil wollte die besondere Stellung Mariens in der Heilsgeschichte im Zusammenhang mit dem Geheimnis Christi und dem Geheimnis der Kirche darlegen. Wegen ihrer einzig dastehenden Rolle im Leben und Werk Christi wurde sie zum Urbild des Lebens und der Sendung der Kirche. Was Maria für Jesus war, ist jetzt die Kirche berufen, für die Erfüllung des Heilswerkes Christi bis an die Grenzen der Erde zu sein. Wie Maria die Frohbotschäft der Erlösung und die Gegenwart des Erlösers selbst zu Elisabeth trägt, besteht die Kirche durch die Jahrhunderte hindurch, um die Botschaft des Evangeliums zu allen Völkern zu tragen und ihnen das Licht, das Leben und die Liebe Christi, des Erlösers, zu bringen. Jahrtausendelang war Indien die Wiege großer Religionen und alter Zivilisationen. Das Christentum lebt seit fast zweitausend Jahren harmonisch neben diesen Traditionen. Vor fast fünf Jahrhunderten sandte die Kirche Boten des Evangeliums in diese Region des ausgedehnten indischen Subkontinents. Die Absicht der Kirche - hier in Indien und überall - ist es seit jeher gewesen, die Verheißung des Lebens in Christus zu verkünden, „denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut“ (Kol 1,19 f.). Die Kirche widmet sich diesem Werk der Versöhnung und dem Dienst im Geist Christi selbst. Wie es der Prophet Jesaja vorhergesagt hatte, wurde Jesus in die Welt gesandt, „das geknickte Rohr nicht zu zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auszulöschen“, vielmehr als ein „Bund für mein Volk und ein Licht für die Völker“ (Jes 42,3.6). Während der vergangenen Jahrhunderte und auch heute führte und führt die Kirche dieses Werk des Sohnes und Knechtes Gottes in dieser Region Indiens durch selbstlosen Dienst zahlreicher Männer und Frauen fort, die sich durch ihren Glauben und ihre unermüdliche Liebe auszeichnen. <16> <16> Da mir das von den christlichen Gemeinden an dieser schönen Westküste, in ganz Karnataka und auch ganz Indien Geleistete in vielen Einzelheiten bekannt ist, sage ich voll Freude mit dem gleichen Empfin- 390 REISEN den wie Maria: Der Herr hat Großes unter seinem Volk getan! (vgl. Lk 1,49). Die eifrigen Gemeinschaften des Glaubens und der Liebe, die sich in dieser ganzen Region gebildet haben; die Erziehungsinstitute, die so viele junge Männer und Frauen für ihre verantwortungsvolle Mitwirkung an der Entwicklung des Landes vorbereitet haben; die medizinischen Zentren, die sich seit mehr als einem Jahrhundert der Kranken und Bedürftigen ohne Ausnahme und ohne Unterschied annehmen, und vieles andere, was die christliche Gemeinschaft im Dienst der Förderung und der Entwicklung der Bewohner dieser Region unternommen hat: das alles ist ein lebendiges Zeugnis für den Dienstauftrag der Kirche Christi. Die Kirche ist das pilgernde Volk Gottes, das seinem Ziel - dem endzeitlichen Reich im Haus des Vaters - zustrebt. Wenn die Kirche unter anderen Gemeinschaften und religiösen Traditionen und gemeinsam mit ihnen ihren Weg geht, erkennt sie „in den Armen und Leidenden das Bild dessen, der sie gegründet hat und selbst ein Armer und Leidender war“ {LG 8). Sie fühlt sich daher besonders dazu berufen, überall die unveräußerliche Würde jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes in jeder Nation und sozialen Stellung zu verteidigen und zu fördern. Als Diener Christi und seiner Kirche danke ich dem Herrn für die Werke des Glaubens und der Liebe, die unter euch in seinem Namen geleistet werden. Der Besuch Mariens bei Elisabeth kann auch als Anregung für euren liebenden Dienst unter euren Mitbürgern betrachtet werden. Ich möchte euren Glauben unterstützen und euren Einsatz für einen immer großzügigeren Dienst an eurem Land anspornen. Ich wende mich an alle Söhne und Töchter der Kirche: Seid treue Zeugen des auferstandenen Herrn, seid das Licht, das die Liebe Gottes unter euren Mitmenschen ausstrahlt. 4. An euch, liebe Mitbrüder im Bischofsamt, die der Heilige Geist dazu erwählt hat, über die Kirche Christi zu wachen, richte ich den Aufruf des hl. Petrus: „Sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde ... seid ... Vorbilder für die Herde! Wenn dann der oberste Hirt erscheint, werdet ihr den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen“ {1 Petr 5,2-4). Mögt ihr in eurer Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom und mit der Weltkirche viel Kraft für all euren Hirtendienst finden. Geliebte Priester, Ordensleute und Laienapostel: ihr seid mir sehr teuer. In euch sehe ich die Jünger Jesu, des Gottesknechtes. Ihr seid in der Kirche von heute seine Zeugen. Ihr seid von Christus auserwählt worden und habt euch dazu verpflichtet, Werkzeuge für den Aufbau seines 391 REISEN mystischen Leibes zu sein. Seid eurer Berufung würdig, seid hochherzig in der Erfüllung eures Auftrages. Seid mit euren Bischöfen vereint und schenkt euch ganz eurem Volk in selbstlosem und ausdauerndem Dienst. Seid Christus und seiner Kirche in Treue zugetan als immer echtere Zeichen für sein Reich. 5. Geliebte Mitchristen, die ihr bei dieser Begegnung anwesend seid und die ihr offen bekennt, daß Jesus Christus Gott und Herr und einziger Mittler zwischen Gott und den Menschen ist: Laßt uns gemeinsam unsere Herzen zum Lob unseres himmlischen Vaters erheben. Laßt uns ihm für die bereits unter uns bestehende Einheit aufgrund unserer Taufe im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes danken! Der Wille Christi ermutigt uns, in der Suche der Fülle der Einheit und des Friedens fortzufahren, wie sie einzig dem Gebet Christi beim letzten Abendmahl entsprechen: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast“ (Joh 17,21). Möge der Weg des Ökumenismus, den wir eingeschlagen haben, uns zu einer immer größeren Treue zum Herrn unseres Lebens führen! 6. Ich freue mich, auch viele Freunde hier zu sehen, die andere religiöse Überzeugungen haben. Ihre Gegenwart ist ein beredtes Zeichen für Ihr brüderliches Verhältnis zu Ihren christlichen Nachbarn und bedeutet, dessen bin ich sicher, daß Sie die Notwendigkeit für alle religiösen Traditionen erkennen, Hand in Hand jenen Kräften zu widerstehen, die gegen den Menschen und seine geistige Würde kämpfen. Da die religiösen Gemeinschaften in einer pluralistischen Welt leben, die mit Spannungen und Konflikten erfüllt ist, müssen sie die ersten sein, die in Frieden und Eintracht miteinander leben, in gegenseitiger Annahme und Zusammenarbeit. Möge Gottes Segen auf Sie alle herabsteigen, auf Ihre Gemeinschaften und Familien, auf Ihre Initiativen und Ihren Einsatz für den Dienst an Ihrem Land. 7. Was die geschätzten Repräsentanten des öffentlichen Lebens betrifft, so bitte ich den allmächtigen Gott, er möge Ihnen Weisheit und Mut schenken, damit sie tatsächlich zu Bauleuten „der Ordnung und des Friedens unter den Menschen“ (II. Vatikanisches Konzil, Schlußbotschaft) werden. Mögen Sie allzeit für die Ideale der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens wirken und kulturelle, sprachliche und religiöse Verschiedenheiten im Interesse des sozialen und wirtschaftlichen Fort- 392 REISEN Schritts und der gutnachbarlichen Beziehungen harmonisch ausgleichen. Mit Besorgnis habe ich von der großen Dürre im Staat Kamataka erfahren. In vielen Gegenden gibt es kein Wasser, Menschen und Vieh haben unter dem Mangel an Nahrung und Trinkwasser zu leiden. Mein Herz ist voll Mitgefühl für alle Leidenden. Ich möchte die Ortskirchen in Karna-taka bitten, in Zusammenarbeit mit der Regierung und mit freiwilligen Organisationen ihr Möglichstes zu tun, um in dieser Notzeit zu helfen und so wiederum ihre Berufung zum Dienst an der Menschheit unter Beweis zu stellen. Ich bitte den Herrn, reichlich Regen auf das ausgedörrte Land von Kamataka herabzusenden, damit es den Hungernden Brot geben und den Dürstenden ihren Durst stillen kann, so daß alle, körperlich wieder zu Kräften gekommen, ihrem himmlischen Vater die Ehre geben. Gleichzeitig möchte ich an die Opfer der Tragödien erinnern, die die Bemühungen des Menschen um Fortschritt begleiten. Besonders empfehle ich dem Herrn die große Anzahl derer, die im Dezember 1984 in Bhopal ihr Leben verloren haben, sowie auch jene, die zwar die traurigen Ereignisse dort überlebt, aber viel gelitten haben. Ich bete, daß sie die volle brüderliche Solidarität erfahren, deren sie bedürfen. 8. Euch allen: den Jugendlichen, die hoffnungsvoll in die Zukunft blik-ken; den Alten, Kranken und Leidenden, die sich mit der Bitte um Linderung und Trost an den Herrn wenden; den Bauern und Arbeitern, welche die von Gott geschenkten Reichtümer dieser Region in Mittel zum Lebensunterhalt und Wachstum verwandeln; den Familien der Armen und der Reichen und insbesondere den Tausenden von Emigranten aus dieser Region; euch allen sage ich ein Wort der Hochachtung und der brüderlichen Liebe. Laßt uns gemeinsam für eine Welt beten, in der jeder Mensch als Kind des lebendigen Gottes behandelt werde! Laßt uns gemeinsam für eine Gesellschaft unter dem Zeichen des Friedens und der Liebe arbeiten, in der alle Menschen von dem großen Ideal beseelt sind, Gott und ihren Mitmenschen zu dienen! 393 REISEN Für eine neue Welt, in. der nicht,,der Bruder den Bruder ausbeutet“ Ansprache an die Priester Indiens in der Bom-Jesus-Basilika in Goa am 6. Februar Liebe Priester Indiens, meine Brüder! 1. Ich grüße euch ganz herzlich in der Liebe unseres Herrn Jesus Christus, euch, die ihr hier anwesend seid, und alle jene, die nicht kommen konnten. Ich grüße jeden von euch mit tiefer Zuneigung und Dankbarkeit. Es freut mich, daß diese Begegnung mit dem indischen Klerus in der Basilika Bom-Jesus stattfindet, wo die Reliquien des hl. Franz Xaver verehrt werden. Denn dieser große Jesuitenmissionar hinterließ uns Priestern allen ein erhebendes Beispiel persönlicher Heiligkeit, außergewöhnlichen Seeleneifers und eines glühenden Verlangens, die eigenen geistlichen Reichtümer mit den Brüdern und Schwestern zu teilen, unter welchen wir leben. Ich denke auch an den missionarischen Eifer von Pater Joseph Vaz und Pater Angelo De Souza, die durch ihr priesterliches Vorbild selbstloser Hingabe und hochherzigen pastoralen Dienstes uns alle begeistern. Und wie ihr wißt, werde ich in zwei Tagen die Freude haben, hier in Indien einen eurer eigenen Brüder im Priesteramt seligzusprechen: Kuriakos Elias Chavara, einen Priester, der aus Liebe zur Kirche in vielen verschiedenen Apostolaten dieser Kirche diente und unermüdlich für ihre Einheit und ihr geistliches Wachstum tätig war. Liebe Brüder in Christus, ihr setzt in unseren Tagen den priesterlichen Dienst dieser berühmten Vorgänger fort. Wie sie vertretet ihr inmitten des Gottesvolkes den einen Hohenpriester, Jesus Christus. An seinem Priestertum haben wir alle teil. In Einheit mit euren Bischöfen und mit dem Bischof von Rom seid ihr zu der einen Heilssendung unseres Erlösers verpflichtet, der gekommen ist, um „alles im Himmel und auf Erden zu versöhnen, (indem) ... er Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut“ (Kol 1,20). Ihr seid Verkünder des Evangeliums und Baumeister der Einheit in diesem großen Land Indien. Ihr seid Diener der Kirche in diesem Land, das von Gott mit einer solchen Vielfalt an Naturschätzen und menschlichen Talenten, einer solchen Fülle an Kulturtraditionen ausgestattet wurde und dennoch ein Land ist, das für seinen Fortschritt und seine Entwicklung großer menschlicher Anstrengungen bedarf. 394 REISEN Mit meinem herzlichen Gruß möchte ich euch zugleich auch meine Bewunderung für die hervorragende Arbeit aussprechen, die ihr oft unter schwierigen Bedingungen leistet. Euer Leben ist ein Leben der Hingabe an Christus, eine Berufung, die große Opfer verlangt und viele Pflichten auferlegt, aber auch eine Weise, Christus und sein Volk zu lieben, die viel Frieden, Erfüllung und Freude schenkt. Ich bete darum, daß meine heutigen Worte euch, euch alle, ermutigen mögen, weiterhin treu und hochherzig in eurem heiligen Dienst zu sein. 2. Das Zweite Vatikanische Konzil erinnerte uns daran, daß „das Volk Gottes an erster Stelle durch das Wort des lebendigen Gottes geeint wird, das man mit Recht vom Priester verlangt. Da niemand ohne Glaube gerettet werden kann, ist die erste Aufgabe der Priester als Mitarbeiter der Bischöfe, allen die frohe Botschaft Gottes zu verkünden“ {PO 4). Diese Worte des Konzils weisen auf den Kern unserer priesterlichen Berufung: die Verkündigung des Wortes Gottes. Diese Worte sollten uns helfen, Prioritäten im Hinblick auf Zeit und Verpflichtungen zu setzen und uns die vorrangige Rolle, die wir in der Kirche erfüllen müssen, klar vor Augen zu halten. Als Priester sind wir es unserem Volk schuldig, Männer zu sein, die völlig vom Wort Gottes erfüllt sind, unaufhörlich sein Geheimnis und seine Bedeutung zu durchdringen versuchen und ständig eifrig darauf bedacht sind, die Wahrheit des Evangeliums mit anderen zu teilen. Ich weiß, daß die Heiligen Schriften der Kirche zusammen mit den verehrten Schriften anderer Religionen in Indien hochgeachtet und in Ehren gehalten werden. Und jene, die über diese Bücher meditieren und ihre geistige Nahrung daraus schöpfen, werden als die Weisen Indiens angesehen. Als Priester in diesem Land müßt auch ihr Weise sein. Das geschriebene Gotteswort und die Überlieferung der Kirche, wie sie vom Lehramt ausgelegt und dargeboten werden, sollten ständiges Objekt des Studiums, der Reflexion und des Gebets sein. Dann werdet ihr eurem Volk das Wort Gottes mit immer größerer Überzeugungskraft verkündigen können, da es zuerst in eurem eigenen Leben Wurzel gefaßt hat. Und seid versichert, daß die Treue zum Lehramt der Kirche die echte Wirksamkeit eures priesterlichen Dienstes gewährleistet. In Indien waren die Gurus als geistliche Lehrer bekannt, und sie spielten eine hervorragende Rolle bei der Weitergabe und Entfaltung religiöser Wahrheiten. Die Bedeutung des Guru als Vermittler göttlicher Wahrheit wird in Indien anerkannt. Die Notwendigkeit, die rettende Wahrheit durch jemand zu erhalten, der die Offenbarung Gottes ist, ist in der 395 REISEN indischen religiösen Tradition gleichfalls gut bekannt. Um wieviel eifriger sollten Priester ihren Sendungsauftrag als geistliche Führer für das ihrer Obsorge anvertraute Volk erfüllen, indem sie den Gläubigen die Wahrheit des Evangeliums getreu weitergeben! Wie ernsthaft sind sie dazu auf gerufen, Vermittler zwischen Gott und den Menschen zu sein durch das Wort des Heils und die Sakramente! Wie dringend erwarten die Leute doch von unseren Priestern die lebenspendende Nahrung, die in der Frohbotschaft Jesu Christi zu finden ist! 3. Ich ermutige euch, bemüht euch als Diener des Wortes, eure christlichen Gemeinden in der rechten Lehre zu formen und zu stärken, indem ihr ihnen den vollen Inhalt des Glaubens mitteilt. Scheut keine Anstrengungen, um diese Aufgabe unter Einsatz aller verfügbaren modernen Methoden zu erfüllen. Schenkt dabei den Kindern und Jugendlichen besondere Beachtung, vernachlässigt aber auch nicht die den Bedürfnissen der verschiedenen Gruppen angepaßte Erwachsenenkatechese. Durch eine so sorgfältig geplante christliche Bildung der eurer Obsorge anvertrauten Menschen wird euch die Heranbildung einer wohlunterrichteten und eifrigen Laienschaft gelingen, die fähig ist, ihre Verantwortung in Kirche und Welt wirkungsvoll wahrzunehmen. Sie wird mithelfen, christliche Gemeinden von tiefem Glauben, lebhafter Hoffnung und tätiger Liebe zu formen, und wird imstande sein, die für sie geeigneten Verantwortlichkeiten in der Kirche auf sich zu nehmen. Auf diese Weise werden die Laien gleichsam zum Sauerteig in der Welt, während sie an der Verbesserung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen der Gesellschaft arbeiten. Sie werden bereitwillig mit allen Menschen guten Willens, ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit, für die Schaffung einer gerechteren Gesellschaftsordnung Zusammenarbeiten. Und inmitten der Laien müßt ihr, meine geliebten Brüder, als Diener und Führer stehen; als Diener, die sich selbst restlos hingeben, als Führer, die das eine Volk Gottes auf den Wegen des Herrn formen, inspirieren und führen. Ihr müßt wahrhaftig Leute der Einheit in einer Welt sein, die von Spaltung und Gewalt bedroht ist. 4. Die Verkündigung des Wortes Gottes und die verschiedenen Formen priesterlicher Führung finden ihren Höhepunkt in der Eucharistie, denn die Eucharistie ist „Quelle und Höhepunkt aller Evangelisation“ (PO 5). In der andächtigen Feier der heiligen Liturgie arbeitet ihr voll am Werk der Heiligung mit. Keine andere Aufgabe, die ihr vollbringt, wird so viel 396 REISEN zum Aufbau der Gemeinde beitragen. Der beste Dienst, den ihr der Kirche als Priester leisten könnt, ist jener, das eucharistische Opfer zum Mittelpunkt eures eigenen Lebens zu machen und zum Mittelpunkt des Lebens der Menschen, denen ihr dient. Die Identität des Priesters ist immer mit der Eucharistie verknüpft. Ebenso dient ein Priester in unersetzlicher Weise der Kriche, wenn er treu den Dienst der Versöhnung erfüllt, wie er insbesondere im Bußsakrament geübt wird. Nur der geweihte Priester kann Sünden im Namen Jesu Christi vergeben. Wenn ihr „an Christi Statt“ handelt, helft ihr den Sündern, die persönliche Liebe der Heiligsten Dreifaltigkeit zu erfahren. Ihr seht zu eurer Freude, wie Gottes Barmherzigkeit in den Herzen der Gläubigen neues Leben und neue Hoffnung hervorbringt. Die Kirche hat die Sakramente eurer Obhut anvertraut und bittet euch, sie zum geistlichen Wohl des ganzen Gottesvolkes zu verwalten. Wie sehr bedürfen Christenherzen dieses eures einzigartigen und unersetzlichen Dienstes und sehnen sich danach! 5. Eine wichtige Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils ist die universale Berufung zur Heiligkeit. Jedermann ist dazu aufgerufen, Gott mit ganzem Herzen und ganzer Seele zu lieben und seinen Nächsten aus Liebe zu Gott zu lieben. Keiner ist von dem Aufruf Jesu ausgeschlossen: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (Mt 5,48). Welch großer Bedarf besteht an Priestern, die die Menschen davon überzeugen sollen, daß sie alle zur Heiligkeit berufen sind! Und wie können sie das tun, wenn nicht ihre eigenen Herzen von Liebe zu Christus erfüllt sind? Meine Brüder, ihr müßt Männer des Gebets sein, Männer, die Gott nahe sind und die in seiner Gegenwart zu leben wissen. Gleichwohl trennt euch priesterliche Heiligkeit nicht von jenen, denen ihr dient. Wohl habt ihr die besondere Bestimmung für die Frohbotschaft Gottes, aber sie sondert euch nicht ab von den übrigen Gläubigen. Vielmehr helft ihr als wahre Brüder in Christus, die mit den wirklichen Lebensverhältnissen eures Volkes, besonders der Armen, vertraut sind, daß diese die Stimme des Guten Hirten hören können, und ihr vermittelt ihnen durch die Sakramente und das Wort Gottes lebenspendende Gnade. Wir dürfen nicht vergessen, daß unser Dienst nur dann Erfolg haben kann, wenn wir ihn als „Gottes Mitarbeiter“ (1 Kor 3,9), als „Diener Christi und Verwalter von Geheimnissen Gottes“ {1 Kor 4,1) übernehmen, indem wir in tiefer Verbundenheit mit dem Einen leben und arbeiten, der unser wahres Leben ist, Christus Jesus unser Herr. Als 397 REISEN Priester werden wir vom Vater auf gef ordert, mit dem Vertrauen eines Kindes uns in seine Hand zu geben, unsere Zuversicht auf ihn zu setzen und uns völlig unter die Macht seines Geistes zu stellen. Er fordert uns auf, unseren priesterlichen Dienst ganz auf die Herrlichkeit der Heiligsten Dreifaltigkeit auszurichten. Das ist der bewährte Weg zur Fruchtbarkeit unseres Dienstes. Hört die Worte Jesu an seine ersten Jünger: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5). Was für reiche Gedanken schwingen in diesen Worten mit und welch tiefe Anforderungen stellen sie an euch, Priester Indiens! Das Volk dieses großen Landes der Gurus und Weisen ist ein Volk, das in seiner tiefen Religiosität weiter nach Gurus sucht, die wahrhaft Gottesmänner sind, Männer, eingetaucht in Gott, Männer, die die eigene Gotteserfahrung ausstrahlen. Mehr als Männer des Tuns braucht dieses Volk Männer des Gebets. Wie eifrig bestrebt müßt ihr daher sein, aus dieser Quelle des Lebens zu trinken, die Jesus selber ist! 6. Meine Brüder im Priesteramt, brauche ich euch überhaupt daran zu erinnern, daß ihr Männer der Kirche sein sollt? Hört, was uns der hl. Paulus zu sagen hat: „Christus hat die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen. So will er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos“ (Eph 5,25-27). Folgt dem Beispiel unseres großen Hohenpriesters. Liebt die Kirche und denkt im Gebet nach über ihr Wesen als Leib Christi auf Erden und als Sakrament des Heiles. Liebt die Kirche auch, wenn ihr ihre Schwächen wahrnehmt, und arbeitet ernsthaft für ihre echte Erneuerung gemäß dem Evangelium. Denkt daran, daß jeder von uns mit seinen eigenen persönlichen Fehlem Glied dieser Kirche ist, die ständig der Erneuerung bedarf. Jeder von uns trägt mit seinen persönlichen Fehlern irgendwie zu der Entstellung des Antlitzes der Kirche bei. Jede Reform muß mit einem Wandel unserer eigenen Herzen beginnen. Männer der Kirche sein bedeutet, ihr mit unentwegter Treue zu dienen. Es bedeutet, ihr mit einem Herzen zu dienen, das nicht zurückweicht, selbst wenn ihr um ihretwillen leiden müßt. Es bedeutet, in wahrer und tiefer Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom und mit euren eigenen Bischöfen und Brüdern im Priesteramt zu leben, indem ihr übereinstim- 398 REISEN mend als Lehrer desselben Glaubens, als Hirten der einen Herde, als Führer der christlichen Gemeinschaft der Kirche dient. 7. Bevor ich schließe, meine lieben Brüder, möchte ich zu euch noch von zwei pastoralen Anliegen sprechen, die mir ein wahres Herzensanliegen und in der heutigen Kirche von großer Bedeutung sind: nämlich die Solidarität mit den Armen und das brüderliche Interesse an der Jugend. In den letzten Jahren ist sich die Kirche zunehmend der Aufforderung des Herrn bewußt geworden, für die Armen zu sorgen. Die Heilige Schrift bezeugt klar und deutlich Gottes besondere Liebe für die Armen, die Unterdrückten, die Ausgestoßenen und die Notleidenden. Und als Jesus mit seinem Wirken begann, machte er sich die Worte des Jesaja zu eigen: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Bünden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze“ (Lk 4,18). Christus bestätigte diese Worte durch sein ganzes Leben in Solidarität mit den Armen, in aktivem Interesse an allen Notleidenden. Wie der hl. Paulus sagte: „Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen“ (2 Kor 8,9). Ihr, meine priesterlichen Brüder, seid für diesen seinen Dienst gesalbt worden. Wichtig ist sich klarzumachen, daß die Liebe des Priesters zu den Armen, wenn sie echt sein soll, einer tiefen Gotteserfahrung entspringen muß. Sie beginnt mit einem Lebensstil der Einfachheit und des demütigen Dienstes an aUen, auch denjenigen, die nicht arm sind. Und sie soll zum Aufbau einer neuen Welt, einer neuen menschlichen Gemeinschaft führen, in der nicht der Bruder den Bruder ausbeutet, sondern wo die Herzen in Frieden miteinander verbunden sind. Als zweites bitte ich euch dringend, die jungen Menschen zu einem wichtigen Teil eurer pastoralen Sorge zu machen. Zieht sie, indem ihr für sie offen und wirklich an ihnen interessiert seid, ins Gespräch über das menschliche Leben und führt sie zum Heilsdialog in Christus. Zeigt ihnen durch euer Vorbild, daß Christus sie liebt und umgekehrt ihre Liebe erwartet. Ermutigt die Jugend dazu, im Gebet über ihre besondere Berufung in der Kirche nachzudenken. Der Herr der Ernte segne uns reich mit Ordens- und Priesterberufen! Meine gebebten Brüder im Priesteramt, ich bin dankbar für diese Gelegenheit, zu euch über unseren priesterlichen Dienst zu sprechen. Wißt, daß ich jeden Tag für euch bete, und ich bitte euch, für mich und für die Kirche überall auf der Welt zu beten. Ich vertraue euch der liebenden 399 REISEN Fürbitte Mariens, der Mutter der Priester, an. Mit tiefer Liebe zum Herrn segne ich euch und bitte euch, fahrt immer noch hochherziger ünd einsatzbereiter fort in eurem priesterlichen Dienst, dem Dienst, Jesus eurem Land Indien zu schenken. „Liebt eure Familien und liebt euer Land“ Predigt beim Wortgottesdienst in Trichur am 7. Februar Liebe Freunde! Es ist wirklich eine große Freude für mich, auf meiner apostolischen Pilgerreise durch Indien Trichur zu besuchen. 1. Ich danke Bischof Kundukulam für seine freundlichen Willkommensworte, und ich grüße alle Bischöfe, Priester, Ordensleute und die hier in großer Zahl anwesenden Gläubigen. Von diesem Ort, dem Zentrum des Distrikts Trichur aus, grüße ich die syro-malabarischen Diözesen des nördlichen Kerala: Trichur, Tellichery, Mananthavady, Palghat und Irin-jalakuda; die syro-malankarischen Diözesen Tiruvalla und Battery, die lateinische Erzdiözese Verapoly und die Diözesen Calicut und Coimba-tore. Ich danke den Vertretern der anderen christlichen Kirchen für ihre Anwesenheit: den Christen des Orients, den syrisch-orthodoxen Christen, den „Anjoorians‘‘, den Marthomiten und allen, die im hl. Apostel Thomas die Gründung der Kirche Christi in Indien ehren. Ich möchte meine Hochschätzung und Aufmerksamkeit gegenüber den Vertretern aller religiösen Traditionen in dieser Region zum Ausdruck bringen. Die zivilen Autoritäten und die Männer und Frauen, die die verschiedenen Bereiche des öffentlichen Dienstes vertreten, versichere ich meiner Hochachtung und meines Wohlwollens. Möge der allmächtige Gott, unser gemeinsamer Vater, unser Ursprung und unser Ziel, diese Zusammenkunft segnen und eine aufrichtige Gesinnung gegenseitiger Achtung und Liebe zu all unseren Mitmenschen in uns wecken zum Aufbau einer gerechteren und mehr friedliebenden Welt! 400 REISEN 2. Brüder und Schwestern in Christus, wie wahr sind die Worte des Psalmisten: „Seht doch, wie gut und schön es ist, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen!“ (Ps 133,1). Als ihr das Glaubensbekenntnis in eurer eigenen Malayalam-Sprache betetet, habe ich dem allmächtigen Gott für euer Bekenntnis des Glaubens gedankt. Der Glaube an den auferstandenen Herrn, nach der Überlieferung durch den Apostel Thomas an diese Küste gebracht, lebt in euren Gedanken und euren Herzen. Und darum sage ich mit dem hl. Paulus: „Ich danke Gott jederzeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch in Christus Jesus geschenkt wurde“ (1 Kor 1,4). Als ich heute die Lampe in eurer Mitte an dem Licht entzündete, das eure jungen Leute mit einer Fackel von Crangannore hierhergetragen haben, erinnerte ich daran, wie Christus durch die Predigt der Apostel als das Licht der Völker, das Licht der Welt, bekanntgemacht wurde. Jesus selbst hat gesagt: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben“ {Joh 8,12). Ist es daher nicht angemessen, daß ich als der Nachfolger des Petrus, zum Dienst an der Einheit berufen, Dank sage dafür, daß dieses Licht in diesem Land seit den frühesten Jahren des Christentums leuchtet? Soll ich nicht Gott dafür preisen, daß eure Vorfahren durch all die Jahrhunderte bestrebt waren, in diesem Licht zu gehen und ihre Schritte von ihm leiten zu lassen? Soll ich nicht mit euch allen zu Gott beten, daß dieses Licht auch weiterhin, heute euch und morgen euren Kindern, leuchte und euch und sie inspiriere, so daß euer Leben erfüllt sei von der Gegenwart dessen, der „jeden Menschen erleuchtet“ (Joh 1,9)? <17> <17> Brüder und Schwestern in Christus, heute ruft euch der Herr dazu auf, den Glauben hochzuhalten und die Bindung an den Herrn, die ihr und eure Vorfahren vollzogen habt, frei zu bekennen. Heute ruft euch Christus, das Licht der Welt, dazu auf, daß ihr dieses Licht immer klarer aufleuchten laßt durch das Zeugnis eures Lebens und durch die guten Werke, durch die ihr die Echtheit eures christlichen Lebens bezeugt. Denn Licht ist erst dann wirklich Licht, wenn es leuchtet und die Welt ringsumher erhellt. Ihr seid also dazu berufen, daß ihr eure Herzen und eure Häuser von dem Licht erhellen laßt. Das möge in einem so vollen Maß geschehen, daß ihr wirklich „Kinder des Lichtes“ seid, die immer im Licht gehen. Erst dann wird das Licht Christi auf alles scheinen, was ihr tut, und auf alle, mit denen ihr in Berührung kommt: eure Nachbarschaft, eure Welt 401 REISEN der Arbeit, der Studien, der Kunst und der Dienste, in denen ihr bei nationalen und lokalen Vereinigungen euren Einsatz leistet. Das wird auch symbolisch angedeutet durch die Grundsteine und die Gedenktafeln, die ich segnen werde. 4. Christus, das Licht der Völker, ist in besonderer Weise das Licht jeder christlichen Familie, jedes christlichen Hauses. Wir sind in eindrucksvoller Weise durch die jungen Ehepaare daran erinnert worden, die hier ihr Eheversprechen erneuert haben. Wir waren Zeugen des Versprechens, das sie abgegeben haben: „von diesem Augenblick an bis zum Tod in gegenseitiger Liebe und gegenseitigem Vertrauen in herzlicher Verbundenheit zu leben“. Wir, die wir Zeugen ihres Versprechens waren, sind aufgerufen, sie mit unserem Gebet zu unterstützen, damit sie es erfüllen können. Ich versichere ihnen und allen Familien Keralas und Indiens, daß sie einen besonderen Platz in meinen Gebeten einnehmen. Gesunde Familienverhältnisse sind wesentlich für das Wohlbefinden der einzelnen und der Gesellschaft (vgl. GS 47). Ich weiß, daß das Familienleben, der indischen Tradition entsprechend, sich größter Hochschätzung erfreute und gepflegt wurde. Heute jedoch ist die Famivielfach von Schwierigkeiten verschiedener Art bedrängt. Menschen, die ein feines Empfinden für die wirklichen Bedürfnisse der Gesellschaft haben, werden ohne Zweif el darauf hinweisen, daß der Schutz von Ehe und Familienleben dringend Aufmerksamkeit erfordert. Dies ist ein ernstes Anliegen aller religiösen Traditionen und aller Bereiche der bürgerlichen Gesellschaft. Mit Rücksicht darauf hat der Hl. Stuhl eine Charta der Familienrechte veröffentlicht, die sich an die Regierungen, die Internationalen Organisationen, an die Familien selbst und an alle richtet, die um das Wohl der Familien besorgt sind. Die Rechte der Familie, die von der Charta angeführt werden, beruhen auf den gemeinsamen Werten der ganzen Menschheit. Der Hl. Stuhl hofft inständig, daß dieses Dokument als Bezugspunkt diene in einem weltweiten Bemühen, die Familie als die Grundzelle der Gesellschaft und die erste Umwelt für die persönliche und soziale Entwicklung des Menschen zu erhalten und zu stärken. 5. Ich möchte eure Aufmerksamkeit auf einen der Grundbegriffe in der Präambel der Charta lenken: „Die Familie stellt, weit über eine juridische, soziale oder wirtschaftliche Einheit hinaus, eine Gemeinschaft der Liebe und Solidarität dar und ist in einzigartiger Weise dazu geeignet, kulturelle, ethische, soziale, geistige und religiöse Werte zu lehren und weiterzugeben, die wesentlich sind für die Entwicklung und das Wohl ihrer eigenen Mitglieder sowie der Gesellschaft.“ 402 REISEN Das Familienleben in Kerala und in Indien ist stets eine solche Gemeinschaft der Liebe und Solidarität gewesen und strebt beständig danach, es zu sein, und ich ermutige euch, die Familie als Institution zu verteidigen und zu fördern. Vor allem die christlichen Familien sind aufgerufen, ihre Identität und die ihnen zukommende Rolle zu gründen auf den Willen Gottes hinsichtlich des Familienlebens. Die Familie hat wesentlich „die Sendung, die Liebe zu hüten, zu offenbaren und mitzuteilen als lebendigen Widerschein und wirkliche Teilhabe an der Liebe Gottes zu den Menschen und an der Liebe Christi, unseres Herrn, zu seiner Braut, der Kirche“ (Familiaris consortio, 17). Christliche Familien von Kerala, vergebt nicht, daß euer Heim der ideale Ort ist, Gottes Liebe zu erfahren und sie bekannt zu machen! Ich habe mich gefreut, als ich hörte, unter den Thomaschristen gebe es den alten Brauch, einem Neugeborenen den Namen Jesus zusammen mit dem Namen des Kindes ins Ohr zu flüstern. Muß man nicht heute, da eine echte christliche Erziehung der Jugend dringender denn je ist, solche Bräuche weiterpflegen? Sind solche Überheferungen nicht ein wahrer Ausdruck der geistlichen und menschlichen Werte, auf denen sich christliche Familien aufbauen? Ist es für euch nicht eine ausgezeichnete Weise elterlicher Liebe, euren Kindern von den frühesten Jahren an eine tiefe Liebe zu unserem Herrn Jesus Christus einzupflanzen, sie beten zu lehren, sie in den Katechismuswahrheiten zu unterweisen und sie in das Leben der Kirche einzuführen? — Mögen eure Familien gesegnet sein in Eintracht und Liebe. 6. Den jungen Leuten möchte ich sagen: Liebt eure Familien und euer Land! Liebt die Kirche und nehmt immer mehr an ihrem Leben teil! Einige von euch haben die Fackel von Crangannore und ein Bild des hl. Thomas von Palayur hierhergetragen. Der Papst fordert die Jugend von Kerala und die Jugend Indiens auf, durch dieses Symbol zu erkennen, wie notwendig es ist und wie ihr dafür verantwortlich seid, euren Zeitgenossen und all denen, die nach der Wahrheit suchen, Licht, Brüderlichkeit, Hoffnung und Solidarität anzubieten. Ihr sehnt euch nach einer besseren Welt. Eine gerechtere, friedlichere, menschlichere Welt ist möglich, aber sie muß Schritt für Schritt aufgebaut werden. In diesem Prozeß werden eure Ideale, eure Energien und euer Glaube gebraucht. Laßt Christus euer Licht sein! 7. Die Diözese Trichur übergibt, in Zusammenarbeit mit dem Plan der Regierung zur Wohnungbeschaffung für die Armen, eine große Anzahl 403 REISEN von Wohnungen an Bedürftige. Ihr habt den Wunsch ausgesprochen, ich möge den Schlüssel zu einer der Wohnungen überreichen als ein Zeichen für das, was getan wurde und was noch zu tun bleibt. Wir haben hier einen Beweis für die Entwicklung, das Ergebnis lobenswerter Zusammenarbeit zum Wohl der Gesellschaft als Ganzes. Diese besondere Geste unterstreicht den Zusammenhang zwischen sozial-wirtschaftlichen Fakten und der Förderung der Würde des Menschen entsprechend der ganzheitlichen Bestimmung seiner Person (vgl. GS 63). Damit sich der einzelne wie die Familie wirklich der Beständigkeit und der Freiheit in jenem Maß erfreuen kann, wie die persönliche Entfaltung es erfordert, ist ein gewisses Minimum an Lebensstandard und Arbeitsmöglichkeit unbedingt notwendig. In der Welt nimmt die Erkenntnis zu, daß der Fortschritt nicht das ausschließliche Recht einiger bevorzugter Personen oder auch Nationen ist, sondern daß die Wohltaten der Entwicklung allen zukommen sollten. In einer Welt großer Ungleichheiten, in der Denk- und Verhaltensmuster sich nur langsam ändern, ist es geboten, daß man sich in allen Bereichen der Gesellschaft der Verpflichtung bewußt wird, das Erreichen jenes Maßes an sozialer Gerechtigkeit zu beschleunigen, das darin besteht, die Grundbedürfnisse des Lebens für jeden Bürger sicherzustellen. Regierungen und andere Einrichtungen auf diesem Gebiet müssen in ihren Bemühungen ermutigt werden. Religiöse Körperschaften haben diesbezüglich vor allem die Aufgabe, das Gewissen hinsichtlich der sozialen Rechte und Pflichten zu schärfen und zu gewährleisten, daß die Menschenwürde und die geistige Natur menschlichen Lebens und Wirkens überall anerkannt und gefordert werden. Dies ist das Werk der Gerechtigkeit, das wir unter dem Antrieb der Liebe ausführen müssen (vgl. GS 72). Liebe Freunde von Trichur und aus allen Teilen Keralas, Christus, das Licht der Völker, kam in diese Welt durch seine unbefleckte, jungfräuliche Mutter Maria. Ich weiß, mit welch großer Herzlichkeit ihr sie verehrt. Ich möchte euch darin bestärken. Es ist mir eine Freude, euch bei dieser Gelegenheit der Hundertjahrfeier der Diözese Trichur und ihrer Kathedrale der Sorge und der Fürbitte der Muttergottes anzuvertrauen. Ihre Statue, die ich krönen werde und die in der Kathedrale ihren Platz hat, wird eine Erinnerung an meine Pilgerfahrt zu euch sein, eine Erinnerung daran, daß wir zusammen zu ihr gebetet haben, deren Glaube von Generation zu Generation weiterleuchtet als Vorbild unseres Gehorsams gegenüber Gott und unserer freudigen Annahme seines Willens in unserem Leben. Möge sie über euch wachen und euch immer beschützen! 404 REISEN Kirche ist „Dienerin der Versöhnung“ Predigt bei der Messe in Cochin am 7. Februar Es ist „ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alle und in allem ist“ (Eph 4,6). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich grüße euch in der Liebe Christi! Ich bin sehr glücklich, in dieses Gebiet von Kerala zu kommen und euch zu sehen. Und wenn ich meinen Fuß nun auf euer gastfreundliches Land gesetzt habe, möchte ich gemeinsam mit euch diesem „einen Gott“ die Ehre geben, der der Vater von uns allen ist. Jenem Gott, dem die Erde und das ganze Weltall gehören. Im Psalm heißt es: „Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner“ (Ps 24,1). Und so, Brüder und Schwestern, mögen wir, zur Eucharistiefeier versammelt, zu einer einzigen Stimme werden, die Gott, dem Schöpfer und Vater, Ehre erweist. Laßt uns seine Ehre im Namen aller seiner Geschöpfe verkünden, denn sie alle gehören ihm. Besonders laßt uns ihm Ehre erweisen im Namen dieses eures Landes und aller seiner Bewohner. <18> <18> Ihr seid von verschiedenen Gegenden Keralas, der Wiege des Christentums in Indien, hierhergekommen. Diese ganze Region, von Flüssen, Seen und Kanälen durchzogen, von Palmen umsäumt, mit anmutigen Hügeln, die mit einer reichen und vielfältigen Vegetation bedeckt sind, bietet dem Pilger einen wunderbar lieblichen Anblick. Hier suchten Angehörige verschiedener Religionen in Eintracht und gegenseitiger Hilfsbereitschaft zu leben. Eure vielgestaltige Kultur und die reichen Traditionen eures Familienlebens haben dem sozialen und religiösen Leben dieser Gegend ein Merkmal geistlicher Lebenskraft eingeprägt. In diesem geschichtlichen Zusammenhang wollen wir nun die heilige Eurcharistie feiern. Damit wird dieser Ort zu einem heiligen Ort Gottes; zu einem Ort seiner Gegenwart, des Opfers Christi. „Wer darf hinaufziehn zum Berg des Herrn, wer darf stehn an seiner heiligen Stätte? Der reine Hände hat und ein lauteres Herz . . . Das sind die Menschen, die nach ihm fragen, die dein Antlitz suchen, Gott Jakobs“ {Ps 24,3.4.6). Wir sind die Menschen von heute, die das Antlitz des lebendigen Gottes suchen. Und das gibt unserem gesamten Erdenweg, unserer Pilgerschaft 405 REISEN durch dieses Leben seine Richtung. Das Suchen nach dem Antlitz des lebendigen Gottes kennzeichnet den Pilgerweg der Kirche Jesu Christi, die auf dem Fundament der Apostel errichtet ist. Dies ist auch der Weg der Kirche in Kerala. 3. In der Gemeinschaft der Thomaschristen hat die Christenheit in Kerala die Jahrhunderte überlebt. Sie ist stark geworden durch das Wirken der Söhne und Töchter der Kirche, die durch ihre Heiligkeit und ihren Eifer zur Festigung dieser Kirche beigetragen haben. Sie verdankt besonders viel dem hl. Franz Xaver, der von 1542-1545 in diesem Gebiet gearbeitet hat. Die Kirche in Kerala gibt mit ihrem traditionellen Dienstangebot auf erzieherischem, medizinischem, sozialem und karitativem Gebiet und in der Entwicklungshilfe ein leuchtendes Zeugnis für die Botschaft des Evangeliums. Heute müssen sich die Nachkommen dieser Apostel die Frage stellen: Wie steht es um den Glauben, der uns anvertraut wurde? Die Mitglieder der Kirchen und christlichen Gemeinschaften in Kerala haben das Beispiel des hl. Apostels Thomas vor sich. Als er seine Schwierigkeiten überwunden hatte, bekannte er erschüttert seinen Glauben mit den Worten: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28). Und es ist unsere heilige Aufgabe, diesen Glauben einstimmig mit dem hl. Thomas zu bekennen und jene eine Kirche aufzubauen, die Christus in seinem hohepriesterlichen Gebet ersehnt hat: „Alle sollen eins sein“ (Joh 17,21). 4. Im tiefsten Sinn ist die Einheit der Kirche ein Geschenk des Vaters durch.Christus, „als Quelle und Mittelpunkt der kirchlichen Gemeinschaft“ (UR 20). Christus ist es, der uns seinen Geist mitteilt. Der Geist aber „macht den ganzen Leib lebendig, eint und bewegt ihn“ (vgl. LG 7). Diese innere Einheit wird wunderbar beschrieben in den Worten des Apostels, die uns gerade vorgelesen worden sind: „Ein Leben und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alle und in allem ist“ (Eph 4,4-6). Herrliche, erhebende Worte! Sie verkünden die Aufgabe der Kirche zu jeder Zeit und in jeder Generation. Es ist heilige Pflicht der Kirche, diese Einheit zu bewahren, die nichts anderes ist als unbedingte Treue zu ihrem Herrn. Und sie muß nach Wiederherstellung dieser Einheit streben, wo sie geschwächt oder getrübt wurde. Diese fundamentale Einheit schließt freilich in keiner Weise berechtigte 406 REISEN Verschiedenheit aus. Ihr seid lebendige Zeugen für die Vielfalt der liturgischen wie der geistlichen Überlieferungen und der kirchlichen Disziplin, die der Präsenz der Kirche in Kerala ihre Form geben. 5. In dieser Etappe meiner Pilgerreise möchte ich die Bischöfe und Priester, die Ordensmänner und Ordensfrauen grüßen, ferner die Laien der Ortskirchen, die hier vertreten sind: die Erzdiözese Emakulam sowie die Diözese Kothamangalam des syro-malabarischen Ritus; die Erzdiözese Verapoly, deren Jahrhundertfeier in dieses Jahr fällt, dazu die Diözesen Cochin und Alleppey des lateinischen Ritus. Herzlich grüße ich auch die Mitglieder der ehrwürdigen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, mit denen die katholische Kirche in verschiedenem Grad kirchliche Gemeinschaft hält. Möge der Heilige Geist, das Lebensprinzip der Kirche (vgl. UR 2), unsere Herzen reinigen, so daß wir in Freude alles anerkennen, was uns eint. 6. Der Brennpunkt kirchlicher Einheit ist die Person unseres Herrn und Heilands Jesus Christus, des Sohnes Gottes. Er ist der „Eckstein“ (Mi 21,42) an Gottes Bauwerk, der Kirche (vgl. 1 Kor 3,9). Er - der „Eckstein“ des neuen Volkes Gottes, der gesamten erlösten Menschheit - ist in dieser eucharistischen Gemeinschaft gegenwärtig. Er zieht uns zu sich hin und damit zur Einheit untereinander. Hören wir auf die Worte seines hohepriesterlichen Gebetes beim letzten Abendmahl. Dort spricht er zu seinem Vater: „Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir“ (Joh 17,11). Jesus bittet seinen Vater, dessen Namen er den Jüngern bekanntgemacht hat. Da er selber nicht länger in der Welt bei ihnen sein wird, bittet er den Vater, sie vereint zu halten in der Kenntnis des Wortes, das er ihnen anvertraut hat (vgl. Joh 17,14). Ziel dieses Gebetes ist vor allem die Einheit jener, die er auserwählt hat, der Apostel. Doch sie weitet sich aus auf alle seine Nachfolger zu aller Zeit. In seinem Gebet zum Vater sagt er nun: „Ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein“ (Joh 17,20f.). Brüder und Schwestern, wir sind eingeschlossen in dieses Gebet Jesu: Alle sollen eins sein. Doch Jesus nennt weiter die Bedingung für diese fundamentale Einheit, und sagt in seinem Gebet: „Ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh 17,19). Einheit gründet sich auf der Wahrheit, auf der Wahrheit des Wortes, das 407 REISEN er geoffenbart hat, auf der Wahrheit des ewigen Wortes des Vaters, das er, der Heiland, tatsächlich ist. Die Wahrheit dieses Wortes wurde durch Christus und durch die Apostel, die ausgesandt wurden, um zu taufen und in seinem Namen zu lehren, der Kirche anvertraut: „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ {Joh 17,18). Einheit soll nicht nur um unseretwillen allein bestehen, sondern ist auf die ganze Welt hin gerichtet: damit sie glauben kann, daß der Vater seinen Sohn gesandt hat zu seinem ewigen Ruhm und zu unserem Heil (vgl. Joh 17,21.23). 7. Unsere Einheit ist Quelle unserer Freude und unseres Friedens. Trennung, Uneinigkeit und erst recht Haß aber'sind der Einheit vollständig entgegengesetzt. Sie sind Übel und stehen letztlich mit dem Widersacher in Verbindung. Im gleichen Gebet bat Jesus den Vater, seine Jünger vor dem Bösen zu bewahren (vgl. Joh 17,15). Damit wird das hohepriester-liche Gebet, das das Gut der Einheit preist, zugleich ein inniges Gebet um die Überwindung alles dessen, was der Einheit entgegensteht. Es ist daher ein Gebet um Versöhnung. Um Versöhnung in zahlreichen Formen: - im Menschen selbst; - zwischen den einzelnen; - zwischen den Christen (hier zeigt sich die Bedeutung des Ökumenis-mus); - zwischen Christen und Nichtchristen; - zwischen Nationen und Staaten, zwischen den entwickelten und weniger entwickelten Regionen der Erde (und das bedeutet Frieden - denn „Entwicklung ist der neue Name für Frieden“). Versöhnung ist eine tiefreichende Erfahrung des menschlichen Geistes. In ihrer höchsten Form besteht sie darin, daß der liebende Vater dem verlorenen Sohn, der versucht war, eine Welt für sich selbst aufzubauen, außerhalb des Einflußbereichs seines Vaters, seine Arme zum Willkommen entgegenstreckt. Die Leere, in die seine Entscheidung führte, die Einsamkeit, der damit einhergehende Verlust seiner Würde - das alles schlägt Wunden, die dringend nach Heilung rufen, nach Rückkehr und einem neuen Entdecken der Barmherzigkeit des Vaters: ein Ruf nach Versöhnung mit Gott, in unserem eigenen Inneren, zwischen dem Menschen und seinem Mitmenschen, zwischen den verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften; und immer beginnt sie mit einer tiefen Umwandlung des Herzens. Versöhnung hat auch eine soziale Dimension. Sie überwindet Klassen- 408 REISEN denken und regionale Rivalitäten. Sie beseitigt Formen ungerechter Diskriminierung. Vor allem hält sie die einzigartige Würde jedes Menschen hoch und setzt sich für die Achtung der Menschenrechte ein, wo immer sie verletzt werden. Als Bürger Indiens, eines ausgedehnten Landes mit vielen Sprachen, Bräuchen und Religionen, ist euch sicher die wesentliche Bedeutung eines echten Geistes der Versöhnung und des Friedens im öffentlichen Leben klar. Diesen Geist findet ihr auch in den Lehren Mahatma Gandhis. 8. In Gehorsam gegenüber ihrem Gründer muß die Kirche in Indien Dienerin der Versöhnung sein: - Dienerin der Versöhnung der gesamten geschaffenen Welt mit Gott, unserem Schöpfer und Ziel; - Dienerin der Versöhnung der einzelnen mit sich selbst, indem sie ihnen hilft, die Spaltungen zu überwinden, die das menschliche Herz verwunden; und die Schranken abzubauen, die die Menschen voneinander getrennt halten und ihnen alle Hoffnung rauben; - Dienerin der Versöhnung in der Welt, angesichts der ständig zunehmenden Spannungen, die sogar das Überleben der Zivilisation bedrohen. In diesem Geist sollten wir die an uns gerichteten Worte des Apostels Paulus verstehen: „Ich . . . ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging. Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe und bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält“ (.Eph 4,1-3). In der Einheit des Geistes und im Band des Friedens verbunden, sind wir zu dieser Feier versammelt: die Bischöfe dieser Region Kerala, die Nachfolger der Apostel mit dem Nachfolger des Petrus; die Priester, Ordensleute und Laien. Wir erkennen die Einheit an, die uns aufgrund der Taufe mit allen unseren christlichen Brüdern und Schwestern im Glauben an Christus verbindet. Wir verkünden zugleich unsere Solidarität mit unseren Brüdern und Schwestern, die Hindu oder Muslime sind oder anderen religiösen Überlieferungen folgen und deren Gegenwart die gemeinsame Entschlossenheit anzeigt, sich für eine Welt einzusetzen, die sich auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden für alle gründet. Wir grüßen in Hochachtung die zivilen Autoritäten sowie die Vertreter aller Bereiche des kulturellen und des öffentlichen Lebens dieser Region, und wir rufen über sie Gottes Segen herab für ihr Bemühen, dem Gemeinwohl zu dienen. 409 REISEN Als Gemeinschaft in Christus sind wir im Zeichen der Einheit und Versöhnung versammelt, die ihren stärksten Ausdruck in der Eucharistiefeier finden. Hier weiht sich Christus selber, so daß auch wir in Wahrheit geweiht sind (vgl. Joh 17,19). Im Geist der Einheit und der Versöhnung erheben wir unsere Herzen zu dem „einen Gott und Vater aller, der über allem und durch alle und in allem ist“ {Eph 4,6). Ihm sei Ruhm und Ehre in alle Ewigkeit. Amen. Suche nach Einheit auf Ortsebene Ansprache bei der Begegnung mit dem Katholikos der malankarischen jakobitischen syrisch-orthodoxen Kirche, Mar Baselius Paulose II., in Cochin am 7. Februar Eure Seligkeit! Liebe Brüder in Christus! „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel“ (Eph 1,3). 1. Diese Worte, die der hl. Paulus an die Christen von Ephesus richtete, mache ich mir heute zu eigen. Ich tue das, weil ich unsere heutige Begegnung als einen Segen betrachte, den Gott unseren Kirchen und im besonderen den Katholiken und den Syrisch-Orthodoxen Indiens gewährt. Die Freude und Hoffnung, die ich in diesem Augenblick erlebe, stehen in keinem Verhältnis zu der unvermeidlichen Kürze unseres Treffens - einer Kürze einzig und allein infolge des sehr umfangreichen Programmes meines Pastoralbesuches in Ihrem großen Land. <19> <19> Es ist eine Freude für mich, Eure Seligkeit wiederzusehen und Sie, Ihre Bischöfe und alle, die Sie begleiten, zu begrüßen. Auch habe ich nicht vergessen, daß bei dem Besuch, den Seine Heiligkeit Ignatius Zakka Iwas I., der Patriarch der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien, mir vor zwei 410 REISEN Jahren in Rom abstattete, auch Sie zugegen waren. Die Gemeinsame Erklärung, die ich mit ihm bei dieser Gelegenheit unterzeichnet habe, zeigte in ihren dogmatischen und pastoralen Konsequenzen einen entscheidenden Schritt in den Beziehungen zwischen unseren beiden Kirchen auf dem Weg zur Einheit an. Ich weiß, daß diese Erklärung hier sowohl in Ihrer Kirche wie unter den katholischen Gläubigen eine große Wirkung hatte. Ich weiß ebenso, daß Eurer Seligkeit daran liegt, die Bedeutung dieser Erklärung immer wieder zu unterstreichen, und daß Sie Vorschläge für ihre praktische Verwirklichung gemacht haben. Die Vorschläge haben bei vielen Katholiken zustimmende Erwiderung gefunden. Ich hege die Hoffnung, daß unsere Kirchen Schon bald neue und wirksame Mittel finden werden, um im theologischen Dialog und in der pastoralen Zusammenarbeit miteinander voranzugehen. Seine Heiligkeit Zakka Iwas und ich bekräftigten in unserer Gemeinsamen Erklärung: „Dabei vergessen wir nicht, daß wir noch alles in unserer Macht Stehende unternehmen müssen, um zur vollen sichtbaren Gemeinschaft zwischen der katholischen Kirche und der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien zu gelangen, und unaufhörlich und flehentlich unseren Herrn bitten müssen, uns jene Einheit zu gewähren, die allein es uns ermöglichen wird, der Welt ein im Vollsinn einmütiges Zeugnis des Evangeliums zu geben.“ Und wir fuhren fort: „Wir verpflichten uns feierlich, alles uns Mögliche zu tun, um die letzten Hindernisse zu beseitigen, die einer vollen Gemeinschaft zwischen der katholischen Kirche und der syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien noch im Wege stehen“ (Gemeinsame Erklärung, Rom, 23. 6. 84: O.R., dt. 20. 7. 84, 4). <20> <20> Eure Seligkeit! Es ist ein Segen Gottes, daß wir hier in der Lage sind, unsere Verpflichtung zu bekräftigen und alle unsere Brüder im Bischofsamt und alle Gläubigen aufzufordern, sie sich zu eigen zu machen. Da wir berufen sind, eine Quelle der Einheit und Versöhnung innerhalb unserer Kirchen, zwischen unseren Kirchen und in der Welt zu sein, müssen wir gebührende Bedeutung auf die Suche nach Einheit auf Ortsebene legen, weil alle Spaltung ein Hindernis für die Verbreitung des Evangeliums und damit für die Erfüllung der Berufung der Kirche darstellt. Gemeinsam dürfen wir in dieser Kirche vor dem Altar Gottes erneut seinen Ruf vernehmen, alles uns Mögliche zu tun, um beschleunigt jenen gesegneten Tag herbeizuführen, an dem wir imstande sein werden, gemeinsam die Eucharistie zu feiern. Diese Begegnung ist durch Sie und die Bischöfe und Ihre anderen Begleiter für mich eine Begegnung mit Ihrer ganzen Kirche. Mit brüderli- 411 REISEN eher Liebe zu meinem Bruder, Seiner Heiligkeit Patriarch Zakka Iwas I., flehe ich auf ihn, auf Eure Seligkeit, auf Ihren Klerus und auf Ihr Volk reichen Segen herab. „So spricht Jesus, und er spricht zu jedem“ Predigt bei der Seligsprechung von P. Kuriakos und Sr. Alphonsa in Kottayam am 8. Februar „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde“ (Mt 11,25). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Das sind die Worte Jesu von Nazaret, und als er sie sprach, war er voll Freude im Heiligen Geist. Welch tiefe Bedeutung haben sie für uns heute! „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast“ {Mt 11,25). Was hat der Herr verborgen? Was für Geheimnisse hat er offenbart? Wirklich die tiefsten, die Geheimnisse seines eigenen göttlichen Lebens, jene, die hier auf Erden nur er, Christus selbst, genannt hat. Denn er sagt: „Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ {Mt 11,27). Und seht, der Sohn offenbart all das. Und er offenbart zugleich den Vater. Der Vater wird durch den Sohn offenbart. Wem aber offenbart der Sohn all das? Er offenbart es, wem er es offenbaren will: „Ja, Vater, so hat es dir gefallen“, sagt Jesus zum Vater. Er offenbart all das den Kleinen und Geringen. <21> <21> Heute, bei dieser Liturgiefeier, möchten wir uns in besonderer Weise mit Christus, dem Herrn, vereinen. Zusammen mit ihm möchten wir den Vater lobpreisen für die besondere Liebe, die er einem Sohn und einer Tochter der Kirche in Indien bezeigt hat. Wir preisen ihn für seinen unermeßlichen Segen während der zweitausend Jahre der Existenz der Kirche auf indischem Boden. Mit Christus verherrlichen wir den Vater 412 REISEN wegen der Liebe, die er den Kleinen und Geringen in Kerala und Indien erwiesen hat. Die Kirche auf der ganzen Welt freut sich mit der Kirche in Indien, weil Pater Kuriakos Elias Chavara und Schwester Alphonsa von der Unbefleckten Empfängnis zu den Reihen der Sehgen in der großen Gemeinschaft der Heiligen erhoben werden. Dieser Mann und diese Frau, beide Glieder der syro-malabarischen Kirche hier in Kerala, sind durch ihr rückhaltloses Mitwirken mit der Gnade Gottes zu großen Höhen der Heiligkeit emporgestiegen. Beide besaßen eine glühende Gotteshebe, aber der eine wie die andere folgte einem ganz bestimmten geistlichen Weg. 3. Pater Kuriakos Elias Chavara wurde hier in Kerala geboren, und er bemühte sich im Laufe der fast fünfundsechzig Jahre seines Erdendaseins hochherzig darum, das christliche Leben zu erneuern und fruchtbarer zu machen. Seine tiefe Liebe zu Christus erfüllte ihn mit apostohschem Eifer und ganz besonders mit der Sorge um die Förderung der Einheit in der Kirche. Mit großem Edelmut arbeitete er im Dienst am Heil der Seelen mit anderen zusammen, vor allem mit seinen Brüdern im Priesteramt und mit Ordensleuten. Zusammen mit P. Thomas Palackal und P. Thomas Porukara gründete Pater Kuriakos eine indische Ordensgemeinschaft für Männer, die heute unter dem Namen Karmeliten von der Unbefleckten Empfängnis Mariens bekannt ist. Später legte er mit Hilfe eines italienischen Missionars, P. Leopold Beccaro, den Grund zu einer indischen Ordensgemeinschaft für Frauen, zur Kongregation Unserer Lieben Frau vom Karmel. Diese Kongregationen wuchsen und gedeihten, und man gewann größeres Verständnis für Ordensberufungen und würdigte sie mehr. Durch die gemeinsamen Anstrengungen der Mitglieder der neuen Ordensfamilien wurden die Hoffnungen des Gründers weit übertroffen und seine Werke vervielfältigt. Das Leben von P. Kuriakos und diesen neuen Ordensleuten war dem Dienst an der syro-malabarischen Kirche gewidmet. Unter seiner Führung oder auf seine Anregung hin wurde eine große Anzahl von apostolischen Initiativen unternommen: Einrichtung von Seminaren für die Ausbildung des Klerus, Einführung von jährlichen Exerzitien, ein Verlagshaus für katholische Veröffentlichungen, ein Haus zur Pflege von Armen und Sterbenden, Schulen zur Allgemeinbildung und Programme zur Unterweisung von Katechumenen. Er leistete Beiträge zur syro-malabarischen Liturgie und zur Ausbreitung der eucharistischen Frömmigkeit und der Verehrung der Heiligen Familie. Vor allem widmete er sich ermutigend 413 REISEN und beratend den christlichen Familien, überzeugt von der grundlegenden Aufgabe der Familie im Leben der Gesellschaft und der Kirche. Aber kein apostolisches Anliegen war dem Herzen dieses großen, im Glauben so verwurzelten Mannes teurer als das der Einheit und Eintracht innerhalb der Kirche. Es war, als habe ihm immer das Gebet Jesu vor der Seele gestanden, das der Herr am Abend vor seinem Kreuzespofer sprach: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein“ (Joh 17,21). Heute erinnert die Kirche feierlich in Liebe und Dankbarkeit an all sein Bemühen, der drohenden Uneinigkeit zu widerstehen und die Priester und Gläubigen zu ermutigen, die Einheit mit dem Sitz des Petrus und der Universalkirche aufrechtzuerhalten. Der Erfolg, den er in dieser Hinsicht wie in all seinen vielen Unternehmungen hatte, ist zweifellos der großen Bruderliebe und dem Gebet zuzuschreiben, die sein tägliches Leben kennzeichneten, seiner innigen Verbundenheit mit Christus und seiner Liebe zur Kirche als sichtbarem Leib Christi auf Erden. 4. Schwester Alphonsa von der Unbefleckten Empfängnis, die ein Jahrhundert nach Pater Kuriakos Elias geboren wurde, hätte dem Herrn gern mit ähnlichen apostolischen Werken gedient. Und sie pflegte auch vom Anfang ihres Ordenslebens an eine persönliche Andacht zu Pater Kuriakos. Aber der Weg zur Heiligkeit war für Schwester Alphonsa offensichtlich ein anderer. Es war der Weg des Kreuzes, der Weg der Krankheit und des Leidens. Schon in früher Jugend hatte Schwester Alphonsa den Wunsch, Gott als Ordensfrau zu dienen, aber erst nach vielen Prüfungen konnte sie schließlich an dieses Ziel gelangen. Als es dann möglich war, trat sie in eine Gemeinschaft von Klarissinnen ein. Während ihres ganzen Lebens - das nur sechsunddreißig Jahre währte - dankte sie Gott unaufhörlich für die Freude und das Privileg ihres Ordensberufs, für die Gnade ihrer Gelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams. Schon früh in ihrem Leben erfuhr Schwester Alphonsa große Leiden. Im Lauf der Jahre ließ sie der himmlische Vater immer mehr am Leiden seines geliebten Sohnes teilhaben. Denken wir daran, wie sie nicht nur sehr heftige körperliche Schmerzen ertrug, sondern auch das innere Leiden, von anderen mißverstanden und falsch beurteilt zu werden. Aber immer nahm sie alles Schwere mit heiterer Gelassenheit und Gottvertrauen an und war fest davon überzeugt, daß dies ihre Beweggründe läutern und ihr helfen würde, ihre Eigenhebe zu überwinden und sie enger mit ihrem geliebten göttlichen Bräutigam zu verbinden. Sie schrieb an 414 REISEN ihren geistlichen Führer: „Lieber Vater, da mein guter Herr Jesus mich so sehr liebt, wünsche ich aufrichtig, auf diesem Krankenbett zu bleiben und nicht nur dies, sondern auch anderes zu leiden, was immer es sei, selbst bis ans Ende der Welt. Ich spüre, daß Gott die Absicht hat, mein Leben zu einer Opfergabe zu machen, zu einem Opfer des Leidens“ (20. Nov. 1944). Sie brachte es fertig, das Leiden zu lieben, weil sie den leidenden Christus liebte. Sie lernte das Kreuz lieben durch ihre Liebe zum gekreuzigten Herrn. Schwester Alphonsa wußte, daß sie durch ihre Leiden am Apostolat der Kirche teilhatte, sie fand Freude in ihnen, indem sie alles Christus aufopferte. So scheint sie sich die Worte des hl. Paulus zu eigen gemacht zu haben: „Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt“ (Kol 1,24). Gott hatte sie auch mit einer liebevollen und glücklichen Gemütsart ausgestattet, mit der Fähigkeit, sich an gewöhnlichen und einfachen Dingen zu erfreuen. Das Gewicht menschlichen Leidens, selbst Mißverständnisse und Eifersucht von seiten anderer, vermochte nicht die Freude am Herrn auszulöschen, die ihr Herz erfüllte. In einem Brief, den sie kurz vor ihrem Tod in einer Zeit heftigen körperlichen und geistlichen Leidens geschrieben hat, sagte sie: „Ich habe mich ganz Jesus übergeben. Er mag mir zuteilen, was er will. Mein einziger Wunsch in dieser Welt ist, aus Liebe zu Gott zu leiden und darin meine Freude zu finden“ (Febr. 1946). 5. Pater Kuriakos wie auch Schwester Alphonsa geben Zeugnis für die Größe und Schönheit der Berufung zum Ordensleben. Und gern möchte ich bei dieser Gelegenheit besonders der Ordensmänner und Ordensfrauen gedenken, die hier anwesend sind, wie auch aller Ordensleute in Indien. Jeder, der in Christus getauft ist, hat „eine besonders wertvolle Perle“ gefunden (Mt 13,45). Denn alle Getauften haben teil am Leben der Heiligsten Dreifaltigkeit selbst und sind berufen, „Licht“ und „Salz“ der Welt zu sein (Mt 5,13.16). Aber innerhalb der großen Familie der Kirche beruft Gott, unser Vater, einige von euch, Christus noch enger nachzufolgen und das Leben in einer besonderen Weihe durch die Profeß der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams ihm zu schenken. Ihr, Ordensleute der Kirche, legt öffentlich Zeugnis für das Evangelium und für den Primat der Gottesliebe ab. Durch eine fortdauernde Bindung und lebenslange Treue zu euren Gelübden sucht ihr in der Christusverbundenheit zu wachsen und in einer einzigartigen Weise zum Leben und zur 415 REISEN Sendung der Kirche beizutragen. Und wie lebenswichtig ist dieser euer Beitrag! In reicher Verschiedenheit der Form lebt ihr voll eure evangelische Weihe. Einige von euch haben den persönlichen Anruf des Herrn zu einem kontemplativen Leben vernommen, in dem ihr, wenn auch verborgen vor der Welt, euer Leben und Beten für die ganze Menschheit darbringt. Andere wurden zu einem aktiven, apostolischen Leben berufen, in dem ihr euren Dienst des Lehrens, der Gesundheitsfürsorge, der Pfarrarbeit, der Exerzitien, der Werke der Caritas und vieler Formen pastoraler Tätigkeit erfüllt. Welchen Dienst auch immer ihr leistet, liebe Brüder und Schwestern in Christus, zweifelt nie am Wert eures gottgeweihten Lebens. Ob euer Dienst den großen apostolischen Mühen des Paters Kuriakos gleicht oder ob er die Form des verborgenen Leidens annimmt, wie bei Schwester Alphonsa, was immer er sein mag, er ist wichtig im Leben der Kirche. Denkt an das Wort des hl. Paulus in der zweiten Lesung der heutigen Eucharistiefeier: „Wir wissen, daß Gott. . . alles zum Guten führt“ (Röm 8,28). Auch wenn ihr euch mutlos fühlt oder niedergeschlagen wegen persönlicher Versäumnisse oder Sünden, vertraut dann um so mehr auf die Liebe Gottes zu euch. Wendet euch zu ihm um Erbarmen, Vergebung und Liebe. Denn wie der hl. Paulus in der gleichen Lesung sagt: Gott „nimmt sich unserer Schwachheit an“ (Röm 8,26). In ihm finden wir unsere Kraft, unsern Mut und unsere Freude. Ohne den lebenswichtigen Beitrag von Ordensmännern und Ordensfrauen würde die barmherzige Liebe der Kirche abnehmen, ihre Fruchtbarkeit würde geschmälert werden. Und so bete ich denn, daß die Seligsprechung dieser beiden vorbildlichen Ordensleute Indiens euch neuen Eifer für eure kostbare Berufung verleihen möge. In eurer eigenen Liebe zu Christus mögt ihr durch die Glut dieser beiden Sehgen noch mehr entzündet werden. Und wie sie mögt ihr die Einfachheit der „Unmündigen“ des Evangeliums bewahren. Seid reinen Herzens und voll Erbarmen. Seid immer darauf bedacht, dem Herrn zu gefallen. Denn den Kleinen werden die Geheimnisse Gottes offenbart (vgl. Mt 11,25). 6. Und nun möchte ich alle grüßen, die zu dieser Feier nach Kottayam gekommen sind. Ich grüße meine Brüder im Bischofsamt, den Klerus und die Gläubigen, die von den anderen Diözesen Keralas, besonders von der Erzdiözese Changanacherry und den Diözesen Kanjirapally, Kottayam, Palai, Tiruvalla und Vijayapuram, hierhergekommen sind. Mit Achtung und Hochschätzung danke ich allen anderen Mitchristen wie auch unseren Hindu- und Muslimbrüdem und den Anhängern anderer Religionen, die 416 REISEN mich heute durch ihre Anwesenheit ehren. Ich bin dankbar für die Anwesenheit der zivilen Autoritäten, und ich rufe auf alle Menschen den Segen der Freude und des Friedens herab. Dieser Tag ist wirklich außerordentlich in der Kirche und in der Christenheit auf indischem Boden. Er ist bedeutend auch in der Geschichte des pastoralen Dienstes des Bischofs von Rom, des Nachfolgers des hl. Petrus. Es ist ja das erste Mal, daß er die Freude hatte, einen Sohn und eine Tochter der Kirche in Indien, ihrem Heimatland, zur Ehre der Altäre zu erheben. Darum singen wir mit dem Psalmisten in der heutigen Liturgiefeier und danken gemeinsam: „Wie schön ist es, dem Herrn zu danken, deinem Namen, du Höchster, zu singen . . . Denn du hast mich durch deine Taten froh gemacht, Herr, ich will jubeln über die Werke deiner Hände. Wie groß sind deine Werke, o Herr!“ (Ps 92,2.5 f.). Ja, groß sind die Werke Gottes! Und das größte Werk Gottes auf Erden ist der Mensch. Die Ehre Gottes ist der Mensch, der ganz aus dem Leben Gottes lebt. Die Ehre Gottes ist die Heiligkeit des Menschen und der ganzen Kirche. Heiligkeit ist ein Werk der göttlichen Gnade. Wenn wir sie feierlich inmitten des Volkes Gottes in diesem Land verkünden, geben wir dem Allerhöchsten die Ehre. Mit den Worten des hl. Augustinus preisen wir Gott und sagen: „Wenn du Verdienste krönst, krönst du deine eigenen Gaben.“ 7. Ja, dieser Tag ist wirklich außerordentlich! Der Prophet Jesaja sagt: „So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken“ (Jes 55,9). Heute ist es uns gegeben, tiefer in diese göttlichen Gedanken einzudringen. Und es ist uns gegeben, besser die göttlichen Wege zu erkennen. Und seht, was für Wege! Was für Wege! Der Apostel schreibt: „ . . . denn alle, die er im voraus erkannt hat, hat er auch im voraus dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben, damit dieser der Erstgeborene von vielen Brüdern sei. Die aber, die er vorausbestimmt hat, hat er auch berufen, und die er berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht, die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht“ (Röm 8,29f.). Das sind die Gedanken Gottes. Das sind die Wege Gottes. Heute ist es uns gegeben, zu sehen, wie diese Gedanken erfüllt sind im seligen Kuriakos Elias und der seligen Schwester Alphonsa. Heute sehen wir, wie diese Wege Gottes durch ihre Herzen führen, durch ihre irdische Pilgerschaft, hin zur Ehre der Altäre. 417 REISEN 8. „Ja, Vater“, sagt Jesus, „so hat es dir gefallen“ (Mt 11,26). Und er fährt fort: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Last zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin gütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht“ (Mt 28-30). So spricht Jesus, und er spricht zu jedem. Wir sind zur Heiligkeit berufen. Wir sind zur Vereinigung mit ihm berufen: mit seinem Herzen, mit seinem Kreuz, mit seiner Herrlichkeit. So spricht Jesus. Und zusammen mit Jesus der selige Kuriakos und die selige Alphonsa. Ihre Herzen sind vereint mit dem Herzen des göttlichen Erlösers und sind erfüllt von Liebe zu allen Söhnen und Töchtern eures gesegneten Landes. Amen. „Den Willen des Herrn erfüllen“ Ansprache bei der Begegnung mit dem Katholikos der malankarischen syrisch-orthodoxen Kirche, Mar Baselius Mar Thomas Mathews I., in Kottayam am 8. Februar Heiligkeit! Liebe Freunde und Brüder im Herrn! „Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (2 Kor 13,13). 1. Es ist mir eine Freude, Sie mit diesen Worten des Glaubens und der Hoffnung zu begrüßen, die der hl. Paulus an die Christen von Korinth richtete. Gesegnet sei der Geist Gottes, der uns mit seiner Liebe erfüllt hat und uns in die Fülle der Wahrheit führt. Es ist derselbe Geist, der in die Herzen der Getauften überall auf der Welt ein Verlangen danach einpflanzt, sich in vollkommener Einheit zusammenzufinden, um den Willen Jesu zu erfüllen, den er im Gebet zu seinem Vater ausgesprochen hat: „Sie sollen eins sein, damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21). Zuerst müssen wir danken für die Annäherung, zu der es zwischen unseren Kirchen in den letzten Jahren gekommen ist. 418 REISEN 2. Der Besuch, den Eure Heiligkeit mir vor drei Jahren abgestattet haben, bezeichnete eine wichtige Stufe auf unserem Weg zu größerer Einheit miteinander und mit Christus. Voll Dankbarkeit denke ich an unsere Begegnung und an Ihre Wallfahrt zu den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus. Sie richteten dann an mich die von Hoffnung und brüderlicher Liebe erfüllten Worte: „Es ist unsere Aufgabe“ - sagten Sie -, „Geschichte zu bereuen und im Einklang mit dem Willen des Herrn neu zu gestalten.“ Wir stehen nun in der Entwicklung, den Willen des Herrn zu erfüllen, einer Entwicklung, für die unser heutiges, wenn auch kurzes Treffen ein untrügliches Zeichen ist. Wir dürfen auf unserem Weg zur Einheit nicht säumig werden; unsere Trennungen sind - wie alle Trennungen unter denen, die an Christus glauben - ein Hindernis für die Verbreitung des Evangeliums und für die Erfüllung unserer Berufung. Ich weiß, daß Sie, Heiligkeit, bei verschiedenen Anlässen Ihrem Wunsch nach Fortschritten in den brüderlichen Beziehungen zwischen Katholiken und Syrisch-Orthodoxen in Indien Ausdruck gegeben haben. Wie ich zu Ihnen sagte, als Sie der Kirche von Rom Ihren historischen Besuch abstatteten: „ökumenismus auf örtlicher Ebene ist von entscheidender Bedeutung für die allgemeine Förderung der Einheit aller Christen. Einheit ist ein charakteristisches Merkmal der christlichen Gemeinschaft. Spaltung in ihren verschiedenen Formen trübt, ja gefährdet sie manchmal“ (Audienz am 3. Juni 1983: DAS 1983, 1000). <22> <22> Mit Ihnen wünsche ich, daß unsere Kirchen bald wirksame Wege zur Lösung der dringenden pastoralen Probleme, die vor uns liegen, finden mögen und daß wir miteinander in brüderlicher Liebe und in unserem theologischen Dialog Fortschritte machen, denn das sind die Mittel, durch die Versöhnung unter den Christen und Versöhnung in der Welt zustande kommen kann. Ich kann Ihnen versichern, daß die katholische Kirche aufgrund der Verpflichtung, die sie auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil übernahm, zur vollen Beteiligung an dieser Initiative bereit ist. Die Freude, Sie, Heiligkeit, und Ihre Delegation hier an dieser heiligen Stätte begrüßen zu dürfen, gibt unserer Hoffnung und unserem Gebet Nahrung. Möge der Herr recht bald den Tag herbeiführen, an dem wir nach Überwindung der noch zwischen uns stehenden Differenzen gemeinsam an diesem heiligen Altar die Eucharistie feiern können. Ich danke Ihnen für diese Begegnung, und ich flehe den Segen des allmächtigen Gottes auf Eure Heiligkeit und auf den Klerus und das Volk Ihrer Kirche herab. Seien Sie meiner Liebe in Christus Jesus unserem Herrn versichert. 419 REISEN Arme und Leidende haben einen besonderen Platz Predigt beim Wortgottesdienst in Trivandrum am 8. Februar Meine Lieben in Christus! Meine Pilgerreise hat mich nun nach Trivandrum geführt! 1. Ich wiederhole für euch, meine Brüder und Schwestern aus dieser Gegend von Kerala, die Grußworte des Apostels Paulus: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ {Phil 1,2). Gnade und Frieden: das sind die großen Gaben der Liebe Gottes, die dem tiefen Sehnen unserer menschlichen Herzen entsprechen! Auf dem Weg vom Flugplatz konnte ich die St.-Josefs-Kathedrale und die Unserer Lb. Frau besuchen. Diese Besuche besitzen besonderen Symbolwert. Sie drücken die Fülle der kirchlichen Gemeinschaft und des Friedens zwischen uns aus: zwischen dem Nachfolger des Petrus und euren Ortskirchen, der lateinischen Diözesen Trivandrum, Quilon und Punalur und dem syro-malankarischen Metropolitansitz Trivandrum. In diesem Geist der Einheit innerhalb des mystischen Leibes Christi grüße ich herzlich meine Brüder-Bischöfe, die Priester, die Ordensmänner und Ordensfrauen und die Gläubigen aller Diözesen, die hier vertreten sind. Wenn wir Herz und Sinn zum allmächtigen Gott, Vater, Sohn und Heiligen Geist, erheben, empfinden wir die tiefe Freude unserer Solidarität als Jünger unseres Herrn und Heilands Jesus Christus! Die hohen zivilen Autoritäten sowie die Vertreter der verschiedenen christlichen Kirchen, dazu unsere Brüder und Schwestern, die aus anderen religiösen Traditionen kommen, grüße ich mit herzlichen Gefühlen der Hochachtung und Wertschätzung. <23> <23> Auf dieser Etappe meiner Pilgerreise durch Indien möchte ich meinen Besuch in Trivandrum dazu benutzen, ein besonderes Wort der Zuneigung an die syro-malankarische Kirche zu richten, deren Hauptsitz Trivandrum unter Leitung von Erzbischof Mar Gregorios ist. Eure Kirche, liebe Brüder und Schwestern, führt ihren Ursprung auf den hl. Apostel Thomas zurück. Ihr besitzt eine uralte liturgische Überlieferung, die ihren Ursprung in Antiochien hat, wo die Anhänger Jesu zum ersten Mal „Christen“ genannt wurden (Apg 11,26). Über 16 Jahrhunderte hindurch blieb eure Kirche in ungebrochener 420 REISEN Gemeinschaft mit dem Sitz des Petrus. Dann gab es eine Reihe von Schwierigkeiten, die diese Gemeinschaft unterbrochen haben, doch unser Jahrhundert wurde unauslöschlich gekennzeichnet durch die leuchtende Figur von Erzbischof Mar Invanios, der bei meinem Vorgänger Pius XI. auf Weisheit und Empfänglichkeit für die Sache der christlichen Einheit stieß, als er ihm 1932 einen historischen Besuch abstattete. Mit großer Freude erfahre ich, daß der jüngste Abschnitt in der Geschichte eurer Kirche eine Zeit des Wachstums und kräftigen christlichen Lebens gewesen ist. Die Errichtung des Maria, der Mutter der Kirche, geweihten Großen Seminares ist ein Zeichen für eure Lebenskraft. Diese bietet große Hoffnungen für weitere Stärkung und Festigung in der Zukunft. 1980 hatte ich die große Freude, Kardinal Rubin als meinen persönlichen Vertreter zu euren Jubiläumsfeierlichkeiten entsenden zu können. Heute aber wird mir die Gnade zuteil, euch persönlich besuchen zu dürfen. Heute möchte ich euch daher in eurem Glauben und eurer Treue zu den alten Überlieferungen bestärken sowie in eurem aufrichtigen Bemühen, brüderliche Beziehungen zu euren Brüdern und Schwestern der jakobitischen und orthodoxen Kirchen und zu den anderen kirchlichen Gemeinschaften zu pflegen. Möge euer ständiges Verlangen dahin gehen, daß bald die Zeit kommt, da das Gebet unseres Herrn um vollkommene Einheit unter all seinen Jüngern Wirklichkeit wird (vgl. Joh 17,21), so daß die Kirche an jedem Ort und zu allen Zeiten leuchtend dasteht als „das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk“ (vgl. Cyprian, De orat. Dom: PL 4, 536; LG 4). <24> <24> Bischof Jacob sowie allen Priestern, Ordensleuten und Laien der lateinischen Diözese Trivandrum spreche ich meine brüderliche Liebe in unserem Herrn Jesus Christus aus. Der hebevollen Fürbitte unserer himmlischen Mutter empfehle ich das Leben eurer Pfarreien, eure Schulen und Kollegien, dazu die karitativen und pastoralen Organisationen, die euer diözesanes Leben großenteils tragen. Als die demütige Magd des Herrn (vgl. Lk 1,48) steht Maria vor euch als vollkommenes Beispiel für euren täglichen Dienst in den kirchlichen und zivilen Gemeinschaften, in denen ihr die Botschaft des Evangeliums vom Leben (vgl. Joh 10,10) verkündet und wirksames Zeugnis gebt für das Gesetz der Liebe, wie es im Evangelium beschrieben wird (vgl. Joh 13,34). Der Nachfolger des Petrus ist heute sehr glücklich, in eurer Mitte weilen zu dürfen. Und ich bete, daß mein Besuch euch stärkt und ermutigt. 421 REISEN 4. Brüder und Schwestern in Christus! Als Christen sind wir berufen zu dienen, Christus selbst hat gesagt: „Ich bin unter euch wie der, der bedient“ (Lk 22,27). Dienst ist als Weg sehr klar in Leben und Dienst Jesu vorgezeichnet. Auch wir müssen diesen Weg gehen. Das Kind in der Krippe von Betlehem, das im Tempel verlorene Kind, der Zimmermann von Nazaret, der Lehrer, der am Brunnen von Sichar sitzt (vgl. Joh 4,6), der Meister, der den Jüngern die Füße wäscht (vgl. Joh 13,5), der Menschensohn endlich, der sein Leben hingibt für seine Freunde (vgl. Joh 15,13) - all das sind nur wenige Beispiele der Liebe Gottes zum Menschen, die durch Jesus Christus im Auf und Ab der menschlichen Geschichte am Werk ist. Nach den feierlichen Worten des hl. Paulus war Jesus Christus „Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern entäußerte sieh und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich {Phil 2,6 f.). Auch die Kirche ist gerufen, in ihrem Leben und Dienst das Vorbild des Dienstes Jesu zu erneuern. Wie er muß die Kirche in einem Geist der Dienstbereitschaft für die Menschheitsfamilie handeln, denn für sie bedeutet der Dienst an der Menschheitsfamilie Dienst an Christus, ihrem Herrn. In diesem Sinn sind bestimmte Formulierungen des Zweiten Vatikanischen Konzils für uns eine ständige Herausforderung: „Die Kirche umgibt alle mit ihrer Liebe, die von menschlicher Schwachheit angefochten sind ... In den Armen und Leidenden erkennt sie das Bild dessen, der sie gegründet hat und selbst ein Armer und Leidender war. Sie müht sich, deren Not zu erleichtern, und sucht Christus in ihnen zu dienen“ (LG 8). War dies nicht die Erfahrung der Heiligen zu jeder Zeit und an jenem Ort? Wurde uns dieses Beispiel nicht von der Schar der Männer und Frauen hinterlassen, die Christus in dieser Gegend von Kerala bezeugt haben? Sind eure Pfarreien und Institutionen heute nicht gerade in diesem Sinn tätig? Sind nicht viele von euch persönlich in vielfältiger Form im Dienst an euren Brüdern und Schwestern in Not engagiert, wobei ihr keine Diskriminierung kennt und keinen irdischen Vorteil oder Gewinn sucht? 5. Die Kirche hier und in ganz Indien ist eine dienende Kirche. Sie erblickt ihren armen und leidenden Gründer in den Gesichtern all derer, die, ob jung oder alt, Opfer der Armut in all ihren Formen sind: Opfer des Hungers und schlechter Ernährung, unannehmbarer Lebensbedingungen, von Krankheiten, fehlender Schulbildung und manchen Formen der Ungerechtigkeit bei der Arbeit und in der Gesellschaft, der Beraubung 422 REISEN fundamentaler Freiheiten und Diskriminierungen aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht, Gemeinschaftszugehörigkeit oder Sprache. Im messianischen Reich Christi haben die Armen und Leidenden einen besonderen Platz. Das Reich gehört tatsächlich ihnen: „Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes“ (Lk 6,20). Die Zeichen der Präsenz des Reiches Gottes aber sind die Verkündigung der Frohen Botschaft für die Armen, der Freilassung der Gefangenen, der Genesung der Blinden, die ihr Augenlicht zurückerlangen, und der Befreiung der Unterdrückten, die Ausrufung eines Gnadenjahrs des Herrn (vgl. Lk 4,18; Jes 61,2). All dies heißt, daß der Dienst der Kirche am Reich Gottes erfüllt wird in ihrem Dienst an den Armen und Leidenden. Die Kirche schließt niemanden von ihrem Mitleid und ihrem Dienst der Liebe aus. Wie eine gute Mutter hebt sie alle: Kinder, Jugendliche und Alte, Arbeiter, Obdachlose und Hungernde, Behinderte, diejenigen, die ohne geistlichen Beistand sind, und diejenigen, die ihre Sündhaftigkeit anerkennen und so durch die Kirche die heilende Berührung Christi erfahren. Allen, aber besonders den Armen, bietet die Kirche die Frohbotschaft von der natürlichen und übernatürlichen Würde des Menschen an. In Christus wurde der Mensch auf die Stufe der Gotteskindschaft erhoben. Er ist Kind Gottes, berufen zu einem Leben in Würde in dieser Welt und bestimmt für das ewige Leben. Die Kirche ist die Heimat der Armen und Reichen zugleich, denn „Gott schaut nicht auf die Person“ (Gal 2,6). Doch muß sich jede Gemeinschaft innerhalb der Kirche besonders darum bemühen, daß die Armen sich in ihr voll daheim fühlen können. Aus diesem Grund muß die Kirche selbst in „Demut und Selbstverleugnung“ (LG 8) bereit sein, den Weg der Enterbten und jener zu gehen, die nach Gerechtigkeit suchen. So wandelt sie in den Fußstapfen ihres Herrn, der „sich entäußerte und wie ein Sklave wurde“ (Phil 2,7). 6. Vor 20 Jahren hat das Zweite Vatikanische Konzil klargestellt, daß wir in einer Zeit leben, in der „das Wachstum der Wirtschaft, vernünftig und human gelenkt und koordiniert, die sozialen Ungleichheiten mildern könnte“ (GS 63). Gleichzeitig sah das Konzil aber richtig voraus, daß materielle Entwicklung allzuoft nur der Verschärfung der Ungleichheiten dient (vgl. GS 63). Für größere soziale Gerechtigkeit ist folgendes nötig: die wirtschaftliche Entwicklung und die technischen Mittel, die sie produziert, müssen in den Dienst des Menschen gestellt werden: in den Dienst des ganzen und jedes Menschen, ob Mann, Frau oder Kind, und ohne untragbare Formen der Diskriminierung. In seiner Sozialenzyklika Mater 423 REISEN et magistra bekräftigte Papst Johannes XXIII. einen Grundsatz, der auch heute noch volle Gültigkeit besitzt: „Wirtschaftlicher Fortschritt muß vom entsprechenden sozialen Fortschritt begleitet sein, so daß alle Klassen der Bürger an der steigenden Produktivität teilhaben können“ (Nr. 73). Wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt müssen ferner dem ganzheitlichen Wohl der menschlichen Person dienen. Der Mensch darf daher nicht als bloßes Produktionsmittel gelten. Er ist vielmehr seiner menschlichen Würde und seinen Bedürfnissen entsprechend zu behandeln, die nicht nur materieller, sondern auch kultureller und geistiger Art sind. Indien versteht die Geistnatur der menschlichen Person. Eure Kultur macht euch aufgeschlossen für die transzendentalen Werte, die ein untrennbarer Teil der menschlichen Tätigkeit und des Beziehungsfeldes sind. Die Welt sieht sich der Herausforderung gegenübergestellt: Entwicklung muß übereinstimmen mit der Förderung der geistigen Würde der einzelnen und ihrer unveräußerlichen Rechte. Ihr besitzt eine alte Weisheit, die betont, daß nicht der materielle Fortschritt einem Volk und einer Nation guttut, sondern eher der daraus folgende soziale Frieden und die Freiheit, eingeschlossen die Gewissens- und Religionsfreiheit. 7. Brüder und Schwestern der katholischen Kirche! Als Bürger eures Landes habt ihr das Recht und die Pflicht, zum Fortschritt der bürgerlichen Gesellschaft beizutragen, der ihr angehört. Ich ermutige euch dazu, dies im Geist des Dienstes zu tun, im Geist Christi, der uns die volle Bedeutung der Liebe gelehrt hat. Der hl. Johannes sagt: „Daran haben wir die Liebe erkannt, daß Er sein Leben für uns hingegeben hat. So müssen auch wir für die Brüder das Leben hingeben.Wenn jemand Vermögen hat und sein Herz vor dem Bruder verschließt, den er in Not sieht, wie kann die Gottesliebe in ihm bleiben? Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in der Tat und Wahrheit“ (.1 Joh 3,16-18). In Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens haben die Ortskirchen einen lebenswichtigen Beitrag zu liefern bei der Behebung von Not und Leid. Vieles kann geschehen, wie das Konzil sagt, „den Menschen zu helfen . . . klarer ihre Berufung unter jeder Hinsicht zu erkennen, die Welt mehr entsprechend der hohen Würde des Menschen zu gestalten, eine weltweite und tiefer begründete Brüderlichkeit zu erstreben und aus dem Antrieb der Liebe in hochherzigem, gemeinsamem Bemühen den dringenden Erfordernissen unserer Zeit gerecht zu werden“ (GS 91). Im Rahmen des Möglichen sollten die erzieherischen Bemühungen verstärkt werden, um den jüngeren Menschen die mutige Auseinanderset- 424 REISEN zung mit den Realitäten des Lebens zu erleichtern, damit sie verantwortlich an ihrer Verbesserung mitarbeiten. Die Kirche aber hat die besondere Pflicht, die Heiligkeit des Familienlebens zu unterstützen, die für das Wohlergehen der einzelnen und der Gesellschaft wesentlich ist. Wenn sie sich für das Gemeinwohl einsetzt, das das materielle und geistige Wohl aller Bevölkerungsschichten einschließt, erfüllt die Kirche ihre Dienstaufgabe. Bei all euren Bemühungen empfehle ich euch der seligsten Jungfrau Maria und dem hl. Josef, denen die Kathedralen von Trivan-drum geweiht sind. Maria und Josef haben Jesus zum Dienst ermutigt. Durch ihr Gebet und Beispiel tun sie das gleiche für uns heute. Brüder und Schwestern! „Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn“ (Kol 3,17). „Güte und Menschenliebe“ verkünden Predigt beim Wortgottesdienst in Vasai am 9. Februar Liebe Freunde, liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Es ist mir eine große Freude, Vasai zur ersten Station meines Besuches der Erzdiözese Bombay zu machen. Ich danke euch für euren herzlichen Empfang und begrüße euch in der Liebe unseres Herrn Jesus Christus. Wir sind in dem Teil der heutigen Erzdiözese Bombay versammelt, in dem der christliche Glaube zum ersten Mal verkündet wurde und die ersten christlichen Gemeinden entstanden. Hier in dieser Region wiederholt sich in der Wirklichkeit, was hinter der Schriftlesung aus dem Buch Samuel steht, die wir eben gehört haben. Gott rief Samuel in seinen Dienst, und Samuel antwortete unverzüglich und hochherzig entschlossen: „Hier bin ich... Rede, denn dein Diener hört“ (1 Sam 3,4.10). Eure Vorfahren in Vasai hörten den Ruf Gottes, und auch sie waren schnell und hochherzig in ihrer Antwort. Es war Vasai, wo Missionare in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts ankamen und die Botschaft des Evangeliums von Frieden und Versöhnung in Christus verkündeten. Von der befestigten Stadt aus, deren Ruinen hier in der Nähe liegen, predigten die Franziskaner und die Jesuiten, die Dominikaner und die Augustiner die Botschaft Gottes 425 REISEN überall in den Dörfern und Städten von Vasai. Das Ergebnis ihrer vom Heiligen Geist unterstützten und fruchtbar gemachten Anstrengungen war die Bekehrung eurer Vorfahren zum Glauben an Jesus Christus und der Zusammenschluß zu christlichen Gemeinden, die dem vorausgingen, was sich Jahrhunderte später zur Erzdiözese Bombay entwickeln sollte. 2. Ich freue mich, daß ich in diesem Augenblick bei euch sein kann, so daß wir zusammen unsere Herzen und Stimmen in einem innigen Lob-und Danklied zu unserem himmlischen Vater erheben können für das Erlösungswerk, das er im Lauf der vier Jahrhunderte in eurer Mitte vollbracht hat. Eure Vorfahren begrüßten freudig die Botschaft Gottes von Jesus Christus. Sie vertrauten sich seiner Kirche an. Sie blieben treu in allen Phasen des kirchlichen Lebens in diesem Gebiet. Sie waren treu inmitten von Schwierigkeiten. Die Früchte ihrer Treue blieben nicht aus. Ihre Beharrlichkeit ist der Grund dafür, daß der Glaube von Generation zu Generation bis zu euch überliefert wurde und daß er heute sichtbar ist in dem blühenden Leben der Pfarreien von Vasai. In diesem Zusammenhang bringen wir dem Herrn unser Dankgebet dar: Wir sind ihm dankbar für den christlichen Glauben, der euch gegeben wurde. Besonders danken wir ihm für die Gaben der Heiligkeit und des hingebungsvollen Dienstes, die hier das Leben so vieler Söhne und Töchter der Kirche kennzeichneten. Darunter sticht besonders das Andenken an den hl. Gonsalo Garcia, den jungen einheimischen Franziskaner von Vasai, hervor, der zusammen mit seinen Mitbrüdern in Japan den Märtyrertod erlitt und so das beste Beispiel dafür gab, welche Bedeutung die Botschaft Gottes von der Erlösung in Jesus Christus für die christliche Bevölkerung von Vasai hatte. Es ist gut, sich der Vergangenheit zuzuwenden und darüber nachzudenken, was für ein unschätzbares Geschenk Gottes die Berufung der Bevölkerung dieser Region war. Wir müssen wieder zu jenem Augenblick zurückkehren, der euch zu einem Volk machte, „das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat“ (1 Petr 2,9). <25> <25> Tatsächlich enthüllt uns die Geschichte der Kirche in Vasai das Geheimnis der Liebe Gottes zur Menschheitsfamilie in besonderer Weise. Durch diese Geschichte ist „die Güte und Menschenliebe Gottes, unseres Retters“, erschienen (Tit 3,4). Auf dem Pilgerweg einer jeden Ortskirche ist - bei einfachen täglichen ebenso wie bei großen Ereignissen, in Freude 426 REISEN und Leid, im Frieden und in Verfolgungszeiten — das Geheimnis von Gottes ewiger Liebe am Werk. Die Kirche lebt, um diese Güte Gottes zu verkünden. Ihr tut dies vor allem, wenn ihr euch um den Tisch der Eucharistie versammelt und das Erlösungsopfer Christi feiert (vgl. 1 Kor 11,26) bis ans Ende der Zeit. Das ist genau die Verkündigung der Freude und der Hoffnung, nach der sich die Welt sehnt, denn in Jesu Leiden und Tod ist die ewige erlösende Liebe des Vaters ganz offenbar geworden: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Brüder und Schwestern von Vasai, Bombay und ganz Indien! Ihr seid zu der erhabenen Aufgabe berufen, die „Güte und Menschenliebe Gottes“ kundzutun und darüber Zeugnis abzulegen. Hier wird die Geschichte der Berufung des jungen Samuel für jeden Christen beispielhaft. Die einzige Antwort, die der Liebe Gottes würdig ist, besteht darin, euer Leben großzügig dem Dienst an euren Mitmenschen zu widmen: „Hier bin ich... Rede, denn dein Diener hört“ (1 Sam 3,4.10). 4. Wenn wir uns hier umschauen und uns fragen, wodurch die Güte Gottes heute in Vasai kundgetan wird, so beeindruckt uns sofort die Vitalität eures Familien- und Pfarrlebens. Eure Familien, die eng Zusammenhalten, die persönliche Entwicklung ihrer Mitglieder unterstützen und gleichzeitig viel zur Stabilität und zum Fortschritt der gesamten Gesellschaft beitragen, sind ein wertvolles Geschenk der Liebe Gottes. Im Familienleben gibt es immer Schwierigkeiten und Herausforderungen. Heutzutage wird das Familienleben auf neue Art belastet und bedroht. Doch als Christen seid ihr euch bewußt, daß Christi erlösende Macht eine immer tiefere und innigere Gemeinschaft möglich macht, die das Fundament und die Seele der Ehe und Familie ist (vgl. Familiaris consortio, 18). Ich möchte euch zu einem verstärkten Familienleben und zu gegenseitiger Liebe ermutigen. Man erzählte mir, daß das gemeinsame Gebet in der Familie, vor allem das gemeinsame Rosenkranzgebet, tief bei euch verankert ist. Liebe Familien von Vasai! Hört meinen Aufruf. Der Papst bittet euch, im gemeinsamen Gebet fortzufahren. Betet gemeinsam als Familie für eure Familie und für andere Familien! Eltern, lehrt eure Kinder, in Liebe und in Vertrauen zu unserem himmlischen Vater zu beten. Junge Paare, euch bitte ich besonders, den Brauch des Familiengebetes zu pflegen. Die Dauerhaftigkeit, das Glück und die Sicherheit eurer Familien hängen zum großen Teil von eurer Verbundenheit mit Gott im Gebet ab. 427 REISEN 5. Gottes Güte und Liebe zeigen sich auch im pastoralen und katecheti-schen Leben eurer Pfarreien, in eurem regelmäßigen Empfang der Sakramente, in eurem treuen Festhalten an den Geboten der Kirche, in eurer Heiligenverehrung und besonders in der Verehrung Mariens, der Königin aller Heiligen und Mutter der Kirche. Diese Marienfrömmigkeit war von Anfang an ein Kennzeichen eures christlichen Lebens, seitdem die Darstellungen Unserer Lieben Frau in Remedy und Pali viele christliche und nichtchristliche Verehrer anzogen. Ist es da zu verwundern, daß aus solch einem dynamischen Familien- und Pfarrleben ein beständiger Strom von Priester- und Ordensberufen fließt? Ich freue mich über die Anzahl der jungen Männer und Frauen, die von ihren Familien und den Pfarreien von Vasai sorgfältig vorbereitet und hochherzig für das Priestertum und das Ordensleben zur Verfügung gestellt wurden, nicht nur in der Erzdiözese Bombay, sondern auch in anderen Teilen Indiens. Die Kirche dankt euch dafür und betet, daß ihr auch weiterhin mit dem Herrn der Ernte Zusammenarbeiten möget, damit seine Kirche immer geeignete Boten des Evangeliums habe. 6. Ich möchte auch ein besonderes Wort der Ermutigung an die Laien richten, und zwar hinsichtlich ihrer spezifischen Rolle und Verantwortung in der Kirche und der Gesellschaft. Es ist ihre besondere Aufgabe, Gottes Güte im Bereich der weltlichen Angelegenheiten kundzutun, für das Gemeinwohl zu arbeiten und mitzuhelfen, die Gesellschaft auf den Prinzipien der Gerechtigkeit und Wahrheit, der Freiheit und Liebe aufzubauen. Im Lauf der letzten fünfzig Jahre hat das Streben nach weltlicher und christlicher Bildung zur Gründung zahlreicher Erziehungsinstitute geführt: Kollegien verschiedener Grade, Erziehungsinstitute, ein technisches Institut, vierzehn Mittelschulen und in fast jeder Pfarrei eine Grundschule. Sollte man dafür nicht besonders dankbar sein? Wie können wir mit menschlichen Begriffen den Wert des Beitrags schätzen, mit dem die Kirche auf diese Weise zum allgemeinen und sozialen Fortschritt in Vasai beisteuert? Ich bin mir auch der vielen Bemühungen zu genossenschaftlicher Zusammenarbeit bewußt, die vor allem von den Laien in Vasai unternommen werden zum Wohl der Menschen und als Apostolat der Kirche. Diese genossenschaftlichen Initiativen auf dem Gebiet des Bankwesens, der Landwirtschaft, der Fischerei, der Gesundheitsfürsorge und der Erziehung bezeugen die wachsende Reife des sozialen Bewußtseins der christlichen Gemeinde in Vasai. In der Überwindung von Eigeninteressen und im Wunsch, das Gemeinwohl zu fördern, versucht ihr, eure menschlichen 428 REISEN und finanziellen Mittel auf eine Art zusammenzuschließen, daß es der Kirche und der Gesellschaft zum Vorteil gereicht. Mögen solche Kooperativen weiter aufblühen, jeder Art von Parteiung und jedem Anschein von Eigeninteresse widerstehen und ein echtes Werk der Gerechtigkeit in Liebe sein. Mögen all die positiven Initiativen, die ihr begonnen habt, um eine größere soziale Gerechtigkeit und eine intensivere soziale und wirtschaftliche Entwicklung herbeizuführen, eine wirkliche Verbesserung der Lage der Armen in eurer Umgebung bewirken. 7. Liebe Brüder und Schwestern! Auf alle diese Arten, nämlich durch ein harmonisches Familienleben, durch die Lebenskraft eurer Pfarreien und durch das Leben des gesamten Gottesvolkes von Vasai, offenbart sich täglich Gottes „Güte und Menschenliebe“. Gottes Liebe bedeutet einen Ruf, dem jeder von euch in hochherzigem Dienst am anderen Folge leisten muß, besonders im Dienst an den Ärmsten und an denjenigen, deren Streben nach Frieden und Wahrheit noch nicht ans Ziel gelangt ist. Mögen euch euer Glaube und die Hoffnung auf Jesus Christus zu Taten der Liebe anspornen, die die Kirche unter euch weiter aufbauen und zu Frieden und Einheit innerhalb der größeren Gemeinschaft, zu der ihr gehört, beitragen. Mit großer Hochschätzung und Liebe rufe ich Gottes Segen auf euch herab: auf die katholische Gemeinde, auf alle unsere Brüder und Schwestern, die sich mit uns zu Jesus Christus bekennen, und auf alle unsere Brüder und Schwestern anderer religiöser Traditionen, die wir hochachten und lieben und die mit uns durch Bande der Freundschaft und brüderlichen Solidarität verbunden sind. Der Friede sei mit euch allen! 429 REISEN Marienverehrung - Ehre und Ruhm für Indien Vor dem Angelus an der Basilika Unserer Lieben Frau vom Berg in Bandra am 9. Februar Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Es bereitet mir besonders große Freude, zu dieser Basilika Unserer Lieben Frau vom Berg zu kommen, wie es schon mein Vorgänger Papst Paul VI. vor mir getan hat. Diese Stätte ist von den Füßen der Pilger geheiligt, die zu Tausenden hierherkommen, um der seligen Gottesmutter zu huldigen. Schon vor meinem Kommen habe ich viel über die Marienverehrung gehört, die für das indische Volk kennzeichnend ist. Die Basilika hier in Bandra ist ein Symbol dafür. Es gibt außerdem noch andere berühmte Marienheiligtümer, wie das der Gnadenmutter in Sardhana, das Unserer Lieben Frau von Lourdes in Vijayawada und das Unserer Lieben Frau des Heils in Vailankanni. Wenn einmal die Geschichte der Kirche in Indien geschrieben wird, wird dieser marianische Aspekt eures geistlichen Lebens einen Ehren- und Ruhmesplatz einnehmen. 2. Maria von Nazaret ist in der Tat unserer Verehrung und kindlichen Liebe würdig. „Sie hat beim Werk des Erlösers in durchaus einzigartiger Weise in Gehorsam, Glaube, Hoffnung und brennender Liebe mitgewirkt“ (LG 61). Sie hat durch ihr „Fiat“, „mir geschehe, wie du gesagt hast“, durch ihre freie Zustimmung zum Willen Gottes eine radikale Wendung der Menschheitsgeschichte bewirkt. Durch diesen Akt des Glaubens und der Liebe ließ sie ihre eigene Umformung durch Gott zu. Indem sie sich völlig Gott fügte, stimmte sie zu, die Mutter des Welterlösers zu werden: das ewige Wort ist Fleisch geworden, Gott ist Mensch geworden. Vom Augenblick der Verkündigung an stellte sie sich ihrem Sohn, seiner Person und seinem Werk zur Verfügung, dem Geheimnis der Erlösung verpflichtet, das er vollbrachte. Von jenem Tag an und für alle Zeit steht sie ihrem Sohn in seiner Heilssendung bei. In allen Zeiten und Epochen ist Maria der Kirche, dem Leib Christi, nahe. Und darum wird sie zu Recht „Mutter der Kirche“ genannt. <26> <26> In ihrer Rolle als unsere Mutter im Glauben trägt Maria Sorge für alle Gläubigen, hilft ihnen, zu ihrem Sohn zu gelangen, Vertrauen in die Vorsehung des Vaters zu haben, Herz und Sinn dem Heiligen Geist zu 430 REISEN öffnen und aktiv an der Sendung der Kirche teilzunehmen. Durch ihr Gebet und ihre Anregungen hilft Maria der Kirche, Christi Wirken in der Welt fortzusetzen. In besonderer Weise steht die selige Jungfrau unseren Bemühungen um die Förderung von Versöhnung und Frieden in der Welt und zur Stärkung der Einheit aller Christen bei. Sie tut dies dadurch, daß sie unsere Aufmerksamkeit auf ihren göttlichen Sohn lenkt und uns unterweist, wie sie die Diener auf der Hochzeit in Kana unterwiesen hat: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). Wenn wir getreu tun, was Christus uns sagt, wenn wir beständig mit Maria sagen „Mir geschehe, wie du gesagt hast“ (Lk 1,38), dann wird Frieden und Versöhnung in der Welt herrschen, und wir werden eins sein in Christus. Gerade im Hinblick auf die Rolle Mariens im Werk der christlichen Einheit forderte das Zweite Vatikanische Konzil die Gläubigen mit folgenden Worten auf: „Alle Christgläubigen mögen inständig zur Mutter Gottes und Mutter der Menschen flehen, daß sie, die den Anfängen der Kirche mit ihren Gebeten zur Seite stand, auch jetzt, im Himmel über alle Seligen und Engel erhöht, in Gemeinschaft mit allen Heiligen bei ihrem Sohn Fürbitte einlege, bis alle Völkerfamilien, mögen sie den christlichen Ehrennamen tragen oder ihren Erlöser noch nicht kennen, in Friede und Eintracht glückselig zum einen Gottesvolk versammelt werden, zur Ehre der heiligsten und ungeteilten Dreifaltigkeit (LG 69). Amen. Das „Herz aus Stein“ durch ein „Herz aus Fleisch“ ersetzen! Predigt bei der Messe in Bombay am 9. Februar „Ich lege meinen Geist in euch“ (Et 36,27). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Diese Worte des Propheten Ezechiel gehen im Abendmahlssaal in Jerusalem in Erfüllung. Am Vorabend seines Leidens sagt Christus zu den Aposteln: „Der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch 431 REISEN gesagt habe. Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“ (/o/z 14,26 f.). Heute haben wir uns in dieser Stadt Bombay, der Hauptstadt des Staates Maharaschtra, versammelt, um ganz besonders um diesen Frieden zu beten, der von Christus gegeben wird, den Frieden, der dem Menschenherzen und den menschlichen Gemeinschaften in der Kraft des Heiligen Geistes mitgeteilt wird. Gott ist es, der das Herz des Menschen umwandelt, so wie es der Prophet Ezechiel eindrucksvoll verkündete: „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch“ (Ez 36,26). 2. Die Kirche läßt niemals davon ab, die Wahrheit zu verkünden, daß der Frieden in der Welt seine Wurzeln im menschlichen Herzen hat, im Bewußtsein jedes Mannes und jeder Frau. Frieden kann nur die Frucht eines geistigen Wandels sein, der im Herzen jedes Menschen beginnt und sich dann in den Gemeinschaften entfaltet. Die erste dieser Gemeinschaften ist die Familie. Sie ist als erste zum Frieden aufgerufen - zu Frieden und Gemeinschaftlichkeit zwischen den einzelnen Menschen und den Völkern. Aus diesem Grund konzentriert sich unsere Meditation und unser Gebet heute auf die Familie. Möge sich, das ist unsere Hoffnung, ein lauter Ruf nach Frieden und Brüderlichkeit aus der kleinsten und grundlegendsten Zelle der Gesellschaft erheben! Dieser Ruf muß alle Gruppen erreichen; er muß die Familie jeder Nation und zuletzt die große Familie aller Nationen der Welt erreichen. Die Stimme Indiens und die Stimme der Kirche seien hier in Einklang miteinander verbunden. <27> <27> Wir erheben diese Stimme an einem Ort, an dem vor zwanzig Jahren Papst Paul VI. während des Internationalen Eucharistischen Kongresses hier in Bombay bei euch war. Bei diesem bedeutsamen Ereignis hatte zum ersten Mal in der Geschichte ein Nachfolger Petri euer Vaterland besucht. Gegen Ende jener historischen Tage drückte Papst Paul VI. seine Bewunderung für das Volk Indiens und für die Stadt mit den folgenden Worten aus: „In unserer Erinnerung wird Bombay das Symbol und charakteristische Kennzeichen des großen Kontinents Asien bleiben, mit seinen alten Kulturen und Traditionen, seiner so zahlreichen Bevölkerung, seinem ernsten Wunsch nach Frieden“ (4. Dezember 1964). Ich sage Gott Dank für das Vorrecht, den Spuren meines Vorgängers folgen zu dürfen. Es 432 REISEN freut mich, daß ich einige wichtige Orte eures großen Landes besuchen konnte. Und es ist eine Freude für mich, heute bei euch in Bombay zu sein. Ich kann euch versichern, daß auch ich, wenn ich abreise, eine lebhafte Erinnerung an die reichen Kulturen und Traditionen Indiens in meinem Herzen tragen werde. Ich werde mich an euren ernsten Wunsch nach Frieden erinnern und werde es zu schätzen wissen, daß ich die Lebendigkeit der Kirche in diesem alten Land erfahren habe. Ich möchte nun einen besonderen Gruß an Erzbischof Pimenta, seine Weihbischöfe und an all meine Brüder, die Bischöfe dieser Region Indiens, richten. Gemeinsam mit ihnen grüße ich meine Brüder im Priesteramt, die Ordensmänner und Ordensfrauen und alle Gläubigen. Meine Grüße wenden sich nicht nur an die christlichen Brüder, sondern auch an die Brüder und Schwestern aus den Religionen des Hinduismus, des Islams, des Sikhismus, des Buddhismus, des Dschainismus und des Parsismus sowie an die zivilen und kirchlichen Autoritäten dieses Ortes. Vor allem grüße ich die Familien Bombays und ganz Indiens, und ich heiße diesen Anlaß willkommen, um mit euch über die Rolle der christlichen Familie im Aufbau einer neuen Welt des Friedens nachzudenken. 4. „Ich lege meinen Geist in euch“ (Ez 36,27). Wenn zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, an den Altar treten, um sich gegenseitig das Ehesakrament zu spenden, ruft die Kirche den Schöpfer an. Sie bittet den Heiligen Geist, auf diese beiden herabzukommen, die im Begriff sind, Ehemann und Ehefrau zu werden und eine Familie zu gründen. Sie werden unter einem Dach leben und ein Heim gründen. Das Zuhause ist der Ort, wo die Familie lebt, der äußere Rahmen für dieses Leben. Aber zugleich ist dort auch das innere Geheimnis ihrer Herzen. Die Menschen leben nicht nur in einem Zuhause, sie schaffen auch ein Zuhause. Und das tun sie, indem einer im Herzen des anderen „lebt“: der Mann in der Frau und die Frau im Mann, die Kinder in den Eltern und die Eltern in den Kindern. Das Heim der Familie ist das gegenseitige Innewohnen menschlicher Herzen. Daher sehen wir im Zuhause eine Widerspiegelung des Geheimnisses, über das Christus beim Abendmahl spricht: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen“ (Joh 14,23). 5. Die heutige Liturgie erinnert uns an das wunderbarste Bild der Ehegemeinschaft und der Familie, das in der Heiligen Schrift niedergeschrieben wurde. Wir finden es im Brief an die Epheser, in dem der hl. Paulus über 433 REISEN die Vereinigung von Mann und Frau in der christlichen Ehe sagt: „Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche“ {Eph 5,32). Die Liebe von Mann und Frau hat ihr Vorbild in der Liebe Christi zur Kirche und spiegelt diese Liebe in der Welt wider. Jesus drückte seine Liebe am vollkommensten am Kreuz aus, als er sein Leben um der Kirche, seiner Braut, willen opferte. Der Heilige Geist, den jeder von uns in der Taufe und in der Firmung empfangen hat, befähigt Mann und Frau in der Ehe, sich gegenseitig mit derselben aufopfernden Liebe zu lieben. Deshalb mahnt der hl. Paulus die Männer mit den folgenden Worten: „Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat, um sie... rein und heilig zu machen“ {Eph 5,25 f.). Die Liebe Christi währt ewig und ist beständig lebenspendend und fruchtbar. Ebenso sind die christlichen Eheleute unauflösbar miteinander verbunden in einer Einheit, die neues Leben hervorbringen und nähren soll. 6. Jedes Paar, das an den Altar tritt, um sich das Ehesakrament zu spenden, sollte dieses Bild vor Augen haben. In diesem Sakrament ruft die Kirche den Heiligen Geist an, daß seine heiligende Kraft im Mann und in der Frau eine bräutliche Umwandlung der Herzen bewirken möge -eine Umwandlung, die einen festen Grund für den Ehebund legen wird. Diese bräutliche Umwandlung der Herzen ist zugleich eine besondere Weihe in der Ehe (vgl. HV, 25). Wenn sich Mann und Frau einander schenken, weihen sie Gott ihre Seele und ihren Leib, so daß sich aus ihrer Vereinigung eine reife Familiengemeinschaft, eine Gemeinschaft der Liebe und des Lebens entwickeln kann. Die Ehemänner und Ehefrauen empfangen diese Gemeinschaft als Geschenk, ein Geschenk, das sie vertiefen und erweitern müssen. Durch die verantwortliche Weitergabe des Lebens nehmen sie Kinder mit Freude als ein Zeichen der Fruchtbarkeit und als Geschenk Gottes an. Bei der Geburt eines Kindes, die die aufopfernde Liebe noch mehr erfordert, erfahren sie, wie ihre eigene hebende Verbundenheit sich vertieft und weitet, um andere einzuschließen. In den Worten eures indischen Weisen Rabindranath Tagore, erkennen sie diese Wahrheit: „Jedes Kind, das geboren wird, bringt die Botschaft mit sich, daß Gott den Glauben an die Menschheit nicht verloren hat.“ Für das Zweite Vatikanische Konzil bedeutet verantwortliche Elternschaft, daß die Eltern „auf ihr eigenes Wohl wie auf das ihrer Kinder - der schon geborenen oder zu erwartenden - achten; sie müssen die materiellen und geistigen Verhältnisse der Zeit und ihres Lebens zu erkennen suchen und schließlich auch das Wohl der Gesamtfamilie, der weltlichen 434 REISEN Gesellschaft und der Kirche berücksichtigen“ (GS 50). Das Konzil fährt fort: „Wo es sich um den Ausgleich zwischen ehelicher Liebe und verantwortlicher Weitergabe des Lebens handelt, hängt die sittliche Qualität der Handlungsweise nicht allein von der guten Absicht und Bewertung der Motive ab, sondern auch von objektiven Kriterien, die sich aus dem Wesen der menschlichen Person und ihrer Akte ergeben und die sowohl den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe als auch den einer wirklich humanen Zeugung in wirklicher Liebe wahren“ (GS 51). In den Äußerungen Mahatma Ghandis finden wir manches Ähnliche. Während er dafür eintritt, daß „der Zeugungsakt für ein geordnetes Wachstum der Welt kontrolliert werden sollte“, stellt er die Frage: „Wie kann eine zeitweise Einstellung der Fortpflanzung erreicht werden?“ Und er antwortete: „Nicht durch unsittliche und künstliche Kontrolle, sondern durch ein diszipliniertes Leben und Selbstkontrolle.“ Und er fügte hinzu: „Sittliche Ergebnisse können nur durch Einhalten sittlicher Schranken erreicht werden.“ Dies, liebe Brüder und Schwestern, ist die tiefe Überzeugung der Kirche. Außerdem ist es überall die Aufgabe der Familie und der ganzen Gesellschaft, zu verkünden, daß alles menschliche Leben vom Augenblick der Empfängnis an heilig ist. Es ist die Aufgabe der gesamten Menschheit, all das zu verwerfen, was menschliches Leben verwundet, schwächt oder zerstört - all das, was die Würde des Menschen verletzt. 7. Die Familie ist durch das Wort des lebendigen Gottes dazu aufgerufen, eine Gemeinschaft des Friedens und der Freundschaft zu sein. Zugleich ruft die Familie alle einzelnen Menschen und alle Nationen dazu auf, eine solche Gemeinschaft zu sein. Zunächst braucht die Familie für eine richtige Entfaltung eine soziale Atmosphäre des Friedens und der Freundschaft, die ihre Rechte schützt. Hinsichtlich der Situation der Familie in Indien lassen sich heute bestimmte ermutigende Zeichen erkennen: die Hochschätzung, die gegenseitige Treue, die wertvollen Bemühungen um die Förderung der Würde der Frau, die Sorge der Eltern für ihre Kinder und die treue Liebe, mit der die Kinder an ihren Eltern hängen, das Achten auf die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen in der Ehe und die aufmerksame Sorge für die Kindererziehung, um nur weniges zu nennen. Auf der anderen Seite ist die Familie heute großen Belastungen ausgesetzt, die von gewissen Trends der modernen Gesellschaft, der beschleunigten Entwicklung und anderen Zwängen herrührt. Die Familie sieht sich der Gefahr der Zersplitterung und dem Zusammenbruch der Autorität 435 REISEN gegenübergestellt, Eltern stoßen auf Schwierigkeiten, wenn sie ihren Kindern echte Werte übermitteln wollen. Das rasende Wachstum der Urbanisierung hat überbevölkerte Slums, Wohnungsprobleme und eine höhere Arbeitslosenquote oder Unterbeschäftigung zur Folge - und all das hat negative Auswirkungen auf die Familie. Der bekannte Widerstand der Kirche gegen die sittlichen Übel, die auf die Familie und das Eheleben einwirken, kommt aus ihrer tiefen Überzeugung, daß diese Übel dem Plan Gottes für die Menschheit entgegengesetzt sind und daß sie die Heiligkeit der Ehe und die Werte des menschlichen Lebens verletzen. Die Kirche hat die Verantwortung, die Rechte der Familie und das volle Wohl der Menschheit zu verteidigen, und aus diesem Grund steht sie erneut zu ihrer Verpflichtung, die volle Wahrheit über den Menschen zu verkünden. 8. Frieden und Freundschaft sind auch für das Leben der Ortsgemeinschaften und für die größeren sozialen Gruppen und für die Nation selbst nötig. Die Lebensqualität einer Nation oder jedweder Gemeinschaft hängt von der Anwesenheit oder Abwesenheit von Frieden und Freundschaft ab. Wo eine Atmosphäre des Friedens herrscht, dort erwachsen gewaltige Energien für das- Gute, die den Menschen Freude und Schaffenskraft schenken und ihnen helfen, sich zur vollen Reife zu entfalten und als Söhne und Töchter eines liebenden Gottes zusammenzuarbeiten. Wo wahrer brüderlicher Zusammenhalt herrscht, da werden die Rechte der Schwachen und Wehrlosen nicht verletzt, vielmehr werden die Würde und das Wohl aller geschützt und gefördert. Und Frieden kann nur da herrschen, wo es Gerechtigkeit und Freiheit und wahre Achtung für die Natur des Menschen gibt. Aber unsere moderne Welt ist mit dem Mangel an Brüderlichkeit und mit Gewalt, Spannungen, Diskriminierung und Ungerechtigkeit nur allzusehr vertraut. Die Weise, in der wir diesen Problemen entgegentreten, ist eine Probe für die Menschheit, ein Test für die Qualität unserer Gemeinschaften und Nationen. Sie ist eine Herausforderung, der sich Indien und jede andere Nation in der Welt gegenübergestellt sehen. 9. Die Menschheit insgesamt bildet auch eine Familie, die große Menschenfamilie in ihrer Verschiedenheit und Vielfalt. Frieden, internationale Gerechtigkeit und auch Solidarität unter allen Völkern der ganzen Welt zu sichern, ist ein besonderes Anliegen unserer Zeit. Es wird von den Führern der Nationen und von internationalen 436 REISEN Organisationen verlautbart. Friedensprogramme werden von fast jeder politischen Partei der Welt auf unterschiedliche Weise unterstützt. Volksbewegungen und die öffentliche Meinung unterstützen dieselbe Sache. In jedem Land sind die Menschen der Konflikte und Spaltungen überdrüssig. Die Welt sehnt sich nach Harmonie und Frieden. 10. Und daher ruft die Kirche des zwanzigsten Jahrhunderts beharrlich zu Gerechtigkeit und ganzheitlicher menschlicher Entwicklung auf. In Bischofskonferenzen und Ortskirchen, durch die Bemühungen von Pfarreien und zahlreichen Vereinigungen, durch Lehren und praktisches Handeln für die Gerechtigkeit und auf viele andere Weisen arbeitet die Kirche für Harmonie und Brüderlichkeit. Vor allem zählt sie auf den Beitrag der christlichen Familien, die für Jesu Evangelium der brüderlichen Liebe Zeugnis ablegen sollen. Sie läßt nicht davon ab, im Gebet darum zu bitten, daß der Menschheit „ein neuer Geist“ gegeben werde, daß „das Herz aus Stein“ durch „ein Herz aus Fleisch“ ersetzt werde, daß wahrer Friede in so vielen Konfliktzentren und im internationalen Leben unserer Zeit herrsche. Denn die Welt ist das Zuhause von einzelnen Menschen, von Völkern, Nationen und der Menschheit. Die menschliche Rasse ist zahlreicher als je zuvor und erreicht einen nie zuvor gekannten wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Daher ist sittlicher Fortschritt, geistlicher Fortschritt, ganz und gar menschlicher Fortschritt nur um so notwendiger. In dieser Hinsicht bringt der bittende Ruf der Kirche, so bin ich sicher, die Gefühle vieler Herzen hier in Indien zum Ausdruck. 11. Die Erde ist zugleich das Zuhause der Völker wie auch das Eigentum Gottes. Die heutige Liturgie verkündigt dies mit den Worten des Psalmi-sten: „Bringt dar dem Herrn, ihr Stämme der Völker, bringt dar dem Herrn Lob und Ehre! Bringt dem Herrn die Ehre seines Namens... erbebt vor ihm alle Länder der Erde! Verkündet bei den Völkern: Der Herr ist König. Den Erdkreis hat er gegründet, daß er nicht wankt. Er richtet die Nationen so, wie es recht ist... er kommt, um die Erde zu richten. Er richtet den Erdkreis gerecht und die Nationen nach seiner Treue (Ps 96,7-10.13). Möge diese Stimme, die sich aus dem Herzen der Kirche erhebt, die sich mit der Stimme Indiens vereint, mit dem Ruf jeder Familie, die auf dem Bund mit Gott, dem Schöpfer des Lebens und der Quelle des Lebens, gründet - möge diese Stimme immer stärker werden; möge sie nicht unbeantwortet bleiben. Amen. 437 REISEN „öffne deine Arme, um alle zu umfangen“ Weihegebet an die Muttergottes nach der Messe im Shivaji-Park in Bombay am 9. Februar Maria von Nazaret, Mutter Gottes, Mutter der Kirche! Am Ende dieses heiligen Meßopfers wenden, wir uns voll Vertrauen und Hoffnung im Gebet an dich; wir bringen dir die tiefsten Gedanken unserer Herzen dar. Wir kommen zu dir, heilige Mutter Gottes, eingedenk der letzten Worte deines Sohnes an dich, als du zu Füßen des Kreuzes standest: „Frau, siehe, dein Sohn!“ (Joh 19,26). Frau, siehe, dein Sohn! Maria, siehe, deine Söhne und Töchter! Liebste Mutter, siehe, deine Kinder hier auf Erden, siehe, deine Söhne und Töchter hier in Indien! Nach dem Vorbild Jesu, der seinen Lieblingsjünger Johannes deiner Sorge anvertraute, vertraue ich dir alle Menschen an, die in diesem großen Land wohnen. Sei ihnen mit deinem mütterlichen Schutz nahe, öffne deine Arme, um alle zu umfangen, die auf dich blicken und dich bitten, ihre Gebete Gott vorzutragen. Maria, reinste Jungfrau, deiner Liebe und Sorge vertraue ich die ganze Jugend Indiens an, die Kinder, deren Unschuld Ausdruck der Güte ihres Schöpfers ist und deren Kleinheit die Größe ihres Gottes offenbart. Wir beten für die jungen Menschen, die nach der Wahrheit und nach Richtung und Sinn in ihrem Leben suchen. Wir bitten dich, führe die jungen Männer, die in den Priesterseminaren studieren, und alle, die sich darauf vorbereiten, durch die Gelübde der Ehelosigkeit, der Armut und des Gehorsams ihr Leben Gott zu weihen. Liebende Mutter unseres Erlösers, ich vertraue dir alle Familien an, besonders jene Eheleute, die ihr Zuhause nach dem Vorbild deines Heimes in Nazaret zu gestalten versuchen. Lege Fürsprache ein für die Eltern und ihre Kinder, damit ihre Liebe stark und treu sei wie die Liebe, die dein Unbeflecktes Herz erfüllt. Heiligste Jungfrau Maria, wir vertrauen dir die Familie der Kirche in Indien an mit ihrem Klerus und den Ordensleuten, mit ihren verschiedenen Riten und liturgischen Traditionen, mit ihrer zweitausendjährigen Erfahrung und ihrer noch immer vorhandenen Jugendkraft. Als Teil des Leibes Christi auf Erden versucht die Kirche in Indien, deinem göttlichen Sohn nachzufolgen und für die Menschen dieses Landes seine Stimme, 438 REISEN seine Hände und Füße, sein im Opfer hingegebener Leib zu sein. Ich empfehle dir ihr großes Werk geistlicher Erneuerung, ihre Bemühungen, das Evangelium von der erbarmenden Liebe zu verkünden, ihre ökumenischen Initiativen, ihren Wunsch, eine versöhnende Kraft in der Gesellschaft zu sein. Bete für deine Söhne und Töchter der Kirche, damit sie immer treu, immer von Freude und Hoffnung erfüllt, immer ein Volk der Nächstenliebe seien, das den Armen die Frohbotschaft verkündet. In der Liebe deines Sohnes umfange alle, die leiden: die Alten und die Schwachen, die Kranken und die Einsamen, alle, die entmutigt sind und Not leiden. Maria, Königin des Friedens, deine Kinder sehnen sich nach Frieden. Sie hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit. Sie wünschen, in Eintracht zu leben trotz aller Gewalt und Entzweiungen, die in der Welt bestehen. Dein Sohn betete zum Vater, „alle sollen eins sein“ (Joh 17,21), und heute machen wir uns sein Gebet zu eigen. Wir zählen auf deine Fürsprache vor Gottes Gnadenthron. Erlange für uns die Gnade, in vollkommener Einheit mit Jesus und mit unseren Brüdern und Schwestern zu leben. Und alles, was wir sagen und tun, geschehe zur größeren Ehre und zum Lobpreis des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Die christliche Familie „im Keim ein Noviziat“ Predigt bei der Eucharistiefeier in Poona am 10. Februar „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ {Joh 15,5). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Es ist mir eine besondere Freude, mit euch die Eucharistie zu feiern, hier auf dem Boden des Päpstlichen Seminars in Poona. Diese Stadt ist voller Hoffnung für die Kirche in Indien. Hier haben auch die Noviziate und Bildungseinrichtungen verschiedener Orden ihren Sitz, ebenso wie das Nationale Institut für die Förderung geistlicher Berufe. Für das große Geschenk einer göttlichen Berufung, für dieses wunderbare Zeichen der Hoffnung und für all die Berufungen in ganz Indien danken wir dem Herrn und preisen ihn. Ich bin sehr glücklich darüber, vor mir eine so große Anzahl von Semina- 439 REISEN risten zu sehen und so zahlreiche junge Männer und Frauen, die sich auf ein gottgeweihtes Leben in Orden oder Säkularinstituten vorbereiten. Wer euer Volk betrachtet und die ungeheuren Herausforderungen, denen es gegenübersteht, muß sich der Notwendigkeit bewußt werden, daß mehr Arbeiter im Weinberg des Herrn gebraucht werden, eifrige und hingebungsvolle Arbeiter, die diesen Herausforderungen gemäß dem Geist und Herzen Christi begegnen. Mit großer Freude begrüße ich alle, die bei dieser Liturgiefeier anwesend sind: meine Mitbrüder im Bischofsamt aus dieser Region Indiens, die Priester und alle Ordensmänner und Ordensfrauen und alle Gläubigen. Besonders grüße ich die Familien, in denen zuerst das Herz der jungen Leute darauf vorbereitet wird, hochherzig auf eine Berufung in der Kirche zu antworten, und auch die Oberen und ihre Mitarbeiter in den Seminaren und Ordenshäusern, die das überaus wichtige Werk der Erziehung fortsetzen, das zu Hause begonnen hat. 2. Ich möchte nun zu den Seminaristen sprechen. Liebe Brüder und Söhne in Christus! Als zukünftige Priester in der Welt seid ihr aufgerufen, geistliche Führer zu sein mit einer besonderen Persönlichkeit: Männer der Kirche, Männer bestimmt für das Gebet und für das Wort Gottes, Männer, die demütig und hochherzig an der Mittlerrolle Christi teilhaben wollen. Unsere Welt ist heute voller Experten und Führungskräfte in unzähligen Gebieten menschlichen Daseins. Die Diener der Kirche sind nicht dazu berufen, Führungspositionen in weltlichen Angelegenheiten der Gesellschaft zu übernehmen. Indien hat viele kompetente Laien, Männer und Frauen, die sich um diese Dinge kümmern. Ihr mögt versucht sein, weltliche Führung anzustreben wegen ihrer wachsenden Attraktivität in der heutigen Gesellschaft. Ihr mögt euch zu Zeiten unwichtig Vorkommen, weil eure Berufung in besonderer Weise geistlich ist. Für euch ist es deshalb unbedingt notwendig, von dem kostbaren Wert, den eure Berufung durch Gott darstellt, überzeugt zu sein. Dies ist besonders deshalb wahr, weil es in diesem Land schon immer ein anhaltendes Interesse an geistlichen Dingen gegeben hat: an der „vidya“ und „anubhav“ Gottes, der Kenntnis und Erfahrung Gottes. Dieses Interesse gilt gleichermaßen der religiösen Berufung. <28> <28> In den verborgenen Winkeln des menschlichen Herzens nimmt die Gnade der Berufung die Gestalt eines Dialogs an. Es ist ein Gespräch zwischen Gott und dem einzelnen, in dem eine persönliche Einladung 440 REISEN ausgesprochen wird. Christus ruft den Menschen beim Namen und sagt: „Komm, folge mir!“ Dieser Ruf, diese geheimnisvolle innere Stimme Christi, wird am klarsten in Stille und Gebet vernommen. Seine Annahme ist ein Akt des Glaubens. Eine Berufung ist beides zugleich: ein Zeichen der Liebe und ein Anruf zur Liebe. Im Evangelium wird von einem Gespräch Jesu mit einem jungen Mann erzählt. Wir hören: „Jesus sah ihn an und liebte ihn“ (Mk 10,21). Der Ruf Gottes erfordert immer eine Wahl, eine Entscheidung im vollen Bewußtsein der eigenen Freiheit. Ein entschiedenes Ja auf Christi Ruf bringt eine Reihe wichtiger Konsequenzen mit sich; die Notwendigkeit, andere Pläne aufzugeben; den Willen, Menschen, die uns lieb sind, zu verlassen; eine Bereitschaft, sich mit tiefem Vertrauen auf den Weg zu machen, der zu immer engerer Gemeinschaft mit Christus führt. Die Antwort der Liebe auf eine Berufung wird vom Psalmisten gut ausgedrückt, wenn er bekennt: „Ich sage zum Herrn: Du bist mein Gott. Mein ganzes Glück bist du allein... du, Herr, gibst mir das Erbe und reichst mir den Becher; du hältst mein Los in deinen Händen... Du zeigst mir den Pfad zum Leben, vor deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle, zu deiner Rechten Wonne für alle Zeit“ (Ps 16,2.5.11). 4. Diese Gnade ruft nach einer Erwiderung, das heißt, einer bewußten Anstrengung, ein Geheimnis „aufzunehmen“, das der Verstand nicht fassen kann, das aber gleichzeitig von Gott geoffenbart wurde. Jede Berufung verlangt, daß man sich weiter in das Geheimnis Gottes vertieft. Theologische und philosophische Studien bieten Möglichkeiten für ein genaueres Wissen um die Person Christi. Aber dieses bessere Wissen hängt nicht allein von unseren intellektuellen Anstrengungen ab; über alles andere hinaus ist es ein Geschenk des Vaters, der uns durch den Heiligen Geist befähigt, den Sohn zu erkennen. Daher müßt ihr in Gebet und Stille lernen, Gottes Stimme zu hören. Eine Person sollte auf Christus hin ausgerichtet und nicht nur im Glauben unterwiesen sein. Unsere ganze bewußte Zusammenarbeit mit der Gnade der Berufung muß dem Programm folgen, das Christus im Bild vom wahren Weinstock dargelegt hat. Christus sagt: „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer“ (Joh 15,1). Eure erste Aufgabe ist es, in Gemeinschaft mit Christus zu leben, jederzeit mit ihm eins zu sein im Vertrauen auf seine Zusicherung: „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch“ (Joh 15,4). Nur auf diese Weise könnt ihr reiche Frucht für das Reich Gottes bringen. Nur wenn ihr in Christus 441 REISEN bleibt, könnt ihr Großes für die Kirche heute leisten. Denn er sagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen“ (Joh 15,5). Die Zeit der Ordens- und Seminarerziehung soll eure Gemeinschaft mit Christus vertiefen. Mit Hilfe des Heiligen Geistes muß das geistliche und übernatürliche Band, das zwischen der Rebe und dem Weinstock besteht, gestärkt werden; der einzelne, der berufen ist, und Christus, der beruft, müssen enger vereint werden. Und das erfordert notwendigerweise Disziplin und Opferbereitschaft: Disziplin insbesondere, was Studium und Gebet betrifft, und die Opferbereitschaft, die euer Herz frei macht zur begierigen Aufnahme von Gottes Wort, und dazu, dem Nächsten zu dienen. Auch das stimmt mit Christi Wort überein: „Jede Rebe, die Frucht bringt, ... reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt“ (Joh 15,2). Deshalb zweifelt nie an der Liebe Gottes, wenn ihr Not und Leiden ertragen müßt, denn der Herr „reinigt“ die, die er liebt, damit sie mehr Frucht bringen. Eine Bedingung für die Gemeinschaft mit Christus ist die völlige Annahme seines Wortes, das uns durch die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche überliefert ist. Die Kirche selbst bewahrt und verkündet dieses Wort Gottes in all seiner Reinheit, Vollständigkeit und Macht. Durch das Handeln des Heiligen Geistes und das Charisma ihres Lehramtes übermittelt sie das Evangelium unversehrt jeder Generation. Ein liebevolles Festhalten am authentischen Lehramt garantiert den wirklichen Besitz von Gottes Wort, ohne das es keine lebensspendende Vereinigung mit Christus geben kann. Treue zum Lehramt ist daher eine unverzichtbare Bedingung für die zutreffende Interpretation der „Zeichen der Zeit“. 5. Der hl. Paulus berichtet uns in der ersten Lesung in dieser Liturgiefeier von seiner eigenen. Berufung durch den Herrn: „Mir, dem Geringsten unter allen Heiligen, wurde diese Gnade geschenkt: ich soll den Heiden als Evangelium den unergründlichen Reichtum Christi verkündigen“ (Eph 3,8). Die „Verkündigung des unergründlichen Reichtums Christi“, das war der Auftrag des hl. Paulus, das ist die erste Pflicht der Kirche; es ist die grundlegende Aufgabe jedes Priesters. Bildung und Erziehung in Orden und Seminarien muß immer darauf basieren. Während der Jahre ihrer Vorbereitung müssen junge Menschen von Grund auf den „unergründlichen Reichtum Christi“ in sich aufnehmen, um diesen Reichtum für andere erfaßbar machen zu können. Ihr müßt ihn in euch aufnehmen, so daß ihr ihn in Zukunft überzeugend 442 REISEN vertreten könnt. In eurer Verantwortung liegt es, Christus zu vermitteln. Aber nur, wenn ihr zuerst seine Liebe erfahren habt, werdet ihr dazu fähig sein. 6. Aus diesem Zusammenhang heraus wende ich mich nun an euch, liebe Eltern, Brüder und Schwestern, an alle Mitglieder der christlichen Familie. Das christliche Zuhause ist nicht nur eine menschliche Lebensgemeinschaft. Das kostbare Geschenk menschlichen Lebens muß vervollständigt pnd bereichert werden mit dem Leben Christi. Die Familie ist zu Recht damit befaßt, menschliche Werte zu bewahren, aber sie muß sich auch der Pflege christlicher Werte widmen. Familienväter und -mütter könnten versucht sein anzunehmen, die Verantwortlichkeit der Kirche sei nur den Priestern und Ordensleuten anvertraut. Doch die Wahrheit ist weit davon entfernt. Es ist vor allem das Elternhaus, in dem Kinder zuerst lernen, was es heißt, „Teilhaber an der Verheißung in Christus Jesus durch das Evangelium“ (Eph 3,6) zu sein. So lehrt auch das Zweite Vatikanische Konzil: „Christliche Ehemänner und Ehefrauen sind einander, ihren Kindern und allen Angehörigen ihres Haushalts Mitarbeiter am Gnadenwerk und Zeugen des Glaubens. Sie sind die ersten, die den Glauben an ihre Kinder weitergeben und sie erziehen; durch ihr Wort und ihr Beispiel führen sie ihre Nachkommen hin zu einem christlichen und apostolischen Leben. Behutsam helfen sie ihnen bei der Wahl ihres Berufes, und sie fördern gewissenhaft jede religiöse Berufung, die sie in ihnen erspüren können“ (AA 11). Die christliche Familie ist der erste Ort, an dem Berufungen zu Tage treten. Die christliche Familie ist im Keim ein Noviziat oder Seminar. Das bedeutet, daß ihr, die Eltern, euer eigenes christliches Leben fortwährend vertiefen und pflegen müßt. Laßt uns doch von der falschen Ansicht loskommen, daß Christentum lediglich in der Kirche praktiziert wird. Das, was in der Liturgie geschieht, muß übertragen werden ins tägliche Leben. Es muß daheim gelebt werden. Dann wird das eigene Haus zu dem Ort werden, wo das Leben in Christus reifen kann. Solch ein Zuhause ist ein wahrer Ausdruck der Kirche. Vergeßt nicht, daß Berufungen in der Kirche in solchen Familien begünstigt werden, in denen Priester und Ordensleute respektiert und geliebt werden, wo es ein wirkliches Interesse am Leben der Ortskirche und der Weltkirche gibt. Dann, wenn für eure Kinder die Zeit gekommen ist, den geeigneten Lebensweg zu wählen, werden sie nicht nur über Berufe in der Welt nachdenken, sondern auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, eine Berufung zum Priestertum oder zum Ordensleben anzunehmen. In einem 443 REISEN Zeitalter, das von wachsendem Materialismus geprägt ist, mag man versucht sein, die Möglichkeit solcher Berufungen zu vergessen. Aber diese Möglichkeit ist gegeben. Solche Berufungen sind notwendig für das Wohl der Familien und Gesellschaft. Sie werden gebraucht, damit die Kirche den Willen Christi erfüllen kann. 7. „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr euch auf macht und Frucht bringt, und daß eure Frucht bleibt“ (.Joh 15,16). Liebe Seminaristen und Ordensanwärter! Die Initiative jeder wahren Berufung kommt vom Herrn. Es sind nicht unsere eigenen Pläne, denen wir folgen. Eine Berufung ist ein Ruf Gottes, und sie verlangt eine freie Antwort unsererseits. Christus ist es, der uns erwählt und für die Aufgabe bestimmt, die er uns auftragen will. Wofür wir arbeiten, ist also Gottes Werk, nicht unser eigenes. Und Gott wird dafür Sorge tragen, daß unser Werk nicht nur Frucht bringt, sondern daß die Frucht bleiben wird. „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.“ Christus richtet diese Worte gleichermaßen an Eheleute und an Menschen, die berufen sind, keusch und ehelos in der Kirche zu leben. Er richtet sie an die ganze Kirche in diesem alten Land, in Indien. Aber in besonderer Weise richtet er sie an diejenigen, die er für eine besondere Rolle der Jüngerschaft und des Einsatzes für seinen Leib, die Kirche, bestimmt hat. Deshalb laßt uns auf Jesus hören, wenn er sagt: „Ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt... um was auch immer ihr daher den Vater in meinem Namen bittet, wird er euch zuteil werden lassen“ (Joh 15,16). Amen. 444 REISEN „Nur Gott allein kann euch belohnen“ Ansprache bei der Begegnung mit den Ordensleuten im Goregoan-Seminar in Bombay am 10. Februar Liebe Patres, Brüder und Schwestern! „Friede sei mit euch allen, die ihr in Christus seid“ (1 Petr 5,14). Auf diese Begegnung mit den Ordensmännern und Ordensfrauen von Indien habe ich mich sehr gefreut. In euch, die ihr hier anwesend seid, sehe ich nämlich die Tausenden eurer Brüder und Schwestern in jedem Teil Indiens, deren Leben das Siegel einer besonderen Weihe an Christus trägt. Friede sei mit euch allen! 1. An die Konferenz der Ordensleute in Indien sowie an die Mitglieder jeder Ordensgemeinschaft in der Vielfalt verschiedener Riten und Formen ihres Lebens und Apostolates und an jeden einzelnen von euch richte ich ein herzliches Wort des Grußes und der Ermunterung, ein Wort, das nach den Ausführungen in meinem Apostolischen Schreiben Redemptio-nis donum ein Wort der Liebe ist, „das die Kirche an euch richtet. Nehmt es an, wo immer ihr lebt: in der Klausur der kontemplativen Gemeinschaften oder in der Hingabe an vielfältige apostolische Dienste in der Mission und in der Seelsorge, in Krankenhäusern oder an anderen Orten, wo dem leidenden Menschen geholfen wird, in Erziehungseinrichtungen, in Schulen und Universitäten und schließlich in jedem einzelnen eurer Häuser, wo ihr, im Namen Christi vereint, aus dem Bewußtsein lebt, daß der Herr in eurer Mitte ist“ (Nr. 2). Möge jeder Ordensmann und jede Ordensfrau in Indien diese Gegenwart erfahren im Vertrauen auf die Wahrheit von Gottes Wort, das er durch den Propheten Jesaja gesprochen hat: „Ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir“ (Jes 43,1). Eure Ordensweihe ist ein besonderes Geschenk Gottes an die Kirche, und man kann nicht an das Ordensleben denken außerhalb des Gefüges der Kirche, des Leibes Christi, der Gemeinschaft des Heiles, „gebaut auf das Fundament der Apostel und Propheten“ (Eph 2,20). Die Kirche als „Zeichen und Werkzeug der innigsten Vereinigung mit Gott sowie der Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1) ist eure wahre Heimat. Ja, das Ordensleben ist eine mächtige Offenbarung der inneren Heiligkeit und Lebenskraft der Kirche, und dies gilt auch von der Kirche in Indien. 445 REISEN Heute zählen wir gegen 50 000 Ordensschwestern, 5000 Ordenspriester und 2800 Ordensbrüder in diesem Land. Dazu kommen weitere etwa 1500 indische Ordensmänner und Ordensfrauen, die in anderen Teilen der Welt arbeiten. Für all das müssen wir dem Herrn der Ernte Dank sagen, der euch mit immer mehr Berufungen segnet. Die ganze Kirche freut sich und spricht euch ihre Dankbarkeit aus für euren Glauben und eure Hochherzigkeit. In tiefer Liebe und Hochachtung wiederholt auch die Kirche die Worte des Propheten: „Ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir“ (Jes 43,1). 2. Liebe Brüder und Schwestern: der eigentliche Kern eurer Ordensweihe liegt in der bevorzugten Liebe zu Christus selber. Eure persönliche Geschichte, in der und durch die ihr „den unergründlichen Reichtum Christi“ (Eph 3,8) gefunden habt, hat euch zur Hingabe an den Dienst Christi und für das Kommen seines Reiches in der Welt geführt. So müßt ihr noch mehr als eure Mitmenschen das Bedürfnis nach geistlicher Läuterung spüren. Nur wenn ihr frei von Sünde seid, könnt ihr wirklich für Gott leben. Wenn wir uns daher fragen, was die Kirche und die Welt von denen erwarten, die sich zu den evangelischen Räten bekannt haben, antwortet das Zweite Vatikanische Konzil mit folgenden Worten: „Die Ordensleute sollen sorgfältig darauf achten, daß durch sie die Kirche wirklich von Tag zu Tag mehr den Gläubigen wie den Ungläubigen Christus sichtbar mache, wie er auf dem Berg in der Beschauung weilt oder wie er den Scharen das Reich Gottes verkündigt oder wie er die Kranken und Schwachen heilt und die Sünder zum Guten verkehrt oder wie er die Kinder segnet und allen Wohltaten erweist, immer aber dem Willen des Vaters gehorsam ist, der ihn gesandt hat“ (LG 46). Diese Zeugnisrolle der Ordensleute gewinnt zusätzliche Bedeutung in diesem Land, eben weil sie eine sichere und wirksame Form der Evangelisierung ist in einem religiös vielfältigen Milieu. Indien möchte die Wahrheit eurer Botschaft in der Lauterkeit eurer Weihe an Gott sehen können, in der Schlichtheit und Demut eurer Armut, in der Freude und Ganzhingabe eurer Keuschheit und im Opfer und der Erfahrung der Selbstentäußerung eures Gehorsams. Es ist ermutigend, festzustellen, daß euer Land Männer und Frauen achtet, die vom Geist Christi erfüllt und von Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen getragen sind. Weiter schärfte das Konzil allen Christen ein, sich ihrer Zugehörigkeit zu einer pilgernden Kirche bewußt zu werden. Mehr als alle anderen sind die Ordensleute berufen, diese Pilgerdimension des christlichen Lebens hochzuhalten. Ihr seid lebendige Zeugen für 446 REISEN die Tatsache, daß „wir hier keine Stadt haben, die bestehen bleibt, sondern wir suchen die künftige“ (Hebr 13,14). Der Weg der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams, in Liebe um des Reiches Christi willen gewählt, und zwar als bleibender Weg für das ganze Leben, steht in bemerkenswertem Einklang mit der Spiritualität der religiösen Überlieferungen Indiens, in denen das Erdenleben selbst als Pfad zu neuer Freiheit und Erfüllung verstanden wird. 3. Wenn ich mir die große Verschiedenheit eurer Ordenstrachten und äußeren Zeichen eurer Weihe an Gott anschaue, erinnert mich das an das weite Spektrum der Tätigkeiten, die die Ordensmänner und Ordensfrauen Indiens ausüben. An erster Stelle grüße ich die Kontemplativen. Indien hat jenen auserwählten Seelen, die durch ihr Gebet und ihre Kontemplation Zeugnis geben für die absolute und transzendente Wirklichkeit Gottes, immer Achtung und Wertschätzung entgegengebracht. Mit Freude erfahre ich, daß die kontemplativen Gemeinschaften unter euch blühen. So mache ich mir die Auffassung des Konzils über euch zu eigen: Im mystischen Leib Christi spielt ihr eine besondere Rolle; ihr schenkt dem Volk Gottes durch überreiche Früchte der Heiligkeit Licht, auf verborgene Weise übt ihr euer Apostolat aus und tragt zum Wachstum dieses Volkes bei; ihr seid eine Zier der Kirche (vgl. PC 7). Im Namen des ganzen Volkes Gottes ermutige ich euch und danke euch. 4. Jene unter euch, die im aktiven Apostolat tätig sind, sorgen für die verschiedenen Bedürfnisse des Volkes in Indien. Indem ihr so im Geist der Liebe, der Brüderlichkeit und Dienstbereitschaft ohne Diskriminierung und in Achtung vor jedem Menschen als einem Kind Gottes tätig seid, macht ihr die Liebe Christi selbst sichtbar und setzt seine Sendung auf Erden fort. Dieses Werk der Liebe wurde euch von der Kirche aufgetragen und muß in ihrem Namen durchgeführt werden (vgl. PC 8). Ihr leistet nicht einen rein humanitären Dienst, sondern eine spezifisch kirchliche Tätigkeit. Viele von euch sind im Erziehungswesen tätig und vermitteln christliche und weltliche Kenntnisse in den Tausenden von Erziehungsinstituten über das ganze Land hin. Gestattet mir, die Wichtigkeit dieser Aufgabe zu betonen, zumal wenn ihr dabei Zeugnis geben könnt für die Bindung der Kirche an die Wahrheit, an alles Gute und Schöne, wo immer es sich findet; eine bedeutende Aufgabe erst recht dann, wenn ihr eure Schüler und Schülerinnen „zu Christus in seiner vollendeten Gestalt“ (Eph 4,13) 447 REISEN führen dürft. Meine Gedanken wenden sich besonders jenen zahlreichen Ordensleuten zu, die in den Dörfern Indiens unterrichten. Sie leisten einen hervorragenden Dienst für das Wohl der indischen Gesellschaft. Dann sind viele im Gesundheitswesen beschäftigt und ahmen Christus nach in seiner Sorge für die Armen und Kranken. Wer vermag die Größe eures Lebens zu ermessen, das ihr Tag für Tag in der Sorge für Christi Brüder und Schwestern einsetzt? Nur Gott allein kann euch nach Gebühr belohnen. Jene, die in der Pfarrei in der Evangelisierungsarbeit eingesetzt sind, verkünden das Wort Gottes und lassen die Menschen die Macht von Gottes Heilswirken erfahren, das ihr Leben umgestaltet und sie in jene Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe einführt, die die Kirche ist. Andere sind im sozialen Apostolat tätig und suchen den Armen und Ausgebeuteten zu einem Leben zu verhelfen, das ihrer unveräußerlichen Menschenwürde entspricht. Einige von euch wirken in den modernen Massenmedien sowie in weiteren Sonderbereichen der Seelsorge. Ich lobe euch wärmstens für euren Eifer. Möge der allmächtige Gott alle diese eure Tätigkeiten segnen! Und ich rufe euch auf, weiter euren Beitrag zu leisten für das Wohl der Kirche und für die Gesamtentwicklung eures Landes. 5. Die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens, wie sie vom Zweiten Vatikanischen Konzil gewünscht wurde, hat unter euch wie unter den Ordensleuten der ganzen Kirche ein weiteres geistliches Erwachen herbeigeführt, dazu eine wachsende Dynamik, den Herausforderungen der heutigen Zeit zu begegnen. Ihr habt die Notwendigkeit verstanden, ständig zu den Quellen allen christlichen Lebens zurückzukehren wie auch zur ursprünglichen Inspiration, die hinter jedem Institut steht, und zugleich euch an die gewandelten Bedingungen der Gesellschaft unserer Zeit anzupassen. In dieser Entwicklung erinnert euch die Kirche daran, daß die grundlegende Norm alles Ordenslebens die Nachfolge Christi ist, wie sie uns im Evangelium vorgestellt wird. Sie erinnert euch daran, daß das allerwichtigste Gebot eurer Weihe an Gott das Streben nach vollkommener Liebe durch eine beständige Bekehrung des Herzens ist. Innerhalb dieses notwendigen Rahmens soll jede Kongregation vom Charisma ihres Gründers her ihren Eigencharakter entfalten und die approbierten Regeln und Konstitutionen befolgen. Das alles geschehe im Licht der besonderen Ziele und bewährten Uberheferungen, wie sie jedes Institut als Erbe besitzt. 448 REISEN 6. Besonders möchte ich meine Wertschätzung für die Bemühungen aussprechen, den jungen Ordensleuten eine höher qualifizierte Ausbildung zu geben. Die Vorbereitung von Kandidaten für das Ordensleben ist nicht nur eine Sache der Wissensvermittlung. Sie besteht vor allem in der heiklen Aufgabe, sie zu einer tiefreichenden und persönlichen Antwort auf einen Ruf Gottes zu befähigen, ihr Leben den radikalen Forderungen des Evangeliums entsprechend und in Übereinstimmung mit dem Leben und der Lehre der Kirche sowie in hochherziger und aufrichtiger Liebe zur eigenen Ordensfamilie zu gestalten. Sehr wichtig ist es, den jungen Ordensleuten eine tief menschliche und voll integrierte geistliche Formung zuteil werden zu lassen. Ein wesentlicher Teil dieser Formung sollte es sein, den Sinn für Werte wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Achtung der menschlichen Person einzuprägen. Eine religiöse Formung kann nur in dem Maß wirksam sein, als Christus in den Kandidaten Gestalt gewinnt und die Tauf gnade voll gelebt wird. Seid überzeugt, daß euer Bemühen um eine gediegene Formung der jungen Ordensleute und um ein entsprechendes Programm zur ständigen Formung aller für eure Gemeinschaften überreiche Frucht bringen wird. Allen Aspiranten, Postulanten, Novizen und Novizinnen der verschiedenen Kongregationen gilt ein besonderes Wort des Segens und der Ermutigung. Ich fordere euch auf, die Gnade der Berufung als erhabenen Ausdruck der Liebe Gottes zu euch hochzuschätzen, und ich richte auch an euch die bereits zitierten Worte des Jesaja: „Ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir“ (Jes 43,1). Mögt ihr täglich wachsen im Bewußtsein der besonderen Gnade, die euch zuteil wurde! Setzt alle Energien eures jungen Lebens ein in der Suche nach Gott, in der Nachfolge Christi und im Dienst für die Kirche und die Welt. 7. Meine lieben Brüder und Schwestern, Ordensmänner und Ordensfrauen Indiens, Christus hat euch berufen, ihm enger nachzufolgen auf dem Weg der evangelischen Räte. Er will euer Leben und Wirken segnen und euch befähigen, seine bevorzugten Zeugen in diesem Land zu sein. Durch die treue Beobachtung eurer Gelübde im demütigen Dienst an anderen, zumal den Armen, erreicht ihr wirklich das Herz indischen Lebens, das von religiösen Werten so tief geprägt ist. Dort, im geistlichen Kern der Seele eures Volkes helft ihr das Reich Gottes aufbauen, „ein Reich der Wahrheit und des Lebens, ein Reich der Heiligkeit und Gnade, ein Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“ (Christkönigs-präfatiori). Möge eure begeisterte Liebe zur Kirche die einigende Kraft bleiben, die 449 REISEN ihr Bild vor den Augen der Welt vervollkommnet, denn sie ist ja „zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig“ (LG 8), und bleibt auch unablässig auf dem Pfad der Buße und der Erneuerung. Läuterung, Buße und Bekehrung gehören in besonderer Weise zu eurem Weg. Ich vertraue euch einzeln und als Gemeinschaften wie auch eure pastoralen Tätigkeiten der Fürbitte Mariens, der Mutter Christi und der Kirche, an. Mariens Jüngerschaft leuchtet euch voran als erhabenstes Beispiel dafür, wie eure Weihe an Gott in Glaube und Liebe zu leben ist. Mögen auch die Gebete der neuen Seligen Alphonsa und Kuriakos, beide hervorragende Beispiele für ein gottgeweihtes Leben und für die Liebe zu unserem Herrn Jesus Christus und seiner Kirche, euch helfen und euch mit Freude erfüllen, heute und immer! Den Weisen zuhören, wenn sie über die Macht der Wahrheit sprechen Ansprache bei der Begegnung mit der Jugend im Shivaji-Park in Bombay am 10. Februar Liebe Freunde, liebe, junge Leute! 1. Ich bin sehr froh darüber, daß mein Zusammentreffen mit euch, der Jugend von Indien, gerade zu diesem wichtigen Zeitpunkt stattfindet, in dem ich dabei bin, meinen Besuch in eurem Land zu beenden. Ich bin glücklich, bei euch zu sein, zu euch zu sprechen, euch zuzuhören und mit euch im Namen Jesu versammelt zu sein. Wir sind miteinander in ihm vereint; wir sind eins in seiner Liebe. Zusammen erfahren wir seine Gegenwart, weil er hier in unserer Mitte ist, genau, wie er versprochen hat: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Seit fast zweitausend Jahren sind Person und Lehre Jesu in diesem Land geehrt worden. So sagte auch euer Präsident kürzlich hier in Bombay: „Das Christentum kam nach Indien, noch bevor es in Rom gepredigt wurde.“ Mehr noch, in denen, die an ihn glauben, ist Jesus selbst ein Inder geworden. Und so ist es heute dieser Jesus, auf den wir schauen, um uns inspirieren zu lassen. In seiner Lehre entdecken wir die Botschaft, nach der wir suchen. 450 REISEN Und er, Jesus, sagt uns, wie wir leben sollen, weil er uns mitteilt, warum wir leben. Jesus erklärt uns unseren Ursprung, unser Leben, unsere Bestimmung. Wir sind von Gott erschaffen worden, und in Jesus sind wir alle Kinder Gottes; wir sind entstanden durch Gottes Liebe. Wir sind hier, um Gott zu erfahren, ihn zu lieben und ihm zu dienen, ihn zu entdecken, anzunehmen und ihm zu dienen in unserem Nächsten. Und unsere Bestimmung ist es, für immer mit ihm zu leben. In seinem Evangelium legt uns Jesus diese Wahrheit dar, und im Licht dieser Wahrheit erklärt er uns, was von uns in diesem Leben erwartet wird. Er erklärt uns, daß wir all unseren Brüdern und Schwestern, daß wir der Welt dienen müssen. Kurz gesagt, Jesus erklärt uns unser eigenes Selbst. Er tut das, indem er uns aufklärt über unsere Verbindung mit Gott und miteinander, mit unseren Brüdern und Schwestern, mit der Gesellschaft im allgemeinen und mit der Welt. Er kann dies tun, weil er uns versteht und weil er Gott versteht: Er ist der Menschensohn und zur gleichen Zeit Gottessohn - der Sohn Gottes, der Mensch geworden ist. Durch seine Lehre, seine Güte und die Macht seines Wortes befähigt uns Jesus, aufrecht zu leben, zu leben in der Weise, daß wir das ewige Leben erlangen können. Der hl. Johannes verkündet uns Gottes Plan: „Und das Zeugnis besteht darin, daß Gott uns das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht“ (I Joh 5,11 f.). <29> <29> Aber um dieses Leben zu erhalten, müssen wir mit Christus vereint bleiben. Er erklärt uns, daß alles Leben von ihm her kommt; wir leben nur seinetwegen: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben . . . Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen, und er verdorrt“ (Joh 15,5 f.). Jesus erklärt uns auch, daß wir, wollen wir in Gottes Liebe leben, unseren Nächsten lieben müssen: „Das ist mein Gebot: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe“ (Joh 15,12). Zu Christus gehören und sein Gebot der Liebe befolgen heißt, daß wir aufgerufen sind, unserem Nächsten zu dienen, unseren Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und für das Wohl unseres Landes und der ganzen Welt zu arbeiten. Der hl. Johannes drängt uns, konsequent zu leben. Er stellt klar und einfach fest: Wir werden von Gott geliebt und müssen darum als Gegenleistung unseren Nächsten lieben. Seine Worte sind sehr kraftvoll. „Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott!, aber seinen Bruder haßt, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht heben, den er nicht sieht“ (1 Joh 4,20). 451 REISEN 3. Diese Grundsätze, liebe, junge Freunde, fordern euch in eurer ganzen Haltung dem Leben gegenüber heraus: Sie beeinflussen, was ihr daheim tut, wie ihr euren Nächsten behandelt, wie ihr euch entscheidet, der Welt zu helfen. Sie bestätigen die Tatsache, daß ihr euer Leben nicht in der Isolation leben könnt! Die Kirche unterstützt euch in den Herausforderungen, denen ihr als junge Menschen in Indien begegnet. Sie möchte mit euch darüber nach-denken, was damit verbunden ist, was von euch erwartet wird, wie ihr am besten dienen könnt. Die Kirche wird euch helfen, die Probleme in der Welt zu erkennen dadurch, daß sie euch den Sinn des Lebens verdeutlicht, durch das Bestehen auf der Würde des Menschen dadurch, daß sie euch teilhaben läßt an ihrem Verständnis von Menschlichkeit. Sie wird euch beistehen und stärken in jeder Hinsicht. Vor allem aber bietet sie euch die Mittel an, jedem Problem im Leben gegenüberzutreten. Mit anderen Worten: Die Kirche bietet euch Christus an. Sie wird euch drängen, mit ihm vereint zu bleiben, in seiner Liebe zu bleiben, weil ihr in ihm nicht nur die Quelle des Lebens entdecken werdet, sondern auch ein Modell für wahres Menschentum. 4. Die Kirche wird euch die Sakramente anbieten, um euch zu ermutigen, zu befreien und euch Kraft zu geben. In der Eucharistie wird sie euch das Leben Christi mitteilen. Durch die Buße wird sie den Kontakt hersteilen zwischen euch und dem barmherzigen und vergebenden Christus, und es wird oft Vorkommen, daß ihr, liebe, junge Freunde, die Notwendigkeit des Erbarmens erfahren werdet und selbst zur Barmherzigkeit aufgerufen seid. Die Kirche wird euch alles erklären, was sie von Christus gelernt hat, angefangen mit der Kunst des Betens, damit ihr mit Christus Kontakt haben könnt, im Gespräch mit ihm, in Vereinigung mit ihm. Die Kirche wird euch ausrüsten dafür, den Erfolgen, Mißerfolgen und Sehnsüchten des Lebens gelassen gegenüberzutreten, weil sie euch die lebenspendende und erhebende Botschaft vom „Leben in Christus Jesus, das uns verheißen ist“ (2 Tim 1,1), mitteilen wird. Aber die Kirche erbittet auch etwas von euch: Sie bittet um Zusammenarbeit, um eure Hilfe dabei, die Menschen zu Gott zu führen. Sie bittet euch, Zeugnis abzulegen für Christus. Sie bittet euch, in den Fährnissen des täglichen Lebens eurem Nächsten Hilfe zu sein, hier und jetzt: in Bombay, in Indien, im Jahr 1986. 452 REISEN 5. Hier bekommt diese Aufforderung an euch klare Konturen. Jeder von euch ist zu einem besonderen Dienst berufen, und alle zusammen seid ihr dazu berufen, die Welt zu verändern: - durch Vergebung und Versöhnung, wenn ihr von anderen im privaten wie im gesellschaftlichen Leben verletzt werdet, im Bewußtsein, daß Vergebung von Gott stammt; - durch brüderliche Liebe und Solidarität, Zusammenarbeit mit all euren Brüdern und Schwestern, weil das Liebesgebot Jesu allumfassend ist; - durch die Förderung des Friedens, indem ihr für die Gerechtigkeit arbeitet, beginnend in eurem eigenen Leben; - durch Liebe zum Vaterland und Arbeit für den Fortschritt eures ganzen Volkes; - indem ihr eurem nationalen Erbe und eurer Gemeinschaft treu bleibt, jedoch in dem Bewußtsein, zur universalen Kirche und Menschheitsfamilie zu gehören; - indem ihr euch Maria, die Mutter Jesu, zum Vorbild nehmt für ein Leben, das dem selbstlosen Dienst gewidmet war — offen für Gott und darauf ausgerichtet, den Menschen zu dienen; - indem ihr euch selbst wie Maria hochherzig hingebt für die Mitarbeit am Plan Gottes für die Welt; - indem ihr die Tugenden der Einfachheit, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit pflegt; - durch Ablehnung jeder Diskriminierung aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht, sozialer Stellung oder ethnischer Zugehörigkeit. Wir sind alle Brüder und Schwestern, Kinder desselben Vaters. Unsere Reichtümer bestehen nicht in der Menge unseres Besitzes, sondern in der geringen Anzahl unserer Wünsche - in der geistlichen Freiheit, die die richtige Haltung gegenüber den geschaffenen Dingen begleitet. Liebe, junge Leute! Ihr könnt das Glück nicht finden durch Streben nach materiellen Dingen oder dadurch, daß ihr euch einkapselt. Es gibt keinen Platz für Teilnahmslosigkeit oder Gleichgültigkeit in eurem Leben. Der Herr will sich eurer Begeisterungsfähigkeit, eures Einfallreichtums und Idealismus bedienen zum Wohl eurer Nächsten, Indiens und der Welt. Die Dynamik eurer Jugend muß hingeleitet werden auf die Lösung der Fragen, mit denen die Gesellschaft heute konfrontiert wird, auf die Arbeit für Einheit, auf die Verrichtung eurer täglichen Arbeit als Beitrag zum Aufbau einer besseren Welt. Ihr müßt die Trägheit überwinden und euch den Schwierigkeiten stellen. Ihr seid aufgerufen, das zu lieben, was das Beste an eurem indischen Lebensstil ist. Jeden Tag müßt ihr eure Herzen für das Wirken des Heiligen Geistes 453 REISEN öffnen, indem ihr ihn bittet, euch die Wahrheit in all ihrer Fülle zu zeigen. Und es ist auf der Basis der Wahrheit — der Wahrheit eures Seins, der Wahrheit über den Menschen, der Wahrheit über die Menschlichkeit -, auf der ihr die Gesellschaft aufbauen müßt. Die Kirche wird euch zur Wahrheit über den Menschen führen, aber ihr selbst müßt sie annehmen und anwenden. 6. Die Kirche behauptet von sich nicht, einfache und fertige Lösungen für alle die besonderen Probleme, die die Menschheit betreffen, zu besitzen. Das Zweite Vatikanische Konzil machte dies klar, indem es feststellte: „Die Kirche hütet das bei ihr hinterlegte Wort Gottes, aus dem die Grundsätze der religiösen und sittlichen Ordnung gewonnen werden, wenn sie auch nicht immer zu allen einzelnen Fragen eine fertige Antwort bereit hat“ (GS 33). Gleichzeitig weiß die Kirche, daß sie in die Welt gesandt worden ist mit der Botschaft Christi und daß sie in der Lage ist, dem Menschen bei der Lösung der Grundprobleme zu helfen. In bezug auf diese Schwierigkeiten drückte sich das Konzil so aus: „Die Kirche kann doch, von der Offenbarung Gottes unterwiesen, für sie eine Antwort geben“ (GS 12). Und die Jugend von Indien ist aufgerufen, die festen Grundsätze des Glaubens auf die Realität der heutigen Gesellschaft anzuwenden. Für diejenigen von euch, die Christen sind, heißt das, die Botschaft Christi auf jeden Bereich des Lebens anzuwenden. Für euch alle, ob Christen oder nicht, bedeutet es, zusammenzuarbeiten in brüderlicher Liebe für die ganzheitliche menschliche Entwicklung in Indien heute unter besonderer Berücksichtigung der Armen und Unterdrückten. 7. Ihr tut gut daran, aufmerksam den Weisen eures Landes zuzuhören, wenn sie zu euch über die große Macht der Wahrheit sprechen, die so sehr ein Teil ihres eigenen Lebens war und die eine Inspiration für euch alle sein muß. Für euch wie für sie wird sie Verständnisbereitschaft und Geduld zur Folge haben, Gewaltlosigkeit, Standhaftigkeit und Leiden. Aber Wahrheit ist Macht, die einzige Art von Macht, die die Welt verändern kann, und wenn sie sich mit der Liebe verbindet, ist sie eine Macht, die die ganze Welt total verändern kann. Das Endergebnis der Wahrheit ist Sieg und Befreiung. Jesus versichert uns ausdrücklich: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8.32). Geht vorwärts, junge Leute von 454 REISEN Indien, mit der Wahrheit Gottes. Sie ist befreiend, erhebend und unüberwindlich. Ja, die Wahrheit Gottes ist unbesiegbar! 8. Und mit euch, liebe, junge Leute von Indien, geht meine Pilgerfahrt in eurem großen Land zu Ende. Aber die Werte, die ich gesehen habe, sind unzerstörbar und werden niemals zu einem Ende kommen. Und Indien selbst muß voranschreiten, um innerhalb der Völkergemeinschaft seine Bestimmung im Dienst an der Menschheit zu erfüllen. Liebes Volk von ganz Indien! Deine Wärme und Gastfreundschaft wird für alle zukünftigen Zeiten in meinem Herzen bleiben. Ich bin euch allen zutiefst dankbar. Ich erneuere den Ausdruck meiner besonderen Wertschätzung gegenüber seiner Excellenz, dem Staatspräsidenten von Indien, dem Premierminister und der Regierung. Allen religiösen und zivilen Führern, die so viel getan haben, um diese Pilgerreise nach Indien zu ermöglichen, und allen, die so hart für ihren Erfolg gearbeitet haben, sage ich aus tiefstem Herzen: danke! Für alle Menschen Indiens erflehe ich Gottes Segen für Frieden und Gerechtigkeit, Liebe und Wahrheit. Jai Hind! 455 2. Apostolische Reise in die italienische Region (8. bis 12. Mai) Emilia-Romagna 457 REISEN „Der gute Stern auf eurem Lebensweg“ Vor dem Regina Caeli in Forli am Fest Christi Himmelfahrt, 8. Mai Liebe Brüder und Schwestern! 1. Soeben in der Romagna eingetroffen, freue ich mich, das Marienlob Regina Caeli auf diesem Platz beten zu können, der einen idealen religiösen, geschichtlichen und künstlerischen Bezugspunkt dieser berühmten Stadt darstellt, die unter dem Schutz der Madonna del Fuoco (Muttergottes vom Feuer) steht, deren Gnadenbild nicht aufhört, von der Säule herab über das Volk von Forli zu wachen und Fürsprache einzulegen. Mit Freude sehe ich zu Füßen der Muttergottes die Jungen und Mädchen der Schulen versammelt, die an dieser Begegnung teilnehmen wollten, um ihr ein Blumengeschenk darzubringen. Ausgezeichnet, liebe Kinder! Ihr bringt der heiligen Jungfrau die Begeisterung eurer jungen Herzen und den Duft eurer guten Taten dar, die von den Blumen, die ihr in Händen haltet, in gelungener Weise symbolisiert werden. Liebt die Muttergottes immer mehr und bringt, besonders jetzt im Monat Mai, auch weiterhin ihrem heiligen Bildnis geistliche Blumen dar: seitdem es bei dem heftigen Brand auf wunderbare Weise unversehrt geblieben war, ist es für jeden Bewohner von Forli zum Schutz und Hüter der Geschicke der Stadt und ihrer Bewohner geworden. Heute ist auch das Fest der Madonna von Pompei, eine Verehrung, die allen Italienern sehr am Herzen liegt und in besonderer Weise mit dem Gebet des Rosenkranzes verbunden ist. Ich grüße alle Anwesenden ganz herzlich und denke besonders an die Kranken und die Klausurschwestern, die ich in wenigen Augenblicken in der Kathedrale begrüßen werde und deren Gebeten ich den guten Ausgang dieser Pastoraireise empfehle. <30> <30> Die Gottesmutter möge für euch alle, liebe Bewohner von Forli, der gute Stern auf eurem Lebensweg sein; die Führerin aller, die um das wahre Wohl und den wahren Fortschritt dieser Stadt besorgt sind; sie erleuchte und stehe denjenigen bei, die sich darum bemühen, die christlichen Ideale konsequent zu leben; sie inspiriere die Anstrengung der jungen Generationen, die großen Ziele der evangelischen Botschaft zu erreichen; sie lasse die Arbeiter erkennen, wie wertvoll ihre Arbeit ist und wie sehr ihnen die Kirche nahesteht; sie lasse an jedem häuslichen Herd Freude, Eintracht und Frieden erblühen; sie möge der Trost, die Hoffnung und die Hilfe aller Betrübten sein. 458 REISEN Laßt uns die seligste Jungfrau Maria bitten, liebe Bewohner von Forli, daß sie allen Freude, Starkmut und Güte schenke; daß sie auf dem Antlitz jedes Mannes und jeder Frau das erlösende Licht des auferstandenen Christus erstrahlen lasse. 3. Vor diesem heiligen Bildnis beteten Pius VI. (am 7. März 1782), als er sich auf der Reise nach Wien befand; Pius VII. (am 15. April 1814) nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft in Frankreich unter Napoleon; Pius IX. (am 5. Juni 1857) während seines Besuches des damals sogenannten Kirchenstaates. Und heute hat die Vorsehung mir diese bedeutsame Möglichkeit geschenkt, meinen Besuch hier zu beginnen. Möge die Himmelskönigin diese Pastoraireise unterstützen, in deren Verlauf ich zu meiner Freude einige von unserem Herrn Jesus Christus zum Heil seines Volkes eingesetzte Sakramente spenden werde. Hier in Forli werde ich heute Nachmittag sieben Neugeborenen das Sakrament der Taufe spenden und die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung dieses Sakraments lenken, das uns zur Würde der Kinder Gottes erhebt. In der Folge werde ich in Cesena die Erstkommunion und in Imola das Sakrament der Firmung spenden; in Faenza werde ich den Ehebund segnen. In Ravenna werde ich mit den Kandidaten für das Priesteramt Zusammentreffen; diese meine Reise wird also eine sakramentale Reise sein, ein Weg, der die Sakramentenpastoral, die von der Liturgiereform so sehr empfohlen wird, fördern soll; und ich wünsche mir, daß es ihr gelingen wird, zu einem besseren Verständnis der in den Sakramenten enthaltenen Gnadenfülle anzuregen, indem sie dazu anspornt, die Sakramente mit mehr Eifer zu empfangen und die ihnen innewohnende Dynamik in das Leben umzusetzen. Ich erflehe von der Gottesmutter für euch die österliche Freude mit dem Wunsch, daß die Gnade des Herrn Christus, der „gesegneten Frucht ihres Leibes“, in euch allen ein stärkeres Bewußtsein wecken möge für die große Ehre, Christen zu sein, und für die damit verbundene Pflicht zu einer kohärenten Lebensführung in der geheimnisvollen und unaussprechlichen Wirklichkeit der Kirche, deren Mutter und Königin Maria ist. „Regina Caeli, laetare . . 459 REISEN Um was es sich „wahrhaftig zu leben lohnt“ Predigt bei der Eucharistiefeier und Spendung des Taufsakraments auf der Piazza Aurelio Saffi in Forli am 8. Mai 1. „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde“ {Mt28,18). Heute ist die Wiederkehr des Tages, an dem Christus (nach dem Matthäusevangelium) diese Worte gesprochen hat. Es ist der vierzigste Tag nach der Auferstehung. Der Tag, an dem das neue Leben in Christus seine überirdische, überzeitliche Dimension offenbart: der Tag seiner Himmelfahrt. An diesem heiligen Tag ist auch seine endgültige Macht, das heißt die dem Auferstandenen eigene Macht, offenbar geworden. Es ist die „Macht im Himmel und auf der Erde“. Christus besitzt diese Macht auf ewig als Sohn, der eines Wesens mit dem Vater ist: Gott von Gott; Jesus von Nazaret hat als Mensch diese Macht um den Preis seines Kreuzes, seines Leidens und seines Todes erworben. Es ist die Macht, die aus der Wirkkraft der Erlösung fließt. 2. Im Namen dieser Macht erteilt Christus den Aposteln seinen letzten Auftrag auf Erden: „Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ {Mt 28,19f.). Es ist der Missionsauftrag: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ {Joh 20,21). Wenn wir diese Worte, die erfüllt sind von der Erlösungsmacht Christi, heute hören, kehren wir in Gedanken zu jenen Zwölf zurück, die sie zum ersten Mal vernommen haben. Zugleich können wir den Missionsauftrag des Himmelfahrtstages nicht von all dem trennen, was in der Geschichte der Menschheit, in der Geschichte der Nationen und der Völker davon seinen Ausgang genommen hat. Die Worte Christi führen unsere Gedanken in diese Region Italiens und in die erste Stadt, der ich auf meiner Pilgerreise in die Romagna begegne, wo wir zur Feier der Eucharistie zusammengekommen sind. In Italien traf die „Frohbotschaft“ bereits vor der Ankunft der hll. Petrus und Paulus ein. Von Rom, wo die beiden Apostel ihr Leben ließen, um Zeugnis zu geben von der Auferstehung und der Gottheit Christi, breitete sich das Evangelium dann rasch aus. In die Romagna kam es bereits in den 460 REISEN ersten Jahren seiner Geschichte und bescherte ihr eine wahre Blüte von Heiligen, die heute in der ganzen Kirche verehrt werden. 3. Wenn wir heute hier einander begegnen in der eucharistischen Gemeinschaft, so geschieht das, weil die Worte, die Christus am Tag seiner Himmelfahrt gesprochen hat, in der Geschichte dieses Landes und dieses Volkes „Fleisch geworden sind“. Auf diesem Platz, der von dem mächtigen Campanile von S. Mercuriale beherrscht wird, der sich als Hinweis auf die „vertikale Dimension“ des Lebens erhebt und religiöses und ziviles Symbol dieser Stadt ist, grüße ich euch herzlich als Bischof von Rom und Nachfolger Petri im Namen der heilbringenden Macht, die in den Worten des auferstandenen Christus enthalten ist. Ich grüße euch im Namen Christi selbst, der bei uns ist „bis zum Ende der Welt“. Ich grüße euch im Namen der Taufe, die vor mehr als 1900 Jahren eure Vorfahren hier empfangen haben und die bis in unsere Zeiten immer neue Generationen empfangen, indem sie sich der Heilsmacht des gekreuzigten und auferstandenen Christus unterordnen, dem „alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben ist“. Ich grüße Bischof Giovanni Proni, der die Kirche von Forli mit soviel Eifer leitet. Ich grüße die Priester, die im Namen des Herrn die beharrliche Evangelisierungsarbeit leisten; die Ordensmänner und Ordensfrauen, die hochherzig ihr ganzes Leben den evangelischen Räten gewidmet haben. Ich grüße die Männer und Frauen des Freiwilligendienstes der Romagna — Jugendliche, Berufstätige, Arbeiter —, die spontan und konkret einen Teil ihrer Freizeit für den Dienst der Kirche, besonders an den kranken Brüdern, aufbieten. Ich grüße alle Laien, die sich bemühen, ihren Glauben zu leben und von den religiösen Traditionen dieses Landes Zeugnis geben, da sie ihnen treu bleiben wollen. Ich grüße alle Bewohner von Forli, die seit den Anfängen der Ausbreitung der Kirche in Gottes Gunst stehen, und wünsche jedem einzelnen, daß er von Tag zu Tag mehr den unerforschlichen Reichtum des empfangenen Geschenkes entdecke. 4. Die erste Lesung der heutigen Liturgie erinnert uns an diejenigen, die als erste von den Händen des Petrus und der Apostel am Pfingsttag in Jerusalem die Taufe empfangen haben. Es ist der Geburtstag der Kirche. Wie das Kind den Schoß der Mutter verläßt und in die Außenwelt eintritt, so ist die Kirche am Pfingsttag offenbar geworden. Die Apostel sind aus dem Abendmahlsaal hinausgetreten und haben, vom Geist der Wahrheit gestärkt, sogleich begonnen, in 461 REISEN Jerusalem, vor den einheimischen Bewohnern und den von verschiedenen Seiten dort eingetroffenen Fremden, Zeugnis zu geben. „Mit Gewißheit erkenne also das ganze Haus Israel: Gott hat ihn zum Herrn und Messias gemacht, diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt!“ (Apg 2,36). Das sind mutige Worte. Und zugleich Worte, die von wirksamer Kraft erfüllt sind. Sie wecken in den Menschen, die sich dort eingefunden haben, eine heilsame Sorge: „Als sie das hörten - so lesen wir -, traf es sie mitten ins Herz, und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder?“ {Apg 2,37). Petrus antwortet: „Kehrt um, und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. Denn euch und euren Kindern gilt die Verheißung und all denen in der Ferne, die der Herr, unser Gott, herbeirufen wird“ {Apg 2,38). 5. „All denen in der Feme . . . euren Kindern. . .“ Heute gelten diese Worte des Apostels hier an diesem Ort, wo ihr, liebe Brüder und Schwestern, euch mit dem Nachfolger Petri eingefunden habt. Unter diesen besonderen Umständen wollte man das Kommen des Bischofs von Rom als Zeichen und Quelle der Einheit der gesamten in der Welt verbreiteten Kirche, mit einer Zeremonie der feierlichen Spendung der heiligen Taufe verbinden. 6. Durch den Ritus der Taufe, die das erste der von Christus eingesetzten Heilssakramente ist, wird der Mensch Christus einverleibt und mit der Familie des lebendigen Gottes verbunden. Der hl. Paulus wiederholt heute für uns, was er an die Christen des damaligen Roms schrieb: „Wißt Ihr denn nicht, daß wir alle, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben. Wenn wir nämlich ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein“ {Röm 6,3-5). Mit diesen Worten läßt uns der Apostel wissen, daß die Taufe Sinnbild, Ausdruck des Leidens Christi ist. Denn mit der Taufe wurden wir in den Tod Christi eingetaucht, vom Schmutz der Sünde gewaschen, in das neue Leben der Auferstehung auf genommen und zu lebendigen Tempeln des Geistes. 462 REISEN Durch die Taufe werden wir auch zu Gliedern der Kirche, der Gemeinschaft Christi, des Herrn, die von der Liebe geschaffen wurde und genährt wird, Gemeinschaft des. Glaubens und des neuen Lebens, die uns ständig begleitet, uns in unseren Schwächen Stütze ist, damit wir, nicht länger Sklaven des größten aller Übel, der Sünde, die Freiheit der Kinder Gottes in ihrer Fülle leben. 7. Die heutige Taufzeremonie wurde in das Programm meines Besuches bei euch in der Absicht aufgenommen, euch an das Fundament des christlichen Lebens zu erinnern. Jesus, von den Menschen getötet, ist von Gott auferweckt worden. Er ist zum Eckstein geworden, ohne den es für uns kein Heil gibt. Dagegen wird jeder Mensch, der seinem Leben einverleibt wurde, auf erstehen, auch wenn er gestorben ist. Er wird mit seinem physischen Leib auferstehen an einem Tag, dessen Termin vorauszusehen uns nicht gegeben ist. Aber er ersteht sofort in der Taufe, wo er wirklich und wahrhaftig Gottes Kind wird, und er kann dieses Geheimnis der Auferstehung nach dem Mißgeschick der Schuld jedes Mal wiederholen, wenn er sich durch das mit der erforderlichen inneren Bereitschaft empfangene Sakrament der Wiederversöhnung wieder dem eingliedert, der gesagt hat: „Ich bin das Leben“. 8. Kommen wir noch einmal auf die Worte Christi vom Himmelfahrtstag zurück: „Geht und lehrt.“ In der zweiten Lesung begegnen wir einem erschütternden Echo auf diesen Ruf. Er wird in dem Brief des Apostels Paulus an die Korinther hörbar, er entspringt sozusagen dem Grund seiner Seele. Der Apostel schreibt: „Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen nicht rühmen; denn ein Zwang hegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (1 Kor 9,16). Warum „weh mir“? Die Antwort heißt: „Wäre es mein freier Entschluß, so erhielte ich Lohn. Wenn es aber nicht freisteht, so ist es ein Auftrag, der mir anvertraut wurde“ (1 Kor 9,11). Daher „weh mir“, wenn ich das Evangelium nicht verkünde, wenn ich das Werk der Evangelisierung nicht vollbringe, denn in dieser Sendung und in diesem Dienst ist die Macht der Erlösung und Christi eingeschlossen. Der Preis, den der Sohn Gottes für den Menschen gezahlt hat: wir sind um einen teuren Preis erkauft worden (vgl. 1 Kor 6,20; 7,23). Diese eindringlichen Worte, die aus der Tiefe der Seele des Völkerapostels kommen, sagen uns, wie groß die „Macht“ des gekreuzigten und auf erstandenen Christus ist; worin sie in ihrem Wesen besteht. 463 REISEN Diese Worte geben unaufhörlich Zeugnis von der Macht des apostolischen Auftrags am Himmelfahrtstag. Ebenso unaufhörlich interpellieren sie an ständig neue Verwalter des Evangeliums und der Taufe, auch hier in eurer Region. Denn bekanntlich ist der, der diese Worte an die Korinther geschrieben hat, auf Italiens Boden gewesen, hat zusammen mit Petrus in Rom sein Leben für Christus und für das Evangelium hingegeben. 9. „Was ist nun mein Lohn?“ - fragt er. „Daß ich das Evangelium unentgeltlich verkünde“ (1 Kor 9,18). Auch das: daß ich mich „für alle zum Sklaven gemacht habe“ (I Kor 9,19), ja, „allen bin ich alles geworden“ (I Kor 9,22), „um möglichst viele zu gewinnen“ (1 Kor 9,19). „Alles aber tue ich um des Evangeliums willen“ (1 Kor 9,23). Dem Evangelium wohnt eine besondere Macht der Verwandlung des Menschen inne. Ihm wohnt eine Kraft der selbstlosen Hingabe an die anderen nach dem Beispiel Christi inne. Daraus entsteht das Edelste im Menschen, das, was das menschliche Leben voll menschenwürdig macht, das, um dessentwillen es sich wahrhaftig zu leben lohnt. „Um welchen Preis könnte ein Mensch sein Leben zurückkaufen?“ (Mk 8,37). Das ist die Frage, die man sich immer wieder stellen muß. Besonders notwendig ist diese Frage für die heutige Generation, die vielleicht mehr denn je vom Verlust des wahren Sinnes des Lebens bedroht ist. Die Bedrohung kommt aus der Gefahr, diesen hohen Sinn „in kleine Münze“ herabzumindern. Das Evangelium ist ein ständiger Hinweis auf das Leben in großem Sinn, den Christus dem Menschen gebracht hat. Die Taufe ist ein Sakrament eines solchen Lebens. Sie ist sein Anfang. „Wißt ihr nicht, daß die Läufer im Stadion zwar alle laufen . . ., um einen vergänglichen, wir aber um einen unvergänglichen Siegeskranz zu gewinnen?“ (7 Kor 9,24 f.). „Lauft so, daß ihr ihn gewinnt!“ (7 Kor 9,24). So schreibt der hl. Paulus an die Korinther, und alle seine Worte sind ein Wiederhall der Macht des gekreuzigten und auferstandenen Christus, die nicht aufhört, in der Geschichte des Menschen am Werke zu sein. „Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt28,20). 464 REISEN Die Kirche - ein Gebäude „immer im Bau“ Predigt bei der Eucharistiefeier (mit Spendung des Firmsakraments) in Imola am 9. Mai 1. Ich bitte „für alle, die durch ihr Wort an mich glauben“ (Joh 17,20). Das Evangelium, das soeben gelesen wurde, liebe Brüder und Schwestern in Imola, verweist uns auf das Gebet, das Christus am Tag vor seinem Leiden und Sterben im Abendmahlssaal gesprochen hat. Es ist das Hohepriesterliche Gebet. Christus betet für diejenigen, die bei ihm sind: für die Apostel. Doch er erfaßt mit seiner Anrufung alle Generationen der Kirche, alle Christen bis zum Ende der Welt. Er schließt auch uns ein. Uns, die wir hier versammelt sind. Wir sind die heutige Christengeneration. Wir haben „durch das Wort“ (Joh 17,20) der Apostel und ihrer Nachfolger und Mitarbeiter, die seit fast 2000 Jahren ihren Auftrag auf dieser Erde erfüllen, an Christus geglaubt. Unmittelbar verdanken wir diesen Glauben unseren Eltern, den Seelsorgern, den Erziehern, den Personen und dem Umfeld, allen, die uns auf verschiedene Weise die Frohbotschaft vermitteln, uns zu Christus geführt haben und uns ihm ständig näherbringen. <31> <31> Die Kirche, die ich zu meiner Freude heute besuchen kann, die Kirche von Imola, gehört seit dem vierten Jahrhundert zur Geschichte des Christentums in Italien. Daß sie auf festverwurzelter Grundlage erstarkte, wird - in der Fülle der Kunstdenkmäler - von dem alten Dom des hl. Cassian und von der bischöflichen Residenz bezeugt, die auf das Ende des 12. Jahrhunderts zurückgehen. Aber das bedeutsamste Denkmal ist das bemerkenswerte Glaubenserbe, das seinen keineswegs nebensächlichen Ausdruck in der Verehrung der Muttergottes, der Schutzpatronin der Diözese, findet, die hier unter dem vertrauten Beinamen „Madonna del Piratello“ angerufen wird. Denn an einen kleinen Birnbaum war das Bild geheftet, dem drei Meilen von der Stadt ein Heiligtum zu errichten, die Bewohner von Imola auf wunderbare Weise aufgefordert wurden. Man schrieb das Jahr 1483. Das Heiligtum wurde errichtet, und jedes Jahr in der Woche der Bittgänge, die dem Fest Christi Himmelfahrt vorausgeht, nehmt ihr in der Kathedrale das verehrte Bild auf. Ich freue mich ganz besonders, daß mein Pastoralbesuch mit diesem feierlichen Ereignis zusammenfällt, das zum Erbe eurer Frömmigkeit gehört. 465 REISEN Auf diese Weise sehe ich, wie sich die Bahn des Weges eurer Ortskirche und die Etappen ihres unaufhörlichen Wachstums abzeichen, deren letztes Ziel eine immer festere Verbindung zwischen dem bekannten Glauben und dem gelebten Leben ist. Diesen Ausblick im Herzen und vor Augen grüße ich euch, die ihr hier anwesend seid, und alle Mitglieder dieses geliebten Teiles des Gottesvolkes. Ich grüße den ehrwürdigen Bruder im Bischofsamt, Msgr. Luigi Dardani, seine Priester, die Ordensmänner und Ordensfrauen, die lieben Seminaristen, die gläubigen Laien, besonders jene, die sich in den Verbänden und Bewegungen für Gebet, Apostolat und Nächstenliebe engagieren. 3. Ich bitte „für alle, die durch ihr Wort an mich glauben“. Diese Worte, liebe Brüder und Schwestern, beziehen sich auf euch, die ihr durch das Wort Gottes und die Sakramente in Verbundenheit mit eurem Bischof die Kirche Gottes in Imola bildet. Das Hohepriesterliche Gebet Christi bezieht sich auf euch Jugendliche, die ihr die Kraft des Sakraments der Firmung noch frisch im Herzen habt; und auf euch, die ihr gleich dieses Sakrament aus meinen Händen empfangen werdet. Das Wort Gottes der heutigen Liturgie führt uns also zum Pfingsttag nach Jerusalem. Denn dort müssen wir den Ursprung dieses Sakraments suchen, gleichsam die Quelle, der es entsprungen ist. Da ergreift, unter dem Wehen des Geistes der Wahrheit, Petrus mit den anderen Elf das Wort und sagt: „Jetzt geschieht, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist: In den letzten Tagen wird es geschehen, so spricht Gott: Ich werde von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch. Eure Söhne und eure Töchter werden Propheten sein“ (Apg 2,16 f.). Einige Söhne und Töchter dieser Gegend schließen sich heute den ersten Zeugen und Teilnehmern an der „Ausgießung des Heiligen Geistes“ am Tag von Pfingsten an. Sie empfangen das Sakrament der Firmung, das ihnen die „Einsetzung“ als Zeugen Christi verleiht. Es verleiht ihnen eine neue Würde und eine neue Kraft, um teilzuhaben an der prophetischen Sendung des Erlösers der Welt. 4. Das Kommen des Heiligen Geistes stellt ein Geschehen von großer Bedeutung dar. Sicher kommt es im Leben zu entscheidenden und unwiederholbaren Begegnungen. Aber die Begegnung mit dem Geist der Weisheit, der 466 REISEN Stärke, der Liebe ist in ganz einzigartiger Weise entscheidend und unwiederholbar. Entscheidend, weil sie in die Seele die Keime eines neuen geistlichen Reichtums - die sieben Gaben des Geistes - einpflanzt, der die in der Taufe empfangene Gnade mehrt, die in ihm ihre Bestätigung erfährt. Unwiederholbar, weil sie ein Siegel aufdrückt, das seiner Natur nach von bleibender Dauer ist. Wie der Lebensatem, den nur der Tod auszulöschen vermag. Die Firmung, meine lieben Jugendlichen, führt euch in das Stadium der christlichen Reife ein, sie befähigt euch, „Zeugen der Auferstehung und des Lebens Jesu, unseres Herrn, und ein Zeichen des lebendigen Gottes zu sein“ (LG 38). Ihr empfangt ein Geschenk und gleichzeitig übernehmt ihr eine Verpflichtung. Der Wille zu Konsequenz und der Enthusiasmus, die euch heute beseelen, werden ständig von der sakramentalen Gnade bestärkt, die euch begleiten wird und die ihr durch den Widerstand gegen die Sünde, durch Gebet, häufige Beichte, Teilnahme an der Eucharistie, Übung der Nächstenliebe, Verehrung für die Jungfrau Maria immer lebendig halten sollt. Eure Familien, die sich heute über diesen wichtigen Abschnitt ihrer Geschichte freuen, werden es nicht nur als eine Pflicht, sondern auch als ein Vorrecht verstehen, euch dabei zu helfen, das gläubige und tätige Bewußtsein der Bedeutung eurer Begegnung mit dem Heiligen Geist ständig wiederzubeleben. 5. An dem Abend vor seinem Leiden betet Christus im Abendmahlssaal zum Vater für seine Kirche. Er bittet, „alle sollen eins sein“ (Joh 17,21). Er weist darauf hin, wie und zu welchem Zweck das geschehen soll: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, . . . damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast“ (Joh 17,21). Er will, daß die Seinen eine vollkommene Einheit bilden, die frei von jeder Feindseligkeit und nur jener Einheit vergleichbar ist, die zwischen ihm und dem Vater besteht, damit die Welt erkennt, „daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie. mich“ (Joh 17,23). Die außerordentliche Bischofssynode, die vor kurzem zum 20. Jahrestag des Abschlusses des Konzils stattgefunden hat, erinnert daran, daß einer der Grundgedanken des Lehramtes des Konzils die Communio ist. Die Kirche ist eine Gemeinschaft. Communio ist ein sehr reicher Begriff. Grundsätzlich ist damit die Gemeinschaft mit Gott durch Jesus Christus im Heiligen Geist gemeint. 467 REISEN Die Kirche ist also eine Glaubensgemeinschaft, die auf dem Wort Gottes und den Sakramenten aufbaut (vgl. Schlußdokument der außerordentlichen Bischofssynode, Nr. C, 1). Sie ist ein Gebäude, das unter verschiedenen Aspekten immer im Bau ist, und die Baumeister sind alle Mitglieder, die ohne Ausnahme aufgerufen sind, gemeinsam an dem wunderbaren Unternehmen mitzuwirken. Eine der beachtlichsten kirchlichen Errungenschaften unserer Zeit ist gerade die Universalität der konstruktiven Aufgabe. Sie beruht nicht auf Erwägungen zufälliger Strategien. Sie geht auf das ursprüngliche und typische Erscheinungsbild des Jüngers Christi zurück. Durch die Taufe der Kirche eingegliedert, werden die Christen ihr noch vollkommener verbunden durch das Sakrament der Firmung, durch das sie „mit einer besonderen Kraft des Heiligen Geistes ausgestattet (werden). So sind sie in strengerer Weise verpflichtet, den Glauben als wahre Zeugen Christi in Wort und Tat zugleich zu verbreiten und zu verteidigen“ {LG 11). 6. In dieser Auffassung haben auch die Perspektiven eurer Ortskirche ihren Platz: Ihre Möglichkeiten, ihre Schwierigkeiten, ihre Ziele, ihre Pastor alprogramme. Ich fordere euch auf, die Inhalte der euch von den früheren Generationen überkommenen Frömmigkeit hochzuschätzen und sie „in einem reinen und makellosen Dienst“ {Jak 1,27) weiterzugeben, der aus der Katechese und der sakramentalen Praxis seine geistliche Nahrung bezieht und vor dem Schmutz des Bösen bewahrt. Ihr müßt das Vorurteil überwinden, nach dem der Glaube lediglich eine innere Angelegenheit des einzelnen sei. Es stimmt, daß der Glaube im Gewissen seinen Sitz hat. Aber eben darum inspiriert er und muß konsequenterweise die Praxis und die Verhaltensweisen inspirieren. Zwischen Glaube und Leben verläuft eine unauflösliche Wechselbeziehung. Nicht umsonst hat Gott bereits zu Beginn der Geschichte seinem Volk die Zehn Gebote gegeben. Diese, von Christus vervollständigt, bilden immer noch die Grundlage des individuellen und sozialen Lebens des Christen. Eine Tendenz, die mit dem zunehmenden materiellen Wohlstand in unserer Zeit in Zusammenhang steht, ist die. religiöse Gleichgültigkeit. Diese Erscheinung wird begleitet vom Sinken des sittlichen Niveaus und vom Gefühl der Leere. Die Hauptlast dieser Entwicklung tragen die jungen Menschen, deren Leben oft seines Schwunges beraubt und zu vergänglichem und negativem Ersatzglück verleitet wird. 468 REISEN Es gilt, fortwährend und mit bescheidener Verfügbarkeit zu den Wesensgründen des Glaubens zurückzukehren. Dann begreift man, daß sie voll mit den Wesensgründen des Menschen übereinstimmen, da es im Menschen „einen unendlichen Abgrund gibt, der nur von einem unendlichen und unwandelbaren Ziel, nämlich von Gott selbst, ausgefüllt werden kann“ (Pascal, Pensees). Dann werden die großen Werte wieder in Ehren gehalten werden: vor allem das Leben, von seinem ersten Aufbrechen im Mutterleib bis zum letzten Atemzug; die menschliche Liebe, die Spiegelbild der Liebe Gottes ist; die Würde der Ehe; die Heiligkeit und Beständigkeit der ehelichen Bindung. 7. Die Förderung dieser Werte stößt im modernen Denken und manchmal sogar bei der Ordnung der Gesellschaft auf Hindernisse. Weit davon entfernt, den Mut zu verlieren, muß man sich mit christlicher Konsequenz, voll Mut und Vertrauen in die Gnade Gottes geben, der die Arbeiter der Frohbotschaft begleitet und ihre Mühen fruchtbar macht. Meine Gedanken gehen zu euch, liebe Priester, und sollen euch ermutigen, jeden Tag am Altar die Hoffnung wieder neu zu stärken, daß auch das kleinste Stück eures pastoralen Wirkens von Gott bedacht wird und für sein Reich Frucht bringen kann. Ich möchte euch alle, Brüder und Schwestern der Kirche von Imola, dazu anspornen, hochherzige Mitarbeiter des Evangeliums zu sein. Die Anweisung ist klar: „Durch die Taufe dem mystischen Leib Christi eingegliedert und durch die Firmung mit der Kraft des Heiligen Geistes gestärkt, werden die Gläubigen vom Herrn selbst mit dem Apostolat betraut“ (AA 3). 8. Heute erlebt die Kirche in Imola einen besonderen Tag. Der Besuch des Bischofs von Rom und Nachfolgers des hl. Petrus unterstreicht die Teilhabe eurer Diözesangemeinde an der universalen Kirche Christi, an der großen Familie des Gottesvolkes, das sich über die ganze Erde ausbreitet. Wir greifen gleichsam mit der Hand die tiefen Bande der geistigen Einheit, für die Christus im Abendmahlssaal gebetet hat und die am Pfingsttag durch die Herabkunft des Geistes der Wahrheit, des Beistandes, entstanden ist. Durch diese Bande fühlen wir uns mit allen unseren Brüdern und Schwestern im Glauben, in der Gnade der Taufe, der Firmung, der Eucharistie in der ganzen Welt geistig vereint. „Alle über den Erdkreis hin verstreuten Gläubigen stehen mit den übrigen im Heiligen Geiste in Gemein- 469 REISEN schaft, und so weiß ,der, welcher zu Rom wohnt, daß die Inder seine Glieder sind <32>“ (LG 13). <32> „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer“ (Joh 15,1). Mit diesen Worten des heutigen Evangeliums möchte ich alle begrüßen, die an dieser eucharistischen Begegnung teilnehmen. Wenn ich meinen Blick über diese gewaltige Versammlung schweifen lasse, liebe Brüder und Schwestern der Diözesen Cesena und Sarsina wie auch aus den Nachbardiözesen Ravenna und Cervia, Forli und Bertinoro, Rimini und Montefeltro, steigt in meinem Herzen ein lebhaftes Gefühl 9. Und gleichzeitig sind wir Zeugen dafür, daß die Kirche durch die Sakramente, zu denen auch die Firmung gehört, wiedergeboren wird. Darum ist unser Denken und Fühlen von Dankbarkeit erfüllt, die sich in Dankesleistungen umsetzt, wie das Herz des Apostels, was in der zweiten Lesung der heutigen Liturgie mit den Worten aus dem Brief an die Epheser zum Ausdruck kommt. Mit ihm beten wir für alle und besonders für diese Jugendlichen, die vom Sakrament der Firmung gestärkt werden sollen: daß der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit, sie erleuchte und sie erkennen lasse, - zu welcher Hoffnung er sie berufen hat, - welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt, - wie überragend groß seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist (vgl. Eph 1,17-19). Das ist also der Tag eines besonderen Bekenntnises des Glaubens. Der Tag eines besonderen Zeugnisses. Wir wollen - von Generation zu Generation - dieses apostolische Zeugnis von Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, geben. Denn wir sind - und wollen sein - sein Volk, seine Kirche: „die sein Leib ist und von ihm erfüllt wird, der das All ganz und gar beherrscht“ (Eph 1,23). Amen. Die vorrangige Funktion der Landwirtschaft Predigt bei der Eucharistiefeier (mit Spendung der Erstkommunion) in der Pferderennbahn von Cesena am 9. Mai 470 REISEN der Dankbarkeit gegenüber dem Herrn auf, der im Mittelpunkt dieses eucharistischen Gottesdienstes steht; aber auch euch allen gilt mein Dank für die Bekundung eures Glaubens, die ihr heute ablegt, und für die willkommene Gelegenheit, direkt Fühlung zu nehmen mit der fleißigen Bevölkerung der Romagna und ihren tiefverwurzelten zivilen und religiösen Traditionen. Ich grüße vor allem Bischof Luigi Amaducci, der seit neun Jahren seine Kräfte in der pastoralen Leitung der vereinten Diözesen Cesena und Sarsina aufopfert; mit ihm grüße ich auch seinen ehrwürdigen Vorgänger, den emeritierten Bischof Augusto Gianfranceschi, und alle lieben Bischöfe der Emilia Romagna, die bei dieser Eucharistiefeier zugegen sind. Ich grüße euch Priester und Ordensmänner, euch Ordensschwestern: In der hochherzigen Treue zu den von Gott und der Kirche übernommenen Verpflichtungen seid ihr die Triebkraft und der evangelische Ansporn in den christlichen Gemeinden. Voll Ergebenheit grüße ich die Autoritäten des öffentlichen Lebens. Ich drücke Ihnen meine Dankbarkeit und meine Anerkennung für ihre Teilnahme aus, in der ich einen Ausdruck ihres Willens zur Zusammenarbeit mit der Kirche in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich zur Erreichung der Ziele eines geordneten menschlichen und sozialen Fortschritts sehen möchte, nach dem sich gewiß alle Personen sehnen, die auf das wahre Wohl dieser Region bedacht sind. Aber ein ganz besonders herzlicher Gruß geht an euch, Bewohner von Cesena, die ihr euch so hochherzig um die Vorbereitung dieses Empfangs für den Nachfolger Petri bemüht habt, der zu euch gekommen ist, um euren christlichen Glauben zu stärken und seine Solidarität bei euren Bemühungen um eine bessere Gesellschaft auszusprechen. Ich weiß, daß sich unter euch zahlreiche Bauern befinden; sie grüße ich jetzt besonders. Ein besonderer Gedanke gilt darüber hinaus den kleinen Jungen und Mädchen, die die Erstkommunion empfangen werden. <33> <33> „Ich bin der Weinstock . . . Wer in mir bleibt, und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht“ (Joh 15,5). Christus bleibt in uns durch die Eucharistie, die wir gleich feiern werden. Die Einladung Jesu, in ihm zu bleiben, verweist auf ein anderes Wort von ihm, das er im Rahmen der großen Rede über das „Brot des Lebens“ gesprochen hat: „Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm“ (Joh 6,56). Diese Parallelstelle zeigt uns, daß das Symbol vom Weinstock auch eine eucharistische Bedeutung hat und 471 REISEN daß sich daher das Bleiben in Christus, dem Weinstock, dadurch verwirklicht, daß wir ihn als Speise aufnehmen. Die Eucharistie ist eben Jesus, der wirklich und wahrhaftig in uns bleibt, auch wenn er uns unter den sakramentalen Zeichen von Brot und Wein erscheint. Sie gewähren uns zwar nicht die Freude, ihn sinnlich wahrnehmbar zu schauen, aber sie bieten die Gewißheit seiner tatsächlichen Gegenwart und den Vorteil der Wiederholbarkeit dieser Gegenwart an allen Orten und zu allen Zeiten. Die Eucharistie ist somit der bevorzugte Punkt der Begegnung mit der Liebe Christi zu uns: „Bleibt in meiner Liebe!“ (Joh 15,9). Es ist eine Liebe, die für jeden von uns verfügbar ist, eine Liebe, die zu Speise und Trank für unseren Hunger und Durst nach dem Leben wird, wenn Jesus selbst uns einlädt, „von der Frucht des Weinstocks zu trinken“ (Mk 14,25). Dieses Bleiben in Christus ist die erste und absolute Voraussetzung dafür, daß wir Frucht bringen. Aber so wie Jesus Frucht brachte in der gehorsamen Erfüllung des Heilsplanes des Vaters durch Leiden, Tod und Auferstehung, so werden seine Jünger ihrerseits in bezug auf das ewige Leben in dem Maße Frucht bringen, in dem sie an der Wahl Christi teilnehmen und es zulassen, daß an ihnen die notwendigen „Beschneidungen“ von jeder Neigung zum Bösen und zur Sünde vorgenommen werden. 3. Im Lichte des Gleichnisses vom Weinstock und von den Reben wird die Eucharistie zum eigentlichen „Mittelpunkt“ des Heilswirkens Gottes am Menschen. Dieses Wirken kommt in den Worten zum Ausdruck: „Mein Vater ist der Winzer“ (Joh 15,1). Er zieht den Weinstock heran, wobei er für jede Rebe Sorge trägt. Denn als Schöpfer ist er unser Vater, er will, daß die als Abbild Gottes geschaffenen Menschen durch den Sohn dieses Leben, das von Gott ist, empfangen. Das Werk des Vaters seit der Schöpfung besteht darin, daß er sich mit Sorge und Vorsehung aller Dinge, vor allem aber aller Personen annimmt, die in dem Gleichnis „Reben“ genannt werden, die der Vater „abschneidet“, säubert und reinigt, damit sie wachsen und ein überreiches Leben haben. Der göttliche Winzer erweist sich so als liebevoller Vater, der sich wie ein Vater verhält und als Vater behandelt werden will. Das alles erinnert uns an die höhere Wirklichkeit unseres Lebens, an das Ereignis unserer Heilsrettung. Hauptakteur in diesem Geschehen ist der Vater, der ständig über uns wacht und uns dazu anspornt, uns nach seiner Gunst zu sehnen und sie uns zu verdienen. Er erinnert uns mit seinem von der Vorsehung bestimmten Eingreifen daran, daß wir nicht in einer blinden, dem Schicksal unterworfenen Welt leben, sondern unter dem Blick eines gütigen Vaters, der uns zugänglich und nahe ist, der unsere Bereitschaft 472 REISEN und Mitwirkung in diesem Werk des Erbarmens und der Rettung wünscht. Wie der Weinbauer die Reben beschneidet, so erneuert uns der göttliche Winzer durch die stärkende Gnade der Sakramente der Läuterung, also der Buße, und der Eucharistie, in welchen er das österliche Geheimnis von Tod und von der Auferstehung verwirklicht. 4. Um diese Wahrheit noch voller herauszustellen, gibt uns die heutige Liturgie eine umfassende Antwort auf die Frage: Wer ist der Mensch? Wir finden diese Antwort im Buch Jesus Sirach, das wir soeben gehört haben: „Der Herr hat die Menschen aus Erde erschaffen und läßt sie wieder zu ihr zurückkehren. Gezählte Tage und bestimmte Zeit wies er ihnen zu und gab ihnen Macht über alles auf der Erde. Nach seiner Ähnlichkeit hat er sie mit Kraft bekleidet und sie nach seinem Bild erschaffen“ (Sir 17,1-3). Hier haben wir die Antwort auf die Frage nach dem Menschen und seiner Bestimmung: „Nach seinem Bild hat er ihn erschaffen.“ Der Mensch ist also „das menschliche Antlitz Gottes“, wie es in einer genialen Formulierung Gregors von Nyssa heißt (PG 44,446). Für ein angemessenes Verständnis des Menschen sollte man nie die biblische Offenbarung aus dem Auge verlieren, die von der Genesis bis zur Offenbarung des Johannes die wahre Dimension des nach dem Bild eines Gottes geschaffenen Menschen herausstellt, eines Gottes, der, um ihn zu erlösen, also von der Sünde zu befreien, selbst Mensch geworden ist. Seitdem sich Gott dem Abraham offenbarte und der durch die Sünde Adams unterbrochene Dialog zwischen Geschöpf und Schöpfer wieder aufgenommen ist, hat der Humanismus der Bibel nicht aufgehört, die herausragende und einzigartige Würde jedes Menschen, jeder menschlichen Person zu betonen, die als Abbild Gottes geschaffen, von Christus erlöst und zum Eintritt in die Gemeinschaft mit ihm berufen worden ist. Das ist der Platz, den der Mensch in der Welt und in der Skala der Werte hat. Die Literatur, das Schauspiel und die Kunst heben zwar oft mitleidlos seine Schwächen, seine Fehler, seine Sinnlichkeit, sein heuchlerisches Handeln und seine Grausamkeiten hervor. Aber wir wissen, daß er auch und vor allem das Wesen ist, das uns durch die Genialität seines Denkens und seiner wissenschaftlichen Entdeckungen, durch die Eingebung seiner poetischen Empfindung, die Großartigkeit seiner künstlerischen Schöpfungen, den Reichtum seines moralischen Heroismus und das Zeugnis seiner Heiligkeit in Staunen zu versetzen vermag. Das, liebe Brüder und Schwestern, ist der Mensch, das sind die Höhen, die er erreicht, wenn er in sich das von Gott geschaffene 473 REISEN Urbild nicht entstellt und wenn er zutiefst das Geheimnis der Erlösung in Christus Jesus lebt. 5. Die Eucharistie ist das Sakrament der belebenden Verbundenheit mit Christus. Sie ist zugleich Sakrament, das die Gemeinschaft stiftet und aufbaut. Der Weinstock und die Reben sind auch Bild für die Gemeinschaft all derer, die durch die Gnade und die Wahrheit in Christus vereint sind. Das Bild vom Weinstock und den Reben weist uns auf die Notwendigkeit hin, in tiefer Verbundenheit die Wirklichkeit der Kirche zu leben, die der mystische Leib ist, dessen Haupt Christus ist und dessen Glieder alle Gläubigen sind, ein Leib, der vom übernatürlichen Leben der Gnade belebt und vom Sonnenlicht des Heiligen Geistes, der die Seele ist, erleuchtet wird. Hier liegt „die innere Kraft“ (2 Tim 3,5) unserer Religion; und hier ist das Bindegewebe, das den christlichen Gemeinden, die in der ganzen Welt leben, Sinn und Einheit verleiht. Diese Wahrheit beruht auf einem ganz bestimmten Ereignis, das der Apostel Paulus, wieder mit einem Bild aus dem Bereich der Landwirtschaft, „Pfropfung, Veredlung“ nennt. In der Taufe sind wir Christus eingepfropft worden (vgl. Röm 11,17), das heißt, wir sind Reben des wahren Weinstocks geworden. Wir sind also dazu berufen, vereint mit Christus und mit den Brüdern zu leben und so die Gemeinschaft der Getauften und Erlösten zu bilden. Und dies, nämlich Erlöste, sind wir in dem Maße, in dem wir vereint bleiben und in einer Art geistiger Osmose leben. Jesus läßt uns auch die Folgen ahnen im Falle eines Abfalls von ihm und einer Trennung von den Brüdern: wenn die Rebe nicht mit dem Weinstock verbunden bleibt, verdorrt sie, wird abgeschnitten und ins Feuer geworfen. Aber die Eucharistie drückt nicht nur die innige Beziehung jedes einzelnen Gläubigen zu Christus aus, sondern ist auch für die Verbundenheit und Einheit aller gläubigen Christen untereinander eingesetzt worden. Sie soll in uns das Bewußtsein der Einheit, der Brüderlichkeit, der Solidarität und der Freundschaft herausbilden. Sie regt an zum Verständnis des geistlichen und sozialen Zusammenhalts unter denjenigen, die, da sie sich von ein und demselben Brot nähren, einen einzigen Leib bilden (vgl. 1 Kor 10,17). Möge uns aus dieser Eucharistiefeier die Gnade erwachsen, alle Gläubigen dieser Diözese untereinander verbundener und einträchtiger zu sehen, wenn sie ihrem christlichen Glauben einen wirksamen und überzeugenden Ausdruck in einer Welt geben, die oft in religiöser Gleichgültigkeit und Apathie lebt; möge uns die Gnade zukommen, ein größeres 474 REISEN Engagement beim Aufbau einer Gemeinschaft zu sehen, die in den wahren Werten und in der Achtung des Lebens von seiner Geburt bis zu seinem natürlichen Tod verwurzelt ist. „Mein Vater ist der Winzer.“ Er bestellt den Weingarten der Menschheit durch die Einheit jedes einzelnen und aller mit dem Ewigen Sohn, der -da er vor jeder Kreatur hervorgebracht wurde - sämtliche Generationen der Erde als Erbe erhalten hat. 6. Aus diesen Gründen stellt diese Eucharistiefeier den Höhepunkt meiner Begegnung mit eurer Gemeinde dar, die ich hier in allen ihren Mitgliedern so umfassend vertreten sehe. Aber die Tatsache, daß die sakramentalen Zeichen von Brot und Wein bei dieser Eucharistie Frucht der Mühe und des Schweißes der Bauern dieser eurer Romagna sind, lenkt meine besondere Aufmerksamkeit auf die Landbevölkerung, die sich heute in großer Zahl um den Altar drängt. Liebe Bauern, das Evangelium, das heute gelesen wurde, hat uns das Gleichnis vom Weinstock und den Reben zur Betrachtung vorgelegt, in dem es die Arbeit des himmlischen „Winzers“ herausstellt, der seine Sorge darauf verwendet, daß diese Pflanze wachse, sich entwickle und reiche Frucht bringe. Das ist ein Bild, das euch vertraut ist, widmet ihr euch doch großenteils der Weinkultur und der Produktion überall bekannter Weine. Aber die Evangelien sind auch reich an vielen anderen Einzelheiten, die sich auf das Leben auf dem Lande beziehen. In ihnen ist die Rede vom Wetterwechsel (vgl. Mk 16,3), vom Reifen der Ernte (vgl. Joh 4,35), vom Sämann, der aufs Feld geht, um zu säen {Mt 13,3-9). Damit soll gesagt werden, daß der Herr dem Herzen der Bauern sehr nahe stand und daß er nicht nur alle ihre Mühen, ihre Opfer und den zähen Einsatz wahrnahm und beobachtete, sondern auch die poetischen und lyrischen Aspekte ihres Daseins, das sich in enger Verbundenheit mit den rhythmischen Abläufen in der von Gott geschaffenen Natur vollzieht. Mein Besuch hier bietet mir die Gelegenheit, euch meine Zuneigung und meine Wertschätzung für die Arbeit auszusprechen, die ihr in dieser vorwiegend landwirtschaftlichen Region leistet. Da ich weiß, daß ich zu der hochherzigen Bevölkerung der Romagna spreche, möchte ich euch einladen, mit erneutem Mut weiterzugehen auf dem Weg der wirtschaftlichen Entwicklung in klar artikulierter und lebendiger Solidarität. Tröstlich ist die Feststellung, daß man heute zu einer verständnisvolleren Anerkennung der vorrangigen Funktion der Landwirtschaft zurückkehrt, die ihr wieder jenen Wert einräumt, der ihr in jeder Wirtschaft zukommt. 475 REISEN Nach einer kritischen Phase der Landflucht durch den Sturm auf die Großstädte und Industriezentren und nach der Ausblutung als Folge der Auswanderung ist der landwirtschaftliche Bereich dabei, seinen ursprünglichen Platz als unerläßliche Komponente in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung dieser Region - wie übrigens auch vieler anderer Regionen Italiens - zurückzugewinnen. 7. Ich weiß, daß es in diesem riesigen Sektor nicht an Problemen mangelt, aber ich weiß auch, daß es euch nicht an Verstand, Willen und Fleiß fehlt, euch diesen Problemen zu stellen und zu einer Lösung zu gelangen. Es gilt vor allem der Notwendigkeit nachzukommen, die Möglichkeit und die Qualität der Arbeit zu vermehren, aber vor allem die Hebung des Lebensstandards des Arbeiters zu erreichen. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, daß das Bemühen jedes einzelnen von der Solidarität aller getragen wird. Diese Solidarität muß sich der bedürftigsten Arbeiter annehmen, die einen landwirtschaftlichen Familienbetrieb führen, indem sie ihnen behilflich ist bei der Verbesserung und Vermehrung der Arbeitswerkzeuge. Notwendig ist es, die tatsächliche Einhaltung der Vertragsund Gesetzesbestimmungen zu schützen und zu garantieren; der Vorsorgeschutz und die moralische und materielle Hilfe für die alten Menschen und jene, die bei der Feldarbeit verunglückt sind. Diese Solidarität muß sich auch um die Jugendlichen kümmern, die darauf warten, neue Bedingungen im ländlich bäuerlichen Leben anzutreffen und ihre berechtigten Forderungen sowohl auf wirtschaftlicher wie auf kultureller und geistiger Ebene befriedigen zu können. Sie haben das Recht, eine eigene Familie in einem erneuerten Umfeld zu gründen, das immer annehmbarere Lebensbedingungen für sie und ihre Kinder bietet. Niemandem entgeht, daß es für die Lösung all dieser Probleme zuerst der Bildung eines echten bürgerlichen Bewußtseins bedarf, dem ein richtiges sittliches Verhalten zugrunde liegt. Bei der Bildung eines solchen Bewußtseins helfen die natürlichen Tugenden der Ehrbarkeit, des Fleißes und der Gerechtigkeit, aber es helfen auch und vor allem die sittlichen Werte, die uns aus der erleuchteten und überzeugten christlichen Lebenspraxis erwachsen, die uns im Nachbarn unseren Bruder sehen läßt. Das ist der Auftrag, den ich euch, Weinbauern und -bäuerinnen von Cesena, hinterlasse, die ihr in der Pflege des Weinstocks euer kostbares Symbol seht. Unterstützt die Sache der Solidarität und der Förderung eures Bruders und eurer Schwester, die schwitzend neben euch arbeiten! Bietet allen das Zeugnis von einer Gemeinschaft, die im Geist der Eintracht und des Friedens zu arbeiten imstande ist! Arbeitet voll Zuver- 476 REISEN sicht und macht von jedem Mittel, das euch zur Verfügung steht, Gebrauch, um die Schwierigkeiten zu überwinden, denen ihr auf den Spuren eurer täglichen Arbeit unvermeidlich begegnet. 8. „Und jetzt vertraue ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade an“ -sagt der Apostel (Apg 20,32). Diese seine Worte möchte ich heute bei dieser Begegnung wiederholen. Ich möchte, daß dieser Besuch eure Verbundenheit mit Christus, dem Weinstock, erneuert. Allen Generationen seiner Jünger und Anhänger sagt Christus: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!“ (Joh 15,9). Möge die Heilige Eucharistie nicht aufhören, Quelle für euer Bleiben in Christus zu sein, Quelle eurer Verbundenheit mit ihm, eurer christlichen Gemeinschaft. „Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe“ (Joh 15,10). Die Eucharistie fordert und begünstigt das Leben nach den Geboten, deren größtes das Gebot der Liebe ist. Das ist der volle Ausdruck der belebenden Einheit mit Christus, dem Weinstock. Ich wünsche euch diese Einheit: dieses Heilsband. Ich wünsche sie allen und jedem einzelnen. Sie ist Quelle einer echten Freude, einer Glückseligkeit. Jesus sagt: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ (Joh 15,11). Ja! Das habe ich euch gesagt. Eine „europäische Kultur“ neubegründen! Predigt bei der Eucharistiefeier in der Basilika Sant’Apollinare in Classe in Ravenna am 11. Mai 1. „Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit“ (Eph 1,17). An ihn, den Vater der Herrlichkeit, wenden sich heute unsere Gedanken, auf ihn richten sich unsere Blicke, denn wir sind in dieser unvergleichlichen Basilika Sant’Apollinare in Classe versammelt, die seit 1400 Jahren in den herrlichen Mosaiken das Evangelium aeternum, das ewige Evange- 477 REISEN lium, der Geheimen Offenbarung weitergibt; zu ihm erhebt die Kirche ihr Herz, wenn sie über das Paschamysterium Jesu Christi an seinem Gipfelpunkt nachdenkt. Mit der Auferstehung hat die Erhöhung, die Verherrlichung Christi begonnen. Er, der sich entäußerte und gehorsam bis zum Tod am Kreuz war (vgl. Phil 2,8), ist von Gott erhöht worden. Denn der Gott Jesu Christi ist der Vater der Herrlichkeit. Diese Verherrlichung Christi hat - nach dem Bericht der Apostelgeschichte - hier, auf Erden vierzig Tage nach der Auferstehung gedauert. Im Laufe dieser Tage hat er sich den Aposteln gezeigt und vom Reich Gottes gesprochen (vgl. Apg 1,3). Am vierzigsten Tag „wurde er in den Himmel aufgenommen“ (Apg 1,2). Die Liturgie des heutigen Sonntags feiert dieses Geschehen. Der eigentliche Ort der Erhöhung Christi, seiner Verherrlichung, ist nicht die Erde, sondern der „Schoß des Vaters“. 2. „Himmel“ meint ein Universum, das von dem der Erde verschieden ist. Es ist das „Universum Gottes“, jenes Gottes, der in der Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes existiert und der zugleich „das All ganz und gar beherrscht“ (Eph 1,23) als „der Vater der Herrlichkeit“. Dieses „Universum Gottes“ ist der eigentliche und endgültige Ort der Erhöhung Christi. Dort empfängt er die Anbetung als der ewige Sohn, der eines Wesens mit dem Vater ist, und auch als Herr der erlösten Schöpfung. Denn der Vater „hat ihm alles zu Füßen gelegt und ihn, der als Haupt alles überragt, über die Kirche gesetzt. Sie ist sein Leib und wird von ihm erfüllt, der das All ganz und gar beherrscht“ (Eph 1,22 f.). Christus, der Herr der erlösten Schöpfung, der in der Auferstehung erhöht, in der Himmelfahrt verherrlicht wurde, fährt fort, mit derselben göttlichen Macht zu wirken, die sich in ihm auf Erden geoffenbart hat. Diese im Ostergeheimnis besiegelte Macht führt die Menschheit und die gesamte Schöpfung zur Herrlichkeit des Vaters. Ihre Frucht ist der ganze Reichtum an Herrlichkeit, den ihr Erbe unter den Heiligen einschließt, und zugleich die überragende Größe seiner Macht gegenüber uns Gläubigen (vgl. Eph 1,18). So spricht denn der vierzigste Tag nach der Auferstehung, das Fest der Himmelfahrt des Herrn, zu uns auch von der Berufung zur Herrlichkeit, die der Mensch und die ganze Schöpfung durch den in den Himmel aufgenommenen Christus endgültig in Gott finden sollen. 478 REISEN 3. Es ist der Tag eines Abschlusses und zugleich der Tag eines Neuanfangs: der Tag des Abschieds und gleichzeitig der Beginn einer neuen Anwesenheit. Seit dem Letzten Abendmahl spricht Christus zu den Aposteln mit großer Klarheit vom Kommen des Geistes, des Beistandes. Nach der Auferstehung kommt er auf diese Ankündigung und auf diese Verheißung zurück: „Die Verheißung, ... die ihr von mir vernommen habt: Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft“ (Apg 1,4 f.). Da fragen ihn die Apostel: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“ (Apg 1,6) - denn ihr Denken war noch ganz und gar von den Erwartungen der Nation geprägt, der sie angehörten und deren Unterdrückung sie teilten. Jesu Antwort ist immer die gleiche: „Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat“ (Apg 1,7). Da sind die Zeiten der irdischen Geschichte des Menschen, die Zeiten der Völker und der Nationen, ihres Niedergangs und ihres Aufstiegs. Aber die „Zeit“, an die Jesus denkt, ist eine andere: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird, und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). Also: eine andere Zeit, eine andere Geschichte, ein anderes Reich als jenes Land Israel. Der Heilige Geist wird euch herausführen, auf die Straßen Jerusalems, und dann wird er euch zu weiteren Vorstößen antreiben, bis an die Grenzen der Erde, zu allen Völkern, Nationen und Stämmen, zu allen Sprachen, Kulturen und Rassen, in alle Kontinente. Davon spricht auch der Psalm der heutigen Liturgie: „Ihr Völker alle, klatscht in die Hände; jauchzet Gott zu mit lautem Jubel. . . Denn der Herr ist König über die ganze Erde . . . Gott wurde König über alle Völker“ (Ps 47,2.3.9). 4. Das Reich, das „nicht von dieser Welt ist“, das Reich Gottes, wird in diesen Wochen noch einmal offenbart - gleichsam als Einführung zur Himmelfahrt, zur Erhöhung und Aufnahme Christi in die Herrlichkeit des Vaters. Dieses Reich verwirklicht sich durch die Geschichte der Völker und der Nationen, durch die gesamte Geschichte des Menschen auf Erden. Es verwirklicht sich durch Christus: denn er ist die Fülle aller Dinge. Darum müssen sich die Augen des menschlichen Geistes tiefgründiger 479 REISEN öffnen, sie müssen sich durch alle zeitlichen Geschehnisse, durch die Geschichte der Welt, unserer heutigen Welt, hindurch öffnen. Der Vater der Herrlichkeit muß die geistigen Augen aller erleuchten, um uns begreifen zu lassen, zu welcher Hoffnung in Christus, zu welcher Herrlichkeit wir berufen sind! Darum sagt ja Christus zu den Aposteln: „Ihr werdet mit dem Heiligen Geist getauft. . ., und ihr werdet meine Zeugen sein ... bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,5.8). Zeugen Christi! Zeugen der Berufung der Menschheit in Christus! Mit dem Weggang Christi von der Erde beginnt die Zeit dieser Zeugenschaft: die Zeit der apostolischen Sendung, der Sendung der Kirche unter den Nationen und unter den Völkern. „Ihr Völker alle, klatscht in die Hände; jauchzt Gott zu mit lautem Jubel!“ Das menschliche Erdenleben hat seine großartige Bedeutung. Der Mensch wird durch das Geheimnis Christi von Gottes Heil umfangen; der Mensch ist zur Herrlichkeit berufen. 5. Mit tiefer innerer Bewegung stelle ich heute mit euch, liebe Brüder und Schwestern, meine Betrachtungen über diese großen Wahrheiten der christlichen Botschaft an. Denn es ist für mich ein Grund echter geistlicher Freude, mich hier in Ravenna zu diesem feierlichen Gottesdienst aufzuhalten, an welchem europäische Bischöfe und Parlamentarier und die Vertretungen der Städte der Romagna teilnehmen; eine Feier, die an den elfhundertsten Todestag des hl. Method erinnern soll. Eure Anwesenheit unterstreicht die historische Berufung dieser Stadt, die in dem entscheidenden Augenblick, wo die Kulturen der germanischen, der langobardischen und der Welt des Donauraumes mit der römischen Kultur verschmolzen, um die erneuerte Gesellschaft des mittelalterlichen Europa entstehen zu lassen, Zentrum der Begegnung zwischen Ost und West war. Und es entbehrt nicht einer besonderen Bedeutung, daß dieser feierliche Gottesdienst gerade am Himmelfahrtstag stattfindet, an dem wir die Worte Christi vernommen haben: „Geht zu allen Völkern. . . und lehrt sie“ (Mt28,19 f.). Denn diese Worte sind eine Aufforderung, die Grenzen zu überschreiten, jedes Volk, jede Nation zu erreichen, die Botschaft Christi in jedem Teil der Erde zu verbreiten. Es ist eine Aufforderung, welche sich die christliche Gemeinde des antiken Ravenna mit einzigartigem Einsatz zu eigen machte. Denn hier 480 REISEN entstand bereits in den Anfängen des christlichen Zeitalters eine Art idealer Brücke zwischen Ost und West, die in den nachfolgenden Jahrhunderten in der einen und in der anderen Richtung begangen werden konnte: so bahnte sich jener ununterbrochene Austausch des Glaubens, der Kultur und der Zivilisation zwischen den Völkern und den Kirchen an, der soviel dazu beigetragen hat, daß sich ein im Glauben geeintes Europa, trotz der Vielfalt der lokalen Traditionen, durchsetzen konnte. Diese Stadt vermochte die großen Wahrheiten, die dem Leben der Menschen Sinn verleihen, in der faszinierenden Schönheit ihrer Kunstwerke, in den Mosaiken, in den Basiliken, in den umliegenden romanischen Pfarrkirchen zum Ausdruck zu bringen. In diesen Werken treffen wir nicht nur Talent, Kunst, Inspiration an, sondern etwas Geheimnisvolles, das den Verstand fasziniert und ihn unmerklich über die Inspirationsquelle der unbekannten Künstler jener fernen Zeiten nachsinnen läßt. „Dieses Geheimnisvolle ist genau das christliche Geheimnis einer ,christozentrischen‘ Vision, die sich vom Kreuz Christi ausbreitet. .. Dieses Kreuz, Zeichen und Werkzeug für die Rettung aller . . ., erstrahlt überall im theologischen Zentrum sämtlicher Bauten Ravennas“ (vgl. A. Frossard, II Vangelo secondo Ravenna, 101). 6. Ich grüße diese Stadt, der es mit außergewöhnlicher poetischer Vorstellungskraft gelungen ist, in einer Seite echter Kunst das Evangelium Christi zu schreiben, und ich hoffe, daß diese Bilder allen Besuchern dieser Stätten den Herrn verkünden und zu dem Wunsch inspirieren, ihn besser kennenzulernen. Ich grüße den Erzbischof dieser Kirche, Msgr. Ersilio Tonini, ich grüße den Klerus, die Ordensmänner und Ordensfrauen. Ich richte einen achtungsvollen Gruß an die Vertreter der Öffentlichkeit und grüße die ganze Bevölkerung von Ravenna mit dem Wunsch, daß sie ihrem christlichen Erbe immer treu bleiben möge. Der hl. Method, dessen elfhundertsten Todestag die Kirche von Ravenna gedenken will, und sein Bruder Kyrill mögen diese Stadt beschützen, deren ganze Geschichte ein Netz des Austausches ist, zuerst des Austausches zwischen dem griechisch-byzantinischen und dem lateinischen Christentum und dann zwischen dem Europa des hl. Benedikt und dem Europa der Slawenapostel. „Indem Kyrill und Method ihr eigenes Charisma verwirklichten, leisteten sie einen entscheidenden Beitrag zur Bildung Europas, und zwar nicht nur in der religiösen, christlichen Gemeinschaft, sondern auch für seine gesellschaftliche und kulturelle Einheit“ (Slavorum Apostoli, 27). 481 REISEN Wir danken Gott für das Erbe, das uns diese beiden großen Apostelgestalten hinterlassen haben, die die Kirche unter dem Antrieb ihrer Universalität und Einheit aufbauten, aber ebenso das Augenmerk auf die mannigfaltige Verschiedenartigkeit ihrer Ausdrucksformen richteten. Ihre Botschaft ist eine Einladung an den europäischen Kontinent, im Christentum wieder die gemeinsame Wurzel und die Kraft für den Aufbau der Gesellschaft von morgen zu entdecken. Im Gedenken an die hll. Kyrill und Method grüße ich sehr herzlich die hier anwesenden Bischöfe Europas und voll Hochachtung die Vertreter des Europaparlaments und gebe dem Wunsch Ausdruck, dem Europa unserer Tage möge ein echtes Klima der Brüderlichkeit, des Friedens, des gegenseitigen Verständnisses und des Einvernehmens zwischen den Völkern beschieden sein. 7. Während ich mich zum Sprecher der lebendigen Hoffnung mache, die die ganze Kirche durchdringt, möchte ich mich an die jungen Christengenerationen wenden und sie bitten, sich mit wirksamem Einsatz um die Verwirklichung einer Neuevangelisierung der europäischen Gesellschaft zu bemühen. Man wird über die bedeutsamen moralischen Kräfte nach-denken müssen, die das ursprüngliche Bewußtsein Europas gebildet haben: der Sinn für Recht, die Einheit in der Vielheit der Nationen, der Wille zu verantwortlicher Teilhabe, die schöpferische Kraft in der Kunst und im Denken. Darüber hinaus wird man nach den Wegen für einen neuen Dialog zwischen Glaube und Kultur suchen müssen, indem man Überlegungen zur heutigen Situation anstellt und die vielversprechenden Perspektiven aufgreift, die sich einer aufmerksameren Bewertung der Vergangenheit zu eröffnen scheinen, dank welcher man die Gegenwart besser verstehen und vor allem die Vorbereitung der Zukunft auf solidere Grundlagen stützen können wird. Das ist eine Aufgabe, die insbesondere Jugendlichen obliegt, an die das moderne Europa sozusagen eine Herausforderung richtet. Die Neubegründung der europäischen Kultur ist die entscheidende und dringende Aufgabe unserer Zeit. Um die Gesellschaft zu erneuern, muß man in ihr die Kraft der Botschaft Christi, des Erlösers des Menschen, wieder lebendig werden lassen. Für dieses Vorhaben gewinnt die in vergangenen Jahrhunderten in dieser Stadt gelebte Erfahrung den Wert eines Symbols, das reich an großartigen Lehren ist: wie es Ravenna gelungen ist, in seinen Bauten und Kunstwerken im Laufe besonders leidvoller und schwerer Zeiten die wunderbare Größe der evangelischen Verkündigung niederzuschreiben, so soll die 482 REISEN heutige Generation versuchen, in neuen Denk- und Lebensmodellen die Botschaft des Friedens und der Brüderlichkeit darzustellen, die aus dem Glauben an einen einzigen Vater und an einen einzigen Erlöser erwächst. Das heißt, es muß versucht werden, Europa seiner wahren Identität entsprechend wiederaufzubauen, die in ihrer ursprünglichen Wurzel die christliche Identität ist. 8. Bei diesem Vorhaben begleitet uns Christus, der, wie uns die heutige Liturgie erinnert, in den Himmel auf genommen wurde und der eines Tages wiederkommen wird. Am vierzigsten Tag nach der Auferstehung verließ Jesus am Abhang des Ölberges gegen Betanien hin seine Freunde auf Erden. „Eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken“ (Apg 1,9). Die Wolke ist nach der Sprache der Schrift Zeichen für die Gegenwart Gottes; Zeichen, das die Herrlichkeit der Göttlichkeit enthüllt und zugleich verhüllt. Für die Apostel war dieses Ereignis Quelle neuerlichen Erstaunens, so wie es beim Erscheinen des Auferstandenen im Abendmahlssaal am dritten Tag nach der Kreuzigung gewesen war. Da hörten sie die Stimme: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel auf genommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen“ (Apg 1,11). Er ist gekommen. Er ist durch unsere Geschichte gegangen, indem er auf unserer Erde wandelte. Er hat uns das Evangelium und das Kreuz als Zeichen des Heils hinterlassen. Er hat uns in seiner Auferstehung „die Berufung zur Herrlichkeit“ hinterlassen. Dann ist er von uns gegangen. Er wird zurückkehren. Die Kirche bekennt das jeden Tag in der eucharistischen Liturgie: „Deinen Tod verkündigen wir . . . Deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Der Geist und die Braut sagen unablässig: „Komm!“ (Offb 22,17). Die Geschichte des Menschen, die Geschichte der Völker und der Nationen, der Kulturen und der Kontinente ist eine Vorbereitung auf diese endgültige Wiederkunft. Es ist eine Erwartung. Eine Erwartung, die nicht enttäuscht werden wird, weil er zurückkehren wird. 483 REISEN Die europäische Gesellschaft neu evangelisieren! Aufruf bei der Predigt in S. Apollinare in Ravenna am 11. Mai Mit tiefer innerer Bewegung stelle ich heute mit euch, liebe Brüder und Schwestern, meine Betrachtungen über diese großen Wahrheiten der christlichen Botschaft an. Denn es ist für mich ein Grund echter geistlicher Freude, mich hier in Ravenna zu diesem feierlichen Gottesdienst aufzuhalten, an welchem europäische Bischöfe und Parlamentarier und die Vertretungen der Städte der Romagna teilnehmen; eine Feier, die an den elfhundertsten Todestag des hl. Method erinnern soll. Eure Anwesenheit unterstreicht die historische Berufung dieser Stadt, die in dem entscheidenden Augenblick, wo die Kulturen der germanischen, der langobardischen und der Welt des Donauraumes mit der römischen Kultur verschmolzen, um die erneuerte Gesellschaft des mittelalterlichen Europa entstehen zu lassen, Zentrum der Begegnung zwischen Ost und West war. Der hl. Method, dessen elfhundertsten Todestages die Kirche von Ravenna gedenken will, und sein Bruder Kyrill mögen diese Stadt beschützen, deren ganze Geschichte ein Netz des Austausches ist, zuerst des Austausches zwischen dem griechisch-byzantinischen und dem lateinischen Christentum und dann zwischen dem Europa des hl. Benedikt und dem Europa der Slawenapostel. „Indem Kyrill und Method ihr eigenes Charisma verwirklichten, leisteten sie einen entscheidenden Beitrag zur Bildung Europas, und zwar nicht nur in der religiösen, christlichen Gemeinschaft, sondern auch für seine gesellschaftliche und kulturelle Einheit“ (Slavorum Apostoli, 27). Wir danken Gott für das Erbe, das uns diese beiden großen Apostelgestalten hinterlassen haben, die die Kirche unter dem Antrieb ihrer Universalität und Einheit aufbauten, aber ebenso das Augenmerk auf die mannigfaltige Verschiedenartigkeit ihrer Ausdrucksformen richteten. Ihre Botschaft ist eine Einladung an den europäischen Kontinent, im Christentum wieder die gemeinsame Wurzel und die Kraft für den Aufbau der Gesellschaft von morgen zu entdecken. Im Gedenken an die hll. Kyrill und Method grüße ich sehr herzlich die hier anwesenden Bischöfe Europas und voll Hochachtung die Vertreter des Europaparlaments und gebe dem Wunsch Ausdruck, dem Europa unserer Tage möge ein echtes Klima der Brüderlichkeit, des Friedens, des gegenseitigen Verständnisses und des Einvernehmens zwischen den Völkern beschieden sein. 484 REISEN Während ich mich zum Sprecher der lebendigen Hoffnung mache, die die ganze Kirche durchdringt, möchte ich mich an die jungen Christengenerationen wenden und sie bitten, sich mit wirksamem Einsatz um die Verwirklichung einer Neuevangelisierung der europäischen Gesellschaft zu bemühen. Man wird über die bedeutsamen moralischen Kräfte nachden-ken müssen, die das ursprüngliche Bewußtsein Europas gebildet haben: der Sinn für Recht, die Einheit in der Vielheit der Nationen, der Wille zu verantwortlicher Teilhabe, die schöpferische Kraft in der Kunst und im Denken. Darüber hinaus wird man nach den Wegen für einen neuen Dialog zwischen Glaube und Kultur suchen müssen, indem man Überlegungen zur heutigen Situation anstellt und die vielversprechenden Perspektiven aufgreift, die sich einer aufmerksameren Bewertung der Vergangenheit zu eröffnen scheinen, dank welcher man die Gegenwart besser verstehen und vor allem die Vorbereitung der Zukunft auf solidere Grundlagen stützen können wird. Das ist eine Aufgabe, die insbesondere Jugendlichen obliegt, an die das moderne Europa sozusagen eine Herausforderung richtet. Die Neubegründung der europäischen Kultur ist die entscheidende und dringende Aufgabe unserer Zeit. Um die Gesellschaft zu erneuern, muß man in ihr die Kraft der Botschaft Christi, des Erlösers des Menschen, wieder lebendig werden lassen. Der Friede Christi wird „der ganzen Welt angeboten“ Vor dem Regina Caeli in Ravenna am 11. Mai 1. „Maria wird nicht aufhören, für uns zu bitten: Herr, erhalte uns das Erbe der Väter . . .“ Mit diesen Worten eines Liedes aus Mähren grüße ich heute alle, die sich uns im gemeinsamen Gebet des Regina Caeli anschließen, das wir in der antiken Stadt Ravenna zum Abschluß eines feierlichen Gottesdienstes sprechen, bei dem verschiedene Bischöfe aus ganz West- und Osteuropa und einige Vertreter des Europaparlaments anwesend waren. <34> <34> Die Bedeutung unserer heutigen Begegnung ist vor allem im „Erbe der Väter“ zu suchen, das heißt in der Geschichte Ravennas: diese Stadt hatte in der Vergangenheit eine entscheidende Funktion in den Beziehungen zwischen Ost und West, besonders als sie im 5. Jahrhundert als Hauptstadt des Reiches zur unmittelbaren Brücke für die Beziehungen zu 485 REISEN Konstantinopel wurde. Gleichzeitig war Ravenna Mittel- und Anziehungspunkt für die Germanen, die Goten und die Völker aus dem Donauraum und wurde dadurch zum Begegnungszentrum und Schmelztiegel der neuen Kulturen mit der römischen Kultur. Durch Ravenna und die mit ihr verbundenen Städte der oberen Adria wurde die politisch religiöse Form der aus dem Norden stammenden Reiche weitgehend von der griechischen, byzantinischen und römischen und damit christlichen Tradition beeinflußt. 3. Möglicherweise haben die hll. Kyrill und Method, die Apostel der slawischen Völker, auf ihrer Pilgerfahrt von Venedig nach Rom, wohin sie vom Papst gerufen worden waren, im Hafen von Ravenna Rast gehalten. Ich möchte euch von diesem Ort aus an das 1100. Todesjahr des hl. Method erinnern und den beiden heiligen Brüdern, den Schutzherren Europas, einen besonderen Gedanken widmen. Das ihnen eigene Charisma tritt heute, im Licht der Situationen und Erfahrungen unserer Zeit, noch klarer zutage. Das Erbe der Väter ist für uns auch das geistige Erbe jener großen Verkünder des Evangeliums. Es besteht in der Aufforderung, Europa als Gemeinschaft von Menschen und nicht nur als geographische Bezeichnung für eine Vielzahl von Nationen aufzubauen. Wir sind gerufen, aus dem Geschichtserbe Ravennas ein neues Europa aufzubauen und es mit einem Geist, einem Ideal, einer Seele zu erfüllen, weil eine echte menschliche Gemeinschaft ohne jene kulturellen und geistlichen Werte nicht bestehen kann, durch welche der Mensch mehr Mensch wird. Die Aufgabe, die uns obliegt, ist, die hier so reich bezeugten Werte der christlichen Kultur zu übernehmen wissen, um sie in das Lebensbild unseres Kontinents zu übertragen. 4. Aufgrund dieses Erbes möchte ich von Ravenna aus wiederum ganz Europa und die Welt einladen, die Einheit, das gegenseitige Verständnis, die Brüderlichkeit, die Zusammenarbeit zu suchen und jene Formen des egoistischen Partikularismus, ethnischen Exklusivismus und rassischen Vorurteils zu überwinden, die Zwietracht hervorrufen und zu Aggressionen und Kriegen führen können. Die christliche Botschaft, die in diesen berühmten Mosaiken eine eindrucksvolle christozentrische Verherrlichung erfährt, möge allen Menschen sagen, daß der Friede Christi der ganzen Welt angeboten wird, der Friede, der Gottes Geschenk und Ausdruck seiner unendlichen Liebe, seiner ewigen Liebe, ist. Maria, die „nicht aufhört, für uns zu bitten“, erwirke für uns, daß wir uns dieses kostbaren Geschenkes des verherrlichten Christus erfreuen dürfen. 486 3. Lateinamerikareise (1. bis 8. Juli) REISEN „Eine Pilgerfahrt zum Heiligtum jedes Menschen“ Rundfunk- und Fernsehbotschaft an das kolumbianische Volk am 29. Juni Meine Herren Kardinäle, liebe Brüder im Bischofsamt, liebe Brüder und Schwestern Kolumbiens! Da nun der so ersehnte Tag nahe ist, an dem ich zu meiner Freude meinen Pastoralbesuch bei eurer edlen Nation beginnen werde, möchte ich euch allen aus Rom, dem Zentrum der katholischen Christenheit, meinen herzlichen Gruß senden: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (Gal 1,3). Die 400-Jahr-Feier der Erneuerung des verehrten Gnadenbildes der Jungfrau vom Rosenkranz in Chiquinquirä bildet den eigentlichen Anlaß dafür, daß der Papst erneut den Pilgerstab der Evangelisierung ergreift, um den Söhnen und Töchtern eines Landes zu begegnen, das tiefe christliche Wurzeln aufweist und eine Wiege hoher geschichtlicher, sittlicher und kultureller Werte ist, die dem ganzen lateinamerikanischen Kontinent zur Ehre gereichen. Herzlich danke ich schon jetzt den staatlichen Autoritäten und den Bischöfen Kolumbiens für die freundliche Einladung, die sie seinerzeit an mich gerichtet haben. Mit Gottes Gnade hoffe ich am kommenden 1. Juli in euer liebes Land kommen zu können, um einige Tage bei euch zu verbringen, in denen der Nachfolger des Petrus, dem Auftrag des Herrn gehorchend, seine Brüder im Glauben stärkt (vgl. Lk 22,32), eure Liebe lebendiger macht und zur „neuen Evangelisierung“ anspornt, indem er Worte des Friedens und der Hoffnung sät, die den Weg der Menschen auf den „neuen Himmel und die neue Erde“ ausrichten (2 Petr 3,13). Während der Tage, die ich unter euch weile, werde ich die Gelegenheit ergreifen und einen beträchtlichen Teil der weiten Gebiete Kolumbiens bereisen. Ich werde in das Nationalheiligtum der Madonna von Chiquinquirä kommen und werde Bogota, Tumaco, Popayän, Cali, Chinchinä, Medellin, Armero, Bucaramenga, Cartagena und Barranquilla besuchen. Ich bedaure, daß ich nicht persönlich noch in weitere Städte und Orte kommen kann, wo man als Beweis kindlicher Verehrung für den Oberhirten der Gesamtkirche meine Anwesenheit gewünscht hat; ich möchte jedoch den kirchlichen und zivilen Autoritäten und den lieben Gläubigen für ihre freundlichen Einladungen meine Dankbarkeit bekunden. Während ich diesen apostolischen Besuch durchführe, werde ich alle Kolum- 488 REISEN bianer in meinem Herzen haben. Meine Reise wird eine Marien-Pilger-fahrt zum Heiligtum der Heiligen Jungfrau und Schutzpatronin Kolumbiens und eine Pilgerfahrt der Evangelisierung zum Heiligtum jedes Menschen, zum Heiligtum des ganzen Gottesvolkes sein. Es ist mein Wunsch, mit Vertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche und mit Leuten aller Regionen, von Guajira bis zum Gebiet des Amazonas, von den Küsten des Pazifik bis zum Flachland im Osten, zusammenzutreffen und zu sprechen. Mit Befriedigung sehe ich den hochherzigen Eifer und den glühenden Enthusiasmus, mit dem ihr euch unter der Leitung eurer Bischöfe vorbereitet, damit diese Begegnung mit dem Papst reiche geistliche Früchte hervorbringe und euch christlichen Mut zur Bewältigung der Prüfungen der heutigen Zeit einflöße. Ich will allen, Autoritäten und Bürgern, Klerus und Gläubigen im allgemeinen, meine aufrichtige Anerkennung zum Ausdruck bringen für die großzügige Mitarbeit, die sie leisten, und für die inbrünstigen Gebete, auf daß die bevorstehenden Tage meines Besuches sich als intensive Glaubensfeiern erweisen, die in einer tieferen kirchlichen Gemeinschaft lebendig werden und die Bande der Brüderlichkeit und den Willen zum friedlichen Zusammenleben zwischen allen geliebten Söhnen und Töchtern Kolumbiens, ohne Unterschied der Herkunft oder sozialen Stellung, stärken. Unserer Lieben Frau von Chiquinquirä vertraue ich in diesem nationalen Marianischen Jahr meine apostolische Pilgerreise durch Kolumbien an und, während ich mein Gebet zu Gott emporsende, damit er allen das inständige Verlangen nach Versöhnung, brüderlicher Liebe und wahrem Frieden ins Herz senke, segne ich euch im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. 489 REISEN „Mit dem Frieden Christi auf dem Weg durch Kolumbien“ Ansprache nach der Ankunft auf dem Flughafen von Bogota am 1. Juli Herr Präsident! Liebe Brüder im Bischofsamt! Repräsentanten des Staates, liebe Brüder und Schwestern! 1. Gelobt sei Jesus Christus! Ich komme in euer edles Land, geliebtes Volk Kolumbiens, als Bote der Evangelisierung, der das Kreuz Christi aufrichtet in dem Wunsch, daß die Silhouette seiner Heilsgestalt auf alle Gebiete dieses gesegneten Landes falle. Ich habe soeben den Boden geküßt als Zeichen der Achtung für das Land und als Signal des Wohlwollens für alle und jeden einzelnen seiner Bewohner. Es ist eine Geste der verehrenden Verneigung vor dem Schöpfer (vgl. Ps 95,6), der von Bewunderung erfüllten Achtung für die von Gott geschaffene Welt (vgl. Ps 8), der in diesen Regionen seine Gaben so verschwenderisch ausgeteilt hat; es ist außerdem ein Ausdruck der Sympathie für alle lieben Kolumbianer, die ich vom Augenblick meiner Ankunft an mit diesem „heiligen Kuß“ (1 Thess 5,26) in Christus Jesus umarmen will. Dieses privilegierte Land empfing vor nunmehr 18 Jahren mit kindlicher Liebe meinen Vorgänger unvergeßlichen Angedenkens, Paul VI., der am 23. August 1968 in dieser Stadt Bogota eintraf, um den Vorsitz bei den Feierlichkeiten des 39. Internationalen Eucharistischen Kongresses zu führen und hier die zweite Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe zu eröffnen. Sie erinnern sich jetzt zweifellos mit Dankbarkeit und Freude jenes großen kirchlichen Ereignisses, das die erste Begegnung des Stellvertreters Christi mit diesem Volk und diesem Kontinent war. <35> <35> Dieser Besuch eines Papstes in Kolumbien stellt ein neues, höchst bedeutsames Glied dar, das die Kette eurer bereits langen religiösen Geschichte weiter verlängert. Ich habe seit längerer Zeit den Wunsch gehegt, euch zu besuchen, und fühle mich glücklich, meine Hoffnung heute endlich erfüllt zu sehen: Ich weile unter euch, um gemeinsam zu beten, um miteinander unseren 490 REISEN Glauben zu feiern und das Wort Gottes zu betrachten. Ich will in dieser Hauptstadt und in den anderen Städten und Orten, die ich mit Gottes Hilfe besuchen will, Sämann der Lehren Jesu, der ewigen Lehre der Kirche sein. Mein Wunsch ist es, mich allen Menschen jeder Klasse oder Stellung nahezufühlen und sie spüren zu lassen, daß ich ihnen nahe bin, besonders aber den Leidenden, Armen und Verlassensten, auch wenn mein Herz, gemäß dem Wort des hl. Apostels Paulus für alle offen ist: „Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen“ (I Kor 9,22f.). Von dem einen oder andern Ort aus, an den ich mich begebe, werde ich mein Wort an alle Kolumbianer richten, an alle Gruppen des Gottesvol-kes, das in diesem Land seinen Pilgerweg geht. Ich komme, um euren Glauben, eure Sorgen, Leiden und Hoffnungen zu teilen. An alle soll schon in diesem ersten Augenblick mein kirchlicher Gruß und mein Segen ergehen. Ja, ich werde segnend alle Teile durchreisen, weil ich weiß, daß ihr wie alle Söhne dieses geliebten lateinamerikanischen Kontinents davon überzeugt seid, daß der Segen naturgemäßer Ausdruck der religiösen Haltung, der Nähe Gottes ist, der seine unendliche Güte in alle Herzen ausgießt. <36> <36> Als Antwort, die aus dem innersten Herzen hervorquillt, habe ich gern die freundliche und wiederholte Einladung, euch zu besuchen, angenommen, die der Herr Präsident der Republik wie eure Bischöfe an mich richteten. Empfangen Sie, Herr Präsident, meinen ergebenen Gruß sowie den Ausdruck meiner Dankbarkeit für Ihre Einladung zur Durchführung dieser apostolischen Pilgerreise und für Ihre freundlichen Worte bei dem herzlichen Empfang. Ich begrüße auch die anderen Persönlichkeiten, die sich hier eingefunden haben, und danke für ihre Anwesenheit: Mitglieder der Regierung, oberste Richter, hohe Kommandeure, das Diplomatische Corps und Vertreter der örtlichen Behörden. Kolumbien, ein Land, das sich durch seine Kultur, seinen geistigen Adel sowie durch seinen Glauben an Gott und seine christlichen Ideale auszeichnet, blickt weiter mit dem Vorsatz in die Zukunft, an seinen Werten festzuhalten und sein Bemühen um das ersehnte Geschenk des Friedens zu verstärken, des wahren christlichen Friedens, der die Frucht der Gerechtigkeit, der gegenseitigen Achtung und vor allem der Liebe ist, die zwischen allen Bürgern - Brüder untereinander und Söhne Gottes -herrschen soll. Ich bitte Christus, den Friedensfürsten, daß er alle 491 REISEN Anstrengungen segne, die Kolumbien unternimmt, um den Frieden zu erreichen, den es ersehnt und um den es mit Klagen voll Hoffnung betet. 4. Herzlich begrüße ich die lieben Brüder im Bischofsamt, die Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen, Katecheten, die engagierten Laien und das ganze kolumbianische Volk, das im Laufe der Jahrhunderte so viele Beweise seines erprobten Glaubens und der Gottesliebe, der kindlichen Verehrung für die Jungfrau Maria, der Treue zur katholischen Kirche und aufrichtigen Anhänglichkeit an den Nachfolger Petri erbracht hat. 5. Ich weiß, daß eure Nation in den letzten Jahren von harten Ereignissen verschiedener Art heimgesucht worden ist, die über seine Bewohner manchmal unsägliches Unglück und Schmerzen gebracht haben. Ich weiß jedoch ebenso, daß ihr durch Gottes Gnade nicht den Mut verloren habt und die Hoffnung und den entschiedenen Willen sehr hoch haltet, gegen die Widerstände anzukämpfen, indem ihr das persönliche und gemeinsame Bemühen um ständige Bewältigung, um echten Fortschritt und um friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft verstärkt, wobei ihr euch an eurem christlichen Glauben und an euren edlen vaterländischen Idealen inspiriert. Wir haben die feste Gewißheit, daß auf alle, die imstande sind, die Prüfung anzunehmen, ihr die Stirn zu bieten und sie zu überwinden, die für das Opfer verheißene Belohnung wartet. Während ich mich so mit dem in Gott gesetzten Vertrauen und verbunden mit den kolumbianischen Bischöfen meinerseits als euer Bruder und Hirte eurer Seelen fühle, beginne ich mit dem Blick auf die Jungfrau von Chiquinquirä, deren vor 400 Jahren erneuertes Gnadenbild wir in ihrem Nationalheiligtum verehren wollen, voll Freude meine apostolische Pilgerreise. Von diesem Augenblick an begibt sich der Papst „mit dem Frieden Christi auf den Weg durch Kolumbien“. 492 REISEN „Die Stadt des heutigen Glaubens“ Ansprache auf der Plaza de Bolivar in Bogota am 1. Juli Liebe Brüder und Schwestern aus Bogota und ganz Kolumbien! 1. Auf meiner freudigen Fahrt durch die Straßen dieser Stadt, vom Flughafen „El Dorado“ aus konnte ich euren geistlichen Eifer und eure überwältigende Begeisterung sehen; ich habe eure ehrliche Ergebenheit und mitreißende Liebe zu dem geschätzt, den meine arme Person vertritt, und euren nachhaltigen Ruf der Hoffnung wahrgenommen, nach jener Hoffnung, die die Heilsbotschaft Jesu in euch wachruft. Ich danke für eure herzliche Aufnahme und eure Gastfreundschaft; ich danke dafür, daß ihr auf diesem historischen Platz zusammengekommen seid, um den Papst in der Atmosphäre eines kirchlichen Festes zu empfangen. Ich danke euch dafür, daß ihr eure Herzen für den Nachfolger Petri aufgetan habt, der gekommen ist, um die große Familie Kolumbiens im Glauben zu stärken. Euch alle begrüße ich und würde euch gerne alle einzeln begrüßen, um euch in ausdrucksvollster Form der Liebe teilhaftig zu machen, die ich euch zum Ausdruck bringen möchte. Ich würde gerne eure Familien besuchen, eure Kranken trösten, die Jugend ermutigen und die Kinder segnen. Die Herren Kardinäle, der Erzbischof Primas, der Vorsitzende der Bischofskonferenz und die übrigen hier anwesenden Bischöfe sind Zeugen des Eifers und der Hirtensorge, die ich euch gegenüber empfinde. Wie sehr habe ich zu Gott gebetet, daß mein Pastoralbesuch in reichen Früchten christlichen Lebens und in der sozialen Erneuerung des geliebten Kolumbien seinen Niederschlag findet. <37> <37> Wir befinden uns auf der Plaza de Bolivar, dem ideellen Mittelpunkt der Hauptstadt der Republik Kolumbien, in dem seit Jahrhunderten wegen seiner Kultur bekannten Bogota. Tatsächlich kommen hier sowohl die einheimische kolumbianische als auch die moderne Kultur auf bedeutsame Weise zum Ausdruck; gleichzeitig haben ihre Universitäten und Akademien die Hauptstadt zu einem Zentrum kultureller Kreativität und Ausstrahlung gemacht. Bogota hat sich darüber hinaus durch die Vornehmheit seiner Bewohner ausgezeichnet, die im Lauf von fast viereinhalb Jahrhunderten Taten von hohem patriotischem Wert setzten; diese Taten bildeten die Geschichte der Nation und verliehen ihr ihre juridische Gestalt, ihre demokratische Freiheit und die Festigkeit eines unabhängi- 493 REISEN gen Staates, dessen Weg von großen Unternehmungen ausgezeichnet ist und einer großartigen Bestimmung entgegegenführt. 3. Mit euch, den Bewohnern von Bogota, teile ich die Freude dieser Begegnung, die vor allem eine Begegnung im Glauben ist, in jenem Glauben, den Gott den Menschen geschenkt hat, der euch durch das Amt der Hirten der Kirche mitgeteilt wurde und den ihr seit der Kindheit von den Lippen eurer christlichen Eltern und Lehrer empfangen habt. Ich bin in euer Land als Pilger im Glauben gekommen und die Tatsache, daß mein Pastoralbesuch auf den Straßen Kolumbiens in der „Stadt des hl. Glaubens“ beginnt, hat ihre volle Bedeutung. Vor 448 Jahren kamen die Spanier auf dieser Hochebene an, und als sie die Hügel Monserrat und Guadalupe erreicht hatten, von denen aus sich der Blick auf die erhabene Savanne auftut, gründeten sie die Stadt „Santafe von Bogota“. Eine kleine Kapelle aus Stroh und zwölf bescheidene Hütten zu Ehren der zwölf Apostel waren der Anfang der ausgedehnten und lebensvollen Großstadt von heute. Hier, genau an dem Ort, an dem heute die Kathedrale steht, wurde am 6. August 1538 die erste Messe gefeiert. In diesem wunderbaren Gotteshaus, in eurer Primatial- und Metropolitkathedrale, werden als Schatz von höchstem Wert der Kelch und die liturgischen Gewänder des ersten eucharistischen Opfers aufbewahrt, das dem Vater zur Danksagung und als Versprechen immerwährender Treue zu Christus und seiner Kirche dargebracht wurde. 4. Eure Nation nahm also im Zeichen des Glaubens ihren Ursprung, und ihr sollt allzeit im Zeichen des Glaubens an den dreifältigen Gott leben. - Glaube an den einen und dreifältigen Gott, den Vater der Vorsehung in unserem Leben und Herrn unseres Schicksals. - Glaube an Jesus Christus, unseren Retter und Erlöser, den ihr jeden Tag besser kennen und lieben lernen müßt. - Glaube an den Geist, der unser Leben heiligt und unserer Seele den Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit, nach Einheit und Liebe eingibt. - Glaube auch an die Kirche, die Mutter und Lehrmeisterin, deren Lehren ihr frei und vorbehaltlos annehmen müßt; gleichzeitig müßt ihr auch die Bande der Einheit zwischen den Brüdern und den Gemeinden, mit den Bischöfen und dem Nachfolger Petri immer enger werden lassen. Euer Glaube soll in Werken zum Ausdruck kommen (vgl. Jak 2,17); er soll zur Treue werden; zu einer rückhaltlosen und ständigen Treue in allem: in eurem Ordensleben, euren familiären und gesellschaftlichen 494 REISEN Beziehungen, eurer Arbeit und eurer Erholung... in jedem Augenblick eures Daseins. Treue zu eurer katholischen Tradition, in der ihr Licht für euren zukünftigen Weg, eine Garantie für eure Ausdauer und die Erfül-ling eurer berechtigten Hoffnungen findet. Der Glaube an Christus macht euch zu Kindern Gottes (vgl. Gal 3,26). Der Glaube wird in der Liebe tätig (vgl. Gal 5,6); er muß Hand in Hand mit der Frömmigkeit gehen (vgl. Tit 1,1); er wirkt Wunder (vgl. Joh 14,12) und schafft Freude, Frieden und Hoffnung (vgl. Rom 15,13). Ich bin gekommen, um euren Glauben zu bekräftigen und zu stärken. So rufe ich euch denn auf, euren Glauben zu beseelen. Möge der christliche Glaube weiterhin die Verpflichtung für euer tägliches Leben und das Kennzeichen eurer Freude sein; möge Bogota, seinem Ursprung treu, immer die „Stadt des heiligen Glaubens“ sein. In diesem Sinn, als Unterpfand des göttlichen Schutzes, erteile ich euch, indem ich Maria, unsere geliebte Mutter anrufe, die Fülle des Apostolischen Segens. Den Menschen als Subjekt und nicht als Objekt von Politik und Wirtschaft sehen Ansprache an die führenden Persönlichkeiten Kolumbiens am 1. Juli Herr Präsident, verehrte Anwesende! 1. Ich begrüße Sie, verehrte Vertreter der führenden sozialen Gruppen Kolumbiens, und freue mich über Ihre Anwesenheit hier und Ihre Teilnahme an meiner ersten Begegnung während dieses von mir so sehr gewünschten Apostolischen Besuchs in eurem geliebten Vaterland. Mein besonderer Dank geht an den Herrn Präsidenten, weil er den Präsidentenpalast für dieses Treffen zur Verfügung gestellt und mit so herzlichen Worten diese herausragende Gruppe von Persönlichkeiten vorgestellt hat, die im Leben dieser Nation besonders bedeutende Verantwortung tragen. Ich möchte meiner Freude und meiner Dankbarkeit Ausdruck verleihen über die breit angelegten Studien und Erörterungen, die Ihr über meine 495 REISEN Enzyklika Laborem exercens angestellt habt, um ein tieferes Verständnis der Soziallehre der Kirche zu erreichen. Allein die Tatsache, daß dieses Ereignis hier stattfindet, in der „Casa de Narino“, dem Amtssitz der kolumbianischen Präsidenten, ist ein weiterer Beweis der bezeichnenden Realität, die wir die besondere christliche Berufung Kolumbiens nennen können, fast fünf Jahrhunderte nach der Überbringung der Frohbotschaft in dieses von Gott gesegnete Land. Das hochherzige kolumbianische Volk, dem Ihr zu dienen wünscht durch Beiträge zu seinem wahren Fortschritt in allen Bereichen, hat sich die Botschaft des Evangeliums zu eigen gemacht, die durch die ruhmreiche Geschichte dieses Landes sein Leben und seine Sitten geprägt hat. Aus dieser Tatsache ergibt sich für die führenden Kräfte des Landes eine bestimmte Verantwortung für das, was ich die christliche Berufung Kolumbiens genannt habe, die Ihr Leben und Tun bestimmen muß als Bürger, die ein besonderes Amt innehaben, und als Gläubige. Meine Worte am heutigen Abend möchten Sie teilhaben lassen an einigen Überlegungen, die uns helfen, diese Verantwortung als gebildete Kolumbianer und als Laien der Kirche zu übernehmen, damit diese Gesellschaft sich immer mehr auf die ewigen Werte des Evangeliums Christi stützt und ihre Fortschritte auf dem Weg des Friedens macht, der Gerechtigkeit und Gleichheit aller Kolumbianer, ohne Unterscheidung aufgrund der Herkunft oder der sozialen Stellung. <38> <38> In Ihrer Laufbahn als führende Persönlichkeiten haben Sie sich bemüht, den Weg zu suchen, die Hindernisse zu überwinden und die Bedingungen zu schaffen, die ein Entstehen einer modernen Gesellschaft in Kolumbien ermöglichen. In diesem Zusammenhang muß ich an die Worte meines ehrwürdigen Vorgängers, Papst Paul VI., denken, die er während seines Besuches in dieser Hauptstadt sprach: „Begreift und unternehmt entschlossen als führende Persönlichkeiten die Erneuerungen, die die Welt um uns her notwendig hat... Und vergeßt nicht, daß gewisse Krisen der Geschichte andere Orientierungen erfordert haben, wenn die notwendigen Reformen mit empfindlichen Opfern explosiven Ausbrüchen der Verzweiflung rechtzeitig zuvorkommen wollten.“ {Predigt am 23. August 1968.) Zweifellos werden sie bei Gelegenheit über diese prophetische Aussage nachgedacht haben. Verehrte leitende Persönlichkeiten, die Realität unserer Welt und besonders der lateinamerikanischen Länder ist Ihnen bekannt, und Sie sind sich bewußt, daß der Weg zum Fortschritt nicht kurz ist und sehr schwerwiegende Fragen aufwirft. In der Enzyklika Populorum Progressio wies Papst 496 REISEN Paul VI. auf eine Krankheit der Welt hin, die er im Mangel an Brüderlichkeit zwischen den Menschen und den Völkern sah (vgl. Nr. 11). Diesbezüglich wollte ich in meiner Enzyklika Dives in Misericordia die Tatsache hervorheben, daß eine immer stärker werdende moralische Unruhe auf der Welt lastet, bezüglich des Menschen und des Schicksals der Menschheit, vor allem in Anbetracht der großen Ungleichheiten zwischen den Nationen und innerhalb derselben. Wie sollte man diese Unruhe unter den Völkern Lateinamerikas und vor allem unter den jungen Menschen, die in den Ländern dieses Kontinents die Mehrheit bilden, nicht wahrnehmen? Diese moralische Unruhe wird genährt von den Erscheinungen der Gewalt, der Randgruppenbildung und anderen Faktoren, die ein Ungleichgewicht verursachen und so das friedvolle Zusammenleben der Menschen gefährden. __ Wenn Sie das Bild Ihres Landes objektiv betrachten, haben dann nicht auch Sie alle den deutlichen Eindruck, daß diese Gesellschaft moralisch voller Unruhe ist? Die Kirche, die Ihnen vertraut und die in Ihnen den Baumeister einer gerechteren Gesellschaft sieht, ruft Sie auf, gemeinsam mit mir über so weitreichende Themen nachzudenken. <39> <39> Es geht hier um eine Gesellschaft, in der die Arbeitsamkeit, die Ehrlichkeit und der Wille zur Teilhabe in jeder Form und in allen Bereichen, die Gerechtigkeit und Gnade aktuelle Wirklichkeit sind. - Eine Gesellschaft, die in den christlichen Werten den größten sozialen Zusammenhaltsfaktor sieht und die beste Garantie für ihre Zukunft; ein harmonisches Zusammenleben, das die schweren Hindernisse für eine nationale Integration beseitigt und der Entwicklung des Landes in seinem menschlichen Fortschritt die Richtung gibt. - Eine Gesellschaft, in der die Grundrechte des Menschen bewahrt und geschützt werden, die bürgerliche Freiheit und die sozialen Rechte, mit voller Freiheit und Verantwortung, eine Gesellschaft, in der sich alle engagieren im hochherzigen Dienst für das Vaterland und auf diese Weise ihre menschliche und christliche Berufung erfüllen; ein Einsatz, der sich im Dienst für die Ärmsten und Bedürftigsten widerspiegeln muß, auf dem Land und in den Städten. - Eine Gesellschaft, die in Frieden arbeitet, in Eintracht; in der die Gewalt und der Terrorismus ihre tragische und makabre Macht nicht ausdehnen können, und die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten nicht 497 REISEN in großen Bereichen der Bevölkerung zu Verzweiflung führen und zu Handlungen verleiten, die das soziale Gefüge zerstören. - Ein Land, in dem die Jugend und die Kinder in friedvoller Atmosphäre aufwachsen können, in der das edle Wesen Kolumbiens, durch das Evangelium erhellt, in seinem vollen Glanz erstrahlen kann. Auf all dies, was wir die Gesellschaft im Zeichen der Liebe nennen können (vgl. Puebla, Nr. 8), solltet Ihr immer mehr euren Blick und euren Sinn richten. 4. Bei der Realisierung dieser neuen Gesellschaft begegnen wir großen Hindernissen, die nicht leicht zu überwinden sind, die uns aber in unserem Vorhaben nicht entmutigen dürfen. Einiges ergibt sich von außen, anderes erwächst aus dem Innern eurer Gesellschaft selbst. Als erstes müßte die große Wirtschaftskrise erwähnt werden, die die Welt in den letzten Jahren bewältigen muß und die vor allem in den weniger begünstigten Ländern viel stärker geworden ist. Die Schwierigkeiten der stärker entwickelten Länder haben diese zu Maßnahmen veranlaßt, um ihre eigenen Probleme zu lösen, die die Lage für die weniger gut gestellten Länder noch kritischer werden ließen und deren Probleme vermehrt und verstärkt haben. Wiederholt hat sich die Kirche eingesetzt für die Suche und Sicherung der Einheit unter den Völkern, einer internationalen Gemeinschaft, in der die Nationen in ihrer Identität wie in ihrer Unterschiedlichkeit respektiert und solidarisch unterstützt werden zum Nutzen des Gemeinwohles. Die Soziale Frage hat eine weltweite Dimension erreicht, in der die Beziehungen der Gerechtigkeit und Solidarität zwischen den reichen und armen Völkern eine Priorität darstellen. Daraus folgt, in voller Gültigkeit, die dringende Notwendigkeit einer vollständigen Entwicklung des „ganzen Menschen und aller Menschen“ (Populorum progressio, 14). Die armen Völker können keine untragbaren sozialen Kosten zahlen und so ihr Recht auf Entwicklung opfern, die ihnen fehlt, während andere Völker im Übermaß schwelgen. Der Dialog zwischen den Völkern ist unbedingt notwendig, um zu gerechten Abkommen zu gelangen, in denen nicht alles einer Wirtschaftsordnung untergeordnet ist, die den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten eisernen Tribut zahlt, ohne Herz und ohne moralische Kriterien. Hier zeigt sich die dringende Notwendigkeit einer internationalen Solidarität, die das Problem der Auslandsschulden besonders berücksichtigt, die Lateinamerika und andere Länder der Welt belastet. 498 REISEN 5. Andere Hindernisse entstehen aus der Gesellschaft selbst. Einige sind nicht völlig abhängig von eurem Willen, und ihre Überwindung wird Zeit und Einsatz benötigen, wie z. B. der Mangel an wirtschaftlicher Infrastruktur, Finanzierungsmitteln und fortgeschrittener Technologie, die Schwäche des Binnenmarktes. Aber es gibt auch Hindernisse, die der Verantwortung der Bürger angelastet werden können und die so bald wie möglich korrigiert werden können und müssen. Ich weiß, daß sie Gegenstand eurer Sorge sind und gleichzeitig eine Herausforderung an die Kreativität und an die Suche nach Lösungen. Zu den Faktoren, die die Entwicklung behindern, zählen die Gewalt, die Unsicherheit, der Schmuggel, die ungerechte Verteilung des Reichtums, die illegalen Wirtschaftsaktivitäten und außerdem, wie man angibt, die massive Flucht von Kapital ins Ausland, Kapital, das im Land notwendig ist. Eine Folge dieser Menge von Schwierigkeiten ist das Phänomen der Arbeitslosigkeit, das den Kern des sozialen Problems darstellt wegen des Rechtes auf Arbeit und der herausragenden Würde derselben, wie ich das auch in größerem Umfang in meiner Enzyklika Laborem exercens dargelegt habe (vgl. Nr. 18). Ihr seid euch der Schwierigkeiten einer gesunden Beschäftigungspolitik unter den gegenwärtigen Wirtschaftsbedingungen bewußt, aber ihr wißt auch, daß die Schaffung neuer Arbeitsplätze und ein gerechtes Lohnniveau die erste Voraussetzung sind, um die Zukunft zu sichern und große Schäden bei den schutzlosen Familien und im nationalen Miteinander zu vermeiden. 6. Liebe Unternehmer, erlaubt mir, daß ich ein Wort des Vertrauens und der Mahnung an euch richte. Als christliche Unternehmen könnt ihr ein Unternehmen nur als Gemeinschaft von Menschen betrachten; demzufolge sollte im Mittelpunkt eurer wirtschaftlichen Tätigkeit immer das Interesse für jeden Menschen stehen. Wie ich vor drei Jahren in Mailand vor den italienischen Unternehmen bekräftigt habe: „Auch in Zeiten höchster Krise darf das Kriterium, das die Entscheidungen der Unternehmer leitet, nie die Überbewertung des Profits sein. Wenn man tatsächlich eine Gemeinschaft von Personen bei der Arbeit verwirklichen will, muß man dem konkreten Menschen und dem Drama nicht des einzelnen, sondern ganzer Familien Rechnung tragen, zu dem Entlassungen unerbittlich führen würden {Ansprache an die Unternehmer vom 22. 5. 83: DAS 1983,424 f.). Ich rufe euch auf, euren Einsatz zu verstärken mit Sinn für Kreativität, Gerechtigkeit und Uneigennützigkeit, damit es mehr Arbeitsplätze gibt. Es ist notwendig, mit diesen und anderen ähnlichen Anstrengungen 499 REISEN wirkungsvoll dazu beizutragen, die Kluft zwischen Reichen und Armen so weit wie möglich zu schließen, die sich zuweilen in alarmierender Weise vergrößert (vgl. Puebla, Nr. 1209). 7. In offenem Gegensatz zu dieser Zivilisation der Liebe erscheint, mit besorgniserregenden Zügen, das Gespenst der Gewalt, das schon in so vielen Teilen der Welt eine Spirale von Schmerz und Tod erfahren läßt. Nicht ohne Sorge erleben wir die wiederholten Angriffe auf den Frieden in den verschiedensten Formen der Gewalt, deren extremste und tödlichste Form der Terrorismus ist, der seine Wurzel in politischen und wirtschaftlichen Faktoren hat, die sich verschlimmern durch hinzukommende Ideologien, ausländische Mächte und nicht selten durch den Verlust der moralischen Grundwerte. Für den Papst ist es eine vorrangige Pflicht, sich für den Frieden einzusetzen angesichts einer Menschheit, die von der Geißel der Gewalt ernsthaft bedroht ist. Kolumbien hat große Anstrengungen unternommen, um in seinem Land und in Bruderländern den Frieden zu erreichen. Fahrt fort in eurem ganzen Einsatz, den Frieden herbeizuführen und ihn zu konsolidieren; meinerseits gebe ich meinem innigen Wunsch Ausdruck, daß die Kolumbianer dieses so wertvolle Geschenk erhalten, von dem ich auch noch bei anderen Gelegenheiten während meiner Pastoraireise sprechen werde. 8. Die Aufgabe, die euch anvertraut ist, ist ungeheuer groß, und ein Ergebnis wird sich erst nach langem und beständigem Einsatz zeigen. Wenn es auch nicht sofort eine Lösung der materiellen Probleme geben kann, so ist es doch möglich, schon jetzt eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen. Es ist möglich, eine gerechtere Verteilung der Risiken und der notwendigen Opfer zu schaffen. Man kann eine Reihenfolge von Prioritäten auf stellen, die in Rechnung stellen, daß der Mensch Subjekt und nicht Objekt der Wirtschaft und der Politik ist. Ihr verfügt über das wichtigste Mittel zur Erreichung dieser Ziele. Der größte Reichtum und das beste Kapital eines Landes sind seine Menschen, und Kolumbien ist ein Land reich an Menschlichkeit und Christentum. Unter Ihnen befindet sich eine große Anzahl von führenden Kräften mit herausragender beruflicher Kompetenz, und es gibt noch viele, die sich in der Ausbildung befinden. Sie können auf eine erprobte demokratische Tradition mit jahrelanger Erfahrung bauen. Euer Land ist potentiell reich mit vielfältigen Ressourcen und Möglichkeiten verschiedener Art. Stellt das einem Vaterland, das euch braucht, zur Verfügung; überwindet 500 REISEN Egoismus und politische Antagonismen, die die solidarische Verwirklichung des Gemeinwohls verhindern. Ihr habt auch den größten Schatz; den größten Reichtum, den ein Volk haben kann: die festen christlichen Werte, die in eurem Volk verwurzelt sind und in euch selbst, die Wiederaufleben müssen, wiedergewonnen und geschützt werden müssen. Tiefe Werte des Respektes vor dem Leben, vor dem Menschen; Werte der Hochherzigkeit und Solidarität; Werte der Fähigkeit zum Dialog und der aktiven Bemühung um das Gemeinwohl. Das sind Antriebskräfte, die ihr mobilisieren könnt in Situationen großer Gefahr oder immer dann, wenn Katastrophen infolge von Erdbeben euch heimgesucht haben. Wie stark spürt man in solchen Augenblicken die Kraft der Brüderlichkeit! Wie läßt man da andere Interessen beiseite, um dem bedürftigen Bruder zu helfen! 9. Wenn ihr es versteht, in besonders schwierigen Momenten diese menschlichen und geistlichen Reserven in die Tat umzusetzen, dann bedeutet das gleichzeitig, daß ihr nur eine starke Motivation braucht, um dasselbe auch bei der weniger spektakulären, aber nicht weniger dringenden Aufgabe zu tun, euer Land wieder aufzubauen, es zu einer neuen Blüte zu führen und es gerechter zu gestalten. Und welche größere Motivation kann ich euch vorschlagen, als die, euch diesbezüglich an die Lehre der Kirche zu erinnern, wie sie in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes des Zweiten Vatikanischen Konzils enthalten ist? „Von der menschlichen Würde sprechend, zeigt uns das Konzil Christus als Erlöser und als Vorbild unserer eigenen Würde. Der ,das Bild des unsichtbaren Gottes4 (Kol 1,15) ist, er ist zugleich der vollkommene Mensch, der den Söhnen Adams die Gottebenbildlichkeit wiedergab, die von der ersten Sünde verunstaltet war. Da in ihm die menschliche Natur angenommen, nicht ausgelöscht wurde, ist sie dadurch auch schon in uns zu einer Würde ohnegleichen erhöht worden... Der christliche Mensch empfängt, gleichförmig mit dem Bild des Sohnes, der der Erstgeborene unter vielen Brüdern ist, ,die Erstlingsgaben des Geistes <40> (Röm 8,23)“ (GS 22). <40> Wie tief ist meine Freude darüber, daß mich die ersten Schritte meines Pilgerweges „mit dem Frieden Christi durch Kolumbien“ zu dieser glücklichen Begegnung mit euch führen, liebe Diözesan- und Ordenspriester und -Seminaristen, unter dem Vorsitz eurer Bischöfe. Die von aufrichtiger Wertschätzung genährte Freude des Papstes verwandelt sich in ein Dankgebet zum Herrn für das Wachstum und die Stärke der Kirche Kolumbiens, die sie, dank euch, bei ihren zahlreichen und großartigen Initiativen pastoralen und missionarischen Engagements im Dienst für Gott und die Brüder und im Dienst des priesterlichen Lebens selbst im Priesterkollegium der Ortskirche wie der Universalkirche hat. Jedesmal, wenn ihr einem Mitbürger begegnet, sei er arm oder reich, wenn ihr ihn wirklich anseht mit den Augen des Glaubens, so werdet ihr in ihm das Bild Gottes erkennen, werdet Christus sehen, den Tempel des Hl. Geistes und ihr werdet berücksichtigen, daß das, was ihr ihm getan habt, ihr Christus getan habt. Der Evangelist Mathäus legt dem Herrn folgende 501 REISEN Worte in den Mund: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). 10. Von dieser „Casa de Narino“, wo unsere Begegnung stattfindet, gingen eines Tages die Übersetzungen der Menschenrechte und die Ideen hinaus, die das Saatkorn Ihrer Nationalität waren. Seien auch Sie Pioniere in diesem umfassenden Respekt vor den Rechten des Menschen, dem Ebenbild Gottes. Aus dieser historischen Begegnung, verehrte Spitzenrepräsentanten Kolumbiens, gehen Sie hoffentlich mit Stärke und größerem Vertrauen hinaus in Ihrer christlichen Verpflichtung für eine Gesellschaft, die Ihnen so viel gegeben hat und die so viel von Ihnen erwartet. Nehmen Sie diese Betrachtungen als Ausdruck meiner Hirtenliebe und der Hoffnung entgegen, die die Kirche in Sie setzt, für eine gerechtere und schönere Zukunft für alle. Ich erbitte für Sie, Ihre Mitarbeiter, Ihre Angehörigen und für dieses geliebte Land den Segen und die Gnade desjenigen, der unser Bruder geworden ist, damit wir leben als Kinder eines einzigen Vaters. Ohne kontemplativen Glauben und evangelische Armut gibt es nur eine andere Form der Unterdrückung Ansprache bei der Begegnung mit Priestern und Seminaristen in der Kathedrale von Bogota am 1. Juli <41> <41> Wie tief ist meine Freude darüber, daß mich die ersten Schritte meines Pilgerweges „mit dem Frieden Christi durch Kolumbien“ zu dieser glücklichen Begegnung mit euch führen, liebe Diözesan- und Ordenspriester und -Seminaristen, unter dem Vorsitz eurer Bischöfe. Die von aufrichtiger Wertschätzung genährte Freude des Papstes verwandelt sich in ein Dankgebet zum Herrn für das Wachstum und die Stärke der Kirche Kolumbiens, die sie, dank euch, bei ihren zahlreichen und großartigen Initiativen pastoralen und missionarischen Engagements im Dienst für Gott und die Brüder und im Dienst des priesterlichen Lebens selbst im Priesterkollegium der Ortskirche wie der Universalkirche hat. 502 REISEN Besonders vielsagend ist es, daß diese Begegnung des Glaubens und der Liebe in der Erzbischöflichen Kathedrale dieser Hauptstadt, dem Zentrum der Ausstrahlung und des Lebens der kolumbianischen Kirche, und zu Füßen Mariens, der Unbefleckten Empfängnis, stattfindet, der diese Basilika, diese Erzdiözese und die ganze Nation geweiht ist. Die Anwesenheit und das Beispiel Mariens, der immer Getreuen, der Jungfrau der Hoffnung, in einer Nation und in einem Kontinent der Hoffnung für die Kirche und für die Welt veranlassen mich, euch zur Treue zu eurem heutigen und künftigen Dienst aufzurufen mit den Worten und nach dem Plan des Apostels: „Als Diener Christi soll man uns betrachten und als Verwalter von Geheimnissen Gottes. Von Verwaltern aber verlangt man, daß sie sich treu erweisen“ (1 Kor 4,1 f.). 2. Eurem priesterlichen Dienst treu sein heißt, die Gnade Gottes, die seit der Stunde eurer Priesterweihe in euch ist, jeden Tag wieder entfachen (vgl. 2 Tim 1,6). Deshalb möchte ich gern die heilige Erinnerung an die vielen Hirten wachrufen, die in Treue zu ihrem Dienstamt in allen Winkeln des Vaterlandes Diener dieser Kirche gewesen sind. Von den ersten Bischöfen und Priestern, deren missionarisches Wirken wegen seines wahrhaft heroischen Charakters Bewunderung verdient, bis zu der nicht minder bewunderungswürdigen Ausdauer aller, die euch vorangegangen sind, um den Aufbau des Reiches Gottes zu fördern - in fast immer schweigender und demütiger Arbeit, in den Pfarreien und draußen, in beharrlicher Katechese und in allen Diensten der Erziehung, der Fürsorge und der Nächstenhebe. Aus diesem Kreis von Aposteln Christi hat die Stimme der Kirche in der Morgendämmerung der Evangelisierung den hl. Luis Beiträn, genannt „der Vater der Indianer“, und den hl. Peter Claver, den unermüdlichen Verteidiger derer, die als Sklaven herbeigeschafft wurden, zu Vorbildern und Schutzheiligen erhoben; und sollte man nicht auch den sei. Ezequiel Moreno, den selbstlosen Missionar und unerschrockenen Bischof, erwähnen? Hier in dieser Kathedrale ruhen, uns zeitlich und gefühlsmäßig näher, die sterblichen Überreste des Dieners Gottes Ismael Perdomo, ein Beispiel der Treue zu Christus und zur Kirche. <42> <42> Freude und Hoffnung bei dieser Begegnung am heutigen Nachmittag veranlassen mich, euch mit der Liebe des Vaters und des Hirten zu fragen: Was tut ihr heute, liebe Brüder im Priesteramt, um dieses Werk der Heiligung und der Evangelisierung fortzusetzen? Wie bereitet ihr, liebe Diözesan- und Ordensseminaristen, euch darauf vor, würdige Nachfolger 503 REISEN so hervorragender Vorbilder zu sein? Bereitet ihr alle euch auf einen neuen Abschnitt der Evangelisierung und darauf vor, Gott für die fünf Jahrhunderte Christentum in euren gesegneten Ländern zu danken? Ich weiß sehr wohl um die Schwierigkeiten, die eure Heimat heute erfährt. Doch was das christliche Volk von jedem von euch verlangt, was die Kirche erhofft, ist mit Sicherheit, daß ihr voll und ganz Priester seid: „Als Diener Christi soll man uns betrachten und als Verwalter von Geheimnissen Gottes“ (1 Kor 4,1). Man verlangt das von euch, was ihr tatsächlich geben könnt: das Wort von der Erlösung, die Sakramente, die Liebe und die Gnade Christi, den Dienst, auf ein christliches, würdiges und humanes Leben hinzuweisen. Wenn ihr authentische Träger dieser Gaben seid, werdet ihr sehen, daß sich euer Leben voll verwirklicht, und ihr werdet versuchen, euch immer mehr an dieser Aufgabe mit der Achtung und der Liebe anzupassen, die euch das klare Bewußtsein einflößen muß, daß der Herr euch trotz eurer Schwäche und Zerbrechlichkeit einen Schatz von unermeßlichem Wert in die Hände gelegt hat (vgl. 2 Kor 4,7). Eure Treue zu Christus fügt sich ein in das Geheimnis der Kirche, in der Jesus gegenwärtig und für das Heil aller am Werke ist. Das verantwortungsvolle Erleben des Geheimnisses der Kirche wird sich notwendigerweise auf die Liebe zu eben dieser Kirche als Gemeinschaft von Brüdern konzentrieren, die von denen geführt werden, die in der kirchlichen Gemeinschaft Christus, das Haupt, repräsentieren. 4. Christus hat uns zu seinen Dienern berufen; er hat uns in besonderer Form geweiht und uns vor allem dazu ausgesandt, daß wir predigen (vgl. Mt 28,19; Mk 3,14). Dieser Dienst des Wortes ist unsere erste Pflicht, unsere dringendste Verpflichtung, „das, was die Einzigartigkeit unseres priesterlichen Dienstes ausmacht“ (EN 68: Wort und Weisung 1975, 587), weil „das Volk Gottes an erster Stelle durch das Wort des lebendigen Gottes geeint wird“ (PO 4). Liebe Brüder, verkündet die Botschaft Christi, der in euch lebt und euch ständig begleitet: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Nach dem Vorbild des hl. Paulus, der sich an die Christen von Thessalonich wandte, werdet ihr am Ende eures Wirkens sagen können: „Darum danken wir Gott unablässig dafür, daß ihr das Wort Gottes, das ihr durch unsere Verkündigung empfangen habt, nicht als Menschenwort, sondern - was es in Wahrheit ist - als Gottes Wort angenommen habt; und jetzt ist es in euch, den Gläubigen, wirksam“ (IThess 2,13). 504 REISEN Ihr werdet das Gebet des Apostels wiederholen können, vorausgesetzt, daß euer Dienst der Evangelisierung, der Katechese, der Predigt wirklich Wort Gottes und nicht Menschenwort ist, das vielleicht mit armselig menschlichen Behauptungen und Überlegungen vermengt ist, vielleicht getrübt durch wechselnde Prämissen von ausschließlich soziologischem, politischem, zeitlichem Charakter, der manchmal dem technischen Wissen näher steht oder ausschließlich Produkt der Gelehrsamkeit ist und nicht Frucht des Glaubens, der Christus, den auferstandenen Herrn, verkündet. Das Zweite Vatikanische Konzil verlangt von den Priestern einen Geist kontemplativer Betrachtung, denn „beim Nachdenken, wie sie die Früchte ihrer eigenen Betrachtung anderen am besten weitergeben können, werden sie noch inniger ,den unergründlichen Reichtum Christi“ {Eph 3,8) ... verkosten“ (PO 13). Ich fordere euch daher auf, besonders dafür zu sorgen, daß sich eure Predigt am Wort Gottes inspiriert, wie es vom Lehramt der Kirche angeboten wird. Es ist das von Gott geoffenbarte, vom Heiligen Geist inspirierte, von der Kirche verkündete, in der Liturgie gefeierte, von den Heiligen gelebte Wort, das von euch zum Gegenstand der Betrachtung gemacht wird, um die Ereignisse der Alltagsgeschichte zu beleuchten. Sorgt dafür, daß das Wort Gottes in Gebet und Betrachtung ehrfürchtig aufgenommen wird, daß es Studienthema und mit den Brüdern geteilte Lebenserfahrung ist. Sprecht voll Mut, predigt mit tiefem Glauben und mit dem Ton der Hoffnung als Zeugen des auferstandenen Herrn, der die Schöpfung und die Geschichte verwandelt hat und weiter verwandelt. Betrachtet euch nicht als zweiten Lehrer neben Christus (vgl. Mt 23,8), sondern als Zeugen und Diener, die glauben, was sie verkündigen, leben, was sie glauben, predigen, was sie leben, wie die eindringliche Weisung im Römischen Pontifikale lautet. 5. Seid auch eurem Dienst an der Heiligung treu. Ihr habt „die Kraft des Heiligen Geistes“ empfangen (Apg 1,8), damit ihr Zeugen Christi und Werkzeuge des neuen Lebens seid. Wenn ich an diesem gnadenreichen Abend die wesentlichen Elemente eurer Treue in Erinnerung rufe, will ich euch dazu ermutigen, das Zweite Vatikanische Konzil besser kennenzulernen und eingehender zu studieren, es zum Gegenstand eures Gebetes zu machen, es mit Liebe geistig zu verarbeiten und es in eurem persönlichen Leben und in der christlichen Gemeinde in die Tat umzusetzen. Ohne die unzähligen Möglichkeiten des pastoralen Dienstes, die dem Priester heutzutage offenstehen, in irgendeiner Weise zu bagatelüsieren, 505 REISEN zögert das Konzil nicht, seine absoluten Prioritäten klar herauszustellen. Und es tut das mit allem Nachdruck. Der kirchliche Sendungsauftrag des Priesters hegt in der Eucharistie. Eure Identität wird entscheidend und endgültig von der Feier der Eucharistie bestimmt. Die Priester, so sagt das Konzil, „üben ihr heiliges Amt am meisten in der eucharistischen Feier oder Versammlung aus“ (LG 28); „die Eucharistie zeigt sich als Quelle und Höhepunkt aller Evangelisation“ (PO 5). Denn, was die Welt von uns verlangt, was sie an Wahrheit braucht, ist, das Geheimnis von der Erlösung allen Menschen unserer Zeit, besonders den Armen, den Kranken, den Kindern, den Jugendlichen und der Familie, zugänglich zu machen. Eben durch die Eucharistie rührt die Erlösung Christi an das Herz jedes Menschen und verwandelt damit die Geschichte der Welt. Von der Eucharistie her werdet ihr die Bedeutung aller Sakramente offenlegen und Kraft finden können, um nach dem Beispiel des Pfarrers von Ars, dessen 200sten Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, euch dem Beichtdienst und der geistlichen Führung zu widmen. Ich möchte euch daran erinnern, daß für die angemessene und freudige Erfüllung dieses Dienstes eure persönliche Erfahrung mit dem Sakrament der Versöhnung durch eure eigene häufige Beichte unerläßlich ist. „Der Priester muß auch selbst dieses Sakrament regelmäßig empfangen“ (Sacerdotii nostriprimor-dia, Schreiben des Papstes zum Gründonnerstag 1986, Nr. 7: O. R., dt., 21. 3. 86, 10). Achtet darauf, daß eure geistliche Lebenskraft und eure pastorale Wirksamkeit immer in enger Beziehung zu der Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit stehen, mit der ihr das eucharistische Geheimnis feiert, ohne „die tägliche Zwiesprache mit Christus dem Herrn im Besuch beim Allerheiligsten und in der persönlichen Andacht“ (PO 18) zu unterlassen. Macht daher die mit Hingabe gefeierte Messe zum Mittelpunkt eures Lebens und eures Dienstes. Aus der Eucharistie entspringt für euch und für eure Kirchengemeinden das tägliche Bemühen um die Nachfolge Christi, der apostolische und kontemplative Stil eures Gebets und eurer Predigt, die Wirksamkeit der Sendung, die Opportunität und Ausdauer der Hingabe und des pastoralen Eifers. 6. Aus der glaubwürdig gefeierten und gelebten Eucharistie werdet ihr die Kraft schöpfen, die anderen Gläubigen dazu anzuleiten, daß sie wie ihr „sich selbst, ihre Arbeit und die ganze Schöpfung“ in Gemeinschaft mit Christus dem Vater darbringen (PO 5). So soll der unendliche Reichtum der Eucharistie einmünden in den Geist immer hochherzigerer Hingabe 506 REISEN im Dienst an den anderen, „denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ {Röm 5,5). Wir haben uns hingegeben mit Christus und wir haben ihn in seinem hingeopferten Leib und in seinem vergossenen Blut empfangen, damit wir unsererseits zum lebendigen Zeichen seiner bedingungslosen Hingabe an den Vater für die Menschen werden. So erscheint das christliche Leben als ein Opfer der Liebe im Heiligen Geist durch Christus an den Vater (vgl. Eph 2,18; LG 4). 7. Ihr wißt sehr wohl, daß jeder Christ und besonders diejenigen, die befugterweise das Wort Gottes verkünden, in ihrem täglichen Leben Zeugnis von der notwendigen Einheit geben müssen, die zwischen dem Gebot, Gott über alle Dinge zu lieben, und der Liebe zum Nächsten als Äußerung der Gottesliebe bestehen soll. Darum hat die Kirche immer gelehrt, daß es bei der richtigen Unterscheidung zwischen menschlicher Förderung und Evangelisierung keine Trennung geben darf, sondern Integrierung, da die Menschenwürde in allen ihren Aspekten „ein Wert des Evangeliums ist, der nicht ohne ernste Beleidigung des Schöpfers mißachtet werden kann“ (Eröffnungsansprache bei der 3. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla, Nr. III, 1: O.R., dt., 2. 2. 79, 10). Diese Aufgabe, die in den gegenwärtigen Verhältnissen eurer Heimat nicht beiseite geschoben werden kann, macht besonders heute die Suche nach einer sozialen Förderung der besitzlosen Massen dringend notwendig, die als Menschen und Kinder Gottes ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben haben. Das ist genau der Bereich, auf den ihr auch eure pastoralen Sorgen richtet, besonders bei der klaren und authentischen Darlegung, der Soziallehre der Kirche. Aber die Optionen und die Aufklärung, die die Christen im Bereich der Förderung und Befreiung besonders der Bedürftigsten benötigen, dürfen nur nach dem Beispiel Jesu und im Licht des Evangeliums erfolgen, das die Anwendung von Methoden des Hasses und der Gewalt verbietet. Die Liebe und die vorrangige Option für die Armen darf - wie ich wiederholt gesagt habe - weder ausschließlich noch ausschließend sein (vgl. Weihnachtsansprache an die Kardinäle und die Römische Kurie am 21. Dezember 1984, Nr. 9: DAS, 1984, 1618). Sie bedeutet, den Armen nicht als Klasse zu betrachten und noch weniger als kämpfende Klasse oder als Kirche, die von der Gemeinschaft und dem Gehorsam gegenüber den von Christus eingesetzten Bischöfen getrennt ist, sondern sie muß verwirklicht werden, indem sie das in seiner irdischen und ewigen Berufung betrach- 507 REISEN tete menschliche Wesen ernst nimmt und respektiert. Die Aufgabe der Kirche, zur sozialen Befreiung beizutragen, muß mit dem klaren Bewußtsein durchgeführt werden, daß die erste Befreiung, um die sich der Mensch bemühen muß, die Befreiung von der Sünde und vom sittlichen Übel ist, das in seinem Herzen wohnt (vgl. Libertatis conscientia Instruktion über die christliche Freiheit und Befreiung, 37 f.). Liebe Priester und künftige Priester, auf diesem Gebiet der pastoralen Tätigkeit möchte ich besonders darauf hinweisen, daß man, um eine richtige Liebe und eine vorrangige Option für die ganze Klasse der Armen und Ausgeschlossenen zu haben, im Geist der Seligpreisung das Herz eines Armen braucht, ein Priesterleben in Armut, in der Nachfolge des Herrn, der Apostel und der heiligen Priester aller Zeiten. Ohne eine Haltung kontemplativen Glaubens und evangelischer Armut würde man nur die Armen in eine andere Art von Unterdrückung führen. 8. Die Treue zu Gott, unserem Vater, und zum Menschen, unserem Bruder, wird um so mehr verbürgt sein, wenn jedes Glied des Göttesvolkes sich als lebendiges und notwendiges Glied des einen Leibes, der die Kirche ist, fühlt und bewußt als solches handelt; wenn zwischen allen die Gemeinschaft in der Liebe gelebt wird, die zum frohen und verantwortungsvollen Miteinander-Teilen führt. Die apostolische Sendung wurzelt in der Gegenwart des auferstandenen Christus, der in seiner Kirche lebt; dadurch ist die Kirche Geheimnis, Gemeinschaft und Sendung. Besondere Freude empfinde ich über die Verbundenheit und den Sinn des kolumbianischen Episkopats für die Universalkirche, das ihn in lebendiger und herzlicher Einheit mit dem Nachfolger Petri hält und ihn als Bischofskonferenz mitverantwortlich arbeiten läßt, womit er ein leuchtendes Beispiel und Zeugnis von der Einheit gibt, die das Leben der kirchlichen Gemeinden aufbaut und nährt. Ihr alle, Priester und Seminaristen, müßt weiter das Bewußtsein pflegen, daß die Gemeinschaft mit euren Bischöfen und Obern ein wesentlicher Teil eures Dienstes ist und bleibt, ebenso wie eure brüderliche Verbundenheit mit den anderen Priestern. Denkt daran, daß ihr im Presbyterium jeder Diözese eine „sakramentale Bruderschaft“ bildet (PO 8), die harmonisch aufgebaut werden muß, indem ihr das apostolische Leben mittels gegenseitiger brüderlicher Hilfe in allen Bereichen des Lebens und des priesterlichen Dienstes führt (vgl. LG 28; CD 28). Ihr seid hilfreiche Mitarbeiter des Bischofs in seinem Amt und bildet den Hauptteil einer Teil- oder Ortskirche, die Diözese, die die konkrete Gestalt ist, in der die Universalkirche existiert und lebt. Das Presbyterium 508 REISEN ist ausgewählt und direkt zum Aufbau der Kirche in einem Bereich der vom Bischof geleiteten Diözese entsandt worden. Darum der notwendige Bezug des ganzen Priesterkollegiums auf den Bischof, ohne den es Kirche nicht gibt, weil er das Prinzip der Einheit ist. In dieser Wirklichkeit von Orts- und Diözesankirche werdet auch ihr eure evangelisatorische Verantwortung gegenüber der Gesamtkirche entdek-ken (vgl. PO 10), indem ihr nach konkreten Wegen sucht, um die notwendige und dringende missionarische Hilfe in die Tat umzusetzen (vgl. LG 23 und 18). Für ganz Lateinamerika ist die Stunde gekommen, eine Evangelisierung in Angriff zu nehmen, die keine Grenzen kennt. Die notwendigerweise diözesane und missionarische Dimension des Priesters hat zur Folge, daß er mit den Bischöfen und den anderen Klerikern -Diözesan- und Ordenspriestern - eine einzige Körperschaft bildet: das Presbyterium (vgl. LG 28); (PO 7f.). Hierin hat der nachdrückliche Aufruf der Kirche an alle Ordensmänner seinen festen Grund, sich weiterhin voll in die Pastoraltätigkeit auf Pfarrei- und Diözesanebene einzugliedern und den besonderen und wertvollen Beitrag ihres eigenen Charismas und ihrer besonderen Erfahrung apostolischen Lebens in die Arbeit einzubringen. Grundprinzip dieser Gemeinschaft ist die Treue zum Lehramt derer, die von Gott als Lehrer der Wahrheit eingesetzt worden sind: der Papst und die Bischöfe (vgl. LG 25). Mit dieser Anleitung werdet ihr in die eine Kirche Christi eingegliedert. In der Befolgung des Glaubens und im aufrichtigen Gehorsam gegenüber euren Bischöfen liegt das Geheimnis des göttlichen Segens und des apostolischen Erfolges. 9. Mein Wort, verbunden mit meiner Zuneigung, richtet sich jetzt besonders an euch, Seminaristen aus dem Diözesan- und Ordensstand, die ihr den Ruf des Herrn gehört habt, euch voll und ganz dem Aufbau des Reiches Gottes hinzugeben. Es erfüllt mich mit Hoffnung und Trost, festzustellen, daß in Kolumbien die Priester- und Ordensberufe blühen. In Medellin werde ich die Freude haben, eine Gruppe von Priestern zu weihen, und werde neuerlich auf dieses für das Leben der Kirche so zentrale Thema zurückkommen können. Setzt mit Fleiß eure Vorbereitung im Seminar fort. Das Konzil sagt ohne Zögern, daß „die Priesterseminare zur priesterlichen Ausbildung notwendig sind“ (OT4), weil die Atmosphäre des Ernstes, der liturgischen und persönlichen Frömmigkeit, des Studiums, der Disziplin, des brüderlichen Zusammenlebens und der Einführung in die Seelsorgsarbeit, die das 509 REISEN Seminar kennzeichnen soll, die am besten geeignete Form für die Vorbereitung auf den Priesterberuf ist (vgl. OT 4). Betrachtet daher das Seminar als eure eigentliche und spezifische Heimstatt und als die erste Schule der Treue zu Christus und zur Kirche. Daraus folgt auch klar die Notwendigkeit, daß die Fakultät für Theologie und Philosophie, die zur lehrmäßigen Ausbildung der künftigen Priester und anderer Mitarbeiter der kirchlichen Gemeinschaft beitragen, ihren wertvollen und unentbehrlichen Dienst in enger Einheit mit den Bischöfen und, hinsichtlich der Kriterien, in vollem Einklang mit der Lehre des Lehramtes leisten, indem sie den Alumnen die sichere Lehre bieten, ohne auf die leichtfertige Attraktion von Theorien oder Hypothesen auszuweichen, die sich mehr oder weniger auf menschliche Einwände gründen, die Zweifel und Unsicherheit verbreiten. 10. Brüder! Ich weiß, daß ihr so, wie ihr diesen Pastoralbesuch mit Liebe vorbereitet habt, mir auch auf meiner apostolischen Pilgerreise folgen werdet, mit offenem Herzen, um die Botschaft zu empfangen, deren Überbringer in das geliebte Kolumbien ich sein will. Empfangt sie schon heute als Beweis meiner Zuneigung und Sorge für euch alle. Durch unseren Dienst sind wir in besonderer Weise mit unserer priesterli-chen Mutter verbunden, der Jungfrau Maria, der treuen Jungfrau, „die, vom Heiligen Geist geführt, sich selbst ganz dem Geheimnis der Erlösung der Menschen weihte“ {PO 18). Vertrauen wir daher in diesem Nationalen Marianischen Jahr all diese Wünsche, all diese Hoffnungen und Absichten der Jungfrau vom Rosenkranz in Chiquinquirä, eurer Patronin, an. Allen erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen. 510 REISEN Wer ernsthaft das ,, Vater unser“ betet, kann nicht Tod unter den Brüdern säen Predigt bei der heiligen Messe im „Simon Bolivar“-Park von Bogota am 2. Juli „Die fernsten Länder der Erde sehen, wie unser Gott uns befreit“ (Jes 52,10). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Die Lesung aus dem Propheten Jesaja, die wiF gehört haben, lädt uns ein, den Spuren Gottes zu folgen, der uns rettet; des Gottes, der seine Heilspläne bis an die äußersten Grenzen der Erde enthüllt; des Herrn, der seinen Segen mit vollen Händen über alle Menschen und alle Nationen ausgießt. Heute und hier erfüllt sich mitten unter uns diese Prophezeiung, die Heil und Frieden ankündigt. Deshalb lade ich euch zur Teilnahme an der heiligsten und feierlichsten liturgischen Handlung ein, die uns das Erbarmen des Herrn anbietet: der Feier der Eucharistie. Der auferstandene Jesus, Brot des Lebens und Ursache des Friedens, wird unter uns gegenwärtig, macht sein Ostergeheimnis gegenwärtig, um uns noch einmal, aber immer mit derselben Liebe zu sagen: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch“ (Joh 14,27). Meine besondere Zuneigung gilt den Behinderten, die bei dieser Meßfeier anwesend sind und durch ihr Leiden in besonderer Weise Anteil am Opfer Christi haben. Die Worte Jesu, seine Realpräsenz im eucharistischen Sakrament, das wir an diesem Altar feiern, auf dem in diesen Augenblicken das Herz Kolumbiens schlägt, tauchen unsere eigenen Herzen in Licht, damit wir wieder die Schätze erkennen und in Anstöße für unser Leben umsetzen, die Christus uns hinterlassen hat: sein Friedenserbe! Am heutigen Tag, an dem wir uns im „Simon Bolivar“-Park versammelt haben, um die Eucharistie zu feiern, danke ich zusammen mit euch, geliebte Söhne und Töchter Kolumbiens, Gott für das Geschenk der christlichen Heilsrettung, das euer Land vor nunmehr fast fünfhundert Jahren empfangen hat. 511 REISEN 2. Als Pilger des Friedens grüße ich besonders herzlich meine Brüder im Bischofsamt, die Bischöfe Kolumbiens und die bischöflichen Repräsentanten der Episkopate Lateinamerikas, die an der Koordinierungstagung des Lateinamerikanischen Bischofsamtes CELAM teilnehmen. Ebenso begrüße ich die geliebten Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und Gläubigen der Kirchenprovinzen Bogota und Ibague; der Diözesen Espi-nal, Facatativä, Garzön, Girardot, Neiva, Villavicencio und Zipaquirä, Auf den Straßen Kolumbiens, die ich jetzt zu bereisen beginne, möchte ich euch der Bote und Überbringer der messianischen Heilsgüter sein und, konkret, des Geschenkes im wahrsten Sinne des Wortes: des Friedens. Der Friede, den Christus uns verheißt (vgl. Joh 14,27) und uns mitteilt, ist die Befreiung durch unseren Gott (vgl. Jes 52,10). Die Gnade der Taufe macht uns Christus gleichförmig, bekleidet uns mit ihm, damit wir an seiner Gottessohnschaft teilhaben, wie uns der hl. Paulus gelehrt hat: „Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt“ (Gal 3,26 f.). Und wenn wir alle Kinder Gottes, Brüder Christi Jesu sind, weil wir dieselbe Taufe und denselben Geist empfangen haben und weil wir am selben „Brot des Lebens“ (Joh 6,48) teilgehabt haben, muß da nicht in allen Herzen, in allen euren Familien und in eurer ganzen Heimat der Friede eine Wirklichkeit sein? <43> <43> Das Heil, das Gott selbst, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, der Menschheit in Jesus Christus dem Erlöser anbietet, ist ein neues Leben, das Maß und Wesensmerkmal der Adoptivkinder Gottes ist. Es ist die Teilhabe - durch die heilbringende Gnade - an der Gottessohnschaft Christi, des für uns menschgewordenen Gottessohnes. Denn in seiner Menschwerdung im Schoß der Jungfrau Maria hat der Sohn Gottes „sich gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt“ (GS 22). Mit der Kraft des Geistes, den uns der gestorbene und auferstandene Jesus nach seiner Rückkehr zum Vater mitgeteilt hat, will Jesus selbst das Geschenk dieser Gotteskindschaft, das die Gnade für unsere menschliche Natur und das Fundament des persönlichen und sozialen Friedens ist, auf alle und jeden einzelnen ausweiten. Auf diese Weise nehmen wir teil an der Sendung der Kirche, die „das allumfassende Heilssakrament“ (LG 48) und „das Herz der Menschheit“ ist (Dominum et vivificantem, Nr. 67). Auch wir haben „Christus als Gewand angelegt“ (Gal 3,27), weil wir durch die Taufe in sein Ebenbild verwandelt wurden und an der Gotteskindschaft teilhaben. Christus vereint alle jene brüderlich, die sein göttliches Leben empfangen. Die verschiedenen Gaben, die wir von Gott 512 REISEN empfangen, sind dazu bestimmt, allen anderen Brüdern noch mehr dienen zu können. Der Heilsplan des Glaubens enthält eine Befreiung, die im Gegensatz zu jeder Form von Diskriminierung steht. Denn alles, was die Menschen künstlich spaltet und trennt, z. B. die ungerechte Güterverteilung oder der Klassenkampf, hat mit dem neuen Christsein nichts zu tun. Durch die Taufe gehören wir Christus, und eben deshalb halten wir uns für Erben Gottes. Dieses Gut der göttlichen Erbschaft ist das Gut der Heilsrettung, das unaufhörlich durch den Heiligen Geist, den Wirker der Gnade und des ewigen Lebens, in euch verwirklicht wird. Deshalb nannte Jesus Christus den Heiligen Geist Parakleitos, das heißt „Tröster“, „Fürsprecher“, „Beistand“. Der Friede, den uns Jesus schenkt, ist auf diese Gabe gegründet, die den Menschen und die Gesellschaft vom Herzen des Menschen her verändert. Es ist das Geschenk, das „durch das Ostergeheimnis in einer neuen Weise den Aposteln und der Kirche und durch diese der Menschheit und der ganzen Welt geschenkt wird“ (Dominum et vivificantem, 23). 4. Als uns Jesus beim letzten Abendmahl, dessen wir jetzt gedenken, als Erbe seinen Frieden und sein Heil versprach, wies er auf unsere Verpflichtung hin: die Liebe. Diese Liebe ist sein Geschenk und braucht unsere Mitwirkung. Sie ist in der Tat die Frucht des vom Vater durch Jesus gesandten Heiligen Geistes. Hören wir die Worte des Herrn, die er für jeden einzelnen von uns wiederholt: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen... Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren“ (Joh 14,23.26). Ja, geliebte Brüder, wenn Gott in uns Wohnung nimmt, quillt aus seiner Liebe das Gut der Heilsrettung - das Friede, Gnade und Vergebung ist -wie aus einer unerschöpflichen Quelle hervor. Der „süße Gast der Seele“, der die Herzen mit seiner Gnade und seiner Liebe überschüttet, nimmt für sie bereits den Beginn des ewigen Lebens vorweg, in ihrem inneren Frieden, dem zwischen den Personen, den Familien und den Völkern. Denn das ewige Leben ist ja die glückliche Gegenwart und das Verweilen des Menschen in Gott durch die Liebe. Zu diesem ewigen Leben sind wir berufen in Jesus Chrisus, zu ihm geleitet uns innerlich der Heilige Geist, der Beistand, durch sein heilbringendes Wirken. 5. In meiner jüngsten Enzyklika über den Heiligen Geist lade ich alle ein, für den Frieden zu beten und den Frieden aufzubauen: „Der Friede ist 513 REISEN Frucht der Liebe: jener innere Friede, den der gehetzte Mensch in der Tiefe seines Wesens sucht; jener Friede, der von der Menschheit, von der Menschheitsfamilie, von den Völkern, von den Nationen, von den Kontinenten gefordert wird mit der bangen Hoffnung, ihn im Blick auf den Übergang vom zweiten zum dritten christlichen Jahrtausend wirklich zu erlangen“ (Dominum et vivificantem, 67). Auf diese Weise also breitet sich durch das zu Frieden gelangte Herz des Menschen, „das Heil unseres Gottes“, in allen Ländern der Erde, unter allen Völkern und Kulturen aus. Dann hat an diesem Frieden und Heil die ganze Gemeinschaft der Menschen teil, in erster Linie die Familie, die einen vorrangigen und unersetzlichen Auftrag in dem Heilswerk zu erfüllen hat, das von Gott in Jesus Christus der ganzen Menschheit angeboten wird. Die Familie wird dann evangelisiert und evangelisiert ihrerseits, sie empfängt den Frieden und gibt ihn weiter. „Deshalb empfängt die Familie die Sendung, die Liebe zu hüten, zu offenbaren und mitzuteilen als lebendigen Widerschein und wirkliche Teilhabe an der Liebe Gottes zu den Menschen und an der Liebe Christi, unseres Herrn, zu seiner Braut, der Kirche“ {Familiäris consortio, 17). In meiner Hirtensorge für die ganze Kirche habe ich unaufhörlich hervorgehoben, welchen Platz die Familie als Fundament der menschlichen und christlichen Gesellschaft einnimmt, von deren Einheit, Treue und Fruchtbarkeit die Stabilität und der Friede der Völker abhängt. Kolumbien darf seine traditionelle Achtung und entschiedene Unterstützung der Werte nicht auf geben, die im Zentrum der Familie gepflegt werden und ein sehr bedeutsamer Faktor bei der sittlichen Entfaltung ihrer sozialen Beziehungen sind und das Gefüge einer Gesellschaft bilden, die zuverlässig menschlich und christlich zu sein beansprucht. Ich weiß, daß eure Bischöfe euch wiederholt vor den Gefahren gewarnt haben, denen die Familie heutzutage ausgesetzt ist. Ich schließe mich ihnen in dieser dringenden und erhabenen pastoralen Aufgabe an, für eine entsprechende Formung der Familie zu sorgen, damit sie als unersetzliche Vermittlerin der Evangelisierung und als Grundlage der Solidarität und des Friedens in der Gesellschaft wirkt. Danken wir Gott dafür, daß es „Familien, echte ,Hauskirchen1, gibt, in deren Schoß man den Glauben lebt, die Kinder im Glauben erzieht und ein gutes Beispiel der Liebe, des gegenseitigen Verständnisses und der Ausstrahlung dieser Liebe auf den Nächsten in der Pfarrei und in der Diözese gibt“ {Dokument der Konferenz von Puebla, Nr. 94). Ja! „Die christliche Familie ist das erste Zentrum der Evangelisierung“ {Puebla-Dokument, Nr. 617), sie ist auch „eine Art Schule reich entfalteter Humanität“ {GS 52) und als 514 REISEN solche ein unerschöpfliches Reservoir für christliche Berufungen — sie bildet Männer und Frauen heran, Baumeister der Gerechtigkeit und des universalen Friedens in der Liebe Christi. 6. Lateinamerika liebt den Frieden. Es weiß, daß dieses höchste Geschenk die unerläßliche Voraussetzung für seinen Fortschritt ist. Doch es ist sich gleichzeitig der vielfältigen Gefahren bewußt, die einen stabilen Frieden gefährden: „Es genügt, an den Rüstungswettlauf und an die darin enthaltene Gefahr einer nuklearen Selbstzerstörung zu denken. Andererseits ist die schwierige Lage in weiten Gebieten auf unserem Planeten, die von Not und Hungertod gekennzeichnet sind, allen immer bewußter geworden“ (Dominum et vivificantem, 57). Wenn jeder Christ und jede Kirchengemeinde sich in glühende Friedensboten verwandeln, wäre der Friede schon bald eine Wirklichkeit in der menschlichen Gemeinschaft. Kolumbianer: Warum solltet ihr diese ernsthafte Verpflichtung zum Frieden nicht zu einer Frucht des Papstbesuches in eurem Lande machen? Ich würde gern auf jeden der hier Anwesenden und auf alle, die mich hören, die Worte des Propheten Jesaja anwenden können: „Wie ist der Freudenbote willkommen, der durch das Bergland eilt, der den Frieden ankündigt, der gute Nachricht bringt und die Rettung verheißt, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König!“ (Jes 52,7). Die Frohbotschaft von diesem Reich Gottes ist eine Botschaft der Freiheit: Gott hat sein Volk befreit. Und darum wird er immer Apostel und Missionare haben, die dem Volk des Neuen Bundes das Kommen und die Gegenwart des Reiches ankündigen. Diese „Boten“ verkündigen die über Gott, über die Welt und über den Menschen geoffenbarte Wahrheit im Lichte der Botschaft des gekreuzigten und auferstandenen Jesus, mag seine Botschaft für die Ohren derer, die lieber den Götzen dieser Welt dienen, hart und unbequem klingen. Der evangelische Bote des Friedens ist bereit, mit seinen Worten und durch die Aufopferung seines Lebens im Martyrium Zeugnis zu geben. 7. Zu Beginn meines Pastoralbesuches in Kolumbien danke ich Gott aus tiefstem Herzen für alle die Boten der Frohbotschaft, die im Laufe von fast fünfhundert Jahren das Evangelium in eure Herzen eingepflanzt haben als Quelle des Friedens für die einzelnen, für die Familien und für die Gesellschaft. Ich danke Gott auch unendlich für alle Boten, die in unseren Tagen still ihr Leben und ihre Kräfte der Verkündigung der Friedensbotschaft des Evangeliums widmen. Der Bote, der „den Frieden ankündigt“, ist der- 515 REISEN selbe, der „gute Nachricht bringt und die Rettung verheißt“, wie der Prophet Jesaja sagt (Jes 52,7). Doch dieser Friede ist nun der Friede, den Christus uns verheißen und als Erbe hinterlassen hat. Es ist sein Friede, im Gegensatz zu dem falschen Frieden, den die Götzen dieser Welt versprechen (vgl. Joh 14,27). Gebe Gott, daß jeder von euch und jede eurer Gemeinden und Familien des Friedens teilhaftig werde, den Christus uns schenkt! Und daß ihr alle Säleute des Friedens seid - über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg. Dieser Friede, Frucht der Liebe zwischen Gott und den Menschen und Werk der Gerechtigkeit, ist das eigentlich messianische Gut; die Erstlingsfrucht der Rettung und der endgültigen Befreiung, die wir alle ersehnen. Der Friede Christi unterscheidet sich vom Frieden der Welt, der sich in kurzlebigem Wohlstand, in vorübergehenden Freuden und Vergnügungen auflöst und erschöpft (vgl. Joh 16,20). Der Friede Christi erspart uns zwar nicht Prüfungen und Heimsuchungen, doch er ist immer Quelle der Gelassenheit und des Glücks, weil er die Fülle des Lebens mit sich bringt, die die Gegenwart des Herrn in die Herzen einströmen läßt. Wenn die Geburt Christi das Friedensereignis für die Menschen war (vgl. Lk 2,14), verwandelt sich seine „Rückkehr“ oder sein „Heimgang“ zum Vater durch seinen Tod und seine Auferstehung in die Quelle dieses Geschenkes, das ausschließlich das Geschenk Christi ist: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“ (Joh 14,27). Das ist das Geschenk, das der Herr allen Menschen guten Willens mitteilt. 8. Ihr habt den Wunsch ausgesprochen, daß mein Pastoralbesuch bei euch vom Siegel des Friedens gekennzeichnet sein möge: „Mit dem Frieden Christi durch Kolumbien.“ Ich weiß, daß dieses Leitwort mit der Friedenssehnsucht, mit dem im Herzen dieses Volkes verwurzelten Wunsch übereinstimmt. Die langen und grausamen Jahre der Gewalt, die Kolumbien zugesetzt haben, vermochten den leidenschaftlichen Wunsch nach einem gerechten und dauerhaften Frieden nicht zu zerstören. Ich weiß, daß es hochherzige Initiativen gegeben hat, die auf die Förderung des Dialogs und der Eintracht abzielten, um einen stabilen Frieden zu erreichen. In diesem Sinne kann ich nicht umhin, euch, alle Kolumbianer ohne Ausnahme, zu ermutigen, unermüdlich auf den Wegen des Friedens weiterzugehen, im Bewußtsein, daß er vorrangig ein Geschenk Gottes ist, auch wenn er immer eine menschliche Aufgabe bleibt. Sich daher nur auf die Förderung begrenzter und menschlicher Friedenspläne zu beschränken, würde bedeuten, hinter den Fehlschlägen und Enttäuschungen herzugehen. Um diese ungeheure Aufgabe der Erreichung des Friedens 516 REISEN durchzuführen, die Vergebung und Versöhnung verlangt, besteht der erste Schritt, den jeder von euch, dessen bin ich sicher, beitragen wird, darin, aus den Herzen jeden Rest von Groll und Ressentiment zu verscheuchen. Die Jahre der Gewalt haben im persönlichen und gesellschaftlichen Bereich Wunden gerissen, die es zu heilen gilt. Die Gewalt, die so viele unschuldige Leben dahinmähte, hat ihren Ursprung im Herzen der Menschen. Ein Herz, das ernsthaft das „Vaterunser“ betet und sich an Gott wendet, während es gegen die Sünde ankämpft, ist daher nicht imstande, unter den Brüdern Tod zu säen. 9. Wer könnte sich weigern zu vergeben, wenn er weiß, daß ihm durch Gottes Erbarmen wiederholt vergeben worden ist? „Der Frieden nimmt im Herzen des Menschen seinen Anfang, der das Gesetz Gottes annimmt, der Gott als Vater und die anderen Menschen als Brüder anerkennt“ (Ansprache an die kolumbianischen Bischöfe beim „Ad-limina“-Besuch, 22. Februar 1985). „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“ (Mt 5,9). Der Friede ist ein gewaltiges Werk, das ständigen Einsatz von seiten aller Kolumbianer erfordert. Und weil es einen ständigen Einsatz erfordert, der die rein menschlichen Kräfte wirklich übersteigt, müssen eure Kirchen und Heiligtümer, von denen viele Christus und der Seligen Jungfrau geweiht sind, sich in Zentren des gemeinsamen, engagierten Gebets für den Frieden verwandeln. 10. Leider haben sich in der heutigen Welt viele Menschen von der Versuchung bewaffneter Gewalt verführen lassen, die vielerorts in die Wahnsinnstaten des Terrorismus einmündet, der nur Verheerung und Tod zurückläßt. Von dieser Stadt Bogota aus richte ich einen leidenschaftlichen Aufruf an diejenigen, die den Weg des Guerillakampfes fortsetzen, daß sie ihre - vielleicht von Idealen der Gerechtigkeit inspirierten -Kräfte für aufbauende und Versöhnung stiftende Handlungen einsetzen, die wirklich zum Fortschritt des Landes beitragen. Ich fordere euch auf, der Zerstörung und dem Tod so vieler Unschuldiger auf dem Land und in den Städten ein Ende zu setzen. Geliebte Brüder und Schwestern, dank eurer Verpflichtung, euch zu Friedensstiftern zu machen, beginnt die Heilsrettung Christi bereits Wirklichkeit zu werden: „Die fernsten Länder der Erde sehen, wie unser Gott uns befreit“ (Jes 52,10). Zusammen mit euch danke ich dem Herrn für das Heilswerk, das hier im Laufe der fünf Jahrhunderte der Evangelisierung vollbracht wurde. Wäh- 517 REISEN rend ich im vierhundertsten Jubiläumsjahr der Rosenkranzmadonna von Chiquinquirä die Zukunft der Kirche und der Gesellschaft Maria empfehle, der den Heilsplänen des Vaters Getreuen, der jungfräulichen Mutter Christi, Werkzeug der Freude im Heiligen Geist und Königin des Friedens. Wie Jesus sage ich euch: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.. . Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht“ (Joh 14,27). Volk Gottes! „Dein Gott ist schon König“ in diesem Lande (Jes 52,7). Dein Gott ist König! Amen. Friede, der in Gott seinen Ursprung hat Ansprache an das Diplomatische Corps in Bogota am 2. Juli Exzellenzen, meine Damen und Herren! 1. Es ist mir eine große Genugtuung, in der Apostolischen Nuntiatur mit Ihnen Zusammentreffen zu können, mit Ihnen, die Sie eine so qualifizierte Gruppe von Persönlichkeiten darstellen, nämlich das bei der Regierung in Bogota akkreditierte Diplomatische Corps. Vor allem möchte ich Ihnen meine ergebenen Grüße darbringen, die auch den von Ihnen vertretenen Regierungen und Völkern gelten. Der Hl. Stuhl hat wiederholt sein großes Interesse für die Aufgaben zum Ausdruck gebracht, die von den diplomatischen Vertretern erfüllt werden, vor allem dann, wenn diese der erhabenen Sache des Friedens, der Annäherung und Zusammenarbeit der Völker und einem fruchtbaren Austausch für den Fortschritt der internationalen Gemeinschaft dienen. <44> <44> Die gleiche Sorge eint uns sicher und veranlaßt uns zur Zusammenarbeit: das Wohl der Menschheit und die Zukunft der einzelnen Völker, insbesondere jener, die um die Anerkennung ihrer Würde und Achtung bemüht sind. Diese Sorge spornt Sie an, sich für das Verständnis unter den Nationen einzusetzen und die internationale Sicherheit, den Frieden und die Eintracht unter den Völkern zu fördern. Die menschlichen — nationalen und internationalen — Gemeinschaften werden auf diesem Gebiet des Friedens nach dem Beitrag beurteilt werden, den sie zur Entwicklung des Menschen und zur Achtung seiner 518 REISEN fundamentalen Rechte geleistet haben. Wenn die gesamte Gesellschaft darum bemüht sein muß, das Recht jedes einzelnen auf eine würdige Existenz zu sichern, so kann dieses Recht nicht von einer anderen, ebenfalls fundamentalen Erfordernis getrennt werden, die wir als Recht auf Frieden und Sicherheit bezeichnen könnten. Tatsächlich strebt jeder Mensch nach dem Frieden, der seine ganzheitliche persönliche Verwirklichung ermöglicht, sicher vor jeder Form von Gewalt, wie es die auf soziale Unsicherheit abzielenden und zu bewaffneten Konflikten führenden Terrorakte sind. 3. Darüber hinaus muß unermüdlich nach allen Mitteln gesucht werden, die zum Frieden führen können. Schon im Lauf meiner Reise nach Irland sagte ich - und wiederhole es hier - „daß die Gewalt ein Übel und daß sie als Lösung von Problemen unannehmbar und des Menschen unwürdig ist“ (Drogheda, 29. September 1979, Nr. 9). Ebenso wie damals möchte ich auch hier der unermüdliche Bote eines Ideals sein, das die Gewalt ausschließt, eines Ideals — des Friedens - das auf der Brüderlichkeit gründet und in Gott seinen Ursprung hat. In diesem Zusammenhang empfinde ich es als meine Pflicht, erneut darauf zu bestehen, daß der wahre Friede fest in der Würde des Menschen und seiner unveräußerlichen Rechte verwurzelt sein muß. Es kann keinen wahren Frieden ohne einen ernstlichen und entschiedenen Einsatz für die praktische Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit geben. Tatsächlich können Gerechtigkeit und Friede nicht voneinander getrennt werden: ein Friede, der nicht der Gerechtigkeit Rechnung trägt, wäre nicht echt. Für den Frieden arbeiten heißt also, sich für die Förderung der Gerechtigkeit und die Verteidigung und den Schutz der fundamentalen Rechte des Menschen in gegenseitiger Achtung und brüderlicher Liebe einsetzen. Gestatten Sie es dem Papst, dem Pilger des Friedens auf den Straßen Kolumbiens, Ihnen aus ganzem Herzen zu sagen: Zögern Sie nicht, sich persönlich durch Zeichen des Friedens für den Frieden einzusetzen, jeder in seinem Umfeld und im Bereich seiner Verantwortungen. Lassen Sie kühne Pläne Wirklichkeit werden, die Ausdruck der Achtung, der Brüderlichkeit und der Gerechtigkeit sein mögen. Auf diese Weise werden Sie all Ihre persönlichen und beruflichen Fähigkeiten in den Dienst der großen Sache des Friedens stellen. Ich versichere Ihnen, daß Sie auf dem Weg des Friedens immer Gott begegnen werden, der Sie begleitet. 4. Der Mensch behauptet sich auf diesem Weg und nicht durch das ehrgeizige Streben nach illusorischer und unbeständiger Macht. Der 519 REISEN Mensch hat auch das Recht, vom Staat, dem Verantwortlichen für das Gemeinwohl, zur Anwendung der den Frieden fördernden Mittel erzogen zu werden. Die Kirche hat immer gelehrt, „daß es die grundlegende Verpflichtung der staatlichen Autorität ist, für das Gemeinwohl der Gesellschaft Sorge zu tragen; hiervon leiten sich ihre Grundrechte ab. Gerade wegen dieser Voraussetzungen, die der objektiven ethischen Ordnung angehören, können die Rechte der staatlichen Gewalt nicht anders verstanden werden als auf der Grundlage der Achtung der objektiven und unverletzlichen Menschenrechte. Andernfalls endet man beim Zusammenbruch der Gesellschaft, gelangt man zum Widerstand der Bürger gegen die Autorität oder zu einem Zustand der Unterdrückung, der Einschüchterung, der Gewalt, des Terrors, wovon uns die Totalitarismen unseres Jahrhunderts zahlreiche Beispiele gegeben haben“ (RH 17). 5. All dies, gemeinsam mit einer gerechten Verteilung der Früchte des Fortschritts, stellt meiner Meinung nach die Vorbedingung für ein harmonischeres Wachstum und eine harmonischere Entwicklung dieses Landes dar, das ich in diesen Tagen mit großer Freude besuche; das gleiche gilt für ganz Lateinamerika. Möge Gott die Bemühungen der Verantwortlichen auf nationaler und internationaler Ebene unterstützen, damit Kolumbien und alle Nationen dieses großen Kontinents jene Aufgaben erfüllen können, die ihnen im Bereich der großen lateinamerikanischen Familie und der internationalen Gemeinschaft zustehen. Meine Damen und Herren! Ich versichere Ihnen nochmals, daß es mir eine große Freude war, mit Ihnen zusammenzutreffen und Ihnen einige der Sorgen mitzuteilen, die ich auf dem Herzen habe. Mit den besten Wünschen für die hohen Aufgaben, die Sie erfüllen, flehe ich den Allmächtigen an, er möge Sie, Ihre Familien und Mitarbeiter mit seinen Gaben segnen. 520 REISEN Der Gekreuzigte lehrt den wahren Sinn der Freiheit Radio-Botschaft an die Inhaftierten am 2. Juli Liebe Brüder und Schwestern! 1. Bei meinem Pastoralbesuch in Kolumbien, der im Nationalen Marianischen Jahr aus Anlaß der 400-Jahr-Feier der Erneuerung des verehrten Gnadenbildes der Jungfrau vom Hl. Rosenkranz von Chiquinquirä stattfindet, kann ich die nicht ausschließen, die sich in den Haftanstalten befinden. Deshalb möchte ich mich heute in ganz besonderer Weise an euch wenden, um euch als Hirte der ganzen Kirche meine Liebe zu bekunden und euch in dieser Situation, in der ihr euch gerade befindet, zu ermutigen. Wie sehr wünsche ich, ich könnte in dieser Stunde an allen Orten in Kolumbien sein, wo sich eine Gruppe von Menschen befindet, denen die Freiheit entzogen ist. Wie sehr wünsche ich, ich könnte eure Nöte anhören und euch persönlich mein Wort der Ermutigung und des Trostes geben. Doch da es mir unmöglich ist, physisch bei euch zu sein, möchte ich euch versichern, daß ich mit meinen Gedanken und mit meinem Herzen bei euch bin. An jeden einzelnen von euch richte ich diese Botschaft, und ich hoffe, daß ich zu eurem Herzen vorzudringen vermag, um eure Wünsche und Hoffnungen zu teilen, euren Schmerz und eure Enttäuschung. Insbesondere aber möchte ich euch durch das Wort Gottes erleuchten und stärken in dem Wunsch nach wahrer Freiheit, der aus dem tiefsten Herzen eines jeden menschlichen Wesens kommt. <45> <45> In dem Apostolischen Schreiben über den christlichen Sinn des menschlichen Leidens, das ich an die ganze Kirche gerichtet habe, habe ich daran erinnert, daß Jesus Christus auf die Wirklichkeit des Schmerzes ein neues Licht geworfen hat: „Im Leiden Christi hat das menschliche Leiden seinen Höhepunkt erreicht. Zugleich ist es in eine völlig neue Dimension und Ordnung eingetreten . . . Das Kreuz Christi ist zu einer Quelle geworden, aus der Ströme lebendigen Wassers fließen (vgl. Joh 7,37 f.)“ (Salvifici doloris, 18). Die Liebe besiegt den Schmerz! Das ist ein ganzes Lebensprogramm, eine ständige Quelle der Reflexion, die erleuchtet und all jenem Sinn gibt, was uns Leiden verursacht. Ihr, meine lieben Brüder und Schwestern, könnt dieses Licht in eurer augenblicklichen Situation suchen. Viele von euch bewahren sicher mit viel Liebe ein Bild von Christus, dem Gekreuzigten: Christus ans Kreuz genagelt! Ja, er ist die 521 REISEN höchste Offenbarung der göttlichen Liebe! Er ist der radikalste Ausdruck des Menschen, dem man die Freiheit genommen hat; ans Kreuz genagelt hat er nicht einmal mehr die geringste Bewegungsfreiheit. Und doch, gerade in diesem Augenblick vollzieht er den höchsten freien und befreienden Akt, den je ein Mensch in der Geschichte gesetzt hat: er opfert frei sein Leben, um die Menschheit zu erlösen. 3. Wenn wir auf Christus, den Gekreuzigten, schauen, der uns von der Sünde und vom Tod befreite, verstehen wir den wahren Sinn der menschlichen Freiheit besser. Mit Hilfe der göttlichen Gnade kann der Mensch die Knechtschaft überwinden, der er durch die Sünde unterworfen ist, und kann sich mit Gott und den Menschen wieder versöhnen, öffnet die Türen eures Herzens und eurer Seele weit für die Gnade Christi. Und wenn euer Gewissen euch sagt, daß ihr in eine Sünde gegen den Herrn, gegen eure Brüder, die Menschen oder die Gesellschaft gefallen seid, dann erlaubt euch eure augenblickliche Situation, die begangenen Fehler wieder gutzumachen, ohne dabei eure Würde als Personen, die immer bewahrt werden muß, zu verlieren. 4. Von ganzem Herzen wünsche ich, mein Pastoralbesuch in Kolumbien möge euch spüren lassen, daß ihr, gemeinsam mit euren Familien, ein lebendiger und wesentlicher Bestandteil eures geliebten und schönen christlichen Vaterlandes seid. Gebe Gott, daß diese Zeit des Freiheitsentzuges weder die Familienbande noch die Liebe zu eurem Land schwäche, sondern daß vielmehr in euch der Wunsch wachse, gemeinsam mit den anderen Kolumbianern zum Aufbau eines arbeitsamen, friedlichen, gerechten und brüderlichen Vaterlandes beizutragen. Ich erhebe mein Gebet zum Vater im Himmel und bitte ihn, daß er eure Leiden, eure Einsamkeit, eure Verzweiflung und euren Schmerz über die Trennung von euren Lieben lindere. Gleichzeitig rufe ich auf euch und eure Familien den Schutz der Jungfrau Maria herab, die unser Leben, unsere Freude und unsere Hoffnung ist. Euch alle segne ich von ganzem Herzen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. 522 REISEN „Schreibt neue Seiten der Heiligkeit und Hingabe“ Grußwort an den Vorstand und die Mitglieder der Lateinamerikanischen Konföderation der Ordensleute in Bogota am 2. Juli 1. Mit Freude grüße ich die Vorsitzenden der Lateinamerikanischen Konföderation der Ordensleute und die Vertreter der vier Regionen. Es war euer Wunsch, hierher in die Apostolische Nuntiatur zu kommen, um mich anläßlich meines Aufenthaltes in Bogota zu besuchen, wo sich auch der Sitz eurer Konföderation befindet. Diese Gelegenheit benutze ich, um mit euch all jene zu grüßen, die ihr repräsentiert, d. h. alle nationalen Konferenzen der höheren Ordensobern Lateinamerikas, und mit ihnen die ganze ungeheure Zahl von Ordensmännern und Ordensfrauen, die gottgeweiht leben und im Dienste dieses großen Kontinentes der Hoffnung stehen. Von ihnen hängen sowohl die wirksame Präsenz der Kirche auf dem Gebiet der Evangelisierung wie auch vielfältige pastorale und sozialkaritative Werke ab. Mit diesem Gruß möchte ich meinen Dank an euch verbinden für die Treue zum Herrn in eurem gottgeweihten Ordensleben, für die stille und wirksame Arbeit so vieler Ordensmänner und -frauen sowie für euer Dasein und den Dienst, den ihr in ganz Lateinamerika leistet, für eure Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Bischöfen, für euren reichen und vielgestaltigen Beitrag bei der Aufgabe der Evangelisierung, damit die Gemeinsamkeit wirksam in der Verschiedenheit all der Charismen aufleuchte, die der Heilige Geist zum Wohle der Kirche erweckt. <46> <46> Auch möchte ich euch beglückwünschen, denn ihr habt erst kürzlich das 25jährige Bestehen der CLAR gefeiert und die Approbation des Hl. Stuhles für die Statuten eurer Lateinamerikanischen Konföderation der Ordensleute erhalten. Sie wurden aktualisiert und dem neuen Kodex des Kirchenrechtes sowie den augenblicklichen Notwendigkeiten in Lateinamerika angepaßt. In diesen Statuten wurden die Eigenart und die Zielsetzung der CLAR deutlich dargestellt. Der Hl. Stuhl setzt sein Vertrauen in euer Werk und bittet gleichzeitig um eure Mitarbeit, eure Treue und Verantwortung in einem Augenblick großer Tragweite für die Evangelisierung in Lateinamerika und in der Welt. Euer Dienst der Koordinierung zwischen den Nationalen Konferenzen der höheren Ordensobern macht euch zu einem einzigartigen Instrument 523 REISEN jener Gemeinschaft und Mitbeteiligung, die ihr in vollem Einklang mit der ganzen Kirche in Lateinamerika zu leben und zu fördern habt. Ihr Ordensleute müßt aufgrund der wesentlich gemeinschaftsbezogenen Dimension eures gottgeweihten Lebens ein Zeugnis der kirchlichen Gemeinschaft sein, und zwar innerhalb der Mannigfaltigkeit der euch eigenen Charismen, die sich gegenseitig ergänzen, und innerhalb eurer spezifischen Aufgaben des Apostolats. 3. Ihr seid aufgerufen, die kirchliche Gemeinschaft mit dem Lateinamerikanischen Bischofsrat und mit jeder einzelnen Bischofskonferenz zu fördern, mit gebührender Achtung und Gehorsam gegenüber den Hirten der Teilkirchen, denen der Herr die Leitung über je einen Teil der Kirche anvertraut hat, die Diözesen, in die die Ordensleute integriert sein sollen in Gemeinschaft mit den anderen Gliedern des Volkes Gottes. Ebenso obliegt euch die Pflicht der Koordination zwischen den verschiedenen nationalen Konferenzen der höheren Ordensobem, um so bessere gegenseitige Kenntnis, Zusammenarbeit und Ausbildung so vieler Ordensmänner und -frauen in Lateinamerika zu fördern. Das wird zu einer Bereicherung des geistlichen Lebens und der apostolischen Erfahrungen führen. Das Vertrauen, das die Ordensmänner und -frauen dieses Kontinents in euch setzen, ist Grund für die Verantwortung, die die CLAR hat, um in allem ihre feste Anhänglichkeit an das Lehramt des Papstes sowie an die Weisungen des Hl. Stuhles und der Bischöfe zu bekunden und die Echtheit des Ordenslebens und der unterschiedlichen Charismen zu fördern, in gemeinsamem Dialog, der dem besonderen Charakter jedes Instituts Rechnung trägt. 4. Das evangelische und kirchliche Potential, welches das Ordensleben bei der Evangelisierung Lateinamerikas entwickelt hat, ist ungeheuer groß. Da bereits die Novene der Vorbereitung zur 500-Jahr-Feier der Evangelisation eingeleitet ist, ist es angebracht, noch einmal an die Verantwortung zu erinnern, die euch, den Ordensleuten, bei dieser neuen Evangelisierung des Kontinents zukommt. Dabei weisen wir auf das Vorbild eurer Gründer und Gründerinnen in ihrer Liebe zur Kirche hin, auf ihren missionarischen Eifer und ihre heilbringende Präsenz in allen Regionen und allen Gesellschaftsschichten. Bei dieser neuen Evangelisierung, zu der die Kirche in Lateinamerika aufgerufen ist, schreibt neue Seiten der Heiligkeit, der Hingabe an euer Ideal der evangelischen Armut, der Keuschheit und des Gehorsams, an 524 REISEN allen Orten und in all den Bereichen, in denen ihr lebt und wirkt. Das Gebet möge die kraftspendende Quelle eurer ständigen Hingabe an Gott sein, wie ich es in der Enzyklika Dominum et vivificantem ausgedrückt habe, „Unsere schwierige Epoche bedarf in besonderer Weise des Gebetes“ (Nr. 65). Mit eurem Gebet werdet ihr auf wirksame Weise zur Erneuerung des geistlichen Lebens beitragen, das ohne Zweifel in der im Evangelium entsprechenden Echtheit eures Zeugnisses zugunsten der Ärmsten der Armen „in stiller und demütiger Arbeit“ gipfeln wird (Puebla, 733). 5. Ihr wißt wohl, daß eure Sendung die des Dienstes ist, und daß der kirchliche Dienst das unverwechselbare Siegel der Gemeinschaft und der Mitbeteiligung bei der Aufgabe der Glaubensverkündigung trägt. Bleibt immer im Dienst des Ordenslebens, damit niemals das Ideal der Nachfolge Jesu an Kraft verliere. Seid Zeichen der aktiven Präsenz des Heiligen Geistes, treue Söhne und Töchter der Kirche und Mitarbeiter bei der Ausbreitung des Evangeliums zusammen mit allen Ordensmännern und -frauen in Lateinamerika. Ihr, die ihr eine besondere Erfahrung habt im Leben nach dem Evangelium, schreibt durch euer Leben das Evangelium Jesu auf dieser Erde und in dieser Epoche, indem ihr Christus in dem vielfältigen und unterschiedlichen Ausdruck seiner Liebe zum Vater und zu den Brüdern gegenwärtig macht. Euer Apostolat möge das Ergebnis einer inneren Begegnung, Nachahmung und Gleichgestaltung mit dem Herrn sein. Bei dieser Aufgabe möge euch die Jungfrau Maria helfen, die von den lateinamerikanischen Völkern so sehr geliebt wird. Sie ist das vollendete Vorbild der Treue und des Dienstes, der Einheit mit Christus und der selbstlosen Mitwirkung beim Werk der Erlösung, mit ihrer ganzen Existenz. Ihr empfehle ich euch an, damit die Erinnerung an sie für euch immer der Beweggrund zur Treue in einem gottgeweihten Leben und zu hochherzigem Dienst im Geist des Evangeliums und in vollem Einklang mit der Sendung der Kirche sei. Mit meinem Apostolischen Segen. 525 REISEN Was folgt aus der sakramentalen Sicht des Bischofsamtes? Ansprache an den Kolumbianischen Episkopat (SPEC) in Bogota am 2. Juli Geliebte Brüder im Bischofsamt: „Gnade, Erbarmen und Friede von Gott, dem Vater, und Jesus Christus, unserm Herrn“ (2 Tim 1,2). 1. Mit diesen Worten des hl. Apostel Paulus wende ich mich an euch, um euch gleich zu Beginn die innige Gemeinschaft im Heiligen Geist zum Ausdruck zu bringen, die sich bei dieser Begegnung zwischen dem Nachfolger Petri und seinen Brüdern, den Nachfolgern der Apostel und Hirten der Kirche in Kolumbien, verwirklicht. Ausdruck meiner aufrichtigen „Zuneigung in der Liebe“ will mein herzlicher Gruß an die Herren Kardinäle, Erzbischöfe, Bischöfe, Apostolischen Vikare und Apostolischen Präfekten sein, die ihr den Ortskirchen in dieser edlen und katholischen kolumbianischen Nation vorsteht und Mitglieder der Bischofskonferenz seid oder gewesen seid. Allen gilt mein Gruß des Friedens und der apostolischen Gemeinschaft, während ich dem Herrn für euer erbauendes Zeugnis der Einheit danke. Diese Begegnung am Sitz eurer Bischofskonferenz will eine lebendige Bekundung der engen Verbundenheit der Bischöfe Kolumbiens mit dem Nachfolger des Petrus und mit dem Heiligen Stuhl sein, die euren bischöflichen Dienst und den katholischen Glauben eures Volkes kennzeichnet. Im Laufe meines Pastoralbesuches werde ich Gelegenheit haben, der ganzen Kirche Kolumbiens eine Botschaft des Glaubens und der Hoffnung zu bringen, wobei ich im voraus weiß, daß die Bischöfe sie mit derselben pastoralen Verantwortlichkeit, mit der sie das kolumbianische Volk auf seine Begegnung mit dem Papst vorbereitet haben, verstehen werden, diese Botschaft aufzunehmen und in sie einzudringen. Wir wollen daher bei dem besonderen Anlaß, der uns zusammenführt, gemeinsam über einige grundlegende Aspekte des Sendungsauftrags des Bischofs im heutigen Kolumbien nachdenken. <47> <47> Gott hat euch zu Bischöfen der Kirche in diesem Volk eingesetzt, das sich seit den Anfangszeiten seiner Evangelisierung durch seinen beispielhaften, dank der Arbeit unermüdlicher Missionare wie des hl. Luis 526 REISEN Beiträn oder des hl. Peter Claver tief eingewurzelten katholischen Glauben ausgezeichnet hat. In der kolumbianischen Seele wohnt sozusagen ein angeborenes Gefühl der Transzendenz Gottes und des Vertrauens in die Vorsehung. Bewunderns- und lobenswert ist die innige Verehrung eurer Leute für die Jungfrau Maria, ihr tiefes Empfinden für die Geheimnisse des glorreichen Leidens und Sterbens des Erlösers, ihre Liebe und Achtung für den Papst und für die Bischöfe der Kirche. Ihr seid also Hirten einer Kirche, die auf ein gewaltiges Potential an Glauben und Frömmigkeit bauen kann, um voller Hoffnung den Problemen gegenüberzutreten, die sich im täglichen Leben eurer Gemeinden und in der derzeitigen sozialen Situation eures Landes stellen. Als Bischöfe der Kirche baut ihr jedoch vor allem auf eine übernatürliche Gnade und Segnung, die immer die inspirierende Quelle eures pastoralen Wirkens bleibt. Als Bischöfe der Kirche seid ihr der Punkt, in dem das Gemeinschaftsleben - eine „grundlegende und zentrale“ Idee der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums, wie die jüngste Außerordentliche Bischofssynode mit Recht in Erinnerung rief - konvergiert und von dem es seinen Auftrieb erhält. Das Wort Gemeinschaft führt uns an die eigentliche Quelle des trinitari-schen Lebens (vgl. 1 Joh 1,3), das in der Gnade und im Dienst des Bischofsamtes konvergiert. Der Bischof ist Abbild des Vaters, er macht Christus als Guten Hirten gegenwärtig, er empfängt die Fülle des Heiligen Geistes, aus der die Lehre und Initiative seines Amtes entspringen, damit er nach dem Bild der Dreifaltigkeit und durch das Wort und die Sakramente diese Kirche als Ort der Hingabe Gottes an die Gläubigen, die ihm anvertraut worden sind, aufbauen kann. Der Bischof, der auf Grund seiner Zugehörigkeit zum Bischofskollegium Erbe des einen Apostelkollegiums ist, muß in leuchtender Weise seine innige Gemeinschaft im Glauben und Leben sowie im pastoralen Handeln mit den anderen Bischöfen der Kirche widerspiegeln, wobei alle mit dem römischen Papst verbunden sind, der ein „immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und Gemeinschaft“ ist, was gewährleistet, daß das Bischofsamt eines und unteilbar ist (LG 18). <48> <48> Erster Auftrag jeden Bischofs ist Vorsitz und Aufbau der Kirche, die Christus ihm übertragen hat. So bestimmt es das Kirchenrecht, das die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils berücksichtigt, indem es in den folgenden Worten den Dienst des Bischofs in vollkommener Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri zusammenfaßt: „Eine Diözese ist der Teil des Gottesvolkes, der dem Bischof in Zusammenarbeit mit dem 527 REISEN Presbyterium zu weiden anvertraut wird; indem sie ihrem Hirten anhängt und von ihm durch das Evangelium und die Eucharistie im Heiligen Geist zusammengeführt wird, bildet sie eine Teilkirche, in der die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche Christi wahrhaft gegenwärtig ist und wirkt“ (CIC, can. 369; vgl. CD 11). Dort, wo die zum Dienst Geweihten für den Aufbau der Kirche arbeiten (vgl. Eph 4,12), wird der Leib Christi zusammengefügt und gefestigt, wächst die neue Menschheit, der Entwurf für eine neue Gesellschaft, die Familie Gottes, die „in der Liebe aufgebaut wird“ (Eph 4,16). Darum ist die vorrangige Aufgabe, unsere Sendung nach Sendung Christi und des Geistes zu gestalten, die immer mit dem Aufbau der Kirche beginnt. Mit Recht macht sich die unentbehrliche Anwesenheit des Evangeliums Christi, das als Verkündigung gepredigt wird und als Leben Gestalt annimmt, in allen ihren personalen und sozialen Dimensionen bemerkbar. Diese ständige Gegenwart Christi hat ihr gemeinsames Zentrum in der Eucharistie, das heißt Christus selbst macht sich in seinem Ostergeheimnis mit der ganzen Fülle seines Erlösungsgeheimnisses gegenwärtig. Er macht die Kirche, er baut sie auf, er nährt sie und läßt sie aus dem Geheimnis seines Todes und seiner Auferstehung, das sich im Meßopfer fortsetzt, gleichsam jeden Tag, neu erstehen. In der Feier der Eucharistie ist der Bischof das Prinzip der Einheit aller Versammlungen und Gemeinschaften, die solange „rechtmäßig“ sind, als sie an der notwendigen Verbundenheit mit dem Bischofsamt festhalten (vgl. LG 26). In Worten, die wegen der vielen Erfahrungen kirchlichen Lebens in der Welt und auch hier in Kolumbien ergreifend sind, bringt uns das Konzil in Erinnerung: „In diesen Gemeinden, auch wenn sie oft klein und arm sind oder in der Diaspora leben, ist Christus gegenwärtig, durch dessen Kraft die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche geeint wird“ {LG 26). 4. Diese Aufgabe ist ein Dienst, in den jeder Hirte seine ganze Vorstellungskraft legen muß, um seine Herde zu einer vollkommenen Verwirklichung der Kirche Christi zu machen. Dafür empfängt der Bischof bei der Bischofsweihe die Fülle des Heiligen Geistes, um Mitarbeiter dieser kirchlichen Sendung zu sein, die dem Heiligen Geist eigen ist. Wie ich kürzlich in meiner Enzyklika über den Heiligen Geist im Leben der Kirche und der Welt geschrieben habe: „Das Gnadengeschenk des Heiligen Geistes, das die Apostel durch die Auflegung der Hände an ihre Mitarbeiter Weitergaben, wird ja in der Bischofsweihe immer wieder übertragen. Die Bischöfe ihrerseits geben im Weihesakrament den Geistlichen Anteil an dieser Gnadengabe und sorgen dafür, daß im Firmsakra- 528 REISEN ment alle, die wiedergeboren sind aus dem Wasser und dem Geist, darin bestärkt werden. So bleibt die Pfingstgnade in gewisser Weise immer in der Kirche gegenwärtig“ (Dominum et vivificantem, 25). Aus der sakramentalen Sicht des Bischofsamtes als Geheimnis der Gemeinschaft und aus der Gnade des Geistes, der euch zu Mitarbeitern seiner Sendung bestellt hat, „damit ihr für die Kirche Gottes sorgt“ (Apg 20,28), ergeben sich eine Reihe grundlegender und höchst aktueller Aufgaben für eure Pastoralarbeit in der Kirche Kolumbiens auf der Ebene der Ortskirchen wie im Bereich der Bisehofskonferenz. 5. Die Kirche ist auf Grund ihrer Natur und Sendung Bewahrerin und zugleich Übermittlerin einer Wahrheit, die nicht von ihr stammt, sondern die von Gott geoffenbart wurde in seinem Sohn, dem menschgewordenen Wort, der, gekreuzigt und auf erstanden, Fülle und Mittler der ganzen Offenbarung ist. Die Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus setzt die unverkürzte Weitergabe dieser Wahrheit, den Mut zu ihrer Verteidigung und das Wissen voraus, um sie mit Überlegung auf die neuen Probleme und Situationen der Menschheit anzuwenden. Der Bischof ist also dazu berufen, Lehrer und Zeuge der Wahrheit zu sein, in treuer und loyaler Verbundenheit mit dem authentischen Lehramt der Kiche im Hinblick auf die Unversehrtheit der katholischen Lehre. Es handelt sich um einen schwierigen Auftrag in einer von trügerischen Meinungen und falschen Theorien erschütterten Welt; manche — wie im Fall der Sekten, die unter eurem einfachen Volk Verwirrung stiften -verdünnen die Konsequenz und Einheit der evangelischen Lehre; andere - wie gewisse Lehren, die die selbständige Auslegung der sittüchen Prinzipien fordern - gehen im Interesse eines vorgeblich menschlichen Fortschritts und einer säkularistischen Auffassung der Gesellschaft und des Lebens hochmütig über die Lehre der Kirche hinweg. 6. Auf jeden Fall seien eure Lehren und Weisungen klar und treffend, sobald die Lehre der Kirche Beeinträchtigungen erleiden könnte, denn es ist die pastorale Sendung des Bischofs, die Wahrheit zu verkünden, und es ist das unveräußerliche Recht des Volkes Gottes, die authentische Lehre der Kirche klar und verständlich kennenzulernen. Fahrt fort, mit Güte, der es nicht an fester Entschlossenheit mangelt, über alle euch zugänglichen Medien die Wahrheit über Christus, über die Kirche, über den Menschen zu lehren. Verteidigt in dem Bewußtsein, daß nur die Wahrheit euch befreien wird (vgl. Joh 8,32), die wahre Lehre 529 REISEN gegen das verdächtige Totschweigen, gegen trügerische Zweideutigkeiten, gegen verstümmelnde Verkürzungen, gegen subjektive Neuauslegungen, gegen Verirrungen, die die Integrität und Reinheit des Glaubens bedrohen. Ich ermutige und ermahne euch vor allem, fest zu bleiben in der Verteidigung der Wahrheit über den Menschen, die sich aus der Wahrheit über Christus und über die Kirche ergibt und auf dem Gebiet der Menschenrechte, der Heiligkeit des Lebens vom Augenblick der Empfängnis an zur Anwendung kommt; verkündet vor der Gesellschaft die Unauflöslichkeit der Ehe, die Einheit und Heiligkeit der Familie gegen alle theoretischen und praktischen Angriffe, die in eurem Land im Vordringen sind. Gottes Plan in bezug auf Mann und Frau, in bezug auf die Ehe und das Leben verteidigen, heißt nicht nur, dieses vom Schöpfer der menschlichen Natur selbst eingeschriebene Gesetz offenlegen, sondern es bedeutet auch, die Grundlagen für eine Gesellschaft im Zeichen der Liebe zu legen, die nur durch gegenseitige Achtung aufgebaut werden kann, die als Konvergenzpunkt das in das Bewußtsein der Menschen eingeprägte heilige Gesetz Gottes hat. Möge der Geist der Wahrheit, dieser Geist, der „in die ganze Wahrheit führt“ (Joh 16,13), in euch wahren Mitarbeitern begegnen, um diese Sendung zu erfüllen, nämlich die Welt zu überzeugen und aufzudecken, was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht sind (vgl. Joh 16,8-11), wenn sie die Wahrheit und das Leben des Evangeliums zurückweist, wie ich vor kurzem in meiner Enzyklika Dominum et vivificantem (27 f.) unterstrichen habe. 7. Die Treue zu eurem Dienstamt muß gemäß den Worten und dem Beispiel des Meisters in ein heiligmäßiges Leben umgesetzt werden, wie es dem Geist der Heiligkeit entspricht, den ihr bei eurer Bischofsweihe empfangen habt. Seid „Vorbilder“ für eure Herde, wie der hl. Petrus mahnt (1 Petr 5,3); Vorbilder „in den Worten, im Lebenswandel, in der Liebe, im Glauben, in der Lauterkeit“ (1 Tim 4,12), wie der hl. Paulus dem Timotheus empfiehlt. Mehr denn je fordert man heute vom Bischof ein persönliches evangelisches Zeugnis. Das verlangt von euch vor allem Christus, der Gute Hirte und das Haupt der Bischöfe, durch sein eigenes Beispiel der Güte, Freundlichkeit und pastoralen Liebe bis zur Hingabe des Lebens für seine Schafe als höchste Bekundung dieser Liebe. Das erwähnte Hirtenamt, das immer von der Liebe, die das Geschenk 530 REISEN des Heiligen Geistes ist, erwärmt werden muß, fordert von euch nicht weniger als das Leben selbst verlangt, wenn ihr in einem täglichen Martyrium der Hingabe und der Liebe, „als Hirten für die euch anvertraute Herde sorgt . . . (und) Vorbilder für die Herde seid“ (1 Petr 5,21.). Angesichts dieser Verpflichtung zur Heiligkeit und persönlichen Beispiel-haftigkeit beauftragte ich euch in der Nachfolge Jesu, des Meisters und Freundes seiner Jünger, eigens, euren Priestern besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Sie sind die ersten Mitarbeiter in eurem bischöflichen Dienst und darum muß allen voran ihnen eure pastorale Sorge gelten. Seid ihnen Väter, Brüder und Freunde, die sich um ihr geistliches Leben und auch um ihre materiellen Bedürfnisse kümmern. Prägt durch euer Beispiel die priesterliche Brüderlichkeit unter allen, die Diener des einen Priesters, Jesu Christi, sind. Seid Vorbild für die Gemeinschaft und Einheit mit allen euren Priestern zur Erbauung und zum Ansporn für das Volk Gottes. Tragt auch Sorge für die Treue der Ordensmänner und Ordensfrauen zu den bei ihrer Weihe gelobten Verpflichtungen und zur Authentizität ihres apostolischen Dienstes. 8. Euch, Brüder, obliegt die edle Aufgabe, als Erste „Rede und Antwort zu stehen über die Hoffnung, die euch erfüllt“ (2 Petr 3,15); diese Hoffnung, die sich auf die Verheißungen Gottes, auf die Treue zu seinem Wort stützt und die die Auferstehung Christi, seinen endgültigen Sieg über das Böse und die Sünde als unverbrüchliche Gewißheit ansieht. Seid Zeugen der Hoffnung für die jungen Menschen, die von der Unbeständigkeit falscher Hoffnungen und vom Pessimismus der ins Nichts zerfließenden Träume bedroht sind. Bringt die wahre Hoffnung zu den Armen, die die Kirche auf Grund ihrer übernatürlichen Hoffnung als ihren einzigen Schutz ansehen. öffnet den einen wie den anderen Weg der Hoffnung und der echten Befreiung auf der Linie eures bischöflichen Dokuments Christliche Identität im Einsatz für die Gerechtigkeit und der Lehre des Lehramtes über diese heikle Frage; besonders die beiden Instruktionen der Glaubenskongregation , Libertatis nuntius, über einige Aspekte der Theologie der Befreiung, und Libertatis conscientia, über christliche Freiheit und Befreiung. „Zwischen den beiden Dokumenten gibt es eine organische Beziehung. Sie müssen jeweils im Licht des anderen gelesen werden“ (Libertatis conscientia, 2). Liebe Brüder, arbeitet in enger Verbundenheit weiter für die wahre Befreiung, die uns von Jesus Christus, dem Erlöser des Menschen, zukommt, die frei sein muß von Ideologien, die ihr fremd sind und die 531 REISEN ihren evangelischen Sinn entkräften. Wie ich in meiner jüngsten Enzyklika Dominum et vivificantem deutlich machte, gibt es Erscheinungsformen des Materialismus, „sei es in seiner theoretischen Form, als Gedankensystem, sei es in seiner praktischen Form, als Methode der Interpretation und Bewertung der Tatsachen“ {Nr. 56), die sich besonders in unseren Tagen dem Wirken des Geistes widersetzen. Das ist eine Erscheinung, die wie vielen Bischöfen Lateinamerikas, die das bei ihren „ad-limina“-Besuchen klar ausgesprochen haben, ganz zu Recht auch euch Sorge bereitet. Unter den Wegen aktiver Hoffnung für eure Kirche, die sich bereits auf die Gedenkfeiern zu ihrem 500jährigen Bestehen und auf das große Jubeljahr des Jahres 2000 vorbereitet, nenne ich euch drei Prioritäten: die Priester und Ordensberufe, die Erziehung der Jugend, die Förderung eines engagierten Laienstandes. Kolumbien ist ein katholisches Land und ein Missionsland. Es hat daher Priester und Ordensberufe nötig für eine seinen pastoralen Bedürfnissen entsprechende lebendige Präsenz der Kirche und für ein missionarisches Zeugnis. Die Förderung der Berufe und ihre angemessene Ausbildung sichert einen Weg der Hoffnung für die Verbreitung des Evangeliums. Die moderne Welt wird immer mehr Diener Christi brauchen, die sein Wort predigen und die Lebenskraft des Geistes mitteilen. Angesichts der Bedrohung durch den Materialismus, der die menschliche Seele ihrer edelsten Hoffnung zu entleeren trachtet, wird die Kirche das Bollwerk der Werte des Geistes sein, der Ort der Anwesenheit des für die Transzendenz offenen Humanismus des Evangeliums. Kolumbien ist auch eine Nation mit einer hohen Zahl von Jugendlichen. Die Jugend ist meine Hoffnung, so wie sie auch eure Hoffnung ist. Es müssen jedoch die besten Kräfte entfaltet werden, um das Bewußtsein der Jugend vom Glauben her zu formen; es gilt, mit allen Mitteln an einer ganzheitlichen Erziehung der Jugendlichen zu arbeiten, die an der Universität, in den technischen Lehranstalten und in den anderen akademischen Zentren ausgebildet werden. Der Fortschritt bei der Modernisierung der Nation darf nicht über ihre katholischen kulturellen Wurzeln hinweggehen, wenn er eine homogene Zukunft aufbauen will, die in eine Zivilisation der Liebe einmünden soll. Auf diese Weise werden die Jugendlichen die Baumeister einer besseren Zukunft sein. Die Kirche muß sich zu diesem Weg der Hoffnung verpflichten, der über die umfassende Erziehung und Bildung der Jugend führt. Schließlich erinnere ich euch an die dringende Aufgabe der Förderung reifer und verantwortungsvoller Laien, die imstande sind, Sauerteig und 532 REISEN tätige Präsenz in Kirche und Gesellschaft zu sein. Auf der Ebene der Ortskirchen und der ganzen Kirche Kolumbiens müssen die Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils in Erinnerung gerufen werden: „Die Kirche ist nicht wirklich gegründet, hat noch nicht ihr volles Leben, ist noch nicht ganz das Zeichen Christi unter den Menschen, wenn nicht mit der Hierarchie auch ein wahrer Laienstand da ist und arbeitet“ (AG 21), ein reifer und engagierter Laienstand. Ich weiß, daß es der kolumbianischen Kirche nicht an diesem Reichtum christlicher Laien fehlt, die bereits in der Katechese und in der Mission, in den apostolischen Bewegungen und Familienverbänden, im sozialen Leben arbeiten. Im Hinblick auf die kommende Bischofssynode ermutige ich euch, diese Heranbildung der christlichen Laien zu intensivieren. Sie werden auch eine Hoffnungsgarantie für eine tiefergehende Präsenz des Evangeliums im öffentlichen Leben eurer Nation sein. 9. Liebe Bischöfe der Kirche Kolumbiens, ich wollte euch an einige Aufgaben erinnern, die zu eurem bischöflichen Dienstamt gehören. Als Bischofskonferenz Kolumbiens habt ihr eine sehr weitreichende Verantwortung, die die ganze Nation umfaßt, zu deren Wohlergehen und Fortschritt das Leben der eurem kirchlichen Dienstamt anvertrauten Katholiken beiträgt. Sorgt mit der Gnade, die aus der Gemeinschaft des Glaubens quillt, mit der moralischen Kraft, die eure einstimmigen Urteile gewinnen, mit der Zusammenarbeit und der Überlegung, die im Rahmen der Bischofskonferenz stattfindet, für die Kirche und ihre innere und missionarische Lebenskraft. Seid Diener eures Volkes und eurer Gläubigen, indem ihr Wege größerer Gerechtigkeit und eines sozialen Fortschritts für alle eröffnet. Laßt nicht nach in eurer Verteidigung der Rechte der Schwächsten, in der Förderung der öffentlichen Sittlichkeit, in einer würdigen Vermittlung zu Gunsten der Versöhnung aller Söhne und Töchter dieser edlen und herzlichen, gastfreundlichen und friedliebenden Nation. 10. Zum Abschluß dieser Begegnung möchte ich auf jeden einzelnen von euch, auf eure Ortskirchen mit ihren Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen, Familien, Jugendlichen und Kindern, auf alle eure Gläubigen den Schutz der Jungfrau Maria, der Mutter der Kirche Kolumbiens, unter Anrufung der Madonna des Rosenkranzes von Chiquinquirä herabflehen. Sie, die Mutter der Jünger Jesu, die Jungfrau des Abendmahlssaales und Königin der Apostel, lasse euch die Fülle des Geistes zuteil werden, damit euer apostolisches Wirken fruchtbar sei. Sie, die Patronin 533 REISEN Kolumbiens und Königin des Friedens, erlange für eure ganze, von der Gewalt heimgesuchte Nation das Geschenk der brüderlichen Versöhnung zwischen allen Kolumbianern, Garantie einer Zukunft des Wohlergehens und des Fortschritts. Mit diesen Wünschen begleitet euch mein Gebet und mein Apostolischer Segen. Treue zu Geist, Wort und Kirche Jesu Ansprache an die Bischöfe des Lateinamerikanischen Bischofsrates (CELAM) in Bogota am 2. Juli Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Der glückliche Umstand eurer Versammlung in Bogota erlaubt es, daß mein apostolischer Besuch in Kolumbien hier am Sitz des CELAM eine Dimension annimmt, die die große lateinamerikanische Familie umfaßt. In eurer Person grüße ich alle die geliebten Kirchen dieses Kontinents, ihre Bischofskonferenzen und alle die Männer und Frauen, die sich in Lateinamerika darum mühen, durch die Kraft des Evangeliums das Leben der Völker fruchtbringend zu machen. Sie haben vor fast 500 Jahren das Licht des Glaubens empfangen und wollen weiterhin die Treue zu Christus bewahren, da der Beginn eines dritten christlichen Jahrtausends nicht mehr fern ist. Es ist nicht nötig, daß ich wiederhole, wie nahe die Bewohner dieses amerikanischen Erdteils meinem Herzen stehen, wie sehr ich mich um alle ihre Probleme sorge und daß ich mich solidarisch fühle mit allen ihren Schwierigkeiten und Hoffnungen. Beim Eintritt in dieses Haus, wo der lateinamerikanische Bischofsrat seinen Sitz hat, kann ich nicht anders, als noch einmal jenen denkwürdigen Besuch meines verehrten Vorgängers Papst Paul VI. in Erinnerung zu rufen, der es im August 1968 anläßlich des XXXIX. Internationalen Eucharistischen Kongresses in Bogota einweihte. Ebensowenig kann ich es unterlassen, daran zu erinnern, daß in dieser Stadt der Papst die zweite Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopates eröffnete, die dann in Medellin weiterarbeitete. In seiner Ansprache brachte er die lebhafte Bewegung, von der er bei jenem „ersten persönlichen Besuch des Papstes bei seinen Brüdern und seinen Söhnen in Lateinamerika“ ergrif- 534 REISEN fen war, zum Ausdruck. In den achtzehn Jahren, die seit jenem historischen Augenblick vergangen sind, haben sich die Begegnungen des Nachfolgers Petri mit dem lateinamerikanischen Episkopat mehrfach wiederholt, und der Austausch zwischen dem Hl. Stuhl und dem CELAM ist immer häufiger und fruchtbarer geworden. Dazu wollte ich mit meiner pastoralen Sorge seit jenem denkwürdigen 28. Januar 1979, als im Priesterseminar (Seminario Palafoxiano) in Puebla de Los Angeles, in Mexiko, die dritte Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopates eröffnet wurde, beitragen. Danach hatte ich die Freude, mich mit den Bischöfen zu treffen, die 1980 in Rio de Janeiro an der Versammlung teilnahmen, bei der feierlich des 25jähri-gen Bestehens des CELAM gedacht wurde; drei Jahre später, 1983, eröffnete ich in Port au Prince die Ordentliche Versammlung des CELAM und 1984 die 500-Jahr-Feier der Evangelisierung der Neuen Welt in Santo Domingo. Gerne rufe ich diese Ereignisse ins Gedächtnis als Zeugnis der Gemeinschaft zwischen dem CELAM und dem Nachfolger Petri und gleichzeitig als beredtes Zeugnis des kollegialen Geistes, der die Beziehungen zwischen dem Hl. Stuhl und den verschiedenen lateinamerikanischen Bischofskonferenzen kennzeichnet. Ihr seid, geliebte Brüder, gerade in der sogenannten Koordinierungssitzung, um die Programme des CELAM zu revidieren, die erreichten Ergebnisse auszuwerten und miteinander darüber abzustimmen, was in den nächsten Monaten in Vorbereitung der im März des nächsten Jahres stattfindenden Generalversammlung getan werden muß. Ich bete inständig, daß die Früchte eurer Arbeit zu einem immer wirksameren Dienst für die Bischofskonferenzen des Kontinentes werden und zwar im Hinblick auf eine tiefergreifende Evangelisierung und eine heilsame Stärkung des kirchlichen Zusammenhalts. <49> <49> Jetzt möchte ich mit euch einige Überlegungen anstellen, die sich auf die Sendung beziehen, die ihr als Hirten der Kirchen in Lateinamerika, geleitet vom Hl. Geiste, zu erfüllen habt. In Augenblicken einer so großen Ungewißheit, die euer Kontinent durchlebt, und inmitten so vieler verführerischer Rufe, die von den Mächten dieser Welt ausgehen, den modernen Götzen und den materialistischen Ideologien, müssen die Christen in der Treue gefestigt werden. In einer Welt wie der unsrigen, in der die Wahrheit durch Täuschungen angefoch-ten wird und die immerwährenden Werte durch egoistische Interessen verdrängt werden, ist es notwendig, das christliche Gewissen zu treuer Zuverlässigkeit zu erziehen: 535 REISEN Treue, an erster Stelle zum Heiligen Geist. Er ist die Kraft der Erneuerung und des Lebens, Prinzip der Einheit und Band des Friedens. Unsere ganze Verkündigung, unser ganzes pastorales Tun, die ganze Ausübung unseres Amtes ist nichts anderes als Instrument des Geistes. Er ist es, der handelt und erneuert. Er ist es, der die Kraft gibt zu verändern und die Früchte des christlichen Lebens hervorbringt. Er führt uns, er stärkt uns, er gibt die Antworten, die die pastoralen Herausforderungen in jedem Augenblick von uns verlangen. Der Geist führt uns auf sanfte Weise zu einer unerschütterlichen Treue gegenüber dem Wort Gottes, das die unentbehrliche Norm unserer Predigt ist. Wir stehen, wie der eindrucksvolle Titel des Schlußdokuments der außerordentlichen Synode von 1985 sagt, „sub Verbo Del“. Und unter dem Wort Gottes stehen, in unbedingter Treue zu dem Wort, das Christus selber ist, heißt erkennen, daß unsere Botschaft von Gott kommt, heißt, in der Kirche jene ehrfurchtsvolle Haltung lebendig halten, die die dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung mit den einleitenden Worten so ausdrückt: „Gottes Wort voll Ehrfurcht hören und voll Zuversicht verkündigen.“ (DV1). Diese Treue zum Worte verlangt von uns, daß wir nicht nur auf rein menschliche oder weltliche Reden verzichten, wenn es darum geht, den göttlichen Heilswillen zu verkündigen, sondern heißt am ursprünglichen Sinn der Hl. Schrift festzuhalten, ohne ihn von der lebendigen kirchlichen Tradition zu trennen oder von der authentischen Interpretation des kirchlichen Lehramtes. Die besagte Treue zum Wort ist das Fundament der Sendung des Bischofs als Lehrer der Wahrheit, der Wahrheit, die von Gott kommt und die zur wirklichen Befreiung des Menschen führt: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch freimachen“ (Joh 8,32). Dazu haben sich die lateinamerikanischen Oberhirten bei der historischen Konferenz in Puebla verpflichtet: „Der Bischof ist Lehrer der Wahrheit. In einer Kirche, die völlig im Dienste des Wortes steht, hat er die erste Stelle in der Evangelisierung inne. Er ist der erste Katechet; keine andere Aufgabe kann ihn von dieser geheiligten Sendung befreien.“ (Puebla, 687). <50> <50> Die Treue zum Geist und zum Wort schließt untrennbar die Treue zur Kirche Jesu Christi ein, in der die Heilsbotschaft verkündet wird. Das verlangt die Beibehaltung einer vollständigen ekklesiologischen Sicht und eine sakramentale Auffassung der Gemeinschaft, die wir alle bilden, die wir zum mystischen Leibe Christi gehören, ohne einseitigen Auffassungen 536 REISEN nachzugehen oder einer ausschließlich soziologischen Sicht der Kirche (vgl. Schlußpapier der Außerordentlichen Synode III., A 3). Der CELAM hat mit seiner verdienstvollen Arbeit der Reflexion und des Austausches im Dienste der Bischofskonferenzen des Kontinentes und in Einheit mit dem Hl. Stuhl dazu beigetragen, den Zusammenhalt zwischen den verschiedenen Teilkirchen zu stärken, hat aber auch mit Verantwortlichkeit und pastoralem Eifer auf Zweideutigkeiten aufmerksam gemacht, die in einigen Augenblicken die kirchliche Identität bedrohten. Wenn wir getreu zum Geist, zum Wort und zur Kirche Jesu Christi stehen, dann müssen wir auch dem Menschen gegenüber treu sein. Ihm zu dienen, besonders den Ärmsten und Bedürftigsten, sind wir als Boten der Erlösung gesandt. Gerade, um den Menschen unserer Zeit in Treue zu dienen, erhebt die Kirche heute entschieden ihre Stimme, um die Menschenrechte zu verteidigen und die Menschenwürde, in der diese Rechte begründet sind. In diesem Zusammenhang, in der Achtung der menschlichen Person und der Treue zu seinem übernatürlichen Ziel, haben die lateinamerikanischen Bischöfe und mit ihnen alle kirchlichen Gemeinschaften, denen sie vorstehen, die beiden erst kürzüch vom Apostolischen Stuhl promulgierten Dokumente Libertatis nuntius und Libertatis conscientia aufgenommen. Diese Dokumente haben auf der Ebene des päpstlichen Lehramtes dazu beigetragen, den echten evangelischen Sinn der Grundbegriffe zu präzisieren, die willkürlich aus einer ideologischen Sicht oder aus einem Klassendenken heraus dargestellt wurden. „Die soteriologische Dimension der Befreiung darf nicht auf die sozialethische Dimension, die eine Folge daraus ist, eingeschränkt werden“, betont die Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung. Auf der anderen Seite und unter Anerkennung der Nützlichkeit und Notwendigkeit einer Theologie der Befreiung wollte ich auch daran erinnern, daß diese sich im Einklang und ohne Brüche mit der theologischen Tradition der Kirche und in Übereinstimmung mit ihrer Soziallehre entwickeln muß (Brief an die Brasilianische Bischofskonferenz, Nr. 5, 9. April 1986). 4. Ihr habt die Freude und die Ehre, geliebte Brüder, Hirten von Völkern zu sein, die in ihrer großen Mehrheit gläubig, ja katholisch sind. Aber gleichzeitig seid ihr euch der Bedrohungen bewußt, die über der Herde liegen, die ihr weidet. Warum sollte ich nicht in dieser Stunde Lateinamerikas eine Sorge vortragen, von der ich weiß, daß ihr sie teilt. Ich habe es als eine pastorale Pflicht empfunden, diese in meiner Enzyklika über den Hl. Geist auszudrücken. Ich beziehe mich auf den Widerstand gegen den 537 REISEN Heiligen Geist, der sich in unserer Epoche im Materialismus offenbart, „als Inhalt der Kultur und der Zivilisation, als philosophisches System, als Ideologie, als Aktions- und Bildungsprogramm für das menschliche Verhalten“ (Dominum et vivificantem, 56). ■ Besagter Materialismus stellt sich heute unter verschiedenen Aspekten dar, angefangen von der praktischen Haltung jener, die leben, als „ob Gott nicht existiere“, bis zum theoretischen Materialismus, der sich als atheistisch proklamiert und der sich zu einem vermeintlich wissenschaftlichen System erhebt, der Gott aus dem Bewußtsein des Menschen herausreißen will und ihm sogar das Recht zu glauben und einen religiösen Glauben zu praktizieren verweigert. Diese Formen des Widerstandes und der Opposition gegen den Heiligen Geist finden wir auch in Lateinamerika, und sie sind in eurem Bemühen als Hirten ein besonderer Grund zur Sorge. 5. Mit besonderer Genugtuung habe ich die Aktivitäten der lateinamerikanischen Teilkirchen beobachtet, mit denen sie die 500-Jahr-Feier des Beginns der Evangelisation auf diesem Kontinent vorbereiten. In diesem Augenblick kommt mir die unvergeßliche Begegnung in Santo Domingo vor fast zwei Jahren in Erinnerung, auf die ich schon vorher Bezug genommen habe. Auf jenem Boden, auf dem das erste Kreuz errichtet wurde, wo man das erste Ave Maria betete und zum ersten Mal die Eucharistie in der Neuen Welt feierte, versammelten sich die Bischöfe des CELAM, gemeinsam mit dem Nachfolger Petri, um feierlich die Jahresnovene zu eröffnen, mit der das gläubige Volk sich auf das große katholische und lateinamerikanische Fest im Jahre 1992 vorbereitet. Die Bischofskonferenzen und der CELAM legen ihre ganzen Fähigkeiten und all ihre Dynamik in dieses Unternehmen, das einen tiefen geistlichen Sinn, aber auch eine große kulturelle und historische Bedeutung hat. Ich möchte euch ganz lebhaft ermutigen, in diesem Bemühen der Verlebendigung und pastoralen Kreativität fortzufahren, damit die bei der feierlichen Eröffnung der Jahresnovene am 12. Oktober 1984 gesteckten Ziele erreicht werden und dieses Gedächtnis zur Jahrhundertfeier eines erneuerten, mit jugendlicher Kraft erfüllten Glaubens werde. Die Herausforderungen der gegenwärtigen Stunde sind ungeheuer groß. Am Schluß dieser 500 Jahre lateinamerikanischen Lebens stehen die Völker des Kontinents vor einem verstärkten und schwierigen Prozeß historischer Bewußtwerdung und in der Suche nach ihrer Zukunft. Die katholische Kirche ist ihrer Sendung treu gewesen und ist an dieser Bewegung mit dem Beitrag ihrer Wegweisungen und mit dem Zeugnis 538 REISEN ihrer eigenen Geschichte sowie mit dem demütigen Zugeständnis ihrer eigenen Begrenztheiten und dem schlichten und aufrichtigen Angebot ihrer Mitarbeit beteiligt. 6. Die Antwort der Kirche auf die Herausforderungen dieser historischen Stunde ist ein entschiedener Einsatz für die Evangelisierung, die Erneuerung und Fortsetzung jener ersten missionarischen Verkündigung der Anfangszeiten sein möge. Das apostolische Ideal der lateinamerikanischen Kirche besteht darin, den Menschen von heute und morgen, die sich den Verführungen einer auf sie zukommenden Kultur gegenüberse-hen und die sich manchmal als eine messianische materialistische Hoffnung ausgibt, das Evangelium zu bringen. Das diesbezügliche treffende Urteil der Konferenz von Puebla de Los Angeles ist vielsagend: „Wenn die Kirche die Religion des lateinamerikanischen Volkes nicht neu interpretiert, so wird ein Vakuum entstehen, in das Sekten, verweltlichter politischer Messianismus und Konsumdenken eindringen, das Überdruß und Gleichgültigkeit oder heidnischen Pansexualismus hervorbringt. Auch hier steht die Kirche vor dem gleichen Problem: Was sie nicht in Christus annimmt, wird nicht erlöst, es wird zu einem neuen Götzen mit der alten Verderbtheit“ (Puebla, 469). Ich möchte mit einem Wort der Ermutigung zur Hingabe und zum Einsatz für die große Familie des CELAM schließen. Und während ich für euch alle den Schutz Mariens, der Mutter der Kirche, erbitte, erhebe ich mein flehentliches Gebet zu Gott dem Allmächtigen, damit er weiterhin den Bischöfen dieses Kontinents mit seiner Gnade beistehe und ihnen „den Mut des Propheten, die evangelische Klugheit des Hirten, den Scharfblick des Lehrers und die Sicherheit eines Führers und Wegweisers, den Starkmut des Zeugen und die Gelassenheit, Geduld und Sanftmut eines Vaters“ gebe (Eröffnungsrede in Puebla, IV, 2). Bevor ich nun dieses unser Treffen beschließe, möchte ich noch einen ganz besonders herzlichen Gruß an all jene richten, die mit den Bischöfen hier im Sitz des CELAM Zusammenarbeiten: an die Priester, an die Ordensfrauen, an die Laienmitarbeiter, an die Angestellten und an das Dienstpersonal. Ihnen allen und den Wohltätern des CELAM, ihren Familienangehörigen und Verwandten erteile ich meinen Apostolischen Segen. 539 REISEN Die christliche Identität soll den Kontinent der Hoffnung prägen Ansprache an die Jugend im „El-Campin“-Stadion von Bogota am 2. Juli „Ihr seid das Salz der Erde ... Ihr seid das Licht der Welt“ {Mt 5,13 f.). 1. Liebe Jugendliche Kolumbiens! Ich grüße euch mit den Worten, die Jesus in der Bergpredigt an die Menge richtete. Auch ihr seid Menge, eine sehr große Menge von Jüngern Christi, an die der Papst mit Liebe und mit großem Vertrauen seinen Friedensgruß richtet. Seid das Salz der Erde! Seid das Licht der Welt! Dieser kolumbianischen Erde; dieser lateinamerikanischen Welt, der ihr angehört. Wenn der Papst diese riesige Menge Jugendlicher vor sich sieht, würde er gern den Blick auf jeden einzelnen von euch heften, an einen jeden ein besonderes Wort richten, denn alle und jeden einzelnen von euch liebt Gott unendlich und erwartet die persönliche und unwiederholbare Antwort, die aus eurem edlen Herzen kommt. Da ihr Jünger Jesu seid und da ihr jung seid, seid ihr die Zukunft der Kirche, eine Verheißung für die ganze Welt. Ihr seid Jünger Jesu, Christen, die durch den lebendigen Glauben, durch die Gnade der Taufe und durch konsequente evangelische Haltung lebendig mit ihm verbunden sind. Niemand kann sich Jünger Jesu nennen, wenn er nicht auf seine Worte hört, wenn er nicht seinen Schritten folgt. Nur auf diese Weise werdet ihr Salz der Erde und Licht der Welt sein. Nur so werdet ihr wahrhaftig Jugendliche sein können, nämlich mit der ewigen Jugend des Evangeliums. Als Jugend, die ihr Leben nach dem Evangelium ausrichtet, seid ihr die Freude und Hoffnung der Kirche und der Welt. In euch bricht die Erneuerung der Gemeinschaft der Gläubigen hervor, und ihr verkörpert die Ablösung derer, die die irdische Stadt erbauen. Der von Kraft und Fröhlichkeit erfüllte Glaube muß in euren Herzen und in euren Werken leben. <51> <51> Ihr seid eine privilegierte Generation. Mit euch endet ein Jahrtausend und beginnt ein anderes Jahrtausend: das dritte christliche Jahrtausend. Auch in euch erreichen die fünfhundert Jahre der Evangelisierung dieser 540 REISEN neuen Welt, also Lateinamerikas, einen Höhepunkt, und von euch, den Jugendlichen dieses Kontinents der Hoffnung, nimmt eine erneute Evangelisierungstätigkeit ihren Ausgang, die die Kirche Jesu Christi auf die Zukunft hin ausrichtet. Es hängt also zu einem guten Teil von euch ab, daß in Kolumbien und auf dem ganzen lateinamerikanischen Kontinent der christliche Glaube, der ihn bisher gekennzeichnet hat, erhalten bleibt und ausstrahlt. Deshalb habe ich hierher kommen wollen, und deshalb spreche ich mit euch im Namen Christi, um euch im Glauben zu stärken und euch als Jünger und Apostel des Evangeliums auszusenden in diese Zukunft, die euch gehört und die auf euch wartet, daß ihr ihre Baumeister und Hauptakteure seid. Ihr wolltet euch auf diese Begegnung mit dem Papst durch Einkehr- und Studientage über das Apostolische Schreiben vorbereiten, das ich anläßlich des Internationalen Jahres der Jugend an die Jugendlichen der Welt gerichtet habe; und auch über die Botschaft zum 18. Weltfriedenstag, deren Thema lautete: „Frieden und Jugend — zusammen unterwegsEs freut mich zu erfahren, daß diese Zusammenkünfte auf Gruppenebene -wie ihr mir in dem Brief mitteilt, den ihr mir Pfingsten übersandt habt -dazu beigetragen haben, größere Einheit unter den kolumbianischen Jugendlichen herzustellen. Ich weiß, daß viele der hier Anwesenden in Situationen aufgewachsen sind, angesichts derer ihr unaufhörlich eure Empörung zum Ausdruck bringt. Ihr seid euch der Probleme eures Vaterlandes bewußt und wollt euch nicht abfinden mit Korruption, Ungerechtigkeit und Gewalt. Ihr wünscht eine radikale Veränderung, weil ihr eine einladendere Gesellschaft haben wollt, in der alle Kolumbianer an den Gütern teilhaben und sie genießen können, die Gott für alle und nicht nur für einige wenige geschaffen hat. Ihr wünscht den Frieden und die Eintracht zwischen allen, um mit weniger Angst und größerer Sicherheit der Zukunft entgegensehen zu können. Ihr werdet Licht inmitten der vielen Schatten sein, wenn ihr euch von Christus erleuchten laßt. „Er, das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt“ (Joh 1,9). Ihr werdet Salz sein inmitten der vielen Schalheiten, wenn ihr euch von der Weisheit des Evangeliums durchdringen laßt. Eure Jugend entwickelt sich in einer Zeit rascher und tiefgreifender Veränderungen, die auf vielen Gebieten einen unbestreitbaren Fortschritt gebracht, jedoch auch Verwirrung und Ungerechtigkeit ausgelöst haben, die zur Ursache schmerzlicher Konflikte wurden, die euer Land quälen. Ihr, liebe Jugendliche, leidet unter diesen Konflikten. Ihr seid die Opfer 541 REISEN dieser gegensätzlichen Prozesse und ihr empfindet jedenfalls oft Bestürzung und Entsetzen angesichts des großen wirtschaftlichen Ungleichgewichts und der großen sozialen Ungerechtigkeit, angesichts der zunehmenden Arbeitslosigkeit und der schmählichen Armut, von der nicht wenige eurer Brüder und Schwestern betroffen sind - auf einem so fruchtbaren Boden wie dem Kolumbiens und in einem Vaterland wie dem euren, das so reich an materiellen und menschlichen Mitteln ist. 3. Ihr selbst bildet einen Teil dieses Reichtums. Mit einer mutigen und verantwortungsbewußten Studenten- und Arbeiterjugend können die Gesellschaft und die Kirche in Kolumbien mit begründetem Vertrauen in eine bessere Zukunft blicken. Doch gleichzeitig mit den großen Hoffnungen, die in euch gesetzt werden, kann man nicht die gewaltigen Versuchungen übersehen, die euch auf eurem Weg auflauern. Da ist einmal die Anziehung, die die mühelose und rasche Bereicherung -auf Wegen, die zum christlichen Gesetz und zur christlichen Moral im Gegensatz stehen - ausüben kann; die Versuchung des „Aussteigens“, das euch in die Selbstzerstörung durch die Droge, in den Alkoholismus, zu Sex und anderen bedauerlichen Untugenden treiben kann. Es gibt Leute, die versuchen, euch durch gewisse Haltungen des Konformismus, der passiven Gleichgültigkeit und des Skeptizismus zu verführen, und so die edelsten menschlichen und christlichen Ideale eurer Jugend auslöschen. Und es fehlt nicht an denen, die als letzte und verzweifelte Lösung die bewaffnete Gewalt des Guerillakampfes verkünden, in dem eine ganze Reihe eurer Gefährten gefallen sind, manchmal gegen ihren eigenen Willen, in anderen Fällen, weil Ideologien, die sich an dem Prinzip der Gewalt als dem einzigen Mittel gegen die sozialen Mißstände inspirieren, ihren Blick getrübt haben. In vielen Fällen führte das zu der Absurdität, daß Brüder gegen Brüder, Jugendliche gegen Jugendliche kämpfen, getrieben von blinder Gewalt, die weder das Gesetz Gottes noch die elementaren Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens respektiert. Diese und andere Versuchungen lauern auf euch. Als Christen könnt und müßt ihr die Prüfung bestehen. Ihr müßt wissen, daß ihr Salz dieser Erde seid, das seinen Geschmack nicht verlieren darf (vgl. Mt 5,13). Ihr seid Licht, das leuchten muß, und eine Stadt auf dem Berge (vgl. Mt 5,14). Die Erneuerung, die ihr wünscht, muß in eurem Herzen und in eurem Leben beginnen durch eine ehrliche Bekehrung zu Christus und zu seinem Evangelium. Die Antwort des Christen auf jede Herausforderung der 542 REISEN Welt, seine Kraft angesichts der Versuchung gründet sich auf Christus und auf das Beispiel, das er uns gegeben hat. In der Wüste, dem Versucher gegenübergestellt, kämpft er und siegt. Mit Christus zusammen könnt ihr kämpfen und siegen. 4. Christus weist das Angebot zurück, als Gegenleistung für den Götzendienst Macht und Ruhm zu gewinnen. Er antwortet dem Versucher mit einem Satz aus der Schrift, der noch heute seine ganze Bedeutung bewahrt: „Den Herrn, deinen Gott, sollst du verehren und ihm allein dienen“ (Lk 4,8). Auch ihr, junge Leute, seid aufgerufen, inmitten der vielen Angebote des Götzendienstes an eurem Glauben an einen einzigen Gott festzuhalten. Liefert euch nicht den modernen Götzen aus! Gebt nicht das Kostbarste eurer Existenz auf, nämlich eure christliche Identität! Steht fest in eurer Entscheidung für Gott den Herrn, den einzigen, dem Anbetung gebührt, den einzigen Gebieter über Leben und Tod, der unserer irdischen Pilgerschaft und unserem menschlichen Tun den vollen Sinn gibt! Niemand ist der Anbetung würdig außer Gott, niemand ist absolut außer ihm! Weder Reichtum noch Vergnügungen, noch Wissenschaft, noch Technik, weder Berühmtheit noch Prestige, noch politische Utopien dürfen zum höchsten Wert werden. Allein Gott vermag den Durst eurer Herzen zu stillen: „Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen“ (Mt 4,10). Jesus wies die Versuchung zurück, um sich ganz dem Dienst des Vaters zu widmen. Mit seinem Sieg leitete er unseren Sieg ein. Sagt mit ihm und wie er „ja“ zu Gott, zu seinem Reich, zu seiner Liebe! Ohne den Glauben an Gott, unseren Vater, würdet ihr in den Materialismus verfallen, eine heimtückische Ideologie dieser Welt, von der alle Entfremdungen und Entgleisungen herrühren, die das Leben zu einer Absurdität machen, und die in die Enttäuschung oder in die Gewalt einmünden. 5. Die Kenntnis von Gott erhalten wir durch Christus, sein ewiges Wort, wahrer Gott und wahrer Mensch. Er ist das wahre Licht, die Wahrheit und das Leben. Er ist für euch, meine Heben Jugendhchen, die wahre und erschöpfende Antwort auf die tiefsten Fragen der Existenz und der Geschichte des Menschen. Die persönliche Begegnung mit Christus drückt unserem Sein zutiefst ihr Siegel auf. Christus gibt unserem Menschsein Sinn und öffnet es für die Fülle des göttlichen Lebens der Kinder Gottes. Er ist die Hoffnung der Völker, da seine Lehre die einzige ist, die die Herzen und die Strukturen 543 REISEN zu verwandeln vermag; die einzige, die imstande ist, die Unterdrückten zu befreien und eine echte Revolution der Liebe auf Weltebene zu entfesseln, wenn man nur seinen Schritten folgt, sein Leben nachahmt und seine Worte in die Tat umsetzt. Haltet den Glauben und die Hoffnung an Jesus von Nazaret lebendig, der gestorben und auf erstanden ist und „nachdem er durch die rechte Hand Gottes erhöht worden war und vom Vater den verheißenen Heiligen Geist empfangen hatte“ (Apg 2,33), ihn in unsere Herzen ausgießt, damit wir mit ihm und in ihm leben; damit wir, wie er, in völliger Hingabe an den Plan des Vaters zum Wohle aller Menschen leben. 6. Wer an Christus glaubt, bekennt seine Gegenwart in der Kirche, die sein Leib ist. Man kann die Kirche nicht von Christus trennen; man kann Jesus nicht von seiner Kirche trennen. Die christliche Identität, wurzelnd in der Taufe, die euch dem Glauben der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche einverleibt hat, läßt euch spüren, daß ihr, Glieder desselben Leibes, Söhne derselben Mutter, der heiligen Mutter Kirche, seid. Seid der Kirche, eurer Mutter, gegenüber nicht gleichgültig. Erkennt in ihr Christus, denn sie ist es, die ihn gegenwärtig macht, die ihn euch in seinem Wort, in den Sakramenten, in der Eucharistie darbietet. Sie hilft euch, euch als Glieder einer Familie zu fühlen, die zugleich auf dieser Erde und schon in der Herrlichkeit lebt. Es ist wahr, die Kirche ist während ihrer Pilgerschaft auf Erden der Schwäche der Sünde ihrer eigenen Söhne und Töchter ausgesetzt. Doch was tragt ihr selber dazu bei, damit das Licht Christi auf dem Antlitz seiner Kirche stärker erstrahle? Fühlt euch voll verantwortlich für das Leben und die Sendung der Kirche; seid diese neue Präsenz, die ihr selber wünscht. Seid Heilige durch ihre Heiligkeit, damit sie durch eure Umkehr und euer Zeugnis heilig ist. Seid kritisch, jedoch mit dieser Liebe und dieser Konsequenz, die den Kindern eigen ist, die die Mutter wirklich lieben. 7. Eure christliche Identität soll gut sichtbar sein durch die Präsenz, den Dienst, die Gemeinschaft, die Zusammenarbeit innerhalb eurer Kirchengemeinden, in den Pfarreien, auf der Straße, in den apostolischen Gruppen und Bewegungen, damit durch euch auch die Gegenwart Christi inmitten der Jugendlichen sichtbar ist. Seid Evangelisatoren Christi unter euren Gefährten beim Studium, bei der Arbeit und beim Sport. Unter der Führung eurer Bischöfe seid ihr auch für die Sendung verant- 544 REISEN wörtlich, die Jesus selber seiner Kirche anvertraut hat und die zum eigentlichen Wesen jedes Getauften gehört. Die Sendung der Kirche ist zugleich Sendung der Gerechtigkeit, Verpflichtung gegenüber dem Menschen, Auftrag zur Verteidigung seiner Rechte und seiner Würde, da der Mensch Ebenbild Gottes ist. Der Sendungsauftrag der Kirche zur Evangelisierung gilt dem Leben der Menschen in allen seinen Dimensionen, da ja „die Liebe, die die Kirche antreibt, allen Menschen die gnadenhafte Teilhabe am göttlichen Leben zu vermitteln, sie aber auch durch das wirksame Handeln ihrer Glieder das wahre zeitliche Wohl der Menschen verfolgen, ihren Nöten zu Hilfe kommen, für ihre Kultur sorgen und eine ganzheitliche Befreiung von all dem fördern läßt, was die Entwicklung der menschlichen Person behindert“ (Instruktion über die christliche Freiheit und Befreiung, Nr. 63). 8. Für die Erfüllung dieser Aufgabe, die dem Gebot der Liebe und der Botschaft der Seligpreisungen entspricht, braucht die Kirche euch, liebe Jugendliche Kolumbiens. Die Frucht der Gerechtigkeit ist der Friede. Das Geschenk des auferstandenen Jesus Christus ist der Friede: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“ {Joh 14,27). Er macht euch zu Anspruchsberechtigten der Seligpreisung, die der Herr denen zuspricht, die sich für den Frieden einsetzen (vgl. Mt 5,9). Laßt euch nicht von der Versuchung zur Gewalt verführen, die immer noch weitere, schrecklichere Gewalt nach sich zieht und niemals die Ergebnisse erzielt, die ihre Drahtzieher in Aussicht stellen. Mögen der Friede und die Jugend immer zusammen gehen, mögen die Jugendlichen Kolumbiens überzeugte Baumeister eines neuen Zeitalters des sozialen Friedens in der Gerechtigkeit, in der Gleichheit, in der Liebe sein, die alle Gewalt besiegt und alles nach dem Plan Gottes wiederherstellt. Ich sage euch, junge Arbeiter, Bauern, Studenten: seid Friedensstifter! Das rufe ich von hier aus auch euch zu, Jugendliche, die ihr vielleicht den Weg des Guerrillakampfes eingeschlagen habt oder Sympathie dafür empfindet: Verlaßt die Wege des Hasses und des Todes und kehrt euch der Sache der Versöhnung und des Friedens zu! Darum bitte ich euch, die ihr Arbeit sucht und keine findet, euch, die ihr auf Grund eines geheimnisvollen Planes der Vorsehung im Schmerz der Krankheit lebt, euch, die ihr euch im Gefängnis befindet oder euch an den Rand gedrängt fühlt: arbeitet auch ihr mit eurer Kraft, mit eurem Leiden, mit eurem Gebet.für den Frieden! 545 REISEN 9. Im Namen Jesu Christi, des Friedensfürsten, ermutige ich euch zu einem großen Kreuzzug der brüderlichen Versöhnung, des auf bauenden Dialogs, der sozialen Zusammenarbeit, damit die Verständigung zwischen allen die Oberhand gewinnt und eine Gerechtigkeit, ein Fortschritt begründet wird, der der Kinder Gottes würdig ist. Seid Baumeister des Friedens und ihr werdet wirkliche Kinder Gottes sein! Meine lieben Jugendlichen, ehe ich diese Begegnung abschließe, möchte ich im Namen des Herrn einen Appell an euch richten, euch zu einem Treuebündnis gegenüber dem Evangelium zu verpflichten, das gleichsam Echo und Beweis der Zugehörigkeit zu Jesus Christus sein soll, die ihr in der Taufe erhalten habt. Er hat euch Salz der Erde genannt. Er wollte euch dadurch ermutigen, ihm mit den Werken eines neuen Lebens eine Antwort zu geben. Wollt ihr in allen Bereichen Zeugen Jesu Christi sein? In eurer Familie, an euren Studien- und Arbeitsplätzen? Wollt ihr Jesus und seiner Lehre treu sein in eurem persönlichen Leben, in der Achtung eures Körpers, in den freundschaftlichen Beziehungen, in eurer Verlobungszeit? Wollt ihr Zeugen Christi sein, indem ihr das menschliche Leben achtet, das immer heilig ist, und die Rechte jeder Person verteidigt, die lebendiges Abbild Christi ist? Wollt ihr Christi Zeugen sein bei euren Arbeiten und in eurer Freizeit, in der Solidarität der Arbeit und beim Sport? 10. Die Gnade dieser Begegnung, liebe junge Freunde, ist die Gegenwart Jesu hier und jetzt, mitten unter uns, weil wir in seinem Namen hier versammelt sind (vgl. Mt 18,20). Er blickt euch in die Augen, er mahnt euch zur Großherzigkeit, er erwartet eine Antwort, die ihr nicht auf morgen verschieben dürft. Er blickt euch vielleicht mit dieser intensiven, persönlichen Liebe an, mit der er den jungen Mann im Evangelium anblickte, und fordert euch auf, euer Leben zu ändern: „Komm und folge mir nach!“ (Mk 10,21). Es ist der Mühe wert, Christus zu folgen. Er ist der einzige, der uns nicht betrügt. An jeden von euch richtet Jesus ein Wort, über das ihr im Herzen nachdenken sollt, um es in die Tat umzusetzen. Er ruft euch und sendet euch aus. Antwortet ihm mit Begeisterung und Entschlossenheit! Nehmt ihr die Sendung an, die er euch anvertraut? Werdet ihr seine Zeugen und Verbreiter seines Wortes unter den anderen Jugendlichen sein? Verpflichtet ihr euch dazu, vom Evangelium her eine gerechtere und 546 REISEN brüderlichere Gesellschaft aufzubauen? Werdet ihr euren ganzen Eifer auf den Aufbau der neuen Zivilisation der Liebe legen? Bei dieser Verpflichtung der Treue zu Christus begleite euch Maria, unsere Mutter, die vom ganzen kolumbianischen Volk so sehr geliebt wird. Sie, die jugendliche Jungfrau aus Nazaret, hat großherzig geantwortet und dadurch, daß sie Christus, die gesegnete Frucht ihres Leibes, aufnahm und hingab, die Geschichte des Menschen in eine Geschichte des Heils verwandelt! Der Papst segnet euch, damit in euch die Botschaft des Evangeliums Wirklichkeit werde: „Ihr seid das Salz der Erde... Ihr seid das Licht der Welt. . . Euer Licht soll vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen!“ (Mt 5,13 f. 16). Amen. Volksfrömmigkeit darf von niemandem instrumentalisiert werden Predigt bei der heiligen Messe mit den Campesinos im Park „Juan Pablo II“ von Chiquinquirä am 3. Juli 1. Selig, die du geglaubt hast! (vgl. Lk 1,45). Als Pilger zu deinem Heiligtum von Chiquinquirä knie ich mich vor dir, o Mutter Jesu, nieder und spreche die Worte, mit denen dich Elisabet, die Frau des Zacharias, an der Schwelle ihres Hauses begrüßt hat. Selig, die du geglaubt hast! Selig bist du, weil du unter dem Antrieb deines Glaubens als Antwort auf die Verkündigung des Engels in deinem Schoß das Wort des lebendigen Gottes aufgenommen hast. Selig bist du, weil du jenes glückliche „fiat“ („mir geschehe, wie du gesagt hast“) gesprochen hast, das dich auf Grund unsagbarer Tugend von der Magd des Herrn in die Mutter des ewigen Wortes verwandelt hat: Gott von Gott, Licht von Licht, Mensch geworden in deinem jungfräulichen Schoß. Das Wort ist Mensch geworden! (vgl. Joh 1,14). Selig bist du, weil dank deiner Hochachtung vor dem Wort Gottes jetzt in der Fülle der Zeiten das Ereignis eingetreten ist, das von den Propheten für das Leben und für die Geschichte der Menschheit so oft vorhergesagt war: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht“ (Jes 9,1): 547 REISEN deinen Sohn Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes, den Erlöser des Menschen, den Erlöser der Welt. 2. Selig, die du geglaubt hast! In wie vielen Orten der Erde wiederholen die aus dem Neuen Bund geborenen Kinder des Volkes Gottes mit inniger Liebe zu dir die Worte dieser Seligpreisung: „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“ (Lk l,42f.). Einer dieser Orte, die du besucht hast wie das Haus Elisabets, ist hier: das Marienheiligtum des Volkes Gottes in Kolumbien. Hier in Chiquinquirä wolltest du, o Mutter, für immer deine Wohnstatt aufschlagen. Vier Jahrhunderte lang hat deine wachsame und starke Gegenwart ununterbrochen die Boten des Evangeliums in diesen Landen begleitet, um in ihnen mit dem Licht und der Gnade deines Sohnes den unendlichen Reichtum des christlichen Lebens erblühen zu lassen. Mit Recht können wir heute in Erinnerung an die Worte meines verehrten Vorgängers Papst Pius XII. wiederholen, daß „Kolumbien der mariani-sche Garten ist, in dessen Heiligtümern Unsere Liebe Frau von Chiquinquirä herrscht wie die Sonne unter den Sternen“. Liebe Brüder und Schwestern: Anläßlich des 400jährigen Jubiläums der Erneuerung dieses verehrten Gnadenbildes komme ich auf dieser Pilgerreise des Glaubens und der Liebe voll Freude zu euch. Ich bin an diesen Ort gekommen, um mich zu Füßen der Jungfrau niederzuknien, beseelt von dem Wunsch, euch im Glauben zu stärken, das heißt in der Wahrheit von Jesus Christus, zu der die Wahrheit von Maria und die wahre Verehrung für sie gehört. Ich will auch mit euch vor ihr, die ihr Königin des Friedens nennt und mit kindlicher Liebe als Königin Kolumbiens anruft, für den Frieden und für das Wohl dieser geliebten Nation beten. <52> <52> Bei meiner Wallfahrt zu diesem Heiligtum will ich in meinen Gruß des Glaubens und der Liebe an die Jungfrau euch alle einschließen, die ihr persönlich zugegen seid oder im Geiste diese Augenblicke der Gnade erlebt: zuerst meine Brüder im Bischofsamt, insbesondere die Bischöfe der Kirchenprovinz Tunja: die Bischöfe von Chiquinquirä, Duitama und Garagoa. Ebenso die Vertreter der Behörden, die Priester und Seminaristen, die Ordensmänner und Ordensfrauen, das ganze Volk Gottes, das in diesem Marienheiligtum wie in seinem eigenen Haus zusammenkommt, weil es das Haus der gemeinsamen Mutter ist. In glühender Liebe zu Maria strecke ich meine Hände aus, um in einzigartiger Weise mit derselben Umarmung euch in die Arme zu schließen, CampesinoS, die ihr 548 REISEN unter Anstrengung und Schweiß diesen Boden bebaut und und damit am Geheimnis Gottes, des vorsehenden Schöpfers, teilhabt: Gottes, der den Segen spendet, damit das Land seinen Ertrag gibt (vgl. Ps 85,13). Dieses Heiligtum, liebe Freunde, Campesinos von Boyacä, ist eurer Heiligtum. Auch euch hat die Jungfrau Maria besuchen wollen; mehr noch, sie wollte bei euch und beim ganzen kolumbianischen Volk bleiben, als liebevolle Mutter dazu entschlossen, unermüdlich Leiden und Freuden, Schwierigkeiten und Hoffnungen mit euch zu teilen. Wie oft hat sie, wenn sie vor diesem Gnadenbild in dringender Notlage angerufen wurde, ihr Heiligtum verlassen, um ihren Kindern in schweren Unglücksfällen und Leiden beizustehen, wobei sie sich von derselben drängenden Liebe leiten ließ, mit der sie Elisabet besucht hat! Und so steigt seit Generationen von diesem Heiligtum, das vom Dominikanerorden so vorzüglich betreut wird, Tag für Tag ihre Stimme als getreues Echo eurer Stimme zum Himmel empor: „Meine Seele preist die Größe des Herrn . . . Denn der Mächtige hat Großes an mir getan“ (Lk 1,46.49). 4. „Ich preise dich, Vater, . . . weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast“ {Mt 11,25). Diese Worte Jesu kommen heute von selbst aus meinem Herzen, wenn ich die Überlieferung von der Restauration des Gnadenbildes von Chiquinquirä höre, das ihr in starker und schlichter Frömmigkeit durch eure Geschichte hindurch bewahrt habt. Euer geliebtes und im Jahr 1919 gekröntes Gnadenbild ist zur Patronin Kolumbiens ausgerufen worden; das kolumbianische Volk wollte sich Maria weihen, um die Bande hebender Zuneigung zu festigen, die es mit der Muttergottes verbinden. 5. Die Marienfrömmigkeit, ein Wesensmerkmal der ganzen Geschichte Kolumbiens, gehört nun zu eurer Volksseele, ist ein kostbarer Schatz eurer Kultur. Die Liebe zur Jungfrau Maria ist gleichzeitig Garantie der Einheit und des katholischen Glaubens: „Das Volk weiß, daß es Maria in der katholischen Kirche begegnet“ {Puebla Dokument, Nr. 283). Ja, sie führt uns zu Jesus. Sie zeigt ihn uns als Lehrer und Erlöser; sie lädt uns ein, über seine Geheimnisse nachzudenken und sie in unserer eigenen Erfahrung zu leben. Indem sie uns den Rosenkranz zeigt, verkündet sie uns Christus, enthüllt uns die Geheimnisse seines Menschseins, die Gnade der Erlösung, den Sieg über den Tod und seine glorreiche Auferstehung, das Geheimnis der Kirche, die zu Pfingsten ihren Anfang nimmt, die Hoffnung auf das ewige 549 REISEN Leben und auf die künftige Auferstehung im Geheimnis ihrer glorreichen Aufnahme in den Himmel, mit Leib und Seele. Welch unerschöpfliche Quelle der Inspiration für die christliche Frömmigkeit ist im Heiligen Rosenkranz enthalten! Hört nicht auf, liebe Brüder, euer geistliches Leben durch das Beten dieses Mariengebets besonders zu nähren. Maria ist und bleibt die Mutter des Herrn, die durch die Welt geht und das Heil ausstrahlt, den, der der Emmanuel ist, der Gott mit uns, der nahe Gott, der gekommen ist, um unter den Menschen zu wohnen (vgl. Joh 1,14). 6. Deshalb ist Maria der „Stern der Evangelisierung“; die mit ihrer mütterlichen Güte allen — und besonders den Demütigen - die erhabensten Geheimnisse unserer Religion näherbringt. Das wißt ihr natürlich, meine lieben Campesinos, für die Maria gleichsam die Synthese des ganzen Evangeliums ist, die eurer Leben erleuchtet, der Freude und dem Schmerz Sinn verleiht, euch Hoffnung einflößt und euch bei euren Schwierigkeiten ermutigt, indem sie euch Christus, den Retter, zeigt. Ihr fühlt euch ihr nahe, weil sie Mutter ist, jedoch auch weil sie „unter den Demütigen und Armen des Herrn hervorragt, die das Heil mit Vertrauen von ihm erhoffen und empfangen“ {LG 55). Doch außerdem wißt ihr intuitiv, daß sich auf sie auch die Hoffnungen der Armen richten, denn der Lobgesang der Jungfrau ist die prophetische Verkündigung des Geheimnisses der ganzheitlichen Rettung des Menschen. „Sie zeigt uns, daß das Volk Gottes durch Glauben und im Glauben gemäß ihrem Beispiel befähigt wird, das Geheimnis des Heilsplans in Worten auszudrücken und in seinem Leben umzusetzen wie auch seine befreienden Dimensionen auf der Ebene der individuellen und der sozialen Existenz“ {Libertatis conscientia, 97). „Der Herr stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“ (vgl. Lk 1,52). 7. Indem ihr euch von diesem schlichten Glauben und von dieser grenzenlosen Hoffnung führen laßt, besucht ihr, meine geliebten Brüder und Schwestern, voll kindlicher Liebe häufig das Heiligtum eurer Mutter. Und heute seid ihr mit mir, dem Bischof von Rom und Nachfolger des hl. Petrus, zu dieser gemeinsamen Jubiläumswallfahrt hier versammelt. Ja. Wir sind hier. Und gemeinsam rufen wir Maria zu: „Selig, die du geglaubt hast!“ Dein Glaube ist unablässig der Führer unseres Glaubens. Der Heilige 550 REISEN Geist bedient sich deiner, o Magd des Herrn, um über uns die Gnade auszugießen, mit der du bei der Verkündigung durch den Engel erfüllt wurdest. Wir haben teil an deinem Glauben, Maria. Am Horizont unseres Lebens - eines manchmal schwierigen Lebens voller Dunkelheit und Ungewißheit - erscheint ein helles Licht: Jesus Christus, dein Sohn, dem du uns mit mütterlicher Liebe anvertraust. In der ersten Lesung dieses Gottesdienstes sagt uns der Prophet Jesaja über den Messias: „Man nennt ihn Wunderbarer Ratgeber, starker Gott, Vater in Ewigkeit und Friedensfürst“ (Jes 9,5). 8. „Friedensfürst... Seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende... Er festigt und stützt sein Reich durch Recht und Gerechtigkeit“ (Jes 9,5 f.). Wie inständig wünschen wir, daß diese Heilsmacht Christi auch die Probleme unserer Welt durchdringe, daß sie das Tun der Menschen, die Gewissen und die Herzen, das gesamte sittliche Leben der Menschen, der Familien, der Umwelt, der ganzen Gesellschaft durchdringe. Wie inständig sehnen wir uns danach, daß „Recht und Gerechtigkeit“, deren Überbringer Christus ist, zum Eckstein, zum festen Grundsatz werden, um die Streitigkeiten und Probleme, die heute die Völker, die Gruppen, die einzelnen gegeneinander aufbringen, in Frieden und Eintracht aufzugreifen und zu lösen. „Es begegnen einander Huld und Treue, Gerechtigkeit und Frieden küssen sich“ (Ps 85,11). Die Herrschaft Christi, der das fiat Mariens den Weg eröffnet hat, ist die Verwirklichung des Heilsplans des Vaters in Gerechtigkeit und Frieden; der Friede entsteht aus der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit, die in Gott ihr festes und oberstes Prinzip hat. In Gott dem Schöpfer, der dem Menschen die Beherrschung der Erde aufgetragen und das Gebot der Achtung seiner Brüder anvertraut hat, damit ihre Anstrengungen richtig bewertet und ihre Arbeiten entlohnt werden. Unter diesem Aspekt muß dem Bauernstand besondere Aufmerksamkeit erwiesen werden. Mit ihrer Arbeit bieten die Bauern heute wie gestern der Gesellschaft etliche Güter an, die für ihren Lebensunterhalt notwendig sind. Auf Grund ihrer Würde als Personen und durch die Arbeit, die sie leisten, verdienen sie, daß ihre legitimen Rechte geschützt und die gesetzlichen Formen des Erwerbs eines eigenen Stück Bodens garantiert werden, indem man die objektiv ungerechten Situationen überprüft und behebt, denen viele dieser Menschen nicht selten ausgesetzt sind; das gilt 551 REISEN vor allem für die Landarbeiter, die „gezwungen sind, die Felder anderer zu bebauen, und dabei von den Großgrundbesitzern ausgenützt werden, ohne jede Hoffnung, einmal auch nur ein kleines Stück Erde ihr eigen nennen zu können“ (Laborem exercens, 21). 9. Liebe Campesinos, seid durch euren Glauben an Gott und durch eure Redlichkeit, durch eine Arbeit und gestützt auf geeignete Formen der Vereinigung zur Verteidigung eurer Rechte unermüdliche Baumeister einer ganzheitlichen Entwicklung, die das Siegel eurer eigenen Menschlichkeit und eurer christlichen Lebensauffassung trägt. Die Verehrung der Jungfrau Maria, die in eurer ursprünglichen Religiosität so fest verwurzelt, so volkstümlich ist, kann und darf von niemandem instrumentalisiert werden; weder als Bremse für die Forderungen nach Gerechtigkeit und Wohlstand, die zur Würde der Kinder Gottes gehören; noch als Rückgriff auf ein rein menschliches Befreiungsverständnis, das sich schon sehr bald als illusorisch erweisen würde. Der Glaube, den die Armen in Christus setzen und die Hoffnung auf sein Reich haben als Vorbild und Beschützerin die Jungfrau Maria. Maria öffnet durch die Annahme des Willens des Vaters den Weg des Heils und macht es möglich, daß durch die Präsenz des Reiches Gottes sein Wille auf Erden wie im Himmel geschieht. Wenn Maria Gottes Treue für alle Generationen verkündet, versichert sie den Sieg der Armen und Demütigen; dieser Sieg, der sich bereits in ihrem Leben widerspiegelt und um dessentwillen sie alle Generationen selig nennen (vgl. Lk 1,48). 10. Wir sagen dir Dank, heilige Muttergottes, für deinen Besuch. Heute danken wir dir für den Besuch, den du seit vierhundert Jahren dieser kolumbianischen Erde in deinem Heiligtum von Chiquinquirä abstattest. Mit dir, Maria, singen wir anläßlich dieses Jubiläums das Magnificat: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter“ (Lk 1,46 f.). Wir danken dir für alle die Generationen, die zu diesem Heiligtum gekommen sind und die Stärkung ihres Glaubens erlebt haben, als sie in ihm die Versöhnung mit Gott und die Vergebung der Sünden fanden. Dir, Jungfrau Maria, vertrauen wir die Wünsche nach Erneuerung unseres Menschseins an, weil du die neue Frau, das Abbild der neuen Schöpfung und der neuen Menschheit bist. Anläßlich der Feier des 400jährigen Jubiläums der wunderbaren Erneuerung des Gnadenbildes der Jungfrau von Chiquinquirä lädt die Mutter Jesu und Mutter der Kirche uns, liebe Brüder, zu einer tiefen geistlichen 552 REISEN Erneuerung ein, zum Bemühen, mit ganzer Intensität die Verpflichtungen der Treue zur empfangenen Taufe zu leben, jetzt, da es bald fünf Jahrhunderte sind, daß diese Nation mit Recht darauf stolz ist, sich katholisch zu nennen. Es ist - um mit dem hl. Apostel Paulus zu sprechen — eine Einladung, euren Geist und Sinn zu erneuern und den neuen Menschen anzuziehen, der als Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit (vgl. Eph 4,23 f.). In der Gerechtigkeit Gottes, der durch seine Vergebung die Herzen erneuert, damit von einem neuen Herzen die neuen Werke der Kinder des Lichts ausstrahlen; in der Heiligkeit, die die kirchliche Gemeinschaft kennzeichnen muß und die umgesetzt wird in ein sittliches Leben und die Verpflichtung zum Dienst an den Brüdern in voller Übereinstimmung mit dem Willen des Herrn; eine Erneuerung in der Wahrheit des Gewissens, in der Aufrichtigkeit der sozialen Beziehungen in der evangelischen Transparenz der Weise zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Die Jungfrau Maria fordert heute alle ihre Kinder in Kolumbien so wie einst in Kana in Galiläa auf, ihren Sohn zu hören: „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5). Im Evangelium Jesu ist das Programm einer persönlichen, gemeinschaftlichen und sozialen Erneuerung enthalten, das die Gerechtigkeit und den Frieden unter allen Brüdern dieser edlen Nation sicherstellt. 11. Erneuert euch in der Wahrheit Christi! Erneuert euch im Geist Christi! Damit ihr das Abbild der neuen Menschheit widerspiegelt, das euch Maria verheißt, wenn sie euch Christus, den neuen Menschen, den Retter und Erlöser des Menschen, den Friedensfürst anbietet! So wird der Lobgesang Mariens auch euer Dankeshymnus dafür sein, weil der Allmächtige wunderbare Dinge in der Kirche Kolumbiens, in eurer ganzen Heimat vollbracht hat, während er sie auf eine neue Verpflichtung zur Evangelisierung und zum missionarischen Zeugnis in Lateinamerika und in der ganzen Welt hinwies. Vereint mit dir, Maria, preist unsere Seele den Herrn, der Großes an dir und auch an uns getan hat durch deine Vermittlung, durch deine Fürsprache bei deinem Sohn, durch deinen mütterlichen Schutz. Wir preisen Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist: „Sein Heil ist seinen Gläubigen schon nahe, und seine Herrlichkeit wohnt bereits in unserem Land“ (Ps 85,10). 553 REISEN „ Wir bitten dich für die Kirche in Kolumbien“ Weihegebet an U. Lb. Frau vom Rosenkranz in Chiquinquirä am 3. Juli Gegrüßet seist du, Maria! 1. Wir grüßen dich mit dem Engel: Begnadete. Der Herr ist mit dir (vgl. Lk 1,28). Wir grüßen dich mit Elisabet: Gesegnet bist du mehr als die anderen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes! Selig bist du, weil du den Verheißungen Gottes geglaubt hast! (vgl. Lk I, 42.45). Wir grüßen dich mit den Worten des Evangeliums: Selig bist du, weil du das Wort Gottes gehört und es befolgt hast (vgl. Lk II, 28). 2. Du bist voller Gnade! Wir preisen dich, auserwählte Tochter des Vaters. Wir loben dich, Mutter des göttlichen Wortes. Wir verehren dich, Tempel des Heiligen Geistes. Wir rufen dich an, Mutter und Vorbild der ganzen Kirche. Wir blicken auf dich, das Bild, in dem sich die Hoffnungen der ganzen Menschheit erfüllt haben. <53> <53> Der Herr ist mit dir! Du bist die Jungfrau der Verkündigung, das Ja der ganzen Menschheit zum Geheimnis des Heiles. Du bist die Tochter Zions und die Bundeslade des Neuen Bundes im Geheimnis der Heimsuchung. Du bist die Mutter des in Betlehem geborenen Jesus, die ihn den einfachen Hirten und den Weisen aus dem Orient gezeigt hat. Du bist die Mutter, die ihren Sohn im Tempel darstellt, ihn nach Ägypten begleitet, ihn nach Nazaret bringt. Jungfrau der Erdenwege Jesu, des verborgenen Lebens und des Wunders von Kana. Schmerzensmutter von Golgota und freudeerfüllte Jungfrau der Auferstehung. Du bist die Mutter der Jünger Jesu in der Hoffnung und Freude von Pfingsten. 554 REISEN 4. Gesegnet, weil du an das Wort des Herrn geglaubt hast, weil du auf seine Verheißungen gehofft hast, weil du vollkommen in der Liebe gewesen bist. Gesegnet wegen deiner zuvorkommenden Liebe zu Elisabet, wegen deiner mütterlichen Güte in Betlehem, wegen deiner Standhaftigkeit in der Verfolgung, wegen deiner Ausdauer bei der Suche nach Jesus im Tempel, wegen deines bescheidenen Lebens in Nazaret, wegen deiner Vermittlung in Kana, wegen deiner mütterlichen Anwesenheit unter dem Kreuz, wegen deiner Treue in der Hoffnung auf die Auferstehung, wegen deines eifrigen Gebets am Pfingsttag. Gesegnet bist du wegen deiner ruhmreichen Aufnahme in den Himmel, wegen deiner mütterüchen Beschirmung der Kirche, wegen deiner ständigen Fürsprache für die ganze Menschheit. 5. Heilige Maria, Muttergottes! Wir wollen uns dir weihen. Da du Gottes Mutter und unsere Mutter bist. Da dein Sohn Jesus uns alle dir anvertraut hat. Da du Mutter der Kirche Kolumbiens sein wolltest und hier in Chiquin-quirä dein Heiligtum errichtet hast. Wir weihen dir alle, die gekommen sind, um dich bei dieser feierlichen Messe zum vierhundertjährigen Jubiläum der Restauration deines Gnadenbildes zu besuchen. Ich weihe dir die ganze Kirche Kolumbiens, mit ihren Hirten und ihren Gläubigen: Die Bischöfe, die in der Nachfolge des Guten Hirten über das Volk wachen, das ihnen anvertraut worden ist. Die Priester, die vom Geist gesalbt worden sind. Die Ordensmänner und Ordensfrauen, die ihr Leben aufopfern für das Reich Christi. Die Seminaristen, die den Ruf des Herrn empfangen haben. Die christlichen Eheleute in der Einheit und Unauflöslichkeit ihrer Liebe samt ihren Familien. Die im Apostolat engagierten Laien. Die Jugendlichen, die eine neue Gesellschaft herbeisehnen. Die Kinder, die eine friedlichere und menschlichere Welt verdienen. Die Kranken, die Armen, die Gefangenen, die Verfolgten, die Waisen, die Verzweifelten, die Sterbenden. 555 REISEN Ich weihe dir die ganze Nation Kolumbiens, deren Patronin und Königin du, Jungfrau von Chiquinquirä, bist. Möge in ihren Institutionen das Evangelium und seine Werte aufscheinen. 6. Bitte für uns Sünder! Mutter der Kirche, unter deinen Schutz flüchten wir und deiner Eingebung vertrauen wir uns an. Wir bitten dich für die Kirche von Kolumbien, daß sie getreu sei in der Reinheit des Glaubens, in der Festigkeit der Hoffnung, im Feuer der Liebe, in der apostolischen und missionarischen Bereitschaft, in der Verpflichtung zur Förderung von Gerechtigkeit und Frieden unter den Söhnen und Töchtern dieses gesegneten Landes. Wir bitten dich inständig, daß die ganze Kirche Lateinamerikas immer in vollkommener Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe bleibe, durch enge Bande des Gehorsams und der Liebe mit dem Stuhl Petri verbunden. Wir vertrauen dir die Fruchtbarkeit der neuen Evangelisierung an, die Treue bei der bevorzugten Liebe für die Armen und die christliche Formung der Jugend, die Vermehrung der Priester- und Ordensberufe, die Hochherzigkeit derer, die sich der Mission widmen, die Einheit und Heiligkeit aller Familien. 7. „Jetzt und in der Stunde unseres Todes.“ Jungfrau des Rosenkranzes, Königin Kolumbiens, unsere Mutter! Bitte jetzt für uns. Gewähre uns das unschätzbare Geschenk des Friedens, die Überwindung aller Formen des Hasses und der Rache, die Versöhnung aller Brüder. Daß die Gewalt und der Guerillakrieg aufhören. Daß der Dialog Fortschritte mache und sich festige und ein friedliches Zusammenleben beginne. Daß sich neue Wege der Gerechtigkeit und des Wohlergehens auftun. Darum bitten wir dich, die wir als Königin des Friedens anrufen. Jetzt und in der Stunde unseres Todes! Wir vertrauen dir alle Opfer der Ungerechtigkeit und der Gewalt an, alle, die bei Naturkatastrophen den Tod gefunden haben, alle, die sich in der Todesstunde an dich als Mutter und Patronin wenden. Sei für uns alle Pforte zum Himmel, Leben, Milde und Hoffnung, damit wir zusammen mit dir den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist preisen können. Amen! 556 REISEN Arbeit — fundamentale Dimension der Person Predigt beim Wortgottesdienst mit den Bewohnern der „Barrios“ in Bogota am 3. Juli Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Ich bin glücklich, daß ich mitten unter euch sein kann, ihr Männer und Frauen von Bogota, die ihr in dieser volkreichen Metropole arbeitet. Ihr pulsierendes Leben und städtisches Wachstum hängt zu einem guten Teil von eurer fleißigen und beharrlichen Arbeit ab. An diesem Tage möchte ich mit meinem Wort alle arbeitenden Menschen in Kolumbien erreichen in den unterschiedlichen Berufen und Beschäftigungen, alle, die sich mühen, an einer menschlicheren Stadt zu bauen; ansprechender für die einzelnen und die Familien, in der die Hoffnung auf ein besseres Morgen sich festigen möge. Ich brauche auch nicht zu sagen, wie nahe ihr mir steht mit euren Freuden und Leiden, mit euren Befürchtungen und Hoffnungen, denn mein Herz ist — ihr wißt es - gleich dem euren, das Herz eines Arbeiters. Als wir das Gleichnis von den Talenten hörten, das gerade verkündigt wurde, haben wir mit Vertrauen unseren Blick zu Christus erhoben, der mit seiner eigenen Tätigkeit die Arbeit heiligte und dem wir einst über den Gebrauch der uns geschenkten Gaben Rechenschaft ablegen müssen. Unter euch wird es viele geben, die in der Arbeit eine große Erfüllung finden. Sie haben einen sicheren Arbeitsplatz, einen Lohn, der ausreicht, um die Familie zu ernähren; glücklich seid ihr, wenn ihr euren Kindern einen gut gedeckten Tisch anbieten könnt, ein angemessenes und gemütliches Heim. Glücklich seid ihr, wenn ihr sie gut kleiden und ihnen eine gute Erziehung angedeihen lassen könnt mit der Aussicht auf eine bessere Zukunft. Zeigt euch darum Gott gegenüber immer dankbar. Es mag aber auch nicht wenige geben, die große Schwierigkeiten haben. Ich meine euch, die ihr leidet, weil ihr Zusehen müßt, wie eure Kinder des Notwendigsten entbehren an Nahrung, Kleidung und Erziehung; oder die ihr beengt, in einem bescheidenen Raum lebt, wo es euch an allen notwendigen Einrichtungen fehlt, weit entfernt von eurem Arbeitsplatz. Oft habt ihr eine schlecht bezahlte und ungesicherte Arbeit. Ihr seid beängstigt wegen der unsicheren Zukunft. Leider gibt es auch viele unter euch, die Opfer der Arbeitslosigkeit sind. Ihr leidet, weil ihr keine Arbeit habt, nachdem ihr ohne Erfolg danach gesucht habt, und obwohl ihr eine Berufsausbildung habt. Diese schwierigen Situationen, die mit einer 557 REISEN Reihe von Faktoren einhergehen, die das komplexe Phänomen der Arbeitswelt befallen haben, berühren mich zutiefst. In meiner Enzyklika Laborem exercens habe ich die menschliche Arbeit als wesentlichen Dreh- und Angelpunkt der ganzen sozialen Frage herausgestellt. Eine stufenweise Lösung derselben verlangt eine stärkere Vermenschlichung der Arbeit und des Lebens des Arbeiters, die nicht leicht zu finden ist. Ich lade euch deswegen heute, an diesem Nachmittag, ein, meine geliebten Brüder Arbeiter, gemeinsam über einige Aspekte der menschlichen Arbeit nachzudenken, und zwar aus der Sicht des Evangeliums, der Quelle des Lichtes und der Hoffnung, die jedes echte menschliche Tun veredelt und zur Würde erhebt. 2. Im Plane Gottes bildet die Arbeit eine fundamentale Dimension der menschlichen Person. In der Tat, durch die Arbeit nimmt der Mensch am Werk des Schöpfers teil und wächst gleichzeitig über sich hinaus, vervollkommnet und verwirklicht sich, indem er sich die Materie unterordnet und sie in seinen Dienst nimmt. Der Mensch ist also für alle Güter, die Gott ihm seit Anbeginn anvertraut hat, verantwortlich. Auch ihr, Männer und Frauen von Kolumbien, habt diese Verantwortung. Dem Schöpfer hat es gefallen, diese eure Erde mit ungeheuren natürlichen Reichtümem auszustatten. Ihr müßt darum verantwortlich mitwirken, daß sie fruchtbar werden und dem Wohle aller dienen. Niemand darf vergessen, daß die Güter, die Gott dem Menschen anvertraut hat, eine universale Bestimmung haben und folglich nicht ausschließliches Patrimonium von einigen wenigen sein dürfen, gleich ob es sich um Einzelpersonen, Gruppen oder Nationen handelt; darum dürfen diejenigen, die Verantwortung für die Verwaltung der Schöpfungsgüter tragen, gemäß dem Willen Gottes nicht nur ihre eigenen Bedürfnisse im Auge haben, sondern auch die der anderen, damit niemand und erst recht nicht die Ärmsten vom Zugang zu diesen Gütern ausgeschlossen seien. Ihr müßt arbeiten, um die vitalen Bedürfnisse zu decken. Aber die Arbeit ist noch mehr als eine biologische, eine sittliche Notwendigkeit. Der Mensch verwirklicht sich durch sein schöpferisches Tun; erkennt dadurch besser, daß er Ebenbild Gottes ist, Eigentümer und Herr der Schöpfung. Durch die Arbeit wird er gleichsam „mehr Mensch“. Daraus wird deutlich, daß die Arbeit auch ein Weg der Befreiung ist. Die Arbeit muß von allem befreit werden, was die Entwicklung des Menschen als Ebenbild Gottes verhindert. Die Arbeit muß die Würde der menschlichen Person erheben und darf sie niemals erniedrigen. 558 REISEN Da der Mensch die Arbeit nötig hat, um sich als solcher zu verwirklichen, hat er auch sein Recht auf sie und zwar auf eine würdige Beschäftigung, die zu seiner Vervollkommnung beiträgt. Hier sieht man, wie schwerwiegend und zentral das Problem ist, daß es nicht für alle einen Arbeitsplatz gibt und daß nicht alle, trotz ihrer Bemühungen und entsprechender beruflicher Ausbildung Zugang dazu haben. Die Lösung dieses schwerwiegenden Problems ist nicht einfach. Um sie zu finden, müssen angemessene Initiativen eingeleitet werden durch öffentliche Stellen, Personen und Einrichtungen, die beitragen können, Arbeitsplätze zu schaffen, die den Arbeitslosen erlauben, eine würdige und gerecht bezahlte Tätigkeit zu finden. Wie mein verehrter Vorgänger Papst Paul VI. in seiner Ansprache vor der Internationalen Arbeitsorganisation 1969 sagte, ist die organische Mitbeteiligung aller sozialen Kräfte und aller Vereinigungen, die mit der Suche nach Lösungen solch brennender Probleme befaßt sind, notwendig. Besondere Aufmerksamkeit sollten die Verantwortlichen den Genossenschaften und den Handwerkerorganisationen widmen, die mit einer ausreichenden Hilfe, z. B. in Form von Krediten und durch berufliche Ausbildungsmöglichkeiten einen wertvollen Beitrag leisten könnten, um das schwere Problem der Arbeitslosigkeit zu mildern. <54> <54> Alle, die ihr euch mit eurer Arbeit das tägliche Brot verdient, solltet Gott loben, daß ihr es auf würdige und ehrenwerte Weise tun könnt. Die Arbeit, die immer das Siegel der menschlichen Würde trägt, ist nicht höher einzuschätzen oder schon deshalb würdiger, weil sie objektiv bedeutender oder weil sie besser bezahlt ist. Auch die einfachsten und mühevollsten Arbeiten haben die persönliche Würde als besonderes Merkmal. Vergeßt infolgedessen nicht, daß die Würde der Arbeit nicht so sehr davon abhängt,was einer tut, sondern wer sie tut, und das ist im Falle des Menschen ein geistiges, mit Verstand und freiem Willen begabtes Wesen. Eben deswegen lehnt jene Arbeiten ab, die den Mann oder die Frau erniedrigen, jene, die im Gegensatz zum Sittengesetz stehen, die sich gegen das Leben von Personen richten einschließlich der noch nicht geborenen. Auf diesem festen Grund, dieser Würde, die allen gemeinsam ist, erinnert die Soziallehre der Kirche daran, daß die Solidarität eine prioritäre Forderung der Liebe und der Gerechtigkeit ist. Der Mensch darf sich nicht in seinem Egoismus einschließen und den Notwendigkeiten der anderen oder den Erfordernissen der Gesellschaft den Rücken kehren. Die erst kürzlich veröffentlichte Instruktion über die christliche Freiheit 559 REISEN und Befreiung sagt dazu, „daß die Soziallehre der Kirche allen Formen eines sozialen oder politischen Individualismus entgegensteht“ (Nr. 73). Ja, liebe Arbeiter, alle Formen des Egoismus, wie die des faulen Knechtes, von dem das Evangelium spricht, sind Zeichen eines schwachen, oder sogar nicht existierenden Glaubens. Der wahre Glaube macht uns mit aller Dringlichkeit und Dramatik die Forderungen der Liebe und der Gerechtigkeit bewußt; verlangt die Anerkennung des Rechtes der menschlichen Person, „mehr Mensch“ zu sein, individuell und gemeinschaftlich an Würde zu wachsen. Das Prinzip der Solidarität verlangt, daß einzelne Interessen dem Interesse der Gesamtheit untergeordnet werden. Das gilt auch in bezug auf die Arbeit und ihre besonderen Umstände, auf die Höhe des Entgelts, wie die Dringlichkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen oder auch die Anerkennung des Rechtes derer, die einen solchen besitzen. 4. In der Enzyklika Laborem exercens wollte ich mich auf den ganzen Bereich der menschlichen Tätigkeit mit seinen weiten und unterschiedlichen Teilbereichen beziehen, die auch hier in der kolumbianischen Gesellschaft gegeben sind. Jetzt möchte ich mich ganz besonders an die Landarbeiter richten. Ihnen gilt die ganz besondere pastorale Sorge der Kirche. Ihr Männer und Frauen vom Lande, ihr erfüllt voll und ganz das Gebot des Herrn, die Erde untertan zu machen, um aus ihr die Güter herauszuholen, die zum Unterhalt aller notwendig sind. Wieviele von euch verbringen ihr Leben mit harter Landarbeit und ungenügenden Löhnen, ohne Hoffnung, auch nur ein kleines Stück Erde als Eigentum erwerben zu können; ohne Hoffnung, daß die Vorteile einer angemessen geplanten, mutigen und wirksamen Landreform euch je erreichen. Und ihr Kleinbauern, mit wie vielen Schwierigkeiten müßt ihr kämpfen, um einen ausreichenden Kredit zur rechten Zeit und zu erträglichen Zinssätzen zu erhalten. Wie unsicher ist die Ernte und welche Risiken für das Leben selbst oder auch die persönliche Integrität müßt ihr durchstehen. Aber diese Probleme lasten noch schwerer, wenn auch auf die Landbevölkerung die Geißel der Arbeitslosigkeit zukommt. Euch überfällt dann die verlockende Versuchung, in die Stadt abzuwandern, in der ihr leider nicht selten Lebensumstände akzeptieren müßt, die noch entwürdigender sind. Das ist keine Lösung. Durch solidarische Zusammenarbeit aller, bewegt von christlichem Geist sowie unterstützt von intermediären Instanzen und der notwendigen Hilfe staatlicher Organismen, muß die Schaffung und das wirksame Funktionieren organisatorischer Strukturen vorangetrieben werden. Diese sollten, inspiriert vom 560 REISEN Geist des Dienstes und frei von jedem Einfluß, der ihre Zielsetzung verzerrt, nach Formen der Verteidigung, des Schutzes und der Begleitung für die Welt des Kleinbauern suchen und sie in die Praxis umsetzen. Sie sollten Anstöße zu besseren Dienstleistungen auf dem Gebiet der Erziehung, der Wohnung, des Gesundheitswesens und der sozialen Sicherheit etc. geben. Auch eure Arbeit, ihr Männer und Frauen in der Industrie, im Baugewerbe, im Geschäftsleben, in den Dienstleistungsberufen, ist Gegenstand der Sorge des Papstes und verdient ein erwägendes und anregendes Wort. Viele von euch sind in Gewerkschaften organisiert, und ich empfinde ein besonderes Wohlgefallen, denn hier in Kolumbien haben Generationen von Gewerkschaftsführern ihre Ausbildung im Schoße der Kirche erfahren. Das bringt die ganz besondere Verpflichtung eines christlichen Engagements, das „Evangelium der Arbeit“ in die Welt der Arbeit zu tragen, mit sich. 5. In dieser Hinsicht möchte ich euch lebhaft ermutigen, die Kenntnis der Soziallehre der Kirche zu vertiefen und euer ganzes Vertrauen in die Orientierungen zu legen, die sie gibt. Diese wollen nichts anderes als das Wohl jedes einzelnen und der Gesellschaft insgesamt; sie wollen eurer Person und eurer Tätigkeit Würde verleihen; die Anerkennung eurer legitimen Rechte und Pflichten; den gerechten Lohn als konkrete Verwirklichung der Gerechtigkeit des sozio-ökonomischen Systems, durch das ihr den Zugang zu den Gütern, die der Schöpfer für alle bestimmt hat, haben könnt. Sie wollen die notwendige Harmonie und das Zusammenwirken von Kapital und Arbeit und viele andere Aspekte, die die soziale Gerechtigkeit und das Gemeinwohl fördern, in Hinordnung auf einen integralen, materiellen und spirituellen, ökonomischen und sozialen, persönlichen und gemeinschaftlichen Fortschritt aller Glieder der Gesellschaft. Die Soziallehre der Kirche inspiriert die christliche Praxis in ihrem edlen Kampf für die Gerechtigkeit, schließt aber den programmierten Klassenkampf aus, weil er nicht dem Evangelium entspricht und zu neuen Formen der Knechtschaft führt. Die kirchliche Soziallehre besagt, daß es im Hinblick auf die Arbeit, die Männer und Frauen erfüllen können und im Hinblick auf ein gerechtes Entgelt keine gehässigen Diskriminierungen geben darf. Sie lehrt aber auch, daß ein gerechter Familienlohn der Frau und Mutter erlauben sollte, sich ihrer unersetzbaren Aufgabe der Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu widmen, damit sie nicht verpflichtet ist, sich in einer außerhäuslichen Arbeit ein ergänzendes Einkommen zu 561 REISEN suchen zum Schaden ihrer mütterlichen Aufgaben, die vom sozialen Gesichtspunkt her aufgewertet werden müssen zum Wohle der Familie und der Gesellschaft. Ihr wißt, daß in eurem Land viele Kinder verpflichtet sind, von frühester Kindheit an zu arbeiten, um mit ihren bescheidenen Einkünften zu ihrem eigenen und zum Unterhalt der Familie beizutragen. Viele dieser Arbeiten, die unter wenig zuträglichen physischen und sittlichen Bedingungen ausgeführt werden, schädigen und erschweren ihre Schulbildung sowie ihre physische, psychologische und sittliche Bildung. Es ist dringend, daß ihr eine Lösung für ein so schwerwiegendes Problem findet. 6. Liebe Brüder und Schwestern, die Kirche betrachtet es als ihre Aufgabe, sich zum Thema Arbeit unter dem Gesichtspunkt ihres menschlichen Wertes und der sittlichen Ordnung zu äußern. Durch die Arbeit könnt ihr Gott, eurem Schöpfer und Erlöser, näherkommen und an seinem Heilsplan, den er für den Menschen und die Welt hat, mitwirken. In Gemeinschaft mit Christus, der den größten Teil seines Lebens mit Handarbeit in einer einfachen Schreinerwerkstatt verbrachte, bei den Leuten bekannt als „der Zimmermann“ (Mk 6,3), könnt ihr zum Wohl eurer Familien und der übrigen Glieder der Gesellschaft beitragen; könnt ihr mitwirken, daß durch eure Arbeit sich das Werk des Schöpfers jeden Tag besser entfalte. Gott hat uns, so wie der Herr im Gleichnis, das wir eben gehört haben, eine gewisse Anzahl von „Talenten“ anvertraut, die wir fruchtbar machen müssen. Das sind an erster Stelle die „Talente“ der göttlichen Gnade, mit der wir das ewige Leben erlangen können; sind die „Talente“ des Verstandes und der Tugenden und der körperlichen Kraft, damit wir mit Ehrbarkeit und Sachverstand unsere Arbeit leisten können. Auf der anderen Seite lehrt uns die Hl. Schrift, daß neben der Notwendigkeit zu arbeiten auch die Notwendigkeit zu ruhen besteht. Mein verehrter Vorgänger Papst Johannes XXIII. hat daran erinnert, daß es ein Recht und ein Bedürfnis gibt zu ruhen. (Mater et Magistra, 250). Lernt auszuruhen zum Wohle des Körpers und des Geistes, der ehrbaren Erholung und zum Wohle der Familiengemeinschaft. Denkt besonders daran, daß ihr als Geschöpfe und Kinder Gottes, als Volk Gottes, verpflichtet seid, euch jeden Sonntag zu versammeln, um in der Familiengemeinschaft die hl. Messe zu feiern. Jeden Tag empfangen wir alles aus Gottes Hand; seine Vorsehung schützt uns, seine Güte liebt uns, seine Barmherzigkeit verzeiht uns. Wie könnten wir es unterlassen, am Sonntag für seine Wohltaten zu danken, ihn um Verzeihung zu bitten für unsere Sünden, sein Wort 562 REISEN zu hören, seine Geheimnisse zu feiern und das Brot der Kinder Gottes zu essen, „das wahre Brot vom Himmel, das der Vater uns gibt“? (Joh 6,32). Mißachtet nicht die sonntägliche Einladung, gemeinsam die hl. Eucharistie zu feiern. Sie ist die Quelle ungeheuer großer spiritueller Wohltaten. Und denkt daran, daß der Sonntag auch zur größeren Einheit der Familie beitragen muß und nicht zu ihrer Zerstreuung. Verbannt weit von euch die schreckliche Plage der Trunkenheit, die soviel Leid über den einzelnen, die Familien und die Gesellschaft bringt, und lebt in liebevoller Treue zu euren Familien. Christus gehört wie ihr zur Welt der Arbeit. Der arbeitende Jesus ist für uns das aussagekräftigste „Evangelium der Arbeit“. Ist es nicht tröstlich und ein Grund der Ermutigung, wenn man betrachtet, wie der menschgewordene Gottessohn sich seinen Lebensunterhalt mit seiner Hände Arbeit verdient? Er, obwohl er Gott war, „entäußerte sich und wurde wie ein Sklave“ {Phil 2,7), um die Arbeit von innen heraus zu erlösen. 7. Macht, daß euer Arbeitsleben nicht nur ein Mittel des Lebensunterhalts und ein Instrument des Dienstes sei, sondern ein Weg zur Vollkommenheit: Jede Arbeit schließt Mühsal ein, die eingeschlossen in das Leiden Christi, des Erlösers des Menschen, zum Heil für jeden einzelnen und für alle wird. „Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Durch ihn dankt Gott dem Vater“ {Kol3,11). So könnt auch ihr, wie die guten und getreuen Knechte aus dem Gleichnis des Evangeliums, das wir heute hörten, in die Freude des Herrn eintreten, denn ihr habt mit den „Talenten“, mit denen der Herr euch beschenkt hat, gearbeitet, und sie haben Frucht gebracht. Euch, ihr Männer und Frauen aus der Welt der Arbeit, die ihr anwesend seid, und allen arbeitenden Menschen in Kolumbien sowie ihren Familien, besonders euren Kindern und euren Kranken erteile ich mit Liebe meinen Apostolischen Segen. 563 REISEN „Euch gilt die vorrangige Liebe der Kirche“ Predigt beim Wortgottesdienst mit den Indios in Popayän am 4. Juli „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (Gal 1,3). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Als Pilger und Bote des Evangeliums bin ich aus Rom zu euch gekommen. An erster Stelle grüße ich herzlich den Erzbischof von Popayän und die Bischöfe dieser Kirchenprovinz, von Ipilales und Pasto, sowie die Ordinarien der südkolumbianischen Diözesen. Ich grüße alle Priester, Ordensmänner und -frauen und alle Gläubigen, die hier versammelt sind. Gemeinsam mit euch allen danke ich Gott und lobe den Herrn mit Freude: „Die Völker sollen dir danken, o Gott, danken sollen dir die Völker alle“ (Ps 67,6). Es ist wunderbar und bewegend, heute von euren Lippen jenen Gesang zu hören, der sicher auch eure Vorfahren mit Inbrunst erfüllte. Ihr seid in Wahrheit ein Volk, das seit mehr als vierhundert Jahren Jesus Christus, den Lehrer, den Heiland und Erlöser feiert und ihm Dank sagt. Ich weiß, meine innig geliebten Brüder, daß ihr Eingeborenen, die ihr hier zusammengekommen seid, zu verschiedenen ethnischen Gruppen gehört, die verstreut über das weite Territorium eures Vaterlandes leben. Euch alle grüße ich von hier aus. Ich sende meinen Gruß und meinen Segen allen Eingeborenen, die mich jetzt hören in den Tälern und auf den Bergen, an den Wegrainen und an den Ufern der kolumbianischen Flüsse. Ich lade euch ein, zusammen mit mir die Großtaten Gottes zu loben und zu rühmen. Mein ganz besonderer Gruß gilt den Indiostämmen der Paeces und Guambianos. Kiay Cuentate yus tata Jesucristo pa mipakaue ikuesh eufinseya yusiak anya uala uechana ust yatskate luchiak na kiuete ueshyak puchuicha kia luchiak na kiute ueshyak puchuicha kia pacate yusyata uenyicha jicha selpina usa. Kietii nimün, kuayab, chibend inzhinerrai, nimui, tius Mesgäwain guentä; Jesucristo nimui puaig, Nai Kasräkebig larr nuiiketän, mei nimün weiter-rawä, saludanrrab, nimüi asig patemisäk Kuingucha, yu Colombia misaa-merä razünbe, mayeelän peemäi undakuinzhib purugümiiketän; nesia wainguentä Naä ashiknebpe mundo nerebä. 564 REISEN Ungeheuer groß ist meine Freude, daß ich heute hier mit euch zusammen sein und in der Person jedes einzelnen einen Teil des kolumbianischen Volkes begrüßen kann, dem die vorrangige Liebe und der ganz besondere Dienst der Kirche gilt. 2. Im Lichte der Lesung, entnommen den Briefen des hl. Apostels Paulus, die wir gerade gehört haben, möchte ich heute mit euch, liebe Brüder, jene christliche Einheit feiern, die ihren Grund in Jesus Christus hat. Darum sei ganz kurz an alle die Gnadengaben erinnert, die ihr im Laufe eurer christlichen Geschichte von Gott empfangen habt. Diese müssen sich heute in einem Engagement eurerseits auswirken, mit dem ihr dem Herrn in diesem privilegierten und zugleich schwierigen Augenblick eurer derzeitigen Wanderschaft als Kirche, Leib Christi und Volk Gottes eine großherzige Antwort gebt. Schon im Jahre 1546 errichtete Papst Paul III. diese Diözese Popayän und gab damit dem Werk der Evangelisierung, das mutige Missionare und eifrige Bischöfe in den ersten Jahrzehnten nach der Entdeckung der neuen Welt durchgeführt hatten - um es so auszudrücken -, eine kanonische Form. Jene vortrefflichen Verkünder des Evangeliums säten hier das Samenkorn des Glaubens. Sie brachten einem Volke, das sich bereitwillig dem Worte Gottes öffnete und der Kirche eingliederte, die christliche Lehre und christliche Bräuche. Von Anfang an wurde die Stadt unter den Schutz „Unserer Frau, aufgenommen in den Himmel“ (Nuestra Senora de la Asuncion) gestellt; und die hl. Jungfrau hat aus diesem Ort einen fruchtbaren Boden für das Evangelium gemacht. Fruchtbar im geistlichen Sinne damals und auch heute, denn in Popayän gibt es eine sehr lebendige und vielversprechende kirchliche. Gemeinschaft, voll apostolischen Eifers, sei es auf dem Gebiet der Jugend, der Erziehung, der Familie oder karitativen Dienste für die Ärmsten. Ist das nicht ein einzigartiger Grund, um Gott Dank zu sagen und ihn zu lobpreisen? <55> <55> Eure geistliche Verwurzelung hat aus euch ein starkes Volk gemacht, vertraut mit Prüfungen und Leid. Wie könnte ich es unterlassen, an das letzte Erdbeben am 31. März 1983, es war der Gründonnerstag, zu erinnern? Es zerstörte einen großen Teil der Stadt und erfüllte die Bewohner dieses Landstriches mit Schmerz. Damals wie heute wollte ich euch meine und der ganzen Kirche Solidarität zeigen, damit jener Donnerstag und Karfreitag dank der Auferstehung sich in einen neuen Früh- 565 REISEN ling des Gemeinschaftslebens, aufgebaut auf dem Gebot der Liebe, verwandeln möge. Gerade habe ich die Kathedrale besucht, Zentrum und Symbol der Ortskirche. Ich habe darin für euch und eure lieben Angehörigen gebetet, und mir kam in den Sinn, daß die majestätischen Mauern dieser Basilika, viermal geborsten durch Erdbebenkatastrophen, zugleich Zeichen der hereingebrochenen Tragödie und Vorzeichen eines schwungvollen Wiederauflebens sind, zu dem ihr alle großherzig beitragt. Gott möge euch eine feste Hoffnung geben. Er sei eure Stärke bei dieser harten Aufgabe, denn „wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut“ (Ps 127,1). Ich begleite euch mit der Liebe des Vaters in eurem Eifer und wünsche, daß mein Besuch hier für euch ein Ansporn zu einem vollständigen spirituellen, sozialen und materiellen Wiederaufbau sei. Diesen mögt ihr mit dem Blick auf den Vater im Himmel gerichtet vollbringen. Er möchte, daß eure christliche Gemeinschaft gleich der einer Familie sei, in der die Brüder einträchtig miteinander leben und fortschreiten und alles großzügig miteinander teilen. 4. Dank der jahrhundertelangen Evangelisation ist der Glaube in eurem Volk und in dieser ganzen südwestlichen Gegend von Kolumbien zutiefst verwurzelt. Er drückt sich vornehmlich in außerordentlichen Manifestationen der Religiosität und Volksfrömmigkeit aus. Auch das ist Ausdruck des katholischen Glaubens, der die historische und kulturelle Identität Kolumbiens kennzeichnet. Ich ermutige euch deshalb, an diesen Ausdrucksweisen festzuhalten, die wie eine fortwährende Katechese sind und eine intensivere und echtere religiöse Praxis fördern, indem sie die inneren Bande der Einheit der Familie der Kinder Gottes festigen. Eine genuine eucharistische und marianische Frömmigkeit ist die Garantie für ein tiefes und solides christliches Leben, das euch auch vor Ideologien, die dem Evangelium zuwiderlaufen, schützen wird. Man kann sagen, daß die Volksfrömmigkeit der Erbmasse von Werten entspricht, mit der die christliche Weisheit und das religiöse Empfinden der Gläubigen, besonders der einfachen Leute, mit den großen Fragen der menschlichen Existenz fertig werden. Sie stellt sich unter das Licht Gottes des Vaters, richtet sie auf das Reich des Himmels aus und wirkt an der Entwicklung der menschlichen Geschichte, gemäß dem Heilsplan des Herrn mit. Bewahrt euch die Hochachtung vor solchen religiösen Praktiken. In ihnen werdet ihr eine vitale Synthese all dessen finden, was den Glauben in allen Lebensumständen stärkt, in der Freude wie im Schmerz. Diese Gesamt- 566 REISEN heit der religiösen Praktiken spiegelt den Hunger nach Gott wider, entwickelt ein feines Gespür für die Eigenschaften Gottes, seine Vaterschaft und seine Vorsehung. Sie bewirkt, daß in unserem Leben Christus der Erlöser und seine hl. Mutter gegenwärtig sind. Sie macht hell das Herz und das neue Leben im Geiste widerstandsfähig. Sie befähigt zum Großmut und zum Opfer; erzeugt innere Haltungen der Geduld, der Liebe zum Kreuz, Wertschätzung des Leides, Wohlwollen für andere, Geringschätzung der irdischen Dinge. Sie stärkt den bürgerlichen und vaterländischen Sinn und erhebt ihn zu Gott, der die verschiedenen Gruppierungen der Gesellschaft durch gemeinschaftliche Ausdrucksformen eint, die Bande der kirchlichen Gemeinschaft enger und zum Ausdruck der Katholizität der Kirche werden läßt. 5. Das sind einige der positiven Aspekte der Volksfrömmigkeit, die mein verehrter Vorgänger Papst Paul VI. in dem Apostolischen Schreiben über die Evangelisierung in der Welt von heute (Nr. 48) aufzeigte, und auf die sich auch die gerade veröffentlichte Instruktion der Glaubenskongregation über die christliche Freiheit und die Befreiung bezieht (vgl. Nr. 22). Das lehrten auch die lateinamerikanischen Bischöfe bei ihrer Versammlung in Puebla (vgl. Nr. 444-459). Die Volksfrömmigkeit sollte ein Instrument der Evangelisierung und der integralen christlichen Befreiung sein. Nach dieser Befreiung hungern die Völker in Lateinamerika, und sie wissen, daß nur Gott allein voll und ganz von den Versklavungen und den Zeichen des Todes unserer Zeit befreien kann (vgl. Dominum et vivificantem, 57). Aber wir beobachten auf der anderen Seite, daß eine nicht recht verstandene Volksfrömmigkeit ihre Grenzen hat und der Gefahr von Fehlentwicklungen und Abwegigkeiten ausgesetzt ist. In der Tat, wenn diese Frömmigkeit auf rein äußerliche Ausdrucksweisen reduziert bliebe, ohne zu einem echten Akt des Glaubens und zu Werken der Liebe zu führen, könnte sie das Vordringen der Sekten fördern und sogar zu Magie, zu Fatalismus oder zur Unterdrük-kung führen, verbunden mit großen Gefahren für die kirchliche Gemeinschaft (vgl. EN 48). Der sogenannte „Volkskatholizismus“, die Volksfrömmigkeit selbst, sind dann wirklich echt, wenn sie die universale Gemeinschaft der Kirche widerspiegeln und den gleichen Glauben, den gleichen Herrn, den gleichen Geist und den gleichen Gott und Vater bekennen. Liebe Brüder, besonders euch, die ihr euch zu Aufgaben der Katechese und des Apostolates verpflichtet habt, lade ich ein, nicht nachzulassen in eurem Eifer, die Massen, die vielleicht geneigt sind, sich mit einem schwachen oder oberflächlichen Katholizismus zufrieden zu geben, zu 567 REISEN evangelisieren. Arbeitet an der Wiederbelebung der apostolischen Bewegungen, erneuert ihre Spiritualität, ihre Haltungen und die missionarische Ausrichtung ihres Wirkens, das keine Grenzen kennt. Müht euch, daß die Frömmigkeitsübungen durch einen echten biblischen und kirchlichen Geist bereichert werden, und daß die Liturgie - gefeiert gemäß den Anweisungen der Kirche - zum Zentrum und Höhepunkt des Gemeinschaftslebens werde. 6. Das Leben des Christen sollte ein wahrer und immerwährender Gottesdienst sein, sowie Ausdruck einer tiefen und freigebigen Liebe. Das schärft uns der hl. Paulus mit aller Klarheit ein, wenn er uns daran erinnert, daß wir alle „ein Leib in Christus“ sind (Röm 12,5); wenn er die wechselseitigen Beziehungen, die zwischen uns bestehen, herausstellt und uns einlädt: „Seid in brüderlicher Liebe einander zugetan und übertrefft euch in gegenseitiger Achtung“ (Röm 12,10). In diesem Geiste richtet sich meine Botschaft heute von Popayän aus an das ganze Volk Gottes der südwestlichen Region, in ganz besonderer Weise aber an die geliebten Söhne und Töchter der Indiogemeinden, die hier anwesend sind, sowie an alle Indios, die über das weite Land von Kolumbien verstreut leben. Euch gilt die vorrangige Liebe der Kirche, und im Herzen des Papstes nehmt ihr einen privilegierten Platz ein. In euch sind mir alle Eingeborenen dieses ungeheuer großen amerikanischen Kontinentes gegenwärtig, der vor fünf Jahrhunderten dem europäischen Kontinent begegnete. Seitdem ist durch die Verschmelzung von Rassen und Kulturen das reiche ethnische Panorama der neuen Welt entstanden (vgl. Puebla, 409). Vor allem aber sehe ich in euch ein besonderes Zeichen der Gegenwart des leidenden und auferstandenen Christus. Der Papst ist gekommen, um Christus zu ehren, der in euren Herzen, in euren Familien und in eurem Volke lebt. Mit den Eingeborenen der Provinz Cauca und von ganz Kolumbien möchte ich Gott für das Geschenk des Glaubens danken, der seit fast 500 Jahren in euren Herzen und in euren Gemeinden fest verwurzelt ist. Die spanischen Missionare brachten euch die Botschaft von Christus dem Heiland und verkündeten euch die Lehre Jesu, unter Berücksichtigung eurer kulturellen Gegebenheiten. Unter großen Wechselfällen und Schwierigkeiten, manchmal gegen mangelndes Verständnis, mit Begrenztheiten und Fehlern, wurde mit Gottes Hilfe das Werk der Evangelisierung erfüllt. Immer hat es Bischöfe, Priester, Ordensmänner und -frauen und auch Laienkatecheten gegeben, die beseelt von einem großen kirchlichen Sinn und von der Liebe zu euch ihr Leben 568 REISEN einsetzten, um euch zur Seite zu stehen, die euer Los teilten, um euch spirituelle und materielle Hilfe zu geben. 7. Mit eurer fortwährenden Treue zu dem Glauben, den ihr bekannt habt, als ihr die Taufe und die anderen Sakramente empfingt, mit eurer Antwort auf die empfangenen Gnadengaben habt ihr die Universalkirche bereichert. Ich weiß, daß ihr an diesem katholischen Glauben festhaltet und dem Eindringen von Sekten oder Ideologien, die eurer Eigenart und eurer Tradition fremd sind, widersteht. Bleibt der Kirche Christi, dem Gebot der brüderlichen Liebe und der Versöhnung immer treu. Das ist die Losung, die euch der Papst heute geben will. Ich weiß, daß ihr auch kämpfen müßt, um eure Kultur zu verteidigen, eure Sprache, eure Bräuche und eure Lebensform. Ihr müßt kämpfen zur Verteidigung eurer menschlichen Würde und auch um die Rechte zu erlangen, die euch als Bürgern dieses Landes zustehen. Möge euer Kampf sich immer im Einklang mit der Richtschnur des Evangeliums, der Liebe zu allen Brüdern und mit den Regeln der christlichen Sittlichkeit vollziehen. Die Kirche unterstützt diese eure Bestrebungen. Deswegen will sie, bittet sie und müht sie sich, daß eure Lebensbedingungen verbessert werden. Damit ihr alle Vergünstigungen auf dem Gebiet der Erziehung, der. Arbeit, des Gesundheitswesens, der Wohnung usw., genießen könnt, die auch die anderen kolumbianischen Bürger haben. Deshalb wollte mein Vorgänger, Papst Paul VI. - seligen Angedenkens -, daß der sogenannte Fonds Populorum Progressio, der anläßlich seines Besuches in Kolumbien im Jahre 1968 geschaffen wurde, voll und ganz zugunsten der eingeborenen Landbevölkerung angewandt würde, besonders für die der Provinz Cauca. 8. Möge eure soziale, menschliche und christliche Ordnung jeden Tag an Kraft zunehmen, dank eurer eigenen Bemühungen, unterstützt durch eure Bischöfe, Missionare und christliche Führungskräfte, die unter euch immer zahlreicher werden. Besonders wünsche ich, und darum bete ich inständig zum Herrn, daß aus euren Gemeinden neue Berufungen zum Apostolat, zum Ordensleben, zu den verschiedenen kirchlichen Ämtern, insbesondere zum Priesteramt, erwachsen, damit ihr Priester aus euren eigenen Reihen haben mögt. Liebe Brüder und Schwestern, ich möchte zum Ende kommen und möchte euch mit den Worten des hl. Paulus, die auch diese kirchliche Begegnung des Gebetes, des Dialogs und der Freundschaft inspiriert 569 REISEN haben, ermahnen: „Eure Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten, seid einander in brüderlicher Liebe zugetan“ (Röm 12,9f.). Die heiligste Jungfrau, die zu Beginn der Evangelisation auf diesem Kontinent, in Guadalupe, ihre Liebe für die Indios dem Juan Diego kundtat und diese in Chiquinquirä auch den Kolumbianern offenbarte, möge euch als gütige und besorgte Mutter auch weiterhin helfen und euch schützen. Alle, die hier anwesend sind, eure Familien, eure Kinder, Alte, Kranke und alle, die Leid tragen, segne ich von Herzen. „Eine Kette der Liebe und Brüderlichkeit“ Ansprache bei der Begegnung mit den Kindern in Cali am 4. Juli Liebe Kinder Kolumbiens! - Liebt ihr den Herrn? - Liebt ihr die Selige Jungfrau, unsere Mutter? - Liebt ihr die katholische Kirche? - Liebt ihr euren Nächsten? Ich fühle mich sehr glücklich über diese Begegnung mit euch, die ihr viele, viele Tausende von kolumbianischen Kindern und besonders diejenigen vertretet, die der „Kindermission“ angehören. Die Freude, die ihr mir beim Empfang zum Ausdruck gebracht habt, zeigt klar, mit welcher Begeisterung und Erwartung ihr auf diesen Augenblick gewartet habt. Ist es nicht so? Auch ich habe diesen Augenblick, bei euch zu sein, erwartet und herbeigewünscht. In Rom, wo ich gewöhnlich lebe, ist bei meinen Besuchen in den Pfarreien die Begegnung mit den Kindern immer ein Augenblick inniger Freude für mich. Kinder Kolumbiens, eure Anwesenheit in der Kirche ist sehr wichtig. Wie traurig wäre eine Kirche, die nur aus älteren Personen bestünde! Wie leer würde man sich in den Pfarreien und Kirchengemeinden ohne die Kinder fühlen, die zur Katechese kommen, die bei den Gottesdiensten singen und 570 REISEN uns spüren lassen, daß die Kirche eine echte Familie ist, in der alle -Kleine und Große - Kinder Gottes sind! Deshalb war der Herr, wie wir aus den Erzählungen des Evangeliums wissen, gern unter den Kindern: „Laßt die Kinder zu mir kommen . .., denn . . . ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 19,14). Ja, ihr seid sicherlich die Freunde Jesu und darum seid ihr auch die Freunde des Papstes Johannes Paul II. Liebe Kinder von Kolumbien, ihr seid hier stellvertretend für alle die Millionen von Kindern eures Alters und besonders derjenigen, die zur „Kindermission“ gehören. Es ist eine Freude für den Papst zu wissen, daß ihr mit ihm an diesem Missionswerk mitarbeitet, das Jesus ihm aufgetragen hat, um der ganzen Welt das Evangelium zu bringen. Ja, ihr seid meine Mitarbeiter; meine großen kleinen Mitarbeiter bei der Verbreitung des Evangeliums. Ihr arbeitet mit mir zusammen, weil ihr euch den Missionsabsichten des Papstes anschließt; vor allem durch das Gebet; dann durch gutes Betragen in euren Familien und mit euren Gefährten; und auch durch die Almosen für die Missionen, die die Frucht von Entbehrungen und Opfern sind. Wo ihr nicht mit eurem Wort beitragen könnt, tragt ihr mit eurem Gebet und euren Opfern bei. Ja. Das ist es, was ich von euch und von allen Kindern Kolumbiens erwarte. Ihr werdet mich mit eurem Gebet begleiten, und ich werde einerseits euren Gruß, eure Wünsche nach Frieden und Brüderlichkeit allen Kindern überbringen, mit denen ich auf meinen apostolischen Reisen stets zusammentreffe. Einverstanden? Auf diese Weise wollen wir eine Kette der Liebe und Brüderlichkeit bilden, die alle Menschen verbindet, und wollen für den Frieden arbeiten, diesen Frieden, nach dem sich alle sehnen. Ihr wißt, daß leider viele Kinder wie ihr den Schmerz des Krieges, die Not des Hungers, die Verlassenheit der Verwaisung erleben. Und vor allem kennen viele Jesus nicht, wissen nicht, daß sie in der Jungfrau Maria eine Mutter haben, die über uns wacht, wie sie über ihren Sohn wachte, als er ein Kind war. Auch für sie ist das Wort des Evangeliums und die weltweite Familie der Kirche bestimmt, in der ihr euch wie in eurem eigenen Zuhause fühlt. Liebe Kinder: Ihr habt gesagt, daß ihr Jesus, euren Freund, liebt. Liebt ihn also noch mehr. Wachst wie er an Alter, Weisheit und Gnade (vgl. Lk 2,40). Sagt mit euren Worten, mit euren Liedern, mit eurem Leben, daß er lebt, daß er in der Kirche gegenwärtig ist. 571 REISEN Ihr habt gesagt, daß ihr die Jungfrau Maria liebt. Ruft sie daher immer voll Liebe an, indem ihr den heiligen Rosenkranz betet. Ihr habt gesagt, daß ihr die Kirche liebt. Liebt sie also immer mehr und bleibt immer mit ihr verbunden; bittet den Herrn um den Zuwachs an Priester- und Ordensberufen. Betet jeden Tag für die Missionare und Missionarinnen. Der Papst liebt euch so sehr, liebe kolumbianische Kinder, daß er gar nicht fortgehen möchte, daß er gern immer bei euch bliebe. Doch ihr wißt ja, daß wir in Jesus und in der Kirche alle vereint sind, daß es keine Entfernungen gibt, die uns trennen. Betet für mich, und ich will für euch beten. Empfangt meinen Apostolischen Segen, in den ich von Herzen eure Familien, die „Kindermission“ und alle Kinder Kolumbiens einschließe. Ein Schatz: In der Familie lieben und beten lernen Predigt bei der Eucharistiefeier mit den Familien im Sportstadion von Cali am 4. Juli Liebe Söhne und Töchter! 1. Mit der unermeßlichen Freude eines Familienvaters, der sich in diesem wunderschönen Cauca-Tal mit seinen Kindern trifft, will ich mit euch den gemeinsamen Glauben an den auferstandenen Jesus Christus feiern: er ist in euren Herzen, inmitten eurer Familien, in allen euren Alltagsaufgaben gegenwärtig. Mit der Umarmung brüderlicher Liebe begrüße ich den Erzbischof von Cali sowie die Bischöfe der Diözesen Palmira, Buga, Cartago, des Apostolischen Vikariats Buenaventura und der anderen benachbarten Diözesen, zusammen mit ihren Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen. Vor dem verehrten Gnadenbild der Madonna vom Loskauf, der wachsamen und liebevollen Mutter dieses Landes, grüße ich ganz herzlich alle hier anwesenden Familien und jene, die bei diesem Gottesdienst geistig mit uns verbunden sind. „Kostet und seht, wie gütig der Herr ist!“ (Ps 34,9). Ja, der Herr war wirklich gütig und großmütig gegenüber diesem herrli- 572 REISEN chen Land, das er reichlich mit Naturgütern gesegnet hat; doch noch verschwenderischer war seine Freigebigkeit gegenüber eurem Volk, das berühmt ist für seine Eigenschaften der Arbeitsamkeit, der Dienstbereitschaft und der Rechtschaffenheit. Mein Besuch in Santiago de Cali fällt mit einer Jubiläumsfeier zusammen: dem Jubiläum ihrer Gründung vor 450 Jahren. Mit großer Freude schließe ich mich euch bei dieser Feier an und nehme die Krönung des verehrten Gnadenbildes Unserer Lieben Frau vom Loskauf, der Stadtpatronin, vor. Sie ist das Zeichen des Erbarmens Gottes mit ihren Bewohnern und der mütterlichen Präsenz im Leben ihrer Menschen gewesen. Mit Recht dürfen wir mit einem vor Glück überfließenden Herzen sagen: „Die Mutter Jesu war dabei“ (Joh 2,1). Es ist für die Kirche tröstlich, jetzt an die Tatsache zu erinnern, daß diese unter dem mütterlichen Schutz Mariens gegründete Stadt sich auf der Grundlage christlicher Familien entwickelt hat, die die Einheit, die Treue, den Dienst an den anderen, die unternehmerische Arbeit als Ideal hochgehalten haben. Ebenso ist es Tatsache, daß die Familien mit allen ihren menschlichen und christlichen Werten und Idealen zur Formung des kolumbianischen Volkscharakters beigetragen haben. Die christlichen Wurzeln der Familie sind tief eingedrungen, und angesichts des Sturmes der Gewalt behauptet sich Kolumbien dank der Festigkeit, die ihm der aus den Familien gebildete Kern verleiht, weiterhin als glaubwürdige Vermittlerin der menschlichen Werte und des christlichen Glaubens. <56> <56> „Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, nach unserer Gestalt“ {Gen 1,26). Die Liturgie des Wortes lädt uns ein, zu Beginn eine Betrachtung über den Anfang des Menschen auf Erden anzustellen; zuerst im Denken und in den Plänen Gottes, sodann in der Schöpfung und schließlich im Segen. Wir alle erinnern uns an diesen wunderbaren Bericht aus dem Buch Genesis, der uns Gott auf dem Höhepunkt des Schöpfungswerkes zeigt. Seinem Wort gehorchend verschwand das anfängliche Chaos; dasselbe göttliche Wort hat Ordnung in das All gebracht und es mit Sternen und mit jeder Art von Lebewesen ausgestattet und bevölkert. Da auf einmal -als würde ein Schleier zurückgezogen - überrascht der biblische Autor sozusagen den Schöpfer bei dem intimen Dialog - einem Hinweis der Offenbarung auf die göttliche Trinität -, mit dem er die Erzählung abschließt: „Laßt uns Menschen machen als unser Abbild nach unserer Gestalt“ {Gen 1,26). Um den Verlauf der Erzählung näher zu verfolgen und seine tiefe 573 REISEN Bedeutung geistig besser zu verarbeiten, wollen wir gemeinsam über die drei Momente nachdenken, die in dem heiligen Text hervortreten: Erstens, liebe Brüder, stellt der Text der Genesis dem Menschen, der Menschheit, uns allen das Ziel der göttlichen Pläne vor. Wir sind nach einem Urplan geschaffen, im Schoße seiner unendlichen Weisheit erdacht worden: „Laßt uns Menschen machen als unser Abbild nach unserer Gestalt“ (Gen 1,26). Das ist der erhabenste Grund für die Würde des Menschen. Wir sind Ausdruck des Herzens des lebendigen Gottes, Enthüllung seiner ewigen Pläne, die nichts anderes sind, als mit dem Menschen verbunden zu sein, uns zu seinem Abbild zu machen. Mann und Frau, als Abbild Gottes geschaffen, waren von Anfang an erdacht worden, um den Dialog der Liebe im Herzen Gottes in die Zeit hinein zu verlängern und sein schöpferisches Wort weiterzugeben, das ebenso Quelle des Lebens ist wie - in der Formulierung des hl. Thomas -die Flamme einer Fackel das Feuer, an dem sie entzündet wurde, weitergibt (vgl. Thomas v. Aquin, Summa contra gentes, 2,46). In einem zweiten Schritt berichtet uns der Verfasser der Genesis von der Verwirklichung des göttlichen Planes in bezug auf den Menschen: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,27). Die Einrichtung der ehelichen Gemeinschaft entspricht dem göttüchen Plan, sie ist der erste keimende Anfang, der erste Ausdruck der Berufung des Menschen auf Erden. Die erste menschliche Gemeinschaft trägt in sich die Berufung zur Einheit mit Gott und zur Gemeinschaft von Personen. Die Liebe Gottes strebt auf diese Weise dahin, sich nicht in der Einsamkeit des Menschen widerzuspiegeln (vgl. Gen 2,15-25), sondern in seiner zwischenmenschlichen Bedingung, die wie eine Einladung zum Dialog mit Gott selbst und mit den anderen ist. Zu diesem Zweck - und das ist das dritte wichtige Moment der biblischen Erzählung - kommt auf Mann und Frau der göttliche Segen herab, als Ausdruck und Zeichen der Liebe, die das Gute schafft und sich an ihm freut: „Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde“ {Gen 1,28). Als Gott das Menschenpaar segnet, noch vor dem Besitz der Erde, verspricht er ihm die Fruchtbarkeit und betraut es mit der Sendung, sich fortzupflanzen und die Saat des Lebens als Frucht und Zeichen der ehelichen Liebe zu mehren. Diese Fruchtbarkeit der Liebe, das Wohl der Ehegatten und der Nachkommenschaft, müssen im Licht der Güte Gottes als Widerschein des göttlichen Abbildes und Zeichen des fortschreitenden 574 REISEN Wachstums in der Gemeinschaft des Lebens gesehen werden: „Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins“ (Mt 19,6). Und am Abend jenes Tages, der der herrlichste der ganzen Schöpfung war, bemerkt der biblische Autor zum Abschluß: „Gott sah, daß alles, was er gemacht hatte, sehr gut war“ (Gen 1,31). In rascher Folge haben wir drei Momente der Schöpfung betrachtet, die sehr lehrreich für uns sind. Zunächst, der Mensch ist Gottes Ebenbild; Mann und Frau, Dialog- und Lebensgemeinschaft sind Gleichnis Gottes selbst; im göttlichen Segen haben nicht der Besitz und die Beherrschung der anderen Geschöpfe den Vorrang, sondern sie treten hinter dem Primat der Lebensgemeinschaft, der Liebe zurück. Es wäre gut, wenn wir diesen ersten Abschnitt der Bibel öfter wiederlesen würden, bis er tief in unseren Geist eindringt und den Herzen eingeprägt bleibt. Denn wenn wir um uns blicken, bemerken wir, daß diese von Gott aufgestellte Wertskala in unserer heutigen Welt leider sehr häufig umgestürzt wird. Der Herr erinnert uns immer wieder an diesen Tag: Wir alle sind ihm ähnlich; seine Liebe zum Menschen hat uns ihm ähnlich gemacht; die anderen Geschöpfe wurden zu unserem Dienst bestimmt, weshalb es eine wirkliche Beleidigung des Schöpfergottes darstellt, wenn wir unseren Besitz dem Gut unserer Gottähnlichkeit vorziehen. <57> <57> Die Lesung aus dem Johannes-Evangelium, die wir gehört haben, ist wie ein fernes Echo auf den im Buch Genesis berichteten Anfang. Der Evangelist erzählt uns, daß in Kana in Galiläa eine Hochzeit gefeiert wurde: „Die Mutter Jesu war dabei. Auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit eingeladen“ (Joh 2,1 f.). Mit gläubigem Herzen habt ihr Familien Kolumbiens diesen wichtigen Abschnitt des Evangeliums gehört. Es war gerade bei dieser Gelegenheit, als Jesus den Anfang seiner Zeichen setzte, das heißt, die großen Wunder begann, mit denen er die messianische Zeit einleitete. „Er kostete das Wasser, das zu Wein geworden war. Er wußte nicht, woher der Wein kam . . . Da ließ er den Bräutigam rufen und sagte zu ihm: . . . Du hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten“ (Joh 2,9 f.). Es ist nicht der junge Ehemann aus Kana, der den neuen Wein anbietet, sondern Jesus. Der hl. Johannes, der in seinem Evangelium durch Symbol zu uns spricht, sagt uns, daß die Hochzeit zu Kana vor allem ein Zeichen ist, das erste Zeichen des neuen Bundes, der neuen Lebensgemeinschaft zwischen Gott und den Menschen. Jesus ist der Bräutigam, der anfängt, seine Herrlichkeit im Zeichen des Weines zu erkennen zu geben. Die 575 REISEN Mutter Jesu war dabei und vertritt die zum Bund mit Christus dem Bräutigam berufene Gemeinde; sie vertritt das ganze Volk Gottes, für dessen Glieder sie, wenn die Stunde naht, die Aufgabe einer Mutter ausüben wird. Jesus, der mit seiner Mutter in Kana zugegen ist, bringt also den jungen Eheleuten denselben Segen, der am Anfang von Gott dem Mann und der Frau gegeben worden war. Die Ehe, die Familie, muß wie guter Wein das Siegel des einen Bundes mit Gott, der fruchtbaren und unauflöslichen Gemeinschaft in der Liebe tragen. Lädt der Herr mit diesem ersten Zeichen nicht auch uns ein, diesen Wein zu kosten, das heißt, die Wahrheit über die Berufung des Menschen und das göttliche Samenkorn, das sich in ihm verbirgt; die Wahrheit über die Ehegatten, den Liebesbund als gegenseitige Hingabe zweier Personen, die die unbedingte Treue der Gatten verlangt und ihre unauflösliche Einheit fordert (vgl. Familiaris consortio, 20)? Wo werden wir den guten Wein finden, der vom Herrn denen angeboten wird, die in seine Familie eingepflanzt worden sind? Auf diese Frage können wir mit dem hl. Augustinus antworten: „Christus hielt seinen Wein, das heißt, sein Evangelium, bis jetzt zurück“ (In Jo.ev. 9,2: PL 1459). Unser Segen wird daher die Annahme der Wahrheit Christi und unsere persönliche Zustimmung zu ihm sein, der in unseren Herzen das große Wunder zu vollbringen vermag, Kinder Gottes zu werden, weil wir an ihn geglaubt haben (vgl. Joh 1,12). Schließlich könnten wir den Bericht von Kana als eine unentbehrliche Grammatik betrachten, in der ihr auf wenige Zeilen zusammengefaßt das Evangelium der Brautleute findet: Christus hat euch gesegnet und will, daß ihr glücklich seid. Christus und seine Mutter erwarten von jeder Ehe, daß sie Offenbarung dieser göttlichen Herrlichkeit sei, die die Kinder Gottes begleitet. So ist es, liebe kolumbianische Eheleute. Mit dem Segen Christi in euren Häusern seid ihr seit seinem „Anfang“ dazu berufen, die Wohnung Gottes größer zu machen. Das ist euer Evangelium; das ist eure edle Sendung, die euch, wenn sie in verantwortlicher Weise übernommen und durch das Sakrament geheiligt wird, dem Bund Christi mit seiner Kirche ähnlich macht. So sagt es der hl. Paulus mit treffenden Worten: „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein (Gen 2,24). Dies ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche“ (Eph 5,31 f,). „Was er euch sagt, das tut.“ Diese sanfte Mahnung Mariens zur Achtsamkeit möge den kolumbianischen Eheleuten Grund zur Ermutigung sein. Die neue Eva, die Mutter der Gläubigen, will euch dazu überreden, die 576 REISEN Pforten eures Geistes und eures Herzens bedenkenlos für den entscheidenden Lebensatem Christi und seines Evangeliums zu öffnen. Nachdem der göttliche Segen am Anfang von Jesus, dem Bräutigam, „der uns gleich geworden ist“ und gehorsam war bis zum Tod (vgl. Phil2,6-8), für immer nachvollzogen worden ist, wird er zur fruchtbaren Wahrheit, wenn ihr, ihm ähnlich geworden, den Bund eurer sakramentalen Vereinigung mit einem echten Dienst auf Lebenszeit an der Gemeinschaft mit Gott beglaubigt. 4. Die Menschen sind aufgerufen, unter dem Impuls der Heilkraft dieses Segens ihr Leben auf Erden zu einem Dienst an der Gesellschaft im Zeichen der Liebe zu machen, wie uns der hl. Paulus heute gesagt hat: „Liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vollkommen macht“ (Kol 3,14). Genau das ist die Aufgabe der Familie: sich dem Dienst der Liebe und des Lebens hingeben und folglich zugunsten des Lebens und der Liebe tätig sein. Denn die Ehe als von Gott gewollte Gemeinschaft (vgl. Familiaris consor-tio, 11c) erschöpft sich nicht in einem bloßen Jawort von menschlicher und juridischer Gültigkeit. Die Ehe wie die Familie, die aus ihr entsteht, ist eine Wirklichkeit, die in den Plänen Gottes wurzelt, Ausdruck seiner Liebe und seiner Schöpferkraft. Daher können Mann und Frau, wenn sie miteinander eine Lebensgemeinschaft für immer eingehen, aufgrund der Tatsache, daß sie „Ebenbild Gottes sind“, keine glaubensfremden Einflüsse billigen, die die Forderungen des ehelichen Liebesbundes schmälern, der auch in der Öffentlichkeit etwas Einmaliges und Ausschließliches sein muß, wenn er wirklich in voller Treue zum Plan des Schöpfers gelebt werden soll (vgl. Familiaris consortio, 11). So wie sich Gott in der wechselseitigen Liebe der drei Personen der Heiligsten Dreifaltigkeit verwirklicht, so müssen auch Ehe und Familie Liebesgemeinschaft der Eheleute und Kinder sein. Von einer Ehe, von einer gefestigten und geeinten Familie, in der die christliche Liebe mit ihrem ganzen Reichtum wohnt (vgl. Kol3,16), ist ein wirksamer Beitrag zur Gesellschaft im Zeichen der Liebe zu erwarten: einer Liebe, die hauptsächlich im Zuhause ihren Ausdruck findet, wo man miteinander wie ein Herz und eine Seele lebt (vgl. Apg 2,44); einer Liebe, die gleichsam der neue Wein für die Berufung der Eheleute ist: Wenn alle von Liebe bestimmt, vom Gespräch mit Gott genährt und mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde und Geduld bekleidet werden 577 REISEN (vgl. Kol 3,12), wird auch tiefe und reife Freude und Fröhlichkeit herrschen. Man kann daher sagen, daß schon im Anfang und dann noch mehr in Übereinstimmung mit der Botschaft Christi die Familie von Gott gewollt und dazu bestimmt war, von Grund aus Gemeinschaft im Dienst der Liebe und des Lebens zu sein. Das und nichts anderes ist, um es noch einmal zu wiederholen, der Plan Gottes, den die Kirche achtet und dem sie gehorcht, wenn sie mit allen Mitteln bestrebt ist, die Liebe und Einheit der Familie im Dienst am Leben, an der Gesellschaft und vor allem an der Würde der Eheleute und ihrer Kinder zu nähren. Wie ich bereits in meinem Apostolischen Schreiben über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute sagte, ist die christliche Familie so in das Geheimnis der Kirche eingefügt, daß sie in ihrer Art als innige Liebes- und Lebensgemeinschaft an der eigenen Heilssendung der Kirche teilnimmt (vgl. Familiaris consortio, 49 f.). Die Ehe und die christliche Familie erfüllen ihrerseits auf wunderbare Weise Gottes Plan, wenn sie sich anschicken, von sich aus die Werte des Evangeliums zu verbreiten und zu pflegen. Der häusliche Herd, die Familie, die „Hauskirche“, müssen auch evange-lisatorisch sein. Denn die christlichen Eheleute sollen auf Grund ihrer Taufe und Firmung und auf Grund der sakramentalen Kraft der Ehe den Glauben weitergeben und der Gesellschaft die Werte vermitteln, die die Gesellschaft im Sinne des Planes Gottes verändern. In der Überzeugung, daß Christus in der Familie gegenwärtig ist, müssen sie die geeignetsten Glaubensverkünder für ihre Kinder sein, denen sie ihre eigene Glaubenserfahrung durch das Wort, vor allem aber durch das tägliche Zeugnis ihres Lebens als Eheleute, als Glieder der Kirche und der Gesellschaft weitergeben werden. Familienväter, ihr müßt darüber hinaus die ersten Katecheten und Erzieher eurer Kinder in der Liebe sein. Wenn man nicht in der Familie lieben und beten lernt, wird man diesen Mangel später nur schwer überwinden können. Das Leben und der Glaube eurer Kinder sind unermeßliche Schätze, die der Herr in eure verantwortlichen Hände gelegt hat. Zeigt ihnen den Weg des Guten und begleitet sie, damit in schwierigen Zeiten oder Krisen eure Festigkeit im Glauben, euer christliches Zeugnis für sie ein notwendiger Bezug ist, der die Flamme ihres Glaubens und die Liebe, die ihr in ihren Herzen gesät habt, anfacht. Die Evangelisierung und Katechese, die die Eheleute innerhalb ihrer Familie durchführen, muß in Gemeinschaft mit der Kirche erfolgen. Die Familienväter haben das 578 REISEN Recht und warten mit gutem Grund auf richtige Anweisungen ihrer geistlichen Hirten in den Pfarreien und Gemeinden in Form der Predigt und einer authentischen christlichen Katechese. 5. Was wir eben über den Bereich der Familie gesagt haben, müssen wir ebenso, gleichsam als Rückwirkung, auf alle anderen Formen der Koexistenz und des Zusammenlebens zwischen den Menschen beziehen. Wenn der Apostel sagt: „In eurem Herzen herrsche der Friede Christi“ (Kol 3,15), müssen wir diese Worte nicht mit weniger Lehrverbindlichkeit auf das Herz, auf den Kern jeder Vereinigung, Bewegung oder Institution und schließlich auf die Gesellschaft als solche anwenden. Vergessen wir jedoch nicht, daß alle diese Personenkreise durch die Familiengemeinschaft gestärkt werden, aus der die Gesellschaft im Zeichen der Liebe entspringt, durch die sie genährt und gefestigt wird. Wenn die Institution der Familie Erschütterungen erfährt oder verfällt* lockern sich die Bande der Solidarität, wird dort Zerstörung und Zerfall gefördert, wo die Harmonie und der Friede das günstigste Klima für das Gemeinwohl sind und schließlich die Grundzellen der Gesellschaft ihre Krankheit auf den ganzen Organismus ausdehnen werden. Wenn der Friede Christi nicht im Herzen der Familie und der Gesellschaft herrscht, verlieren die Völker nicht nur Schwung und Kraft, sondern es geht auch die Achtung vor dem Leben und der menschlichen Würde verloren. Das wollte ich in meiner jüngsten Enzyklika Dominum e, vivificantem in Erinnerung bringen: „Die schwierige Lage in weiter Gebieten auf unserem Planeten ... ist allen immer bewußter geworden. Es geht dabei nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch und vor allem um ethische Probleme. Aber am Horizont unserer Zeit verdichten sich noch weitere finstere „Zeichen des Todes‘ : Es hat sich die Sitte verbreitet . . ., den menschlichen Wesen, noch bevor sie geboren werden oder bevor sie zur natürlichen Grenze des Todes gelangt sind, das Leben zu nehmen“ (Nr. 57). Kolumbianische Mütter! Verantwortliche Ehefrauen! Verteidigt stets das Leben! Denkt daran, wie Jesus von Johannes dem Täufer erkannt werden wollte, der sich noch im Mutterleib befand, sich freute und vor Freude hüpfte über seine Anwesenheit im jungfräulichen Leib Mariens. Eheleute und Familienväter, die Würde der Liebe verteidigen heißt die Gesellschaft verteidigen. Die Familie wird von Ideologien und Institutionen gefährdet, die psychologisch oder in einer anderen Form der Pression das Paar unter Druck setzen und die Menschen verleiten, die Quellen des 579 REISEN Lebens zu verschütten und sich zu weigern, zu einem neuen Leben mit Liebe Ja zu sagen. Die verantwortliche Elternschaft ist ein Beweis der Liebe und des Dienstes am Frieden und am Leben. 6. Liebe Kolumbianer, wenn wir uns nicht entschließen, die Stacheln aus unseren Herzen auszureißen, die die Dynamik des Lebens; der Kultur und der Zivilisation in seinem Keim ersticken, ist unsere Gesellschaft, ja die ganze Menschheit daran, in einen zunehmenden Gewissensschlaf all ihrer Mitglieder und Institutionen zu versinken, deren Augen von trügerischen Modernismen oder falschem Fortschritt geblendet werden, die die Wahrheit über den Menschen leugnen und dazu neigen, in Gott ein Hindernis und nicht die Quelle der Befreiung und die Fülle des Guten zu sehen. Das ist falschverstandene Freiheit, die, statt den Frieden und die Gesellschaft im Zeichen der Liebe aufzubauen, nur Bitterkeit und Entfremdung des Menschen bewirkt (vgl. Dominum et vivificantem, 37 f.). 7. Der Friede in den Herzen gehört zur Herrschaft Christi, die auch Herrschaft der Wahrheit und der Gerechtigkeit ist: Friede in den Herzen, der auch soziale Liebe ist, wenn die Eintracht zwischen den einzelnen, den Familien und den Institutionen wirksam wird. Männer und Frauen, die ihr mich hört: ihr alle zusammen bildet die große kolumbianische Familie, die bestrebt ist, dieses unersetzliche Gut zu erreichen und sich seiner zu freuen, das die unerläßliche Voraussetzung für den Schutz und die Förderung des Lebens in allen seinen Bereichen ist. Diese geschätzte Gemeinde liebt - das weiß ich sehr gut - vom Mutterleib an den Frieden, das Abbild und die Auswirkung des Friedens Christi, und opfert sich für ihn auf. Das ist ein Bestreben und eine Aufgabe, die nicht einmal in Augenblicken der Sorge und Unruhe, der Verwirrung oder Bedrohung zu Feindseligkeit in euren Herzen im sozialen, internationalen und weltweiten Rahmen führen darf. Kann man vernünftigerweise - so frage ich mich - das Wohl der Menschen und Völker, den Fortschritt der Zivilisation den Initiativen einzelner oder organisierter Gruppen überlassen, die z. B. dazu neigen, Systeme oder Ideologien einzuführen, die die Gewalttätigkeit unterstützen, das soziale Gleichgewicht mit subversiven Mitteln systematisch stören oder auch die kritische Situation auf dem verkürzten Weg des Terrorismus oder des Guerillakampfes lösen wollen? Es ist mir bekannt, meine Lieben, daß euer Herz nicht ganz fern von diesen Verwirrungen war und ist; doch ebenso gewiß ist, daß ihr dank der 580 REISEN weisen Führung eurer Bischöfe und des geduldigen und beharrlichen Vorgehens der Verantwortlichen der öffentlichen Verwaltung - beide im eigenen Bereich - als dringende Aufgabe die Ausweitung der Herrschaft Christi erkannt habt und darauf ausgerichtet seid, „eine politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung zu schaffen, die immer besser im Dienst des Menschen steht und die dem einzelnen wie den Gruppen dazu hilft, die ihnen eigene Würde zu behaupten und zu entfalten“ (GS 9). „Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch“ (Kol 3,16). Jawohl. Das Wort Christi ist reich. Es dient dem Aufbau und nicht der Zerstörung. Es dient der Gerechtigkeit, der Liebe, dem Frieden und nicht dem Haß. Es knüpft und stärkt die Bande zwischen den Menschen und hinterläßt keine Abgründe zwischen ihnen. Es fördert die Einheit und stört sie nicht. Beten wir dafür, daß dieses Wort des Heils mit seinem ganzen Reichtum in euch wohne: in euren Familien, in euren Gemeinden, in allen Menschen, die das kolumbianische Vaterland bewohnen, in der ganzen Menschheit. Möge in euch dieses Wort des Heils wohnen! Möge es lebendig und wirksam sein! Möge es die Gesellschaft im Zeichen der Liebe aufbauen! Liebe Brüder und Schwestern: „Alles, was ihr in Worten und Werken tut, geschehe im Namen Jesu, des Herrn. Durch ihn dankt Gott, dem Vater!“ (Kol 3,17). Amen. Mission ist nie zerstörerisch Predigt beim Wortgottesdienst in Tumaco am 4. Juli Geliebte Brüder und Schwestern! 1. Die Freude, die mir die Begegnung heute in Tumaco bereitet, möchte ich mit einem herzlichen Gruß an alle zum Ausdruck bringen, die hier anwesend sind, und auch an alle, die uns im Geist begleiten. In erster Linie begrüße ich den Hirten dieses Apostolischen Vikariats Tumaco und die anderen Hirten und Missionare, die ihr von hier bis Guajira, Casanare und ins'Amazonasgebiet mit apostolischem Eifer und unter großen Opfern die Kirche Christi aufbaut. 581 REISEN Ich begrüße die Missionare und Missionarinnen, die Priester, Ordensleute und Laien, die opferbereit das Evangelium bezeugen und aussäen. Ihr alle, liebe Missionare, seid mir in meinem Herzen und in meinen Gebeten gegenwärtig. Ebenso begrüße ich euch, geliebte Söhne und Töchter der Eingeborenengemeinde, so wie alle, die ihr in Tumaco und Narino, an der Küste, auf den Inseln und an den Ufern der Flüsse wohnt. Zu euch, die ihr oft sehr von der Natur mit Erdbeben, Sturmfluten und Feuersbrünsten heimgesucht werdet, die ihr geographisch so weit entfernt und manchmal in Armut lebt, zu euch möchte ich sagen: die Mutter Kirche liebt euch sehr, und durch sie liebe ich euch. Ich habe mich zutiefst danach gesehnt, euch besuchen zu können. Mit diesem meinem Gruß möchte ich das ganze missionarische Kolumbien umarmen; das der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Auch möchte ich euch eine Botschaft hinterlassen, die ein missionarisches Programm sein soll, eine Fortsetzung des Wortes „Folge mir!“, das wir im Evangelium finden und Jesus an jeden von euch gerichtet hat, besonders aber an jene, die ihr Leben der Verkündigung des Evangeliums weihen wollten, es wollen und in Zukunft weihen werden. 2. Wie zeitgemäß klingen doch die Worte des Meisters an dieser schönen Küste Kolumbiens! Jesus wandte sich zu seinen Jüngern und sagte zu ihnen, wie wir im Johannesevangelium vernommen haben: „Was sucht ihr?“ {Joh 1,38). Die Menschheit sucht Gott auf vielerlei Weise. Sie dürstet nach Rettung. Sie verlangt nach wahrem Glück und wahrer Freiheit. So wie die Erde des Regens bedarf, bedarf die Welt des Evangeliums, der Frohbotschaft Jesu. Die ganze Geschichte ist auf Christus hingeordnet, auf seine Wahrheit, die uns frei macht (vgl. Joh 8,32). Der Heilige Geist führt die Völker zum Herrn. „Der Heilige Geist ist an der Quelle von Mut, Kühnheit und Heroismus: „Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“ (2 Kor 3,17) {Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung, Nr. 4). Die Menschen suchen den Messias — manchmal von Zweifeln überschattet; er ist als einziger imstande, das Leben und die Geschichte zu erhellen, weil er das Licht der Welt ist (vgl. Joh 8,12). Die wesentliche Aufgabe der von Jesus Christus gegründeten Kirche ist, dieses Licht bis an die Grenzen der Erde gelangen zu lassen. Deshalb ist die Kirche auf die Verkündigung des Evangeliums ausgerichtet, deshalb ist sie missionarisch: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern!“ (Mt 28,19). 582 REISEN 3. Wie könnte ich bei dieser Begegnung mit der missionarischen Kirche Kolumbiens nicht daran erinnern, daß die Neue Welt in Kürze der 500 Jahre ihrer Missionierung gedenken wird? Die Evangelisierung dieses Kontinents legt für die eine, weltumspannende und apostolische Kirche Zeugnis ab, die dem Reich Gottes alle Völker mit der Vielfalt ihrer Kulturen und menschlichen Werte hinzugewinnt. Wir können uns fragen: Woher kommt dieses ständige Mühen der Kirche um eine Evangelisierung, die keine Grenzen kennt? Vom Anfang des evangelischen Berichtes an können wir feststellen, daß alle zur Nachfolge Christi Berufenen auch zur Evangelisierung berufen waren: „Jesus . . . rief die zu sich, die er erwählt hatte ... die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten“ (Mt3,13 f.). Das „bei ihm bleiben“, das die Annahme einer Berufung kennzeichnet, wird spontan zur Verkündigung: „Wir haben Jesus aus Nazaret gefunden“ (Joh 1,45).) Dieser missionarische Auftrag entspricht vor allem dem Auftrag Petri und der übrigen Apostel, als Prinzip der Einheit und Ansporn zur missionarischen Verantwortung des ganzen Volkes Gottes: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ (Mk 16,15). Die Apostel erfüllten ihren missionarischen Auftrag in rückhaltloser Treue. Der Herr hatte Petrus den Auftrag anvertraut, die Einheit aufrechtzuerhalten und die anderen Apostel im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22,32; Joh 21,15—17). Die Nachfolger der Apostel haben unermüdlich den Glauben verbreitet, und die Päpste haben ihn - als Nachfolger Petri -bestärkt und belebt, verteidigt und verbreitet. Und nun steht hier vor euch, geliebte Brüder und Schwestern, der Papst, der Nachfolger Petri, um sich in eurem Glauben, in eurem rückhaltlosen Einsatz und in eurer Mission, die keine Grenzen kennt, zu stärken. 4. Die Geschichte der Evangelisierung Kolumbiens in Erinnerung rufen stellt heute - am Ende des zweiten christlichen Jahrtausends - einen Ansporn dar, eine unumgängliche Arbeit verstärkt zu tun, die Indikator für die Lebenskraft der Kirche in der Zukunft sein wird. Eure „missionarische Stunde“, die „missionarische Stunde“ Kolumbiens und ganz Lateinamerikas, besteht in der Verpflichtung dem empfangenen Erbe gegenüber. Seit fast fünf Jahrhunderten haben sich meine Vorgänger unablässig darum bemüht, es nicht an Missionaren zur Förderung der Evangelisierung dieser Völker fehlen zu lassen. Santa Marta, Cartagena, Popayän 583 REISEN und Santa Fe de Bogota waren die ersten lebensvollen Diözesen; dank ihrer eifrigen Hirten und der unermüdlichen Missionare faßte der Same des Evangeliums sehr rasch in jener Gegend Wurzeln, die später Nueva Granada genannt wurde. Wir können wohl sagen, daß die göttliche Gnade hier Wunder wirkte. Auf jeden Fall erwecken die damals unternommenen pastoralen Initiativen, die auf eine Festigung und zusätzliche Belebung und Verbreitung des Glaubens ausgerichtet waren, heute Bewunderung: Glaubensschulen und Pfarreien. Mit Recht sagte das Zweite Vatikanische Konzil, daß in den Teilkirchen „die . . . Kirche wahrhaft wirkt und gegenwärtig ist“ (CD 11). Mit besonderer Aufmerksamkeit für die abgelegensten Orte übertrug der Apostolische Stuhl einige Gebiete der Propaganda Fide: das erste war Casanare, das dem Hirteneifer des seligen Bischofs Ezequiel Moreno anvertraut wurde; er begab sich später in diese gesegnete Gegend von San Andres de Tumaco, das seit 25 Jahren Apostolisches Vikariat ist. Unser Dank gilt auch den Orden, die Nueva Granada missionierten, ebenso den übrigen Kongregationen, Institutionen und Vereinigungen, die sich unermüdlich um die Einpflanzung und das Wachstum der Kirche in den Missionsgebieten bemüht haben. 5. Die Geschichte der Missionen in Kolumbien ist eindrucksvoll und ruhmreich. Durch die Erziehungsarbeit der Missionare entfaltete die Kirche gleichzeitig eine überaus große kulturelle Tätigkeit und trug den Sinn für Vaterland und Nation bis an die Grenzen Kolumbiens, die andere nicht immer leicht erreichten. Wenn auch manche historischen Umstände die Evangelisierung eher behinderten, so verstand es doch die Kirche, auch im Leiden zu lieben und freimütig die Verkündigung des Evangeliums fortzusetzen als Beispiel der Freiheit und der Märtyrerhaltung, die allen Verkündern des Evangeliums eigen sein muß: „Wir können unmöglich schweigen“ (Apg 4,20). Diesem Küstenstreifen von Nariiia und dem Cauca widmete der selige Ezequiel Moreno, von seinem Sitz in Pasto aus, seine besten Energien, um das Reich Christi zu verkünden. Einige Missionsgebiete wurden im Lauf der letzten Jahre in verhältnismäßig reife Diözesen verwandelt, und es gibt jetzt Missionare, Söhne und Töchter Kolumbiens, die anderen Kirchen, die größeren Mangel haben, zu Hilfe kommen. Ich darf wohl hoffen, daß der missionarische Eifer, zu dem zweifellos der im nächsten Jahr in eurem Land stattfindende Dritte Lateinamerikanische Missionskongreß beitragen wird, Tag für Tag wachse. 584 REISEN 6. Wenn man die Geschichte eurer Evangelisierung und eurer missionarischen Verantwortung betrachtet, vernimmt man hier an dieser Küste Kolumbiens erneut den Wiederhall des Rufes Jesu: „Folge mir!“ Und ich glaube auf eurem Antlitz und in euren Herzen die Antwort der ersten Apostel zu vernehmen: „(Sie) folgten Jesus . . . (sie) blieben. . . bei ihm . . . Wir haben den Messias gefunden . . . Jesus aus Nazaret“ (Joh 1,37.39.41.45). Nur im Licht der Worte Jesu kann man die kirchliche und missionarische Verpflichtung verstehen und erfüllen, die die 1979 in Puebla versammelten Bischöfe mutig hervorgehoben haben: „Für Lateinamerika ist endlich auch die Stunde gekommen, die gegenseitigen Dienste zwischen den Teilkirchen zu verstärken und jenseits der eigenen Grenzen zu wirken, ,Ad gentes‘. . . Wir müssen auch in unserer Armut geben“ (Puebla, Nr. 368). Ich selbst erinnerte sie bei dieser Gelegenheit an die missionarische Natur der Kirche: „Die Verkündigung (ist) der wesentliche Auftrag der Kirche, ihre ureigene Berufung; er entspricht dem innersten Wesen der Kirche, die selbst wiederum aus dem Evangelium geboren wird (EN 14 f., LG 5). Selbst von ihrem Herrn gesandt, entsendet sie ihrerseits die Boten des Evangeliums, um zu predigen ... die Verbreitung der Glaubensbotschaft (ist) nie ein rein individueller, isolierter Akt ... sie ist immer zutiefst kirchlich“ (Ansprache an die 3. Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Puebla am 28. Januar 1979,1 7). 7. Es ist ein Zeichen der Reife einer Kirche, wenn sie sich Tag für Tag missionarischer fühlt. Wir alle haben auf den Ruf des Herrn gehört, der uns einlädt, ihm zu folgen, um ihn den Brüdern und Schwestern bekanntzumachen. Manchmal werden wir uns versucht fühlen, uns in unsere eigenen Probleme und Nöte einzukapseln, und vergessen dabei die grenzenlose Aufgabe der Erlösung und der Mission. „Trotz dieser Hindernisse folgt die Kirche stets aufs neue ihrem tiefsten Antrieb, der unmittelbar von ihrem Meister stammt: In die ganze Welt! Der ganzen Schöpfung! Bis an die Grenzen der Erde!“ (EN 50). Wie viele junge Menschen fühlen heute den faszinierenden Ruf Christi und entschließen sich, alles für ihn zu wagen! Wie viele Familien bemühen sich um die volle Evangelisierung ihres Familienkreises der „Hauskirche“ (LG 11) und der ganzen Einflußsphäre in der menschlichen und kirchlichen Gesellschaft! Es ist notwendig, daß alle wirklich spüren, daß die Mission die wirksame Dynamik des in der Kirche gegenwärtigen Christus ist. Die Kirche ist Zeichen „für eine neue Gegenwart Christi, ein Zeichen 585 REISEN für seinen Heimgang und sein Verbleiben. Sie führt seine Gegenwart ununterbrochen fort. Es ist vor allem seine Sendung und sein Dienst der Evangelisierung, zu deren Fortsetzung sie berufen ist“ (EN 15). Tatsächlich kann die Kirche, die sich mit Christus verbunden fühlt, nicht auf hören, missionarisch zu sein; wenn ja die missionarische Lebenskraft spontan dem Wesen der Kirche als lebendigem Leib Christi entspringt, die bestrebt ist, sich an allen Orten, in allen Kulturen und über alle Zeiten hinweg auszubreiten. Zu diesem Einsatz drängt uns die Gegenwart Christi, insbesondere in der Eucharistie, die „Quelle und Höhepunkt aller Evangelisation“ (PO 5) ist. Wenn wir Kirche sind und uns als solche fühlen, zählen wir auf die Kraft des Heiligen Geistes, die der Kirche versprochen und mitgeteilt wurde, damit sie sich für die ganze Welt öffne (vgl. Apg 1,8; 13,4; AG 4). Wie könnten wir uns nicht darüber freuen, hier so viele Gruppen von Christen anwesend zu sehen, die nach echter Erneuerung im Licht des Wortes Gottes und des Wirkens des von Jesus gesandten Geistes streben? Wir alle möchten heute unsere Kirche erneuert sehen; wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß „die Gnade der Erneuerung ... in den Gemeinschaften nicht wachsen (kann), wenn nicht eine jede den Raum ihrer Liebe bis zu deii Grenzen der Erde hin ausweitet und eine ähnliche Sorge für jene trägt, die in der Ferne leben, wie für jene, die ihre eigentlichen Mitglieder sind“ (AG 37). 8. Die Kirche hat immer ihre besten Kräfte bei dem Werk der Evangelisierung der Eingeborenen eingesetzt, man muß jedoch daran erinnern, daß diese „gewöhnlich nicht an den Gütern der Gesellschaft teilhaben und in einigen Fällen gar nicht oder nur unzulänglich evangelisiert wurden“ (Puebla, Nr. 365). Ich persönlich habe im Lauf meiner Reisen auf dem lateinamerikanischen Kontinent direkt zu ihnen über ihre Lage gesprochen. Die Kirche kann angesichts der Tatsache, daß viele von ihnen am Rande der Gesellschaft leben, weder schweigen noch passiv bleiben; deshalb begleitet sie mutig und friedliebend, wenn es sich darum handelt, ihr legitimes Recht auf Besitz, Arbeit, Bildung und Teilhabe am öffentlichen Leben ihres Landes zu verteidigen. Die Evangelisierung der Eingeborenen bereichert die Weltkirche und die gesamte Menschheit in kultureller, sozialer und religiöser Hinsicht. Die missionarische Tätigkeit ist nie zerstörerisch, sie läutert und ist konstruktiv (vgl. RH 112; AG 11). 9. Schließlich möchte ich auf der besonderen Aufgabe aller Gläubigen und der gesamten kirchlichen Gemeinschaft bestehen, für die Missions- 586 REISEN arbeit zu beten und zu opfern. Das Gebet und das christliche Leiden sind für die Evangelisierung unerläßlich. „Bittet also den Herrn der Ernte“ (Mt 9,38), hat uns Christus gelehrt. Betet also alle, nach dem Beispiel der hl. Theresia von Lisieux, der Patronin der Mission, für die entsagungsreiche, oft schwierige und unverstandene Arbeit der Missionare und aller Träger der Evangelisierung. Betet auch um die missionarische Haltung des ganzen Volkes Gottes, schon von Kindheit an hängt doch von dieser Haltung die Zukunft der Verbreitung des Glaubens in aller Welt ab. Betet ebenso für jene Teilkirchen, die einst durch die Aussendung von Missionaren und die materielle Hilfe zum Entstehen und zum Wachstum der Teilkirchen der Neuen Welt beigetragen haben und heute eures Gebetes zu Gott bedürfen, um Stärkung in der Hoffnung und der Liebe zu erlangen, um sich untereinander verbunden und voll Lebenskraft zu fühlen und um weiterhin mit euch Licht der Welt und Salz der Erde zu sein. „Das Gebet bleibt immer die Stimme all derer, die scheinbar keine Stimme haben“ (Dominum et vivificantem, 65). 10. Geliebte Missionare und Missionarinnen! Meine Worte gelten insbesondere euch, die ihr euer Leben für die Verkündigung des Evangeliums an alle Völker einsetzt. Ich möchte euch mahnen, immer eurer religiösen und evangelischen Mission treu zu bleiben. Gebt nicht der Versuchung einer engstirnigen Anthropologie nach, die die Wahrheit vom Menschen nicht in ihrer ganzen Fülle anerkennt und den absoluten Vorrang der Verkündigung des Evangeliums nicht respektiert. Setzt euer erzieherisches und karitatives Wirken fort; es ist ein Werk der Kirche, das ihr immer im Geist umfassenden Fortschritts und einer vollauf menschlichen Zivilisation geleistet habt, besonders den Ärmsten und Bedürftigsten gegenüber. Ihr wißt, daß ihr mit der Liebe und Wertschätzung eurer Gemeinschaften rechnen könnt, denen ihr mit Opfer und Ausdauer gedient habt. Seid überzeugt, daß der Papst, die Bischöfe und das kolumbianische Volk euch in tiefer Achtung und Dankbarkeit verbunden sind. Das 400jährige Jubiläum U. Lb. Frau vom Rosenkranz in Chiquinquirä erfülle die Missionare Kolumbiens mit Eifer, das Evangelium des Friedens zu verkünden nach dem Beispiel jener, die, nachdem sie das Wort Gottes in ihrem Schoß empfangen hatte, sich eilig aufmachte, um Christus zu ihren Mitmenschen zu tragen (vgl. Lk 1,39). Vertrauen wir der Jungfrau und Mutter die Missionsarbeit in Kolumbien und die Missionsarbeit Kolumbiens in der Welt an; mit ihr wird unsere Hoffnung nicht fehlgehen, und so werden sich die zukünftigen Generationen ebenso wie wir alle des 587 REISEN Privilegs erfreuen können, durch das Erbarmen Gottes berufen zu sein, den Glauben zu empfangen, und mit ihm die Aufforderung, ihn mit allen Brüdern zu teilen. Allen hier Anwesenden, euren Familien und insbesondere den Kranken, den Kindern und den Leidenden erteile ich aus ganzem Herzen als Unterpfand reicher göttlicher Gnaden meinen Apostolischen Segen. „Solidarität des ganzen Gottesvolkes“ Grußworte bei der Begegnung mit den Bewohnern von Chinchinä am 5. Juli Meine lieben Söhne und Töchter in Christus, dem Herrn! 1. Diese Begegnung mit den durch die vom Vulkan Nevado del Ruiz ausgelöste Tragödie geschädigten Menschen ist für mich besonders erschütternd. Wie der Samariter im Evangelium nähere ich mich der Welt des Leidens, wo Jesus in besonderer Weise gegenwärtig ist; deshalb möchte ich und mit mir auch die ganze Kirche mit ihrem Wort des Trostes und der Hoffnung, mit ihrer mütterlichen Liebe und, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, auch mit ihrer hochherzigen Hilfe unter euch anwesend sein. Hier in eurem Land, das vom Kreuz Christi gezeichnet ist, möchte ich die einzelnen und die Familien, die den tragischen Tod ihrer Lieben erlitten haben, sowie die Überlebenden, die Vereinsamung, Hilflosigkeit und Armut ertragen, begrüßen und ihnen meine Solidarität, die Solidarität des ganzen Gottesvolkes bekunden. Während ich als Vater und Hirte euren Schmerz teile, lade ich euch ein, diese großen Leiden in einen Erlösungsakt zu verwandeln, indem ihr euch mit klarem Bewußtsein für den christlichen Sinn und den Heilswert des Schmerzes mit der Passion des Herrn vereinigt. <58> <58> Ich grüße den Herrn Präsidenten der Republik, dessen Anwesenheit bei diesem Akt erneut sein Interesse für die Geschädigten beweist. Ebenso grüße ich den Herrn Gouverneur und andere Persönlichkeiten der Zivil- und Militärbehörden; sie alle haben sich, ebenso wie viele andere 588 REISEN hochherzige Bürger, in hingebender Weise unter Überwindung großer Schwierigkeiten der Opfer angenommen. Ich grüße brüderlich den geistlichen Hirten dieser Ortskirche, den Herrn Erzbischof von Manizales, seine Priester, die Ordensmänner, Ordensfrauen und Laienapostel, die in echt evangelischem Sinn stets bereit sind, zu helfen, zu lieben und die Liebe in die Tat umzusetzen, Güte verbreitend und Gutes tuend. Der Herr belohne alle eure Mühen, besonders die mehr verborgenen, weniger bekannten, die mitunter die verdienstlicheren und wirksameren sind. Damals, nach dem tragischen Geschehen, wollte ich meinen Beitrag für die Geschädigten und für die Wiederaufbauarbeit übersenden. Heute benütze ich diese Gelegenheit, um meiner Befriedigung über die wunderbare Solidarität Ausdruck zu geben, die von so vielen Personen und Institutionen allgemein bewiesen wird. Von ganzem Herzen segne ich die Werke, die unternommen werden, um die Folgen der schmerzlichen Katastrophe zu beheben. 3. Ich weiß anderseits, daß Sorge, Beunruhigung und sogar Angst bestehen vor der Gefahr, es könnte zu neuen Katastrophen kommen. Mit der sehr zu begrüßenden und zweckmäßigen Vorsorge, der notwendigen Klugheit angesichts des Risikos und den wirksamen Vorsichtsmaßnahmen muß sich ein großes Vertrauen auf Gott, unseren Vater, verbinden. Als Jünger Christi müssen wir den Sinn zu erfassen und zu deuten wissen, den für uns alle selbst die traurigsten Ereignisse haben. Immer ist in ihnen ein Aufruf des Herrn zur Erneuerung und Umkehr enthalten. 4. Während mein Blick zu der auf dem Berg gelegenen Stadt Manizales geht, denke ich an ihre christliche Verwurzelung und an ihre kulturelle Tradition. Daraus erwächst ihr die Berufung auch zu sittlicher und geistlicher Höhe, damit sie das Licht, das ihrem starken Glaubenserbe entspringt, auf die anderen ausstrahle. Man darf jedoch in die Vergangenheit nicht nur blicken, um ihren Ruhm aufleben zu lassen, sondern man muß in ihren Wurzeln die passenden Antworten auf die Herausforderungen der Geschichte zu entdecken suchen, um mit guter religiöser und moralischer Vorbereitung, mit Reife und Mut den Verlockungen des Materialismus und der Genußsucht und den Gefahren des Säkularismus und jener Ideologien, die Spaltung und Haß verbreiten und dem heutigen Menschen den Sinn für Gott und den Sinn für die Sünde nehmen, entgegenzutreten und sie zu überwinden. 589 REISEN Schützt die Familie vor der Auflösung und vor Ansteckungen, die sie bedrohen; schützt die Jugend, damit sie gesund, hochherzig und offen bleibt für Christus, so daß sie wirklich neues Blut ist, um neue Generationen zu formen und eine bessere Zukunft zu gestalten, in der die Zivilisation des Friedens, der Solidarität und der Liebe herrscht. Diese Gebiete verfügen, Gott sei Dank, im Kaffeeanbau über eine der großen Quellen der nationalen Wirtschaft, eine Hauptachse der Landwirtschaft. Legt also euer größtes Bemühen in die Verteidigung, Organisation und Förderung dieses Bereiches, damit er Quelle des gemeinsamen Wohlstandes und des menschlichen Fortschritts sei; und damit er nicht bloß einzelnen Personen nütze oder der Vorherrschaft von Gruppen diene, sondern allen zum Vorteil gereiche, wie es den Forderungen der ersehnten sozialen Gerechtigkeit entpricht, die die Kirche anregt und für die sie im Licht des Evangeliums eintritt. 5. Liebe Söhne von Chinchinä und Villamaria: Habt Mut und Vertrauen! Liebe Bewohner von Caldes und Manizales: Immer mutig voran! Fahrt fort, nach dem Vorbild eurer Vorfahren das Vaterland durch die echtesten menschlichen und christlichen Werte zu bereichern, um so die Gegenwart glaubwürdig zu machen und die Zukunft zu erleuchten. In diesem Nationalen Marianischen Jahr hinterlasse ich,euch als Unterpfand meiner herzlichen Zuneigung und als Hoffnungszeichen für die Zukunft das gekrönte Gnadenbild Unserer Mutter vom Rosenkranz, damit sie bei ihrem göttlichen Sohn für diese ganze schöne Region und für dieses edle Volk von Caldes, das sie voll Liebe verehrt und hochhält, vollen Frieden, zunehmenden Wohlstand, unerschütterlichen Glauben und ein konsequentes christliches Leben erwirke. Und nun richten wir als Söhne, die das ganze Vertrauen in ihren Vater setzen, unser inniges Gebet an Gott. Gebet für die Opfer von Chinchinä 1. Barmherziger Vater, Herr des Lebens und des Todes. Unser Schicksal liegt in deinen Händen. Blicke gütig auf uns und leite unser Dasein mit deiner weisen und liebevollen Vorsehung. Angesichts der Naturgewalten, die sich hier entluden, fühlten wir uns hilflos. Angesichts des Geheimnisses von soviel Tod und Schmerz unserer Brüder waren wir bestürzt. Darum, Vater, wenden wir uns an dich. 590 REISEN 2. Belebe, Herr, in uns das Licht des Glaubens, damit wir das Geheimnis dieses großen Schmerzes annehmen und glauben, daß deine Liebe stärker ist als der Tod. Schaue, Herr, voll Güte auf den Schmerz derer, die den Tod ihrer Lieben beweinen: Söhne, Väter, Brüder, Verwandte, Freunde. Mögen sie die Gegenwart Christi spüren, der die Witwe von Naim und die Schwestern des Lazarus tröstete, denn er ist die Auferstehung und das Leben. Mögen sie den Trost des Heiligen Geistes erfahren, die Fülle deiner Liebe, die Hoffnung deiner Vorsehung, die Wege der geistlichen Erneuerung eröffnet und denen, die ihn lieben, eine bessere Zukunft zusichert. 3. Hilf uns, aus diesem Geheimnis des Schmerzes zu lernen, daß wir Pilger auf Erden sind, daß wir immer vorbereitet sein müssen, weil der Tod unvermutet eintreten kann. Erinnere uns daran, daß wir auf Erden säen müssen, was wir vielfältig in der Herrlichkeit ernten wollen. Laß uns in unserem Leben immer auf dich schauen, Vater und Richter über Lebende und Tote, der du uns am Ende in Liebe richten wirst. 4. Wir danken dir, Vater, weil im Glauben der Schmerz uns dir näherbringt und in ihm die Brüderlichkeit und Solidarität aller wächst, die ihr Herz dem bedürftigen Nächsten öffnen. Von diesem Ort aus, der die sterblichen Überreste so vieler unserer Brüder bewahrt, höre unser Gebet: „Gewähre ihnen, Herr, die ewige Ruhe und laß für sie das ewige Licht leuchten. Sie mögen ruhen in Frieden.“ Und uns, die wir weiterleben, Pilger in diesem Tal der Tränen, gewähre die Hoffnung, uns mit dir zu vereinen, in deinem Vaterhaus, wo dein Sohn Jesus uns einen Platz bereitet hat und .die Jungfrau Maria uns zur Gemeinschaft mit den Heiligen geleitet. Amen. 591 REISEN „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ Predigt bei der heiligen Messe mit Priesterweihe auf dem Flughafen von Medellin am 5. Juli 1. Liebe Brüder im Priesteramt Christi! „Ich nenne euch nicht mehr Knechte... Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“ (Joh 15,15). Diese Worte sprach Jesus Christus während der Feier des Letzten Abendmahles bei der Einsetzung des Sakramentes seines Leibes und seines Blutes zu den Jüngern und trug ihnen gleichzeitig auf: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ (Lk 22,19). Diese Worte werden in besonderer Weise auf den Priesterberuf bezogen. Christus macht die Apostel zu Priestern, indem er das Sakrament seines Leibes und seines Blutes ihren Händen anvertraut. Dieser Leib, der am Kreuz hingeopfert werden wird, dieses Blut, das vergossen werden wird (jetzt unter den Zeichen von Brot und Wein), stellen das Gedächtnis des Kreuzesopfers Christi dar. Beim Abendmahl nennt Christus die Apostel Freunde, weil er ihnen seinen Leib und sein Blut übergeben hat. Von jenem Augenblick an sollten sie beim sakramentalen Vollzug dieses Opfers in seinem Namen, in persona Christi, handeln. 2. Darin besteht Wesen und Größe des Amtspriestertums, dessen man heute euch Söhne der Kirche Kolumbiens, der Kirche von Medellin, durch das Sakrament der Priesterweihe teilhaftig machen wird. Das ist ein sehr wichtiger Tag in eurem Leben und im Leben dieser Kirche, die ich bei dieser Gelegenheit herzlich grüßen möchte. In Liebe begrüße ich das christliche Volk, das sich heute abend auf dem Flugplatz „Olaya Herrera“ eingefunden hat. Ihr seid großenteils Gläubige aus der Kirchenprovinz Medellin: aus Antioquia, Jerico, Santa Rosa de Osos, Sonson-Rionegro und aus anderen Nachbarbezirken. Die edle christliche Gesinnung eurer Familien - der Pflanzstätte für Priester- und Ordensberufe - und die tiefe Anhänglichkeit an die Kirche sind Wesensmerkmale dieser geliebten Region Kolumbiens. <59> <59> Die Liturgie des heutigen Tages zeigt uns auf besonders tiefgründige Weise die Wahrheit über den Priesterberuf. Die Berufung ist vor allem 592 REISEN Gottes eigene Initiative. Gott ruft unablässig bestimmte Menschen zum Priesteramt, so wie er einst den Propheten gerufen hat. Eindrucksvoll die Beschreibung, die Jeremia von dieser Berufung gibt: „Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen“ (Jer 1,5). Das „Ausersehen“ durch Gott ist Erwählung, Berufung, an der Verwirklichung seiner Heilspläne teilzuhaben. Im Lichte des Geheimnisses der Menschwerdung Gottes steht diese Erwählung in enger Beziehung zu Christus, dem Priester: „Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt“ (Eph 1,4). „Noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt“ (Jer 1,5). Die Weihe an Gott ist völlige, totale, lebenslange Hingabe an einen Auftrag oder eine Sendung unter dem Wirken des Geistes des Herrn, der den Priester salbt und sendet (vgl. Jes 61,1). Durch die heilige Weihe hat der Priester an der Salbung und Sendung Christi, des Priesters und Guten Hirten, teil, den „der Geist des Herrn... gesalbt und gesandt hat, damit er den Armen eine gute Nachricht bringe“ (Lk 4,18). Daraus folgt, daß die Verpflichtung zum Priesteramt das Siegel des Ewigen trägt. Ihr werdet für immer geweiht. Das ist keine Entscheidung, die dem Wandel der Zeit oder den Umschwüngen des Lebens unterworfen ist. Ebensowenig darf sie sich auf vorübergehende Empfindungen und Gefühle stützen. Wie die wahre Liebe setzt sie die Beständigkeit der Treue voraus. Ihr seid auf gerufen, immer beim Herrn zu bleiben, Tag für Tag seine Freundschaft aufrechtzuerhalten, um euch nach seinem Herzen zu formen. Nur im Lichte dieser Liebe werdet ihr die evangelischen Forderungen des Priesteramtes verstehen und leben können. Ihr müßt eure Jugend ganz und vorbehaltlos in den Dienst Christi stellen, um unbegrenzt Werkzeug des Heils zu werden. „Fürchte dich nicht vor ihnen“ (Jer 1,8), sagt zu uns die erste Lesung aus dem Propheten Jeremia. Für Zweifel und Mutlosigkeit ist kein Platz mehr. „Ich bin bei dir“ (Jer 1,8), wiederholt der Prophet für uns. Die menschliche Schwachheit ist kein Hindernis, wenn wir sie einzugestehen wissen und sie treu und vertrauensvoll in Gottes Hände legen. Der auferstandene Jesus betont diese Gegenwart: „Ich bin es selbst“ (Lk 24,39), „ich bin bei euch“ (Mt 28,20). Deshalb ist es möglich, den Sendungsauftrag des Herrn zu erfüllen: „Wohin ich dich sende, sollst du gehen“ (Jer 1,7). „Hiermit lege ich meine Worte in deinen Mund“ (Jer 1,9). Es sind „Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,68), die-wenn auch durch das Geheimnis des Kreuzes - den Edelmut des Ausgesandten unterstützen und die Frucht des Apostolats sicherstellen. 593 REISEN 4. Dürfte man sich vor dem Wort, vor dem Ruf Gottes fürchten? Nein! Man darf sich vor der menschlichen Schwachheit fürchten, aber niemals vor dem Ruf, der von Gott kommt. Er zeigt in der Tat immer einen wunderbaren Weg: Er ruft zu einer besonderen Teilhabe an „den großen Werken Gottes“. Es ist daher angebracht, die Worte des Apostels im Epheserbrief aufmerksam zu hören: „Ich, der ich um des Herrn wülen im Gefängnis bin, ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging. Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe“ (Eph 4,1 f.). Denkt also daran, geliebte Söhne, daß der Weg zur priesterlichen Heiligkeit und zum Apostolat der Weg der biblischen Armut ist. Wenn wir unsere eigene Schwachheit erkennen und zugeben, dann sind wir stark (vgl. 2 Kor 12,10). Diese Demutshaltung, die der Glaubwürdigkeit und Wahrheit entspricht, wird euch voll Freude erkennen lassen, daß der Priesterberuf ein Geschenk des Herzens Christi und eine Wahl ist, die in den tiefsten Herzens- und Gewissensgrund reicht. Bei der Priesterberufung erlebt man den Gegensatz zwischen der Stärke und Heiligkeit des Meisters, der ruft, und der Schwäche und Nichtigkeit des Erwählten. Die Furcht angesichts der Erhabenheit und Größe der euch auf getragenen Sendung werdet ihr bereits erlebt haben; doch ihr spürt auch die Sicherheit und Freude zu wissen, daß es Jesus ist, der euch ruft, daß er immer bei euch sein und euch die Kräfte und die Freude schenken wird, seinem Dienst treu zu bleiben. Er verläßt die Seinen niemals. 5. Der Priesterberuf ist ein Geschenk für die Kirche. In der Kirche gibt es verschiedene Gnadengaben, wie uns der Apostel lehrt: „Jeder von uns empfing die Gnade in dem Maß, wie Christus sie ihm geschenkt hat“ (Eph 4,7). Alle diese verschiedenen Gnadengaben stellen einen wesentlichen und unwiederholbaren Teil jenes „Geschenkes Christi“ dar. Denn alle Gnaden und Charismen dienen gemeinsam „dem Aufbau des Leibes Christi“ (Eph 4,12). Unter all diesen Gnadengaben kommt dem Priesteramt eine besondere Bedeutung zu. Wir haben in einzigartiger Weise teil am Priestertum Christi. Obwohl „wir alle aus seiner Fülle empfangen haben“ (Joh 1,16), hat jeder einzelne Anteil an diesem Geschenk Christi (vgl. Eph 4,7), entsprechend den besonderen Gnaden und Charismen, die immer im Dienst der kirchlichen Gemeinschaft stehen, die eine Gemeinschaft von Brüdern ist. Die Verschiedenheit und Besonderheit der Gaben gilt es anzuerkennen, zu lieben und zu leben, um eben den „einen Leib“ Christi aufzubauen, der die von 594 REISEN dem „einen Geist“ (Eph 4,4) beseelte Kirche ist. In dem Maße, in dem ihr voll Freude euer Priestertum liebt, werdet ihr euch dazu aufgerufen fühlen, die anderen Gnadengaben der kirchlichen Gemeinschaft zu schätzen, zu achten, zu wecken und zu pflegen, um den Leib Christi in seiner Vollkommenheit und Fülle aufzubauen (vgl. Eph 4,12). Die Identität des Priesters ist also eine freudige Wirklichkeit, die erlebt wird, wenn wir die empfangene Gabe lieben, um den anderen besser zu dienen, in der Haltung dessen, der „sein Leben hingibt“ wie der Gute Hirte (Joh 10,15). 6. Wenn der Priesterberuf ein so großes Geschenk für die-Kirche ist, so heißt das, daß ihr nicht mehr euch selbst gehört, sondern Eigentum Christi seid, der in der Kirche lebt und in den vielfältigen Bereichen des Apostolats auf euch wartet. Ihr gehört Christus und ihr gehört der Kirche, die seine „unbefleckte Braut“ ist, „die Christus geliebt und für die er sich hingegeben hat“ (Eph 5,25). Um dasselbe bitte ich euch: Nämlich daß ihr liebt. Die Liebe zu Christus und die Liebe zum Priestertum wären unmöglich ohne tiefe Liebe zur Kirche. Trotz der ihrem Zustand als Pilgerin eigenen Begrenzungen hört sie nicht auf, der Leib Christi, seine Braut und das Volk Gottes zu sein. 7. Dient der Herde als Priester, indem „ihr als Hirte für sie sorgt . . ., nicht aus Zwang, sondern freiwillig, wie Gott es will; auch nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Neigung; . . . seid Vorbilder für die Herde!“ (1 Petr 5,21). Die Gemeinden sollten euch als Verkünder des Evangeliums erkennen können, die sich vollzeitlich dieser Sendung widmen, deren die Welt so dringend bedarf. Dringt nicht in andere weltliche Bereiche und Arbeiten ein, die weder für euch bestimmt noch der Ort sind, der euch vom Bischofu zugewiesen wurde. In loyaler Verbundenheit sollt ihr seine Mitarbeiter sein, eifrige Hirten, die in allem ihren sakramentalen Stand widerspiegeln: in der Seelentiefe, in der pastoralen Arbeit und auch in eurem Äußeren. Die Nachfolge Christi schließt ein, daß ihr euch wirklich als Kirche fühlt, mit der Liebe von Söhnen, die zur verantwortlichen Zusammenarbeit bereit sind, mit der bereiten und hochherzigen Befolgung ihrer Disziplin und ihrer gesetzlichen Bestimmungen, in loyaler Zusammenarbeit mit ihrem Bischof. Nur wenn wir bei Christus bleiben, mit ihm leben, zulassen, daß er unserem Leben Gestalt gibt, wird es uns möglich sein, ihn entschlossen, offen und unerschrocken zu verkünden, wobei wir die Erfahrung von dem 595 REISEN mitteilen, was wir im Geheimnis und in der Gemeinschaft der Kirche, dem „universalen Heilssakrament“ (AG 1), leben. 8. So also, liebe Brüder und Schwestern, erfahren wir alle, die wir hier anwesend sind, heute auf ganz besondere Weise jene Liebe des Vaters, von der Christus am Vorabend seines Todes zu den Aposteln spricht: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt“ (Joh 15,9). In Christus verwandelt sich die Liebe des Vaters für uns in eine unerschöpfliche Quelle des Lebens und des Lichts. „Das Priestertum ist die Liebe des Herzens Jesu“, pflegte der heilige Pfarrer von Ars zu sagen, dessen 200. Geburtstages wir in diesem Jahr eurer Priesterweihe gedenken. Tatsächlich „gibt es keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13). Und Christus ist es, der sein Leben für uns hingibt. Und dieser Akt, „sein Leben hinzugeben“, dieses Opfer dauert in der Kirche und durch die Kirche in der Menschheit von Generation zu Generation fort. Es dauert fort durch das Wort des Evangeliums und durch die Eucharistie, das Sakrament des Todes und der Auferstehung Christi. Es dauert daher fort durch den Dienst der Priester. Und durch diesen Dienst wird es erneuert und zu allen Zeiten gegenwärtig gemacht. Von der Höhe des Kreuzes und aus dem Herzen seines Heilsopfers sagt Christus weiter zu uns: „Bleibt in meiner Liebe“ (Joh 15,9). 9. Der Herr sagt zu euch allen, liebe Weihekandidaten, heute in ganz besonderer Weise: „Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben“ (Joh 15,10). Ja! „So wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe“ (Joh 15,10). In diesen Worten zeigt sich uns wahrhaftig die auf die Dimension des menschlichen Daseins übertragene göttliche Verbindung oder Beziehung. Wir kennen sehr wohl die Gebote, die dem Verbleiben in der Liebe Christi seine Festigkeit geben. Wir wissen sehr wohl, was die Grundsätze des Priesterlebens, was die Forderungen der priesterlichen Disziplin sind, die die Festigkeit dieser Beziehung ausmachen. Es handelt sich - das ist wahr - um eine aufopfernde Nachfolge, die jede Form des Installiertseins ausschließt und die größte Verfügbarkeit erfordert, wie es von dem verlangt wird, der keinen Ort hat, wohin er sein Haupt legen kann (vgl. Lk 9,57-62). Es ist eine Verpflichtung, die die ganze Existenz umfaßt, ohne Aufschübe, ohne Kompromisse, so wie es der Messias, der Sohn Gottes, fordert, durch dessen Wort sich der Sturm 596 REISEN legt, die Kranken geheilt werden, den Armen das Evangelium verkündet wird, die Dämonen ausgetrieben werden, die Menschheit versöhnt und das Leben wiederhergestellt wird. Er verlangt die volle Unterwerfung unter den Willen des Vaters, der euch, wie einst den Petrus, führen kann, wohin ihr nicht gehen wolltet (vgl. Joh 21,18). Doch er geht immer voraus, er trägt liebevoll dasselbe Kreuz, das er euch auf die Schultern legt und das er erträglicher macht. In der Tat spricht der Herr: „Mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht“ (Mt 11,30). Das Leben, das diesen Forderungen entspricht, das Leben im Namen dieser Liebe, eröffnet vor uns zugleich die Aussicht der göttlichen Freude. „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ {Joh 15,11). Das ist „die wahre österliche Freude“ {PO 11), Wesensmerkmal der priesterlichen Identität und Vorspiel zum Aufblühen von Priesterberufen. Das ist die priesterliche Berufung und der priesterliche Dienst, das Priesteramt im Volk Gottes. „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“, sagt der Herr {Joh 15,16). Diese Worte haben wir alle in unsere Herzen eingebrannt: Ihr und ich! Es sind die Worte Jesu in dem familiären und intimen Rahmen des Letzten Abendmahles, als der Herr seinen Jüngern weit sein Herz öffnet. Es ist die frei geschenkte Gnade der Erwählung jener, die er als seine Diener einsetzt, denen er eine Sendung von besonderer Bedeutung anvertraut. Gott ist es, der den Dialog in der Heilsgeschichte beginnt, die in dieser wunderbaren Wirklichkeit seiner Liebe geplant wird. Er ist es, der die Initiative ergreift mit der verwandelnden Kraft seines Wortes, die alles neu schafft. „Er hat uns zuerst geliebt“ (I Joh 4,19). Deshalb fügt der Herr hinzu: „Ich habe euch dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt“ {Joh 15,16). So wie auf wunderbare Weise die Frucht der ersten Saat des Evangeliums in diesem Land und auf diesem Kontinent bleibt, so möge auch eure Frucht heute, am Ende des zweiten christlichen Jahrtausends, bleiben, wenn sich das fünfte Jahrhundert seit dem Beginn der Evangelisierung Lateinamerikas vollendet. 10. Warum bleibt diese Frucht des christlichen Lebens? Vielleicht besonders deshalb, weil jene, die säten, gleichzeitig auch zu beten, im Namen Christi zu bitten wußten: „Der Vater wird euch alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet“ {Joh 15,16). Und er wird es auch uns geben. Die brüderliche Liebe wird die Gewähr für unsere Einheit mit Christus und ein wirksames Zeichen der Evangelisierung sein: „Dies trage ich euch auf: Liebt einander!“ {Joh 15,17). 597 REISEN Die Wirksamkeit des Evangeliums bringt Früchte, die unsere Augen oftmals nicht sehen. Die Gnade des Herrn wartet verborgen in den Herzen. Wir leben heute von dem Samen, den Generationen opferbereiter Missionare in die fruchtbare kolumbianische Erde gesät haben und den die Gnade Gottes keimen und Frucht bringen ließ. An diesem für die Kirche Kolumbiens so bedeutsamen Tag blicken wir vertrauensvoll in die Zukunft. Die Kirche dankt euch für die Anstrengung, die ihr, liebe Brüder, Bischöfe und Ordensobere, auf dem Gebiet der Berufungen unternehmt, unter Mitarbeit fleißiger und geeigneter Ausbilder, die den Bestimmungen der Kirche entsprechend die ganzheitliche geistliche, akademische und pastorale Ausbildung der Kandidaten für das Priesteramt und das Ordensleben berücksichtigen. Ich danke für die ungeheure Arbeit, die in der Pastoral der Berufe geleistet wurde, und segne sie. Die Verstärkung dieser Pastoral soll in solidarischem und missionarischem Geist das Herz großzügig öffnen, so daß sie anderen Schwesterkirchen, die unter Priestermangel leiden, die notwendige Hilfe anbieten kann. Während wir auf Maria, die Mutter der Kirche und liebevolle Mutter der Priester, blicken, wird in diesem so feierlichen Augenblick jeder einzelne sich eingeladen fühlen, ihre mütterliche Liebe nachzuahmen: „Die Jungfrau war in ihrem Leben das Beispiel jener mütterlichen Liebe, von der alle beseelt sein müssen, die in der apostolischen Sendung der Kirche zur Wiedergeburt der Menschen mitwirken“ (LG 65). „Die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1 Kor 7,31). Es vergehen die Generationen eines jeden Volkes und jeder Nation. Aber die Worte des Herrn vergehen nicht. Die von Jesus beim Letzten Abendmahl gesprochenen Worte werden jetzt durch das Sakrament der Priesterweihe, das wir den hier anwesenden Kandidaten erteilen wollen, Wirklichkeit werden. Die ganze Kirche Kolumbiens um ihre Bischöfe; die Universalkirche um den Nachfolger des Petrus richtet voller Vertrauen ihr Gebet an den Vater für diese Diakone, die heute in der Stadt Medellin die Priesterweihe empfangen werden. Amen. 598 REISEN Ein Vorgang, der an dunkle Epochen erinnert Bischofs-Ausweisung aus Nicaragua Dies ist ein Tag der Freude und der Hoffnung für die Kirche Gottes, die in Kolumbien ihren Pilgerweg geht, wie für die Gesamtkirche. Aber die Freude, die dieser blühende Frühling der Priesterweihen in uns weckt, wird tief getrübt in meinem Dienst und in dem aller Söhne und Töchter der Kirche - ich würde sogar sagen in allen Menschen, die empfänglich sind für die Erfordernisse der Freiheit und der gebührenden Achtung vor den Grundrechten des Menschen und des Bürgers -, die Freude wird tief getrübt, sage ich, durch die traurige Nachricht, daß Msgr. Pablo Antonio Vega Mantilla, Bischof von Juigalpa und Vizepräsident der nicaraguanischen Bischofskonferenz, gewaltsam von seiner Prälatur entfernt und aus seinem Vaterland ausgewiesen wurde. Dieser fast unglaubliche Vorfall hat mich tief betrübt, um so mehr, als er dunkle Epochen in den Taten, die gegenüber der Kirche begangen wurden, in Erinnerung ruft, dunkle Epochen, die zwar zeitlich noch nicht allzu fern sind, aber wohl vernünftigerweise als überholt betrachtet werden können. Ich möchte wohl hoffen, daß die für diesen Entschluß Verantwortlichen über die schwerwiegende Bedeutung der getroffenen Maßnahme nachdenken, die darüber hinaus den wiederholten Beteuerungen widerspricht, ein friedliches und achtungsvolles Zusammenleben mit der Kirche zu wollen. In meiner pastoralen Sorge um die Kirche in Nicaragua richte ich mit meinem habhaftesten Bedauern meine innige Bitte an den Allerhöchsten, er möge Msgr. Vega mit seiner Gnade beistehen, ebenso dem Klerus, den Ordensleuten und den Gläubigen der Prälatur Juigalpa sowie meinen Brüdern im Bischofsamt mit dem lieben Kardinal Obando Bravo und der ganzen Kirche von Nicaragua in dieser Stunde der Prüfung, in der sie alle auf das Gebot der ganzen Kirche vertrauen und auf meinen Apostolischen Segen. 599 REISEN Die Sünde des Egoismus: Hauptursache sozialer Mängel Ansprache bei der Begegnung mit den Bewohnern der Elendsquartiere (Barrios) im Stadion „Atanasio Girardot“ in Medellin am 5. Juli Liebe Brüder und Schwestern! 1. Es ist für mich ein Grund zu tiefer Freude, heute nachmittag mit euch, Priestern und engagierten Laien der Armen und Arbeiterpfarreien zusammenzutreffen, die ihr zusammen mit zahlreichen Delegationen der Elendsviertel Bereiche des Landes vertretet, in denen eine besondere Situation der Armut und des Randdaseins herrscht. Ich weiß wohl, daß diese mit soviel Sorgfalt vorbereitete Begegnung den Höhepunkt einer langen und geduldigen Arbeit bedeutet, die ihr gemeinsam unternommen habt, um eure Pfarrgemeinden kennenzulernen und ihnen besser zu dienen. Der Papst ist bei euch. Ich fühle mich einem jeden von euch und mit allen verbunden, die wie der Barmherzige Samariter für die bedürftigsten Brüder tätig sind. Darum möchte ich, daß meine Worte alle armen Pfarreien Kolumbiens erreichen, besonders eure Familien, eure „Barrios“ und eure Arbeitsplätze. Wenn der Christ vorbehaltlos sein Vertrauen in den himmlischen Vater setzt, entspringt seinem Herzen spontan ein Strom der Dankbarkeit und Hoffnung. Wir wissen, daß von ihm alle Gaben herrühren; daß er das Wohl der Schwächsten, der Bedürftigsten wünscht, das Wohl derer, die die Zeichen des leidenden Christus in ihren Zügen tragen. Während ich euch anschaue, die ihr von verschiedenen Orten Kolumbiens und insbesondere aus den Industriezonen von Medellin-kommt, richte ich einen innigen Dank an Gott für das Geschenk des Glaubens, der so tief in euren Herzen verwurzelt ist. Ich tue das mit den Worten Jesu: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast“ {Mt 11,25). Dieses Gebet wird mit besonderer Kraft und Bedeutung heute Nachmittag laut, weil den Demütigen, den Einfältigen die Reichtümer des Reiches Gottes offenbart werden. <60> <60> In diesem Abschnitt des Matthäusevangeliums offenbart uns Jesus, der Sohn Gottes, das Geheimnis der göttlichen Vaterschaft; und „er jubelt, weil es ihm geschenkt ist, diese Vaterschaft zu offenbaren; er jubelt 600 REISEN schließlich, weil sich diese göttliche Vaterschaft in besonderer Weise auf die ,Unmündigen“ erstreckt“ (Dominum et vivificantem, 20). In der Kirche, liebe Brüder und Schwestern, erfahrt ihr in besonderer Weise die Würde der Kinder Gottes, wie der vornehmste und schönste Name lautet, nach dem der Mensch streben kann. Haltet die genannte Würde immer lebendig und wirksam aufrecht; in ihr liegt die Größe, die von der Kirche, dem Leib Christi, Fürsorge, Schutz und Förderung erfährt. Niemand hält so viele Gründe bereit, um die Armen zu Heben, zu achten und ihnen Achtung zu verschaffen, wie die Kirche, die Hüterin der geoffenbarten Wahrheit über den Menschen, das Ebenbild Gottes, der von Christus erlöst ist. Die Verkündigung der Frohbotschaft vom Reich gibt Grund zu dieser Freude, die wir heute trotz der besonderen Schwierigkeiten eures Lebens teilen. Die kürzlich erschienene Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung hebt angebrachterweise hervor: „Das ist ihre (d. h. der Armen) Würde, die kein Mächtiger ihnen rauben kann; das ist die in ihnen lebende befreiende Freude“ (Libertatis con-scientia, 21). Ja, die „Unmündigen“, die Armen, „wissen sich von Gott geliebt wie alle anderen und noch mehr als alle anderen. So leben sie in der Freiheit, die aus der Wahrheit und aus der Liebe kommt“ (Libertatis conscientia, 21). Jesus preist die Armen selig, in einer Zusage, die scheinbar zuverlässige Kriterien zerbricht, die vorgeben, das Glück sei mit dem Genuß der irdischen Güter, mit Besitz, mit materiellem Reichtum gleichzusetzen. <61> <61> Jesus, der arm geworden ist, um uns zu retten, ist der Einzige, der uns den Vater offenbart: „Mir ist von meinem Vater aUes übergeben worden, niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ {Mt 11,27). Mit diesen Worten gibt uns der Herr seine unaussprechlichen und einzigartigen Beziehungen zu seinem Vater zu erkennen und lädt so seine Zuhörer ein, seine Jünger, „Unmündige“, Arme vor Gott, zu werden. Auf seine Würde als Kind Gottes gründen sich die Rechte jedes Menschen, deren Garant Gott selbst ist. Deshalb dringt die Kirche, dem empfangenen Auftrag gehorchend, auf die Pflichten der Solidarität, der Gerechtigkeit und der Liebe zu allen, besonders zu den am meisten Notleidenden. „Indem die Kirche die Armen liebt, bezeugt sie die Würde des Menschen“ {Libertatis conscientia, 68). Der Herr Jesus zeigt sich in dem Evangelium, das wir gehört haben, voll Mitleid und Erbarmen mit allen Leidenden: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe 601 REISEN verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele“ (Mt ll,28f.). Das ist eine Einladung und ein Aufruf, die ich heute in besonderer Weise an euch Priester und Gläubige der weniger begünstigten Pfarreien Kolumbiens richten will: an euch, die ihr geplagt und bedrückt seid von Armut, Ungerechtigkeit, Mangel an Arbeitsplätzen, von Unzulänglichkeiten in Erziehung, Gesundheitswesen und Wohnung, vom Mangel an Solidarität derer, die euch zwar helfen könnten, es aber nicht tun. 4. In euch, liebe Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und Laien, die ihr eure hochherzige Bemühung dem Dienst an den Ärmsten widmet, möchte ich die apostolische Arbeit so vieler Personen dankbar anerkennen, die in den Armen „die Leidenszüge Christi“ sehen, „den Herrn, der in Frage stellt und interpelliert“ (Puebla, Nr. 31). Die Arbeit der Kirche für die Bedürftigsten ist eine Tatsache, die stets das Leben der christlichen Gemeinden beseelt hat. Diese bevorzugte Liebe muß weiterhin Wesensmerkmal und vorrangige Arbeit der Kirche sein in der Treue zu ihrem armen und von Herzen demütigen Herrn, zu ihm, „der reich war und euretwegen arm wurde, um euch durch seine Armut reich zu machen“ (2 Kor 8,9). Ihr, liebe Priester, vertretet die unzähligen Brüder im Priestertum Christi, die mit evangelischer Freude ihr Dienstamt in den am meisten notleidenden Pfarreien ausüben. Ich bitte euch inständig, in Freude und Hoffnung diese helfende und heiligende Aufbauarbeit durch das Wort und die Sakramente fortzusetzen, in voller Gemeinschaft mit euren Bischöfen und mit den Weisungen der Kirche und inspiriert von deren Soziallehre. Ihr seid aufgerufen, mit eurem eigenen Leben und Dienst ein Zeugnis der Heiligkeit und Hingabe zu geben, wobei ihr euch bewußt seid, daß die Sendung, die ihr erfüllt, geistlichen Charakter hat. Man kann nicht zu den Armen gehen, ohne das Herz eines Armen zu haben, der das Wort Gottes so, wie es ist, zu hören und anzunehmen versteht. Dazu braucht man Apostel, die Christus folgen und ihn in seinem Leben der Armut nachahmen, ohne egoistische Bestrebungen und mit einer großen Fähigkeit, auf die Brüder zu hören und mit ihnen zu empfinden. Ihr seid selbst Zeugen der Wertschätzung und Dankbarkeit, die die Gläubigen zeigen, wenn man von Interessen ideologischen oder politischen Charakters Abstand zu nehmen weiß, die mit dem Evangelium und mit den Anforderungen eurer Berufung nichts zu tun haben. Haltungen, die nicht mit der Sendung des Priesters zur Evangelisierung übereinstimmen, würden der 602 REISEN Gemeinde Schaden zufügen und die Integrität des Dienstamtes verletzen, das der Herr euch in seiner Kirche anvertraut hat. 5. Ich weiß, daß ihr euch auf bedeutsame und bezeichnende Weise um eine soziale Pastoral zugunsten der menschlichen und christlichen Förderung der Ärmsten bemüht. Es sei daran erinnert, daß diese Dimension der Seelsorge nicht allein in dem prophetischen Bemühen besteht, auf die Übel hinzuweisen; sie darf sich auch nicht - wie es zuweilen unglücklicherweise vorkommt - auf sozio-politische Weisungen und Strategien beschränken. Diese Pastoral muß ein echter Dienst an den Ärmsten im Sinn des Evangeliums sein. Es handelt sich um eine Sozialpastoral, die nicht frei von Schwierigkeiten ist. Es ist daher notwendig, daß sie den Fußstapfen des Herrn Jesus unmittelbar folgt und seinen Lehren im Geiste der Bergpredigt treu ist; es ist notwendig, daß sie sich im Licht des Wortes Gottes und in der Treue und Liebe zur Kirche von der Kraft des Glaubens nährt. Um ihre Wirksamkeit sicherzustellen, muß sich diese Pastoral in die Gesamtseelsorge jeder Ortskirche einfügen, in echtem Sinn für Zusammenarbeit mit der ganzen christlichen Gemeinde Und im Geist der Gemeinschaft mit den Priestern, während alle aufs engste mit dem Bischof verbunden sind. Die Präsenz der Kirche unter den Armen läßt sich keinesfalls allein auf die Dimension der Förderung des Menschen im Bereich der sozialen Gerechtigkeit beschränken. Ihre Sendung unter ihnen ist so weitreichend, daß sie sämtliche Bereiche der pastoralen Tätigkeit umfaßt. Ihr Schwerpunkt muß die Sorge um Evangelisierung sein, da diese, richtig verstanden, der beste Dienst an den besonders notleidenden Brüdern ist (vgl. Puebla, Nr. 1145). In diesem Sinne ist eine zuverlässige und tiefgehende Katechese, die unzweideutig das lehrt, was man nach den Kriterien des authentischen Lehramtes glauben muß, ein wesentlicher Dienst für die christliche Förderung und für das Bewußtsein von der Würde des Armen, von seiner christlichen Berufung und von seiner Zugehörigkeit zum mystischen Leib Christi. 6. Die Kirche kann sich keinesfalls von irgendeiner Ideologie oder herrschenden Politik das Banner der Gerechtigkeit entreißen lassen, die eine der ersten Forderungen des Evangeliums und zugleich Frucht der Ankunft des Reiches Gottes ist. Dies gehört zu der bevorzugten Liebe zu den Armen und darf sich nicht von den großen Grundsätzen und Forderungen der kirchlichen Soziallehre losmachen, deren „erstes Ziel die persönliche Würde des Menschen, Ebenbild Gottes, und der Schutz seiner unveräußerlichen Rechte ist“ {Puebla, Nr. 475). Ein unumgänglicher 603 REISEN Aspekt der Evangelisierung der Ärmsten ist daher, größten Nachdruck auf eine effektive soziale Fürsorge zu legen, wobei man sich immer vom Wort Gottes in vollem Einklang mit dem Lehramt der Kirche und in inniger Gemeinschaft mit den Bischöfen leiten läßt. Aus dem Wort Gottes und aus der gesamten christlichen Überlieferung, in der der Arme stets einen bevorzugten Platz eingenommen hat, hat die Kirche den besten Schatz und das reichste Erbe für ihre Soziallehre gewonnen. Die kolumbianische Kirche wollte ihrerseits im Dienste für die Armen stehen und läßt nicht davon ab, diese Verpflichtung zu bekräftigen. In ihr und auf ihre Initiative hin entstand die Organisation der Arbeitergewerkschaft. In zahlreichen Pfarreien gibt es, dem befreienden Geist der Bergpredigt entsprechend, volle Hilfs- und Assistenzdienste, die auf diese Weise die erste Seligpreisung in die Tat umsetzen: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3). In zweckmäßiger Weise erinnert die Instruktion über die christliche Freiheit und Befreiung daran, daß „die Seligpreisung der Armut, die Jesus verkündet hat, deshalb keineswegs bedeuten kann, daß die Christen die Armen übersehen dürften . . . Dieses Elend ist ein Übel, von dem die Menschen soweit wie möglich befreit werden müssen“ (Libertatis con-scientia, 67). Deshalb mahnt die Kirche in ihrer Soziallehre diejenigen, die Überfluß haben und im Luxus des Reichtums leben, aus ihrer geistigen Blindheit herauszutreten; sie weist sie darauf hin, daß die menschliche Würde nicht allein im „Haben“ besteht; daß sie sich die dramatische Situation derer bewußtmachen sollen, die im Elend leben und Hunger leiden. Ich bitte sie anderseits, das ihrige mit denen zu teilen, die nichts oder nur wenig haben, um auf diese Weise eine gerechtere und solidarischere Gesellschaft aufzubauen. „Der Wert des Menschen liegt mehr in ihm selbst als in seinem Besitz“ (GS 35). 7. Wenn ich euch heute hier in so großer Zahl in diesem Stadion versammelt sehe, geleitet vom Antrieb eures Glaubens, ist es mir ein Herzensanliegen, euch zur Solidarität aufzurufen. Der gemeinsame Glaube an einen Gott, der Vater und barmherzig ist, die Hoffnung auf ein neues Land, an dessen Schaffung wir alle mit unserer Tätigkeit mitarbei-ten, und das Wissen darum, daß wir eben durch diesen gemeinsamen Vater alle Brüder in Jesus Christus sind, soll euch dazu anspornen, auf solidarische Weise nach den notwendigen Voraussetzungen zu suchen, damit das, was als . Utopie erscheinen mag, bereits im Leben eurer Gemeinden zur Wirklichkeit wird. 604 REISEN Das wird die Frucht des „edlen Kampfes für die Gerechtigkeit“ sein, der nicht ein Kampf von Bruder gegen Brüder noch einer Gruppe gegen die andere ist, sondern der sich immer an den evangelischen Grundsätzen der Zusammenarbeit und des Dialogs inspirieren muß, wodurch jede Art von Gewalt ausgeschlossen wird. Die jahrhundertelange Erfahrung hat gezeigt, daß Gewalt immer mehr Gewalt hervorbringt und nicht der geeignete Weg für die wahre Gerechtigkeit ist. Die Solidarität, zu der ich euch heute auffordere, muß ihre ganz tiefen Wurzeln schlagen und aus der gemeinsamen Feier der Eucharistie, des Opfers Christi, der uns rettet, ihre tägliche Stärkung nehmen. In der Teilnahme an der Eucharistie werdet ihr das Bedürfnis nach Solidarität entdecken und nach Teilhabe an der wunderbaren Wirklichkeit, daß wir alle Glieder einer einzigen Familie sind: der Kirche, des Volkes Gottes, des Leibes Christi. Ich weiß, daß es unter euch vorbildliche Christen gibt, die gemeinsame Aktionen zugunsten eurer Mitbürger und zum allgemeinen Wohl durchführen. Dazu muß euch das Bewußtsein eurer eigenen Würde veranlassen, die die Grundlage eurer unveräußerlichen Rechte ist. Vor allem muß euch die wechselseitige Liebe der einen zu den anderen dazu veranlassen. Jede Frau, jeder Mann ist ein Bruder, eine Schwester. Möge man doch auch von euch wie von den ersten Christen sagen können: „Seht, wie sie sich lieben!“ Seid ein Herz und eine Seele! Teilt wie echte Brüder miteinander. So werdet ihr in euren Pfarreien und euren Gemeinschaften den Geist der „Unmündigen“ aufrechterhalten, denen die Botschaft vom Reich Gottes verkündet wird. So werdet ihr euch auf gleiche Weise der vom Herrn verheißenen Seligpreisung würdig machen: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich“ {Mt 5,3). In diesem solidarischen Geist und im Bewußtsein, daß wir alle eine große Familie bilden, muß ein jeder seinen Verantwortlichkeiten nachkommen, damit sich alle Kolumbianer gewisser Lebensbedingungen erfreuen können, die mit ihrer Würde als Kinder Gottes und Glieder einer Gesellschaft, die sich christlich zu sein rühmt, übereinstimmen. 8. Wenn wir die Realität vieler Entwicklungsländer, besonders in Lateinamerika, betrachten, sehen wir, daß es in dem komplexen Problem der Armut nicht nur konjunkturelle, sondern auch strukturelle Ursachen in bezug auf die soziale, wirtschaftliche und politische Organisation der Gesellschaft gibt. Das ist ein Faktor, dem stärker Rechnung getragen werden muß. Doch hinter diesen Ursachen steht auch die Verantwortung der Menschen, die Strukturen schaffen und die Gesellschaft gestalten; der 605 REISEN Mensch mit der Sünde des Egoismus ist die Hauptursache so vieler sozialer Mängel. Deshalb verlangt die Kirche die Umkehr des Herzens, damit alle in solidarischem Wirken an der Schaffung einer neuen Sozialordnung mitarbeiten, die mit den Forderungen der Gerechtigkeit besser übereinstimmt. Aus dem Herzen dieser Stadt Medellin, die Ort der 2. Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe war, möchte ich neuerlich einen Aufruf zu sozialer Gerechtigkeit erlassen: einen Aufruf an die entwickelten Länder, daß sie durch Überwindung der Planung einer Wirtschaft, die fast ausschließlich auf die Funktion des größtmöglichen Profits im Hinblick auf ihren alleinigen Vorteil ausgerichtet ist, gemeinsam mit den Entwicklungsländern nach realen und wirksamen Lösungen für die ernsten Probleme suchen, die von Tag zu Tag besorgniserregendere Ausmaße annehmen und deren Opfer fast immer die Schwächsten sind. Desgleichen möchte ich die Länder Lateinamerikas auffordern, sich um die Schaffung einer echten kontinentalen Solidarität zu bemühen, die dazu beitragen soll, Wege der Verständigung in den ernsten Fragen zu finden, die Bedingung für ihren eigenen Fortschritt und ihre Entwicklung im Rahmen der Weltwirtschaft und der internationalen Gemeinschaft sind. An die in Politik, Wirtschaft und Kultur verantwortlichen Kolumbianer richte ich einen dringenden Appell: Der so notwendige Friede ist das Werk aller, und ein wahrer Friede kann nur dann Wirklichkeit werden, wenn die Ursachen der Ungerechtigkeit beseitigt sind. Werft euer ganzes Bemühen darauf, daß neue Strukturen geschaffen werden, die allen Kolumbianern ein Leben in Frieden und Eintracht gestatten. 9. Während ich diese Begegnung in dem Glauben und in der Liebe, die uns vereint, beschließe, erhebe ich mein inständiges Gebet zur heiligen Jungfrau von Chiquinquirä, der Königin und Patronin Kolumbiens, daß sie euch, liebe Priester, liebe Brüder und Schwestern, den Geist des Magnificat einflöße. „Ganz von Gott abhängig und durch ihren Glauben ganz auf ihn hingeordnet, ist Maria an der Seite ihres Sohnes das vollkommenste Bild der Freiheit und der Befreiung der Menschheit und des Kosmos. Auf Maria muß die Kirche, deren Mutter und Vorbild sie ist, schauen, um den Sinn ihrer Sendung in ihrem vollen Umfang zu verstehen“ (Libertatis conscientia, 97). Das ist mein inbrünstiger Wunsch und meine zuversichtliche Bitte an Gott für alle und für jeden einzelnen von euch, die ich aus ganzem Herzen segne. 606 REISEN „Die Welt bedarf des echten , Widerspruchs‘ der Ordensweihe“ Ansprache an die Ordensfrauen und Mitglieder der weiblichen Säkularinstitute in der Kathedrale von Medellin am 5. Juli Liebe Ordensfrauen und gottgeweihte Frauen! 1. Herzlich begrüße ich euch alle, die ihr aus der Erzdiözese Medellin, aus der Kirchenprovinz und von anderen Orten Kolumbiens hierher gekommen seid und diese schöne Kathedrale von Villa nuova füllt. Viele andere Ordensfrauen habe ich bereits bei verschiedenen Gelegenheiten meines Pastoralbesuches getroffen. Mein Gruß erstreckt sich auch auf alle jene, die sich nicht einfinden konnten und die in Krankheit und Einsamkeit, in Schulen, Spitälern, Altersheimen und auf den zahlreichen Gebieten des kirchlichen Lebens, oft nahe den ärmsten und ganz an den Rand der Gesellschaft gedrängten Menschen, ihr Leben dem Herrn darbringen. Ich möchte denen Ehre erweisen, die bei diesen caritativen Diensten ihr Leben für Christus hingegeben haben, insbesondere anläßlich von Naturkatastrophen oder bei Einsätzen an schwierigen und abgelegenen Stellen. Glücklich diese Kirche mit einer beachtlichen Zahl von Ordensfrauen und gottgeweihten Menschen, die sich mit Freude dem Herrn sowohl im kontemplativen wie im aktiven Leben aufopfern! Ihr seid ein offenkundiger Beweis für die Lebenskraft der Kirche. Ihr seid die Frucht und das Vermächtnis heiliger Menschen, die euch auf diesem evangelischen Weg und in diesen kolumbianischen Landen vorausgegangen sind. Ihr werdet euch an viele Namen von solchen erinnern, die - wie die Dienerin Gottes Mutter Laura Montoya - großherzig ihr Leben hingaben für die Ehre Gottes und die Rettung der Seelen. <62> <62> Ich weiß, daß ihr als Vorbereitung auf diese Begegnung in diesem nationalen Marianischen Jahr-sorgfältig studiert habt, was das Päpstliche Lehramt über das gottgeweihte Leben sagt. Ich habe euch tatsächlich bei vielen Gelegenheiten die Lehren der Kirche vorgelegt und dabei hingewiesen auf das, was das Evangelium heute fordert, um der Hoffnung zu entsprechen, die das ganze Volk Gottes in euch setzt. Ich möchte euch bei dieser Gelegenheit einladen, darüber nachzudenken - wie ihr es dann auch in euren Kommunitäten tun werdet —, was ihr seid und was ihr in der Kirche und in der Welt darstellt. 607 REISEN Euer gottgeweihtes Leben ist im tiefsten, wie ihr wohl wißt, ein bleibendes Geschenk Gottes, das in bräutlicher und totaler Hingabe an den Herrn seinen Ausdruck findet. Eure Hingabe ist eine bedingungslose Antwort auf eine Liebeserklärung, genährt vom Glauben und vom Gebet nach dem Beispiel der Jungfrau Maria, des vollkommenen Vorbildes der Vereinigung mit Christus dem Erlöser. „Der direkte Bezugspunkt einer solchen Berufung ist die lebendige Person Jesu Christi“ (Apostol. Schreiben Redemptionis donum, 6). Als die Jungfrau Maria bei der Verkündigung durch den Engel die erhabene Sendung, zu der sie berufen war, erkannte, bot sie sich als „Magd des Herrn“ dar. Das Wort „Magd“ ist ein Begriff, der Großherzigkeit ohne Grenzen meint, Ausdruck glühender Liebe zum Willen Gottes, verantwortungsbewußte Haltung einer reifen Persönlichkeit. Es läßt die Fruchtbarkeit des Glaubens sichtbar werden. „Selig du, die du geglaubt hast“ (Lk 1,45), so lautet der Lobpreis Mariens durch Elisabet. „Selig sind... die, die das Wort Gottes hören und es befolgen“ {Lk 11,28), das ist die entschiedene Versicherung Jesu, der den willigen Gehorsam zur Bedingung macht, um zur Gemeinschaft der „Seinen“ gehören zu können (vgl. Joh 13,1). Die Synthese eures Lebens in Treue und Gelehrigkeit erklingt durch die Jahrhunderte im Gesang der Hoffnung auf den Lippen Mariens: „Mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut“ {Lk 1,47 f.). <63> <63> Sucht also keinen anderen Weg zur tiefen und reinen Freude des Ordenslebens, denn es gibt nur diesen: die aktive und verantwortungsbewußte Hingabe im Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes, in Gebet und Betrachtung wie in der apostolischen Tätigkeit. Durch das kontemplative Gebet werdet ihr - wie die seligste Jungfrau, die in ihrem Herzen das Wort Gottes bewahrte und darüber nachdachte (vgl. Lk 2,19.51) - zu kühnen Zeugen der Gegenwart des Herrn und seid vor der Welt Zeichen für die entscheidende Begegnung mit ihm. Die Fähigkeit zur Kontemplation macht euch auch fähig, auf die Evangelisierung einzuwirken; die Fähigkeit des Schweigens wird zur Fähigkeit des Zuhörens und der Hingabe an die Brüder. Das alles ist zusammengefaßt im Geist und in der Praxis der evangelischen Räte, vor allem durch deren Profeß vor der Kirche. Laßt nicht zu, daß die Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams ihre unverfälschte religiöse Bedeutung: die evangelische Nachfolge im Licht des Glaubens verlieren. Verkennt nicht, daß manchmal eine gewisse Tendenz besteht, den wahren evangelischen Inhalt dieser Gelübde zu entleeren. 608 REISEN Euer Gemeinschaftsleben und euer besonderes Charisma werden die beste Schule sein, um die echte Nachfolge Christi zu lernen und darin auszuharren. 4. Im Ordensleben ist die Keuschheit oder Jungfräulichkeit „Ausdruck der bräutlichen Liebe für den Erlöser selbst“ (Redemptionis donum, 11); ihr seid Christus vermählt, der euch ruft, ihm nicht nur in der Betrachtung, sondern auch auf den zahlreichen Gebieten der Nächstenliebe zu begegnen. Die evangelische Armut ist die Loslösung von allen Dingen, um sich in Liebe dem Herrn hinzugeben. Durch diese Armut macht ihr euch also selber zum Geschenk für alle Brüder, in der Nachahmung Jesu Christi, der reich war und unseretwegen arm wurde (vgl. 2 Kor 8,9). Der Gehorsam kann nur verstanden und gelebt werden als bräutliche Teilnahme am Opfer Christi, der „sich erniedrigte und gehorsam war bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,8). In der kirchlichen Gemeinschaft seid ihr ein besonderes Zeichen Christi, der aus Liebe den Kreuzestod erlitten hat; das ist eure Theologie des Kreuzes. Alle Brüder, insbesondere jedoch die Armen und die Leidenden, müssen in euch die Art und Weise sehen, wie man auf Christus schaut, ihn liebt, auf ihn hört und für ihn lebt, wie man ihm, dem Guten Hirten, dient, der liebend und verzeihend gelebt hat und gestorben ist. Ja, liebe Schwestern: Ihr könnt selbst bezeugen, wieviel Kraft und Freude aus der echten Hingabe erwächst. Wenn man Kreuz und Opfer aus dem Ordensleben entfernen will, nimmt man ihm die Wurzeln und macht es unfruchtbar. Anstelle der frohen und ansteckenden Freude, wie sie der Erfahrung der innigen Verbundenheit mit dem Herrn und des Lebens im Geist eigen ist, keimt Bitterkeit und wächst das Gefühl der Enttäuschung. Das Leiden wird durch Liebe besiegt und dadurch, daß man in ihm eine neue Art des Dienstes an den Brüdern entdeckt. Die Freude der geistigen Mutterschaft, die Freude des Heiligen Geistes ist, entspringt nur dann im Herzen, wenn man das Leiden in Hingabe und Dienst zu verwandeln wußte (vgl. Joh 16,21 f.). „Je inniger sie also durch solche Selbsthingabe, die das ganze Leben umfaßt, mit Christus vereinigt werden, desto reicher wird das Leben der Kirche und desto fruchtbarer deren Apostolat“ (PC 1). 5. Nur in der Vereinigung mit Christus seid ihr ein befreiendes Zeichen der Heiligkeit, wie Maria, die Christusträgerin in jedem Augenblick, „das große Zeichen“ (Offb 12,1), „Leitstern der Evangelisierung“ (EN 82). 609 REISEN Die Frohbotschaft ist Christus, der gestorben und auf erstanden ist; darum werdet ihr nur dann evangelisieren können, wenn ihr ihn in euren Herzen tragt und ihn in eurem Leben sichtbar macht. Der Herr will sichtbar werden, so, wie er ist und wie er gelebt hat: keusch, arm und gehorsam, um das Leben hinzugeben für die Welt nach dem Auftrag des Vaters (vgl. Joh 10,18). Die Herausforderung, die die heutige Welt an die Kirche richtet, während sie nach einer befreienden Hoffnung strebt, findet nur dann eine Lösung, wenn ein Leben vorgelebt wird, das die Seligpreisungen, das heißt: die evangelische Botschaft, in jedem Fall mit Liebe zu reagieren, sichtbar werden läßt. Darum müßt ihr aus eurem Leben ein Magnificat machen, das heißt, ein freudevolles „Ja“, einen Gesang auf die göttliche Barmherzigkeit, die die Armen befreit. Doch dieses Magnificat ist nur möglich, wenn ihr das eigene Leben in der aufrechten Haltung Mariens darbietet, so, wie sie unter dem Kreuz Christi stand. Das ist eure Theologie des Kreuzes. 6. Verkündet den Herrn mit eurem Leben und mit eurer Arbeit immer in Gemeinschaft mit der Kirche. Erhaltet unverletzlich die Einheit mit dem Nachfolger Petri und mit den Bischöfen, den Nachfolgern der Apostel, mit Offenheit und aufrichtiger Ergebenheit gegenüber dem Lehramt. Die Kirche will, daß ihr euch mit dem Brot des Wortes Gottes nährt, wie es in der Kirche verkündet und gelebt wird. So werdet ihr euch in klarem Einklang mit den echten Werten des Konzils und der Konferenzen von Medellin und von Puebla fühlen können. Eure Weihe läßt sich ohne eine große Liebe zur Kirche nicht begreifen, wie wir in dem Apostolischen Schreiben Redemptionis donum in Erinnerung gerufen haben: „Im Apostolat, das die geweihten Personen ausüben, wird die bräutliche Liebe zu Christus auf fast organische Weise Liebe zur Kirche als dem Leibe Christi, zur Kirche als Volk Gottes, zur Kirche, die zugleich Braut und Mutter ist“ (Nr. 15). Diese so tief in euren Herzen verwurzelte Liebe zur Kirche findet in Maria ihre Verkörperung, ihre Gestalt und ihr Vorbild. Wenn ihr mit ihr in den Stunden von Golgota ausharrt, werdet ihr wahrnehmen, daß die Kirche die Frucht der Liebe Christi, des Bräutigams ist, der am Kreuz starb und aus dessen Seite Blut und Wasser floß (vgl. Joh 19,34). Als er sein Leben für seine Braut, die Kirche, hingab (vgl. Eph 5,25), hat Christus, der Bräutigam, ihr das lebendige Wasser des Heiligen Geistes übertragen. Mit Maria in den Stunden des Abendmahlssaales werdet ihr das missionarische Wesen der Mutter Kirche erfassen und leben können, die sich ständig darauf vorbe- 610 REISEN reitet, neue Gnaden des Heiligen Geistes zu empfangen (vgl. Apg 1,14) und „das allumfassende Sakrament des Heils“ {AG 1) zu sein. Die Kirche setzt also großes Vertrauen in das gottgeweihte Leben. Welches Ferment zur Erneuerung und zum Fortbestehen der Kirche kommt von dem schweigenden und abgeschiedenen Leben im Kloster, wo dazu erwählte Menschen sich in der Betrachtung, im Lobpreis, im Opfer Gott darbringen! Eure Beteiligung am Apostolat der Kirche entspringt aus eurer bräutlichen Liebe zu Christus. In Treue zur Gemeinschaft mit der Kirche und in immer bereitwilliger Zusammenarbeit mit den Bischöfen als Prinzip der Einheit in ihren Teilkirchen werdet ihr mit voller Verfügbarkeit an der Evangelisierung aller Völker mitarbeiten und dabei hauptsächlich den bedürftigsten Kirchengemeinden helfen können. Auf diese Weise werdet ihr in dieser missionarischen Stunde Lateinamerikas ein wirksamer Ansporn sein. 7. Ich bitte alle Anwesenden, dem eigenen Charisma entsprechend großherzig den Bischöfen Mitarbeit zu leisten bei der geistlichen und apostolischen Animation der ganzen kirchlichen Gemeinschaft. Die Oberinnen werden, den Anweisungen des Heiligen Stuhles und der Bischöfe folgend, darüber wachen, daß ein so kostbares Erbe des Herrn, wie es das gottgeweihte Leben ist, stets den Geist der Berufung zur radikalen Nachfolge Christi bewahrt. „Die Welt bedarf des echten ,Widerspruchs4 der Ordensweihe... und dieses Zeugnisses der Liebe“ {Redemptionis donum, 14). Das ist ein ständiger Ansporn, allen gottgeweihten Menschen die gewissenhafteste Aufmerksamkeit zu widmen durch ständige Weiterbildung, in der geistlichen Führung und in der eifrigen Sorge um die empfangenen Gnadengaben. Die Jungfrau Maria führe euch ständig an ihrer Hand, geliebte Dienerinnen des Herrn, und halte unter euch jene Sehnsucht nach evangelischer Heiligkeit wach, die durch eure Gründer und Gründerinnen euren Stil des gottgeweihten und missionarischen Lebens in diesem gesegneten Land Kolumbien ins Leben rief. Ich segne euch alle von Herzen. 611 REISEN Berufliche Kompetenz gepaart mit klaren christlichen Kriterien Ansprache an die Vertreter von Kultur und Wissenschaft in Medellin am 5. Juli Herr Kardinal! Exzellenzen und Hochwürdigste Herren! Meine Herren Rektoren, Leitungsräte und Professoren! Verantwortliche der Hochschulseelsorge! Freunde von Kultur und Wissenschaft! Liebe Studenten! Zum Abschluß eines intensiven Tages und bereits am Ende meines Besuches in Medellin kann ich diese geliebte Stadt nicht verlassen, ohne mich mit Ihnen, Männer und Frauen der Wissenschaft und Kultur, zu treffen. Ich empfinde das als eine notwendige Pflicht, die der Papst und die Kirche Ihnen schulden, und als eine Geste Ihrerseits, die Anwesenheit der Kirche und des Papstes als natürlich und selbstverständlich anzunehmen. Lassen Sie mich zu diesem Beweggrund noch einen weiteren, sozusagen lebenswichtigen, hinzufügen: die Begegnung mit den Jugendlichen, den zahlreichen jungen Studenten, von denen ich jetzt nur einige Vertreter treffen kann. Am vergangenen Mittwoch hatte ich im Stadion „El Campin“ von Bogota die Freude, sie in nächster Nähe und in großer Zahl zu hören. Die Kirche braucht die Kultur, ebenso wie die Kultur die Kirche braucht. Das habe ich bereits bei anderen Gelegenheiten gesagt und wiederhole es jetzt für Sie, wobei ich hinzufüge, daß die Kirche bei der Auswahl und dem Austausch von Gütern zwischen Glaube und Kultur hauptsächlich an die Jugendlichen denkt (vgl. Puebla, Nr. 1186) und von ihnen ihrerseits eine bevorzugte Zustimmung erwartet. Da bin ich also, um mit Ihnen gemeinsam einige Überlegungen anzustellen über diese grundlegende Wirklichkeit im Leben der Menschen und der Völker: die Kultur. 1. Die Universität: ideales Zentrum für das Reifen einer neuen Kultur Die Universität ist ein ideales Zentrum für das Reifen einer neuen Kultur. Die jungen Menschen vermitteln diesem Prozeß die Lebenskraft und den Eifer, die notwendig sind, um eine Qualitätsveränderung durchzuführen. 612 REISEN Es ist eine Tatsache, daß die Universitäten als solche ein geeigneter Bereich sind, um der Kultur und der Gesellschaft einer Nation, eines Kontinents eine wirksame Orientierung zu geben; sei es die Universität in ihrer Bedeutung der Gesamtheit von Professoren und Studenten oder als Zentren, in denen das Wissen, im ganzen betrachtet, zum Ziel von Forschung, Lehre und Lernen wird. Darum sucht auch die Kirche - mit der gebührenden Achtung vor der jeweiligen Selbstbestimmung der anderen - die Bande zu erneuern und zu verstärken, die sie mit den kolumbianischen Universitäten seit deren Gründung verbinden. Euer Land verfügt über 50 Universitäten, abgesehen von Instituten und Forschungszentren, Akademien, Museen, usw. Es handelt sich um ein bedeutendes Erbe an Wissenschaft und Kultur, das Grund zu berechtigtem Stolz ist, zugleich jedoch Gegenstand ernster Verantwortlichkeit vor Gott und vor dem kolumbianischen Volk für die Zukunft dieser edlen Nation. Blicken Sie mit Hoffnung, doch auch mit einem bedachtsamen Sinn für Realismus und Loyalität in die Zukunft. Die Universität muß dem Land bei dem gemeinsamen Bemühen um den Aufbau einer neuen, freien, verantwortlichen, ihres Kulturerbes bewußten, gerechten, brüderlichen, anteilnehmenden Gesellschaft dienen, in welcher der Mensch, ganzheitlich gesehen, immer der Maßstab des Fortschrittes sein soll. Auf dem Weg zu diesem leuchtenden Ziel werden große Schwierigkeiten zu überwinden sein, die Sie gut kennen. Die Kirche begleitet sie aufgrund ihrer übernatürlichen Sendung, die ihr Gründer ihr anvertraute. In diesem Sinne empfindet sie ihren eigenen Dienst als wesensgleich mit der Universität und sie betrachtet diese als eine „Schlüssel- und funktionelle Option der Evangelisierung“ (Puebla, Nr. 1055), nicht aus Machtstreben, sondern zum Dienst am Menschen. Denn die Kultur soll, worauf hinzuweisen ich vor einigen Jahren bei meinem Besuch bei der UNESCO Gelegenheit hatte, den Menschen in seiner Überlegenheit über die Dinge zu seiner vollen Verwirklichung führen. Sie muß verhindern, daß er im Materialismus jeglicher Art und im Konsumismus aufgeht oder zugrunde gerichtet wird von einer Wissenschaft und einer Technologie im Dienst der Habsucht und der Gewalt unterdrückender Mächte, die Feinde des Menschen sind. Es ist unbedingt erforderlich, daß die Männer und Frauen der Kultur nicht nur mit bewiesener Fachkenntnis, sondern auch mit einem klaren und soliden sittlichen Bewußtsein ausgestattet sind, daß sich ihr eigenes Tun nicht den „scheinbaren Imperativen“, die heute herrschen, unterstellen läßt. Sie sollen vielmehr in Liebe dem Menschen dienen, „dem Menschen und seiner moralischen Autorität, die sich aus der Wahrheit seiner Prinzipien 613 REISEN und der Übereinstimmung seiner Handlungen mit diesen Prinzipien ergibt“ (Ansprache an den Exekutivrat der UNESCO in Paris, 2. Juni 1980, Nr. 11: Wort und Weisung, 1980, 229). Die Universität, die ihrer Bestimmung nach eine uneigennützige und freie Institution sein soll, zeigt sich als eine der Einrichtungen der modernen Gesellschaft, die dazu imstande ist, zusammen mit der Kirche den Menschen als solchen zu verteidigen, ohne Ausflüchte, ohne irgendeinen Vorwand, einzig aus dem Grund, weil der Mensch eine einzigartige Würde besitzt und um seiner selbst wegen geschätzt zu werden verdient. Widmet daher im fruchtbaren Dialog mit der Ortskirche und mit der Universalkirche diesem edlen Zweck jedes berechtigte Mittel: Lehre, Forschung, Haltung des Zuhörens und der Zusammenarbeit, Bereitschaft zur Veränderung und zum geduldigen Neubeginn. 2. Dienst an der Vertiefung der kulturellen Identität Bei diesem edlen Auftrag zur Verteidigung und Förderung des ganzen Menschen leisten Sie einen Dienst für die Bewußtwerdung und Vertiefung der kulturellen Identität Ihres Volkes. Die kulturelle Identität ist ein dynamischer und kritischer Begriff: es ist ein Prozeß, in dem zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Erbe der Vergangenheit neu geschaffen und auf die Zukunft hin entworfen wird, damit es von den neuen Generationen aufgenommen werden kann. Auf diese Weise sichert man die Identität und den Fortschritt einer gesellschaftlichen Gruppe. Die Kultur, ein typisch menschliches Bedürfnis, ist eines der grundlegenden Elemente, die die Identität eines Volkes ausmachen. Hier verankert es die Wurzeln seines Willens, es selbst zu sein. Die Kultur ist der vollkommene Ausdruck seiner Lebenswirklichkeit und umfaßt sie in ihrer Gesamtheit: Werte, Strukturen, Personen. Daher ist die Evangelisation der Kultur die gründlichste, umfassendste und tiefstgreifende Art der Evangelisierung eines Volkes. Es gibt typische Werte, die die lateinamerikanische Kultur kennzeichnen, wie unter anderem das Verlangen nach Veränderung, das Bewußtsein der eigenen sozialen und politischen Würde, das Bemühen um gemeinschaftliche Organisation vor allem in den volkstümlichen Bereichen, das steigende Interesse und die Achtung für die Ursprünglichkeit der Eingeborenenkulturen, die wirtschaftliche Möglichkeit, um den Situationen äußerster Armut entgegenzutreten, die großen Gaben der Humanität, die vor allem in der Bereitschaft sichtbar werden, andere aufzunehmen, um das eigene Hab und Gut zu teilen und im Unglück solidarisch zu sein (vgl. Puebla, Nr. 1721). Wenn man sich auf 614 REISEN diese unzweifelhaften Werte stützt, kann man den Herausforderungen unserer Zeit gegenübertreten: Abwanderung vom Land in die Stadt, der Einfluß der sozialen Kommunikationsmittel mit ihren neuartigen Kulturmodellen, das berechtigte Streben nach der Förderung der Frau, der Beginn der Industriegesellschaft, die Ideologien des Materialismus, das Problem der Ungerechtigkeit und Gewalt . . . In diesem Zusammenhang des Dienstes an der kulturellen Identität Ihres Volkes ist es nicht unangebracht, Sie daran zu erinnern, daß „die Erziehung eine menschliche Tätigkeit im Rang der Kultur ist“ (Puebla, Nr. 1024); nicht nur weil sie deren „erste und wesentlichste Aufgabe“ ist (Ansprache an die UNESCO, Nr. 11), sondern auch weil die Erziehung eine aktive, kritische und bereichernde Rolle der Kultur selber spielt. Die Universität kann, da sie in allen ihren Komponenten - Personen, Ideen, Einrichtungen - ein hervorragender Ort der Erziehung ist, einen Beitrag gewähren, der weit über das Bewußtsein von der nationalen und volkstümlichen kulturellen Identität hinausgeht. Die Erziehung als solche, die sie bietet, kann zur Vertiefung und Bereicherung der Kultur des Landes selber beitragen. 3. Glaube und Kultur Wenn ich mich heute an Sie, ehrenwerte Vertreter der kolumbianischen Geistes- und Kulturwelt, im besonderen an die engagierten Laien, wende, möchte ich Sie dazu aufrufen, aktiv an der Schaffung und Verteidigung einer glaubwürdigen Kultur der Wahrheit, des Guten und des Schönen, der Freiheit und des Fortschritts teilzunehmen, die zum Dialog zwischen Wissenschaft und Glaube, christlicher Kultur, lokaler Kultur und Weltzivilisation beizutragen vermag. Die Kultur setzt voraus und fordert eine „ganzheitliche Sicht des Menschen“, der in der Gesamtheit seiner moralischen und geistigen Fähigkeiten, in der Fülle seiner Berufung verstanden wird. Hier wurzelt die tiefgehende Bindung, „die organische Seinsverbindung“, die den christlichen Glauben und die menschliche Kultur miteinander verbindet (vgl. Ansprache an die UNESCO, Nr. 9, a. a. O., 227): der Glaube bietet die tiefe Sicht vom Menschen, welche die Kultur braucht, mehr noch, allein er vermag der Kultur ihre letzte und wurzelständige Grundlage zu verschaffen. Im christlichen Glauben kann die Kultur Nahrung und entscheidende Inspiration finden. Doch die Verbindung zwischen Glaube und Kultur wirkt auch in umgekehrter Richtung. Der Glaube ist nicht eine ätherische und geschichts- 615 REISEN fremde Wirklichkeit, der in einem Akt reiner Großzügigkeit sein Licht der Kultur anbietet, ihr gegenüber aber gleichgültig bleibt. Im Gegenteil, der Glaube wird in der konkreten Wirklichkeit gelebt und nimmt in ihr und durch sie Gestalt an. „Die Synthese zwischen Kultur und Glaube ist nicht nur eine Forderung der Kultur, sondern auch des Glaubens . . . Ein Glaube, der nicht zur Kultur wird, ist ein Glaube, der nicht voll angenommen, nicht voll durchdacht, nicht treu gelebt wird“ (Ansprache an die UNESCO, Nr. 9). Der Glaube verpflichtet den Menschen in der Ganzheit seines Seins und seiner Bestrebungen. Ein Glaube, der sich am Rande des Menschlichen und damit der Kultur vollzöge, wäre ein unzuverlässiger Glaube gegenüber der Fülle dessen, was das Wort Gottes offenbart und enthüllt, ein geköpfter Glaube, ja geradezu ein Glaube im Prozeß der Selbstauflösung. Der Glaube schafft und bringt Kultur hervor, auch wenn er die Kultur übersteigt, ja gerade dadurch, daß er sie übersteigt und die göttliche und ewige Bestimmung des Menschen enthüllt. 4. Aufgabe der katholischen Universitäten In diesem Dialog zwischen Glaube und Kultur kommt in besonderer Weise den katholischen Universitäten Kolumbiens ein eigener Dienst an der Kirche und der Gesellschaft zu. Ihre erste Verpflichtung besteht darin, ohne jede Verschleierung ihre katholische Identität widerzuspiegeln; sie findet ja „ihre eigentliche und tiefste Bedeutung in Christus, in seiner Heilsbotschaft, die dem gesamten Menschen gilt“ {Ansprache an katholische Studenten und Professoren in Guadalupe/Mexiko, 31. Januar 1979, Nr. 2: O.R., dt., 16. 2. 79, 8). Und es geht darum, unter allen eine „Universitätsfamilie“ aufzubauen (ebd., Nr. 3). In diesem Rahmen steht - mit den ihr eigenen Wesensmerkmalen - die Hochschulseelsorgel Ein schwieriges Apostolat, das jedoch dringend notwendig und reich an Möglichkeiten ist. Das wissen Sie, die Verantwortlichen für diese wichtige Tätigkeit der Lokalkirche, gut, da Sie ihr großherzig Zeit und Kräfte widmen. Ich ermutige Sie herzlich, in Ihrem Bemühen fortzufahren, um im Geist der Zusammenarbeit und im Sinn der Kirche eine wirkungsvolle pastorale Präsenz sowohl an den staatlichen wie den privaten Universitäten zustande zu bringen. Die katholischen Universitäten arbeiten in gesundem und loyalem Geist des Wetteifers mit den anderen Universitäten daran, das wissenschaftliche und technische Niveau ihrer Fakultäten und Abteilungen, die Zuständigkeit und Hingabe der Professoren, Studenten und des wissenschaftlichen Hilfspersonals zu steigern. Sie arbeiten aktiv mit den übrigen Hochschul- 616 REISEN Zentren zusammen, indem sie einen gegenseitigen Austausch unterhalten; darüber hinaus sind sie in den nationalen und internationalen interuniver-sitären Organen vertreten. Sie unterhalten häufige Kontakte mit der Kongregation für die katholische Erziehung und mit dem Päpstlichen Rat für die Kultur. Auf diese Weise werden sie aktiv und wirksam zur Förderung und Erneuerung ihrer Kultur beitragen, indem sie sie durch die Kraft des Evangeliums umgestalten und die nationalen, menschlichen und christlichen Elemente in harmonischer Einheit einfügen. Erlauben Sie mir, daß ich bei dieser Gelegenheit einen Gruß lobender Anerkennung an die verdienstvolle Päpstliche Universität Bolivariana in dieser Stadt Medellin richte, die ihr 500jähriges Gründungsjubiläum feiert. Sie genießt wegen ihrer kulturellen Initiativen im Dienst der Region von Antioquia und des ganzen Landes ein zuverlässiges Ansehen in Kolumbien. Mein herzlicher Glückwunsch ergeht an Sie alle, Herr Kardinal und Großkanzler, Herr Rektor, an den Leitungsrat, an die Stiftergruppe, an die ehemaligen Schüler und die Vertreter der hier anwesenden Studenten. Ich verbinde ihn mit meinen innigen Wünschen, daß sie als Vorkämpfer der Teilkirche von Medellin die Ziele erreichen mögen, die ich vorgeschlagen habe. 5. Schluß Da nun der Augenblick des Abschiednehmens gekommen ist, kann ich dies nicht tun, ohne zuvor allen hier Anwesenden meine Dankbarkeit auszudrücken für ihren Eifer und Beitrag zugunsten von Kultur und Wissenschaft. Ich bitte Sie, übermitteln Sie allen Ihren Kollegen den Dank des Papstes und der Kirche. Die Kirche braucht Sie! Ich sage noch mehr: Die Kirche braucht Lateinamerika! An der Schwelle des dritten christlichen Jahrtausends und in der unmittelbaren Vorbereitung des 500jährigen Jubiläums der Evangelisierung Amerikas möchte ich von Kolumbien aus dem Wunsch Ausdruck geben, daß die Gaben der verschiedenartigen, reichen und ursprünglichen lateinamerikanischen Kulturen, in denen das Christentum in tiefgreifender Weise Gestalt angenommen hat, in wohltuendem gegenseitigem Austausch in die Universalkirche gelangen. Meinem Wort der Ermutigung für Ihre verdienstvolle Arbeit schließe ich mein Gebet an den Allmächtigen an, daß er Ihnen in Ihren Aufgaben beistehen möge, während ich alle Anwesenden, die Institutionen, die Sie vertreten, und Ihre Familien von Herzen segne. 617 REISEN Als Vater und Hirte komme ich Grußwort bei der Ankunft in Armero am 6. Juli Herr Präsident, liebe Brüder im Bischofsamt, verehrte Autoritäten der Departements und Leiter der Wiederaufbauorganisation, liebe Brüder und Schwestern! Die Katastrophe, die der Ausbruch des Vulkans Nevado del Ruiz, insbesondere in Armero (und Chinchinä) verursachte, hat mich zutiefst bewegt. Als mich die Nachrichten über die Tragödie erreichten - so viele Tote, so viele zerstörte Familien, so viele Obdachlose, allein zurückgebliebene Männer und Frauen, so viele Waisen - wuchs gleichzeitig mit meinen inbrünstigen Gebeten zum Herrn der Wunsch, diesen Ort zu besuchen, der sich in einen großen Friedhof verwandelt hat, auf dem Tausende von Opfern begraben sind. Jetzt hat sich durch Gottes Barmherzigkeit dieser Wunsch erfüllt. Hier bin ich nun als Vater und Hirte, der dorthin pilgert, wo Leid ist; hier stehe ich nun zusammen mit der Kirche in Kolumbien und vereint mit der ganzen Nation, die solidarisch ist. Ich bin gekommen, um auch an den christlichen und erlösenden Sinn des Schmerzes, der den Menschen immer begleitet, wie das Kreuz Christus begleitet hat und zum Grund seiner Verherrlichung wurde (vgl. Apostolisches Schreiben Salvifici doloris), zu erinnern und mit euch darüber nachzudenken. Ich bin gekommen, um zwischen den Ruinen Worte der Hoffnung zu säen. Ja, ich bin Träger der Frohen Botschaft, die aus dem Glauben heraus ein Licht auf das Geheimnis des Leidens wirft und unermeßliche Perspektiven der bewußten Ergebung, der Ermutigung und des Friedens eröffnet. Ich möchte mit meinem Beileid zu meiner Zuneigung jede einzelne Familie erreichen und euren Schmerz teilen und auch sagen: „Wendet euer schmerzerfülltes Antlitz zum Herrn, zum gekreuzigten und auferstandenen Jesus, der die Quelle des Trostes und der österlichen Hoffnung ist.“ Ich bin gekommen, um die Verstorbenen zu segnen, damit Gott ihnen die ewige Ruhe schenke; um euch alle zu segnen, damit Gott euch Verständnis und Liebe und für euer Leben die Aussicht auf eine bessere Zukunft gewähre. Von hier aus segne ich alle Familien, die unter dem Verlust von lieben Angehörigen leiden. Ich segne alle geliebten Söhne und Töchter 618 REISEN dieser Region und dieses Departements Tolima. Ich segne die neue Stadt, die dank solidarischer Bemühungen, nicht weit von hier, in Lerida, entsteht. Möge mein Segen, den ich euch im Namen des allmächtigen Gottes, des Herrn über das Leben und die Geschichte, jetzt erteile, euch neue Kräfte schenken, um euren Weg mit Entschiedenheit, mit Beharrlichkeit und mit christlicher Hoffnung weiterzugehen. Vor allem aber bin ich gekommen, um für die Verstorbenen und die Lebenden zu beten: zu beten für alle eure Institutionen. Laßt uns gemeinsam beten und vergangene und gegenwärtige Ängste teilen; laßt uns mit einem tiefen Glauben und kindlichem Vertrauen beten, mit der Sicherheit, daß der Vater im Himmel die Bitten seiner Kinder erhört. „ Vater, trockne die Tränen so vieler Brüder“ Gebet für die Opfer der Katastrophe von Armero am 6. Juli 1. Himmlischer Vater, von dem alles Gute herkommt, nimm unsere vielen Brüder, die von den entfesselten Kräften der Natur hier begraben worden sind, gütig in dein barmherziges Herz auf. Führe sie zur ewigen Wohnstatt, die Jesus, dein Sohn, jenen bereitet hat, die ihn als deinen Gesandten anerkennen und ihm mit Liebe dienen, während sie seine Gegenwart in den geringsten Brüdern entdecken. Diese deine Söhne, gütiger Vater, fielen als Weizenkorn in das innere der Erde, um bei der Auferstehung der Toten zu keimen und zu sprießen. Sie glauben an dich und hofften auf dich; sie empfingen die Taufe der Wiedergeburt, sie nährten und stärkten sich mit der Eucharistie, die Ursprung der Unsterblichkeit ist; sie lebten in der Liebe, mit der du in Ewigkeit belohnst. <64> <64> Vater, voller Erbarmen, tröste den Schmerz so vieler Familien, trockne die Tränen so vieler Brüder, beschütze die vielen Waisen in ihrer Verlassenheit. Flöße allen Mut und Hoffnung ein, damit sich der Schmerz in Freude verwandle und der Tod durch den Glauben zum Keim neuen Lebens werde. Bewirke, daß durch die Solidarität die Arbeit und die Standhaftigkeit der Völker dieser Erde gleichsam mitten unter den sterblichen Überresten eine neue Stadt deiner Söhne und Brüder entstehen lasse, wo deine 619 REISEN Brüderlichkeit herrsche, sich die Familien erneuern, sich die Tische wieder mit Brot und die Häuser und Felder mit Gesängen erfüllen. 3. Segne dieses Kreuz, hier errichtet als Zeichen unserer Erlösung, Bollwerk der Hoffnung, Symbol des Todes und des Lebens, des Schmerzes und der Freude. Dieses Kreuz, das der Thron Christi, deines Sohnes, ist, von wo aus er nach seiner Erhöhung herrscht, und alle Dinge an sich zieht. Mögen sich alle Blicke auf dieses Kreuz richten, den Lebensbaum, Punkt, in dem Himmel und Erde zusammenlaufen, wo die Versöhnung erreicht wird und die Hoffnung wiederersteht. Und nahe dem Kreuz und dem Schmerz eines jeden sei immer Maria, die Mutter Jesu, um uns in allen Schmerzen zu begleiten, um uns mit ihrem mütterlichen Blick zu ermuntern, um uns beim Aufbau einer neuen Gesellschaft im Zeichen der Liebe zu helfen. 4. Darum bitten wir dich durch Jesus Christus, deinen Sohn, an den zu glauben Leben ist, und dem zu dienen Herrschen ist. Er lebt und herrscht mit dir in der Einheit des Heiligen Geistes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. Die Stunde der Laien: Mitwirken an der neuen Evangelisierung Predigt bei der Eucharistiefeier in Bucaramanga am 6. Juli Liebe Brüder im Bischofsamt, liebe Söhne und Töchter! 1. „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (Gal 1,3). Euch allen einen herzlichen Gruß des Friedens und der Brüderlichkeit in Christus! Ich danke Gott innig, der mir die Freude der Begegnung mit so vielen treuen Kindern der Kirche bereitet hat, die auf diesem gebirgigen Boden von Santander leben und arbeiten: Männer und Frauen, die in ihrem Herzen wie in einem heiligen Reliquiar den Schatz der Treue und der Liebe zu Christus bewahren, Völker mit reiner Hingabe zur Jungfrau Maria, die als gesegnete Überheferung im Heiligtum ihres Heimes 620 REISEN bewahrt bleibt. Möge Gott diese Menschen mit ihren christlichen Heimstätten segnen, damit sie Schulen der Tugend und der Arbeit, Tempel des Glaubens und des Gebets sind. Friede euren Häusern! (vgl. Lk 10,5). Mein Gruß richtet sich an die Hirten der Diözesen von Bucaramanga und Nueva Pamplona. Friede und Heil sei mit dem Volk Gottes dieser beiden Erzbistümer und den Diözesen von Arauca, Barrancabermeja, Cücuta, Ocana, Socorro und San Gil, sowie der Prälatur von Tibü. Ebenso grüße ich von ganzem Herzen die Vertreter der Laien des ganzen Landes, die hier in der Stadt Bucaramanga zusammengekommen und versammelt sind. Mit Glauben und Begeisterung habt Ihr im Antwortpsalm ausgerufen: „Jesus Christus, Jesus Christus, ich bin hier.“ Ihr habt hiermit Eure Bereitschaft und Hingabe für das Evangelium bekunden wollen. Im Bericht des hl. Lukas ernennt und entsendet der Herr zweiundsiebzig Jünger zu all jenen Stellen und Orten, an die er zu gehen gedachte. Außer den zwölf Aposteln und seinem Zeugnis folgend, sind viele andere dazu berufen und ausgesandt, alle Jahrhunderte hindurch und bis zu unseren Tagen Vorläufer, Botschafter und Zeugen zu sein, die die Gegenwart und die Ankunft Christi ankündigen und das Herannahen des Gottesreiches verkünden. Ihr bildet einen Teil dieser ununterbrochenen Vielzahl von Jüngern, die von Generation zu Generation in allen Dörfern und Städten, in allen Kulturen, Gesellschaften und Nationen Zeugen und Verkünder des Herannahens dieses Reiches der Wahrheit und des Lebens sind, des Reiches der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens (vgl. LG 36). Wiederholt nochmals hier in Bucaramanga voller Kraft, damit das Echo alle Winkel Kolumbiens erreicht: „Jesus Christus, Jesus Christus, ich bin hier! Hier sind wir als Jünger; hier sind wir als Christgläubige.“ 2. Dies ist der erste Titel der Würde und Verantwortlichkeit, mit dem das Zweite Vatikanische Konzil die Laien in Gemeinschaft aller Brüder im Glauben nennt. In Anwesenheit und Inspiration des Geistes Gottes wollte das Zweite Vatikanische Konzil ein erneutes und mächtiges Echo jenes Rufes Christi sein, um die christlichen Kräfte aller Getauften freizusetzen, um sie auf die Wege des Menschen mit der Kraft einer „neuen Evangelisierung“ zu senden, um sie im Bemühen um die Schaffung menschenwürdiger Lebensformen bis hin zum Horizont einer Gesellschaft im Zeichen der Liebe anzuregen. <65> <65> Aber wie auch die Konzilsväter einräumen: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter“ (Lk 10,2). Das Arbeitsfeld, das sich heute vor 621 REISEN den Augen des Apostels öffnet, ist unermeßlich und zugleich vielfältig und komplex. Gestern wie heute fehlt es nicht an Städten, die nicht auf die Jünger des Herrn hören, die ausgesandt sind „wie Schafe unter die Wölfe“ (Lk 10,3), und sie zurückzuweisen. Materialismus, Konsumismus und Säkularismus haben das Herz vieler Menschen verdunkelt und verhärtet. Dennoch gibt es viele Häuser und Städte, die unter dem Gesetz des Herrn leben, den „Strom des Friedens“ gemäß den Worten des Propheten Jesaja (Jes 66,12) empfangen. Die Ernte ist groß! Viele Hände werden für den Bau des Gottesreiches gebraucht. Hierbei hat das Zweite Vatikanische Konzil mit besonderer Klarheit und Kraft hervorgehoben, daß jede christliche Berufung von ihrer Natur her schon Berufung zum Apostolat sei (vgl. AA 3), und lädt hierbei alle Laien dazu ein, ihre Taufwürde als Jünger des Herrn, als Arbeiter bei der Ernte, wiederzuentdecken und ihre apostolische Verantwortung angesichts der Größe der Aufgabe wiederzuerleben. 4. Durch die Taufe und die Firmung, durch die Beteiligung am Priestertum Christi nehmen die Laien als lebendige Glieder seines Leibes an der Gemeinschaft und der Mission der Kirche teil. Die Kirche wünscht sich und braucht heilige Laien, die Jünger und Zeugen Christi, Baumeister christlicher Gemeinden, die die Welt nach den Werten des Evangeliums verändern. Von euren Hirten geleitet, seid Ihr alle eingeladen, aktiv an dieser Heilsmission teilzuhaben: Junge und Alte, Arme und Reiche, Männer und Frauen, Gebildete und Ungebildete. Alle haben in der Mission der Verkündung, daß „das Reich Gottes nahe ist“ (Lk 10,9), eine Aufgabe. Das Arbeitsfeld des Laien in der Mission der Kirche erstreckt sich auf alle Bereiche und Situationen des menschlichen Zusammenlebens. So bestätigt es mein ehrwürdiger Vorgänger Papst Paul VI. im Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi: „Das eigentliche Feld ihrer evangelisieren-den Tätigkeit ist die weite und schwierige Welt der Politik, des Sozialen und der Wirtschaft, aber auch der Kultur, der Wissenschaften und der Künste, des internationalen Lebens und der Massenmedien, ebenso gewisse Wirklichkeiten, die der Evangelisierung offenstehen, wie Liebe, Familie, Kinder- und Jugenderziehung, Berufsarbeit, Leiden usw.“ (EN 70). Ihr Laien in der Welt, die Ihr Eurer Identität treu seid, müßt in Eurer Gesellschaft leben und hier eine aktive, dynamische und verändernde Präsenz im Sinn des Evangeliums verwirklichen, so wie die Hefe im Teig, so wie das Salz, das dem Arbeitsleben einen christlichen Sinn verleiht, so 622 REISEN wie das Licht, das im Dunkel der Gleichgültigkeit, des Egoismus und des Hasses aufleuchtet. 5. Dies setzt sich hier und heute für Kolumbien in Einsatz und Beitrag zur Sicherung der wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Bedingungen um, die die Einheit und Stabilität der Familien fördern, die Bedeutung der Achtung vor dem Leben verstärken, gegen die tiefliegenden Gründe für Gewalt und Terrorismus angehen und alle Formen der Korruption des Sozialnetzes bekämpfen; mögen sie die Modelle und Entwicklungsstrategien mutig weitertragen, die dazu geeignet sind, krasse Situationen der Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Randexistenz und Armut zu überwinden; mögen sie Initiative, Selbstverwaltung, Mitverantwortung und Beteiligung am öffentlichen Leben fördern; mögen sie die Arbeit würdigen und sie stärker als ein Recht für alle erweitern; mögen sie weite Horizonte im Dialog, in der Solidarität und der Integration in die große lateinamerikanische Familie offenhalten. Die Konferenz von Puebla deutete den bestehenden Widerspruch zwischen dem katholischen Kultursubstrat auf ethnischer und nationaler Ebene und den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen an, die aus der Sünde herrührende Ungerechtigkeiten kundtun und schaffen. Es ist daher nötig, daß die Option Pueblas für die Evangelisierung und das christliche Wachstum der Laien, „der Baumeister der Gesellschaft“, mit mehr Hingabe, Kreativität und Wirksamkeit in die Tat umgesetzt wird. Die Drohungen, die sich am Ende des zweiten christlichen Jahrtausends zeigen, sind außerordentlich groß und komplex. Wir müssen daher den Herrn der Ernte bitten, „Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Lk 10,2). 6. Die Präsenz und der Beitrag des christlichen Laien im vielgestaltigen Leben der kolumbianischen Gesellschaft kann nicht von seiner Teilhabe an der christlichen Gesellschaft getrennt betrachtet werden. Ganz im Gegenteil! Die aufbauende, befreiende Kraft der Präsenz der Christen in der sozialen Ordnung, die Identität und Originalität ihres Beitrags, inspiriert und nährt sich an der tiefen Festigkeit und Teilhabe an der kirchlichen Gemeinschaft. Die Quelle des ganzen Apostolats und im besonderen der christlichen Beseelung des Zeitlichen trifft sich in der inneren Einheit des Gläubigen mit Christus. Kolumbianischer Laie, Christus ruft Dich! Christus wartet auf Dich, damit auch Du am Aufbau des Gottesreiches teilhast. Es gilt daher, die Intensität und Vielfalt der Beteiligungsformen der Laien an den christlichen 623 REISEN Gemeinden, ihrem liturgischen Leben, ihren Programmen und Pastoral-plänen, ihren Laienämtern, an der Praxis und dem Zeugnis der Nächstenliebe zu ermutigen. Jegliche Trennung von Glauben und Leben muß überwunden werden. Die christliche Schulung der Laien erfordert eine pastorale Pädagogik, die sein ganzes Leben mit dem Licht und der Stärke des Glaubens erhellt Und leitet. Der bekannte Glauben muß zu christlichem Leben werden. Möge die kirchliche Einheit und Gemeinschaft in der Wahrheit und Nächstenliebe unter der Führung der Bischöfe, den Vätern und Lehrern im Glauben immer vorwiegen. Mögen die Laien, indem sie den Hirten und der gesunden Lehre folgen, gegen jegliche Absicht oder Manipulation reagieren, die versucht, Spaltung und Zwietracht zu säen. „Erbittet für Jerusalem den Frieden!“ (Ps 122,6), so beteten wir im Antwortpsalm; möge das neue Jerusalem, das die Kirche ist (in Brüderlichkeit und Liebe), „wie eine dicht gebaute und fest gefügte Stadt“ (Ps 122,3) sein. 7. Indem ich mich an die Männer und Frauen, an die verantwortlichen Christen Kolumbiens wende, möchte ich einen besonderen Gruß an die Mitglieder des Nationalrats der Laien richten. Ich weiß, daß dieser Organismus bereits seit mehreren Jahren in aktivem Dienst und in enger Zusammenarbeit mit der Bischofskonferenz steht. Ich möchte alle ermutigen, damit die nächste Bischofssynode im Jahre 1987, die die „Berufung und Mission der Laien in der Kirche und in der Gesellschaft“ zum Thema haben wird, schon vom Besuch des Papstes an dazu beiträgt, neue Kräfte der Heiligkeit und des Apostolates freizusetzen, die ihre Mission immer fruchtbarer machen. Ich möchte auch ein Wort des Grußes, des Dankes und der Hochachtung an die kolumbianische Frau, an die Frau ganz Lateinamerikas richten. Es ist bereits klar gesagt worden, daß die Frau von Generation zu Generation eine von der Vorsehung bestimmte Rolle in der Bewahrung des Glaubens der lateinamerikanischen Völker bekleidet hat. Demütige und starke Frauen des christlichen Volkes sind wie Schutzengel der christlichen Seele gewesen und sind es auch weiterhin: Verkünderinnen des Glaubens, taktvoll, ausdauernd, und der Familie sowie der nationalen Gemeinschaft treu. Die christliche Frau spielt im Plan Gottes für die Heilsgeschichte eine wichtige Rolle. Sie steht dabei in der Nachfolge Mariens, die voll der Gnade das Evangelium verkörperte und uns Jesus schenkte, die gebenedeite Frucht ihres Leibes. Die Geschichte des Evangeliums in diesem Kontinent der Hoffnung bestätigt die wichtige Aufgabe der christlichen Frau. 624 REISEN 8. Liebe Söhne, Brüder und Freunde, im Herzen bewahre ich das Zeugnis eurer Verfügbarkeit und Bereitschaft, den Ruf des Herrn anzunehmen und, im Bewußtsein, daß die Ernte groß und die Arbeiter wenige sind, seine Jünger zu werden. Ich bewahre den Widerhall eures Gesangs, der Gebet und Verpflichtung ist: „Jesus Christus, Jesus Christus ich bin hier.“ Ich bewahre das Zeugnis eurer Hingabe an das Evangelium, um es vor dem Grabmal der Apostel Petrus und Paulus niederzulegen und es mit der ganzen Kirche Christus, dem Heiland und Herrn der Geschichte, darzubringen. Erneut erinnere ich euch an das Wort des Herrn, das wir bei dieser Eucharistiefeier gehört haben, indem ich euch zu den beiden großen Lieben auffordere, die das Leben des christlichen Laien, des christlichen Apostels inspirieren und durchdringen müssen: die Liebe zu dem für uns gekreuzigten und zu unserem Heil auf erstandenen Christus; die Liebe zur Kirche, dem himmlischen Jerusalem, die uns als Mutter in ihre Liebe aufnimmt, uns mit ihren Sakramenten nährt, uns auf unserem Weg zum endgültigen Vaterland begleitet. Kolumbianische Katholiken, die Ernte ist groß auf diesem fruchtbaren Boden, den Gott seit nahezu fünf Jahrhunderten mit der Saat seines Wortes segnet. Während ich mein inniges Gebet an den Herrn richte, damit es weder an Händen noch an bereitwilligen Herzen fehle, die bei der Ernte mitarbei-ten wollen, rufe ich für Euch alle den Schutz der Heiligen Jungfrau an und spende von Herzen meinen Apostolischen Segen. Die neue Evangelisierung muß von einer betenden Kirche ausgehen Predigt beim Wortgottesdienst in Cartagena am 6. Juli Liebe Brüder im Bischofsamt! Liebe Brüder und Schwestern! 1. Wie schön und sinnvoll ist das Lied, das gerade von euren Lippen und aus euren Herzen erklang. „Wir wollen dein Reich verkündigen Herr, dein Reich, Herr, dein Reich“. Hier von den Ufern des Ozeans, dem Weg, den das Evangelium dank der göttlichen Vorsehung genommen hat, in dieser historischen und helden- 625 REISEN haften Stadt Cartagena de Indios, grüße ich alle herzlich, die sich heute abend hier versammelt haben um mit Dank gegenüber Gott der Evangelisation Amerikas zu gedenken. Ich grüße euch, meine Brüder, die Bischöfe von der Atlantikküste, Hirten der ältesten Bischofssitze Kolumbiens und der kirchlichen Jurisdiktionen, die daraus hervorgegangen sind. Mein besonderer Gruß gilt dem Erzbischof von Cartagena und den Ordinarien dieser Kirchenprovinz, den Bischöfen von Mangangue, Monteria, Sincelejo und Alto Sinü. Ich grüße euch, ihr Priester, Missionare, Ordensfrauen und Laienmitarbeiter, die ihr mit beispielhafter Hingabe fortfahrt, das Evangelium überall hinzubringen. Ich grüße euch, ihr Gläubigen von Cartagena und von der Küste, die ihr mit froher Begeisterung diese Begegnung des Glaubens und der Liebe erwartet habt. Wir befinden uns am Fuße des Cerro de la Popa (des Hügels Popa), von wo aus die Gottesmutter, die Virgen de la Candelania (Lichtmeß), deren ehrwürdiges Gnadenbild wir feierlich krönen werden, seit mehr als vierhundert Jahren das Volk, das zu ihr pilgert, schützt. Dieses Heiligtum, Wächter des Glaubens eines Volkes, wird an diesem Abend zu einem glorreichen Zeichen der fünfhundert Jahre, die seit Beginn des Werkes der Evangelisierung der Kirche in Lateinamerika verflossen sind. Unter dem Blick Mariens, der treuen Jungfrau, der Mutter aller Menschen, lade ich euch ein, das zu vertiefen, worauf ich schon in Santo Domingo hingewiesen habe. Ich meine die Bedeutung der Jahrhundertfeier, der eine Jahresnovene vorausgeht, für die Gegenwart und die Zukunft. (Ansprache zur Eröffnung der Jahresnovene vom 12. Oktober 1984). Seit schon fast fünf Jahrhunderten erklingt in diesem Lande der Psalm, mit dem ihr Gott preist, weil er euch den Glauben an Christus den Auferstandenen geschenkt hat: „Lobet den Herren, alle Nationen . . . Denn mächtig waltet über uns seine Huld.“ (Ps 117,1 f.). <66> <66> Die ersten Missionare kamen in dieses Land, getrieben von dem brennenden Eifer, das Geheimnis der Erlösung zu verkünden und alle Völker daran teilhaben zu lassen, zum Lobe Gottes. Im Anblick unermeßlicher Gebiete, in die das Evangelium noch nicht vorgedrungen war, fragten sie sich wie der hl. Paulus: „Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie noch nicht gehört haben? Wie sollen sie hören, wenn niemand verkündigt? Wie soll aber jemand verkündigen, wenn er nicht gesandt ist? (Röm 10,14 f.). 626 REISEN So waren die ersten Missionare dem Auftrag des Herrn und der Kirche, die ihrem Wesen nach missionarisch ist, treu. Kraft des Gehorsams gegen Christus hat die Kirche unablässig Boten des Evangeliums in alle Gegenden der Erde ausgesandt und dieses in allen menschlichen Situationen verkündet, zur Ehre Gottes und zum Heile aller Menschen (vgl. AG 1; LG 17). Wir wollen dein Reich verkünden, Herr! 3. Ja, verkündet Christus, sowohl durch euer Leben wie durch eure Kultur! Zeigt, daß ihr das Evangelium im Tiefsten eures Wesens aufgenommen habt und daß es in eurem Leben verwurzelt ist! Das Evangelium hat eure Kultur so sehr durchdrungen, daß sie selbst ein Ausdruck der Heilsgaben für euch, eure Nachkommen und - warum nicht? - für andere Völker, die noch auf die Verkündigung des Evangeliums warten, werden kann. Das Leben der in Lateinamerika gegründeten Teilkirchen hat zu einem ständigen Wachstum des Glaubens geführt. Eine ununterbrochene Verkündigung des Evangeliums, die auf Menschen, Institutionen und Kulturen stieß, die bereit waren, es zutiefst in sich aufzunehmen, hat beigetragen, daß man in Wahrheit von einem Kontinent sprechen kann, der vom Siegel des katholischen Glaubens geprägt und bereit ist, verantwortlich bei einer universalen Evangelisierung mitzuarbeiten. Wir wissen alle nur zu gut, daß „der Glaube in der Botschaft und die Botschaft im Wort Christ“ begründet ist (Röm 10,17). Die lobenswerte Arbeit einer Legion von gut organisierten Glaubensboten war derart, daß sie von ihrem brennenden missionarischen Eifer angetrieben, Flußläufe entlang fuhren, Gebirge überquerten, Täler durchzogen und die Botschaft des Evangeliums verkündeten. In jenen Jahren wurden die grundlegenden Lehren des Konzils von Trient in volkstümliche Formen gebracht, sogar unter Verwendung poetischer und musikalischer Ausdrucksmittel. Die Evangelisierung im Spanisch-Amerika hatte eine ganz eigene Prägung, aus der sich auch der Fortbestand von festen Lehrformeln eines Einheitskatechismus erklärt. Auf diese Weise wurde der Glaube in der Familie, in der Schule und in der Kirche weitergegeben. 4. Auch heute noch trägt die Volksreligiosität oder Volksfrömmigkeit wirksam dazu bei, den Glauben der Seele des Volkes entsprechend darzustellen und zu verkünden. Lateinamerika kennt Gott und seinen Sohn Jesus, unseren Erlöser, der uns seine Mutter geschenkt hat und es 627 REISEN weiß, daß er nahe ist. Deshalb lebt es in Einklang und Gemeinschaft mit der ganzen Kirche. Die heiligen Zeremonien, die Sakramente, die liturgischen Zeiten sind für den lateinamerikanischen Menschen etwas, was er als einzelner, als Familie und als gesellschaftliche Gruppe lebt. Wenn es nicht diese innige und wesentlich eucharistische und marianische Volksfrömmigkeit gäbe, dann wären wohl der Mangel an Priestern und die großen Entfernungen Grund genug gewesen, daß sich der Glaube der ersten Evangelisation verloren hätte. Die evangelisierte Familie blieb im Glauben standhaft und einig dank des Gebetes, besonders des Rosenkranzes, was ich schon in Chiquinquirä erwähnte. Möge dieses marianische Gebet immer Quelle der Einigkeit der Familie sein, die heute von so vielen Gefahren bedrängt wird. 5. Die Bischöfe übernahmen es einzeln und bei den für Spanisch-Ame-rika charakteristischen Provinzialkonzilien als evangelisatorische Aufgabe - und zwar nicht als eine zweitrangige —, die sozialen Gegebenheiten der Indiobevölkerung einem Prozeß der Umgestaltung zu unterziehen. Sie erarbeiteten einen Plan, nach dem die Eingeborenen ihren christlichen Glauben leben und die Werte einer fremden Kultur assimilieren konnten, ohne ihre eigenen zu verlieren. Von hier geht die lateinamerikanische, echt mestizische Religiosität aus. An dieser Stelle müßten auch die Bemühungen um die Verteidigung der Rechte der Indios hervorgehoben werden. Sie wurde von Ordensleuten und Missionaren unter großen Schwierigkeiten begonnen und weitergeführt von großen Bischöfen wie Juan del Valle, Augustin de la Coruna, Luis Zapata de Cärdenas, die eine gerechtere Sozialgesetzgebung erreichten. Die Kirche hat auf dem Gebiete der Kultur Pionierarbeit geleistet; ihr ist hauptsächlich die so frühe Gründung der Universität zu verdanken, die zu gegebener Zeit eingeleitete Förderung der Frau, sowie Initiativen auf verschiedenen Gebieten der Kunst und der Wissenschaft. Unter den von Gott gesandten Persönlichkeiten müssen wir in dieser Stadt Cartagena an zwei Jesuiten erinnern; an Alonso de Sandobal und den hl. Pedro Claver. Sie gaben ihrem apostolischen Bemühen eine für ihre Zeit so neuartige Orientierung und traten so kühn gegenüber zivilen und religiösen Autoritäten auf, daß sie dieser Stadt den Titel „Wiege der Menschenrechte“ einbrachten. Das klassische Werk von Pater Sandobal trägt einen Titel, der ein ganzes Programm enthält: „De instauranda Aethiopium Salute“. Es geht darin um einen Kreuzzug, bei dem mit geistlichen Waffen eine neue Rasse für Christus erobert werden soll, um die zukünftige Evangelisierung Afrikas einzuleiten mit dem Ziel der 628 REISEN Abschaffung der Sklaverei in Amerika und einer entschiedenen Stellungnahme der Kirche gegen die Rassentrennung. 6. Diese Bemühungen um Befreiung beschränken sich nicht auf schriftliche Überlegungen, sondern sie wurden durch das bewundernswerte Handeln des hl. Pedro Claver in die Tat umgesetzt. Er nannte sich, wie in der Formel seiner Ordensprofeß festgehalten ist „auf immer Sklave der Neger“. Diese Stadt Cartagena war Zeuge seines Lebens, eines fortwährenden Martyriums von fast vierzig Jahren. Er zeigte der Welt, wie die Kraft des Glaubens und die Gnade des Priestertums den innersten Kern einer Kultur reinigen und vervollkommnen können; denn den Sklaven, die das Wort Gottes empfingen und in der Taufe geistlich wiedergeboren wurden, wurde die tiefste Befreiung zuteil. Wenn sich, z. B., die Schiffe, die Sklaven herbeibrachten, hier der Küste näherten, dann war Pedro Claver der erste, der sie bestieg, um die Kranken und Notleidenden zu versorgen. Er widmete sich voll und ganz der Aufgabe, sie geduldig im Glauben zu unterrichten, sie zu taufen und sie mutig gegen alle Mißbräuche zu verteidigen. Er bekehrte Tausende und Abertausende, widmete sieben Stunden am Tag dem Bußsakrament, gab geistliche Orientierungen und half ihnen, die in der Katechese gelernten Wahrheiten geistig zu verarbeiten und zu vertiefen. Für alle hatte er ein liebes und vertrauenschenkendes Wort. Für diese Arbeit fand er Kraft in einem tiefen Gebetsleben, dem er fast fünf Stunden am Tage widmete. Wahrhaftig, wenn ein Apostel den Herrn liebt, dann findet er auch Zeit für das, was er liebt, d. h. zum Gebet und zu apostolischen Taten der Liebe. Die Kirche, in der sein Körper ruht, und sein Ordenskonvent sind heute Wallfahrtsorte für all jene, die sein Werk bewundern und die wünschen, daß in der derzeitigen Gesellschaft die Zivilisation der Liebe fortgesetzt werden möge, damit „in Demut einer den anderen höher einschätze als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das des anderen“ (Phil 2,3 f.) und alle untereinander so gesinnt seien, wie Jesus (vgl. Phil 2,5). Die Geschichte und das Leben der Völker in Lateinamerika waren mit dem Leben der Kirche eng verknüpft. Die Botschaft des Evangeliums hat das persönliche Antlitz dieser geliebten Gemeinschaften verändert, war Antriebskraft und Garantie für ihren Fortschritt. Seid stolz auf eure Geschichte, auf das, was ihr seid und setzt eure Kräfte noch mehr bei der Aufgabe eurer Evangelisierung ein. 629 REISEN 7. Fünfhundert Jahre Evangelisierung: Das bedeutet, daß dieser Kontinent viele göttliche Gnadengaben empfangen hat. Gnadengaben, die die Kirche in Lateinamerika erwidern muß, indem sie mutig ihrer Verpflichtung, die Kulturen zu evangelisieren, entspricht. Mit der von Gott geschenkten Kraft des Evangeliums ist die Verantwortung für eine Evangelisierung, die keine Grenzen kennt, verbunden. Das dritte Jahrtausend der Geschichte der Kirche erwartet viel von Lateinamerika. Es könnte sein, daß die göttliche Vorsehung in ihren verborgenen Ratschlüssen Lateinamerika berufen hat, eine wichtige Rolle in der Welt und in dem ganzen Werk der Evangelisierung ad gentes zu spielen. Deshalb rufe ich in dieser bedeutenden Stunde die Hirten und Gläubigen zu einem gemeinsamen Engagement auf. Dieser missionarische Einsatz hat für euch das ganz besondere Charakteristikum: das Evangelium in die Kulturen und die menschliche Umwelt zu bringen. Der hl. Paulus erinnert uns in dem biblischen Text, mit dem wir unsere Begegnung begonnen haben, daß man mit dem Herzen glaubt und diesen Glauben mit den Lippen und mit dem Leben bekennt. „Wer mit dem Herzen glaubt und mit dem Mund bekennt, wird Gerechtigkeit und Heil erlangen.“ {Rom 10,10). Die Lippen, das Wort, sind gleichsam der Ausdruck einer ganzen Kultur, das Instrument der Verkündigung des Christengeheimnisses. Der wahre Prozeß der Inkulturation besteht darin, daß das Kulturwort eines jeden Volkes verwendbar wird, in alle Himmelsrichtungen hinaus zu verkünden, daß Christus, der Sohn Gottes, der Erlöser, der von den Toten auf erstand, die Mitte der Schöpfung und der menschlichen Geschichte ist. So wird der Glaube, den jeder einzelne Mensch und jedes Volk im Herzen empfangen hat, ständig in der eigenen Kultur ausgedrückt und gelebt, wenn diese vom Geist des Evangeliums, d. h. vom Geiste der Seligpreisungen und des Liebesgebotes durchdrungen ist. 8. Die Kultur hat eine Beziehung zur Religiosität und auch zu sozio-ökonomischen und politischen Situationen. Die in Puebla versammelten lateinamerikanischen Bischöfe folgten den Weisungen und der Praxis der Evangelisierung des hl. Paulus. Sie betrachteten die Durchdringung der Kultur durch das Evangelium aus der ursprünglichen theologischen Sicht von der universalen Herrschaft des auferstandenen Christus (vgl. Puebla, Nr. 407). Die Rede des hl. Paulus auf dem Areopag von Athen ist das Musterbeispiel jeder „Inkulturation“ (vgl. Apg 17,22—31). Die Kirche hat einerseits die unumgängliche Aufgabe, die falschen Idole, Ideologien und Praktiken, die es in gewissen kulturellen Ausdrucksfor- 630 REISEN men aller Zeiten und aller geographischen Breiten gibt, anzuklagen (vgl. Puebla, Nr. 405), muß sich aber vor allem mühen, das Prinzip der Inkarnation zu verwirklichen. In der Tat, Christus erlöste uns, indem er unser Fleisch annahm und dem Menschen gleich wurde. Wenn also „die Kirche das Evangelium verkündet und die Völker den Glauben annehmen, nimmt sie in ihnen Gestalt an und nimmt ihre Kulturen auf“ {Puebla, Nr. 400; AG 10). Die Mission, die nichts anderes ist als die Dynamik des in der Kirche gegenwärtigen Christus, schließt die Forderung nach Einwurzelung in jedem Volke, nach Antwort auf dessen legitime Erwartungen im Lichte des Erlösungsgeheimnisses, sowie der Suche nach konkreten Mitteln zur Evangelisierung jeder kulturellen Situation ein. 9. Im derzeitigen Panorama der Kirche in Kolumbien fehlt es nicht an klaren Beweggründen und Zeichen der göttlichen Vorsehung, die im Hinblick auf die Verbesserung des Prozesses der Evangelisierung auf eine erneuerte pastorale Aktion drängen. Rufen wir uns nur einige dieser Zeichen der Gnade, die zugleich Forderungen nach Erneuerung sind, ins Gedächtnis. Das wachsende Verlangen nach dem Worte Gottes, das in euren Gemeinden zu spüren ist, und das sich oft im Gebet und im karitativen Engagement ausdrückt, verlangt von selbst, daß ihr euch vorrangig der Verkündigung der Frohen Botschaft widmet, besonders einer Katechese auf allen Ebenen, in erster Linie der Familien- und Jugendkatechese. Die kateche-tische Bildungsarbeit wird spontan zu einer bewußteren und aktiveren Teilnahme an der liturgischen Feier und zur Erfahrung eines neuen Lebens im Hl. Geiste, sowohl auf der persönlichen, wie auf der sozialen Ebene führen. Auf diese Weise wird das einfache Volk, das von Natur aus religiös ist, in den liturgischen Feiern und in den Praktiken der Volksfrömmigkeit ausreichende Motive finden zur Begründung seines Glaubens, und die entchristlichten Bereiche können durch die Kultur zu einer Wiederbegegnung mit dem Herrn geführt werden. 10. Die Hirten mögen keine Anstrengungen scheuen, in den Christen eine große Übereinstimmung zwischen Glauben und Leben zu fördern. Angesichts der kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umwandlungen, die die gegenwärtige Gesellschaft erfährt, stehen wir vielleicht vor einer der größten Herausforderungen der Geschichte, die eine neue, kreative Synthese von Evangelium und Leben verlangt. Die Kirche in Lateinamerika, und konkret die in Kolumbien, ist aufgerufen, 631 REISEN dieser Situation kühner und sehr rascher Veränderungen eine christliche Seele zu geben. Jeder Christ ist aufgerufen zu einer aktiven und intensiven Mitbeteiligung in allen Bereichen der gegenwärtigen Gesellschaft. Jene Kräfte, die in der Taufe empfangen wurden, müssen wiederentdeckt und mit größerer Glaubwürdigkeit gelebt werden. In der Taufe empfängt der Christ die Tugend der Liebe, die ihn befähigt, Gott und die Brüder zu lieben. Wenn er diese Tugend ausübt, stellt er Gott in den Mittelpunkt seines Lebens, als obersten Wert in der Skala der Werte. Die Werke der Nächstenliebe werden sich spontan daraus ergeben und die Gesellschaft und die Kultur derart verwandeln, daß sie auf die Fülle des Evangeliums zuwandern. Das ist die christliche Originalität, Herausforderung an die Gläubigen Lateinamerikas, wenn sie wahrhaft mit Werken und nicht nur mit Worten zu einer neuen Zivilisation beitragen wollen. Warum gibt es auf eurem Kontinent, der doch zum größten Teil katholisch ist, so große Ungerechtigkeiten? Die evangelische Anklage der Ungerechtigkeiten ist integraler Bestandteil des prophetischen Dienstes der Kirche, die es nicht unterlassen darf, ihr Wort zu erheben; aber wir wissen, daß das nicht ausreicht. Jeder Katholik muß, in Gemeinschaft mit seinen Hirten, Zeuge und Mitarbeiter der Gerechtigkeit sein, bei der Verchristlichung des Zeitlichen und aller Bereiche der menschlichen Gesellschaft. Das ist eine Forderung des Evangeliums, die Personen verlangt, die sich demütig dem Worte Gottes öffnen, voll Vertrauen in das erneuernde Wirken des Hl. Geistes, bereit, ihre Zeit und ihre Güter zu teilen, um eine Gemeinschaft aufzubauen, die das Liebesgebet zum Fundament hat; einer menschlichen Gesellschaft, die die fundamentalen Werte des Evangeliums in sich aufgenommen hat, zugunsten der Würde jeder menschlichen Person, jeder Familie und jeden Volkes. 11. Es ist wunderbar festzustellen, daß eine Familie, die wächst und sich vermehrt, ihre Einheit nicht verliert. Die lateinamerikanische Kirche ist diese große Familie, die nach fünfhundert Jahren ihres Bestehens ihre Präsenz immer mehr ausdehnt auf alle Bereiche und menschlichen Gegebenheiten, sogar über diesen Kontinent hinaus. Aber sie muß auch eifrig darum bemüht sein, angesichts von Ideologien, die ihrem eigenen Wesen fremd sind, die Einheit zu bewahren, auch im Hinblick auf proselytische und sektiererische Aktivitäten, die versuchen, die Herde Christi zu zerstreuen. Die christlichen Gemeinden werden die Einheit und die kirchliche Gemeinschaft bewahren können, wenn sie das eucharistische und maria- 632 REISEN nische Leben vertiefen mit einem echten Gespür und Liebe zur Kirche. Der kolumbianische Episkopat, dem es immer vergönnt war, die Einheit der Kriterien zu wahren und der in erbaulicher Weise in den fünfundsiebzig Jahren der Existenz der Bischofskonferenz die kirchliche Gemeinschaft erlebt hat, weiß, daß der innere Zusammenhalt von Hirten und Gläubigen der Präsenz der Kirche in der Welt Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit verleiht. Diese Einheit „ist schon ein Tatbestand der Evangelisierung“ (Puebla, Nr. 663). Vergeßt nicht, je stärker eine Teilkirche mit der Universalkirche verbunden ist, „in Liebe und Loyalität, offen für das Lehramt des Petrus in der Einheit im Gesetz des Betens, das zugleich das Gesetz des Glaubens ist, desto mehr wird diese Kirche fähig sein, den Schatz des Glaubens in die berechtigte Verschiedenheit von Ausdruck und Form des Glaubensbekenntnisses zu übertragen“ (EN 64). Nur, wenn man von einer solchen Einheit ausgeht, kann man an die Evangelisierung der kulturellen Vielfalt denken. Zu dieser Einheit möge uns das Gebet Jesu, das er während des Letzten Abendmahles an den Vater gerichtet hat, ermutigen: „Alle sollen eins sein: Wie du Vater in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie eins sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast.“ (Joh 17,21). Die neue Evangelisierung Lateinamerikas muß von einer betenden Kirche ausgehen unter der Führung des Hl. Geistes. „Unsere schwierige Epoche bedarf in besonderer Weise des Gebetes“, daran habe ich in meiner neuen Enzyklika Dominum et Vivificantem erinnert. Maria, der Mutter der Einheit, dem Stern der Evangelisation empfehle ich diese Intentionen und erteile euch in Liebe meinen Apostolischen Segen. Kämpfen gegen die neue Sklaverei Begegnung mit Priestern, Ordensleuten und Laien beim Heiligtum des hl. Petrus Claver in Cartagena am 7. Juli Liebe Brüder und Schwestern! Zu Ende meines Pastoralbesuches in Kolumbien danke ich Gott, der diese Begegnung des Gebetes vor dem Grab des hl. Petrus Claver mit euch, liebe Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und Laien möglich gemacht hat. 633 REISEN Diese Kirche, in der wir heute abend versammelt sind, und die seinen Namen trägt, versetzt uns im Geiste in jene Zeit zurück, in der der Heilige lebte und läßt uns mit Bewegtheit an die wahre christliche Freiheit denken. In der Tat „zur Freiheit hat uns Christus befreit“. (Gal 5,1). Diese Stadt Cartagena, die berühmt ist und so viele Titel besitzt, trägt einen, der sie in besonderer Weise adelt: sie hat 40 Jahre lang Petrus Claver beherbergt, den Apostel, der sein ganzes Leben einsetzte, um die Opfer jener unglückseligen Ausbeutung, die der Handel mit den Sklaven darstellte, zu verteidigen. Zu den unverletzlichen Rechten der menschlichen Person gehört das Recht auf ein würdiges Dasein, das in Einklang steht mit der Tatsache, daß es sich um ein mit Verstand und freiem Willen begabtes Wesen handelt. Im Lichte der göttlichen Offenbarung bekommt dieses Recht eine unerwartete Dimension, da uns Christus durch seinen Tod und seine Auferstehung von der radikalen Knechtschaft der Sünde befreite, um uns zur Fülle der Freiheit zu führen, zur Freiheit der Kinder Gottes. Die Mauern eurer Stadt waren stumme Zeugen des apostolischen Wirkens des Petrus Claver und seiner Mitarbeiter, die versuchten, die Situation der Farbigen zu erleichtern und ihnen die innere Sicherheit zu geben, daß Gott sie trotz ihres traurigen Sklavendaseins liebte wie ein Vater, und daß er, Petrus Claver, ihr Bruder, „ihr Sklave bis zum Tode“ sei. Als eure Bischöfe bei der III. Vollversammlung des lateinamerikanischen Episkopats darauf hinwiesen, daß die Evangelisierung und der Dienst an den Armen vorrangige Aufgabe der Kirche ist, wollten sie sich in den Kreis jener unzähligen Männer und Frauen aller Zeiten einreihen, die, angespornt vom Heiligen. Geist, ihr Leben weihten, um Schmerz zu lindern, Hunger zu stillen, dem größten Elend ihrer Brüder abzuhelfen. Durch ihren Dienst wollten sie auf die Liebe und Vorsehung des Vaters hinweisen, sowie auf die Identität ihrer Person mit der Christi, der in den Hungernden, Nackten und Verlassenen erkannt werden wollte (vgl. Mt 25.36-39). Diese Linie setzt sich ununterbrochen fort, angefangen von der ersten christlichen Gemeinschaft bis zur Kirche unserer Tage. Immer größer wird die Zahl der Priester, Ordensmänner und -frauen und Laien, die ihr Leben Christus weihen im Dienst an den Kranken, den Unheilbaren, den verlassenen alten Menschen, den ausgesetzten Kindern, den Elenden, die von der Gesellschaft ausgestoßen sind, sowie an allen neuen Armen und an den Rand Gedrängten. Petrus Claver strahlt mit besonderer Klarheit am Firmament der christlichen Liebe aller Zeiten. Die Sklaverei, die Anlaß zur heroischen Aus- 634 REISEN Übung seiner Tugenden war, wurde überall auf der Welt abgeschafft. Aber gleichzeitig entstehen neue und subtilere Formen der Sklaverei, denn das „Geheimnis des Bösen“ läßt nicht nach, im Menschen und in der Welt zu wirken. Heute, wie im 17. Jahrhundert, in dem der hl. Petrus Claver lebte, beherrscht das Verlangen nach Reichtum (Geld) das Herz vieler Menschen und verwandelt sich durch den Drogenhandel in Händler der Freiheit ihrer Brüder, die sie einer Sklaverei unterwerfen, die noch mehr zu fürchten ist als die der Negersklaven. Die Sklavenhändler verhinderten die Ausübung der Freiheit ihrer Opfer. Die Drogenhändler aber führen in ihren Opfern die Zerstörung der Persönlichkeit herbei. Als freie Menschen, die Christus zur Freiheit berufen hat, müssen wir entschieden gegen diese Form der Sklaverei kämpfen, die so viele und an so vielen Orten der Welt unterjocht. Besonders die Jugend muß mit dem Einsatz aller Kräfte davor bewahrt werden, und den Opfern der Drogen muß geholfen werden, sich zu befreien. Das Zeugnis der grenzenlosen Liebe, das uns Petrus Claver gibt, sei für die heutigen Christen in Kolumbien und in Lateinamerika Beispiel und Ansporn, um allen Egoismus und alle unsolidarischen Haltungen zu überwinden und sich entschieden für den Aufbau einer für alle gerechten, brüderlichen und ansprechenden Gesellschaft einzusetzen. Zum Schluß dieser Begegnung möchte ich meinen Dank allen jenen Personen ausdrücken, die mit Begeisterung und großem Einsatz bei der Vorbereitung dieses Pastoralbesuches in Cartagena mitgearbeitet haben. Euch, ihr Priester, Ordensmänner und -frauen, sowie Laienmitarbeiter ermutige ich in euren Aufgaben des Apostolates und ermahne ich zu einer Erneuerung der Treue zu eurer Berufung, die ihren Ausdruck finden möge in einer totalen Hingabe an Christus, die einzige Quelle des Glücks, in dem alle unsere Erwartungen ihre Erfüllung finden. Allen, die hier anwesend sind, allen die mich hören, besonders den Kranken und allen, die Leid tragen, erteile ich meinen Apostolischen Segen. 635 REISEN „Seid versöhnte und Versöhnung gewährende Männer und Frauen“ Predigt beim Wortgottesdienst auf dem Friedensplatz von Barranquilla am 7. Juli Geliebte Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter dieser Region der kolumbianischen Atlantikküste! 1. Die Worte des Propheten Jesaja, die Jesus in der Synagoge von Nazaret verkündete, erklingen heute unter euch mit der Kraft des Evangeliums und der Aktualität jenes „Heute“ Christi, mit dem wir versichern können, daß sich auch heute und hier unter euch dieses Schriftwort erfüllt (vgl. Lk 4,21). In dieser letzten Etappe meiner Pilgerreise auf den Straßen Kolumbiens als Bote des Friedens Christi habe ich die Freude, mich auf diesem Platz des Friedens - Plaza de la Paz - aufzuhalten, dessen Name heute mehr denn je die Sehnsüchte aller Kolumbianer vereinigt. Ich wollte an allen Orten Verkünder des Friedens Christi, Bote dieses Christus, der „unser Friede“ ist (Eph 2,14), sein. Er allein ist imstande, die Mauern des Hasses niederzureißen und aus uns neue, durch das Kreuz mit dem Vater versöhnte Menschen zu machen. Er ist gekommen, um uns den Frieden zu verkünden: „Friede euch, den Fernen, und uns, den Nahen. Denn durch ihn haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater“ (Eph 2,17 f.). Mit der Umarmung brüderlicher Liebe begrüße ich den Erzbischof von Barranquilla, den Weihbischof, die Bischöfe von Santa Marta, Valledupar und die anderen Brüder im Bischofsamt, zusammen mit ihren Priestern, Ordensmännern, Ordensfrauen und Gläubigen dieser Atlantikregion. Bevor ich dieses geliebte Land Kolumbien verlasse, will ich mit lauter Stimme verkünden, daß dieser von allen so geliebte und ersehnte Friede die Versöhnung erfordert: „eine erneuerte Einheit zwischen Gott und dem Menschen, zwischen dem Menschen und seinem Bruder, zwischen dem Menschen und der gesamten Schöpfung“ (Reconciliatio et paeniten-tia, 4). Und um sie zu erlangen, muß man sich an Christus wenden, durch dessen Vermittlung der Vater die Versöhnung bewirken wollte, ja, „Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat“ (2 Kor 5,19). <67> <67> Der Abschnitt aus dem Evangelium, der verlesen wurde, enthält zusammenfassend diese Botschaft von der messianischen Befreiung, die 636 REISEN vor allem das Geheimnis von der Versöhnung mit sich bringt, deren höchste Verwirklichung über das Kreuz und die Auferstehung führt, wenn der Vater durch seinen geliebten Sohn „alles versöhnt. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut“ (Kol 1,20). Deshalb erklärt Jesus, daß der Heilige Geist „auf ihm ruht“, und ruft „ein Gnadenjahr“ aus, eine neue Ordnung nach dem Willen des Vaters, das sich auf Gottes Verzeihung gegenüber der Menschheit, auf die Gabe des Geistes des Neuen Bundes gründet, der die Freiheit und die Befreiung, die Christus selbst den Gefangenen und Unterdrückten ankündigt, zu verwirklichen imstande sein wird. „Der Geist des Herrn ruht auf mir“ (Lk 4,18). Bei seiner Taufe hatte Jesus den Geist empfangen, und mit der Kraft des Beistandes offenbart er sich als der verheißene Messias. „Er ist der Gesalbte im Sinne des vollen Besitzes des Gottesgeistes“, derjenige, „der die Fülle dieses Geistes in sich selbst und zugleich für die anderen besitzt, für Israel, für alle Völker, für die ganze Menschheit“ (Dominum et vivificantem, Nr. 16). Es ist nicht zu verwundern, daß angesichts dieser Worte die Augen aller Anwesenden in der Synagoge von Nazaret „auf ihn gerichtet waren“ {Lk 4,20). Bei dieser feierlichen messianischen Erklärung gab er ihnen sein ganzes Programm kund. Es ist die Ankündigung und Erfüllung der Gnadenzeit des Herrn, des Heiles. Jesus ist gekommen, „ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen“. In der Tat führt Christus mit seinem Kommen, mit seinen Worten und seinen Taten das „Heute“ der Gnade in die Zeit der Menschen ein; aber erst am Kreuz und in der Auferstehung werden die Worte und Verheißungen, die er in der Synagoge von Nazaret macht, zur vollen Verwirklichung gelangen. <68> <68> Die Botschaft von der Befreiung und Versöhnung in Christus fällt auf das Heute unseres Daseins wie ein Licht, das uns eine tiefgehende Analyse der Wirklichkeit unserer Welt erlaubt, in der die Sünde und ihre Folgen der Unterdrückung und Ungerechtigkeit präsent sind. Es ist eine Botschaft übernatürlicher Kraft, die die Wege zur Befreiung eröffnet, die von den Menschen, besonders den Armen, den Gefangenen, den Unterdrückten, ersehnt wird und die in ihren Anfängen in Christus bereits verwirklicht ist. Nur die Wahrheit macht frei. Nur die Liebe versöhnt. Nur in Christus verwirklicht sich der echte und dauerhafte Friede. Doch wenn wir an die Wurzel der vielen Übel gelangen wollen, die in Strukturen der Ungerechtigkeit und Sünde Gestalt angenommen haben, 637 REISEN müssen wir in das Herz des Menschen blicken: „Innerlich zerrissen, erzeugt der Mensch fast unvermeidlich einen Riß auch im Geflecht seiner Beziehungen mit den anderen Menschen und mit der geschaffenen Welt“ (Reconciliatio et paenitentia, 15). Die Sünde, die ein Bruch der Gemeinschaft ist, entfesselt die Dynamik des Egoismus, die Spaltungen, die Konflikte. Mag man es Stolz oder Ungerechtigkeit, Vorherrschaft oder Ausbeutung der anderen, Begierde oder zügellose Hab- oder Vergnügungssucht, Haß, Rachsucht, Rache oder Gewalt nennen - die Wurzel ist immer dieselbe: das Geheimnis der Bosheit, das den Menschen von Gott trennt, ihn von seinem Willen entfernt und ständig Trennwände aufrichtet. 4. Die Feststellung der Realität der Sünde als vorrangige Quelle der Trennung einerseits und der Wunsch nach Einheit, der in allen Herzen guten Willens aufbricht, andererseits sind ein klarer Beweis dafür, daß wir mit neuer Energie den Weg der Versöhnung sowohl auf der Ebene des einzelnen wie auf der der Gemeinschaft einschlagen müssen. „Der Mensch erfährt sich, wenn er in sein Herz schaut, zum Bösen geneigt“ (GS 13) und entdeckt die Wurzel seiner inneren Spaltung. Doch in seinem Inneren, unter dem Blick Gottes, „der auf Herz und Nieren prüft“ (Ps 7,10), erklingt auch die Stimme, die zur Einheit mit Gott und mit dem Bruder ruft. Die Einheit, die Versöhnung, die notwendigerweise über die Vergebung und die Gerechtigkeit gehen, sind gleichsam Gegenstand der Sehnsucht des Menschenherzens in allen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens. Inmitten ihrer Spannungen verspüren die Familien die Sehnsucht nach einer verlorenen Gemeinschaft und das Verlangen nach gegenseitiger Versöhnung, die Quelle des Friedens und der Freude für alle ist, die die „Hauskirche“ jeder Familie bilden. Es besteht auch eine dringende Notwendigkeit, im Rahmen der Gesetzgebung die Gegensätze zu überwinden, die im gegenwärtigen Zeitalter der industriellen Entwicklung zwischen der Welt des Kapitals und der Welt der Arbeit entstanden sind. Besagte Konflikte verlangen nach Lösungen, denen es gelingt, die Bande der Zusammenarbeit und gegenseitigen Durchdringung zu stärken, wie ich in meiner Enzyklika Laborem exercens (Nr. 11; 13) ausführlich dargelegt habe. Ohne einen aufrichtigen Geist der Versöhnung zwischen den implizierten Parteien wird man einen gerechten Arbeitsfrieden, der für die Entwicklung des Landes und die Anerkennung der legitimen Rechte der weniger begünstigten Klassen notwendig ist, nicht garantieren können. 638 REISEN 5. Das Wort Versöhnung hat heute in Kolumbien freilich einen erschütternden Klang, weil es erfüllt ist von Sehnsucht und Tränen, von Angst und Ungewißheit für so viele Söhne dieses edlen Vaterlandes. Wie sehr wünscht ihr, geliebte Kolumbianer, daß die Waffen schweigen mögen, daß man sich brüderlich die Hände reicht, die zuvor die Waffen ergriffen hatten, daß für alle der erwünschte und herbeigeflehte, unter vielen Mühen gesuchte, eifrig erhoffte Friede kommen möge - nach so vielen Jahren der Gewalt, die nichts hinterlassen haben als Trauer und schmerzende, nur schwer vernarbende Wunden! Wie weise und prophetisch waren die Worte meines verehrten Vorgängers Papst Paul VI. bei seinem Besuch in Kolumbien: „Die Gewalt ist weder christlich noch evangelisch; die Gewalt zeugt neue Gewalt“! (Ansprache bei der Messe zum Tag der Entwicklung, 23. August 1968). Wie kann auf dem Land und in den Städten der Friede unverzüglich erreicht werden? Der Friede, der es dem Bauern erlaubt, ohne Furcht zu arbeiten; dem Städter, ohne Schrecken bei Tag und Nacht durch die Straßen seiner Stadt zu gehen; der Friede, der alle sich eines ruhigen und frohen Lebens erfreuen läßt? Nur durch eine aufrichtige, tiefgreifende Versöhnung jedes einzelnen mit Gott und aller untereinander; durch Bitte um Vergebung und Gewährung der Vergebung, durch Erneuerung einer Verpflichtung zu solidarischer und gerechter Liebe zwischen allen Kolumbianern. 6. Allzu häufig entdecken wir in den Personen und in der Gesellschaft Brüche, die wiedergutgemacht, Spaltungen, die überwunden werden müssen. In ihnen kommen die Kräfte des Bösen zutage, das „Geheimnis der Bosheit“; aber seine Macht wird übertroffen und besiegt vom „Geheimnis des Erbarmens“, das Christus selbst ist, „der offene Weg von der göttlichen Barmherzigkeit zum versöhnten Leben“ (Reconciliato etpaenitentia, 22). Wo immer die Menschen Mauern des Hasses, der Unterdrückung, der Gewalt oder der Ungerechtigkeit errichten, dort wird Christus mit seiner Gnade sein, um diese Mauern niederzureißen, den Haß und die Gewalt zu besiegen, die Gemeinschaft und den Frieden mit einer Liebe wiederherzustellen, die stärker ist als die Sünde, weil er das Böse durch die Kraft des Geistes zu überwinden vermag. In eurer Kathedrale in Barranquilla erhebt sich die majestätische Skulptur des auferstandenen Christus, die wie ein Gesang auf die Versöhnung der Erde mit dem Himmel und der Menschen untereinander ist. Die indianische, die weiße und die schwarze Rasse zu Füßen der Statue des Auferstandenen sind der plastische Ausdruck der Versöhnung unter den Men- 639 REISEN sehen, weil es in Christus weder Spaltungen noch Trennungen gibt: wir sind alle Kinder Gottes, wir sind alle „einer“ in Christus Jesus (vgl. Gal 3,26-28). Christus ist in der Tat das lebendige Bild unserer Versöhnung. Am Morgen seiner Auferstehung geht er, seinen Jüngern den Frieden zu verkünden und sammelt sie, um ihnen seinen Geist mitzuteilen, die Gabe der Versöhnung mit dem Vater, die Kraft der Versöhnung unter den Menschen. In dieser Statue in eurer Kathedrale offenbart sich das grenzenlose Erbarmen Gottes mit uns in seinem gekreuzigten und auferstandenen Sohn, der Quelle des Geistes der Liebe. Dieser Geist dringt vor bis zu den verborgensten Wurzeln des Bösen und löst in den Herzen eine Bewegung der Umkehr aus, die zur Versöhnung mit dem Vater und mit den Brüdern im Schoße der Kirche durch das Sakrament der Buße führt. 7. „Der Geist des Herrn ruht auf mir“ (Lk 4,18). Die Fülle der Gaben, die Frucht des Opfers Jesu, hat sich in die Herzen der Gläubigen ergossen, damit denen, die ihre Sünden bekennen, Vergebung und Gnade gewährt werde. Aus dem Herzen Christi geht die ewige Versöhnung hervor, die die Kirche in der Ausgießung des Heiligen Geistes anbietet. Der Geist Jesu öffnet die verhärteten Herzen für den Dialog der Liebe, bewirkt, daß die Feinde sich die Hand reichen, läßt jene, die Gegner waren, nach dem Weg der Eintracht suchen. Diejenigen, die fühlen, daß ihnen vergeben wurde, empfinden den Wunsch, ihrerseits zu vergeben, und jene, die in den Genuß des Friedens Gottes gekommen sind, werden zu Bauleuten des Friedens. Die Botschaft Jesu, sein Erlösungswerk, das Geschenk seines Geistes sind in der Kirche gegenwärtig, um die universale Versöhnung zu verwirklichen, die Sünde und ihre Folgen zu besiegen, eine neue Ordnung in Gerechtigkeit und Liebe aufzubauen. Die Christen aller Zeiten, ihr, liebe Söhne und Töchter Kolumbiens, seid aufgerufen, nach diesen evangelischen Forderungen zu leben, die allein die ungerechten Strukturen, die Frucht der Sünde sind, durch die Kraft der Auferstehung Christi zu verändern vermögen. 8. Die erste Forderung der Versöhnung in Christus, die ein Geschenk der Barmherzigkeit des Vaters ist, ist die persönliche Umkehr als vorausgehende Haltung für die Eintracht unter den Menschen. Die Überwindung des radikalen Bruches der Sünde, um sich mit Gott, mit sich selbst und mit 640 REISEN den anderen zu versöhnen, setzt eine innere Wandlung voraus, die - nach dem Geist der Seligpreisungen - Kraft und Opfer, Verzicht und Kreuz verlangt. Zu dieser radikalen Umkehr, zu diesem Wandel des Geistes und des Herzens, der im Sakrament der Versöhnung den Höhepunkt erreicht, fordere ich euch alle auf, damit ihr Boten des Friedens seid, damit ihr Versöhnte und Versöhnung gewährende Männer und Frauen seid. Es gibt keine wahre Versöhnung, wo es keine Vergebung gibt, denn die Vergebung ist der tiefste Akt der Liebe Gottes zu uns; und sie ist zugleich der vornehmste Akt, den der Christ vollbringen kann, eine Handlung, mit der er den Vater im Himmel nachahmt (vgl. Lk 6,36). Die Vergebung ist, wie ich in meiner Enzyklika Dives in misericordia ausgeführt habe, der ursprüngliche Augenblick der christlichen Liebe, der Ausdruck des Erbarmens, ohne das auch die nachdrücklichsten Forderungen der menschlichen Gerechtigkeit Gefahr laufen, ungerecht und unmenschlich zu sein, wie uns die Geschichte, auch die jüngste Geschichte, häufig feststellen ließ (vgl. Nr. 7). Da ich weiß, daß ich mich an gläubige Männer und Frauen der Kirche wende, ermutige ich euch, Gemeinden, Familien, Pfarreien aufzubauen, die Zeichen des Friedens und der Einheit in der Liebe sind. Und mit dem hl. Apostel Paulus wiederhole ich euch: „Bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! ... In eurem Herzen herrsche der Friede Christi“ (Kol 3,12—15). Euch zu diesem Frieden zu ermahnen, bin ich gekommen; auf daß unter euch die Solidarität wachse und sich festige in dem Bemühen, ein gerechteres und brüderliches Vaterland, eine große Familie aufzubauen, in der alle Kolumbianer in Harmonie leben können. 9. Geliebte Söhne und Töchter dieser katholischen Nation! Während der Abschluß meines Pastoralbesuches in Kolumbien unmittelbar bevorsteht, richte ich meinen dankbaren Blick auf die aufrichtige Liebe, mit der ihr mich empfangen habt, auf die Begeisterung, mit der ihr euch beteiligt habt, auf den tiefen Glauben und die Frömmigkeit, die ich bei jeder unserer gemeinsamen Feiern feststellen konnte. In eurem Land wie in anderen Nationen Lateinamerikas sind inmitten des großen Reichtums an Humanität und christlichem Glauben noch viele und große Probleme zu lösen. Die ungerechte Verteilung des Reichtums, der ungenügende Schutz der Rechte der Schwächsten, die Ungleichheit der Chancen, die Arbeitslosigkeit und andere ernste Fragen verlangen eine 641 REISEN außerordentliche solidarische Anstrengung aller zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit. Neben diesen Problemen bestehen auch die sozialen Übel, die eure Bischöfe kürzlich angeprangert haben: die Gewalt des Terrorismus und des Guerillakampfes, die Folter und die Entführungen, der Machtmißbrauch und die Straflosigkeit von Verbrechen; der Drogenmißbrauch und das abscheuliche Verbrechen des Rauschgifthandels. Das alles verlangt von diesem Volk, daß es seine besten Reserven an Glaube und Menschlichkeit mobilisiert, um diesen sozialen Mängeln abzuhelfen, die euren echten und glaubwürdigen menschlichen und christlichen Empfindungen nicht entsprechen. Ich habe, geliebte Söhne und Töchter Kolumbiens, euer tiefes Verlangen und eure brennende Friedenssehnsucht empfunden. Wie ein ununterbrochener Ruf kam sie aus allen Kehlen, aus allen Herzen. Bevor ich diese geliebte Erde Kolumbiens verlasse, möchte ich einmal mehr diesen euren Ruf aufnehmen. Ich richte einen Aufruf an alle Kolumbianer, insbesondere an jene, die der Guerilla angehören, daß sie ihr Verhalten in Übereinstimmung bringen mit diesem Ruf des ganzen Volkes nach Frieden. Daß alle, besonders jene, die zu den Waffen gegriffen haben, aufrichtig teilnehmen an der Suche nach dem Frieden und aufgeschlossen reagieren auf die Initiativen, die bereits unternommen wurden und die man in der Zukunft für eine nationale Wiederversöhnung unternehmen wird, in vollem Respekt vor dem menschlichen Leben und in Übereinstimmung mit den Forderungen der Gerechtigkeit. Mit dem Wort der Hoffnung und mit dem Engagement des Glaubens ermutige ich euch, euren Blick auf Christus, den Erlöser des Menschen, den Retter der Welt, zu richten. Er ist unsere Versöhnung und unser Friede. In seiner Nähe, in einer Nation, die dem Heiligsten Herzen Jesu geweiht ist, werden sich alle Kolumbianer als Brüder fühlen können, vereint in der gegenseitigen Vergebung, in der solidarischen Gemeinschaft der materiellen Güter, in dem Bemühen aller, die Wege der Versöhnung und des Friedens zu finden, die auch die Wege des materiellen und geistigen, persönlichen und sozialen Fortschritts sein werden. In dieser Stunde eurer Geschichte ermahne ich euch, eurem Glauben treu zu bleiben und ihn durch eure Arbeiten zu bekunden. Dem Gott des unermeßlichen Erbarmens vertraue ich diesen meinen Appell als Vater und Hirte an, damit der Same aufgehe, den ich kreuz und 642 REISEN quer in eurem Lande, in den fruchtbaren Boden so vieler vortrefflicher Herzen ausgestreut habe. Gleichzeitig lade ich euch ein, euch mit mir an die Jungfrau Maria, die Mutter Jesu und unsere Mutter, zu wenden, die ihr in eurer Kathedrale mit besonderer Liebe als Königin und Helferin verehrt. Unter ihrem mütterlichen Schutz arbeitet weiter, um aus Kolumbien ein großes Vaterland zu machen, ein Land, das alle seine Söhne und Töchter aufnimmt, eine katholische Nation, die in Solidarität, in Eintracht und in Frieden zu leben versteht. Herr, stehe Kolumbien mit deiner Gnade bei! Erhalte es immer vereint im Glauben und in der Liebe! Du, der du unser Friede bist, laß in den Herzen aller Kolumbianer deinen Frieden herrschen! Amen. „Es sind Tage der Gnade gewesen“ Ansprache vor dem Abflug von Kolumbien auf dem Flughafen von Barranquilla am 7. Juli Herr Staatspräsident! Liebe Brüder im Bischofsamt! Persönlichkeiten der Behörden! Alle geliebten Kolumbianer! 1. Es kommt der Augenblick, diesen Pastoralbesuch zu beenden, den ich im Namen des Herrn zu meiner Freude durchführen konnte, womit ich meinen innigen Wunsch erfüllte, als Hirte der Gesamtkirche mit den Söhnen und Töchtern des edlen Kolumbien zusammenzutreffen. Es waren sieben Tage intensiver Gemeinschaft im Glauben und in der Liebe, während derer ich Gelegenheit hatte, die Präsenz einer Kirche in einer lebendigen und von Enthusiasmus erfüllten Gesellschaft wahrzunehmen, die mit Gottvertrauen hoffnungsvoll in die Zukunft blickt. Bei unseren Gebetsbegegnungen und bei den Eucharistiefeiern wollte ich den von Jesus Christus empfangenen Auftrag erfüllen, nämlich, meine Brüder im Glauben zu stärken (vgl. Lk 22,32). Es sind Tage der Gnade gewesen, die uns alle bereichert haben. In der Erinnerung und im Gebet werden mich immer unvergeßliche Augenblicke, Orte und Personen begleiten, die mich die echtesten menschlichen 643 REISEN und christlichen Werte der edlen kolumbianischen Seele haben hochschätzen lassen. 2. Ich danke Gott dafür, daß ich hier eine Kirche voller Lebenskraft angetroffen habe, eine Kirche, die überströmt von Hochherzigkeit, die geeint ist in der Liebe, gut organisiert und vor allem in den Fundamenten, in der Lehre und in den Leitlinien, die ihr ihr göttlicher Gründer gegeben hat, gut verankert ist. Das ist die notwendige Grundlage und die sichere Gewähr, eine Neuevangelisierung in Gang zu setzen, die Kolumbien und ganz Lateinamerika, den Kontinent der Hoffnung, durch die 500-Jahr-Feier der Erstevangelisierung darauf vorbereitet, selbstbewußt und entschlossen, mit dem erhellenden und zündenden Licht des Glaubens in das dritte Jahrtausend des Christentums einzutreten. Ihr seid eine katholische Nation. Laßt euer berechtigtes Selbstbewußtsein durch nichts beeinträchtigen und die mit ihm verbundene Verantwortung durch nichts schmälern. Den unausweichlichen Problemen, die euch so große Sorgen bereiten, begegnet mit Scharfblick, im Geist der Brüderlichkeit, unter voller Zusammenarbeit aller und besonders mit dem Blick auf Gott, an dessen Hilfe es euch nicht fehlen soll. Voran! Der Papst geht zwar weg, doch er bleibt euch nahe. Der Papst tröstet euch, ermutigt euch, er will an eurer Seite bleiben, euch auf den schwierigen Wegen begleiten, die ihr werdet gehen müssen. Mut, kolumbianisches Volk! Ich will besonders euch, Jugendliche, ermuntern, die ihr die Zukunft eures Landes in Händen habt. Immer voran, „mit dem Frieden Christi“! Ich habe mich glücklich gefühlt unter euch. Ich habe eure sprichwörtliche Gastfreundschaft, eure herzliche Aufnahme, euren Enthusiasmus hochgeschätzt. Ihr habt mir vorbehaltlos die Türen eurer Häuser und eurer Herzen geöffnet. Nun, im Augenblick des Abschieds, wiederhole ich für euch die Aufforderung, die ich zu Beginn meines Pontifikats ausgesprochen habe: Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus! Nehmt seine Friedensbotschaft an! Laßt euch durch Gott versöhnen! <69> <69> Meine tiefste Dankbarkeit möchte ich dem Herrn Staatspräsidenten und allen Autoritäten der Nation zum Ausdruck bringen, deren ständige Beweise der Höflichkeit und Aufmerksamkeit ich an den Orten, die ich besuchte, erfahren habe. Der Herr unterstütze und belohne die Bemühungen, die Sie unternehmen, um Ihrem Vaterland eine Zukunft des Friedens, der Gerechtigkeit und des Wohlergehens sicherzustellen. 644 REISEN Dank sei den Bischöfen Kolumbiens. Wie glücklich war ich, diese Tage unter euch zu verbringen! Ich bitte den Hirten der Hirten, daß er euch in jeder eurer Ortskirchen immer so vereint, so hochherzig, euren Priestern, Ordensleuten, Seminaristen und Gläubigen so eng verbunden erhalten möge. Überbringt, wenn ihr in die Diözesen zurückkehrt, allen das Echo meines Abschiedsgrußes. Mein Dank gilt auch den zahlreichen Personen und Institutionen, die mit soviel Hingabe und Selbstlosigkeit wirksam an derVorbereitung und Abwicklung meines Pastoralbesuches mitgeholfen haben. Ebenso ein Wort des Dankes an die Vertreter der Medien für die anerkennungswerten Leistungen von Presse, Radio und Fernsehen bei der Berichterstattung über die verschiedenen Begegnungen während meines Aufenthaltes in Kolumbien! Mein letzter Blick von dieser äußersten Grenze des Landes richtet sich auf U. Lb. Frau von Chiquinquirä, in deren Heiligtum ich sie anrief mit den Worten der Elisabeth: „Selig bist Du, die Du geglaubt hast.“ Heute, von Barranquilla aus, nehme ich dieselben Worte auf, um sie auf Dich, Kolumbien, anzuwenden: „Selig bist Du, die Du geglaubt hast.“ Der christliche Glaube ist Teil Deiner nationalen Seele, ist ein Schatz Deiner Kultur, ist eine Kraft in Deinen jungen Menschen, ist eine Dynamik in Deinen Schwierigkeiten, ist Heiterkeit in Deinen Familien. Daß dieser christliche Glaube die Söhne und Töchter Kolumbiens erleuchte und kräftige im Frieden, in der Gerechtigkeit und in wechselseitiger Liebe! Auf Wiedersehen, Kolumbien! „Habt keine Angst vor der Liebe, die klare Forderungen stellt!“ Predigt bei der Messe in Saint Lucia am 7. Juli 1. Gesegnet sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns in Christus mit allen geistlichen Gaben gesegnet hat“ (Eph 1,3). An diesem besonderen Tag, an dem ich die große Freude habe, mit euch die heilige Eucharistie hier in Saint Lucia zu feiern, sollen unsere ersten Gedanken des Lobes und der Danksagung an den dreieinigen Gott sein: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. 645 REISEN Wie gut ist es, unsere Stimmen im Lobpreis von Gottes heiligem Namen zu vereinen, Gott zu lobpreisen für das Geschenk unseres Glaubens. Ich habe mich sehr auf diesen Moment gefreut, und ich danke Gott dafür, daß er es mir in seiner liebenden Vorsehung möglich gemacht hat, heute hier bei euch zu sein. Meine Gefühle lassen sich gut in den Worten des hl. Paulus ausdrücken, die wir gerade in der ersten Lesung gehört haben: „Darum höre ich nicht auf, für euch zu danken, wenn ich in meinen Gebeten an euch denke; denn ich habe von eurem Glauben an Jesus, den Herrn, und von eurer Liebe zu allen Heiligen gehört“ (Eph 1,15/16). 2. Im Evangelium von heute sagt unser Herr zum hl. Petrus: „Ich aber habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder“ (Lk 22,32). Diese Worte Christi haben eine besondere Bedeutung für mich als den Nachfolger des hl. Petrus. Sie zeigen nämlich die spezifische Mission an, die Petrus in der Kirche anvertraut worden ist und mit Petrus all jenen, die ihm in seinem Amt nachfolgen sollten. Sie bezeichnen meine eigene Sendung in der Kirche von heute: nämlich meine Brüder und Schwestern im Glauben zu stärken. Diese Sendung, die mir von Christus anvertraut worden ist, ist der Grund, warum ich mich gedrängt fühle, meine Pastoraireisen zu unternehmen und die Ortskirchen in der ganzen Welt zu besuchen. Deswegen bin ich heute hier mit euch zusammen: ich bin gekommen als der Nachfolger des hl. Petrus, um euch im Namen Jesu Mut zu machen und euch in eurem Glauben zu bestärken. <70> <70> Und was für ein wunderbarer Segen ist das Geschenk unseres Glaubens, das Geschenk, Gott zu erkennen und an ihn zu glauben, an den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Mit diesem kostbaren Geschenk hat der Herr uns alle gesegnet. Wir feiern es nun in dieser heiligen Eucharistie. Die Worte des hl. Paulus beschreiben unsere Situation. In Christus, sagt er, „habt auch ihr das Wort der Wahrheit gehört, das Evangelium von eurer Rettung; durch ihn habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen, als ihr den Glauben annahmt“ (Eph 1,13). Das Evangelium wurde erstmals vor 300 Jahren nach Saint Lucia gebracht, als französische Siedler, von einigen Priestern begleitet, hier angekommen sind. Von dieser Zeit an hat der Glaube an Christus eine Rolle bei der Entwicklung eures Landes gespielt. Aber andauernde Kämpfe zwischen verschiedenen Regierungen um die Kontrolle der Insel 646 REISEN haben in den ersten hundert Jahren die Evangelisierung erschwert. Trotzdem haben eine Anzahl von Gläubigen an ihrem Glauben an Christus festgehalten, und die Kirche hat immer tiefere Wurzeln in den Herzen der Menschen geschlagen. Bereits 1820 hat sich eine Gruppe von Laien zu der Bruderschaft vom heiligen Rosenkranz zusammengeschlossen, eine Organisation, die eine glühende Verehrung zur Mutter Gottes mit einem echten Dienst der Nächstenliebe und der Brüderlichkeit verbunden hat. Auch wenn die Sklaverei noch ein fester Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft in dieser Zeit war, hat die Bruderschaft ein Zeugnis für die gleiche Würde aller Menschen abgelegt, indem sie Sklaven als Mitglieder aufgenommen hat. Diese erste Vereinigung und zahlreiche andere Laienvereinigungen, die danach begonnen haben, sind ein klares Zeugnis für die Vitalität des Glaubens in eurem Land und für die lebendige Rolle, die die Laien in der Sendung der Kirche gespielt haben. In der Geschichte von Saint Lucia hat Gott euch mit zielstrebigen und eifrigen Priestern und Ordensleuten gesegnet. Die ersten Ordensschwestern kamen 1847 an und innerhalb von einem Monat hatten sie bereits eine Schule geöffnet, um junge Menschen zu unterrichten. Dieser ersten Initiative folgten andere. Und keiner kann an dem erheblichen Beitrag für die Entwicklung und Kultur von Saint Lucia zweifeln, der durch die großzügigen Anstrengungen eurer Priester, die harmonisch mit den Ordensleuten zusammengearbeitet haben, vollbracht worden ist. Obwohl es immer weniger waren als die großen Bedürfnisse notwendig gemacht hätten, versuchten sie dies wettzumachen durch ihre Hingabe und ihren Eifer. Mit dem beständigen Wachsen der Kirche auf der Insel wurde 1956 endlich möglich, die Diözese von Castries zu errichten. Dann, nur 18 Jahre später, wurde sie in den Rang einer Erzdiözese erhoben, und ein würdiger Sohn eures Landes wurde der erste Erzbischof Patrick Webster. Gottes Gnade ist wirklich unter euch am Wirken. Die Geschichte der Kirche von Saint Lucia legt Zeugnis ab für die Größe und Güte Gottes, für die „unermeßliche Größe seiner Kraft in uns, die wir an ihn glauben“ (Eph 1,19). 4. Das Geschenk des Glaubens erleuchtet die Augen unserer Herzen (vgl. Eph 1,18). Es gibt uns eine neue Sicht des Lebens und der Welt. Jedes menschliche Ereignis gewinnt eine neue Perspektive, wenn wir ganz davon durchdrungen sind, daß Gott unser liebender Vater ist, der voller Güte und Mitgefühl über uns wacht. Da wir „das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes (Eph 1,14) in Taufe und Firmung empfangen haben, sind 647 REISEN wir ausgesandt, unseren Glauben zu leben, „als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat“ {1 Petr 4,10). Die erste Antwort auf das Geschenk des Glaubens sind Lobpreis und Dankbarkeit. Dies ist besonders der Fall bei dem größten Gottesdienst, der Eucharistie. Ein tiefer Glaube drückt sich immer in einer glühenden Liebe zur Eucharistie aus, denn gerade bei der Messe hören wir das Wort des Lebens und nehmen teil am Leib und Blut unseres Herrn, Jesus Christus. Ich lege euch daher dringend ans Herz, die Sonntagsmesse und die häufige Kommunion zu einem regelmäßigen Bestandteil eures Lebens zu machen, ja es soll wirklich Mittelpunkt und Gipfel von allem sein, was ihr tut. Der Glaube, den wir als Geschenk empfangen haben, muß dann auch in die Tat umgesetzt werden. Der hl. Jakobus erzählt uns, daß „der Glaube allein, wenn er nicht von Werken begleitet wird, tot ist.“ (Jak2,ll). Das ist der Grund, warum es mich so freut, eure Anstrengungen zu sehen, um den Glauben tatsächlich in die Tat umzusetzen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist das Pastoralthema, das ihr euch für die Erzdiözese in diesem Jahr gewählt habt: „Stärke unseren Glauben, Erlöser.“ Ich bin zuversichtlich, daß diese lohnende Inititative euch viele Gnaden bringen wird, wenn ihr beständig euren Glauben im Gebet und in guten Werken praktiziert. Es ist auch nötig, daß wir unser Wissen über den Glauben vertiefen durch Lesung, Studium und Gebet. Dies macht es uns möglich, den Glauben mit anderen zu teilen, den anderen zu helfen, sich über die Frohbotschaft von der Erlösung zu freuen. Unser Glaube ist auch ein Anlaß, uns für die Gerechtigkeit um Taten einzusetzen und den Bedürfnissen der anderen zu dienen. So wie die Taufe uns allen die große Würde verleiht, Brüder und Schwestern in Christus zu sein, so sind wir dazu aufgerufen, uns für die Würde und Gleichheit aller Menschen einzusetzen. Insbesondere lädt uns unser Glaube dazu ein, die Würde der christlichen Familie zu fördern, in Übereinstimmung mit Gottes unwandelbarem Plan. Die Liebe von Mann und Frau in der Ehe muß in ihrer Treue und Beständigkeit die Liebe Christi zu seiner Kirche widerspiegeln. Die Ehepaare sind dazu berufen, eine Einheit der Personen zu sein, indem sie am schöpferischen Tun Gottes Anteil haben und ihre Kinder erziehen. Unser Glaube unterstreicht, daß „die Familie die Sendung hat, Liebe zu bewahren, zu offenbaren und mitzuteilen. (Familiäris consortio, 17). Jede Anstrengung der Gemeinschaft, die Familie zu verteidigen und zu kräftigen, ist ein großer Beitrag für die ganze Nation. Jede Anstrengung, die 648 REISEN von Christen gemacht wird, um dem Plan Gottes über die menschliche Liebe und das menschliche Leben treu zu sein, ist ein Ausdruck des lebendigen Glaubens. 5. Zusammen mit diesem Geschenk des Glaubens hat Gott euer Land mit Jugend und Vitalität gesegnet. Ihr seid eine neue Nation, ihr habt die Unabhängigkeit erst vor sieben Jahren erreicht. Und ihr seid mit einem großen Anteil an jungen Menschen in eurer Bevölkerung gesegnet. Wenn ich an eure jugendliche Kraft denke, erinnere ich mich an das, was Erzbischof Richard P. Smith geschrieben hat, als er euer Land 1841 besucht hat: „Die Kirche in Saint Lucia hat eine großartige Zukunft vor sich.“ Ja, eine großartige Zukunft liegt vor euch, wenn ihr diese Zukunft auf das solide Fundament des Evangeliums baut und auf echte menschliche Werte. Die Zukunft wird uns nicht nur gegeben, noch wird sie uns aufgezwungen. Wir müssen mit Gott mitarbeiten, um sie zu schaffen. Und das erfordert Tugenden und Disziplin: Die Tugenden der Geradlinigkeit und der Wahrhaftigkeit, die Tugend der Treue zu eingegangenen Verpflichtungen, die Disziplin des Gebetes und des Opfers und die Disziplin des persönlichen Einsatzes und der brüderlichen Zusammenarbeit. Wenn ihr all das tatsächlich in eurem Leben verwirklicht, dann werden sich die Worte von Erzbischof Smith als wahr erweisen. 6. Ich möchte nun gerade ein paar Worte an die Jugend von Saint Lucia richten. Liebe junge Freunde: die Zukunft eurer Nation gehört euch, denn ihr werdet die Führer von morgen sein. Wenn ihr diese Zukunft plant und vorbereitet, ist es richtig, daß ihr nach Größe verlangt, daß ihr das Verlangen habt, große Dinge in eurem Leben zustande zu bringen. Gebt nie dieses Verlangen auf, sondern bleibt immer Männer und Frauen von anspruchsvollen Prinzipien und Hoffnungen. Und erinnert euch daran, s Jesus über die Größe gelehrt hat, über denjenigen, der der Größte ist: „Der Größte unter euch soll werden wie der Kleinste“, sagte er, „und der Führende soll werden wie der Dienende“ (Lk22,26). Genau auf diese Weise hat Jesus die Größe seiner Liebe offenbart. Das ist der Grund, warum er von sich selbst sagte: „Ich aber bin unter euch wie der, der bedient“ (Lk 22,27). Ich möchte euch auch das wiederholen, was ich letztes Jahr der Jugend der Welt in meinem Apostolischen Schreiben vom Palmsonntag geschrieben habe: „Habt keine Angst vor der Liebe, die klare Forderungen an die Menschen stellt. Diese Forderungen — wie ihr sie in der ständigen Lehre der Kirche findet - versetzen euch in die Lage, aus eurer Liebe eine echte 649 REISEN Liebe zu machen“ (Nr. 10). Möget ihr immer ein Verlangen nach Größe haben, nach der Größe des großzügigen Dienstes, und seid immer bestrebt, Gott und euren Nächsten zu lieben, was auch immer das kosten möge. Gott hat euch mit einer unendlichen und zärtlichen Liebe geliebt, und ihr müßt Liebe mit Liebe vergelten. In diesem Zusammenhang, liebe junge Freunde, bitte ich euch, im Gebet zu überlegen, mit welcher Berufung innerhalb der Kirche Christus euch ruft. Die Kirche schaut mit großer Hoffnung auf euch. Und die Mission der Kirche ist so unendlich groß. Und es ist so, wie Jesus sagte: „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige“ (Mt 9,37). Wie sehr sind Ehepaare nötig, deren großzügige und treue Liebe die Liebe Christi zu seiner Kirche reflektiert! Und wie groß ist das Verlangen nach Priestern und Ordensleuten, nach Botschaftern der Frohen Botschaft von der Erlösung. Der Herr sorgt sich um seine Herde, und sicherlich ruft er viele von euch zu diesen Berufungen innerhalb der Kirche. Hört deswegen in der Stille eures Herzens auf ihn. Und antwortet ihm bereitwillig, wenn ihr ihn sagen hört: „Folge mir nach.“ 7. Meine Brüder und Schwestern in Saint Lucia, liebe junge Leute! Ich ermutige euch mit den Worten des heiligen Paulus an die Hebräer: „Laßt uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens“ (Hebr 12,1 f.). Wenn wir unsere Augen fest auf Christus gerichtet halten, wird er uns zum vollkommenen Glauben führen, er wird uns den Weg zur Fülle der Freude in seiner Gegenwart zeigen. Es war ja der Glaube, der unsere Vorfahren in all ihren Leiden und Versuchungen gestärkt hat. Und dasselbe Licht des Glaubens wird euch sicher in das 21. Jahrhundert führen und, bedeutender noch: ins ewige Leben. Zweifelt nie an der Güte und der Gnade Gottes und an der unermeßlichen Größe seiner Macht, die sich an uns allen, die wir glauben, beweist (vgl. Eph 1,19). Kinder Gottes habt Mut, setzt euer Vertrauen auf Gott! 650 REISEN Der Freund der Kranken Ansprache in der Kathedrale von Saint Lucia am 7. Juli Liebe Brüder und Schwestern, 1. „Gnade euch und Frieden von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus“ (Phil 1,2). Es ist mir eine Freude, in die Kathedrale der Erzdiözese von Castries zu kommen und euch alle zu begrüßen, die ihr hier heute versammelt seid, insbesondere die Kranken, die Behinderten und die älteren Leute und diejenigen, die sich um sie kümmern. Zu den bewegendsten Aspekten des öffentlichen Wirkens Jesu gehört seine besondere Liebe zu den Leidenden. Er hat sich immer besonders um die Kranken und die Versehrten gekümmert, um die Tauben und die Blinden. Er berührte, segnete und heilte sie. Er vergab ihnen ihre Sünden. Er bot ihnen Trost und Hoffnung an, indem er ihnen die Frohe Botschaft von der Erlösung verkündete. Besonders aber hat er durch sein eigenes Leiden, seinen Tod und seinen Sieg bei der Auferstehung die ganze Fülle der Liebe des Vaters enthüllt und den Weg zum ewigen Leben freigemacht. 2. Durch die Hände und Herzen derer, die ihm folgen, und durch das Wort Gottes und die Sakramente berührt Christus weiterhin diejenigen, die leiden. Gleichzeitig lädt er die Kranken und diejenigen, die ein Leid zu tragen haben, ein, teilzuhaben an der Sendung der Kirche, an ihrem eigenen Leib das zu ergänzen, was am Leiden Christi noch fehlt (vgl. Kol 1,24). 3. Wenn wir uns heute in dieser Kathedrale versammeln und das Mysterium des menschlichen Leidens und der menschlichen Schwäche erwägen, möchte ich euch an die Worte des heiligen Paulus erinnern: „Ihr seid Gottes Tempel und . . . Gottes Geist wohnt in euch“ (1 Kor 3,16). Kein Leiden, und sei es noch so groß, kann diese Wahrheit unseres Glaubens verdunkeln. Nichts kann euch eure menschliche Würde wegnehmen oder zerstören. Denn eure Leiber sind eine Wohnstatt des lebendigen Gottes geworden. Der Herr hat sein Zelt unter euch aufgeschlagen. 4. Ich versichere euch, daß ich jeden Tag für euch bete. Und ich bitte auch euch um eure Gebete, für mich und für meinen Dienst, für die Bedürfnisse der Kirche und der Welt. Insbesondere bitte ich euch, eure 651 REISEN Gebete und Leiden für das Werk der Evangelisierung aufzuopfern, so daß die ganze Welt Jesus Christus den Sohn Gottes, der unser Erlöser und unser Herr geworden ist, erkennen möge und an ihn glauben möge. Und ich ermutige euch alle in der Erzdiözese Castries, euch immer mehr der Bedürfnisse der Kranken, der Armen und der Behinderten bewußt zu werden und alles zu tun, was in eurer Macht steht, um ihnen im Namen Jesu zu helfen. Ich bitte Gott, euch Kraft zu geben in eurem großherzigen Tun und der Arbeit in euren eifrigen Vereinigungen Gedeihen zu schenken. Euch allen und euren Familien und Lieben erteile ich meinen Apostolischen Segen. Gott schütze euch, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Eine großartige Zukunft für die Kirche von Saint Lucia Ansprache vor dem Abflug von Saint Lucia am 7. Juli Sehr geehrter Ministerpräsident, Sehr geehrter Bischof Felix, verehrte Mitglieder der Regierung, liebe Bewohner von Saint Lucia! Für mich ist jetzt der Augenblick gekommen, an dem ich meinen Pastoral-besuch in eurem wunderbaren Land beenden muß. Es war ein Besuch, den ich im Namen Gottes gerne gemacht habe, als Antwort auf die freundliche Einladung von euch, und weil ich auch selbst den großen Wunsch hatte, mich mit meinen Brüdern und Schwestern von Saint Lucia zu treffen. Bei den verschiedenen Begegnungen mit euch, besonders bei der Feier der heiligen Eucharistie, habe ich das göttliche Gebot befolgt, das ich, als Nachfolger des hl. Petrus, vom Herrn empfangen habe: nämlich meine Brüder im Glauben zu stärken. Mein kurzer aber bereichernder Aufenthalt bei euch ist tatsächlich eine große Gnade für mich gewesen und ich hoffe, daß er das auch für euch alle gewesen ist. Ich werde das Andenken an diesen Besuch in meinem Herzen 652 REISEN tragen, und ich werde mich auch in meinem täglichen Gebet daran erinnern. Ich bin dem Allmächtigen Herrn dankbar dafür, daß er mir die Gelegenheit dieses Treffens mit der Kirche in Saint Lucia gegeben hat, einer Kirche voller Vitalität und Großzügigkeit, einer Kirche, die im Band der Nächstenliebe geeint ist, die die Hoffnung verwirklicht hat, die vor eineinhalb Jahrhunderten Erzbischof Richard Smith ausgesprochen hat, als er sagte: „Es wird eine großartige Zukunft für die Kirche in Saint Lucia geben.“ Ich bin sehr glücklich, hier mit euch zusammengewesen zu sein und dafür, daß ich viele von euch persönlich habe begrüßen dürfen. Ich weiß eure Gastfreundschaft und euren herzlichen Empfang zu schätzen. Ihr habt mir eure Häuser und eure Herzen weit geöffnet, und jetzt, wo es an der Zeit ist, Abschied zu nehmen, möchte ich an euch dieselbe Aufforderung richten, mit der ich mich zu Beginn meines Pontifikates an die ganze Welt gewendet habe: Öffnet Christus die Türen. Habt keine Angst. Verwirklicht in eurem Leben seine Botschaft. Macht Platz für ihn in euren Herzen. Männer und Frauen von Saint Lucia, seid lebendige Zeugen der frohen Botschaft von der Erlösung in eurem täglichen Leben. Und erinnert euch immer daran: den Herrn kann man nie an Großzügigkeit übertreffen. Ich möchte auch den Autoritäten von Saint Lucia meine tiefe Dankbarkeit für die vielen Gesten der Höflichkeit und der Herzlichkeit aus-drücken, die sie mir während dieses kurzen aber intensiven Pastoralbesu-ches entgegengebracht haben. Ich bete zum Herrn, daß er sie segnen und stärken möge in ihren Bemühungen, diesem Land eine helle Zukunft in Frieden, Gerechtigkeit und Wohlergehen zu sichern, ein Wohlergehen, das sich sowohl auf den geistigen als auch materiellen Bereich erstreckt. Besonders möchte ich all denen danken, die hart gearbeitet haben, um diesen Besuch möglich zu machen. Meine Dankbarkeit gilt auch den Hirten dieser Erzdiözese, den Priestern, den Ordensmännern und -frauen, und all denen, die sich im pastoralen Dienst engagieren. Ich danke euch für euren großzügigen Einsatz im Dienst an euren Brüdern und Schwestern und besonders in euren pastoralen Sorgen für die Armen, die Kranken und die Verlassenen. Der Herr möge euch überreich dafür belohnen. Wenn ich euch jetzt verlasse, wendet sich mein Blick zu der Allerseligsten Jungfrau Maria, der Mutter Christi und der Mutter der Kirche. Möge sie euch alle unter ihren mütterlichen Schutz nehmen und euch zu einer noch engeren und persönlicheren Beziehung mit ihrem Sohn Jesus hinführen. Ich rufe über euch, mein geliebtes Volk von Saint Lucia, den reichen 653 REISEN Segen des Allmächtigen Gottes an, wenn ich euch jetzt mit meinem apostolischen Segen segne. Gott segne euer Land Saint Lucia. Gott segne euch alle. Vielen Dank euch allen. 654 4. Pastoralbesuch in Aosta (7. September) REISEN Die Schönheit der christlichen Berufung Predigt beim Gottesdienst in Aosta am Sonntag, den 7. September 1. Während wir um den Altar versammelt sind, um das Lobopfer darzubringen, möge — an diesem von herrlichen Bergen umgebenen Ort — der großartige Schöpfungspsalm von dem sprechen, von dem der ganze heutige Tag erfüllt ist. Die Schöpfung selber verkündet die Herrlichkeit des Schöpfers. Die Gebirgskette der Alpen, die ich heute vormittag bewundern konnte, findet jetzt gleichsam Eingang in die Worte der Liturgie, die die Kirche verkündet. Es sind vom Menschen gesprochene Worte, der damit zur Stimme der ganzen Schöpfung wird: „Denn groß ist der Herr und hoch zu preisen ... der Herr hat den Himmel geschaffen. Hoheit und Pracht sind vor seinem Angesicht, Macht und Glanz in seinem Heiligtum“ (Ps 96, 4-6). Diese „Hoheit“ und diese „Pracht“ des Schöpfers, von denen die Alpengipfel und unter ihnen der höchste von ihnen, der Montblanc, sprechen, wollen wir sozusagen einfangen in unser nachmittägliches Gebet. Wir wollen auch, daß die ganze Liturgie der Schöpfung von diesem besonderen Mysterium durchdrungen wird, zu dem der Mensch berufen ist: der Mensch inmitten der ganzen Schöpfung; der Mensch als Krone der sichtbaren Welt. <71> <71> Die heutige Liturgie spricht von der Berufung des Menschen durch Gott. Es ist das ergreifende Zeugnis des Propheten Jeremias, das wir in der ersten Lesung gehört haben. Der Prophet wird mit aller Demut seiner eigenen Schwachheit, seiner mangelnden Vorbereitung gewahr: „Ich bin noch zu jung“ — sagt er —, „ich kann doch nicht reden“ (Jer 1,6). Aus eigener Kraft allein ist der Mensch nicht imstande, die Worte Gottes auszusprechen, wenn sie ihm nicht Gott selber gewissermaßen „in den Mund legt“. Eben deshalb wird Jeremias von Gott beauftragt, Bote des göttlichen Wortes, des prophetischen Wortes zu sein. Jeremias erhält einen ganz besonderen, außergewöhnlichen Auftrag: er wird zum „Propheten der Völker“ bestimmt (Jer 1,5): das ist eine Botschaft für die ganze Menschheit, die gegenwärtige und die zukünftige. Von Ewigkeit her hat Gott an diesen Sendungsauftrag gedacht; und nun enthüllt er ihn dem Propheten und verheißt ihm die notwendige Hilfe zu seiner vollen Erfüllung. 656 REISEN 3. Der Text des Propheten Jeremias trägt autobiographische Züge. Er spricht von seiner eigenen Berufung. Zugleich enthält diese Beschreibung ein universales „Modell“, nach dem das göttliche Geheimnis der Berufung in jedem Fall — in bezug auf jeden Menschen — gelesen werden muß. Heute gedenken wir in besonderer Weise der Berufung des hl. Bischofs Gratus, des Schutzpatrons eurer Diözese. Die gesicherten Nachrichten, die wir über sein Leben vor vielen Jahrhunderten, in den Anfangzeiten des Christentums, besitzen, sind wahrlich sehr spärlich. Das bildete jedoch kein Hindernis dafür, daß im Laufe der Geschichte eine eifrige, ausdauernde und nachhaltige Verehrung des Heiligen aufblühte, nicht nur unter den Gläubigen von Aosta, sondern auch unter anderen Bevölkerungsgruppen dieser Alpentäler, vor allem unter den Bauern, die ihn als ihren Beschützer betrachten: Auch der hl. Gratus vernahm — wie der Prophet Jeremias — von Gott den Ruf zu einer völligen Hingabe an die Verkündigung des Evangeliums, zur Bekehrung der Völker zu Christus und zu ihrem Heil. Sein Werk war so wirksam, daß noch wir, nach so vielen Jahrhunderten, ihn verehren und anrufen, und die Stadt Aosta sich seiner Fürbitte anvertraut. Die Umstände und Begebenheiten des Lebens und des Apostolats des hl. Gratus im einzelnen verlieren sich im Dunkel der Vergangenheit; mit Sicherheit weiß man jedoch von der Festigkeit seines Glaubens an Christus, das fleischgewordene Wort, zu einer Zeit, als die Häresie des Arianismus umging (davon zeugt seine Unterschrift auf der Provinzialsynode von Mailand im Jahr 451), von seiner Verehrung für die Märtyrer, von seiner unermüdlichen Verfechtung der christlichen Lehre und Moral. Er fühlte sich völlig im Dienst Christi und der Seelen und lebte ganz diese Sendung und dieses Ideal. Er scheint übrigens griechischer Herkunft gewesen zu sein. Daß er aus einem fernen Land einzig und allein deshalb gekommen ist, um Gott und den Seelen zu dienen, beweist also, wie groß seine Liebe zu Christus und wie heroisch seine Tugend gewesen sein muß. 4. Die Betrachtung über die Berufung des Propheten Jeremias und eures Patrons, des hl. Gratus, muß immer wieder neu im Licht des Neuen Bundes gelesen werden, der jeden von uns beruft und uns in die Heilsgeschichte eingliedert. Der hl. Paulus schreibt an die. Korinther: „Die Liebe Christi drängt uns.“ Denn „Christus ist für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde“ (2 Kor 5,14 f.). Diese Worte führen uns wieder an die eigentliche Wurzel der christlichen Berufung: sie beginnt im Geheimnis der Taufe. Wir glauben fest daran, daß im Schöpfungsplan der göttlichen Vorsehung jede menschliche Person ihre eige- 657 REISEN ne, besondere Sendung zu erfüllen hat. Gott richtet seinen Ruf an jeden schon aufgrund der Tatsache, daß er ihm das Leben schenkt. Aber vor allem die Taufe ist eine echte Berufung, die Gott an uns richtet, ein geheimnisvoller, aber wirklicher Ruf an uns, der uns verwandelt und mit Verantwortung ausstattet. Denn durch die Taufe beginnen wir vom Leben dessen zu leben, „der für uns starb und auferweckt wurde“. Durch Christus werden wir zu „einer neuen Schöpfung“ (2 Kor 5,17). 5. Wenn wir von diesen theologischen Voraussetzungen auf die konkrete Ebene unseres Lebens herabsteigen, sehen wir, daß vom Leben Christi zu leben, in Christus zu „einer neuen Schöpfung“ zu werden, dienen heißt. „Ich bin unter euch wie der, der bedient“, sagt Christus (Lk 22,27). Und er sagt das zu den Aposteln, unter denen ein Streit darüber ausgebrochen war, „wer von ihnen wohl der Größte sei“ (Lk 22,24). Christus antwortet: der Größte ist der, der dient. Die christliche Berufung ist eine Berufung zum „Dienst“, denn sie bedeutet, sich zur Verfügung stellen: allen voran Gott, um seinen Willen in bezug auf uns anzunehmen, und dann den Menschen, um ihnen auf ihrem Weg zu Gott und zum Heil beizustehen. In diesem Sinne sind alle dazu berufen und aufgerufen, mit dem Leben Christi zu leben, Gott zu dienen und den Menschen zu dienen, wie er ihnen gedient hat. Auch ihr, liebe Brüder und Schwestern in Aosta, habt euren besonderen Dienstauftrag sowohl als einzelne wie als Glaubensgemeinschaft, sei es für die Diözese, sei es im Rahmen einer Sendung außerhalb der Diözese, deren Grenzen die der Welt selber und der ganzen Geschichte sind. So war es bei den großen Berufungen eines Jeremias und eines hl. Gratus, deren Stimme noch heute erschallt und weiter durch die Jahrhunderte erschallen wird, weil sie sich zu Werkzeugen und Sprechern jener Wahrheit, jenes Wortes vom göttlichen Leben machen ließen, das nicht vergeht, sondern allen Menschen an allen Orten .und zu allen Zeiten Licht und Leben spendet. 6. An euch, liebe Brüder, möchte ich mich jetzt mit einem herzlichen Gruß wenden: an Bischof Ovidio Lari, an seine Mitarbeiter, an die hier versammelten Vertreter der zivilen Behörden, an den Klerus, die anwesenden Ordensmänner und Ordensfrauen, an die Gläubigen, die an dieser Eucharistiefei-.er teilnehmen, ganz besonders an die Jugendlichen. Denn ich weiß, daß sie lebhaft den Augenblick unserer Begegnung erwartet haben. Euch, liebe Jugend, gelten deshalb meine besonderen Gedanken. Mögt ihr in dieser heiligen Liturgie die Schönheit der christlichen Berufung betrachten können. Jenseits ihrer allgemeinen Elemente, die zu jeder Berufung gehören, verwirklicht sie sich konkret in immer neuen und immer verschiedenen Weisen. Und fügen wir noch hinzu: auf immer schöne und wunderbare Weise. Denn Gott ist immer 658 REISEN wunderbar, in allem, was er tut. Wir können seine Werke leider zerstören; aber sie sind schön. Und die Berufung ist unter allen seinen Werken das schönste, weil sie uns Christus ähnlich macht, dem herrlichsten aller Werke des Vaters, dem Mittel- und Höhepunkt der ganzen sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung. Entsprecht, liebe junge Freunde, dem Plan, den Gott mit euch hat. Das ist mein Wunsch für euch und meine Ermahnung an euch. 7. Und auch an euch alle, liebe hier anwesenden Brüder und Schwestern, möchte ich einige besondere Gedanken richten und die Forderungen ein wenig konkretisieren, die sich aus jenem Wort Gottes ergeben, von dem wir heute aufgerufen werden. Das neue Leben in Christus, zu dem uns unsere christliche Berufung auffordert, drängt heute die Gläubigen dazu, manche Werte herauszustreichen, die der Lauf der Welt irgendwie zu verdunkeln oder zu vergessen trachtet. Ich denke hier besonders an die Notwendigkeit, auszuharren und mutig Zeugnis zu geben bei der Annahme und Achtung des Lebens von seiner ersten Entstehung bis zum letzten Atemzug; an die Notwendigkeit, auf allen Ebenen den Geist der Gemeinschaft und Solidarität zu pflegen und zu stärken; an die Verpflichtung, uns von den Versuchungen des offenen oder verborgenen Materialismus und Individualismus zu befreien oder frei zu halten. Es bedarf der Wachsamkeit, des Mutes, eines tiefen Sinnes für die kirchliche Gemeinschaft, einer möglichst genauen Kenntnis der tatsächlichen Bedürfnisse des Menschen in bezug auf das Kommen des Gottesreiches. Es bedarf einer neuen Anstrengung, um die Botschaft des Evangeliums als Neuheit und als Geschenk zu begreifen, eine Botschaft, die in dem Augenblick, in dem sie das tiefste Sehnen des Menschen erfüllt, dieses übersteigt, indem sie dem Menschen die Aussicht auf ein Leben — das ewige Leben — eröffnet, das er ohne Hilfe der göttlichen Gnade niemals zu erreichen vermöchte. Die vom Christentum gebrachte „Neuheit des Lebens“ hat ihre Auswirkung also nicht bloß im Bereich des Menschlichen — den sie zwar auch zu einer radikalen Erneuerung führt —, sondern sie erhebt sich zu einer Wirklichkeitsebene — nämlich der göttlichen —, von welcher der hl. Paulus sagt: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinnrge-kommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben“ (1 Kor>2,9; vgl. Jes 64,3). 8. So wollen wir nun, vereint in Jesus Christus, indem wir in ihm zu „einer neuen Schöpfung“ werden und ein jeder den Dienst annimmt, zu dem er uns beruft, an den Altar treten, um Gesandte Gottes an Christi Statt zu sein (vgl.2 Kor 5,20). 659 REISEN Denn Gott hat durch Christus die ganze Menschheit mit sich versöhnt. Gott versöhnt unaufhörlich die Welt mit sich. Er rechnet den Menschen ihre Sünden nicht an. Er erläßt sie ihnen „um einen Preis“, der alles übersteigt: das Kreuzesopfer Christi! Denn in diesem überfließenden Opfer des Sohnes ist die göttliche Macht der Versöhnung gegenwärtig, an der wir Menschen teilhaben dürfen. Ja, Gott selber hat „uns das Wort von der Versöhnung anvertraut“ (2 Kor 5,19). Gott selber hat uns den Dienst der Versöhnung anvertraut. In besonderer Weise hat er ihn uns Priestern anvertraut, indem er uns zu Dienern des Sakramentes der Wiederversöhnung machte. Aber in einem weiten und nicht weniger tatsächlichen Sinn hat er diesen Dienst jedem Christen anvertraut, denn jeder Christ soll Stifter von Frieden und Versöhnung sein. Und heute ist diese entscheidende und unersetzliche Aufgabe des Christen im Dienst einer gespaltenen und bedrohten Menschheit mehr denn je erforderlich. 9. Und damit wir nun kraft des Versöhnungsdienstes Christi zu „einer neuen Schöpfung“ werden, treten wir an den Altar, um Gott in Christus die ganze Schöpfung, das ganze Universum, das uns umgibt, darzubringen. Denn so verkündet es der Psalm der heutigen Liturgie: „Bringt dar dem Herrn, ihr Stämme der Völker, bringt dar dem Herrn Lob und Ehre! Bringt dar dem Herrn die Ehre seines Namens, spendet Opfergaben und tretet ein in sein Heiligtum! ... Der Himmel freue sich, die Erde frohlocke, es brause das Meer und alles, was es erfüllt! Es jauchze die Flur und was auf ihr wächst! Jubeln sollen alle Bäume des Waldes vor dem Herrn, wenn er kommt“ (Ps 96,7 f. 11-13). Gepriesen sei, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe! In der Höhe aller Alpengipfel. Hosanna. Amen. 660 REISEN „Euer Weg muß über Christus führen“ Ansprache an die Rekruten der Alpinen Militärschule in Aosta am 7. September Sehr geehrte Herren! Liebe junge Rekruten der Alpinen Militärschule! Ich freue mich, euch zu treffen und euch meine aufrichtige Sympathie und Dankbarkeit für euren freundlichen Empfang zu bekunden. Ich begrüße vor allem den Herrn Verteidigungsminister Senator Giovanni Spadolini, den Chef des Generalstabs, General Poli, den Generalkommandan-ten der Schule, alle Herren Offiziere, Unteroffiziere und Ausbilder. Ein besonderer Gruß ergeht sodann an Militärbischof Msgr. Bonicelli und euren Militärseelsorger. 1. Auf meiner Pastoraireise in das Aostatal habe ich gern die Einladung zu einem Besuch dieser Schule angenommen, die eine der charakteristischsten Einrichtungen der Stadt darstellt. Ich freue mich vor allem über die Wertschätzung — und beglückwünsche sie dazu —, deren sie sich in Europa und in der Welt als Fachschule für alpinistische Einsätze rühmen kann, zu der hier praktizierten modernen Unterrichtsweise, zu den Erfolgen im Bereich des alpinen Skisports, auch bei Wettkämpfen, zu dem Ruf, den sie sich durch komplizierte technische Initiativen der Hochgebirgsstrategie und darüber hinaus durch häufig durchgeführte kühne und hochherzige Rettungsaktionen erworben hat. Ihr seid also — bzw. wollt es werden — unter jedem Gesichtspunkt Experten der Berge. Mein Vorgänger Pius XI. sagte in seiner Botschaft an eure Schule im Jahr 1933: „Eine große Lehrerin sind unsere Berge: sie lehren kluge Beherztheit, sie unterstützen die vernünftige Anstrengung zur Erreichung höchster Ziele, sie bringen uns Gott näher und enthüllen uns wie wenige andere Geschöpfe seine Majestät, seine Schönheit, seine weise Vorsehung.“ Auch ich lade euch daher ein, die Lektion der Berge aufzunehmen und sie auf das Leben anzuwenden, um den Verantwortlichkeiten, die euch erwarten, gemäß den Regeln des Einsatzes zu begegnen, die im alpinen Bereich streng erforderlich sind. <72> <72> Eure erste Verantwortung heißt Einsatz für den Frieden. Die moralische Grundlage des Militärstandes liegt in der Forderung, die geistigen und materiellen Güter der nationalen Gemeinschaft, des Vaterlandes, zu verteidigen. Diese Verteidigung, Garant des Gemeinwohls eines Volkes, ist eine Voraus- 661 REISEN Setzung für Frieden und Eintracht zwischen den Nationen. Wegen der technologischen Entwicklung, die dazu verpflichtet, die Fragen mit zeitnaher Klugheit zu prüfen, wird man, wie mein Vorgänger Johannes XXIII. erwähnte, die Probleme der Beziehungen zwischen den Nationen und damit die Probleme der Verteidigung freilich mit ganz neuer Mentalität sehen müssen; aber die Tatsache bleibt bestehen, daß man sich absichern muß gegen jene Versuchungen zu Angriff, Ungerechtigkeit und Gewalt, die nicht selten den Geist des Menschen verführen und verfälschen. Denn in der Menschheit ist ein Zustand der Sünde vorhanden, der sich im Herzen der Personen einnistet und sich tief in die verschiedenen Gesellschaftsschichten einzuprägen sucht. In diesem Zusammenhang ist Verteidigung Klugheit, Recht, Pflicht, die die Menschen zu ständiger, innerer und äußerer Wachsamkeit anhält, um der Entfesselung des Hasses und des Krieges zuvorzukommen. Es kommt darauf an, überall dort, wo die Möglichkeit der Aufnahme besteht, Brücken der Verständigung, der Liebe, der tiefen Menschlichkeit zu schlagen; und das Leben des Soldaten kann auch dazu dienen, wenn er als Christ mit aufmerksamem Realismus für die Verhältnisse, in denen er lebt, jeden Tag das Ideal der Seligpreisung des Friedens, der Ankündigung des Reiches Gottes, zu erwägen weiß. Seid also überzeugt, liebe Alpini, daß ihr eine Friedensaufgabe erfüllt. Beginnt bei euch selber, indem ihr euch bemüht, innerhalb und außerhalb eurer Kasernen ehrenhafte, gerechte, aufmerksame Diener der Schwächsten zu sein. Auf diese Weise könnt ihr in das soziale Lebensgefüge die Keime einer neuen Ordnung einpflanzen, die auf Gerechtigkeit, Achtung und Herzensgüte gründet. Der Friede ist keine Utopie, wenn es Menschen gibt, die verantwortungsbewußt und glaubwürdig Zeugnis ablegen, indem sie ihn durch den Einsatz ihrer Person zu verwirklichen suchen. <73> <73> Erlaubt, daß ich in diesem Dialog über die Ideale eine noch direktere Aufforderung an euch richte. Ihr seid junge Alpini-Rekruten, und morgen werdet ihr junge Offiziere sein. Ihr kommt aus Gegenden, wo die Berge nicht nur einen unvergleichlichen panoramaartigen Hintergrund darstellen, sondern eine Beziehung zu einem oft recht harten Leben, das Beständigkeit und Opfer verlangt. Wenn man die Berge besteigt, kostet das, so schön sie auch sein mögen, einige Anstrengung, man muß sich mit dem Wesentlichen zufriedengeben, sich einer Disziplin unterwerfen, die der Persönlichkeit einen unvergleichlichen Charakter verleiht. Seid euch dieser Möglichkeit bewußt, die euch sowohl eure Herkunft wie die Dienstausbildung bieten. In einer auf Freizügigkeit und Konsum ausgerichteten Gesellschaft wie der unsrigen gilt es, wieder ein wenig diese Tugenden zurückzugewinnen, die wir als alpine Tugenden bezeichnen könnten. Ohne sie 662 REISEN besteht für die Zukunft große Gefahr. Euer Zeugnis loyaler Treue, Solidarität und Beständigkeit kann zu einer Botschaft für alle jungen Menschen werden. Morgen, liebe Alpini, werdet ihr Offiziere sein. Euch wird eine Verantwortung über Einsatzmittel, über Strukturen, aber noch mehr über Menschen anvertraut werden. Junge Männer wie ihr, die aber, wie wir wissen, oft unsicher und schwach sind, sollen in euch nicht nur den Verantwortlichen finden, der fähig ist, zur Disziplin anzuhalten, sondern ein lebendiges Vorbild für Konsequenz, Verständnis, Bereitschaft. Viele Konflikte, in die die Jugendlichen geraten, spielen sich hier ab. Niemand vermag sie besser zu verstehen als ihr, weil ihr auch jung seid wie sie; niemand kann sie besser warnen als ihr, weil ihr zugleich mit der hierarchischen Rolle über eine moralische Autorität verfügen könnt und müßt, die Vertrauen und Ansporn zum Nacheifern weckt. Euer Weg muß über Christus führen. Die strengen Gesetze der Hochgebirgswelt lehren euch, wie wichtig es ist, in den Bergen einen Pfad zu kennen, einen Weg zu finden, einen Halte- oder Stützpunkt für einen Kletteraufstieg zu erreichen. Dasselbe gilt für das Leben. Christus ist der feste und sichere Punkt, das Licht zur Orientierung, die Kraft zu einem ständigen Bemühen und erfolgreichen Gelingen. Beachtet eure tiefsten, sehnlichsten Herzenswünsche: ihr werdet in ihnen das aufrichtige Verlangen nach Klarheit, nach Gerechtigkeit, nach Verbesserung finden. Es handelt sich da nicht um unklare und der Phantasie entsprungene Begriffe oder bloße Gefühlseindrücke, sondern um ein konkretes Programm. Nun, Christus legt euch einen sehr hohen Plan vor — mit einem Zielpunkt, den sich die irdischen Ideologien kaum vorzustellen vermögen —, der sich auf das erhabene Gesetz der sich verschenkenden und aufopfernden Liebe gründet. Der Plan Christi ist rein und lauter weil er weder Verkürzungen enthält noch Rückfälle in den Egoismus und in die Ichbezogenheit zuläßt; er ist nicht mit unehrlichen Methoden, mit menschenunwürdigem Vorgehen verbunden, sondern er verlangt streng und unnachgiebig, wie es das Evangelium anzeigt, die Einhaltung der Regeln der Liebe und der Gerechtigkeit. Der Weg, der über Christus führt, ist hochherzig, er verlangt von euch einen persönlichen Einsatz für das Wohl, für das Wohl der anderen, der nur in dem Maße möglich ist, in dem man jeden menschlichen Egoismus überwindet und über sich selbst hinauszielt. Für diese Tugenden ist uns Christus zum Vorbild geworden: unser Weg führt darum über ihn. Mit diesen Gedanken, die von Vertrauen und Zuneigung erfüllt sind, wünsche ich euch, daß ihr jeden Tag eures Militärdienstes in dem Bewußtsein eurer verpflichtenden Aufgaben, aber auch der erregenden Sendung erlebt, so vielen anderen jungen Leuten zu helfen, reife Männer zu werden, das heißt Männer, die imstande sind, als Soldaten und als Zivilpersonen ihr Leben in die Hand zu nehmen. 663 REISEN 5. Ehe ich meine Ansprache abschließe, möchte ich mit Ehrfurcht und Ergriffenheit der Soldaten gedenken, die in den Bergen ihr Leben verloren haben: der Bergführer, der Ausbilder, der Rekruten und all jener, die in Erfüllung der mühsamen Ausbildungsarbeit, beim Rettungsdienst für andere Brüder oder bei Bergunglücken ihr Leben verloren haben. Ihnen allen bewahrt ihr in der Kapelle dieses Kastells ein anerkennendes und frommes Andenken. Im Gebet vertraue ich sie der Güte Gottes an, der ihnen den ewigen himmlischen Frieden schenke. Auf euch alle rufe ich den Schutz der Jungfrau Maria herab. Sie stehe euch bei euren gefährlichen Übungen bei, sie ermutige euch in den Augenblicken der Gefahr und der Prüfung, sie unterstütze euch bei jedem schwierigen Unternehmen. Ihr vertraue ich eure Unversehrtheit, eure Zukunft, eure besten Absichten an, und von Herzen segne ich euch alle, eure Alpinschule, eure Familien, die Menschen, die euch besonders nahestehen. Tourismus im Lichte christlicher Werte Ansprache in Courmayeur am 7. September Liebe Brüder und Schwestern! 1. Während ich dem Herrn Bürgermeister für seine freundlichen Worte danke, begrüße ich herzlich alle Anwesenden bei unserer Begegnung hier in Courmayeur: die Vertreter der Behörden und die Bürger dieses Zentrums des Alpinismus und Tourismus, das internationalen Ruhm genießt wegen seiner unmittelbaren Verbindung zum Montblanc, dem Symbol dieses Ortes, wegen der prächtigen Dörfer, die ihn umgeben, und wegen der außerordentlichen Naturschönheiten, die Massen von leidenschaftlichen Bergliebhabem anziehen. Meine Gedanken gelten darum den Bewohnern dieses Städtchens wie auch allen, die hierherkommen, um alpine Sportarten zu betreiben. Diese Betätigungen steigern bekanntlich nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit, sondern sie tragen zur Gesamtformung des Menschen bei, indem sie ihn offen machen für die Schönheiten der Schöpfung und die Werte der Freundschaft und einen starken Geist kameradschaftlicher Zusammenarbeit wecken, wie er besonders bei Bergbesteigungen mit dem Seil erforderlich ist. Insbesondere begrüße ich die beherzten und berühmten Bergführer vom Montblanc. Sodann wende ich mich an alle Touristen, die in diesen Orten eine Umwelt vorfinden, die den Leib stärkt, die Seele erquickt und das Wachsen der geistigen Dimension des Menschen fördert. 664 REISEN Courmayeur stellt zweifellos eines der bedeutendsten und berühmtesten Zentren des internationalen Tourismus dar, jenes Phänomens, das in den letzten Jahren eine eindrucksvolle Steigerung erfahren hat. 2. Diese Erscheinung, die den Menschen in seinen verschiedenen Dimensionen erfaßt, hat wegen ihrer religiösen, moralischen und kulturellen Kehrseiten in der Kirche besondere Beachtung gefunden. Sie steht in Zusammenhang mit dem großen sozialen Wandel, der von der Vermehrung, Verbreitung und Schnelligkeit der Verkehrsmittel herbeigeführt wurde: „Massen setzen sich in Bewegung, nicht nur aus Wirtschaftsinteressen oder Gründen der Notwendigkeit, sondern zum Zeitvertreib oder mit dem Wunsch, Stätten und Menschen verschiedener Länder zu sehen. Daraus erwachsen große Vorteile für die Kultur, für die Beziehungen zwischen den Völkern und infolgedessen für den Frieden, für die Förderung der Zivilisation und für die Verbreitung eines weitreichenderen Wohlstandes. Das alles kann der Kirche, deren achtsamer Blick allem gilt, was echt menschlich ist, nicht gleichgültig bleiben“ {Ansprache an die Vertreter von Fremdenverkehrsstellen, 7. Mai 1983, Nr. 2: Insegnamenti VI/1,1983, 1169). Die Kirche fühlt sich wirklich mit dem Menschen und seiner Geschichte solidarisch und will dem Menschen dienen, wie er heute im Rahmen der Wirklichkeiten der modernen Zivilisation erscheint (vgl. GS 2 f.). Sicher ist der Tourismus eine weltweite Erscheinung, die auch Werte in sich birgt und nach Werten sucht: die Industrialisierung, die Automatisierung, der Fortschritt können und sollen den Menschen mehr verfügbare Zeit geben für Ruhe, Erholung, Kultur, Dialog, für Entspannung, Meditation und Gebet. Man empfindet und entdeckt die Bedeutung der Freizeit als Wert, der einem zu innerem Wachstum verhilft; sie stellt in der Tat eine der konkretesten und wirksamsten Bestätigungen der Freiheit des einzelnen Menschen dar, weil sie ihm ermöglicht, sich von dem manchmal drückenden Arbeitsrhythmus loszureißen und durch selbständig gewählte und geplante Tätigkeiten und Initiativen die eigene Persönlichkeit besser zu verwirklichen. Darüber hinaus ist besonders bei den jungen Generationen ein zunehmendes Bedürfnis nach „Kulturtourismus“ wahrzunehmen. Die Kirche sieht und verfolgt diese neuen Anliegen des Geistes und lädt alle zur Gestaltung neuer Formen des Tourismus ein, die imstande sind, — über das bloße konsumistische Genießen hinaus —, im Kontakt mit der ursprünglichen Schönheit der Natur oder mit verschiedenen Kulturen innere Bedürfnisse zu erfüllen. <74> <74> Der Endzweck der Entwicklung des Tourismus kann also nicht in einem rein und ausschließlich wirtschaftlichen Vorteil bestehen, sondern in dem Dienst, 665 REISEN der dem Menschen — in seiner Ganzheit gesehen — zu seinem Wohl angebo-ten wird: „Wenn es auch richtig ist, daß der homo faber — in bestimmten Augenblicken — zum homo ludens werden kann, darf nicht vergessen werden, daß sich beide im homo sapiens ergänzen. Nur durch eine wirksame Persönlichkeitsbildung, die vor üblen Manipulationen warnt, wird der Tourismus zu einer wirklich schöpferischen Ruhe und Erholungszeit werden. Er wird nicht Gefahr laufen, die Zeit zu vergeuden, Ausspannung zur Zügellosigkeit, kulturelles Interesse zu ungesunder Neugier, das Bedürfnis nach Geselligkeit zu Begegnungen bar jeden Ideals, das Ganze zu einer öden, manchmal zur Schau getragenen, um religiöses und moralisches Empfinden unbekümmerten Leere werden zu lassen“ (Ansprache an die im Tourismus Beschäftigten, 27. September 1982, Nr. 4: Insegnamenti V/3,1982, 610). Mit großer Befriedigung habe ich zur Kenntnis genommen, daß am 8. Juni dieses Jahres in dieser Diözese mit besonderer Anteilnahme der „Tag der Tourismusseelsorge“ begangen worden ist und dabei insbesondere die Aufgabe und Verantwortlichkeit der Laien in diesem neuen Zweig der Seelsorge hervorgehoben wurde. Zu den Themen, die ihr diskutiert habt, und zu den wirksamen Schlußfolgerungen, die ihr daraus gezogen habt, spreche ich euch meine Anerkennung aus, und ich möchte euch dazu ermuntern, in diesem nunmehr so wichtigen und heiklen Bereich der Präsenz der Kirche in der modernen Welt mit Begeisterung und Eifer zu arbeiten. Notwendig ist vor allem eine Auffassung von Tourismus im Licht der christlichen Werte. Es bedarf daher einer wahren und geeigneten Erziehung zu Freundlichkeit, Höflichkeit, gegenseitigem Verständnis, zu Güte, Achtung des Nächsten; es bedarf auch einer Umwelterziehung zum gesunden und maßvollen Genuß der Naturschönheiten; vor allem aber bedarf es „einer religiösen Erziehung, damit der Tourismus nicht das Bewußtsein verwirrt noch den Geist erniedrigt, sondern ihn erhöht, ihn läutert, ihn zum Dialog mit dem Absoluten und zur Betrachtung des unermeßlichen Geheimnisses erhebt, von dem wir umgeben sind und das uns anzieht“ (Predigt in Nettuno, 1. September 1979; Insegnamenti II/2,1979, 213 f.). 4. Auf Diözesanebene wird man sich daher um die Ausbildung und Qualifikation der im Tourismus tätigen Personen bemühen müssen, besonders was die christlichen Werte angeht, denn sie sind die Urheber und Förderer des Phänomens Tourismus: „Die Ortsgemeinde ... muß sich ihrer Evangelisierung annehmen, wenn sie haben will, daß christlicher Geist in die lebenswichtigen Nervenknoten eindringt, in denen die Entscheidungen über Planung, Entwicklung und Gestaltung des Tourismus getroffen werden“ (Italienische Bischofskonferenz, Richtlinien für die Seelsorge von Freizeit und Tourismus in Italien, 1980, Nr. 21). 666 REISEN Man wird Laien darauf vorbereiten müssen, sich brüderlich an die Feriengäste zu wenden, um sie in das Leben der kirchlichen Gemeinschaft hereinzunehmen und sie spüren zu lassen, daß sie lebendige Glieder einer Teilkirche sind, die sie mit Zuvorkommenheit liebevoll aufnimmt und versucht, in jeder Hinsicht — von den sakramentalen und kulturellen Aspekten bis hin zu denen der Erholung — zu helfen. Es wird notwendig sein, mit Klarsicht die Vorbereitung von Priestern und Ordensleuten zu durchdenken und zu planen, die fähig sind, den Touristen den religiösen und ethischen Sinn des Lebens nahezubringen. Zu diesem Zweck wird man eine solche Ausbildung und Vorbereitung ausrichten müssen auf die gewissenhafte und verantwortungsvolle Planung der verschiedenen mit dem Tourismus in Zusammenhang stehenden Aktivitäten im Bereich von Organisation, Dienstleistungen und kultureller Angebote sowie auf die Qualifikation entsprechender Initiativen zum Dienst an den geistlichen Bedürfnissen der einzelnen und der Gruppen. Mehr denn je wird es angebracht sein, eine fortlaufende und gut artikulierte Katechese aufzubauen und zu entwickeln, angepaßt an die Sichtweisen und Bedürfnisse der Personen, die in die Fremdenverkehrsorte kommen. Man wird gewissenhaft für eine ausreichende und angemessene Präsenz von Priestern und Ordensleuten sorgen müssen, die sich dem geistlichen Beistand, dem Gespräch mit dem einzelnen, der Glaubensverkündigung in der Predigt und vor allem der Verwaltung des Sakraments der Wiederversöhnung widmen. Es wird nötig sein, daß sich auch die Touristen ihrerseits zur Mitwirkung an der Seelsorgstätigkeit der Gastgemeinde engagiert fühlen. Mit geistiger Aufgeschlossenheit können sie zu Aposteln unter Freunden und Bekannten werden, mit Engagement und Begeisterung an den verschiedenen religiösen Initiativen der Gastgemeinde teilnehmen. Ich möchte an dieser Stelle die Worte wiedergeben, die das Zweite Vatikanische Konzil an die Gläubigen richtet, die aus beruflichen Gründen oder zum Vergnügen auf Reisen sind: „Sie sollen bedenken, daß sie überall auch wandernde Boten Christi sind; sie sollen sich als solche auch in der Tat verhalten“ (AA14). Eine wahrhaft großartige Beschreibung des christlichen Touristen! 5. Ich wollte diese Gedanken und Anregungen hinsichtlich der seelsorglichen Probleme des Tourismus heute bei meiner Pilgerfahrt zur Kirche Gottes im Aostatal besonders betonen, hier in Courmayeur, wo Gottes Schöpferliebe in der feierlichen Majestät dieser Berge, die von seiner Herrlichkeit und seiner grenzenlosen Schönheit zeugen, zu unserer Freude und zu unserer Erhebung eine wunderbare Spur seiner Allmacht hinterlassen hat! Das große Interesse, liebe Brüder und Schwestern,das die Kirche am Phänomen des Tourismus hat, 667 REISEN braucht euch nicht zu wundern. Sie ist nämlich —wie ich bei meiner Begegnung mit den Mitgliedern der Weltorganisation fiir Tourismus in Madrid gesagt habe — „keine geschlossene Gesellschaft... Sie ist Tag für Tag auf dem Weg zur Paru-sie, immer „in der neuen Wirklichkeit des Geistes“ {Rom 7,6). Deshalb will sie dem Menschen dienen, so wie er sich im Kontext der realen, gegenwärtigen Zivilisation darstellt. Um ihn bei den schnellen Veränderungen zu begleiten, ... mit Liebe und in Hoffnung auf ein besseres Morgen, in dem die Völker sich mehr als Brüder erkennen, dank des Friedens, den ein guter Tourismus voraussetzt und fördert“ (An die Weltorganisation fiir Tourismus in Madrid, 2. November 1982: Insegnamenti V/3,1982,1063; DAS 1982, 702). Das ist mein herzlicher und liebevoller Wunsch, den ich an euch alle richte und den ich mit meinem Apostolischen Segen begleite. „Man kann nur geben, was man besitzt“ Ansprache an den Klerus und die Ordensleute in Aosta am 7. September Liebe Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen aus Aosta und dem Aostatal! 1. Das. Gedenken an die Bezwingung des Montblanc vor 200 Jahren, am 8. August 1786, durch Dr. Michel Gabriel Paccard und dem aus dem Tal gebürtigen Jacques Balmat war auch der Grund meines Pastoralbesuches in eurer Stadt. Das historische Datum, das gekennzeichnet ist von der Kühnheit und dem Mut der beiden Pioniere der Alpen, ist mit Recht nicht nur von Italien und Frankreich, sondern von der ganzen internationalen Gemeinschaft gefeiert worden. Auch die Kirche will an dieser Erinnerung teilhaben, indem sie mit den Menschen bei ihren Unternehmungen Seite an Seite geht und sie in ihren Idealen ermutigt. In diesen historischen Rahmen, der allen Bewohnern des Tales soviel zu sagen hat, fügt sich meine heutige Begegnung mit euch gut ein. Ich grüße euch mit großer Freude, liebe Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen, die ihr, von Gott zu völliger Hingabe an ihn und die Seelen berufen, den auserwählten und verantwortlichsten Teil der Kirche bildet. Ich danke euch nicht nur für eure freundliche Aufnahme, sondern vor allem für die Arbeit, die ihr in den Diözesen, in den verschiedenen Bereichen des Apostolats zur Hilfe und nach den Weisungen des Bischofs vollbringt. 668 REISEN Meine Begegnung mit euch will deshalb vor allem ein Ansporn zu immer bewußterem und leidenschaftlicherem Ausharren im Bemühen um eure persönliche Heiligung und im Engagement des Dienstes sein aus der Überzeugung heraus, daß tatsächlich das Evangelium ständig allen Menschen verkündet werden muß und sich die göttliche Gnade der Erleuchtung und Bekehrung, auch wenn sie in Äußerungen und Wirksamkeit stets frei ist, üblicherweise unseres Wirkens und unseres Zeugnisses bedient. 2. Ich möchte die außerordentliche Gelegenheit der Begegnung mit euch in der dem hl. Gratus, dessen liturgisches Fest wir heute begehen, geweihten historischen Kathedrale nutzen und euch einige kurze Betrachtungen vorlegen, die als Programm für eurer Leben und Apostolat dienen können, a) Heute ist vor allem der Einsatz für eine „ständige Weiterbildung“ notwendig. Wenn diese Notwendigkeit auch immer präsent war, so gilt das heute, in dieser so komplexen und anspruchsvollen Gesellschaft, in der wir leben, ganz besonders. Die ständige Weiterbildung schließt vor allem eine theologische Vertiefung ein: der Priester, der Ordensmann, die Schwester sind die „Spezialisten Gottes“! Die im Priesterseminar oder im Noviziat absolvierten Studien können nicht genügen; es ist notwendig, sie ständig auf den neuesten Stand zu bringen; das verlangt der Fortschritt in den biblischen, theologischen, liturgischen Studien. Man muß es sich daher so einrichten, jeden Tag etwas Zeit auf das ernsthafte und methodische Studium zu verwenden unter gebührender Berücksichtigung der offiziellen Dokumente des Lehramtes der Kirche, der authentischen Interpretationen, die über bestimmte Fragen veröffentlicht werden, sowie der Weisungen der Bischofskonferenz. Aus dieser Bereicherung erwächst die Fülle des Gebets in einem lebendigen Kontakt mit Gott, im „Schmecken“ der geistlichen Dinge. Denn das Studium muß von der Bereitschaft des Geistes und des Willens begleitet sein. Die Weiterbildung auf dem Gebiet der Lehre muß von der ständigen Weiterbildung auf asketischem Gebiet begleitet sein: das demütige und innige Gebet muß diesen Vorsatz des einzelnen und der Gemeinschaft nähren. Sehr nützlich sind tatsächlich die regelmäßigen Kultur- und Bildungstagungen für den Klerus und die Ordensleute, während derer die Behandlung bestimmter Themen durch zuverlässige und erfahrene Lehrer mit dem liturgischen und gemeinsamen Gebet verbunden wird. Wenn man in dieser Stadt Aosta zu euch spricht, muß man wohl an das Vorbild des hl. Anselm denken, des großen Philosophen und Theologen, der, obwohl er Abt von Bec in Frankreich und Bischof von Canterbury war, nach dem Namen seines Herkunftsortes benannt wird (Anselm aus Aosta). Er war ein tiefgründiger Denker, ein Gelehrter ersten Ranges, 669 REISEN ein überzeugter Verfechter des Wertes der Vernunft bei der Suche nach der Wahrheit und auch ein dynamischer und weitblickender Arbeiter auf pastora-lem Gebiet, aber man muß wohl sagen vor allem ein Mystiker, ein kontemplativer Mensch, eine vom Licht des Glaubens erleuchtete Seele, die sich in den Wechselfällen der Geschichte und des täglichen Lebens und in den Auseinandersetzungen der rationalen Dialektik unaufhörlich in der Glut der Liebe nach Gott sehnte. Das Studium der von Christus geoffenbarten Wahrheiten und die notwendige Weiterführung der verschiedenen damit zusammenhängenden. Fragen sollen zu einem Leben der immer innigeren Gottverbundenheit führen, sollen zur Heiligkeit anspomen und uns die pastorale Sorge immer intensiver spüren lassen. Wir sollten das Gebet des hl. Anselm zu dem unseren machen: „Ich bitte dich, o Gott, laß mich dich erkennen, dich lieben, um Freude an dir zu haben. Und wenn mir das in diesem Leben nicht voll gelingt, laß mich wenigstens von Tag zu Tag Fortschritte machen, bis ich zur Fülle gelange: daß hier meine Erkenntnis von Dir wachse und im anderen Leben ihre volle Erfüllung erreiche“ (Proslogion, 14). Die ständige Weiterbildung ist unbedingt notwendig für die Verkündigung: wenn wir unsere beim Studium erworbenen Kenntnisse nicht auf dem laufenden halten, trocknen wir aus, werden zu leeren Schwätzern, oder — wie der hl. Paulus in anderem Zusammenhang sagte — zu lärmenden Pauken (vgl. 1 Kor 13,1). Dem Problem der Verkündigung, sei es als „Predigt“ im Gottesdienst oder als „Katechese“ und „religiöse Unterweisung“ (Religionsunterricht), kommt heute größte Bedeutung zu: die Gläubigen, Jugendliche und Erwachsene, die Reden zu hören gewohnt sind und zum Nachdenken angehalten werden, wollen vorbereitete und überzeugende Menschen hören, die das, was sie mit ihrer Stimme verkünden, bereits innerlich zur Reife gebracht und gelebt haben. Aber das kann man nur geben, wenn man es besitzt. Zumal in der so sensiblen und anspruchsvollen modernen Welt setzt der grundlegende engagierte Einsatz für die Evangelisierung einen großen inneren Reichtum voraus, der eben auch das Ergebnis ständiger Vorbereitung und Weiterbildung ist. <75> <75> b) Eine zweite Aufforderung, die mir besonders am Herzen liegt, betrifft die „Pastoral des Miteinander“, d. h. die Strategie der Zusammenarbeit für die Ziele der Evangelisierung und der christlichen Gewissensbildung. Das ist ein äußerst aktuelles und zugleich sehr heikles Thema, weil es die Einheit von Absicht und Tun berührt, die die Getauften trotz der Vielheit von Charismen und Methoden, denen Anerkennung und Raum zu gewähren ist, im Auge haben und anstreben müssen. Der konkrete Weg, um dahin zu gelangen, ist in den Weisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils enthalten, das eben deshalb im 670 REISEN Bereich der Diözese den „Priesterrat“ und den „Pastoralrat“ und im Bereich der einzelnen Gemeinden den Gemeinderat gewünscht und gefördert hat. Innerhalb dieser Strukturen sind daher alle aufgerufen, in Form von Anregungen und Vorschlägen ihren Beitrag zu leisten, aber alle sind auch dazu angehalten, Verfügbarkeit, Gemeinschaftsempfinden und Gemeinschaftsgeist dadurch zu beweisen, daß sie etwaige — vorhersehbare — Verzichte im Hinblick auf das größere Wohl der Seelen in Kauf nehmen. Die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums tendiert dahin, Gemeinschaften, Bewegungen, Vereinigungen, die im Raum der Pfarrei bestehen, aufzuwerten, aber diese verschiedenen Beziehungspole innerhalb der legitimen institutionellen Formen zu koordinieren, um die Gemeinschaft zu fördern und den Initiativen Wirksamkeit zu verleihen. Man kann und darf nicht die Instituion dem Charisma entgegensetzen; vielmehr muß man die beiden Wirklichkeiten in der „Pastoral des Miteinander“ zusammenlaufen lassen. Um so notwendiger ist diese grundsätzliche Weisung heute, in der modernen Gesellschaft, wo die verschiedenen herrschenden Ideologien den Schatz des christlichen Glaubens zu zersetzen versuchen und sich die Gläubigen allein und fast an den Rand gedrängt fühlen, obwohl sie Licht der Welt und Salz der Erde sein sollten. Euer Ideal und eure Sorge soll es daher sein, vereint für das Reich Gottes zu arbeiten. 4. c) Schließlich möchte ich euch noch die Familien- und Jugendseelsorge ans Herz legen, mit besonderer Rücksicht auf die Sorge um Berufungen. Man kann sagen, daß die Familie heute das wirklich grundlegende Problem der Seelsorge darstellt. Denn die psycholgischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Familie erfordern eine besondere und ständige Sorge. Sie ist der Mittelpunkt der Kirche und der Gesellschaft und kann nicht eine Zelle für sich, eine getrennte und autonome Monade sein. Sie wird von der äußeren Umgebung beeinflußt und trägt zugleich zu deren Ausrichtung und Qualifizierung bei. Ihr müßt daher mit viel Liebe eure Zeit und Mühe auf die Erziehung der Jugend zur Ehe und auf die Sorge um die Familie verwenden. Wir kennen die sozialen und politischen Faktoren, die sich heute negativ auf die Familien auswirken: die Arbeitslosigkeit, die Wohnungsnot und das Fehlen geeigneter Wohnungen, die zu geringen Gehälter, die von den herrschenden Gewohnheiten verursachte Charakterschwäche, die von den Massenmedien und von den politischen Ereignissen hervorgerufene Unbeständigkeit und Erschütterung und viele andere Elemente legen es nahe, daß wir uns mit äußerstem Einfühlungsvermögen und voll Liebe der Familie zuwenden, um ihr Gottes Willen in bezug auf das Dasein des Mannes und der Frau im Plan der Vorsehung begreiflich und annehmbar machen zu können. Eine treue, ausschließli- 671 REISEN che und hochherzige Liebe setzt ein intensives geistliches Leben, tiefe Überzeugungen in bezug auf die Lehre und eine beherzte Übung der Askese und der Nächstenliebe voraus. In unserer Gesellschaft taucht neben geringwertigen Anreizen mit jedem Tag mehr ein tiefes Bedürfnis nach Sicherheit, ein leidenschaftliches Verlangen nach reiner und beständiger Liebe, eine lebhafte Sehnsucht nach Wahrheit und damit nach Ernsthaftigkeit und Kohärenz auf. Besonders die jungen Menschen fühlen sich enttäuscht von den bloß menschlichen und irdischen Perspektiven und Errungenschaften und spüren die Notwendigkeit fester und sicherer Verankerungen. Die Jugendseelsorge muß gerade dieses innerste Streben des jugendlichen Geistes sorgfältig berücksichtigen und darf sich nicht scheuen, viel zu verlangen. In diesem an geistlichen und kulturellen Spannungen reichen Augenblick der Geschichte erfaßt man den Sinn des Christuswortes in seiner ganzen großartigen Bedeutung: „Wer das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen“ (Mt 10,39). Auch in unserer modernen Zeit läßt der Herr sehr viele Jugendliche und Heranwachsende die wahre Bedeutung des Daseins darin begreifen, daß sie die eigene Heiligung und die Selbsthingabe für die Rettung der anderen ins Auge fassen. Das Ideal des ganz Gott und den Brüdern geweihten Lebens, der Priester- und Ordensberuf, gehören auch heute zum Plan der Vorsehung. Ihr jedoch, liebe Priester und Ordensleute, seid mit eurem Beispiel, mit eurem Gebet und einer methodischen Pastoral für die Berufe, die sich besonders auf die geistliche Führung gründet, die normalerweise vorgesehenen und qualifizierten Werkzeuge dieser Vorsehung. 5. Meine Lieben! Zum Abschied von euch möchte ich noch einmal an die Alpengipfel erinnern, die eure herrliche Region umgeben, die ewigen Gletscher, die gezackten Spitzen, den Montblanc! Da fallen mir die Worte des Psalmisten ein: „Wer darf hinaufziehn zum Berg des Herrn, wer darf stehn an seiner heiligen Stätte? Der reine Hände hat und ein lauteres Herz!“ (Ps 24,3 f.). Die Heiligkeit, nach der wir alle streben müssen, läßt sich in der Tat mit einem unwegsamen Berggipfel vergleichen, der jeden Tag den Einsatz des harten und mühsamen Aufstiegs erfordert. Laßt euch nicht entmutigen, helft euch gegenseitig, nehmt euren täglichen Weg mit Freude und Hochherzigkeit wieder auf, stärkt die geistlichen Kräfte im Gebet und in der Eucharistie, blickt immer nach oben, zum Gipfel, in der Gewißheit, daß ihr ihn mit Hilfe des Herrn erklimmen werdet! Und vertraut auf die seligste Jungfrau Maria, unsere himmlische Mutter, die uns stützt und tröstet. Es begleite euch mein Apostolischer Segen, den ich euch nun von Herzen erteile und in den ich eure Mitbrüder und eure Mitschwestem herzlich einschließe. 672 5. Pastoralbesuch in Frankreich (4. bis 7. Oktober) REISEN „Frankreich ist mir besonders nahe“ Ansprache an den Präsidenten der Republik Frankreich, Frangois Mitterand, auf dem Flughafen von Lyon am 4. Oktober Herr Präsident! 1. Für Ihren Willkommensgruß danke ich Ihnen. Es hat mich zutiefst bewegt, daß Sie persönlich gekommen sind, um mich erneut auf dem Boden Frankreichs zu begrüßen. Die Ehrerbietung, die ich Ihnen bezeuge, gilt der Persönlichkeit, die die Souveränität des Landes verkörpert und auf der die schwere Bürde lastet, sein Geschick in dieser schwierigen Stunde zu lenken; meine Ehrerbietung gilt der ganzen französischen Nation. Mit Ihnen danke ich allen, die diese Reise mit Sorgfalt - um die ich sehr wohl weiß - vorbereitet haben, wobei auch der wertvollen Zusammenarbeit zwischen den Vertretern der Zivilverwaltung und der Kirche gedacht werden muß. Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich auch meine Mitbrüder im Bischofsamt begrüße, die mich mit Ihrer Zustimmung eingeladen haben und gekommen sind, um mich hier zu empfangen; vor allem möchte ich Kardinal Albert Decourtray begrüßen, den hiesigen Erzbischof; Bischof Jean Vilnet, den Vorsitzenden der Französischen Bischofskonferenz, mit den französischen Kardinälen, den Kardinälen und Prälaten anderer Länder, den Bischöfen dieser Region und vor allem Bischof Matagrin, dessen Diözese ganz in der Nähe gelegen ist. Wir werden noch viele andere Gelegenheiten zum Kontakt mit ihnen und den katholischen Gläubigen dieses Landes haben. <76> <76> Hier, zu Beginn meiner Pastoraireise, wenden sich meine Gedanken dem gesamten französischen Volk zu. Ich bin sicher, daß es die wahre Tragweite meines Besuches versteht, auch wenn er direkt nur jene betrifft, die den christlichen Glauben teilen. Der Bischof von Rom trägt die Sorge um alle Kirchen, er kommt, um seine Brüder in ihrem Glauben zu stärken und ihr Zeugnis entgegenzunehmen, in einem erfreulichen und fruchtbaren Austausch. Er hat auch eine weltumspannende Mission als Bote des Friedens zu erfüllen, die fast alle Länder anerkennen. In Italien besuche ich eine Provinz nach der anderen. In den anderen Ländern mache ich für gewöhnlich nur einen längeren Besuch. Man kann wohl sagen, daß Frankreich besonders nahe 674 REISEN ist, da ich die Freude habe, nun zum dritten Mal herzukommen! Heute bin ich hier, um mehrere große Heilige zu ehren und einige Wallfahrtsorte zu besuchen. Es handelt sich dabei um Zeichen, die meiner spirituellen Mission eigen sind. 3. Es ist mir bekannt, daß die Geschichte, die kulturellen Reichtümer und die gegenwärtige Dynamik Frankreichs auch auf zahlreichen anderen Gebieten zum Ausdruck kommen. Frankreich ist ein großes Land mit einer ruhmreichen Geschichte, die auch anderen Nationen wohlbekannt ist, besonders meinem Heimatland Polen. Sein heutiger Platz in der Welt kommt einer bedeutsamen Rolle im internationalen Leben gleich. Man zählt auf den weitgespannten und realistischen Blick Frankreichs, um Spannungen zu entschärfen, die Gerechtigkeit zu fördern, den Frieden zu stärken und mit den Ländern der Dritten Welt eine besonders nützliche Zusammenarbeit zu entwik-keln, in Ehren und in Gerechtigkeit. Es betrübt uns ganz besonders, die Angriffe auf den Frieden zu beobachten, denen Frankreich gegenwärtig ausgesetzt ist, im eigenen Land oder anderswo. Frankreich verfügt auch - und vielleicht in erster Linie - über eine große kulturelle Tradition, die zahlreiche literarische, künstlerische und architektonische Meisterwerke hervorgebracht hat, auf dem eigenen Boden und anderswo, und die vor allem die Gedankenwelt mit einer besonderen, um Klarheit, Ausgeglichenheit und Subtilität bemühten Dynamik bereichert hat. Wie könnte man nicht wünschen, daß Frankreich weiterhin in reichem Ausmaß für diesen Genius Zeugnis ablegt, im Zusammenspiel mit dem anderer Zivilisationen, einem Katalysator gleich, im Geist der Aufgeschlossenheit und der Brüderlichkeit? 4. Aber ich bin der Meinung, daß diese kulturelle Tradition und selbst ihre Wurzel an eine spirituelle Tradition gebunden ist, die Frucht des Glaubens eines ganzen Volkes, das seine Kathedralen gebaut, seine mystischen Werke hervorgebracht, zahllose Initiativen der Nächstenliebe ergriffen und eine heldenhafte Missionstätigkeit unternommen oder, einfacher gesagt, Tag für Tag die Seele eurer Landsleute geformt hat, mit ihren Tugenden des Glaubens, der Ausdauer in der Prüfung, der Freiheit, der Selbsthingabe, der Vergebung. Die Heiligen haben viel zu dieser Beseelung beigetragen. Sie waren wie Leuchten, welche den Weg vorzeichnen. Bernanos sagte: „Die Heiligen besitzen den Genius der Liebe“, und der unvergeßliche Pascal, der zugleich ein wissenschaftliches, literarisches und spirituelles Genie war, hatte behauptet: „Aus keinem Leib oder 675 REISEN Geist kann man eine Bewegung wahrer Liebe hervorbringen; diese gehört einer anderen Ordnung an.“ 5. Diese Liebe ist für uns, die Glaubenden, in der Liebe Gottes verwurzelt. Dem Mitmenschen gegenüber ist sie zu immer neuen und kühnen Verwirklichungen fähig, wie das beim Pfarrer von Ars der Fall war oder bei Pater Chevrier den Arbeitern von Lyon gegenüber oder bei Franz von Sales im Chablais zur Zeit der Religionskriege. Diese Liebe sucht nach Gerechtigkeit, Duldsamkeit, Freiheit und Achtung vor dem Gewissen und dem Leben der Mitmenschen. Sie ist der Weg zum wahren Frieden. Wir glauben, daß wir sie heute alle sehr notwendig haben: in den Familien; in den Stadtvierteln, in denen Menschen sehr verschiedener Herkunft nebeneinander leben; in den Betrieben, in denen die Interessen aufeinanderprallen; zwischen den reichen und den armen Nationen und unter den verschiedenen Völkern der Erde, die Sie, Herr Präsident, selbst von einer Himmelsrichtung zur anderen besuchen. Das ist meine Botschaft an Ihr Land, an die katholischen Gläubigen und an alle, die in Freiheit auf sie hören wollen. Ich kann nicht über die zu unternehmenden mutigen Anstrengungen und über die ethischen Werte hinwegsehen, die es zu fördern oder wiederherzustellen gilt. Der Weg, der zu Glück und zu Gemeinwohl führt, ist kein leichter. Wer in der Gesellschaft eine Verantwortung trägt, weiß das sehr wohl. Das Wesentliche ist jedoch, die Freude am Guten zu vermitteln, die Triebfeder der Liebe, die Freude am Frieden und die Hoffnung. Ich hoffe, daß meine Pilgerfahrt nach Lyon, Taize, Paray-le-Monial, Ars und Annecy dank der Aufnahme von seiten des französischen Volkes dazu beitragen wird. Möge Gott Frankreich segnen und ihm den Frieden erhalten! Herr Präsident, ich danke Ihnen nochmals und spreche meine besten Wünsche für Sie selbst und für Ihr geliebtes Land aus. 676 REISEN „Was macht ihr aus dem Erbe eurer ruhmreichen Märtyrer?“ Ansprache beim ökumenischen Gebetstreffen im „Amphitheater der drei Gallier“ zu Lyon am 4. Oktober Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Ihr hattet den Wunsch, daß mein Pastoralbesuch in dieser Region Frankreichs mit diesem Gebetstreffen beginnt, hier an diesem symbolträchtigen Platz, wo im Jahr 177 eine bedeutsame Gruppe von Christen schreckliche Foltern erlitt und schließlich den Tod, um ihren Glauben an Jesus Christus zu bezeugen. Dieses Zeugnis und dieses Opfer eurer ersten Märtyrer gehört allen Christen und allen Kirchen, wie vorhin mein Mitbruder Kardinal Decourtray gesagt hat. Ich bin euch dankbar, daß ihr mir die Gelegenheit gebt, über dieses gemeinsame Erbe zu meditieren und mit euch zu beten, daß wir würdige Nachfolger dieser großen Zeugen Christi werden. „Ich bin Christ“, antwortete schlicht und fest einer dieser Märtyrer, der Diakon Sanctus, seinen Henkern. Und „diese Aussage stand bei ihm für den Namen, die Stadt, die Rasse, für alles“, präzisiert uns der Brief der Christen von Lyon und Vienne (Eusebius, Kirchengeschichte, V, I, 20). Auch wir sind Christen, und unser ganzes gegenwärtiges und zukünftiges Dasein, unsere ganze Berufung, unsere ganze Sendung beruhen auf diesem Namen. Wir sind Christen, daß heißt, wir gehören zu Christus. In ihm hat uns der Gott aller Gnade berufen (vgl. 1 Petr 5,10), „durch seine Gnade glauben wir gerettet zu werden“ (Apg 15,11), „durch seinen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen“ (1 Kor 12,13). Er hat uns in die ganze Welt gesandt, sein Evangelium allen Geschöpfen zu verkünden (vgl. Mk 16,15). Die Märtyrer von Lyon und Vienne waren sich voll bewußt, daß der Name Christ diesen außerordentlichen Reichtum und diese große Verantwortung bedeutet. Sie wollten den nicht verleugnen, der ihnen sein Leben mitgeteilt und sie aufgefordert hatte, seine Zeugen zu sein. Wir wissen, daß es auch heute sehr viele gibt, und in allen Teilen der Welt, die Schmach, Bann und selbst Folter ertragen müssen, wegen ihrer Treue zum christlichen Glauben. In ihnen offenbart Christus seine Macht. Die Märtyrer von gestern und die Märtyrer von heute umstehen uns und helfen uns, damit auch wir unsere Augen auf Jesus heften, den „Urheber und Vollender unseres Glaubens“ (Hebr 12,2). 677 REISEN 2. Christen von Lyon, von Vienne, von Frankreich, was macht ihr aus dem Erbe eurer ruhmreichen Märtyrer? Gewiß, ihr werdet heute nicht mehr wilden Tieren vorgeworfen, man versucht nicht mehr, euch um Christi Willen zu töten. Aber muß man nicht zugeben, daß eine andere Form der Prüfung die Christen heimlich beschleicht? Denkströmungen, Lebensstile und manchmal auch Gesetze, die dem wirklichen Empfinden der Menschen und Gottes widersprechen, bedrohen den christlichen Glauben im Leben der Individuen, der Familien und der Gesellschaft. Die Christen werden nicht mißhandelt, sie erfreuen sich sogar aller Freiheiten, aber besteht nicht das Risiko, daß sie ihren Glauben durch eine Umgebung beengt sehen, die versucht, ihn in den Bereich des individuellen Privatlebens zu verweisen? Ist die massive Indifferenz vieler gegenüber dem Evangelium und dem verpflichteten sittlichen Verhalten nicht eine Art, nach und nach den Götzen des Egoismus, des Luxus, der Unterhaltung und des Vergnügens um jeden Preis und ohne Ende zu opfern? Diese Form des Zwangs oder der Verführung kann die Seele töten, ohne den Leib anzugreifen. Der Geist des Bösen, der die Märtyrer angriff, ist noch immer am Werk. Er versucht, mit anderen Mitteln den Glauben zu zerstören. Christen von Lyon und Frankreich, laßt euch nicht von ihm ergreifen! Was tut ihr in einer Welt, die dem Menschen alle Möglichkeiten der wahren Freiheit und der geistigen Entfaltung bietet, die unermeßlichen Fortschritt im Dienst des Menschen verwirklicht hat, was tut ihr, um die Götzen von heute zu entlarven und euch von ihnen zu befreien? Könntet ihr doch immer Unterscheidungsvermögen und Mut zum Glauben haben! Ihr habt eine gemeinsame Aufgabe zu erfüllen. Ein und dieselbe Taufe hat euch in Christus geheiligt. In der Treue zu seinem Wort und ohne etwas getrennt zu tun, was ihr gemeinsam tun könnt, um auf die Bedürfnisse des heutigen Menschen zu antworten, „bleibt fest im Glauben“ (1 Petr 5,9). <77> <77> Auf dem Weg zur vollen Gemeinschaft der Jünger Christi ist die ökumenische Arbeit der Christen von Lyon, der von gestern und der von heute, in ihren verschiedenen Realisationen wohlbekannt und wurde von Seiner Exzellenz Bischof Zakarian erwähnt. Der Weg unserer Kirchen zur Einheit überwindet immer neue Etappen. Aber für viele, besonders für die junge Generation, ist dieser Weg zu langsam, zu langsam für Christus, der die Einheit will, „damit die Welt glaubt“ (Joh 17,21). Miteinander einen gemeinsamen Ausdruck des Glaubens finden, der auf der organischen Einheit der Christen basiert, das verlangt sicher viel Arbeit, Unterscheidungsvermögen, Austausch, also auch viel Zeit. Und jetzt, wo wir 678 REISEN gegenseitiges Vertrauen wiedergefunden haben und schon eine gewisse Zusammenarbeit zwischen unseren Kirchen und christlichen Gemeinschaften, sehen wir besser, was uns noch trennt. Das sind oft die heiklen und wichtigen Punkte, die unsere eigene Weise, das Wort Gottes zu verstehen, berühren; das uns „anvertraute kostbare Gut“ zu lehren (vgl. 2 Tim 1,14), zu hören, „was der Geist zu den Gemeinden spricht“ (Offb 3,22), die Mysterien des Glaubens zu leben, das Wesen und die Rolle der Kirche zu erfassen. Die ökumenische Bewegung ist eine Frucht des Heiligen Geistes. Man darf sie nicht zurückdrehen, nicht aufhalten. Die Verantwortlichen der Kirche und die Theologen tragen beide auf ihrer Seite schwere Verantwortung dafür, daß die Hindernisse auf dem Weg zur vollen Gemeinschaft ausgeräumt werden. Gleichzeitig müssen sie darüber wachen, daß diese in echter Weise dem wahren Plan Christi für seine Kirche entspricht, in Achtung vor dem berechtigten Unterschied der Gebräuche, der Kulturen und dem geistlichen Empfinden, was der große Bischof Irenäus im Einklang sah mit der notwendigen Einheit des Glaubens und der Kirchen. Als Bischof von Rom und Nachfolger des Petrus bin ich mir voll bewußt, zum Dienst an der Einheit des Glaubens und der Liebe verpflichtet zu sein. Aber besteht nicht die Gefahr, daß die Fortschritte, die auf der Ebene der höchsten Verantwortung erreicht wurden, ohne Wirkung bleiben, weil sie vom christlichen Volk ungenügend verstanden und erfahren werden? Wir müssen unaufhörlich den Heiligen Geist bitten, daß er in uns allen die Einsichten, den Mut und die demütige Bereitschaft weckt, die wir brauchen, um mit Klugheit und Vertrauen im Leben unserer Pfarreien und all unserer Gemeinschaften die schon verwirklichte Vertiefung durchzusetzen. Es geht darum, diese Fortschritte in voller Loyalität, ohne sie mit dem Ziel zu verwechseln, in die Praxis umzusetzen. Sonst würden wir Gefahr laufen, auf unserem Weg stehen zu bleiben, statt uns anzustacheln, auf ihm weiterzugehen. All das trennt uns in keiner Weise vom Dienst am Menschen. Im Gegenteil, die Christen müssen, wenn sie sich bei der Suche nach einem gemeinsamen Ausdruck des Glaubens näherkommen, aus ihm neue Impulse für die Gerechtigkeit und den Frieden schöpfen, für die Achtung und die Würde jedes Menschen. Es ist in der Kirche von Lyon nicht notwendig, auf diesen Aspekt hinzuweisen, wo die Sorge für die Ärmsten schon immer und auch heute wunderbare Initiativen geweckt hat. 4. Aber bei der Sache der Einheit wie bei allem anderen ist es unerläßlich, immer dem Wirken der göttlichen Gnade zu entsprechen. Geistlicher 679 REISEN Ökumenismus des Gebets und der Umkehr des Herzens: das ist die Leitstraße, der verpflichtende Weg, die Grundlage des ganzen Ökumenismus. Die katholische Kirche hat das klar in ihrem Konzilsdekret Unitatis redintegratio unterstrichen (Nr. 8). Denn sie hat sich die wunderbare Einsicht des P. Paul Couturier, des Apostels der Einheit der Christen, zu eigen gemacht, der vor genau 80 Jahren zum Priester der Diözese Lyon geweiht wurde. Ich erinnere daran, daß die Gebetswoche für die Einheit auf ihn zurückgreift und daß auf seine Initiative hin die „Groupe des Dombes“ entstanden ist, die seit ca. 50 Jahren, immer vom Geist des Gebets und der Versöhnung bestimmt, Austausch und Initiativen fördert, die Linien der Konvergenz bei unserer Suche nach der Einheit im Glauben zu öffnen. Abbe Couturier wollte für die ganze Kirche die Früchte der kostbaren Erbschaft, die die Märtyrer von Lyon und Vienne ihrer Kirche hinterlassen haben: „Sie gingen zu Gott im Frieden, ohne ihrer Mutter (der Kirche) Unruhe zu hinterlassen oder Gründe zum Zwiespalt oder Konflikt unter ihren Brüdern, sondern im Gegenteil Freude, Frieden, Eintracht und Liebe“ (Eusebius, Kirchengesch. V,II, 7). Gestärkt durch das ruhmreiche Zeugnis derer, die hier ihr Leben für Christus hingegeben haben, wollen wir uns im gleichen Gebet vereinen. Bitten wir im besonderen den Herrn, daß sich - in der schönen Formel von Abbe Couturier — die sichtbare Einheit aller Christen verwirkliche, die, „die Christus wollte und durch die Mittel, die er wollte“. Wie wir vom Erlöser gehört haben und nach seiner Weisung wagen wir zu sprechen: „Vater unser ..." „Mögen für einen Tag alle Waffen schweigen!“ Appell für einen Waffenstillstand am 27. Oktober während der ökumenischen Feier in Lyon am 4. Oktober Brüder und Schwestern in Christus, Ihr wißt alle, daß am 27. dieses Monats auf meine Einladung hin in Assisi ein ökumenischer und interreligiöser Gebetstag für den Frieden stattfinden wird. Die Verantwortlichen eurer Kirchen und christlichen Gemeinschaften sowie die einer großen Zahl anderer Religionen haben sich schon positiv zu dieser Initiative geäußert. 680 REISEN Unser gemeinsames Gebet miteinander für eine friedliche Zukunft der Menschheit wird um so mehr Frucht bringen, wenn diejenigen, die heute in Kriegshandlungen verwickelt sind, sich aktiv an dieser Initiative beteiligen wollen. Ja wenn die politischen und militärischen Führer der Nationen und Gruppierungen, die in bewaffneten Konflikten stehen, in einer bedeutungsvollen Geste die flehentlichen Gebete fast aller religiösen Kräfte der Welt unterstützen könnten, würden sie erkennen, daß auch für sie die Gewalt nicht das letzte Wort in den Beziehungen zwischen den Menschen und den Nationen hat. Deshalb möchte ich heute am Fest des hl. Franziskus - Apostel des Friedens des Evangeliums - von hier aus, der Stadt Lyon, zum Abschluß unseres ökumenischen Gottesdienstes feierlich einen leidenschaftlichen und eindringlichen Appell an alle konfliktbeteiligten Parteien in der Welt richten, daß sie wenigstens während des ganzen Gebetstages am 27. Oktober einen vollständigen Waffenstillstand ein-halten. Mit Zuversicht rufe ich hierzu auf, weil ich an den Wert und die geistige Wirksamkeit von Zeichen glaube. Der Waffenstillstand des 27. Oktober möge für alle Parteien, die an Konflikten beteiligt sind, eine Anregung sein, sich zu besinnen oder weiter nachzudenken über die Motive, die sie dazu veranlassen, mit Gewalt und all dem damit einhergehenden menschlichen Elend das erreichen zu wollen, was sie durch ehrliche Verhandlungen und den Rückgriff auf andere Mittel, die die Rechtsordnung vorsieht, erreichen könnten. Ich wende mich mit diesem Appell auch an diejenigen, die versuchen, ihre Ziele durch terroristische Methoden oder andere Formen der Gewalt zu erreichen. Mögen sie bald zu Gefühlen der Menschlichkeit zurückkehren! Könnten doch diese Personen und ihre Hintermänner, könnten doch alle Völker und die im Krieg befindlichen Gruppen den Ruf Gottes an ihr Gewissen vernehmen, sich im Hinblick auf diese Bereitschaft religiöser Menschen und in Übereinstimmung mit der Friedenssehnsucht aller Menschen denen anzuschließen, die beten, und durch ihre Beteiligung am totalen Waffenstillstand des 27. Oktober bezeugen, daß in ihnen der Wunsch lebendig ist, baldmöglichst zur Ehre Gottes und im Interesse des Friedens für die Menschen der Waffengewalt ein Ende zu setzen. 681 REISEN „Priester, Apostel, Diener der Armen“ Predigt bei der Seligsprechung des Franziskaners Antoine Chevrier am 4. Oktober in Lyon 1. „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast“ {Mt 11,25). Diese Worte sind zum ersten Mal von Jesus von Nazaret, Sohn Israels, Nachkomme Davids, Sohn Gottes, gesprochen worden; sie stellten eine grundlegende Wende in der Geschichte der Offenbarung Gottes an den Menschen, in der Geschichte der Religion, in der geistlichen Geschichte der Menschheit dar. Damals hat Jesus Gott als Vater und sich selbst als Sohn, gleichen Wesens mit dem Vater, geoffenbart: „Niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ {Mt 11,27). Ja, der Sohn, der, „vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude“ {Lk 10,21) diese Worte spricht, offenbart durch sie den Vater den „Kleinen“. Denn bei ihnen fühlt sich der Vater wohl. <78> <78> Liebe Brüder und Schwestern aus Lyon und anderen Diözesen Frankreichs, wir kommen heute tief ergriffen auf diese Worte Christi zurück. Sie gewinnen eine neue Aktualität, denn wir haben die Gestalt eines Priesters vor Augen, der in der Kirche des 19. Jahrhunderts aufs engste mit dieser Stadt verbunden war: Pater Antoine Chevrier. Ich kann ihn heute hier in Lyon, unter euch, seligsprechen, und darüber freue ich mich sehr. Heute feiert die Universalkirche das Fest des hl. Franz von Assisi: Er hatte auch ihm seine Freude vermittelt, Christus in der größten Armut und Demut zu folgen; im 13. Jahrhundert hatte er seinen Zeitgenossen zur Wiederentdeckung des Evangeliums verholfen. Pater Chevrier war ein glühender Bewunderer des „Poverello“ aus Assisi; er gehörte dem Dritten Orden der Franziskaner an. In seinem Sterbezimmer kann man eine Statuette des hl. Franziskus und eine des hl. Jean-Marie Vianney sehen, bei dem er sich 1867 in Ars Rat holte, als er sich als junger Priester fragte, wie er den Weg der Armut, den ihm das Geheimnis der Krippe nahelegte, gehen sollte. Ihr wißt, daß ich in Ars die zweihundertste Wiederkehr des Geburtstages des heiligen Pfarrers feiern werde. Diese drei Heiligen haben das eine gemeinsam: Sie gehören zu diesen „Kleinen“, diesen „Armen“, „Sanftmütigen und Demütigen“, an denen 682 REISEN der Vater im Himmel seine volle Freude gefunden hat und denen Christus das unergründliche Geheimnis Gottes enthüllt hat, indem er ihnen gewährte, den Vater zu kennen, wie nur der Sohn ihn kennt, und zugleich ihn selbst, ihn, den Sohn, zu kennen, wie nur der Vater ihn kennt. Mit Jesus loben und preisen daher auch wir Gott für diese drei bewundernswerten Heiligengestalten. Sie waren von derselben leidenschaftlichen Gottesliebe beseelt und lebten in einer vergleichbaren strengen Bescheidenheit, aber jeder mit seinem eigenen Charisma. Der hl. Franz von Assisi hat als Diakon mit seinen Gefährten im Herzen des Volkes italienischer Städte die Liebe zu Christus geweckt. Der Pfarrer von Ars hat, allein mit Gott in seiner Landkirche, das Gewissen seiner Pfarrkinder und unübersehbarer Menschenmassen wachgerüttelt, indem er ihnen Gottes Vergebung anbot. Pater Chevrier, Weltpriester im städtischen Milieu, war zusammen mit seinen Mitbrüdern der Apostel der ärmsten Arbeiterviertel am Stadtrand von Lyon, als gerade die Großindustrie im Entstehen war. Und diese missionarische Sorge hat ihn denn auch dazu bewogen, auf der Suche nach der Heiligkeit einen radikalen am Evangelium orientierten Lebensstil anzunehmen. Sehen wir uns Antoine Chevrier genauer an: Er ist einer dieser „Kleinen“, die nicht mit den „Weisen“ und „Klugen“ seines und anderer Jahrhunderte verglichen werden können. Er stellt eine Kategorie für sich dar, er besitzt Größe im Sinn des Evangeliums. Seine Größe zeigt sich gerade in dem, was man seine Kleinheit oder seine Armut nennen kann. Während er bescheiden und mit den ärmsten Mitteln lebt, ist er Zeuge des in Gott verborgenen Geheimnisses, Zeuge der Liebe, die Gott den Massen der ihm ähnlichen „Kleinen“ entgegenbringt. Er war ihr Diener, ihr Apostel. Für sie war er der „Priester nach dem Evangelium“, um den ersten Titel seiner Predigtsammlung über „den wahren Jünger Jesu Christi“ aufzugreifen. Für die zahlreichen hier anwesenden Priester, begonnen von denen des „Prado“, den er gegründet hat, ist diese Sammlung ein unvergleichlicher Führer. Aber auch alle christlichen Laien, die diese Versammlung bilden, werden in ihm ein großes Licht finden, weil er jedem Getauften zeigt, wie die Frohbotschaft den Armen verkündet und wie Jesus Christus durch seine eigene Existenz gegenwärtig gemacht werden soll. <79> <79> Apostel, genau das ist es, was Pater Chevrier sein wollte, als er sich auf den Priesterberuf vorbereitete. „Jesus Christus ist der Gesandte des Vaters; der Priester ist der Gesandte Jesu Christi“. Die Armen haben 683 REISEN selbst seinen Wunsch, sie zu evangelisieren, geweckt. Aber es ist Jesus Christus, der ihn „ergriffen“ hat. Die Meditation vor der Krippe an Weihnachten 1856 hat ihn bis ins Innerste aufgewühlt. Von da an würde er sich bemühen, ihn immer besser kennenzulernen, sein Jünger zu werden, sich an ihn zu halten, um ihn besser den Armen verkündigen zu können. Er erlebt insbesondere die Erfahrung des Apostels Paulus, dessen Zeugnis ihr gerade gehört habt: „Doch was mir damals ein Gewinn war, das habe ich um Christi willen als Verlust erkannt. Ja noch mehr: Ich sehe alles als Verlust an, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles übertrifft“ (Phil 3,7f.). Welcher Radikalismus liegt in diesen Worten! Das aber kennzeichnet den Apostel. In Christus, „in der innigen Verbundenheit mit seinen Leiden“ und „in der Erfahrung der Kraft seiner Auferstehung“, findet er die göttliche „Gerechtigkeit“, die der sündenverfallenen Menschheit, die jedem Menschen als Gabe der Rechtfertigung und der Wiederversöhnung mit dem unendlich heiligen Gott angeboten wird. : Der Apostel ist also ein Mann, der „von Jesus Christus ergriffen wurde“. Der Apostel vertraut absolut darauf, daß er, weil ihn der Tod Christi prägt, auch zur Auferstehung von den Toten gelangen wird (vgl. Phil 3,10 f.). Er ist also ein Mann mit einer eschatologischen Hoffnung, die sich durch den Heilsdienst, den er für die anderen vollbringt, in die Hoffnung jedes Tages, in ein Programm des täglichen Lebens umsetzt. Pater Chevrier setzt alle Anstrengungen daran, um diese Kenntnis von Jesus Christus zu erreichen, um Christus besser zu ergreifen, so wie er von ihm ergriffen worden ist. Er meditiert unablässig über das Evangelium; er schreibt tausende Seiten Kommentare, um seinen Freunden zu helfen, selbst wahre Jünger zu werden. „Wir müssen den armen Jesus Christus in der Krippe darstellen, den in seiner Passion leidenden Jesus Christus, Jesus Christus, der sich in der heiligen Eucharistie als Speise verzehren läßt“ {Le veritable disciple, Der wahre Jünger, Prado, Editions Librairie, Lyon 1968, 10). Und weiter: „Die Kenntnis Jesu Christi ist der Schlüssel zu allem. Gott und seinen Christus kennen, das ist der ganze Mensch, der ganze Priester, der ganze Heilige“ {Brief an seine Seminaristen, 1875). Und hier das Gebet, das seine Betrachtung krönt: „O Wort! O Christus! Wie seid ihr schön! Wie seid ihr groß!... Macht, daß ich euch erkenne und euch liebe, ihr seid mein Herr und mein einziger Meister“ {V.D., 108). Eine solche Kenntnis ist eine Gnade des Heiligen Geistes. Seitdem steht Pater Chevrier vollständig für das Werk Christi zur Verfügung: „Jesus Christus kennen, für Jesus Christus arbeiten, für Jesus 684 REISEN Christus sterben“ (Briefe, 89). „Herr, wenn ihr einen Armen braucht einen Narren, hier bin ich..., um euren Willen zu tun. Ich stehe zu eurer Verfügung. Tuus sum ego“ ( V.D., 122). 4. Der Psalm der heutigen Liturgie vermittelt gut die Gefühle des Apostels, der sich von Jesus Christus hat ergreifen lassen: „Deine Gerechtigkeit verberge ich nicht im Herzen... Alle, die dich suchen, frohlocken; sie mögen sich freuen in dir“ (Ps 40,11.17). „Herr Jesus, deine Liebe hat mich ergriffen: Ich will allen meinen Brüdern deinen Namen verkünden“ (alte Antiphon). Pater Chevrier hat sich vom Dienst an den anderen voll in Anspruch nehmen lassen. Seine Brüder sind in erster: Linie die Armen, die Obdachlosen, denen er nach dem Willen des Herrn 1856 in dem überschwemmten Stadtviertel La Guillotiere begegnete. Das sind die Kinder der Stadt des Jesuskindes, mit denen ihn Camille Rambaud, ein Laie, bekanntgemacht hat. Das sind jene, die er zusammen mit anderen Älteren in dem Saal des Prado aufgenommen hat, Menschen, die keine Schule besucht und keine Glaubensunterweisung erhalten hatten, die nirgendwo anders die Vorbereitung auf die Erstkommunion machen konnten. Sie waren manchmal verlassen, wurden oft verachtet und ausgebeutet; sie wurden, wie er sagte, zu „Arbeitsmaschinen, dazu gemacht, ihren Arbeitgebern zu Reichtum zu verhelfen“ (Predigten, Ms III, 12). Dazu gehören auch noch alle Gruppen von Elenden, Armen, Ausgestoßenen, die sich bewußt sind, „daß sie nichts besitzen, nichts wissen, nichts gelten“. Die Kranken, die Sünder gehören auch zu diesen Armen. Warum fühlt sich Pater Chevrier besonders zu denen hingezogen, die er nach Art des Evangeliums „die Armen“ nennt? Ihm ist ihr menschliches Elend zutiefst bewußt, und er sieht zugleich den Graben, der sie von der Kirche trennt. Er spürt für sie die Liebe und Zärtlichkeit Jesu Christi. Durch ihn scheint Christus selbst zu seinen Zeitgenossen zu sagen: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht“ (Mf 11,28—30). Pater Chevrier weiß, daß Jesus dies als erstes Zeichen des Himmelreiches gegeben hat: Die Frohbotschaft wird den Armen verkündet (vgl. Lk 3,18; Mt 11,15). Er hat selbst festgestellt, daß die Armen, die das Evangelium empfangen, sehr oft bei anderen die Einsicht in Liebe zu diesem Evangelium erneuern. Der Herr hat ihm wahrhaftig ein besonderes Charisma verliehen, um zum Nächsten der 685 REISEN Armen zu werden. Und durch ihn hat Christus diese Stadt und das Frankreich des 19. Jahrhunderts seine Seligpreisungen wieder hören lassen; durch diesen Seligen sagt uns Christus heute wieder: „Selig, die arm sind vor Gott. . . Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit . . . Selig die Barmherzigen“ (Mt 5,3.6.7)! Sicher sollen und müssen alle Schichten evangelisiert werden, die Reichen wie die Armen, die Klugen wie die Unwissenden. Niemand darf Gegenstand eines mangelnden Verständnisses, mangelnder Sorgfalt, schon gar nicht einer Geringschätzung von seiten der Kirche sein. Alle sind in gewissem Sinne Arme vor Gott. Aber unter den Umständen, in denen Pater Chevrier gelebt hat, war der Dienst an den Armen ein notwendiges Zeugnis, und das ist heute überall der Fall, wo man der Armut begegnet. Das gilt für die unzähligen Apostel, die im Laufe der Geschichte das verwirklicht haben, was wir heute die „bevorzugte Option für die Armen“ nennen. Pater Chevrier betrachtet sie mit dem Blick des Evangeliums, er achtet sie und hebt sie im Glauben. Er findet Christus in den Armen und zugleich die Armen in Christus. Er idealisiert sie nicht, er kennt ihre Grenzen und Schwächen; er weiß im übrigen, daß sie Liebe und Gerechtigkeit entbehren mußten. Er hat das Gefühl für die Würde jedes Menschen, ob reich oder arm. Er will das Wohl, das Heil für einen jeden von ihnen: Die Liebe will erlösen. Sein Respekt vor den Armen drängt ihn dazu, sich zu ihresgleichen zu machen, unter ihnen zu leben, wie Christus es getan hat; manchmal mit ihnen zu arbeiten; mit ihnen Zu sterben. Er hofft, daß die Armen so begreifen werden, daß sie von Gott, der sie liebt wie ein Vater, nicht verlassen sind (vgl. V. D., 63). Für sich selbst macht er folgende Erfahrung: „In der Armut findet der Priester seine Kraft, seine Stärke, seine Freiheit“ (V. D., 519). Der Traum Pater Chevriers ist es, arme Priester auszubilden, die zu den Armen zurückkehren sollen. 5. Heute bitten wir den seligen Antoine Chevrier, uns immer mehr die Achtung vor und die Sorge des Evangeliums für die Armen zu lehren. Liebe Brüder und Schwestern, ihr wißt, wer diese Armen in unserer heutigen Welt sind. Es sind alle jene, denen es an Brot fehlt, aber auch jene, die ohne Arbeit, ohne Verantwortlichkeiten sind, deren Würde nicht beachtet wird, auch jene, die nichts von Gott wissen. Hier ist nicht mehr allein die Welt der Arbeiter betroffen, sondern viele andere Schichten. In einer totalen Konsumgesellschaft gibt es paradoxerweise „neue Arme“, die nicht über das „soziale Minimum“ verfügen. Es gibt die Menge derer, die unter der Arbeitslosigkeit leiden, Jugendliche, die keinen Arbeitsplatz 686 REISEN finden, oder Personen reiferen Alters, die ihn verloren haben. Ich weiß, daß es vielen von euch, besonders in den Jugendbewegungen, ein Herzensanliegen ist, ihnen wirksame Hilfe zu leisten. Wir denken ebenso an die Ausländer, an die Gastarbeiter, die in dieser Region sehr zahlreich und die in diesen wirtschaftlichen Krisenzeiten wegen ihrer unsicheren Stellung sehr bedroht sind. Selbst wenn das Problem ihrer Integrierung mit Rücksicht auf das allgemeine Wohl des Landes ein komplexes Problem bleibt, wird sich die Kirche niemals dazu entschließen, daß man es diesen Menschen und ihren kulturellen Wurzeln gegenüber an Achtung und an Gerechtigkeit angesichts ihrer und der Bedürfnisse ihrer Familien, die bei ihnen leben müssen, fehlen läßt. Die Christen werden in der vordersten Reihe derer stehen, die dafür kämpfen, daß ihre Brüder aus anderen Ländern in den Genuß legitimer Garantien kommen und daß sich die Herzen der Fremden entgegenkommender öffnen. Sie werden aufmerksam auf ihre Schwierigkeiten achten und den Gastarbeitern helfen, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ja, so wie eure Bischöfe wiederholt mutig betont haben, so wie ich selbst beim Zweiten Weltkongreß für die Seelsorge am Menschen unterwegs (18. Oktober 1985) sagte, wird sich die Kirche auch hier zur Stimme derer machen, die keine Stimme haben. Sie wird sich bemühen, Vorbild und Ferment einer brüderlichen Gemeinschaft zu sein. Die Armen sind zudem alle, die unter einem Dasein am Rande der Gesellschaft leiden, wie die Kranken und Behinderten. Dazu zählen auch die Gefangenen: Sie gehören wohl zu den Ärmsten, was auch immer der Grund ihrer Gefangensetzung sein mag. Die Worte Jesu sind eine mahnende Aufforderung an uns: „Ich war krank, ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.“ Endlich gibt es außerhalb eurer Stadt, eures Landes, das über so viele Reserven verfügt, überall in der Welt die Massen derer, die an Hunger leiden, kein Dach über dem Kopf haben und jeglicher Versorgung entbehren. Das ist die erschütternde Erfahrung, die ich selbst auf meinen apostolischen Reisen in Afrika, Lateinamerika und Indien mache. Es handelt sich um ganze Länder, ganze Erdteile. Und diese Völker, die so schwer zu der für ihr Überleben und ihre Entfaltung notwendigen Entwicklung gelangen, richten ihre scharfe Anfrage an die Völker, die das Glück haben, im Überfluß über die materiellen Güter und technischen Möglichkeiten zu verfügen. Bei all dem geht es um die Nord-Süd-Beziehungen. Pater Chevrier konnte dieses universale Drama der Armut nicht in seinem ganzen Umfang kennen. Es bedeutet, seinem Geist treu zu sein, wenn man zum Nächsten dieser Brudervölker wird. Sie bitten nicht 687 REISEN um ein Almosen, sondern um die Beachtung ihrer Probleme, um das Bemühen um Gerechtigkeit in Handelsbeziehungen und Investitionen, um die hochherzige Solidarität in Notsituationen, um langfristige Hilfe, so daß sie ihre eigene Entwicklung verwirklichen können, und vor allem um die Respektierung ihrer Würde als Arme, die im übrigen über menschliche und geistige Reichtümer verfügen, die sie mit uns teilen können. Christus identifiziert sich mit diesen Hungernden. Und der Mensch lebt nicht von Brot allein: er dürstet nach Würde, nach Freiheit, nach Gewissensfreiheit, er dürstet nach Liebe und, ohne daß es ihm immer bewußt ist, nach Gott. 6. Ja, wir müssen dazu beitragen, den Menschen von so vielen Versklavungen zu befreien, ohne mit unserem solidarischen Kampf die Gewalt, den Haß, die klassenideologische Voreingenommenheit zu vermengen, die schlimmere Übel nach sich ziehen würden als jene, die man ausrotten will. Die Hoffnung wohnt wahrlich nur dann im Herzen des Menschen, wenn er den Erlöser kennenlernt. Das Wort Gottes ist dann eine Kraft zur Befreiung vom Bösen, einschließlich der Sünde. Die Verkündigung des Evangeliums ist der höchste Dienst, der den Menschen erwiesen werden kann. Pater Chevrier wollte die Armen von der religiösen Unwissenheit befreien. Im Prado trachtete er, zugleich für den Grundunterricht - man würde das heute Alphabetisierung nennen - der Jugendlichen und für ihre Glaubensunterweisung zu sorgen, um ihnen die Teilnahme an der Eucharistie zu ermöglichen. Und für diese Aufgabe rief er eine Freiwilligengruppe, Männer und Frauen, ins Leben und bildete sie aus. „Mein ganzer Wunsch wäre es, gute Katecheten für die Kirche vorzubereiten und eine Priestervereinigung zu bilden, die in dieser Absicht arbeitet“ (Brief an seine Seminaristen, 1877). Sie sollten überall hingehen, „um Jesus Christus zu zeigen“, als Zeugen, die durch ihre - einfache und sorgfältig vorbereitete - Katechese, aber auch durch ihr Leben das Evangelium verkündigen. Er selbst widmete dieser Aufgabe einen Großteil seiner Zeit, indem er mit armseligen, aber passenden Mitteln jedes Wort des Evangeliums, aber auch den Rosenkranz und den Kreuzweg konkret kommentierte. Er sagte: „Die katechetische Unterweisung der Menschen ist der große Auftrag des heutigen Priesters“ (Briefe, 70). Die Armen haben in der Tat ein Recht auf das Evangelium in seiner Gesamtheit. Die Kirche respektiert die innere Überzeugung derer, die ihren Glauben nicht teilen, aber sie hat den Auftrag, Zeugnis zu geben von der Liebe Gottes ihnen gegenüber. 688 REISEN Heute, liebe Brüder und Schwestern, ist das religiöse Gesamtklima nicht mehr das der Zeit des Pater Chevrier. Es ist gekennzeichnet vom Zweifel, vom Skeptizismus, vom Unglauben, ja Atheismus, und von einem maximalen Freiheitsanspruch. Aber noch mehr wird das Bedürfnis nach einem klaren und glühenden Angebot des Glaubens - des ganzen Glaubens -spürbar. Die religiöse Unwissenheit greift in beunruhigender Weise um sich. Ich weiß, daß sich viele Katecheten dieser Tatsache bewußt sind und ihre Zeit und ihre Begabung in Lyon wie im übrigen Frankreich hochherzig dafür einsetzen, hier Abhilfe zu schaffen. Der Appell Pater Antoine Chevriers sollte uns alle anspornen, uns bei unserem Auftrag halten. Hört ihr nicht seinen Ausruf: „Von Gott reden können, das ist schön“ {Brief, 1873)? 7. Liebe Brüder und Schwestern in Frankreich, die ihr heute hier in Lyon anwesend oder durch das Fernsehen mit uns verbunden seid, möge diese Seligsprechung in euch den Glauben, die Hoffnung und die Liebe wachsen lassen, die sich vom Beispiel der Heiligen und der Erfahrung der Gnade nähren! Kirche in Lyon, du bist im Blut deiner Märtyrer getauft worden, erinnere dich deines ersten Glaubenseifers mit dem Bischof Pothinus, mit dem Diakon Sanctus, mit der Sklavin Blandina. Es ist das erste Zeugnis, das wir von Christen in Gallien haben: Man kann nur staunen über ihre Kraft, ihre Hoffnung, ihr Festhalten am lebendigen Christus. Kirche von Lyon, erinnere dich auch des Bischofs Irenäus, der für die ganze Kirche den wahren Glauben an das menschgewordene Wort, wahrer Gott und wahrer Mensch, gegen die Vertreter der Gnosis verteidigt hat, die diesen Glauben bereits zu zersetzen versuchten. Kirche von Lyon, erinnere dich aller Initiativen, die im Laufe der Jahrhunderte von deinen Söhnen und Töchtern ergriffen wurden, um die Kirche zu heiligen, ihrer Einheit zu dienen, um sie zum Dienst an der Gesellschaft zu bewegen wie Marius Gonin und Joseph Folliet, den ökumenismus zur Entfaltung bringen wie Pater Couturier, bei der Erziehung der Jugend zu helfen wie die selige Claudine Thevenet, die missionarische Ausstrahlung der Kirche anzuregen wie Pauline Jaricot, eine kontemplative Präsenz unter den Nichtchristen sicherzustellen wie Pater Jules Monchanin. Sie sind Legion, eine „unendliche Menge von Zeugen“, und sie stellen für uns Führer dar, eine Familie, Fürsprecher, wie es in der Heiligenpräfation heißt. Und insbesondere du, geistliche Famiüe des Prado - Priester, Schwestern und Mitglieder des Fraueninstituts -, erinnere dich deines Gründers: Er hatte vielleicht alles, um ein gewöhnlicher Mensch zu bleiben, aber seine 689 REISEN Zugehörigkeit zu Jesus Christus hat ihn zur Heiligkeit geführt. „Nur die Heiligen werden die Welt erneuern, nützlich für die Bekehrung der Sünder und zur Ehre Gottes arbeiten können“ (Brief an seine Seminaristen, 1872). Und du, Kirche in Frankreich, die ich nun auf Einladung der Bischofskonferenz zum dritten Mal besuche, erinnere dich deiner Taufe, des Bundes, von dem sich Gott niemals losgesagt hat! Erinnere dich seiner Liebe. Erinnere dich des Heiligen Geistes, der in dir wohnt und der in dir immer einen neuen geistlichen Frühling zu erwecken vermag, wenn du wirklich danach verlangst! Fürchte dich nicht. Lasse dich nicht von den Schwierigkeiten, den Glauben heute zu leben, entmutigen. Deine Heiligen haben diese Schwierigkeiten gekannt und überwunden. Der Prophet Zefanja sagte: „Sucht den Herrn, ihr Gedemütigten im Land, die ihr nach dem Recht des Herrn lebt! Sucht Gerechtigkeit, sucht Demut“ {Zef 2,3). Und er sprach von einem kleinen und armseligen Rest, dem Rest von Israel (vgl. Zef 3,12 f.). Heute habe ich, Gott sei Dank, ein großes Volk vor Augen, das christliche Volk, das mit dem Nachfolger Petri seinen Glauben feiern wollte. Ihr wißt wie Pater Chevrier, daß man Jesus Christus nicht von seiner Kirche trennen kann, daß man die Diözesangemeinde nicht von ihrem Bischof noch vom Bischof von Rom trennen kann. In dieser Verbundenheit hat unser Seliger seine Kraft gefunden: Gestützt auf Jesus Christus und auf die Kirche, kann man nur sicher vorangehen - trotz der Widerwärtigkeiten,Kämpfe, Auseinandersetzungen und Verfolgungen (vgl. V. D., 511). In diesem Geist grüße ich unter euch die Kinder und Jugendlichen, die Arbeiter und die Verantwortlichen für das Gemeinwohl. Ich grüße besonders diejenigen, die die Prüfung der Krankheit, der Einsamkeit, der Abwesenheit von ihrem Herkunftsland kennengelernt haben. Ich grüße die christlichen Laien und ihre Familien, die die Grundzellen im Volk Gottes bilden. Eure Aufgabe ist es, die Gnade eurer Taufe erstrahlen zu lassen, den christlichen Glauben in einem Klima der Treue und hochherzigen Liebe zu leben und ihn an die jungen Generationen weiterzugeben, indem ihr ihnen Freude daran vermittelt. Darauf werde ich in Paray-le-Monial noch zurückkommen. Ich grüße die Priester, die wie Pater Chevrier und der Pfarrer von Ars im Dienst des ganzen Gottesvolkes stehen, um die Frohbotschaft zu verkünden und das Leben Christi weiterzugeben. Darüber will ich mit euch in Ars nachdenken. Ich grüße die Ordensmänner und Ordensfrauen, mit denen ich in der Basilika Unserer Lieben Frau von Fourviere beten werde. 690 REISEN Ihr alle, Brüder und Schwestern, die ihr hier versammelt seid, fürchtet euch nicht, euch um die Erneuerung des Herzens zu bemühen, ohne welche die äußeren Reformen und Pastoralpläne fruchtlos blieben. Tut dies in der Schule Mariens, die immer die Jünger ihres Sohnes begleitet. Lebt das Absolute des Evangeliums, das allein die verschlafenen oder zaudernden Gewissen aufweckt und anzieht. Sucht aufrichtig die Heiligkeit, die untrennbar von der Sendung ist. 8. Und du, Pater Antoine Chevrier, führe uns auf dem Weg des Evangeliums. Du bist selig! Deine Gestalt erhebt sich und erstrahlt im hellen Licht der acht Seligpreisungen Jesu. Diese Stadt Lyon wird dich selig nennen, sie, die dich schon seit dem Tag deines Heimgangs mit Verehrung umgab. Ebenso die Kirche, die in dir den - von Jesus mehr als die Weisen und Klugen gerühmten - „Kleinen“, den Priester, den Apostel, den Diener der Armen verehrt. Wie Paulus von Christus ergriffen, hast du gelebt, alles vergessend, was hinter dir war, ganz ausgerichtet auf das, was vor dir lag. Ja, du hast dich völlig der Zukunft zugewandt, der großen Zukunft aller Völker in Gott. Du bist auf das Ziel zugelaufen, um den Preis zu erringen, den im Himmel, in Christus Jesus zu empfangen Gott uns berufen hat. Es ist der Preis der Liebe. Es ist die Liebe! „Die Kirche braucht eure Begeisterung und eure Hochherzigkeit“ Ansprache in der Kirche der Versöhnung in Taize am 5. Oktober Liebe Brüder, liebe Schwestern, hebe Freunde! 1. Ich danke Ihnen, lieber Frere Roger, für die Worte voller Vertrauen und Zuneigung, die Sie an mich gerichtet haben. Und ich grüße euch alle in der Freude Christi: euch, die Brüder dieser Gemeinschaft, und euch, Schwestern von Saint-Andre, die ihr ihnen beisteht; euch, Bewohner von Taize, Ameugny und der umliegenden Dörfer; besonders euch, Jugendliche, und alle, die ihr hierhergekommen seid, um ein paar Tage oder ein paar Stunden auf dem Hügel von Taize zu verbringen. Ich freue mich, unter euch zu weilen und mit euch zu beten. 691 REISEN Wie ihr, Pilger und Freunde der Gemeinschaft, hält sich der Papst nur vorübergehend hier auf. Aber an Taize geht man vorüber, wie man zu einer Quelle geht. Der Wanderer bleibt stehen, löscht seinen Durst und setzt seine Reise fort. Die Brüder der Gemeinschaft wollen euch, ihr wißt es, nicht zurückhalten. Sie wollen euch im Gebet und in der Stille ermöglichen, das von Christus verheißene Wasser zu trinken, seine Freude kennenzulernen, seine Gegenwart zu erkennen, auf seinen Anruf zu antworten, um dann in euren Pfarreien, in euren Städten und Dörfern, an euren Schulen und Universitäten und an allen euren Arbeitsplätzen aufs neue Zeugnis zu geben von seiner Liebe und euren Brüdern zu dienen. Dank sei Christus, der hier in Taize und an vielen anderen Orten in seiner Kirche Quellen für die Wanderer, die nach ihm dürsten - und das sind wir —, hervorsprudeln läßt! 2. Heute ist die Gemeinschaft von Taize in allen Kirchen und christlichen Gemeinschaften und bis hin zu den höchsten politischen Verantwortlichen der Welt bekannt für das immer hoffnungsvolle Vertrauen, das sie in die Jugend setzt. Vor allem, weil ich dieses Vertrauen und diese Hoffnung teile, bin ich heute vormittag hier. Liebe, junge Menschen, um der Welt die Frohe Botschaft des Evangeliums zu bringen, braucht die Kirche eure Begeisterung und eure Hochherzigkeit. Ihr wißt, es kommt vor, daß eure älteren Mitbürger — nach dem schwierigen Weg und den Prüfungen, die sie erfahren haben - von Furcht und Müdigkeit erfaßt werden und den Schwung erlahmen lassen, der zu jeder christlichen Berufung gehört. Es kommt auch vor, daß die Institutionen wegen der Routine oder Schwächen ihrer Mitglieder nicht mehr ausreichend dem Dienst an der evangelischen Botschaft zur Verfügung stehen. Die Kirche braucht da das Zeugnis eurer Hoffnung und eurer Begeisterung, um ihre Sendung besser zu erfüllen. Gebt euch nicht mit passiver Kritik oder damit zufrieden zu warten, daß sich die Personen und Institutionen bessern. Geht in die Pfarreien, in die Vikarien, zu den verschiedenen Bewegungen und Gemeinschaften und bringt ihnen geduldig die Kraft eurer Jugend und die Gaben, die ihr empfangen habt. Bringt den Amtsträgern der Kirche eure vertrauensvolle Unterstützung; sie sind eure Diener im Namen Jesu, und in dieser Funktion brauchen sie euch. Die Kirche braucht eure Anwesenheit und Teilnahme. Wenn ihr das Innere der Kirche betrachtet, werdet ihr gewiß manchmal vor den Kopf gestoßen sein von den Spaltungen, den inneren Spannungen und dem elenden Zustand ihrer Mitglieder, aber ihr werdet von Christus, der ja ihr Haupt ist, sein Wort der Wahrheit empfangen, sein Leben, das Wehen der 692 REISEN Liebe, die euch ermöglichen wird, ihn treu zu lieben und euer Leben zu führen, indem ihr es in der freudigen Hingabe für die anderen einsetzt. 3. Liebe, junge Freunde, hebe Brüder und liebe Schwestern, die ihr diese jungen Menschen hier aufnehmt oder bei ihnen und für sie Pilger der Versöhnung auf dem Weg durch die Welt seid, es fehlt mir die Zeit, an diesem Morgen länger zu euch zu sprechen; ich werde das heute abend vor der großen Jugendversammlung der Region in Lyon tun. Erlaubt mir nur noch, euch an das Apostolische Schreiben zu erinnern, das ich im vergangenen Jahr aus Anlaß des Internationalen Jahres der Jugend an alle Jugendlichen gerichtet habe. Darin habe ich meine Überlegung im wesentlichen anhand des wohlbekannten Textes aus dem Evangelium entwickelt, der uns das Gespräch Christi mit einem jungen Mann wiedergibt (vgl. Mk 10,17-22). Mögt ihr euer eigenes Gespräch mit Christus immer mehr vertiefen können und euch mit ihm eurer ganzen christlichen Berufung bewußt werden! 4. Erinnert euch auch an das Wort Jesu: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ {Mt 18,20). Wenn sich eine Familie, eine kleine Gruppe, eine größere Gemeinschaft oder eine Pfarrei im Namen Jesu versammeln, um sich gegenseitig aufzunehmen und einander wie Brüder zu dienen, um miteinander zu Gott zu beten, über sein Wort nachzudenken und, wenn sie in voller Gemeinschaft mit der Kirche stehen, an der vom Priester gefeierten Eucharistie teilzunehmen, da breitet sich das Werk der Versöhnung und Sammlung des Erlösers in der Welt weiter aus. Männer und Frauen, Jugendliche, Kinder vernehmen den Ruf, ihren Brüdern zu dienen, und empfangen die Mittel für ihre Sendung. Sie haben den inneren Frieden und die Kraft, aber immer klarer erkennen sie den Skandal, den christliche Kirchen und Gemeinschaften darstellen, die noch nicht voll versöhnt sind in der Wahrheit des Glaubens und in der Liebe, Völker, die sich noch immer im Kriegszustand befinden, ganze Bevölkerungen, die noch Hunger leiden, Ungerechtigkeiten, die noch immer triumphieren. Zu Baumeistern der Versöhnung und des Friedens geworden, wissen sie, daß Christus an ihrer Seite geht und daß er selber ihnen die Liebe und die Hoffnung schenkt, um kühn und mutig die Wege einzuschlagen, die zu einer Erneuerung der Welt führen könnten. Liebe Brüder, liebe Schwestern, liebe Freunde: „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und mit allem Frieden im Glauben, 693 REISEN damit ihr reich werdet an Hoffnung in der Kraft des Heiligen Geistes“ (Röm 15,13). Gebet des Heiligen Vaters vor dem Heiligen Sakrament: „O Gott, wir preisen dich für die vielen Frauen, Männer, Jugendlichen und Kinder, die sich überall auf Erden bemühen, Zeugen des Friedens, des Vertrauens und der Versöhnung zu sein. Laß uns nach den heiligen Zeugen Christi aller Zeiten, nach Maria und den Aposteln, Tag für Tag bereit sein, dem Geheimnis des Glaubens deiner Kirche zu vertrauen durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Herrn. Amen.“ Taize - „ein strahlender Frühling“ Grußwort an die Gemeinschaft von Taize am 5. Oktober Liebe Brüder! In der ganz familiären Vertrautheit dieser kurzen Begegnung möchte ich euch meine Zuneigung und mein Vertrauen mit den einfachen Worten zum Ausdruck bringen, mit denen Papst Johannes XXIII., der euch so liebte, einmal Frere Roger begrüßte: „Ah, Taize, dieser kleine Frühling!“ Mein Wunsch ist, daß der Herr euch als einen Frühling bewahrt, der strahlend ausbricht, und daß Er euch klein sieht, in der evangelischen Freude und Transparenz der brüderlichen Liebe. Jeder von euch ist hierhergekommen, um im Erbarmen Gottes und der Gemeinschaft seiner Brüder zu leben. Dadurch, daß ihr euch mit eurem ganzen Dasein durch die Liebe zu ihm Christus weiht, habt ihr einander gefunden. Aber zudem habt ihr, ohne es ausdrücklich gesucht zu haben, Tausende junger Leute von überall zu euch kommen sehen, die sich von eurem Gebet und eurem Gemeinschaftsleben angezogen fühlten. Sollte man nicht meinen, daß diese jungen Menschen das Geschenk und Mittel sind, das der Herr euch gibt, um euch anzuspornen, zusammenzubleiben in der Freude und Lebendigkeit eurer Hingabe — als ein Frühling für alle, die das wahre Leben suchen? In eurem Alltag erhält die Arbeit, die Ruhe, das Gebet immer wieder neue Kraft vom Wort Gottes, das sich eurer bemächtigt, das euch klein sieht, das heißt als Kinder des himmlischen Vaters, Brüder und Diener aller in der Freude der Seligpreisungen. 694 REISEN Ich vergesse es nicht: in ihrer einzigartigen, ja in einem gewissen vorläufigen Sinn sogar originellen Berufung kann eure Gemeinschaft Erstaunen auslösen und auf Unverständnis und Argwohn stoßen. Aber wegen eures leidenschaftlichen Einsatzes für die Versöhnung aller Christen in einer vollen Gemeinschaft, wegen eurer Liebe zur Kirche werdet ihr, dessen bin ich sicher, weiterhin für den Willen des Herrn bereit und verfügbar sein können. Wenn ihr die kritischen Äußerungen oder Ratschläge von Christen der verschiedenen Kirchen und christlichen Gemeinschaften anhört, um an dem festzuhalten, was gut ist, wenn ihr mit allen im Gespräch bleibt, aber ohne zu zögern eure Erwartungen und Vorhaben zum Ausdruck bringt, werdet ihr die Jugend nicht enttäuschen und dazu beitragen, daß das von Christus gewollte Bemühen um die Wiederfindung der sichtbaren Einheit seines Leibes in der vollen Gemeinschaft ein und desselben Glaubens nicht nachläßt. Ihr wißt, daß ich meinerseits den Ökumenismus als eine notwendige Aufgabe betrachte, die mir obliegt, als eine pastorale Priorität in meinem Amt, für das ich auf euer Gebet zähle. Dadurch, daß ihr selber ein „Gleichnis der Gemeinschaft“ sein wollt, werdet ihr allen, die euch begegnen, helfen, ihrer kirchlichen Zugehörigkeit treu zu sein, die die Frucht ihrer Erziehung und ihrer Gewissensentscheidung ist, aber auch immer tiefer in das Geheimnis der Gemeinschaft einzutreten, die die Kirche im Plan Gottes ist. Durch das Geschenk, das er seiner Kirche macht, setzt Christus in der Tat in jedem Christen die Kräfte der Liebe frei und schenkt ihm das universale Herz eines Baumeisters der Gerechtigkeit und des Friedens, der fähig ist, mit der Beschaulichkeit der Kontemplation den Kampf des Evangeliums für die integrale Befreiung des Menschen, des ganzen Menschen und jedes Menschen, zu verbinden. Liebe Brüder, ich danke euch, daß ihr mich eingeladen und mir so Gelegenheit gegeben habt, nach Taize zu kommen. Der Herr segne euch und bewahre euch in seinem Frieden und in seiner Liebe! 695 REISEN Immer die gleiche Gefahr: daß sich der Mensch von der Liebe trennt Predigt bei der Messe in Paray-le-Monial am 5. Oktober 1. „Ich werde euch ein neues Herz geben . . (Ez. 36,26). Wir befinden uns hier an einem Ort, wo diese Worte des Propheten Ezechiel machtvoll widerhallen. Hier wurden sie ja durch eine arme und verborgene Dienerin des göttlichen Herzens unseres Herrn bekräftigt: die heilige Margareta Maria Alacoque. Oftmals wurde die Wahrheit dieser Verheißung im Verlauf der Geschichte innerhalb der Kirche durch die Erfahrung der Heiligen, der Mystiker und der gottgeweihten Seelen bestätigt, und die gesamte Geschichte der christlichen Frömmigkeit bezeugt: das Leben eines an Gott glaubenden Menschen, der sich hoffnungsvoll der Zukunft zuwendet und sich zur Vereinigung mit der Liebe gerufen weiß, ist ein Leben des Herzens, des inneren Menschen. Es wird erhellt durch die wunderbare Wahrheit vom Herzen Jesu, der sich selbst für die Welt hingibt. Warum wurde uns die Wahrheit vom Herzen Jesu gerade hier im 17. Jahrhundert, gleichsam an der Schwelle der mordernen Zeit neu anvertraut? Ich bin glücklich, daß ich diese Botschaft im Land Burgund betrachten darf, im Land der Heiligkeit mit den Orten Citeaux und Cluny, wo das Evangelium Leben und Werk der Menschen geprägt hat. Ich bin glücklich, die Botschaft Gottes, der reich ist an Erbarmen (vgl. Enzyklika), erneut verkünden zu können, in der Diözese Autun, die mich willkommen heißt. Ich grüße herzlich Msgr. Armand le Bourgeois, den Hirten dieser Kirche, sowie seinen Weihbischof Msgr. Maurice Gaidon. Ich grüße die Vertreter der staatlichen, regionalen und örtlichen Autorität, und ich grüße das ganze Volk Gottes, das hier versammelt ist, die Arbeiter auf den Feldern und in der Industrie, die Familien und zumal jene Verbände, die ihr christliches Leben unterstützen, die Seminaristen, die hier ihren Weg zum Priestertum beginnen, die Pilger des Heiligsten Herzens, zumal die Emanuel-Gemeinschaft, die eng mit diesem Ort verbunden ist, wie auch alle jene, die herkommen, um ihren Glauben zu festigen, ihren Gebetsgeist und ihren Sinn für die Kirche zu erneuern bei ihren Tagungen im Sommer oder bei anderen gemeinschaftlichen Veranstaltungen. Ich möchte ferner meine Verbundenheit auch mit all jenen aussprechen, die dank des Fernsehens daheim diese Feier verfolgen können. 696 REISEN 2. „Ich werde euch ein Herz geben“: So sagt es uns Gott durch den Propheten. Der Zusammenhang aber verdeutlicht diesen Text. „Ich werde reines Wasser über euch ausgießen, dann werdet ihr rein“ (Ez 36,25). So ist es: Gott reinigt das Herz des Menschen. Dieses Herz, das ja geschaffen wurde, um Heimstatt der Liebe zu sein, aber zum Mittelpunkt der Zurückweisung Gottes geworden ist, Mittelpunkt der Sünde des Menschen, der sich von Gott abwendet, um sich jeder Art von „Götzen“ zuzuwenden. Dann aber wird das Herz unrein. Öffnet sich hingegen diese gleiche innere Mitte des Menschen für Gott, so findet der Mensch die Reinheit des Bildes und Gleichnisses Gottes wieder, der als Schöpfer ihm von Anfang an dieses Bild und Gleichnis eingeprägt hat. Das Herz ist zugleich der Ort der Bekehrung, die Gott vom Menschen und für den Menschen herbeisehnt, damit dieser in Gottes Liebe sich innerlich mit ihm austauschen kann. Gott hat den Menschen so geschaffen, daß er weder gleichgültig noch kalt, sondern Gott gegenüber offen sei. Wie schön sind hier die Worte des Propheten: „Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch“ (Ez 36,26). Dieses Herz von Fleisch ist ein Herz, das menschlich empfindet und fähig ist, sich vom Hauch des Heiligen Geistes berühren zu lassen. In diesem Zusammenhang sagt Ezechiel: „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch . . . meinen Geist“ (Ez 36,26 f.). Brüder und Schwestern, möchte sich doch jeder von uns vom Geist des Herrn reinigen und bekehren lassen! Möge jeder von uns in ihm Anregung für sein Leben finden, Licht für seine Zukunft und Klarheit, um seine Begierden zu reinigen. Heute möchte ich vor allem den Familien die frohe Botschaft von der wunderbaren Gabe verkünden: Gott schenkt die Reinheit des Herzens, Gott ermöglicht ein Leben in wahrer Liebe! <80> <80> Die Worte des Propheten sind freilich nur ein Abglanz der Tiefe der Erfahrung im Evangelium. Das damals in der Zukunft hegende Heil ist heute bereits da. Doch wie kommt der Geist ins Herz des Menschen? Welche Umwandlung, die der Gott Israels so sehnlich wünscht, vollbringt er? Es wird das Werk Jesu Christi sein: des ewigen Sohnes, den Gott nicht geschont, sondern für uns alle dahingegeben hat, um uns mit ihm jegliche Gnade zu schenken (vgl. Röm 8,32), um uns mit ihm jegliche Gabe anzubieten. Es wird das erstaunliche Werk Jesu sein. Damit dieses offenbar werden konnte, mußte man bis ans Ende warten, bis zu seinem Tod am Kreuz. Als 697 REISEN Christus dort seinen Geist in die Hände des Vaters „zurückgegeben“ hatte (vgl. Lk 23,46), geschieht folgendes Ereignis: „Es kamen die Soldaten . . . sie kamen zu Jesus und sahen, daß er schon tot war . . . und einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floß Blut und Wasser heraus“ (Joh 19,32-34). Scheinbar geschieht etwas Gewöhnliches. Auf Golgota vollzieht sich der letzte Akt einer römischen Hinrichtung: die Feststellung des Todes des Verurteilten. Ja, er ist tot, er ist wirklich tot. Aber in seinem Tod hat Christus sich bis ins Letzte offenbart. Das durchbohrte Herz ist sein letztes Zeugnis. Johannes, der Apostel, der am Fuß des Kreuzes weilte, hat es verstanden; ebenso haben es im Verlauf der Jahrhunderte die Jünger Christi und die Lehrer des Glaubens verstanden. Im 17. Jahrhundert hat eine Schwester von der Heimsuchung erneut dieses Zeugnis in Paray-le-Monial vernommen, und Margareta Maria hat es der ganzen Kirche an der Schwelle der modernen Zeit weitergegeben. Durch das am Kreuz durchbohrte Herz seines Sohnes hat der Vater uns alles ohne jede Gegenleistung geschenkt. Kirche und Welt empfangen nun den Tröster, den Heiligen Geist. Jesus hatte gesagt: „Wenn ich fortgehe, werde ich ihn euch senden“ (Joh 16,7). Sein durchbohrtes Herz bezeugt, daß er „fortgegangen“ ist. Nun sendet er den Geist der Wahrheit. Das Wasser, das aus seiner durchbohrten Seite fließt, ist das Zeichen für den Heiligen Geist: Jesus hatte dem Nikodemus eine neue Geburt „aus Wasser und Geist“ verkündet (vgl. Joh 3,5), und damit erfüllen sich die Worte des Propheten: „Ich werde euch ein neues Herz geben, ich werde einen neuen Geist in euer Inneres legen.“ 4. Die heilige Margaretha Maria kannte dieses wunderbare Geheimnis, das überwältigende Geheimnis der göttlichen Liebe. Sie kannte die ganze Tiefe der Worte des Ezechiel: „Ich werde euch ein Herz geben.“ Während ihres ganzen in Christus verborgenen Lebens war sie geprägt von der Gabe dieses Herzens, das sich grenzenlos allen menschlichen Herzen anbietet. Sie war ganz und gar erfaßt von diesem göttlichen Geheimnis, wie es das wunderbare Wort des heutigen Psalms ausspricht: „Lobe den Herrn, meine Seele, alles in mir lobe seinen heiligen Namen“ (Ps 103,1). „Alles in mir“ bedeutet „mein ganzes Herz“! „Lobe den Herrn! Vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Er verzeiht. Er heilt. Er „rettet dein Leben vom Untergang“, er „krönt dich mit Huld und Erbarmen“. Er ist gut und voll Liebe. Langsam im Zürnen, voll von Liebe: barmherzi- 698 REISEN ger Liebe, „er denkt daran, daß wir Staub sind“ (vgl. Ps 103,2-4.8.14). So ist Er, Christus, so ist er in Wahrheit. 5. Ihr ganzes Leben lang brannte Margaretha Maria von der lebendigen Flamme dieser Liebe, die Jesus in der Geschichte des Menschen entzünden wollte. Hier in Paray-le-Monial scheint die demütige Dienerin Gottes der ganzen Welt wie schon der heilige Paulus zuzurufen: „Wer kann uns trennen von der Liebe Christi?“ (Röm 8,35). Paulus wandte sich an die erste Generation der Christen, und diese wußten, was Bedrängnis, Not und Verfolgung, Hunger und auch Blöße waren (in den Arenen zwischen den Zähnen der wilden Tiere), sie kannten Gefahren und das Schwert. Im 17. Jahrhundert aber wurde die gleiche Frage von Margaretha Maria den Christen von damals in Paray-le-Monial gestellt. Auch in unserer Zeit steht die Frage vor uns und richtet sich an jeden von uns, vor allem dann, wenn er seine Erfahrung im Familienleben betrachtet. Wer kann die Bande der Liebe brechen? Wer läßt die Liebe erlöschen, die das eigene Haus und Heim erfüllt? 6. Wir wissen darum: in unserer Zeit kommen bei den Familien allzuoft Prüfung und Bruch vor. Allzu viele Paare bereiten sich schlecht auf die Ehe vor. Allzu viele Paare entzweien sich und schaffen es nicht, die versprochene Treue zu wahren, den anderen anzunehmen, wie er ist, ihn zu lieben trotz seiner Grenzen und Schwächen. Und dann stehen allzu viele Kinder ohne den ausgewogenen Halt da, den sie in der sich ergänzenden Harmonie ihrer Eltern finden sollten. Welcher Widerspruch gegen die Wahrheit von der menschlichen Liebe liegt ferner vor, wenn man sich weigert, das Leben in verantwortlicher Weise weiterzugeben, und wenn man sogar das bereits empfangene Kind tötet! Hier liegen Zeichen einer echten Krankheit vor, die die Personen, Ehepaare, Kinder und die Gesellschaft selbst befallen hat. Die wirtschaftlichen Verhältnisse, die Einflüsse der Gesellschaft und die Ungewißheit der Zukunft werden vorgebracht, um Wandlungen im Familienleben zu erklären. Sie haben gewiß ihr Gewicht, und man muß hier auf Abhilfe sinnen. Das alles kann aber nicht den Verzicht auf ein fundamentales Gut rechtfertigen, nämlich auf die feste Einheit der Familie in der 699 REISEN freien und schönen Verantwortlichkeit derer, die ihre Liebe mit Hilfe der unwandelbaren Treue ihres Schöpfers und Erlösers Vorleben. Hat man nicht allzuoft die Liebe verkürzt auf persönliches Verlangen oder die Flüchtigkeit der Gefühle? Und ist dabei nicht das wahre Glück verlorengegangen, das in der rückhaltlosen Hingabe seiner selbst und in dem besteht, was das Konzil „den edlen Dienst am Leben“ nennt (vgl. GS 51)? Müssen wir es nicht klar aussprechen, daß sich egoistisch selbst suchen statt das Wohl des anderen, genau der Name für Sünde ist? Es ist ferner eine Beleidigung des Schöpfers, der Quelle jeder Liebe, und Christi, des Erlösers, der sein durchbohrtes Herz hineingegeben hat, damit seine Brüder zu ihrer Berufung zurückfinden, Wesen zu sein, die in Freiheit echte Liebe üben. Ja, die wesentliche Frage bleibt immer die gleiche. Auch die Wirklichkeit bleibt sich immer gleich. Es besteht auch immer die gleiche Gefahr: daß sich der Mensch von der Liebe trennt! Damit verläßt der Mensch aber den tiefsten Wurzelgrund seiner geistigen Existenz und verdammt sich erneut dazu, ein Herz von Stein zu bekommen. Ohne das Herz von Fleisch kann er nicht richtig auf Gut und Böse reagieren. Sein Herz ist nicht mehr empfänglich für die Wahrheit vom Menschen und die Wahrheit von Gott. Sein Herz kann nicht mehr den Hauch des Heiligen Geistes vernehmen, und es ist nicht mehr stark durch die Kraft Gottes. Die wesentlichen Probleme des Menschen - gestern, heute und morgen -liegen auf dieser Ebene. Derjenige, der sagt: „Ich werde euch ein Herz geben“, will in dieses Wort alles das einschließen, wodurch der Mensch mehr Sein gewinnt. 7. Das Zeugnis zahlreicher Familien zeigt deutlich, daß die Tugenden der Treue glücklich machen, daß die Hochherzigkeit, die der eine der beiden Partner für den anderen und beide für ihre Kinder aufbieten, eine wahre Quelle des Glückes ist. Das Bemühen um Selbstbeherrschung, das Überwinden der Begrenztheiten eines jeden, das Durchhalten an immer neuen Brennpunkten der Existenz, alles das erweitert das Leben, so daß man nur danken kann. Dann wird es möglich, eine Prüfung zu bestehen, eine Beleidigung zu verzeihen, ein Kind, das leidet, liebevoll aufzunehmen, das Leben eines anderen heller zu machen durch die Schönheit der Liebe, auch wenn dieser andere schwach oder verbraucht ist. In diesem Zusammenhang möchte ich die Hirten und Helfer, die den Familien bei ihrer Orientierung helfen, bitten, ihnen klar die positive 700 REISEN Hilfe aufzuzeigen, die die Morallehre der Kirche bieten kann. In der verworrenen und widersprüchlichen Lage heute gilt es, neu die Lebensregeln zu überprüfen, die zumal im Apostolischen Schreiben Familiaris consortio im Anschluß an die Bischofssynode dargelegt sind und die Gesamtheit der Lehre des Konzils und des päpstlichen Lehramts darlegen. Das II. Vatikanische Konzil erinnert daran: „Dieses göttliche Gesetz zeigt die ganze Bedeutung der ehelichen Liebe, schützt sie und drängt sie zu ihrer wahrhaft menschlichen Vollendung“ (GS 50). 8. Ja, dank dem Ehesakrament ist es euch, christliche Familien, im Bund mit der göttlichen Weisheit und im Bund mit der unermeßlichen Liebe des Herzens Christi gegeben, daß ihr bei all euren Lieben den Reichtum der menschlichen Person, ihre Berufung zur Liebe zu Gott und den Menschen entfalten könnt. Nehmt auf eure Weise die Präsenz des Herzens Christi an und vertraut ihm eure Familie an. Möge Er eure Hochherzigkeit und eure Treue gegenüber dem Sakrament anregen, wo euer Bund vor Gott besiegelt wurde! Und möge die Liebe Christi euch helfen, eure Brüder und Schwestern aufzunehmen und ihnen zu helfen, wenn sie durch Entzweiung verwundet und alleingelassen sind. Euer brüderliches Zeugnis wird sie besser erkennen lassen, daß der Herr nicht aufhört, jene, die leiden, zu lieben. Gedrängt vom Glauben, der euch überliefert wurde, macht eure Kinder für die Botschaft des Evangeliums aufgeschlossen und für ihre Aufgabe, einmal Wegbereiter der Gerechtigkeit und des Friedens zu sein. Laßt sie aktiv sich am Leben der Kirche beteiligen. Schiebt eure Aufgabe nicht auf andere ab, arbeitet hingegen mit den Hirten und den übrigen Helfern bei der Glaubenserziehung zusammen, wo immer es um Werke brüderlicher Solidarität oder Beseelung der Gemeinschaft geht. Schenkt in eurem häuslichen Leben dem Herrn den gebührenden Platz und betet gemeinsam. Hört treu das Wort Gottes und empfangt die Sakramente, vor allem pflegt den Empfang des Leibes Christi, der für uns hingegeben wurde. Nehmt regelmäßig an der Sonntagsmesse teil, denn diese Versammlung ist für Christen in der Kirche notwendig: dort sollt ihr für eure eheliche Liebe danken, die verbunden ist „mit der Liebe Christi, der sich selbst am Kreuze hingegeben hat“ (vgl. Familiaris consortio, 13). Bringt auch eure Leiden vereint mit seinem Erlösungsopfer dar. Dabei sei sich jeder bewußt, daß er Sünder ist und bete zugleich für die Sünden der Mitmenschen, die auf vielfältige Weisen sich ihrer Berufung entfremden und nicht 701 REISEN mehr den Liebeswillen des Vaters erfüllen wollen. Ihr empfangt dann durch sein Erbarmen Reinigung und die Kraft, eurerseits zu verzeihen. Ihr bekräftigt eure Hoffnung und prägt eure brüderliche und schwesterliche Gemeinschaft, wenn ihr sie auf die eucharistische Kommunion gründet. 9. Mit Paulus von Tarsus und Margaretha Maria bekennen wir die gleiche Sicherheit: weder Tod noch Leben, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder die Mächte noch überhaupt ein Geschöpf, einfach nichts soll uns trennen von der Liebe Gottes, die da ist in Jesus Christus. Ich bin sicher . . . nichts soll uns jemals trennen . . .! Heute weilen wir in Paray-le-Monial, um in uns diese Gewißheit zu erneuern: „Ich werde euch ein Herz geben . . .“ Vor dem geöffneten Herzen Christi suchen wir die wahre Liebe, die unsere: Familien brauchen, auf ihn zu gründen. Die Familie ist als Zelle grundlegend für den Aufbau einer Gesellschaft im Zeichen der Liebe. Vor allem in der Gesellschaft, in unseren Dörfern und Wohnvierteln, in unseren Fabriken und Büros, bei unseren Begegnungen mit anderen Völkern und Rassen muß sich das Herz von Stein, das ausgedörrte Herz in ein Herz von Fleisch verwandeln, das für Gott und die Mitmenschen offen ist. Es geht dabei um den Frieden, um das Überleben der Menschheit, und das übersteigt unsere Kräfte, aber es wird uns von Gott geschenkt als Gabe seiner Liebe. Dieser Liebe Gottes sind wir gewiß! Maria, du hast das Erbarmen verkündet Vor dem Angelus in Paray-le-Monial am 5. Oktober Am Ende dieser Eucharistiefeier ist auch der Augenblick des Angelus-Gebets gekommen. Rufen wir die heilige Jungfrau Maria an, sie, die auf die Verkündigung des Engels in der ganzen Bereitschaft ihres Glaubens antwortete. Maria, Tochter Israels, du hast das Erbarmen verkündet, das den Menschen von Generation zu Generation von der wohlwollenden Liebe des Vaters angeboten wird. 702 REISEN Maria, heilige Jungfrau, Magd des Herrn, du hast in deinem Schoß die kostbare Frucht des göttlichen Erbarmens getragen. Maria, du hast in deinem Herzen die Worte des Heils bewahrt, zu bezeugst vor der Welt die absolute Treue Gottes zu seiner Liebe. Maria, du bist deinem Sohn Jesus bis an den Fuß des Kreuzes gefolgt, im „fiat“ deines Mutterherzens hast du dich vorbehaltlos dem Erlösungsopfer verbunden. Maria, Mutter der Barmherzigkeit, zeige deinen Kindern das Herz Jesu, das du offen gesehen hast, um auf immer Quelle des Lebens zu sein. Maria, inmitten der Jünger, bringe uns die lebendigmachende Liebe deines auferstandenen Sohnes nahe. Maria, Mutter, du achtest auf die Gefahren und Prüfungen der Brüder deines Sohnes, höre nicht auf, sie auf dem Weg des Heiles zu führen. Maria, du hast an diesem Ort Margaretha-Maria das Herz deines Sohnes gezeigt, lasse uns deinem Beispiel demütiger Treue zu seiner Liebe folgen. Das Angelus-Gebet, das ich jeden Sonntag mit den auf dem Petersplatz versammelten Pilgern spreche, gibt uns auch Gelegenheit, unser Herz den Sorgen und Bedürfnissen der Welt zu öffnen. Heute lade ich euch ein, euch dem ersten Habitat-Welttag anzuschließen, der morgen, am 6. Oktober, vom Zentrum der Vereinten Nationen zu Gunsten der Milhonen obdachlosen Menschen auf der Welt veranstaltet wird, die auf eine würdige Wohnung für ihre Familien warten. Dieser Tag bereitet auf das internationale Jahr des Obdachlosen vor, das einem menschlichen Bedürfnis ersten Ranges entspricht. Im Glauben das Geheimnis der Krankheit betrachten Ansprache an die Kranken in der Kathedrale St. Jean von Lyon am 5. Oktober Liebe Brüder und Schwestern! 1. Jesus hat alle aufgenommen, die körperlich und moralisch leidend waren. Er ging ihnen sogar entgegen. Man kann die Worte des Jesaja auf ihn beziehen: „Er hat unsere Leiden auf sich genommen und unsere Krankheiten getragen“ (Mt 8,17). Allen, denen das Leben Wunden geschlagen hatte, stand er bei wie der Gute Samariter. Er war darauf 703 REISEN bedacht, zu heiligen, zu befreien, zu erlösen und zum Leben zu erwecken. Er verkündete die Frohbotschaft von der Liebe Gottes und den Betrübten die bevorzugte Aufnahme ins Gottesreich: „Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden“ (Mt 5,4). Sehr aufmerksam habe ich das schöne Zeugnis eures kranken Sprechers gehört sowie auch das eurer Freundin, als der Vertreterin aller jener, die im Pastoraldienst der Gesundheitsfürsorge stehen. Ich habe euch eine Frohe Botschaft im Namen Jesu mitzuteilen. Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen, weil die Kranken und Behinderten von mir erwarten, daß ich mich als Zeuge der zärtlichen Liebe Gottes jedem einzelnen widme. 2. Ihr füllt heute diese prächtige Bischofskirche Saint-Jean, die auf das zwölfte und dreizehnte Jahrhundert zurückgeht. Sie ist eine hochbedeutsame historische Stätte und heute das Herz der Diözese Lyon, wo sich Christen jeglicher Herkunft um ihren Hirten, euren lieben Erzbischof, scharen. Sie war sogar mehrmals von höchster Bedeutung für die Universalkirche, als sich hier zwei ökumenische Konzilien versammelten, von denen vor allem das zweite wegen seiner Suche nach der Einheit zwischen den Christen des Ostens und des Westens bekannt ist. Es ist wirklich ein Heiligtum, in dem es sich gebührt, für die gesamte Kirche zu beten. Und heute nehmt ihr den Ehrenplatz an dieser heiligen Stätte ein: die Kranken haben tatsächlich einen bevorzugten Platz in der Kirche, die der Leib Christi ist; sie sind seinem verwundeten und ständig offenen Herzen ganz nahe, so wie wir es heute morgen in Paray-le-Monial betrachtet haben. <81> <81> Neben den Kranken und Behinderten begrüße ich auch die Vertreter all jener, die ihre Zeit, ihre Sachkenntnis und ihr Herz dafür einsetzen, um ihnen Erleichterung zu verschaffen: die Ärzte, Techniker und Forscher, die Lehrer und Studenten der Medizin, die geistlichen Begleiter, das Pflege- und Verwaltungspersonal, sei es, daß sie die Heilkunst ausüben oder geistig Sorge tragen, Sozialdienst leisten oder den Humanwissenschaften obliegen. Ich weiß, daß Lyon eine hervorragende Stätte der medizinischen Forschung in allen ihren Zweigen ist und daß es hier unter anderem ein Internationales Forschungszentrum für Krebserkrankungen gibt. Ich möchte euch dazu anspornen, eure Forschungen mutig fortzusetzen, mit dem Höchstmaß an Sachkenntnis Kranke zu behandeln und die Krankheit in all ihren Erscheinungsformen ebenso wie ihre natürlichen oder menschlichen Ursachen zu bekämpfen. Das alles gehört zum Plan Gottes, der dem Menschen die Intelligenz geschenkt hat und die Fähig- 704 REISEN keit, in der Entdeckung des menschlichen Organismus immer weiter voranzuschreiten und die Früchte dieser Erkenntnisse in den Dienst des Menschen zu stellen. Als Verteidiger des menschlichen Lebens seid ihr die Mitarbeiter Gottes. Heute verlangt der Fortschritt auf medizinischem Gebiet eine umfassende Solidarität, ein starkes, tragendes Einvernehmen unter euch, Gläubige oder Nichtglaubende, sowie eine Abstimmung mit der Hilfe des Staates und dem Beitrag, den die Kirche im Lauf der Geschichte gemäß ihren Möglichkeiten gerne geleistet hat. In dieser Hinsicht bildet das Evangelium einen vorzüglichen Antrieb. Die neue Kommission für das Krankenapostolat, die ich beim Hl. Stuhl eingesetzt habe, ist ein Ausdruck für diese Sorge. Der Beitrag des Pflegepersonals besteht aber nicht nur im technischen Können, sondern auch in der hebevollen, von Herzen kommenden Hingabe, in der Aufmerksamkeit gegenüber der Würde der Person. Achtet darauf, den Kranken nicht zu einem bloßen Objekt der Pflege werden zu lassen, sondern bemüht euch, ihn zum Erstbeteiligten in einem Kampf zu machen, den er durchzukämpfen hat. Bei den schwierigen ethischen Problemen, die sich in eurem Beruf stellen, ermutige ich euch, gültige Lösungen zu finden, die mit der Würde, die dem Leben des Kranken und seiner Eigenschaft als Person zukommt, in Einklang stehen. Euer Beruf, liebe Freunde, verlangt euch oft eine schwere Arbeit ab. Mitunter fühlt ihr euch wehrlos angesichts des großen Leids, eurer Grenzen und der Mißlichkeit des Lebens. Aber welch edelmütigen Dienst verrichtet ihr an der Menschheit! Ihr seid wie gute Samariter des Evangeliums. Und dieser Dienst kennt keine Grenzen, weil die gesundheitlichen Mängel in der Dritten Welt ungeheuer groß und dringlich sind. Eure Kranken brauchen eine Begleitung, die, ich möchte sagen, so menschlich wie nur möglich ist. Sie bedürfen der geistlichen Begleitung: ihr fühlt euch da an der Schwelle eines Geheimnisses, ihres Geheimnisses. 4. Und ihr, ihr lieben Kranken und Behinderten, wie gut können wir eure Hoffnung auf Besserung verstehen, eure Hoffnung auf Heilung und euren Durst, besser zu leben, voll in eurem menschlichen Organismus zu leben! Mit der gleichen Hoffnung haben die Kranken sich Jesus genähert. Und im gleichen Maß wie ihr Pflege wünscht, verlangt ihr auch, mit Aufmerksamkeit, Liebe und Zärtlichkeit umgeben zu werden. Da ihr an der oft nicht zu umgehenden Abhängigkeit schwer tragt, möchtet ihr auch, solange es euch eure Gesundheit erlaubt, eine gewisse Tätigkeit ausüben, euch innerhalb der Gesellschaft und der Kirche nütz- 705 REISEN lieh fühlen. Ihr wollt dort euren Platz einnehmen, an der Kette der Solidarität teilnehmen, sowohl mit den anderen Kranken als auch mit den Gesunden. Es ist unser sehnlichster Wunsch, daß ihr diese Integration innerhalb der Familien, der Vereinigungen für Behinderte und der christlichen Gemeinschaften findet. Ihr macht aber, hebe Freunde, eine noch viel tiefere persönliche Erfahrung, die ihr nur teilweise mitteilen könnt, die vielmehr das Geheimnis eures leidgeprüften Weges und - das möchte ich wünschen - eurer Hoffnung im Glauben bleibt. Mitunter wissen eure Begleiter sowie diejenigen, die euch nahe sind, und eure Priester um diese schwer auszudrük-kenden Erfahrungen. Es kann ein Gefühl der Angst oder selbst der Auflehnung sein: weshalb diese Prüfung, warum bei mir, unter diesen Umständen? Es kann aber auch eine in Geduld gereifte Überlegung sein, eine Beruhigung, ja sogar eine gewisse innere Freude, die aus dem Bewußtsein kommt, mit anderen in der Prüfung solidarisch zu sein aus der Sicherheit, von Gott geliebt und mit Christus am Kreuz vereint zu sein. 5. Nützlich? Das seid ihr sicherlich einfach durch eure Anwesenheit. In einer von Anonymität, Technik, fieberhafter Hast, Gewinnsucht und Durst nach unmittelbarem Sinnengenuß gezeichneten Welt seid ihr einfach da mit dem Wert eurer Person, mit eurer Innerlichkeit, mit eurem Bedarf an echten menschlichen Beziehungen. So hält die Welt vor euch an, überlegt und beginnt, das Wesentliche in Erwägung zu ziehen: den Sinn des Lebens, die selbstlose Liebe, die Hingabe seiner selbst. Wenn ihr das Glück habt, zu glauben, und wenn ihr den gekreuzigten Christus anblickt, dann dringt ihr tiefer in ein vor den Augen der Welt verborgenes Geheimnis ein. Nachdem er so viele Kranke wie möglich geheilt hatte, vollzog Christus den Schritt vom Mitleid zum Leiden. Er hat das Leiden ohne den Versuch einer Erklärung auf sich genommen. Niemand ist so tief hineingedrungen wie er. In ihm war das Leiden an die Liebe gebunden, und es ist erlöst worden. In der Hingabe wurde es zur erlösenden Kraft, verklärt in seiner Auferstehung. Ja, Christus hat am Grunde des Leidens die Kraft zur Erlösung und das Licht der Hoffnung geschöpft. So vereinigt sich der gläubige Kranke - im Schmelztiegel seiner Prüfung, die unangetastet bleibt - schweigend mit der Erlösung Christi, wie Maria zu Füßen des Kreuzes. Es handelt sich hier, aber nicht um passive Resignation oder um Fatalismus, denn ein solcher Kranker bleibt mit Hilfe der Ärzte erfüllt von dem Wunsch, zu leben, ist aber auch bereit, sein Leben Gott zurückzugeben, wenn der Augenblick des großen Über- 706 REISEN ganges kommt. Er lebt von der Gnade der Liebe. Es ist ein Geschenk Gottes. Ich erbete es für euch. Ich kann euch sagen, die Wirksamkeit meines Dienstes als Nachfolger Petri hinsichtlich der Glaubenstreue und der Einheit der gesamten Kirche hat dem Gebet und Opfer der Kranken viel zu verdanken. Das vertraue ich euch an. Und ihr, ihr nehmt einen wichtigen Platz in meinem Herzen und in meinem Gebet ein. Ich habe euch einen langen Brief über den christlichen Sinn des Leidens gewidmet, Salvifici doloris, vom 11. Februar 1984, anläßlich des Festes Unserer Lieben Frau von Lourdes, die sich der Kranken so sehr annimmt. 6. Vor meiner Ankunft habt ihr an der Eucharistiefeier teilgenommen. Schon der hl. Irenäus, dieser große Bischof von Lyon, betonte so sehr dieses Wunder, daß Gott in der heiligen Kommunion in unseren vergänglichen Leib den unvergänglichen Leib Christi legt. Die Sakramente der Eucharistie und der Versöhnung sind heilende Taten Christi, die seine Wunder zeichenhaft andeuteten; sie sind das Pfand für das volle Heil, das Gott verspricht.Wir sind zum ewigen Leben berufen, von Angesicht zu Angesicht mit dem lebendigen Gott. „Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.“ Das ist die Frohe Botschaft unseres Herrn Jesus. Ich wünsche euch, daß ihr von nun an durch die Liebe eurer Familie, die Hingabe eurer Pfleger, die Hirtensorge der Kirche spürt, daß euch die Liebe Gottes nahe ist. Aus ganzem Herzen segne ich jeden von euch sowie alle, die euch begleiten. Zeuge sein nach bewußter persönlicher Entscheidung Ansprache beim Treffen mit der Jugend im Stadion Gerland in Lyon am 5. Oktober 1. „Geh umher!“ Wenige Tage nach Pfingsten heftete in Jerusalem ein Körperbehinderter am Eingang zum Tempel seinen Blick auf Petrus, um etwas von ihm zu empfangen. Petrus sprach zu ihm: „Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: im Namen Jesu Christi . . . geh umher!“ (Apg 3,6). Er nahm die Worte Jesu an den Gelähmten von Kafarnaum auf (vgl. Lk 5,24). 707 REISEN Liebe Freunde, heute sagt euch der Nachfolger Petri hier in Lyon ebenfalls: „Geh umher!“ Ich habe weder Gold noch Silber. Ich habe keine fertigen Antworten auf die Fragen, die ihr soeben gestellt habt und die ihr in euren 15 000 Briefen ausdrückt. Ich habe sie aufmerksam betrachtet, ich erkenne hier euren Willen wieder, im Glauben fortzuschreiten und an der Kirche und der Gesellschaft teilzuhaben. Über viele dieser Fragen denkt ihr in euren Gruppen, euren Bewegungen, euren Pfarreien und dann, wenn ihr Almosen gebt, nach. Ihr werdet fortfahren, sie in der Kirche gemeinsam mit euren Freunden, euren Priestern und den älteren Menschen zu vertiefen. Ihr werdet Möglichkeiten zur Antwort finden. I — Jesus Christus Ich werde mir Mühe geben, eure Probleme ins Licht Jesu Christi zu stellen. Ich komme als Zeuge Jesu Christi. Und ich sage euch: Geh umher, ziehe dich nicht auf deine Schwächen und Zweifel, die du hegst, zurück, sondern lebe aufrecht. Geh hin zu Jesus Christus mit dem Glauben, den du in ihn gesetzt hast, mit der Kraft seines Geistes, um mit ihm und deinen Brüdern eine neue Welt zu errichten. 2. Jesus Christus, „der Lebendige“ (Offb 1,18). Für Petrus und Paulus war er es, den sie nach seiner Auferstehung gesehen, berührt und gehört hatten. Für Paulus war es der Herr, der ihn auf dem Weg nach Damaskus ergriffen hatte: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ Polykarp, der alte Bischof von Smyrna, verkündigte im Augenblick seines Martyriums im Jahre 155: „Seit 86 Jahren bin ich im Dienste Christi: wie könnte ich den König verfluchen, dem ich mein Heil verdanke?“ Nun hatte Polykarp den Johannes, den Jünger des Herrn, gekannt. Und der Bischof Irenäus hat Polykarp gekannt. Die Märtyrer von Lyon kommen zum Teil am Ende des zweiten Jahrhunderts aus dem Land des Polykarp. Ihr Zeugnis schließt sich nahezu unmittelbar an das der Apostel, die den Herrn gesehen haben, an. Die Gewißheit der Auferstehung Jesu wird von Blandina unterstützt. Und wir gehören alle zur gleichen apostolischen Kirche. <82> <82> Jesus Christus! Gewisse Jugendliche oder Erwachsene, die von einer besonderen Gnade berührt sind, entdecken ihn und ändern durch ihn ihr Leben, ja, sie bekehren sich. Die meisten hingegen empfangen den Glauben schon von frühem Alter an durch die Kirche, und sie gelangen dann dazu, sich Fragen über diesen Glauben zu stellen, d. h. zu zweifeln 708 REISEN und diese Zweifel zu überwinden — ich verstehe dies. Was mich betrifft, so habe ich Kindheit und Jugend in einer Atmosphäre des Glaubens verbracht, von der ich mich wirklich nie getrennt habe. Das grundsätzliche Problem war für mich - ohne daß dies eine Frage des Zweifels gewesen wäre - das des Übergangs von einem ererbten Glauben, der eher gefühlsbetont als intellektuell ist, zu einem bewußten und voll aüsgereiften, nach persönlicher Entscheidung intellektuell vertieften Glauben. Auf dem Hintergrund der ursprünglichen Überzeugung, daß Gott existiert, habe ich mit dem Evangelium und mit der Kirche meinen Glauben in Jesus, „den Christus, den Sohn des lebendigen Gottes“, gemäß dem schönen Bekenntnis des Petrus (vgl. Mt 16,16) vertieft. Und Jesus Christus hat mich in die Kenntnis des Vaters und in das Leben mit dem Heiligen Geist eingeführt. Der Glaube ist die Gabe Gottes, die eine Hingabe des ganzen Menschen nach sich zieht; sie findet ihre Fülle in der Liebe. „Petrus, hebst du mich . . .?“ ( Joh 21,15). Der Glaube ist diese Entscheidung. Sie hat die Gewißheit der Liebe Gottes. 4. Gott hört nicht auf, in dieser Welt gegenwärtig zu sein. Er ist die QueUe von allem, was existiert, von allem, was lebt, von allem, was Geist und Liebe ist. Seine Gegenwärtigkeit ist unauslöschlich. Im Jahre 177 hatten die Heiden von Lyon geglaubt, den Glauben an Jesus beseitigen zu können, indem sie die Asche der Märtyrer in der Rhone verschwinden ließen. Aber die Auferstehung Christi hat eine andere Kraft. Der Heilige Geist läßt sich nicht ersticken. Und in der Tat ist ganz Lyon und ganz Gallien christlich geworden. Zu unserer Zeit haben einige Länder geglaubt, die Anziehungskraft Jesu zerstören und den Namen Gottes auslöschen zu können. Es ist viel vom „Tode Gottes“ gesprochen worden. Aber erstaunlicherweise hört er nicht auf, im Bewußtsein der Menschen wieder aufzutauchen. Liebe Freunde, Christus heftet seinen Blick auf jeden von uns, wer immer es auch sei, wie auf den jungen Mann aus dem Evangelium. Eure Briefe sprechen vom Glück, Jesus Christus zu kennen. Ich ergänze: Glück ist, zu erkennen, daß er gegenwärtig ist und sich bewußt zu werden, daß wir an ihn gebunden sind wie ein Glied an das Haupt des Leibes. Dies wird durch die Taufe verwirklicht, sie läßt uns die Gestalt Christi annehmen. Durch euch, ihr Gläubigen, lebt Christus wie zur Zeit der Märtyrer in der Kirche. Ihr seid die Kirche, die bezeugt, daß Jesus Christus lebendig ist. 5. Gott ist gegenwärtig, aber es ist wahr, daß wir abwesend sein können. Nicht Gott fehlt bei der Verabredung, sondern wir sind es, die Gefahr 709 REISEN laufen, die Begegnung zu verpassen. Der hl. Augustinus, der sich im Jahre 386 bekehrt hatte - vor kurzem haben wir seinen Geburtstag gefeiert -, bekannte sich, nachdem er sein Glück auf vielen falschen Wegen gesucht hatte, zu Gott: „Ich habe dich recht spät geliebt, alte und neue Schönheit! . . . Du warst in mir, als ich draußen war, und draußen suchte ich dich . . . Du warst mit mir, und ich war nicht mit dir.“ Viele unserer Zeitgenossen leben ebenso in religiöser Gleichgültigkeit, im Vergessen Gottes, indem sie ihr Leben ohne ihn gestalten; sie probieren alle Wege des Glückes aus, ohne zu wagen, daran zu glauben, daß Christus die Wahrheit, der Weg, das Leben ist. Könnten sie nur aufwachen, „in sich die Gabe Gottes wecken“, dem Aufmerksamkeit schenken, der an ihre Tür klopft, oder besser noch dem, der ihrem Wesen näher ist als sie selbst! Ihr seid nicht gleichgültig. Ihr erkennt im Grunde, daß ihr Durst nach Gott habt. Aber ihr leidet unter der gegenwärtigen Gleichgültigkeit. 6. Und ihr leidet noch mehr unter den Einwänden, der Opposition, dem Spott der anderen, wenn ihr von Gott sprecht. Die Propheten haben dieses Leiden gespürt: „Wer hat unserer Kunde geglaubt?“ (Jes 53,1). Jesus ist uns zuvorgekommen: „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen verfolgt werdet!“ (Mt 5,11). Wir sind alle dazu aufgerufen, den Mut zu haben, ihn zu bezeugen, ohne rot zu werden. Der hl. Paulus hat diese Bedrängnisse erfahren. Habt ihr heute nicht in der Messe gehört, wie er seinen Jünger Timotheus warnte: „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Schäme dich also nicht, dich zu unserem Herrn zu bekennen; schäme dich auch meiner nicht, der ich seinetwegen im Gefängnis bin, sondern leide mit mir für das Evangelium“ (2 Tim 1,7 f.). Eure Märtyrer von Lyon haben die schlimmsten Mißhandlungen erfahren, um treu zu bleiben. Und diese Geschichte geht heute an anderem Ort weiter. Eurer Generation ist nun nicht die Gelegenheit gegeben, bis zum letzten Blutstropfen zu widerstehen (vgl. Hebr 12,4). Aber ihr leidet darunter, euren Glauben nicht mitteilen zu können. Gott ist der einzige Richter des Gewissens unserer Brüder, die anders glauben oder die nicht glauben; es kommt ihm zu, seine Wahrheit im Geiste und in den Herzen fruchtbar zu machen, die ihn frei und ohne Zwang empfangen. Wir handeln immer mit Achtung, mit Geduld und mit Liebe. Aber wir wünschen uns mit aller Kraft, daß alle Gott in Fülle kennen; wir bitten darum, daß die Gabe Gottes ihre Verfügbarkeit treffe; und wir müssen daran arbeiten; wir müssen in einem aufmerksamen, um sich greifenden Dialog, der sich um eine packende Sprache bemüht, und im Vertrauen auf den Geist, der in 710 REISEN ihnen wirkt, ein klares Zeugnis von dem ablegen, den wir empfangen haben. Auch zu euch sagt Jesus: „Ihr werdet meine Zeugen sein.“ Wenn ihr nicht - in der Familie, in der Schule, in euren Freizeit- und Arbeitsgruppen - die geeigneten Zeugen seid, wer wird es dann an eurer Stelle sein? 7. Aber, um Zeuge zu sein, muß man sich seines Glaubens sicher sein. Und es kann euch passieren, daß ihr zweifelt. Die Entdeckungen der Wissenschaft, die Möglichkeiten der Technik verblüffen euch in Anbetracht der geheimnisvollen Wirksamkeit des Glaubens. Ihr müßt diesen Problemen entgegentreten. Könntet ihr nur entdecken, daß Gott einer anderen Ordnung zugehört als der des Beobachtbaren und wissenschaftlich Meßbaren, daß er auch nicht das Unerforschliche ist, das viele agnostische Philosophen an den Rand verweisen: er steht an der Quelle des Seins und er gehört, wie es Pascal sagte, der Ordnung der Liebe zu! Ihr seid eingeladen, die Gründe eures Glaubens beständig zu vertiefen und vor allem den Gott, so wie er sich in Jesus Christus geoffenbart hat, kennenzulernen. Dies ist das Ziel eurer Katechesen, eurer Versammlungen, eures Nachsinnens über euer Leben, eure Lektüre, eure Zurückgezogenheit, eures Gebetes. Die Versuchung des Zweifels kann euch zu einem gereinigten Glauben führen. Dann werdet ihr, so wie es der Apostel Petrus gesagt hat, bereit sein, „jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ ( 1 Petr 3,15). 8. „Was nützt es zu glauben?“ Dies ist die letzte brennende Frage, die eure Freunde fernhält. Zunächst möchte ich euch sagen: von welchem Nutzen sprecht ihr? Wenn ihr unmittelbar versucht, Gott und die Religion als Beitrag zur Verwirklichung eures spürbaren Glückes zu benutzen, um eure Interessen oder der Wirksamkeit von Unternehmungen zu dienen, die von der Natur, der Intelligenz und dem Herzen abhängen, das Gott euch in Anbetracht der Lenkung der Welt und im Hinblick auf die Vervollkommnung eurer sittlichen Haltung gegeben hat, so lauft ihr Gefahr, enttäuscht zu werden. Gott ist kein Werkzeug, mit dem wir unsere Fehler glätten können. Er ist Jemand. Er existiert für sich selbst über allem. Er verdient es, daß er gekannt und bewundert wird, daß ihm gedient und daß er aufgrund seiner selbst unentgeltlich geliebt wird. Und es ist auch wahr, daß er unsere volle Erfüllung will. Irenäus, der Nachfolger des Pothinus und der zweite Bischof von Lyon, sagt: „Der Ruhm Gottes ist der lebendige Mensch und das Leben des 711 REISEN Menschen, das ist der Blick auf Gott.“ Gewisse Leute haben mich darum gebeten, vom ewigen Leben zu sprechen. Liebe Freunde, möchtet ihr wahrhaftig Gott sehen? Ihm in der anderen Welt gegenüberstehen, nachdem ihr ihm in dieser Welt im Glauben begegnet seid? Möchtet ihr von jetzt an an seinem göttlichen Leben teilhaben, gerettet werden von all dem, was euch von ihm entfernt, möchtet ihr, daß euch eure Sünden vergeben werden? Solche Gnaden liegen nicht in eurer Macht. Gott allein kann sie euch zugestehen. Und ausgehend davon wird er außerdem viele andere Dinge tun. Mehr noch als die Dinge zu ändern, um die ihr ihn bittet, wird er euch selbst ändern. Wenn ihr Gott anschaut, ihm euren Glauben schenkt, ihn bittet, euch an ihm zu nähren, mit ihm „Wahres zu tun“ und im besonderen dem Gebot der Liebe gehorcht, so werdet ihr nicht mehr dieselben sein. In diesem Sinn ist der Glaube sehr wirksam. Dies sind die Wege, Gott so zu erleben, wie ihr sagt. 9. Gott ist größer als unser Herz. Heute morgen habt ihr in der Messe des 27. Sonntages gehört, wie die Apostel Jesus baten: „Stärke unseren Glauben“ (Lk 17,5). Dies ist das Gebet, das wir, indem wir uns gegenseitig stützen, an den Herrn richten müssen, denn mit ein wenig Glauben sind, so sagt Jesus, so viele Dinge möglich. Ich habe in der Tat in zahlreichen Ländern Jugendliche gesehen, die wie ihr im Gespräch mit mir versammelt waren, ja praktisch war es so in jedem Land, das mich empfangen hat. Viele stellen sich wie ihr Fragen über den Glauben. Sie wünschen sich, daß ihr menschliches Leben gelingt, sie wünschen sich auch, daß ihr Glaubensleben gelingt, und sie möchten die Welt erneuern. Sie stoßen auf schwerwiegende Probleme, von denen ich noch sprechen werde. Sie haben keine Angst davor, sich auf Jesus Christus zu berufen. 10. Aber kann man die erste Liebe wiederfinden, die diejenige ist, die die Gemeinschaft von Lyon ursprünglich für ihren Herrn bezeugt hat? Den ersten Eifer, den ihr vielleicht kennengelernt habt, als ihr den Herrn entdeckt habt? Es ist gut, sich auf diese Zeugnisse des Eifers zu stützen: sie veranschaulichen das, was die Begegnung mit Jesus Christus bewirken kann, wenn man einen neuen Blickwinkel hat. Aber die Geschichte wiederholt sich in unterschiedlichen Situationen niemals auf genau dieselbe Weise. Gefühle können sich ändern. Sie sind nicht das Wichtigste. Manchmal sogar wird man in der Nacht, vor dem Morgengrauen auf die Probe gestellt, aber die 712 REISEN Treue bleibt und die überzeugte Zuneigung gewinnt. Besser als mit Wehmut nach rückwärts zu blicken, müssen wir nach vorn schauen: Christus ruft uns zu einem neuen Fortschreiten auf. Der Heilige Geist ist derselbe wie zu den frühesten Zeiten. Er läßt jeder Generation das Evangelium neu aufblühen. „Geh umher!“ II - Die Kirche 11. „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat“ (1 Petr 2,9). Liebe Freunde, so wandte sich der hl. Petrus an das neue Volk der Getauften, an die Kirche. Welche Freude ist es für mich, euch sagen zu hören: „Die Kirche interessiert uns; für uns ist sie eine Entscheidung, eine persönliche Haltung!“ Ihr befindet euch in ihr. Ihr wißt, daß es eine Illusion wäre, den Glauben zu Christus ohne Kirche bewahren zu wollen. 12. Das hindert euch nicht, Unvollkommenheiten zu erleiden, von denen sie betroffen ist, insbesondere wenn ihr seht, wie sich andere Jugendliche von ihr entfernen, indem sie sich auf diesen Grund berufen. Ihr hättet gern, daß die Kirche immer gastfreundlich, voller Jugend ist und daß das Evangelium durchscheint. Auch ich hätte sie gern so, und ich arbeite ohne Unterlaß mit der Gnade Gottes daran. Der hl. Paulus sagte: „Ihr Männer liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat... So will er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos“ (Eph 5,25.27). Und tatsächlich ist die Kirche im Plan Gottes und in ihrer gegenwärtigen Wirklichkeit unsichtbar. Das Zweite Vatikanische Konzil beschreibt das Mysterium der Kirche, noch bevor es auf ihre Strukturen zu sprechen kommt. Es sagt: Der Geist „wohnt in der Kirche... und läßt die Kirche allezeit sich verjüngen, erneut sie immerfort und geleitet sie zur vollkommenen Vereinigung mit ihrem Bräutigam“ (LG 4). In diesem Sinne könnte man von einem fortwährenden Pfingsten sprechen. 13. Ohne Flecken oder Falten... Aber die Kirche hat Falten. Im übrigen darf sie Falten haben. Heute ist sie keine Heranwachsende mehr, sie ist eine Mutter, die seit zweitausend Jahren den geschichtlichen Erschütterungen und den Versuchungen der Welt ausgesetzt ist. Im Laufe der 713 REISEN Jahrhunderte hat sie Verfolgungen erlebt, die einen neuen Eifer geweckt haben. Aber einige ihrer Glieder haben auch die Verführungen des bösen Geistes, die Etablierung des Reichtums, die Routine oder die Versuchung der Bloßstellungen im notwendigen Heilsdialog mit der Welt erlebt. Jesus hatte seinen Vater gebeten: „Ich bitte nicht, daß du sie aus der Welt nimmst, sondern daß du sie vor dem Bösen bewahrst“ (Joh 17,15). Die Kirche ist kein Club von sogenannten Vollkommenen, sondern sie ist eine Versammlung von versöhnten Sündern, die mit ihren menschlichen Schwächen auf dem Weg zu Christus sind. Eine der großen Miseren der Kirche ist die Spaltung ihrer Söhne gewesen, und es ist dringend nötig, die Einheit mit all unseren getrennten Brüdern zu suchen, so wie es der hl. Franziskus von Sales mit Hilfe des Evangeliums so gut getan hat: mit der Liebe und der Suche nach der Wahrheit. Denn die Untreue zur Wahrheit wäre eine andere Misere. 14. Nun ist es so, liebe Freunde, die Kirche bleibt heilig, denn sie ist durch Christus geheiligt worden. Aber die tatsächliche Heiligkeit ihrer Mitglieder ist, so wie ein „schlüsselfertiges Haus“, nie vollendet. Immer bleibt etwas, das gebaut, wiederaufgebaut, gereinigt werden muß. Und wie können wir die Fehler unserer Vorfahren verurteilen, wenn wir selbst von der Sünde erreicht werden? Vor dem Heiland sind wir alle arme Sünder. Und dennoch führt uns die Kirche von unserer Taufe an zu den Quellen der Heiligkeit. Sie ist unsere Mutter. Eine Mutter, die nährt und die versöhnt. Eine Mutter kann nicht wie eine Fremde kritisiert werden, denn man liebt die, die uns das Leben gegeben hat! Die Heiligen sind die sichtbaren Zeugen der geheimnisvollen Heiligkeit der Kirche. Sie sind die menschlichsten der Menschen geblieben, aber das Licht Christi hat die ganze Menschheit erleuchtet. Der Elan, der sie belebt hat, altert nicht. Die Heiligen werden von der Kirche seliggesprochen und für heilig erklärt, aber das gleiche gilt auch für all die versteckten anonymen Heiligen: sie retten die Kirche vor der Mittelmäßigkeit, sie erneuern sie, ich würde sagen durch Ansteckung von innen her, und sie führen sie zu dem hin, was sie sein soll. Päpste haben sich vor diesen Dienern Gottes, wie dem Pfarrer von Ars oder Pater Chevrier, verbeugt. Liebe Freunde, durch die Heiligen gibt euch Gott Zeichen. Auch ihr seid zur Heiligkeit auf gerufen! 15. Gemeinsam mit den Heiligen, die wie Leuchttürme sind, ist das ganze Volk Gottes unterwegs. Einer von euch schreibt: „Wir hätten die Kirche gern als ein sich entwickelndes Haus, das die Bibel als Wurzel, Christus als 714 REISEN Eckpfeiler und das Evangelium als Tragebalken hat.“ Das ist ein schönes Bild. Der hl. Paulus verglich die Kirche mit dem Tempel Gottes, aber auch mit dem menschlichen Leib. „Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied an ihm“ (1 Kor 12,27). Nicht alle Glieder haben dieselbe Funktion. Dies macht den Zauber und das Leben des Leibes aus. Ihr Jugendlichen, Getaufte und Gefirmte, ihr seid mit allen Laien und Christen die Basiszellen, ohne die es keinen Leib gäbe. Ein den Situationen gemäß differenzierter Leib: Kind, Jugendlicher, Ehegatte, Mann und Frau, gemäß euren Berufungen, gemäß euren Fähigkeiten, die ihr in den Dienst der anderen stellt, gemäß den Aufgaben des Apostolates oder auch den nicht ordinierten Ämtern, die euch für die Beseelung eurer Gemeinden übertragen werden. Hierbei gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen Mann und Frau. Gewiß, auf der hierarchischen Ebene sind allein die Männer Nachfolger der Apostel, auf der Ebene der Charismen beseelen die Frauen die Kirche ebenso wie die Männer (vgl. Rede zu den Jugendlichen im Parc au Prince, Paris 1980, Nr. 18). Ja, die Kirche zählt wirklich auf einen jeden von euch: zunächst, damit ihr in euch das göttliche Leben entwickelt, das euch gegeben worden ist, und damit ihr am Dienst an der Kirche und an der Sendung als Zeuge bei euren Freunden teilhabt. 16. Im Leib Christi fühlen sich andere Glieder dazu auf gerufen, alles zu verlassen, um im Ordensleben oder in Instituten geweihten Lebens Christi Wort zu folgen, indem sie ehelos, arm, verfügbar bleiben, um das kommende Reich Gottes besser darstellen zu können. Dies ist eine wunderbare Berufung, die auch für die Kirche wesentlich ist. Sie erklärt sich außerdem durch die Liebe zu Christus, wie die der Braut für den Bräutigam. Glücklich sind jene, die diesen Ruf hören und die ihn nicht erstik-ken! Einige haben mir gestanden: „Wir befürchten, zu einem geweihten Leben aufgerufen zu sein.“ Glaubt ihr nicht, daß Christus fähig ist, euch mit seiner Freude und seiner Kraft zu erfüllen? 17. Im Leib Christi kommt den Priestern ein besonderer Platz zu. Niemand hat Zutritt zum Priestertum, der nicht von der Kirche dazu berufen und zum Priester geweiht wird. Denn der Priester erfüllt eine Funktion, die sich von der der anderen Getauften unterscheidet: im Namen Christi, dem Haupt des Leibes, versammelt er als Hirt seine Brüder und wacht darüber, daß sein authentisches Wort ihnen zugänglich ist, er vergibt die 715 REISEN Sünden, er macht den Leib und das Blut Christi gegenwärtig, um seine Brüder zu nähren, und er steht ihnen zur Verfügung, um sie zu unterstützen und ihnen Rat zu geben. Wie schön ist es, einen von euch sagen zu hören: „Ich brauche so sehr einen Priester, der mich anhört!“ Ja, der Priester ist euch nah, indem er gleichzeitig in inniger Einheit mit Christus verbleibt, ganz dem Evangelium geweiht und allen Menschen verfügbar ist: er braucht das Engagement im Zölibat. Morgen werde ich in Ars zu allen Seminaristen Frankreichs davon sprechen, indem ich den wundervollen Dienst des Pfarrers von Ars vor Augen habe. Der Priester leistet im übrigen mehr als das, was ihr hört: er kann eine Antwort auf eure Zweifel geben, und er kann vor allem euren eingestandenen Schwächen die Antwort Gottes geben: die Vergebung Gottes im Sakrament der Versöhnung. Holt ihr euch diese Vergebung beim Priester? Warum gibt es so wenige Priester, wo sie doch für das Leben des Leibes so unerläßlich sind? Ich frage euch dies, liebe Freunde. Wie wäre es da möglich, daß aus der Gruppe der jungen Gläubigen, die ihr seid und die ihr hochherzig seid und danach strebt, die Kirche zu erbauen, keine Priester- und Ordensberufe erwüchsen? Ich bin sicher, daß viele diesen Ruf spüren. Was entmutigt euch? Es liegt an euch, liebe Freunde, darüber nachzudenken. Was mich angeht, so habe ich Vertrauen. Und ich sehe, daß die Aufnahme ins Priestertum in vielen Ländern der Welt eine Erneuerung erfährt. 18. In dem Bau, dessen Schlußstein Christus ist, sind die Apostel, so sagt der hl. Paulus, das Fundament (vgl. Eph 2,20). Ihr habt mich gefragt, was die Rolle der Bischöfe und der Päpste sei. Ich garantiere die ununterbrochene Übertragung des Lebens Christi seit den Aposteln. Sie sind die „Bewahrer“ des Evangeliums (vgl. 2 Tim 1,14); sie sind die Verantwortlichen für die Einheit der Christen in der Diözese, für ihre Treue im Glauben und ihren missionarischen Eifer; sie sind die Verantwortlichen für ihren Zugang zum Sakrament Christi. Sie geben euch, wie ihr sagt, Anhaltspunkte für euer Verhalten und mehr noch als Anhaltspunkte, denn Christus hat ihnen die Forderungen des Gottesreiches anvertraut, die keine überflüssigen Ratschläge, sondern dringende Aufrufe sind. Sagen wir, daß sie unter euch die Hirten sind, die Jesus seiner Kirche gegeben hat. Dies ist der Daseinsgrund dieser Hierarchie: diejenigen, die voran gehen, sind Hirten. Gemäß eures schönen Ausdrucks helfen sie euch zu „dauern“. Ohne Bischof gibt es keine Kirche, und es gibt keine Priester, denn die Priester nehmen am vollen Priestertum des Bischofs 716 REISEN teil. Der hl. Franziskus von Sales ist ein Bischof sondergleichen, ein mutiger Hirt gewesen. Ich bin der Bischof von Rom, der Nachfolger des Apostels Petrus; und, wie ihn, bittet mich der Herr ebenfalls, über die ganze Herde - über Lämmer und Schafe - zu wachen in Einheit mit meinen Brüdern, den Bischöfen, der Einheit, der Treue und dem Fortschritt aller Einzelkirchen zu dienen. Petrus wird häufig mit den Schlüsseln in der Hand dargestellt! Dies sind die Schlüssel, die dazu bestimmt sind, das Königreich Gottes zu öffnen, den Zutritt zu erleichtern. Betet auch für mich. Beten wir gegenseitig füreinander! 19. Mögen wir die Rolle genau erfüllen, die Gott jedem von uns in seiner Kirche anvertraut hat! Ohne dabei Trennwände in unserem Haus zu errichten! Mögen wir gemeinsam bauen, brüderlich in gegenseitiger Achtung leben! Lassen wir den Graben zwischen Erwachsenen und Jugendlichen nicht tief werden! Und ihr, besetzt euren Platz gut! Versucht, die Botschaft der Kirche zu verstehen — denn manchmal ist sie schwierig, weil sie komplex, vielschichtig und für alle Glieder des Leibes bestimmt ist - und versucht, sie den anderen zu erklären und vor allem, bescheiden zu leben. Das Leben des Leibes hat nicht nur Strukturen, ein Knochengerüst; es hat Boden, Gemeinschaften, die auf die Menschen zugeschnitten sind, wo es leichter ist, teilzuhaben, zu geben und zu empfangen. Eure Familie, eure Bewegungen, eure charismatischen Gemeinschaften sind Boden. Die Pfarrei ist auch ein notwendiger Boden, denn sie erlaubt den Gliedern des Leibes - wie unterschiedlich sie auch seien — zu beten, zu feiern, sich mit Gott zu versöhnen und gemeinsam ohne Trennwände zu handeln. Nehmt einfach aktiv, in Achtung vor den anderen, daran teil; tragt eure Musik dorthin, aber bringt sie in Einklang mit dem Konzert eurer Brüder und Schwestern, die anders sind als ihr. Seid nicht wie die, die glauben, ihren Glauben leben zu können, ohne regelmäßig an der fundamentalen Versammlung der Kirche teilzunehmen. 20. Keine Ortsgemeinde, wie dynamisch sie auch sei, kann sich in sich selbst einschließen. Auch keine Diözese. Die Weltkirche aber gibt dem Leib Christi die Dimension. Hat die Kirche eine Zukunft?, fragt einer unter euch. Sie hat eine, denn sie gründet sich auf dem lebendigen Christus. Hat sie in dieser oder jener Region eine schöne Zukunft? Dies hängt auch von den Christen ab. Wird sich die Kirche weiterentwickeln? Sie kann nicht die Fundamente 717 REISEN des Glaubens, der Moral, der Sakramente, der Struktur des Leibes Christi verändern: im Jahre 2000 wird keine Kirche Christi erfunden! Aber sie kann, ja sie muß sich in Anbetracht der neuen Fragen, des neuen Unglaubens erneuern. Mit dem Heiligen Geist hat sie die Fähigkeit dazu. Die Entchristianisierung ist nicht schicksalhaft, sie ist eine vorübergehende Krankheit, eine Herausforderung, von der man sich erholen muß. Kirche Frankreichs, laß dich von den jungen Kirchen, die deine Missionare gegründet haben, befragen. Vielleicht können sie dir neuen Eifer vermitteln! Frankreich war nach den sogenannten Barbareneinfällen unter den neuen Nationen die älteste Tochter der Kirche; die Kirche hat andere Töchter, die groß geworden sind! Aber immer noch zählen wir sehr auf euch, Jugendliche Frankreichs, die ihr so viele Gnaden im Laufe eurer Geschichte empfangen habt. Mit den Bischöfen und im Namen Christi, der den Aposteln das Amt übertragen hat, sende ich euch in die Welt. III — Das Engagement in der Welt 21. Was ich an eurer Stelle tun würde, liebe Freunde? Ich würde mit euch die Welt betrachten; ich würde mein Gewissen betrachten; und gleichzeitig würde ich das Evangelium betrachten. Man liest dort, daß Jesus sich vor einer großen Menge von ungefähr fünftausend Menschen befand, die begierig darauf harrte, ihm zuzuhören, von ihrem Bösen befreit zu werden und in seiner Nähe Gründe für ihr Leben zu finden. Aber sie hatten nichts zu essen, es war Abend, sie befanden sich in der Wüste. Jesus wollte sie nicht zurückschicken, ohne daß sie gegessen hatten. Die Apostel waren ratlos: „Hier ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; doch was ist das für so viele?“ (Joh 6,9). Und ihr, liebe Freunde, ihr scheint mir voller Ernsthaftigkeit und Hochherzigkeit vor den Mengen von Menschen mit ihren verschiedensten Bedürfnissen. Aber ihr scheint zu sagen: „Was kann unser guter Wille so vielen Menschen helfen?“ Beginnt damit, das zu schätzen, was ihr habt, fangt an, die Schönheiten der Welt zu unterscheiden, die schönen Gesten eurer Brüder zu entdecken und auch einfach die guten Bereitschaften zu erkennen, die Gott in euer Herz gesetzt hat. Es gefällt mir, euch sagen zu hören: „Wir möchten den Frieden, ein wahres Gespräch unter den Menschen. Wir möchten das Teilen. Wir sind glücklich, in einem freiheitlichen Land zu sein, uns auf eine Familie zu stützen, die sich für unsere Studien geopfert hat. Wir haben unsere Pläne für eine Familie. Wir möchten leben, möchten, daß unser 718 REISEN Leben und auch das der Welt gelingt. Wir möchten lieben und geliebt werden. Die Zukunft steht weit offen vor uns. Und, da wo es nötig ist, möchten wir die Mentalitäten ändern.“ So, voller Ideale, liebt Christus die Jugend, wie er auch den reichen jungen Mann aus dem Evangelium liebte (vgl. mein Brief an die Jugendlichen der Welt, 31. März 1985). Ich würde hinzufügen: Laßt in der Wahrheit, dem Guten, in der Achtung vor der Würde des Menschen keine Kompromisse zu. Dies sind Grundsätze einer neuen Welt. 22. Aber dieses Ideal ist einer strengen Prüfung unterworfen. Wird es der harten Realität dieser Welt widerstehen? Und wird diese innige Versammlung von heute abend ein Fest ohne ein Morgen sein? Die Liste der Übel dieser Welt, die euch Sorgen bereiten, ist lang und wird manchmal beängstigend: so viele menschliche Einsamkeiten, die Arbeitslosigkeit so vieler Jugendlicher, das Elend aller Art, die Illusionen einer falschen Freiheit, dann die Risiken, die unseren Kernkraft-Projekten, der Überflutung mit künstlichen Dingen, einer die Anonymität fördernden Technik, die entmenschlicht ist und bis hin zum Geschäft mit menschlichen Embryos geht, innewohnen. Verklagt ohne Furcht das, was immer noch auf offenkundige Weise mit der Sünde des Menschen, seinem harten, gewalttätigen, haßerfüllten Herzen oder mit seinen moralischen Schwächen, seinen egoistischen Ängsten verbunden ist. Und ganz zu schweigen von der Intoleranz, dem Rassismus, der Folter, der Prostitution, der Drogenabhängigkeit und den Versuchungen zur Verzweiflung, Kriminalität, Abtreibung, Banalisierung von Liebesbezeugungen, blindem mitleidlosen Terrorismus, was auch immer die hierfür angeführten Gründe sein mögen. In Casablanca richtete ich vor den jungen Muslimen das folgende Gebet an Gott: „Erlaube nicht, das wir jemals, indem wir deinen Namen anrufen, die menschlichen Unordnungen rechtfertigen.“ Denn sicher ist, daß Gott das Böse nicht will. Er hat den Menschen für die Liebe, für den Frieden, für die Solidarität, für die vernünftige Herrschaft über die Welt geschaffen. Nehmt weiterhin wie Jesus Anteil am Leiden. Nennt weiterhin böse, was böse ist. 23. Und ihr werdet auch das Herz offenhalten können für das Elend der großen Massen der Dritten Welt, die nach Brot, Freiheit und Würde hungern, denen es nach Gott dürstet. Im Stadtviertel La Guillotiere litt Pater Chevrier darunter, die Kinder ausgebeutet und als Analphabeten, die Menschen von der Arbeit erschöpft, schlecht ernährt, schlecht behaust und mit dreißig Jahren als Greise zu sehen. Dies ist, liebe Freunde, das 719 REISEN Los so vieler Völker, die mit Mühe für ihre Entwicklung kämpfen, es ist auch das eurer Nachbarn der Vierten Welt. 24. Möget ihr einen klaren Blick bewahren! Lebt nicht so sehr in der Angst! Die übergroße Verbreitung von tragischen Neuigkeiten, von unlösbaren Problemen kann euren Schultern eine zu große Last aufbürden. Eure Angst würde den Armen nichts bringen. Müßt ihr euch verantwortlich fühlen und in euch die Schuld für all diese Übel spüren? Nein, im engeren Sinne seid ihr für dieses große Elend nicht verantwortlich, aber ganz allmählich werdet ihr für den Beitrag an der Wiedergutmachung verantwortlich sein. Weist nicht zu voreilig mit eurem anklagenden Finger auf die „Großen“ dieser Welt, auf andere Menschengruppen, auf andere Länder. Menschliche Verantwortlichkeit gilt, das ist wahr, für viele dieser Übel. Aber sie ist komplex, viele haben solidarisch daran Anteil. Gott hat eine solidarische Welt geschaffen, mit der auf beste oder auf schlechteste Weise umgegangen werden kann. Aber diese Solidarität ist eine Chance; sie wird uns erlauben, gemeinsam zu handeln. 25. Die Dinge müssen sich ändern. Zunächst muß sich das Herz des Menschen ändern. Vom Herzen hängt der aufmerksame und gütige Blick ab, vom Herzen hängt die Geste der gegenseitigen Hilfe der Hände ab. Pater Chevrier hat damit begonnen, die Armen von La Guillotiere zu lieben, er hat sich ihnen genähert, er hat mitten unter ihnen gelebt, er ist so arm wie sie geworden. Er hat den Christus der Krippe, des Kreuzes, der Eucharistie betrachtet, der so arm ist und uns so nah. Vor allem hat er die Würde der Armen und das Gute, dessen sie fähig sind, erkannt. Er hat Christus durch sie gesehen. Und er konnte mit Christus sagen: „Glücklich sind die Armen und die, die ein Herz für die Armen haben, denn sie sind dem Gottesreich offen.“ Liebe Freunde, berücksichtigt unter diesem evangelischen Aspekt all eure Brüder in der Not, eure Nachbarn und die, die weiter weg sind. Die Liebe gibt sich nicht mit der bloßen Betrachtung zufrieden: sie versucht, ihren Teil der Erleichterung, der konkreten und erfinderischen gegenseitigen Hilfe, des Gebets beizutragen. Eine Laiin eures Landes, Pauline Jaricot, hat ihr Leben damit verbracht, die ihr verfügbaren Lösungen zu suchen, um die jugendlichen Seidenheimarbeiter aus Lyon zu unterstützen; sie hat ihnen dabei geholfen, sich in Gruppen zusammenzufinden, sie hat versucht, Arbeitsstellen für sie zu schaffen, sie hatte die Idee, eine gemeinsame Kasse einzurichten, wobei sie sich selbst zugrundegerichtet hat. Und für alle Missionare der Welt hat sie auch eine finanzielle Beteiligung und 720 REISEN eine Beteiligung im Gebet hervorgebracht. Die arme Pauline hat ihre Seele Gott anvertraut, ohne die Entfaltung ihres Liebeswerkes, ihres missionarischen Werkes zu sehen. Heute ziehen wir unseren Vorteil daraus. 26. Aber vielleicht bleibt eure Frage: „Was nutzt dies so vielen Menschen?“ Das Zweite Vatikanische Konzil (Gaudium et spes) hat diese Beziehung zwischen unseren bescheidenen gegenwärtigen Bemühungen und der neuen Welt, auf die wir hoffen, auf klare Weise erhellt. Ich zitiere euch den Text: „Vor der Frage, wie dieses Elend überwunden werden kann, bekennen die Christen, daß alles Tun des Menschen, das durch Stolz und ungeordnete Selbstliebe täglich gefährdet ist, durch Christi Kreuz und Auferstehung gereinigt und zur Vollendung gebracht werden muß“ (Nr. 37). „Das Grundgesetz der menschlichen Vervollkommnung und deshalb auch der Umwandlung der Welt (ist) das neue Gebot der Liebe... (Christus) gibt die Sicherheit,.. .daß der Versuch, eine allumfassende Brüderlichkeit herzustellen, nicht vergeblich ist... Dieser Liebe ist nicht nur in großen Dingen nachzustreben, sondern auch und besonders in den gewöhnlichen Lebensverhältnissen“ (Nr. 38). „Es vergeht zwar die Gestalt dieser Welt, die durch die Sünde mißgestaltet ist, aber ... die Liebe wird bleiben, wie das, was sie einst getan hat“ (Nr. 39). Oder anders gesagt: „Obschon der irdische Fortschritt eindeutig vom Wachstum des Reiches Christi zu unterscheiden ist, so hat er doch große Bedeutung für das Reich Gottes...“ (Nr. 39). Auf diese Weise würden die Christen die Aufgaben dieser Welt nicht verlassen, sondern sie würden sich ihnen mit noch mehr Begeisterung, in Liebe und Hoffnung stellen. 27. Und ihr, liebe Jugendliche, nehmt in eurem Alter und da wo ihr seid, Anteil am Wiederaufbau der Welt. Bereitet euch zunächst darauf vor, in ihr eine Rolle zu spielen, eine Dienstrolle, die sich durch alle menschlichen, wissenschaftlichen, technischen Kompetenzen auszeichnet, die euch gerade in der Schule, in der Universität oder in eurer Lehre nahegebracht werden. Und stärkt in euch vor allem die sittlichen Werte der Aufrichtigkeit des Herzens, der Ehrlichkeit, der Achtung vor den anderen, des Dienstgeistes, des Sich-selbst-Gebens, der Beständigkeit in den Bemühungen, ohne welche die materielle und technische Änderung der Welt zu keinem Fortschritt führen würde. Man sieht dies in gewissen Ländern, die an einen Fortschritt geglaubt haben, indem sie das politische oder wirtschaftliche Regime geändert haben, ohne dabei den sittlichen Wert des Menschen hervorzuheben. 721 REISEN Aber abgesehen von dieser wichtigen Vorbereitung, müßt ihr euch von heute an nicht nur in der massiven verbalen Unterstützung großer Fragen durch Solidarität mit den Bemühungen der Menschen um eine bessere Welt engagieren, sondern ihr müßt dies in tausend konkreten Gesten tun, die ihr persönlich und in Gemeinschaft erfindet und realisiert, um das Schicksal derjenigen zu verbessern, die euch umgeben, und auch derjenigen, die entfernt von euch sind, um dazu beizutragen, daß sich die Mentalitäten wandeln. So werdet ihr zeigen, daß ihr aus euch selbst herausgeht, um euch um andere zu sorgen. Mißachtet diese kleinen Dinge nicht, die in den Augen Gottes viel zählen und die niemals verloren sind, denn sie werden im Erbarmen Gottes erfüllt. Jesus sprach demjenigen Bedeutung und eine Belohnung im Himmel zu, der einem seiner Jünger „nur einen Becher frischen Wassers gibt“ (Mt 10,42) und der einige Talente mutig zum Wachsen bringt (vgl. Mt 25,23). Warum? Denn Christus nimmt selbst das Brot und den Fisch des kleinen Jungen in seine Hände. Er vermehrt es auf seine Weise. Ihr habt eine Geste der Liebe, der Gerechtigkeit, der Vergebung in die Wege geleitet. Christus nimmt euer Opfer mit dem seinen an. Es hat durch das Leiden zu seiner Auferstehung geführt. Es hat eine neue Welt eröffnet. Ja, durch eure Liebes- und Dankesbezeugungen im Wehen des Heiligen Geistes ist heute die neue Welt geboren! 28. Es gibt einen besonderen Bereich, wo eine neue Welt geboren wird. Ich wende mich an diejenigen, die sich darauf vorbereiten, ein Heim zu gründen, nachdem ich zuvor von den Ordensleuten und Priestern gesprochen habe. Dies war auch eine eurer Fragen — eine sehr wichtige Frage -, und ich würde euch gerne mehr darüber sagen. Ich äußere mich oft unter anderen Umständen über dieses Thema, so wie noch heute morgen in Paray-le-Monial. Zu viele von euch leiden unter dem Zerwürfnis ihrer Familien. Ihr sagt: „Ist eine wahre, dauerhafte Liebe überhaupt noch möglich?“ Ich sage euch im Namen Christi: Ja, sie ist möglich. Sie ist, im Hinblick auf das Heim ganz Gottes Plan. Der Plan ehelicher Liebe, dem ihr euch verschreibt, wenn es eure Berufung ist, ist von großer Schönheit: er entspricht dem Ruf Gottes, der den Menschen als „Mann und Frau“ geschaffen hat. Aber man erlernt die eheliche Liebe Tag um Tag. Auch hier habt ihr von jetzt an eure Verantwortung. Wie ich es in meinem Brief an die Jugend (Nr. 10) erklärte, gibt es eine Lehre zur selbstlosen Hingabe in der Klarheit und Einfachheit, die sich während der Kindheit und Jugend entwickelt und ohne die die Ehe ein Reinfall, ein Egoismus zu zweit wäre. Es gibt eine Lehre zur Achtung des anderen, seines Inneren, 722 REISEN seiner ganzen Person, wovon der Leib der Ausdruck ist. Es gibt eine Lehre aller zum Leben notwendigen sittlichen Werte. Es gibt eine Lehre zu den Verantwortlichkeiten, die ihr gemeinsam für die Gabe des Lebens und die Erziehung der Kinder, für den Dienst an der Gesellschaft tragen werdet. Denn die Ehe ist eine Erfahrung, die das Herz erfüllt, aber sie ist auch eine erfüllbare Aufgabe. Die Zeit des SichrBesuchens, die Zeit der Verlobung ist diese wunderbare Zeit der Lehre. Verderbt sie nicht. Sorgt euch darum, euch schon jetzt auf ein solches Versprechen vorzubereiten. Verwechselt nicht die vorreife Erfahrung der Freude mit der Hingabe seiner selbst in der für immer klar einwilligenden Liebe. Ich wünsche euch, daß dieses Glück mit der Gnade des Ehesakramentes vor Gott ein Paar formt, wo jeder Partner beständig das Glück und das Wohl des anderen sucht und sich mit ihm gemeinsam nicht davor fürchtet, gemäß dem Plan Gottes Leben zu schenken. Von solchen Familien ausgehend, wird sich das Gewebe der Gesellschaft, die neue Welt, die wir anstreben, wiederherstellen. 29. Dies sind, liebe Freunde, Gründe fürs Leben. Wenn sie gewisse Verzichte mit sich bringen, so heißt das, daß das moralisch Böse — nicht so sehr vom Papst, sondern vom Gewissen eines jeden, der den Willen Gottes erreicht — immer untersagt bleiben wird. Dieses Böse, was immer es auch sei, verletzt nämlich die Würde, das Glück und die Menschlichkeit des Menschen. Aber Christus überläßt uns niemals dem Bösen. Dem Sünder, dem schwachen Menschen, der sein Vertrauen in ihn setzt, sagt er: „Geh umher!“ 30. Ich werde mich in Kürze nach Notre-Dame de Fourviere begeben . und mich glücklich schätzen, dort mit den Ordensleuten zur heiligen -Jungfrau zu beten. Pauline Jaricot hatte die Gebetskette des lebendigen Rosenkranzes erfunden. Möge die Jungfrau auch euch auf eurem Wege begleiten! Laßt euch wie sie vom Heiligen Geist bewohnen und durchdringen. Er wird euch die Gründe fürs Leben eingeben. Er wird euch die Kraft geben, für Gott und die anderen zu leben. Und außerdem rdie Freude! 723 REISEN In die Welt gesandt, ohne von der Welt zu sein Ansprache an die Ordensleute in der Basilika Notre Dame de Fourviere von Lyon am 5. Oktober 1. „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!“ (Joh 15,9). Diese Worte Jesu am Vorabend seiner Passion richten sich besonders an euch, hebe Ordensmänner und Ordensfrauen und Mitglieder der Säkularinstitute. Denn in der Gemeinschaft der Getauften habt gerade ihr deutlich den Anruf Christi gehört, in seiner Liebe zu verharren. Ihr habt aus tiefstem Herzen geantwortet, daß ihr fortan ihm gehört, und habt für die unendliche Liebe des Vaters Dank gesagt, die in der Person Christi gegenwärtig wurde. Das Heiligtum, in dem wir uns befinden, lädt uns ein, uns Unserer Lieben Frau zuzuwenden, die hier die Gründung einiger eurer Institute inspiriert hat. Möge die Mutter des Erlösers, die beim Werk der Erlösung anwesend war, euch in eurem Ordensleben begleiten, möge sie euch Vorbild und Stütze im Glauben und in der Liebe sein! Ich danke euch für den Empfang, den ihr mir bereitet, für euer Gebet im Hinblick auf meinen Dienst als Nachfolger Petri. Ihr habt in Erinnerung gerufen, daß Lyon einer jener großen Brennpunkte ist, von denen aus sich das Ordensleben über die Kontinente ausgebreitet hat; und ihr bringt eure Sorge zum Ausdruck bezüglich der Vitalität und der Mission eurer Institute in der gegenwärtigen Situation. Durch eure Worte nehme ich, wie ihr es angeregt habt, das Zeugnis aller Ordensleute in Frankreich entgegen. An sie alle richte ich meine herzlichsten Grüße und Worte der Ermunterung. Das Evangelium, das wir gehört haben, führt uns mitten hinein in unsere Berufung durch die Taufe und in die Ordensberufung, die diese radikal und voll zum Ausdruck bringt. „Ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht...“ {Joh 15,16). „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben hingibt...“ {Joh 15,13). „Vielmehr habe ich euch Freunde genannt“ {Joh 15,15). Euer Einsatz als Ordensleute ist eine Wahl, die zuerst der Herr getroffen hat. Ihr bietet euer Leben als freie Antwort auf diese Wahl an, und ihr schenkt es. Solch ein Schritt verblüfft die Welt. Tatsächlich wäre er nichts als ein Wahn, würde er nicht vollzogen in der Freundschaft Christi, der sein Leben hingibt, der Sohn Gottes, der in der Liebe des Vaters bleibt 724 REISEN und seine Gebote hält. Durch ihn, mit ihm, könnt ihr euch aufmachen und Frucht bringen. Tag für Tag seid ihr durch euer Sein und Handeln inmitten eurer Brüder und Schwestern Zeichen der erneuerten Menschheit im offenen Herzen des Herrn. 2. Ich möchte eure Sorgen im Zusammenhang mit diesem evangelischen Ursprung verstehen, der dem Ordensleben zugrunde liegt. Sicherlich erwartet ihr vom Papst keine detaillierte Antwort auf jede einzelne eurer Fragen. Ich weiß, sie sind das Ergebnis der Überlegungen eures Diözesanrates, dem eine klare und eingehende Analyse eurer gegenwärtigen Situation zu verdanken ist. In unserer Zeit haben große Wandlungen in der Gesellschaft und auch bemerkenswerte Veränderungen in der Lebensweise und dem Wirken der Ordensleute stattgefunden. Wenn man an die extreme Verschiedenheit der Aufgaben denkt, die den im apostolischen Leben Tätigen anvertraut sind, so erscheint mir ein sorgfältiger Unterscheidungsprozeß notwendig, erleuchtet durch eine klare Erkenntnis dessen, was das Ordensleben ausmacht. Die Jünger Christi sind in die Welt gesandt, ohne von der Welt zu sein (vgl. Joh 17,16.18). Wichtig ist, daß eure Begegnung mit der Welt die Liebe sichtbar werden läßt, mit der ihr geliebt seid. Euren Brüdern nahe, merkt ihr, was sie bedrückt und was sie erwarten, ihr werdet gewahr, wie sie an Leib und Geist hungern, ihr seht die positiven Werke, die bereichern, und auch die Verirrungen, die entmenschlichen. Als Jünger Christi, der euch mitgeteilt hat, was er vom Vater gehört hat (vgl. Joh 15,15), seid ihr Überbringer der Heilsbotschaft. Erstes Ziel eures Lebens, eures Gebetes, eures Tuns ist es, das Licht des Erlösers in der Welt aufleuchten zu lassen. Eure Gemeinschaften und euer Geweihtsein sind Zeichen, die durch die Gnade Gottes durchscheinend werden können und jene, denen ihr begegnet, auf den verweisen, der euch berufen hat. Habt keine Angst davor, als Ordensleute erkannt und wahrgenommen zu werden. <83> <83> Die Echtheit eures Ordenslebens und eurer Mission gründet in eurer Zugehörigkeit zu einem Ordensinstitut, in der Verbundenheit mit eurer Gemeinschaft. Es geht nicht nur darum, zu mehreren zusammengekommen zu sein, obschon auch das bereits ein Zeichen darstellt. Vielmehr drücken eure Konstitutionen nach den euren Ordensgemeinschaften eigenen Charismen in jeweils besonderer Form die Grundtatsache aus, daß der Herr euch „erwählt und bestimmt“ hat. Durch die Lebensregeln ist 725 REISEN jeder darauf festgelegt, nicht seine eigene Entscheidung dem Gesandtsein durch Christus vorzuziehen (vgl. Joh 15,16). Damit also euer Leben als Ordensleute seinen Sinn vollständig erfüllt, finden die notwendigen Entscheidungen im Rahmen der strukturierten Gemeinschaft statt: in einer betenden, brüderlichen Gemeinschaft, die Austausch, Rat, Hilfe und Versöhnung begünstigt und die Treue zu den Gelübden stützt und gewährleistet. Unterstützt durch den Dienst der Obern und in bereitwilligem Gehorsam können sich die Ordensleute in Armut, mit freiem und reinem Herzen für die dringendsten, missionarischen Anforderungen zur Verfügung stellen und zugleich glaubhafte Zeugen der erlösenden Liebe Christi für die Welt sein. Und wie es die Existenz der Diözesanräte der Ordensleute bezeugt, stützt sich die Ortskirche unter Leitung ihrer Oberhirten auf euch. Sie sammelt und koordiniert die pastoralen Initiativen, bestätigt die Sendungsaufträge, ermöglicht die für das Apostolat notwendige Zusammenarbeit, die für alle bereichernd ist. In diesem Rahmen werdet ihr bestätigt in eurem Einsatz für die religiöse und schulische Erziehung, die Führung Jugendlicher, die vielen Formen der Krankenhilfe und des Beistands für die am meisten Bedürftigen und Haltlosen sowie bei den Aufgaben zur Vertiefung der Glaubenslehre. Und hier kommt es zur einander ergänzenden Zusammenarbeit zwischen den so verschiedenen Gliedern am großen Leib der Kirche. Priester, Ordensleute, Laien, alle erfüllen die ihnen eigene Rolle. Durch die Beiträge aller ist das ein Zeichen der Einheit, um den Menschen das Antlitz Christi zu erhellen. 4. Die kontemplativen Gemeinschaften haben ihren spezifischen Beitrag zum Leben der Kirche aufgezeigt. In Lisieux hatte ich Gelegenheit, ihnen zu sagen, wie wichtig schon allein ihre Anwesenheit ist, denn sie antworten in sehr sichtbarer Form auf die Einladung Christi: „Bleibt in meiner Liebe.“ Sie verdeutlichen den Primat Gottes, indem sie seinen Lobpreis vor alles andere Tun stellen. In der Verbundenheit mit dem ganzen Leib Christi haben sie, ihr Leben in Liebe schenkend, eine geheimnisvolle, aber reale geistige Fruchtbarkeit; sie nehmen am Werk der Erlösung teil. Die Ausstrahlung der verschiedenen kontemplativen Klöster offenbart sich auch durch die Reinheit, Intensität und Schönheit des liturgischen Gebets, ein wertvoller Bezugspunkt für alle anderen christlichen Gemeinschaften. Die traditionelle Gastlichkeit der Klöster ist eine bedeutsame Hilfe für viele Männer und Frauen, die in Gott den Sinn ihres Lebens und die Kraft der Hoffnung suchen, die den Weg des Betens entdecken und ihren 726 REISEN Glauben vertiefen wollen, die in einer Zeit des Schweigens ihren Dialog mit dem Herrn erneuern. Arme, die an die Klosterpforte klopfen, erhalten jene freundliche Zuwendung, die ohne Zweifel nur jene geben können, die selbst die Armut leben. Ja, mögen eure kontemplativen Gemeinschaften Orte intensiver Verbundenheit in der Liebe Gottes und in der brüderlichen Liebe sein, dank eurer vorbehaltlosen Verbindung mit jenem, der uns zuerst geliebt hat. 5. Liebe Brüder und Schwestern, im Gebet möchte ich diese Gedanken zum Abschluß bringen, die durch das Evangelium und durch euer Zeugnis angeregt wurden. Herr, unser Gott, gib, daß die sichtbare und mutige Gegenwart der Ordensleute in der Welt ein Zeichen sei, das von deiner Liebe spricht. Gewähre, daß bei den Jüngern, die du zum Ordensleben erwählt und bestimmt hast, die Klarheit ihrer Botschaft, die vorbehaltlose Hingabe ihrer selbst, die Uneigennützigkeit ihrer Dienste und ihre Treue im Gebet von den jungen Menschen als Anruf deiner Gnade erkannt werden. Den Ordensgemeinschaften, die deiner Kirche soviel gegeben haben, schenke zahlreiche Berufungen, damit ihre unersetzliche Mission weitergeführt werde. Herr Jesus Christus, gib jenen, die du deine Freunde nennen wolltest, die Fülle der Freude, die du versprochen hast: die Freude, dich zu loben, die Freude, ihren Brüdern zu dienen, die Freude, in deiner Liebe zu bleiben. Allen deinen Söhnen im Ordensstand, Priestern und Laien, deinen Töchtern, den Ordensfrauen, den Mitgliedern der Säkularinstitute gewähre, Herr, die Stütze deiner Gnade und die Fülle deines Segens! „Der Herr möge Arbeiter in seine Ernte senden“ Predigt bei der Messe in Ars am 6. Oktober 1. „Jesus zog durch alle Städte und Dörfer“ {Mt 9,35). So erfüllte Jesus seine Sendung als Messias im Heiligen Land, und er überschritt die Grenzen dieses Landes nicht. Das geschieht erst, wenn die Jünger Jesu das Evangelium „bis an die Enden der Erde“ bringen. Hatte ihnen der Erlöser doch gesagt: „Ich bin bei euch“ {Mt 28,20). Dort also, wo sie das Evangelium verkünden, ist auch er präsent. 727 REISEN Zuweilen zeigt sich diese Präsenz, die heilsmächtige Gegenwart Christi, in besonderer Weise, und dann gewinnt auf der großen Weltkarte der Evangelisierung eine Stadt oder ein Dorf eine besondere Ausstrahlung. So geschah es auch in diesem Dorf Ars im vergangenen Jahrhundert während der Jahre, da der Pfarrer Johannes-Maria Vianney hier seinen priesterlichen Dienst vollzog. Allmählich kamen dann Menschen aus ganz Frankreich und sogar aus anderen Ländern und anderen Teilen der Welt nach hier, um den Pfarrer von Ars kennenzulernen. Man kam von überall her, um ihn zu sprechen und zu hören, wie er von der Liebe Gottes sprach, um geheilt und von der eigenen Sünde befreit zu werden. Nach seinem Tod gewann sein Beispiel neuen Glanz, und Pius XI. erklärte ihn zum heiligen Patron der Pfarrer in der ganzen Welt. Heute aber sind unter uns Vertreter der Priester aus sehr vielen Ländern anwesend. Ja, durch diesen Priester wurde Christus in diesem Winkel Frankreichs besonders präsent. 2. Johannes-Maria Vianney kam nach Ars, um hier das „heilige Priestertum“ auszuüben, um „geistliche, um Christi willen Gott wohlgefällige Opfer darzubringen“ (1 Petr 2,5). Er selbst brachte diese Opfer dar. Er brachte jeden Tag in diesem Geiste das Opfer Christi dar. „Alle guten Werke zusammen kommen nicht dem Meßopfer gleich, denn ... die heilige Messe ist ein Werk Gottes“ (Jean-Marie Vianney, Cure d’Ars, sa pensee, son coeur, Abbe Bernard Nodet, Le Puy 1958,107 - im folgenden als Nodet zitiert). Er lud die Gläubigen ein, ihr Leben mit diesem Opfer als „lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfergabe“ (Röm 12,1) darzubringen. Er brachte sich selbst dar: „Ein Priester tut also gut daran, sich jeden Morgen als Opfer darzubringen“ (Nodet, 107). Er opferte so sein ganzes Leben lang, mit Gott im Gebet vereint, verzehrt vom geistlichen Dienst für seine Gläubigen, dazu im Geheimen gezeichnet durch die persönlichen Bußwerke, die er für ihre Bekehrung und zu seinem eigenen Heile auf sich nahm. Er versuchte Christus bis zu den Grenzen menschlicher Möglichkeiten nachzuahmen und wurde damit nicht nur Priester, sondern auch Schlachtopfer, Opfergabe wie Jesus. Er wußte und verkündete deutlich, daß Jesus Christus „der lebendige Stein“ ist und alle Menschen - durch ihn, mit ihm und in ihm - auch ihrerseits „lebendige Steine, zum Aufbau eines geistlichen Tempels“ werden müssen (1 Petr 2,5). In Frankreich habt ihr, liebe Brüder und Schwestern, zahlreiche Kirchen, herrliche Kirchen, wo der Genius der Künstler versucht hat, aus toten Steinen irgendwie einen äußeren Raum für die Gegenwart Gottes zu schaffen. 728 REISEN Johannes Maria Vianney hat sich verausgabt und die ganze herrliche Tradition dieser Gotteshäuser ausgenützt. Er selber setzte sich dafür ein, seine kleine Kirche zu verschönern nach dem Geschmack seiner Zeit, um so Gott zu ehren und das Gebet seiner Leute anzuregen. Und doch wußte er, daß keinerlei äußerlicher Raum jenes „Bauwerk“ sein kann, von dem der hl. Petrus in seinem ersten Brief spricht, denn keines von ihnen ist von sich aus ein „geistlicher Tempel“. Der geistliche Tempel muß mit geistlichen Steinen aufgebaut werden, vom heiligen Priestertum, das allen getauften Gläubigen gemeinsam ist. Die Wurzel dieses Priestertums aber ist eine einzige, und es gibt keine andere: Jesus Christus. 3. Jesus Christus! Johannes-Maria Vianney kam nach Ars, um seinen Pfarrkindern diese grundlegende Wahrheit unseres Glaubens zu verkünden: Jesus Christus, den Eckstein, von Gott auserwählt, daß auf ihm sich der Tempel des ewigen Heiles für die ganze Menschheit erheben sollte, jener Tempel, der „das ganze Volk der Erlösten“ vereint (3. eucharisti-sches Hochgebet), das Volk der Geretteten. Dieser Tempel aber ist zugleich der Tempel der Herrlichkeit Gottes, die der Mensch betrachten soll und zu dem er einmal gehören soll nach den schönen Worten des heiligen Irenäus von Lyon: „Der Glanz Gottes schenkt Leben, und jene, die Gott schauen, nehmen deshalb teil am Leben . . . der Ruhm Gottes ist der lebendige Mensch, das Leben des Menschen aber, Gott zu schauen. {Adversus haereses, IV,20,5-7). Dieser Glaube ließ den Pfarrer von Ars aussprechen: „Unsere Liebe wird das Maß für unsere Herrlichkeit im Paradies abgeben. Diese Liebe Gottes wird dann alles erfüllen und überfluten . . . Wir werden ihn schauen . . . Jesus ist ganz für uns da . . . Ihr alle aber werdet zusammen nur einen einzigen Leib mit Jesus Christus bilden“ (Nodet, 245 f., 49). Freilich stimmt, daß dieser Eckstein - Jesus Christus - von den Menschen verworfen wurde, verworfen bis zur Verurteilung zum Tode am Kreuz, auf Golgota, doch für Gott bleibt er „der äußerst wertvolle auserwählte Stein“. In der Heiligen Schrift heißt es nämlich: „Seht her, ich lege in Sion einen auserwählten Stein, einen Eckstein, den ich in Ehren halte; wer an ihn glaubt, der geht nicht zugrunde“ (7 Petr 2,6). 4. Johannes-Maria Vianney kam nach Ars als ein Mann des Glaubens. Er hatte aus seiner ganzen Seele und aus ganzem Herzen glauben gelernt und mit der ganzen Gnade seines Priestertums. 729 REISEN Er glaubte an Christus als Eckstein. „Wer an ihn glaubt, der geht nicht zugrunde.“ Der Pfarrer von Ars brachte seinen Pfarrangehörigen diese Gewißheit, die für den Glauben grundlegend ist: die Gewißheit des Heils in Jesus Christus. „Euch, die ihr glaubt, gilt diese Ehre, für jene aber, die nicht glauben . . . ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben, zum Stein geworden, an den man anstößt, und zum Felsen, an dem man zu Fall kommt. Sie stoßen sich an ihm, weil sie dem Wort nicht gehorchen“ (1 Petr 2,7 f.). So also hat Petrus gelehrt, und ebenso lehrte der Pfarrer von Ars. Das Wort „Heil“ kommt Johannes-Maria Vianney am öftesten auf die Lippen. Er unterwies seine Gläubigen ohne Unterlaß, und zumal die lauen, gleichgültigen, sündigen und ungläubigen Menschen, in welche Gefahr für ihr Heil sie gerieten, wenn sie dem Weg des Glaubens zu folgen sich weigerten, dem Weg der Liebe, den der Erlöser vorgezeichnet hat. Er wollte es ihnen ersparen, daß sie fielen, verlorengingen oder sich vom Licht und von der Liebe für immer entfernten. Doch er fügte hinzu: „Unser guter Erlöser ist derart von Liebe erfüllt, daß er uns überall auf sucht“ (Nodet, 50). Diese Worte des Petrus und die des Pfarrers von Ars sind wie ein Echo der prophetischen Worte des Simeon angesichts des neu geborenen Jesuskindes 40 Tage hach seiner Geburt: „Dieser ist gesetzt zum Fall und zur Auferstehung für viele ... er wird zum Zeichen des Widerspruchs werden“ (Lk 2,34). 5. Der Pfarrer von Ars besaß den gleichen Glauben an Jesus Christus wie Simeon und der Apostel Petrus. „In keinem anderen ist Heil“ (ApgA,12). Stark in diesem Glauben kam er her, vom Bischof geschickt, um das Heilswerk hier wirksam gegenwärtig zu machen. Seine Pfarrkinder von damals waren vielleicht mit Glaubensfragen nicht sehr vertraut, denn der Generalvikar hatte ihn aufmerksam gemacht: „Es gibt in dieser Pfarrei nicht viel Liebe zu Gott, aber sie werden sie hinbringen.“ Diesen Leuten von Ars also - und allen, die sich ihnen anschließen sollten - verkündete er unerschrocken durch sein Wort und sein Leben diese Botschaft des Petrus, die so kräftig in der Lehre des II. Vatikanischen Konzils wiederkehrt: „Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk, das Volk, das zu Gott gehört“ (7 Petr 2,9). Ja, das seid auch ihr, liebe Brüder und Schwestern. So groß ist eure Würde und eure Berufung als getaufte und gefirmte Laien. 730 REISEN Ihr seid daher beauftragt, „die Wundertaten dessen zu verkünden, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat“ (1 Petr 2,9). In diesem Licht ist der Pfarrer von Ars selbst gewandelt. Er wußte auch, daß es für alle bestimmt war: alle sind in dieses wunderbare Licht gerufen. So hat dann auch das II. Vatikanische Konzil diese Würde und Verantwortung der Getauften betont, denn sie nehmen am Priestertum Christi teil zur Ausübung eines geistlichen Kultes; sie nehmen teil an seiner prophetischen Aufgabe, um Zeugnis zu geben, endlich auch an seinem königlichen Dienst: „Gemeinsam ist ihnen die Würde der Glieder aus ihrer Wiedergeburt in Christus, gemeinsam die Gnade der Kindschaft, gemeinsam die Berufung zur Vollkommenheit. . . zur Heiligkeit (LG32). Der Pfarrer von Ars hat den Gläubigen unablässig ihre Würde als von Gott Geliebte, durch Christus Geheiligte und zu seiner Nachfolge Berufene nahegelegt. 6. Ja, alle sind auf gerufen und ständig auf gerufen, zum Licht zu kommen und die Finsternis hinter sich zu lassen. Zuweilen geht es um sehr tiefe Finsternis, um solche, die den Geist verdunkelt, wie die Finsternis der Sünde oder die Dunkelheit des Unglaubens. Hundert Jahre später sollte das II. Vatikanische Konzil die gleiche Wirklichkeit vor Augen haben, und es sollte nach Wegen der Begegnung suchen, nach einem Dialog mit den Nicht-Glaubenden, ferner mit den Gläubigen anderer Religionen; im Wissen darum, daß es am Ende immer um einen „Heilsdialog“ geht, wie es mein Vorgänger Paul VI. so schön formuliert hat. Der Pfarrer von Ars wußte gut, auch er, daß es vor allem auf diesen Heilsdialog ankommt. Und er brachte ihn ständig voran mit allen Mitteln, die ihm seine Zeit anbot. Kann man ihm wirklich zum Vorwurf machen, daß er diesen Heilsdialog an so schlichten Orten geführt hat, an so armseligen Plätzen, daß sie uns noch heute ergreifen, der alte Sessel, der ihm für die Katechese diente, oder der Beichtstuhl, den er ohne Unterlaß benützte? 7. Was zählt, ist vor allem die Tatsache, daß es sich um einen echten Heilsdialog handelte, um einen erstaunlich fruchtbaren Dialog, der uns noch heute beschämt. Die Früchte, die ex brachte, sind aber diesem wunderbaren Licht zu verdanken, das nicht von Menschen, sondern von Gott kommt. Der 731 REISEN priesterliche Dienst des Verzeihens ist immer ein Geschenk von oben; durch den Priester aber, der für diesen Dienst bestimmt wird, ist es Christus, der das Urteil spricht, der heilt und verzeiht. Das von Liebe brennende Herz des Pfarrers von Ars stellte sich in wundersamer Weise diesem Wirken Christi zur Verfügung. Die Früchte, die er brachte, waren Früchte der Barmherzigkeit, das heißt der barmherzigen Liebe Gottes, dank derer „jene, die ohne Barmherzigkeit erschienen“, zurückkehrten, „weil sie Barmherzigkeit gefunden hatten“ (1 Petr 2,10). Sie kamen bekehrt zurück. Sie kamen aus diesem Dialog von ihren Sünden losgesprochen zurück. Der Pfarrer von Ars legte Christus die Worte in den Mund: „Ich werde meinen Dienern auftragen, ihnen zu verkünden, daß ich immer bereit bin, sie aufzunehmen, daß mein Erbarmen unendlich groß ist“ (Nodet, 135). Oh, hebe Brüder und Schwestern, ermeßt ihr in genügendem Maße die unerhörte Gnade, von seinen Sünden losgesprochen zu werden, zur Liebe Gottes zurückgefunden zu haben, wieder in Freundschaft mit ihm zu leben, so daß er in uns wohnt, zum Leben Gottes wiedergeboren zu sein, wieder zu seinem Volk zu gehören, zu denen, die durch Gott selbst geheiligt werden? Seht ihr das Kreuz, an dem Christus sein Leben für unsere Erlösung hingegeben hat? Tragt ihr Verlangen nach diesem Verzeihen in euch, nach dieser geistlichen Wiedergeburt, nach der man sich wieder selbst hingeben kann, und ohne die die Gemeinschaft mit Gott und unseren Brüdern nicht echt ist? Bereitet ihr euch auf diese Begegnung ernsthaft vor? Erbittet ihr dieses Sakrament der Versöhnung von euren Priestern? Lebt und feiert ihr es würdig? Durch den bescheidenen Dienst des Pfarrers von Ars wurden jene, „die nicht mehr Volk Gottes waren“, zum wahren Volk Gottes, zum Tempel aus lebendigen Steinen, erbaut auf dem Eckstein, der Christus ist. 8. Die Kirche aufbauen! Das hat der Pfarrer von Ars in diesem Dorf vollbracht. Bekehrung und Verzeihen, durch seine schmucklose und einfache Predigt vorbereitet, ließen seine Pfarrkinder im Leben der Vereinigung mit Gott Fortschritte machen, dazu im christlichen Verhalten sowie im Zeugnisablegen und der Übernahme apostolischer Verantwortung. Die Eucharistiefeier bildete den Gipfel bei der Versammlung der Pfarrei. Er vollzog sie in einer Weise, daß jeder ein lebendiges Bewußtsein von der Gegenwart Christi bekam. Er forderte jene zur häufigen Kommunion auf, die vorbereitet waren. Er lehrte seine Pfarrkinder, wie man betet und das allerheiligste Sakra- 732 REISEN ment anbetet. Oder vielmehr, sie selber fühlten sich angezogen, zum Gebet in diese Kirche zu kommen, wie er. Er wachte darüber, daß keinerlei Arbeit oder Geschäft die Sonntagsfeier beeinträchtigte. Auch um den Preis von verleumderischer Gegnerschaft kämpfte er in seiner Predigt gegen Sitten und Gewohnheiten, die ihm dem Geist der Wahrheit, der Sittsamkeit, Reinheit und Liebe im Sinn des Evangeliums zu widersprechen schienen, doch war er für die harmlosen Volksfeste. Seine Pfarrei bekam schnell ein neues Gesicht. Er selbst ließ es nicht am Besuch der Kranken und Familien am Ort fehlen. Er kümmerte sich besonders um die Armen und Waisen der „Vorsehung“ sowie um die Kinder ohne Schulunterricht. Er versammelte die kleinen Mädchen um sich. Er bestärkte Vater und Mutter in der Familie in ihrer erzieherischen Verantwortung. Er ordnete auch das. Bruderschaftswesen neu. Er regte ferner die Zusammenarbeit der Pfarrangehörigen an, so daß man gewissermaßen größere Werke durchführen konnte. Er zog auch Mitarbeiter heran und bildete sie aus. Er führte wieder die Volksmissionen ein. Er erzog zum Gebet und zum Einsatz für die Missionen, und das in einer Zeit, wo ein weiterer Sohn dieser Diözese, der hl. Petrus Chanel, nach Ozeanien aufbrach und in Futuna als Märtyrer starb. Ebenso ermutigte der Pfarrer von Ars die verschiedenen Berufungen zum Dienst der Kirche und verwendete dabei die Mittel und Methoden seiner Zeit, deren Bedürfnissen er sich zugleich anpaßte. Mit den Laien erbaute er hier den Tempel Gottes, in Gemeinschaft mit seinen priesterlichen Mitbrüdern, seinem Bischof und dem Papst. Aber alle Welt wußte, wie weithin sein unersetzlicher Dienst als Priester im Namen Jesu Christi geschah und mit Hilfe des Heiligen Geistes, denn nur so hat er diesen Fortschritt ins Werk gesetzt, ermutigt und gefördert. 9. So ist also Christus hier in Ars gut angekommen, als Johannes-Maria Vianney hier Pfarrer war. Ja, er ist hier geblieben. Er sah „die Menge“ der Männer und Frauen des letzten Jahrhunderts, wie sie „müde und abgekämpft waren“, wie eine Herde ohne Hirten (Mt 9,36). Christus verweilte hier als Guter Hirt. „Ein guter Hirt, ein Hirt nach dem Herzen Gottes“ - sagte Johannes-Maria Vianney - „ist der größte Schatz, den der gute Gott einer Pfarrei schenken kann. Er ist eins der kostbarsten Geschenke göttlichen Erbarmens“ (Nodet, 104). Und von diesem Ort hat Christus seinen Jüngern einst in Palästina gesagt und er sagt es heute zur ganzen Kirche in Frankreich, ja zu der auf der 733 REISEN ganzen Welt verbreiteten Kirche: „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige. Bittet daher den Herrn der Ernte, er möge Arbeiter in seine Ernte senden“ (Mt 9,37 f.). Heute sagt er es immer noch, denn die Nöte sind unermeßlich groß und dringend. Die Bischöfe, die Nachfolger der Apostel, und der Nachfolger des Petrus sehen besser als andere die Größe der Ernte, die Erneuerung verspricht, zugleich das Elend der sich selbst überlassenen Menschen, denen keine apostolischen Arbeiter zur Verfügung stehen. Die Priester sind sich lebhaft dieses Mangels bewußt, da ihre Schar immer kleiner wird, und sie halten Ausschau nach dem Eingreifen junger Priester oder Ordensleute. Die Laien und die Eheleute aber sind ebenfalls davon überzeugt, denn sie sind auf den Dienst des Priesters angewiesen, wenn sie ihren Glauben nähren und ihr apostolisches Leben entfalten wollen. Auch die Kinder und Jugendlichen wissen es gut, denn sie brauchen den Priester, um Jünger Jesu zu werden und eventuell seine Freude zu teilen, wenn sie sich gänzlich dem Dienst des Herrn für seine Ernte weihen. Wir alle endlich, die wir hier versammelt sind, wissen es, nachdem wir über Leben und Dienst des hl. Johannes-Maria Vianney, des Pfarrers von Ars, nachgedacht haben, dieses so ungewöhnlichen „Arbeiters“ jener Ernte, bei der es um das Heil der Menschen geht, und wir erheben unsere inständige Bitte zum Herrn der Ernte. Wir beten für Frankreich und für die Kirche in der ganzen Welt: Herr, sende Arbeiter in deine Ernte! Sende Arbeiter! „Laßt uns gute Werkzeuge des Heiligen Geistes sein“ Ansprache an die Vertreter der Pastoral- und Priesterräte im St.-Irenäus-Seminar in Lyon am 6. Oktober Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich danke euch herzlich für dieses Zeugnis apostolischen Lebens in der Erzdiözese Lyon. Ich weiß seinen Gehalt und seinen Ton zu schätzen. Gern will ich diese Sorgen des diözesanen Pastoralrates zu meinen eigenen machen. 734 REISEN In meiner Antwort vergesse ich auch nicht die hier anwesenden Vertreter des Priesterrats: Kardinal Decourtray hat mir ein langes Dokument von ihrer Vollversammlung im Mai übergeben, und ich habe den Text der für diese Begegnung vorgesehenen Grußadresse erhalten. Andere Priestergruppen - Pfarrer, Katecheten, Arbeiterpriester - haben mir gleichfalls schriftlich ihre Sorgen anvertraut. Das alles habe ich aufmerksam zur Kenntnis genommen. Ich kann hier nicht auf alle Fragen und Probleme eingehen. Sie wissen wohl bereits, wie ich über einige dieser Fragen denke bzw. was der Hl. Stuhl für die Gesamtkirche dazu wiederholt in den Dokumenten im Anschluß an die Bischofssynoden oder in anderen Dokumenten, wie der Instruktion über die christliche Freiheit und Befreiung, geäußert hat. Im übrigen haben wir den heutigen Vormittag darauf verwendet, über die Stellung des Priesters in der Kirche und über die verschiedenen Aspekte seines Lebens nachzudenken. Aber ihr dürft mir glauben, daß ich all das mit Wohlwollen aufgenommen habe, was in eurem ernsthaften Engagement für die Evangelisierung Ausdruck eurer Hirtensorge und Zeugnis eurer Schwierigkeiten ist. Ich bewahre das Gedächtnis daran in meinem Herzen. Und ich spreche auch meine Befriedigung darüber aus, zu wissen, daß der Kardinalerzbischof von Lyon nun auf den Priesterrat zählen kann, der sich endlich konstituieren konnte. Diese vom Codex des kanonischen Rechts vorgesehenen Einrichtungen der Ortskirche sind der Ort, wo ihr, verbunden mit der Universalkirche, diese Fragen erörtern könnt. Heute abend will ich über etwas sprechen, was euch allen - Laien, Ordensleuten, Priestern und Bischöfen - in eurem Engagement als Christen gemeinsam ist. <84> <84> Jeder weiß, daß die Christen von Lyon immer eine beachtliche Vitalität auf geistlichem, pastoralem und missionarischem Gebiet an den Tag gelegt haben. Sie waren streng bei ihrer Analyse der Mängel und Erfordernisse, erfinderisch und anspruchsvoll bei den neuen Initiativen, die als Antwort auf Herausforderungen zu ergreifen waren. Vielen anderen christlichen Gemeinden ist das zugute gekommen. Ist es die leidenschaftliche Begeisterung der ersten Märtyrer von Lyon, die im Laufe der Geschichte immer wieder zutage tritt? Ohne so weit zurückzugehen, denke ich an Frederic Ozanam, der während seines Aufenthaltes in Lyon für das intellektuelle Apostolat und für die Wohltätigkeitskreise gearbeitet hat; an Pauline Jaricot, die von manchen „Mutter der Missionen“ genannt wurde; an P. Chevrier, den Apostel der armen Arbeiter, von dem Msgr. Ancel nicht zu trennen ist; an P. Couturier, einen der geistigen 735 REISEN Väter des ökumenismus; an P. Joseph Folliet, den Förderer des sozialen Einsatzes; an P. Joseph Colomb, der der Katechese einen neuen Impuls verlieh; und an zahlreiche hervorragende Theologen, wie Pater de Lubac. Ich versuche nicht, euren berechtigten Stolz noch zu vermehren, aber ich glaube, daß die apostolische Begeisterung und das Kirchenverständnis dieser Männer und Frauen euch sehr zu inspirieren vermögen, selbst wenn heute die Atmosphäre eine ganz andere ist und die Christen in einer Welt, die nicht selten am Rande des Glaubens liegt, zu einer Minderheit geworden sind. Ihr habt auf die vorherrschenden Kennzeichen der heutigen Lage hingewiesen und, wie mir scheint, bereits eine Bestandsaufnahme der Erfordernisse sowie der im Sinne des Evangeüums einzuschlagenden Wege und einer Reihe von — ich würde nicht sagen Lösungen, sondern — Möglichkeiten erstellt. Der Pastoralrat und der Priesterrat sind selbst in dem schwierigen Anfangsstadium ihrer Erfahrung der geeignete Ort, um zur Unterstützung eures Erzbischofs Einsichten anzustreben und die pastora-len Entscheidungen heranreifen zu lassen. Das Kirchenrecht fordert das ausdrücklich (vgl. CIC, cann. 495, 511). Um die Unterstützung, die ich euch anbieten möchte, in Worte zu fassen, gehe ich nur auf einige Punkte ein, auf die ihr hingewiesen habt und zu denen die Erfahrung der Gesamtkirche einen klärenden, nützlichen Beitrag leisten kann. <85> <85> Zunächst schätze ich euer Bemühen, als christliche Laien und als Priester in allen Bereichen präsent zu sein, wo Evangelisierung stattfindet, ganz nahe den realen menschlichen, sozialen, geistigen Situationen, so wie sie gelebt werden: der Welt der Arbeiter, den Menschen und Familien, die in tragischer Weise von Arbeitslosigkeit betroffen sind, aber auch den Wirtschaftstreibenden, Technikern und Angestellten, den gerade in Lyon so zahlreichen Universitätsangehörigen und Studenten, den Kindern und Jugendlichen, der Landbevölkerung, die auch eine Krise durchmacht, den alten Menschen und dem ungeheuer großen Bereich des Krankenhauswesens, allen Armen jeder Art: jenen, die unter materieller Armut leiden, ebenso wie den an Liebe, Zuneigung und Glauben Armen. Ja, das Apostolat setzt dieses tägliche demütige Gegenwärtigsein von Personen voraus, die vom Glauben und von der evangelischen Liebe beseelt sind. Ebenso fordert es, daß kleine Gruppen von Christen anwesend sind: sie sind wie ein Netz von Blutgefäßen in der ganzen Menschheit oder wie der Sauerteig, der unter die ganze Masse gemischt wird, damit daraus der Leib Christi aufgebaut wird. 736 REISEN 4. Das, liebe Freunde, verhindert nicht, es fordert vielmehr größere Zusammenschlüsse von Christen auf der Ebene der Pfarreien, der Diöze-sanbewegungen, der Diözese, ja der Universalkirche, ohne daß sie sich von der Angst vor dem lähmen lassen, was manche gern als „Triumphalismus“ bezeichnen. Je verstreuter das christliche Volk ist, desto mehr spürt es das Bedürfnis, seinen Glauben zu feiern, die Erfahrung zu machen, daß er mit vielen geteilt wird, miteinander zu beten und offen Zeugnis zu geben von dieser viele umfassenden Zusammengehörigkeit, die seine Freude und seine Kraft ausmacht. Es wird sich dann dessen bewußt, was allen Getauften gemeinsam ist - jenseits der Spaltungen durch Milieu und Methoden. Eine der Aufgaben des Diözesanbischofs wie des Bischofs von Rom besteht darin, die Herde zu sammeln und so zu führen, wie Jesus es verlangt hat. In einem Land, in dem viele Menschen geneigt sind, die Glaubenseinstellung als private, geheim gehaltene Angelegenheit zu betrachten, muß die Kirche auch ein sichtbares Zeichen sein, wie das Licht auf dem Leuchter. Dieses Zeugnis setzt niemanden unter Druck, es ist ein Aufruf, der die Überzeugungen des einzelnen respektiert. Warum hindern wir die Medien in einer Zeit, in der sie wichtige Dinge aufzuspüren suchen, um das Publikum daran teilhaben zu lassen — warum hindern wir sie, dieses Zeichen, nach dem sich viele im geheimen sehnen, in Form einer Erinnerung an den Glauben oder einer Aufforderung sichtbar und hörbar zu machen? Ihr habt es gesehen, die Jugend versteht besser als wir diese Notwendigkeit. Und ebenso ist es bei anderen Nationen, die ich besucht habe. 5. Aber die Tatsache bleibt bestehen, daß solche Versammlungen, und selbst auch die Messe, Hinweise auf die Sendung sind in der Vielfalt der apostolischen Bedürfnisse. Die französischen Katholiken haben es verstanden, die Initiativen zu vermehren, zahlreiche Bewegungen und Vereinigungen für Spezialaufgaben ins Leben zu rufen, um die verschiedenartigen Situationen unter jeweils besonderem Gesichtspunkt anzugehen. Dieser Pluralismus erlaubt es, genau bestimmte Ziele zu verfolgen; er ist Zeichen von Lebenskraft und Quelle des Reichtums, solange er nicht in Abkapselungen entartet mit der Gefahr, daß man sich gegenseitig ignoriert, sich nicht mehr versteht und in Gegensatz zueinander gerät. Könnten es doch die Christen in Treue zu ihrem Glauben vermeiden, sich gegenseitig zu verurteilen, zu verdächtigen und einzustufen je nach ihrem apostolischen Empfinden oder, wie es manchmal auch geschieht, nach den ideologischen Strömungen, von denen sie sich inspirieren lassen! Ihr habt 737 REISEN diese Schwierigkeiten sehr unterstrichen sowie auch die Notwendigkeit, Räume zu haben zur gastlichen Aufnahme, zur Begegnung, zu brüderlichem Zuhören, zu gemeinsamer Reflexion und Austausch im Glauben und, ich würde zu sagen wagen, zu Verständigung und Absprache im Hinblick auf gemeinsames Handeln. Denn die christlichen Überzeugungen schöpfen aus derselben Quelle: Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, ein Leib und ein Geist, eine gemeinsame Hoffnung (vgl. Eph 4,4-6). Und die großen Linien der Sendung sind allen gemeinsam. Es gibt kaum Lebensbereiche, die von den anderen unabhängig sind. So betriftt z. B. die Familienseelsorge alle Bereiche. Ist diese Einheit in der Liebe und in der Suche nach der Wahrheit, die berechtigte Unterschiede achtet, nicht ein grundlegendes Zeugnis, das die Christen der Welt geben müssen, besonders einer Welt, die allzuoft in den sich bis zum äußersten verhärtenden Tendenzen hin- und hergerissen und gespalten wird, die Mühe hat, die wahre Versöhnung und den Frieden zu leben? „Sie sollen eins sein, wie wir eins sind . . ., damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast!“ So betete Jesus in dem feierlichen Augenblick seines Abschieds {Joh 17,22.23). Als der Apostel Johannes im Alter zu den Asiaten, Landsleuten eurer ersten Christen in Lyon, sprach, hatte er keine andere Weisung als jene, die alle Gebote zusammenfaßt: „Liebt einander!“ 6. „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen ... ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apg 1,8). Zeugnis, das ist wohl das Schlüsselwort eures Apostolats. Zeuge ist man in Gegenwart von jemandem, vor einzelnen oder vor Gruppen, die vielleicht unseren Glauben leben oder die ein anderes religiöses Bekenntnis haben oder auch solche, die scheinbar keinen Glauben haben, die jedenfalls nach anderen Überzeugungen, Kriterien oder Werten leben, Ergebnisse ihrer Erziehung oder vielfältiger Einflüsse, die sie empfangen haben. Um den Dialog in Gang zu bringen, muß der christliche Zeuge beobachten, zuhören, versuchen zu verstehen und alles, was schätzenswert ist, zu respektieren. Das Konzil und Paul VI. haben die Christen aufgefordert, aus ihrem eigenen Kreis herauszutreten, um in einen solchen Dialog einzutreten. Er ist unerläßüch, um die Menschen einander näherzubringen, die gemeinsam für die Verbesserung der Lebensbedingungen eines Gemeinwesens arbeiten sollen (vgl. GS). Der Dialog ist notwendig für die Evangelisierung; er vermag sogar den Glauben des christlichen Zeugen anzuspornen, der ihn mit Demut aufnimmt. Dieser apostolische Dialog setzt natürlich, wenn er ein „Heilsdialog“ 738 REISEN bleiben soll, eine gefestigte christliche Identität voraus. Sonst ist er nicht mehr Zeugnis für den Herrn und seine Kirche. Je mehr man sich auf dem Vorposten der Sendung befindet - und alle, die dieses Risiko auf sich nehmen, ermutige ich -, um so mehr muß man selber aus Christus leben, um so mehr muß man die Kirche lieben, um so mehr muß man sich in allen sittlichen Bereichen des Lebens ein christliches Urteil bilden. So bleibt man fähig, die „Verzahnungen“ des Glaubens, das Wirken des Heiligen Geistes bei den anderen zu entdecken, aber auch im Leben der Welt das zu sehen, was nicht dem Evangelium entspricht, das gute Korn von der Spreu zu sondern, die Pseudowerte zu erkennen. Das geschieht aber ohne jede Geringschätzung und Verachtung der Menschen als solcher, sondern im Gegenteil mit einer großen Liebe zu ihnen, die aus dem Verlangen kommt, sie nicht des Heiles Christi verlustig gehen zu sehen. Und unser Zeugnis - das wir mit der Bereitschaft zum Dienen geben und mit dem demütigen Bewußtsein, zerbrechliche Gefäße zu sein - muß immer klar und sichtbar sein. Wie sonst könnte eine Welt, die in der Gleichgültigkeit oder in dem Nebelschleier von Ideologien oder glaubensfremden Gepflogenheiten lebt, das Licht erkennen, das Christus seiner Kirche anvertraut hat? 7. Es ist wohl klar, wie sehr ich euren Willen schätze, euch als christliche Laien unaufhörlich auf theologischer, geistlicher und pastoraler Ebene zu vertiefen. Ich freue mich, daß sich viele eine wirkliche theologische Sachkenntnis aneignen wollen. „Jesus Christus erkennen“, das war das Leitmotiv von P. Chevrier, der sich um die Katechese der von der Kirche getrennten Armen kümmerte. Die theologische Wissenschaft allein genügt nicht, wenn sie nicht von der Meditation über das Wort Gottes im Gebet begleitet wird. Man spricht von einer „Rückkehr des Religiösen“: wenn sie zu einer echten Begegnung mit dem lebendigen Gott führt, darf man sich darüber freuen. Treffen, Kurse und Tagungen der Bewegungen, Überprüfung des Lebens, Gebetsgruppen, Einkehrtage und vor allem der regelmäßige Empfang der Sakramente erlauben euch, Jesus Christus aufzunehmen, damit er in euch und durch euch handelt. Das Apostolat ist weder Sozialaktion noch Propaganda, es ist vor allem Ausstrahlung dessen, was einer ist und was er lebt. 8. Eure apostolischen Tätigkeiten in der Kirche sind sehr vielfältig; ihr habt eine ganze Reihe von ihnen aufgezählt. Wie das Konzil stelle ich an die erste Steile das Wirken, das die Laien in 739 REISEN der Welt, in den verschiedenen Aufgaben des Familien- und Gesellschaftslebens entfalten müssen, aus denen ihre Existenz zusammengewoben ist (vgl. LG 31). Da arbeiten sie von innen her an der Heiligung der Welt und tragen durch ihr Zeugnis vom Geist des Evangeliums bei zur Erhöhung der Menschen und dadurch auch zur Erneuerung der Strukturen, damit die irdischen Wirklichkeiten ihrerseits sich dem Willen Gottes gemäß immer mehr auf sein Reich ausrichten und darauf zugehen. Bei dieser Führung und Verwaltung der zeitlichen Angelegenheiten unterstützen die Priester und Ordensleute die Laien in ihrer Berufung, können sie aber nicht ersetzen. Dieses Apostolat kann Hand in Hand gehen mit den Diensten innerhalb der Gemeinschaften der Kirche, in denen Gott sei Dank die Laien, Männer und Frauen, fest verpflichtet oder ehrenamtlich, immer mehr ihren Platz einnehmen. Sie setzen sich ein für eine anspruchsvolle Katechese, die einem vorrangigen Bedürfnis von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen entspricht und die meinerseits alle Unterstützung hat, für die Begleitung der Katechumenen, für die Betreuung von Kranken, für die gegenseitige Hilfe auf karitativem Gebiet, für eine würdige Liturgie .. . Die Erfahrung und Überlegung in der Kirche und die Entscheidung der Bischöfe werden veranlassen, darüber zu befinden, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form es angebracht ist, diesen ständigen Dienern eine Sendung oder ein nicht an die Priesterweihe gebundenes Amt zu übertragen. Es ist nicht der Priestermangel, der diese aktivere und zahlreichere Teilnahme von Laien rechtfertigt, wenn er auch eine besondere Gelegenheit dafür ist: Als Teilnehmer am Amt Christi, des Priesters, Propheten und Königs, erfüllt ihr, liebe Freunde, euer Apostolat als Getaufte (vgl. AA 10). Es versteht sich natürlich, daß diese Mitarbeit am Dienst der Priester und Diakone richtig artikuliert sein muß, ohne Verwechselung der Funktionen. Ihr habt auf dieses Problem hingewiesen. Je stärker sich die Laien ihrer Verantwortung in der Kirche bewußt werden, um so mehr treten die besondere Identität und die unersetzliche Rolle des Priesters hervor als Hirte der ganzen Gemeinde, als Zeuge der Rechtgläubigkeit und Ausspender der Geheimnisse im Namen Christi, des Hauptes, eine Gewalt bzw. ein Dienst, der ihm für die Gemeinde, aber nicht von ihr übertragen worden ist. Auch wenn wir, wie ich in Ars sagte, heute gezwungen sind, das kirchliche Leben mit einigen wenigen Priestern zu gestalten, sollten wir uns davor hüten, diese Situation als normal und typisch für die Zukunft zu betrachten. Lassen wir nicht nach in den Anstrengungen, die wir für die Weckung von Berufungen unternommen haben. Einige von 740 REISEN euch haben zugegeben: wir sind zu ängstlich gewesen, was die Aufforderung zum Priesteramt betraf. Blicken wir weiter, streben wir eine Situation an, in der es Priester in ausreichender Zahl geben wird und die so gut ausgebildet sind, daß sie das Laienapostolat besser unterstützen können. 9. Euer Apostolat, das eng verbunden ist mit dem Evangelium und mit der ganzen Lehre der Kirche, nimmt angesichts der modernen Herausforderungen, die ihr so treffend hervorgehoben habt, eine besondere Dringlichkeit und einen eigenen Akzent an. Die Menschen, die seinen Glauben nicht teilen, wie z. B. die Muslime, wird der Christ - und das war der Sinn meiner Begegnung in Casablanca -seiner Wertschätzung für ihren wahren Glauben an den einen Gott erkennen lassen, ohne die normalen Konsequenzen zu verschweigen, die dieser Glaube für die Achtung und Liebe des Nächsten haben muß, ohne die Rechte und Pflichten der einen wie der anderen in der Gesellschaft zu übersehen. In der Großstadt, die von Anonymität gekennzeichnet ist, in einer technisierten Welt, in der nur das angenommen wird, was meßbar und effizient ist, wird der Christ auf alles Gewicht legen, was die menschliche Person aufwertet, was der Wiederherstellung wahrer und herzlicher Beziehungen dient, was ein Gemeinschaftsleben knüpft. In einer Gesellschaft, die unersättlich ist im Hinblick auf technische Experimente und Großtaten, auch auf genetischem Gebiet, wird der Christ nachdenken und zum Nachdenken über die ernsten sittlichen Probleme anhalten, die auf dem Spiel stehen, damit der Mensch respektiert werde und Herr über sein Geschick bleibe. In einer Welt, in der das moralische Übel unter dem Vorwand entschuldigt und gerechtfertigt wird, daß es gewissen Zwecken dient, wird der Christ nicht aufhöreri, schlecht und böse zu nennen, was schlecht und böse ist, und es niemals zulassen, daß der Zweck unmoralische, terroristische Methoden rechtfertigt. In einer Gesellschaft, die unter dem Schock der Angst in Reaktionen der Aggressivität und des Rassismus verfällt, wird der Christ globale und parteiische Verurteilungen vermeiden, indem er entschlossen an der Verteidigung der Unschuldigen mitwirkt. In einer gesellschaftlichen Umwelt, in der der Mensch kämpfen muß, um das zu erringen, was der sozialen Gerechtigkeit entspricht und was er für sein Leben braucht, wird der Christ mit aller Entschiedenheit Vorgehen, ohne jedoch je der Gewalt, dem Haß oder der Lüge nachzugeben. Da, wo die Welt isoliert, zersplittert, angespannt ist, wird der Christ durch 741 REISEN sein Zeugnis Verständnis, Achtung, Liebe, Frieden bekunden wie Gott, der Gerechtigkeit und Liebe zugleich ist. 10. Schließlich habe ich mich darüber gefreut, von euch den Hinweis auf die Öffnung gegenüber der Universalkirche zu hören, die auf einer zweifachen Ebene unerläßlich ist. Zuerst ermöglicht sie euch das Verständnis bestimmter wesentlicher Forderungen des Glaubens, der Moral, der kirchlichen Disziplin im Hinblick auf die Sakramente und anderes, die in einem eingeengten Rahmen auf den ersten Bück manchem als Beeinträchtigung der Freiheit der Sendung erscheinen könnten. Tatsächlich aber wurden diese Fragen beim Konzil und den Synoden von den Bischöfen der ganzen Welt mit dem Nachfolger Petri im Sinne der lebendigen Überlieferung und im Angesicht der heutigen Probleme reiflich überlegt. Alle Ortskirchen mit ihren Bischöfen und Priestern müssen auf der Ebene dieser wesentlichen Identität aufs engste übereinstimmen und der Einheit dienen, von welcher der hl. Irenäus so treffend gesprochen hat. Eine Einheit, die weder mit Zentralisierung noch mit Einförmigkeit in allen rechtmäßigen Äußerungen des Gebetes, des Lebens und des apostolischen Handelns der Gemeinschaften verwechselt werden darf (vgl. meine Ansprache an den Schweizer Klerus am 15. Juni 1984 in Einsiedeln: DAS 1984, 506f.). Anderseits sind das Hören auf die Bedürfnisse und Zeugnisse der jungen Kirchen und das Offensein für die Länder der Dritten Welt ein Ausdruck der Pflicht zur universalen Liebe, die den Katholiken wohl ansteht. Durch diese Großherzigkeit bzw. diesen Austausch wird eure eigene Kirche eine neue Dynamik gewinnen. Auch die Armen teilen mit den Armen. Keine einzige Teilkirche darf sich ausschließen, schon gar nicht jene, aus der Pauüne Jaricot und so viele Missionäre hervorgegangen sind. Die nächste Bischofssynode über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt wird euren hochherzigen Anstrengungen einen neuen Anstoß geben. Liebe Freunde, Gott sei euch allen Stütze! Er stehe denen bei, die ihr in diesem Pastoralrat und Priesterrat vertretet, denen, die mit euch für das Apostolat in dieser Diözese Lyon arbeiten! Laßt uns gute Werkzeuge des Heiligen Geistes sein! Ich empfehle euch mein Dienstamt. Ich segne euch von ganzem Herzen. 742 REISEN Der hl. Franz von Sales — ein ,,Experte in Menschlichkeit“ Ansprache an die französischen Bischöfe im Seminar von Lyon vom 6. Oktober Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Ich habe großes Verständnis für die Worte, die Monsignore Vilnet soeben in euer aller Namen an mich gerichtet hat, um auf diese Weise die Begegnung einzuleiten, die ich zu meiner Freude heute abend mit euch habe. Ich möchte euch auch für eure Einladung, mit euch den zweihundertsten Jahrestag der Geburt des hl. Jean-Marie Vianney zu feiern, und für eure ganze Mühe und Sorgfalt bei der Organisation dieser Reise meinen Dank zum Ausdruck bringen. Da ich nicht alle namentlich nennen kann, gestattet mir, daß ich Herrn Kardinal Decourtray und den anderen Bischöfen, die mich herzlich in ihren Diözesen aufnehmen, meine besondere Anerkennung ausspreche. Im Verlauf dieser neuen Pilgerreise zum Volk Gottes in Frankreich war es mir eine Freude, in Lyon selbst die Seligsprechung von P. Antoine Chevrier vorzunehmen, der zu den zahlreichen Arbeitern des Evangeliums gehört, deren Heiligkeit wie ein kostbarer Widerschein des Lichtes Christi über eure Grenzen hinaus strahlt. Unsere Begegnung leitet gleichsam die „Ad-hmina“-Besuche ein, bei denen wir in Kürze die Fragen, die euch Sorgen bereiten, gemeinsam überlegen können. Heute abend möchte ich im Rahmen dieser Pilgerreise bei den Heiligen eures Landes verweilen. Unter den Heiligen, die dieser Region ihr Prägemal verliehen, können uns zwei Bischofsgestalten inspirieren. Ich werde noch an anderer Stelle auf die bemerkenswerte theologische und pastorale Botschaft zurückkommen, die uns der hl. Irenäus, der zweite Bischof von Lyon, hinterlassen hat. Heute abend habe ich mir vorgenommen, mich einige Augenblicke beim hl. Franz von Sales aufzuhalten, ehe ich an seinem Grab bete und die Kirche von Annecy auf suche. Er ist für uns eine beispielhafte Gestalt an der Schwelle der modernen Zeit. Ich erinnere mich, daß mein Vorgänger Johannes XXIII. in seinem ,, Tagebuch einer Seele“ notiert hatte: „Was für eine schöne Gestalt eines Menschen, Priesters, Bischofs!“ Und er fügt hinzu, daß er ihn nachahmen möchte: „Eine große, glühende Liebe zu Jesus Christüs und seiner Kirche; eine Ruhe des unwandelbaren Geistes; eine unvergleichliche 743 REISEN Milde gegenüber dem Nächsten, nun, das ist alles!“ (S. 208). Man könnte uns gar nicht besser einladen, uns in die Schule des Heiligen von Annecy zu begeben, der sich seiner Bischofsweihe mit folgenden Worten erinnert: „Gott hatte mich mir selbst weggenommen, um mich für sich zu nehmen und mich dem Volk zu geben, das heißt, er hatte mich von dem, der ich für mich war, in den verwandelt, der ich für sie sein sollte“ (Brief DCCCXXXI). 2. Wenn wir Franz von Sales in seiner Diözese, in Annecy und auf seinen Visitationsreisen sehen, nehmen wir in der Tat wahr, daß er seinem ganzen Volk voll zur Verfügung stand. Ein Zeuge legte ihm folgenden Ausspruch in den Mund: „Das Haus eines Bischofs muß so etwas sein wie ein öffentlicher Brunnen, wo die Armen und die Reichen gleichermaßen Zutritt haben und Wasser schöpfen“ (2eproces, Bd. II, 1295). Er findet in einer vorbehaltlosen Nächstenliebe unablässig die Kraft, alle zu empfangen. Es ist beeindruckend zu hören, wie er seine Bewunderung für die Gläubigen in einer Art Glaubensakt zum Ausdrück bringt: Gott, „Ich bin ihm begegnet ... in unseren höchsten und rauhesten Bergen, wo viele einfache Seelen ihn liebevoll hochhalten und in aller Wahrheit und Aufrichtigkeit verehren . . .“ (Brief an Mme. de Chantal, Oktober 1606). Der unermüdliche Prediger, Katechet, Seelenführer gründet sein Wirken auf einige Überzeugungen, die ungeachtet der empfindlichen Unterschiede in der Spezialstruktur auch unsere Überzeugungen bleiben. Die Verkündigung des Evangeliums richtet Franz von Sales an alle, ohne Unterschied der Herkunft, des Berufes oder der Aufgabe. Er glaubt, daß alle von Kind an und ihr ganzes Leben hindurch erleuchtet werden müssen, um wie zur Zeit der Apostel eine Gemeinde zu bilden, die von lebendigem Glauben beseelt wird und bereitwillig wirksame gegenseitige Nächstenliebe übt. Man hat oft sein Bemühen hervorgehoben, Elitechristen auszubilden, die den ganzen Anspruch des Evangeliums wirklich ernst nehmen. Tatsächlich arbeitet er viel, um sie auf diesem Weg zu führen, ohne sie freilich vom ganzen Volk Gottes absondern oder sie von ihren Pflichten in Familie und Gesellschaft abhalten zu wollen. Er verstand es, seine Sprache dem kulturellen Niveau dieser Gläubigen anzupassen. Wenn er schrieb, geschah das „immer mit dem Bück auf die Menschen, die im Getriebe der Welt leben“. Wenn er sie in Vereinen oder „Bruderschaften“ zusammenschloß, geschah das, um ausstrahlende Brennpunkte in einem christlichen Volk zu schaffen, dessen soziales Leben nicht vom Glauben und vom kirchlichen Leben abgeschnitten werden sollte. 744 REISEN Es muß auch daran erinnert werden, wie sehr dieser Bischof unter der Spaltung der Christen gelitten hat. Leidenschaftlich arbeitete er für die Wiederherstellung der Einheit des Gottesvolkes. Soweit es von ihm abhing, war sein Einsatz von der Suche nach der Wahrheit in einem von tiefer brüderlicher Liebe erfüllten Dialog geprägt. 3. Da er der Meinung war, daß der Priester zu seinem Bischof gehört, räumte Franz von Sales seinen Beziehungen zum Klerus einen bevorzugten Platz ein. Die Schwierigkeiten, auf die er stieß, waren von den Verhältnissen einer anderen Zeit gekennzeichnet. Aber auch seine Zeit war im Wandel begriffen, es galt, zum Wesentlichen zurückzukehren. Während er sich um die Treue der Priester zu ihren Verpflichtungen, um ihre Hingabe an alle Christen bemüht, ist er mit ihnen brüderlich im Umgang, verbunden im Gebet, aber auch imstande, klar auszusprechen, was, wie es ihm scheint, in ihrem Tun verbessert werden müsse. Er legt Wert auf die Absprache und Verständigung bei den Jahresversammlungen des Klerus. Er wünscht die Einheit der Diözese vor allem durch die Priester. Ich möchte zwei bezeichnende Dinge anführen, die seine eindringliche Beharrlichkeit erkennen lassen. Innerhalb der in seinen Augen zu engen Grenzen seiner Möglichkeiten unternahm er große Anstrengungen für die intellektuelle und geistliche Ausbildung des Klerus. Eine gesunde, auf die Schrift und die Kirchenväter gegründete Lehre ist für diejenigen unerläßlich, die in einer Zeit, wo die auseinanderlaufenden kulturellen Strömungen und die Lebensumstände den Zusammenhalt des christlichen Volkes erschüttern, einer steigenden Anforderung entsprechen sollen. Franz von Sales blieb selbst in erster Linie dem Studium treu. Er nahm Kenntnis von dem, was die Theologen und die geistlichen Schulen vorschlugen. Und er war bereit, seinen Brüdern die Frucht einer aufgeklärten und durchdachten Überlieferung zu vermitteln. Man denkt hier an die theologischen Bemühungen, die Bischof Irenäus zu seiner Zeit unternommen hat. Eine andere ständige Sorge des Franz von Sales war die würdige Feier der Sakramente. Er bot das Beispiel einer großen Achtung vor der Liturgie. Er förderte den Zugang zur Eucharistie. Er ermutigte die Priester, gute Beichtväter zu werden. In seinem „Memoriale an die Beichtväter“ ruft er sie auf, das unendliche Erbarmen Gottes nahezubringen, der mit väterlichem Herzen Vergebung gewährt und nicht müde wird, den Bußfertigen beizustehen „in allem, was sie von euch für das Heil ihrer Seelen brauchen werden“. Mit einem Wort will ich in Erinnerung rufen, welche Bedeutung der 745 REISEN Gründer des Ordens von der Heimsuchung dem Ordensleben als Ort evangelischer Vervollkommnung, als mitreißendes Zeugnis beimaß, dem sich die ganze Christenheit nahe fühlen sollte. Wenn er die Reform der Klöster, was das „Pfründenwesen“ betraf, auch nicht zum Abschluß bringen konnte, so hat er doch einen Weg eröffnet, der uns durch eine freundschaftliche Nähe zu den Kartäusern und eine häufige Zusammenarbeit vor allem mit den Bettelorden wohlvertraut ist. Diese wenigen Aufforderungen, die ich hier in Erinnerung gebracht habe, enthalten nicht alle Formen der Zusammenarbeit, die ihr mit den Priestern, den Ordensmännern und Ordensfrauen pflegt, noch die ganze Unterstützung, die ihr ihnen gewährt. Möge euch der hl. Franz von Sales in diesem wichtigen Teil eures Dienstes inspirieren! 4. Als Bischof hat Franz von Sales oft eine aktive Solidarität mit seinen Brüdern im Bischofsamt bekundet, da er sich zutiefst dessen bewußt war, daß der Gedankenaustausch zwischen ihnen der Sendung der ganzen Kirche nur dienlich sein konnte. Zu seiner Zeit und entsprechend seinen eigenen charismatischen Gaben nahm diese Solidarität die Form freundschaftlicher Beziehungen, des Gedankenaustausches und des geistlichen Nacheiferns an. Er gab auf seine Weise eine Vorstellung von der intensie-ven Zusammenarbeit, die ihr bei euren Treffen auf regionaler und nationaler Ebene in strukturierter Form verwirklicht. Mit Problemstellungen, die sich von den heutigen unterscheiden, fanden damals endlose Debatten über die Rolle und die Autorität des Bischofs von Rom statt. Ich will die Aufmerksamkeit auf den Punkt lenken, zu dem Franz von Sales am Schluß seiner Analyse der Frage gelangte: „Man muß ruhig“ - er sagt „doucement“, „sanft, behutsam“ - „folgende zwei Punkte“ verkünden: „die kirchliche und christliche Einheit, die Liebe und Ergebenheit für den HI. Stuhl, der das Band dieser kirchlichen Einheit und Gemeinschaft darstellt“ (Brief an Msgr. Germonio, März 1612). Erlaubt mir nur zu sagen, daß unsere Begegnung heute abend während meiner Pilgerreise in euer Land ein frohes Zeichen dieser Einheit und dieser Gemeinschaft ist. 5. Am Beginn des 17. Jahrhunderts fand sich ein Bischof hineingezogen in das Leben der Stadt, das völlig anders aussah als heute, und abhängig von Rechtsauffassungen, die von den unseren großenteils verschieden waren. Dennoch bleiben bei Franz von Sales die Art und Weise des Handelns und die eigentlichen Brennpunkte des Interesses auch heute noch beispielhaft. 746 REISEN Man könnte ihm wohl den Ehrentitel eines „Experten in Menschlichkeit“ verleihen, wie ihn Paul VI. für die Kirche geltend machte. Denn in dem intellektuellen Aufbruch seiner Zeit, den er mit Sympathie beobachtete, vermochte Franz von Sales sich zu einer klaren Einsicht durchzuringen: er ist vor allem von der Achtung des Menschen und seiner Freiheit durchdrungen. Als Folge davon ist er an einer ausgewogenen Erziehung für Jungen und Mädchen interessiert. Wie auch immer die Debatte oder die Verhandlung aussah, in die er hineingezogen wurde, man fand in ihm einen Vermittler, frei von jeder Parteilichkeit, einen Mann des Friedens. Wenn sein Volk Gewalt zu erdulden hat, erhebt er die Stimme und verteidigt es. Sich der Kritik auszusetzen, machte ihm nichts aus, da er ja seine Worte und Taten unmißverständlich in die evangelische Ordnung der Nächstenliebe hineinstellte. Könnten wir heute angesichts der Unruhe und Gewalt, angesichts der vielen Gefährdungen und Verletzungen des Lebens und der Würde des Menschen für unseren bischöflichen Dienst den Ehrentitel in Anspruch nehmen, den einfache Gläubige Franz von Sales gegeben haben: „Urheber des Friedens“! 6. Liebe Brüder im Bischofsamt, nachdem ich euch einige Wesenszüge des Franz von Sales in Erinnerung gebracht habe, die für mich suggestive Wirkung zu besitzen scheinen, will ich noch das Geständnis erwähnen, das er bisweilen ablegte: die Aufgabe war schwer, die Menge der Probleme lastete auf ihm, Müdigkeit machte sich bemerkbar. Eines Tages schrieb er nicht ohne Humor an einen Freund: „Meine Seele ist fast ganz auf geschlitzt von den vielen Sorgen, die sie getragen hat. . .“ Und er hielt dann eine Einkehr, um „die Uhr aufzuziehen. . . und richtiger läuten zu lassen“. Nach einer seiner geistlichen Erholungszeiten vertraut er der Ordensfrau Johanna von Chantal an: „Ich fühle im Grunde meines Herzes eine neue Zuversicht, alle Tage meines Lebens Gott in Heiligkeit und Gerechtigkeit besser zu dienen“ (Brief MCCV). Für uns ist es gut, diesen Bischof, der eine wunderbare Ausgewogenheit in der Heiligkeit erlangt hatte, als Vorbild und Fürsprecher zu haben. In ihm finden wir in harmonischer Weise die Strenge eines gerechten Geistes, die notwendige Autorität des Hirten, eine kühle Klugheit, die Demut des Dieners Gottes und seiner Brüder, die freundschaftliche Wärme im Dialog, die ansteckende Begeisterung eines von der Liebe Gottes ergriffenen Herzens verbunden. In seiner Betrachtung über die Liebe Gottes erkannte Franz von Sales in Maria die einzigartige Vervollkommnung in dieser Liebe. Ihr hatte er sein 747 REISEN Werk gewidmet. Er sprach einmal von dem „Gut, das man dadurch besitzt, Kind - wenn auch unwürdiges Kind - dieser glorreichen Mutter zu sein“. Mit euch bitte ich die Jungfrau Maria, Mutter der Kirche, für euch und für alle Mitglieder eurer Diözesen Fürbitte einzulegen, und ich bete zu Gott, euch mit seinen Gaben und Segnungen zu überschütten. „Bleibt eurer erhabenen Berufung treu!“ Betrachtungen über das Priesteramt bei einem Einkehrtag für Seminaristen, Priester und Diakone, zusammen mit ihren Bischöfen, in Ars am 6. Oktober I. Glanz und Eigenart des Priesteramtes 1. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch . . . Empfangt den Heiligen Geist“ (Joh 20,21 f.) Liebe Brüder, Christus erwählt uns, er sendet uns, so wie er vom Vater gesandt worden ist, und er vermittelt uns den Heiligen Geist. Unser Priestertum ist verwurzelt in der Sendung der göttlichen Personen, in ihrer gegenseitigen Hingabe an das Herz der Heiligen Dreifaltigkeit. „Das Gnadengeschenk des Heiligen Geistes . . . wird in der Bischofsweihe immer wieder übertragen. Die Bischöfe ihrerseits geben im Weihesakrament den geistlichen Anteil an dieser Gnadengabe weiter “(Dominum et vivificantem, 25). Die Priester und auch die Diakone haben Anteil an dieser Gnade. Unsere Sendung ist eine Heilssendung. „Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, damit die Welt durch ihn gerettet wird“ (Joh 3,17). Jesus hat die Frohbotschaft vom Reich Gottes verkündet; er hat seine Apostel ausgewählt und geformt; er hat durch das Kreuz und die Auferstehung das Werk der Erlösung vollbracht; in der Nachfolge der Apostel sind wir in besonderer Weise mit seinem Heilswerk verbunden, um es überall in der Welt gegenwärtig und wirksam zu machen. Der hl. Jean-Marie Vianney ging so weit zu sagen: „Ohne den Priester wären der Tod und das Leiden unseres Herrn nicht nütze. Der Priester ist es, der das Erlösungswerk auf Erden fortsetzt“ (Jean-Marie Vianney, Cure d’Ars, sa pensee, son cceur, von Abbe Bernard Nodet, Le Puy, 1958, 100; im folgenden: Nodet). 748 REISEN Was wir verwirklichen müssen, ist also nicht unser Werk, es ist der Plan des Vaters, das Heilswerk des Sohnes. Der Heilige Geist bedient sich unseres Geistes, unseres Mundes, unserer Hände. Es ist vor allem unsere Aufgabe, unablässig das Wort zu verkündigen, um zu evangelisieren; es so weiterzugeben, daß wir, ohne es zu entstellen und zu schmälern, an die Herzen rühren; und die Opferhandlung Jesu beim Letzten Abendmahl, seine Gesten der Vergebung gegenüber den Sündern zu wiederholen. 2. Das ist nicht bloß eine Aufgabe, die wir erhalten haben, eine qualifizierte Funktion, die wir im Dienst des Volkes Gottes wahrzunehmen haben. Die Leute mögen vom Priesteramt als einem Beruf, einer Funktion, einschließlich der Funktion des Vorsitzes bei der eucharistischen Versammlung, sprechen. Aber wir lassen uns nicht darauf beschränken, nur Funktionäre zu sein. Vor allem weil wir in unserem Wesen durch die Priesterweihe mit einem besonderen Prägemal gezeichnet werden, das uns dem Priester Christus gleichförmig macht, so daß wir im Namen des Hauptes Christus handeln können (vgl. P.O., 2). Natürlich werden wir aus der Reihe der Menschen genommen und bleiben ihnen nahe, sind „Christen mit ihnen“, wie der hl. Augustinus sagte. Aber wir sind „abgesondert“ zur gänzlichen Weihe an das Heilswerk (P.O., Nr. 3). „Da das Amt der Priester dem Bischofsstand verbunden ist, nimmt es an der Vollmacht teil, mit der Christus selbst seinen Leib auferbaut, heiligt und leitet“ (P.O., 2). Daran erinnert uns das Zweite Vatikanische Konzil. Wir stehen zugleich in der christlichen Versammlung und ihr gegenüber, um kundzutun, daß die Initiative zur Heilung von Gott, vom Haupt des Leibes, kommt und daß die Kirche sie empfängt. Als wir im Namen Christi ausgesandt wurden, wurden wir von ihm in besonderer Weise geheiligt: das bleibt und berührt zutiefst unser Dasein als Getaufte. Der Pfarrer von Ars hatte zu diesem Thema prägnante Formulierungen zur Hand: „Den Priester stellt Gott auf die Erde als einen anderen Mittler zwischen dem Herrn und dem armen Sünder“ (Nodet, 199). Heute würden wir sagen: Der Priester nimmt in einer besonderen Weise an der Sendung des einzigen Mittlers, Jesus Christus, teil. Das hat eine Konsequenz für unser Alltagsleben. Es ist normal, daß wir uns ständig bemühen, nicht nur unsere Diensthandlungen, sondern auch unsere Gedanken, die Neigung unseres Herzens, unser Verhalten Christus, dessen Diener wir sind, anzugleichen, als Jünger, die so weit gehen, die Geheimnisse seines Lebens wiederzugeben, wie Pater Chevrier sagte. Das setzt natürlich eine wirklich innige Vertrautheit mit Christus im 749 REISEN Gebet voraus. Unser ganzes Ich und unser ganzes Leben weisen auf Christus hin. Imitamini quod tractatis. (Ahmt nach, was ihr vollzieht). Alle Getauften sind zur Heiligkeit auf gerufen, aber unsere Weihe und unsere Sendung machen es uns, ob wir Welt- oder Ordenspriester sind, zu einer besonderen Pflicht, durch die unserem Priestertum innewohnenden Reichtümer und durch die Anforderungen unseres Dienstes inmitten des Gottesvolkes diese Heiligkeit anzustreben. Sicher haben die Sakramente ihre Wirksamkeit von Christus und nicht von unserer Würde. Wir sind seine armseligen und demütigen Werkzeuge, die sich nicht das Verdienst der Gnadenübermittlung zuschreiben dürfen, aber doch verantwortliche Werkzeuge, und durch die Heiligkeit des Dieners sind die Seelen besser in der Lage, an der Gnade mitzuwirken. Gerade im Pfarrer von Ars sehen wir einen Priester, der sich nicht damit zufrieden gegeben hat, die Zeichen und Werke der Erlösung äußerlich zu vollziehen; er hat daran in seinem eigenen Sein, in seiner Liebe zu Christus, in seinem dauernden Gebet, in der Aufopferung seiner Prüfungen oder seiner freiwilligen Kasteiungen teilgenommen. Ich sagte es schon zu den Priestern in Notre-Dame von Paris, am 30. Mai 1980: „Der Pfarrer von Ars bleibt für alle Länder ein unvergleichliches Vorbild der Erfüllung des Dienstes und zugleich der Heiligkeit des Dieners.“ <86> <86> Das heißt für euch, liebe Freunde, daß wir mit Recht den Glanz des Amtspriestertums ebenso bewundern können wie die Ordensberufung, denn zwischen beiden besteht eine gewisse Verbindung. Ihr kennt das Wort des Pfarrers von Ars: „Oh, was ist das Priesteramt für eine große Sache! Wer sie erfaßte, würde daran sterben“ (Nodet, 99). Welch ein Wunder ist es in der Tat, als Bischof oder Priester unsere dreifache priesterliche Sendung auszuüben, die für die Kirche unentbehrlich ist: - die Sendung des Verkünders der Frohen Botschaft, die darin besteht, Jesus Christus bekannt zu machen, echte Verbindung zu ihm herzustellen, über die Echtheit und Zuverlässigkeit des Glaubens zu wachen, damit er nicht nachläßt und weder verändert wird noch erstarrt, und auch in der Kirche den Schwung der Glaubensverkündigung zu erhalten und Menschen für das Apostolat auszubilden; - die Sendung des Spenders der Geheimnisse Gottes, das heißt, diese Geheimnisse auf authentische Weise gegenwärtig zu machen, besonders das Ostergeheimnis durch die Eucharistie, und die Vergebung; den Getauften den Zutritt zu den Sakramenten und die Vorbereitung darauf zu ermöglichen. Diese Dienste werden niemals den Laien übertragen 750 REISEN werden können; dazu bedarf es der Priesterweihe, die im Namen des Hauptes Christus zu handeln gestattet; - schließlich die Sendung des Hirten: Aufbau und Erhaltung der Gemeinschaft unter den Christen in der uns anvertrauten Gemeinde mit den anderen Gemeinden der Diözese, die alle mit dem Nachfolger Petri verbunden sind. Denn vor jeder Spezialisierung aufgrund seiner persönlichen Kompetenzen und in Übereinstimmung mit seinem Bischof ist der Priester Diener der Gemeinschaft: in einer christlichen Gemeinde, die oft Gefahr läuft, sich zu zersplittern oder sich abzuschließen, stellt er zugleich den Zusammenhalt der Familie Gottes und ihre Öffnung sicher. Sein Priestertum verleiht ihm die Macht, das priesterliche Volk zu führen (vgl. Gründonnerstagsschreiben 1979, Nr. 5). 4. Die dem Priester eigene Identität erscheint somit klar. Im übrigen steht sie nach den Debatten der letzten zwanzig Jahre jetzt immer weniger zur Diskussion. Aber die sehr geringe Zahl von Priester- und Ordensberufen in vielen Ländern könnte manche Gläubige oder sogar Priester verleiten, sich mit diesem Mangel unter dem Vorwand abzufinden, man habe die Rolle der Laien wieder mehr entdeckt und verwirklicht. Es stimmt, das Konzil hat zum Glück das Amtspriestertum wieder in die Sicht der apostolischen Sendung innerhalb des ganzen Gottesvolkes gestellt. Es hat vermieden, daß aus ihm eine Bereicherung „an sich“, die von diesem Volk getrennt ist, gemacht wird. Es hat die vorrangige Aufgabe der Verkündigung des Wortes betont, die den Boden für den Glauben und damit für die Sakramente vorbereitet. Es hat klarer das Priestertum des Priesters mit dem des Bischofs verknüpft und seine Beziehung zum geweihten Amt der Diakone und dem gemeinsamen Priestertum aller Getauften auf gezeigt; aufgrund dieses gemeinsamen Priestertums können und sollen alle Zugang haben zu den Reichtümern der Gnade (Gotteskindschaft, Leben Christi, Heiliger Geist, Sakramente), ihr Leben zu einer geistigen Opfergabe machen, als Jünger Christi in der Welt Zeugnis ablegen und am Apostolat und an den Diensten der Kirche teilnehmen. Aber eben damit sie diese prophetische, priesterliche und königliche Rolle voll erfüllen kann, brauchen die Getauften das Amtspriestertum, durch das ihnen auf bevorzugte und greifbare Weise das von Christus, dem Haupt des ganzen Leibes, empfangene Geschenk des göttlichen Lebens vermittelt wird. Je christlicher und je mehr sich seiner Würde und seiner aktiven Rolle in der Kirche das Volk bewußt ist, um so stärker hat es das Bedürfnis nach Priestern, die wirklich Priester sind. Dasselbe gilt in 751 REISEN den entchristlichten Regionen und in den sozialen Schichten, die sich von der Kirche losgesagt haben (vgl. Ansprache in Notre-Dame in Paris, 30. Mai 1980, Nr. 3). Laien und Priester werden sich niemals mit dem zahlenmäßigen Rückgang der Priester- und Ordensberufe resignierend abfinden dürfen, wie das heute in manchen Diözesen der Fall ist. Eine solche Resignation wäre ein schlechtes Zeichen für die Lebenskraft des christlichen Volkes, sie wäre gefährlich für seine Zukunft und für seine Sendung. Und es wäre wohl eine zwielichtige Angelegenheit, wenn man unter dem Vorwand, der nahen Zukunft mit Realismus gegnübertreten zu wollen, die christlichen Gemeinden so organisierte, als könnten sie größtenteils auf den priesterlichen Dienst verzichten. Fragen wir uns hingegen, ob wir alles nur Mögliche tun, um im christlichen Volk das Bewußtsein für die Schönheit und Notwendigkeit des Priestertums aufzufrischen, die Berufe zu wecken, sie zu ermutigen und sie reifen zu lassen. Ich freue mich zu erfahren, daß eure Dienste zur Weckung von Berufen neue Initiativen ergreifen, um dem Anruf neuen Schwung zu verleihen. Werden wir nicht müde, zum Gebet dafür zu veranlassen, daß der Herr der Ernte Arbeiter sende. Liebe Brüder, bleiben wir bescheiden und demütig, denn es handelt sich um eine Gnade des Herrn, die wir für den Dienst an den anderen empfangen haben, eine Gnade, derer wir niemals wahrhaft würdig sind. Der Pfarrer von Ars sagte: „Der Priester ist nicht Priester für sich, er ist es für euch“ (Nodet, 102). Aber wie er wollen wir nicht aufhören, die Größe unseres Priestertums zu bewundern Und jeden Augenblick dafür zu danken. Und mögt ihr, liebe Seminaristen, euch in Freude und Hoffnung noch mehr nach diesem erhabensten Dienst des Herrn und seiner Kirche sehnen können! II. Mit Jesus, dem Erlöser, um die Welt zu versöhnen und zur Eucharistie hinzuführen 5. „Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten“ (2 Kor 9,22). Das Wort Heil ist eines der Wörter, die beim Pfarrer von Ars am häufigsten Vorkommen. Was bedeutet es für ihn? Geheilt werden heißt befreit werden von der Sünde, die uns von Gott entfernt, die das Herz vertrocknen läßt und uns von der Liebe Gottes für immer zu trennen droht, was wohl das größte Unglück wäre. Geheilt werden heißt mit Gott verbunden leben, Gott schauen. Geheilt werden heißt aber ebenso wieder zurückgeführt werden in eine echte Gemeinschaft mit den anderen, denn 752 REISEN unsere Sünden bestehen häufig darin, daß wir die Liebe zum Nächsten, die Gerechtigkeit, die Wahrheit, die Achtung seiner Güter und seines Leibes, seine menschlichen Rechte verletzen, und das alles läuft dem Willen Gottes zuwider. Es besteht eine tiefe Solidarität zwischen allen Gliedern des Leibes Christi: man kann ihn nicht lieben, ohne seine Brüder zu lieben. Das Heil erlaubt uns also, zurückzufinden zu einer kindlichen Beziehung zu Gott und einer brüderlichen Beziehung zu den anderen. Die Erlösung Christi hat allen die Möglichkeit des Heils eröffnet. Der Priester wirkt an der Erlösung mit, durch die Mahnung zur Umkehr und die Gewährung der Vergebung bereitet er die Seelen darauf vor. Um ihres Heils willen wollte der Pfarrer von Ars Priester sein: „Dem guten Gott Seelen gewinnen“, erklärte er, als er achtzehnjährig seine Berufung bekanntgab; so wie der hl. Paulus sagte: um möglichst viele zu gewinnen“ (1 Kor 9,19). Deshalb hat sich Jean-Marie Vianney bis zur Erschöpfung verausgabt, deshalb war er bereit, Buße zu tun, gleichsam um Gott die Gnaden der Bekehrung zu entreißen. Um das Heil dieser Seelen bangte er, vergoß er Tränen. Und wenn er versucht war, seiner schweren Aufgabe als Pfarrer zu entfliehen, kam er um des Heils der Pfarrkinder wegen wieder zurück. Wir lesen beim hl. Paulus: „Denn die Liebe Christi drängt uns... Jetzt ist er da, der Tag der Rettung“ (2 Kor 5,14; 6,2). „Das Priestertum“ - sagte Jean Marie Vianney - „ist die Liebe des Herzens Christi“ (Nodet, 100). Liebe Brüder, vielen unserer Zeitgenossen scheint das Heil ihrer Seele gleichgültig geworden zu sein. Machen wir uns über diesen Glaubens Verlust Sorgen oder finden wir uns damit ab? Sicher haben wir recht, wenn wir heute Nachdruck legen auf die Liebe Gottes, der seinen Sohn gesandt hat, daß er heile und nicht, daß er verdamme. Wir haben recht, mehr auf die Liebe als auf Angst und Furcht zu setzen. Im übrigen tat das ja auch der Pfarrer von Ars. Außerdem sind die Menschen frei, dem Glauben und dem Heil anzuhängen oder nicht; sie fordern mit aller Klarheit diese Freiheit, und auch die Kirche will, daß der Weg der Menschen frei von äußeren Zwängen sei (vgl. DH 3), abgesehen von der für jeden bestehenden moralischen Verpflichtung, die Wahrheit zu suchen und ihr anzuhängen, nach seinem Gewissen zu handeln. Schließlich ist Gott selbst frei in der Verteilung seiner Gaben. Die Umkehr ist eine Gnade. In der Enzyklika Dominum et vivificantem (Nr. 47) habe ich gezeigt, daß allein der Heilige Geist uns den Ernst der Sünde, des dramatischen Verlustes des Sinnes für Gott bewußt macht und das Verlangen nach Umkehr schenkt. 753 REISEN Aber unsere Liebe zu den Menschen darf sich nicht damit abfinden, daß sie sich das Heil versagen. Wir haben keinen direkten Einfluß auf die Umkehr der Seelen. Aber wir sind für die Verkündigung des Glaubens, des ganzen Glaubens, und seiner Forderungen verantwortlich. Wir müssen unsere Gläubigen zur Umkehr und zur Heiligkeit einladen, ihnen die Wahrheit sagen, sie anleiten, beraten und in ihnen das Verlangen nach den Sakramenten wecken, die ihnen wieder die Gnade Gottes schenkt. Der Pfarrer von Ars betrachtete das als einen sehr mühsamen, aber notwendigen Dienst: „Wenn ein Hirte angesichts der Schmähung Gottes und der Verirrung der Seelen stumm bleibt, wehe ihm!“ Man weiß, wie sorgfältig er seine Sonntagspredigten und seine Katechesen vorbereitete, wie mutig er an die Forderungen des Evangeliums erinnerte, die Sünde anprangerte und zur Wiedergutmachung des begangenen Übels aufrief. Bekehren, heilen, retten - das sind drei Schlüsselworte unserer Sendung. Der Pfarrer von Ars hat sich als wirklich solidarisch mit seinem Volk von Sündern erwiesen; er hat alles getan, um die Seelen ihrer Sünde, ihrer Lauheit zu entreißen, um sie zur Liebe zurückzuführen: „Gewährt mir die Bekehrung meiner Pfarrei, und ich bin bereit, für den Rest meines Lebens zu leiden, was ihr wollt.“ Er hatte, sagte man, „eine pathetische Vorstellung vom Heil“; möglicherweise hat ihm der Jansenismus die Formulierungen und den strengen Ton eingegeben. Aber er vermochte diesen Rigorismus, diese Unerbittlichkeit zu überwinden. Er zog es dann vor, die anziehende Seite der Tugend, das Erbarmen Gottes zu betonen, vor dem unsere Sünden „wie Sandkörner“ sind. Er wies hin auf die Liebe des beleidigten Gottes. Seine Appelle lagen genau auf der Linie der Appelle der Propheten (vgl. Ez 3,16.21), Jesu, des hl. Paulus, des hl. Augustinus über die Bedeutung des Heils und die Dringlichkeit der Umkehr, Er fürchtete, daß die Priester „erschlaffen“, daß sie sich an die Gleichgültigkeit ihrer Gläubigen gewöhnen. Wie könnten wir heute seine Warnung unbeachtet lassen? 6. Laßt euch mit Gott versöhnen!“ Dieser Satz des hl. Paulus bestimmt ganz den Dienst des hl. Jean-Marie Vianney. Man weiß von ihm in der ganzen Welt, daß er täglich bis zu zehn, fünfzehn und mehr Stunden im Beichtstuhl verbrachte, und das noch fünf Tage vor seinem Tod. Es geht sicher nicht darum, seinen Rhythmus als Beichtvater im buchstäblichen Sinne auf unser Priesterleben zu übertragen, doch seine Haltung und seine Beweggründe richten nachdrückliche Fragen an uns. Den reuigen, zur Umkehr bereiten Seelen die Vergebung anzubieten, 754 REISEN darin bestand im wesentlichen sein Dienst an ihrem Heil - um den Preis einer Anstrengung, die uns noch immer beeindruckt. Messen wir dem Sakrament der Wiederversöhnung dieselbe Bedeutung bei? Sind wir bereit, ihm Zeit zu widmen? Formen wir die Gläubigen genügend, damit sie nach dem Sakrament verlangen, sich darauf vorbereiten? Suchen wir in unseren Städten und Dörfern ausreichend nach den praktischen Mitteln und Wegen, um ihnen konkret die Möglichkeit dazu zu bieten? Bemühen wir uns um die Erneuerung des Sakramentsempfangs entsprechend den Empfehlungen der Kirche (Vergleich mit dem Evangelium, Sicherstellung einer regelmäßigen gemeinschaftlichen Vorbereitung...), ohne je den Schritt der persönlichen Beichte, zumindest für die schweren Sünden, aus dem Auge zu verlieren? Bemühen wir uns, begreiflich zu machen, daß es sich im letztgenannten Fall um eine Vorbedingung für die Teilnahme an der Eucharistie und auch für den würdigen Empfang des Ehesakraments handelt (vgl. Apostol. Schreiben Reconciliatio etpaenitentia, 27)? Wissen wir die wunderbare Gelegenheit zu schätzen, die uns damit geboten wird, nämlich die Gewissen zu formen, die Seelen zu einem geistlichen Fortschritt zu führen? Ich weiß, liebe Freunde, daß nach einer schweren Zeit viele Priester zusammen mit ihrem Bischof einen Neubeginn versucht haben. Ich ermutige euch dazu mit allen meinen Kräften. Das war ja das Ziel des im Anschluß an die Bischofssynode veröffentlichten Dokuments Reconciliatio et paenitentia. Ich weiß auch, daß ihr auf viele Schwierigkeiten stoßt: den Priestermangel und vor allem die Abneigung der Gläubigen gegenüber dem Bußsakrament. Ihr sagt: „Seit langem kommen sie nicht mehr beichten.“ Hier liegt ja gerade das Problem! Sollte sich dahinter nicht ein Mangel an Glauben, ein Mangel an Sündenbewußtsein, ein Mangel an Empfinden für die Vermittlung Christi und der Kirche, die Geringschätzung für eine Praxis verbergen, von der man nur zur Routine gewordene Verzerrungen kennt? Halten wir fest, was sein Generalvikar zum Pfarrer von Ars sagte: „In dieser Pfarrei gibt es nicht viel Gotteshebe, Ihr müßt sie einpflanzen.“ Und der heilige Pfarrer hat auch selbst keine begeisterten Beichtkinder angetroffen. Doch aufgrund seiner priesterlichen Haltung, seiner Heiligkeit hat eine beachtenswerte Menge die Bedeutung des Bußsakraments erfaßt. Was war das Geheimnis, daß er Glaubende und Nichtglaubende, heiligmäßige Leute und Sünder gleichermaßen anzog? Der Pfarrer von Ars, der in seinen Predigten bei der Geißelung der Sünde manchmal so hart war, konnte, wie Jesus, bei der Begegnung mit dem einzelnen Sünder in Wirklichkeit voller Erbarmen sein. Abbe Monnin sagte von ihm: das ist 755 REISEN eine „Heimstatt der Liebe und Barmherzigkeit“. Er glühte vor Barmherzigkeit, der Barmherzigkeit Christi. Es handelt sich da freilich um einen entscheidenden Gesichtspunkt der Evangelisierung. Seit dem Osterabend werden die Apostel ausgesandt, um die Sünden zu vergeben. Die Gabe des Heiligen Geistes ist mit dieser Vollmacht verbunden. Und die Apostelgeschichte spricht immer wieder von der Vergebung der Sünden und von der Gnade des Neuen Bundes (vgl. Apg 2,38; 5,31; 10,43; 13,38). Es ist das Leitmotiv der apostolischen Verkündigung: „Laßt euch versöhnen!“ Diese Worte, liebe Freunde, sind auch an uns gerichtet. Halten wir treu daran fest, persönlich die Vergebung durch die Vermittlung eines anderen Priesters zu empfangen? 7. Jean-Marie Vianney wollte seine bußfertigen Gläubigen zur Eucharistie führen. Ihr wißt, welchen zentralen Platz bei ihm jeden Tag die Messe einnahm, mit welcher Sorgfalt er sich darauf vorbereitete und sie feierte. Er war sich sehr wohl bewußt, daß die Erneuerung des Opfers Christi die Quelle der Gnade der Umkehr war. Er legte auch Gewicht auf die Kommunion, indem er im Gegensatz zu den seelsorglichen Gepflogenheiten der Zeit die Menschen, nach gebührender Vorbereitung, zum häufigeren Empfang der Kommunion aufforderte. Ihr wißt auch, daß ihn die Realpräsenz Christi in der Eucharistie während und vor der Messe faszinierte. Wie oft war er zu Füßen des Tabernakels in Anbetung des Allerheiligsten anzutreffen! Und seine armen Pfarrkinder haben nicht lange gezögert, um selbst Christus in seinem Allerheiligsten zu grüßen und anzubeten. Das Konzil hat uns zum Glück gestattet, unsere Eucharistiefeiern zu erneuern, sie einer gemeinschaftlichen Teilnahme zu öffnen, sie lebendig, ausdrucksvoll und leicht mitvollziehbar zu gestalten. Ich glaube, darüber würde sich der Pfarrer von Ars freuen. Aber wir müssen erkennen, daß freilich nicht alles ein Fortschritt war. Der beachtliche Rückgang der religiösen Praxis, der vielfältige Ursachen hat, die ich hier nicht im einzelnen analysieren will, ist eine sehr beunruhigende Tatsache. Unsere Gläubigen müssen von neuem ihre entscheidende Stellung im Leben des Christen lernen. Das war eine ganz wesentliche Katechese des Pfarrers von Ars. Anderseits sind die Würde der Meßfeier, ihre Aufnahme Werte, die nicht immer respektiert wurden. Der Pfarrer von Ars war daher bemüht, in seiner Kirche ganz ein Gebetsklima zu schaffen, das für das Volk annehmbar und geeignet war, die Anbetung, auch außerhalb der 756 REISEN Messe, zu fördern. Wer wollte nicht diese Freude am stillen Gebet in unseren Kirchen, dieses Gefühl der Verinnerlichung fördern? Etwas fällt uns noch auf: der Pfarrer von Ars hat viel für die Wiederherstellung des Sonntagsbewußtseins getan, um die Hausfrauen und Mütter sowie die Dienstboten freizumachen für die Teilnahme an der Eucharistie. Ich ermutige euch, auch weiterhin den christlichen Sonntag zu fördern. Ich lasse euch nun in der Stille eine Betrachtung über diese Gnade anstellen, die der Herr uns gewährt, nämlich in seinem Namen die Sünden zu vergeben und seinen Leib unseren Brüdern und Schwestern als Nahrung anzubieten. „Heilen mit Christus!“ III. Armut und Kraftquellen des Priesters 8. „Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen, so wird deutlich, daß das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt“ (2 Kor 4,7). Liebe Brüder, wir mußten zuerst über den Glanz des Priesterberufes, über das Übermaß der Heilskraft, das Gott uns anvertraut, nachdenken. Aber wie könnten wir die Unbillen, die Last und die Plagen des Priesteramtes ignorieren, die der hl. Paulus selber durchmachte? Wie könnten wir über die Schwächen unserer „zerbrechlichen Gefäße“ hinwegsehen? Ich möchte euch helfen, sie in Hoffnung zu erleben, und euch in euren Bemühungen um innere Stärkung ermutigen. Der Pfarrer von Ars sagte: „Fürchtet euch nicht vor eurer Bürde, unser Herr trägt sie mit euch.“ Die Schwierigkeiten können für den Apostel von außen kommen, während er in Treue Jesus Christus allein dient. Er muß Spott, Verleumdung, Einschränkung seiner Freiheit über sich ergehen lassen; das kann so weit gehen, daß er, wie Paulus sagt, „von allen Seiten in die Enge getrieben“, „verfolgt“, „niedergeworfen“ wird. Wie viele Priester, wie viele Christen erdulden in manchen Ländern schweigend solche Verfolgungen? Oft spornen sie dadurch indirekt den Glauben der Gläubigen an und läutern ihn. Aber welche Prüfung! Welche Behinderung für den priesterlichen Dienst! Bleiben wir mit diesen so heimgesuchten Brüdern solidarisch! In den westlichen Ländern gibt es Schwierigkeiten anderer Art. Ihr begegnet verbreitet einem Geist der Kritik, des Mißtrauens, der Säkularisierung, ja des Atheismus, oder einfach dem Sichverschließen hinter materialistischen Sorgen, und die Botschaft, die ihr den Menschen im Namen Christi und der Kirche bringen wollt, wird relativiert oder abgelehnt. Bereits in den fünfziger Jahren hatte Kardinal Suhard treffend das Zei- 757 REISEN chen des Widerspruchs beschrieben, das der Priester in einer Gesellschaft darstellt, die seine Botschaft fürchtet (vgl. Le pretre dans la eite) und sie unter die Menschen der Vergangenheit oder unter die Utopisten einreiht. Seit damals ist in vielen Diözesen die Zahl der Priester zurückgegangen, das Durchschnittsalter hat sich erhöht. Diese Alterspyramide macht die Integrierung der jungen Priester manchmal recht schwierig. Die Entmutigung kann auch in unserer Priestermentalität Nahrung finden; manche lassen sich von Verdrossenheit und Verbitterung ergreifen angesichts von Mißerfolgen und endlosen Debatten; manchmal gibt es Verhärtungen, die aus Ideologien stammen, die dem christlichen und priesterlichen Geist fremd sind; manchmal auch noch einen systematischen Argwohn gegen Rom. Das alles lastete und lastet noch immer auf der Dynamik der Priester. Ich habe den Eindruck, daß die jungen Priester gegenüber solchen Empfindungen freier sind. Ich ermutige sie und fordere sie auch auf, die vorangehenden Generationen der in Prüfungen bewährten, aber treuen Priestern zu würdigen. Sie haben die Last des Tages und der Unbillen inmitten vieler Umwälzungen getragen und haben ihre Aufgabe sehr oft im Geist des Evangeliums erfüllt. Schließlich weiß jeder von euch um seine eigenen, persönlichen Schwierigkeiten: Gesundheit, Einsamkeit, familiäre Sorgen und auch die Versuchungen der Welt, die an ihn herantreten, manchmal das Gefühl einer großen geistlichen Armut, ja einer beschämenden Schwachheit. Wir bringen Gott diese Brüchigkeit unserer „zerbrechlichen Gefäße“ dar. Es tut uns gut zu wissen, daß auch der Pfarrer von Ars Heimsuchungen und Prüfungen erfahren hat: die Beschwernisse seines von den Überanstrengungen des Dienstes und durch das lange Fasten auf geriebenen Körpers; das Unverständnis und die Verleumdungen seiner Pfarrkinder; die kritischen Verdächtigungen und Eifersüchteleien seiner Mitbrüder; und sehr geheimnisvolle geistliche Prüfungen; Abbe Monnin sprach von einer Art „übernatürlicher Melancholie“, geistlicher Betrübnis, Angst um seine Gesundheit, einem unerbittlichen Kampf gegen den Geist des Bösen und einer gewissen Dunkelheit. Hochherzige und geistliche Seelen sind selten von derlei Erfahrungen ausgenommen. Aber trotz seiner hohen Sensibilität hat man den Pfarrer von Ars nie entmutigt gesehen. Er hat diesen Versuchungen widerstanden. 9. Auch ihr kennt also den Weg des Heils und die Mittel zur Wiederbelebung, zur Wiedergewinnung der inneren Kraft. Ich würde vor allem sagen: es bedarf einer geistlichen Wiederbelebung. Wie könnten wir die geistliche Krise unserer Zeit heilen, wenn wir nicht 758 REISEN selbst die Mittel zu einer tiefen und ständigen Verbundenheit mit dem Herrn ergriffen, dessen Diener wir sind? In dem Pfarrer von Axs haben wir einen unvergleichlichen Führer. Er sagte: „Der Priester ist vor allem ein Mann des Gebets... Was wir brauchen, ist die Reflexion, das Gebet, die Vereinigung mit Gott.“ Nicht ohne Grund haben unsere geistlichen Führer auf einer täglichen Gebetszeit in Gegenwart des Herrn, auf dem täglichen Hören des Gotteswortes, auf Lobpreis und Fürbitte im Namen der Kirche durch das Stundengebet, auf der täglichen Feier der Eucharistie und auf dem Gebet zu Maria bestanden. Wie groß war die Bewunderung des Pfarrers von Ars für die Jungfrau Maria - „meine älteste Liebe“ -! Und wie groß war sein Vertrauen: „Man braucht sich nür an sie zu wenden, um erhört zu werden!“ Ich denke auch an regelmäßige Augenblicke der Einkehr, um dem Geist Gottes die Möglichkeit zu geben, uns zu durchdringen, uns zu „prüfen“ und uns zu helfen, damit wir das Wesentliche unserer Berufung erkennen. Die tägliche Begegnung mit dem Glück und dem Elend der Menschen in unserem Dienst muß natürlich in unser Gebet eingehen; sie kann es nähren, vorausgesetzt, daß wir alles vor den Herrn bringen, „um seiner Ehre und Herrlichkeit willen“. Im Lichte dieser geistlichen Neubelebung gewinnen alle unsere priesterli-chen Verpflichtungen eine neue Bedeutung: - der Zölibat, Zeichen unserer unbegrenzten Verfügbarkeit für Christus und für die anderen; - eine wirkliche Armut, die Teilhabe am Leben des armen Christus und Teilen der Situation mit den Armen ist, wie es uns P. Chevrier vorgelebt hat; - der Gehorsam, der unserem Dienst in der Kirche Ausdruck verleiht; - die für jedes Leben notwendige Askese, angefangen bei der Askese des Dienstes, den wir Tag für Tag vollbringen; - die Aufnahme unvorhergesehener Heimsuchungen und auch freiwilliger Kasteiungen, die aus Liebe zu den Seelen aufgeopfert werden. Der Pfarrer von Ars hat die Erfahrungen des Herrenwortes gemacht: „Es gibt Dämonen, die sich nur durch Fasten und Beten vertreiben lassen.“ Aber, so werdet ihr fragen, wo sollen wir die Kraft für das alles finden? Sicher, auch wir sind mutige Menschen. Aber „das Joch ist sanft, und die Last ist leicht“, wenn sich unser Mut auf den Glauben, auf das Vertrauen stützt, das der Herr denen nicht versagen wird, die sich ihm anvertraut haben: „Gott ist größer als unser Herz“ (1 Joh 3,20). 759 REISEN Zudem werden wir Freude finden: das abgezehrte Gesicht des Pfarrers von Ars schien immer zu lächeln! 10. „Allen bin ich alles geworden... den Schwachen wurde ich ein Schwacher“ (1 Kor 9,22). Der priesterliche Dienst, der in einem Zustand der Einheit und Verbundenheit mit Gott gelebt wird, ist also der tägliche Boden für unsere Heilung. Jesus betete für seine Apostel so zum Vater: „Ich bitte nicht, daß du sie aus der Welt nimmst, sondern daß du sie vor dem Bösen bewahrst“ (Joh 17,15). Das Konzil hat den Hirten eindringlich empfohlen, dem Leben und den Lebensumständen ihrer Herde niemals unbeteiligt gegenüberzustehen (vgl. PO 13). In Frankreich haben viele Priester der Konzilsgeneration, aber auch schon früher, sich sehr nachdrücklich dieser Sorge angenommen. Es bedarf immer dieser Haltung der Offenheit, des Zuhörens, des Verständnisses und der Teilnahme, damit sich Evangelisierung hörbar und glaubwürdig ereignet. Ich sage das insbesondere den neuen Seminaristengenerationen. Pater Chevrier ist den Armen ein Armer geworden. Genauso müssen wir heute in das Denken und Fühlen der neuen - reichen und armen, gebildeten und ungebildeten - Gesellschaftskreise Vordringen, die evangelisiert werden sollen. Durch euch muß die missionarische Kraft der Älteren für die heutige Welt erhalten werden. Aber eben deshalb sollen die Priester - wie das Konzil auch sagt - nicht vergessen, daß sie Verkünder eines anderen Lebens als des irdischen sind und daß sie sich nicht die gegenwärtige Welt zum Vorbild nehmen dürfen, sondern sie im Namen des Evangeliums ansprechen müssen. Sie dürfen sich auch nicht für noch so berechtigte zeitliche oder politische Optionen ihrer Gläubigen einsetzen, damit ihr Dienst für alle offen und klar auf das Reich Gottes ausgerichtet bleibt. 11. Die-geistliche und apostolische Qualität der Priester von morgen wird heute vorbereitet, und auf diese Ausbildung hinzuweisen, kann ich mir nicht versagen. Liebe Seminaristen, welche Freude für mich, euch alle hier versammelt zu sehen! In euch grüße ich den Nachwuchs des französischen Klerus. Auch wenn ihr noch die kleine Herde des Evangeliums seid, bin ich, wenn ich euch so anschaue, voller Hoffnung. Und ich zähle auf die Freude, mit der ihr euer Leben der Kirche weiht, um viele weitere Kandidaten zu gewinnen. Ich glaube, daß ihr bereit seid, auch die Anforderungen dieses Dienstes auf euch zu nehmen. 760 REISEN Viele von euch treten heutzutage in einem reiferen Alter in das Seminar ein als in früheren Zeiten; sie verfügen bereits über eine Erfahrung in Arbeit und Studium. Doch sehr oft habt ihr, wie eine jüngste Umfrage zeigte, bereits vor dem 13. Lebensjahr an den Priesterberuf gedacht. Anerkennt die Voraussetzungen an Einsicht und Reife für eure Berufung. Wenn Gott euch ruft, wenn die Kirche so urteilt, laßt euch nicht von den Prüfungen auf dem Weg entmutigen. Ihr wißt, glaube ich, um die zahllosen Schwierigkeiten, auf die der junge Jean-Marie Vianney stieß, als er Priester werden wollte: Mangel an Unterweisung und Kontakt mit gebildeten Leuten, Verzögerung der Ausbildung wegen der Französischen Revolution, notgedrungen Arbeit in einer Fabrik, seltsames Erlebnis während des Militärdienstes, Schwierigkeit mit der Aneignung der lateinischen Sprache, Gedächtnismangel, Vorbehalte der Verantwortlichen des Seminars, später Priesterweihe in der Einsamkeit, im besetzten Land... Zweifellos waren ihm auch Gnaden zuteil geworden: die Atmosphäre eines christlichen Elternhauses, die liebevolle und zuverlässige Hilfe des Abbe Balley von Ecully. Aber sein Weg bis zur Erreichung des Priestertums wird alle ermutigen, die die Prüfung für das Reifwerden ihrer Berufung erfahren. Eure Seminare müssen unterschiedliche Sensibilitäten aufnehmen können, bei großer gegenseitiger Respektierung; die hochherzigen Seelen dürfen nicht durch die Ängstlichkeit der anderen behindert werden und dürfen auch ihrerseits diese nicht a priori verurteilen. Wesentlich ist die Verbindung mit dem Bischof; die Begleitung durch einen persönlichen Spiritual und das Urteil einer Erziehergruppe sind die Gewähr für die Berufung. Man erwirbt das Priestertum nicht, man wird von denen, die euch für geeignet halten, im Namen des Bischofs dazu berufen. Mein Wunsch ist, daß euch eure Seminare bestens auf das Priesterleben vorbereiten, wie es uns heute ständig vor Augen stand. Zu den Bischöfen dieser Mittelost-Region, die ich 1982 anläßlich ihres „Ad-limina“-Besu-ches empfangen habe, sagte ich, daß ihr eine bis ins Metaphysische gehende philosophische Überlegung anstellen müßt, ohne bei einer „impressionistischen Verschwommenheit“ stehenzubleiben. Der Theologie muß man sich in der zugleich intellektuellen, wissenschaftlichen und spirituellen Haltung einer möglichst vollständigen Einführung in das Heilsmysterium nähern. Das Hören des Wortes Gottes muß in euren Häusern an erster Stelle stehen; die Ausbildung zum geistlichen Leben mit geeigneten Gesprächen und Lesen der Autoren ist natürlich unerläßlich. Zugleich müßt ihr die Erfahrung eines brüderlichen Gemeinschaftslebens und eines liturgischen und vertieften persönlichen Gebets machen, 761 REISEN wie ich bereits im Zusammenhang mit der geistlichen Wiederbelebung sagte. Hier ist auch Platz für ein gewisses Erlernen des Dienstes: Kennenlernen der heutigen Welt, wie sie ist, und sie in einem pastoralen Dialog, einem Heilsdialog ansprechen. An der Schwelle des Priesterlebens müßt ihr offen sein für die Vielfalt von priesterlichen Aufgaben, die für eine Diözese notwendig sind, und bereit für die Aufgabe, die man euch anvertrauen wird. Alle diese Forderungen des Lebens in den Seminaren — die zum Glück heute, wie es scheint, viele Studenten wünschen - stellen auch eine große Verantwortung für die Leiter und Professoren dar. Ich bitte den Herrn, ihnen in diesem wichtigen Dienst der Kirche beizustehen. 12. Was euch Priester betrifft, bedürft ihr auch intellektueller Stärkung und Neubelebung und gemeinschaftlicher Hilfe. Ihr versteht gut die Notwendigkeit der intellektuellen Arbeit, einer ständigen Weiterbildung, die geeignet ist, eure theologische, pastorale und spirituelle Reflexion zu vertiefen (vgl. CIC can. 279). Ist es nicht beeindruckend zu sehen, daß der Pfarrer von Ars trotz seiner aufreibenden Tage täglich zu lesen versuchte, indem er unter den 400 Bänden seiner Bibliothek etwas auswählte! Anderseits wünsche ich, daß euch über alle Unterschiede hinaus eine wahre Brüderlichkeit, eine sakramentale und von Liebe getragene Brüderlichkeit, verbinde. Pater Chevrier wollte sich mit anderen Priestern und Laien zusammenschließen. Die Ordenspriester finden bei ihren Brüdern Unterstützung. Die Weltpriester leben in einer größeren Einsamkeit, und ich glaube, daß die Priester der jungen Generationen Schwierigkeiten haben werden, so allein zu leben wie der Pfarrer von Ars. Sicher werden viele von ihnen in den Priestervereinigungen starke brüderliche Hilfe und einen Ansporn zu Reflexion und Gebet finden. Ich weiß, daß diese Vereinigungen in Frankreich wieder an Lebenskraft gewinnen, und ich ermutige sie. Manche Einzelpersonen oder Laienvereinigungen, wie z. B. das „Werk für die Landgemeinden“, sind auch darum bemüht, vereinsamten und armen Priestern zu helfen. Das ist sehr lobenswert. Aber was ich unterstreichen möchte, ist die immer intensivere Zusammenarbeit zwischen Priestern und Laien im Dienst. Da besteht eine große Hoffnung für das Apostolat, ja'ich würde sagen, ein großer Antrieb für den Priester selbst, wenn, er den Laien bei ihren Initiativen Vertrauen schenkt, ihnen zu erkennen hilft, worauf es ankommt, und selbst als Priester auftritt. Auch auf diesem Gebiet vermochte der Pfarrer von Ars 762 REISEN seine Pfarrkinder zur Mitarbeit anzuspornen und ihnen mehr Verantwortung zu übertragen. 13. Und euch, liebe Diakone, betreffen meine Ausführungen an diesem Morgen ganz unmittelbar, denn ihr seid ja die Mitarbeiter des Priesterstandes. Ich kann an eure Aufgabe nicht erinnern, ohne an das Verhalten Jesu am Gründonnerstag zu denken: Er stand vom Tisch auf, wusch seinen Jüngern die Füße und bezeichnete bei der Einsetzung der Eucharistie den Dienst an den anderen als den königlichen Weg. Euch ständige Diakone bestimmt der Bischof durch eine Weihe für immer zu dem euch eigenen Dienst am Gottesvolk an der Seite der Priester (vgl. LG 29). Die Kirche zählt sehr auf euch, besonders bei der Verkündigung des Wortes und in der Katechese, bei der Vorbereitung auf die Sakramente, bei der Spendung der Taufe und der Austeilung der heiligen Kommunion, dem Gottesdienst und Gebet der Gemeinde unter bestimmten Umständen vorzustehen, für andere Dienste der Kirche zu sorgen und vor allem in wichtigen Bereichen des sozialen Lebens Zeugnis zu geben von der christlichen Nächstenliebe. Ich freue mich, euch und eure Familien zu segnen. 14. Zum Abschluß dieser langen Meditation komme ich auf den missionarischen Aspekt unseres Priestertums zurück. Für einen guten Priester geht es darum, die Menschen dort aufzusuchen, wo sie stehen. Dafür gibt es viele apostolische Annäherungen: die diskrete und geduldige Anwesenheit in freundschaftlicher Nähe, im Teilhaben und Teilnehmen an den Lebensverhältnissen, manchmal auch an den Arbeitsbedingungen, an der Welt der Arbeiter, an der Welt der Intellektuellen oder anderer Gesellschaftsbereiche, wenn sie von der Kirche abgeschnitten zu sein scheinen und das tägliche und glaubwürdige Gespräch mit einem Priester brauchen, der mit ihrer Suche nach einer gerechteren und brüderlicheren Welt solidarisch ist. In diesem Fall sind die Priester weniger in der Lage, direkt die gewöhnlichen Dienste ihrer Mitbrüder, die Pfarrer oder Anstaltsseelsorger sind, auszuüben. Soweit ihre Motivierung apostolisch ist, ihre geistliche Erneuerung regelmäßig erfolgt und ihr Wirken einem vom Bischof empfangenen Auftrag entspricht, sollen sie wissen, daß sie die Wertschätzung der Kirche haben! Wenn sie nur immer ein authentisches Zeugnis vom Evangelium zu geben vermögen und darin eine priesterliche Funktion, eine Vorbereitung auf eine umfassendere und vollkommenere Evangelisierung sehen! Möge ihnen die Zugehörigkeit zu ein und demselben Presbyterium, an engen und häufigen Kontakten zu ihm gestatten, in 763 REISEN ihnen die Verantwortlichkeit von Verwaltern der Geheimnisse Christi zu erhalten, und mögen sich alle Priester mit ihrem Dienstamt im Dienst der Evangelisierung solidarisch fühlen! Der Wandel, den das Evangelium in der Gesellschaft hervorrufen soll, ist im übrigen gewöhnlich das Werk der christlichen Laien in Verbindung mit den Priestern. Es ist und bleibt wahr, daß sämtliche pastoralen Bemühungen der Priester wie beim Pfarrer von Ars auf die exakte Verkündigung des Glaubens, auf die Vergebung, auf die Eucharistie hinauslaufen müssen. Trennt vor allem niemals - das sagte Paul VI. 1977 zu euren Bischöfen -Mission und Kontemplation, Mission und Kult, Mission und Kirche. So als gäbe es auf der einen Seite diejenigen, die eine missionarische Tätigkeit bei den Menschen am Rande der Kirche ausüben, und auf der anderen Seite jene, die durch Stärkung des christlichen Unterrichts auf die Sakramente und auf das Gebet vorbereiten. Die Mission ist das Werk der ganzen Kirche; sie empfängt ihren Elan aus dem Gebet und ihre Kraft aus der Heiligkeit. Die Mission darf sich nicht auf die Bedürfnisse eures Landes beschränken, so groß diese auch sein mögen. Sie ist offen für die anderen Kirchen, für die Universalkirche, die auch in Zukunft auf die Hilfe französischer Priester in den Fußspuren jener großartigen missionarischen Hochherzigkeit zählt, die seit eineinhalb Jahrhunderten lebendig ist. Die französischen Diözesen, die trotz ihrer heutigen Armut dieses Bemühen um Solidarität fortsetzen, finden für sich selbst wieder eine missionarische Dynamik. 15. Aber ich will meinen Appell nicht auf Frankreich beschränken. Priester und Bischöfe aus 60 Ländern der Welt sind hierhergekommen. Sie fühlen sich in Ars zu Hause, wo das Priestertum einen ganz besonderen Glanz gewonnen hat. Das Beispiel des hl. Jean-Marie Vianney verleiht weiterhin den Pfarrern der ganzen Welt und allen Priestern bei den verschiedensten apostolischen Aufgaben Elan. Von diesem erhabenen Ort aus, der im Gegensatz zur Bescheidenheit des ursprünglichen Dorfes steht, danke ich Jesus Christus für dieses unerhörte Geschenk des Priestertums des Pfarrers von Ars und aller Priester von gestern und heute. Sie dehnen das heilige Amt Jesu Christi auf die ganze Welt. aus in den christlichen Gemeinden und auf den Vorposten der Mission; sie wirken oft unter schwierigsten Bedingungen, im Verborgenen, ohne Dank, für das Heil der Seelen und die geistliche Erneuerung der Welt, die sie bisweilen ehrt, dann wieder ignoriert, ablehnt oder verfolgt. 764 REISEN Heute spreche ich ihnen zusammen mit allen Bischöfen der Welt, meinen Brüdern im Bischofsamt, deren unmittelbare Mitarbeiter die Priester sind, die Anerkennung aus, die sie verdienen, und bitte Gott, ihnen beizustehen und sie zu belohnen. Und ich lade das ganze christliche Volk ein, sich dem anzuschließen. Und mit meinem Dank verbinde ich einen dringenden Appell an alle Priester: Bleibt trotz aller eurer inneren und äußeren Schwierigkeiten, die der Herr des Erbarmens ja kennt, eurer erhabenen Berufung treu, bleibt den verschiedenen priesterlichen Verpflichtungen treu, die aus euch Männer machen, die ganz dem Dienst des Evangeliums zur Verfügung stehen. In den kritischen Zeiten denkt daran, daß jede Versuchung zur Aufgabe vor dem Herrn, der euch berufen hat, verhängnisvoll ist, wißt, daß ihr auf die Hilfe eurer Brüder im Priesteramt und eurer Bischöfe zählen könnt. Die einzige entscheidende Frage, die Jesus an jeden von uns, an jeden Priester richtet, ist die Frage, die er einst an Petrus gerichtet hat: Liebst du mich, liebst du mich wirklich? (vgl. Joh 21,15). Liebe Brüder, habt also keine Angst! Wenn der Herr uns auf sein Feld gerufen hat, dann ist er durch seinen Geist bei uns. Lassen wir uns als Kirche vom Heiligen Geist mitreißen! Jedem von euch, Seminaristen, Priestern, Diakonen, und allen, die ihr vertretet, erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen. Nun wollen wir uns im Engel des Herrn dem Gebet Mariens anschließen. Der Pfarrer von Ars hatte seine Pfarrei Maria geweiht, die ohne Sünde empfangen worden ist. Sie möge uns helfen, auf bestmögliche Weise an der Sendung ihres Sohnes, des Erlösers, mitzuwirken! Angelus Domini... In einer ungebrochenen geistigen Tradition Ansprache an Ordensleute in der Basilika „Maria Heimsuchung“ in Annecy am 7. Oktober Umgeben von euren Söhnen und Töchtern ist hier der Bischof von Rom, der kommt, um an euren Gräbern zu danken für den Weg der Heiligkeit, den ihr erschlossen habt, für eure vorbehaltlose Hingabe an die Person Jesu, der „gütig und von Herzen demütig ist“ {Mt 11,29). Der Psalmist sagte: 765 REISEN „Doch die Huld des Herrn währt immer und ewig für alle, die ihn fürchten und ehren; sein Heil erfahren noch Kinder und Enkel; alle, die seinen Bund bewahren, an seine Gebote denken und danach handeln“ (Ps 103, 17 f.). Durch euer ganzes Leben, durch eure enge Verbindung zu Gott im Gebet, durch euren Gründermut, eure Nächstenliebe, seid ihr unvergleichliche Zeugen „der Liebe, die so stark ist wie der Tod“ gewesen, die von allem befreit und Christus nachfolgen läßt; der Liebe, „die so wunderbar wie die Auferstehung ist“, die die Gabe des Erlösers an die Menschheit ist, die sie verwandelt (vgl. Ct 8,6 Tratte de l’Amour de Dieu, IX, XVI). 2. Liebe Brüder und Schwestern, ich bin glücklich, in eurer Begleitung zu dieser segensreichen Station meiner Pilgerreise zu kommen. Denn ihr zeigt die Vitalität einer geistigen Tradition, deren Licht unaufhörlich leuchtet. Die beiden Heiligen, die wir an diesem Ort verehren, haben eine reiche Quelle zum Sprudeln gebracht. Seid heute in ihrer Nachfolge Apostel und Zeugen in dieser Welt, die dürstet. Sie hat Durst nach uneigennütziger Liebe, selbstlos geschenkt von Männern und Frauen, die lebendige Zeichen dieser Liebe sind in der schlichten Hingabe ihrer selbst. Sie dürstet nach dem Glauben in der Wahrheit, die jene bezeugen, die ganz den Weg Jesu Christi eingeschlagen haben, der die Wahrheit und das Leben ist. 3. In diesem ersten Kloster des Ordens von der Heimsuchung möchte ich besonders die Gemeinschaft begrüßen, die mit soviel Sorgfalt die Lehren ihrer Gründer bewahrt hat und die heute diese „einfache Hingabe an Gott“ lebt, die ihre Gnade und der tiefe Grund ihres Einflusses ist. Mit euch grüße ich die kontemplativen Orden von Savoyen, die weitere Traditionen am Leben erhalten, die zum größten Teil Franz von Sales schon gekannt und geliebt hatte. Ich möchte auch noch einmal sagen, wie sehr die ganze Kirche auf euer Festhalten am Lobpreis Gottes und auf die Hingabe eurer selbst baut, auf eure ständige Fürbitte. Eure sorgende Kraft, der Frieden und die Freude, die in euren Häusern sind, sind wesentliche Zeichen für diejenigen, die Gott suchen auf den Tausenden von Straßen der Welt. 4. Es ist erfreulich, daß hier die Vertreter und Verantwortlichen der großen Familie der Salesianer anwesend sind. Eure Institutionen sind in ihrer Vielfältigkeit vorgestellt worden: an jede richte ich meine herzlichsten Wünsche. Und ich danke für das beachtenswerte, über alle Welt hin 766 REISEN sich ausbreitende Wachstum dieses großen Baumes, der so viele Blüten der Heiligkeit, so viele Früchte von Werken des Evangeliums hervorgebracht hat. Nachdem sie in dieser Region oder in den verschiedenen Städten Frankreichs, Belgiens, Italiens (mit Don Bosco) gegründet wurden, tragen eure Institutionen und Gemeinschaften den gemeinsamen Geist, den sie durch Franz von Sales haben, in alle Kontinente. Ihr seid Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen, geweihte Laien, Mitarbeiter und sehr viele, die sich euch angeschlossen haben. Mit der Verschiedenartigkeit eurer Charismen seid ihr ausgesandt, alle Aufgaben zu erfüllen, in denen sich die Mission der Kirche realisiert. Ihr geht in die Ferne, dorthin, wo sich die Evangelisierung noch im Anfangsstadium befindet, oder ihr arbeitet in den alten christlichen Ländern, die neu evangelisiert werden müssen. Ihr arbeitet mit jungen Menschen, Armen, Kranken; ihr arbeitet mit Pastoralinstituten zusammen; und ihr tragt auch euer Zeugnis in Bereiche, in denen die christliche Botschaft ignoriert wird. Geht überall mit Zuversicht hin, stark in der zuvorkommenden und verständnisvollen Liebe, die euch der gemeinsame Vater eingibt. Allen nahe, bemüht euch vor allem, die Rufe jener zu hören, die arm oder irregeführt sind, jener, denen Hoffnung unmöglich und der Friede unerreichbar scheint. Schenkt die brüderliche Unterstützung, die hilft, im Leben weiterzugehen. Sprecht das Wort, das erleuchtet, denn es kommt von Gott mit der Kraft des Geistes Jesu. Verliert nicht den Mut angesichts der Schwierigkeiten. Tragt demütig euren Teil an der Bürde der Kirche. Schenkt neue Arbeiter für den Acker des Evangeliums. Haltet euch in der Nachfolge eurer geistlichen Lehrer unaufhörlich an „das Gebet, das das Wissen ins göttliche Licht stellt und den Willen der Wärme der göttlichen Liebe aussetzt“ (Introduction ä la vie devote, II, 1). 5. Laßt uns die Anliegen aller eurer Gemeinschaften der Fürbitte des hl. Franz von Sales, der hl. Johanna von Chautal und jenen Heiligen anvertrauen, die euch den Weg erschlossen haben. Folgt den Worten eures Gründers: „Preisen wir den Herrn von ganzem Herzen und bitten wir ihn, unser Führer zu sein, unser Boot, unser Hafen.“ (Brief CCLXXIII an Johanna von Chantal). Laßt uns in Freude und Hoffnung das Gebet der Jungfrau Maria am Tage der Heimsuchung singen! Möge Gott euch reichlich seine Gaben und seinen Segen spenden! 767 REISEN Das Zeugnis der beiden Heiligen ist „Beispiel und Stütze in unserer Zeit“ Predigt beim Gottesdienst zu Ehren des hl. Franz von Sales und der hl. Johanna von Chantal in Annecy am 7. Oktober 1. „Sei gegrüßt, du Gnadenvolle, der Herr ist mit dir“ (Lk 1,28). Das heutige Evangelium erinnert uns an diese vertrauten Worte. Wir kennen den Gruß des Engels auswendig und wiederholen ihn täglich in unserem Gebet. Heute erinnert uns die Kirche an diese Worte und an alle Ereignisse, die das Evangelium des hl. Lukas berichtet, denn der 7. Oktober ist U. Lb. Frau vom Rosenkranz geweiht. Ich bin glücklich, dieses Fest mit euch in Savoyen feiern zu dürfen, in diesem Land, das durch so viele Männer und Frauen, die die Heilsbotschaft aufgegriffen haben, gekennzeichnet ist. Von Generation zu Generation haben sie durch die Hingabe ihrer selbst geantwortet, um so die Kirche Christi aufzubauen. Nach den Märtyrern des 3. Jahrhunderts haben zahlreiche weitere Heilige eure Geschichte ausgezeichnet im Dienst für die Stadt, im monastischen Leben, in der Seelsorge und in den weit entfernten Missionen. Bevor ich auf die Botschaft der beiden großen Gestalten eingehe, die Annecy verehrt, möchte ich nur den hl. Petrus von Tarentaise nennen sowie den ehrwürdigen Petrus Faber, gebürtig aus Villaret, den ersten Gefährten des hl. Ignatius. Heute müssen auch wir uns bewußt werden, daß der Christ der Mensch der Verkündigung ist. Wir wiederholen nicht nur im vertrauten Gebet die Worte des Engels an Maria - nicht nur der „Engel des Herrn“ erinnert uns dreimal täglich an das Ereignis von Nazaret -, die Verkündigung kennzeichnet vielmehr den Christen in der Tiefe. Maria von Nazaret hat als Erste von Gott eine Heilsbotschaft empfangen; als Erste hat sie auch darauf im Glauben geantwortet. So wie sie ist also jeder Christ ein Mensch dieser Heilsbotschaft und zugleich ein Mensch dieses Glaubens. <87> <87> Das Ereignis von Nazaret eröffnet den neuen Weg, den Gott die gesamte Menschheit führen will. Die Verkündigung bedeutet gewissermaßen die Synthese aller Geheimnisse, die Gott in der Fülle der Zeiten gewollt hat, nachdem er nach dem ewigen Plan seiner Liebe in die Geschichte des Menschen eintritt. 768 REISEN Die Jungfrau von Nazaret aber steht an der Schwelle der neuen Zeit, der endgültigen Zeit und gewissermaßen der letzten Zeit. In ihr und durch sie will der Gott des Bundes noch weiter gehen auf jenem Weg, den bisher „Bund“, „Glaube“ und „Religion“ bedeuteten. Diese Perspektive kann uns mit Freude, aber auch mit Furcht erfüllen. Daher lauten die ersten Worte bei der Verkündigung: „Fürchte dich nicht, Maria.“ Die Worte, die folgen, kennen wir auswendig. Die Jungfrau Maria soll Mutter des Sohnes werden, dem sie den Namen Jesus geben soll. Er wird Sohn des Allerhöchsten, Sohn Gottes sein. In ihm erfüllen sich alle messianischen Verheißungen des Alten Bundes im Gefolge des Erbes des Patriarchen Jakob und des Königs David. In diesem Sohn soll sich das Reich Gottes selber verwirklichen, jenes Reich, dessen „kein Ende sein“ wird. 3. Am heutigen Fest U. Lb. Frau vom Rosenkranz müssen wir uns auf neue Weise bewußt werden, daß jeder Mensch ein Mensch der Verkündigung ist. Das bezeugen uns außerordentlich beredt die beiden Gestalten, die wir auf dem Pilgerweg des Papstes hier in Annecy in Erinnerung rufen wollen: der hl. Franz von Sales und die hl. Johanna von Chantal. In ihr Heiligtum zu Annecy kommt heute der Bischof von Rom, um mit euch, liebe Brüder und Schwestern, erneut die Botschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu vernehmen, die sich aus ihrem Leben und ihrer Sendung in der Kirche erhebt, eine Botschaft, die für uns ihre ganze Kraft bewahrt. 4. Als Lehrer der Liebe hat der hl. Franz von Sales unablässig die lebendige Quelle des Bundes Gottes mit den Menschen hervorgehoben: Gott liebt uns, er begleitet uns auf jedem Abschnitt unseres Lebens, und zwar mit einer ebenso geduldigen wie treuen Liebe. Gott legt in uns sein Verlangen nach dem Guten nieder, einen Zug hin zu allem, was schön und wahr ist. In seiner Vorsehung schenkt uns Gott das Leben, damit wir sein Bild und Gleichnis seien. Und Gott lädt uns ein, ständig Anteil zu haben an dem, was die Größe seines eigenen Lebens ausmacht, die vollkommene Liebe. Er gibt uns die innere Freiheit und läßt uns die Gewißheit des Geliebtseins verkosten, so daß wir uns fest entschließen, auf diese Liebe zu antworten. Brüder und Schwestern, dieser große Bischof kannte auch die Schwachheit des Menschen, dem es schwerfällt, in beständigem Glauben auf die Botschaft der Bundesliebe zu antworten. Er wußte, daß wir die Kraft zur Liebe oft in uns selber suchen, und nicht in der hochherzigen Annahme 769 REISEN der Gnade Gottes. Daher hat Franz von Sales ohne Unterlaß seinen Brüdern die Geduld und Zärtlichkeit Gottes nahegebracht, der bereit ist, zu verzeihen und zu retten. Er hört nicht auf, die Frohbotschaft von der Verkündigung weiterzugeben: der Sohn des Allerhöchsten möchte sich, geboren aus Maria, mit der Menschheit vereinigen. In einer verwirrten Welt öffnet die Gegenwart Jesu erneut die „Liebeswunde“, heilt die dafür bereiten Herzen und bietet ihnen einen Bund des Verzeihens und der Erneuerung an. In seiner unermeßlichen Heiligkeit zieht uns Jesus hin auf den Weg der Heiligkeit. Wie der weise Mann in der Bibel weiß Franz von Sales, daß man das Glück findet im Achten auf das Wort (vgl. Ps 16,2), und wenn wir auf den Herrn unser Vertrauen setzen, werden wir glücklich. Er selbst war derart mit der Heiligen Schrift vertraut, daß diese „nicht nur Regel, sondern Substanz seines Denkens geworden ist“ (Kardinal Pie). Er leitet seine Brüder an, das Leben Jesu zu betrachten, in der Nähe des Herrn zu verweilen, denn so lernen wir nach seinen Worten „mit seiner Gnade wie Er zu reden, zu handeln und zu wollen“ (Philothea II, 1). Er lädt uns ein, den heiligen Namen Jesus gut auszusprechen, so daß unser ganzer Nachdruck darin liegt: „Wir sollten es allein aus Gottesliebe tun, denn diese prägt ohne zu zögern Jesus unserem Leben ein, indem sie ihn unserem Herzen einprägt“ {Brief 428). 5. Wenn Franz von Sales ohne Unterlaß auf die Gottesliebe zurückkommt, die wir in Christus leben können, greift er die große Tradition auf mit den Worten des hl. Augustinus: „Unser Leben ist lieben — vita nostra dilectio esf' {Enarr. in Ps. 54, n. 7). Er selbst schreibt: „In der Kirche ist alles für die Liebe, in der Liebe, um der Liebe willen und aus Liebe da“ ( Werke IV, 4). Als großer Diener der Kirche hat er immer in diesem Geist gehandelt. Als Priester und dann als Bischof dieser Diözese lebte er in einer Zeit, wo es neuen Schwung brauchte. So trug er kräftig dazu bei, die Reformen des Konzils von Trient, das kurz vor seiner Geburt zu Ende gegangen war, durchzuführen. In diesem Punkt können wir von seinem Beispiel 20 Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil lernen, obwohl die Verhältnisse sehr verschieden liegen: Reformen greifen nur dann ein, wenn sie von einer tiefen geistlichen Erneuerung begleitet sind. Franz von Sales liebte das Volk, dessen Hirte er war. Um es auf den Weg des Evangeliums zu führen, setzte er sich ganz ein, so daß er in jedem Augenblick voll davon erfüllt war, in seinem Leben und zumal bei seinen Besuchen in den Pfarreien. Die Priester fanden bei ihm brüderliche 770 REISEN Aufnahme, und er behielt sie bei sich in apostolischer Hochherzigkeit, die er bis an die Grenzen seiner Kräfte übte. Er pflegte die heilige Messe mit seinem Volk zu feiern und häufig das Wort Gottes in der Predigt zu verkünden. Gern gab er den Kindern Katechese und zeigte geduldige Liebe, wenn er jene führte, die von ihm Rat erbaten, aber auch, um den Armen zu helfen, und er lebte selbst in Armut. Wir haben aus dem Buch der Sprichwörter einen Vers gehört, den er in die Praxis umgesetzt hat: „Besser bescheiden sein mit Demütigen, als Beute teilen mit Stolzen“ (16,19). Er machte sich verfügbar, wenn jemand bei ihm beichten wollte, denn er schätzte die Wohltaten des Sakraments der Barmherzigkeit hoch ein. So sagt der Psalm: „Nahe ist der Herr den zerbrochenen Herzen, er hilft denen auf, die zerknirscht sind“ (Ps 34,19). In seinem pastoralen Wirken besaß Franz von Sales einen ausgeprägten Sinn für die Sendung, die jedem Bischof obliegt. Er wußte, daß in dieser Sendung dem Dienst der Einheit Priorität zukommt. Als es unter den Christen seiner Region zu einer schweren Spaltung kam, hatte er dies in die Praxis umzusetzen. Im damals herrschenden Klima setzte er seinen ganzen Glauben, seine ganze Liebe und seine ganze Hochherzigkeit ein. Möge der Herr auch heute unseren Dialog mit den noch getrennten Brüdern in diesem Sinne anregen. Möge er in uns einen gemeinsamen Willen zur Versöhnung in Wahrheit und Liebe erwecken, damit wir bald die so sehr herbeigewünschte Einheit wiederfinden. 6. In Franz von Sales bewundern wir den Mann der Kirche, erfüllt von göttlicher Liebe. Man kann sagen, daß er wirklich ein Weiser war, der das verwirklicht hat, was die Sprichwörter formulieren: „Wer ein weises Herz hat, den nennt man verständig, gefällige Rede fördert die Belehrung. Wer Verstand besitzt, dem ist er ein Lebensquell . . .“ (16,21 f.). Ja, dieser Mystiker schöpfte täglich aus dem vertrauten Umgang mit dem Herrn eine erstaunliche Fähigkeit, seine Brüder zu einem vollkommenen Leben hinzuführen, wobei er die verschiedensten Menschen zu verstehen vermochte. Sein Einfluß gründet sich weithin darauf, daß sich jeder in seiner besonderen Lage verstanden sah. Er trug die volle Forderung des Evangeliums vor und zeigte den Zugang dazu Männern und Frauen, Laien und Ordensleuten, Jungen und Alten, Verheirateten und Unverheirateten, Reichen und Armen, Gebildeten und Ungebildeten, Hochstehenden und einfachen Menschen, Soldaten und Geschäftsleuten auf. Allen legte er die tiefreichende Harmonie der inneren Freiheit mit dem Willen Gottes dar. An jeden richtete er den Aufruf zur Heiligkeit gemäß den eigenen Verhältnissen und Möglichkeiten. Dieser Weise, der sich als „Mensch und 771 REISEN nichts sonst“ bezeichnete {Brief 418), stand seinen Brüdern derart nahe, daß er allen die Weisheit Gottes mitzuteilen vermochte. Mit großer Unterscheidungskraft bei persönlichen Begegnungen begabt, befaßte sich Franz von Sales auch mit den Angelegenheiten und Auseinandersetzungen seiner Zeit, aber derart gemäßigt, daß er Vertrauen weckte. Er hat sich den Titel „Versöhner“ verdient. Da er in die theologischen Auseinandersetzungen oder Konflikte der Öffentlichkeit verwickelt wurde, ging er vom Anruf des Psalm aus: „Suche den Frieden und jage ihm nach“ (34,15), oder, dem Sprichwort: „Besser . . . wer sich selbst beherrscht, als wer Städte erobert“ (16,32). Unter den Heiligen, die die Botschaft des Evangeliums ihren Zeitgenossen auf vielfache Weise vermittelten, gehört Franz von Sales zu denen, die eine wunderbar angepaßte Sprache zu finden wußten. Heute würden wir sagen, er war ein Mann der Kommunikation. In seinen Briefen und Büchern weckt er die Aufmerksamkeit durch einen Stil, aus dem seine geistliche Erfahrung ebenso wie seine tiefe Menschenkenntnis hervorleuchtet. Er ist Patron der Journalisten, derer also, die das Schreiben als Aufgabe haben. Möge er ihre Arbeit anregen, daß sie von einer klaren Kenntnis jener ausgehen, an die sie sich wenden, und brüderliche Achtung haben vor denen, mit denen sie die Wahrheit austauschen. 7. Eure Stadt ehrt gemeinsam mit ihrem großen Bischof auch die hl. Johanna von Chantal, die die ihm am nächsten Stehende bleibt. Sie nannte Franz von Sales ihren „lieben Vater“, denn er war innerhalb einer wunderbaren Freundschaft der ehrfürchtige Deuter und ausgesprochene Führer ihres Gewissens. Wir denken gerne an sie, denn ihr Lebensweg war außergewöhnlich reich. Johanna von Chantal beschritt in ihrem Leben die einfachen Wege des Glaubens, die Abschnitte des Lebens einer Frau, die menschliche und geistliche Weisheit ausstrahlt. Als Mädchen, Gattin, Mutter und Witwe hat sie innerhalb weniger Jahre Freuden und Prüfungen kennengelernt und reifte durch die Hingabe ihrer selbst. In der Freude eines Ehepaares, das sich liebt, und in denen der Mutterschaft hat sie ihren Glauben entfaltet und die Liebe geübt, indem sie sich der Kranken annahm und den Armen ehrfürchtig half. Durch den Tod ihres Gatten tief getroffen, blieb sie auf vielfache Weise vom Leid gezeichnet. Sie erlebte, wie schwierig das Verzeihen ist, und sie machte sich viele Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder. Noch weitere Leiden haben ihr schmerzlich zugesetzt. Dazu darf man nicht vergessen, daß Johanna von Chantal in allen Abschnitten ihres Lebens sich schwankend im Glauben erlebte. Zweifel und Dunkelheit überfielen sie bei der Wahl 772 REISEN ihres Weges, und sie litt schwer darunter. Zur Heiligkeit aber gehören solche Kämpfe. Im Verlauf dieses Weges konnte sie, die gern die Psalmen sang, folgende Worte betrachten: „Ich suche den Herrn, und er hat mich erhört, er hat mich all meinen Ängsten entrissen . . . Kostet und seht, wie gütig der Herr ist; wohl dem, der zu ihm sich flüchtet!“ (Ps 34,5.9). Ja, sie bekräftigte ihre Entschlossenheit, sich gänzlich dem Herrn zu weihen „in einem ganz einfachen Vertrauen“. Sie ging ihren Weg weiter, und ihre Sicherheit war die reine Liebe zu Gott. Von allen Schrecken ist sie befreit, denn sie hat in Gott ihren Frieden gefunden. 8. Im Verlauf ihres erst glücklichen und dann vom Schmerz gezeichneten Lebens empfängt sie die Heilsbotschaft und wird eine echte Dienerin des Bundes. Und dann nimmt Johanna den Weg in diese Gebirge im Geist der Jungfrau der Verkündigung, die sich zu Elisabeth begibt: sie ist ganz dem Wort des Heiles untertan und betet das menschgewordene Wort an, dankt für die Wundertaten, die Gott getan hat und macht sich bereit, die demütige Liebe des Alltags zu üben. Sie wird so bereit, mit Franz von Sales den Orden von der Heimsuchung zu gründen. Wir danken heute für das sich ergänzende Werk dieser beiden Heiligen, für die wunderbare Heimstatt der Kontemplation, die der Orden von der Heimsuchung geworden ist, da er das Muster ihrer reichen geistlichen Freundschaft in sich aufnahm. Als gemeinsame Mutter entfaltete Johanna von Chantal den Orden von der Heimsuchung ebenso milde wie sicher. Sie verwurzelte seine Einheit in der gegenseitigen Liebe, in der Demut und Einfachheit, endlich in der Armut. Da sie „alles Gott anvertraut“ hatte, um sich „mit unserem gekreuzigten Herrn zu bekleiden“ (Brief 1205 des hl. Franz von Sales), wird sie zu einer unvergleichlichen Lehrerin des Gebetes, die ihre Schwestern und viele andere zu einer Kenntnis hinzuführen wußte, die sie selber gewonnen hatte, „eine große innere Freiheit . . . eine Art von ganz herzlichem und intimem Gebet“ (Memoi-res de la Mere de Chaugy). „Ich will den Herrn allezeit preisen, immer sei sein Lob in meinem Mund“ (Ps 34,2). 9. Liebe Brüder und Schwestern, es ist gut für uns, wenn wir unseren Blick auf diese großen Zeugen der Verkündigung richten, die eure Geschichte so nachhaltig geprägt haben. Ich danke euch, daß ihr mir die Gelegenheit zu dieser Pilgerfahrt geboten habt, die ich schon lange 773 REISEN unternehmen wollte auf die drängende Einladung von Msgr. Jean Sauvage und dann seines Nachfolgers, Msgr. Hubert Barbier. Ich grüße sie herzlich an dieser Stelle, dazu den Erzbischof von Chambery, Msgr. Claude Feidt, sowie die anderen Bischöfe an seiner Seite, ferner den verehrten Kardinal Leon-Etienne Duval, Erzbischof von Algier, der bei dieser Gelegenheit in das Land seiner Geburt zurückgekehrt ist. Ich danke ferner den zivilen Autoritäten, die in hohem Maße mein Kommen erleichtert haben. Ich grüße endlich euch alle, Priester, Ordensleute und Laien dieser Region, euch, die ebenso aktiven wie gastfreundlichen Einwohner von Savoyen: ich schätze euere Treue zur hl. Johanna von Chantal und zum hl. Franz von Sales, der gesagt hat: „Ich bin rundum ein Savoyer, von Geburt und von meiner Aufgabe her“ {Brief 1187). Mein Wunsch aber für die Kirche von Annecy und Savoyen ist, daß das lebendige Zeugnis der beiden großen Heiligen euch Beispiel und Stütze sei in unserer Zeit, da die Christen sich einer neuen Situation gegenübersehen und viele Schwierigkeiten zu bestehen haben. Mögen die Hirten, die Ordensleute und Laien, deren Berufung als Christen der hl. Franz von Sales so deutlich betont hat, gleichsam als Vorläufer des II. Vatikanischen Konzils, ja, mögen alle vertrauensvoll Zusammenarbeiten, um dem kirchlichen Leben neuen Schwung und neue Dynamik zu geben! In den Dienstämtern, im sakramentalen und liturgischen Leben, bei allen Initiativen, die der Evangelisierung dienen, mögen alle sich anregen lassen vom seelsorglichen Eifer des hl. Franz und vom mitreißenden Schwung der „gemeinsamen Mutter“ des Ordens von der Heimsuchung! Mögen diese ausgezeichneten Zeugen euch helfen, zu den unerschöpflichen Quellen der göttlichen Liebe Zuflucht zu nehmen und davon euer ganzes Tun prägen zu lassen! Möge die salesianische Weisheit, bei der sich geistliche Qualität und Heiligkeit mit freundschaftlich geprägter menschlicher Weisheit verbinden, euch helfen, in Wahrheit die Fragen unserer Zeit zu erhellen, die Berufung eines jeden dort zu achten, wo Gott sie geschenkt hat, endlich den Ruf vernehmen zu lassen, durch Gnade in den Bund mit der ewigen Weisheit einzutreten. 10. Am Fest U. Lb. Frau vom Rosenkranz vertraue ich alle diese Wünsche jener Frau an, die der hl. Franz von Sales „die süße Mutter der Herzen, die Mutter der heiligen Liebe“ genannt hat {Brief 936). Durch das Rosenkranzgebet versuchen wir unseren Blick im Glauben auf alle Geheimnisse auszudehnen, die die Verkündigung wie eine Quelle enthält: die freudenreichen Geheimnisse der Menschwerdung, die 774 REISEN schmerzhaften Geheimnisse des Opfers am Kreuz und die glorreichen Geheimnisse der Auferstehung. Auf diese Weise wollen wir alle schlicht und demütig dem Beispiel der Magd des Herrn nachfolgen. Dabei betrachten wir auf dem Grund unseres Herzens das ganze göttliche Geheimnis unserer Berufung in Christus. Mit Maria wollen wir alle und jeder einzelne von uns „Mensch der Verkündigung“ werden. Der hl. Irenäus - „theologisches und pastorales Genie“ Ansprache in der Universität von Lyon am 7. Oktober Herr Kardinal Großkanzler, Herr Rektor, meine Damen und Herren, liebe Freunde! 1. Ich danke euch für diese Willkommensworte, die mir schon einen Überblick darüber geben, welche Stelle diese katholische Universität in Lyon und in der gesamten Region einnimmt, und auch über die Arbeit, der sie in so vielen Gebieten des Denkens, der Wissenschaften und der Technik nachgeht. Diese neue Aula zeigt, daß die Baustelle noch offen ist. Ich bin immer glücklich, mich für einige Augenblicke im Universitätsmilieu aufzuhalten, das mir in meinem Leben wiederholt vertraut gewesen ist. Ich begrüße die gesamte Professorenschaft der Fakultäten und der an die Universitäten angeschlossenen Schulen, die Mitglieder des Personals sowie die Abordnung der Studenten. Ich vergesse auch die Rektoren nicht, die die anderen katholischen französischen Universitäten oder Fakultäten vertreten. Eure Landsleute verfügen damit über bemerkenswerte Möglichkeiten, um in einer von christlichen Werten inspirierten Kultur fortzuschreiten. Dies ist ein Erbe, das durch Anpassung an die neuen Bedürfnisse mit Standhaftigkeit unterhalten werden muß. <88> <88> Ich könnte diese Stadt nicht verlassen, ohne die große Gestalt des hl. Irenäus, Bischofs und Theologen, dem der Glaube der gesamten Kirche so viel verdankt, besonders zu würdigen. Ich habe gedacht, daß dieser hehre 775 REISEN Ort christlicher Kultur der geeignetste sei, denn dieser Kirchenvater -man kann sagen - dieses theologische und pastorale Genie - kann nicht nur die Arbeit der hier anwesenden Theologen, sondern auch das Zeugnis aller Lehrer, Forscher und Erzieher inspirieren, die ihren Dienst an der Kirche mit den Überzeugungen eines aus den Quellen geschöpften und durch reifes Nachdenken gefestigten Glaubens erfüllen wollen, in Einklang mit den modernen Anforderungen des Denkens. Man spricht gern von der Aktualität der Kirchenväter: Der Ausdruck trifft vor allem auf Irenäus von Lyon zu. Seine große Stimme ist in unserem Jahrhundert auf neue Weise zu Gehör gebracht worden. Das Interesse, das er hervorruft, steht im Zentrum der zeitgenössischen patri-stischen Erneuerung, an der die Stadt Lyon im besonderen mit dem Institut des Sources Chretiennes vollen Anteil genommen hat. Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich des öfteren, insbesondere was die Lehre von der Weitergabe der göttlichen Offenbarung betrifft, auf seine Autorität berufen (DF II. Kap.). In seinem Werk ist es die Jugend eines stets lebendigen Glaubens, die sich in sprühenden Formulierungen äußert und uns zugleich zu Bewunderung und Zustimmung bewegt. Darum kann der Theologe von heute aus seinem beispielhaften Bemühen eine Inspiration für die Aufgaben unserer Zeit schöpfen. Denn Irenäus hat die Treue zur Tradition mit einem schöpferischen Erfindungsreichtum zu verbinden gewußt; er war zugleich Theologe Gottes und des Menschen, eines Gottes, der seinen Ruhm im lebendigen Menschen sieht, eines Menschen, dessen Leben in der Schau Gottes besteht (vgl. Adversus haereses, IV, 20, 7). <89> <89> Das gesamte Werk des Irenäus stützt sich auf die „Ordnung der Überlieferung der Apostel“, die in den von den Bischöfen geleiteten Kirchen weitergegeben wird. Im Herzen dieser Tradition steht das Bekenntnis des dreifältigen und christologischen Glaubens. Fest verankert in der apostolischen Tradition, deren Lehre er als einer der ersten entfaltet hat, liest und interpretiert der Bischof von Lyon nach dem Vorbild der alten Presbyter die Schriften, mit denen die Apostel das Evangelium weitergegeben haben. Irenäus ist selbst Zeuge der johannei-schen Tradition, die er in Kleinasien kennengelernt hat, sowie der paulini-schen Tradition, die die abendländischen Kirchen in höherem Maße prägt. Er stellt seine Feder und sein Wort in den Dienst der Predigt und des Glaubens der Kirche, „die, obwohl sie über die ganze Welt zerstreut ist, sie mit Sorgfalt bewahrt, als wohnte sie in einem einzigen Haus, in gleicher Weise an sie glaubt, als habe sie nur eine Seele und dasselbe Herz, und sie 776 REISEN einstimmig verkündet, lehrt und weitergibt, als besitze sie nur einen einzigen Mund. Denn wenn auch die Sprachen auf der Welt verschieden sind, so ist doch die Kraft der Überlieferung ein und dieselbe“ (A.H., I, 10,2) für die Kirchen Germaniens wie für die der Iberer oder Kelten, deren Bischof er selbst ist, oder auch für die des Orients und Ägyptens. Es ist in diesen Kirchen, die durch das öffentliche Zeichen der Sukzession der Bischöfe kenntlich sind und die in Einklang stehen mit der „sehr großen, sehr alten und allbekannten, von den beiden überaus glorreichen Aposteln Petrus und Paulus in Rom gegründeten und errichteten Kirche“, „aufgrund der Autorität ihres Ursprungs“ (A.H., III, 3,2), daß man die Wahrheit des Evangeliums finden kann. „Denn wo die Kirche ist, da ist auch Gottes Geist, und wo Gottes Geist ist, dort ist die Kirche und jegliche Gnade; der Geist ist Wahrheit“ (A.H., III, 24, 1). Diese Auffassung von der Einheit des Glaubens und der Kirchen hindert Irenäus im übrigen nicht daran, einen Unterschied zwischen dem zu machen, was einheitlich sein muß, gebunden an die Identität des apostolischen Glaubens, und dem, was in den Bereich einer rechtmäßigen Verschiedenheit aufgrund von Gebräuchen, Kulturen und Empfindungsweisen gehört. Im Geiste des Friedens und der Versöhnung unterstreicht derjenige, der „tat, was der Name, den er trug, bedeutete“, daß von einem Ort zum andern „die Verschiedenheit im Fasten die Übereinstimmung im Glauben empfiehlt“ {Eusebius von Cäsarea, H.E., V, 24, 18 u. 13). Er half den Päpsten Eleutherius und Viktor, die Einheit der Kirche zu bewahren, ungeachtet der divergierenden Praktiken eines gemäßigten Montanismus und der unterschiedlichen Daten des Osterfestes im Morgen- und im Abendland. Er bleibt auch heute ein Wegweiser für die Überwindung der zweitrangigen Fragen im Blick auf die volle Gemeinschaft der Kirchen. 4. Aber der Akt der Weitergabe kann sich niemals auf eine Wiederholung beschränken. Obwohl Mann der Tradition, ist Irenäus auch Mensch seiner Zeit: seine Theologie sollte schöpferisch sein. Denn er weiß, daß „der Glaube, den wir von der Kirche erhalten haben. . . ständig durch Gottes Geist wie eine in einem schönen Gefäß aufbewahrte Kostbarkeit jünger wird und das Gefäß selbst, in dem sie sich befindet, jünger werden läßt“ (A.H., III, 24, 1). Nun bedroht aber die Gnosis, eine der ersten radikalen Bestreitungen des Christentums, die christlichen Gemeinschaften. Der Bischof von Lyon stellt sich ihr also entgegen. Aufgrund seiner pastoralen Verantwortung wird er notwendigerweise Polemiker, indem er aufdeckt und widerlegt, aber vor allem legt er als Theologe den positiven Charakter der wahren Lehre dar. In erstaunlich moderner Haltung nimmt 777 REISEN er wahr, daß man auf diese religiöse Ideologie nicht antworten kann, ohne sie gut zu kennen. Deshalb informiert er sich und legt er dar, bevor er widerlegt. Wer die Gnostiker „bekehren will“ - so schreibt er - „muß ihre Lehrsysteme genau kennen. Denn es ist dem nicht möglich, Kranke zu heilen, der die Krankheit der Leidenden nicht kennt. . . Dieses Lehrsystem haben wir dir. . . mit aller Sorgfalt mitgeteilt“ (A.H., IV, Vorwort 2). Anschließend wird Irenäus aus den Quellen der Vernunft und ausgehend von der Grundlage der Schrift antworten. All sein theologisches Bemühen wird so von der Dringlichkeit bestimmt, dem größten Problem seiner Zeit die Stirn zu bieten. Er macht die Rede des Glaubens im Hinblick auf die neuen Erfordernisse der Kultur relevant. Diese Vorgehensweise des Irenäus, die zugleich treu und erfinderisch ist, zeichnet eine theologische Bewegung, die durch ihr schönes Gleichgewicht für den Theologen von heute beispielhaft ist. Dieser kann nur auf fruchtbare Weise arbeiten, wenn er von einem tiefen, fordernden und feinfühligen Sinn für die lebendige Tradition des Glaubens erfüllt ist. Aber er kann auch die Welt, in der wir leben, nicht vergessen, ihre rechtmäßigen Forderungen, die Denkströmungen, die sie bewegen, oft als Träger anzuerkennende Wahrheiten, aber auch die intellektuellen Versuchungen oder die schwindelerregenden Verirrungen, die sie bewohnen, die Hindernisse oder Vorbedingungen, die gewisse Ideologien dem Glaubensakt entgegenstellen. Deshalb muß der Theologe die Anstrengung unternehmen und sie lange durchhalten, die Autoren zu lesen, die Vordenker unserer Zeit sind, sie zu studieren und unter Umständen in Dialog mit ihnen zu treten, kurzum „tief in ihre Lehre einzudringen“, wie Irenäus sagt, es getan zu haben (vgl. A.H., Vorwort 2). Mit allen Anpassungen, die sich ihm auf erlegen, muß er der verschiedenen Aspekte der „Modernität“ in ihrem Nachsinnen über den Glauben Rechnung tragen. Desgleichen müssen der Exeget und der Theologe, wenn auch die exegetischen Methoden des Irenäus nicht mehr genau die unsrigen sein können, sich der artikulierten Beziehung bedienen, die vom Alten zum Neuen Testament geht, einer Beziehung, auf der der christliche Glaube entscheidend mitberuht. Es ist übrigens bemerkenswert, daß man sich gegenwärtig bemüht, sich dieses Themas neu bewußt zu werden. Heute wie gestern muß die Exegese zur Theologie führen, und die Theologie muß ausgehend von einer immer wieder aufgenommenen und aktualisierten Lektüre der in der Kirche gelesenen Schrift betrieben werden. 5. Die Gnosis, die Irenäus zu bekämpfen hatte, erscheint uns heute als eine Reihe von sehr überholten Hirngespinsten. Sie war zweifellos die 778 REISEN Antwort auf einen tiefen Wunsch, den Sinn der verborgenen Dinge zu erkennen. Sie unterlag der Versuchung, durch sich selbst durch Vernunft und Einbildung dorthin zu gelangen und diese esoterische Kenntnis auf einen Kreis von Eingeweihten zu beschränken. Sie war von den dualistischen Auffassungen - Leib, Geist - gewisser Philosophien und vielleicht auch von einem Antijudaismus geprägt. Sie benutzte die Offenbarung, die sie auf sehr parteiische Weise auslegte, sowie die vertrauten Formulierungen des christlichen Credo, um eine dem Glauben entgegengesetzte Lehre zu rechtfertigen. Dies war ein „Para-Christentum“, dessen Gefahr Ire-näus sehr wohl sah. Wer würde zu behaupten wagen, daß die gnostische Versuchung unter anderen Formen kein Hindernis mehr für die Kirche ist? Der Versuch der Interpretation des Christentums durch Philosphen wie Hegel war sehr wohl eine Weise, den christlichen Glauben seiner Substanz zu entleeren, indem die Entäußerung des Gottessohnes als Identitätsverlust Gottes und Annullierung der Kluft zwischen Gott und seinem Geschöpf interpretiert wird. Auch heute gibt es bei gewissen Christen auf diffuse Weise die Versuchung, eine Bibellektüre zu unternehmen, die von dem Glauben fremder Voraussetzungen ausgeht, den Glauben in ein System zu zwingen, das außerhalb seiner erdacht wurde, wobei die vertrauten Formulierungen der Bibel oder der christlichen Lehre zur Stützung dieser heterogenen Gedankenströmungen beibehalten werden. Die Pflicht des Theologen ist es, diese Art von ruinösem Entsetzen zu vermeiden, und, wie Irenäus, über die Authentizität zu wachen. Irenäus erhob nicht wie die Gnosis den Anspruch, das Wie von Gottes Wirken zu erklären: wie der Vater den Sohn zeugt, wie er die Dinge aus nichts schafft, wie das Wort Mensch wird, ohne aufzuhören, Gott zu sein, wie das Unendliche sich dem endlichen Geschöpf, das wir sind, mitteilt und unsere Leiber in das ewige Leben des Heiligen Geistes einführt. Solche Fragen, wie sie der rationalistische Geist unserer Tage stellt, gehören zum unerforschlichen Geheimnis Gottes. Der menschliche Geist muß an der Schwelle zur Transzendenz haltmachen. Irenäus hingegen bemüht sich, auf das Warum der Schöpfung, der Sünde, der Menschwerdung, der Vergöttlichung und dem langsamen Dahinschreiten der Menschheit zu antworten. Er tut dies in einer neuen theologischen Rede, indem er aus dem schöpft, was im Keim und oft verstreut in der Schrift, im Alten und im Neuen Testament vorhanden war; er ist übrigens der erste Kirchenvater, der so ausführlich - weitaus mehr als der hl. Justinus - die Gesamtheit der Schriften des Neuen Testaments zitiert, deren Kanon 779 REISEN nunmehr festgelegt ist. Tief überzeugt von der Entsprechung der beiden Testamente und der Kontinuität des göttlichen Plans vom Bunde, versammelt er diese verstreuten Daten in einer neuen und festen Synthese, die darauf hinausläuft, die Freiheit Gottes, die Freiheit seiner übergroßen Liebe zu unterstreichen. Man kann in bezug auf ihn tatsächlich vom intellectus fidei sprechen, der vom Glauben ausgeht und zum Glauben hinführt, indem er die rechtmäßigen Fragestellungen der Zeitgenossen integriert und zugleich einen sehr sicheren Sinn für die homogene Tradition der Kirche besitzt. Er eröffnet so von der Reihe der von Gott verwirklichten „Pläne“ aus einen großartigen Blick auf die ganze Heilsgeschichte, die ihren einzigen Mittelpunkt in Christus hat, dem in den Schriften verborgenen Schatz, der nun am Kreuze enthüllt ist (vgl. A.H., IV, 26,1), „der alle Neuheit brachte, indem er sich selbst brachte“ (A.H., IV, 34,1). 6. Indem er diesen Glanz des Heils aufzeigt, ist Irenäus zugleich Theologe Gottes und des Menschen. „Ein Gott, ein Christus“, so lautet der Kehrreim seiner ganzen Darstellung. Der Gott des Irenäus ist der im Alten Testament geoffenbarte und im Neuen Testament als Vater unseres Herrn Jesus Christus kundgemachte einzige Gott. Es ist ein Gott, der den Menschen so sehr liebt, daß er ihn mit seinen beiden Händen, die sein Wort und sein Geist sind, formt, nicht, weil er den Menschen bräuchte, sondern „um jemanden zu haben, dem er seine Wohltaten erwiese“ (A.H., IV 14,1). Er ist derjenige, der sein Wort gesandt hat, das „das geworden ist, was wir sind, um uns zu dem zu machen, was er selbst ist“ {A.H., V, Vorwort). Denn das Wort hat den Menschen so geliebt, daß es zu ihm in die Gebrechlichkeit seines Fleisches herabgestiegen ist. Diese in den Augen der Gnostiker skandalöse Fleischwerdung ist im Mysterium des Glaubens aber zentral und wird von Irenäus in ihrem ganzen Realismus hervorgehoben. Denn wenn das Fleisch des Menschen nicht fähig gewesen wäre, das Heil aufzunehmen, so wäre das Wort Gottes niemals Fleisch geworden. Und wenn Christus sich nur zum Schein gezeigt hätte, „wenn er nicht das wurde, war wir waren, dann hatte es nicht viel Wert, daß er litt und duldete“ (A.H., III, 22,1). Die Christozentrik des Bischofs von Lyon drängt ihn dazu, eine Theologie der Zusammenfassung (recapi-tulatis) aller Dinge in Christus zu entwickeln. Die recapitulatis ist der Akt, durch den Christus eine konkrete Solidarität mit der Welt des Menschen eingeht, um sichtbar den Vorrang zu offenbaren, den er über alle Dinge hat, da das Wort „der ganzen Schöpfung (in Kreuzesform) eingeprägt ist“ (A.H., V, 18,3). Dies ist auch der Akt, durch den es in sich selbst die 780 REISEN gesamte Heilsgeschichte, Vergangenheit und Zukunft, versammelt und zusammenfaßt. Auf der einen Seite erneuert seine jungfräuliche Empfängnis die ursprüngliche Schöpfung des aus der neuen Erde gestalteten Menschen, und sein Gehorsam wiegt den Ungehorsam des ersten Adam auf (vgl. A.H., V, 19,1). Irenäus nimmt sogar die einzigartige Rolle Mariens in den Blick, welche dem Geheimnis Christi zugeordnet ist: verglichen mit der ungehorsamen Eva, deren Anwältin sie ist, ist Maria „durch Gehorsam für sich selbst und für das ganze Menschengeschlecht Ursache des Heiles geworden“ (A.H., III, 22,4). Auf der anderen Seite führen der Tod und die Auferstehung Christi durch Vorwegnahme das Ende der Zeiten herauf. Diese recapitulatis ist erlösend, denn sie erschafft neu, erneuert und befreit den von Gott am Anfang gebildeten Menschen, indem er ihn das wiedererlangen läßt, was er in Adam verloren hatte, „das heißt nach Gottes Bild und Gleichnis zu sein“ (A.H., III, 18,1). Diese recapitulatis ist vergöttlichend, denn sie gibt dem Menschen die Gemeinschaft mit Gott, dem Ziel des menschlichen Lebens, sie bringt das gesamte Universum in Gott zur Vollendung. Dieser einzige Gott teilt uns schließlich seinen Geist mit, der „die Teilhabe an Christus“ ist, „ ... Unterpfand der Unverweslichkeit, Bekräftigung unseres Glaubens und Leiter für unseren Aufstieg zu Gott“ (A.H., III, 24,2). Irenäus legt immer Nachdruck auf die Einheit des Menschen, aus Leib und Seele, die offen sind für den Geist. Er ist auch darum bemüht zu zeigen, daß das Heil sich in der Dauer vollzieht; gemäß dem Wachstum und der Reifung, die dem Menschen eigen sind; Christus selbst ist durch alle Lebensalter gegangen. Und hier entfaltet Gott seine Geduld und seine Erziehungskunst, als ob er sich dem Rhythmus des Menschen anpasse, um ihm Zeit zu lassen, durch Erfahrung zu lernen und in Freiheit Freundschaft zu schließen. „Das Wort hat sich zum Menschensohn gemacht, um den Menschen daran zu gewöhnen, Gott zu erfassen“, um ihn darauf vorzubereiten, Gott zu schauen. Die Eucharistie ist hienieden der Ort der Gemeinschaft zwischen der Unverweslichkeit und der Verweslichkeit: Unsere verweslichen Leiber werden mit dem unverweslichen Leib des Wortes genährt, ein wenig wie das aus der Erde gewonnene Brot Eucharistie wird; sie werden nicht sofort unverweslich, denn gerade in der Gebrechlichkeit und Schwäche des menschlichen Fleisches, das in der Erde ruht, wird sich die Kraft Gottes offenbaren (vgl. A.H., V, 2,3), wie in Leiden und Auferstehung Christi. Die Kirche legt den Leib des mit der Eucharistie genährten Menschen wie Samen in die Erde und wartet auf seine „zweite Bildung, die vom Tod ihren Ausgang nimmt“ (A.H., V, 23,2). Bei dieser Bildung, 781 REISEN die zur Verbindung oder zum Bündnis führt, läßt Irenäus niemals den Verdacht einer Verwechslung zwischen Gottes Absolutheit und dem menschlichen Geschöpf aufkommen. Irenäus unterstreicht auch den Wert der Freiheit des Menschen und seiner Berufung zur Freiheit. Er zögert nicht zu sagen, daß man ohne die Freiheit, ohne die Fähigkeit des Menschen, das Gute und das Böse zu erkennen, „ohne es zu wissen, sein eigenes Menschsein ertötet“ (A.H., IV, 39,1). Ohne Freiheit gibt es in der Tat keine Liebe, und der Mensch könnte nicht auf den Ruf der göttlichen Freiheit antworten. 7. Auf diese Weise räumt die trinitarische und christozentrische Theologie des Irenäus dem Menschen einen großartigen Platz ein. Irenäus ist ein Meister der christlichen Anthropologie. Bei ihm ist der Mensch niemals der Rivale Gottes, sondern stets sein geliebter Partner. Die Größe des Menschen bewegt sich hin zur Größe Gottes, und die Größe Gottes wird zum höchsten Gut des Menschen. Heute, da man zuweilen Gott zum Menschen in Gegensatz stellt, zeigt uns die Lehre des Bischofs von Lyon, daß die Vergöttlichung des Menschen in Christus kein Verlust seiner Menschlichkeit ist, sondern die volle und einzig mögliche Erfüllung seiner V ermenschlichung. Indem wir über die Werke des Irenäus nachdenken, nehmen wir an einer äußerst positiven Glaubenssicht teil. Die Sünde und das Böse werden nicht ignoriert, jedoch das Heil beschränkt sich nicht auf die Rettung aus der Sünde. Irenäus hält sich an die beispiellose und ungeschuldete Gabe des göttlichen Lebens, durch Menschwerdung und Erlösung, und seine ganze theologische Gedankenführung ist fest in der Offenbarung verankert. Er führt den Gläubigen zu einer Haltung der Danksagung und Anbetung, der Freude und Hoffnung. Bei jedem Schritt hat man die Übereinstimmung der Themen mit denen festgestellt, die unseren Zeitgenossen teuer sind: das Leben, der Sinn der Zeit, die Einheit von Leib und Geist, die Freiheit, die kosmische Dimension. Die Treue zu Gott wie zu den Menschen ist ein Leitmotiv des Zweiten Vatikanischen Konzils gewesen (vgl. GS, 21,1). Ist das nicht ein ganzes Programm für den heutigen Theologen? Irenäus ist auch ein Vater für die Bischöfe von heute und insbesondere für den Nachfolger Petri, der damit beauftragt ist, seine Brüder zu stärken, indem er mit eifersüchtiger Sorgfalt über den Schatz des apostolischen Glaubens wacht, um ihn zu bewahren und aus dieser Quelle Nahrung für den Glauben seiner Zeitgenossen hervorsprudeln zu lassen. 782 REISEN 8. In dieser katholischen Universität möchte ich nicht nur die Theologen ermutigen, sondern alle Studenten der Theologie und besonders die Seminaristen, da das Universitätsseminar einen neuen Start unternehmen wird, der mir außerordentliche Freude bereitet. Im Lichte der Botschaft des hl. Irenäus wende ich mich jetzt direkt an all die anderen Lehrer und Studenten, die die Mehrheit dieser Zusammenkunft bilden. Ich wage nicht zu sagen, hebe Freunde, daß ihr einen profanen Bereich habt, denn für einen Christen ist nichts völlig profan. Euer Fachbereich verlangt zunächst eine große wissenschaftliche und pädagogische Kompetenz, und ich zweifle nicht daran, daß dies eure erste Sorge ist; diese berufliche Pflicht ist all jenen gemeinsam, die diese anspruchsvolle Aufgabe gewählt haben. Indem ihr aber akzeptiert habt, an einer katholischen Universität zu lehren - die nicht bloß eine private Universität ist -, habt ihr euch zu noch mehr verpflichtet. Eure christliche, kirchliche Identität ist hier von großer Bedeutung. Ihr habt gewissermaßen gegenüber der französischen Gesellschaft, gegenüber der Kirche eine Sendung, kompetente, großherzige und überzeugte Männer und Frauen heranzubilden, die jene brauchen, in einem Augenblick, wo viele menschliche und christliche Werte nicht klar gesehen werden. In den meisten Bereichen, in denen ihr arbeitet, werfen die christlichen ethischen Überzeugungen ein neues Licht oder stellen eine neue Anforderung an den Gegenstand eurer Lehre, ohne die wissenschaftlichen und technischen Bedingungen des Wissens zu verändern, denn die Wahrheit ist eine einzige. Man könnte hier das Vorgehen des Philosophen in seiner Frage nach der letzten metaphysischen Wahrheit erwähnen; die auf eine Entfaltung der Persönlichkeit in all ihren Dimensionen gerichtete Kunst der Pädagogik; den Bereich der Bioethik mit den heiklen Fragen, die die Integrität des menschlichen Leibes und die menschlichen Embryos berühren; die Bereiche der Kommunikation und der Informatik, mit der Achtung der Personen; alles, was die Werte der Familie fördern kann; alles, was sich auf das gesellschaftliche Handeln, die Entwicklung der Völker, die Ungleichheit zwischen Nord und Süd, auf die Achtung der Menschenrechte, des menschlichen Lebens ... bezieht. Wie kann man vergessen, daß Lyon mit Marius Gonin, mit Joseph Folliet und mit den „Semaines sociales“ und „La chronique sociale“ die Wiege des sozialen Katholizismus gewesen ist? Heute ist es ebenso dringend, die Soziallehre der Kirche zu vertiefen und sich für die sozialen und wirtschaftlichen Initiativen im Dienste am Menschen an ihr zu inspirieren. Ich spreche nur einige für die menschliche und christliche Zukunft der Gesell- 783 REISEN schaft in Frankreich und anderswo wichtige Punkte kurz an, da ihr dazu beitragt, verantwortliche Laien aus 90 Ländern heranzubilden. Ich bin sicher, daß es euch am Herzen liegt, für euch selbst eure christliche Sicht in all diesen Punkten zu vertiefen und sie mit Klarheit, in Achtung der Gewissen eurer Studenten zu bezeugen: Sie müssen frei in die Wahrheit eingeführt werden, gemäß dem geordneten Vorgehen des Geistes, ohne den Aufruf zu den Worten des Glaubens zu vernachlässigen. „Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf den Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus“, sagte Jesus (Mt 5,15). Ihr habt die Sendung, in der Nachfolge der großen Persönlichkeiten, die diese katholische Universität von Lyon geprägt haben, dieses Licht zu sein. Heute ist dies im Angesicht der Herausforderungen einer säkularisierten und oft von ihrer Zukunft geängstigten Welt nicht weniger dringlich. Möge die lichtvolle Botschaft des Meisters Ire-näus aus euch Sämänner der Hoffnung machen! Ich rufe alle Lichter und die Kraft des Heiligen Geistes, die Fürsprache Mariens, des Sitzes der Weisheit, auf euch herab. Und indem ich euch, wie Irenäus, einlade, in Gemeinschaft mit der Gesamtkirche zu leben, erteile ich euch von ganzem Herzen meinen Apostolischen Segen. „Schenkt weiter, was euch geschenkt wurde!“ Ansprache in der Kapelle des Prado-Institutes in Lyon am 7. Oktober Liebe Freunde! 1. Nach der Feier der Seligsprechung von Pater Antoine Chevrier vor meiner Abreise aus Lyon schätze ich mich glücklich, als Pilger an Pater Chevriers Grab zu kommen und an der Freude der geistlichen Familie des Prado, der Priester, Schwestern, Brüder und Laien teilzunehmen. Das Samenkorn, das Pater Chevrier aussäte, hat eine gewisse Zeit gebraucht, um zu reifen. Als er starb, lebte die Familie des Prado in sehr bescheidenen Verhältnissen, — gekennzeichnet wie auch Pater Chevriers Leben selbst - durch die Demut. Vier junge Priester und einige Frauen gehörten damals der Familie an. Zahlreich waren indessen jene, die das Beispiel Pater Chevriers berührt hatte. Da es sich um eine echte apostolische Eingebung handelte, die tief war, den Bedürfnissen der Kirche 784 REISEN entsprach und aus dem Herzen eines von Jesus Christus und der Liebe zu den Armen begeisterten Heiligen kam, konnte sie nicht verborgen bleiben. Es hat gleichfalls einige Zeit gedauert, bis sie in eine kirchenrechtlich gültige Form gekleidet werden konnte - heute hat sie für die Priester und Brüder die Gestalt eines Säkularinstituts päpstlichen Rechts -, weil ihr als Weltpriester in den Teilkirchen verwurzelt bleiben wolltet. Aus der kleinen Pflanze ist ein Baum geworden, insbesondere in den letzten vierzig Jahren. Zunächst in Frankreich, wo man sich der gewaltigen Mission bewußt geworden ist, die unter jenen zu erfüllen ist, die der Kirche fernstehen; dann in Italien, Spanien, Lateinamerika, Afrika und Asien. Die Pflanze blühte erneut auf unter dem unvergessenen Msgr. Alfred Ancel, den ich gut gekannt habe, sowie unter seinen Nachfolgern, insbesondere den Patres Bertheion, Arnold und Bravo, die hier anwesend sind. Pater Chevriers Einfluß hat sich über die Familie des Prado hinaus in der Kirche stark ausgeweitet. Denn er bot ein neues Charisma, das die Christen und ihre Hirten neben anderen geistlichen und apostolischen Strömungen in Begeisterung versetzt. Die Kirche schätzt sich glücklich, auf die Unterstützung der Schüler Pater Chevriers zählen zu können. Mögen sie in der Lage sein, sein Beispiel und seine Fürsprache zu bekräftigen, eure Familie noch zu vergrößern und sie vor allem in der Liebe zu Jesus Christus, der Kirche und den Armen zu behüten, so wie er es wollte. <90> <90> Die Schlichtheit dieser Kapelle, eine ehemaliger Ballsaal, ist wie ein Symbol: Es veranlaßt uns, diesem Priester zu danken, dessen einziges Ziel es war, wie ein wahrhafter Schüler Jesu zu leben. Pater Chevriers Leben war gleichsam eine Bekräftigung seiner Devise: „Gerade die Tugend und die Nächstenliebe erwecken das wirkliche Vertrauen und die echte Liebe des Volkes . . . Setzt einen armen Priester in eine Kirche aus Holz, die offen ist für alle Winde. Er wird mehr Menschen auf sich lenken und bekehren ... als ein anderer Priester in einer Kirche aus Gold“ (Le veritäble disciple, 296 f.). Der arme Priester lebt nach den Seligpreisungen, die wir soeben gehört haben. Antoine Chevrier ist oft durch die Straßen von La Guillotiere gegangen. Er kannte das Elend der Menschen in den Vierteln, die damals die Industrie-Vorstadt Lyons bildeten. Er litt an der Kluft, die sich zwischen den Arbeitern und der Kirche auftat. Vor euch wäre es überflüssig, die prägenden Momente seiner geistlichen und apostolischen Erfahrung nachzuzeichnen. Er war schockiert über das Elend der Armen und 785 REISEN zugleich ergriffen vom Leiden Jesu, über dessen Worte er täglich nachsann und die er wörtlich nahm. Auch hatte er teil an der apostolischen Begeisterung des hl. Paulus. Er kannte nur eine Leidenschaft: Jesus Christus, betrachtet in der Krippe, am Kreuz und in der Eucharistie. Nur ein Ziel hatte er: Die Evangelisierung der Armen. Sein ständiges Bemühen war es, dem Geist Gottes gemäß vorzugehen. Sein sehnlicher Wunsch: Der Kirche und der Welt arme Priester und zugleich gute Katecheten zu geben, die überall hingehen, um den Menschen Jesus Christus zu zeigen. Durchdrungen von der Liebe Christi, der sich in der Eucharistie als Lebensbrot für die Menschen hingegeben hat, erkennt er, daß das Wirken des Priesters fruchtbar wird, wenn er sich selbst zu einem guten Brot für die Menschen macht: „Der Priester ist ein entblößter Mensch, ein gekreuzigter und verzehrter“ (wie es auch eindrucksvoll auf dem Gemälde von Saint-Fons dargestellt ist). Durch Pater Chevrier möchte ich all jenen Aposteln huldigen, die sich zum guten Brot der Menschen machen, der Arbeiter, Arbeitslosen, Einwanderer, der Menschen in den Elendsquartieren und Slums sowie der Bauern aus den Ländern der Dritten Welt. . . Diese Männer und Frauen brauchen Priester und Christen, die sich ganz dem Evangelium verschreiben‘und die den Hunger dieser Menschen nach Brot, Würde und vor allem nach Gott zu stillen suchen. Angesichts der Gnade, die Pater Chevrier zuteil geworden ist, und des Hungers der Armen, den ich auf der ganzen Welt gesehen habe, gebe ich euch, der Familie Pater Chevriers, vier Weisungen: <91> <91> Geht zu den Armen, macht aus ihnen wahre Schüler Jesu Christi! Geht zu den Mittellosen und gebt ihnen Zeugnis von der Güte Gottes. Seid Zeugen der Vorliebe Jesu und seiner Kirche für die Bedürftigen: „Die Frohe Botschaft ist an die Armen gerichtet.“ Selbstverständlich sind die anderen Menschen nicht von ihr ausgeschlossen oder mißachtet. Denn die Liebe des Evangeliums umgibt alle Menschen, um sie zu retten; und es gibt auch in den Kreisen der Reichen viele Formen der Armut. Ihr jedoch geht vor allem zu den Armen, die allzu oft im Stich gelassen sind. Und damit eure Liebe noch wahrhafter sei und eurer Zeugnis noch glaubwürdiger, nehmt weiterhin aus der Nähe am Leben der Menschen teil, wobei ihr jedoch unbeeinflußt bleiben müßt von ihren weltlichen und politischen Entscheidungen. Mögen alle in euch die Gegenwart Christi „sehen“ können, mögen sie in euren Worten den auf erstandenen Herrn hören und den Glauben annehmen können. Habt keine Angst! Laßt euch nicht von Einwänden aufhal- 786 REISEN ten, die — um es mit Pater Chevriers Worten zu sagen — „das Evangelium töten“ (Le veritable disciple, 127). Schweigt nicht, mahnt jene, die sich an das Unrecht gewöhnen, die gleichgültig werden und ungläubig. Die Welt muß durch euch die Vollkommenheit des Evangeliums kennenlernen. Ohne Abstand zu nehmen von der Sanftmut und Bescheidenheit des seligen Pater Chevrier und ohne die komplexen Bedingungen der Evangelisierung oder ihre pädagogischen Aspekte zu ignorieren, sollt ihr den Menschen Jesus Christus zeigen. Möge er hervorgehen aus all euren Worten und aus eurem ganzen Leben. Ja, geht nur zu den Armen, damit Jesus Christus von ihnen erkannt und angenommen werden kann. 4. Eure herausragenden Eigenschaften'sollen stets die Einfachheit und die Armut sein. In der Kirche brauchen wir Männer und Frauen, die uns an die Kraft und die Freiheit der apostolischen Armut erinnern. Eure Lebensweise möge gekennzeichnet sein von Armut und Schlichtheit, so daß die Menschen die Schönheit der nach dem Evangelium gelebten Armut erkennen. Seid selbstlos! „Schenkt weiter, was euch geschenkt wurde!“ 5. Sprecht von Jesus Christus mit der gleichen Glaubens-Uberzeugung wie Pater Chevrier! Wer Jesus Christus kennt - und zwar in jenem Johanneischen Sinn, der die Liebe mit einschließt - lebt nicht mehr für sich selbst, sondern für Jesus Christus und mit dem Ziel, ihn bei den anderen Menschen bekannt zu machen. Die Armen haben ein Recht darauf, daß man ihnen von Jesus Christus erzählt. Sie haben ein Recht auf das Evangelium und seine Vollkommenheit. Ich erinnere euch an Pater Chevriers Weisung: „Die große Aufgabe des Priesters ist es heute, die Menschen den Katechismus zu lehren“ (Lettres, 70). Klar und deutlich müssen wir das Evangelium verkünden, mit Genauigkeit, Einfachheit, Autorität und Standhaftigkeit (vgl. Le veritable disciple, 448 f.). „Die Geheimnisse unseres Herrn mögen euch so vertraut sein, daß ihr über sie sprechen könnt, als wären sie eure eigenen und in der gleichen Art, wie die Menschen über sich und ihre Angelegenheiten sprechen“ (Lettres, 47). Möge eure Predigt an die Adresse der einfachen Menschen den Geist erhellen, das Herz erreichen und der Neuheit des Evangeliums unter den Menschen Leben geben. 6. Stützt euch immer auf Jesus Christus und die Kirche! Ihr sollt Initiativen ergreifen und jenen entgegengehen, die fernstehen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß wir im Namen Christi und der Kirche gehen. Der 787 REISEN Gehorsam des Gesandten ist Bedingung für seine apostolische Fruchtbarkeit. Ein Leben im Dienste der Armen ist nicht immer leicht. Um sich inmitten der Spannungen und Zweideutigkeiten des Lebens vom Geist Gottes lenken zu lassen, ist es nötig, unablässig das Wort Gottes zu studieren und in der Kommunion mit den Bichöfen und dem Papst zu verbleiben. Pater Chevrier hat gewollt, daß seine ersten Seminaristen ihre Ausbildung in Rom beenden, und er hat sie dort wieder zusammengeführt. Von der Notwendigkeit, in der Kirche zu arbeiten, war er überzeugt. Er sagte: Der Geist Gottes ist in der Kirche, im Papst, in den Heiligen und in den Regeln, die aus dem Evangelium abgeleitet und von der Kirche gutgeheißen sind (vgl. Le veritable disciple, 226). Liebe Freunde, liebt die Kirche so wie er es tat, arbeitet mit ihr und für sie! Denn es gibt keine Jünger und Zeugen außerhalb der Kirche. Unter der Bedingung, daß ihr euer Charisma bewahrt und auch weiterhin den Armen in der Weltkirche zur Verfügung steht, legt auch weiterhin großen Wert auf eure Verbindung mit den Diözesankirchen, deren missionarische Begeisterung ihr teilt und anregt. Die Mission ist das Werk der ganzen Kirche. „Benedictio pauperibus“, sagt Pius IX., als er im November 1876 die ersten vier Diakone des Prado in Rom empfing. Sein Nachfolger ist glücklich, der Familie des Prado heute am Ort ihrer ersten Niederlassung Mut zusprechen zu können. Euch allen, Priester, Brüder, Schwestern und Laien des Prado und auch jenen, zu denen ihr gesandt seid, sowie allen Menchen, die heute im Viertel von La Guillotiere wohnen, erteile ich meinen herzlichen Apostolischen Segen. 788 REISEN Heilige zeigen den Weg wahrer Erneuerung Ansprache auf dem Flughafen Lyon-Satolas am 7. Oktober Herr Premierminister, meine Damen, meine Herren, liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich freue mich, in ihrer Gegenwart meiner Dankbarkeit und Genugtuung Ausdruck verleihen zu können. Ihnen, Herr Premierminister, danke ich dafür, daß Sie persönlich gekommen sind, um mich in dem Augenblick zu begrüßen, in dem diese dritte Pastoraireise in Frankreich zu Ende geht. Ich danke der französischen Regierung für alles, was sie im Interesse eines guten Ablaufs dieser Tage getan hat. Ich bin mir der kostspieligen Bemühungen sehr bewußt, die den zivilen und militärischen Behörden, dem gesamten Sicherheitspersonal abverlangt wurden, um die Versammlungen an den verschiedenen Orten friedlich und ordentlich ablaufen zu lassen, sicher vor den Risiken, die manche für die Person des Papstes und für die in großer Zahl versammelten Menschenmengen befürchteten. Der großen Zahl derer, die diese Aufgaben umsichtig und taktvoll erfüllt haben, möchte ich im Namen aller ein großes „Dankeschön“ sagen mit der Bitte um Verständnis für den Mehraufwand an Arbeit und Mühen, der ihnen zugemutet wurde. So konnte das geistliche Ziel dieses Pastoralbesuchs erreicht werden zur großen Freude der Katholiken in Frankreich, die den lebhaften Wunsch hatten, ihren Glauben zusammen mit mir in diesem Land zu feiern, das das Glück hat, die Religionsfreiheit und den Respekt vor Überzeugungen zu kennen; ich glaube auch, daß die übrigen Mitbürger guten Willens hierüber Befriedigung empfinden, da sie zugänglich sind für jede Botschaft, die den Menschen aufrichtet, dem Leben einen Sinn gibt, die Hoffnung stärkt und zur Brüderlichkeit aufruft. Meine Dankbarkeit gilt natürlich meinen Brüdern im Bischofsamt, besonders den Bischöfen der vier besuchten Diözesen, sowie allen Christen, die mit ihnen aktiv diese Zusammenkünfte vorbereitet und all das in die Hand genommen haben, was dafür notwendig war. In meine Dankesworte schließe ich alle auf dem Gebiet der sozialen Kommunikationsmittel bei Radio, Fernsehen und Presse Tätigen ein - sie haben sich bemüht, über diese geistlichen Ereignisse zu berichten, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 789 REISEN 2. Herr Premierminister, Sie, der Sie ein sehr hohes Amt im Dienst für das französische Volk ausüben, versichere ich aller meiner guten Wünsche für dieses Land, das mir lieb und wert ist. Zunächst bringe ich meinen Wunsch zum Ausdruck, daß Frankreich in Frieden leben möge, worauf es ein Recht hat, sicher vor den Unruhen eines internationalen Terrorismus, der von allen Menschen verurteilt werden muß, von den Staaten und den internationalen Organisationen. Ich wünsche mit Ihnen den abgestimmten Einsatz aller Bürger, um nicht „neue Arme“ am Rande der Gesellschaft zu lassen. Daß doch die Achtung vor den anderen in ihrer Unterschiedlichkeit ein Klima der Toleranz und Zusammenarbeit stärken könnte, während ein jeder zur selben Zeit, in der er seine Rechte in Anspruch nimmt, auch die Pflichten akzeptiert, die ihm obliegen! Überdies möchte ich zu den Bemühungen ermutigen - was die Franzosen in ihrer Geschichte so gut praktiziert haben -, Gesten der Solidarität für die Länder zu ersinnen, die ärmer sind als das eigene, auch wenn man sich in seinen Möglichkeiten begrenzt fühlt. Ich möchte den Wunsch zum Ausdruck bringen, daß Frankreich weiterhin dem Talent für Geist und Herz Ehre macht. 3. Was den Glauben angeht, liebe Brüder und Schwestern, so schien mir, daß wir auf die tiefe Seele Frankreichs gestoßen sind, dessen Söhne und Töchter ihre christliche Geschichte nicht vergessen haben, ihre Berufung als Getaufte, wenn auch umgeben vom Nebel der religiösen Indifferenz, vom Zweifel oder von menschlicher Rücksicht, die zu oft die Neigung hat, sie auf sich selbst zurückzuwerfen. Die Jugendlichen haben eine schöne Zuversicht an den Tag gelegt. Ein großer Teil der Priester, Ordensleute und Laien bringen mit Festigkeit ihren Willen zum Ausdruck, ihrer Berufung vollständig gerecht werden zu wollen. Eine neue geistliche und apostolische Begeisterung ist für die Kirche in Frankreich möglich. „Wenn die Heiligen Vorbeigehen, geht der Herr mit ihnen vorbei...“ Sie haben das Glück, liebe Freunde, daß Frankreich über Heiligtümer von hohem Rang verfügt. Seht ihr nicht, daß die Pilger aus den anderen Ländern, daß der Papst hierher kommt, um neue Kraft zu schöpfen? Die Heiligen zeigen uns den Weg der wahren Erneuerung. Habt ein Herz für den Armen, sagt uns der selige P. Chevrier. öffnet euch der Barmherzigkeit und Vergebung Gottes, betont der Pfarrer von Ars. Sucht die Nähe des Herzens Jesu, rät uns Marguerite-Marie, um euer Herz aus Stein in ein Herz aus Fleisch und Blut zu verwandeln. Macht die Erfahrung der Freude, die die Liebe zu Gott vermittelt, und wohlwollenden Bruderliebe, mahnt uns der heilige Franz von Sales. 790 REISEN Dies sind nur einige Quellen der Heiligkeit außer denen, die sich in anderen Gegenden eures Landes finden. Sie sind für euer tägliches Leben immer in eurer Reichweite. Daß ihr doch in diesen Tagen hier verstanden haben könntet, daß Heiligkeit nicht das Privileg von einigen wenigen ist,. daß die Milde des Evangeliums nicht Schwäche bedeutet, daß Sprechen vom „Herzen“ in Übereinstimmung mit Gott nicht eine kurzlebige Sentimentalität ist! Dies ist eine starke Liebe aus der Kraft Gottes, die den Kurs eines Lebens ändert, die die Gefühllosigkeit der Gesellschaft aufhebt. „Wenn du wüßtest, worin die Gabe Gottes besteht!“ (Joh 4,10). So ist der Weg, der zum Leben führt. Auf diesem Weg segnet euch Christus. Und ich bleibe euch in meiner Zuneigung und im Gebet nahe. Danke schön. 791 6. Pastoralbesuch in Perugia (26. Oktober) REISEN Eine echte „Kultur des Dialogs“ entwickeln! Ansprache an die Welt der Universität in der Aula Magna der Universität von Perugia am 26. Oktober Magnifizenz, Herr Rektor der Universität von Perugia! Magnifizenz, Herr Rektor der Universität für ausländische Studenten! Sehr verehrte Professoren! Liebe Studenten! Meine Damen! Meine Herren! 1. Jngredere ut adores(Tritt ein, um anzubeten.) Der in den Architrav über dem Eingang zur Kirche dieser Universität eingemeißelte Satz ist eine Einladung, die die Olivetanermönche dem Stein anvertrauten, da sie ewig und zugleich aktuell bleiben sollte. Diese Einladung möchte ich heute bei meinem Besuch am Zentralsitz der Universität an Sie alle wiederholen: Ich habe den geheiligten Ort betreten und habe die geheimnisvolle und trostreiche Gegenwart Christi, Gott und Mensch, angebetet, der in dem sakramentalen Zeichen des eucharistischen Brotes verborgen und lebendig ist. Ich habe die Universitätskirche aber nicht nur aufgrund einer zutiefst empfundenen Pflicht betreten, sondern auch um der kirchlichen Gemeinschaft, die durch ihr Leben, Beten und Arbeiten im Bereich der großen und komplexen Welt der Universität Zeugnis von ihrem Glauben gibt, meine Wertschätzung und Ermutigung zum Ausdruck zu bringen: denn diese Kirche ist der Mittelpunkt einer Pastoraltätigkeit, die ich segnen und ermutigen möchte, auf daß sie immer wirksamer und ausgeprägter werde und immer tiefer dringe. Seit nahezu 30 Jahren, seit dem Januar 1958, werden an dem Ort, der dank der Verwendung des verstorbenen Rektors Giuseppe Ermini wieder der Kultausübung zur Verfügung gestellt wurde, Samen der Wahrheit und Gnade in die Seelen der jungen Generationen der Universitätsstudenten gestreut, und ich hoffe und wünsche, daß diese Seelsorgetätigkeit weitergehen und einen evangelischen Sauerteig darstellen möge, der die Universitätswelt von Perugia durchsetzen soll. Meine aufrichtige Anerkennung gilt allen, die gemeinsam für die Verwirklichung einer solchen Initiative der Hochschulseelsorge in Perugia arbeiten. Ich will in dieser Stunde gern daran erinnern, daß die Olivetanermönche die Kirche der Jungfrau der Verkündigung geweiht haben, die die Worte der Botschaft des Engels wie einen kostbaren Schatz in ihrem Herzen bewahrte. Ich danke dem Rektor der Universität, Herrn Professor Giancarlo Dozza, und dem Rektor der Ausländer-Universität, Herrn Senator Prof. Giorgio Spitella, 794 REISEN für die freundlichen Worte, die sie an mich gerichtet haben, und grüße herzlich die Dozenten, die Gelehrten und alle Studenten der beiden Universitäten, die sich heute zu unserer Begegnung hier eingefunden haben. 2. „Ingredere ut adores.“ Die alte Einladung der Olivetanermönche war an den Gläubigen gerichtet, um ihn zu ermahnen, das Gotteshaus mit einer sehr hohen Zielsetzung zu betreten: Gott, den Unendlichen, Transzendenten, Allmächtigen, Gott, den Schöpfer, zu suchen, ihm zu begegnen, ihn anzubeten. Beim Betreten eines Gotteshauses muß jede andere Zielsetzung dem Suchen und der persönlichen Begegnung mit dem Absoluten untergeordnet werden. Die Grundhaltung des Menschen gegenüber Gott ist daher die Demut, das heißt das klare und erhellende Bewußtsein von der eigenen Geringheit, den eigenen Grenzen, der eigenen Unwesentlichkeit und Kreatürlichkeit gegenüber dem Ewigen, dem Allwissenden. Und welches andere, ihnen selbst innewohnende Ziel als die Suche nach der Wahrheit haben die kulturellen Einrichtungen der Menschheitsgeschichte? Und welche andere Haltung als die der Demut ist — für die Vertreter der Kulturwelt, seien es Dozenten oder Studenten — diesem erregenden Abenteuer angemessener? Demut bei der ehrlichen Suche nach der Wahrheit; Demut bei ihrer Annahme; Demut bei ihrer Weitergabe an die anderen. Die Universität ist eine Einrichtung, die aufgrund ihres Wesens danach strebt — oder zumindest streben sollte —, partikularistische Bevorzugungen von Menschen, Studienthemen und Lehrgegenständen zu überwinden: „Universitas Studiorum“ nannte man sie im Mittelalter, aber auch „Universitas Docentium et Discentium“ (Universität der Lehrenden und Lernenden), die alle und alles zu einer harmonischen, aber zugleich dynamischen Einheit zusammenfügte. Die Universität repräsentiert und ist ihrer Natur nach dieses Vorhaben der grundlegenden Suche nach der Wahrheit, die alle anzieht und überragt und die bestrebt ist, die einzelnen Aspekte der verschiedenen Spezialisierungen miteinander in Einklang zu bringen. Es gilt daher auf dem Gebiet der Kultur und der Hochschulforschung eine bestimmte Art individualistischer Geisteshaltung zu überwinden, die eifersüchtig auf die eigenen Forschungen und das eigene Wissen bedacht ist. Die Wahrheit gehört allen und ist für alle da, und sie ist dazu bestimmt, das Leben aller Menschen zu erleuchten. Die Wahrheit wird uns enthüllt und geschenkt, sie gehört niemandem als ausschließlich eigenes Gut. Im Buch der Weisheit stellt der inspirierte Verfasser König Salomo vor, der bei Beschreibung seiner umfassenden Bildung, die er mit der „Weisheit“ identifiziert, sagt: „Uneigennützig lernte ich, und neidlos gebe ich weiter; ihren Reichtum behalte ich nicht 795 REISEN für mich“ (Weish 7,13): das ist ein authentisches Lebensprogramm auch für die Menschen in Kultur und Wissenschaft unserer modernen Welt. 3. In diesem Jahr, in dem wir das 1600. Jahr seit der Bekehrung des hl. Augustinus feiern, dessen ich mit dem Apostolischen Schreiben Augustinum Hipponen-sem gedachte, ergibt es sich spontan, auch hier an diesem Ort an das historische Ereignis, an seine religiöse Bedeutung und an die Weisung zu erinnern, die von ihm für die Kulturwelt ausgeht. Augustinus hat mit Ausdauer, unter Leiden und mit Leidenschaft nach der Wahrheit gesucht; er hat sie gefunden, weil sie sich ihm mit Gottes Angesicht selbst offenbart hat, das er in seinem dem Menschen eingeprägten Abbild wiedererkannt und wiederentdeckt hatte. Der heimliche Antrieb zu seinem lebenslangen unermüdlichen philosophischen und theologischen Suchen war derselbe, der ihn auf dem Weg zur Bekehrung geleitet hatte: die Liebe zur Wahrheit. „Wonach sehnt sich der Mensch stärker“ — sagt der hl. Augustinus — „als nach der Wahrheit?“ (In Ioann. Evang. Tract. 26,5: PI 35,1609). Aber die Einheit von Lehrenden und Lernenden und die Einheit der Forschungsgegenstände kann theoretisch nur dann gewährleistet werden, wenn sie sich auf diese tiefe Erkenntnis und Anerkennung Gottes als „causa subsistendi, ratio intelligendi et ordo vivendi“ (Seinsursache, Erkenntnisgrund und Lebensordnung) gründet. Dieser Horizont läßt sich in den lautersten Intuitionen der großen Religionen der Menschheit feststellen; es ist eine intuitive Erkenntnis, die wir auch in vorchristlichen philosophischen Gedankengebäuden finden. Sie kann eine unersetzliche und fruchtbare Quelle der Inspiration und Ursache des Verhaltens in Kultur und Wissenschaft darstellen. Der Hinweis auf den hl. Augustinus stellt uns — wie ich oben andeutete — das große und fundamentale Thema vom Menschen als Ebenbild Gottes vor Augen. Darin hat ja die Größe und Würde des Menschen ihren Grund; jedes Menschen, weil das göttliche Abbild, das in ihm ist, ja das er ist, niemals zerstört wird, auch wenn es durch den Zuwiderhandelnden Willen eine Trübung erfahren kann. In der Wahrheit vom Menschen, die wesentlich auch seine Gottesebenbildlichkeit ist, finden wir auch die Wahrheit Gottes wieder: deshalb ist auch der Mensch Mittelpunkt der Einheit des intellektuellen Suchens und For-schens. Denn bei jeder Forschung sucht der Mensch direkt oder indirekt sich selbst, das heißt, er versucht auf die fundamentalen Probleme seines Seins und seiner Existenz Antwort zu geben und sie zu lösen; wenn sie nicht der Erkenntnis des Menschen und seiner Erhöhung und, wenn nötig, seiner Befreiung gilt, erweist sich solche Forschung als nichtig und vielleicht sogar als gefährlich. Hier haben die Universitäten, wie seit Jahrhunderten, eine Aufgabe von außerordentlicher Bedeutung: „Es geht hier um Einrichtungen“ — sagte ich vor der 796 REISEN UNESCO —, „von denen man kaum ohne tiefe Ergriffenheit sprechen kann. Sind sie doch jene Stätten, an denen die Berufung des Menschen zur Erkenntnis und das naturgegebene Band, das die Menschheit mit der Wahrheit als Ziel der Erkenntnis verbindet, tägliche Wirklichkeit werden und sozusagen das tägliche Brot so vieler Lehrer und verehrter Größen der Wissenschaft sind. An ihrer Seite finden sich junge Forscher, die sich der Wissenschaft und ihrer Anwendung verschrieben haben, ferner die große Schar der Studenten, die diese Zentren der Wissenschaft und Erkenntnis besuchen“ {Ansprache vor dem Exekutivrat der UNESCO, 2. Juni 1980, Nr. 19: Wort und Weisung, 1980, 235). Ich möchte bei dieser Gelegenheit an den großen Rechtsgelehrten Bartolo da Sassoferrato erinnern, der seine reifsten Lehrjahre auf dieses „Studium generale“ verwendet und hier sein noch junges Leben beendet hat (1313-1357). Er, der sich ,fidelis christianus et Sedis Apostoliae servus fidelis“ (gläubiger Christ und treuer Diener des Apostolischen Stuhls) zu nennen pflegte, hat den als konkrete, reale Person gesehenen Menschen in den Mittelpunkt seiner Rechtslehre gestellt. Diesem alten Lehrmeister des Rechts, der gleichzeitig eine leuchtende Gestalt für die Kirche und die Universität von Perugia gewesen ist, möchte ich heute die gebührende Ehrung erweisen. 4. Da sich die Kultur den gewaltigen, unermeßlichen Horizonten der Wahrheit, die allen gehört und für alle da ist, öffnet, ist sie strukturell für den Dialog und somit für den Frieden gemacht. Hier in Perugia macht sich mehr als anderswo die Dringlichkeit spürbar, sich nicht nur mit den anderen Kulturen, mit denen man ständig in Kontakt kommt, auf einen Dialog einzulassen, sondern noch mehr: eine echte Kultur des Dialogs zu entwickeln, damit Spannungen und Konflikte vermieden werden, die dadurch entstehen, daß die einen die anderen zu überholen und zu beherrschen trachten. Diese herrliche und berühmte Stadt darf sich einer uralten Tradition der Gastfreundschaft gegenüber Gelehrten und Studenten rühmen, die seit Jahrhunderten aus allen europäischen Ländern hierherkommen. Sogar eine Kirche, Santa Maria Nuova, und ein Friedhof waren eigens für die Fremden bestimmt. Perugia kann sich aus einsichtigem Grund eine „Stadt für den Dialog“ nennen und sich dazu berufen fühlen, in dieser Hinsicht eine beispielhafte Rolle zu spielen, in besonderer Weise durch seine Universität, die sich als „Universität für den Dialog“ qualifizieren läßt. Dieses Ziel kann auch erreicht werden durch den nützlichen Austausch zwischen dem Studium an der Italienischen Universität Perugia und der Italienischen Ausländer-Universität, die jedes Jahr von Tausenden junger Menschen aus allen Kontinenten besucht wird. 797 REISEN 5. Dialog zwischen den Kulturen bedeutet jedoch nicht, daß man nicht, ausgehend vom Menschen, von seinen Rechten, von seiner Würde, von seiner Berufung zur Transzendenz eine Unterscheidung treffen, ein Urteil über sie abgeben dürfte und könnte. Wenn einerseits die sogenannte „Kultur der Verachtung“, die die Äußerungen der anderen Kulturen als primitiv, nichtssagend, rückständig und überholt beurteilte oder beurteilt, absolut unannehmbar sein muß, so darf man anderseits nicht in den Indifferentismus und damit in das Unvermögen verfallen, gegenüber den verschiedenen historischen Kulturen ein Unterscheidungskriterium zu bestimmen. Man darf nicht die prophetische Anklage im Namen des Glaubens oder der menschlichen Weisheit, im Namen der Verteidigung der Person und des menschlichen Lebens aus mißverstandener „Achtung der Kulturen“ behindern: Es gibt heute leider Ideologien und Verhaltensweisen, die eine „Kultur des Hasses“ geschaffen haben oder zu schaffen und aufzudrängen trachten. Dem müssen wir eine „Kultur des Lebens“, eine „Kultur des Friedens“, eine „Kultur der Liebe“ zwischen den Völkern und Nationen entgegensetzen. „Es besteht kein Zweifel“ — sagte ich vor der UNESCO —, „daß das erste und grundlegende Faktum der geistig reife Mensch ist, d.h. der vollerzogene Mensch, der fähig ist, sich selbst und andere zu erziehen. Es besteht kein Zweifel, daß die erste und grundlegende Dimension der Kultur ihre gesunde Moral ist: also die moralische Kultur (ebd., Nr. 12). Deshalb muß man auf der Überzeugung vom Vorrang der Ethik gegenüber der Technik, vom Vorrang der Person gegenüber den Dingen, von der Überlegenheit des Geistes über die Materie bestehen. Der Sache des Menschen wird dann gedient werden, wenn sich Wissenschaft und Kultur mit dem Gewissen verbünden! 6. Sehr geehrte Professoren! Liebe Studenten! Auf dem Wappen dieser Universität tritt uns die Gestalt eines Bischofs entgegen. Es heißt, jener Bischof sei der heilige Märtyrer Herkulanus, Patron der Stadt Perugia, der auch von denen, die nicht den christlichen Glauben teilen, als Symbol der Stadt anerkannt wird. Denn er verteidigte im 6. Jahrhundert durch gewaltlosen Widerstand weder sich selber noch bloß die Kirche gegen den eindringenden Feind, er verteidigte die ganze Stadt, die Kultur, die Zivilisation! Auch heute noch steht die Kirche, wie einst euer Märtyrerbischof, in vorderster Front bei der Verteidigung des Menschen, jedes Menschen und des ganzen Menschen, gegen jede Art von Bedrohung und Gewalt. Dazu gehört die Verteidigung der echten Kultur jedes Volkes, der Forschungs-, Lehr- und Diskussionsfreiheit und besonders des Rechtes, seinen religiösen Glauben auch nach außen zu bekennen. 798 REISEN Möge hier in Perugia der fruchtbare Dialog zwischen der italienischen Universität und der Universität für die Ausländer ein Zeichen dieses Ideals der Freiheit und der Achtung für den Menschen als Ebenbild Gottes sein! Mit diesen Wünschen erteile ich Ihnen von Herzen den Apostolischen Segen als Unterpfand der Gnaden und Gunst des Himmels. An jedem Tag „ein Sieg der Liebe über den Egoismus“ Ansprache an die Jugend auf der Piazza IV Novembre von Perugia am 26. Oktober Liebe Jugend! 1. Beim Besuch eurer Stadt habe ich es nicht so sehr als übliche Höflichkeit, sondern vielmehr als ein dringendes Bedürfnis empfunden, euch zu sehen und zur Stärkung eurer christlichen Hoffnung und eures Vertrauens in die Zukunft mein Wort der Ermutigung an euch zu richten. Wir sind auf der „Piazza grande“ zusammengekommen, der „Piazza del Comu-ne“, der das religiöse, bürgerliche und künstlerische Herz der Stadt ist. Er wird flankiert vom Rathaus und der Kathedrale. In der Mitte der berühmte große Brunnen. In den Platz mündet der Corso Venucci, der sich abends vor allem mit jungen Leuten füllt, die sich auch auf der Freitreppe der Kathedrale niederlassen: das ist die Stunde, wo man sich in den vertrauten Mauern eurer historischen Stadt mit Freunden trifft. Dieser Platz ist ein Symbol, weil er das Bedürfnis zum Ausdruck bringt, die Einsamkeit zu überwinden, zusammenzukommen, zusammenzusein und miteinander zu reden. Nicht zufällig wird er von der Kathedrale, der Mutterkirche der Diözese — Kirche heißt ja „zusammenrufen“ — und vom „Gemeindehaus“ — die Gemeinde ist das „Wir“ einer Stadt — eingerahmt. Man findet sich hier mit den anderen ein auf der Suche nach dem Wohl aller. Begegnung mit den anderen heißt, die Wahrheit des Menschen erfahren, der nicht für die Einsamkeit gemacht ist: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein bleibe“; Gott schenkt ihm einen Partner. Herzlich begrüße ich die Jugend aus Perugia und Cittä della Pieve; ich grüße die vielen jungen Menschen, die aus allen Ländern der Welt hier zusammenströmen, das reiche Erbe ihrer einheimischen Kulturen mitbringen und reichlich aus der Kultur dieser alten Stadt der Studien, der Kunst und der Religion schöpfen. 799 REISEN Ich möchte zusammen mit euch die Erfahrung der gemeinsamen Begegnung im Lichte des Wortes Gottes auslegen. 2. Ihr erinnert euch an das zweite Kapitel der Genesis. Dieser biblische Abschnitt ist der Spiegel einer jungen Welt, in der aus dem unwiderstehlichen Drang, aus seinem Ich herauszugehen, noch alles zu entdecken ist. Ob das Freundschaft heißt oder zur ehelichen Liebe heranreift oder zur vollen Selbsthingabe an den Nächsten ausweitet, hier wird offenbar, daß die tragende Struktur des Menschen die Selbstüberwindung in der Liebe ist, also die Ekstase, wie der hl. Augustinus sagen würde. Für den Glaubenden ist das nicht erstaunlich: der Mensch ist als Bild Gottes geschaffen worden; und Gott ist die Liebe, die von der Schöpfung bis zur Ausgießung des Heiligen Geistes über die Menschen aller Länder irgendwie aus sich herausgeht und zu uns kommt. „Gott wandelte im Garten Eden bei Anbruch des Tages“, heißt es in der Bibel. Es ist der Garten, in den Gott den von ihm geformten Menschen gesetzt hatte, um in Vertraulichkeit mit ihm zu leben und in ihm mit seinesgleichen in Gemeinschaft zu treten. Es ist der Garten, den Gott dem Menschen übergeben hatte, damit er ihn bebaue und pflege. In diesem göttlichen Plan ist die Antwort auf das von euch so stark empfundene Verlangen zu arbeiten enthalten, ein Verlangen, zu dem sich immer ernster und breiter die Angst gesellt, keinen Arbeitsplatz finden zu können. Eine Zukunft ohne Arbeit: „ein echter sozialer Notstand“ habe ich bereits vor fünf Jahren in meinem apostolischen Schreiben Laborem exercens geschrieben. Und ich fügte hinzu: „Ein besonders schmerzliches Problem wird die Arbeitslosigkeit, wenn sie vor allem die Jugendlichen trifft, die nach einer entsprechenden allgemeinbildenden, technischen und beruflichen Vorbereitung keinen Arbeitsplatz finden können und ihren ehrlichen Arbeitswillen und ihre Bereitschaft, die ihnen zukommende Verantwortung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Gesellschaft zu übernehmen, schmerzlich frustriert sehen“ (Nr. 18). Es ist zweifellos ein schwieriges und komplexes Problem. Es erfordert nicht nur guten Willen, sondern auch sachliche Zuständigkeit und Wirklichkeitsnähe. Vor jedem Lösungsversuch mit den unerläßlichen Mitteln der Wissenschaft, der Erfahrung, der Wirtschaft und der Politik gilt es aber, einen Horizont festzulegen, in dem das Problem anzusiedeln ist. Es muß ein Bild der Welt und insbesondere des Menschen gefunden werden, der diese Versuche inspirieren und leiten soll. In diesem Zusammenhang können die Alternativen sehr weit auseinanderliegen: 800 REISEN — auf der einen Seite eine sinnlose, zufällige, oberflächliche Welt, in der der Mensch als Gegenstand betrachtet wird: das ist die Deutung einer vielförmigen Immanenz, die weit um uns herum zu spüren ist; — auf der anderen Seite eine Welt, in der sich die Weisheit, die Macht und die Liebe Gottes offenbaren: ein tiefes, gutes, schönes Universum in der Hand des Menschen — des Bildes Gottes —, der gleichfalls reich an unergründlichen und niemals hinreichend erforschten Reichtümern ist: Verstand, Herz, Mut, Geduld. Es ist die biblische Schau der Schöpfung: ein Garten, der „bebaut“ und „gepflegt“ werden soll, und der Mensch als „Herr“ — nicht Tyrann — in diesem Garten. Ihr jungen Menschen müßt diese tiefe, von Weisheit bestimmte Dimension der Welt und des Menschen geltend machen, ihr müßt veranlassen, daß sie respektiert wird und daraus — auf kulturellem, sozialem und wirtschaftlichem Gebiet — die praktischen Konsequenzen gezogen werden und das vor allem dadurch, daß ihr sie durch klugen und verantwortungsbewußten Gebrauch eurer Talente in der Ernsthaftigkeit und Kreativität eurer Arbeit an euch selbst erprobt und offenbar macht. Da werdet ihr euch bewußt werden, daß es viel Arbeit zu tun gibt. Es gibt so viel Gutes und Schönes in der Welt zu bewahren, zu schützen, zu verteidigen. In der Schöpfung gibt es so viele Möglichkeiten zu entdecken, zu entfalten: die Wissenschaft und Technik sind große Aufgaben, die dem Menschen zur Vervollkommnung der Schöpfung aufgetragen sind. Konkret und vereinfacht gesagt, Bereiche wie Unterricht, Fürsorge, Gesundheitswesen verlangen Anteilnahme und Solidarität. Und hier in eurem herrlichen Umbrien sind die Natur, die Kunst, die Umwelt nicht nur ein freudiges Geschenk Gottes, sondern auch ein Reichtum, den man Früchte tragen lassen muß. <92> <92> Wenn diese Überlegungen die Beachtung erhalten, die sie verdienen, wird die Zukunft weniger düster und des Menschen, den Gott liebt und den er leben lassen will, würdiger sein, und viele Probleme werden die gewünschte Lösung finden, darunter das Problem der Arbeitslosigkeit — vor allem der Jugend —, die eine Tötung, eine erzwungene Grablegung kostbarer Talente und eine Verarmung der Gesellschaft ist. Blickt also weiter in die Zukunft im Vertrauen darauf, daß sie besser werden kann; ja bereitet euch schon jetzt bewußt darauf vor, sie zu verbessern. Angesichts dieses Engagements darf man mit Recht erwarten, daß die Erwachsenengeneration — die der Jugend gegenüber nicht immer großzügig ist — sowie die staatlichen Behörden und die Kräfte von Wirtschaft und Gesellschaft, jeder für seinen Bereich, euch nicht allein lassen werden bei der legitimen Su- 801 REISEN che nach einem euren Fähigkeiten entsprechenden Arbeitsplatz. Das fordern die Gerechtigkeit und der soziale Friede. Aber ich möchte euch noch vor einer Gefahr warnen, die sich in euch jungen Leuten verbergen kann. Es ist die Gefahr, jenen Baum zu vergessen, den Gott im „Garten Eden“ gepflanzt hat und der dem Wollen des Menschen, seinem Willen, von sich aus zu entscheiden, was Gut und was Böse ist, Grenzen setzt. Diese Einschränkung bedeutet nicht — wie uns auch heute der immer wirksame Dämon einer falsch verstandenen Autonomie einflüstern könnte —, daß Gott sein höchstes Geschöpf herabsetzen will. Sie ist vielmehr der Hinweis auf seine angeborene geschöpfliche Grenze, auf seine Hinfälligkeit, um ihm bei der Überwindung seiner Neigung zur Ichbezogenheit zu helfen. Die Grundorientierung des Lebens kommt von Gott und besteht in dem Drang, über sich selbst hinauszugehen — auf Gott und auf den Nächsten zu —, von dem wir schon gesprochen haben. Auch wenn es darum geht, sich für eine Zukunft mit möglichst weitgehender Vollbeschäftigung zu engagieren, wird die Beschränkung der eigenen Ambitionen, die Aufmerksamkeit für den anderen, für seine Würde und sein Recht, mit einem Wort die Liebe, diese Möglichkeit stützen müssen. Die Solidarität wird die Zukunft der Jugend, den Aufstieg am Seil retten. Der mutige, zähe Kampf gegen den Individualismus und die Logik des Bereicherns wird euch retten. Das ist die Bedeutung des Baumes, den Gott den Menschen verboten hatte: nicht die Unterdrückung von etwas menschlich Gültigem, sondern der Anfang eines menschlicheren Verlaufes des Zusammenlebens. 4. In einer Stadt wie Perugia — mit einer so reichen, bunten Anwesenheit junger Menschen von überallher, besonders aus den Entwicklungsländern — ist mit der Hand zu greifen, daß die Zukunftsprobleme im Hinblick auf Arbeit, Förderung der Menschenwürde und Frieden die Grenzen der Nationen und der Kontinente überschreiten. Mit Händen zu greifen sind auch — sofern sich einer nicht in sich selbst verkriecht — die Aufnahme und Anpassungsschwierigkeiten und auch die wirtschaftlichen Belastungen, denen die jungen Ausländer selbst in einer so gastfreundlichen Stadt begegnen. Die Lösung dieser Probleme und die Abhilfe für diese Beschwerlichkeiten werden — wiederum — nur davon kommen können, daß wir den Blick und das Herz weitmachen, daß wir im Sinne des Evangeliums auch für die Fernsten „zum Nächsten werden“. Das gilt auch für die staatlichen Kräfte und öffentlichen Einrichtungen. 802 REISEN Was euch junge Menschen betrifft, so erinnert euch des Auftrags, den euch das Zweite Vatikanische Konzil bei seinem Abschluß hinterlassen hat: „Macht das Herz weit für die Dimensionen der Welt.“ Perugia, eine weltoffene Stadt mit den tiefverwurzelten Traditionen des christlichen Humanismus, Perugia, das überquillt von Jugend, hat die besondere Berufung, sich denen, die von weither kommen, zu nähern und sie einander näherzubringen. An den Toren von Assisi und am Vortag des ökumenischen Gebetstreffens für den Frieden grüße ich Perugia als Stadt des Dialogs, des Friedens und der Hoffnung. Was anderen an diesem Vorhaben utopisch erscheinen mag, ist es für die, die glauben, keineswegs: für den, der Gott und sein Wort ernst nimmt. Das ist die Botschaft, die uns eindringlich und vertrauenerweckend aus der Kathedrale erreicht, wo das Wort Gottes die ehrwürdigste und wirksamste Stätte seiner Verkündigung besitzt und an deren Altar jeden Tag der Sieg der Liebe über den Egoismus, des Lebens über den Tod, der Gemeinschaft über die Einsamkeit gefeiert wird. Es ist aber auch die Botschaft, die vom Rathaus ausgeht: das Rathaus ist das Symbol für den Willen, gemeinsam das Wohl, das Glück, den sozialen Frieden und die Freiheit, die nicht nur ein leerer und dadurch gefährlicher Name sein soll, zu suchen und gemeinsam aufzubauen. „Wahrheit — Liebe — Freiheit“: an diese drei Begriffe habe ich erinnert, als ich mich in meinem kürzlichen Schreiben zum 1600. Jahrestag der Bekehrung des hl. Augustinus an die Jugend wandte. Dem großen Bekehrten folgend, habe ich noch einen vierten Wert erwähnt, der euch am Herzen liegt, der euch fasziniert: die Schönheit. Wer auf diesen Platz kommt, vermag sich kaum dem Zauber seiner Schönheit zu entziehen. Der große Brunnen ist seine strahlende Verkörperung. Liebt die Schönheit. Nicht nur — sage ich weiter mit dem hl. Augustinus — die Schönheit des Leibes, der die Schönheit des Geistes vergessen lassen könnte, noch allein die Schönheit der Kunst, sondern die innere Schönheit edler menschlicher Haltungen und vor allem die ewige Schönheit Gottes, von der jede geschaffene Schönheit stammt: Gottes, der die „Schönheit jeder Schönheit“ ist. Möge euer Schönheitssinn die Besitzgier überwinden lassen, bis ihr zur reinen Anschauung Gottes gelangt, der die höchste Schönheit, ohne Schatten der Unvollkommenheit, ist; bis zur beseligenden Begegnung mit ihm im Gebet! 5. Ehe ich von euch Abschied nehme, wollte ich euch zu dieser Schau der Transzendenz und Schönheit emporheben, damit sich euer christliches Leben immer mehr festige und wachse und blühe durch konkrete Werke, auch zum Vorteil der bürgerlichen Gesellschaft, und ihm eine gerechtere, menschlichere 803 REISEN und damit frohere Zukunft vorausgesagt und verheißen sei. Bringt in dieser heutigen Gesellschaft, die von euch einen wesentlichen Beitrag zur Lösung ihrer ernsten Probleme erwartet, eure tatkräftige Präsenz zur Geltung. Laßt nicht ab, nach dem Vorbild des hl. Franz, der diese Stadt so oft besuchte und den ich zu meiner Freude morgen erneut an seinem Grab werde verehren können, jede Anstrengung zur Gewinnung von Freude, Freiheit und Liebe zu unternehmen. Dabei muß euch jedoch bewußt sein, daß er zur Freude durch das Leid, zur Freiheit durch den Gehorsam und zur Liebe aller Geschöpfe durch den Sieg über das eigene Ich gelangte. Ich versichere euch meiner ständigen Bitte an den Herrn, daß er euch bei jedem guten Werk stärke und euren spirituellen und gesellschaftlichen Einsatz zu einem guten Ende führe. Die Erfüllung dieses Wunsches erwirke euch die seligste Jungfrau Maria, die wir jetzt im Angelus anrufen wollen. Sie, die Königin des Friedens, möge bei ihrem Sohn Fürbitte leisten, damit die Welt jenen ersehnten Frieden erlange, für den wir uns morgen in Assisi zusammenfinden werden. 804 7. Pastoraireise nach Neuseeland und Australien (18. 11. - 1. 12.) REISEN . . bis alle Einzelwesen und Völker in Liebe versöhnt sind“ Ansprache an die Repräsentanten des religiösen und öffentlichen Lebens in Bangladesch am 19. November Liebe Freunde, verehrte Repräsentanten des religiösen und öffentlichen Lebens in Bangladesch! 1. Bei diesem kurzen Besuch, den Gott mich in eurem Land abstatten läßt, bin ich besonders glücklich über die Möglichkeit, zu dieser Versammlung von Repräsentanten zahlreicher verschiedener Lebensbereiche in Bangladesch sprechen zu können. Mit tiefer Freude und voll guten Willens grüße ich einen jeden von euch. Ich hoffe ernstlich, durch unsere Begegnung euch im Geist der „Gemeinschaft und Brüderlichkeit“ zu befestigen, den ihr als Thema dieses Besuches gewählt habt. „Gemeinschaft und Brüderlichkeit“ spricht nämlich das aus, was ich persönlich für das Volk von Bangladesch empfinde. Die Reise, die hier in Bangladesch beginnt, soll mich nach Singapur, Fidschi, Neuseeland, Australien und zu den Seychellen führen. Was ist meine Absicht, wenn ich diese Besuche mache? An erster Stelle haben sie eine tief kirchliche Bedeutung für die katholischen Gemeinschaften in aller Welt. Zweitens möchten sie das Bemühen der Kirche um einen aufrichtigen und loyalen Dialog mit anderen religiösen Überlieferungen voranbringen, über die gemeinsame geistliche und menschliche Bestimmung, die wir alle teilen. Drittens möchte ich durch den Besuch in verschiedenen Teilen der Welt alle Männer und Frauen guten Willens auf die großen Herausforderungen aufmerksam machen, vor denen die Menschheitsfamilie in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts steht. <93> <93> An erster Stelle gilt also mein Besuch der Gemeinschaft der Katholiken. Die Kirche ist eine Gemeinschaft des Glaubens und des christlichen Lebens in Treue zur Lehre unseres Herrn Jesus Christus. Ihre Mitglieder gehören jeder Rasse und Nation an, und sie spiegeln sämtliche sozialen Verhältnisse wider. Ohne ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation oder Kultur aufzugeben oder abzuschwächen, sind sie untereinander durch ein universales geistliches Band verbunden. Diese koinonia oder 806 REISEN Gemeinschaft der Mitglieder der Kirche ist nicht nur eine Haltung geistiger Solidarität; sie ist vor allem ein Teilhaben an bestimmten Gaben, mit denen Christus die Kirche erfüllt hat durch den Geist, den er in unsere Herzen ausgießt (vgl. Röm 5,5). Das zweite Vatikanische Konzil zählt einige von diesen Gaben auf: die Heilige Schrift, unser Glaube an die heiligste Dreifaltigkeit, die Sakramente, das Gnadenleben, Glaube, Hoffnung und Liebe und andere Charismen (vgl. LG 15, UR 3). Durch diese Gaben treten wir in Gemeinschaft mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist und in Gemeinschaft untereinander. Diese Gemeinschaft hat im Nachfolger des Petrus „ein immerwährendes und sichtbares Prinzip und Fundament der Einheit“ (LG 18). Heute gestattet der Herr mir, dem Letzten in der Reihenfolge der Päpste, persönlich unter euch anwesend zu sein, um euch im Glauben und in der Zusammengehörigkeit zu bestärken. Hierin liegt der tiefste Sinn meines Besuches bei der katholischen Gemeinschaft von Bangladesch. Für euch Bischöfe, Priester, Ordensmänner und -frauen, Seminaristen und Vertreter der Laienschaft von Bangladesch möchte ich dann die Worte des hl. Paulus wiederholen: „Wir danken Gott für euch alle, sooft wir in unseren Gebeten an euch denken; unablässig erinnern wir uns vor Gott, unserem Vater, an das Werk eures Glaubens, an die Opferbereitschaft eurer Liebe und an die Standhaftigkeit eurer Hoffnung“ (1 Thess 1,2 f.). Wenn ich zu den Mitgliedern der katholischen Kirche in Bangladesch spreche, bin ich mir der geistlichen, kulturellen und sozialen Lage bewußt, in der ihr lebt und arbeitet. Eine Reihe von Jahren hindurch habt ihr eure pastoralen und karitativen Tätigkeiten angesichts der Bedürfnisse der Kirche und eurer Nation überprüft. Hier bilden die Lehren und Richtlinien des II. Vatikanischen Konzils einen wesentlichen Bezugspunkt für die ganze Kirche bei der Erfüllung ihrer Sendung unter den derzeitigen Verhältnissen der Geschichte und der Welt. Dabei erfordert die richtige Anwendung der Weisungen des Konzils, von denen viele durch spätere Dokumente des Hl. Stuhls ergänzt worden sind, viel Mut und Planung von seiten der gesamten kirchlichen Gemeinschaft. <94> <94> Der Pastoralplan für die Kirche in Bangladesch, den eure Bischofskonferenz an Pfingsten 1985 veröffentlicht hat, zählt eine Reihe von Aufgaben auf, vor denen die Kirche steht. Jeder von euch hat seinen besonderen Beitrag zu leisten, um sie zu erfüllen. Ihr empfindet die Notwendigkeit einer besseren Koordinierung auf örtlicher, diözesaner und nationaler 807 REISEN Ebene bei den Bildungsprogrammen und der pastoralen Tätigkeit. Das ist nicht nur eine Frage der äußeren Organisation, sondern auch und vor allem eine Frage der geistlichen Gemeinschaft, die euch im Herrn verbindet. Insbesondere empfindet ihr die Notwendigkeit, daß die besondere Rolle der Laien in Leben und Wirken der Kirche voll anerkannt und praktisch angewendet wird. Ihr wünscht ferner, immer noch mehr mit allen Menschen von Bangladesch verbunden zu sein und die kulturellen und sozialen Verhältnisse eurer Mitbürger zu teilen. Ihr bemüht euch, und mit Recht, unter ihnen bei all ihren Mühen präsent zu sein. 4. An alle Priester möchte ich ein besonderes Wort der Ermutigung richten. Durch die Gnade der Weihe seid ihr in besonderer Weise Christus gleichgestaltet und müßt daher jeden Tag versuchen, mehr und mehr die Güte und Liebe jenes Herzens kennenzulernen, das mit der Menge Mitleid hatte (vgl. Mt 15,32). Unterstützt einander durch Gebet und Beispiel eines hochherzigen priesterlichen Lebens und Dienstes. Merkt euch die Worte des Apostels: „Macht euch nicht dem Geist dieser Welt gleichförmig“ (Röm 12,2). Als echte Hirten des euch anvertrauten Volkes lehrt es, die eigene Rolle in ihren kirchlichen und bürgerlichen Gemeinden zu übernehmen. Ich will meinerseits jeden Tag, zu Maria, der Mutter der Kirche und unserer Mutter, unserer Gefährtin auf dem Pfad der Jüngerschaft, beten. 5. Die Ordensmänner und -frauen von Bangladesch möchte ich mit den Worten des Apostels auffordern: „Wandelt in einem neuen Leben“ (Rom 6,4) gemäß den besonderen Charismen, die ihr in der kirchlichen Gemeinschaft habt. Dient weiter mit einem Herzen voll Freude der Kirche in diesem Land, in Hochherzigkeit und Selbstverleugnung. Denkt immer an eure Identität und eure Würde! Alles, was ihr im Dienste an anderen tut, gewinnt eine besondere Bedeutung aufgrund dessen, was ihr seid: Menschen, die alles verlassen haben, um die unaussprechliche Liebe Christi zum einzigen Inhalt ihres Lebens zu machen. 6. Einen besonderen Gruß richte ich auch an die Seminaristen von Bangladesch. Möget ihr in der Tiefe eurer Herzen das Anziehende und die Macht des Rufes Christi erfahren: „Willst du vollkommen sein . . . komm, und folge mir nach“ (Mt 19,21). Bereitet euch sorgfältig auf die priesterlichen Aufgaben vor, die auf euch warten. Und wißt, daß der Papst euch liebt und für euch betet. 808 REISEN 7. Liebe Laien von Bangladesch: Ihr werdet nicht überrascht sein, daß der erste Gedanke des Papstes für euch ein Gedanke der Solidarität mit euch in der Liebe unseres Herrn Jesus Christus ist. Für mich ist es eine Freude, die Begeisterung zu erleben, mit der ihr in Glaube und Liebe wachsen möchtet, um noch besser eure Aufgaben in Kirche und Welt zu erfüllen. Ihr seid eine „kleine Herde“, und viele von euch sind arm. Ihr ringt mit den natürlichen Begrenzungen und von Menschen gemachten Existenzschwierigkeiten in diesem Land. Ihr wißt aber auch, daß der Herr euch trotz dieser Verhältnisse zu einem Leben in Heiligkeit und Frieden aufruft. Heiligkeit des Lebens bedeutet, Gott den ersten Platz in eurem Denken und Tun einräumen; seinen Willen in eurem Familienleben achten und in eurem Verhältnis zu anderen ehrenhaft und gerecht sein. Heiligkeit bedeutet, sich Zeit zum Beten nehmen; es bedeutet, den Nächsten lieben, denen verzeihen, die euch beleidigen, und geduldig sein in den Widerwärtigkeiten des Lebens. Es bedeutet Wachstum in der Kenntnis des Glaubens, in Frömmigkeit und Gehorsam gegen den ewigen Vater. Frieden aber meint, daß ihr in Brüderlichkeit mit allen lebt, daß ihr versucht, einer des anderen Last zu tragen, und mitarbeitet beim Fortschritt und bei der Entwicklung, daß ihr bestrebt seid, Harmonie und gegenseitige Achtung unter allen Gliedern der Nation zu fördern. Liebe Brüder und Schwestern in Christus: Ich ermahne euch dringend, fest zu stehen in der Hoffnung, zu der ihr berufen seid. Denkt daran, daß die ganze Kirche in Liebe auf euch schaut und euch stützt in der Einheit der Herzen und im Gebet. 8. Jugendliche von Bangladesch! Mehr als andere seid ihr berufen, die Welt, in der ihr lebt, zu gestalten. Die Zukunft gehört euch. Und doch fühlt ihr euch oft frustriert oder enttäuscht. Ihr sehnt euch nach einer besseren Welt, und doch hat die uralte Selbstsucht weiter das Übergewicht. Manchmal wißt ihr nicht, wo ihr anfangen sollt, um die Dinge zum Besseren zu wandeln. Doch wenn ihr mutlos werden solltet angesichts der ungeheueren Aufgaben, die vor euch liegen, so würdet ihr euch selbst und eure Generation dazu verurteilen, eben jene Dinge zu verewigen, die verbessert werden müssen. Ich möchte euch an den jungen Mann im Evangelium erinnern, der viel guten Willen hatte, zu Jesus kam und fragte: „Guter Meister, was muß ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ (Mk 10,17). „Guter Meister!“ Auch ihr braucht gute Meister und Lehrer, die euch zum Guten hinführen 809 REISEN auf den Wegen der Wahrheit, des Lebens und der Liebe, weit weg von jeder Form des Betrugs, von Haß oder Gewalttat: Lehrer, die euch zu Gott führen. Und Jesus antwortete dem jungen Mann: „Niemand ist gut außer Gott, dem Einen“ (FT 8). Denn, wie ich zu diesem Abschnitt zum Internationalen Jahr der Jugend schrieb: „Ohne Bezug auf Gott bleibt die ganze Welt der geschaffenen Werte wie in einem absoluten Vakuum hängen. Sie verliert zugleich ihre Transparenz und Ausdrucksfähigkeit. Böses wird als etwas Gutes gefördert, das Gute selber aber verworfen. Zeigt uns das alles nicht die Erfahrung unserer heutigen Zeit...?“ {Apostolischer Brief an die Jugend der Welt, Nr. 4). Der Schlußteil dieser Begebenheit aus dem Evangelium zeigt, wieviel von eurer Bereitschaft abhängt, euren Teil zu tun. Der junge Mann ging betrübt fort. Er hatte nicht den Mut, sich für die Aufgaben Christi einzusetzen. Ihr dagegen müßt bereit sein, dem Wohlergehen eurer Brüder und Schwestern in diesem Land zu dienen, indem ihr voll eure jugendlichen Kräfte einsetzt. So bringt ihr die Echtheit eures Glaubens zum Ausdruck und stellt euch zugleich ein edles Ziel für eure Bestrebungen. Bei der gewaltigen Aufgabe, gerechte Lösungen für die Leiden und Nöte eurer Mitbürger zu finden, sollten die Jugendlichen aller Glaubensüberzeugungen füreinander offen sein im Geist der Zusammenarbeit und gegenseitiger Achtung. Jugendliche von Bangladesch, übernehmt eure Aufgabe für die Entwicklung eures Landes. Bereitet euch umsichtig vor auf die großen Herausforderungen, die euch aufrufen, euer Bestes herzugeben für den Dienst an eurem Volk und eurem Heimatland. 9. Verehrte Repräsentanten aller religiösen Überzeugungen, Männer und Frauen von Bangladesch! Meine Botschaft gilt der erhabenen Würde jedes menschlichen Wesens in Gottes Plan für die Menschheitsfamilie. Die Überzeugung wächst, daß dringend etwas geschehen .muß, um den Frieden und die Entwicklung sicherzustellen als Vorbedingungen einer besseren Zukunft für das gesamte Menschengeschlecht. Wir sind uns schmerzlich bewußt, daß die gottgegebene Würde des Menschen, ja sogar das Überleben selbst schwer gefährdet sind. Die politischen und ideologischen Spannungen zwischen Ost und West, aber auch die wirtschaftlichen Spannungen zwischen Nord und Süd, dazu die vielfachen Formen von Gewaltanwendung, Ungerechtigkeit und Ungleichheit sind eine ständige und wachsende Herausforderung für Rechte und Würde des Menschen. Es ist mein ständiges Gebet, daß die Übereinstimmung der Geister, wie sie kürzlich bei dem Gebetstag in Assisi zum Ausdruck kam - wo die 810 REISEN Führung der Kirchen und christlichen Gemeinschaften und der anderen Religionen der Welt zusammengekommen sind, um von Gott das Geschenk des Friedens zu erflehen von Tag zu Tag wachsen wird, bis alle Einzelwesen und Völker in Liebe versöhnt sind. Wir, die wir glauben an die Allmacht des allerhöchsten Gottes, müssen überzeugt sein, daß mit seiner Hilfe Friede und Versöhnung möglich sind. Es ist ja sein Wille, daß wir bei diesem Werk Zusammenarbeiten. 10. Mit besonderer Hochachtung grüße ich die Kranken und Armen, jene, die hier anwesend sind, und jene, die nicht kommen konnten. In euch sehe ich das Antlitz der leidenden Menschheit. Ich denke an jene vielen Menschen, alt und jung in jedem Land, deren Leben von Schmerz und Not gekennzeichnet ist. In euch sehe ich das Antlitz des leidenden Christus, des „Mannes der Schmerzen“, der dem Vater sein Leiden und seinen Tod aufopfert als „Kelch des Heiles“. Oft habt ihr durch eure Schmerzen gelernt, menschlicher und empfindsamer für die Bedürfnisse der anderen zu werden. Auf diese Weise seid ihr an Würde gewachsen. Daher konnte Jesus sagen: „Selig seid ihr Armen, denn für euch ist das Himmelreich. Selig seid ihr Hungernden, denn ihr werdet gesättigt werden“ (Lk 6,20 f.). Das meint freilich nicht, ihr solltet nicht eine echte Befreiung von den Schmerzen des Lebens anstreben; auch nicht, die Gesellschaft dürfe ihre sehr klaren Verpflichtungen euch gegenüber vergessen. Vielmehr meint es, daß ihr nicht allein für eure Bedürfnisse sorgt; in ihnen spricht nämlich die Stimme Gottes selbst, die der Welt sagt, daß sie einmal gerichtet wird nach dem Maß, wie sie diese Nöte beseitigt hat -durch Gerechtigkeit, Mitleid und Liebe, die sie euch beweist. Ich bete, daß ihr tatsächlich die wirksame Solidarität erfahrt, die ihr braucht. Vor allem hoffe ich, daß die Bürger dieses Landes keine Ruhe geben, bis die Werte der Gerechtigkeit, des Mitleids und der Liebe das Übergewicht bekommen. Möge der allerhöchste Gott euch allen helfen und euch stark machen. 11. Liebe Freunde! Mein kurzer Aufenthalt bei euch geht zu Ende. Ich möchte daher erneut meine Dankbarkeit gegenüber der Regierung und der Kirche in Bangladesch aussprechen für alles, was geschehen ist, um diesen Besuch möglich zu machen. Es war mein Wunsch, euer Land näher kennenzulernen. Ich nehme die Erinnerung an ein Volk mit, das seinen Schöpfer zu ehren sucht und eine bessere Zukunft anstrebt für sich selbst und seine Kinder. Bleibt alle einig im Wirken für dieses Ziel. Möge der allmächtige Gott einen jeden von euch segnen! 811 REISEN Brüderlichkeit, Freiheit, Eintracht und Gerechtigkeit in der Gemeinschaft Predigt bei der Messe mit Priesterweihe im Stadion Ershad in Dakka am 19. November „Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!“ (Ps 8,2) Lieber Erzbischof Michael Rozario und ihr anderen Bischöfe von Bangladesch! Liebe Brüder und Schwestern! 1. Über die ganze Erde hin, in jedem Land, bei jedem Volk ist der Name des höchsten Gottes bekannt, überall wird er angebetet - nicht minder in Bangladesch. In diesem Land, in dem wir zur Feier der Eucharistie versammelt sind, verkündet der Mensch - nach den Worten des Psalmes -zusammen mit den Geschöpfen, die Gott ihm zu Füßen gelegt hat, „Schafe, Ziegen und Rinder und auch die wilden Tiere, die Vögel des Himmels und die Fische im Meer, alles, was auf den Pfaden der Meere dahinzieht“ (Ps 8,8 f.), alle verkünden die Ehre des einen Gottes und preisen seinen heiligen Namen. Brüder und Schwestern von Bangladesch, Menschen verschiedener Rassen, Sprachen und Religionen, wir wollen uns als Glieder der gleichen Menschheitsfamilie in der Anbetung des barmherzigen Gottes vereinen: Wie groß ist dein Name, Gott, auf der ganzen Erde! Meine Brüder im Bischofsamt, liebe Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und Laien von Bangladesch: ich danke dem Vater unseres Herrn, Jesus Christus, der es mir möglich gemacht hat, diese hl. Messe in eurer Mitte, in eurem Land zu feiern. Ihr seid eine „kleine Herde“, aber ihr seid dem Herzen des Nachfolgers Petri sehr nahe. Sehr geschätzte Männer und Frauen von Bangladesch, Vertreter der Regierung und des öffentlichen Lebens, religiöse Führer und Vertreter aus der Welt der Kultur und der Kunst: ich danke Ihnen für Ihre Anwesenheit und den herzlichen Willkommensgruß, den Sie mir entboten haben. Ich spreche zu Ihnen als Bruder, als einer, der zutiefst um das Schicksal der Menschheit besorgt ist, als Pilger des Friedens, als einer, der dem Willen Gottes entsprechend die Gerechtigkeit sucht. 812 REISEN 2. Wer ist es, der Gott Lob und Ehre gibt? Es ist der Mensch, der seinen Schöpfer dankbar anerkennt und ihn anbetet. Gerade darum wurde ihm alles unterstellt. Wie der Psalm sagt: „Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt“ (Ps 8,6 f.). Diesen Gedanken erläuternd lehrt das Zweite Vatikanische Konzil: „Der nach Gottes Bild geschaffene Mensch hat ja den Auftrag erhalten, sich die Erde mit allem, was zu ihr gehört, zu unterwerfen, die Welt in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu regieren und durch die Anerkennung Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die Gesamtheit der Wirklichkeit auf Gott hinzuordnen, so daß alles dem Menschen unterworfen und Gottes Name wunderbar sei auf der ganzen Erde“ (GS 34). Es ist daher die Aufgabe des Menschen auf dieser Welt, das „Leben humaner zu gestalten und die ganze Erde diesem Ziel dienstbar zu machen“ (GS 38). In diesem Sinn ist der Mensch Herr über alle materielle Wirklichkeit. Er ist in der Tat der „Priester“ des Weltalls, der die Pflicht hat, im Namen aller Geschöpfe die anbetungswürdige Größe des Allmächtigen zu verkünden und das ganze Universum dem Schöpfer als wohlgefällige Opfergabe zurückzugeben. In dieser universalen religiösen Perspektive ist die große und unveräußerliche Würde des Menschen unmittelbar erkennbar. Wo diese Würde durch Armut, Hunger und Krankheit, durch Mangel an geeigneten Lebensbedingungen, an Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten beeinträchtigt ist, muß das Gewissen der Welt wachgerüttelt werden für die Pflicht, Gottes Bild im Menschen zu verteidigen. Auch in Bangladesch haben jene, die in der Berufswelt und allgemein leitende und verantwortliche Stellen innehaben, ein ausgedehntes Betätigungsfeld für den Dienst an ihren Mitbürgern, um eine gerechte Gesellschaft aufzubauen und in den dringenden Notständen, von denen so viele Menschen betroffen sind, Abhilfe zu schaffen. Von echten menschlichen, ethischen und religiösen Werten angeregt und geleitet, können sie dem Auftrag, für Entwicklung und Fortschritt zu arbeiten, neue Orientierung und neuen Antrieb verleihen. <95> <95> In dem umfassenden Rahmen der Pflicht des Menschen, seinen Mitmenschen zu dienen und Gott die Ehre zu geben, kommt dieser Zeremonie der Priesterweihe besondere Bedeutung zu. Achtzehn Söhnen dieses Landes wird Anteil am Priestertum des Dienstes Jesu Christi, des Propheten, Priesters und Königs des neuen und ewigen Bundes, verliehen. Durch 813 REISEN die Salbung mit dem Heiligen Geist werden sie für den Aufbau des Gottesvolkes in einem besonderen Amt, einem Dienst der Liebe bereitgestellt. Vor allem werden diese jungen Männer, unsere Brüder, ermächtigt, in der Person Christi zu handeln, wenn sie das eucharistische Opfer im Namen des ganzen Volkes darbringen (vgl. LG 10). Seid ihr, liebe Weihekandidaten, euch der Würde und Verantwortung, die ihr haben werdet, bewußt? Ihr habt euch viele Jahre hindurch auf diesen Augenblick der Gnade vorbereitet. Verpflichtet euch mit ganzem Herzen im Vertrauen auf Christus und den liebevollen Schutz Mariens zu dieser Aufgabe, die nun auf eure Schultern gelegt wird. 4. Das Amtspriestertum wird jenen verliehen, die eine besondere Gnade von Gott erhalten haben. Es ist eine besondere Berufung, und es bedarf dazu eines persönlichen Anrufs: „Keiner nimmt sich eigenmächtig diese Würde, sondern er wird von Gott berufen“ (Hebr 5,4). Die Berufung des Jeremia, von der die erste Lesung erzählt, ist ein Urbild und Vorbild für jede besondere Berufung: „Noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, . . . dich bestimmt, . . . ich bin mit dir“ (Jer 1,5.8). Jedem Priester, jedem Ordensmann und jeder Ordensfrau ist dieser persönliche Anruf von seiten Gottes als innere Erfahrung bewußt geworden, eine Erkenntnis, die aus der Anregung der Gnade kommt und die stetig zunimmt bis zu der Gewißheit, mit der der hl. Paulus sagt: „Ich weiß, wem ich Glauben geschenkt habe, und ich bin überzeugt“ (2 Tim 1,12). Es ist jene Gewißheit, von Christus, dem Hirten unserer Seelen, persönlich und einzigartig geliebt zu sein. Die Lesung aus dem Evangelium erinnert an die Worte Jesu beim Letzten Abendmahl: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!“ (Joh 15,9). Alle Jünger Christi hören diese Worte in ihrem Herzen. Aber mit dramatischer Wirkung werden sie von denen vernommen, die einen besonderen Anteil am Dienstamt der Apostel empfangen, denn zu ihnen sagt Jesus auf eine besondere Weise: „Ihr seid meine Freunde . . . Ich nenne euch nicht mehr Knechte . . . Ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt“ (Joh 15,14-16). Um im priesterlichen Dienst durchzuhalten und Frucht zu bringen, ist es wichtig, daß wir nie den Kontakt mit dem verlieren, der diese Worte gesprochen hat. Was erwartet Christus von euch, seinen Freunden? Er erwartet eure Liebe! „Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe“ 814 REISEN (Joh 15,12). Und dann zeigt er, wie weit diese Liebe gehen sollte: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (V. 13). Jesus selbst gab das vollkommene Beispiel dieser Liebe, und jedesmal, wenn ihr die Eucharistie feiert, werdet ihr an sein Erlösungsopfer erinnert und es erneuern zur Ehre des Vaters und zum Heil der Welt. Euer Dienst an der Gemeinschaft wird vielfältige Formen annehmen, und alle müssen Ausdruck dieser Liebe sein. Wenn ihr das Wort des Lebens predigt und die Geheimnisse des Glaubens feiert, wenn ihr landauf und landab reist, um eure Brüder und Schwestern aufzusuchen, die in Not sind, wenn ihr die Seelen heilt, die Jugend erzieht und ermutigt oder dazu beitragt, die Entwicklung und den Frieden in Gerechtigkeit und Mitempfinden für alle zu festigen: laßt stets die Liebe euch Ansporn und Kraft sein. Dann werdet ihr „Frucht bringen, die bleibt“, die das göttliche Leben der Seele und die Lebenskraft der Gemeinschaft des Gottesvolkes nährt, den „Leib Christi“, auf den sich die zweite Lesung bezieht. Die Aufforderung des hl. Paulus in dieser Lesung, „ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging, . . . demütig, friedfertig, geduldig“, einander in Liebe ertragend (Eph 4,1 f.), zielt hin auf „den Aufbau des Leibes Christi. So sollen wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen“ (V. 12 f.). Mit anderen Worten, das Leben der Kirche in Bangladesch ist zuinnerst an die Kraft eurer Liebe zu Christus gebunden. 5. Die Worte des hl. Paulus finden ihr Echo in dem Thema, das für diesen meinen Besuch gewählt wurde: Gemeinschaft und Brüderlichkeit. Gäbe es ein besseres Programm für den priesterlichen Dienst dieser neugeweihten Priester und für die ganze Kirche in Bangladesch als den Entschluß, das Band zu stärken, das die Jünger Christi verbindet: „Ein Leib und ein Geist, . . . ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“ (Eph 4,4-6) und gleichzeitig das Band der Brüderlichkeit, der Freiheit, der Eintracht und der Gerechtigkeit in der Gemeinschaft der ganzen Nation zu festigen? 6. Ihr müßt versuchen, euren muslimischen Brüdern und den Anhängern der anderen religiösen Traditionen zu zeigen, daß euer christlicher Glaube, weit entfernt davon, dem Stolz auf euer Heimatland und eurer Liebe zu ihm Abbruch zu tun, euch vielmehr hilft, das kulturelle Erbe von Bangladesch hochzuschätzen und hochzuhalten. Er treibt euch dazu an, den Herausforderungen unserer Zeit mit Liebe und Verantwortungsbe- 815 REISEN wußtsein ins Gesicht zu sehen. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte ich die Freude, das Wort an eine große Versammlung muslimischer Jugend in Casablanca, Marokko, zu richten. Ich sprach zu ihnen, wie ich jetzt zur Jugend von Bangladesch spreche, von den vielen Dingen, die Christen und Muslime als Menschen und als Gläubige gemeinsam haben. Ich betonte, daß „der Dialog zwischen Christen und Muslimen heute mehr denn je notwendig ist“ {Ansprache in Casablanca am 19. August 1985, Nr. 4: O.R.dt., 4. 10. 1985). Die katholische Kirche ist einem Weg des Dialogs und der Zusammenarbeit mit den Männern und Frauen guten Willens in jeder religiösen Tradition verpflichtet. Wir haben viele geistliche Schätze gemeinsam, die wir miteinander teilen müssen, wenn wir für eine menschlichere Welt arbeiten. Gerade junge Menschen verstehen es, offen miteinander zu sein, und sie wünschen sich eine Welt, in der die grundlegenden Freiheiten, einschließlich der religiösen Freiheit, respektiert werden. Manchmal stehen sich Christen und Muslime aufgrund früherer Mißverständnisse und Konflikte mit Angst und Mißtrauen gegenüber. Das gilt auch für Bangladesch. Alle, und besonders die jungen Menschen, müssen lernen, stets die religiöse Überzeugung anderer zu achten und die Freiheit der Religion, ein Recht jedes Menschen, zu verteidigen. 7. Heute werden in diesem Land die Worte Christi wiederholt: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt“ {Joh 15,9). Er spricht diese Worte zu euch jungen Männern, die ihr zum Priestertum auserwählt seid, zu allen, die ihr die Kirche in Bangladesch seid! Er spricht sie zu jedem, der in diesem Land lebt! Und er fährt fort: „Bleibt in meiner Liebe!“ Das ist auch der innige Wunsch und das Gebet des Nachfolgers Petri, der euch besucht. Bleibt in der Liebe Christi! Haltet seine Gebote, so wie Christus die Gebote seines Vaters gehalten hat und in seiner Liebe bleibt. Liebe Brüder und Schwestern: Bleibt in der Liebe des Vaters! In der Liebe Gottes! „Damit eure Freude vollkommen wird!“ Amen. 816 REISEN Eine kleine Herde mit großen Aufgaben Ansprache bei der Begegnung mit den Bischöfen von Bangladesch in Dakka am 19. November Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Ich danke Gott, dem Vater unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus, für diese Gelegenheit, die kirchliche Gemeinschaft und Brüderlichkeit zu erneuern, die wir während eures „Ad-limina“-Besuches im vergangenen Jahr miteinander erlebt haben. Ihr kamt zum Stuhl Petri, um euren apostolischen Glauben zu bekunden. Nun kommt der Nachfolger Petri mit unermeßlicher Freude in euer Land, um euch zu festigen und zu bestärken in eurem Dienst am Evangelium, das „eine Kraft Gottes ist, die jeden rettet, der glaubt“ (Röm 1,16). Diese Begegnung ist daher eine geistliche Fortsetzung eures „Ad-limina“-Besuches. Damals sprach ich von dem großen Geheimnis der Kirche, der Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, die dazu berufen ist, in jeder Zeit und allen Völkern das Heilswerk des gekreuzigten und von den Toten auferstandenen Christus zu verkündigen (vgl. LG 8). Wir haben miteinander nachgedacht über die Einheit des Glaubens und der Disziplin der Kirche, die vor allem dem Lehr- und Hirtenamt des Bischofs anvertraut ist, der seinerseits das sichtbare Prinzip und Fundament der Einheit in seiner Teilkirche ist (vgl. LG 23). Wir erkannten die Wichtigkeit des gemeinsamen Handelns der Bischöfe und der ganzen Gemeinschaft im Dienst der Armen und Leidenden, die immer unter uns sind, um Zeugnis zu geben vom leidenden Christus. Wir sprachen vom Wunsch der Kirche, den Dialog mit den Nichtchristen zu fördern, insbesondere mit unseren muslimischen Brüdern, die bei weitem die Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes ausmachen. <96> <96> Meine Anwesenheit unter euch heute ist als Zeichen und Bekräftigung dafür zu verstehen, daß ihr zu der universalen Gemeinschaft der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche gehört, „die der Herr in den Aposteln gegründet und auf den heiligen Petrus, ihren Vorsteher, gebaut hat, wobei Christus Jesus selbst der Eckstein ist“ {LG 19). Die ganze Kirche ist mit euch, und ihr seid mit der Kirche und in der Kirche. Dieses Band der Gnade und göttlichen Liebe ist offenkundig in der Verbundenheit des Gebets und der praktischen Solidarität, durch die ein Teil der Kirche den anderen zu dienen trachtet. Der Reichtum bei einem 817 REISEN Teil des Gottesvolkes schließt die Verantwortung ein, den Bedürfnissen eines anderen Teiles entgegenzukommen. Ich habe euch pusillus grex, eine kleine Herde, genannt* denn das seid ihr. Doch kein Teil der Kirche darf sich von der großen Familie derjenigen, die von Christus erlöst wurden, isoliert oder vergessen fühlen. Ich möchte euch versichern, daß eure Hoffnungen und Bestrebungen, eure Lasten und Sorgen in meinem eigenen Herzen besonderen Widerhall finden. In meinem Gebet bringe ich euch ständig als geistliches Opfer Gott dar, und ich weiß, daß er euch beistehen und Wachstum verleihen wird. 3. Die Kirche ist seit über 400 Jahren in dieser Region anwesend, und in diesem Jahr feiert ihr voll Freude das 100jährige Bestehen der Diözese -jetzt Erzdiözese - Dakka. Vor diesem Hintergrund und vom Gebet gestützt, bereit für das, was die „Zeichen der Zeit“ in bezug auf das Leben der katholischen Gemeinde in Bangladesch für den gegenwärtigen Augenblick zu sagen haben, habt ihr selbst und eure Gemeinden euch verpflichtet, die Ziele des „Pastoralplanes für die Kirche in Bangladesch“ zu erreichen. Ich möchte euch auf diesem Weg ermutigen. Vor allen Dingen ermuntere ich euch, in Einheit zu arbeiten, so daß in der Kirche in Bangladesch alle zusammen zu einer erneuerten und bewußteren Teilnahme am Apostolat der Kirche gelangen. Wie ihr selbst schriebt, befindet ihr euch in der Tat „an der Schwelle eines neuen Advents, eines neuen Augenblicks dieser Gnade und Sendung des Dienstes“. 4. Der Endzweck dieser kirchlichen Bemühung ist kein anderer als das Reich Gottes: „Euch aber muß es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen“ {Mt 6,33). Das ist der Inhalt der Erlösungssendung Jesu, die die Kirche durch die Zeiten fortführt. Das ist die wesentliche Botschaft der Kirche in unserer Zeit. Der Heilige Geist schenkt der christlichen Gemeinde ständig neues Leben und Kraft für die Aufgabe, den Armen die Frohe Botschaft, den Gefangenen die Entlassung und ein Gnadenjahr des Herrn zu verkünden (vgl. Lk 4,18f.). Der neue Advent, der neue Augenblick der Gnade und Sendung, von dem ihr geschrieben habt, besteht in der hochherzigen individuellen und gemeinsamen Antwort der Hirten und der Gläubigen auf diese „gute Nachricht“, sowohl innerhalb des Leibes der Kirche als auch außerhalb, gegenüber der gesamten Gemeinschaft der Nation. Die Kirchen, denen ihr in Liebe vorsteht, werden zweifellos in dem Maß Lebenskraft und Fruchtbarkeit erfahren, in dem sie für diese evangelische Herausforderung offen sind. 818 REISEN Ihr seid mit einer Sendung betraut, die weit über ein bloß materielles Unternehmen hinausgeht, ja selbst über eure menschliche Fähigkeit, ihr zu entsprechen, und deshalb setzt ihr euer Vertrauen auf Christus. Ihr schöpft Mut aus dem Gedanken, daß die von euch verkündete Botschaft dem Charakter und den Bedürfnissen eures Volkes keineswegs fremd ist. Ihr verkündet Gerechtigkeit, Frieden und Freude im Heiligen Geist (vgl. Rom 14,17). Das sind Werte, die die Christen in ihrem Leben und Tun verkörpern sollen, als Zeugnis, damit die Welt glaubt (vgl. Joh 17,21). Das sind Werte, die für alle Menschen zu allen Zeiten Gültigkeit haben. Es sind menschliche Bestrebungen, über die die Anhänger verschiedener religiöser Traditionen und Männer und Frauen guten Willens in Dialog und Zusammenarbeit miteinander treten können und sollten. Es sind Werte, deren die heutige Welt dringend bedarf. 5. Als Bischöfe seid ihr euch bewußt, wie wichtig es ist, daß alle Mitglieder der Kirche in die Verwirklichung des Pastoralplanes einbezogen werden. Ihr habt jeden ersucht, an der Verantwortung teilzunehmen. Eure einheimischen Priester sowie die Missionspriester aus anderen Ländern sind eure engsten Mitarbeiter. Sie sollten die ersten Nutznießer eurer pastoralen Sorge und brüderlichen Liebe sein. Sie predigen das Wort Gottes und unterweisen die Gläubigen in den Glaubenswahrheiten. Sie führen sie hin zur Praxis christlichen Lebens und zeigen ihnen die Forderungen der Gerechtigkeit. Sie ermutigen die Familien, ihrer christlichen Berufung im Dienst der Liebe und des Lebens zu entsprechen. Sie wachen über das Wohlergehen der Kinder und die christliche Erziehung der Jugend. Sie gehen auf die Suche nach dem Schaf, das sich verirrt hat, und bringen denen die evangelische Botschaft, die noch nichts von ihr gehört haben. Sie sind oft genötigt, ihren Dienst in materiell und geistlich schwierigen Situationen auszuüben. Für einen jeden von ihnen seid ihr Lehrer, Vater, Bruder und Freund. Es ist eure heilige Pflicht, sie zu achten und zu unterstützen, für sie zu beten und euch um ihr geistliches Wachstum zu kümmern: ihr müßt ihnen immer gern, mit Freundlichkeit und evangelischer Liebe zur Verfügung stehen. Die christlichen Gemeinden in Bangladesch sind klein, mitten in einer ausgedehnten nichtchristlichen Bevölkerung. Die Priester sind oft isoliert, und ihre Tätigkeiten sind vielfältig und verschiedenartig. Es ist deshalb besonders wichtig, Wege ausfindig zu machen, um ein tiefes Gemeinschaftsbewußtsein unter Priestern — sowohl Diözesan- wie Ordenspriestern - zu fördern, so daß sie wirklich und persönlich am Gesamtleben der Diözese teilnehmen. Wenn sie das Interesse am theologischen Studium 819 REISEN und an pastoraler Fortbildung weiterpflegen, werden sie den neuen Herausforderungen, die ihr Apostolat dauernd mit sich bringt, leichter begegnen. Bei alldem sind Wort und Zeugnis des Bischofs von größter Bedeutung für das Wohl seiner Priesterschaft als ganzer wie auch jedes einzelnen Priesters. 6. Der Bischof muß sich um das Wohl der Ordensmänner und -frauen kümmern, die mit ihm im Dienst am Volk Gottes Zusammenarbeiten. Durch Gesundheitsfürsorge, karitative und erzieherische Tätigkeiten, die von den Ordensgemeinschaften in eurem Land ausgeführt werden, ist die Kirche in einer auch für Nichtchristen sichtbaren und hilfreichen Weise präsent. Eure Teilkirchen werden von den Ordensleuten gefestigt und aufgebaut, die durch die treue Beobachtung ihrer Gelübde den Vorrang der Liebe Jesu bezeugen. Das Ordensleben ist in der Tat eine „göttliche Gabe“ an die Kirche (vgl. LG 43). Der Bischof muß daher Berufe fördern und ermutigen und durch häufige Besuche der Kommunitäten und Respektierung ihrer besonderen Gnadengaben ( Charismata) seine Unterstützung beweisen. Eines der positivsten Zeichen für die Lebenskraft der Kirche in eurem Land ist die steigende Zahl von Priester- und Ordensberufen. Damit antwortet der Herr tatsächlich auf eure Not. Er sendet Arbeiter in seine Ernte (vgl. Mt 9,37 f.), um den Mangel an Arbeitern für das Evangelium, den ihr so tief zu spüren bekamt, wieder aufzuholen. Diese Gnade stellt für alle Betroffenen eine Verantwortung dar: eine Verantwortung hinsichtlich der angemessenen Auswahl und Ausbildung der Kandidaten. Es kann nie zuviel Zeit und Anstrengung aufgewandt werden, um sie für die vor ihnen liegenden kirchlichen Aufgaben entsprechend vorzubereiten. Ich ermuntere euch, dies zu einer eurer wichtigsten Sorgen zu machen. Ferner gibt es eine Verantwortung im Hinblick auf den Einsatz der Kräfte und Talente von Ordenskommunitäten in einem organisch ausgearbeiteten Pastoralprogramm. 7. Als Bischöfe seid ihr Verkünder der Liebe Gottes zu seinem Volk. In eurem Dienst sucht ihr das Mitleid, das Jesus mit den Massen hatte (vgl. Mt 15,32), zum Ausdruck zu bringen. Während ihr den Weg zur endgültigen Seligkeit im Haus des Vaters zeigt, seid ihr bemüht, die christliche Gemeinde anzuspornen, daß sie den Armen und vom Glück Vernachlässigten in ihren unmittelbaren Lebensbedürfnissen dient, und ihr versucht, die Gläubigen zur Förderung größerer Gerechtigkeit in menschlichen Angelegenheiten anzuleiten. 820 REISEN Die gesamte Kirche „erkennt in den Armen und Leidenden das Bild dessen, der sie gegründet hat und der selbst ein Armer und Leidender war. Sie müht sich, deren Not zu erleichtern, und sucht Christus in ihnen zu dienen“ (LG 8). Die Kirche in Bangladesch fühlt sich in außergewöhnlicher Weise zu solchem Dienst aufgerufen. Sie lebt im dauernden Bewußtsein der Not der Nation. Sie selber ist eine Gemeinschaft von „Kleinen“. In eurem Pastoralplan habt ihr auf den Dienst an den Armen — in allen Formen, die materielle und geistige Armut annimmt - als Priorität im Dienst der Kirche hingewiesen. Auf diesem Gebiet können keine dauerhaften Ergebnisse erzielt werden ohne „das eifrige Bemühen sachkundiger Laien“ (AA 1). Damit werdet ihr versuchen, „das unverkennbare Wirken des Heiügen Geistes“ zu fördern, „der den Laien heute mehr und mehr das Bewußtsein der ihnen eigentümlichen Verantwortung schenkt und sie allenthalben zum Dienst für Christus und seine Kirche auf ruft“ (AA 1). 8. Alles, was für die geistliche und berufliche Ausbildung von Laien, Männern und Frauen, getan wird, die für die Erneuerung der zeitlichen Ordnung zu arbeiten bereit sind, stellt einen großen Dienst an der Nation und der Kirche dar. Katholische Erziehung, Programme der Fachausbildung für Laien, Schulung für Leitungsaufgaben innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft und in der Gesellschaft im allgemeinen sind ein echter Beitrag für die Entwicklung der Nation. Durch Zusammenarbeit mit ihren Mitbürgern versuchen die Mitglieder der Kirche, Gesellschaft aufzubauen auf den Grundlagen der Würde und der unveräußerlichen Rechte jeder menschlichen Person, auf Gerechtigkeit und auf einer echten Solidarität unter einzelnen und Gruppen. Sie tun das aufgrund persönlicher Überzeugung und ihres Verantwortungsbewußtseins, inspiriert vom Evangelium und vom Gebot Christi, seinen Nächsten zu lieben und ihm zu dienen (vgl. Mt 22,37-39). Ihr seid euch sehr wohl der wichtigen Rolle junger Leute beim Aufbau der Zukunft der Kirche und der Gesellschaft bewußt. Sie sind in vielfacher Weise das besondere Ziel eurer Hirtensorge. Neue Ideen und sich verändernde soziale und kulturelle Verhältnisse beeinflussen sie tief. Sie brauchen Verständnis und sichere Führung. Ich ermuntere euch und die Priester und Ordensleute aufrichtig, ihnen nahezusein, ihnen zu helfen, daß sie die Wahrheit finden und heiligmäßig leben. 9. Schließlich möchte ich noch zwei Gedanken mit euch teilen, die eure Hirtensorge für das Volk Gottes betreffen. Zunächst: Die Lebenskraft 821 REISEN und christliche Hoffnung eurer Gemeinden hängt von einer wirklichen Pflege des Gebetes ab. Die Kirche in Bangladesch muß eine betende Kirche sein. Im Gebet des Herrn können wir alle unsere tiefsten Bestrebungen und die Gewißheit der liebenden Antwort Gottes erkennen. Den Vater preisen, seinen Willen anerkennen, seine Gaben und Segnungen erflehen: das sind die tiefen Wirklichkeiten unseres Lebens, die wir voll Hoffnung betend zum Ausdruck bringen. Als Bischöfe seid ihr aufgerufen, ein Beispiel geistlicher Reife zu geben. Ihr fordert eure Priester und alle eure Mitarbeiter auf und ermutigt sie zu beten. Ihr lehrt die Gläubigen, als einzelne und als Gemeinschaft, die sich zur Feier der Glaubensgeheimnisse versammelt, dasselbe zu tun. In einer solchen betenden Gemeinschaft wird der Heilige Geist gewiß seine Gaben des Lichts, der Kraft und des Mutes für die gegenwärtigen Aufgaben und die Herausforderungen der Zukunft ausgießen. 10. Die andere Überlegung, die ich euch mitteilen will, betrifft die wunderbare und inspirierende Wahrheit von der Katholizität und dem universalen Charakter der Kirche Christi. Die über die ganze Welt verstreute Kirche ist der eine sichtbare Leib Christi. Alle Teilkirchen sind miteinander und mit dem Stuhl Petri verbunden. In der „Gemeinschaft der Heiligen“ haben wir überdies gegenseitig am Gnadenreichtum jenseits der Grenzen von Zeit und Raum teil. Durch die Katechese und die Verkündigung des Wortes kann dieser Gedanke in die geistige und kirchliche Ausrichtung eures ganzen Volkes eindringen. Sie werden sich dann wirklicher als ein Teil des großen Geheimnisses der Kirche fühlen. Sie werden gestärkt und ermutigt. Sie werden lokale Gegebenheiten im Licht der universalen Berufung zu Heiligkeit und Rettung sehen. 11. Meine lieben Brüder im Bischofsamt! Ich empfehle euch und euer Volk der liebevollen Fürsprache Mariens, Mutter Gottes und Mutter der Kirche. Möge sie, die das Wirken der heilbringenden Vorsehung Gottes in ihrem Herzen erwog und bewahrte (vgl. Lk 2,19), euch helfen, die „Zeichen“ der Gnade Gottes für euer Volk zu lesen. Möge sie euch helfen, euer Volk mit der Eucharistie und dem Wort Gottes zu nähren, und es zum ewigen Leben führen. In der Gemeinschaft des apostolischen Dienstes versichere ich euch meines brüderlichen Beistandes und erbitte vom Vater alle guten Gaben für euch, eure Priester, Ordensleute und Laien. „Meine Liebe ist mit euch allen in Christus Jesus“. Amen (7 Kor 16,24). 822 REISEN Frieden schaffen - eine Aufgabe, die nie endet Predigt bei der Eucharistiefeier in Singapur am 20. November „Freut euch allezeit im Herrn, wieder sage ich, freut euch“ (Phil 4,4). Lieber Erzbischof Yong! Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich freue mich wahrhaft im Herrn, daß ich heute die Eucharistiefeier in Singapur halte. Und in der Liebe Christi grüße ich euch, meine geliebten Brüder und Schwestern der katholischen Kirche. Es ist wirklich eine Freude, bei euch zu weilen. Und wir freuen uns auch mit Recht gemeinsam in der heiligen Liturgie, denn wir folgen dabei der Mahnung des hl. Paulus in der zweiten Lesung: „Freut euch mit den Fröhlichen“ (Röm 12,15). Wir haben als in Christus Getaufte das Vorrecht und die Pflicht, der allerheiligsten Dreifaltigkeit Ruhm und Ehre zu erweisen. Das ist der erste Grund, weshalb wir zur Eucharistiefeier Zusammenkommen. Wir bringen voll Freude unseren Dank dem Vater dar, und wir freuen uns über die Gabe des Glaubens, durch die wir Jesus Christus, unseren Herrn, kennen und lieben gelernt haben. Herzliche Grüße entbiete ich auch unseren Brüdern und Schwestern der anderen christlichen Gemeinschaften, mit denen wir die Taufe und die Liebe zu Christus gemeinsam haben. Ich bin dankbar für eure Präsenz. Dann begrüße ich herzlich die Mitglieder anderer Religionen und alle Menschen guten Willens in dieser Republik. Jesus Christus kam in die Welt, um Liebe und Frieden zu bringen. Daher ist es mein Wunsch, in eurer Mitte zu weilen als Diener der Liebe und des Friedens Christi. <97> <97> Ich komme auch als Nachfolger des Petrus und Oberhirte der universalen Kirche zu euch. Daher möchte ich euch in eurem Glauben ermutigen und bestärken und eure Wertschätzung vertiefen für die Bande des Glaubens und der Liebe, die euch mit euren Brüdern und Schwestern in Christus über die ganze Welt hin verbinden. Die Kirche in Singapur, die ich heute besuche, wie auch eure junge und starke Nation, steht in Blüte und ist voll Leben. Ihr zählt über 100 Priester, 300 Ordensmänner und -frauen, zahlreiche aktive und voll engagierte Männer und Frauen aus dem Laienstand - und über 100000 getaufte Mitglieder. Ihr habt ein großes und kleines Seminar, eine große 823 REISEN Zahl von Erziehungsinstituten und Organisationen für soziale Hilfe, ganz abgesehen von euren vielen Pfarreien. Noch bedeutsamer als die vielen Institutionen ist der kirchliche Gemeinschaftsgeist, der euch untereinander und mit den benachbarten Ortskirchen verbindet. Ihr schätzt auch die Notwendigkeit ökumenischer Aufgeschlossenheit und Zusammenarbeit, und ihr sucht freundschaftliche und konstruktive Beziehungen mit euren nichtchristlichen Brüdern und Schwestern aufrechtzuerhalten. Das ist die Kirche in Singapur, in der ich heute voll Freude weilen darf. Und es ist diese Kirche, die ich zu noch größerem geistlichen Wachstum ermutigen möchte. 3. Gestattet mir für einen Augenblick, mit euch über die Geschichte der Kirche in eurem Land nachzudenken. Gehen wir kurz die Abschnitte der Evangelisierung durch, um uns an Gottes Segen in der Vergangenheit zu erinnern, denn das ist eine Quelle der Anregung und Hoffnung für heute und erneut ein Grund zu Lob und Preis. Zwei Jahre nach der Gründung von Singapur durch Sir Stamford Raffles im Jahre 1819 nahm ein katholischer Priester hier Wohnung, und die Kirche verwurzelte sich. Von dieser Zeit an ist sie in eurem Land gewachsen. Die schlichten und bescheidenen Anfänge sind unter der schützenden Hand Gottes ständig größer geworden. Das waren aber keineswegs die ersten Evangelisierungsbemühungen in diesem Gebiet. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam der katholische Glaube zur Halbinsel Malay, während der Zeit der portugiesischen Kolonisation. In der Mitte dieses Jahrhunderts erlebte diese Gegend ein kräftiges und fruchtbares missionarisches Bemühen. Unter denen, die hier das Evangelium gepredigt haben, war der hl. Franz Xaver, der mehrfach Malakka besuchte. Es wurden Kirchen gebaut, Schulen eröffnet und Krankenhäuser errichtet. Später freilich kam die Evangelisierung zum Stillstand, und mit der Kirche ging es bergab. Wie wir schon bemerkt haben, begann das katholische Missionsbemühen in Singapur erneut zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Doch gerade in den letzten Jahrzehnten hat es ein bemerkenswertes Wachstum erfahren. 1888 wurde die Diözese Malakka geschaffen, zu der auch Singapur gehörte. 1955 wurde die Erzdiözese Malakka-Singapur errichtet, und 1972 wurde Singapur eine eigene Erzdiözese. Dies ist die Kirche, in der ich heute voll Freude weilen darf. Und ich möchte euch allen als meinen Brüdern und Schwestern in Christus die Botschaft der Liebe und des Friedens verkünden. 824 REISEN 4. Im heutigen Evangelium bietet uns Christus diese Botschaft der Liebe und des Friedens an: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen“ (Joh 14,23). Weiter sagt er: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch“ (Joh 14,27). Mit diesen Worten zeigt Jesus einmal mehr, daß die Liebe das eigentliche Herzstück seiner Sendung vom Vater ist; Er, der Sohn, kommt und bringt uns die Liebe. Liebe muß dann auch die tiefste Wahrheit über Gott selber sein, „denn Gott ist Liebe“ (Joh 4,16). Die Liebe Gottes ist personifiziert im Heiügen Geist. In meiner Enzyklika über den Heiligen Geist im Leben der Kirche und der Welt habe ich gesagt: „Im heiligen Geist wird das innere Leben des dreieinigen Gottes ganz zur Gabe, zum Austausch gegenseitiger Liebe unter den göttlichen Personen . . . Der Heilige Geist ist der personale Ausdruck dieses gegenseitigen Sich-Schenkens, dieses Seins als Liebe. Er ist die Liebe als Person“ {Dominum et vivificantem, 10). 5. Liebe ist das wahre Wesen der Lehre Christi, denn sie ist das größte Gebot. Leben - das Leben von uns allen - muß sich auf die Liebe gründen. Der heilige Paulus zeigt uns dies auf praktische Weise in den Unterweisungen in der heutigen zweiten Lesung aus dem Brief an die Römer: „Eure Liebe sei ohne Heuchelei“, sagt er. „Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten!“ {Röm 12,9). Echte menschliche Liebe ist ein getreuer Widerschein von Gottes Liebe. Daher ist die Liebe gekennzeichnet von einem tiefen Respekt vor allen Menschen, unabhängig von ihrer Rasse, ihrem Glauben oder was sonst sie von uns unterscheidet. Liebe antwortet hochherzig auf die Nöte der Armen, und sie wird gekennzeichnet durch Mitleid für die Leidenden. Liebe bietet schnell Gastfreundschaft an und hält durch bei Belastungen. Sie ist stets bereit zu verzeihen, zu hoffen und mit Segen auf einen Fluch zu antworten. „Die Liebe hört niemals auf“ (1 Kor 13,8). Das Gebot der Liebe bildet den eigentlichen Mittelpunkt des Evangeliums. 6. Christus, der eingeborene Sohn des Vaters, lehrt uns die Wahrheit über Gott, der Liebe ist. Und diese Lehre des Sohnes wird ständig in der Kirche und in den Menschenherzen erneuert durch den Heiligen Geist, den Beistand, durch den, der wie Jesus verheißen hat, „euch alles lehren 825 REISEN und euch an alles erinnern wird, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26). Diese Verheißung Jesu meint nicht nur, daß in jedem Land und in jedem Zeitalter der Geist „fortfährt, die Ausbreitung der Heilsbotschaft zu fördern, sondern auch hilft, die wahre Bedeutung des Inhaltes der Botschaft Christi zu verstehen . . . Der Heilige Geist soll also bewirken, daß in der Kirche stets dieselbe Wahrheit, wie die Apostel sie von ihrem Meister gehört haben, fortlebt“ (Dominum et vivificantem, 4). Wegen des Heiügen Geistes, des Beistands, ist die Lehre der Kirche eine und dieselbe in der ganzen Welt. Sie ist in Singapur die gleiche wie in Rom, denn der gleiche Heilige Geist wirkt in unserem Geist und unseren Herzen. 7. Gleich nachdem er vom Heiügen Geist gesprochen hat, sagt Jesus zu seinen Jüngern: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch“ (Joh 14,27). Friede ist die Frucht der Liebe. Friede ist die Frucht des Wirkens des Heiligen Geistes. Und dieser Friede wird als Geschenk im Paschamysterium Christi gegeben. Gleichzeitig wird er als Aufgabe geschenkt, und ständig aufgetragen, so daß der Psalm sagt: „Gerechtigkeit und Frieden werden sich küssen“ (Ps 85,11). Er wird Menschen mit verschiedenen Rollen und Verantwortlichkeiten auf getragen, in Familie und Gemeinschaft, in der Gesellschaft und im internationalen Leben. 8. Frieden schaffen ist eine Aufgabe, die nie endet, aber immer weitergeht und ständig bekräftigt und befestigt werden muß. Wir müssen beständig für den Frieden arbeiten. Echter Friede beginnt in Geist und Herz, im Willen und in der Seele der menschlichen Person, denn er entsteht aus der echten Liebe zu anderen. Tatsächlich kann man sagen, Friede sei das Ergebnis der Liebe, wenn sich Menschen also bewußt entscheiden, ihre Beziehungen zu anderen zu verbessern und alles zu tun, um Spaltungen und Mißverständnisse zu überwinden und, wenn möglich, sogar Freunde zu werden. Als Christen wissen wir, das wir andere nur lieben können, weil Gott uns zuerst geliebt hat. Wir finden Anregung und Kraft in den Worten der heutigen ersten Lesung aus dem Propheten Jeremia, wo Gott zu uns spricht: „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt, darum habe ich dir so 826 REISEN lange die Treue bewahrt“ (Jer 31,3). Die immerwährende Liebe Gottes drängt uns zu unserem Bemühen, Frieden zu stiften. Friede erfordert Gerechtigkeit, eine Haltung, die die Würde und Gleichheit aller Männer und Frauen anerkennt, ferner das entschlossene Streben, die grundlegenden Menschenrechte aller zu sichern und zu schützen. Wo keine Gerechtigkeit herrscht, kann auch kein Friede sein. Dieser ist nur möglich, wo eine gerechte Ordnung herrscht, die die Rechte eines jeden sicherstellt. Weltfrieden ist nur möglich, wo die internationale Ordnung gerecht ist. 9. Liebe Brüder und Schwestern in Christus, ich fordere euch auf: baut euer Leben auf der Liebe auf. „Eure Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten . . . Soweit es euch möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden“ (Röm 12,9.18). „Selig sind die Friedensstifter“ (Mt 5,9). Diese Worte unseres Heilandes sind für uns eine Verheißung und eine Aufforderung. In gläubiger Antwort auf sie laßt uns für den Frieden wirken! Nach der Messe werde ich zu den Priestern sprechen, doch jetzt möchte ich gern einige Worte an die Ordensleute richten. Liebe Brüder und Schwestern, euch hat Christus berufen, ihm enger nachzufolgen in Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam: eure Berufung findet ihren Sinn und ihre Aufgabe in der Liebe - in eurer Liebe zu Jesus und in seiner Liebe zu euch. Die Frucht der Liebe ist der innere Friede, „ein Friede, den die Welt nicht geben kann“ (Joh 14,27), ein Friede, der dem Frieden zwischen einzelnen und in der Welt vorangeht und ihn möglich macht. Ist es da verwunderlich, daß einer der größten Friedensherolde in der Weltgeschichte ein Ordensstifter ist, nämlich der hl. Franziskus von Assisi? Möge man auch euch erkennen als gottgeweihte Personen, die von Liebe zu Christus erfüllt sind und inneren Frieden ausstrahlen. Wenn ihr treu nach eurer Berufung lebt, seid ihr befähigt, der Welt Liebe und Frieden zu bringen. Denkt ferner daran, daß das Sakrament der Buße in besonderer Weise den Frieden ins menschliche Herz zurückbringt, denn es ist das Sakrament der Versöhnung, die liturgische Feier von Gottes Erbarmen und Liebe. Ich möchte auch eure Familien daran erinnern, wieviel sie zum Frieden beitragen können. Ihr, Männer und Frauen, seid zusammen mit euren Kindern die Lebenszelle der Gesellschaft und der erste Garant ihrer Festigkeit und ihres Wohls. Ich möchte den Ehepaaren versichern, daß die Kirche sie in ihrem Streben unterstützt, ihr grundlegendes Recht zum Bilden von Familien wahrzu- 827 REISEN nehmen und ihre Kinder aufzuziehen ohne jede Art von Zwang oder Druck. Es ist ein Recht des verheirateten Paares, eine freie, auf Wissen und gemeinsamer Absprache beruhende Entscheidung in Übereinstimmung mit den objektiven moralischen Prinzipien zu fällen, wie sie den Abstand der Geburten und die Größe der Familie bestimmen wollen. Diese Entscheidung sollte gründen auf der Anerkennung ihrer Verantwortung vor Gott, sich selbst, ihren Kindern, ihrer Familie und der Gesellschaft. Im Treffen dieser Entscheidungen sollten die Ehepaare in der Lage sein, auf jene moralisch erlaubten Methoden der Familienplanung zurückzugreifen, die übereinstimmen mit der Würde der Person und dem echten Ausdruck ehelicher Liebe. Familien haben in der Kirche als Gemeinschaft des Lebens und der Liebe einen einzigartigen Platz. Auf der einen Seite sind sie eine Gemeinschaft von Personen, die mit Gott in Dialog steht, andererseits spielen sie auch in der Gesellschaft eine wichtige Rolle. Sie müssen daher offen sein für die größere Gemeinschaft, so daß die hebevolle Fürsorge, die sie daheim Vorleben, auch auf andere ausgedehnt wird zum Wohle aller. Ich möchte bei dieser Gelegenheit betonen, wie sehr ich mich freue über das Programm für moralische Erziehung, das in den Schulen von Singapur eingeführt worden ist. Solch eine Initiative, die menschliche Werte und persönliche Selbstbeherrschung einprägen; möchte, kann wirklich das Bemühen der Eltern als erster Erzieher ihrer Kinder in der Liebe zu Gott ergänzen. Nun ein Wort für euch, liebe Jugendliche, die ihr einen so großen und dynamischen Teil der Kirche in Singapur, in Malaysia und in ganz Asien bildet. Auch an euch richte ich einen Aufruf: seid Friedensstifter! Unterschätzt nicht den großen Bedarf an Beiträgen zur Förderung des Friedens. 1985 habe ich in meiner Botschaft zum Weltfriedenstag Friede und Jugend zusammen unterwegs gesagt: „Wenn ich auf euch Jugendliche schaue, empfinde ich große Dankbarkeit und Hoffnung. Die Zukunft bis weit in das nächste Jahrhundert hinein liegt in euren Händen. Die Zukunft des Friedens hegt in euren Herzen . . . Vertraut auf die Erhabenheit der Berufung des Menschen - eine Berufung, die ihr nachleben sollt mit Hochachtung vor der Wahrheit und der Würde sowie der unveräußerlichen Rechte der menschlichen Person . . . Fürchtet euch nicht!“ {Nr. 3). Die Aufgabe, Frieden zu schaffen, geht jeden einzelnen von uns an. Niemand darf sich dieser Pflicht entziehen, zumal nicht in einer Zeit, die von nuklearer Bedrohung und steigender Gewalttätigkeit gekennzeichnet ist. Ich möchte aber noch eine weitere Gruppe von Menschen herausstel-len, die einen einzigartigen Beitrag für die Sache des Friedens leisten. Ich 828 REISEN denke an die Kranken und Alten und all jene, die an den Leiden Christi Anteil haben. In meinem Apostolischen Schreiben über den christlichen Sinn des menschlichen Leidens habe ich ausgeführt: „Das Geheimnis der Erlösung der Welt ist auf wunderbare Weise im Leiden verwurzelt. . . Wir bitten euch alle, die ihr leidet, uns zu unterstützen. Gerade euch, die ihr schwach seid, bitten wir, zu einer Kraftquelle für die Kirche und für die Menschheit zu werden. Möge in dem schrecklichen Kampf zwischen den Kräften des Guten und des Bösen, der sich vor uns in der heutigen Welt abspielt, euer Leiden in Einheit mit dem Kreuze Christi siegen!“ (Salvifici Doloris, 31). 10. Ihr sollt wissen, wie lange ich nach dieser Gelegenheit, die hl. Eucharistie mit euch feiern zu können, Ausschau gehalten habe, und ich bin Gott dankbar, daß ich hier in Singapur weilen darf. Gern würde ich länger bei euch bleiben, doch finde ich Trost in den Worten Jesu aus dem heutigen Evangelium. Er sagt uns: „Der Tröster, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26). Der Vater sendet seinen Geist der Wahrheit und Liebe in die Welt, und der Geist leitet uns auf Wegen des Friedens. Daher gilt: „Euer Herz betrübe sich nicht und zage nicht“ (Joh 14,27). Liebe Brüder und Schwestern: der Heilige Geist ist mit euch. Ich möchte jetzt die ganze Kirche von Singapur Maria anvertrauen. Sie hat durch die Kraft des Heiligen Geistes als erste Christus der Welt geschenkt. Durch ihre Liebe und ihre Gebete möge sie ihn nun auch euch schenken. Amen. 829 REISEN Unsere Hingabe an den Herrn täglich leben Predigt bei der Eucharistiefeier im „Albert Park“ in Suva, Fidschi-Inseln, am 21. November „Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe“ (Joh 15,12). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich freue mich, heute bei euch in Suva zu sein. Ich möchte den Bürgern der ganzen Nation der Fidschi-Inseln, dieser vielrassigen, multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft, meine herzlichen Grüße zum Ausdruck bringen. Fidschi - dieser aus zwei Hauptinseln und mehreren hundert kleineren Inseln bestehender Archipel, ein „Kreuzungspunkt“ im blauen Ozean des Südpazifik, wo sich die Wege der melanesischen und polynesischen Völkerwanderung treffen - ist wunderschön, seine Landschaft wie seine Menschen. Seit urdenklicher Zeit seid ihr ein religiöses Volk, das naturnahe und sich des Wertes der Gemeinschaft bewußt ist. Euer Sozialbewußtsein ist daran zu erkennen, daß die verschiedenen Rassen, Kulturen und Religionen harmonisch Zusammenleben, ohne deshalb ihre eigene Identität zu verlieren. Ich ermutige euch, auf den Wegen des. schöpferischen Dialogs und gegenseitigen Verständnisses weiterzugehen. Und daß ihr immer an euren eigenen kulturellen Werten und Gepflogenheiten festhalten möget, um euch damit gegenseitig zu bereichern. <98> <98> Heute bin ich hierhergekommen, um in eurer Gegenwart zu verkünden, was der Herr Jesus zu seinen Jüngern sagte: „Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe.“ Unsere Treue zu diesem Gebot, einander zu lieben, so wie der Herr uns geliebt hat, ist der beste Weg, um unsere Hingabe an den Herrn zu leben. Für unsere Überlegungen zu diesem Thema, „Hingabe an den Herrn“, wollen wir unsere Aufmerksamkeit der seligsten Jungfrau Maria zuwenden, die in der Ordnung der Gnade unsere Mutter ist. Maria erfüllte das Liebesgebot des Herrn in besonderer Weise und gibt uns infolgedessen das vollkommenste Beispiel. Hören wir uns noch einmal den Lobgesang Mariens an, wie er im 830 REISEN Evangelium des hl. Lukas überliefert ist, denn es gibt keinen überzeugenderen Ausdruck der Liebe Mariens: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig“ {Lk 1,46-49). Mehr als jeder andere Mensch war sich Maria der Liebe Gottes zu ihr, all der großen Dinge, die der Herr für sie getan hat, bewußt. Mariens Leben war eine Antwort auf Gottes Liebe. Sie war die demütige Magd des Herrn, die sich vorbehaltlos der Liebe zu Gott und den Nächsten hingab. In der Schrift finden wir Maria bereit, den Willen des Herrn zu tun, auch wenn er schwierig und geheimnisvoll ist. Im Lukasevangelium hören wir, daß Maria von Elisabet selig genannt wird, da sie „geglaubt hat, daß sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1,45). An den Geschehnissen im Leben Mariens können wir sehen, wie sie sich unaufhörlich dem Willen Gottes, des Vaters, und der Sendung ihres Sohnes hingab. Sie war immer bereit, sich als eine Liebesgabe darzubringen, während sie „hier auf Erden die erhabene Mutter des göttlichen Erlösers, in einzigartiger Weise seine großmütige Gefährtin und die demütige Magd des Herrn war“ {LG 61). Ihre Hingabe an den Herrn zeigt sich im Augenblick der Verkündigung, in der Armut im Stall von Bethlehem, in der Angst auf der Flucht nach Ägypten, in dem bescheidenen Leben im Handwerkshaushalt von Nazaret und schließlich in Jerusalem auf dem schmerzensreichen Weg nach Gol-gota und am Fuße des Kreuzes, wo sie sich, verbunden mit dem Opfer ihres Sohnes, aufopferte. Selbst nach der glorreichen Auferstehung ihres Sohnes gibt sich Maria weiter dem Willen des Vaters und der Sendung ihres Sohnes hin, als sie mit den anderen Frauen und den Aposteln im Gebet verweilt in Erwartung der Herabkunft des Heiligen Geistes zu Pfingsten. Mit den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils können wir zusammenfassend sagen: „In durchaus einzigartiger Weise hat sie in Gehorsam, Glaube, Hoffnung und brennender Liebe beim Werk des Erlösers mitgewirkt zur Wiederherstellung des übernatürlichen Lebens der Seelen“ {LG 61). <99> <99> Bei einem bestimmten Anlaß während des öffentlichen Wirkens unseres Herrn näherten sich ihm seine Mutter und andere Verwandte, während er zur Menge sprach. Als er hörte, daß sie mit ihm sprechen wollten, fragte Jesus: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?“ Dann 831 REISEN sagt er, zu seinen Jüngern gewandt: „Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Denn wer den Wiilen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ {Mt 12,48-50). Diese Worte Jesu als Antwort an seine Mutter sollen erläutern, daß unsere Beziehung zu ihm eine geistliche ist, die nicht von einer Familienbindung abhängt. Das, worauf es für uns ankommt, ist der Wille des Vaters. Maria versteht diese Wahrheit sehr gut, und die Worte ihres Sohnes bestätigen nur ihren Entschluß, sich mit noch größerer Liebe der Erfüllung des Willens des Vaters zu widmen, auch wenn das ein Opfer bedeutet. So lehrt uns Maria, daß wahre Liebe für Gott den Vater und für Jesus seinen Sohn immer in voller Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen besteht. Mariens Bereitschaft, sich dem Herrn hinzugeben, findet ihren tiefsten Ausdruck im Augenblick der Verkündigung, als sie in Antwort auf die Botschaft des Engels erklärt: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Wir können sagen, durch ihre völlige Selbstaufopferung im Augenblick der Verkündigung wird Maria unser Vorbild, unsere Führerin und unsere Mutter. Das Zweite Vatikanische Konzil hebt diese Tatsache hervor, wenn es lehrt: „Die Mutterschaft Marias in der Gnadenökonomie dauert unaufhörlich fort, von der Zustimmung an, die sie bei der Verkündigung gläubig gab und unter dem Kreuz ohne Zögern festhielt, bis zur ewigen Vollendung aller Auserwählten“ {LG 62). In dem Evangelium, das wir bereits gehört haben, versichert Jesus einen jeden von uns seiner Liebe. Er sagt: „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt“ {Joh 15,9). Dieser Grundwahrheit, daß der Herr uns in besonderer Weise liebt, müssen wir uns immer erinnern. Wir müssen oft die Worte des Psalmisten wiederholen: „Mächtig waltet über uns seine Huld, die Treue des Herrn währt in Ewigkeit“ {Ps 117,2). Die Liebe des Herrn ist für jeden von euch hier auf den Fidschi-Inseln und im ganzen Pazifik Wirklichkeit. Diese Liebe ist persönlich und bedingungslos und ist deutlich daran zu erkennen, daß er euch in vielfältiger Weise gesegnet hat. Seine Liebe ist die Quelle eurer Kraft. Und ihr seid an jedem Tag eures Lebens auf gerufen, diese Liebe des Herrn so zu erwidern wie Maria. 4. Im heutigen Evangelium, wo Jesus uns aufträgt, einander so zu heben, wie er uns liebt, sagt er auch: „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ {Joh 15,11). Wir müssen begreifen, daß wir, um so zu lieben, wie Jesus liebt, uns selbst 832 REISEN den anderen hingeben müssen. Und nur in unserer Selbsthingabe durch Liebe, Dienst und Mitleid können wir echte Freude erleben. Treue zum Gebot des Herrn, einander so zu heben, wie er uns geliebt hat, läßt uns teilhaben an der Freude des Herrn jetzt und immerdar. 5. Unser Herr veranschaulicht mit seinem eigenen Leben die Worte, die er heute zu uns spricht: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13). Indem ihr dem Beispiel der seligsten Jungfrau Maria folgt, deren Leben ein eindrucksvolles Liebesopfer war, seid ihr eingeladen, in Nachfolge des Herrn Jesus, der zuerst sein Leben aus Liebe für euch hingab, euer Leben aus Liebe für andere zu leben. Eure Hingabe an den Herrn und sein Liebesgebot versichert euch seiner Freundschaft, denn im heutigen Evangelium wiederholt Jesus: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“ {Joh 15,14 f.). Meine heben Brüder und Schwestern, ihr alle seid vom Herrn auserwählt, so wie Maria es war. Möget ihr von ganzem Herzen und hochherzig den Ruf des Herrn erwidern, ein Leben des Dienstes für andere zu beginnen! Im Brief an die Kolosser, der uns vorhin vorgelesen wurde, schreibt der hl. Paulus: „Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig, und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat. Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Vor allem aber liebt einander, denn die Liebe ist das Band, das alles zusammenhält und vohkommen macht“ {Kol 3,12-14). In diesem Text nimmt der hl. Paulus deutlich darauf Bezug, daß wir die Auserwählten Gottes sind, und darum ermahnt er uns, einander zu ertragen, uns alles zu vergeben, was wir einander vorzuwerfen haben, und im Gehorsam gegen das Gebot des Herrn einander zu lieben. 6. Die Geschichte vom Beginn der Kirche in Ozeanien bietet uns ein eindrucksvolles Beispiel der Hingabe an den Herrn und jener selbstaufopfernden Liebe, die „das Leben hingibt für die Freunde“ {Joh 15,13). Ich beziehe mich auf das heroische Zeugnis und Martyrium des hl. Peter Chanel, des Maristen-Paters, der als einer der ersten Missionare aus Frankreich kam, um das Evangelium Christi in West-Ozeanien zu verkün- 833 REISEN den. Trotz großer Schwierigkeiten arbeitete er mit tiefem Glauben, mit Geduld und Mut. Nach vielfältiger Mühsal und scheinbarem Scheitern wurde Peter Chanel zum ersten Märtyrer Ozeaniens. Er gab sein Leben hin für das Evangelium, und seine selbstlose Elingabe an den Herrn trug reiche Frucht, als sich im Jahr 1843 alle Bewohner von Futuna zu Christus bekehrten. Die Kirche auf den Fidschi-Inseln selbst läßt sich auf das Eintreffen der Mitbrüder von Peter Chanel aus dem Maristenorden im Jahr 1844 aus Frankreich zurückführen. Voll unendlicher Dankbarkeit an den Herrn preise ich die vielen Generationen von Missionaren, die während der letzten 150 Jahre dem Beispiel des hl. Peter Chanel gefolgt sind und sich für die Verbreitung des Evangeliums in Ozeanien tätig eingesetzt haben. Die Lebendigkeit der heutigen Kirche ist mit der Hochherzigkeit ihres Lebens verbunden. Die jetzige Erzdiözese Suva, die 1966 errichtet wurde, und das unter den Schutz des hl. Peter Chanel gestellte Regionale Priesterseminar des Pazifik zeugen vom Wachstum der Kirche hier und überall in Ozeanien. Durch Gottes Gnade besteht der Geist des Opfers und der Hingabe an den Herrn, wie er von früheren Generationen bewiesen wurde, heute beim Klerus, bei den Ordensleuten und Laien weiter. Beweise für diese Hingabe können wir in den katholischen Schulen sehen, in den Krankenhäusern - besonders Makogai -, in der Hilfe, die Obdachlosen und Arbeitslosen und allen gewährt wird, die sich in großer Not befinden. Ich fordere euch alle auf, nicht nachzulassen in eurem aufrichtigen Dienst am Herrn, besonders an den Ärmsten eurer Brüder und Schwestern. Möge das Gedenken an die heroischen Missionare viele junge Männer unserer Zeit dazu inspirieren, sich als Priester dem Herrn hinzugeben, und andere junge Männer und Frauen veranlassen, das Ordensleben anzustreben! Möge dieses Gedenken das ganze Volk Gottes in seiner Berufung zur Heiligkeit bestärken! 7. In Christus herzlich Geliebte! Seid immer eurer Taufe eingedenk und wißt, daß Gott euch auserwählt hat, an der Sendung seines Sohnes teilzunehmen. Eure Berufung ist es, Jesus zu folgen und seinem Wort zu gehorchen. Der hl. Paulus sagt: „Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch. Belehrt und ermahnt einander in aller Weisheit!“ (Kol 3,16). Ihr könnt sicher sein, daß das Wort Christi, das in euren Herzen wohnt, reiche Frucht bringen wird, besonders in Taten des Erbarmens und des Mitgefühls. Als Jesus seinen Jüngern aufträgt, einander zu lieben, hebt er 834 REISEN hervor, daß er sie erwählt hat, und nicht umgekehrt, und daß sie dazu bestimmt sind, sich aufzumachen und Frucht zu bringen: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet“ {Joh 15,16). Das Liebesgebot des Herrn wird dem Volk der Fidschi-Inseln seit der Ankunft der ersten christlichen Missionare verkündet. Ich lade euch alle ein, macht euch den Auftrag Christi stärker bewußt, das Evangelium an andere weiterzugeben und für die christliche Einheit zu beten und zusammenzuarbeiten. Ich ermutige euch in eurer Wertschätzung und Freundschaft zu euren hinduistischen und muslimischen Brüdern, damit ein von Achtung geprägter Dialog zu besserem gegenseitigen Verständnis führt. Ich bete inständig darum, daß mein Pastoralbesuch auf den Fidschi-Inseln dazu beitragen wird, daß ihr euch immer mehr der Erfüllung des Willens des Vaters und der Teilnahme an der Sendung seines Sohnes widmet. Daher: - Rufe ich euch auf, einander zu lieben, wie Jesus es geboten hat. - Rufe ich euch auf, eure Bemühungen für die Würdigung und Respektierung eurer jeweiligen kulturellen Verschiedenheit zu erneuern. - Rufe ich euch auf, euch in besonderer Weise um die Armen und diejenigen zu kümmern, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt sehen. - Rufe ich euch auf, für eine gerechtere Gesellschaft zu arbeiten, in der die Güter gerechter verteilt sein werden und in der es allen möglich wird, ein ihrer menschlichen Würde entsprechendes Leben zu führen. - Rufe ich euch auf, Erzbischof Petero Mataca durch eure Gebete zu unterstützen, so wie auch er euch das Evangelium des Heiles verkündet. - Rufe ich euch, besonders die Jugend, auf, die Liebe des Herrn zu erwidern und seine Freude mit anderen zu teilen. - Rufe ich euch, die ihr krank seid, auf, eure Leiden für das Wachsen des Reiches Gottes aufzuopfern. Und ich empfehle euch alle der Fürsprache der seligsten Jungfrau Maria, dem vollkommenen Beispiel der Hingabe an den Herrn, der Mutter dessen, der gesagt hat: „Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe.“ Amen. Auf Französisch richtete der Papst einige Grußworte an die Pilger aus Tahiti und anderen Pazifikinseln: Mit Freude begrüße ich die Pilger aus Tahiti mit ihrem Erzbischof, Msgr. 835 REISEN Michel Coppenrath, die Pilger von den Inseln Marquises, Vanuatu, Wallis und Futuna sowie auch jene aus Neukaledonien mit ihrem Erzbischof, Msgr. Michel Calvet. Liebe Brüder und Schwestern französischer Sprache, die ihr auf diesen Inseln verstreut lebt, bleibt eurem katholischen Glauben treu, der sich seit 150 Jahren herrlich entfaltet hat und entsprechend euren örtlichen Kulturen und der französischen Kultur zum Ausdruck kommt. Haltet fest am Gebet, an der brüderlichen Liebe, am Aufbau einer mit ihrem Bischof verbundenen lebendigen und leuchtenden Kirche. Seid Friedensstifter! Vertieft euren Glauben, um ihn richtig an die jungen Generationen weiterzugeben und selbst zu Missionaren zu werden. Bleibt offen für die anderen Ortskirchen des Pazifik wie für die Kirche Frankreichs. Ohne mich zu euch begeben zu können, weiß ich doch von eurer Lebendigkeit und euren Bedürfnissen, und ich bin euch nahe mit dem Herzen und mit dem Gebet. Indem ich euch segne, segne ich auch eure Familien und besonders jene, die Leid zu ertragen haben. Der Herr gewähre euch ein Leben in Frieden und überschütte euch mit seinen Segnungen! „Diener Christi und durch ihn Diener seiner Diener“ Ansprache an die Pazifische Bischofskonferenz (CEPAC) in Suva am 21. November Liebe Brüder im Bischofsamt des Pazifischen Raumes! 1. Es ist mir eine große Freude, hier im Pazifischen Regionalen Priesterseminar des hl. Peter Chanel bei euch zu sein. Ihr habt mich in einem sehr herzlichen Geist brüderlicher Liebe empfangen. Mit dankbarem Herzen begrüße ich euch in der Gnade und im Frieden unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus. Ihr seid aus allen Teilkirchen dieses riesigen Territoriums von Melanesien, Mikronesien und Polynesien gekommen, um mit mir die Einheit und Universalität der Kirche zu feiern und eure Loyalität und Liebe für den Nachfolger Petri zu bekunden. Ich bin einem jeden von euch zutiefst dankbar. Als Bischöfe vertretet ihr in eurer Person das Volk Gottes der Erzdiözesen Suva, Agana, Papeete, Noumea, Samoa-Apia und Tokelau und der 836 REISEN Diözesen Port Vila, Tonga, Wallis und Futuna, Taiohae, Samoa-Pago Pago, Chalan Kanoa, Rarotonga, Tarawa und Nauru, der Karolinen und Marshallinseln sowie der Mission sui iuris Funafuti. Der Name jeder dieser Lokalkirchen spricht von der vorausschauenden Liebe Gottes, in einer bestimmten Kultur und einem bestimmten Volk Gestalt geworden im Leben des Klerus, der Ordensleute und der Laien, denen eure Hirtensorge gilt. Wir alle erinnern uns an die Frage, die Natanael an Philippus richtete: „Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen?“ (Joh 1,46). Philippus antwortete nur: „Komm und sieh!“. Und schon sehr bald, nachdem er diese Frage gestellt hatte, begann Natanael zu sehen, was unvorstellbar Gutes aus Nazaret kommen konnte. Jede der Lokalkirchen, denen ihr im Namen Christi dient, stellt in ihrer ganz eigenen Weise das Geheimnis von Nazaret dar. Denn der auferstandene Erlöser lebt heute in eurem gläubigen Volk. Durch meinen Besuch auf den Fidschi-Inseln konnte ich „kommen und sehen“, was unvorstellbar Gutes vom Leib Christi in Ozeanien kommen kann. Ich freue mich über diese Gelegenheit, mit euch die Wunder zu feiern, die Gott in diesem Teil der Welt getan hat und tut. Ich möchte diese Gelegenheit auch wahrnehmen, um euch dafür zu danken, daß ihr manchen eurer Leute behilflich wart, heute hier nach Suva zu kommen oder in den kommenden Tagen in Neuseeland oder Australien mit mir zusammenzusein. Ich bedaure es sehr, daß ich bei diesem Anlaß nicht jede eurer Ortsgemeinschaften besuchen kann, aber ich versichere euch, daß ihr alle dem Herzen des Papstes sehr teuer seid. Ich freue mich darauf, mit Gottes Hilfe später einmal zu euch zu kommen und den Heiligen Geist mitten unter euch am Werk zu sehen. <100> <100> Vor sechzehn Jahren besuchte Papst Paul VI. diesen Teil der Welt. Manche von euch werden bei jenem historischen Ereignis zugegen gewesen sein, als er in West-Samoa einen Missionsappell an die ganze Welt richtete. Zu Ehren meines geliebten Vorgängers und im Hinblick auf die fortdauernde Bedeutung seiner Worte möchte ich euch an seine damalige Aufforderung erinnern, das Werk der Evangelisierung eifrig weiterzuführen. Er sagte: „Die Missionsarbeit, in deren Namen ich unter euch bin, begann am Pfingsttag, und sie geht auch in unseren Tagen noch weiter. Sie ist immer notwendig und immer dringend“ (29. November 1970). Die Kirche ist ihrer Natur nach missionarisch. Sie fühlt sich zu allen Zeiten von den Worten unseres Erlösers gedrängt: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,19). Die 837 REISEN Kirche in Ozeanien zeigt deutlich die Frucht dieses Geistes der Evangelisierung. Evangelisierung ist die Aufgabe eines jeden in der Kirche, auch wenn die Bischöfe die besondere Rolle haben, den weiten Wirkungsbereich und die Anstrengungen aller zu überwachen und zu koordinieren. Ihr habt euch lang und ausdauernd um die Verkündigung des Evangeliums bemüht. Die Frohbotschaft Christi ist in Glaube und Dankbarkeit angenommen worden, und die Kirche ist mitten unter euch fest eingepflanzt worden. Die nächste Stufe, die nicht weniger dringend ist, ist die Festigung und Vertiefung des Glaubens. Es müssen immer wirksamere Mittel gesucht werden, um jedermann, aber besonders der Jugend die Lehren der Kirche und die aus dem Evangelium stammenden moralischen Werte zu vermitteln. Einrichtungen der Wohlfahrt, der Gesundheitsfürsorge und der Erziehung werden immer gebraucht werden, um den ständig neu entstehenden Bedürfnissen zu begegnen. Und das weitaus wichtigste Element ist die Anwerbung und Ausbildung von Arbeitern für die Evangelisierung, insbesondere von Priestern. 3. In diesem Zusammenhang möchte ich, wie ich es schon bei anderen Gelegenheiten getan habe, euch zur Errichtung dieses Regionalen Prie-sterseminares des Pazifik beglückwünschen. Es erfüllt mein Herz mit Freude zu hören, daß die Zahl von Berufungen zum Priestertum und zum Ordensleben von Jahr zu Jahr zunimmt. Ich weiß, daß durch die Gnade des Heiligen Geistes diese Zunahme zu nicht geringem Teil euren eigenen eifrigen Bemühungen als Hirten der Herde Christi zu verdanken ist. Ich freue mich auch darüber, daß die Förderung von Priesterberufen und die Unterstützung dieses Regionalen Priesterseminars von echter Zusammenarbeit gekennzeichnet waren. So habt ihr mit eurem Wirken, für alle eure Teilkirchen ein erfolgreicheres Programm der Priesterausbildung sicherzustellen, in der Tat vom kollegialen Charakter des bischöflichen Amtes Zeugnis gegeben. Ich möchte euch bitten, dieses Interesse an dem Seminar und besonders an den Seminaristen immer durch persönlichen Kontakt und väterliche Sorge aufrechtzuerhalten. Es ist wichtig, daß alle Aspekte der Seminarausbildung die jungen Männer zu einer größeren Kenntnis und Liebe unseres Herrn Jesus Christus führen. Ich ermutige euch, in der lebenswichtigen Aufgabe der Förderung von Priester- und Ordensberufen fortzufahren. Die Zukunft der Kirche hängt zum Großteil vom evangeüschen Zeugnis und hochherzigen Dienst der Priester und Ordensleute ab. Insbesondere ermutige ich euch, in eurer Hirtensorge an die jungen Leute eurer Pfarreien und Gemeinschaften 838 REISEN heranzukommen. Ich bete dafür, daß ihr unter euch eine solche Blüte von Berufungen erlebt, daß in nicht allzu ferner Zukunft die Kirchen, die einst von Missionaren errichtet wurden, ihrerseits Missionare in andere Nationen aussenden werden. 4. Bei der Begegnung mit euch heute abend möchte ich gern eine kurze Betrachtung über das Leben zweier sehr verehrter Heiliger der Kirche anstellen: Peter Chanel, der große Patron Ozeaniens, der 1836 von Frankreich aufgebrochen war, um das Evangelium in diesen Teil der Welt zu bringen; und Augustinus, der Bischof und Theologe, dessen Bekehrung vor 1600 Jahren wir in diesem Jahr gedenken. Diese beiden Männer, ganz verschieden nach Temperament und Gewohnheiten, die in sehr unterschiedlichen geschichtlichen und geographischen Situationen der Kirche dienten, wurden dennoch von derselben Liebe zu Christus und derselben Begeisterung für das Evangelium motiviert und getragen. Es ist angemessen, daß die Universalkirche Augustinus in diesem Jubiläumsjahr seiner Bekehrung ehrt. Er ist wahrlich einer der größten Bischöfe und Lehrer in der Geschichte der Christenheit. Er stellte seine intellektuellen Gaben und seine spirituelle Kraft auf jede Weise in den Dienst der Kirche: - in der Teilkirche von Hippo, wo er berühmt war für seine katecheti-schen Initiativen, seine brüderliche Unterstützung von Priestern und Ordensleuten, seine mitreißenden, aufrüttelnden Predigten und Unterweisungen, seine liebevolle Sorge für die Armen; - in der Kirche ganz Nordafrikas und in der Universalkirche, als diese sich infolge häretischer Bewegungen und des Heidentums der Spaltung und Verwirrung gegenübersah. Selbst heute, in unserer modernen technischen Welt, die sich so sehr von der seinen unterscheidet, bleibt Augustinus ein inspirierendes Vorbild für das Bischofsamt. Er beschrieb sich selbst mit den Worten: „Diener Christi und durch ihn Diener seiner Diener“ {Ep. 217, PL 33, 978). Wir könnten wahrlich kein besseres Motto für unser eigenes Leben als Bischöfe der Kirche finden. Aber was an Augustinus vielleicht am meisten des Gedenkens und unserer Nachahmung wert ist, ist gerade seine Bekehrung. Er war der große Bekehrte, und das nicht nur in einem dramatischen Augenblick, sondern sein ganzes Leben lang. Wie er einmal sagte: „Wir müssen immer von Gott gemacht, immer vervollkommnet werden, wir müssen an ihm festhalten und in der Bekehrung bleiben, die uns ihm nahebringt. . . Denn wir sind seine Schöpfung, nicht nur weil wir menschliche Personen 839 REISEN sind, sondern auch weil wir gute menschliche Personen sind (De Genesi ad Litteram, 8,12,27). Als Bischöfe müssen wir auch wie Augustinus immer vorangehen auf dem Weg der Bekehrung, immer eifrig darauf bedacht, in der Liebe Christi, unseres Erlösers, zu wachsen. Gleichzeitig müssen wir unser Volk einla-den, diesen selben Weg einzuschlagen und auf ihm weiterzugehen. Bekehrung wird Versöhnung erfordern, und zu diesem Zweck ist Gottes großes Geschenk, das uns zur Verfügung steht, das Sakrament der Buße. Es ist zugleich das Sakrament der Vergebung, Versöhnung und Barmherzigkeit. Aus diesem Grund bitte ich euch dringend, den regelmäßigen Empfang dieses Sakraments unter eurem Volk zu fördern und eure Brüder im Priesteramt zu ermuntern, sich hochherzig diesem pastoralen Dienst hinzugeben. Das Bußsakrament ist der erste und fundamentale Schritt über die Versöhnung zum Frieden - zum Frieden im Herzen jedes einzelnen, in euren Gemeinden und in der Welt. 5. Es ist wirklich passend, daß dieses Regionale Priesterseminar unter den Schutz des hl. Peter Chanel gestellt wurde. Was für ein besseres Vorbild des Priestertums könnte jungen Männern geboten werden als dieser Missionar, der zum ersten Märtyrer für den Glauben in Ozeanien wurde? Das Martyrium „wertet die Kirche“ - wie das Zweite Vatikanische Konzil sagte - „als hervorragendes Geschenk und als höchsten Erweis der Liebe“ {LG 42). Es ist freilich gut, wenn wir uns erinnern, daß das feste Fundament zu dem heroischen Martyrium Peter Chanels schon lange vor seinem Tod gelegt war. Viele Jahre vor dem Tag, da er in seiner eigenen Hütte getötet wurde, hatte Peter Chanel in einer sehr tiefen Weise begönnen, das Ostergeheimnis Christi zu leben. Er konnte mit dem hl. Paulus sagen: „Christus will ich erkennen und die Macht seiner Auferstehung und die Gemeinschaft mit seinen Leiden; sein Tod soll mich prägen {Phil 3,10). Das ist es, was ihn aufrechthielt, wie es auch heute noch eure Priester in Ozeanien aufrechthält. Als er die physischen Entbehrungen und soziale Widerstände jener ersten Jahre in Futuna auszuhalten hatte und niedergedrückt wurde von dem Gefühl der Isolierung und Entmutigung, die jene ersten missionarischen Anstrengungen mit sich brachten, faßte er sich ein Herz und fand die Kraft durchzuhalten, indem er fest auf das Kreuz und die Auferstehung unseres liebenden Erlösers blickte. Voll tiefem Glauben und bemerkenswerter Geduld war er immer freundlich. Er verlor niemals die Hoffnung auf die verändernde Macht des Evangeliums. Wenn wir bedenken, daß innerhalb von zwei Jahren nach 840 REISEN seinem Martyrium die ganze Insel Futuna katholisch wurde, erkennen wir, daß das tägliche Zeugnis seines Lebens in Christus ganz bemerkenswert gewesen sein muß. Sein Leben bestätigt die Wahrheit dessen, was Papst Paul VI. in seinem Apostolischen Schreiben über die Evangelisierung sagte: „Für die Kirche ist das Zeugnis eines echt christlichen Lebens mit seiner Hingabe an Gott in einer Gemeinschaft, die durch nichts zerstört werden darf, und gleichzeitig mit einer Hingabe an den Nächsten in grenzenloser Einsatzbereitschaft der erste Weg der Evangelisierung... Die Evangelisierung der Welt geschieht also vor allem durch das Verhalten, durch das Leben der Kirche, das heißt durch das gelebte Zeugnis der Treue zu Jesus, dem Herrn, durch das gelebte Zeugnis der Armut und inneren Loslösung und der Freiheit gegenüber den Mächten dieser Welt, kurz, die Heiligkeit“ (EN 41: Wort und Weisung 1975, 564). 6. Meine Brüder im Bischofsamt! Ich hinterlasse euch diese paar Gedanken, wobei ich mir voll bewußt bin, daß es viel mehr darüber zu sagen gäbe. Es ist nicht möglich, jetzt über alles zu sprechen, was unseren Geist und unser Herz erfüllt, aber ich möchte euch besonders meiner Nähe zu euch und zu eurem Volk versichern. Zwischen dem Nachfolger Petri und den Nachfolgern der anderen Apostel besteht in der Tat ein tiefes geistliches und pastorales Band; es ist unsere collegialitas affectiva et effectiva (unsere Kollegialität im Fühlen und im Wirken). Mögen wir stets Wege finden, um uns gegenseitig in unseren vereinten Bemühungen zu unterstützen, die Kirche aufzubauen und diese Gemeinschaft im Dienst und im Glauben zu leben. Am Altar und in meinen anderen Gebeten bringe ich jeden Tag euch und euren Klerus, eure Ordensleute und Laien in Dank und Bitte vor den Vater. Die Worte des hl. Paulus bringen gut zum Ausdruck, was ich im Herzen habe: „Ich danke meinem Gott jedesmal, wenn ich an euch denke; immer, wenn ich für euch alle bete, tue ich es mit Freude und danke Gott dafür, daß ihr euch gemeinsam für das Evangelium eingesetzt habt“ (Phil 1,3-5). Liebe Brüder im Bischofsamt! In dieser Stunde der Freude und kirchlichen Gemeinschaft empfehle ich euch Maria, der Mutter Jesu und Mutter seiner Kirche. Ich vertraue ihrer Hebevollen Sorge auch die Zukunft eurer Ortskirchen an und besonders alle eure hochherzigen Anstrengungen dafür, daß unser Herr Jesus Christus immer mehr erkannt und geliebt werde. Ich bitte sie, den Armen und Bedürftigen zu helfen und das ganze im Pazifik verstreute Volk Gottes zu schützen. Möge sie für euch alle ein Grund der Freude und eine Quelle der Kraft sein! 841 REISEN „Ich vertraue auf die jungen Menschen“ Ansprache an die Jugend vor seinem Abflug von Nandi, Fidschi, am 22. November Liebe junge Freunde! Ich freue mich sehr, daß ich, bevor ich euer geliebtes Land verlasse, die Gelegenheit habe, die Jugend von den Fidschi-Inseln zu treffen. Es ist mir eine große Freude, mit euch zusammenzusein. Ich grüße euch alle in der Freude und dem Frieden unseres Herrn Jesus Christus. Manchmal werde ich gefragt: Was gefällt ihnen so sehr an den jungen Leuten? Warum sind Sie so oft mit ihnen zusammen? Warum haben Sie ein Apostolisches Schreiben an die Jugend verfaßt, und warum haben Sie den Passionssonntag zum Welttag der Jugend erklärt? Meine Antwort ist sehr einfach: Ich vertraue auf die jungen Menschen. Ich sehe in ihnen die Zukunft der Welt und auch die Zukunft der Kirche. Ich glaube, daß die Jugend von heute eine Welt der Gerechtigkeit, der Wahrheit und der Liebe aufbauen will. Mit Gottes Hilfe können sie es schaffen. Ja, ich vertraue auf euch, junge Leute von den Fidschi-Inseln. Jesus Christus hegt eine besondere Liebe zu den jungen Menschen. Wir merken es, wenn wir das Evangelium lesen. Denkt nur daran, mit welchen Worten Jesus seine Jünger zurechtgewiesen hat, als diese verhindern wollten, daß Kinder zu ihm kamen: „Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes“ (Lk 18,16). Noch eindeutiger ist das Beispiel mit dem reichen jungen Mann. Der junge Mann war offenkundig von Jesus fasziniert und fühlte keine Hemmungen ihm gegenüber. Er hatte Zutrauen zu Jesus gefaßt und stellte ihm so eine grundlegende Frage: „Was muß ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ {Mk 10,17). Jesus nahm die Frage ernst und antwortete ebenso ernst. Was aber noch wichtiger ist: Jesus bückte ihn voll Liebe an (vgl. Mk 10,21). Wir wissen aus dem übrigen Evangelium, daß Jesus nicht nur die jungen Leute liebt. Sein liebender Blick ist auf alle Menschen gerichtet, die alten ebenso wie die jungen, die gesunden ebenso wie die kranken. Unaufhörlich und voller Liebe schaut Jesus auf jeden von uns. Diese Liebe ist das Herz des Evangeliums, da Jesu Worte und Taten und insbesondere sein Tod am Kreuz sich allein aus ihr erklären lassen. Der hl. Johannes formulierte es so: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Dies ist die 842 REISEN Heilsbotschaft, die die Kirche der ganzen Welt verkündet. Vor euch wiederhole ich sie heute: „Gott liebt euch so sehr, daß er seinen einzigen Sohn hingab, und wenn ihr an seinen Sohn glaubt, werdet ihr ewiges Leben haben.“ Der Glaube an Jesus beruht auf mehr als Worten. Er ist mehr als bloße Anziehung empfinden, wie der reiche junge Mann es tat. Der Glaube verlangt nach einer hochherzigen Antwort. Er ruft euch auf, euer ganzes Leben an der Person und Botschaft Christi auszurichten. Dies aber muß aus freiem Willen und mit reiflicher Überlegung geschehen; ihr habt die Möglichkeit, das Geschenk, das Christus anbietet, anzunehmen oder es zurückzuweisen. Der reiche Jüngling war unglücklicherweise nicht bereit, das vom Glauben abverlangte Opfer zu bringen. „Jesus sah ihn an, und weil er ihn liebte, sagte er: „Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ Der Mann aber war betrübt, als er das hörte, und ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen“ (Mk 10,21 f.). Der junge Mann ging traurig fort, aber seine Trauer muß nicht das letzte Wort bleiben. Der Grundton dieser evangelischen Botschaft ist in Wahrheit die Freude. Freude charakterisiert die Heiligen und ergibt sich aus Glaube und Opfer. Wir erkennen dies an der Botschaft des Engels, der bei Jesu Geburt den Hirten zurief: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll“ (Lk 2,10). Diese Freude strömt in jedes Herz, das in treuer Gemeinschaft mit Jesus lebt. Aber denkt daran: Auch Liebe erfordert Opfer. Unterschätzt nicht die Lasten, welche die Treue zu Jesus mit sich bringt. Allzu leicht wird Liebe mißverstanden, wird sie auf bloße Gefühle reduziert oder mit Eigeninteressen verbunden. Wahre Liebe ist stets gekennzeichnet von der Echtheit, und sie kommt im selbstlosen Dienst am Nächsten zum Ausdruck. Wahre Liebe stellt Anforderungen an uns und verpflichtet uns zur Einhaltung der Gebote. Denn Jesus sagt: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“ (Joh 14,15). Dreimal wurde Petrus von Jesus gefragt: „Liebst Du mich?“ Dreimal antwortete Petrus: „Ja, Herr, du weißt, daß ich dich liebe“. Petrus beeilte sich, seine Liebe zu Christus zu bekunden, und ein jedes Mal wurde er daran erinnert, wie er diese Liebe in die Praxis umzusetzen.hatte. Jesus sagte zu ihm: „Weide meine Lämmer. Weide meine Schafe“ (Joh 21,15-17). 843 REISEN Petrus hat dieses Gespräch nie vergessen, und auch sein Nachfolger kann es nicht vergessen. In einer besonderen Weise sind Jesu Worte an mich gerichtet, aber sie gelten auch euch. Petrus wurde aufgefordert, seine Liebe zum Herrn dadurch zu bezeugen, daß er sich durch seinen Dienst in der Kirche um die Bedürfnisse seiner Brüder und Schwestern kümmerte. Der Herr, der zu Petrus sprach, wendet sich heute an euch. Er erbittet eure Liebe. Ich hoffe und bete, liebe Jugendliche von Fidschi, daß ihr euch niemals wie der reiche Jüngling von Jesus Christus abwendet und daß ihr niemals traurig fortgehen werdet. Wenn ihr an Christus glaubt, auf seine Worte hört und die Opfer bringt, um die er euch bittet, werdet ihr voller Freude sein; einer Freude, die die Welt nicht geben kann. Nun ist es Zeit für mich, Abschied zu nehmen. Die Zeit meines Aufenthaltes in diesem Land ist wie im Flug vergangen, und ich muß meine Pastoraireise, die mich noch zu anderen Völkern und in andere Länder führt, fortsetzen. Doch bevor ich abreise, möchte ich noch ein Wort der Hochschätzung und ein Wort des Dankes sagen. Schon bevor ich in euer Land kam, habe ich die Menschen von Fidschi bewundert. Ich schätze die vielen Werte und besonderen Eigenarten, welche ihr über die Jahre hinweg gepflegt und bewahrt habt. Vor allem bewundere ich die Art und Weise, wie hier die Menschen verschiedenster Kultur und Herkunft friedlich und harmonisch Zusammenleben. Ihr unterscheidet euch in vieler Hinsicht voneinander, und doch seid ihr eine Nation. Durch euer Gemeinschaftsbewußtsein und gegenseitiges Bemühen habt ihr es gelernt, euch bei aller Verschiedenheit untereinander zu helfen, die Lebensweisen der anderen zu akzeptieren und eure Gemeinsamkeiten zu bekräftigen. Auf eine sehr sichtbare Weise seid ihr ein Symbol der Hoffnung in der Welt. Ihr könnt die Welt Solidarität und liebevolle Achtung für jeden Menschen lehren. Ich bin zutiefst dankbar für die Gastfreundschaft, die mir hier in eurem Land zuteil wurde. Ihr habt mich wie einen Bruder und Freund empfangen. Ihr habt mir das Gefühl gegeben, zu Hause zu sein. Ich werde eure Güte und Freundlichkeit nie vergessen, und ich verspreche, euch in meine Gebete einzuschließen. Jetzt möchte ich euch Maria anvertrauen, der Mutter Jesu und seiner Kirche. Ich vertraue Maria die Zukunft dieses Landes und das Geschick all seiner Menschen an. Ich bete, daß sie den Jugendlichen helfe, im Glauben fest zu bleiben und ihre Mission an der Welt zu erfüllen. Ich bete, daß sie die Leidenden tröste und daß sie der ganzen Kirche von Fidschi helfe, die Treue zu Jesus Christus und seinem ermutigenden und heilbrin- 844 REISEN genden Evangelium der Liebe zu bewahren. Auf alle Bewohner dieser Inseln rufe ich die Freude und den Frieden des Herrn herab. „In eurem Herzen herrsche der Friede Christi“ Predigt bei der Eucharistiefeier in Auckland, Neuseeland, am 22. November „Ich freute mich, als man mir sagte: Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern“ (Ps 122,1). Liebe Brüder und Schwestern in Jesus Christus! 1. Ich freue mich, in eurer Mitte zu sein. Ich freue mich wirklich, daß es mir möglich war, zum Haus des Herrn hierherzukommen, zum Volk Gottes, zur Kirche in Auckland, zur Kirche in Neuseeland. Die Kirche hier ist jung. Es ist noch nicht einmal zweihundert Jahre her, seit die Frohe Botschaft Jesu zum ersten Mal auf diesen Inseln verkündet wurde. Doch der katholische Glaube sollte hier rasch Wurzeln schlagen und zu blühen beginnen, bereichert von einer Vielfalt von Kulturen aus vielen Teilen der Welt. Jede dieser Traditionen hat ihre besonderen Gaben eingebracht; keine ist mit leeren Händen gekommen. In eurem Land bestand bereits, ehe die Kirche und die vielen Einwanderer kamen, eine reiche Kultur: die Kultur des Maori-Volkes. Diese Kultur hat dann ihrerseits durch die erhebende und reinigende Kraft des Evangeliums eine Stärkung und Bereicherung erfahren. Ich möchte euch, die Maori von Aotearoa, besonders grüßen und euch für euer herzliches Empfangszeremoniell danken. Die Kräfte der Maori-Kultur sind oft gerade die Werte, die die moderne Gesellschaft zu verlieren in Gefahr ist: Anerkennung der spirituellen Dimension unter jedem Gesichtspunkt des Lebens; tiefe Ehrfurcht gegenüber Natur und Umwelt; ein Gemeinschaftsgefühl, das jedem einzelnen ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit schenkt; Loyalität gegenüber der Familie und große Bereitschaft zum Teilen; die Annahme des Todes als Teil des Lebens und die Fähigkeit, um die Toten in einer menschlichen Weise zu trauern. Wie ihr mit Recht eure Kultur in Ehren haltet, so laßt das Evangelium Christi weiter in sie eindringen und sie durchdringen, indem ihr das 845 REISEN Bewußtsein eurer Identität als einzigartigen Teil des Heilsplanes Gottes stärkt. Als Maori beruft euch der Herr; als Maori gehört ihr zur Kirche, dem einen Leib Christi. Ganz herzliche Grüße möchte ich auch an unsere Brüder und Schwestern in Christus richten, die anderen christlichen Gemeinschaften angehören. Es ist meine Hoffnung, daß dieser Pastoralbesuch bei der Kirche in Neuseeland die Sache des ökumenismus fördern und uns alle enger an unseren Herrn und Erlöser heranführen wird. 2. „Schon stehen wir in deinen Toren, Jerusalem . . . Wie es Israel geboten ist, dort den Namen des Herrn zu preisen“ (Ps 122,2.4). Als Bischof von Rom und Nachfolger des hl. Petrus will ich mit der ganzen Kirche, die hier auf diesen Pazifik-Inseln lebt, den Namen des Herrn preisen. Der Psalm des Lobpreises, den wir in der heutigen Liturgie gesungen haben,ist ein Wallfahrtslied. Und wir alle - als die Kirche des lebendigen Gottes - sind ein pilgerndes Volk auf unserem Weg zum „himmlischen Jerusalem“. Wie alle Pilger sind wir ein Volk der Hoffnung; während wir nur zu gut um das Böse und das Leid in der Welt wissen, selbst von Versuchung und Heimsuchung auf die Probe gestellt werden, glauben wir dennoch fest daran, daß „die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“ (Röm 8,18). Der hl. Augustinus schrieb von der Kirche, sie sei „wie eine Fremde in einem fremden Land“, die „unter den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes vorwärtsdrängt“ (Civ. Dei, XVIII, 51,2). Während sie vorwärtsdrängt, immer bestrebt, Christus und dem Evangelium treu zu sein, erfährt sie zu ihrer Freude Gottes Gnade, die ihr Kraft gibt, das Kreuz zu ergreifen als den Weg zum Triumph der Auferstehung. Und sie findet ständig Grund, Gott zu danken und ihn zu preisen: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Vereinen wir also als Pilger voller Hoffnung unsere Herzen und Stimmen im Lobpreis der Heiligsten Dreifaltigkeit. <101> <101> Wir haben in der Tat allen Grund zu fortwährender Freude, denn wir sind das Volk, zu dem der Vater seinen geliebten Sohn gesandt hat. Und heute hören wir die Worte des Sohnes an uns im Evangelium, so wie ihn einst seine Zeitgenossen hörten, als er durch Galiläa, Judäa und Samaria zog. Jesus lehrt uns über Gott als unseren liebenden Vater und über die göttliche Vorsehung. 846 REISEN Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Schönheit der Schöpfung und Gottes Sorge für sie. Auf diese Weise macht er seinen Zuhörern Gottes Güte besser bewußt: „Seht euch die Lilien an: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen“ (Lk 12,27). Und zugleich weist Jesus auf die vergängliche und vorübergehende Natur der Schöpfung hin, wenn er sagt: „Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wieviel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen!“ (Lk 12,28). So ermutigt er seine Zuhörer, über die geschaffenen Dinge, so gut und schön sie sein mögen, hinauszublicken und sich auf das zu konzentrieren, was nicht vergeht, auf die Ewigkeit. Dann lädt Christus seine Hörer ein, ihr Vertrauen in die hebende Fürsorge Gottes zu legen: „Darum fragt nicht, was ihr essen und was ihr trinken sollt, und ängstigt euch nicht! . . . Euer Vater weiß, daß ihr das braucht. Euch jedoch muß es um sein Reich gehen“ (Lk 12,29-31). Frieden stellt sich ein, wenn wir lernen, in Gottes liebender Vorsehung zu bleiben, während wir wissen, daß diese Welt vergehen und allein sein Reich Bestand haben wird. Unser Herz auf die bleibenden Dinge zu setzen heißt, mit uns selbst im Frieden zu sein. 4. Wir sind Gefolgsleute Christi wie jene Männer und Frauen, die diese Worte als erste gehört haben. Wir sind die heutige Generation des Volkes, das er durch sein eigenes Blut erlöst hat (vgl. Apg 20,28). Auch wir haben geglaubt, daß der Vater uns sein Reich geben will (vgl. Lk 12,32). Und wir wollen dieses Geschenk erwidern. Christus sagt: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde“ (Lk 12,32). Wir müssen also Mut fassen. und versuchen, durch die innere Macht des Glaubens unsere Furcht zu überwinden, indem es uns zuerst und vor allem um das Reich Gottes geht (vgl. Lk 12,31). Genau auf diese Weise erweisen wir uns als Kirche. Denn die Kirche ist die Gemeinschaft von Menschen, die ihr Vertrauen in Gottes Verheißungen setzen, Verheißungen wie jene, die wir heute in der ersten Lesung aus dem Propheten Ezechiel gehört haben. 5. Ezechiel spricht zu einem Volk im Exil, das von seinem Land und seinen Wurzeln abgeschnitten ist. Diese Menschen wissen, daß sie vom rechten Weg abgeirrt sind; sie sind Gott und einander fremd geworden. Nun aber verspricht der Herr, sie nach Hause zu führen. Er wird ihnen ein neues Herz und einen neuen Geist geben. Sie werden 847 REISEN lernen, sein Gesetz zu halten, nicht aus äußerem Zwang, sondern aus innerer Überzeugung. Sie werden wahren Frieden finden, denn Gottes eigener Geist wird in ihnen sein: „Ihr werdet mein Volk sein, und ich werde euer Gott sein“ (Ez 36,28). Wie modern doch dieser alttestamentliche Autor klingt! Seine Worte scheinen auf so viele Menschen unserer Zeit zu passen, die Gott und einander entfremdet sind. Um uns herum können wir sehen, was geschieht, wenn die Worte des Propheten unbeachtet bleiben: wenn der Geist des Herrn nicht in unseren Herzen atmet, versteinern sie rasch. Aber die Kirche ist jener Ort, wo der Heilige Geist weht und atmet, jene Gemeinschaft von Menschen, die in der Taufe von ihren Sünden gereinigt werden und die, obgleich über die ganze Erde verstreut, sich einer echten Gemeinschaft miteinander erfreuen. 6. Welch erstaunliches Geheimnis die Kirche ist! Während ihre Mitglieder jeder Nation auf Erden angehören, bleibt sie ungeteilt, immer eine. Die Kirche ist universal und partikular, da ihre Mitglieder, die zwar verschiedenen Kulturen und Völkern angehören, dieselbe Taufe empfangen haben und am selben Heiligen Geist teilhaben. Wir gleichen jener Gruppe der ersten Gläubigen, die in der Apostelgeschichte beschrieben wird; auch wir versuchen, „an der Lehre der Apostel festzuhalten und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). In diesen letzten vier Tagen habe ich mit der Kirche in Bangladesch, mit der Kirche in Singapur, mit der Kirche auf den Fidschi-Inseln und nun mit der Kirche in Neuseeland die Eucharistie gefeiert. In jedem dieser Länder hat die Kirche verschiedene Traditionen und Bräuche, verschiedene Bedürfnisse und Gaben. Der christliche Glaube zerstört die Kultur nicht, sondern reinigt und erhöht sie. Er nimmt nichts vom echten Wert einer Gesellschaft oder Nation weg, sondern stärkt alles, was der Besserung aller dient. Keine Teilkirche gleicht genau der anderen, doch die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche ist in jeder Teilkirche vorhanden und aktiv. Nicht als ob das Volk Gottes eine lose verbundene internationale Gesellschaft oder gar eine Föderation von Teilkirchen wäre. Nein, der Heilige Geist selber vereint die Teilkirchen miteinander in einer Gemeinschaft des Lebens unter der obersten Leitung Christi unseres Erlösers. So sind sie aufgerufen, miteinander in Frieden und Einheit zu leben. Und durch Christi Plan ist der Nachfolger des Petrus dazu berufen, durch ein Amt des Glaubens und der Liebe allen Ortskirchen zu dienen. 848 REISEN 7. Diese Einheit und Katholizität in dem einen Leib Christi darf niemals für selbstverständlich genommen werden; sie ist ein Geschenk, das mit Dankbarkeit empfangen werden muß, und ein Geschenk, das eine Antwort erfordert. Wie das Zweite Vatikanische Konzil erklärte: „Kraft dieser Katholizität bringen die einzelnen Teile ihre eigenen Gaben den übrigen Teilen und der ganzen Kirche hinzu, so daß das Ganze und die einzelnen Teile zunehmen aus allen, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit Zusammenwirken“ (LG 13). Gelten im Hinblick auf das Geschenk der Katholizität die Worte des hl. Petrus nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für die Teilkirchen? „Dient einander“, so schreibt er, „als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat“ (7 Petr 4,10). Ortskirchen mußten sich immer gegenseitig helfen und beistehen, besonders denen beistehen, die in der Nähe sind, und denen, die der Hilfe am dringendsten bedürfen. Solche Aktionen stärken die Gemeinschaft unter den Kirchen und machten das fruchtbringende Wesen der Katholizität der Kirche sichtbar. Die Gaben der Einheit und Universalität drängen uns auch zu größerem Fortschritt im Ökumenismus. Der Wunsch nach vollkommener Gemeinschaft unter allen Christen ist seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil überall in der katholischen Kirche beachtlich gestiegen. Darüber freuen wir uns und danken Gott. Aber unsere Gebete um volle Einheit müssen noch zunehmen. Der spirituelle und theologische Dialog muß auf allen Ebenen weitergeführt werden. Und wir müssen in unseren Bemühungen um Dienst und gemeinsames Zeugnis für Christus auf jede geeignete Weise Zusammenarbeiten, damit die Kirche von allen als das Sakrament der Einheit und Versöhnung erkannt werden kann und sie die Sache des Friedens wirksamer zu fördern vermöge. 8. Der Vers vor dem Evangelium der heutigen Messe greift die Worte des hl. Paulus auf: „In eurem Herzen herrsche der Friede Christi; dazu seid ihr berufen als Glieder des einen Leibes“ (Kol 3,15). Das Gebet des Apostels wird heute zu unserem Gebet, denn es ist auch unser tiefer Wunsch, daß in jedem Herzen der Friede Christi herrsche. Die Kirche ist sich der Friedenssehnsucht der Menschen sehr wohl bewußt und hat zahlreiche Initiativen ergriffen, um sie zu fördern. Seit 1968 lädt sie jedes Jahr alle Menschen guten Willens ein, mit ihr zusammen am Neujahrstag den Weltfriedenstag zu feiern. Und außerdem beten und arbeiten in jedem Land, einzeln und zusammen mit anderen, Christen für den Frieden. 849 REISEN Jesus sagte: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch“ (Joh 14,27). Und euch allen sage ich heute: Friede sei mit euch. In Maori: Kia tau iho te rangimarie o te Ariki ki a koutou. In Samoan: la faatasi le Filemu ma outou. In Maori von Cook Island: Ei a koutou te ’au. In Polnisch: Pokoj Warn. In Kroatisch: Mir Stobom. In Holländisch: Vrede zij met u. In Gälisch: Siochän De luibh go leir. In Lateinisch: Pax Vobis! 9. Als Mitglieder einer pilgernden Kirche friedlich vereint, haben wir den Wunsch, noch einmal im Geiste an den Toren Jerusalems zu stehen und die Worte des Psalmes zu singen: „Erbittet für Jerusalem Frieden! Wer dich liebt, sei in dir geborgen! Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit! Wegen meiner Brüder und Freunde will ich sagen: In dir sei Friede! Wegen des Hauses des Herrn, unseres Gottes, will ich dir Glück erflehen“ (Ps 122,6-9). Friede für Jerusalem! Friede für die Gemeinschaft der Kirche! Friede für die Welt! Friede, der die Frucht der Liebe ist! Und die Liebe erblüht dort, wo die Gläubigen mit den Hirten der Kirche verbunden sind, wo Priester im Einklang mit dem Bischof arbeiten, wo die Bischöfe in kollegialer Gemeinschaft untereinander und mit dem Bischof von Rom vereint sind. Zwischen Einheit und Frieden besteht ein wesentliches und dynamisches Band. Wie uns der hl. Paulus sagt: „Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen. Denn er ist unser Friede“ (Eph 2,13 f.). Die Liebe Christi reißt die Feindseligkeiten und Schranken nieder, die die Menschen voneinander trennen. Und durch seinen Heiligen Geist pflanzt er in unseren Herzen die Keime kirchlicher Gemeinschaft. Aus diesem inneren Wirken des Heiligen Geistes wird der ganze Leib Christi auferbaut zu „einem heiligen Tempel im Herrn“, zu „einer Wohnung Gottes im Geist“ (Eph 2,21 f.), zu einer Gemeinschaft der Liebe und des Friedens. Als Brüder und Schwestern in Christus, als diejenigen, die Christus seine Freunde nennt, verkündigen wir der Welt, daß Jesus kam, um die frohe Kunde des Friedens zu bringen (vgl. Eph 2,17). Die Kirche führt das Werk Christi in der Welt weiter, wobei sie sich seines Segens, besonders des Segens des Friedens, erfreut. 850 REISEN „Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“ (Mt 5,9). Amen. Auf Französisch richtete der Papst Grußworte an die Pilger aus Tahiti und anderen französischen Pazifikinseln: Ich freue mich, alle Pilger französischer Sprache zu begrüßen, die von ihren fernen Inseln gekommen sind, um mit dem Nachfolger Petri zu beten, der dieses Mal leider nicht zu ihnen kommen kann. Liebe Brüder und Schwestern aus Tahiti, von den Marquesasinseln, von Vanuatu, Wallis und Futuna und aus Neukaledonien, seid willkommen! Ihr leidet manchmal unter eurer Zerstreuung und unter einer Reihe anderer Prüfungen, die ich mit euch in mein Gebet aufnehme. Aber ihr bleibt fest verbunden mit dem katholischen Glauben, mit eurer französischen Kultur, die sich in enger Gemeinschaft mit euren örtlichen Kulturen entfaltet, mit eurer Heimat, mit der Gemeinschaft um euren Bischof und um den Bischof von Rom. Ich denke besonders an die große Gruppe aus Tahiti, deren Diözese das 150jährige Jubiläum der Evangelisierung gefeiert hat. Vertieft den Glauben, der euch von mutigen Missionaren gebracht worden ist; verleiht ihm Ausdruck im Gebet, das bei euch so spontan und natürlich ist, und in allen Akten der Nächstenliebe, der Gerechtigkeit und des Friedens, damit er eure alten und neuen Sitten und Gewohnheiten prägt. Verbreitet ihn mit der Achtung vor Personen und Kulturen. Ein jeder - Priester, Ordensmann, Laie, Jugendlicher oder Erwachsener - nehme am Leben der Kirche und an ihrem Zeugnis teil! Eure Familien müssen glänzen durch Treue und Großmut! Die Universalkirche, die euch keineswegs vergißt, liebt euch, unterstützt euch, zählt auf euch, damit Gott auf euren Inseln verherrlicht werde und alle eure Brüder zu der Fülle des Glaubens und des Heils gelangen, die in Jesus Christus vorhanden ist. Aus ganzem Herzen segne ich euch und alle, die euch lieb und teuer sind oder die leiden. Der Herr bewahre euch in seinem Frieden! 851 REISEN Entscheidung in der Jugend gestaltet die Zukunft Ansprache bei der Begegnung mit der Jugend von Auckland, Neuseeland, am 22. November Liebe Jugend! 1. Ich danke für euren herzlichen Empfang. Nach der großen Freude meiner ersten Eucharistiefeier in Neuseeland bin ich dankbar für die Möglichkeit zu einem Treffen mit euch, der Jugend von Aotearoa. Diese Lebensperiode, die Jugendzeit, ist eine Zeit von besonderer Bedeutung. Die Entscheidungen, die ihr jetzt trefft? die Freundschaften, die ihr knüpft, die Werte, die ihr für euer Leben wählt, die Ziele, die ihr euch setzt - all das wird eure persönliche Zukunft gestalten und sich auf die Zukunft der Gesellschaft auswirken. Ich bin immer glücklich, mit jungen Leuten zusammenzusein, weil ich mich über eure Begeisterung und Hoffnung freue. Da ihr vor den Herausforderungen der Jugend steht, möchte ich euch gern der Liebe Christi versichern und an das Evangelium erinnern, das er verkündete, an die Frohe Botschaft von der Wahrheit, Freiheit und Heilsrettung. <102> <102> Der Abschnitt des Evangeliums, den wir gehört haben, beschreibt einen Wendepunkt im Leben des hl. Petrus. Es war kurz nach Jesu Tod. Petrus und die anderen Jünger waren noch wie betäubt vom Erlebnis des Kreuzes. Wie waren sie sich doch ihrer eigenen Unzulässigkeiten bewußt! In der Stunde des Leidens und Todes ihres Meisters, als er sie am meisten brauchte, hat ihn Judas verraten, Petrus verleugnet, und die übrigen waren voller Angst geflohen. Verstört und voller Trauer schienen die Jünger zu glauben, die Zukunft Sei hoffnungslos; sie wußten nicht, was sie tun sollten. So kehrten sie in ihre vertraute Umgebung zurück. Petrus sagt plötzlich: „Ich gehe fischen.“ Und die anderen sagen: „Wir kommen auch mit“ (Joh 21,3). Doch ihr Vorhaben scheint ein Mißerfolg zu werden. Denn im Evangelium heißt es: „Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts“ (Joh 21,3). Aber dann beginnt, an diesem Tiefpunkt ihres Lebens, in ihrer Entmutigung und ihrem Scheitern, der Dämmerschein der Hoffnung anzubrechen. „Als es schon Morgen wurde“ - so lesen wir -, „stand Jesus am Ufer“ {Joh 21,4). Gerade in dem Augenblick, als Petrus und die anderen es wegen ihres Verhaltens - als unangenehm empfinden mußten, wenn Jesus kam, näherte er sich ihnen mit einer schlichten freundschaftlichen Geste. 852 REISEN „Jesus sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr nicht etwas zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sagte zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, und ihr werdet etwas fangen. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es“ (Joh 21,5 f). Tatsächlich „fingen sie etwas“, und es war weit mehr als ein großer Fischfang. Sie fanden aufs neue Hoffnung und Freude in der Gegenwart des auferstandenen Herrn. 3. Dieser Wendepunkt im Leben des Petrus kam auf Initiative Jesu, nicht auf Initiative des Petrus zustande. Der Versuch des Petrus schlägt fehl; aber als er auf Jesu Gebot hin fischt, sind die Netze zum Reißen voll. Dasselbe geschieht im. Leben eines jeden von uns. Während es stimmt, daß wir selbst entscheiden, welche Wege wir einschlagen wollen, werden uns unsere Entscheidungen nur dann zu echter Freude und Erfüllung führen, wenn sie im Einklang mit Gottes Willen stehen. Wie der hl. Paulus sagt: „Denn Gott ist es, der in euch das Wollen und das Vollbringen bewirkt, noch über euren guten Willen hinaus“ (Phil 2,13). Das Geheimnis des erfolgreichen Fischzuges ist der Gehorsam des Petrus und seiner Gefährten. Als Jesus sprach,;warfen sie - obwohl sie die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen hatten - die Netze aus und versuchten es noch einmal. Ihr Gehorsam bewirkte. einen erstaunlichen Fischfang. Noch wichtiger aber: er öffnete ihnen die Augen; er half ihnen, Jesus durch den Glauben zu erkennen. „Der Jünger, den Jesus liebte, sagte zu Petrus: Es ist der Herr!“ (Joh 21,7). Und Petrus antwortet sofort voll Freude; er springt in den See und geht ans Ufer, in dem leidenschaftlichen Verlangen, bei Jesus zu sein. 4. Aber das Verlangen Jesu, bei Petrus zu sein, ist noch größer als das Verlangen Petri, bei Jesus zu sein. Jesus erkennt nicht nur Petrus, sondern er lädt ihn und seine Freunde ein, an einem Mahl teilzunehmen, das er bereitet hat. „Kommt her und eßt!“, sagt er (Joh 21,12). Die Wärme der Freundschaft Jesu hat die Furcht der Apostel überwunden. Die Last von Schuld und Trauer ist dem Licht und Frieden des auferstandenen Herrn gewichen. An dieser Stelle blickt Jesus Petrus direkt an und fragt ihn: „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese? Petrus antwortet ihm: Ja, Herr, du weißt, daß ich dich liebe“ (Joh 21,15). Jesus wünscht ganz deutlich, daß Petrus ihn liebt; und er will, daß Petrus seine Liebe in Worten ausdrückt und durch Taten beweist. Jesus wünscht das so sehr, daß er seine Frage zweimal wiederholt. Und jedesmal trägt er 853 REISEN Petrus auf, sich um seine Lämmer und Schafe zu kümmern - sich um die Kirche zu kümmern, die der Sorge Petri überlassen bleibt. Und wir wissen, daß Petrus den Rest seines Lebens damit verbrachte, für Nahrung für das Volk Gottes zu sorgen, Nahrung für die Seele, Nahrung des ewigen Lebens, Nahrung, die sowohl das Wort Gottes - die Frohbotschaft vom Heil - und der Leib und das Blut Christi ist. 5. Liebe junge Freunde, auch ihr befindet euch an einem Wendepunkt in eurem Leben, und durch Christi Gnade und seine Liebe kann das heute geschehen. Manche von euch haben vielleicht Zweifel und Verwirrung kennengelernt; haben Traurigkeit und Scheitern und schwere Sünde erfahren. Denn für euch alle ist das eine wichtige Zeit in eurem Leben. Es ist eine Zeit der Entscheidung. Es ist eine Zeit, Christus anzunehmen: seine Freundschaft und Liebe, die Wahrheit seines Wortes anzunehmen und seinen Verheißungen zu glauben; anzuerkennen, daß seine Lehre euch zum Glück und schließlich zum ewigen Leben führen wird. Es ist eine Zeit, Christus anzunehmen, wie er in seinem Leib, der Kirche, lebt. Ihr seid schon mit Christus in der Taufe und in der Eucharistie verbunden, und nun spürt er euch in diesen Jügendjahren in besonderer Weise auf. Wie groß eure Liebe zu Jesus auch ist, seine Liebe zu euch ist weit größer. Er kennt jeden von euch beim Namen. Er weiß, wann ihr Vergebung braucht, und er kennt euren Wunsch zu vergeben. Er kennt euch besser als ihr euch selbst. Jesus hebt euch unermeßüch, denn er hat sein Leben für euch hingegeben (vgl. Joh 15,13). Wir alle können uns gelegentlich verlieren, verlieren in uns selbst oder in der Welt um uns. Laßt zu, daß Christus euch findet, daß er zu euch spricht, daß er euch alles fragt, was er will. Seid gewiß: Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes ist der Weg zu einem fruchtbaren Leben, der Weg zur liebevollen Gemeinschaft mit Christus. 6. Im Evangelium wird erzählt, daß einmal ein reicher junger Mann sich mit der Frage an Jesus wandte: „Guter Meister, was muß ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ (Mk 10,17). Jesus hieß ihn die Gebote halten, denn ohne Gehorsam gegen den Willen Gottes kann es keine echte Gottes- oder Nächstenliebe geben. Deshalb sagt Jesus: „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“ (Joh 14,15). Und an einer anderen Stelle: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage“ (Joh 15,14). Wenn ihr die Fülle der Freude erlangen wollt, muß euer Gehorsam der volle Gehorsam der Liebe sein. Denn obwohl der reiche Jüngling im 854 REISEN Evangelium alle Gebote gehalten hatte, „sah ihn Jesus an, und weil er ihn liebte, sagte er: Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ (Mk 10,21). Liebe Jugend von Neuseeland: Wiederholt Jesus vielleicht für den einen oder anderen von euch heute seine Worte: „Eines fehlt dir noch?“ Verlangt er vielleicht noch mehr Liebe, mehr Hochherzigkeit, mehr Opfer? Ja, die Liebe Christi schließt Hochherzigkeit und Opfer ein. Den Geboten Gottes zu gehorchen verlangt persönliche Disziplin; es verlangt Einsatz, sich im Dienst der Liebe um einen Bruder oder eine Schwester zu kümmern, die in Not sind. Christus zu folgen und in seinem Namen der Welt zu dienen, erfordert Mut und Kraft. Da ist kein Platz für Selbstsucht - und kein Platz für Angst! Vielleicht sind einige von euch dazu bestimmt, Christus in Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam im Ordensleben zu folgen oder ihm als Priester zu dienen. Diese besonderen Berufungen sind eine Gabe des Herrn an seine Kirche. Sie sind auch eine Gabe Christi an den Menschen, den er ruft. Wenn Christus in dieser Weise zu euch spricht, seid bereit zum Dienst, bereit zum Opfer, bereit zur Liebe! Und jenen unter euch, die Christus zum Eheleben beruft, sage ich folgendes: Seid der Liebe der Kirche zu euch und eurer lebendigen Rolle in der Kirche gewiß. Christliches Familienleben und lebenslange eheliche Treue sind so dringend notwendig in der heutigen Welt, wo die Heiligkeit des menschlichen Lebens oft mißachtet oder geradezu bekämpft wird, wo das Geheimnis der menschlichen Sexualität leichtfertig entstellt und verdreht wird, wo die Schönheit der menschlichen Liebe in dem wilden Drang, selbstsüchtige Wünsche zu befriedigen, vergessen wird. Laßt euch nicht verleiten oder entmutigen. In Christus und in seiner Kirche werdet ihr das Licht und die Gnade finden, die ihr für ein Leben in Treue und Freude braucht. 7. Liebe junge Menschen von Neuseeland! Jesus blickt jeden von euch voll Liebe an, so wie er es mit Petrus, mit den gläubigen Aposteln und mit dem reichen Jüngling getan hat. Nur einer von diesen ging traurig weg: es war jener, der Angst vor dem Opfer hatte, der nein sagte. Da das Kreuz Christi das Zeichen der Liebe und des Heiles ist, sollten wir nicht überrascht sein, daß jede wahre Liebe Opfer verlangt. Habt also keine Angst, wenn Liebe Forderungen stellt. Habt keine Angst, wenn Liebe Opfer verlangt. Habt keine Angst vor dem Kreuz Christi. Das Kreuz ist der Baum des 855 REISEN Lebens. Es ist die Quelle aller Freude und des Friedens. Es war der einzige Weg für Jesus, zur Auferstehung und zum Sieg zu gelangen. Es ist der einzige Weg für uns, an seinem Leben jetzt und immer teilzuhaben. Junge Leute von Neuseeland, Jesus ist mit euch. Habt keine Angst! Gott bittet uns um eine Antwort Ansprache vor dem Angelusgebet in Wellington am 23. November 1. Zum Abschluß der Christ-König-Messe wollen wir einen Augenblick lang der seligen Mutter Jesus gedenken und zusammen den Angelus beten. Dieses schöne Gebet beginnt mit den Worten: „Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft.“ Gott Vater ergreift die Initiative und sendet seinen Boten aus, um Maria aufzufordern, Mutter seines geliebten Sohnes zu sein. Der hl. Lukas berichtet uns: „Der Engel Gabriel wurde von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt... Der Name der Jungfrau war Maria {Lk 1,26 f.). <103> <103> Der bedeutendste Augenblick in Marias Leben ging von der Initiative Gottes aus. Durch Vermittlung des Engels Gabriel lädt Gott ein; und mit natürlicher Bereitwilligkeit antwortet Maria. Gott macht ein Angebot, und Maria nimmt an. „Fiat“ sagt sie. Und: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Dies ist der Augenblick, in dem Maria zur Mutter Gottes wurde. Dies ist der Wendepunkt in der gesamten Menschheitsgeschichte, der Zeitpunkt, als Gott Mensch wurde. Auf diese Art willigte Maria in das Geheimnis der Menschwerdung ein und gab ihr Einverständnis, Mutter Gottes zu werden. In der Heilsgeschichte und im Leben von uns ergreift Gott immer aufs neue die Initiative. Er bittet uns, aus dem Glauben eine Antwort zu geben, und fordert uns auf, unsere Einwilligung zu geben. Es ist Gott, der die Initiative ergreift, weil es auch Gott ist, der den Lauf der Geschichte bestimmt. Denn der Herr spricht durch den Propheten Jeremia: „Ich kenne meine Pläne, die ich für euch habe... Pläne des Heils und nicht des Unheils, denn ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben“ (/er 29,11). 856 REISEN 4. Wir beten den Angelus mit dem Wunsch, Maria ähnlicher zu werden und ein tiefes Vertrauen in Gottes Pläne für uns und in seine göttliche Vorsehung zu haben. Und wie Maria wollen wir sprechen: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Unsere Antwort soll aus dem Glauben und der Hoffnung auf die Offenbarung der Liebe Gottes zur Welt erfolgen. 5. Indem ich dieses Gebet zur seligen Jungfrau Maria spreche, möchte ich die ganze Kirche Neuseelands unter ihre hebevolle Obhut stellen. Ich erbitte ihre Fürsorge für alle geliebten Gläubigen in diesem Land, zusammen mit ihren Bischöfen, Priestern und Ordensgeistlichen. Heilige Mutter Gottes, ich bete, daß du den Armen und den Leidenden hilfst; daß du den Sündern vergibst und den Betrübten Freude bringst und daß du alle deine Söhne und Töchter in Neuseeland zur Freude des ewigen Lebens mit den Engeln und Heiligen in das Königreich Jesu, deines Sohnes, führst. Amen. Versöhnung wird jedem Menschen persönlich angeboten Predigt bei der hl. Messe in Wellington am 23. November Liebe Brüder und Schwestern! 1. „Dankt dem Vater mit Freude! Er hat euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind. Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes“ {Kol 1,12 f.). Heute am Christkönigsfest bedeutet es für mich eine Ehre und Auszeichnung, die Einheit der universalen Kirche in diesem Land des Pazifik, hier in Wellington, der Hauptstadt von Neuseeland, verkünden zu können. Mit großer Freude begehe ich diese Eucharistiefeier heute mit euch. Mein Herz ist voll von tief empfundener Dankbarkeit, weil ich meine Stimme mit den euren vereinen darf, um die heiligste Dreifaltigkeit zu loben und zu preisen. Mit brüderlicher Zuneigung grüße ich den Erzbischof dieses Sitzes, Kardinal Thomas Williams, Bischof Cullinane und meine anderen Mitbrüder im Bischofsamt. Zusammen mit ihnen grüße ich recht herzlich alle meine Brüder im Priestertum, die Ordensmänner und -frauen und alle 857 REISEN Gläubigen, zumal die aus der Erzdiözese Wellington und der Diözese Palmerston North. Euch allen sage ich: Wir wollen dem Vater danken! „Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen!“ „Er hat uns aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes!“ Ja, seines gebebten Sohnes! Es ist der gleiche Jesus von Nazaret, von dem eine Stimme vom Himmel her sagte: „Dies ist mein Sohn, der Vielgeliebte. Auf ihn sollt ihr hören“ (Lk 9,35). 2. Die Liturgie führt uns heute zu jenem Ort, wo die Worte des hl. Paulus endgültig bestätigt wurden, dem Ort, wo die Wahrheit von der Erlösung voll geoffenbart wurde. Wir befinden uns auf Kalvaria im Augenblick der Kreuzigung. Mit Jesus wurden auch zwei Verbrecher gekreuzigt. Einer von diesen beschimpfte ihn mit den Worten: „Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns!“ (Lk 23,39). Der andere dagegen sagte: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst“ (Lk 23,42). Dieser zweite Mann glaubte an das Reich des Gekreuzigten. Er glaubte an das Königreich, das durch Christus, den Gekreuzigten, jedem Menschen nahekommt. Gewiß hat ihm nicht Fleisch und Blut diese Wahrheit geoffenbart, sondern der Vater - jener Vater, der uns aus der „Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen hat,in das Reich seines geliebten Sohnes“ (Kol 1,13). Der Sohn, Jesus, sagt in seinem Todeskampf am Kreuz zu seinem mitgekreuzigten Gefährten: „Wahrlich, ich verspreche dir, heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). 3. Das Hauptthema der heutigen Liturgie ist in dem Satz ausgedrückt: „Friede des Herzens ist das Herz des Friedens.“ Diese Worte werden am Christkönigsfest bekräftigt durch das, was der hl. Paulus in der zweiten Lesung verkündet. Christus, das Bild des unsichtbaren Gottes, ist zugleich „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ (Kol 1,15). Noch mehr, „Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut“ (Kol 1,19 f.). Friede des Herzens, Friede des menschlichen Gewissens, ist gerade die Frucht dieser Versöhnung durch das Kreuz. 4. Jesus im Todeskampf am Kreuz zwischen zwei Verbrechern: diese Szene ist ein eindrucksvolles Symbol für das Geheimnis der Versöhnung. 858 REISEN An erster Stelle zeigt sie uns lebhaft die schrecklichen Auswirkungen der Sünde, die brutale und harte Wirklichkeit des Bösen, die fürchterlichen Folgen des Ungehorsams und der Entfremdung von Gott. Wer könnte auf das Kreuz Christi schauen und die Wirklichkeit der Sünde nicht anerkennen? Und nicht nur die Wirklichkeit der Sünde, sondern auch ihre zerstörerischen Folgen? Sünde ist ein personaler Akt, der das Verhältnis zu Gott zerbricht und damit Verstand und Willen schwächt. Sünde hat auch ihre Auswirkungen auf andere. „Es gibt keine Sünde, und sei sie auch noch so intim und geheim und streng persönlich, die ausschließlich den betrifft, der sie begeht. Jede Sünde wirkt sich mehr oder weniger heftig zum größeren oder kleineren Schaden aus auf die gesamte kirchliche Gemeinschaft und auf die ganze menschliche Familie“ (Reconciliatio et paenitentia, 16). Die Szene aus dem heutigen Evangelium erinnert uns freilich an eine Wirklichkeit, die noch größer ist als die Sünde, an eine höhere und wichtigere Wahrheit, nämlich an die Erlöserliebe Christi, eine Liebe, die stärker ist als das Böse, stärker als der Tod. Eben an diesem Punkt in der Menschheitsgeschichte, als Christus am Kreuz für uns sein Leben hingab, „hat Gott in Christus die Welt mit sich versöhnt“ (2 Kor 5,19). Paulus formuliert im Flinblick auf dieses Ereignis erbarmender Liebe, „durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden“ (Eph 1,7). Ja, Christus am Kreuz „hat die Welt mit sich versöhnt“ (2 Kor 5,19), die ganze Menschheit aller Zeiten und Zonen, „alles im Himmel und auf Erden“ (Kol 1,20). Darum kam der Sohn Gottes in diese Welt: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Und doch wird die Versöhnung jedem Menschen persönlich angeboten. Jeder muß in Freiheit entscheiden, ob er sie annimmt oder ablehnt. Denken wir an die beiden mit Jesus gekreuzigten Verbrecher. Jeder antwortete Jesus aufgrund seiner eigenen freien Entscheidung, aber gegensätzlich. Gott achtet unsere menschliche Freiheit. Hochherzig bietet er uns das Geschenk der Versöhnung an, aber er zwingt uns nicht, es anzunehmen. Er läßt uns die Freiheit, es abzulehnen. Wir müssen sie in Freiheit annehmen, wenn wir zum Reich Gottes gehören wollen. 5. Wenn wir aber zum Reich Gottes gehören möchten, welches sind dann die Wege, wie dieses Reich Gottes im Menschenherzen Wurzeln zu fassen beginnt? Wie kommen Versöhnung und Friede in unserem eigenen Innern zustande? 859 REISEN Der erste Weg ist natürlich das Gebet. Gemeint ist das liturgische Gebet, in dem wir uns mit Christus, dem Hohenpriester, im amtlichen Gottesdienst der Kirche verbinden, und das persönliche Gebet, wenn wir dem Herrn allein in unserem Herzen begegnen. Das Gebet öffnet Geist und Herz für Gott. Es vertieft unser Verlangen nach seinem Reich. Gebet verbindet uns bewußt mit der Gemeinschaft der Heiligen, die uns durch ihre ständige Fürbitte unterstützen. Ein zweiter Weg zum Frieden des Herzens ist die Annahme der Frohbotschaft. Jesus begann seine öffentliche Predigt mit einem Aufruf zur Bekehrung: „Bekehrt euch und glaubt an die Frohbotschaft“ (Mk 1,15). Die Kirche setzt die Sendung Christi fort, indem sie die Sünde verurteilt, die Menschen zur Bekehrung auffordert und sie zur Versöhnung mit Gott einlädt. Zu allen Zeiten aber verkündet die Kirche die Güte und Barmherzigkeit des Herrn. Sie lädt uns alle ein, „alle Last und die Fesseln der Sünde abzuwerfen und mit Ausdauer in den Wettkampf zu laufen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus zu blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens“ (Hebr 12,1 f.). Dialog ist ein weiterer Weg zu Versöhnung und Frieden, jener Glaubensdialog, der von einer tiefen Achtung für die anderen ausgeht und vom Vertrauen auf den endgültigen Sieg der Wahrheit. Damit es zu diesem echten Dialog kommen kann, „müssen wir uns alle unter das Wort Gottes stellen. Indem wir die eigenen subjektiven Ansichten aufgeben, haben wir die Wahrheit dort zu suchen, wo sie zu finden ist, das heißt im Wort Gottes und in der authentischen Interpretation, die das Lehramt der Kirche davon gibt“ (Reconciliatio et paenitentia, 25). In dieser Hinsicht freut es mich, daß ihr in Neuseeland euch um eine größere Kenntnis des Wortes Gottes bemüht und eure Liebe zu Christus zu vertiefen versucht. Die Wege zur Bekehrung schließen auch Bußübungen ein, Almosengeben, Fasten und was immer uns wirklich helfen kann, von der Sünde zu geistiger Freiheit, von Selbstsucht zu Gerechtigkeit und Liebe zu kommen, vom Haß zum Verlangen nach Frieden. Durch alle Sakramente der Kirche baut Christus selber das Reich Gottes in unseren Herzen auf. In der heiligen Eucharistie empfangen wir das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt hinwegnimmt und uns Frieden schenkt. Im Bußsakrament versöhnt uns der Herr mit sich und sendet uns aus, Diener der Versöhnung in der Welt zu sein. Jedes Sakrament verbindet uns auf seine Weise mit unserem auferstandenen Erlöser und erneuert in uns die Gaben des Heiligen Geistes. 860 REISEN 6. Friede kommt ebenso wie Liebe aus einem neuen Herzen, einem Herzen, das Gottes Versöhnungsgnade neu gemacht hat. Ein neues Herz ist die Grundlage. des Friedens in der Welt. Alles echt menschliche Handeln geht vom Herzen aus, dem innersten Zentrum der menschlichen Person, dem Sitz unseres Gewissens und unserer tiefsten Überzeugungen. Daher ist der Friede des Herzens das Herz des Friedens - des Friedens innerhalb der Familien, innerhalb der Dörfer und Städte, der Friede zwischen Nationen und im internationalen Leben. Überall in der Welt ist Friede nur möglich, wenn vor allem der Friede der Herzen herrscht. Doch wird dieser innere Friede in unserer modernen Welt ständig bedroht. Er wird gestört durch die menschlichen Leidenschaften, durch Haß, Neid, Machtgier, Stolz, Vorurteile und ein unkontrolliertes Verlangen nach Wohlstand. Gewaltanwendung und Krieg entstammen der Blindheit unseres Geistes und der Unordnung in unseren Herzen. Das führt dann zu Ungerechtigkeit, die ihrerseits wieder Spannung und Konflikte verursacht. Ferner wird das Bewußtsein der Völker heute oft durch ideologische Manipulation der Information verwirrt. Natürlich fordert es großen Mut, uns für die Bekehrung des Herzens zu öffnen und diese Bekehrung in Demut und Freiheit festzuhalten. Hindernisse für den Frieden gibt es viele. „Sie sind schwerwiegend und stellen ernsthafte Bedrohungen dar. Doch da sie vom Geist, vom Willen, vom menschlichen Herzen abhängen, kann der Mensch sie mit Hilfe Gottes überwinden. Wir müssen uns weigern, in Fatalismus oder Entmutigung zu verfallen. Schon durchdringen positive Zeichen die Finsternis“ (Botschaft zum Weltfriedenstag 1984, 5). Und wir wollen nie vergessen, daß der endgültige Triumph über die Finsternis bereits durch Jesus Christus, das Licht der Welt, errungen ist. 7. Unsere Hoffnung auf den Sieg des Friedens gründet sich auf unseren Glauben an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Vom ersten Anfang an, im Akt der Schöpfung selbst ist uns Gottes Güte und Vorsehung geoffenbart. Das Buch Genesis sagt nämlich: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut“ {Gen 1,31). Diese geschaffene Welt ist nicht das Ergebnis reinen Zufalls, sie entstammt der Liebe Gottes; sie wird von Gottes Liebe getragen, und alles, was sich in der menschlichen Geschichte ereignet, unterliegt der liebevollen Vorsehung Gottes. Im erhabenen Ereignis der Menschwerdung - dem Geheimnis Gottes, der Mensch wird - geht uns das Geheimnis der Schöpfung noch mehr auf, denn wie der hl. Paulus sagt, ist „Christus der Erstgeborene der ganzen 861 REISEN Schöpfung. Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare“ (Kol 1,15 f.). Gott hat die Welt so sehr geliebt, von Anfang an, daß er durch die menschliche Natur Jesu, seines geliebten Sohnes, in Verbindung mit der ganzen Menschheit treten wollte. Da er sowohl Gott als auch Mensch ist, konnte Jesus wieder aufrichten, was die Sünde zerstört hatte; er konnte die Schöpfung zu ihrer ursprünglichen Bestimmung zurückführen. So wollte Gott nach den Worten des hl. Paulus „mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen“ (Kol 1,19 f.). Das Geheimnis der Schöpfung ist also ein Teil unserer Feier heute am Christkönigsfest, denn Christus ist zugleich Herr des Himmels und der Erde; er, der die ganze Schöpfung mit sich versöhnt hat und Frieden stiftete durch seinen Tod am Kreuz (vgl. Kol 1,20). Dankbaren Herzens preisen wir daher den Herrn mit den Worten des Psalmes: „Erkennt: Der Herr allein ist Gott. Er hat uns geschaffen, wir sind sein Eigentum, sein Volk . . . Ja, der Herr ist gütig, ewig währt seine Huld, von Geschlecht zu Geschlecht seine Treue“ (Ps 100,3.5). 8. Gott hat uns geschaffen. Doch er hat uns nicht nur geschaffen, sondern auch „fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind. Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes ... In ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden . . . alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen. Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand“ (Kol 1,12-17). Christus, der König, ist der Anfang. Er ist der Erstgeborene von den Toten. Christus, der König, ist das Haupt seines Leibes, der Kirche. In ihm haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden. In Christus, dem König, wohnt alle Fülle! Amen. 862 REISEN Echte Erneuerung in Treue zum Evangelium Ansprache an die neuseeländischen Bischöfe in der Nuntiatur in Wellington am 23. November Lieber Kardinal Williams! Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Meine Begegnung mit euch, den Bischöfen der Kirche in Neuseeland, stellt einen sehr bedeutsamen Augenblick meines Besuches in eurem Lande dar. Diese Zeit brüderlichen Austausches gibt uns Gelegenheit, aufs neue voll Freude und Dankbarkeit die Bindung zu erleben, die uns in Christus und in seiner Kirche vereint: das Band der vollen kirchlichen Gemeinschaft, das Band der Bischofsweihe, das Band hierarchischer und kollegialer Verantwortlichkeit für die Kirche, die unserem jeweiligen Amt anvertraut ist. Wir sind verbunden „im Bande der Einheit, der Liebe und des Friedens“, das für die Beziehung der Bischöfe der Welt untereinander und mit dem Bischof von Rom seit den Zeiten der Apostel charakteristisch ist (vgl. LG 22). Ich möchte euch meiner hohen Wertschätzung und Achtung im Herrn für jeden von euch versichern, und ich weiß, daß ich auf eure Hilfe im Gebet und auf euren gemeinsamen Einsatz für das Evangelium (vgl. Phil 1,5) zählen kann. Durch die Gnade Christi sind wir dazu berufen, in unserem Dienstamt jenen Einklang von Leben und Amt widerzuspiegeln, von dem die Apostel zusammen mit Petrus und unter seiner Führung Ausdruck gaben (vgl. Joh 21,3; Apg 1,15; Gal2,7). Das taten sie wie wir alle in Antwort auf den Herrn selbst, den „obersten Hirten“ (1 Petr 5,4) der Kirche. <104> <104> Mein erster Gedanke in bezug auf die Kirche in Neuseeland ist, „Gott für euch alle zu danken . . .; unablässig erinnern wir uns vor Gott, unserem Vater, an das Werk eures Glaubens, an die Opferbereitschaft und an die Standhaftigkeit eurer Hoffnung auf Jesus Christus, unseren Herrn“ (2 Thess 1,2 f.). Die Kirche in eurem Land reicht 150 Jahre zurück. Wir freuen uns darüber, daß in jeder Generation hingebungsvolle Männer und Frauen aus dem Laienstand und hochherzige Priester und Ordensleute zusammen mit ihren Bischöfen Zeugnis vom Heilsgeheimnis der Erlösung in Jesus Christus und vom evangelischen Gesetz der Liebe gegeben haben. Sie nährten das Samenkorn des Wortes Gottes und sorgten für sein Wachstum. Nun „erntet ihr die Frucht ihrer Arbeit“ 863 REISEN (Jok 4,38). Ihr habt das Licht des Evangeliums empfangen und seid dazu berufen, es in seinem ganzen Glanz an die gegenwärtigen und künftigen Generationen der Neuseeländer weiterzugeben. Ich weiß, mit welcher Liebe und Sorge, mit wieviel Teilnahme und pastoraler Umsicht ihr eurem Volk dient. Ich danke euch im Namen der ganzen Kirche und spreche euch meine brüderliche Ermutigung aus. 3. Jede Generation mußte sich ihren eigenen Herausforderungen stellen. Heute erlebt die Kirche in Neuseeland wie in der übrigen Welt einen besonders spannungsgeladenen Augenblick ihrer Erdenpilgerschaft. Ich bin, wie ich vorhin sagte, ganz davon überzeugt, daß das Zweite Vatikanische Konzil „das grundlegende Ereignis im Leben der modernen Kirche“ bleibt (vgl. Predigt in St. Paul vor den Mauern, 25. Januar 1985: O.R., dt., 15. 2. 1985, 20). In voller Übereinstimmung mit der zweitausendjährigen Überlieferung der Kirche verlangte das Konzil eine echte Erneuerung der christlichen Gemeinschaft in noch größerer Treue zum Evangelium der Gnade und des Friedens. In der Botschaft an die Welt, die die Konzilsväter zu Beginn der ersten Sitzungsperiode veröffentlichten, gaben sie ihre Absicht bekannt, sich selbst zu erneuern, damit sie sich als immer treuer dem Evangelium Christi gegenüber erweisen und „den Menschen der heutigen Zeit Gottes Wahrheit unversehrt und rein darstellen, damit diese sie verstehen und ihr freudig zustimmen können“ (20. Oktober 1962). Wir alle erkennen, daß das Konzil dem ganzen Leib der Kirche die Lehren, Richtlinien und Motivierungen gab, die für eine derartige Erneuerung nötig waren. Darin liegt die besondere Herausforderung, die der Kirche in Neuseeland in diesen Jahrzehnten auf dem Weg zum Beginn des dritten Jahrtausends der christlichen Geschichte zugefallen ist. 4. Eure Teilkirchen in Neuseeland sind ganz in die Aufgabe, das Konzil zu erfüllen, einbezogen. Ihr seid mit Recht stolz auf das zunehmende Kirchenbewußtsein, das in Geist und Herzen vieler Katholiken Platz gegriffen hat. Ihr habt eifrig daran gearbeitet, die Liturgie für die ganze Gemeinde zu einer lebendigen Gebets- und Gottesdiensterfahrung zu machen, indem ihr für eine größere Beteiligung der Laien an ihrer Vorbereitung und Feier sorgtet. Ihr habt versucht, dem Bewußtsein der Gläubigen und der öffentlichen Meinung die Lehre der Kirche zum Leben in der Gesellschaft klarer zu vermitteln: also Familie, Kultur, Fragen der sozialen Gerechtigkeit, Probleme der Jugend. Ich ermutige euch, auch weiterhin mit Achtung vor allen Menschen und großer Liebe für das ganze euch anvertraute Gottesvolk die Weisungen des Konzils und die vom 864 REISEN Lehramt im Licht neuer Erfordernisse nachfolgend herausgegebenen Richtlinien in das Leben eurer Gemeinden einzubringen. Wir können nicht daran zweifeln, daß der Heilige Geist in eurem Volk, in euch Bischöfen, in den Priestern, Ordensleuten und Laien von Neuseeland das volle Potential an Heiligkeit und Jüngerschaft wecken will, das das Konzil gefordert hat. 5. Das alles findet vor dem Hintergrund einer zunehmenden Säkularisierung der Welt statt. Der Sinn für Gott und seine hebende Vorsehung hat bei vielen Einzelmenschen und selbst bei ganzen Gruppen der Gesellschaft abgenommen. Eine praktische Gleichgültigkeit gegenüber religiösen Wahrheiten und Werten verdeckt das Antlitz der göttlichen Liebe. Die Christen sind manchmal weniger glühend im Glauben und weniger eifrig im praktischen Tun als früher. Ihr seid mit Recht besorgt über den Rückgang der Teilnahme an der Sonntagsmesse und den anderen Sakramenten. Die christliche Erfahrung beschränkt sich mitunter auf eine introvertierte Haltung persönlichen Wohlergehens und die Aneignung einiger vager Prinzipien, die angesichts der heutigen Herausforderung an den Glauben nicht hinreichend klar oder überzeugend sind. Eine säkularisierte Gesellschaft muß wieder mit dem ganzen Evangelium des Heiles in Jesus Christus konfrontiert werden. Als Hirten des Gottesvolkes sind wir in die moderne Welt, zu den Männern und Frauen unserer Zeit gesandt, „das Evangelium so zu verkünden. . ., damit das Kreuz Christi nicht um seine Kraft gebracht wird. Denn das Wort vom Kreuz . . . ist Gottes Kraft“ {Kor 1,17 f.). Und das wiederum ist die Herausforderung, die vor allen Hirten der Kirche steht. Der Verlust einer wirklich religiösen Perspektive in der Gesellschaft ist eine ernste Herausforderung an den Glauben und Eifer der ganzen kirchlichen Gemeinschaft, besonders aber an den der Hirten der Kirche. Trotz der Unermeßlichkeit der Aufgabe sind wir mit Hoffnung und Zuversicht erfüllt. Wir zählen auf Christus, der „uns von seinem Geist gegeben hat“ {1 Joh 4,13). Und ihr könnt auf Gottes heiliges Volk in Neuseeland zählen, das an das Wort glaubt, seinen christlichen Glauben in den Sakramenten nährt und sich besonderer Gaben für die Erneuerung und den Aufbau der Kirche und der Welt erfreut. Einer der wichtigsten Aspekte der Antwort auf die geistliche Situation unserer Zeit ist in der Tat der prophetische Aufruf des Konzils an die ganze Kirche zur Heiligkeit. Echte Heiligkeit ist keine Abwendung von der Welt und den Bedürfnissen der menschlichen Familie. Sondern, wie das Konzil sagt: „Durch diese Heiligkeit wird auch in der irdischen Gesellschaft eine 865 REISEN menschlichere Weise zu leben gefördert“ {LG 40). Ein wichtiger Gesichtspunkt für die Predigt und Katechese in unserer Zeit ist die Darlegung, daß die Heiligkeit des Lebens und die Verpflichtung zu Wohl und Fortschritt der Menschheitsfamilie sich nicht gegenseitig ausschließen. Sie sind beide Notwendigkeiten der einen christlichen Jüngerschaft. 6. Die vom Konzil gewünschte Erneuerung und die Rückkehr zu den authentischen religiösen Werten, derer die moderne Gesellschaft bedarf, sind das Werk der ganzen Gemeinschaft derer, die Christus nachfolgen. Bei dieser Aufgabe kommt den Bischöfen eine besondere Rolle zu. Euch obhegt das Lehr-, Leitungs- und Priesteramt in der christlichen Gemeinde - mit einem Wort, die Fülle des pastoralen Dienstes Christi an seinem Volk. Jeder von euch ist in besonderer Weise Quelle und Fundament der Einheit der euch anvertrauten Ortskirche, so wie ihr Förderer der Einheit der Ortskirchen untereinander und mit der Universalkirche seid. Praktisch erfordert eure Sendung, daß ihr klug und unermüdlich für die Einheit in den Absichten und der Zusammenarbeit aller Mitglieder der Gemeinschaft arbeitet, wobei ihr stets die unterschiedlichen Berufungen und Charismen respektiert. Durch Wort und Beispiel versucht ihr alle zu ermutigen, am Aufbau des Christusreiches der Wahrheit und des Lebens, der Heiligkeit und Gnade, der Gerechtigkeit, Liebe und des Friedens aktiv und wirksam teilzunehmen. 7. Die Diözesan- und Ordenspriester, die zusammen mit euch an dem einen Priestertum Jesu Christi teilhaben, sind nicht nur eure engsten Mitarbeiter, sondern auch die bevorzugten Empfänger eurer pastoralen Sorge (vgl. PO 7). In Neuseeland ist die Harmonie und Brüderlichkeit zwischen allen Mitgliedern des Klerus alte Tradition. So steht ihr und eure Priester euch gegenseitig bei und teilt miteinander Freuden und Sorgen. Wie wichtig für die Kirche in Neuseeland ist die Aufmerksamkeit und Liebe, die ihr den Kandidaten für das Priester- und Ordensleben zuwendet! Meine Gedanken gelten insbesondere den Seminaristen von Mosgiel und Greenmeadows. Sie sind ein besonderes Geschenk Gottes an euer Land. Mögen sie in euch das Vorbild und die Inspiration finden, die ihnen helfen, würdige Diener Christi zu sein, Männer des Gebets, die im Wort Gottes und in der ganzen Lehre der Kirche ausgebildet wurden. Das frühere und jetzige Leben der Kirche in Neuseeland läßt sich nicht ohne ausführliche Bezugnahme auf das Apostolat der verschiedenen weiblichen und männlichen Ordensgesellschaften beschreiben. Die ganze Nation hat aus ihrer beispielhaften Hingabe Nutzen gezogen. Ich weiß, 866 REISEN daß euer pastoraler Dienst an ihnen darauf ausgerichtet sein wird, sie in ihrem besonderen kirchlichen Charisma - unter Achtung ihres jeweils verschiedenen Dienstes in der Einheit der Sendung zu stärken, die die gemeinsame Aufgabe aller in jeder Ortskirche ist. Die Ordensweihe beschenkt die Kirche und die Gesellschaft mit einem entschlossenen Zeugnis für Gottes Liebeswerk durch den erlösenden Tod und die Auferstehung Jesu Christi. Sie spricht zur Welt von dem jenseitigen Reich, zu dem wir alle im Glauben und in der Hoffnung auf dem Weg sind. So stellt das Zeugnis des Ordenslebens eine dringend benötigte und wirksame Verteidigung der geistlichen und menschlichen Werte dar, die für das gesamte Wohl des Menschen wesentlich sind. Durch euch lasse ich den Ordensmännern und -frauen Neuseelands die Versicherung des Dankes und der tiefen Wertschätzung der Kirche übermitteln. Sie sind niemals allein oder vergessen, so schweigend und bescheiden ihr Beitrag zum Wohl des Gottesvolkes auch sein mag. 8. Das Thema der kommenden Bischofssynode - „Die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt zwanzig Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil“ - hat bereits zu Reflexion und Studium darüber angeregt, wie die Gläubigen aktiver und verantwortlicher am Sendungsauftrag der Kirche teilnehmen können. Mit einem vertieften Empfinden für Jüngerschaft sind Laien, Männer und Frauen Neuseelands zunehmend an der Durchführung des Gottesdienstes, an Programmen christlicher Bildung, Erziehung und Dienste, an den Bemühungen, jene zu erreichen, die sich außerhalb der Kirche oder in schwierigen Situationen befinden, beteiligt. Ihrer besonderen Laiensituation entsprechend engagieren sie sich dafür, das Evangelium auf den Marktplatz, unter die Leute zu bringen, das heißt in die Welt sozialer, wirtschaftlicher, kultureller und poütischer Aktivitäten. Die Laien wurden von Gott mit Gaben für diese Sendung ausgestattet. Ihre Gnadengaben kommen jedoch nur dann voll zum Zug, wenn sie das Wort Gottes gehört und es in ihre Herzen aufgenommen haben. Das Konzil hat betont, daß der Erfolg des Laienapostolats von ihrer lebendigen Vereinigung mit Christus abhängt (vgl. AA 4). Und weil diese Vereinigung mit Christus nicht ohne Gebet zustande kommen kann, muß das wahre Laienapostolat auf dem Gebiet aufgebaut sein. Ihr Aufruf zu Aktion und Dienst in der Kirche ist in der Tat auch ein Aufruf zum Gebet. Ebenso brauchen die Laien ein tiefes Gefühl der „Zugehörigkeit“ zur Kirche - der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Gemeinschaft derer, die Christus nachfolgen. Die Rolle des Bischofs als Quelle 867 REISEN und Fundament der Einheit, der sein Volk zur weiteren Einheit um Petrus führt, ist daher für die Authentizität und Vitalität der Laienrolle wesentlich. Jede Sendung und jeder pastorale Dienst in der Kirche wurzelt in der Taufe, die selbst das Ziel des ursprünglichen Auftrags ist, den die Apostel empfangen haben: „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ (Mt 28,19). 9. Das Lehramt der Bischöfe ist nicht ausschließlich auf den Dienst an der katholischen Gemeinschaft gerichtet. In vielen Gesellschaften, wie auch in Neuseeland, stellt es auch einen bedeutsamen Faktor der öffentlichen Meinungsbildung dar. Die Bischöfe sind, einzeln und durch die Bischofskonferenz, aufgerufen, die Lehre der Kirche einem breiteren Publikum der allgemeinen öffentlichen Meinung mitzuteilen. Ihr seid aufgerufen, das Wort Gottes mit seinen vielfältigen Anwendungen auf das Leben in der Gesellschaft darzulegen. Es ist ein Akt der Gerechtigkeit gegenüber der Gesellschaft, die Lehre der Kirche mit Sicherheit und Klarheit auszusprechen. Als demütige Diener des Evangeliums müssen wir dem Beispiel des Paulus und Barnabas in Ikonion folgen, „die freimütig im Vertrauen auf den Herrn predigten“ (Apg 14,3). Soziale und moralische Werte sind für die öffentliche Politik nicht belanglos, noch kann die öffentliche Politik von diesen Werten absehen. Wenn ihr also die Lehre der Kirche über Ehe und Familie vertretet und wenn ihr durch eure pastorale Sorge diese Einrichtungen unterstützt und stärkt, stärkt ihr damit das ganze Netz sozialen Lebens. Wenn ihr über Probleme des Friedens und der Menschenrechte sprecht und euch für die Gerechtigkeit einsetzt, tragt ihr zum Wohl der ganzen Gesellschaft bei. Wenn ihr über Versöhnung sprecht, rührt ihr an eines der tiefsten Bedürfnisse der Menschheit. Auf dem Spiel steht die wahre Versöhnung mit Gott, unseren Mitmenschen und mit uns selbst. Nach katholischer Ansicht sind Versöhnung und Friede letztlich Gaben Gottes und geschehen durch Reue und Umkehr. Hier ist es für uns wichtig, darüber nachzudenken, daß nach dem Willen Christi das Bußsakrament die Quelle und das Zeichen des radikalen Erbarmens, der Versöhnung und des Friedens sein soll. Die Kirche dient der Welt am besten, wenn sie genau das ist, was sie sein soll: eine versöhnte und versöhnliche Gemeinschaft der Jünger Christi: Um diese Rolle zu erfüllen, muß sie sich bewußt sein, daß ihr „der Dienst der Versöhnung“ aufgetragen ist (2 Kor 5,18). Die Kirche ist am meisten dann sie selbst, wenn sie in der Liebe und Macht Jesu Christi durch das Sakrament der Buße vermittelt und versöhnt. Als 868 REISEN Bischöfe der Kirche Gottes haben wir im gegenwärtigen Augenblick der Geschichte sicher die sehr ernst zu nehmende Verantwortung, alles nur Mögliche zu tun - und nichts zu vergessen damit das Volk Gottes den Wert dieses Sakraments und seinen Platz im Leben der Menschen wirklich versteht. Es kommt darauf an, daß uns unsere Brüder im Priesteramt ermutigen, diesem sakramentalen Dienst der Versöhnung große Priorität einzuräumen und ihn den Gläubigen als ein großes Geschenk der Liebe und des Erbarmens Christi anzubieten. 10. Ich möchte meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß sich in Neuseeland die verschiedenen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften der ökumenischen Aufgabe fest verpflichtet fühlen. Echter Ökumenismus hat keine Angst davor, die Unterschiede und Trennungen anzuerkennen, die noch zwischen den Christen bestehen. Der Schmerz über diese Situation erinnert ständig an die Eindringlichkeit des Willens Christi von der Einheit seiner Jünger (vgl. Joh 17,21). Vom Standpunkt der Verantwortung der Bischöfe aus müssen ökumenische Initiativen und Aktivitäten nicht nur im Licht ihrer unmittelbaren Ergebnisse, sondern auch im Licht ihres Endzieles, nämlich der vollen kirchlichen Gemeinschaft, beurteilt werden. Wesentlich ist auch, daß die Bischöfe in ökumenischer Verbundenheit und Zusammenarbeit die Fülle ihrer apostolischen Freiheit und Verantwortlichkeit im Hinblick auf den Glauben und das Leben der katholischen Gemeinschaft wahren. Die ökumenische Aufgabe stellt wahrlich hohe Anforderungen an eure Liebe und Hoffnung: „Die Hoffnung aber läßt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5). 11. Liebe Brüder im Bischofsamt! Der Herr hat euch zu einer schweren Aufgabe berufen. Doch diese Aufgabe ist eine Last der Liebe, die im Geist des Dienstes erfüllt werden muß. „Zu jedem guten Werk tauglich“ (2 Tim 2,21), schöpft ihr Mut aus eurem täglichen Gebet und der Feier der Liturgie, insbesondere der Eucharistie, dem Brot des Lebens und dem Kelch des ewigen Heiles. Ihr werdet getragen von der Gemeinschaft der Liebe der ganzen christlichen Gemeinde, besonders den Priestern, Ordensleuten und Laien eurer eigenen Diözesen! Ihr werdet getragen von der Fürsprache der Himmelskönigin Maria, der Mutter der Kirche, die auch die Mutter der Kirche in Neuseeland ist! Liebe Brüder: „Die Gnade Jesu, des Herrn, sei mit euch! Meine Liebe ist mit euch allen in Christus Jesus.“ Amen (1 Kor 16,23 f.). 869 REISEN ,, Wir dürfen einander Brüder und Schwestern nennen“ Ansprache bei der ökumenischen Begegnung in Christchurch, Neuseeland, am 24. November „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch allen, Brüder. Amen“ {Gal 6,18). Liebe Brüder und Schwestern, liebe Freunde! 1. Ich danke euch für euer Kommen und die Beteiligung an diesem Gebetsgottesdienst; es trifft sich wirklich gut, daß dies meine erste Begegnung mit dem christlichen Volk von Christchurch ist. Mit großer Freude treffe ich hier mit den führenden Leuten der katholischen Kirche und anderer christlicher Gemeinschaften in Neuseeland zusammen: mit dem Bürgermeister und der Bürgermeisterin von Christchurch, mit Vertretern von Samoa und zumal mit den Maori-Leuten, die mich hier bereits so herzlich willkommen geheißen haben, mit Bischof Hanrahan und mit Bischof Ashby, die schon so viel getan haben für die guten Beziehungen unter den Christen. Ich freue mich über diese Gelegenheit, die so lebhaft den Wunsch der Christen von Neuseeland sichtbar macht, zumal euren Wunsch als heute hier Anwesende, jene Einheit zu erreichen, die der Herr für seine Jünger will. <105> <105> Neuseeland war immer ein Land für neue Anfänge. Eure Vorfahren kamen hierher, um in diesem Land voller Möglichkeiten ein besseres Leben aufzubauen. Ihr selber aber habt die Probleme kräftig angepackt und Lösungen zu finden versucht. In diesem Geist habt ihr auch die Spaltungen unter den Christen auf gegriffen, den Dialog begonnen und zusammengearbeitet bei Projekten für Gerechtigkeit, Frieden und menschliches Wohlergehen. Ihr habt über geeignete Mittel nachgedacht, mit denen die christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften für die volle Einheit gemeinsam wirken und beten können. Jesus Christus kam, „die versprengten Kinder Gottes wieder zur Einheit zu führen“ (Joh 11,52). Es ist nämlich der Plan Gottes, daß die Menschheitsfamilie eins sein soll, und Christus hat am Kreuz die zerbrochenen Teile der Menschheit wieder vereint. Auch die Kirche wurde von Christus als ein Werkzeug für dieses Anliegen gegündet. Gerade in der Kirche soll durch den Heiligen Geist die Zusammenführung der zerbrochenen 870 REISEN Menschheit erfolgen, und sie ist damit der Beginn der Einfügung sämtlicher Völker in Jesus Christus, den einen Herrn; sie ist das Zeichen für den Gesamtplan Gottes. In sich selber geeint, soll sie Einheit, Frieden und Versöhnung aufbauen als Vorgeschmack des Reiches Gottes. 3. Solche Einheit kann nur von Gott geschenkt werden. Sie ist ja weit mehr als eine Föderation, eine Absprache für gemeinsame Arbeit oder ein Mittel, das den Jüngern Christi gestattet, gewisse Dinge gemeinsam zu tun. „Die Verheißung, die wir von Gott haben, ist eine Verheißung der Einheit, die Gottes eigenes Wesen ausmacht“ (Ignatius von Antiochien an die Trallianer). Diese Einheit ist nicht weniger als ein Teilen jener Gemeinschaft, die das innere Leben des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ausmacht. Es ist eine Einheit im Bekenntnis des apostolischen Glaubens, eine Einheit in jenem sakramentalen Leben, durch das Jesus Christus das Leben des Menschen mit seinem Heil in Verbindung bringt und die Gemeinschaft der Glaubenden in einem sichtbaren Leib aufrechthält. Es ist ebenfalls eine Einheit mit der sichtbaren Lehrautorität der Kirche, die nach Gottes Plan mit Notwendigkeit ihre innere Gemeinschaft zum Ausdruck bringt. Nur eine tief innerliche und zugleich voll sichtbare Einheit dieser Art kann für Christi Sendung in Frage kommen, das zusammengehörende Gewebe der Menschheit, das durch die Sünde zerrissen wurde, wieder zusammenzufügen. 4. Wenn wir uns heute hier treffen, dürfen wir uns darüber freuen, daß trotz der unter uns weiter bestehenden ernsthaften Gegensätze uns eine echte Gemeinschaft, wenn auch begrenzter Art, verbindet. Wir dürfen einander Brüder und Schwestern nennen, denn wir rufen Jesus Christus an als unseren einen Herrn, wir sind auf seinen Namen getauft und teilen bereits viele von seinen Heilsgütern. Freilich müssen wir ehrlicherweise anerkennen, daß wirkliche Gegensätze zwischen uns unsere Gemeinschaft unvollständig machen. Es ist also eine Gemeinschaft, die noch zurückbleibt hinter „jener Einheit, die Jesus Christus all denen schenken wollte, die er zu einem Leibe und zur Neuheit des Lebens wiedergeboren hat“ (UR 3). Dies ist der Maßstab für unser ökumenisches Bemühen und erfordert zugleich weitere beharrliche Bemühungen im theologischen Dialog. Da die Einheit, die Christus für seine Kirche will, eine Einheit im Glauben ist, können wir uns nicht mit weniger begnügen. Wir müssen auf das Ziel hinarbeiten durch ehrlichen Dialog, hinter dem unser Gebet steht, ohne auf die Wahrheit zu verzichten. Während wir es also ablehnen, bei einer Minimalform von Christen- 871 REISEN heit stehenzubleiben, suchen wir immer, die Wahrheit in Liebe zu tun (vgl. Eph 4,15). 5. Ihr habt hier in Neuseeland die. Kraft des Bemühens erfahren, das die katholische Kirche der ökumenischen Bewegung widmet, ein Bemühen, das unumkehrbar bleibt, wie ich euch versichern kann. Gleichzeitig bin ich mir bewußt, daß die Teilnahme der Katholiken neue Forderungen an die anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften stellt, die sich an der ökumenischen Bewegung beteiligen. Wir treten in diese Bewegung nämlich mit jenen katholischen Grundsätzen für den ökumenismus ein, die auf dem II. Vatikanischen Konzil im Dekret über den Ökumenismus niedergelegt wurden. Wir sind überzeugt, daß das Ziel nicht bloße Partnerschaft ist; es ist nicht weniger als die Fülle der Gemeinschaft in einer sichtbaren und organischen Einheit. Der ökumenische Weg kann daher nicht Verkürzungen zum Ziel haben. Es ist vielmehr ein Weg des Wachstums in die Fülle Christi, in die Fülle der Einheit hinein. Es ist ein Weg, bei dem die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die ihn mitmachen, ehrlichen Respekt füreinander sowie für ihre Gaben und Überlieferungen haben müssen, wodurch sie einander zu jener Einheit im Glauben hin helfen, die uns allein befähigt, eine Kirche zu sein, die die eine Eucharistie gemeinsam feiert. Dies ist das Ziel unseres Dialogs und unseres theologischen Überlegens, unseres gemeinsamen Studiums der Bibel und unserer Zusammenarbeit bei der Sicherung von Gerechtigkeit und Frieden und beim Abhelfen menschlicher Not, endlich bei unserem gemeinsamen Zeugnis und unserem gemeinsamen Gebet. Ein solches Ziel kann nicht ohne inniges Gebet, Buße und Bekehrung des Herzens erreicht werden, denn am Ende sind es nicht wir, die die Einheit aller Christen zustande bringen; wir können uns nur selber vorbereiten auf die Mitarbeit bei dem, was Gott tut, damit es Wirklichkeit wird. Weil hier in Neuseeland so viel geschehen ist, um die Christen zusammenzubringen, und weil hier ein so großes Verlangen nach engerer Gemeinschaft besteht, habe ich diese Gelegenheit unseres Gebetsgottesdienstes und die Einweihung der Kapelle der Einheit in dieser Kathedrale benutzt, zu euch über zentrale Anliegen unserer ökumenischen Aufgabe zu sprechen. Seid stark und getreu und gebt eure besten Kräfte dafür her in dem Wissen, daß Er, der das gute Werk begonnen hat, „es auch vollenden kann am Tag Jesu Christi“ (Phil 1,6). Amen. 872 REISEN Echter Friede beginnt im menschlichen Herzen Predigt bei der hl. Messe in Christchurch, Neuseeland, am 24. November „In jener Zeit wird Gerechtigkeit aufblühen und die Fülle des Friedens für immer (Ps 72,7). Meine lieben Brüder und Schwestern in Christus! 1. Wir sind heute hier versammelt, um den König des Himmels zu preisen, den Gott der Gnade und den König auf ewig (vgl. das Eingangslied: Praise, My Soul, the King of Heavert). Ich danke Gott, dem Vater, daß wir uns hier einen Tag nach dem Christkönigsfest versammeln dürfen, um Ihn zu preisen, „der uns freundlich trägt und stets zum Segnen bereit ist“ (ebd.). Heute habe ich die große Freude, diese Liturgiefeier mit euch begehen zu dürfen — dem Klerus, den Ordensleuten und Laien der Diözese Christchurch sowie der Diözese Dunedin, zusammen mit Vertretern der Südhälfte der Erzdiözese Wellington. Herzliche Grüße entbiete ich meinen Brüdern im Bischofsamt, zumal Bischof Hanrahan von Christchurch und seinem Vorgänger, Bischof Ashby sowie Bischof Boyle von Dunedin. Recht herzlich grüße ich ferner alle meine Brüder und Schwestern im Frieden und in der Liebe Christi. Ich weiß, daß die Diözese Christchurch im nächsten Jahr das erste Jahrhundert ihres Bestehens feiern wird und daß die Diözese Dunedin bereits in ihrem zweiten Jahrhundert steht. Überall sehen wir klar die Zeichen für Gottes hebende Vorsehung, die euch so reich gesegnet hat, und ich preise mit euch den dreieinigen Gott, der so gut zu euch ist, hier im südlichen Teil von Neuseeland. Während der Eucharistiefeier halten wir uns heute vor Augen und denken im Herzen an die französischen, irischen und englischen Missionare, zumal die aus der Gesellschaft Mariens, die diese Gegenden evangelisiert haben. Wir danken für sie und für die Früchte ihrer Arbeit in der Kirche: die Pfarreien, Schulen und Hospitäler, und mehr noch für die Priester und Ordensleute, die für Christus ihr Leben einsetzten; endlich für die christlichen Familien und die eifrigen Gläubigen, die die Kirche im täglichen Leben aufgebaut haben. <106> <106> Das Lob, das wir Gott darbringen, vollziehen wir immer durch unseren Herrn Jesus Christus. Er ist der Weg zum Vater. Er ist der, der uns lehrt, 873 REISEN wie wir leben müssen, so daß wir dem Vater gefallen. Er lehrt uns, uns als „Kinder unseres himmlischen Vaters“ (Mt 5,45) zu betragen. Wir tun dies, wenn wir dem Gebot Jesu folgen: „Liebet eure Feinde, und betet für die, die euch verfolgen . . . Seid vollkommen, wir euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,44.48). Heute richtet Jesus in Christchurch diese Worte, diese Aufforderung an euch und an mich. Der Maßstab, der uns hier gesetzt ist, bedeutet nicht bloß, jedem das ihm Zustehende zu geben. Der Maßstab für die Jünger Christi ist „vollkommen sein“, so wie Gott selber vollkommen ist. Im alten Vorderen Orient wurden Vergeltungsriten entwickelt, um die Menschen gegen Unrecht zu schützen, indem man jenen Ausgleich garantierte, denen Unrecht geschehen war. Das jüdische Gesetz umschrieb diese Normen neu, um gegen übertriebenes Rachedenken beim Sühnen von Unrecht zu schützen. Jesus aber greift diese Gesetze auf und geht über sie hinaus. Er fordert seine Zuhörer und uns alle auf, eine tiefere und reichere Gerechtigkeit anzustreben, indem wir vollkommen werden, wie unser himmlischer Vater vollkommen ist, indem wir seine Gerechtigkeit, sein Erbarmen und seine Aufrichtigkeit zum Maßstab und Vorbild für unser Handeln machen (vgl. Dives in misericordia, 12). Uns und allen Menschen wurde eine neue Gerechtigkeit geschenkt, die Gerechtigkeit Gottes, eine Gerechtigkeit, die in den Herzen aller Kinder Gottes, die dem Beispiel und Aufruf Christi folgen, geboren werden muß. In dem Psalm, den wir eben gesungen haben, finden wir eine verborgene Anspielung auf Jesus, der Gottes Reich der Rechtschaffenheit für uns aufgerichtet hat. So wie der Psalmist um einen König betete, der alle Rechtschaffenheit besaß, die Gott allein geben kann, so beten wir heute, daß die Rechtschaffenheit, die Christus aufgerichtet hat, auf dieser Erde herrschen möge. Doch es ist wirklich Gottes Gerechtigkeit, die wir suchen, und sein Gebot, denn „er wird Recht verschaffen den Gebeugten im Volk, Hilfe bringen den Kindern der Armen“ (Ps 72,4). Heute wenden wir uns-ihm zu und bitten um Gerechtigkeit, „er regiere dein Volk in Gerechtigkeit“, und das möge für uns eine Friedensbotschaft sein (Ps 72,2 f.). <107> <107> Liebes Volk von Neuseeland: Ihr lebt in einem Teil der Welt, der eine Art Paradies zu sein scheint, in einer Gegend, die an Naturschönheiten nicht ihresgleichen hat. Im ganzen Land besitzt ihr hauptsächlich zwei Kulturen, die in eurer Gesellschaft gemeinsam leben. Auf der einen Seite ist es die polynesische Kultur - die oft als mündlich übertragen, landgestützt und gemeinschaftsbezogen dargestellt wird. Auf der anderen Seite 874 REISEN steht die Kultur, die von den europäischen Siedlern herstammt mit ihrer Wissenschaft und Technologie, ihrem Handel und ihren Unternehmen, wie sie Westeuropa kennzeichnen. Die Präsenz dieser beiden Grundlagen eurer Zivilisation bietet euch eine gute, ja einzigartige Gelegenheit. Denn ihr könnt in diesem Land zeigen, wie diese beiden Kulturen mit anderen Zusammenwirken können. Und zwar kann dies geschehen im Geist der Harmonie und der Gerechtigkeit, in Liebe und Rechtschaffenheit, um die der Psalmist gebetet und die der Herr uns gelehrt hat. Vor euch liegt die edle Aufgabe, all die vielen Elemente eurer Zivilisation zu verstehen und auszuwerten. Ihr habt Gelegenheit, das Beste in euren Überlieferungen zu fördern, jene Dinge aber zu ändern und zu reinigen, die es erforderlich machen. Vor euch liegt die Aufgabe, sicherzustellen, daß eure unterschiedlichen Kulturen weiter miteinander existieren und sich einander ergänzen. In diesem Land haben die Maori ihre Identität bewahrt. Die von Europa stammenden Gruppen und seit kurzem die aus Asien kamen hier nicht in eine Wüste. Sie kamen in ein Land, das bereits gekennzeichnet war von einem reichen und alten Erbe, und sie sind aufgerufen, dieses Erbe zu achten und zu fördern als einzigartiges und wesentliches Element der Identität dieses Landes. Die Maori wieder sind aufgefordert, neue Siedler aufzunehmen und zu lernen, in Harmonie mit jenen zu leben, die von weither kommen, um hier für sich eine neue Heimat zu finden. Ihr alle seid eingeladen, dieses Land in Frieden und gegenseitiger Achtung zu genießen. Ihr tut das, wenn ihr euer gemeinsames Band als Glieder der einen Menschheitsfamilie anerkennt, die nach dem Bild Gottes geschaffen sind und sich einander als Brüder und Schwestern in Christus betrachten sollen. Auf diese Weise bekommt jede Kultur die Chance, zum Wohle aller ihre Talente und Fähigkeiten beizusteuern. Wenn ihr eine gerechte Gesellschaft auf der Grundlage gegenseitiger Achtung und brüderlicher Liebe aufbaut, dann erweist sich die Gerechtigkeit als Weg des Friedens. 4. Das läßt sich freilich nicht leicht erreichen. Es erfordert, daß ihr für den Heiligen Geist offen seid, „der über euch von oben ausgegossen ist“ (Jes 32,15). Das bedeutet: gib dem, der dich bittet und wende dich nicht ab von den Notleidenden (vgl. Mt 5,42). Welch wunderbare Aussicht tut sich hier auf! Welcher Segen ruht auf eurem Volk, wenn ihr Gerechtigkeit und Mitleid als Weg zu seiner Zukunft wählt. Wachsen unter euch dagegen Haltungen rassischer und kultureller Überlegenheit, Ausbeutung oder Diskriminierung, dann werden diese Haltungen die Gerechtigkeit untergraben. Sie werden Harmo- 875 REISEN nie und Frieden zerstören. Denn echter Friede beginnt im menschlichen Herzen, und er gewinnt Raum, wenn das Herz durch die Gnade Gottes gereinigt und erneuert ist. Das Bußsakrament ist das hauptsächliche Mittel, diese Reinigung und Erneuerung zu erreichen. Es ist wirküch das Sakrament des Friedens. In unserer heutigen Welt können wir leicht von der Illusion der Sündenlosig-keit getäuscht werden, wenn nämlich der Sinn für die Sünde schwindet, ganz im direkten Gegensatz zum Evangelium. Der heilige Johannes prangert diesen Irrtum sehr offen an, wenn er feststellt: „Wenn wir sagen, wir hätten keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in üns“ (I Joh 1,8). Als Jünger Christi dürfen wir nie die grundlegende Wahrheit vergessen, die der hl. Paulus betont, wenn er schreibt: „Das Wort ist glaubwürdig und wert, daß man es beherzigt: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder zu retten“ (1 Tim 1,15). Jesus ist eben deswegen der Fürst des Friedens, weil er die Sünde bezwungen hat, jene Sünde der Welt, die Bruder gegen Bruder, Schwester gegen Schwester stellt und damit die große Zerstörerin der Harmonie und des Friedens ist. Wenn wir zur Beichte gehen, wenn wir unsere Sünden im Bußsakrament zu Christus bringen, begegnen wir unserem Erlöser in einer der persönlichsten Begegnungen, die es für uns auf Erden gibt. Er empfängt uns freundlich und gnädig und gewährt uns die Verzeihung, die wir haben möchten. Er schenkt uns die Gnade der Bekehrung und Erneuerung unseres Geistes und Herzens mit seinem Licht und seinem Frieden. So rüstet er uns aus, daß wir in der Welt zu Friedensstiftern werden. Er, der „alle mit dem Vater versöhnt hat“, ist Bruder und Herr aller. Er ruft uns auf, Feindseligkeiten durch Freundschaft zu ersetzen und taktvolle Achtung zu haben vor den Gewohnheiten und Übungen anderer. Statt Mißverständnis, Mißtrauen und sogar Haß - die in der Vergangenheit die Völker entzweit und die Gesellschaft vergiftet haben mögen -fordert er uns zum Verzeihen auf, wie unser himmlischer Vater uns verziehen hat. Mit starkem Glauben an den Herrn und durch die Übung von Gottes Gerechtigkeit untereinander können wir gemeinsam den Weg gehen, der zum Frieden führt. 5. Wenn es den Sinn für Gottes Gnade sowie den Geist brüderlicher Liebe und gegenseitiger Achtung bewahrt, wird Neuseeland an Kraft und Harmonie wachsen, und ihr werdet fähig sein, mit den Problemen fertig zu werden, die die modernen Gesellschaften und die Gemeinschaften im Übergang befallen haben: ich meine die Probleme der Arbeitslosigkeit 876 REISEN und der Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt, die Frage nach neuen Märkten für die Produkte Neuseelands, die Wahl der Schultypen und die sozialen Bedürfnisse der Menschen, zumal der Armen. All diese und andere Fragen können gelöst werden, weil ihr jene Harmonie in euch tragt, die aus der Versöhnung mit Gott entsteht und Früchte der Gerechtigkeit und Wahrheit bringt. Gerechtigkeit zwischen den Einzelpersonen und in allen miteinander verwobenen Beziehungen der modernen Gesellschaft ist ein unverzichtbares Erfordernis für solch eine friedvolle Harmonie. Wenn daher, wie ich in der Botschaft zum Weltfriedenstag dieses Jahres sagte, „soziale Gerechtigkeit der Weg zum Frieden für alle Völker ist, dann müssen wir den Frieden als eine unteilbare Frucht gerechter und ehrenhafter Beziehungen unter den Menschen auf dieser Erde auf allen Ebenen - der sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und ethischen Ebene - ansehen“ (Nr. 4). Diese soziale Gerechtigkeit, dieser Sinn für menschliche Solidarität muß erfahren werden können daheim, in den Familien dieses Landes. Sie muß ihren Ausdruck finden im Leben eurer Gemeinden, Orte und Städte und so der Lebensweg für eure Nation werden. Auf diese Weise geht ihr gemeinsam weiter im Bemühen, für jedermann echte Gerechtigkeit aufzubauen. In diesem Bemühen um Gerechtigkeit werdet ihr den Weg zum Frieden finden. 6. Ihr werdet ferner herausfinden, welche Rolle Neuseeland im Pazifik und in der Welt spielen kann. Heutzutage werden wir uns immer mehr bewußt, daß alle Völker und Nationen gegenseitig abhängig sind. Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme eines Landes wirken sich weit über die Grenzen dieses Landes hin aus. Die Ergebnisse und Erfolge der mehr fortgeschrittenen Nationen dagegen werden zu größerer Verantwortung gegenüber Bürgern ärmerer und notleidender Nationen. Mein Vorgänger Johannes XXIII. hat in wahrhaft prophetischer Sicht vor 25 Jahren gerade diesen Punkt betont. In seiner berühmten Enzyklika Mater et magistra schreibt er: „Die Solidarität, die alle Menschen als Glieder einer gemeinsamen Familie miteinander verbindet, macht es für wohlhabende Nationen unmöglich, gleichgültig den Hunger, das Elend und die Armut anderer Nationen zu betrachten, deren Bürger sich nicht einmal der elementarsten Menschenrechte erfreuen können. Die Nationen der Welt werden mehr und mehr voneinander abhängig, und es wird nicht möglich sein, zu einem dauerhaften Frieden zu gelangen, solange krasse wirtschaftliche und soziale Mißverhältnisse weiter bestehen“ (Nr. 157). 877 REISEN Friede kann in der Welt nicht erreicht werden, solange Ungerechtigkeit die Beziehungen zwischen den Völkern beherrscht und soziale und wirtschaftliche Ungleichgewichte weiter bestehen dürfen. Das Heilmittel für diese Probleme besteht im Aufbau einer Gerechtigkeit, die die Ideale soziale Solidarität und die Grundlagen der Rechtschaffenheit vor Gott einschließt. Die Väter des II. Vatikanischen Konzils haben es wie folgt umschrieben: „Friede kann auf Erden nicht erreicht werden ohne Sicherheit für das Wohl der Person und ohne daß die Menschen frei und vertrauensvoll die Reichtümer ihres Geistes und Herzens miteinander teilen. Der feste Wille, Menschen und Völker in ihrer Würde zu achten, ... ist unerläßliche Voraussetzung für den Aufbau des Friedens. So ist der Friede auch die Frucht der Liebe, die über das hinausgeht, was die Gerechtigkeit zu leisten vermag“ (GS 78). Liebe Freunde, ihr seid hier heute mit mir versammelt, um den Herrn zu preisen: laßt uns auf den Aufruf Christi, vollkommen zu sein wie unser himmlischer Vater vollkommen ist, antworten und damit in Wahrheit „Kinder unseres Vaters im Himmel“ sein. Wir wollen einander helfen, denn wir sind alle Pilger auf dem Weg der Gerechtigkeit. Wir wollen jene „tausend Schritte“ extra miteinander gehen und „jedem, der uns bittet, etwas geben“, so daß er oder sie nicht abgewiesen werden, sondern in jedem von uns einen echten Bruder und eine echte Schwester finden. So wird es dahin kommen, daß die unter uns geübte Gerechtigkeit zum Weg des Friedens wird, nach dem wir alle verlangen. Nun können wir sehen, daß die Vision des Jesaja wahr zu werden beginnt. Rechtschaffenheit und Frieden werden in diesem Land aufblühen und in dieser ganzen Zone der Welt, denn hier „leben Gerechtigkeit und Integrität“ (Jes 32,16). Diese „Integrität aber wird Frieden bringen“ . . . und „ihr werdet in Frieden in eurem Haus leben, in sicheren Häusern und ruhigen Wohnungen“ (Jes 32,17f.). Da eure Gerechtigkeit aus dem Verlangen hervorgeht, „vollkommen zu sein wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48), werdet ihr bleibende Sicherheit (vgl. Jes 32,17) gewinnen für euch und alle, deren Leben durch eure Liebe erfaßt wird. 878 REISEN „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ Predigt bei der Eucharistiefeier in Canberra am 24. November „Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt..., damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe.. (Jes 61,1). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Das sind Jesu Worte zu Beginn seiner Heüssendung. Er kehrte in die Synagoge von Nazareth zurück, wo er auf gewachsen war, und verkündete dort diese Worte, die wir in der heutigen Liturgie gehört haben. Dann fügte er hinzu: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,21). Das ist der Beginn seines öffentlichen Lebens und seiner messianischen Sendung, für die er in die Welt gekommen war. Und von da an verkündigt Jesus ständig die „gute Nachricht“, eine Botschaft des Heiles und der radikalen christlichen Freiheit, die Gottes Gnade anbietet: „.. .den Armen eine gute Nachricht... den Gefangenen die Entlassung... den Blinden das Augenlicht... den Zerschlagenen Freiheit... ein Gnadenjahr des Herrn“ (Lk 4,18 f.). <108> <108> Die messianische Sendung Christi, die an jenem Tag in Nazareth verkündet wurde, hört nicht auf. Sie wird in der Kirche weiter verkündet. Sie hat bei den Völkern und Nationen aller Kontinente Wurzel gefaßt. Im Namen jener Sendung ist der Nachfolger Petri heute in die Hauptstadt Australiens gekommen. Wie mein Vorgänger Paul VI., der vor sechzehn Jahren als erster Papst Australien besucht hat, komme ich als Pilger des Glaubens. Es ist richtig, daß diese Pilgerfahrt in Canberra beginnt, die die Hauptstadt der Nation und selbst ein Symbol dieser jungen und tatkräftigen Gesellschaft ist. In der Liebe unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus komme ich zu euch, meine Brüder und Schwestern in Australien. Während um uns herum alles von Neuem spricht, bin ich mir sehr wohl des hohen Alters dieses Landes und seiner eingeborenen Bevölkerung bewußt, deren Ursprünge hinter die überlieferte Geschichte zurückreichen. Zu Beginn meines Aufenthaltes bei euch gebe ich meiner Hochachtung und Wertschätzung für die Urbevölkerung und die Bewohner der Insel der Meerenge von Torres Ausdruck und versichere sie meiner Freundschaft. Ich begrüße die Bischöfe - besonders Sie, Herr Erzbischof Carroll - und 879 REISEN alle Priester, Ordensleute und Laien, die hier versammelt sind und die bei dieser Eucharistiefeier die gesamte Kirche in diesem Land vertreten. Ich bringe meine herzliche Gemeinschaft im Gebet mit den Mitgliedern aller christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zum Ausdruck. Ich grüße die verehrten Vertreter des öffentlichen Lebens Australiens. Und in dieser Versammlung umfange ich das ganze Land: die Jungen und die Alten, die Schwachen und die Starken, die Glaubenden und diejenigen, deren Herz vom Zweifel niedergedrückt wird. Ich umarme euch alle und biete euch unserem himmlischen Vater dar. 3. Die Entdecker, die im 17. und 18. Jahrhundert so mutig von Europa aus aufbrachen, hatten bereits das Vorhandensein einer großen Land-masSe im Süden angenommen. Einige nannten dieses unbekannte Land „Das Land des Heiligen Geistes im Süden“. Die frühen Seefahrer planten den Kurs ihrer südlichen Seefahrten mit Hilfe der leuchtenden Sterne. Voll Freude sahen sie am nächtlichen Himmel eine Konstellation mit fünf Lichtpunkten in der Gestalt eines Kreuzes. Das Kreuz des Südens scheint nicht nur am Himmel über euch; es befindet sich als nationales Symbol überall sichtbar auf eurer Flagge. Es erinnert die gläubigen Menschen unablässig daran, daß das Kreuz Christi den Kern unserer irdischen Existenz bildet und unser himmlisches Geschick garantiert. Der Heilige Geist und das Kreuz erinnern daran, daß der rettende Tod Christi und die Ausgießung des Heiligen Geistes das eigentliche Herzstück unserer menschlichen Geschichte und folglich auch der Geschichte Australiens bilden. Die Macht des Heiligen Geistes hat die Christen in den Anfängen der Kolonie erhalten und treu in den Traditionen ihres Glaubens bewahrt. Und die drängende Liebe Christi,, die am deutlichsten am Kreuz sichtbar wird, veranlaßte die ersten Kapläne und Priester, den Strafgefangenen und den freien Siedlern der Kolonien in gleicher Weise mit viel Mut und Ausdauer, oft in großer Abgeschiedenheit und Einsamkeit als Seelsorger zu dienen. Es war der Heilige Geist, der über die Schranken der Spaltung und Verdächtigung hinweg Verständnis entstehen ließ und das.Herz des ersten anglikanischen Kaplans, Reverend Richard Johnson, dazu bewegte, eine Gruppe spanischer Priester, die 1793 Sydney besuchten, mit „Freundlichkeit und Demut und einer Schlichtheit, die wahrhaft evangelisch war“ - so deren eigene Worte - willkommen zu heißen. Heroische Zeugen einer der Liebe Christi ähnlichen Liebe waren in jenen frühen Jahren Erzbischof Bede Polding, Caroline Chisholm und Mutter Mary MacKillop. Ihr Andenken und Beispiel sollte nie vergessen werden. 880 REISEN Auch sie waren angesichts dessen, was sie in ihrer Umgebung sahen, von Mitleid ergriffen. Selbstlos dienten sie Christus in den Gefangenen, in notleidenden, schutzlosen Frauen, in den eingeborenen Frauen und der zerstreuten Herde im Landesinneren. Die christlichen Pioniere des 19. Jahrhunderts teilten wahrhaftig die Leiden Christi und erfuhren die Macht seiner Auferstehung (vgl. Phil 3,10). In jenen genügsamen Zeiten, noch ehe Australien den Wohlstand kannte, dessen es sich heute erfreut, brachten sie große Opfer und arbeiteten hart, um Kirchen und Schulen zu bauen, damit die Wahrheit Christi in diesem Land gelehrt, weitergegeben und gelebt werde. Diese herausragenden Menschen des Glaubens liebten Maria, die Muttergottes, mit einer besonderen Hingabe und fanden in ihrem Vorbild des Glaubens und demütigen Dienstes die Kraft, auszuharren und treu zu bleiben. Pater Therry stellt die ursprüngliche Kirche Saint Mary’s in Sydney, die Mutterkirche Australiens, unter den Schutz Mariens, Unserer Lieben Frau von der Hilfe der Christen. 1847 ernannte sie mein Vorgänger Pius IX. zur geistlichen Schutzpatronin Australiens. 4. Wie die große Menge von Zeugen, die uns vorausgegangen sind, dürfen wir Jesus nicht aus den Augen verlieren. Die Herausforderung, ihm heute zu folgen, ist nicht die gleiche wie die, der sich die Pioniere von gestern gegenübersahen. Aber der Weg zu echter Jüngerschaft und Zeugnis bleibt für jede Generation derselbe: die außerordentliche Kenntnis und Liebe Christi. Im heutigen Evangelium hören wir, wie Jesus zu den Aposteln sagt: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich! Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen... Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen“ {Joh 14,1-3). Jesus - den der Vater gesalbt und in die Welt gesandt hat - führt uns zurück „in das Haus des Vaters“. Dieser Satz spricht zu uns über die letzte, entscheidende Dimension unserer menschlichen Bestimmung. Die evangelische Botschaft von dem rettenden Tod und der Auferstehung Christi, die zum ewigen Leben führen, enthüllt die wahre Bedeutung unseres Daseins. Sie hilft uns begreifen, worum es im menschlichen Leben tatsächlich geht. Jesu Worte - „damit auch ihr dort seid, wo ich bin“ (Joh 14,3) - sind die entscheidende Herausforderung und der letzte Sinn unserer menschlichen Bestrebungen. Mit Recht bringt der Apostel Thomas die Angst zum Ausdruck, die wir alle empfinden, wenn wir über die Worte Jesu nachdenken. Er fragt: „Wie 881 REISEN sollen wir den Weg kennen?“ (Joh 14,5). Und genau in der Antwort auf diese Frage formuliert Jesus die volle Bedeutung seiner messianischen Rolle: „Ich bin der Weg,, die Wahrheit und das Leben“ (V 6). Diese Worte habe ich auch als Thema für meinen Besuch in Australien gewählt. Es ist daher angebracht, wenn wir während dieses Gottesdienstes über ihre Bedeutung für unser Leben nachdenken. 5. Jesus ist unser Weg. Der Weg Jesu durch das Leben war nicht ein Weg seiner eigenen Wahl, sondern der, den der Vater für ihn gewählt hatte. Er folgte ihm unerschütterlich und demütig bis zum Tod am Kreuz (vgl. Phil 2,8). Dadurch wurde Jesus zum Weg für uns. Nur liebende Annahme, gleich der seinen, führt zum Vater. Wir folgen dem Weg, der Jesus ist, wenn wir, gleich ihm, den Vater uns zu sich zurückführen lassen, auf den Pfaden, von denen er weiß, daß sie für uns am besten sind. Unser Leben beginnt in dieser zeitlichen Welt, aber seine Bestimmung ist die Ewigkeit. „Unsere Heimat ist im Himmel“ (Phil 3,20), und „wir streben nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt“ (Kol 3,1). Zu leben, als wäre diese sichtbare und vergängliche Welt alles, was wir haben, heißt unseren Weg verlieren. Wir sind Pilger auf dem Weg von der Zeit in die Ewigkeit, und unser Ziel ist der Vater selbst. Er ruft uns ständig über das Vertraute und Angenehme hinaus auf neue Wege des Glaubens und Vertrauens. Wenn wir uns nähern, scheint er sich manchmal zurückzuziehen, aber nur darum, weil er ein geheimnisvoller Gott ist, dessen Gedanken nicht unsere Gedanken, dessen Wege nicht unsere Wege sind (vgl. Jes 55,8). Wir müssen wie Abraham vorangehen, ohne zu wissen, wohin wir geführt werden (vgl. Hebr 11,8). Wie Abraham, und nach ihm Jesus, müssen wir uns stets dem Vater zuwenden, der treu ist, und ihm vertrauen. Wenn wir Augenblick für Augenblick die Liebe des Vaters erwidern, wird er uns durch Jesus untrüglich zu sich bringen. 6. Jesus ist unsere Wahrheit. Er selbst betonte, daß er alles, was er sagte, von seinem Vater gehört habe. „Der Vater, der mich gesandt hat, hat mir aufgetragen, was ich sagen und reden soll“ (Joh 12,49). Und da das Wort des Vaters Wahrheit ist (vgl. Joh 17,17), spricht Jesus die Wahrheit. Ja, Jesus ist die Wahrheit. Denn er ist alles, was der Vater zu sagen hat: er ist das Wort des Vaters. Nur er kann unsere entstellte Sicht wieder richtigstellen, so daß wir Gott, uns selbst und unsere Welt wahrhaftig sehen und erkennen können. In der Wahrheit, die Jesus ist, erkennen wir Gott als einen Vater von 882 REISEN unendlicher Liebe und Barmherzigkeit. Wir erkennen alle Menschen als die wahren Kinder des einen Vaters, „denen das Reich zu geben er beschlossen hat“ (Lk 12,32), das Reich, das heißt: sich selbst. In Jesus sehen wir alle Kinder des Vaters zu einer wunderbaren Einheit und zum Frieden berufen: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ,einer' in Christus Jesus“ (GaZ 3,28). Nur in der Wahrheit, die Jesus ist, können wir hoffen, die Würde, die Freiheit und das Gemeinwohl der menschlichen Person anzuerkennen, zu verteidigen und zu fördern. 7. Jesus unser Leben. Als er sich am Kreuz entäußerte, empfing er die Fülle der Gabe des Vaters: „Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein“ (Joh 17,10). Der vor der Welt am Kreuz erhöhte Jesus wird vom Vater mit Leben erfüllt und erhoben, um für alle, die an ihn glauben, Quelle des Lebens zu sein. Leben ist immer das Geschenk des Vaters, und jene, die es empfangen, müssen Ehrfurcht vor allem Leben haben, besonders vor dem menschlichen Leben in allen seinen Entwicklungsstufen, und jede Gewalt gegen das Leben verabscheuen. In der Eucharistie ist durch die Macht des Heiligen Geistes der dem Tod anheimgegebene und zum Leben auferstandene Jesus gegenwärtig; er ist gegenwärtig als die Quelle des Lebens für alle, die zu ihm kommen. „Wie mich der lebendige Vater gesandt hat, und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich ißt, durch mich leben“ {Joh 6,57). In dieser Eucharistie, die wir in der Hauptstadt Australiens feiern, bringt Jesus, unser Weg, unsere Wahrheit und unser Leben, sich selbst dem Vater dar für die Rettung der Welt. Er nimmt unsere Hoffnung und unsere Freuden, unsere Leiden und Ängste in sich auf und gibt uns dafür die Kraft, seinem Weg zu folgen, aus seiner Wahrheit zu leben und sein Leben zu erfahren. Das ist sein Geschenk an das australische Volk! 8. Diese Messe wird für Frieden und Gerechtigkeit auf geopfert. Mit anderen Worten, wir erkennen, daß die Wege, auf denen Jesus uns zum Haus des Vaters führt, durch eine Welt gehen, die der Erlösung bedarf -eine Welt, die zutiefst gestört ist von den Auswirkungen der Selbstsucht, der Gewalt und der Sünde. In Demut erbitten wir daher Gottes Segnungen des Friedens und der Gerechtigkeit für uns selbst und für die ganze Menschheitsfamilie. Wir dürfen die Menschen, die weit weg von uns leben, nicht vergessen. Wir dürfen unsere Brüder und Schwestern, die leiden und unsere Hilfe brauchen - wo immer sie leben -, nicht vergessen. 883 REISEN In diesem Internationalen Jahr des Friedens wurden viele Appelle erlassen, zahlreiche Initiativen in die Wege geleitet, und beinahe überall haben Menschen ihren Wunsch nach Frieden zum Ausdruck gebracht. Vor kurzem kam ich in Assisi mit den Vertretern verschiedener christlicher Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften sowie mit Vertretern nichtchristlicher Religionen zusammen, um von Gott dieses große Geschenk zu erflehen. Wir können nicht daran zweifeln: Es ist sein Wille, daß die Menschen in Frieden leben. Doch wir sind uns — wie Paul VI. sagte — bewußt, daß „der wahre Friede auf Gerechtigkeit gegründet werden muß, auf den Sinn für die unantastbare Würde des Menschen, auf Anerkennung einer beständigen und angemessenen Gleichberechtigung zwischen den einzelnen Menschen, auf das Grundprinzip menschlicher Brüderlichkeit, das heißt auf die Achtung und Liebe, die jedem menschlichen Wesen deshalb zustehen, weil es Mensch ist“ (Botschaft zum Weltfriedenstag 1971). Gerade hier versagen wir. Zwischen einzelnen, zwischen Gruppen, Völkern und Staatenblöcken fehlt es so oft an Gerechtigkeit. Im Gegensatz dazu ist die messianische Sendung Christi eine Sendung des Friedens und der Gerechtigkeit. Er kam, „damit er den Armen eine gute Nachricht bringe, alle heile, deren Herz bedrückt ist, die Entlassung der Gefangenen verkünde..., alle Trauernden tröste...“ (Jes 61,1 f.). Friede kann sich nur dort entwickeln, wo die Forderungen universaler Gerechtigkeit erfüllt werden. Liebe Brüder und Schwestern! Laßt uns Christus, „den Weg, die Wahrheit und das Leben“, bitten, daß er uns den Weg des Friedens und der Gerechtigkeit lehre. Laßt uns ihn bitten, uns zu überzeugen, daß unser gemeinsames Menschsein Solidarität untereinander und Liebe und Achtung für das menschliche Leben überall erfordert. 9. Laßt uns auch dafür beten, daß durch den Dienst des Bischofs von Rom, des Nachfolgers Petri, die ganze Kirche in Australien sich immer enger um Christus, „den Weg, die Wahrheit und das Leben“ zusammenschließt. Wie uns der Brief an die Galater erinnert: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. . . ihr alle seid ,einer1 in Christus Jesus . . . Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus“ (Gal 3,27.28.26). Gemeinsam sind wir auf dem Weg zum Haus des Vaters. Liebe Bevölkerung Australiens, seht und betrachtet diesen euren riesigen Kontinent! Er ist euer Zuhause. Der Ort eurer Freuden und eurer Schmerzen, eurer Mühen und eurer Hoffnungen! Und für euch alle, 884 REISEN Australier, führt der Weg zum Haus des Vaters durch dieses Land. Jesus Christus ist dieser Weg! Und er ist eure Wahrheit und euer Leben! „Jesus Christus . . . gestern, heute und in Ewigkeit!“ (Hebr 13,8). Amen. Die Menschenrechte aller wirklich schützen Ansprache an das australische Parlament in Canberra am 24. November Herr Premierminister! Meine Damen und Herren! 1. Sie erweisen mir eine große Ehre mit Ihrem herzlichen Empfang, und ich danke Ihnen, Herr Hawke und Herr Howard, für Ihre freundlichen, aufmerksamen Worte. Meine Damen und Herren, die Begegnung mit Ihnen ist für mich eine große Freude. Sie sind, so könnte man sagen, Praktiker der Kunst demokratischen Regierens. So grüße ich denn in Ihnen alle, die als Verantwortliche für die Verwaltung und Auslegung der Gesetze das Wohlergehen und Gemeinwohl der gesamten Bevölkerung dieses riesigen Landes fördern. Ich möchte erneut meinen Dank zum Ausdruck bringen für die. Einladung, die von der australischen Regierung an mich ergangen ist, und meine tiefe Anerkennung für alles, was zur Vorbereitung meines Besuches getan wurde. Ich möchte die vielen Leistungen Australiens würdigen, sein Lebensgefüge näher kennenlernen und an den Hoffnungen seines Volkes noch enger Anteil nehmen. Hier in Canberra angefangen, will ich überall, wohin ich komme, eine Botschaft der Ermutigung, des Respekts und der brüderlichen Liebe bringen. <109> <109> Ich besuche Ihr Land als Oberster Hirte der katholischen Kirche, und ich freue mich, daß Harmonie, Freundschaft und Zusammenarbeit die Beziehungen zwischen dem Australischen Staatenbund und dem Heiligen Stuhl sowohl vor als nach der formellen Aufnahme diplomatischer Beziehungen gekennzeichnet haben. Ich weiß die Höfüchkeit dieses Empfanges, den Sie mir heute gewähren, sehr zu schätzen. Ich weiß, wie hoch Sie das Prinzip der Religionsfreiheit für alle, die in dieser Nation leben, achten. Die Zahl der Katholiken in der Bevölkerung und ihre Anwesen- 885 REISEN heit in nahezu allen Bereichen des australischen Lebens sind ein Beispiel dafür, wie diese - unter allen Freiheiten so fundamentale - religiöse Freiheit hier respektiert wird. Ich bete dafür, daß Sie immer das Recht auf religiöse Freiheit schützen und stets wachsam sind in der Verteidigung der eigentlichen Grundlage dieses Rechts und jedes menschlichen Rechts. Die Grundlage ist und bleibt die Würde der menschlichen Person (vgl. D.H. 2). Wie Sie wissen, ist das Prinzip der unverletzlichen Würde aller Menschen in einem demokratischen Staat ein noch höherer Grundsatz als die Meinungsmehrheit. Denn alle Demokratien werden in dem Maße Erfolg haben oder versagen, in dem sie die Menschenrechte aller, einschließlich der Minderheiten, wirklich schützen und fördern. 3. Meine Damen und Herren, wir sprechen eine gemeinsame Sprache der Achtung für die menschliche Person - ob sich diese Person in unmittelbarer Nähe oder in einer entfernten Ecke des Planeten befindet -, und ich hoffe, daß unsere Worte und Taten mit Gottes Hilfe in der Sache der Menschenrechte etwas Dauerhaftes zu erreichen vermögen. Die Herausforderung ist ungeheuer: es gilt, auf allen Ebenen eine gerechte Gesellschaft zu fördern, die ihrerseits die Grundlage des wahren Friedens sein wird; die schwachen und verletzbaren Mitglieder der Gesellschaft zu verteidigen; den Rassismus und jede andere Diskriminierung, wo immer sie anzutreffen ist, zu beseitigen; die Familie in ihren Bedürfnissen zu schützen und zu unterstützen; den Beschäftigungslosen Arbeit beschaffen zu helfen, besonders jenen, die für den Familienunterhalt zu sorgen haben, und Jugendlichen; und allen Notleidenden in ihrem Kampf um ein wahrhaft menschliches Leben beizustehen. Als Hirte aller , katholischen Australier fordere ich diese dringend auf-und ich appelliere in der. Tat an alle Menschen guten Willens -, beim Anstreben dieser Ziele, als einzelne und in geeigneten Organisationen, mit ihren Regierungen zusammenzuarbeiten. 4. Man hat mich davon unterrichtet, daß sich Australien durch aufeinanderfolgende Regierungen zu einem doppelten Erziehungssystem verpflichtet hat, das Eltern auf ideale Weise die Freiheit der Wahl des Schultyps für ihre Kinder gestattet. Die staatlichen und nichtstaatlichen Schulen dieses Landes sind bestrebt, jedem einzelnen Kind zu helfen, physisch, sozial und intellektuell zu wachsen und sich zu entwickeln. Das ist in der Tat eine große Sendung. Auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge stellt Ihre Tradition gleichfalls 886 REISEN ein Doppelsystem staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen bereit, die Seite an Seite für das Wohl der gesamten Gemeinschaft arbeiten. Auch in diesem Bereich wird ein großer Dienst an der Gesellschaft geleistet und viel Aufmerksamkeit und Sorge für die Menschen und ihre Bedürfnisse bewiesen. Zur Ehre Australiens und zum Wohl der Menschheit hoffe ich, daß dieser Dienst und diese Fürsorge weitergehen und zunehmen und immer die unverletzliche Natur des menschlichen Lebens respektieren werden. In der sozialen Wohlfahrt hat sich Ihr Land nachhaltig darum bemüht, den weniger Begünstigten unter Ihnen zu helfen: Witwen, alten Menschen, Arbeitslosen, Kranken. Australien kümmert sich um seine Menschen. Das ist Ihre erste Pflicht, und ich lobe Sie für die Art und Weise, wie aufeinanderfolgende Bundes- und Staatsregierungen sie erfüllt haben. 5. Als Nation waren Sie großmütig gegenüber den Benachteiligten dieser Welt. Der starke Strom von Einwanderern nach dem Zweiten Weltkrieg kam den Bedürfnissen Australiens entgegen, zugleich wurde damit vielen Verzweifelten die Chance zu einem Leben in Frieden und Wohlstand geboten. In all den Jahren haben humanitäre Motive Sie veranlaßt, Flüchtlinge aus vielen Ländern aufzunehmen. Diese Offenheit für die Not der anderen war, ist und wird immer hohen Lobes würdig sein. Ich möchte Sie auch in ihrer instinktiven Bereitschaft ermutigen, sich auf die Seite eines jeden zu stellen, der Unterdrückung oder Unrecht erleidet. In der heutigen Welt kann sich kein Land isolieren oder der Not der anderen gegenüber gleichgültig bleiben. Und so nehme ich mir die Freiheit, Sie, die von Gott so viel empfangen haben, um etwas mehr als bloß eine hochherzige Antwort auf die Krisen zu bitten, die andere Menschen heimsuchen. Ergreifen Sie die Initiative, überallhin zu anderen Menschen zu gehen. Sie sind ein sehr bedeutender Teil einer Welt, die die Erfahrung der Versöhnung und Solidarität braucht, die Männer und Frauen benötigt, die bereit sind, sich selbst für andere zu opfern, statt andere für eine Sache zu opfern. Wenn meine Anwesenheit bei Ihnen und meine Worte zur Förderung einer Gesellschaft beitragen können, in der die Menschen sich gegenseitig stets mit echtem Respekt und Liebe behandeln, dann werde ich das Empfinden haben, daß meine Reise wirklich von Hilfe gewesen ist. 6. In Übereinstimmung mit den Grundsätzen, die von den Vätern Ihrer Verfassung festgelegt wurden, beansprucht die Kirche als Institution keine Sonderbehandlung. Dennoch läßt sie nicht davon ab zu betonen, 887 REISEN daß ein gerechtfertigter Pluralismus nicht mit Neutralität in bezug auf menschliche Werte verwechselt werden darf. Deshalb wollen die Mitglieder der Kirche Gebrauch machen von der Gelegenheit, die ihnen von dem für die australische Gesellschaft so charakteristischen demokratischen Pluralismus geboten wird, und nachdrücklich jene Werte verkünden, die eng verknüpft sind mit der Würde und den Rechten jedes Menschen ohne Ausnahme. Ich hoffe, daß alle Katholiken und alle Ihre Mitbürger Sie durch ihre Stimme und durch ihr Votum auffordern werden zu garantieren, daß von der Gesetzgebung nichts unternommen wird, was diese Werte unterminieren könnte. Mögen im Gegenteil diese, Werte immer fester in das Gesetzesnetz eingewoben werden, das der australischen Gesellschaft Gestalt gibt. Meine Hoffnung ist, daß Ihr politisches Tun insgesamt helfen wird, eine Zivilisation zu fördern, die vom Miteinander-Teilen, von Solidarität und brüderlicher Liebe gekennzeichnet ist - die einzige Zivilisation, die des Menschen würdig ist. Die einzigen festen Grundlagen für diese Zivilisation sind Achtung vor dem menschlichen Leben vom Augenblick der Empfängnis an und während jedes Abschnitts seiner irdischen Pilgerschaft, Respektierung aller fundamentalen Rechte der menschlichen Person und wahre Gerechtigkeit und Gleichheit im Hinblick auf das Gemeinwohl. 7. Angesichts der Weltlage und im Wissen um ihre eigenen politischen und diplomatischen Anstrengungen möchte ich noch ein paar Worte zu einem Thema anfügen, das für alle Völker der Welt von lebenswichtiger Bedeutung ist: das dringende Bedürfnis nach angemessener Abrüstung und nach Frieden auf der Welt. Ich weiß, daß Australien mit der Ernennung eines Sonderbotschafters für diesen Zweck diesbezüglich besonderes Interesse gezeigt hat. Zu Beginn dieses Jahres, des von der Organisation der Vereinten Nationen ausgerufenen Internationalen Jahres des Friedens, erneuerte ich meine und die Verpflichtung der ganzen katholischen Kirche für das Anliegen des Friedens mit folgenden Worten: „Friede, ein Wert ohne Grenzen: Nord-Süd, Ost-West, überall ein Volk, geeint in einem einzigen Frieden“ (Botschaft zum 19. Weltfriedenstag, 1. Januar 1986, Nr. 7: O. R., dt., 20. 12. 1985, 6). Lassen Sie mich zwei Aktionsbereiche hervorheben, die besonders wirksam zum Frieden beitragen: die Verteidigung der Menschenrechte und die Bemühungen um die Entwicklung der Völker. Diese Bereiche berühren das eigentliche Fundament des Friedens. Solange diese beiden Elemente 888 REISEN auf irgendeiner Ebene fehlen, ist der Friede unvollkommen und der Weltfriede bedroht. Alles, was die Menschenrechte schützt, alles, was die Menschenwürde durch ganzheitliche Entwicklung fördert, führt zum Frieden. Meine Damen und Herren! Als Diener und Führer der Demokratie befinden Sie sich, in einer hervorragenden Lage, zu der edlen Sache des Weltfriedens beizutragen. Ja, liebe Freunde, Sie sind tatsächlich in der Lage, großen Einfluß zum Wohl der Menschheit auszuüben. Das Wohlergehen dieser Nation - und bis zu einem gewissen Grade aller Nationen - hängt von dem bewußten Bemühen jedes einzelnen hier ab. Gehen Sie gemeinsam voran. Mit Gottes Hilfe können Sie das erfüllen, was sein Wille für Sie ist, und jeder von Ihnen kann seinen eigenen Beitrag zum Frieden der Welt leisten. Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens. Wo Haß ist, laß mich Liebe säen; wo Ungerechtigkeit ist, Vergebung; wo Zweifel ist, Glauben; wo Verzweiflung ist, Hoffnung; wo Dunkelheit ist, Licht; und wo Trauer ist, Freude. O göttlicher Meister, laß mich nicht so sehr danach streben, getröstet zu werden, als zu trösten; nicht so sehr, verstanden zu werden, als zu verstehen; nicht so sehr, geliebt zu werden, als zu lieben; denn wenn wir geben, empfangen wir, wenn wir vergeben, wird uns vergeben, und wenn wir sterben, werden wir geboren zum ewigen Leben. Niemand ist frei von Schwäche Ansprache an Behinderte, Invaliden und Kranke in Brisbane am 25. November Liebe Brüder und Schwestern! 1. Im Namen unseres Herrn Jesus Christus, der uns geliebt und sich für uns hingegeben hat, grüße ich euch mit tiefer Zuneigung. Meine Pilgerreise wäre nicht vollständig ohne eine Gelegenheit zum Besuch der Invaliden, Behinderten und Kranken. Ein solcher Besuch hat immer einen besonderen Platz in meinem Herzen, weil er eine geheimnisvolle Wahrheit ins Blickfeld rückt, die im Mittelpunkt des Mysteriums der Kirche steht. Diese geheimnisvolle Wahrheit ist in der Beschreibung zu finden, die der hl. Paulus davon gibt, was Gott ihm offenbarte, als er sagte: 889 REISEN „Meine Gnade genügt dir, denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit“ (2 Kor 12,9). Von Gebrechlichkeit, Behinderung und Krankheit zu sprechen heißt von der menschlichen Kondition zu sprechen. Niemand auf dieser Welt ist frei von menschlicher Schwäche - weder physischer noch psychischer und geistiger. Jeder von uns muß selbst mit dieser Schwäche zurechtkommen. Es mag sein, daß wir uns manchmal ein einfacheres Leben wünschen, als das, was wir haben. Vielleicht stellen manche von euch, die behindert, invalid oder krank sind, die Frage an Gott, warum gerade sie für ein Leben ausgesondert worden sind, das ganz verschieden vom Leben anderer Menschen ist. Aber in der göttlichen Vorsehung bedeutet ein anderes Leben nicht ein weniger wichtiges Leben; auch nicht ein Leben mit geringerer Möglichkeit zur Heiligkeit oder einem geringeren Beitrag zum Wohl der Welt. Diese Fragen und Befürchtungen werden auch von euren Familien und euren Lieben geteilt. Auch sie stehen vor den Herausforderungen und den vielfachen Schwierigkeiten, die Teil eures Lebens sind, ebenso wie vor den besseren Umständen und Segnungen. Auch ihnen möchte ich meine Ermutigung und Stütze anbieten. Die Kirche weiß, daß sie ihren Glauben an den Wert allen menschlichen Lebens ausdrücken muß, indem sie den Familien, die besondere Bedürfnisse haben, ihre Unterstützung und ihre praktische Hilfe anbietet. Als eine einzige Glaubensfamilie kann und darf die Kirche die Freuden und Sorgen keines ihrer Mitglieder vernachlässigen. <110> <110> Immer tragen wir, sagt der hl. Paulus „das Todesleiden Jesu an unserem Leib“ (2 Kor 4,10). Das heißt, niemand von uns ist frei von Leid und Tod, so wie Christus selbst es war. Aber der hl. Paulus fährt fort mit den Worten, wir leiden, „damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird“ (ebd.). Hier entdecken wir das Geheimnis der Erlösung. Indem er das Kreuz annahm mit vollendeter Liebe, hat Christus ein für allemal die Macht, die Sünde, Leid, Schwäche und Tod über uns hatten, überwunden und uns eine Lebensfülle geschenkt. Liebe Brüder und Schwestern: Das Kreuz Christi hat die Kraft, das Leben eines jeden von euch in einen großen Sieg über die menschliche Schwachheit zu verwandeln. Die körperlichen Beschränkungen, die ihr erleidet, können durch die Liebe Christi in etwas Gutes und Schönes umgewandelt werden und sie können auch würdig machen für die Aufgabe, für die ihr geschaffen worden seid. Das Gebot, das wir an anderer Stelle beim hl. Paulus finden, „Gott in unserem Leib zu verherrlichen“ (1 Kor 6,20), gilt nicht nur für das Verhalten der körperlich Gesunden unter uns. Ebenso 890 REISEN wie Christus den Vater verherrlichte, indem er das Kreuz umarmte in vollkommener Liebe, könnt auch ihr durch die Kraft derselben Liebe Gott verherrlichen in eurem Leib, indem ihr euch nicht überwältigen laßt von Schwierigkeiten und Schmerz und Entmutigung und anderen Beschränkungen nicht nachgebt. In den Tiefen eines eigenen inneren Lebens könnt ihr jeden Tag mit Christus sterben und auferstehen. Auf diese Weise könnt ihr eine Ernte von Gnade und Güte einbringen — nicht allein für euch und die um euch, sondern auch für die Kirche und für die Welt. Jedesmal wenn ihr die Versuchungen der Entmutigung überwindet, immer wenn ihr ein freundliches, hochherziges und geduldiges Wesen zeigt, legt ihr Zeugnis ab für jenes Reich, das noch kommen wird in seiner Fülle - in dem wir geheilt werden von jeder Lahmheit und befreit von jeder Sorge. 3. In einer großen Erzdiözese wie Brisbane gibt es viele katholische Krankenhäuser, Heime und Betreuungsstellen für diejenigen, die diese brauchen. Viele davon haben eine lange und ehrenreiche Geschichte, die eine Quelle für legitimen Stolz und Freude der Kirche in diesem Gebiet sein müssen. Sie legen Zeugnis ab für die Hochherzigkeit der Laien durch die Jahre hindurch und für die gottgeweihte Hingabe so vieler betreuender Brüder und Schwestern. Diese Ordensleute, die mit ebenso engagierten Laien Zusammenarbeiten, stellen andauernd Dienstleistungen zur Verfügung, die über die katholische Gemeinde hinaus zum Wohl aller dienen. Mit besonderer Hochachtung grüße ich diejenigen, die mit den Invaliden, Behinderten und Kranken arbeiten, nicht nur hier in Queensland, sondern überall in Australien. Von der Gnade Gottes veranlaßt, habt ihr -entweder beruflich oder als Freiwillige — das Leben des barmherzigen Samariters gewählt, das Leben eines Menschen, der denen am nächsten ist, die ihn brauchen. Dabei erfüllt ihr eine bedeutende christliche Sendung. Das Maß für euren Erfolg in dieser Sendung ist die Liebe, die ihr denen entgegenbringt, die euch anvertraut sind und für deren Bedürfnisse ihr Sorge tragt, und zwar nicht nur für die leiblichen, sondern auch die geistlichen Bedürfnisse und ihre Gedanken und Gefühle. 4. Der Prüfstein für den spirituellen und materiellen Dienst, der in Australien angeboten wird, ist unser Glaube an die Heiligkeit jedes menschlichen Lebens. Es ist eine Heiligkeit, die im Geheimnis unserer Erschaffung durch Gott wurzelt, ebenso wie im Geheimnis der Erlösung, von dem ich bereits gesprochen habe. In einer Welt, in der das Geschenk 891 REISEN des menschlichen Lebens oft verachtet, manipuliert und mißbraucht oder sogar vorsätzlich abgetrieben oder beendet wird, verkündet die Kirche ohne Zögern die Heiligkeit jeden menschlichen Lebens. Ganz gleich welcher Art unsere Schwächen oder Beschränkungen sind - ob physischer, psychischer oder geistiger Art - das Leben eines jeden von uns ist einzigartig; es hat seinen Anfang und sein Ende in Gottes Ewigkeit. Es steht in der Verantwortung der ganzen Gemeinschaft - angefangen von der nationalen, staatlichen und örtlichen Verwaltung bis hin zum einzelnen Bürger -, dieses heilige Geschenk zu schützen. 5. Die Heiligkeit des Lebens verlangt, daß wir versuchen, die Lebensqualität zu verbessern. Jede sinnvolle Anstrengung muß gemacht werden, um zu erreichen, daß Behinderte, Kranke, Alte und Sterbende, Gequälte und Verlassene sich irgendwohin um Hilfe wenden können, damit sie die Möglichkeit erhalten, in echter Würde zu leben. Die Gesundheitsfürsorge ist vielfältiger und teurer geworden, und doch stellen wir immer klarer fest, daß die bloße Bereitstellung von Dienstleistungen nicht ausreicht. Die Betreuten müssen auch tatsächlich an der Gemeinschaft teilnehmen, und dazu ist gegenseitige Achtung und Bereitschaft zum Zuhören nötig. Vor allem Behinderte und Invalide versuchen in die Gemeinschaft voll integriert zu werden, besonders seit auch sie einen wichtigen Beitrag für die anderen zu leisten haben. Nur durch Zusammenarbeit kann die Gemeinschaft hoffen, angemessene Lösungen zu finden, die die Würde des Menschen berücksichtigen und der langen Geschichte der Liebe und des Dienstes würdig sind, die von den Menschen aller Glaubensrichtungen in Australien gezeigt wurden. Zum Abschluß, liebe Brüder und Schwestern, die ihr invalid, behindert oder krank seid, bitte ich um eure Gebete, die Gott besonders liebt. Betet für alle Leidenden in der Welt. Betet für den Frieden. Betet für die Kirche, auch wenn sie wiederum für euch betet. Denkt an alle, die vor uns im Glauben gelebt haben: Maria, unsere Mutter, die über uns wacht, und die Heiligen, deren Leben die Macht Gottes offenbart, die durch menschliche Schwäche scheint. Denkt an sie und fürchtet euch nicht. In der Liebe unseres Herrn Jesus Christus spende ich euch allen meinen Apostolischen Segen. 892 REISEN Kirche muß Kommunikationsmittel nutzen Ansprache bei der Begegnung mit den Journalisten im Stadion von Brisbane am 25. November Liebe Freunde! 1. Ich habe mich auf dieses Treffen mit den Vertretern der Kommunikationsmittel gefreut. Ich heiße Sie willkommen und entbiete Ihnen brüderliche Grüße, nicht nur von mir, sondern von allen, die mit mir die lange Reise von Rom in diese fernen, sehr gastfreundlichen Länder im Süden gemacht haben. Einige von Ihnen sind alte Freunde, die ich oft in Rom sehe und die mich bei meinen Pastoraireisen durch die Welt begleitet haben. Andere sind neue Freunde aus den Medien Australiens. Ihr Präsenz hier verdient meine Anerkennung. Ebenso auch die Aufmerksamkeit, die Ihre Organisationen diesem Besuch schenken, dessen erstes Ziel darin besteht, die ewige Botschaft Jesu Christi von der Versöhnung, dem Frieden und der Einheit unter den Kindern Gottes zu verkünden. <111> <111> Wie Sie wissen, ist die katholische Kirche sich der Bedeutung der Kommunikationsmittel klar bewußt. Das kam in einem der Dekrete des Zweiten Vatikanischen Konzils und in vielen praktischen Maßnahmen der Kirche in der ganzen Welt zum Ausdruck. Die Kirche muß nicht nur die Kommunikationsmittel nutzen, um das Evangelium zu verkünden, sie muß sich auch mit anderen in der Verteidigung gewisser Prinzipien verbünden, die von den Eigentümern der Medien und ihren Journalisten mit Rücksicht auf das moralische und physische Wohl der Gesellschaft zu beachten sind. Im Dekret Inter mirifica des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt es: „Es gibt... in der menschlichen Gesellschaft ein Recht auf Information über alle Tatsachen, die den Menschen als einzelnen oder als Mitglied der Gesellschaft je nach ihrer besonderen Situation zu wissen zukommt“ (Nr. 5). Sie haben also eine zentrale Rolle bei der Sicherstellung, daß einerseits der Gesellschaft das Recht auf Information nicht verweigert wird, andererseits die Mitteilung der Information voll mit den moralischen Prinzipien, speziell denen der Wahrheit, Liebe und Gerechtigkeit, übereinstimmt. 893 REISEN 3. Die technische Entwicklung im letzten Vierteljahrhundert hat die Möglichkeit der Medien, die Ereignisse durch Meinungen und Handlungen einer großen Zahl von Menschen zu beeinflussen, noch vergrößert. Daher liegt in den Händen derer, die die Massenmedien besitzen, kontrollieren oder bei ihnen arbeiten, große Macht. Wenn sie ein tiefes Verständnis für und Respekt vor der Würde und den Rechten eines jeden menschlichen Individuums haben, weil es Gottes Kind ist, dann kann der Gebrauch dieser Macht hilfreich sein, um der Welt in ihrer großen Not Frieden zu bringen. Wenn die Rücksicht auf Rechte und Würde jedes Individuums fehlt, dann kann diese Macht zu Täuschung, Unterdrückung und Spaltung benutzt werden. 4. Meine heutige Botschaft an Sie ist eine Paraphrase der Aufforderung des hl. Papstes Leo des Großen an die Christen. Ich sage Ihnen: „Medienfachleute, erkennt eure Würde!“ Erkennt die Möglichkeit, nicht nur über das Böse zu berichten, sondern mitzuhelfen, es zu beseitigen. Erkennt eure Verantwortung, nicht nur über Leid zu berichten, sondern zu helfen, daß es erleichtert wird. Nehmt die Herausforderung an, nicht nur über gute Taten zu berichten, sondern ermutigt dazu. Erkennt eure Würde: für die Welt Zeugen von Ereignissen zu sein, die ihr Schicksal beeinflussen können, optische Linsen zu sein, durch die andere auf die Wirklichkeit blicken; Lampe zu sein, deren Licht nicht nur in die dunklen Ecken des menschlichen Lebens fällt, sondern auch auf den Weg menschlicher Pilgerschaft, um denen Führung, Wegweisung und Sicherheit zu geben, die in der Begleitung ihrer Brüder und Schwestern sicher zur Einheit mit Gott gelangen wollen. 5. Viele, vielleicht die meisten von euch, haben das immer getan, und ich erkenne das im Namen einer dankbaren Welt an. Aber wir alle können entmutigt werden; wir alle können die Perspektive aus dem Auge verlieren, wenn wir die Blende bloß auf einen naheliegenden Punkt einstellen und die Bedeutung, die Wichtigkeit, die bleibende Wirkung jedes Wortes, das wir schreiben oder sprechen, und jedes Bildes, das wir vermitteln, vergessen. Wie wertvoll ist jeder von euch für Gott! Wie wichtig ist das Werk, das ihr mit ihm teilt, eure Aufgabe, der Welt Wahrheit und Liebe mitzuteilen! Ich bewundere euch; ich danke euch: ich bete für euch. Ich bitte aufrichtig darum, daß ihr nicht nur über meine Reise berichtet, sondern bitte auch um euer Gebet für mich im Hinblick auf das, was unser gemeinsames Werk der Wahrheitsverbreitung ist. 894 REISEN Ich kehre in wenigen Tagen nach Rom zurück, aber die freudige Erinnerung an diesen Pastoralbesuch wird, wie bei meinem ersten Besuch vor fast 14 Jahren, bleiben. Die wunderschönen Länder und die einzigartigen Menschen des Südpazifiks werde ich ebenso in mein Gebet einschließen wie euch und eure Lieben, auf die ich nun dankbar den Segen des Herrn herabrufe. Christus kann von der Kirche nicht getrennt werden Ansprache während der Messe mit Katechumenen in Brisbane, Australien, am 25. November „Was soll ich dir tun?“ ... „Meister, ich möchte wieder sehen können.“ ... „Geh! Dein Glaube hat dir geholfen.“ (Mk 10,51 f.) Liebe Brüder und Schwestern! 1. Im Geist des Evangeliums der heutigen Liturgiefeier wollen wir über die Antwort nachdenken, die Jesus von Nazaret dem Blinden gegeben hat: „Dein Glaube hat dir geholfen“ (Mk 10,52). Was ist unser Glaube? Was ist es um den Glauben des blinden Mannes, daß er Gesundheit schenkt? Welcher Glaube führt zum Heil? Und ferner: Was meinen wir, wenn wir sagen: Ich glaube? Was bedeutet es, an Christus zu glauben? Was bedeutet es, ein Christ, ein Katholik zu sein? Vom Wort Gottes angeregt, möchte ich mit euch allen die Grundfrage des Glaubens bedenken. Das verbindet uns mit den Katechumenen - jenen also, die sich auf die Taufe vorbereiten — und mit den weiteren Kandidaten, die in die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche aufgenommen werden. Zugleich ist der Glaube ein Grundthema für alle, die bereits durch die Taufe in die Kirche eingetreten und damit Christen und Katholiken geworden sind. <112> <112> Doch zunächst möchte ich aussprechen, welch große Freude es ist, bei euch in der Stadt Brisbane in Queensland zu weilen. Ich grüße euch alle im Frieden Christi: die Gläubigen der katholischen Kirche in Queensland 895 REISEN und im nördlichen Teil von Neu Süd-Wales zusammen mit Erzbischof Rush von Brisbane und all meinen Brüder-Bischöfen. Ich freue mich über die Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, die uns der Herr geschenkt hat und die in dieser Liturgiefeier ihren sichtbaren Ausdruck findet. Eine besondere Freude war es, die Kranken und Behinderten treffen zu können, die im Herzen Christi einen besonderen Platz haben und einen bedeutsamen Anteil an der Sendung der Kirche besitzen. Herzliche Grüße entbiete ich auch den Mitgliedern anderer hier anwesender christlicher Gemeinschaften. Als Brüder und Schwestern in Christus laßt uns weiter auf die volle Einheit zustreben, für die unser Herr selbst gebetet hat und die für das Evangelisierungswerk der Kirche so lebenswichtig ist. Dann gilt mein brüderlicher Gruß allen Bürgern dieses Teils von Australien. Ich bin glücklich, bei euch allen weilen zu dürfen. Besonders freut es mich, diese Eucharistie feiern zu können, in der die Kirche amtlich eine Anzahl von euch in die Schar der Katechumenen aufnimmt oder als Kandidaten für die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche zuläßt. Das wieder eingerichtete Katechumenat oder der Ritus der christlichen Initiation von Erwachsenen ist gewiß eine der bedeutenden Früchte des II. Vatikanischen Konzils. Ich freue mich, wenn ich höre, wie erfolgreich das Katechumenat in Australien gewesen ist, zumal in dieser Erzdiözese. Dies ist eine wundervolle Gnade und ein klares Zeichen für die erneuernde Gegenwart des Heiligen Geistes in der Kirche. Zu allen Zeiten und in jedem Land ist die Kirche gesandt, die Frohbotschaft vom Heil zu verkünden und die Menschen zur Bekehrung der Herzen aufzurufen. <113> <113> Die zu Anfang erwähnte Frage kann mit denen verbunden werden, die der hl. Paulus in seinem .Brief an die Römer stellt und die wir in der zweiten Lesung in der heutigen Liturgie gehört haben: „Wenn Gott für uns ist, wer kann dann gegen uns sein? Wer kann die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist es, der gerecht macht. Wer kann sie verurteilen?“ (Röm 8,31-33). Im Zentrum der Fragen des hl. Paulus steht eine grundlegende Feststellung: „Nichts kann uns daher scheiden von der Liebe Christi!“ (Röm 8,35). Er stellt diese Fragen und trifft diese Feststellung, weil er an Menschen schreibt, die Christus treu verbunden zu bleiben suchen inmitten von Verfolgung und Trübsal, vielleicht auch an andere, die sich auf das Ja zu Christus unter den gleichen Verhältnissen vorbereiten. Der große Apostel macht dann eine zuversichtliche Glaubensaussage: „All das überwinden wir durch den, der uns geliebt hat“ (Röm 8,37). 896 REISEN Glauben haben, an Christus glauben, bedeutet seine Identität anerkennen, ihn in seiner göttlichen und in seiner menschlichen Natur anerkennen, seine Botschaft annehmen, auf seine Liebe antworten und sich entschließen, ihm gänzlich anzugehören. Christus angehören aber bedeutet, Anteil an dem Triumph zu haben, den er selbst über Tod und Sünde durch seinen eigenen Tod und seine Auferstehung gewann. Sein Triumph ist ein Triumph der Liebe; es ist der Sieg der Liebe. Wir beginnen dann, an Christi Tod und Auferstehung Anteil zu haben, wenn wir das Sakrament der Taufe empfangen. So beginnen wir den Sieg der Liebe zu teilen. Und dieses Initialsakrament des Glaubens ist Grundlage des ganzen Lebens der getauften Person: die Grundlage des Christseins. 4. Warum bin ich ein Christ? Warum habe ich mein ganzes Leben Christus geweiht? Diese Fragen berühren die tiefsten Überzeugungen und Grundwerte, auf die wir unser Denken und Tun gründen wollen. Unser Leben wird durch die Entscheidungen gestaltet, die wir in Antwort auf Gottes Initiativen treffen. Doch sind Gottes Initiativen dabei noch wichtiger als unsere Antwort. Gott ruft, Gott handelt, und wir antworten. Darum sind wir Christen. In Christus ist Gott mit uns, und das meint auch das Wort „Emmanuel“. Ja, der Vater wollte so sehr bei seinem Volk sein, daß er uns seinen einzigen Sohn, seinen geliebten Sohn gab. Nie kann ein größeres Geschenk gemacht werden. Und daher sagt der hl. Paulus: „Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Rom 8,32). In Christus hat uns der Vater auserwählt und durch seine Gnade gerechtfertigt, uns alle unsere Sünden vergeben und uns ewiges Heil geschenkt. „Nichts kann uns also scheiden von der Liebe Christi“ (Rom. 8,35). Die Liebe Christi erreicht uns aber durch die Kirche. Und wegen dieser Liebe vertrauen wir uns umgekehrt Christus an. 5. Manche nehmen irrtümlich an, Christus könne von der Kirche getrennt werden; es sei möglich, sein ganzes Leben Christus zu weihen ohne Beziehung zur Kirche. Wer das tut, vergißt die vom hl. Paulus verkündete Wahrheit: Die Kirche ist sein Leib - und wir sind dessen lebendige Glieder (vgl. Eph 5,29 f.). In meinem kürzlichen Apostolischen Brief über den hl. Augustinus habe ich ausgeführt: „Weil Christus, der einzige Mittler und Erlöser seines Volkes, Haupt der Kirche ist, sind Christus und die Kirche eine einzige mystische Person, der ganze Christus“ (Augu-stinum Hipponensem, 11,3). 897 REISEN Christus lieben bedeutet daher die Kirche lieben, denn die Kirche ist für Christus da; sie soll seine Gegenwart und Sendung in der Welt fortsetzen. Christus ist der Bräutigam und Retter der Kirche. Er ist ihr Gründer und ihr Haupt. Je mehr wir die Kirche kennen und lieben lernen, desto enger werden wir mit Christus verbunden sein. Euch als Katechumenen wird dies in den Wochen und Monaten, die vor euch liegen, immer klarer werden. Für jetzt aber möchte ich einige Gedanken über die Natur der Kirche vortragen, denn auch ihr werdet bald ihre Mitglieder sein. Die Kirche ist in Wahrheit ein Geheimnis, eine menschliche und göttliche Wirklichkeit, die unser Studium und unsere Betrachtung verdient und doch weit hinausreicht über das, was menschliches Denken fassen kann. Eine Reihe von Symbolen hilft uns, dieses Geheimnis der inneren Natur der Kirche tiefer zu ergründen und schätzen zu lernen. Der hl. Paulus spricht z. B. von der Kirche als einem „Ackerfeld“, das von Gott bebaut und fruchtbar gemacht wird (vgl. 1 Kor 3,9). Er nennt die Gläubigen „Gottes Tempel“, in dem der Heilige Geist wohnt (vgl. 1 Kor 3,16 f.). Er beschreibt die Kirche als „Braut Christi“, die der Herr zärtlich umsorgt und für die er sein Leben hingab (vgl. Eph 5,21-23). Ja, der hl. Paulus identifiziert oft die Kirche mit Christus, indem er sie den Leib Christi nennt (vgl. Röm 13,3-8). Er nennt sie weiter „unsere Mutter“ (vgl. Gal 4,26), denn in der Kraft der Liebe Christi und des Taufwassers gebiert sie im Verlauf der Geschiehte zahlreiche Kinder. Durch diese und viele weitere Symbole lernen wir in begrenzter, aber realer Weise den ganzen Reichtum des Geheimnisses der Kirche kennen. 6. Die Kirche ist wesentlich ein Geheimnis der Gemeinschaft. Sie ist ein Zeichen oder Sakrament jener Einheit, von der der hl. Paulus in der heutigen zweiten Lesung spricht, wenn er sagt: „Ich bin gewiß: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,38). Die Gemeinschaft, deren wir uns in der Kirche erfreuen, ist sowohl vertikal wie horizontal: sie ist Gemeinschaft mit den drei Personen der allerheiligsten Dreifaltigkeit und Gemeinschaft untereinander im Leibe Christi. In Gemeinschaft stehen, schließt ein tiefes persönliches Verhältnis der Kenntnis und Liebe ein. Diese Art von Verhältnis möchte das Katechumenat fördern, und damit strebt es weit mehr an als ein bloßes Lernen von Tatsachen über Gott. Der Katechumene beginnt den Weg zu einer innerlichen Freundschaft mit Christus, einen Weg, der Offenheit des 898 REISEN Geistes und Herzens für das lebenspendende Wort Gottes erfordert, zugleich eine ständige Bekehrung des Herzens. Dieser Weg endet auch nicht mit dem Abschluß des Katechumenates. Dieses bereitet ja nur auf das Tauf Sakrament vor, in dem die Gemeinschaft in der Kirche grundgelegt wird. In der Taufe werden wir wiedergeboren als Kinder des Vaters; wir werden zu innigen Freunden Christi gemacht und empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. Diese Gemeinschaft mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist wird aufgebaut und erneuert in der Eucharistiefeier, der Quelle und dem Gipfel des christlichen Lebens. Die übrigen Sakramente aber vertiefen ebenfalls diese Gemeinschaft. Zumal das Bußsakrament fördert und stärkt sie und stellt die Einheit mit Gott wieder her, wenn sie durch die Sünde zerbrochen war. 7. Die Kirche, die als Gemeinschaft lebt, ist ein Zeichen der Einheit unter allen Völkern. Schon das Wort „katholisch“ meint universal. Aus diesem Grund kennt die katholische Kirche keine nationalen oder kulturellen Grenzen. Sie kann sich nicht selbst auf eine bestimmte Rasse oder Sprache beschränken. Sie ist vielmehr berufen, wirklich universal zu sein, eine Gemeinschaft des Glaubens an Christus, zu der Menschen aus jedem Land und jeder Kultur der Erde gehören, und sie bleibt doch immer eine. Der hl. Paulus beschreibt die Universalität der Kirche wie folgt: „Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid „einer“ in Christus Jesus“ (Gal 3,27 f.). Diese organische Gemeinschaft der katholischen Kirche ist so tief, daß sie immer eins bleibt, obwohl sie in weithin verschiedenen Situationen und in zahlreichen verschiedenen Einzelkirchen präsent ist. Jede Einzelkirche ist ein echter Ausdruck der universalen Kirche, und sie bereichert den ganzen Leib Christi durch die besonderen Gaben, die jede einzelne besitzt und hochherzig mitteilt. So ist die eine katholische Kirche ebenso asiatisch wie europäisch, slawisch wie australisch, afrikanisch wie amerikanisch, byzantinisch wie lateinisch. Solche Einheit und Universalität sind Gaben, die ein gemeinsames Bemühen und ständige Wachsamkeit erfordern. Wir freuen uns nicht nur dieser Gaben, wir müssen sie auch bewahren und entfalten. Die Einzelkirchen müssen Zeugnis für die vollkommene Einheit im Glauben und in kirchlicher Gemeinschaft geben. Sie müssen Zusammenarbeiten, um den Inhalt des katholischen Glaubens unverändert zu erhalten, während sie diesen Glauben zugleich in die berechtigte Verschiedenheit von Ausdrucksfor- 899 REISEN men gemäß den unterschiedlichen Kulturen übersetzen (vgl. EN 63-65). Von besonderer Bedeutung ist der Dienst der Autorität, in einzigartiger Weise der des Papstes. Denn der Nachfolger des Petrus trägt die besondere Verantwortung, der ganzen Herde in Liebe vorzustehen, indem er berechtigte Verschiedenheit schützt und zugleich sicherstellt, daß solche Verschiedenheit der Einheit nicht schadet. Das ist einer der Gründe, warum ich ständig die Einzelkirchen wie jene in Australien besuche, um unsere Einheit in Christus zu verkünden. 8. Die Gabe der Gemeinschaft, der sich die katholische Kirche erfreut, bringt wichtige Verantwortlichkeiten gegenüber der Welt mit sich, denn die Kirche soll für alle Völker ein Werkzeug der Einheit und der Versöhnung sein. Die Worte des Propheten Jesaja in der ersten Lesung dieser Liturgiefeier unterstreichen diese Sendung der Kirche. Der Herr sagt: „Siehe, ich habe dich zum Zeugen für das Volk gemacht, zum Führer und Lehrer der Nationen“ (Jes 55,4). Die Kirche nimmt ihre Sendung in die Welt hinein ernst. Daher hat das II. Vatikanische Konzil festgestellt: „Die Freuden und Hoffnungen, die Sorgen und Ängste der Menschen unserer Zeit, zumal die der Armen und irgendwie Betrübten, sind zugleich Freuden und Hoffnungen, Sorgen und Ängste der Nachfolger Christi... Die Kirche ist gleichzeitig sichtbare Versammlung und geistliche Gemeinschaft. Sie geht ihren Weg gemeinsam mit der Menschheit und erfährt das gleiche Geschick wie die Welt. Sie wirkt als Sauerteig und gleichsam als Seele der menschlichen Gesellschaft, die in Christus erneuert und zu Gottes Familie umgestaltet werden soll“ (GS 40). Wie die katholische Kirche Einheit und Versöhnung in der Welt fördert, so betet und arbeitet sie auch für die volle Einheit unter den Christen. Daher sind ökumenischer Dialog und Zusammenarbeit eine wichtige Priorität in der Kirche und zugleich umfangreicher Teil ihres Bemühens, die Menschheitsfamilie in Einheit und Liebe aufzubauen. Denn das Fehlen der vollen Einheit unter den Christen behindert die Kirche in ihrer Berufung, für alle Völker ein Sakrament der Versöhnung und Gemeinschaft zu sein. Wir können zum ökumenischen Dialog aber nur dann einen gültigen Beitrag leisten, wenn wir in ihn den Reichtum der katholischen Überlieferung einbringen. Unser Dialog wird auch nur dann echt und fruchtbar sein, wenn wir die Wahrheit in Liebe vortragen und in Treue zu unserer eigenen Identität. Alles Verwischen jener Dinge, die uns noch trennen, bedeutet keinen Dienst an der Sache Christi und des Evangeliums. 900 REISEN 9. Ihr, die Katechumenen, habt öffentlich euren Wunsch bekundet, euer Leben zu ändern und innerhalb der katholischen Gemeinschaft Gott kennen und lieben zu lernen. Ihr bittet die katholische Kirche um die Gabe des Glaubens und sprecht eure Bereitschaft aus, die Lehren des Evangeliums als Grundlage eures täglichen Lebens anzunehmen. Dies ist ein Tag der Freude und der Hoffnung für uns alle in der Kirche. Wir helfen euch gerne beim Wachstum im christlichen Glauben. Gemeinsam mit euch blicken wir auf den Tag eurer Taufe, Firmung und Erstkommunion voraus, den Tag, an dem ihr in die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche aufgenommen werdet und das Recht erhaltet, mit dem Wort Gottes genährt zu werden und an besonderen liturgischen Riten teilzunehmen. Wie wir heute mit euch zusammen sind, so werden wir euch zu helfen versuchen, in eurem Bemühen zu beten, die Liebe zu üben und inmitten von Schwierigkeiten auf Gott zu vertrauen. Wir werden euch zu helfen suchen, daß ihr unserem Herrn Jesus Christus näherkommt und Maria, die seine Mutter ist und die wir als Mutter seiner Kirche anerkennen. Eure persönlichen Paten werden eine vorrangige Rolle bei der Erfüllung dieser Aufgabe haben, aber die ganze Kirche begleitet euch. Der heutige Wortgottesdienst enthält eine Einladung zur Taufe: „O kommt zum Wasser“ (Jes 55,1). Der Antwortpsalm aber greift das gleiche Thema auf: „Mit Freuden werdet ihr Wasser schöpfen aus den Quellen des Heils“ (Jes 12,3). Durch den Propheten Jesaja schildert uns der Herr die Wirkungen der Taufe, wenn er sagt: „Ich will mit euch einen immerwährenden Bund schließen“ {Jes 55,3). Dieser Bund wurde durch unseren Herrn Jesus Christus gefestigt in seinem Erlösertod und in seiner glorreichen Auferstehung. In der Taufe aber wird er für jeden von uns persönlich erneuert. Als Ergebnis dieses Bundes der hl. Taufe kann nichts uns „trennen von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus, unserem Herrn, sichtbar geworden ist“ (Röm 8,39). Nichts! Durch Glauben und Taufe gehören wir zur Kirche Christi. In seiner Kirche aber gehören wir für immer zu Christus! Für immer! Amen. 901 REISEN Für das Wohl aller arbeiten Ansprache bei der Begrüßung in der Stadthalle in Brisbane, Australien, am 25. November Herr Oberbürgermeister, liebe Freunde! 1. Bevor ich diese blühende Stadt Brisbane verlasse, bin ich froh, die letzte Gelegenheit zu haben, euch alle zu grüßen, die ihr hier am King George Square versammelt seid. Das Ziel meiner Reise nach Australien sowie meiner Pastoraireisen in viele andere Länder der Welt ist, meine Liebe zu Jesus Christus auszudrücken und ihn bekannter und geliebt zu machen. Ich bin gewissermaßen gekommen, meinen Brüdern und Schwestern der katholischen Kirche Unterstützung und Ermutigung anzubieten. Es ist wichtig für mich, die Ortskirchen zu besuchen und aus erster Hand ihre Lebendigkeit, ihre Schwierigkeiten und ihre Hoffnungen zu erleben. Zugleich bin ich froh darüber, daß meine Pastoraireisen mir die Gelegenheit geben, Mitglieder anderer christlicher Gemeinschaften und anderer Religionen und viele Leute guten Willens zu treffen. Ich bin darum bemüht, jedem, dem ich begegne, ein Freund und ein Diener des Friedens zu sein. 2. Von besonderer Bedeutung für die Kirche sind die Rechte und die Würde der menschlichen Person. Ich vertraue darauf, daß ihr an derselben Sache Anteil nehmt. Sie hat viele Seiten und diese sind von Land zu Land sehr unterschiedlich, insbesondere, wenn man Entwicklungsländer und höher entwickelte Länder wie Australien miteinander vergleicht. Jedenfalls besteht zuweilen überall die Versuchung, den menschlichen Fortschritt am wirtschaftlichen und technischen Fortschritt zu messen, während seine geistigen und ethischen Dimensionen ignoriert werden. Wie ich in meiner ersten Enzyklika darlegte, ist meine eigene tiefe Überzeugung: Es handelt sich um die Entwicklung von Personen und nicht nur vieler Dinge, deren sich die Personen bedienen können. Es geht nicht so sehr darum, „mehr zu haben“, sondern, „mehr zu sein“ (RH 16). Die letztendlichen Kriterien für wahren menschlichen Fortschritt sind das Gesetz Gottes, unseres Schöpfers, und das Wohl jeder Person. <114> <114> Es ist auch wichtig, daran zu erinnern, daß das Schicksal der Welt nicht völlig in unseren Händen liegt. Gott ist der Schöpfer von allem, und Gottes Vorsehung beherrscht die Geschichte. Es ist auf alle Fälle unsere 902 REISEN Pflicht, gemeinsam für das Wohl der gesamten menschlichen Familie zu arbeiten, indem wir unsere natürlichen Gaben auf rechte Weise anwenden. Wir müssen vergewissern, daß wir die Nöte der ganzen Welt verstehen und daß wir niemanden von unserer Liebe ausschließen. Wir sind in hohem Maße für unsere Handlungen und auch für das Gute, das wir nicht tun, verantwortlich. Zugleich müssen wir um Gottes Hilfe für unser Leben und für die ganze Welt bitten und uns vergegenwärtigen, daß er „durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann als wir erbitten oder uns ausdenken können“ (Eph 3,20). Unsere Abhängigkeit von Gott, unser Bedürfnis nach Gott, seine liebende Sorge um uns, sind alle ein Teil der Wahrheit des Lebens. Ich möchte euch allen meine tiefe Dankbarkeit für die wundervolle Gastfreundlichkeit ausdrücken, die ich im Staat Queensland empfangen habe. Vielen Dank für euren herzlichen Empfang. Möge der Herr eure Herzen mit Frieden und Freude erfüllen. Gott segne euch alle! Den Frieden überall hinbringen Ansprache bei dem Treffen mit der Jugend in Sydney am 25. November Liebe, junge Menschen von Australien! 1. Ich danke euch für die Begrüßung und freue mich, mit euch an diesem Abend hier zu sein. Wenn wir Zusammenkommen, wissen wir, daß Christus mit uns ist. In eurem Lied habt ihr eure Stimmen und Herzen zu ihm erhoben und ihm Folgendes gesagt: „Wir sind beisammen, o Herr, um dein Wort zu feiern.“ Und tatsächlich seid ihr zusammengekommen, um sein Wort zu feiern — sein Wort des Friedens. An diesem Abend hat Christus durch das Evangelium sich euch enthüllt. Wie die Apostel, so freut ihr euch an seiner Gegenwart; ihr freut euch, wenn ihr ihn sagen hört: „Friede sei mit euch“ (Joh 20,21). Es ist der Friede der Erlösung, den Jesus Christus euch überbringt. Es ist der Friede des Sieges - des Sieges über die Sünde. Es ist der Friede der Versicherung - der Versicherung des ewigen Lebens. Es ist der Friede des Glaubens an Jesus, der Friede, der daher kommt, daß man Jesus als das Wort des Lebens annimmt, als den ewigen Sohn Gottes, der durch das Geheimnis der 903 REISEN Menschwerdung, indem er Sohn Mariens wurde, unser aller Bruder wurde. Es ist der Friede einer Menschheit, die durch die Beziehung und die Gemeinschaft mit dem lebendigen Jesus erneuert und gestärkt wurde - mit Jesus, dem „Erstgeborenen der Toten“ (Kol 1,18). Jesus, der weiterlebt in seiner Kirche, Jesus, der die Macht seines Friedens in der Welt entfesseln will - der das durch, die jungen Menschen tun will. So wiederholt Jesus für euch in dieser Nacht die ewigen Worte: „Der Friede sei mit euch.“ Mit der ganzen Liebe seines Herzens wünscht Jesus, daß sein Friede euer Friede werde. Gleichzeitig fährt er fort, zu euch zu sprechen, wie er zu seinen Aposteln gesprochen hat: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). 2. Heute nacht seid ihr tatsächlich von Jesus in die Welt gesandt als Friedensbringer; ihr seid beauftragt, diesen Frieden und seine Kraft überall dorthin zu bringen, wohin ihr geht. Das heißt aber, daß ihr selbst vom Frieden Jesu erfüllt sein müßt; ihr müßt ihn in euren Herzen empfangen. Ihr müßt ihn an seiner Quelle suchen, nämlich in der Person Jesu. Und weil euer Auftrag, euer Ruf und eure Aufgabe nicht statisch, sondern dynamisch sind, müßt ihr ständig auf der Suche nach diesem Frieden sein. Ihr müßt ihn im Wort Jesu aufnehmen, das die Offenbarung Gottes ist. Ja, liebe junge Menschen, ihr müßt ganz überzeugt sein, daß ihr, wenn ihr den ganzen und vollkommenen Frieden finden wollt, den Christus anbietet, ihn in Christus finden müßt. Aus diesem Grund sagt die Kirche heute zu euch: - Wenn ihr Frieden wollt, so öffnet Christus eure Herzen. - Wenn ihr Frieden wollt, so nehmt Christus an; nehmt ihn an als Sohn Gottes; nehmt ihn auch im Geheimnis seiner Menschlichkeit an; nehmt ihn in den anderen an. Nehmt Christus in jedem an, der mit euch die Würde menschlicher Natur teilt. Greift nach ihm und entdeckt ihn in den Armen und Einsamen, den Kranken und Unglücklichen, in den Behinderten, den Alten und Ungeliebten, in all jenen, die auf unser Lächeln warten, die unsere Hilfe brauchen und die um unser Verständnis flehen, um unser Mitleid und unsere Liebe. Erst wenn ihr Christus in all diesen Menschen erkannt und umarmt habt, dann - und nur dann - werdet ihr am Frieden seines heiligen Herzens innig teilhaben. Je mehr ihr den Reiz des Friedens Christi entdeckt und versucht, ihn mit Gottes Hilfe und mit der Disziplin und der erforderlichen Anstrengung fortzusetzen, um so mehr werdet ihr fähig sein, Apostel für andere junge Menschen in Australien und anderswo zu werden. Eure Wirksamkeit als 904 REISEN Friedensbringer wird in direktem Verhältnis dazu stehen, wie sehr ihr den Frieden Christi von Herzen annehmt. 3. Friede hat seine menschlichen Dimensionen und seine menschlichen Ansprüche. Was bedeutet das in der Praxis? Wie kann Frieden die Wirklichkeit unseres Lebens werden, die Wirklichkeit unserer Welt? Ich habe oft über die praktischen Dimensionen des Friedens gesprochen, davon, was wir tun müssen, um Gottes Friedensgeschenk zu bewahren und zu entwickeln - den Frieden, den Jesus so bereitwillig mit uns teilt. Es ist oft wiederholt worden: - Wenn du Frieden willst, setze dich ein für Gerechtigkeit. - Wenn du Frieden willst, verteidige das Leben. - Wenn du Frieden willst, stelle dich auf die Seite der Wahrheit. - Wenn ihr Frieden wollt, „so tut ihnen, was ihr von den anderen erwartet“ (Mt 7,12). In einem Wort: - Wenn ihr Frieden wollt, so müßt ihr lieben: „Darum sollst du den Herrn, deinen Gott lieben, mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. . . Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst“ (Mk 12,30 f.). All das erfordert persönliche Anstrengung und Disziplin. Es schließt in sich ein, daß wir uns selbst und die anderen als Geschöpf Gottes annehmen, als Kinder Gottes, als Menschen, die das Gesetz Gottes, das der Plan für unser Leben ist, zu ihrem Glück gebrauchen. 4. Im gegenseitigen Zusammenhalten werdet ihr Kraft finden, und im Zusammenhalten werdet ihr auch den Frieden finden - den Frieden Christi. Dieses Zusammenhalten ist eine Tatsache an diesem Abend - eine große Tatsache. Es ist Einheit in der Verschiedenheit. Diese Verschiedenheit ist echt australisch; sie ist echt katholisch. Ihr seid Vertreter verschiedener Gruppen mit verschiedenen speziellen Zielen, aber ihr seid eins im Namen Jesu, eins im Frieden Jesu. Ihr seid eins im Ideal des christlichen Dienstes, eins im Sjreben nach Gerechtigkeit, eins in der Verkündigung der Wahrheit von der menschlichen Würde, die allen Menschen eigen ist. Ihr entstammt verschiedenen ethnischen Gruppen, und die bloße Tatsache, daß ihr euch hier versammelt habt, zeigt eure Absicht, alle Formen des Vorurteils und der Diskriminierung zurückzuweisen, die sich auf 905 REISEN Rasse, Ursprung und Farbe, Kultur, Geschichte und Religion gründen: Ihr seid offen — und offen müßt ihr sein — für die große kulturelle Verschiedenheit, die eure Einheit als Australier erhöht und euren Katholizismus bezeugt. Eure Mitgliedschaft in verschiedenen kirchlichen Gruppen und Bewegungen zeigt auch, daß ihr das wichtige Prinzip der Verschiedenheit begriffen habt, wie es im Apostolat der Kirche Anwendung findet. Innerhalb der geistlichen Einheit der Kirche gibt es viele verschiedene Wege, dem Herrn zu dienen. „Das alles bewirkt ein und derselbe Geist, einem jeden teilt er seine besondere Gabe zu, wie er will“ (7 Kor 12,11), ein Geist, der alle inspiriert, gleichgesinnt für das eine Ziel zu arbeiten, nämlich den Leib Christi aufzubauen und seinen Frieden zu verbreiten. 5. Liebe, junge Leute: Ihr seid nicht allein. Durch die Gruppen, zu denen ihr gehört, und mit der Hilfe von Freunden müßt ihr fortfahren, an dem großen Gebäude der christlichen Einheit weiterzuwirken, indem ihr mit anderen christlichen Brüdern und Schwestern zusammenarbeitet und offen seid für die Brüderschaft und Liebe aller Männer und Frauen guten Willens. Nein, junge Menschen von Australien, wie Jesus werdet ihr nie allein sein. Als er über seinen Vater sprach, sagte Jesus: „Und er, der mich gesandt hat, ist bei mir; er hat mich nicht allein gelassen“ (Joh 8,29). Und er will, daß ihr seine Gesellschaft und die Gesellschaft seines Vaters und des Heiligen Geistes in der Kirche findet. Und das ist genau das, war ihr tut. Nur dadurch, daß ihr teilhabt an der Gesellschaft Gottes, werdet ihr fähig, der Welt Frieden zu bringen. Setzt euch dafür ein, daß die Pfarrei trotz all ihrer menschlichen Grenzen nach der Familie unsere Basis für das Streben nach Frieden und seine Verbreitung ist. Eure Reise wird euch oft anderswohin bringen, aber die Pfarrei ist, was ich bei einer anderen Gelegenheit sagte: „Das Haus der Pfarrfamilie, brüderlich und gastfreundlich, wo die Getauften und Gefirmten sich bewußt werden, Volk Gottes zu sein. Hier wird ihnen das Brot der Frohen Botschaft und das Brot der hl. Eucharistie in reicher Fülle gebrochen in ein und demselben Gottesdienst“ ( Catechesi tradendae 67). 6. Als junge Menschen, die dem Beispiel Christi folgen und versuchen, die Berufung eines Friedensbringers zu leben, seht ihr euch jeden Tag eures Lebens großen Herausforderungen gegenüber. Diese Herausforderungen sind Teil des täglichen Lebens: zu Hause, in der Schule, in der 906 REISEN Arbeit, in der Kirche und in vielen anderen Aktivitäten, die unser Leben ausmachen; in Gesundheit und Krankheit; in guten Zeiten und in schlechten, wenn euch Schwierigkeiten belasten und in Augenblicken der Sorge, der Unruhe und der Hoffnung. In jeder Lebenslage seid ihr aufgefordert, Neigungen zum Egoismus zu überwinden, auf andere mit offenem Herzen und offenem Sinn zuzugehen, im Dialog, nicht in Rivalität, mit ehrlicher Achtung und in Liebe für jeden Bruder und jede Schwester. Diese Offenheit für andere im Verständnis für sie, in der Geduld, dem Mitleid und im Wunsch, das Gute in ihnen zu fördern, ist ein Ausdruck brüderlicher Liebe. Es ist ein gutes Beispiel, Frieden zu bringen. Gleichzeitig heißt Offenheit für die andern nicht, daß jede Meinung den gleichen Wert hat; ganz gleich, wie stark sie ist, die Aufrichtigkeit der Überzeugung kann nicht Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit oder Falschheit in Wahrheit verwandeln. Die Wahrheit ist nicht immer dasselbe wie die Mehrheit der Meinung, besonders wenn die Meinung durch mächtige und kluge Manipulationskräfte künstlich gemacht wird. Aber die Wahrheit wird immer der Weg zur wahren Freiheit sein. Jesus selbst sagt zu uns: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,32). Wahrheit und Freiheit, hebe, junge Leute, sind zusammen mit Gerechtigkeit und Liebe die Basis für unseren Frieden und den Frieden Christi, der in eure Herzen und in die Welt kommt. 7. Noch einen anderen Gedanken möchte ich euch mitteilen. Ich möchte zu euch über die Wichtigkeit des Gebetes sprechen, weil das Gebet so eng mit dem Frieden verbunden ist und Friede so sehr vom Gebet abhängt. Erlaubt mir, daß ich euch wiederhole, was ich zur Jugend von England und Wales vor einigen Jahren gesagt habe: „Im Gebet, in Vereinigung mit Jesus, eurem Bruder, eurem Freund, eurem Erlöser, eurem Gott, beginnt ihr neue Luft zu atmen. Ihr setzt euch neue Ziele, glaubt an neue Ideale. ... In Jesus, den ihr im Gebet kennenlernt, werden eure Träume von Gerechtigkeit und Frieden deutlicher und fordern praktische Verwirklichung . . . Durch den Kontakt mit Jesus im Gebet wird euch ein Wissen um eure Sendung zuteil, das durch nichts abgeschwächt werden kann . . . Im Gebet mit Christus vereint, werden euch die Nöte eurer Brüder und Schwestern nachhaltiger bewußt. Ihr werdet die Last der Leiden und Schmerzen besser einschätzen, die das Herz zahlloser Menschen bedrückt. Durch das Gebet, besonders durch die Verbindung mit Jesus bei der Kommunion werdet ihr vieles begreifen, was die Welt und ihre Beziehungen zu ihr betrifft, und werdet auch in der Lage sein, das richtig zu 907 REISEN erkennen, was man „die Zeichen der Zeit“ nennt. Vor allem werdet ihr denen etwas zu bieten haben, die sich in ihren Nöten an euch wenden. Durch das Gebet werdet ihr Christus besitzen und in der Lage sein, ihn anderen mitzuteilen. Das ist das Größte, was ihr in eurem Leben vollbringen könnt: Christus der Welt mitteilen.“ (Cardiff, 2. Juni 1982) Wie ihr Christus der Welt mitteilt, so werdet ihr das Geschenk des Friedens mitteilen. Ein dynamisches Geschehen nimmt in eurem Leben Platz. Christus spricht ständig diese Worte zu euch: „Der Friede sei mit euch!“ Und er sendet euch aus, wie er die Apostel ausgesandt hat: „So wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ 8. Liebe, junge Leute: Der auferstandene Christus schenkt seinen Frieden der ganzen Welt und will euch zu seinen Werkzeugen des Friedens machen. Ihr seid aufgerufen, Chaos und Unordnung mit Hilfe der Ordnung zu bekämpfen - der Ordnung eures Lebens, das auf Gott hingerichtet ist und in besonderer Beziehung zu eurem Nächsten steht. Eure Aufgabe ist es, die Schönheit der Natur und die Würde der ganzen Schöpfung Gottes zu bewahren, so daß sie der Menschheit dient und den Schöpfer entsprechend seinem Plan verherrlicht. Der Triumph der Gerechtigkeit in der Welt hängt so sehr von euch ab, und das bedeutet, daß die Zerstörung der Ungerechtigkeit mit der Reinigung eurer Herzen beginnen muß. Ihr seid aufgerufen, die Irrtümer der Welt und jede Spur von Täuschung mit der Kraft der Wahrheit zu vergleichen. Für uns Christen wie für den heiligen Paulus geht es darum, die Wahrheit in Liebe zu leben und zu der Reife Christi zu gelangen (vgl. Eph 4,15). Angesichts der herrschenden Rivalität müßt ihr der Welt einen respektvollen Dialog anbieten. Die Antwort auf Beleidigung und Verletzung ist Verzeihung. Die einzig annehmbare Position gegenüber der Entfremdung ist das Bemühen um Versöhnung und das Angebot einer brüderlichen Solidarität. Eure ungeheure Aufgabe ist es, alles Böse mit dem Guten zu überwinden, indem ihr versucht, mitten in die Probleme des Lebens das Vertrauen in Gott zu stellen, wissend, daß seine Gnade die menschliche Schwäche mit Kraft erfüllt. Jeder Form von Haß müßt ihr die unbesiegbare Kraft der Liebe Christi gegenüberstellen. Das bedeutet junge Friedensbringer zu sein, den Frieden stiften zu helfen, das Reich des Friedens Christi. Das ist es, wozu ihr aufgefordert seid, und in dieser Sendung werdet ihr unterstützt durch die Fürbitte Marias, der Mutter Gottes, und durch alle Engel und Heilige. Aber, um Erfolg zu haben, müßt ihr diese Sendung und ihre Bedingungen frei annehmen, und 908 REISEN ihr müßt persönlich Ja sagen zu Christus im Gebet. Mit Christus müßt ihr alle zusammenstehen. Liebe, junge Menschen von Australien: mit Christus und den anderen seid ihr nicht allein. „Gott selbst stärkt eure Arme“ Ansprache an die Arbeiter in Sydney am 26. November Liebe Freunde! 1. Ich danke euch, daß ihr mir in so freundlicher Weise euer Willkommen geboten habt; und ich hoffe, ihr seht, wie ich mich freue, hier mit euch zusammenzusein. Vielleicht wißt ihr, daß auch ich einige Jahre lang in einem Steinbruch und in einer Fabrik gearbeitet habe. Es waren bedeutende und nutzbringende Jahre in meinem Leben. Ich bin dankbar, daß ich diese Gelegenheit hatte, tiefer über die Bedeutung und Würde menschlicher Arbeit in ihrem Bezug zum einzelnen Menschen, zur Familie, zur Nation und zur gesamten Sozialordnung nachzudenken. Jene Jahre ließen mich in einer besonderen Weise an der schöpferischen Tätigkeit Gottes teilhaben und die Arbeit im Licht des Kreuzes und der Auferstehung Christi erleben. Es ist einer der Gründe für mein Herkommen, daß ich euch und allen Arbeitern Australiens sagen möchte, wie sehr ich Treue und Hingabe bei der Erfüllung der gewöhnlichen Arbeit bewundere. Australien ist ein großes Land, weil arbeitende Menschen wie ihr Tag für Tag mit Freude, aber auch mit Ernst ihren Aufgaben nachgehen und im Schweiß ihres Angesichtes ihr Brot verdienen, Güter produzieren, ihren Mitbürgern Dienste leisten und so ganz allmählich eine Welt zur Vollendung bringen, die von einem guten und liebenden Gott geschaffen ist. <115> <115> Zweifellos haben viele von euch von Zeit zu Zeit darüber nachgedacht, daß Jesus Christus selbst, obwohl er der Sohn Gottes ist, die meiste Zeit seines irdischen Lebens ein gewöhnlicher Arbeiter sein wollte und in Nazaret Zimmermannsarbeit verrichtete. Aus diesem Leben Jesu, des Arbeiters, können wir sehr viel lernen. Es ist also durchaus angebracht, daß seine Kirche seine Botschaft in die Arbeitswelt und zu den Arbeitern 909 REISEN bringt. In der Vergangenheit hat die Kirche konsequent Auffassungen zurückgewiesen, aufgrund deren man die Arbeiter zu bloßen Dingen herabminderte, sie, sobald es die Wirtschaftslage in der Industrie zu erfordern schien, als überflüssig betrachtete und zur Arbeitslosigkeit verurteilte. Die Studenten unter euch können die Schriften meiner Vorgänger konsultieren, die bis auf Leo XIII. vor fast hundert Jahren zurückgehen, der ausführlich Themen wie die Rechte der Arbeiter, Eigentum, Besitz, Arbeitsstunden, gerechte Löhne und Arbeiterverbindungen behandelte. Vielleicht habt ihr gehört, daß auch ich vor fünf Jahren eine Enzyklika über die menschliche Arbeit geschrieben habe. Mein Ziel war es, das gesamte Gebiet der menschlichen Arbeit neu zu beleuchten. Ein wichtiges Thema, das immer neue Hoffnungen, aber auch neue Befürchtungen und Gefahren beinhaltet. 3. Von den vielen neuen Elementen, die die menschliche Arbeit beeinflussen, möchte ich heute die schnelle Entwicklung der Technologie erwähnen. Sie hat einen Aspekt, den wir bewundern können: in der Technologie können wir mehr als zuvor sehen, wie wir uns „die Erde unterwerfen“ (Gen 1,28) und Herrschaft über sie gewinnen. Die Technologie selbst ist ein Werk menschlicher Hände und des menschlichen Geistes, und sie befähigt uns, andere schöne und nützliche Dinge hervorzubringen. Dies ist bewunderungswürdig, wenn die menschliche Person eindeutig der Meister ist. Aber in großen Fabriken und weitläufigen Industriegebieten kann es bei der Anzahl, Größe und Komplexität der benutzten Maschinen scheinen, als sei der Arbeiter bloß ein Teil der Maschine, ein Rädchen im Gesamtprozeß der Produktion. Viele Maschinen erfordern heutzutage Arbeiter mit einer Spezialausbildung. Aber wenn er dann für eine höhere Facharbeit ausgebildet ist, kann der Arbeiter plötzlich entdecken, daß seine Maschine durch eine neue Erfindung überholt und unwirtschaftlich geworden ist. Vielleicht ist er zu alt für eine zweite Fortbildung, oder die Firma, die ihn beschäftigt, gibt das Geschäft auf. So werden ganze Industrien verlagert und Menschen und Familien in Armut, Leid und Verzweiflung gestoßen. Trotz der Komplexität des Problems dürfen wir nicht aufgeben. Alle Hilfsmittel menschlichen Erfindungsreichtums und guten Willens müssen zum Tragen gebracht werden, damit die sozialen Probleme unserer Tage, die mit der Arbeit Zusammenhängen, Lösungen finden. Es ist wichtig, klare Vorstellungen von den Grundsätzen zu haben und von den Prioritäten, die zu beachten sind. In diesem Zusammenhang möchte ich nochmals 910 REISEN meiner eigenen tiefen Überzeugung Ausdruck geben, „daß die menschliche Arbeit ein Schlüssel und wohl der wesentliche Schlüssel in der gesamten sozialen Frage ist, wenn wir sie wirklich vom Standpunkt des Wohls für den Menschen betrachten wollen“ (Laborem exercens, 3). 4. Die Menschen müssen arbeiten, nicht nur um Geld für das Lebensnotwendige zu verdienen, sondern auch, um ihre Berufung zu erfüllen, an der schöpferischen Tätigkeit Gottes teilzuhaben. Die menschliche Befriedigung, die von gut verrichteter Arbeit herrührt, zeigt, wie tief der Schöpfer das Gesetz der Arbeit in das Herz des Menschen geschrieben hat. Die Güter der Welt gehören der gesamten menschlichen Familie. Normalerweise wird jemand arbeiten müssen, um einen notwendigen Teil dieser guten Dinge zu erhalten. In der frühen christlichen Gemeinschaft betonte der hl. Paulus nachdrücklich, daß der Wille zur Arbeit eine Bedingung dafür ist, essen zu können: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ (2 Thess 3,10). In besonderen Situationen kann und muß die Gesellschaft denen beistehen, die in Not sind und nicht arbeiten können. Aber auch unter diesen besonderen Umständen haben die Menschen noch den Wunsch nach persönlicher Erfüllung, und diese kann nur durch die eine oder andere Form lohnender menschlicher Tätigkeit erreicht werden. So können also diejenigen, die dazu gezwungen sind, sich frühzeitig zur Ruhe zu setzen, und auch jene, die zwar noch jung und stark sind, aber keine Arbeit finden können, tief entmutigt werden und sich unnütz fühlen. Diese Gefühle mögen einige dazu führen, Trost im Alkohol, in Drogen und anderen Verhaltensformen zu suchen, die für sie selbst und für die Gesellschaft schädüch sind. Wir alle müssen spüren, daß wir produktive und nützliche Mitglieder unserer Gemeinschaft sind. Dies ist unser Recht. Und da die technischen Umwälzungen wahrscheinlich in beschleunigtem Maß zunehmen, ist es lebensnotwendig für uns, den ernsten Problemen entgegenzublicken, die das Wohl der Arbeiter beeinflussen. 5. Niemand hat eine einfache und leichte Lösung für all die Probleme bereit, die mit der menschlichen Arbeit verbunden sind. Aber ich biete zwei grundsätzliche Prinzipien zur Überlegung an. Erstens ist immer der Mensch das Ziel der Arbeit. Es muß immer wieder gesagt werden, daß die Arbeit für den Menschen ist und nicht der Mensch für die Arbeit. Der Mensch ist in der Tat „das wahre Ziel des ganzen Produktionsprozesses“ (Laborem exercens, 7). Jede Betrachtung des Wertes der Arbeit muß mit dem Menschen beginnen, und jede vorgeschlagene Lösung für die Pro- 911 REISEN bleme der Sozialordnung muß den Vorrang des Menschen über die Dinge anerkennen. Zweitens kann die Aufgabe, Lösungen zu finden, nicht jedweder Einzelgruppe in der Gesellschaft anvertraut werden: die Leute können nicht nur auf die Regierungen blicken, als ob diese allein Lösungen finden könnten; auch nicht auf Großunternehmen oder kleinere Firmen, auf Gewerkschaftsorgane oder einzelne Betriebsmitglieder. Alle Einzelpersonen und alle Gruppen müssen sowohl für die Probleme als auch für ihre Lösungen interessiert werden. 6. Die Kirche ist tief davon überzeugt, daß „die Rechte der menschlichen Person das entscheidende Element in der gesamten Sozialmoral sind“ (Laborem exercens, 17). Seit langem hat sie das Recht des Arbeiters anerkannt, Verbände zu gründen. Das Ziel solcher Verbände ist die Förderung der sozialen Gerechtigkeit durch Verteidigung der lebensnotwendigen Interessen der Arbeiter und Beitrag zum Allgemeinwohl. Für die Mitglieder ist es wichtig, in diesen Verbänden eine aktive und verantwortliche Rolle zu spielen. Daher müßt ihr euch vergewissern, daß den Führern eurer Arbeiterverbände tatsächlich die materiellen und menschlichen Bedürfnisse der Mitglieder am Herzen liegen. Sie müssen sich auch daran erinnern, daß die Lösung jedes Konflikts allen Seiten gerecht wird, dem allgemeinen Wohl der Gesellschaft dienen und die wirtschaftliche und soziale Lage des Landes in Betracht ziehen muß. Nur wenn die Wirtschaft als Ganzes gesund ist, wird es möglich sein, den Arbeitern und besonders den Jugendlichen genügend Arbeit zugänglich zu machen. 7. Mehr und mehr werden sich die Menschen klar darüber, daß das, was in einem Teil der Welt passiert, anderswo seine Auswirkungen hat. Weltweite Probleme verlangen mit Hilfe der Solidarität aller weltweite Lösungen. Kein Land kann sich selbst von der allgemeinen Problemlage isolieren. Gewerkschaftsführer, Führer von Unternehmerverbänden und Regierungsstellen müssen Zusammenarbeiten, um dem weiten Problembereich entgegenzutreten. Jeder Partner dieses gemeinsamen Bestrebens sollte aus der Überzeugung heraus handeln, daß jeder ein grundsätzliches Recht auf Arbeit hat, um einen gerechten Anteil an den Gütern der Welt zu erhalten. Es muß auch betont werden, daß alle Partner die Pflicht haben, für Lösungen zu arbeiten, die die Würde des einzelnen Menschen und das Allgemeinwohl der Gesellschaft respektieren. Wirtschaftliche Probleme können nicht von den ethischen und sozialen Aspekten des sozialen Lebens getrennt werden. 912 REISEN 8. Auf nationaler und lokaler Ebene verlangen die industriellen Beziehungen auch eher einen Geist des Verständnisses und der Zusammenarbeit als den der Opposition und des Konflikts. In allen Konflikten wird eine gerechte und friedvolle Lösung nur dann möglich sein, wenn alle Parteien bereit sind und bereit bleiben, miteinander zu sprechen. Haltet die Kommunikationswege immer offen, und denkt daran, daß, wenn die Konflikte nicht schnell gelöst werden, vor allem die Schwachen und Bedürftigen darunter leiden. Australien kann glücklich sein, daß eure meist geschätzten Traditionen großen Wert auf Gleichberechtigung und gegenseitige Unterstützung legen, insbesondere in schwierigen Zeiten. Das Wort „mate“, Kamerad, hat in eurer Sprache einen großen und positiven Bedeutungsreichtum. Ich bete, daß diese Tradition der Solidarität immer unter euch blühe und nie als überholt betrachtet werde. Australien hat auch eine lange und stolze Tradition hinsichtlich der Beilegung von Konflikten im Arbeitsprozeß und Förderung der Zusammenarbeit durch sein nahezu einzigartiges System von Schlichtungs- und Aussöhnungsverfahren. Jahrelang hat dieses System mitgeholfen, die Rechte der Arbeiter zu verteidigen, ihr Wohl zu fördern und dabei gleichzeitig die Bedürfnisse und die Zukunft der ganzen Gemeinschaft zu berücksichtigen. 9. Insbesondere appelliere ich an euch Arbeiter, in eurer Arbeit stets ehrlich und in der Zusammenarbeit mit anderen großzügig zu sein. Ich appelliere an euch, besonders an all jene zu denken, die in Not sind, ihnen praktische Hilfe zu leisten und ihnen eure Solidarität anzubieten. Man hat mir gesagt, daß ihr eine Organisation für die Förderung der Entwicklung in ärmeren Ländern habt. Ich gratuliere euch dazu und danke euch. Aber ihr müßt auch den Armen in eurer Mitte tätige Hilfe leisten, den Arbeitslosen, vielen jungen Leuten, den Ureinwohnern, den Kranken, den Behinderten, den Flüchtlingen und den neuen Siedlern. 10. Zu Beginn bezog ich mich auf neue Fragestellungen und Probleme, Ängste und Gefahren, die uns aufgrund der Entwicklung und des raschen Einsatzes der neuen Technologie umgeben. Diese Technologie bildet einen Teil des angehäuften Reichtums der menschlichen Familie, und ein Anteil daran gehört auch euch. Diese Technologie muß an der Hilfe, die sie euch in eurer Arbeit und eurem Leben gibt, beurteilt werden. Erinnert euch immer daran, daß der Arbeiter stets wichtiger ist als Profit und Maschinen. Liebe Freunde, Arbeiter von Australien, es Hegt an euch, aus der neuen 913 REISEN Technologie Nutzen zu ziehen und mit Nachdruck die Aufgabe weiterzuführen, eine Gesellschaft der Gerechtigkeit und der brüderlichen Liebe zu errichten, die sich weit über die Grenzen Australiens hinaus ausdehnt. Gott selbst stärkt eure Arme, erleuchtet euren Geist und reinigt eure Herzen für dieses große Werk. Diejenigen von euch, die an Jesus Christus glauben und sein Evangelium als Lebensplan annehmen, wissen, daß die Arbeit einen noch tieferen Sinn hat, wenn sie in Beziehung zur Kreuzigung und Auferstehung des Herrn gesehen wird. In der Taufe mit Christus verbunden, seid ihr alle dazu berufen, durch eure Arbeit an der Heilssendung Christi und seinem Dienst an der Menschheit teilzuhaben. In Gemeinschaft mit dem Werk Christi Gott angeboten, nimmt eure eigene Arbeit einen immer größeren Wert und eine höhere Würde an. Jesus Christus, der Sohn Gottes, der während seines irdischen Lebens so ganz und gar der „arbeitenden Welt“ angehörte, sieht für immer mit Liebe auf die menschliche Arbeit. Und ich bete für euch alle in diesem weiten Land, was immer auch eure religiöse Überzeugung oder die Natur eurer Arbeit sein möge, damit es euch erhebend und anregend zum Bewußtsein kommt, was es heißt, mit dem Schöpfer an der Vollendung seines Entwurfs und seines Plans für die Welt zu arbeiten. All dies ist ein Teil der Würde der menschlichen Arbeit, der Würde des Menschen und der Würde eines jeden Arbeiters in Australien! Und möge euch Gott mit jedem Tag ein stets größeres Bewußtsein dieser Würde geben und euer Leben und euer Heim mit seinem Frieden und seiner Freude erfüllen. 914 REISEN Viele Menschen wollen in euch Jesus entdecken Ansprache bei der Begegnung mit den Ordensleuten in Sydney am 26. November „Ich danke Gott immerdar für euch wegen der Gnade Gottes, die euch in Christus Jesus gegeben wurde..(i Kor 1,4). Liebe Brüder und Schwestern, männliche und weibliche Ordensleute von Australien! 1. Ich habe mich lange auf diese Begegnung gefreut. Und nun sehe ich euch frohen Herzens hier, als Vertreter des gesamten Ordenslebens in diesem Land. Wenn ich zu euch in dieser herrlichen Konzerthalle des Opernhauses von Sydney spreche, bin ich mir wohl bewußt, daß ich Männer und Frauen, die Gott geweiht sind, vor mir habe, die ihr Ordensleben in jedem Teil Australiens Vorleben. Ich grüße einen jeden von euch in Christus, in dem euch keine Gnadengabe fehlt (vgl. 1 Kor 1,7). Im Namen der ganzen Kirche möchte ich die Überlieferung des Ordenslebens ehren, die ihr vertretet. Von den Anfängen an waren ja gottgeweihte Männer und Frauen ein lebenswichtiger Teil im Aufbau des Lebens der Kirche in diesem Land, und sie haben zur christlichen und menschlichen Entwicklung Australiens einen unschätzbaren Beitrag geleistet. <116> <116> Die erste kirchliche Verwaltungseinheit hier war englischen Benediktinern anvertraut. 1834 wurde John Bede Polding zum Apostolischen Vikar von Neu-Holland ernannt und 1842 zum ersten Erzbischof dieser Stadt. 1838 kamen die irischen Schwestern von der Liebe hierher, um ihr Apostolat unter weiblichen Gefangenen, Waisenkindern, Kranken und anderen Notleidenden zu beginnen. In den Fußstapfen dieser männlichen und weiblichen Pioniere haben weitere Menschen, die ich wegen ihrer großen Zahl hier nicht alle erwähnen kann, ihre Weihe an Gott im Ordensstand praktiziert und sich selber gänzlich und unaufhörlich hingeopfert. Sie haben einer wachsenden Gesellschaft mit ihren mannigfachen Bedürfnissen gedient. Besonders sei auf die Rolle hingewiesen, die Ordensleute beim Durchführen der weisen Entscheidung der Bischöfe gegen Ende des 19. Jahrhunderts gespielt haben, ein umfassendes katholisches Schulwesen aufzubauen. In Städten sowohl als auch in kleineren Gemeinden waren männliche und weibliche Ordensleute nicht nur eine Stütze dieses Erziehungs- 915 REISEN Systems, sondern auch der Gesundheitsfürsorge und der sozialen Werke, die ein integraler Teil der Entwicklung Australiens sind. Die Präsenz eifriger Ordensleute, die den Nöten der katholischen Bevölkerung in Stadt und Land abhelfen, hat zu einer bemerkenswerten Verbundenheit zwischen den Ordensleuten und der katholischen Laienschaft geführt. Dieses Verhältnis ist gekennzeichnet von tiefem Vertrauen, von Liebe und gegenseitiger Achtung zwischen euch und den Menschen, denen ihr dient, ein Verhältnis, das ihr nach meiner Überzeugung aufrechterhalten und weiter verdienen werdet. Ich möchte allen Ordensleuten meine Anerkennung aussprechen, die in diesem Land während der vergangenen 150 Jahre gelebt und ihren Dienst verrichtet haben. Ich danke Gott, daß er uns so ausgezeichnete Zeugen für die Schönheit und Kraft des Evangeliums geschenkt hat. Ich danke ferner für so viele Menschen, die gemäß der in Christus Jesus gegebenen Gnade Gottes gelebt haben. Eine hervorragende Zeugin, die ich kenne, weil ihr Seligsprechungsprozeß eingeleitet wurde, ist Mary MacKillop, Mutter Maria vom hl. Kreuz, Gründerin der Schwestern vom hl. Joseph vom hl. Herzen. Mit euch teile ich die Hoffnung, daß bald alle notwendigen Erfordernisse für ihre Seligsprechung erfüllt sind und damit das Ordensleben in Australien ein besonderes Siegel für seine Güte bekommt. <117> <117> Heute zählen wir gegen 11000 weibliche Ordensleute in Australien, dazu 1600 Brüder und 2000 Ordenspriester. Wir haben also allen Grund, Gott zu danken, eingeschlossen für die reiche Vielfalt der Charismen im Ordensleben, die Er in Australien erweckt hat. Ein besonderes Wort möchte ich an die Kontemplativen unter euch richten. Liebe Ordensleute: Ihr werdet immer beim Aufbau des mystischen Leibes Christi eine wichtige Rolle zu spielen haben. Nicht alle seine Glieder haben die gleiche Aufgabe. Ihr bringt Gott ein ausgezeichnetes Lobopfer dar; ihr erfreut die Gemeinschaft des Volkes Gottes mit dem Zeugnis eurer Heiligkeit, und ihr schenkt ihm verborgene apostolische Fruchtbarkeit (vgl. PC 7). Euren Gebeten und Opfern empfehle ich die Nöte der Kirche in Australien und in der ganzen Welt, und ich versichere euch der Dankbarkeit der Kirche für das Geschenk eures Lebens. Den Schwestern, Brüdern und Priestern, die in zahlreichen Formen des aktiven Apostolates engagiert sind, möchte ich ein ermunterndes Wort schenken und meine Hochachtung aussprechen. Ich danke euch für eure Liebe zur Kirche und für euer Anteilnehmen an ihrer Heilssendung. Man kann sich wirklich schwer vorstellen, was die Kirche Australiens heute wäre ohne den Beitrag eurer Kongregationen auf allen Gebieten ihrer 916 REISEN Tätigkeit. Gern nehme ich zur Kenntnis, daß es in den letzten Jahren zu einer steigenden Präsenz von Ordensleuten in den Volksgruppen gekommen ist. Es gibt ferner eine bemerkenswerte missionarische Bewegung der Ordensleute Australiens für Neuguinea, den Pazifik, für Asien, Afrika und Südamerika. Wir können uns nur freuen über die Macht von Gottes Liebe, die in Australien am Werk ist durch das Zeugnis eurer Weihe im Ordensstand und über eure Grenzen hinaus durch eure Missionare. Hinzufügen möchte ich meine besondere Freude darüber, daß heute auch Ordensleute aus der anglikanischen Gemeinschaft hier sind. Ich danke euch für die Liebe, die in eurer Präsenz zum Ausdruck kommt, und ich spreche die Hoffnung aus, daß wir mit Gottes Gnade in Christus Jesus den Weg der Heiligkeit und Jüngerschaft weiter geführt werden bis zur vollen Nachfolge in Ihm und seiner Kirche. 4. Vor den Ordensleuten liegt eine große Aufgabe in dieser besonderen Stunde der Geschichte der Kirche und dieses Landes. Gesundheitsfürsorge und Jugenderziehung sind als herkömmliches Apostolat der Ordensleute in Australien anerkannt als Bereiche der Verantwortung für eure Regierungen, und sie spielen jetzt eine besondere. Rolle in ihrer Politik. Dies ist von sich aus ein Faktor des Fortschritts in der Entwicklung der Gesellschaft. Doch für euch und für die Kirche stellt es eine ernsthafte Aufgabe dar, den besonderen Charakter katholischer Gesundheitsfürsorge, katholischer Sozialarbeit und katholischer Erziehung herauszustellen. Euer Beitrag auf diesen Gebieten ist nämlich wichtiger denn je geworden im Licht der schnellen Säkularisierung in der australischen Gesellschaft und in anderen Teilen der Welt. Auf diesen Gebieten seid ihr in besonderer Weise Zeugen für die Botschaft des Evangeliums vom Heil in Christus Jesus. Eine weitere Aufgabe stellt die gewaltige Einwanderung nach dem Krieg von Menschen aus Europa und Asien dar. Ihr habt hier neue Bereiche christlicher und pastoraler Verantwortung entdeckt. Ihr seid ferner aufgerufen zum Dienst für die Ureinwohner und die Vereidigung ihrer unverzichtbaren Würde. Dazu kommt die Herausforderung für euch durch so viele alte und neue Formen der Armut in der Gesellschaft von heute. Die Jugendlichen fühlen sich oft verloren und enttäuscht. Sie brauchen zuverlässige Führer und die Anregung durch euer Ordensleben. Sie haben es nötig, daß ihr ihnen Christus bekannt macht auf eine Weise, die dem innersten Verlangen ihrer Herzen entgegenkommt. Sie brauchen ferner die Ordensgemeinschaften selber, in denen die ethnische Vermischtheit der Nation als ganzer zum Ausdruck kommt. 917 REISEN 5. Unter all den Aufgaben, vor denen ihr steht, ist gewiß keine so dringlich wie das echte Zeugnis von eurer persönlichen Liebe zu Jesus Christus über alles sonst. Dies ist das eigentliche Herz eurer Identität als Ordensleute. Die evangelischen Räte, die ihr durch Gelübde bekennt, stellen das besondere Merkmal eures Lebens dar, und man kann sie nur verstehen im Zusammenhang mit einer gänzlichen Antwort auf die in Christus offenbar gewordene Liebe Gottes. Christus, der Herr und Meister eures Lebens, hat euch zum Ordensstand berufen, in der Kirche und durch sie, in euren Gemeinschaften und durch sie. Ihm habt ihr mit einer Liebe geantwortet, die auf alles sonst um seines Reiches willen verzichtet. Und in dieser Entsagung habt ihr alles gewonnen und seid allen alles geworden, um sie für Christus zu gewinnen. Brüder und Schwestern, Ordensleute von Australien: eure christliche Würde hängt in der Hauptsache nicht von dem ab, was ihr im Dienst für Kirche und Welt tut, sondern von dem, was ihr seid: gottgeweihte Nachfolger Christi und Zeugen für ein neues und ewiges Leben, das uns Christus durch seine Erlösung erworben hat, Nachahmer jenes Lebensstandes, den der Sohn Gottes übernahm, als er in die Welt kam (vgl. LG 44). Wegen eurer besonderen Beziehung zu Christus gehört ihr unzertrennlich zum Leben und zur Heiligkeit seines Leibes, der Kirche. Durch euer Leben möchte die Kirche die Botschaft Christi in der Wahrheit und in der Kraft des Heiligen Geistes aussprechen können. Dies ist der tiefste Sinn eurer mit Recht so genannten prophetischen Rolle. Das Wort eines Propheten muß durch das Zeugnis des Gehorsams zu Christus und seiner Kirche als echt erwiesen werden. Und weil der gleiche Heilige Geist, der in euren Herzen wohnt, den Aposteln und ihren Nachfolgern immer beigestanden hat, wenn sie die Lehre verkündeten, so wird eure Treue zum Lehramt immer der Garant dafür sein, wie wir wissen, daß ihr die Zeichen der Zeit richtig versteht. In eurem Leben der Weihe an Gott und des prophetischen Zeugnisses empfindet ihr ein tiefes persönliches Bedürfnis nach Gebet — allein, in Gemeinschaft und in der besonderen Form des liturgischen Betens. Gebet ist der eigentliche Ausdruck eurer Identität als Männer und Frauen, die Jesus Christus geweiht sind, und es bleibt eine erstrangige Pflicht für alle Ordensleute. Es ist zugleich das Geheimnis eurer inneren Freude. Nach 15 Jahren ergreifen uns immer noch die prophetischen Worte Pauls VI., der gesagt hat: „Vergeßt nicht das Zeugnis der Geschichte: Treue zum Gebet oder seine Aufgabe sind der Test für die Lebenskraft oder den Rückgang des Ordenslebens“ (Evangelica tesüficatio, 42). 918 REISEN 6. Gänzliche Liebe zu Christus und Freiheit des Geistes zum Dienst für Gottes Volk finden ihren klaren Ausdruck in der Keuschheit um des Himmelsreiches willen (vgl. Mt 19,12). Keuschheit ist vor allem ein Geschenk der Liebe Christi für euch und durch euch für die Kirche. So wird es zur täglichen Aufgabe, in der Tiefe Christi Liebe zu erfahren und sie dann zu erwidern in fröhlicher Selbsthingabe. Diese Herausforderung annehmen bedeutet euch selbst zu überschreiten und jede Sorge um euch selber hinter euch zu lassen. Dann entsteht in euren Herzen Raum für alle Menschenwesen, zumal für die Ärmsten - doch müßt ihr sie alle im Herzen Christi lieben. Australien braucht Zeugen für die sich opfernde Liebe. Australien braucht euch, weil ihr zeigt, daß die Liebe zu Christus und seiner Kirche alles verzehrt, voll befriedigt und alles umfaßt. In einer materiell wohlhabenden Gesellschaft wirbt das Zeugnis der freiwillig als Nachfolge Christi gewählten Armut machtvoll und überzeugend für die Schwachen, die Besitzlosen und jene, die nach Gerechtigkeit hungern. Doch wenn sie wirklich auf seiten der Armen stehen will, muß religiöse Armut ein echtes Teilen der Armut Christi sein, der sich selber in seines Vaters Hände gab und sich allen ohne Unterschied verfügbar machte. Seine Kraft, die Armen und die Erniedrigten zu erheben, liegt in der Wahrheit selber, die er verkörpert. In eurem Gehorsam kommt ihr Jesus, dem Knecht Gottes, besonders nahe, dessen Speise es war, den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hatte und sein Werk zu vollbringen (vgl. Joh 4,34). Gehorsam war nicht einfach ein Faktum in Jesu irdischem Leben, er machte das eigentliche Wesen seiner messianischen Sendung aus. Er war seine Antwort auf den ursprünglichen Protest, der den ganzen Verlauf der menschlichen Geschichte befleckt hatte. So schreibt der hl. Paulus: „Er ist das Ja zu allem, was Gott verheißen hat. Darum rufen wir durch ihn zu Gottes Lobpreis auch das Amen“ (2 Kor 1,20). Dem Evangelium gemäßer Gehorsam, der direkt zum Vollmaß der Fülle Christi führt (vgl. Eph 4,13), findet seinen Ausdruck in der willigen Beteiligung am Gemeinschaftsleben, wo alle ein Herz und eine Seele sein sollten (vgl. ApgA,32). Einheit des Geistes und gemeinschaftliches Leben sind in der Tat Zeichen der lebenspendenden Präsenz Christi. 7. Wenn ich all das sage, ist eure Weihe im Ordensstand doch nicht weniger ein Anteilnehmen am Kreuz Christi. Nicht jede Frage wird beantwortet; nicht jedes Problem kann gelöst werden. Es kann aber keine echte Erneuerung religiöser Gemeinschaften geben, wie sie für unsere 919 REISEN Zeit vom II. Vatikanischen Konzil gewünscht wird und klar angeregt wurde vom Heiligen Geist, der die Kirche leitet, ohne Rückkehr zum wesentlichen Ausgangspunkt: Jesu Ruf und eure Liebesantwort. Die Wirksamkeit eurer ganzen Sendung in der Kirche ist innerlich an die Innigkeit eurer Liebesantwort gebunden. Eure Praxis der evangelischen Räte spricht zum heutigen Australien über den Gott, der euch gerufen hat - sie zieht die Aufmerksamkeit auf Jesus -den Weg, die Wahrheit und das Leben -, denn er ist unser Vorbild. Als Ordensleute werdet ihr oft still mit der Bitte bestürmt, die die Leute an den Apostel Philippus richteten: „Wir möchten Jesus sehen“ (Joh 12,21). Es gibt zahllose Menschen in Australien, die Jesus sehen möchten, die ihn in euch sehen möchten. Ihr Wunsch wird nur dann befriedigt, wenn sie in euch Jesus entdecken können. Ja, noch mehr: sie werden Jesus nach seinem Bild in eurem Leben beurteilen. Vielleicht werden sie ihn annehmen; vielleicht werden sie ihn ablehnen. Doch viele werden durch das Bild von Jesus beeinflußt, das ihr darstellt. 8. Ich bin mir tief bewußt, daß ihr über die Zahl der Berufungen zum Ordensleben beunruhigt seid. Dies ist zweifellos ein ernstes Problem für viele Ortskirchen und Gemeinschaften. Hier fordern uns die Worte Christi heraus; sie zeigen uns, daß unsere erste Antwort auf wenig Berufungen das Gebet sein muß. Wir müssen den Heiligen Geist bitten, zu den Herzen der Jugendlichen zu sprechen. Und wir müssen sicher sein, daß wir ihnen wirklich das Wort, die Aufforderung und die Verheißung Jesu anbieten. Jene, die Christus in eure Ausbildungshäuser ruft, haben ein Recht darauf, die echte Lehre der Kirche und ihr besonderes Verständnis des Ordenslebens vermittelt zu bekommen. Nur so wird ihre gottgeweihte Liebe sich voll in die Kirche und ihr Apostolat einfügen und ein fruchtbarer Weg für Christi Gnade für sie selber und andere werden. Die heutigen Probleme sind eine Mahnung des Herrn für uns, größeren Glauben an ihn aufzubringen und besser Zeugnis von seinen wunderbaren Wegen abzulegen, endlich tiefer auf Ihn zu vertrauen, in dessen Händen allein eure Zukunft liegt. Wir haben in der heutigen Lesung die Worte gehört: „Treu ist Gott, durch den ihr berufen worden seid zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn“ (1 Kor 1,9). Der getreue Gott wird euch stützen. Er ruft euch auf, ihm zu vertrauen. 9. Liebe Ordensleute, Schwestern, Brüder und Priester von Australien: welche Hoffnung spricht der Nachfolger des Petrus für euch aus? Was 920 REISEN kann ich euch sagen, um meine volle Solidarität und Einheit mit jedem einzelnen von euch in der Nachfolge Christi auszusprechen? Ich hoffe und bete, daß ihr stets „in einem neuen Leben“ (Röm 6,4) wandelt, denn das neue Leben in Christus wurde euch in der Taufe gegeben und durch die Firmung in euch gekräftigt. Durch eure Weihe in der Kirche seid ihr aufgerufen, besondere Zeugen für dieses Leben zu sein. Ihr seid aufgerufen, Gottes lebenspendendes Wort in radikaler Weise zu umfassen und mit prophetischer Vorwegnahme die Opferliebe beispielhaft darzustellen, die die Kirche aus dem Paschamysterium des Herrn gewinnen soll. Ordensleben in Austraüen ist alles andere als eine Sache der Vergangenheit. Es stellt vielmehr eine sehr wertvolle Mitgift für unsere Zeit dar, weil es klar auf die Werte des Evangeliums hinweist, die allein die Gesellschaft aus der geistigen Wüste herausführen können, in der so viele von unseren Zeitgenossen leben. Die Aufgabe ist enorm, gerade weil sie so viel persönlichen und gemeinsamen Einsatz verlangt. Letztlich fordert sie von euch eine große Liebe in Christus zu den Brüdern und Schwestern, die euren Dienst brauchen. Sie fordert ein Ganzopfer: wir sind bereit, es nach dem Maß unserer Liebe anzubieten, und wenn die Liebe vollkommen ist, ist auch das Opfer vollständig. Eure Begleiterin auf dem Weg ist Maria, die Mutter Jesu und Mutter der Kirche. Möchtet ihr immer ihre Worte wiederholen können: „Mein Geist frohlockt in Gott, meinem Retter . . . denn der Mächtige hat Großes an mir getan“ (Lk 1,47-49). Ja, hebe Schwestern und Brüder, der Herr hat Großes für euch und durch euch für Australien getan. Gepriesen sei der Name des Herrn! Gelobt sei Jesus Christus! 921 REISEN Die Ortskirche „in Einheit und Harmonie aufbauen“ Ansprache bei seiner Begegnung mit den Bischöfen Australiens in Sydney am 26. November Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Endlich ist die Stunde dieser Begegnung gekommen, der ich mit Erwartung und Freude entgegengesehen habe. Denn - um ein Wort des hl. Paulus zu gebrauchen - „Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach euch allen sehne mit der herzlichen Liebe, die Christus Jesus zu euch hat“ {Phil 1,8). Zwischen uns besteht eine Verbundenheit, welche die für das gesamte Leben der Kirche charakteristische Gemeinschaft - die koinonia - auf persönliche und kollegiale Weise zum Ausdruck bringt. In dieser Verbundenheit der Gnade und Liebe grüße ich einen jeden von euch, und in euch grüße ich jede Teilkirche in diesem Land. An diesem Punkt meiner Pilgerreise möchte ich euch ganz aufrichtig für eure Einladung und die ganze Arbeit danken, die ihr zur Vorbereitung dieses Besuches, besonders zur geistlichen Vorbereitung in jeder Diözese geleistet habt. Ich bete darum, daß es durch Gottes Gnade reiche Früchte der christlichen Lebensführung geben werde. Dankbar für euren großmütigen und hingebungsvollen Dienst am Volk Gottes in Australien und für eure Sorge um den ganzen Leib der Kirche überall auf der Welt, teile ich eure Freuden und Sorgen bei der Aufgabe, die der Herr einem jeden von euch anvertraut hat. In euch umarme ich die Priester, die Ordensleute, die katholischen Laien, die Jugend, die Alten, die Kranken, die Armen und alle, die auf die Kirche blicken, um jenes Wort des Lebens und das Gesetz der Liebe zu erhalten, das zum Heil in Jesus Christus führt. <118> <118> In der Tat müssen auch wir, „Nachfolger der Apostel, ... gesandt, das Werk Christi durch alle Zeiten fortzusetzen“ {CD 2), auf die Kirche schauen, wenn wir die wahre Bedeutung unseres bischöflichen Amtes verstehen sollen. Unsere Sendung ist Dienst an der kirchlichen Gemeinschaft und an der Welt, in welcher die Kirche wie ein Pilger in der Fremde den Tod und die Auferstehung des Herrn verkündet, bis er wiederkommt. Form und Inhalt des Dienstes werden von der unwandelbaren Natur und Sendung bestimmt, die der Kirche von ihrem göttlichen Stifter, dem heiligen Sohn Gottes, verliehen wurden, der sich unmittelbar vor seiner 922 REISEN Aufnahme in den Himmel an seine Apostel und damit an uns alle mit den Worten gewandt hat: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern, tauft sie.und lehrt sie... Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,19 f.). Der im Blut Christi geschlossene Neue Bund zwischen Gott und dem Menschen (vgl. Mt 26,28; Lk 22,20) wird in der Gemeinschaft verkündet und vergegenwärtigt, die auf dem Felsen, also Petrus (vgl. Mt 16,18), und auf dem Fundament der Apostel (vgl. Eph 2,20) gebaut ist. Gemeinsam haben wir im Bischofskollegium an dem Amt teil, die Einheit des Gottesvolkes im Glauben und in der Liebe zu fördern. Gemeinsam stehen wir für diese unsere Verantwortung vor Christus ein: In der Gemeinschaft der Kirche wird die Rolle des Bischofs wie auch die besondere Rolle des Nachfolgers Petri von dem Auftrag und der Vollmacht bestimmt, die Christus den Aposteln und ihren Nachfolgern gab, alle Völker zu lehren, die Menschen in der Wahrheit zu heiligen und sie zu weiden (vgl. CD 2; LG 17 ff.). 3. Heute habe ich diese Gelegenheit, zu euch allen über unsere gemeinsamen Hoffnungen und Sorgen zu sprechen. Mein erster Wunsch ist es, mit euch zusammen unserem himmlischen Vater für die Kirche in Australien zu danken. Vor allem von Gott kommt die Lebenskraft eurer Ortskirche und die Treue eures Volkes. „Wir preisen dich, Gott, wir preisen dich; dein Name ist denen nahe, die deine Wunder erzählen“ (Ps 75,2). Ihr wurdet in einer für die kirchliche Gemeinschaft ganz besonderen Zeit zu Bischöfen der Kirche Australiens berufen. Das Zweite Vatikanische Konzil war für die Kirche in Australien und in der ganzen Welt eine außerordentliche Gnade. Ihr seid Zeugen der Erneuerungskräfte, die der Heilige Geist in eurem Volk durch die Lehre und eigentliche Erfahrung des Konzils geweckt hat. Ihr seid Zeugen dafür, daß sich die Gläubigen tiefer ihrer Zugehörigkeit zu einer lebendigen Glaubens- und Liebesge-meinschaft bewußt sind, die eine aktive und verantwortliche Teilnahme aller Getauften an ihrem Leben und ihrer Sendung fordert. Mit einer Erneuerung kirchlicher Strukturen geht ein tieferes spirituelles und theologisches Verständnis des Geheimnisses der Kirche einher, das ein Geheimnis der Gnade und Erlösung für die Menschheit ist. Die Fehler, die die nachkonziliare Entwicklung in der Universalkirche begleiteten, sind uns allen ebenso bekannt. Sofern bei diesen Fehlern ein Grad der Schuld besteht, sollte dies zugegeben werden und Anlaß zur Reue sein. Auf jeden Fall rufen uns solche Fehler zur Demut und zu 923 REISEN größerer Wachsamkeit; dies kann uns vor Selbstzufriedenheit und vor jeder Versuchung eines Neotriumphalismus bewahren helfen. Nichts jedoch kann die Gnade unseres Herrn Jesus Christus zunichte machen, die durch das Zweite Vatikanische Konzil auf seine geliebte Kirche ausgegossen wurde. Die jüngste Außerordentliche Bischofssynode hat deshalb zu Recht die Notwendigkeit unterstrichen, das Konzil hinsichtlich der dringenden geistlichen Bedürfnisse unserer Zeit neu anzuwenden. 4. Eure eigene pastorale Erfahrung zeigt, wie rasch Unglaube und moralische Gleichgültigkeit in eine auf christliche Traditionen gegründeten Gesellschaft einbrechen können. Während ihr einerseits bei vielen Gruppen und Personen in euren Ortskirchen ein Ferment neuer Kräfte und Bindung bestätigen könnt, mußtet ihr bei manchen auch die Anzeichen einer Aushöhlung des katholischen Glaubens feststellen, die so weit geht, daß Menschen eine völlig weltliche Auffassung als Norm für ihr Urteil und Verhalten übernehmen. Ich beziehe mich unter anderem auf das Auftreten von Ehescheidung und Abtreibung und auf den erwiesenen Verfall in der religiösen Praxis. Ihr selbst habt mit mir über alle diese Dinge gesprochen. Unter den Prioritäten einer erneuerten Evangelisierungsbemühung muß eine Wiedergewinnung des Seins für das Heilige stehen, eines Bewußtseins von der zentralen Stellung Gottes im Ganzen menschlicher Erfahrung. Das bevorstehende Jubiläum des zweihundertjährigen Bestehens der Kirche auf diesem Kontinent ist eine Herausforderung und eine gnadenvolle Gelegenheit für eine echte Erneuerung in der Kirche und für eine neue Annäherung an die zunehmende Zahl derer, die ohne jede Religionszugehörigkeit sind. In diesem letzteren Zusammenhang verdienen Initiativen wie das Catholic Equiry Office nachdrückliche Unterstützung und Ermutigung. Als Bischöfe wißt ihr.: „Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut. Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, wacht der Wächter umsonst (Ps 127,1). 5. Das bedeutet, daß die Kirche in Australien bei ihrem Dienst an der Gesellschaft nicht die wichtige Bedeutung der universalen Berufung zur Heiligkeit übersehen darf, die, wie uns das Konzil erinnert, „der Herr Jesus, göttlicher Lehrer und Urbild jeder Vollkommenheit, ... allen und jedem einzelnen seiner Jünger in jedweden Lebensverhältnissen gepredigt hat“ (LG 40). Diese Heiligkeit des Lebens erfordert Hören auf das Gotteswort, eine vom Gebet getragene Antwort aus einem bekehrten Herzen, ein freudiges Teilnehmen am Leben der kirchlichen Gemein- 924 REISEN schaft, Gehorsam gegenüber den Geboten Christi und bereitwilligen Dienst an allen geistig und materiell Bedürftigen. Elemente einer katholischen Spiritualität, die Anerkennung verdienen, sind Hochschätzung des Gnadenlebens, vom Gebet getragene Schriftbetrachtung, vom Glauben erfüllte und auf die Eucharistie konzentrierte Frömmigkeit und ein angemessener Gebrauch des Bußsakraments. Ich möchte euch dringend bitten, alles euch nur Mögliche zu tun, um das postsynodale Apostolische Schreiben Reconciliatio etpaenitentia in euren Ortskirchen zu verwirklichen. Wir wissen, daß das Bußsakrament in der Kirche von heute äußerst nötig ist und daß sein Gebrauch neu belebt werden muß. Wir wissen, daß diese Wiederbelebung außer von Gottes Gnade vor allem vom Eifer und von der Treue der Bischöfe der Kirche abhängt. 6. In besonderer Weise sind Bischöfe durch ihr Lehramt Diener des Glaubens. In Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri ist es ihre Aufgabe, als „mit der Autorität Christi ausgerüstete Lehrer“ den Inhalt des Glaubens zu erklären. „Sie verkündigen dem ihnen anvertrauten Volk die Botschaft zum Glauben und zur Anwendung auf das sittliche Leben“ (LG 25). Diese Botschaft ist ein heiliges Treugut, das evangelische Wachsamkeit und Mut verlangt. Es ist äußerst wichtig, daß das Glaubensgut rein und unverkürzt an künftige Generationen weitergegeben wird. Besonders von den Jugendlichen kann man nicht erwarten, daß sie der bibÜschen Botschaft aufrichtig anhängen, wenn sie nicht auf klare und bestimmte Weise dargeboten wird. Sie erkennen, daß es beim Glauben der Kirche nicht bloß um allgemeine Lebenshaltungen geht. Es geht dabei um das göttlich geoffenbarte Wort Gottes. Das katholische Schulsystem, auf das die Kirche Australiens mit Recht stolz ist, war und ist eine Antwort auf das Recht und die Pflicht der Kirche, für eine umfassende menschliche, religiöse und sittliche Erziehung zu sorgen. Die Opfer, zu denen die Hierarchie, die Mitglieder von Ordensgemeinschaften und australische katholische Eltern in diesem Anliegen bereit waren, sind ein klarer Hinweis auf die Überzeugung vom Wert einer solchen Erziehung für die Vermittlung des Glaubens und die Anwendung der christlichen Botschaft auf das wirkliche Leben in der Gesellschaft. Ich möchte euch und allen in Australien, die sich angesichts wachsender Schwierigkeiten um die Fortsetzung dieser Tradition bemühen, mein Lob aussprechen. Mit Freude nehme ich Kenntnis von der hervorragenden Arbeit, die von den katholischen Lehrerkollegien geleistet wird, und vom tiefen Pflichtbewußtsein australischer Ordensleute und Laien für die katholische Erziehung und den ausgedehnten Zusam- 925 REISEN menschluß christlicher Lehrprogramme. Eure Führung auf diesem Gebiet, sowohl persönlich wie durch die Organe der Bischofskonferenz, ist ein wertvoller Dienst an der Lebenskraft der Kirche. 7. Die komplizierte Frage der Katechese hat euch in den vergangenen Jahrzehnten große Sorge bereitet und berührt ebenso viele katholische Eltern in Australien. Es ist ein Problem, das weite Bereiche der Kirche bewegt, wovon die Aufmerksamkeit zeugte, die diesem Thema bei der jüngsten Außerordentlichen Bischofssynode zuteil wurde. Als Lehrer des Glaubens in dieser nachkonziliaren Zeit müssen wir alles nur Mögliche tun, um sicherzustellen, daß unsere Katechese sowohl inhaltlich wie methodisch auf wirksame Weise das lebenspendende Wort Gottes vermittelt. Das hatte Papst Johannes XXIII. am Eröffnungstag des Zweiten Vatikanischen Konzils klar ausgedrückt, als er sagte: „Das größte Anliegen des Ökumenischen Konzils ist folgendes: das heilige Gut der christlichen Lehre sollte wirksamer gehütet und gelehrt werden“ (Ansprache am 11. Oktober 1962). Auf dem Gebiet der katechetischen Methoden ist in diesen Jahren viel Positives erreicht worden. Trotzdem erachtete es die jüngste Synode als notwendig, die Erstellung sicherer Leitlinien, besonders in bezug auf den Inhalt, zu verlangen. Erste Schritte werden gerade getan, um „einen Katechismus bzw. ein Kompendium der ganzen katholischen Glaubensund Sittenlehre“ vorzubereiten, „sozusagen als Bezugspunkt für die Katechismen bzw. Kompendien, die in den verschiedenen Regionen zu erstellen sind“ (Schlußdokument der Außerordentlichen Bischofssynode vom 9. 12. 1985, II B, a, 4). Ich danke euch schon jetzt für das Interesse und die Mitarbeit, die ihr diesem wichtigen kirchlichen Bemühen schenken werdet, und ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß ihr zusammen mit der ganzen Kirche seinen Wert erkennt für die Wahrung der Authentizität der christlichen Botschaft durch alle Zeiten, bis der Herr wiederkommt. 8. In eurem Dienst am Glauben und an der Heiligkeit des euch anvertrauten Teiles des Gottesvolkes erkennt ihr voll und ganz, wie sehr es darauf ankommt, den geistlichen und menschlichen Bedürfnissen eurer Priester und der Ordensleute, die so eng und großherzig mit euch im Apostolat Zusammenarbeiten, besondere Beachtung zu schenken. Als wahre geistliche Väter — und zugleich mit brüderlicher Sorge für alle — seid ihr stets bereit, zuzuhören, zu verstehen, zu ermutigen, zu vergeben, zurechtzuweisen und Anstöße zu geben. Ihr kennt die Freuden und Schwierigkeiten einer solchen Aufgabe und wißt, wie wichtig sie für das 926 REISEN Wohl der Kirche in eurem Land ist! Geeignete Programme zur Weiterbildung für Priester und Ordensleute werden echten Bedürfnissen der Kirche entgegenkommen. Ein weiterer Aspekt, den ich eurer besonderen Sorge empfehlen möchte, ist die Förderung geeigneter Verhältnisse, in denen sich Berufungen zum Priestertum und Ordensleben entwickeln können. Viel hängt von der christlichen Bildung ab, die der junge Mensch im Elternhaus und in der Pfarrei erhalten hat. Viel hängt auch vom Zeugnis von Priestern und Ordensleuten ab, die durch die Freude in ihren Herzen zeigen, daß der Ruf, Christus in einer besonderen Berufung zu folgen, ein höchst erfüllendes Ideal ist. Viel hängt aber vor allem vom Gebet der ganzen christlichen Gemeinde ab, denn wir haben das ausdrückliche Gebot Christi, den Herrn der Ernte zu bitten, Arbeiter für seine Ernte auszusenden (vgl. Mt 9,38). Zusammen mit der angemessenen Formung der Kandidaten für Priestertum und Ordensleben entsprechend den Richtlinien des Konzils und den in den Jahren seither vom Heiligen Stuhl gegebenen Weisungen, werden diese Elemente die notwendigen Bedingungen für das Zusammenwirken mit den Gaben garantieren, die der Heilige Geist reichlich über eure Ortskirchen ausgießt. 9. Ich bin gerade mit Vertretern der Ordensleute dieses Landes zusammengetroffen. Ich war wirklich glücklich, dem außerordentlichen Beitrag der Ordensleute zum Leben der Kirche in Australien gestern wie heute öffentliche Anerkennung zollen zu können. Sie waren und sind enge Mitarbeiter der Hierarchie, besonders auf den Gebieten der Erziehung und Gesundheitsfürsorge wie auch in anderen pastoralen und sozialen Diensten und im Bemühen, eine auf Gerechtigkeit, Liebe und Frieden gegründete Gesellschaftsordnung aufzubauen. In ihrem Namen spreche ich zu euch Bischöfen, von der Ermutigung und dem besonderen seelsorglichen Dienst, den ihr ihnen geben könnt vor allem mit dem Ziel, sie im spezifischen Charisma ihrer Ordensweihe zu stärken. Eure Beziehung zu ihnen erfordert Hochachtung und Respekt für das Leben und den Geist jedes Instituts und eine Bereitschaft eurerseits, jeder Kommunität persönlich nahezusein. Ich nehme wahr, daß in Australien die Beziehungen zwischen Bischöfen und Ordensleuten besonders herzlich und wohltuend sind. Ich möchte euch ermutigen, auf diesem Weg fortzufahren. Alle sind auf gerufen zusammenzuarbeiten - jeder gemäß der empfangenen Gabe -, um die Ortskirche in Einheit und Harmonie aufzubauen. 927 REISEN 10. Ein Bereich unserer Sorge für das Volk Gottes, der uns als Hirten tief berührt, sind alle Fragen im Zusammenhang mit dem Familienleben und die Probleme des menschlichen Lebens. Ich brauche hier nicht zu wiederholen, was ihr als erfahrene Hirten eures Volkes wohl wißt: Die Familie als Institution bedarf der gemeinsamen pastoralen und liebevollen Sorge der Kirche. Ich wurde ermutigt, als ich vom Ausmaß eures Interesses an dieser Frage erfuhr und über die vielen praktischen und wirksamen Pastoralprogramme unterrichtet wurde, die hier in Australien verwendet werden. Der christlichen Auffassung von Ehe und Familie steht eine neue weltliche, pragmatische und individualistische Sicht gegenüber, die im Bereich der Gesetzgebung Ansehen gewonnen hat und der in der öffentlichen Meinung eine gewisse „Billigung“ zuteil wird. Die Ansichten der Kirche über Ehe, Familienleben und Probleme des Lebens im allgemeinen sind alles andere als eine von Menschen gemachte Lehre oder eine Parteiposition; sie sind Träger einer heilbringenden Wahrheit für die Gesellschaft und die einzelnen. Der Standpunkt der Kirche in seiner ganzen Wahrheit und seinem Wert muß im ehrlichen Dialog mit den in eurer Kulturwelt vorhandenen Kräften bekanntgemacht werden. Im Dialog zwischen Glauben und Kultur müssen qualifizierte Laien in ihrer rechtmäßigen Rolle ermutigt und respektiert werden, und diese selbst müssen die Führung und Unterstützung ihrer Bischöfe spüren. Was den Schutz des Lebens und die Förderung einer natürlichen Familienplanung betrifft, werdet ihr wissen, wie ihr die herzliche, gegenseitige Zusammenarbeit der verschiedenen in diesen Bereichen engagierten Gruppen und Organisationen wecken könnt. Es ist eure Aufgabe, bei Respektierung der legitimen Vielfalt von Auffassungen und natürlichen Methoden eine Zusammenarbeit zu fördern, die dazu beitragen wird, jedes Zögern hinsichtlich der Herausforderungen, denen man sich stellen muß, auszugleichen. In bezug auf die Fortschritte in der Biogenetik bereitet, wie ihr wißt, der Heilige Stuhl nach ausführlicher Beratung, in erster Linie mit den Bischofskonferenzen der Welt, ein offizielles Dokument vor. Ich habe die Hoffnung, daß dieses Dokument bald verfügbar ist und einen sicheren Bezugspunkt für die ganze kirchliche Gemeinschaft und in der Tat für alle jene darstellen wird, die sich in Australien und anderswo mit diesem heiklen Gebiet der Wissenschaft und seinen ethischen Konsequenzen beschäftigen. Auch dies ist ein Gebiet, in dem es für die Bischöfe sehr wichtig ist, die spezifische Lehrautorität nicht zu vernachlässigen, die sie aufgrund ihrer Weihe und Sendung stets in den Bindungen der Einheit, der Liebe und des Friedens mit dem Bischof von Rom besitzen (vgl. LG 22). 928 REISEN 11. Es gibt noch so viele andere Themen, über die ich sprechen könnte, um mich mit euch über das Wachstum des Gottesreiches in eurer Mitte zu freuen. Meine erste Absicht hier war, euch in unserem gemeinsamen apostolischen Glauben und in der Gemeinschaft, die uns eint, zu ermutigen und damit den Auftrag zu erfüllen, den Christus Petrus anvertraut hat (vgl. Lk 22,32). Die Aufgabe eines Bischofs ist gewiß nicht leicht. Er wurde mit einer schweren Verantwortung ausgestattet. Aber wir vertrauen auf Jesus Christus, „den obersten Hirten“ (2 Petr 5,4) der Kirche. In ihm finden wir Kraft und Mut, treu zu bleiben bis zum Tag des Gerichts. In eurem Bischofsamt seid ihr niemals allein. Untereinander und mit dem Bischof von Rom in kollegialer Einheit und Liebe verbunden, habt ihr teil an einer gemeinsamen Berufung. Der Sinn für Harmonie und Zusammenarbeit, den ihr in eurer Bischofskonferenz erreicht habt, bringt „ein heiliges Zusammenwirken der Kräfte zum gemeinsamen Wohl der Kirchen“ zustande {CD 37). Ich weiß, daß ihr auch künftig immer auf euer gegenseitiges Gebet und eure brüderliche Unterstützung zählen könnt, und ich versichere euch meines eigenen Wunsches, euch stets zu Diensten zu sein. Im Einklang mit dem Willen Christi für das Wohl seiner Kirche bitte ich euer ganzes Volk, mit euch, seinen Hirten, vereint zu bleiben, „bemüht, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der zusammenhält“ {Eph 4,3). Ich meinerseits bin dankbar für die Treue, die ihr und euer Volk dem Heiligen Stuhl erweist, und ich bete darum, daß auch dieser Besuch die Bande zwischen uns in der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche stärken möge. In meinem Gebet vertraue ich euch dem liebevollen Schutz Mariens, der Mutter der Kirche, an. Möge sie für euch und für die Anliegen der Kirchen, denen ihr vorsteht und dient, Fürsprache einlegen. Mögen wir selbst mit ihrer Hilfe fest bleiben in der Heiligkeit und Wahrheit ihres Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus, dem Hirten und Bischof unserer Seelen (vgl. 1 Petr 2,25). 929 REISEN Das gemeinsame Element in allem: die Wahrheit Ansprache an die Vertreter der Universitäten und Hochschulen Australiens in der Universität von Sydney am 26. November Sir Herman, Kanzler dieser Universität! Sehr geehrte Professoren und Repräsentanten aller australischen Hochschulen! Liebe Studenten und Freunde! 1. Es ist eine große Freude für mich, heute bei euch zu sein, und ich wende mich mit großer Hochachtung ünd Wertschätzung an euch. Ich möchte bei dieser Gelegenheit die Universität Sydney und die anderen Universitäten überall in diesem Land ehren, die so wesentlichen Anteil an der Kulturgeschichte Australiens haben. Ich möchte alle diese Einrichtungen der Hochschulbildung gerade wegen der Rolle ehren, die sie in bezug auf die Wahrheit im Dienst des Menschen spielen. Ich möchte die Mitglieder des Lehrkörpers dieser Institutionen und die Studenten ehren - also euch alle, die ihr euch der geistigen Arbeit, Reflexion und Lehre widmet. Ihr erkennt und bezeugt das menschliche Bedürfnis, zu wissen, um zu sein - d. h. eine im vollen Sinn handelnde Person zu sein. Ihr kennt das Bedürfnis, vom Wissen Gebrauch zu machen und es weiterzugeben. Indem ihr euch der menschlichen Gelehrsamkeit widmet, erklärt ihr eure Bereitschaft, euch der Wahrheit zu stellen - der Wahrheit über den Menschen in seiner Beziehung zur ganzen Welt, zur ganzen Schöpfung. Damit verkündet ihr der Welt den Urheber der Schöpfung. Denn die ganze akademische Bildung ist ihrer Natur nach eine Anerkennung der Beziehung zwischen dem Menschen - dem einzigen mit Verstand ausgestatteten Erdenwesen - und dem Urheber der Wahrheit. Die Wahrheit zu suchen und wirksam zu lehren, ist in der Tat ein großer Auftrag. Um ihn zu erfüllen, muß man über seine eigenen Kräfte hinausschauen auf den Geist der Wahrheit. Das, liebe Freunde, ist die Aufgabe, die euch froh macht in eurem großen Land, das nicht nur euch gehört, sondern das Land des Heiligen Geistes im Süden ist. <119> <119> Im Mittelpunkt allen gelehrten Forschens, Suchens und Studierens steht das Geheimnis des Menschen als Abbild und Gleichnis Gottes. Und deshalb steht im Mittelpunkt aller menschlichen Gelehrsamkeit Gott. Die Rolle des Gelehrten, Denkers, Forschers und Studenten ist die in 930 REISEN höchstem Maße menschliche Rolle dessen, der zum Urheber der Wahrheit aufblickt. So bringt der Mensch seine eigene Unvollkommenheit zum Ausdruck und anerkennt ein Bedürfnis, das er aus eigener Kraft nicht erfüllen kann. Diese Haltung der menschlichen Person bei der Suche nach der Wahrheit ist bereits ein Akt des Lobpreises an den Urheber der Wahrheit, der allein den menschlichen Geist voll zu befriedigen vermag. Alle Einrichtungen, die ihr heute vertretet, liegen im Rahmen dieser Berufung zur Wahrheit: nach der Wahrheit zu streben, sie aufzuspüren -eben weil sie die Wahrheit ist -, um sie zu umfangen und ihr gemäß zu leben. Diese Aufgabe, dieses Streben nach Wahrheit, das schon an sich mühsam ist, ist ebenso gewaltig in seinem Ziel. Gesucht wird die ungeheure Wahrheit über den Menschen, die die einzelne Person, den individuellen Menschen - der sich jedoch immer „vor allem von der Verantwortung für seine Brüder und die Geschichte her versteht“ (GS 55) —, und die ganze Gesellschaft einschließt. Die Wahrheit über den Menschen wird zusammen mit der Wahrheit über die Welt, in welcher, der Mensch lebt, entdeckt. Gesucht wird auch die Wahrheit über Gott, die die Wahrheit über den Menschen erklärt. Der Gelehrte ist nicht nur aufgerufen, diese Wahrheit zu entdecken, sondern über sie nachzudenken und ihre unzähligen verschiedenen Äußerungen zu erwägen. Alle diese verschiedenen Äußerungen erfassen’nicht die ganze Fülle der Schönheit dieser Wahrheit über den Menschen und noch viel weniger die ganze unvergleichliche Schönheit der Wahrheit über Gott. <120> <120> Nach der Wahrheit streben heißt auch, über die großen sittlichen und wissenschaftlichen Fragen des Lebens nachzudenken. Für euch alle, liebe Freunde, ist es auch ein Mittel, über die Probleme der Wahrheit im Zusammenhang mit Australien und seiner Bedürfnisse und Herausforderungen nachzudenken. Eure Aufgabe als Gelehrte und Studenten ist weit mehr als nur eine theoretische. Ihr seid aufgerufen, daß große Erbe der Wahrheit in den Dienst des Menschen zu stellen. Die Wahrheit selbst wird zum Dienst an der Liebe und Einheit. In der Annahme der Wahrheit eröffnen sich Möglichkeiten der Liebe. Der hl. Petrus sagt uns: „Der Wahrheit gehorsam, habt ihr euer Herz rein gemacht für eine aufrichtige Bruderliebe“ (1 Petr 1,22). Zur Rolle von Gelehrten gehört auch, von den Normen und Maßstäben der Wahrheit Zeugnis zu geben und anderen zu helfen, nach der Wahrheit, wenn sie entdeckt ist, zu leben: Das Streben nach der Wahrheit schließt eine große Würde und Verant- 931 REISEN wortung in vieler Hinsicht ein. Der Gelehrte hilft, das Wissen über die Menschheit weiterzugeben, das durch genaues, lohnendes und manchmal frustrierendes Forschen gewonnen ist. Er lehrt und vermittelt die Wahrheit und trägt so zur Stärkung der Werte der Gesellschaft bei. Um die Wahrheit wirksam an das menschliche Verhalten binden zu helfen, müssen eure Gelehrsamkeit und Studien zum Aufbau einer Gesellschaft beitragen, die die Menschenrechte verteidigt; einer Gesellschaft, die ihre schwächeren Glieder, besonders die Alten, die Behinderten und die Ungeborenen, schützt; einer Gesellschaft, die die Familie ermutigt, die der Ehe gebührende Würde anerkennt und die aus ihr hervorgehenden Kinder achtet; einer Gesellschaft, die ihre Verantwortung für Gerechtigkeit auch in Formen internationaler menschlicher Solidarität sieht, die weit über ihre eigenen Grenzen hinausgeht. Mit anderen Worten, der Gelehrte muß außerhalb der Mauern seiner Institution durch sein Wissen zum Aufbau einer menschlicheren Gesellschaft beitragen. Das ist tatsächlich der Zweck allen menschlichen Tuns. Jeder Wissenschaftszweig hat natürlich seine Autonomie, aber alle laufen auf das Wohl des Menschen im Einklang mit der Wahrheit über seine Natur hinaus. 4. Der Zutritt zu den akademischen Lehranstalten ist ein Vorrecht, das ihr empfangen habt und aus dem ihr Nutzen zieht. Es steht den Angehörigen der heutigen Generation in zunehmendem Maße zur Verfügung. Das war wegen der herrschenden Umstände und Diskriminierung nicht immer der Fall. Der erste katholische Bischof Australiens, Erzbischof Polding, spielt 1857 in einem Hirtenbrief auf die Zeiten an, als Katholiken der Zutritt zu den Hochschulen versagt war: „Viele unglückliche Jahre lang“ - so schrieb er — ,,. . . war in der Vergangenheit aus wohlbekannten Gründen die intellektuelle Bildung für uns schwierig und unsicher. Aber nun, da unsere Gleichheit anerkannt ist, sind wir zu einer freien Berufslaufbahn eingeladen“ (Hirtenbrief „Zum Thema katholisches College an der Universität von Sydney“, 21. Juni 1857). Der Zutritt zu den akademischen Lehranstalten ist wirklich ein großes Vorrecht, und alle Menschen müssen es schützen. Gleichzeitig müssen die Hochschulen selbst das Recht auf Freiheit des Studiums, Suchens und Forschens anerkennen, damit man zur Wahrheit gelangen kann. Die Wahrheit verlangt von uns absolute Anerkennung. In Gegenwart der Wahrheit erlebt der Mensch seine Erfüllung, weil er auf das Wissen hin geschaffen wurde. Und in Gegenwart der höchsten und ewigen Wahrheit findet der Mensch seine vollkommene Erfüllung. 932 REISEN Die katholische Kirche in Australien hat seit langem ihre Wertschätzung für die Erziehung und insbesondere für die höhere Schulbildung deutlich gemacht. Sie hat Opfer gebracht, um Schulen zu errichten und Verbindungen zu der Universität von Sydney herzustellen. Die Gründung des Saint John’s College 1857 zeugt von dieser Wertschätzung für die Universität. Erst in jüngster Zeit gibt die Errichtung einer australischen Kirchlichen Fakultät für Theologie - das Catholic Institute of Sydney - ein weiteres Zeugnis davon, wie sich die Kirche in der Welt der Universität zu Hause fühlt. 5. Gerade wegen der Beziehung der Universitäten zur Wahrheit hat sich die katholische Kirche von Anfang an mit ihnen zusammengeschlossen. Die Entstehungsgeschichte der Universitäten ist aufs engste mit dem Leben der Kirche verbunden. Voll Stolz erinnert sie an die Namen so zahlreicher Universitäten - herausragende Beispiele intellektuellen Bemühens und menschlichen Fortschritts -, die ihre Abkömmlinge sind: Paris, Bologna, Padua, Prag, Alcalä, Salamanca, Oxford und Cambridge. Die Kirche betrachtete es nicht nur als ihre Pflicht, Zentren für Lehre und Studium zu errichten, sondern sie hat nicht aufgehört, sich auch für ihre Erhaltung einzusetzen. Das geschah trotz schrecklicher Behinderungen und manchmal trotz feindseliger Regimes. Jahrhundertelang waren die Universitäten tatsächlich für die Gesellschaft Zentren des Wissens, der Forschung und der Wahrheit. Die Rolle der Universität bestand nicht nur darin, die Wahrheit zu entdecken, sondern sie in den Dienst der Gesellschaft zu stellen und zur Zusammenarbeit bei der Suche nach weiterer Wahrheit anzuspornen. Diese Rolle gehört zur eigentlichen Struktur der Lehranstalt. Bei anderer Gelegenheit sagte ich: „Keine Universität verdient die Wertschätzung der gelehrten Welt, wenn sie an sich nicht die höchsten Anforderungen wissenschaftlicher Forschung stellt, wenn sie nicht ständig ihre Arbeitsmethoden und -instru-mente auf den neuesten Stand bringt und sich nicht ernsthaft in der Freiheit der Forschung hervortut. Wahrheit und Wissenschaftlichkeit sind nicht mühelos zu erreichen, sondern sind das Ergebnis der Bemühungen um Objektivität bei der Erforschung aller Aspekte der Natur und des Menschen“ {Ansprache an Studenten und Dozenten der Katholischen Universität Amerikas, Washington, 7. Oktober 1979, Nr. 4: O.R., dt., 26. 10. 1979, 9). Indem sie die Wahrheit in den Dienst der Gesellschaft stellen, liefern die Universitäten Strukturen für den Dialog. So legen sie der Gesellschaft auch die Forschungs- und Diskussionsergebnisse sowie die Gedanken- 933 REISEN gänge vor, die hinter tiefen Überzeugungen stehen. Das ist wirklich eine verantwortungsvolle Rolle, die sich die Universitäten verdienen und die sie bewahren müssen und nicht leichtfertig denen überlassen dürfen, die keinen Anspruch auf Wissen erheben können. 6. Gelehrsamkeit ist aufgrund ihrer eigentlichen Natur letzten Endes theozentrisch und leistet als solche der Menschheit einen unermeßlichen Dienst. Sie hilft den Menschen bei ihrer Suche nach dem Sinn des Lebens. Sie steht ihnen bei in ihrem Tasten nach dem Licht der Wahrheit. Mit der Wahrheit, die sie ans Licht bringt, läßt Gelehrsamkeit die Menschen nicht im Stich, wenn sie der Mißachtung menschlichen Lebens, der Duldung der Gewalt, dem habsüchtigen Streben nach Besitz, der Hinnahme der Ungerechtigkeit erlegen sind. Nein, selbst wenn bestimmte Bereiche der Menschheit all dessen schuldig sind und daher auf Zerstörung zutreiben, bietet Wahrheit Hilfe an. Sie wird sich nicht absetzen. Sie macht sich noch bemerkbar. Sie appelliert an die erhabensten Triebe des Menschen. Sie tritt seinem Gewissen gegenüber. Sie wird ihre Rolle geltend machen und beweisen! Da Gelehrsamkeit mit Hilfe der ihr eigenen Methode die Existenz Gottes entdeckt und Einsichten in sein Sein gewinnt, hilft sie dem Menschen, seine eigene Natur zu verstehen, sich selbst zu kennen. Die große Würde des menschlichen Geistes gründet vor allem in seiner Fähigkeit, Gott zu erkennen, immer tiefer in das Geheimnis des Lebens Gottes einzudringen und dabei auch den Menschen zu entdecken. Es ist dann kein Wunder, daß gestern wie heute den Universitäten als Zentren des Lehrens und Lernens Schulen der Theologie in ihrer Mitte willkommen waren, die sich der Wissenschaft von Gott widmen. Die Wahrheit von Gott führt uns zur Wahrheit über den Menschen, und die Wahrheit über den Menschen führt uns zur Wahrheit von Gott. 7. Für viele Hochschulen gibt es jedoch noch einen anderen Gesichtspunkt, nämlich die Anwendung der jüdisch-christlichen Auffassung vom Menschen. In dieser Doppeltradition liegt der gemeinsame Nenner göttlicher Offenbarung: der Mensch wird im Licht der Offenbarung Gottes an die Welt gesehen. Die volle Wahrheit über den Menschen ist größer als menschliche Vernunft sie zu entdecken vermag, aber kein Element der geoffenbarten Wahrheit wird jemals zum kleinsten Teilchen irgendeiner Wahrheit im Widerspruch stehen. Die Welt des Lernens und Lehrens übt eine ganz besondere Faszination auf alle aus, die an der spezifisch christlichen Sicht vom Menschen 934 REISEN festhalten — auf alle, die bekennen, daß Jesus Christus „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist (Joh 14,6). Die Rolle des christlichen Gelehrten hält, ohne irgendeinen Zugang zur Wahrheit für gering zu achten, daran fest, daß Jesus Christus als das ewige Wort Gottes die volle Verkörperung der ganzen Wahrheit ist. Die Berufung des christlichen Gelehrten ist deshalb, jede endliche Wahrheit im Lichte Christi zu erforschen, anzustreben, zu analysieren und auszulegen. Wird diese christliche Gelehrsamkeit vom Gebet begleitet, dann findet der Mensch die Vorbedingung für den größten Triumph der Wahrheit. Aber auf etwas anderes muß noch hingewiesen werden: wenn die Wahrheit voll in die Welt entlassen wird, bringt sie Freiheit mit sich. Genau das verkündete Jesus Christus. Er sagte zu seinen Aposteln: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,32). Jene Worte Jesu Christi hallten ebenso durch die Jahrhunderte wider wie diese: „Wenn euch der Sohn befreit, dann seid ihr wirklich frei“ (Joh 8,36). An diesem Punkt gelangen wir zum letzten Moment der Wahrheit. Dieser letzte Moment der Wahrheit fällt mit der von Jesus Christus bewirkten Befreiung zusammen. Als Ergebnis dieses Befreiungsprozesses ist die Menschheit frei und dazu befreit, ihre Bestimmung anzustreben, nämlich sie selbst zu sein: frei, nicht um die Wahrheit zurückzuweisen, sondern um sie zu umfangen. Das ist dann die irdische Endstufe allen menschlichen Forschens und Suchens: eine Menschheit, die frei ist, die Wahrheit ihrer Erschaffung durch Gott und ihrer Erlösung durch Christus zu leben. 8. Verehrte Freunde, liebe Studenten! Es war mir eine große Freude, mit euch über eure Sendung der Wahrheit im Dienst der Menschheit nachzudenken. Wir alle sind uns klar darüber, daß noch viele andere Überlegungen ausführlich erörtert werden könnten. Doch ich habe versucht, die Würde eurer Sendung und die Größe eurer Berufung herauszustellen, wie immer die genaue Beziehung eures Lebens zur Welt des Denkens, Lernens und Forschens aussehen möge. Auf dem Gebiet sowohl des Lernens wie des Lehrens fällt euch als Los die Wahrheit und ihre Macht zu, die erhebt und verwandelt. Ihr alle könnt bei Forschung, Lehre, Studium und Verwaltung stolz darauf sein, etwas wahrhaft Großes und Edles für die Welt und eure Mitmenschen beizutragen. Denkt an die Worte des Propheten Daniel: „Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt; und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, werden immer und ewig wie die Sterne leuchten“ (Dan 12,3). Erlaubt mir nun, daß ich euch ganz persönlich sage, wie viele Erinnerun- 935 REISEN gen mir bei unserer heutigen Begegnung kommen. Ich fühle mich zu Hause, unter Freunden, unter meinesgleichen. Meine Verbindung zur Universitätswelt in Krakau und Lublin ist in mir noch lebendig, aber auch die vielen anderen Kontakte, die ich mit akademischen Kreisen in der ganzen Welt hatte. Und das gemeinsame Element in allem ist die Wahrheit - Wahrheit im Dienst der Menschheit, einer Menschheit, die in der Wahrheit und im Aussprechen der Wahrheit in Liebe ihre Erfüllung findet. Liebe Freunde! Gott stehe euch bei in eurer Verpflichtung zu seiner Wahrheit und ihren Konsequenzen in eurem Leben. Und in dieser Wahrheit mögt ihr alle seine Liebe erfahren. Umkehren und versöhnen mit Gott und untereinander Ansprache während der Messe im Stadion „Randwick Racecourse“ von Sydney am 26. November 1986 „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (Joh 17,18) In Christus innig geliebte Freunde! 1. Diese Worte sprach Jesus am Tag vor seinem Leiden und Sterben. Sie stammen aus seinem „Hohenpriesterlichen Gebet“ beim Letzten Abendmahl. Es sind Schlüsselworte. Sie sprechen vom Vater, der den Sohn sendet. Sie sprechen von der Sendung, die dann vom Sohn auf seine Kirche überging. Jesus Christus sendet die Apostel in die Welt. Er sendet die Kirche. Von einer Generation zur anderen wird die Kirche von Christus gesandt, um mit der Kraft des Heiligen Geistes die Sendung fortzusetzen, die Christus vom Vater empfangen hat. Die Kirche in Sydney, überall in New South Wales und in ganz Australien führt ihren apostolischen Dienst im Rahmen jener göttlichen Sendung aus. Ich gebe meiner wirklichen Freude darüber Ausdruck, daß ich als Bischof von Rom und Nachfolger Petri heute hier bei euch sein kann. Ich danke Gott, daß ich sozusagen in der inneren Mitte dieses Dienstes der Kirche sein kann, der seinen Ursprung im Letzten Abendmahl im Ober- 936 REISEN geschoß (vgl. Lk 22,12) hatte und im Hohenpriesterlichen Gebet Jesu Gestalt annahm. Die Wirkkraft dieses Dienstes kommt von seinem Kreuz und seiner Auferstehung. In demselben Gebet fügt Jesus hinzu: „Ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh 17,19). Durch die Jahrhunderte und noch heute ist das ganze Leben der christlichen Gemeinde verknüpft mit der lebendigen Gegenwart Jesu Christi, des Gottessohnes, des Erlösers der Menschheit, des Einen, der vom Vater gesandt wurde, damit die Welt lebe. 2. Ich würde gern jedem von euch, die ihr zu dieser Eucharistiefeier hierhergekommen seid, die Hand reichen. In euch umarme ich die ganze kirchliche Gemeinschaft von New South Wales; jede ihrer Diözesen ist bei dieser Liturgie vertreten. Ich grüße Kardinal Freeman, Erzbischof Clancy und die anderen Bischöfe, Priester, Ordensleute und Gläubigen, Junge und Alte jeden Standes, jeder Rasse und Herkunft. Möge Christus seinen Frieden reichlich in eure Herzen ausgießen! Ich danke den verehrten Repräsentanten der Regierung und des öffentlichen Lebens von New South Wales für ihre freundliche Anwesenheit. Mein ganz herzlicher Dank gilt den Mitgliedern der anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften für ihre Anwesenheit. In unserer gemeinsamen Liebe unseres Herrn Jesus Christus können wir Inspiration und Kraft finden, um auf dem Weg des ökumenismus weiterzugehen bis zu dem Tag, an dem unter uns volle Glaubens- und Lebensgemeinschaft bestehen wird. <121> <121> Brüder und Schwestern! Christi Worte an seinen Vater beim Letzten Abendmahl sprechen noch heute, hier in Australien, zu uns. „Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt“ {Joh 17,18). So sendet er seine Apostel und ihre Nachfolger. „Ihre Stimme war in der ganzen Welt zu hören und ihr Wort bis an die Enden der Erde“ (Röm 10,18). Von einer Generation zur anderen sucht die Kirche nach den Wegen, die zum Menschen führen in den sich ständig verändernden Bedingungen seiner Existenz, Kultur und Zivilisation. Auf diesen Wegen trägt sie bei sich das Evangelium. Mit dem Evangelium bietet die Kirche dem Menschen das Wort des lebendigen Gottes und die Wahrheit an, die Leben schenkt. „Wie sind die Freudenboten willkommen, die Gutes verkündigen!“ {Röm 10,15). Die Antwort, die von uns gefordert wird, sind das Bekenntnis, daß Jesus der Herr ist, und der Glaube in unserem Herzen, 937 REISEN daß Gott ihn von den Toten auferweckt hat. Durch dieses Bekenntnis der Wahrheit kommen wir zum Heil (vgl. Röm 10,9 f.). Das gilt auch für Australien. Das Evangelium muß voll in diese australische Kultur mit ihrer ganzen Vielfalt eingetaucht werden. In einer verhältnismäßig kurzen Zeit überlieferter Geschichte hat dieses Land bereits eine Vielfalt großer und kleiner menschlicher Erfahrungen gemacht, die das Australien von heute ausmachen. In vieler Hinsicht wurde das Evangelium bereits fest in das Leben der Gesellschaft eingebettet, obwohl es auch zutrifft, daß die Kluft zwischen Evangelium und Kultur nach einer Neuevangelisierung, einer zweiten Evangelisierung, verlangt. 4. Vor sechzehn Jahren stand mein Vorgänger Paul VI. an eben dieser Stelle und sprach von der Versuchung, „alles auf einen irdischen Humanismus zu reduzieren, die sittliche und geistig-geistliche Dimension des Lebens zu vergessen und sich nicht mehr zu kümmern um die notwendige Beziehung des Menschen zum Schöpfer aller seiner Güter und obersten Gesetzgeber für ihren Gebrauch“ (Paul VI., Ansprache im Randwick Racecourse-Stadion, Nr. 3, 1. Dezember 1970). Diese Versuchung ist ebenso alt wie das menschliche Leben selber. Aber in unserer Zeit verlangt sie von der Kirche und jedem einzelnen ihrer Glieder eine neue Antwort. In vielen Teilen der modernen Welt geht es jetzt nicht mehr darum, das Evangelium denen zu verkündigen, die noch nie etwas davon gehört haben, wie das für die Apostel und viele Missionare nach ihnen galt. Heute geht es vielmehr darum, jene anzusprechen, die es zwar gehört haben, aber nicht mehr darauf antworten. Ich denke an die im Glauben Getauften, die nicht mehr aktiv in der Kirche präsent sind. Es gibt davon zahlreiche verschiedene Arten, und die Gründe für ihr Fernbleiben von der Gemeinschaft der Gläubigen sind ebenso zahlreich. Da sind einige, die zwar getauft wurden, aber nie richtig Gelegenheit hatten, das Evangelium gut kennenzulernen. Wie Jesus selbst sagte: „Ein Teil der Körner fiel auf den Weg, und die Vögel kamen und fraßen sie“ (Mk 4,4). Sie waren nie im Vollsinn evangelisiert. Dann gibt es andere, deren geistliche Kräfte von den Zeitumständen aufgezehrt wurden: wirtschaftlicher Druck, moderner Skeptizismus, die Gleichgültigkeit so vieler Menschen dem religiösen Glauben gegenüber. An dieser Gruppe sehen wir, daß „ein Teil der Körner in die Dornen fiel, und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat“ (Mk 4,7). Andere sind vielleicht in der Kirche verletzt worden: vom Unverständnis oder der Schroffheit der Diener der Kirche, vom Ärgernis erregenden Verhalten ihrer Mitchristen, von 938 REISEN schnellen und unerwarteten Veränderungen, von mangelnder Erläuterung von Gesetzen, deren Gründe sie nicht verstanden haben, von der Kälte mancher Glaubensgemeinschaften, denen es an Eifer und Liebe zu mangeln scheint. Zu all diesen Ursachen kommen natürlich Stolz, Selbstsucht und Trägheit des Menschen als ständig gegenwärtige Tatsache hinzu. 5. Allen, die von ihrer geistlichen Heimat abgeirrt sind, möchte ich sagen: Kommt zurück! Die Kirche öffnet ihre Arme für euch, die Kirche liebt euch! Schon in meiner Enzyklika Dives in misericordia habe ich bereits geschrieben: „Die Kirche unserer Zeit muß sich... der Notwendigkeit tiefer und eingehender bewußt werden, in ihrer ganzen Sendung... für das Erbarmen Gottes Zeugnis abzulegen“ (Nr. 12). Im Sakrament der Buße oder Versöhnung werdet ihr auf wunderbare Weise das grenzenlose Erbarmen Gottes in Christus erfahren können. Deshalb sage ich: Fürchtet euch nicht! Kommt nach Hause! Die Glaubensgemeinschaft, in der ihr wiedergeboren und bis zu einem gewissen Grad aufgezogen worden seid, drängt euch, Gottes Erbarmen anzunehmen. Sie bittet euch, euren Platz inmitten des Gottesvolkes wieder einzunehmen, den Platz, den nur ihr ausfüllen könnt. Diese Einladung ergeht an euch von Christus. Ja sagen heißt, eure Herzen seiner Liebe zu öffnen. 6. In der ersten Lesung dieser Messe spricht der Prophet Jesaja zu uns vom „Berg mit dem Haus des Herrn“, zu dem „alle Völker strömen. Viele Nationen machen sich auf den Weg...“ (Jes 2,2f.). Das ist eine Vision vom wiedererrichteten Tempel, wo sich das Volk Gottes versammelt, um zu bekennen, daß er der Herr des Himmels und der Erde ist: „Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn... Er soll uns seine Wege zeigen, auf seinen Pfaden wollen wir gehen“ (Jes 2,3). Es ist eine Vision von Menschen, die über sich selbst hinaussteigen, wenn sie zum Berg Gottes hinaufziehen. Es ist eine Vision von Menschen, die die Ichbezogenheit ablehnen, die ausgreifen, um nach Gottes Wahrheit zu greifen und das Antlitz des lebendigen Gottes zu suchen. Wenn ihr Gott sucht, werdet ihr in jedem anderen Menschen seine Ähnlichkeit entdek-ken. Die Botschaft des Evangeliums ist immer ein Ruf, sich selbst zu überschreiten. Die Erfahrung zeigt, daß der Mensch nicht wirklich er selber sein kann, wenn er nicht über sich selbst hinausgeht und Anforderungen an sich selbst stellt. Eine der besonderen Versuchungen unserer Zeit besteht darin, so selbstsicher und selbstzufrieden zu sein, daß unser Herz und unser Sinn nicht mehr offen sind für das Wort Gottes. Doch „lebendig ist das Wort Gottes, 939 REISEN kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“ (Hebr4,12). Das enge Tor und der schmale Weg im Evangelium sind tatsächlich der Weg, der zum Leben führt (vgl. Mt 7,14). Paul VI. sagte hier an dieser Stelle, daß „Ichbezogenheit, Hedonismus, Erotik und viele andere Falschheiten am Ende zur Verachtung des Menschen führen und deshalb nicht seine tiefe Ruhelosigkeit zu stillen vermögen“ (Ansprache im Randwick Race-course-Stadion, Nr. 3). Das ist die traurige Erfahrung unserer Welt. Einerseits berauben die entmenschlichenden Folgen von Armut und Unterdrückung Millionen unserer Brüder und Schwestern ihres Geburtsrechtes und ihrer Menschenwürde. Andererseits führt der Materialismus einer Wohlstandsgesellschaft allzuoft zu einer ebensolchen Entmenschlichung in Form von Leere und Frustration. 7. Ein wahrhaft menschliches Leben ist für uns nur in dem Maße möglich, als wir offen sind für die Bedürfnisse anderer Menschen, einschließlich jener aus anderen Nationen als unserer eigenen. Die menschliche Person ist Subjekt und Ziel aller Institutionen der Gesellschaft; dazu gehören die kulturellen, sozialen, politischen, nationalen und internationalen Wirklichkeiten, die den Rahmen des menschlichen Lebens bilden. Wenn man sagt, daß jeder im Hinblick auf das Gemeinwohl allgemeine und besondere Rechte und Pflichten habe, betont man damit nur Selbstverständliches. Aber dieser Grundsatz wird in menschlichen Dingen keineswegs immer offenkundig. Ich erkenne, daß in Australien eine zunehmende Sensibilität für Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten vorhanden ist. Als Christen seid ihr aufgerufen, die Wirklichkeit im Licht des Evangeliums zu beurteilen. Das Evangelium drängt euch, für eine Gesellschaft zu arbeiten, die auf Wahrheit gegründet, auf Gerechtigkeit auf gebaut und von Liebe beseelt ist, eine Gesellschaft, die in Freiheit von Tag zu Tag menschlicher wird. Zugleich „nimmt das Gemeinwohl... mehr und mehr einen weltweiten Umfang an und begreift deshalb auch Rechte und Pflichten in sich, die die ganze Menschheit betreffen“ (GS26). Wenn nicht jeder einzelne und jede Gruppe zum Diener an diesem Gemeinwohl wird, werden soziale Eintracht und Frieden zwischen den Nationen weiterhin untergraben. Viele Spannungen in unserer Welt bestehen wegen der natürlichen Grenzen wirtschaftlicher, politischer und sozialer Strukturen; aber auf einer tieferen Ebene rührt viel Böses von persönlicher Selbstsucht und Hochmut her, die mit Hilfe jener Gesellschaftsstrukturen am Werk sind. Die Vision des Jesaja von einer Zeit, in der die Menschen auf Erden „Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen schmieden“ (Jes 2,4), wird immer ein 940 REISEN leerer Traum bleiben, wenn es nicht zu einer echten Umkehr zu den Wegen des Friedens und der Gerechtigkeit, zu einer Bekehrung des Herzens kommt. Brüder und Schwestern! Die Forderungen, die Jesus an die richtet, die ihm folgen, sind nicht rhetorische Floskeln und ändern sich nicht im Wandel der Zeiten. Er ruft uns zur Umkehr, zur Versöhnung mit Gott und untereinander. Jesus wünscht, daß wir die „harten Worte“ ebenso hören wie die Worte des Vertrauens und der Ermutigung. Ist die christliche Botschaft deshalb etwa weniger menschlich? Nur wenn wir wirklich aus uns herausgehen, um den tatsächlichen Herausforderungen unseres menschlichen Schicksals zu begegnen, entdecken wir die volle Wahrheit über uns selbst. Das ist es, was uns Jesus, der Weg, die Wahrheit und das Leben, gelehrt und wofür er beim Letzten Abendmahl gebetet hat: „Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit“ (Joh 17,17). 8. Im heutigen Evangelium betet Jesus zum Vater: „Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir“ (Joh 17,11). Australien ist seit Jahren gesegnet durch eine zunehmende gegenseitige Achtung und christliche Brüderlichkeit zwischen den verschiedenen Kirchen und Gemeinschaften. Der Ökumenismus geht alle an. Es kommt darauf an, daß die Bemühungen, die von verschiedenen Gemeinschaften unternommen werden, um hinsichtlich des Glaubens und der Lehre zu Übereinstimmungen zu gelangen, in jeder Ortsgemeinde von intensiverem Gebet und Buße unterstützt werden, örtliche Initiativen zu gemeinsamem Gebet für die christliche Einheit, zu vertieftem Studium des Gotteswortes, zur Zusammenarbeit im Gebrauch der Massenmedien und verschiedene Initiativen im Bereich des Dienstes bedürfen der Ermutigung. Ich habe mit besonderer Freude von einer solchen Initiative in Australien gehört: „Gebet auf Rädern“, eine Aktion, die den Kranken und anderen Menschen, die an ihr Haus gebunden und nicht am Gottesdienst teilnehmen können, in bemerkenswerter Weise Trost vermittelt hat. Ich bitte euch dringend, auf all diesen Wegen auf die Einheit hinzuwirken, die Christus für seine Jünger wünschte, „damit die Welt glaubt“ {Joh 17,21). Damit Australien glaubt! 9. Denken wir immer an die Worte, die Jesus zu seinem Vater sprach: „Damit die Welt erkennt, daß du... die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“ {Joh 17,23). Alles, was Jesus Christus für unsere Rettung getan hat, zeigt uns, daß wir geliebt werden vom Vater, seinem Vater und unserem 941 REISEN Vater, von dem alle gute Gabe kommt (vgl. Jes 1,17). Das ist die Botschaft der Bibel, das ist der Sinn der Evangelien: Gott liebt uns ebenso wie er seinen Sohn liebt — mit einer unendlichen Liebe. Die Wege der Liebe Gottes sind die Wege des Lebens. Die Flucht vor Gott, die manche Aspekte der modernen Gesellschaft kennzeichnet, ist leider eine Flucht in Dunkelheit und Tod. Viel zu viele Reichtümer unserer Welt werden zur Herstellung von Vernichtungswaffen verwendet. Allzuoft wird der Fortschritt von Wissenschaft und Technologie dazu mißbraucht, einem falschen oder unvollkommenen Verständnis unserer menschlichen Natur und Bestimmung zu dienen. Im Gegensatz dazu stehen Verteidigung des Lebens, Hochhaltung seiner unveräußerlichen Würde vom Augenblick der Empfängnis bis zum natürlichen Tod, Einsatz für die Beseitigung jedweder menschlicher Diskriminierung aus Gründen der Rasse, Herkunft, Hautfarbe, Kultur, des Geschlechts oder der Religion. All dies bedeutet, das Leben, das große Geschenk der Liebe des Vaters, hochzuhalten. In christlicher Sicht kommt noch etwas hinzu. Jesus Christus ist der Eine, der ein neues Leben offenbart: Leben im Geist. Der hl. Paulus verkündet: „Er, der Christus Jesus von den Toten auferweckt hat, wird auch euren sterblichen Leib lebendig machen, durch seinen Geist, der in euch wohnt“ (Röm 8,11). Nach den Worten des Zweiten Vatikanischen Konzils hat Jesus Christus „uns nicht nur das Beispiel gegeben, daß wir seinen Spuren folgen, sondern er hat uns auch den Weg gebahnt, dem wir folgen müssen, damit Leben und Tod geheiligt werden und neue Bedeutung erhalten“ (GS 22.) Immer wieder bietet Jesus Christus dem Menschen das wahre Leben an: Jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind; jedem einzelnen Menschen, jeder Familie und der ganzen Menschheit. Dieses Land, so alt und doch so modern, so gesegnet und doch so bedürftig - dieses Land dürstet nach Leben. Es dürstet nach dem wahren Leben, wie es in Jesus Christus, dem Gottes- und Menschensohn, geoffen-bart wurde. Es dürstet danach, dieses Leben mit Würde und Glück in dieser Welt zu leben und seine Fülle im Himmel zu besitzen. Möge das Kreuz des Südens, das diesen Himmel ziert und das auf eurer Nationalfahne erscheint, als Zeichen der Berufung Australiens gelesen werden. Es ist das Evangelium vom Kreuz Jesu Christi, des Weges, der Wahrheit und des Lebens, das euch in Hoffnung zur Fülle des ewigen Lebens weist. Christus annehmen und sein Evangelium leben heißt das Leben wählen! Gelobt sei Jesus Christus! Amen. 942 REISEN „Nichts hindert uns an wahrer und brüderlicher Zusammenarbeit“ Ansprache bei der Begegnung mit Vertretern der jüdischen Gemeinde in Sydney am 26. November Herr Präsident, liebe Freunde! 1. Dieses Jahr hatte ich die Freude und das Privileg, die Synagoge in Rom zu besuchen und mit den Rabbinern und der versammelten Gemeinde zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit dankte ich dem Herrn und pries ihn, der „den Himmel ausspannte und die Fundamente der Erde legte“ {Jes 51,16) und der den Abraham dazu auswählte, ihn zum Vater einer Vielzahl von Kindern zu machen, die so zahlreich sein sollen wie „die Sterne am Himmel und der Sand am Meeresstrand“ (Gen 22,17; zit. Jes 15,5). Ich sagte ihm Preis und Dank, denn es lag im Geheimnis der Vorsehung und seinem Ermessen, daß diese Begegnung stattfand. Heute preise ich ihn und danke ihm wieder, denn er hat mich in dieses große südliche Land gebracht, in die Gemeinschaft mit einer anderen Gruppe von Nachkommen Abrahams, einer Gruppe, die für viele jüdische Menschen in Australien stellvertretend ist. Möge er euch segnen und euch für seinen Dienst stärken! 943 REISEN 3. Meine Hoffnung für dieses Treffen ist, daß es hilft, die schon verbesserten Beziehungen, die ihr bereits zu den Mitgliedern der katholischen Gemeinschaft in diesem Land habt, zu festigen und auszuweiten. Ich weiß, daß es in ganz Australien Männer und Frauen - Juden wie Katholiken -gibt, die, wie ich in der Synagoge in Rom anmerkte, daran arbeiten, „daß die alten Vorurteile überwunden werden und man Raum gibt für eine immer vollere Anerkennung jenes „Bandes“ und jenes gemeinsamen geistigen Erbes, die zwischen Juden und Christen bestehen.“ Ich danke Gott für all das. 4. Wo es um die Katholiken geht, wird es weiterhin ein ausdrücklicher und sehr wichtiger Teil meiner Mission sein, zu wiederholen und zu betonen, daß unsere Einstellung zur jüdischen Religion von größter Achtung geprägt sein muß, da ja der katholische Glaube in den ewigen Wahrheiten der hebräischen Schriften und dem unwiderruflichen Bündnis mit Abraham wurzelt. In außerordentlicher Dankbarkeit bewahren wir diese selben Wahrheiten als unser jüdisches Erbe und betrachten euch als unsere Brüder und Schwestern im Herrn. Für das jüdische Volk selbst sollten die Katholiken nicht nur Achtung, sondern auch große brüderliche Liebe hegen; denn es ist sowohl die Lehre der hebräischen als auch der christlichen Bibel, daß die Juden von Gott geliebt werden, der sie auf unwiderrufliche Weise auserwählt hat. Niemals könnten gültige theologische Rechtfertigungen für Diskriminierungsoder Verfolgungsakte gegen Juden gefunden werden. In der Tat müssen solche Akte als sündhaft angesehen werden. 5. Um offen und ehrlich zu sein, müssen wir die Tatsache anerkennen, daß es im religiösen Glauben und in der Praxis immer noch augenscheinliche Unterschiede zwischen uns gibt. Der grundlegendste Unterschied liegt in unserer jeweiligen Betrachtung der Person und der Arbeit Jesu von Nazaret. Nichts hindert uns jedenfalls an einer wahren und brüderlichen Zusammenarbeit in vielen wertvollen Unternehmungen, wie es zum Beispiel die Bibelforschung und zahlreiche Werke der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe sind. Solche gemeinsamen Unternehmungen können uns in der Freundschaft und im Vertrauen immer näher zusammenführen. Durch die Gebote und die Propheten ist uns, so wie euch, gelehrt worden, dem menschlichen Leben und den grundlegenden und unveräußerlichen Menschenrechten einen hohen Wert beizumessen. Heute wird das menschliche Leben, das vom Augenblick der Empfängnis an unantastbar sein sollte, auf viele Weisen bedroht. Verletzungen der Menschenrechte 944 REISEN sind weit verbreitet. Dies macht es für alle Menschen, die guten Willens sind, um so wichtiger, sich zusammenzutun, um das Leben zu verteidigen, die Freiheit des religiösen Glaubens und seiner Ausübung zu verteidigen und alle anderen grundlegenden menschüchen Freiheiten zu verteidigen. 6. Schließlich sind wir gewiß einer Meinung darüber, daß es in einer säkularisierten Gesellschaft viele weitverbreitete „Werte“ gibt, denen wir nicht zustimmen können. Konsumismus und Materialismus werden vor allem den jungen Menschen als Antworten auf menschliche Probleme hingestellt. Ich spreche euch meine Bewunderung aus für die vielen Opfer, die ihr gebracht habt, um religiöse Schulen für eure Kinder zu schaffen, damit ihnen dabei geholfen wird, ihre Umwelt aus der Perspektive des Glaubens an Gott zu bewerten. Wie ihr wißt, haben die australischen Katholiken dasselbe getan. In einer säkularisierten Gesellschaft sind solche Institutionen aus dem einen oder anderen Grund leicht Angriffen ausgesetzt. Da Katholiken und Juden ihnen aus denselben Gründen Wert beimessen, laßt uns, wann immer möglich, Zusammenarbeiten, um die religiöse Erziehung unserer Kinder sicherzustellen und zu fördern. Auf diese Weise können wir für den Herrn aller gemeinsam Zeugnis geben. 7. Herr Präsident und ihr, Mitglieder des Exekutivrats der australischen Juden! Ich danke euch nochmals für diese Begegnung, und voll des Dankes preise ich den Herrn mit den Worten des Psalmisten: „Lobet den Herrn, alle Völker, preist ihn, alle Nationen! Denn mächtig waltet über uns seine Huld, die Treue des Herrn währt in Ewigkeit. Halleluja!“ (Ps 117). 945 REISEN Arbeit des Menschen ist Zusammenarbeit mit dem Schöpfer Ansprache bei einer Begegnung mit Arbeitslosen in Hobart am 27. November Liebe Freunde, liebe Tasmanier! Mein Besuch in Australien ist die fortwährende Entdeckung und Wiederentdeckung eines einzigartigen und faszinierenden Landes. Und heute bin ich zu meiner Freude in Tasmanien, einem besonders schönen und historischen Teil des Landes. Allen Bewohnern dieses Staates entbiete ich meine herzlichen Grüße. Ich danke unserem himmlischen Vater, der mir, dem letzten in der Reihe der Nachfolger Petri, diesen Besuch beim Volk Gottes in der Erzdiözese Hobart möglich gemacht hat. Ich bin sehr glücklich, bei euch zu sein, den jungen Leuten des Wilson Training Centre. Ihr seid hier, um eure Fähigkeiten zu verbessern, so daß ihr besser gerüstet seid, Arbeit zu finden. Dazu ermutige ich euch von ganzem Herzen. Ich grüße den Mitarbeiterstab von Centacare, der mehr als ein Vierteljahrhundert lang sich um soziale Probleme und Bedürfnisse der Familien kümmerte, in den vergangenen Jahren besonders im Zusammenhang mit dem Problem der Arbeitslosigkeit. Dabei bin ich mir der besonderen Hilfe bewußt, die die Regierung und die ganze Gemeinschaft für die Arbeit dieses Zentrums leisten. Von Herzen hoffe ich, daß eure Anstrengungen belohnt werden und eure Hoffnungen in Erfüllung gehen. 2. Die Arbeit dieses Zentrums führt mich direkt zum Thema unseres heutigen Treffens: der sehr ernsten Frage der Arbeitslosigkeit oder - genauer: der Situation der Männer und Frauen, die unter den Auswirkungen der Arbeitslosigkeit leiden. Und eben weil es ein menschliches Problem ist, das das Leben und die Würde des Menschen betrifft, ein Problem von fraglos ethischer und moralischer Natur, beschäftigt sich die Kirche mit der Frage der Arbeitslosigkeit. Die Kirche hat den Auftrag, der ganzen Menschheitsfamilie zu dienen. Das ist vor allem ein religiöser und moralischer Sendungsauftrag im Anschluß an Kreuz und Auferstehung Jesu Christi. Die Kirche weiß, daß der Aufruf, an die Erlösung zu glauben, Menschen unter den aktuellen Umständen des täglichen Lebens erreicht. Und die ewige Bestimmung des Menschen ist eng verbunden mit all den Elementen, die menschliche Freiheit, Menschenrechte und menschlichen Fortschritt 946 REISEN betreffen. Arbeit - oder der Mangel an Arbeit - ist ein solches Element -ein äußerst wichtiges. 3. Arbeitslosigkeit heißt Verlust all der Werte, die Arbeit für den einzelnen, die Familien und die Gesellschaft bedeutet und ihnen vermittelt. Arbeit ist ein Recht und eine Pflicht. An anderer Stelle habe ich gesagt, daß „der Mensch arbeiten (muß), einmal weil es ihm der Schöpfer aufgetragen hat, dann wegen seiner Menschennatur, für deren Erhaltung und Entwicklung die Arbeit erforderlich ist. Der Mensch schuldet die Arbeit auch seinen Mitmenschen, insbesondere seiner Familie, aber auch der Gesellschaft, der er angehört, der Nation, deren Sohn oder Tochter er ist, der ganzen Menschheitsfamilie, deren Glied er ist: Erbe der Arbeit von Generationen und zugleich Mitgestalter der Zukunft derer, die im Ablauf der Geschichte nach ihm kommen werden. All das macht die moralische Verpflichtung zur Arbeit aus“ (Laborem exercens, 16). Wenn wir von der moralischen Verpflichtung zur Arbeit sprechen, meinen wir, daß jeder die Pflicht hat, auf irgendeine effektive Weise an der großen Aufgabe der „Humanisierung“ der Welt teilzunehmen, d. h. die Welt zu einem gastlicheren Ort und einem besseren Werkzeug persönlicher und sozialer Entwicklung zu machen. Es ist auch wahr, daß die „Arbeit ein Gut für den Menschen (ist) - für sein Menschsein -, weil er durch die Arbeit nicht nur die Natur umwandelt und seinen Bedürfnissen anpaßt, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen ,mehr Mensch“ wird“ {Laborem exercens, 9). Mühe und Schweiß, die Arbeit im gegenwärtigen Entwicklungszustand des Menschengeschlechtes notwendig mit sich bringt, bedeuten, daß der Christ teilhaben kann am Werk, das Christus mit seinem Kommen vollbringen wollte. Christus erlöste die Welt durch sein Leiden und Sterben am Kreuz. Indem der Mensch die Mühsal der Arbeit in der Einheit mit Christus, dem Sohn Gottes, erträgt, wirkt er mit an seinem Erlösungswerk für die Menschheit. Er erweist sich als echter Jünger Christi, wenn er das Kreuz der Arbeit jeden Tag in der ihm aufgetragenen Tätigkeit trägt (vgl. Laborem exercens, 27). 4. Arbeit hat andere weitere Implikationen. Sie ist eine wichtige Voraussetzung des Familienlebens, da die Familie Mittel für den Lebensunterhalt benötigt, das Geld, das gewöhnlich verdient wird durch die Arbeit eines oder mehrerer ihrer Glieder. In der Tat, die Familie als Gemeinschaft wird möglich durch Arbeit, und gleichzeitig ist sie die erste Schule der Arbeit für jede Person im Haushalt (vgl. Laborem exercens, 10). 947 REISEN Die Gegenwart von Frauen und Müttern in fast jedem Bereich der Arbeitswelt ist heute eine Tatsache, die beachtet werden muß. Sie sollten in der Lage sein, ihre Begabungen und Fähigkeiten in unterschiedlichen beruflichen Betätigungen auszuüben, aber gleichzeitig muß ihren Verpflichtungen und Wünschen gebührender Respekt gezollt werden. Die Arbeit sollte so strukturiert sein, daß Frauen für ihr Weiterkommen nicht feilschen müssen auf Kosten ihrer eigenen Würde oder auf Kosten ihrer lebensnotwendigen Rolle in der Familie. Die Rolle der Mutter bedarf einer sozialen Neubewertung. Ihre Aufgaben im Haushalt verlangen großes Engagement, sie beanspruchen viel Zeit und Liebe. Kinder brauchen Pflege, Liebe und Zuneigung. Diese Aufmerksamkeit muß Kindern zuteil werden, wenn sie sich zu starken, verantwortungsbewußten Persönlichkeiten von moralischer, religiöser und psychologischer Reife entwickeln sollen. Während die Verantwortung für die Entwicklung der Familie Mutter und Vater tragen, so hat doch die spezifische Mutter-Kind-Beziehung noch große Bedeutung (vgl. Laborem exercens, 19; Familiaris consortio, 23). Die Gesellschaft kann es sich als Verdienst anrechnen, wenn sie es den Müttern möglich macht, ihren Kindern Zeit zu widmen und sie ihren wachsenden Bedürfnissen entsprechend zu erziehen. Die Freiheit von Frauen und Müttern muß eindeutig geschützt werden, so daß sie frei sind von psychologischer oder irgendeiner anderen Form der Diskriminierung, besonders im Vergleich zu Frauen ohne familiäre Verpflichtungen. Mütter dürfen nicht finanziell bestraft werden durch eben die Gesellschaft, der sie in höchster und notwendiger Weise dienen. 5. Eine weitere Bemerkung, die ich machen möchte, betrifft die Behinderten. Sie sind Bürger mit vollen Rechten, und es sollte ihnen geholfen werden, am Leben der Gesellschaft wirklich teilzuhaben. Es wäre von Grund auf des Menschen unwürdig und eine Leugnung unserer gemeinsamen Menschennatur, behinderten Menschen den Zugang zum vollen Leben der Gesellschaft entsprechend ihren Möglichkeiten und ihrer Begabung zu verweigern. Dies würde eine ernste Form der Diskriminierung bedeuten. Hier liegt im objektiven Sinn ein klarer Fall vor, in dem die Arbeit der Würde des Menschen untergeordnet werden sollte, der Person, die arbeitet, und nicht dem ökonomischen Vorteil (vgl. Laborem exercens, 22). 6. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat Australien beachtliche Großzügigkeit bewiesen, weil es seine Tore Einwanderern aus anderen Ländern und 948 REISEN Flüchtlingen, die eine neue Heimat suchten, geöffnet hat. Umgekehrt haben diese neuen Australier ihre eigene Kultur und ihre beruflichen Fähigkeiten in die reichere Entwicklung ihres neuen Landes eingebracht. Es ist von Bedeutung, daß in der Frage von Arbeitsrechten diejenigen, die ihr Arbeitsleben in anderen Ländern begonnen haben, nicht im Vergleich zu anderen Arbeitern benachteiligt werden. Diese Frage verlangt ebenfalls Großmut von seiten der australischen Gesellschaft. Der Wert der Arbeit sollte nicht bewertet werden nach Unterschieden von Nationalität, Geschlecht, Religion oder Rasse. 7. In gewissem Sinn ist Arbeitslosigkeit ein modernes Phänomen. Demographischer und technologischer Wandel haben zu einer Situation geführt, in der es nicht genügend Arbeit für all jene gibt, die arbeiten könnten. Das ist ein weltweites Phänomen. Es ist besonders ernst in den Ländern der Dritten Welt, die noch kein ausreichendes Stadium wirtschaftlicher Entwicklung erreicht haben und in denen eine große Zahl junger Leute Arbeit sucht. Aber es ist auch in vielen industrialisierten Ländern fast genauso schlimm — aus sehr komplexen Gründen, die zu analysieren hier nicht möglich ist. Auch in Australien leiden viele von euch und euren Mitbürgern unter der Plage der Arbeitslosigkeit, und zwar nicht nur die jungen Menschen, sondern auch Männer und Frauen, die die Ernährer ihrer Familien sind. Selbst dann, wenn soziale Dienste die Grundbedürfnisse des Lebens sichern helfen, verletzt die Arbeitslosigkeit ihre Würde als Personen und beschneidet ernstlich ihre Chancen und Möglichkeiten im Leben. Arbeitslosigkeit verursacht viele Mißstände für eine Gesellschaft und für eine Nation. Sie hat wirtschaftliche und soziale Ungleichheit zur Folge. Sie kann solche Belastung für die Familie und die Gesellschaft nach sich ziehen, daß ein tatsächlicher Zusammenbruch der Institutionen folgt, die die Weiterentwicklung des Menschen sicherstellen sollen. Wer Arbeit hat, vergißt vielleicht diejenigen, die keine haben. Das Problem verlangt Kooperation im Planen und entschlossenes Handeln aller Kräfte. Regierungsstellen, große Firmen und kleine Geschäfte, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und ihre Zusammenschlüsse - alle haben eine entscheidende Rolle bei der Suche nach Lösungen zu spielen. Auch die Medien können für eine starke Unterstützung und Information sorgen, wenn sie Programme für die Arbeitslosen fördern. Gerechtigkeit verlangt die gemeinsame Anstrengung eines jeden. 949 REISEN 8. Umschulungsprogramme sind in diesem Land schon auf dem Weg. Regierungs- und private Organisationen, die sie finanzieren, sollte man begrüßen. Derartige Programme sind von besonderer Bedeutung, da sie die Bedürfnisse der jungen Menschen anerkennen, von denen das zukünftige soziale, ökonomische und familiäre Leben der Nation abhängen wird. Die Bedürfnisse der älteren Arbeitslosen dürfen jedoch nicht übersehen werden. Es gibt Anzeichen, daß in den vergangenen Jahren die Zahl der Arbeitslosen ebenso zugenommen hat wie die durchschnittüche Dauer der Arbeitslosigkeit. Dies bedeutet, daß viele Menschen für fast ihr ganzes Arbeitsleben vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sein können mit geringer Hoffnung auf eine neue normale Beschäftigung. Einige Statistiken bieten ein trostloses Bild für Tausende Menschen, die nur zu glücklich wären, arbeiten zu können. Große Anstrengungen müssen unternommen werden, um neue Wege zu finden, dieser Situation zu begegnen, so daß die Fähigkeiten älterer Arbeiter wieder gebraucht werden oder neue ihnen vermittelt werden könnten. Vor allem brauchen sie praktische Hilfe, die ihre Begeisterung und Motivation neu beleben werden, eine kreative Arbeit auszuüben. Bei den Programmen der Schulung und Umschulung ist es von Bedeutung, dem Prinzip der Selbsthilfe zu folgen. Dieser Grundsatz schützt die Würde der Person. Alle werden ermutigt, ihre Fähigkeiten voll und ganz zu nutzen und zu erkennen, daß ihr Arbeitslosen-Status nicht eine Sache persönlichen Versagens ist. 9. Vor allem aber müssen Anstrengungen unternommen werden, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dies ist ein äußerst schwieriger Punkt. Wir alle erkennen, daß die Entstehung neuer Arbeitsplätze in unserer modernen Gesellschaft eine äußerst komplexe Frage geworden ist. Sehr oft ist sie nicht mehr bloß eine Frage von lokaler oder auch sogar nationaler Bereitschaft und Fähigkeit. Sie verlangt eine Neuordnung und Anpassung ökonomischer Strukturen und Prioritäten auf weltweiter Ebene. Die Kirche hat keine technischen Lösungen anzubieten und auch nicht die Mittel, solche Probleme zu lösen. Aber in ihrem Dienst an der Menschheit hat sie eine äußerst wichtige Aufgabe: diejenigen, die auf jedweder Ebene wirtschaftlicher Tätigkeit betroffen sind, daran zu erinnern, daß Arbeitslosigkeit nicht nur als ein Thema der Wirtschaft behandelt werden kann. Arbeitslosigkeit ist ein menschliches Problem mit weiten Dimensionen. Die Kirche kann eine soziale Lehre anbieten und tut dies auch. Sie gründet auf der unverletzlichen Würde jeder menschlichen Person. Arbeit wird gesehen als Zusammenarbeit mit dem Schöpfer und als Bedingung 950 REISEN der Selbstentwicklung, die das Recht einer jeder Person ist. Die Kirche unternimmt den Versuch, zu motivieren und zu erziehen, so daß qualifizierte und vom Glauben inspirierte Christen für das dringende Problem der Arbeitslosigkeit Lösungen werden finden helfen. Bisweilen sind die Ortskirchen in der Lage, konkrete Hilfsprogramme für die Arbeitslosen zu initiieren oder daran mitzuwirken. Centacare, das Familienbüro der katholischen Kirche in der Erzdiözese Hobart, das das Wilson Training Centre errichtet hat und verwaltet, ist ein lobenswertes Beispiel derartiger Bemühungen. Andere verdienstvolle Formen der Hilfe anderswo verdienen auch große Unterstützung. 10. Liebe junge Leute in diesem Zentrum, liebe Freunde aus Tasmanien und ganz Australien: seid euch bewußt, daß die Kirche euch zur Seite steht in euren Bemühungen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und Arbeit zu finden. Sie versteht eure Wünsche und appelliert in eurem und im Interesse aller Arbeitslosen an das Gewissen der Welt. Die Kirche erhebt ihre Stimme für eine neue Sicht der Arbeit, die auf Wert und Würde der menschlichen Person beruht. Sie tritt ein für eine Neuordnung des Wirtschaftssystems, so daß es wirklich dem gesamten Wohlergehen der Menschheitsfamilie dienen wird. Ihnen allen - den Mitarbeitern von Centacare und des Wilson Training Centre sowie euch jungen Leuten, die ihr in Ausbildung für eine Berufstätigkeit seid —, allen Arbeitslosen, allen, die Lösungen für das Problem der Arbeitslosigkeit in Australien suchen, all denen, die sich um die Bedürfnisse von einzelnen Menschen und Familien kümmern, die unter Arbeitslosigkeit leiden — Sie alle möchte ich ermutigen. Verliert nicht den Mut! Die Kirche wird mit Ihnen und für Sie arbeiten. Und sie wird weiter zur Solidarität aller in dieser Sache aufrufen, die so direkt ihr Leben berührt. Seid meiner Gebete und Unterstützung versichert. Im Namen Jesu Christi erbitte ich für euch Stärke und Mut. 951 REISEN Das Evangelium fordert Eintreten für Gerechtigkeit Predigt bei der heiligen Messe in der Pferderennbahn Elwick in Hobart, Australien, am 27. November „Ihr seid das Salz der Erde . . . Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 5,13 f.). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Jesus richtet diese Worte an seine Jünger: an jene, die zur Zeit seiner messianischen Sendung auf Erden seine Jünger waren, und an alle Menschen aller Zeiten und Orte, die seine Jünger waren oder es sein werden. Er richtet sie also auch an uns. Zu mir und zu jedem von euch sagt Jesus: „Ihr seid das Salz der Erde .. . Ihr seid das Licht der Welt!“ Diese Worte enthalten die Anerkennung einer Tatsache und zugleich einen Aufruf. Wir wollen über die Bedeutung dieser Worte nachdenken, um besser das Verhältnis der Kirche zur Welt zu verstehen: zur modernen Welt, die so vielen und raschen Veränderungen unterliegt. Wir wollen über die Bedeutung dieser Worte nachdenken, um wirksamer die der Kirche und der Welt gemeinsamen Aufgaben zu erfüllen, bei denen sie ja einander dienen. 2. Schwerlich wird man bessere Begrüßungsworte für die Kirche in Tasmanien finden - für Sie, Herr Erzbischof Young, und für euch alle, meine Brüder und Schwestern in Christus - als die im heutigen Evangelium enthaltenen. Ihr sollt wissen, welche Freude es für mich ist, bei dieser Eucharistiefeier unter euch zu weilen. Gemeinsam mit euch und mit der Kirche in der ganzen Welt danke ich für die Gnade des Glaubens, die uns das Salz und das Licht des Evangeliums gebracht hat. Vereinen wir daher unsere Herzen und Stimmen im Lobpreis Christi, der zuerst und vor allem das Licht der Welt ist. Ich weiß, daß die Kirche in Tasmanien eine höchst interessante Geschichte hat, die zeigt, wie die göttliche Vorsehung unter euch am Werk war. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der katholische Glaube hier gegen manche Hindernisse ausgesät. Eure Vorfahren kamen mit Hoffnung und Sorge zugleich in ein Land, das damals wirklich wenig versprach. Einige kamen als freie Siedler, viele waren nicht frei. Und dieses Land war sehr weit entfernt von der Welt, die sie bis dahin gekannt hatten. 952 REISEN Nach der ersten Besiedlung sollten noch fast 20 Jahre vergehen, bis der erste Priester, P. Philip Conolly, die Erlaubnis zum Betreten des Van-Diemans-Landes bekam, wie eure Insel damals hieß. Welch ein Reichtum ist aus den armen Anfängen aufgeblüht! Tüchtige Eltern pflegten und bildeten ihre Familien in der Kenntnis und Liebe Christi. In den folgenden 150 Jahren ließen zahlreiche Ordensschwestern und dazu Priester und Ordensbrüder die Hoffnung dieser jungen Kirche wachsen und leisteten mit großer Hochherzigkeit hier ihren Dienst. Ihr erinnert euch mit Stolz und Zuneigung an Bischof Robert William Wilson, euren ersten Bischof, der erfolgreich die Zwangsverschickung beendete und die Ortskirche auf eine solidere Grundlage stellte. Eure Vorfahren im Glauben hinterließen ein eindrucksvolles Beispiel für den Dienst am Evangelium, wie es z. B. aus der Tatsache hervorgeht, daß der erste in Australien geborene Priester, P. Daniel Connell, von Tasmanien kam; auch Sr. Teresa Robertson, die erste in Australien geborene Ordensfrau, und der erste in Australien geborene Ordensbruder, Br. Patrick Kinnear, kamen von hier. Dieser Glaube aber, der seit seiner ersten Einpflanzung so gut gewachsen ist, lebt heute in euch allen weiter. Und als Nachfolger des Petrus bin ich gekommen, um mit euch gemeinsam für euer reiches Erbe zu danken und euch zu ermuntern, diesen kostbaren Schatz den kommenden Generationen weiterzugeben. 3. Als Jesus Christus seine Jünger „Salz der Erde“ und das „Licht der Welt“ nannte, wies er damit auch auf ihre besondere Verantwortung hin. Was bedeutet es denn, „Salz“ und „Licht“ zu sein? Salz wird als Konservierungsmittel der Nahrung beigemischt, um sie vor dem Verderben zu schützen. Wie Salz sein meint dann, daß jemand eine besondere Präsenz ausübt, eine Art des Mit-Seins mit anderen, das sie in ihrem Glauben stärkt und ihnen hilft, Versuchungen zu widerstehen und die Sünde zu vermeiden, im Gebet auszuharren und in Liebe Gott und dem Nächsten zu dienen. Salz gibt ferner Geschmack. Ohne es bleibt die Nahrung geschmacklos und schal. So geben die Jünger Christi dem Leben Geschmack, sie bringen den Geist der Freude, der Begeisterung und der Hoffnung; den Geist Christi. Wir alle schätzen den Wert des Lichtes, das uns in der Dunkelheit führt und uns ermöglicht, die geschaffene Welt zu sehen. Als Jesus seinen Jüngern sagte, sie seien das Licht der Welt, sagte er ihnen in Wahrheit, sie sollten ein Widerschein von ihm selber sein und seine eigene Heilssen- 953 REISEN düng fortsetzen. Denn an anderer Stelle formuliert er: „Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt“ (Joh 9,5). Wir stellen ferner fest, daß Jesus nicht bloß sagt: „Ihr seid das Licht eures eigenen Hauses“, oder „Ihr seid das Licht eurer örtlichen christlichen Gemeinden.“ Vielmehr verweist er sie auf die größere Gesellschaft jenseits der vertrauten und wohlbekannten Grenzen, jenseits auch der Grenzen der Kirche. Er erklärt nämlich, sie seien „das Licht der Welt“. 4. Die erste Lesung der heutigen Messe zeigt, daß die Jünger Jesu „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ werden, wenn sie Gott demütig um den „Geist der Weisheit“ bitten ( Weish 7,7). Nur im „Geist der Weisheit“ können wir uns an die Aufgaben wagen, die Christus seinen ersten Jüngern anvertraut hat, an die Verantwortlichkeiten, die die Kirche erneut so klar für uns im Zweiten Vatikanischen Konzil aufgezeigt hat. Das Konzil hat nämlich ein ganzes Dokument der Aufgabe der Kirche in der modernen Welt gewidmet. Es hat z. B. gesagt: „Die Kirche geht, zugleich ,sichtbare Versammlung und geistliche Gemeinschaft“, den Weg mit der ganzen Menschheit gemeinsam und erfährt das gleiche irdische Geschick mit der Welt und ist gewissermaßen der Sauerteig und die Seele der in Christus zu erneuernden und in die Familie Gottes umzugestaltenden menschlichen Gesellschaft ... In Verfolgung ihrer eigenen Heilsabsicht vermittelt die Kirche nicht nur den Menschen das göttliche Leben, sondern läßt dessen Widerschein mehr oder weniger auf die ganze Welt fallen, vor allem durch die Heilung und Hebung der menschlichen Personwürde, durch die Festigung des christlichen Gemeinschaftsgefüges, durch die Erfüllung des alltäglichen menschlichen Schaffens mit tiefer Sinnhaf-tigkeit und Bedeutung“ (GS 40). 5. Die Kirche fürchtet sich nicht davor, in der Welt zu leben, auch wenn sie in ihr ein Übermaß an Gebrochenheit und Sündigkeit feststellt. Wenn sie im Licht Christi Gewalttätigkeit und Unterdrückung als das sieht, was sie wirklich sind, wenn sie jeder Art von Ungerechtigkeit begegnet, dann zieht sie sich nicht auf sich selber zurück, um sich hinter sicheren Kirchenmauern zu verbergen; sie gibt keineswegs ihre Sendung zum Evangelisie-ren und Dienen auf. Die Kirche wendet ihre Sorge voll Mitleid den Heimatlosen und Flüchtlingen zu; sie hört das Schreien der Armen und Unterdrückten. Die Kirche weiß wohl, daß sie eine pilgernde Gemeinschaft des Glaubens ist, berufen zum Dienst an der Menschheitsfamilie mit einer Offenheit, die dem Evangelium entspricht, und mit echter Liebe. Manche behaupten mißverständlich, da die Christen eine Stadt im Him- 954 REISEN mel suchen, seien sie nicht ernsthaft an den irdischen Nöten anderer interessiert. Dies entspricht keineswegs der Wahrheit. Denn Christus nachfolgen verpflichtet um so mehr dazu, ein verantwortlicher Bürger und ein aktives Mitglied der menschlichen Gemeinschaft zu sein. Es kann keinen Widerspruch geben zwischen unserem persönlichen Gebet und Gottesdienst einerseits und unserer sozialen Verantwortlichkeit andererseits. Denn der Christus, den wir im Gebet suchen, ist der gleiche Christus, der im Geringsten unserer Brüder und Schwestern lebt. 6. Die Kirche erkennt dankbar die Hilfe an, die sie von der Welt empfängt. Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt hat zahlreiche neue Möglichkeiten aufgetan, den Armen und weniger Privilegierten zu helfen und die ganze Menschheitsfamilie zu fördern. Wir freuen uns besonders über den Fortschritt der medizinischen Wissenschaft, der etliche Krankheiten gänzlich beseitigt und zahllosen Menschen Erleichterung und Hilfe gebracht hat. Neue Entwicklungen bei den Kommunikationsmedien haben der Kirche wirksamere Möglichkeiten angeboten, das Evangelium zu verkünden und ihrer katechetischen Aufgabe zu genügen. Die Leistungen der Künstler, Dichter und Wissenschaftler werden von der Kirche sehr begrüßt, denn wenn sie die moralische und geistige Dimension der menschlichen Person berücksichtigen, stehen sie in Übereinstimmung mit ihrem eigenen Bemühen, Wahrheit und Schönheit zu fördern und eine bessere Welt aufzubauen. Auf zahlreiche Weisen ist die Kirche durch den Fortschritt der Menschheit bereichert worden. 7. Eine sehr wichtige Frage ist heute das Verhältnis von Evangelium und Kultur. Das gilt besonders hier in Australien, wo ihr ein reiches Kulturspektrum habt: die Kultur der Ureinwohner und die der Einwanderer aus Europa, asiatische Kulturen, die von jüngeren Einwanderern mitgebracht wurden, endlich jene aus dem pazifischen Raum. Was immer in einer bestimmten Kultur wirklich gut ist, wird vom Evangelium verteidigt und unterstützt. Doch unvollkommene Elemente müssen gereinigt und neu umschrieben werden, so daß sich eine echtere Kultur ergeben kann. Natürlich erfolgt ein solcher kultureller Wandlungsprozeß nicht bloß auf theoretischer Ebene. Er erfordert vielmehr den ernsthaften vollen Einsatz der Christen im täglichen Leben einer bestimmten Gesellschaft. Mit der Hilfe des Heiligen Geistes suchen die Jünger Christi jene Werte auszumachen, zu bekräftigen und zu fördern, die echte kulturelle Bedeutung haben. Wie wichtig freilich ist es gleichzeitig, daß sie den Mut haben, sich allem zu widersetzen, was im Gegensatz zum Evangelium steht und 955 REISEN die Würde der menschlichen Person verletzt. Der Dienst an Gesellschaft und Kultur ist ein Dienst, der die Person des Menschen schützt und adelt. Christen können ferner nicht schweigen angesichts der unsagbaren Verbrechen, die gegen das menschliche Leben begangen werden. Sie können auch die Verletzung der Menschenrechte, die Welle des Drogen- und Alkoholmißbrauchs, den Niedergang des Familienlebens und das Mißachten der Armen nicht übersehen. Diese und andere soziale Übel richten sich nicht nur gegen das dem menschlichen Herzen eingeschriebene Gesetz; sie widersprechen vor allem dem Liebesgebot Christi. Man muß mit prophetischem Mut und in christlicher Solidarität mit der ganzen Welt dagegen angehen. Das Evangelium fordert immer das Eintreten für Gerechtigkeit und für die Würde der menschlichen Person. Das sind Forderungen der christlichen Liebe. 8. Beim Nachdenken über die Rolle der Kirche in unserer sich wandelnden Welt wollen wir erneut auf das hören, was der heilige Paulus uns in seinem Brief an die Epheser sagt: „Ich, der ich um des Herrn willen im Gefängnis bin, ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging. Seid demütig, friedfertig und geduldig, ertragt einander in Liebe“-(£p/z 4,1 f.). Diese Worte sind sehr wichtig für das Verständnis des Verhältnisses zwischen der Kirche und der modernen Welt. Wenn sie ihre Aufgabe in der Welt erfüllen will, muß die Kirche jene innere Reife besitzen, von der der Apostel spricht, und die in „vollkommener Selbstlosigkeit, Güte und Geduld“ besteht. Noch wichtiger ist der anschließende Text: „Bemüht euch, die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält“ (Eph 4,3). Diese Einheit des Geistes ist eine Einheit, die alle einschließt: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten, Lehrer, Familien und jeden in der Kirche. Sie bedeutet Einheit in jeder einzelnen Pfarrei und zwischen örtlichen Pfarrgemeinschaften, Einheit zwischen dem Hirten und seiner Herde und Einheit mit der Kirche in der ganzen Welt, eine Einheit, „um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zu rüsten, für den Aufbau des Leibes Christi“ (Eph 4,12). Das Wirken für die Einheit ist besonders in einem Land wie Australien wichtig, wo ihr derart verschiedene kulturelle Überlieferungen mit so zahlreichen unterschiedlichen Haltungen und Gewohnheiten habt, die jeweils zu berücksichtigen sind. Einheit ist etwas, was ständig durch die Kraft des Heiligen Geistes aufgebaut werden muß. Und nur wenn wir wirklich eines Geistes und Herzens sind, können wir „Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen“ (Eph 4,13). 956 REISEN 9. Jeder ist nämlich berufen, seinen Teil beizutragen „zum Aufbau des Leibes Christi“ (Eph 4,12). Bei diesem Werk des Aufbaus der Kirche stellen wir unter Beweis - ja, wir müssen es unter Beweis stellen -, daß wir wirklich das „Salz der Erde“ und das „Licht der Welt“ sind. Die Welt hat dieses „Salz“ und dieses „Licht“ nach Gottes ewigem Plan sehr nötig. Dieser ewige Plan verweist uns auf den „geistigen Menschen“, die menschliche Person auf der Höhe der Reife in Christus. Dieser Plan ist der Maßstab der Größe für die ganze Schöpfung, für jede Person und für die ganze Menschheit, gemäß „der Vollgestalt Christi selber“. Laßt uns voranschreiten auf diese Fülle Gottes zu - die Fülle Gottes in Christus Jesus, unserem Herrn! Amen. Gemeinsam für den Frieden beten Ansprache beim ökumenischen Gebetsgottesdienst in Melbourne am 27. November Liebe Freunde in Christus! 1. „Friede sei mit euch allen, die ihr in Christus seid“ (1 Petr 5,14). Ich freue mich, unter euch zu sein, meine Brüder und Schwestern aus der katholischen Kirche und aus den anderen Kirchen und Kirchengemeinschaften, um zusammen zu beten und über die göttlichen Gaben der Einheit und des Friedens nachzudenken. Ich danke allen, die heute hierhergekommen sind, um Gott zu preisen für das Wachstum der ökumenischen Bewegung, die unter den Christen in Australien Boden gefaßt hat. Und so bietet sich uns die Gelegenheit zu inständigem Gebet, damit die noch bestehenden Spaltungen unter den Christen überwunden werden, so daß wir immer wirksamere Zeugen der Botschaft unseres Herrn Jesus Christus werden können. 2. Als Christen sind wir von der transzendenten Natur des Friedens und der Versöhnung überzeugt, von der Tatsache, daß sie Gottes Plan und Geschenk sind. Das Reich Gottes hat mit der Person Jesu Christi begonnen; denn er „ist unser Friede... und riß die trennende Wand der 957 REISEN Feindschaft nieder“ (Eph 2,14). Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat er Himmel und Erde versöhnt (vgl. Kol 1,20). So überwand er die von der Sünde verursachte Unordnung der Menschheit und stellte das Bild Gottes im Menschen wieder her. So .kann der hl. Paulus mit Überzeugung sagen: „Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“ (Eph 4,4-6). 3. Die Kirche ist berufen, Instrument des Heils in der Welt zu sein, das wirksame Zeichen und Mittel der Einheit und Versöhnung. Sie trägt diese versöhnende Kraft in sich selbst, die Teilhabe am Leben des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ist. Das ist die Quelle ihrer Einheit, die Macht, die sie befähigt, Frieden und Versöhnung in der Welt zu fördern. Die Kirche ist jener Teil der Menschenfamilie, der in der Taufe auf neue Weise zu leben beginnt, befreit von Trennung und Sünde. Sie ist die versammelte, in und durch die Einheit Gottes geeinte Vielheit. Obwohl ihre Glieder ihre legitime Vielfalt bewahren, sind sie in der Heiligsten Dreifaltigkeit in eine Gemeinschaft einbezogen. Daher mahnt der hl. Paulus die sehr unterschiedlichen Menschen, die zur Kirche gehören, einander in Liebe zu ertragen und „die Einheit des Geistes zu wahren durch den Frieden, der euch zusammenhält“ (Eph 4,3). Er verbindet gegenseitige Duldung mit Liebe, die Hoffnung auf Einheit mit Frieden. Das ist das Modell des kirchlichen Heilsauftrags für das Heil der Welt, für ihren Frieden und ihre Versöhnung. Die eigene Einheit der Kirche ist Hoffnung für die Welt. 4. Unser heutiges Zusammensein ist deshalb ein Zeichen neuer Hoffnung für die ganze Welt. Unser Bestreben, die Spaltungen zu überwinden, die die Christen immer noch trennen, wird durch Christi Wunsch für den Frieden der Menschheitsfamilie und das Heil aller erforderlich gemacht. In Jesus Christus sind Einheit, Versöhnung und Friede möglich geworden, ja nicht nur möglich, sondern unsere Aufgabe. Es ist wesentlich, daß die Jünger Christi in Glaube und Liebe geeint leben und einander als Brüder und Schwestern behandeln. Daher ist der erste und fundamentalste Schritt auf dem Weg zur Einheit die persönliche Umkehr von Geist und Herz. Wie das II. Vatikanische Konzil sagt: „Es gibt keinen echten ökumenismus ohne innere Bekehrung. Denn aus dem Geiste, aus der Selbstverleugnung und aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach der Einheit“ (UR 7). 958 REISEN 5. Liebe Brüder und Schwestern: Ich möchte Sie alle ermutigen, sich der ökumenischen Aufgabe in ihrer ganzen Fülle zu stellen, stark in Glaube und Hoffnung zu sein, unermüdlich für Einheit zu beten und zu arbeiten, die Gottes Wille und sein Geschenk ist. Untereinander verbundene gemeinsame Bemühungen, wie immer lobenswert, genügen noch nicht für jene lebendige und organische Gemeinschaft der Gläubigen, die Gottes Plan und Wille ist. Unser Ziel ist die volle Einheit in Glaube und Liebe. Eine solche volle Einheit ist wesentlich für die Bekundung kirchlicher Gemeinschaft. Es ist notwendig, daß die Christen durch ihre Sendung und ihren Dienst an der Welt ein volles gemeinsames Zeugnis für Christus ablegen. Lebendige und organische Gemeinschaft bedeutet Einheit im sakramentalen Leben. Das innere Wesen der Kirche ist Teilhabe am Leben des dreieinigen Gottes. Diese Teilhabe äußert sich und wächst in sakramentalen Handlungen. Durch diese Handlungen und in der Kraft des Heiligen Geistes berührt Christus Geist und Herz des Menschen und hilft ihm wirklich, „in einem Leib und einem Geist“ zu leben (Eph 4,4). Gleicherweise gibt es eine Einheit in der sichtbaren Struktur der Kirche, die der unvermeidliche Ausdruck ihrer inneren Gemeinschaft ist und das fortwährende Dienstamt der Apostel einschließt, unter Leitung des Petrus, als Dienst an der Einheit. 6. Die Welt braucht dringend die volle Gemeinschaft in einer Kirche, die Zeichen und Träger des Wirkens des dreieinigen Gottes für die Einheit der Menschheitsfamilie ist. Und trotz der bedenklichen Meinungsunterschiede, die uns noch trennen, ist unser derzeitiger Grad an Einheit schon ein Zeichen, daß Jesus Christus unter uns, daß er die Quelle unserer Versöhnung ist. Unser gemeinsames Gebet macht den Frieden, der in unseren Herzen herrscht, deutüch, das Geschenk, „das von Gott kommt, der uns durch Christus mit ihm versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat“ (2 Kor 5,18). Hieraus ergibt sich die Bedeutung der neuen dialogischen Haltung, die uns erlaubt, zusammenzukommen. Die verschiedenen ökumenischen Initiativen, die hier in Australien und in anderen Teilen der Welt in Gang sind, theologische Gespräche, gemeinsames Gebet, Zusammenarbeit in vielen Bereichen, all das entspricht der christlichen Vorstellung von Versöhnung, die wir der Welt verkünden und zugleich sichtbar machen müssen durch die Weise, wie wir sie leben. Sie sprechen von unserer Bereitschaft, uns dem Heiligen Geist zu übergeben. 7. Und jetzt möchte ich noch ein besonderes Wort an die Bischöfe der katholischen Kirche in Australien und die Leiter der anderen Kirchen und 959 REISEN christlichen Gemeinschaften hier richten. Nach dem Weltgebetstag für den Frieden in Assisi am 27. Oktober wurde dem Hl. Stuhl in einem Meinungsaustausch mit den Leitern der Christen, der christlichen Weltgemeinschaften und des Weltrats der Kirchen gesagt, wie wichtig es sei, etwas von dem neuen Aufschwung von Assisi zu den Christen auf Ortsebene zu tragen. Sie sprachen von dem Wert des Gebets als ursprünglichem Mittel zur Friedenssicherung und Erneuerung der einzelnen und der Gesellschaft, die der Frieden verlangt. Sie betonten die Wichtigkeit gemeinsamer christlicher Aktionen bei örtlichen und regionalen Friedensinitiativen, soweit das möglich und angebracht ist. Das kann ein Zeugnis für die Hoffnung sein, die Christus uns schenkt, in einer Zeit wie dieser, in der die Menschen sich den Spannungen der Welt ausgeliefert fühlen. Das Ereignis von Assisi war mit einer weltweiten Gebetsbewegung der Christen für den Frieden verbunden, ein Gebet, das auch den Menschen helfen soll, geeignete Wege zu erkennen, für den Frieden zu arbeiten. Ich ermutige Sie, dieses Gebet für den Frieden hier in Australien zu fördern. Es wird eine Antwort auf die große Herausforderung unserer Zeit sein; es wird ein weiterer Schritt in der gemeinsamen Bemühung der Christen sein, sich in den Dienst der Menschen zu stellen, ein Zeichen der Hoffnung zu sein. 8. Vor allem dränge ich euch, den geistlichen ökumenismus in den Mittelpunkt all eurer ökumenischen Initiativen zu stellen. Denn das II. Vatikanische Konzil sagt: „Alle Christgläubigen sollen sich bewußt sein, daß sie die Einheit der Christen um so besser fördern, ja sogar einüben, je mehr sie nach einem reinen Leben gemäß dem Evangelium streben. Je inniger die Gemeinschaft ist, die sie mit dem Vater, dem Wort und dem Geist vereint, um so inniger und leichter werden sie imstande sein, die gegenseitige Brüderlichkeit zu vertiefen. Diese Bekehrung des Herzens und die Heiligkeit des Lebens ist in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit der Christen als die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung anzusehen; sie kann mit Recht geistlicher ökumenismus genannt werden“ (UR 7f.). Ich möchte ihnen allen danken, die Sie heute hierhergekommen sind, um mit mir zu beten, Gottes Wort zu hören und über seine Bedeutung in unserer Zeit nachzudenken. So wie Sie danach streben, auf dem Weg der Versöhnung und Einheit weiterzugehen, so bete ich: „Seid eines Sinnes, und lebt in Frieden! Dann wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein“ (2 Kor 13,11). 960 REISEN Priester sein verlangt Mut, Glauben, Ausdauer Ansprache bei der Begegnung mit Priestern und Seminaristen in Melbourne am 28. November „Von den Taten deiner Huld, Herr, will ich ewig singen“ (Ps 89,2). Liebe Brüder im Priesteramt! Liebe Seminaristen! 1. Der Kehrvers, den wir eben gesungen haben, will die Empfindungen ausdrücken, die ich beim Treffen mit euch, meine Brüder in Christus, liebe Priester und Seminaristen Australiens, hege. Mein Herz ist voll Lobpreis, wenn ich an die priesterliche Berufung denke, die wir teilen. Dieser Ruf Christi spiegelt wahrlich die Güte des Herrn wider. Das Geheimnis, das unser aller Leben berührt hat, läßt sich in den Worten des hl. Paulus zusammenfassen: „Gott... ist in unserm Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi“ (2 Kor 4,6). Ich bin dankbar für die Gelegenheit, unter euch zu sein. Denn dieses Treffen ist ein sehr bedeutsamer Teil meines Pastoralbesuches in eurem Land. Ich komme, um euch im Glauben zu stützen, in der Hoffnung zu ermutigen, die in euren Herzen entbrannt ist, und euch an die große Liebe zu erinnern, mit der er uns berufen hat, seine Freunde und Mitarbeiter zu sein. Ich komme als Nachfolger des Petrus, der den Auftrag erhielt, seine Brüder zu stärken. Aber ich komme auch als Bruder im Priesteramt, als Mitarbeiter im Herrn, dem die Geheimnisse Gottes anvertraut sind. Ich bin erfreut, daß wir uns hier in der Kathedrale des hl. Patrick treffen, eines Priesters und Bischofs, dessen apostolisches Werk einen unermeßlichen Einfluß auf die Kirche der ganzen Welt hatte. Ich huldige der Erinnerung an die hier begrabenen Erzbischöfe von Melbourne, im besonderen Kardinal Knox, den fünften Erzbischof dieser Erzdiözese, den ich so gut kannte und der der Kirche so gläubig gedient hat. 2. Ihr alle wißt, daß ich die Gewohnheit habe, den Priestern alljährlich einen Brief zum Gründonnerstag zu schreiben. Ich tue das, weil ich mich an diesem liturgischen Jahrestag in besonderer Weise mit allen verbunden fühle, die mit mir durch das priesterliche Dienstamt verbunden sind. Die Kar- und Osterliturgie stellt uns Christus im Paschamysterium vor. Wir betrachten ihn, wie er sich dem Vater zur Erlösung des Menschenge- 961 REISEN schlechts opfert. Wir sehen ihn beim Letzten Abendmahl, wo er sagt: „Das ist mein Leib . . . Das ist mein Blut.“ Wir hören ihn den Jüngern sagen: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Das eint uns alle in der Quelle unserer Berufung und Sendung. Hier verwirklicht sich unser mit dem Kreuz verbundenes Priesteramt ganz. Wie der hl. Paulus sagt: „Immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird“ (2 Kor 4,10). Unsere Berufung zum priesterlichen Dienstamt ist eine Einladung zur Vereinigung mit Christus auf Golgota als Priester und als Opfer. Hier haben wir am Werk Christi als ewigem Hohenpriester teil. Hier finden wir die Gnade und Inspiration, gläubig in der Kirche zu dienen, damit wir die Heilsfrüchte der Erlösung den Menschen aller Zeiten und Orte bringen können. 3. Priester sein verlangt Mut, Glauben und Ausdauer. „Daher erlahmt unser Eifer nicht in dem Dienst, der uns durch Gottes Erbarmen übertragen wurde“ (2 Kor 4,1). Wir leben in einer Zeit, die voller Herausforderung ist. Wir brauchen Kreativität und Treue bei der Verkündigung der ewigen Heilsbotschaft. Wir haben die Wahl: entweder wir überlassen uns der Mutlosigkeit, oder wir werden Männer fester Hoffnung. Unsere Hoffnung wird stark sein, und wir „erlahmen nicht im Dienst“, wenn wir all unsere Hoffnung auf Gott setzen, dessen Vorsehung die Kirche leitet, auch wenn wir seine Wege nicht immer verstehen. „Diesen Schatz tragen wir .in zerbrechlichen'Gefäßen, so wird deutlich, daß das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt“ (2 Kor 4,7). Diese Worte des Apostels bringen in unserem Geist und Herz eine Saite zum Schwingen oder nicht? Je länger ein Mann das Vorrecht hat, als Priester zu dienen, desto mehr wird er sich der menschlichen Grenzen und Schwächen bewußt, desto schärfer empfindet er die Last seiner menschlichen Hinfälligkeit. Wir sind leichter entmutigt, was uns daran erinnert, daß wir schwach sind, und Christus stark. „So wird deutlich, daß das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt.“ Diese Schwäche sollte uns daran erinnern, daß wir oft das Erbarmen und die Vergebung Christi im Bußsakrament brauchen. Wenn wir dieses Sakrament empfangen, erkennen wir, daß Christi Gnade unendlich stärker als die Sünde ist. Unsere Beichte ist auch ein Akt des Glaubens an Gottes Willen, daß sein Erbarmen uns durch die heilige Menschheit seines Sohnes und die menschliche Vermittlung dessen erreicht, woran wir im Priestertum seines Sohnes Anteil haben. Wie wichtig ist es daher, daß wir in uns einen wachen Sinn für Gott, das 962 REISEN Geheimnis Christi, sein Leben, sein Leiden, sein großes Erbarmen lebendig halten. Wie können wir uns?dieses Bewußtsein im täglichen Leben erhalten? Indem wir uns Zeit für den Herrn nehmen, durch Gebet und Meditation über Gottes Wort, durch die Verehrung Christi im heiligsten Sakrament. Wir müssen unseren Sinn für Gott wach halten, damit wir ihn den anderen weitergeben können. Unser Glaube schenktjuns den Sinn für die Sendung. 4. Für uns alle, liebe Priester und Seminaristen, ist der hl. Paulus ein hervorragendes Beispiel eines Gottesmannes mit klarem Sendungsbewußtsein. Er übernahm seine apostolische Aufgabe in der Überzeugung, „von Christus ergriffen“ (Phil 3,12) und durch einen Akt des Erbarmens mit seinem Dienstamt betraut worden zu sein (vgl. 2 Kor 4,1). Seine Aufgabe war, das Heilsmysterium in Jesus Christus zu verkünden. Er predigte diese Botschaft vollständig und mit entschlossenem Mut. Er sagte klar: „Wir haben uns von aller schimpflichen Arglist losgesagt; wir handeln nicht hinterhältig und verfälschen das Wort Gottes nicht, sondern lehren offen die Wahrheit. So empfehlen wir uns vor dem Angesicht Gottes jedem menschlichen Gewissen“ (2 Kor 4,2). Wir brauchen heute den gleichen Mut, um Gottes Wort zu verkünden und die authentische Lehre der Kirche unversehrt weiterzugeben. Der Dienst am Wort ist eng mit dem sakramentalen Dienst des Priesters verbunden: mit der Spendung der Taufe, dem Beichthören, den Trauungen, die er entgegennimmt, dem Verdruß, den er auf sich nimmt und vor allem mit der Eucharistie. Wie das II. Vatikanische Konzil sagt: „Die Eucharistie ist Quelle und Höhepunkt aller Evangelisation“ {PO 5). Die tägliche Eucharistiefeier lädt uns ein, uns tiefer in Christi Leiden, Tod und Auferstehung zu versenken. Und den Tag über lenkt das Stundengebet unsere Aufmerksamkeit auf das Paschamysterium, wenn wir uns dem großen Chor der Kirche zum Lobpreis des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes anschließen. In diesen reichen Quellen der Vereinigung mit Jesus finden wir die nötige Kraft, unser Sendungsbewußtsein zu erneuern und dem Gottesvolk in froher Treue zu dienen. Das ständige Ziel des Priesters muß sein, der Einheit und der Versöhnung zu dienen, in Erinnerung daran, daß Christus gekommen ist, „um die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln“ (Joh 11,52). Die Gemeinschaft der Gläubigen wird auf vielerlei Weise aufgebaut: durch persönliche Freundschaft und Liebe, durch aufrichtige Anteilnahme an den verschiedenen Gruppen, denen wir dienen, durch hochherzige Vorsorge, viel Zeit und Gelegenheit für das Bußsakrament, durch ökumeni- 963 REISEN ches Interesse und eine echte Liebe zur Diözese und zu der universalen Kirche, an deren Leben die örtliche Gemeinde teilhat. 5. Unser Sendungsbewußtsein, das immer mit Christus verbunden ist, wird auch durch regelmäßiges Studium und ein brüderliches Verhältnis zum Bischof und zu unseren Brüdern im Priesteramt erneuert. Ein regelmäßiges Studium ist wichtig, weil uns Christus berufen hat, Verkünder seiner Botschaft zu sein. Wir müssen daher ständig unser Verständnis der Bibel vertiefen und die Weise, wie wir sie im täglichen Leben in die Praxis umsetzen. Über die regelmäßige Bibellesung und -meditation hinaus sollten wir uns Zeit für die Lektüre der großen Klassiker der Kirche nehmen, vor allem der Väter, und Schritt halten mit den Erklärungen des Lehramts und den guten theologischen Schriften. Von der Ortsdiözese organisierte Treffen und Arbeitstagungen oder ausgedehntere Programme der theologischen oder spirituellen Fortbildung können unter diesem Blickpunkt eine große Hilfe sein. Eine der vielen Früchte des II. Vatikanischen Konzils war eine neue Betonung der geistlichen und brüderlichen Beziehungen zwischen den Priestern selbst und mit ihren Bischöfen. Die Tatsache, daß wir alle am Priestertum Christi teilhaben, wird in der Konzelebration sichtbar, in den Priesterräten, in der Chrisammesse am Gründonnerstag und auf viele andere Weise. Unsere sakramentale Brüderschaft erscheint als beredtes Zeugnis für das Evangelium, wenn wir sie wirklich leben, wenn jüngere und ältere Priester einander ermutigen und helfen, wenn wir Gastfreundschaft anbieten und annehmen, wenn jeder Priester sich für die ganze Diözese verantwortlich fühlt und für die ganze Weltkirche, wenn unser Leben der Mahnung des hl. Paulus entspricht: „Tut nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei. Sondern in Demut schätze jeder den anderen höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen. Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht“ (Phil 2,3—5). 6. Unsere Zölibatsverpflichtung, liebe Brüder, ist ein positiver Ausdruck einer besonderen Liebesfähigkeit, die uns die Freiheit gibt, uns voll in den Dienst der Kirche zu stellen. Das II. Vatikanische Konzil sagt: „Sie ist ein Zeichen und zugleich ein Antrieb der Hirtenliebe und ein besonderer Quell geistlicher Fruchtbarkeit in der Welt. . . Durch die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen werden die Priester in neuer und vorzüglicher Weise Christus geweiht; sie hangen ihm leichter ungeteilten Herzens an, 964 REISEN schenken sich freier in ihm und durch ihn dem Dienst für Gott und die Menschen“ (PO 16). Wenn wir den Zölibat versprechen, tun wir das frei und in der Überzeugung, daß Gott uns diese Gnade anbietet - eine charismatische Gabe, die er nicht jedem schenkt, eine Gabe, die nicht herabgesetzt wird von der Schönheit und Güte der Ehe, aber angestrahlt von einer Liebe, die sich direkt auf Gott und sein Volk richtet. Gleichzeitig wissen wir Priester, daß wir kein Recht auf eine Gabe haben; wir geben selbst eine Gabe. Wir geben uns selbst ganz Christus und der Kirche hin, frei und bewußt und voll Dank. Und diese Hingabe verlangt wie die Selbsthingabe Christi ein Opfer. Das Versprechen des Zölibats bindet für immer. Wir sagen, daß wir für immer im Zölibat bleiben wollen. Aber das ist keine Gabe, die gegeben wurde, um uns eine große Summe Geld zu vermachen. Das ist eine Gabe, die uns immer wieder geschenkt wird; sie muß ständig erneuert werden. Die Hochherzigkeit, die euch für ein Leben gebunden hat, muß täglich erneuert werden, durch die Vereinigung mit Christus im Gebet und den beharrlichen Wunsch, der Kirche zu dienen. Wir müssen nicht nur die Unreinheit vermeiden, wir müssen auch Habgier und Selbstsucht vermeiden und was sonst unser Versprechen schwächen könnte, Christus mit ungeteiltem Herzen zu lieben. 7. Jetzt möchte ich noch ein besonderes Wort an die Seminaristen richten, auch wenn alles, was ich gesagt habe, auch euch angeht. Ich bin sicher, für alle Priester hier und alle Priester Australiens zu sprechen, wenn ich sage, wie dankbar wir Gott euretwegen sind. Als Priester lieben wir die Kirche, wir sorgen uns um ihre Zukunft, wir möchten unseren eigenen Dienst und die Sendung Christi in den kommenden Jahren weitergeführt sehen. Aber noch mehr als das, wir möchten, daß ihr im Priestertum die Freude Christi entdeckt, die Freude, die wir gefunden haben, als wir uns dem hingaben, der von sich selbst sagte: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mt 20,28). Es gibt noch vieles, über das ich zu euch im Detail sprechen möchte: z. B. die Wichtigkeit des Studiums und der Disziplin, die notwendige Hochherzigkeit und Treue, den Wert des Zöübats und der Hirtenliebe. Dazu bleibt jetzt keine Zeit, aber laßt mich die vitale Bedeutung des Gebets unterstreichen. In meinem ersten Schreiben an die Priester zum Gründonnerstag 1979 schrieb ich: „Das Gebet weist auf die wesentliche Lebensform im Priestertum hin, die ohne Gebet verfälscht wird. Das Gebet hilft uns, 965 REISEN immer wieder das Licht zu finden, das uns seit den Anfängen unserer priesterlichen Berufung geführt hat und uns ständig führt. . . Das Gebet macht uns die ständige Bekehrung möglich; es hilft uns, immer auf Gott hin ausgerichtet zu bleiben, was ja unerläßlich ist, wenn wir andere zu ihm hinführen wollen. Das Gebet hilft uns zu glauben, zu hoffen und zu lieben“ (Nr. 10). Ja liebe Brüder, das Gebet zeigt auch den wesentlichen Stil des Seminaristen. 8. Wenn ich zu den Brüdern im Priesteramt und zu denen, die sich auf das Priestertum vorbereiten, spreche, möchte ich auch die Notwendigkeit von Priesterberufen erwähnen. So oft hören wir, daß die Zahl derer, die sich dem Priester- und Ordensleben widmen wollen, abgenommen hat. Euch Priestern und Seminaristen, den Eltern und den anderen, die meine Worte hören, sage ich: Ich bestehe darauf, daß wir diese Situation nicht als unvermeidbar und unveränderlich hinnehmen können. Ich wiederhole den Appell, den ich in meiner diesjährigen Botschaft zum Weltgebetstag für Priesterberufe an die ganze Kirche gerichtet habe: „Die Kirche braucht dringend Priester. Dies ist eine der größten Dringlichkeiten, die an die christlichen Gemeinschaften herantreten. Jesus hat nicht eine Kirche ohne Priester gewollt. Wenn die Priester fehlen, fehlt Jesus in der Welt, fehlt seine Eucharistie, fehlt seine Vergebung. Für ihre eigene Sendung hat die Kirche aber ebenso einen großen Bedarf an einer Vielfalt anderer geistlicher Berufungen. Das christliche Volk kann nicht in Passivität und Gleichgültigkeit den Rückgang der geistlichen Berufe hinnehmen. Die geistlichen Berufe sind die Zukunft der Kirche. Eine Gemeinschaft, die arm ist an geistlichen Berufen, bringt eine Verarmung der ganzen Kirche mit sich; hingegen ist eine Gemeinschaft, die reich ist an geistlichen Berufen, eine Bereicherung für die ganze Kirche“ (Nr. 2). Wir schulden Jesus Christus, nicht an der Macht seines Paschamysteriums zu zweifeln. Er ist durch seinen Tod und seine Auferstehung immer fähig, Berufungen in der Kirche zu wecken und jungen Menschen bei ihrem hochherzigen Liebesopfer zu helfen. Liebe Brüder, ihr habt die ganze Kirche bereichert durch eure Antwort auf Christi Ruf zum besonderen Dienst als Priester und Seminaristen. Seid versichert, daß die Freude, die ihr erfahrt und den anderen mitteilen wollt, mit Christi Gnade helfen wird, Berufungen zu wecken. Es ist nicht verrückt, ein „Narr um Christi willen zu sein“. Teilt den anderen diese Botschaft mit. Betet für Berufe. Betet, daß die Eltern den Mut finden, ihre Kinder zu fragen, ob sie sich berufen fühlen und diese Herausforde- 966 REISEN rang annehmen wollen. Und zweifelt nie an der Wahrheit, daß die Priester wesentlich für das Leben der Kirche bleiben, heute wie immer. Der Herr Jesus helfe euch, seinen Plan für das Leben der Welt zu erfüllen. Laßt uns also vorwärts schreiten mit Dank für das Priestertum, mit Vertrauen auf Gottes Liebe, mit Lobpreis in euren Herzen. „Von den Taten deiner Huld, Herr, laßt uns ewig singen!“ „Meine Hoffnung für euch: eine echte Erneuerung von Geist und Leben“ Predigt bei der Messe in Melbourne am 28. November „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch“ (Ez 36,26). Diese Worte göttlicher Verheißung, die der Prophet Ezechiel ausgesprochen hat, erinnern uns an die Worte, die Jesus von Nazaret zu Beginn seines messianischen Wirkens sagte: „Der Geist des Herrn ruht auf mir... er hat mich gesandt, damit... ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Lk 4,18). Jesus, der von Gott kam, war mit dem Heiligen Geist gesalbt. Eben deshalb wurde er Christus genannt, was „der Gesalbte“ bedeutet. Er kam in der Macht des Heiligen Geistes und brachte den Heiligen Geist mit sich. Jesus teilte diesen Geist den Aposteln mit. Er teilte den Geist der Kirche mit. Er teilt ihn allen mit, die offen sind, um ihn aufzunehmen. All das war vorgesehen, als Gott sagte: „Ich lege einen neuen Geist in euch“ (Ez 36,26). Wir sind heute in der Macht der messianischen Sendung Christi vereint. Wir sind im Heiligen Geist vereint. In dieser großen Stadt Melbourne begrüße ich euch, Erzbischof Little und alle, die ihr als die liturgische Versammlung des Volkes Gottes, „in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes“ versammelt seid. Es ist dies nicht zum ersten Mal, daß ich euer Land und diese Stadt besuche. Noch habe ich den starken Glauben in lebhafter Erinnerung, den das Volk von Victoria beim XIV. Eucharistischen Kongreß hier in Melbourne im Jahr 1973 zum Ausdruck brachte. Gastgeber bei diesem 967 REISEN großen Ereignis war Kardinal Knox, und ich nahm als Erzbischof von Krakau daran teil, als Pilger der Kirche in Polen bei der Kirche in Australien. Dankbar erinnere ich mich eurer Freundschaft und Gastlichkeit. Damals hörte ich, wie man von Erzbischof Mannix, dem großen Führer in dieser Stadt von 1917 bis 1963 sprach. Der Glaube war erstmals im vorigen Jahrhundert durch irische Einwanderer hierher gekommen, und es war Aufgabe des Erzbischofs, sein Volk dahin zu bringen, daß es den ihm zustehenden Platz in dieser Demokratie einnehmen konnte. In jenen Jahren wuchs die Kirche und mehrte sich; es wurden damals auch die Grundlagen für die gegenwärtigen lebendigen Traditionen der Initiativen und Aktivitäten der Laien, für die katholische Erziehung und den hochherzigen Einsatz von Gliedern der Kirche für den Fortschritt und die Entwicklung dieses Staates gelegt. Es ist nur recht und billig, daß wir dieser hervorragenden kirchlichen Würdenträger gedenken und Gott für ihre Führerqualitäten danken. Heute darf ich wieder in eurer Mitte sein. Diesmal komme ich als Pilger aus Rom. Ich bringe euch das Vermächtnis des Stuhls des hl. Petrus, nämlich die der ganzen Menschenfamilie und allen Ortskirchen in Australien und überall in der Welt dienende Kirche. Euer Land ist sehr weitläufig und wunderschön: „ein Land, dessen Herz einem Opal gleicht, ein willensstarkes, üppiges Land“, wie eure Dichterin Dorothea Mackellar schrieb, ein sonnenverbranntes Land „von weiten Ebenen und fernen Horizonten“, jedoch auch ein gewaltiger und starker Gott „des Feuers und des Hungers“, „der Trockenheit und des strömenden Regens“. Ihr habt diese Herausforderungen angenommen, und eure gegenwärtige Lage und eure Freiheit beweisen, daß ihr Gutes aufgebaut habt. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind Menschen aus vielen Nationen hierhergekommen, die, für sich selbst und für ihre Familien ein besseres Leben suchten und das Leben und die Tradition ihrer Wahlheimat bereicherten. Sie kamen aus Europa - insbesondere aus Italien - und später aus Asien und Südamerika. Unter ihnen waren viele Katholiken, die viel zum Aufbau der Kirche in diesem Land beigetragen haben. In diesem ganzen Land und Kontinent wurden die vom Propheten Ezechiel ausgesprochenen Worte Gottes besonders bedeutsam: „Ich hole euch heraus aus den Völkern, ich sammle euch aus allen Ländern und bringe euch in euer Land... Dann werdet ihr in dem Land leben, das ich euren Vätern gab. Ihr werdet mein Volk sein, und ich werde euer Gott sein“ (Ez 36,24.28). Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt uns, daß es „Gott... gefallen (hat), 968 REISEN die Menschen nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindung, zu heiligen und zu retten, sondern sie zu einem Volke zu machen, das ihn in Wahrheit anerkennen und ihm in Heiligkeit dienen soll“ (LG 9). Mit diesen Worten greift das Konzil ein für den christlichen Glauben und das christliche Leben höchst bedeutsames Thema auf. Es handelt sich dabei auch um ein in der Heiligen Schrift vorherrschendes Thema. Mit dem neuen Bund in seinem Blut begründet Christus ein neues Volk Gottes (vgl. 1 Kor 11,25). In diesem neuen Volk ist Raum für alle Nationen und alle Menschen. Sein Haupt ist Christus, sein Erbteil die Würde und Freiheit der Kinder Gottes, sein Gesetz das neue Gebot zu lieben wie Christus uns geliebt hat (vgl. Joh 13,34); sein Ziel ist die volle Offenbarung des Reiches Gottes, das schon unter uns ist, jedoch erst dann seine Vollendung finden wird, wenn „auch die Schöpfung... von der Sklaverei und Verlorenheit befreit... (wird), zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21). Durch die Macht der göttlichen Gnade schreitet dieses Volk durch die Geschichte, nicht ohne Prüfungen und Bedrängnisse, und ist bestrebt, die Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit aufzubauen (vgl. LG 9). Hier im Flemington-Stadion in Melbourne sind wir als ein Teil des Volkes Gottes vereint, um die Eucharistie zu feiern, und wenn wir für das Erlösungsopfer Christi Zeugnis ablegen, geben wir Zeugnis von der Hoffnung auf das ewige Leben, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15). Ihr Katholiken von Victoria und Australien, seid ihr euch dessen voll bewußt, was es heißt, der Kirche anzugehören? Vor allem, lebt ihr genug aus der Kraft des Heiligen Geistes, der die Kirche in der Wahrheit und der Liebe Christi erhält, so daß ihr die Aufgabe erfüllen könnt, diesen Glauben und diese Liebe der Welt mitzuteilen? Seid ihr euch vollauf der Tatsache bewußt, daß ihr „lebendige Steine“ zum Aufbau eines „geistigen Hauses“ (i Petr 2,4) seid? Eure Würde ist in der Tat groß! Als Nachfolger Petri habe ich die Aufgabe, die Ortskirchen zu ermutigen, in immer vollerem Maß an jener Gemeinschaft teilzuhaben, die die Weltkirche ist: eine Verbundenheit mit dem Vater durch den Sohn und im Heiligen Geist und eine Einheit der Glieder untereinander. Die zweite Lesung bringt die ganze Kraft eurer Einheit in der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche zum Ausdruck: „Ihr seid der Leib Christi“ (1 Kor 12,27). Australien ist geographisch weit von Rom entfernt, doch sind die Bande, die uns in der Kirche zusammenschließen, viel mehr als Fleisch und Blut. Der hl. Paulus sagt uns: „Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen“ 969 REISEN (1 Kor 12,13). Der Heilige Geist ist es, der uns in Glaube, Hoffnung und Liebe zusammenhält. „Dient dem Herrn mit Freude! Kommt vor sein Antlitz mit Jubel! Erkennt: Der Herr allein ist Gott. Er hat uns geschaffen, wir sind sein Eigentum“ (Ps 100,2 f.). Diese Psalmworte gelten dem ganzen Volk Gottes. In Christus gelten sie jedem einzelnen von uns, jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind. Sie sind eine Einladung, das grundlegende Amt des Priestertums der Gläubigen auszuüben, das darin besteht, Gott zu verherrlichen und seine Herrschaft über alles Leben anzuerkennen. Das neue Volk Gottes ist ein priesterliches Volk, das an einem Priestertum Christi Anteil hat: durch die Taufe „hat (er) uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott, seinem Vater“ (Offb 1,6). Wir sind ein Volk des Lobes und der Verehrung, der Heiligkeit und der geistlichen Wiedergeburt. Kurz, dieses allgemeine Priestertum aller Getauften wird auf zweifache Weise ausgedrückt: einerseits durch die Verehrung und Anbetung Gottes und andererseits durch das Wirken für die Ausbreitung seines Reiches in den Angelegenheiten der Menschheitsfamilie. Beides gehört zu unserer christlichen Berufung und sollte nicht getrennt werden. Das Sakrament der Firmung hilft uns, an diesen Aufgaben in vollerem Maß teilzunehmen. Alle Glieder der Kirche, seien sie jung oder alt, Männer oder Frauen, Priester, Ordensleute oder Laien haben Gott gegenüber gewisse Pflichten. Sie sind dazu berufen, seinen Vorrang in ihrem Leben durch die Liturgiefeier und das Gebet zum Ausdruck zu bringen. Die Sakramente, insbesondere die Eucharistie, sind Brücken zwischen der gewöhnlichen Welt und dem Reich Gottes. Sie sind als Werkzeuge der rettenden Gnade Christi in unserem Leben wirksam. Sie befähigen uns, Gott für alles Gute zu danken, das wir besitzen; sie helfen uns, ihn für unsere eigenen Bedürfnisse und für die der Menschheitsfamilie anzuflehen. In diesem Sinn ist die Tradition der Sonntagsmesse von größter Bedeutung. Das Volk Gottes ist aufgerufen, sich zu versammeln, am ersten Tag der Woche den Erlösertod und die Auferstehung des Herrn zu feiern, also den Tag zu feiern, an dem seine Auferstehung bewies, daß der Vater unsere Erlösung angenommen hatte. Allen, die die Ausübung des Glaubens vernachlässigt haben, möchte ich folgendes sagen: Hört auf Christus, dann werdet ihr neu entdecken, was seine Liebe bedeutet. Ihr werdet hören, wie er euch zur Rückkehr in das Haus meines Vaters ruft. Vielleicht habt ihr den Eindruck, von der Gemeinde nicht richtig verstanden zu werden. Es stimmt, die Kirche ist nie in all ihren Gliedern vollkommen, aber sie ist das Haus des Vaters, 970 REISEN und nur im Haus des Vaters werdet ihr in der Lage sein, in vollem Maß an der von Christus geschenkten Liebe und Versöhnung teilzuhaben. Das allgemeine Priestertum der Gläubigen, an dem alle Christen durch die Taufweihe Anteil haben, befähigt die Gläubigen, all ihr Tun Gott als geistliches, Opfer darzubringen, in Vereinigung mit dem eucharistischen Opfer Christi und seiner Kirche. Das Leben mit all seinen Möglichkeiten und Verantwortungen, mit seinen Freuden und Sorgen, seinen Hoffnungen und Leiden wird gleichsam wie ein Tempel, in dem Gott angebetet und sein Wille erfüllt wird. Insbesondere die Laien sind dazu berufen, die Botschaft und den Geist des Evangeliums in die Welt des Alltags, in Familie, Arbeit und Freizeit hineinzutragen. Wenn ihr zur Einbindung der christlichen Botschaft in eure Kultur beitragt und mithelft, daß sich in der Gesellschaft eine größere Achtung für die Menschenwürde entfaltet, dann erfüllt ihr eine eurer Aufgaben als priesterliches Volk. Die einzelnen Christen und die Gruppen müssen Christus der Welt zeigen, und zwar durch ihre gründliche Arbeit und ihre berufliche Kompetenz, ihre Opferbereitschaft und ihre Uberzeugungstreue. In einer Demokratie wie Australien ist reichlich Gelegenheit für christliches Wirken. Dies ist ein Segen und ein Recht, das es sorgsam und gewissenhaft auszuüben und zu verteidigen gilt. In den weltlichen Angelegenheiten sind es vor allem die Laien, die für Christus und die christlichen Werte Zeugnis ablegen müssen. Im öffentlichen Leben sind christliche Auffassungen, christlicher Mut und christliches Urteil sehr vonnöten. Im praktischen Urteil kann es manchmal Verschiedenheiten geben, doch sollten politische Meinungen nicht Quelle von Spaltungen innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft werden. Auf dem Gebiet der sozialen Gerechtigkeit findet das priesterliche Volk Gottes viel zu tun. Die Armen und Benachteiligten, die Macht- und Erfolglosen in unserer Konsumgesellschaft, die Arbeitslosen, die Kranken, die Jungen und Alten haben den ersten Anspruch auf die Liebe der christlichen Gemeinschaft. Dann kommt der Ruf der Armen in eurer weiteren Umgebung. Euer Projekt „Compassion“ hat anderen Mitmenschen die notwendige Hilfe in reichem Maß verschafft. Auch bin ich überzeugt, daß es gleichzeitig eure Aufmerksamkeit auf die gegenseitige Abhängigkeit innerhalb des ganzen Volkes Gottes gelenkt hat. Und was ist mit den zahlreichen Formen geistlicher Armut, welche die Konsumgesellschaft bedrücken? Wird die christliche Gemeinschaft unerschütterlich an der Verteidigung von Ehe und Familie festhalten? Das Überleben und das Wohl eurer Gesellschaft hängen davon ab. Wird die christliche Gemeinde das Geschenk des Lebens von der Emp- 971 REISEN fängnis bis zum Augenblick des Todes verteidigen? Nicht die Lebensqualität ist es — so wichtig diese auch sein mag — die das Leben heiligt, sondern die Tatsache unserer Existenz als solcher. Das Leben ist eine Gabe Gottes. Der Mensch ist nur sein Verwalter, innerhalb der von den Plänen des Schöpfers gesetzten Grenzen. Wenn die Verwundbaren und die Schutzlosen nicht sicher sind, dann ist es niemand auf die Dauer. In einer Welt ohne feste moralische Grundsätze, in einer Weithin der alles relativ ist und nur von einzelnen Meinungen oder Standpunkten abhängt, ist kein menschliches Recht sichergestellt. Gott hat uns unseren Verstand und seine geoffenbarte Lehre gegeben, um uns bei der Erkenntnis dieser Wahrheiten und grundsätzlichen Werte behilflich zu sein. Wenn wir sie schlecht auslegen oder ihre Folgen im öffentlichen Leben ignorieren, verraten wir unser christliches Erbe. Mein Besuch soll eine Einladung an die kirchliche Gemeinschaft Australiens und besonders an die Laien darstellen, sich standhaft für Leben und Nächstenliebe, für Wahrheit und Gerechtigkeit sowie für die Würde jedes Menschen einzusetzen. Letzten Endes fordere ich euch damit auf, für Gott einzutreten! Was ich sage, ist dies: „Erkennt: Der Herr allein ist Gott. Er hat uns geschaffen, wir sind sein Eigentum“ (Ps 100,3). Das ist die große Aufgabe des priesterlichen Volkes Gottes. Mein Aufruf gilt besonders der jungen Generation und speziell den jungen Erwachsenen. Die Zukunft jeder Gesellschaft ist ihre Jugend. Die Jugend ist in der Tat der wertvollste Besitz jeder Gesellschaft, und eine Gemeinschaft verfällt, wenn sie keine Kinder möchte, wenn sie die Kinder nicht liebt und achtet. Liebe junge Australier, ich frage euch: Ist in euren Hoffnungen und Bestrebungen für die Zukunft Australiens Platz für Gott? Träumt ihr von einem Australien, wo die Armen und die Unterdrückten, die Benachteiligten und die Einsamen, die geistig Bünden und jene, die um einen Sinn in ihrem Leben ringen, von den Händen eines liebenden Gottes gestützt werden? Und ist es euch klar, daß Gott keine anderen Hände als die euren hat, um sie den Bedürftigen zu reichen? Seid ihr gewillt, die Herausforderung Christi anzunehmen? Sie hat verschiedene Grade, Zuerst sagt er: „Wenn du... das Leben erlangen willst, halte die Gebote“ (Mt 19,17). Auf die offene Frage des jungen Mannes im Evangelium, was er darüber hinaus noch tun kann, antwortet Jesus: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach“ {Mt 19,21). Die Herausforderung, die der Papst an die jungen Menschen von Melbourne, Victoria und Australien richten möchte, ist dieselbe, die Christus 972 REISEN an den jungen Mann richtete. Australien braucht das Zeugnis eures christlichen Lebens. Australien braucht junge Menschen, die in Liebe und Wahrheit leben, die ein keusches Leben führen und für Gottes Plan auf dem Gebiet der menschlichen Liebe in der Ehe Zeugnis ablegen. Australien braucht junge Menschen, die freiwillig die nötigen Opfer auf sich nehmen, um Jesus unmittelbarer nachzufolgen, im Priestertum oder im Ordensleben, in der gottgeweihten Keuschheit, in Armut und Gehorsam. Auf die eine oder andere Weise wird Christus sicher zu euren Herzen sprechen. In der einen oder anderen Form wird er euch zu Opfer und Dienst berufen. Es wurde mir gesagt, daß Melbourne eine bewegte, ideenreiche Stadt ist. Sie stand in vorderster Front, was die Sozialprogramme betrifft, und steht jetzt auf dem Gebiet der Biotechnologie ganz vorne. Deshalb möchte ich hier betonen, daß der Fortschritt nur dann diesen Namen verdient, wenn er das Abbild Gottes im Menschen achtet, jenes Gottes, der sich in der menschlichen Geschichte offenbart hat und der auch offenbart hat, daß die letzte Bedeutung des menschlichen Lebens - jedes menschlichen Lebens - das Einssein mit ihm durch unseren Herrn, Jesus Christus, ist. Ich möchte die in der Wissenschaft tätigen Männer und Frauen bitten, dafür zu sorgen, daß ihre Forschungen und ihr technisches Können wirklich im Dienst der Menschheit stehen und nie zu falschen Götzen werden. Wenn sich die Wissenschaft von ihren moralischen und ethischen Verpflichtungen loslöst, kann sie die Menschheit nie zu einem besseren Leben führen. Die Menschheit hat schon genügend Erfahrung gesammelt, um zu wissen, daß eine solche Wissenschaft nur die wahre Freiheit und Würde der menschlichen Person zerstören kann, der sie doch hätte dienen sollen. Wir wollen heute nochmals das Versprechen hören, das Gott durch den Propheten Ezechiel gemacht hat: „Ich reinige euch... von allen euren Götzen. Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch... Ihr werdet mein Volk sein, und ich werde euer Gott sein“ (Ez 36,25-28). Wir müssen heute auch die Psalmworte wiederholen: „Dient dem Herrn mit Freude! ... Denn der Herr ist gütig, ewig währt seine Huld, von Geschlecht zu Geschlecht seine Treue“ (Ps 100,2,5). Der Herr ist gut! Er ist unser höchstes Gut! Auch die Welt ist gut, die Welt, die uns umgibt, die Welt, wie sie die menschliche Zivilisation aufgebaut hat. Sie ist gut, weil sie uns zu Gott führen kann. Wenn jedoch die Welt den Menschen von Gott wegführt, wenn sie ihn von seiner letzten Bestimmung entfernt, dient sie nicht mehr diesem Zweck, selbst wenn sie 973 REISEN anscheinend Zufriedenheit und Glück bietet. „Gott hat uns geschaffen, wir sind sein Eigentum“ (Ps 100,3). Unsere Aufgabe ist es, ihm mit Freude zu dienen. Dies ist meine Hoffnung für euch alle: eine echte Erneuerung von Geist und Leben. Es ist meine Hoffnung für euch, Bischöfe von Victoria, Priester, Diakone und Seminaristen, die ihr berufen seid, mit der Liebe und Sorge des guten Hirten dem Volk Gottes zu dienen; für euch Ordensmänner und Ordensfrauen, die ihr die bevorzugten Zeugen der Liebe Gottes zu seinem Volk seid; für euch, Laien der Kirche in Victoria, die ihr berufen seid, Christi Reich der Gerechtigkeit, der Wahrheit und der Liebe in diesem gesegneten Land aufzubauen. Möge Maria euch stets Anregung und Vorbild sein. Brüder und Schwestern anderer christlicher Gemeinschaften, Männer und Frauen anderer Religionen und alle Menschen guten Willens, gestattet mir, auch euch in dieses Gebet der Hoffnung und des Segens einzuschließen. Mögt ihr alle, geliebtes Volk von Australien, „dem Herrn dienen mit Freude“ (Ps 100,1). Amen. „Sucht die Wahrheit dort, wo sie wirklich zu finden ist!“ Ansprache an die Vertreter der katholischen höheren Schulen Australiens im Sportzentrum von Melbourne am 28. November Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Es ist mir eine besondere Freude, heute euch, den Vertretern der katholischen höheren Schulen in Australien, und insbesondere dem Rat, dem Lehrkörper und den Studenten des Instituts für Katholische Erziehung zu begegnen. Ich danke euch für den herzlichen Empfang, den ihr mir bereitet habt. Und ich weiß die Gelegenheit hoch zu schätzen, den Leistungen der Kirche in diesem schönen Land auf dem Gebiet der Erziehung meine Anerkennung zu zollen und euch anzuspornen, in dieser lebenswichtigen Arbeit fortzufahren. 974 REISEN Die Kirche hier ist jung. Vom Augenblick ihrer Gründung an war sie äußerst aktiv in der Entwicklung der Organisationen und Strukturen, deren es bedurfte, um eine echte katholische Erziehung für ihr Volk zu gewährleisten und zugleich den Bedürfnissen der australischen Gesellschaft als ganzer zu dienen. Als ich die Geschichte der katholischen Erziehung in diesem Land kennenlernte, kamen mir die Worte des hl. Johannes in den Sinn, der schrieb: „Ich habe mich sehr gefreut, als Brüder kamen, die für deine Treue zur Wahrheit Zeugnis ablegten und berichteten, wie du in der Wahrheit lebst. Ich habe keine größere Freude, als zu hören, daß meine Kinder in der Wahrheit leben“ (3 Joh 3 f.). Viele Jahre lang haben Ordensleute die Mühen und Lasten der Organisation und des Unterrichts auf dem katholischen Erziehungssektor auf sich genommen. In hervorragender Weise begegneten sie der Herausforderung, und die ganze Kirche und die gesamte australische Gesellschaft wird ihnen für immer dafür Dank schulden. Wenngleich ihre Zahl in den letzten Jahren gesunken ist, bete ich inständig darum, daß der Herr in unseren Tagen viele junge Menschen zum Ordensleben berufen möge, damit ihr öffentliches Zeugnis für das Evangelium in unseren Schulen nicht fehlen, sondern in der Tat wachsen und blühen wird. Gerade die Zusammensetzung dieser Versammlung ist ein deutliches Zeichen dafür, daß die Laien Australiens auf den Mangel an katholischen Lehrern in unserer Zeit hochherzig Antwort geben. Es ist wichtig, daran zu erinnern, daß alle Gruppen in der Kirche für die katholische Erziehung verantwortlich sind. Klerus, Ordensleute und Laien müssen alle einen lebendigen Beitrag zu der einen Sendung Christi und der Kirche leisten. Mit Dankbarkeit und Bewunderung anerkenne ich die wachsende führende Rolle, die die Kirche im Bereich des höheren Erziehungswesens in Australien spielt. Das ist sicher großenteils der starken und dynamischen Einheit der katholischen Laien mit dem Klerus und den Ordensleuten in der Verfolgung erzieherischer Zielsetzungen zu verdanken. Ich denke an die besonderen Beiträge der Bischöfe, mancher Priester und Ordensleute, des Vorsitzenden dieses Instituts, Sir Bernard Callinan, der auch Vorsitzender der Nationalen Katholischen Erziehungskommission ist. Doch ich bin mir auch bewußt, daß keine noch so einsatzbereite Einzelperson, keine Gruppe von Priestern, Bischöfen, Ordensleuten oder die Elternschaft in der Lage gewesen wäre, ohne die gemeinsamen Einsichten, die Hochherzigkeit und die Kraft aller Katholiken das alles zu erreichen. Dieser langen Tradition von Einheit und Dienst möchte ich meine Anerkennung aussprechen. Ich bete darum, daß ihr jetzt und in Zukunft alles in eurer Macht Stehende tun werdet, um die australische Tradition 975 REISEN katholischer Erziehung, die nicht nur für die Kirche, sondern für die ganze Gesellschaft Australiens soviel geleistet hat, zu wahren und zu festigen. Ich bete auch dafür, daß mit Ausdauer und gutem Willen alle Schwierigkeiten überwunden werden. Ich freue mich, daß an unserer heutigen Begegnung so viele Angehörige des Instituts für Katholische Erziehung teilnehmen. Dieses Institut spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, den Bedürfnissen der katholischen Gemeinde, besonders in den katholischen Schulen des Staates Victoria, zu dienen und für eine Reihe von Kliniken Krankenschwestern bereitzustellen. Ich befürworte diese hervorragenden Ziele, die dieses Institut verkörpert, und ich danke allen, die in so eifriger Zusammenarbeit diese Ziele zu erreichen suchen. 2. Ich möchte gern besonders zu jenen unter euch sprechen, die am Institut für Katholische Erziehung promovieren werden. Ihr schickt euch an, einen bedeutenden Beruf auszuüben. Was aber noch wichtiger ist: ihr folgt einer christlichen Berufung. Heute habt nicht nur ihr mich voll Herzlichkeit willkommen geheißen, die mich tief bewegt hat; in anderem Sinne heiße auch ich euch willkommen. Ich heiße euch willkommen in jener erlesenen Gruppe, die von der Kirche dazu berufen wird, junge Katholiken im Glauben zu erziehen. Ihr nehmt in ganz besonderer Weise an der Sendung der Kirche teil, die Frohbotschaft vom Heil zu verkünden. Ihr werdet nicht alle Religionsunterricht erteilen, aber wenn ihr dem Lehrkörper einer katholischen Schule angehört, wird erwartet und ist es von höchster Wichtigkeit, daß ihr die gesamte Lehre der Kirche unterstützt und in eurem Alltag von ihr Zeugnis ablegt. Das Leben eines Lehrers stellt, wie ich aus persönlicher Erfahrung weiß, sehr hohe Anforderungen, aber es bietet auch tiefe innere Befriedigung. Es ist viel mehr als Arbeit, denn es ist in unseren tiefsten Überzeugungen und Werten verwurzelt. An der Entwicklung eines jungen Menschen, Hunderter junger Menschen persönlich teilzunehmen, ist eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe. Als Lehrer weckt ihr in euren Studenten den Durst nach Wahrheit und Weisheit. Ihr entzündet in ihnen ein Verlangen nach Schönheit. Ihr führt sie in ihr kulturelles Erbe ein. Ihr seid ihnen behilflich, die Schätze anderer Kulturen und Völker zu entdecken. Über welche ehrfurchtgebietende Verantwortung und welches Vorrecht verfügt ihr doch im Lehrberuf! 3. Doch Lehrer in einer katholischen Schule üben nicht nur einen angesehenen Beruf aus. Natürlich erfordert eure Arbeit Sachkunde, aber sie 976 REISEN erfordert darüber hinaus noch etwas anderes. Euer Beruf als Lehrer umfaßt Aufgaben, die mit eurer Taufe und mit eurer eigenen Glaubensverpflichtung verknüpft sind. Ich wiederhole, ihr nehmt auf ganz besondere Weise an der Sendung der Kirche teil. Unabhängig von eurem Unterrichtsfach gehört es zu eurer Verantwortung, eure Schüler tiefer in das Geheimnis Christi und in die lebendige Überlieferung der Kirche einzuführen. Die Taufe ist ein Ruf Christi, ein Ruf, der unser ganzes Leben, unsere Handlungs- und Denkweise berührt. Sie formt unsere Einstellungen und unser Verhalten. Das wird in der Arbeit eines katholischen Lehrers sehr deutlich sichtbar. Der Einfluß, den ihr auf eure Studenten und besonders auf ihren Glauben an Christus habt, wird von der Vitalität eures eigenen christlichen Lebens und von den Motiven, Einstellungen und Prinzipien abhängen, die euer Verhalten formen. Eure Einstellung gegenüber Christus und eure persönliche Nähe zu ihm sind grundlegend. Aufs engste damit verbunden sind eure Haltung gegenüber der Kirche und euer Bewußtsein, in ihr einen besonderen Auftrag zu haben. Ihr seid nicht isoliert Handelnde in einer unpersönlichen Bürokratie. Ihr seid nicht nur Berufserzieher. Ihr seid dazu berufen, vom Glauben inspirierte Mitarbeiter inmitten der christlichen Gemeinschaft zu sein. Die christliche Haltung erhält besondere Bedeutung, wenn ihr euch so wichtigen Fragen, wie Rechte der Lehrer und akademische Freiheit, stellt. Es ist für katholische Lehrer angemessen, um ihre persönlichen Rechte besorgt zu sein und sich Lehrerverbänden anzuschließen, wenn diese mit den katholischen Erziehungsgrundsätzen im Einklang stehen. Eure persönlichen Rechte und beruflichen Interessen verdienen respektiert zu werden. Gleichzeitig erfordert auch die Verpflichtung, die ihr übernehmt, Respekt, wenn ihr in der katholischen Erziehung dienen wollt und freiwillig den Ruf der Kirche, zu lehren, annehmt. Daher ist für den Lehrer in einer katholischen Schule die Kirche immer mehr als ein bloßer Arbeitgeber. Die Kirche ist der Leib Christi in der Geschichte und führt den Sendungsauftrag ihres Erlösers aus; und ihre Lehrer haben das Vorrecht, an dieser Sendung teilzuhaben. Wie sehr kommt es nun darauf an, daß jeder Lehrer und alle Lehrer zusammen in der Kirche einträchtig miteinander an der großen Aufgabe der katholischen Erziehung arbeiten. Diese Zusammenarbeit wird immer Hochherzigkeit und Selbsthingabe verlangen. 4. Entscheidend für den Erfolg katholischer Erziehung ist nicht nur das Verhalten der Lehrer, sondern auch das Verhalten der katholischen 977 REISEN Eltern. Eltern müssen sich selbst sehr klare Prioritäten setzen, wie zum Beispiel die Entschlossenheit, Schulen zu haben, in denen der Glaube ihrer Kinder respektiert, gepflegt und bereichert wird; Schulen, in denen ihre Kinder den Wert und die Schönheit der Lehre der Kirche kennenlernen. Sie müssen auch darauf achten, daß ihre Häuser Orte sind, wo diese Werte zuallererst gepflegt und gelebt werden. Grundlegend ist natürlich die eigene Glaubenspraxis der Eltern, ihre Liebe zu Christus. Katholische Eltern in Australien haben jahrelang an diesen Prioritäten festgehalten. Das ist der Grund, warum die katholischen Schulen auch nach Einstellung der Finanzierung von seiten des Staates nach 1880 weiterfunktionierten. Sie haben sogar noch weitere Verbreitung im ganzen Land gefunden. Dies gelang durch die starke Führung der Bischöfe und des Klerus, zusammen mit der Hochherzigkeit einer großen Zahl von Ordensleuten, die vor allem aus Irland und anderen Teilen Europas kamen. Aber es gelang auch, weil Eltern für ihre Kinder eine solide katholische Erziehung wünschten und bereit waren, große Opfer dafür zu bringen. Nach achtzig Jahren erkannten die Regierungen das Prinzip des Rechtes der Eltern an, die Schulen für ihre Kinder zu wählen und vom Staat einen Zuschuß für die Finanzierung dieser Schulen zu erhalten. Trotz des zahlenmäßigen Rückgangs der Ordensleute in den Lehrkörpern ist das katholische Erziehungssystem weiter im Wachsen begriffen. Die Eltern wollen und brauchen es noch. Hs hat sich eine solide Tradition herausgebildet. Ihr habt euch die Worte des Zweiten Vatikanischen Konzils tatsächlich zu Herzen genommen, die. lauten: „Die katholischen Eltern erinnert sie (= die Heilige Synode) an ihre Pflicht, ihre Kinder, wann und wo sie die Möglichkeit haben, katholischen Schulen anzuvertrauen, diese nach Kräften zu unterstützen und mit ihnen zum Wohle ihrer Kinder zusammenzuarbeiten“ (GE 8). 5. Die Pfarrgrundschule, wo jüngere Kinder ihren ersten Glaubensunterricht erhalten, bleibt ein Eckpfeiler der pastoralen Sorge für die Katholiken Australiens. Hier gibt die Glaubensgemeinschaft die zeitlose Botschaft Jesu Christi an ihre jüngsten Mitglieder weiter. Schwierigeren Herausforderungen begegnet die katholische höhere Schule. Hier muß man den Schülern dabei behilflich sein, zu jener Integration von Glauben und authentischer Kultur zu gelangen, die für Glaubende in der heutigen Welt notwendig ist. Aber man muß ihnen auch behilflich sein, falsche kulturelle Werte, die im Widerspruch zum Evangelium stehen, zu erkennen und abzulehnen. 978 REISEN Beide, Grund- und höhere Schulen, müssen eng mit der Familie und der Pfarrei Zusammenarbeiten, wenn sie die christliche Bildung und Formung der Schüler fördern sollen. Das ist eine edle Aufgabe, an der Eltern, Lehrer und Klerus mitarbeiten. Die Eltern müssen durch Gruppen, z.B. Elternvereinigungen, und durch andere Mittel mit der Erziehung ihrer Kinder in enger Verbindung bleiben. Und eben weil die Lehrer die Eltern vertreten, müssen sie sich der Grenzen ihrer Einflußnahme auf die Schüler bewußt sein und-müssen einträchtig mit den Eltern Zusammenarbeiten. Erfolg auf diesem Gebiet bedeutet mehr pflichtbewußte Mitglieder von Gesellschaft und Kirche, mehr junge Männer und Frauen, die zutiefst Christus verpflichtet sind. In welchem Maße die katholischen Schulen zur ständigen Erneuerung der Kirche beitragen, hängt davon ab, wie erfolgreich sie die ständige Bekehrung des Herzens fördern. 6. Und nun erlaubt mir, noch einige Worte zu den hier anwesenden Schülern der höheren Schule zu sagen. Liebe Studenten! Aus dem von mir Gesagten und aus eurer eigenen Erfahrung wißt ihr, wie nachdrücklich die Kirche versucht, euch eine katholische Erziehung zu geben. Die Kirche will euch einen großen Schatz anvertrauen, der das Geheimnis Christi und seines Evangeliums ist. Schon oft habe ich zu jungen Menschen mit Worten wie diesen gesprochen: „Liebe junge Freunde! Laßt nicht zu, daß euch dieser Reichtum geraubt wird! . . . Die Liebe ,freut sich an der Wahrheit“. Sucht diese Wahrheit dort, wo sie wirklich zu finden ist! Wenn es notwendig ist, seid entschlossen, gegen den Strom der gängigen Meinungen und Schlagworte anzugehen! Habt keine Angst vor der Liebe, die dem Menschen bestimmte Forderungen stellt. Diese Forderungen, wie ihr sie in der ständigen Lehre der Kirche findet, sind gerade geeignet, eure Liebe zu einer wahren Liebe zu machen“ (Apostolisches Schreiben An die Jugendlichen der Welt, Palmsonntag 1985, Nr. 10: O.R., dt, 29. 3. 1985, 8). Denkt daran, daß die Wahrheit zu Christus führt, denn er allein ist „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Euch allen, Lehrern, Verwaltungsbeamten und Studenten, sage ich mit dem hl. Paulus: „Macht meine Freude dadurch vollkommen, daß ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig“ (Phil 2,2). Unser Herr Jesus Christus schenke euch Wahrheit und Weisheit! Er erfülle eure Herzen mit seiner Liebe! 979 REISEN Die Missionare durch unser Gebet unterstützen Predigt bei der Messe in Darwin am 29. November „Die Völker werden erkennen, daß ich der Herr bin“ (Ez 36,38). Liebe Brüder und Schwestern! 1. Diese Worte des Herrn, die er durch den Propheten Ezechiel gesprochen hat, haben sich in allen Teilen der Welt erfüllt: „Die Völker werden erkennen, daß ich der Herr bin.“ Überall verehren die Menschen Gott und nennen ihn „Vater“, wie Jesus Christus es uns lehrte. Nach dem Tod und der Auferstehung Christi nahm das Wort von Jerusalem seinen Ausgang und, von den Aposteln und den ersten christlichen Gemeinden getragen, erreichte die Frohe Botschaft von der Erlösung in Christus die abgelegensten Teile der Welt. Liebe Bewohner von Darwin, auch hier im Bundesstaat Northern Territory ist das Wort verkündet worden, und wir sind hier nun versammelt, um es sakramental in der Eucharistie, die das Opfer von Christi Leib und Blut ist, zu feiern und zu verkünden. Ich danke Gott, der mir diesen Besuch ermöglicht hat. Heute beginne ich zu begreifen, wie wahrhaft ausgedehnt euer Land ist: von Melbourne bis Darwin und von hier nach Alice Springs und Adelaide — all das am gleichen Tag. Der Papst ist endlich angekommen und möchte jeden von euch in der Liebe Christi grüßen. Ich begrüße Bischof Collins, den Bischof dieser Diözese, sowie die anderen hier anwesenden Bischöfe, die Priester, Ordensleute und Laien, die hier versammelt sind; die Jungen und die Alten, die Kinder und besonders die Kranken; alle aus Darwin, von Bathurst Island, Melville Island, Port Keats und Daly River, aus Katherine und aus all den kleinen Städten und Gemeinden rings um Darwin. Ich danke den Mitgliedern der anderen christlichen Gemeinschaften, die diesen Augenblick mit der katholischen Gemeinde teilen wollten. Es ist mein Trost, zu erkennen, daß der Geist christlicher Gemeinschaft unter euch stark ist. In meinen Gruß schließe ich ferner die offiziellen Vertreter des Staates und der lokalen Verwaltung ein. 2. Als Nachfolger Petri bin ich in dem Glauben zu euch gekommen, zu dem sich der hl.Petrus in Caesarea Philippi bekannte, als er zu Jesus sagte: 980 REISEN „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ {Mt 16,16). Ja, die Botschaft, die ich euch bringe, ich keine andere als die, welche die Kirche schon immer verkündet hat: Unser Heil liegt in Jesus Christus; er ist „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Es ist fast zweihundert Jahre her, daß das Evangelium auf diesem Kontinent zum ersten Mal verkündet wurde. Wegen der damaligen politischen Verhältnisse blieben die katholischen Laien nach der Gründung der ersten Kolonie in Sydney beinahe fünfzehn Jahre lang ohne priesterliche Betreuung. Eine weitere ungefähr gleich lange Zeit wurden sie in unregelmäßigen Abständen von Priestern betreut, denen dies zeitweise erlaubt war. Gegenwärtig bereitet sich die Kirche auf der ganzen Welt auf die nächste Bischofssynode vor und befaßt sich mit Überlegungen über die Sendung der Laien. Deshalb ist es besonders angebracht, der ersten katholischen Laien am Beginn der Kirche hier in Australien zu gedenken. Wir werden daran erinnert, daß die Verantwortung für die Kirche und ihre Evangelisierungsaufgabe nicht nur bei den Bischöfen, Priestern und Ordensleuten liegt. Sie liegt bei der gesamten Gemeinde. Als die ersten Priester, Brüder und Schwestern in dieses Land kamen, kannten sie die Gefahren, die sie erwarteten, kaum. In den meisten Fällen hatten sie keine Hoffnung, ihr Vaterland und ihre Landsleute jemals wiederzusehen. Auf die Frage, warum sie ein Leben in einer derartigen Unsicherheit und Härte wählten, können wir nur antworten, daß sie von einer innigen Liebe zu Jesus Christus und zu ihren Mitmenschen getrieben wurden. Mit ihrem Kommen gaben sie Antwort auf die ausdrückliche Aufforderung Jesu an seine Jünger: „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ {Mk 16,15). Sie waren von großem Missionseifer erfüllt. 3. Hier in Darwin, und darüber bin ich sehr erfreut, gilt meine Hochachtung besonders den Missionskongregationen, die während all der Jahre ihre Mitglieder für den Dienst an den Ortskirchen in den weit abgelegenen Teilen dieses Kontinents freigestellt haben: die Missionsschwestern vom Heiligsten Herzen, die Gesellschaft für das katholische Apostolat, die Töchter unserer Lieben Frau vom Heiligsten Herzen und so viele andere. Auch die Kirche Australiens hat ihrerseits lebendigen missionarischen Geist bekundet. Töchter und Söhne Australiens verließen ihr eigenes Land, um das Evangelium in Papua-Neuguinea und Indonesien, auf den Pazifischen Inseln und in anderen Ländern zu verkünden. In dieser Stadt, die von den großen Städten und Zivilisationen Ostasiens weniger entfernt ist als von Sydney oder Melbourne, lade ich die gesamte 981 REISEN australische Kirche ein, an die missionarische Herausforderung zu denken, die zuerst im Gebet besteht: „Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden (Mt 9,38). In der Kirche ist besonders Bedarf an solchen, die bereit sind, im Namen Jesu zu anderen Gemeinden und in andere Länder zu gehen. Diese Priester, Ordensleute und Laien stellen ihre Begabung, ihre Energien und vor allem ihren Glauben in den Dienst eines Volkes, das nicht das ihre ist. Sie folgen der ruhmreichen Tradition der großen Heiligen Paulus* Augustinus von Canterbury, Patrick und Franz Xaver. Die Missionare von heute verdienen Unterstützung durch unser Gebet, unser Interesse und unsere materielle Hilfe. Es gibt noch so viel zu tun! Zwei Jahrtausende nach dem Kommen Christi haben über zwei Drittel der Menschheit die Botschaft des Evangeliums noch nicht gehört. Herzlich danke ich den Päpstlichen Missionswerken für die in Australien geleistete Arbeit und allen, die diese Arbeit in allen Teilen des Landes großzügig unterstützt haben. Die Päpstlichen Missionswerke sind das offizielle Organ zur Förderung der Missionsarbeit der Kirche überall auf der Welt. Sie sind das Mittel, durch das der Papst universalen Dienst der Evangelisierung zu leisten sucht, der ja eine besondere Verantwortung des Stuhles Petri bildet. 4. Die ganze Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch (vgl. AG 2). Das Zweite Vatikanische Konzil erinnert uns in der Tat daran: „Jedem Jünger Christi obliegt die Pflicht, ... den Glauben auszusäen“ (LG 17). Die Ortskirchen müssen - im gegenwärtigen kulturellen Klima und mit besonderer Rücksicht auf die spirituellen Bedürfnisse Australiens - auf eine Erneuerung des geistlichen Strebens und der missionarischen Bemühungen hinarbeiten. Die moderne Welt ist von einem intensiven, wenn auch oft unklaren Durst nach Gott gekennzeichnet. Besonders die Jugend verlangt nach der befreienden Wahrheit der Botschaft Christi und nach dem Lebensprogramm, das diese Botschaft verkörpert. Das heutige Evangelium gibt davon eine beredte Zusammenfassung. „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig, die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. 982 REISEN Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.“ (Mt 5,3-10). Die gesamte Kirche, das heißt jedes ihrer Glieder, muß diese Botschaft verkünden und ein echtes Zeugnis für ihre Wahrhaftigkeit und Schönheit ablegen. Die Seligpreisungen sind der Weg zum Leben. Sie enthüllen das letzte Schicksal des Menschen und den wirklichen Sinn seiner Existenz. Sie bauen die Gemeinschaft in Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe auf. Die menschlichen und spirituellen Bedürfnisse Austraüens sollten die australischen Christen veranlassen, die Herausforderung zur Befolgung der Seligpreisungen noch ernster zu nehmen, und dadurch immer mehr zum „Salz der Erde“ und zum „Licht der Welt“ (Mt 5,13.16) zu werden. Heute gibt es in Australien, ebenso wie in vielen anderen Ländern, noch Menschen, welche die Botschaft des Evangeliums vom Leben und der Erlösung in Christus zum ersten Mal vernehmen müssen. Andere wiederum haben ein sehr beschränktes und schwaches Verständnis vom Glauben, den sie bekennen. Dies fällt besonders auf, wenn wir sehen, wie wenig Einfluß die moralischen Werte des Evangeliums auf manche Leute ausüben, was ihr persönliches, familiäres und öffentüches Leben betrifft. Hier besteht ein echtes Bedürfnis nach einer zweiten Evangelisierung und dies erfordert aktive und verantwortliche Zusammenarbeit aller Glieder der kirchlichen Gemeinschaft. Besonders die Laien müssen die Botschaft des Evangeliums in ihrer Tätigkeit in den weltlichen Bereichen vergegenwärtigen. 6. Brüder und Schwestern, ich möchte euch und die gesamte Kirche Australiens ermutigen, dem Rechnung zu tragen, was die moderne Welt nötig hat. Die Menschen werden sich bereits bewußt, daß der materielle Fortschritt allein keine Erfüllung bringt. Sie haben ein verzweifeltes Bedürfnis nach der Wahrheit, die sie befreit. Jesus sagte: „Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger. Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,3lf.). Ihr habt diese Wahrheit in euch, wenn Jesus Christus in eurem Leben gegenwärtig ist. In diesem Teil des Bundesstaates Northern Territory, ebenso wie anderswo, müssen die tiefergehenden Fragen des menschlichen Geistes angepackt und gelöst werden. Ich rufe euch auf, Gleichgültigkeit und Apathie zu überwinden und die vielen natürlichen Reserven und Gaben, mit denen der Schöpfer euer Land reich gesegnet hat, in kluger und verantwortlicher Weise zu nutzen. Dient dem Herrn mit Freude! Möge die christliche Gemeinde von Northern Territory in Glauben und 983 REISEN Liebe vereint sein. Möge jeder von euch für andere ein Missionar des Friedens und der Versöhnung Christi sein. Den Kindern und der Jugend möchte ich folgendes sagen: auch ihr seid euch gegenseitig Missionare. Seid stark im Glauben und immer bereit, den Glauben mit anderen zu teilen, durch euer Gebet, eure Worte und das Beispiel eures Lebens. Möge Maria, die Hilfe der Christen und Schutzherrin von Australien, euch alle - die Bewohner von Darwin und Northern Territory - zu ihrem Sohn, Jesus Christus, führen. In seinem Namen wird alle Missionsarbeit getan. Durch die Macht seines Evangeliums gelangt das Heil bis zu den Enden der Erde (vgl. Apg 13,47). Gelobt sei Jesus Christus, der Erlöser der Welt! Amen. Neuen Mut und neue Hoffnung fassen Ansprache bei der Begegnung mit den Ureinwohnern Austraüens in Alice Springs am 29. November 1986 Liebe Brüder und Schwestern! Es bereitet mir große Freude, heute hier in Alice Springs zu sein und mit so vielen von euch Ureinwohnern Australiens und Inselbewohnern der Torres-Straße zusammenzutreffen. Ich möchte euch gleich sagen, wie sehr die Kirche euch schätzt und liebt und wie sehr es ihr Wunsch ist, euch in euren geistlichen und materiellen Bedürfnissen zu unterstützen. 1. Als am Anfang der Zeiten Gottes Geist über den Wassern schwebte, begann er etwas von seiner Güte und Schönheit der ganzen Schöpfung mitzuteilen. Als Gott dann den Menschen, Mann und Frau, schuf, gab er ihnen die Güter der Erde zu ihrem Gebrauch und Nutzen; und er legte in ihre Herzen Fähigkeiten und Kräfte, die seine Gaben waren. Und allen Menschen aller Zeiten hat Gott die Sehnsucht nach ihm eingegeben, eine Sehnsucht, der die verschiedenen Kulturen in ihrer eigenen Weise Ausdruck zu verleihen suchten. 2. Als sich die Menschheit über die Erdoberfläche verteilte, siedelte und lebte euer Volk in diesem riesigen, von allen anderen weit abgelegenen 984 REISEN Land. Andere Völker wußten nicht einmal, daß dieses Land hier war; sie wußten nur, daß es irgendwo in den südlichen Weltmeeren das „Große Südland des Heiligen Geistes“ gab. Aber Jahrtausende habt ihr in diesem Land gelebt und eine Kultur gestaltet, die bis zum heutigen Tag fortbesteht. Und während dieser ganzen Zeit war der Geist Gottes mit euch. Euer „ahnungsvolles Träumen“, das euer Leben so stark beeinflußt, daß ihr, was auch geschehen mag, immer Menschen eurer Kultur bleibt, ist eure Art und Weise, dem Geheimnis des Geistes Gottes in euch und in der Schöpfung näherzukommen. Ihr müßt euer Streben nach Gott fortsetzen und in eurem Leben daran festhalten. 3. Die Felsmalereien und die aufgefundenen Zeugnisse eurer alten Werkzeuge und Geräte weisen auf das Vorhandensein einer uralten Kultur hin und sind ein Beweis für eure Inbesitznahme dieses Landes in alter Zeit. Eure Kultur, die die unvergängliche Eigenart und Würde eurer Rasse deutlich macht, darf nicht dem Untergang preisgegeben werden. Glaubt nicht, daß eure Gaben so wenig wert sind, daß ihr euch nicht länger um ihre Erhaltung bemühen solltet. Teilt sie miteinander und bringt sie euren Kindern bei. Eure Gesänge, eure Geschichten, eure Malereien, eure Tänze, eure Sprachen dürfen niemals verloren gehen! Erinnert ihr euch vielleicht an die Worte, die Paul VI. während seines Besuches im Jahr 1970 zu den Ureinwohnern sprach? Er sagte: „Wir wissen, daß ihr einen Lebensstil habt, der ganz eurer ethnischen Veranlagung bzw. eurer Kultur entspricht - einer Kultur, die die Kirche respektiert und die aufzugeben sie keineswegs von euch verlangt . . . Die Gesellschaft wird durch das Bestehen verschiedener kultureller und ethnischer Elemente bereichert. Für uns seid ihr und die von euch vertretenen Werte kostbar. Wir haben tiefe Achtung vor eurer Würde und betonen nochmals unsere tiefe Liebe zu euch“ (Paul VI. in Sydney am 2. Dezember 1970). 4. Über Jahrtausende konnte eure Kultur frei und ungestört vom Eingreifen von Menschen und Völkern anderer Zonen wachsen. Ihr habt euer Leben in enger geistiger Nähe zum Land mit seinen Tieren, Vögeln, Fischen, Wasserquellen, Flüssen, Hügeln und Bergen gelebt. Eure Nähe zum Land hat euch in Berührung gebracht mit der Heiligkeit der Beziehung des Menschen zu Gott, denn das Land war der Beweis für eine Macht im Leben, die größer ist als ihr. Ihr habt dem Land keinen Schaden zugefügt, habt es nicht ausgebeutet und mißbraucht, um es dann zu 985 REISEN verlassen. Ihr habt erkannt, daß euer Land mit der Quelle des Lebens verbunden war. Die Stille des Waldes lehrte euch eine Seelenruhe, die euch mit einer anderen Welt, der Welt des Geistes Gottes in Berührung brachte. Eure sorgfältige Beachtung verwandtschaftlicher Bande bis in ihre Einzelheiten bewies eure Ehrfurcht vor Geburt, Leben und menschlicher Fortpflanzung. Ihr wußtet, daß Kinder Liebe brauchen, daß Freude sie erfüllen muß. Sie brauchen Zeit zum fröhlichen Heranwachsen und zum Spielen, in dem sicheren Bewußtsein, daß sie zu ihrem Volk gehören. Ihr hattet großen Respekt vor dem Bedürfnis der Menschen nach einem Gesetz, das ihnen Führer sein soll, um in Gerechtigkeit miteinander zu leben. So schuft ihr ein - zweifellos sehr strenges - Rechtssystem, das aber ganz dem Land angepaßt ist, in dem ihr euer Leben lebt. Dieses Rechtssystem hat eurer Gesellschaft ihre Ordnung gegeben. Und das war auch einer der Gründe für euer Überleben in diesem Land. Das Heranwachsen eurer jungen Männer und Frauen habt ihr mit Zeremonien der Disziplin gekennzeichnet, die sie Verantwortung lehren sollten, wenn sie zur Reife gelangten. Diese Leistungen sind Hinweise auf menschliches Streben. Und in diesen Bestrebungen habt ihr eine Würde bewiesen, die offen ist für die Botschaft von der Weisheit Gottes, die allen Menschen offenbart wurde: die große Wahrheit des Evangeliums von Jesus Christus. 5. Manche Geschichten aus euren „Traumzeit“-Legenden sprechen eindrucksvoll von den großen Geheimnissen des menschlichen Lebens, von seiner Schwachheit, seiner Hilfsbedürftigkeit, seiner Nähe zu geistigen Mächten und vom Wert der menschlichen Person. Sie sind manchen der großen inspirierten Lehren des Volkes, in dem Jesus geboren wurde, nicht unähnlich. Es ist wunderbar zu sehen, wie Menschen, wenn sie das Evangelium Jesu annehmen, Elemente der Übereinstimmung zwischen ihren eigenen Traditionen und denen Jesu und seines Volkes entdecken. 6. Die Kultur, die dieses lange und sorgfältige Wachstum hervorbrachte, war nicht vorbereitet auf die unvorhergesehene Begegnung mit einem anderen Volk, von ganz verschiedenen Bräuchen und Traditionen, das vor nunmehr zweihundert Jahren in euer Land kam. Diese Menschen unterschieden sich von den Ureinwohnern. Ihre Traditionen, die Art, wie sie ihr Leben organisierten, und ihr Verhalten gegenüber dem Land waren euch völlig fremd. Auch ihr Gesetz war ganz anders. Diese Menschen 986 REISEN besaßen Wissen, Geld und Macht und sie brachten einige Verhaltensweisen mit, vor denen sich die Ureinwohner nicht schützen konnten. 7. Die Auswirkungen mancher dieser Kräfte sind noch heute unter euch im Gang. Viele von euch wurden aus ihren traditionellen Landgebieten vertrieben und von ihren Stammesgewohnheiten getrennt; wenn auch manche von euch noch ihre herkömmliche Kultur bewahrt haben. Einige von euch richten in den Städten und Dörfern Gemeinden für Ureinwohner ein. Für andere aber gibt es noch keinen richtigen Platz, um Lagerfeuer zu entzünden und Sippenbräuche zu pflegen, außer am Rand der Dörfer. Dort aber ist kaum Arbeit zu finden, und die Erziehung in einer ganz anderen kulturellen Umgebung ist schwierig. Diskriminierung aus rassischen Gründen gehört zur täglichen Erfahrung. Ihr habt zu überleben gelernt, sowohl auf eurem eigenen Grund und Boden als auch verstreut in den Städten und Dörfern. Wenn eure Schwierigkeiten auch noch keineswegs behoben sind, müßt ihr lernen, aus jener Ausdauer zu schöpfen, die eure alten Zeremonien euch gelehrt haben. Ausdauer bringt Geduld mit sich; Geduld aber hilft euch, euren Weg zu finden, und gibt euch Mut, ihn auch tatsächlich zu gehen. 8. Faßt Mut aus der Tatsache, daß viele eurer Sprachen noch heute gesprochen werden und daß ihr noch eure alte Kultur besitzt. Ihr habt euch euren Sinn für Brüderlichkeit bewahrt. Wenn ihr eng vereint bleibt, seid ihr wie ein Baum mitten in einem Waldbrand, der durch den Busch fegt. Die Blätter werden versengt und die dicke Rinde bekommt Sprünge und verbrennt; aber im Inneren des Baumes fließt noch der Lebenssaft, und die Wurzeln unter der Erde sind noch stark. Wie jener Baum habt ihr die Flammen überstanden und besitzt noch die Kraft wiedergeboren zu werden. Die Zeit für diese Wiedergeburt ist jetzt gekommen! 9. Wir wissen, daß während der letzten zweihundert Jahre bestimmte Menschen versuchten, euch zu verstehen, etwas über euch zu erfahren, eure Gewohnheiten zu respektieren und euch als Menschen zu würdigen. Diese Männer und Frauen unterschieden sich, wie ihr bald erkannt habt, von anderen Angehörigen ihrer Rasse. Sie liebten die eingeborene Bevölkerung und kümmerten sich um sie. Sie begannen, ihre Geschichten über Gott mit euch zu teilen, halfen euch, mit Krankheiten fertig zu werden, bemühten sich, euch vor schlechter Behandlung zu schützen. Sie meinten es ehrlich mit euch und bewiesen euch durch ihr Leben, daß sie versuchten, die Übel in ihrer eigenen Kultur zu vermeiden. Diese Menschen 987 REISEN waren nicht immer erfolgreich, und es gab Zeiten, in denen sie euch nicht ganz verstanden haben. Aber sie bewiesen euch guten Willen und Freundschaft. Sie kamen aus vielen verschiedenen Schichten der Gesellschaft. Einige waren Lehrer und Ärzte oder übten andere Berufe aus; manche kamen aus dem einfachen Volk. Die Geschichte wird sich des guten Beispiels ihrer Nächstenliebe und brüderlichen Solidarität erinnern. Unter denen, die die eingeborene. Bevölkerung geliebt und für sie Sorge getragen haben, gedenken wir mit tiefer Dankbarkeit der Missionare des christlichen Glaubens. Mit unermeßlicher Hochherzigkeit stellten sie ihr Leben in den Dienst an euch und euren Vorfahren. Sie halfen bei der Unterrichtung der Ureinwohner und boten ihnen gesundheitliche Betreuung und soziale Dienste an. Bei all ihrer menschlichen Schwachheit und trotz der von ihnen begangenen Fehler wird nichts je die Tiefe ihrer Nächstenliebe herabsetzen können. Nichts wird je ihrem größten Beitrag Abbruch tun können, nämlich daß sie euch Jesus Christus verkündet und seine Kirche unter euch errichtet haben. 10. Seit den frühesten Zeiten sind Männer wie Erzbischof Polding von Sydney der Rechtsfiktion entgegengetreten, die die europäischen Siedler sich zu eigen machten, nämlich, daß dieses Land „terra nullius“ - niemandes Land sei. Er plädierte nachdrücklich für die Rechte der Ureinwohner, ihre herkömmlichen Gebiete zu behalten, von denen ihre ganze Gesellschaft abhängig war. Die Kirche unterstützt euch darin noch heute. Laßt nicht zu, daß behauptet wird, die gerechte Anerkennung der Rechte der Ureinwohner auf Land sei Diskriminierung. Die Forderung nach Anerkennung der Bodenrechte eines Volkes, das auf diese Rechte ja nie verzichtet hat, ist nicht Diskriminierung. Was geschehen ist, kann natürlich nicht ungeschehen gemacht werden. Aber was heute getan werden kann, um die Taten von gestern zu heilen, darf nicht auf morgen verschoben werden. Christen guten Willens sind betrübt, wenn sie - manche von ihnen erst vor kurzem - feststellen, wie lange Zeit Ureinwohner von ihren Heimatgebieten in kleine Gebiete oder Reservate deportiert worden sind, wobei Familien auseinandergerissen, Stämme zersplittert, Kinder zu Waisen gemacht und Menschen gezwungen wurden, wie Verbannte in einem fremden Land zu leben. Die Reservate bestehen noch heute und erfordern eine richtige und angemessene Besiedlung, die noch immer nicht verwirklicht ist. Die städtischen Probleme, die durch die Umsiedlung und Trennung von Menschen hervorgerufen wurden, müssen noch angepackt werden, damit 988 REISEN diese Menschen noch einmal miteinander ein neues Leben beginnen können. 11. Die Einrichtung einer neuen Gesellschaft für die Urbevölkerung kann nicht vorankommen ohne gerechte und gegenseitig anerkannte Übereinkünfte hinsichtlich dieser menschlichen Probleme, auch wenn deren Ursachen in der Vergangenheit liegen. Der höchste Wert, der durch solche Übereinkünfte - die ohne die Hervorrufung neuen Unrechts erfüllt werden müssen — erreicht werden soll, ist die Achtung der Würde und des Wachstums der menschlichen Person. Und ihr, die Urbevölkerung dieses Landes und seiner Städte und Dörfer, müßt zeigen, daß ihr aktiv für die Würde eures Lebens arbeitet. Ihr müßt eurerseits beweisen, daß auch ihr erhobenen Hauptes zu gehen und den Respekt zu fordern imstande seid, den sich jeder Mensch von der übrigen Menschheitsfamilie erwartet. 12. Das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus spricht alle Sprachen. Es achtet und umfängt alle Kulturen. Es unterstützt sie in allen menschlichen Anliegen und reinigt sie, wenn nötig. Immer und überall erhebt und bereichert das Evangelium die Kulturen mit der geoffenbarten Botschaft von einem liebenden und barmherzigen Gott. Dieses Evangelium lädt nun euch ein, voll und ganz christliche Ureinwohner zu werden. Es kommt euren tiefsten Sehnsüchten entgegen. Ihr sollt nicht ein in zwei Teile gespaltenes Volk sein, so als müßte ein Ureinwohner sich den Glauben und das Leben des Christseins wie einen Hut oder ein paar Schuhe von irgend jemandem borgen, der sie besitzt. Jesus ruft euch dazu auf, seine Worte und seine Werte in eure eigene Kultur aufzunehmen. Eine solche Entwicklung wird euch mehr denn je zu wahren Ureinwohnern machen. Die alten Lebensformen können aus dem Evangelium neues Leben und neue Kraft schöpfen. Die Botschaft von Jesus Christus kann euer Leben zu neuen Höhen erheben, alle eure positiven Werte stärken und viele neue hinzufügen, die nur das Evangelium in seiner Ursprünglichkeit vorschlägt. Nehmt dieses Evangelium in eure eigene Sprache und Sprechweise hinein; laßt seinen Geist eure Gemeinden durchdringen und euer gegenseitiges Verhalten bestimmen; laßt es euren Geschichten und Zeremonien neue Kraft zuführen. Laßt das Evangelium in eure Herzen einkehren und euer persönliches Leben erneuern. Die Kirche lädt euch ein, das lebendige Wort Jesu so auszudrücken, daß es eure Mentalität und eure Herzen als Ureinwohner anspricht. Überall auf der Welt verehren Menschen Gott, beten zu ihm und lesen sein Wort in ihrer eigenen 989 REISEN Sprache und versehen die großen religiösen Zeichen und Symbole mit Zügen ihrer eigenen Traditionen. Warum solltet ihr euch von ihnen diesbezüglich unterscheiden? Warum sollte euch nicht das Glück gewährt werden, nach Art der Ureinwohner mit Gott und untereinander zu sein? 13. Wenn ihr das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus hört, sucht das Beste aus euren traditionellen Gewohnheiten aus. Dabei werdet ihr immer mehr eure große menschliche und christliche Würde erkennen. Laßt eure Herzen und Sinne stärken, um jetzt ein neues Leben zu beginnen. Frühere Schäden können nicht durch Gewalt geheilt werden, noch lassen sich die bestehenden Ungerechtigkeiten durch Ressentiments beseitigen. Euer christlicher Glaube ruft euch auf, die besten Ureinwohner zu werden, die ihr nur werden könnt. Das ist nur möglich, wenn Versöhnung und Vergebung einen Teil eures Lebens bilden. Nur dann werdet ihr das Glück erlangen. Nur dann werdet ihr allen euren Brüdern und Schwestern in dieser großen Nation euren besten Beitrag leisten. Ihr seid ein Teil Australiens, und Australien ist ein Teil von euch. Und die Kirche in Australien wird so lang nicht voll und ganz die Kirche sein, wie Jesus sie wünscht, bis ihr euren Beitrag zu ihrem Leben geleistet habt und bis dieser Beitrag von den anderen freudig angenommen werden wird. In der neuen Welt, die für euch im Entstehen begriffen ist, seid ihr auf gerufen, ein im Vollsinn menschliches und christliches Leben zu leben und nicht vor Scham und Sorge zu sterben. Aber ihr wißt, daß ihr für die Erfüllung eurer Rolle ein neues Herz braucht. Ihr werdet bereits Mut in euch aufsteigen fühlen, wenn ihr Gott mit den folgenden Worten der Propheten zu euch sprechen hört: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich befreit, ich habe dich beim Namen gerufen, du bist mein. Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir“ (Jes 43,1.5) Und: „Ich hole euch heraus . . ., ich sammle euch . . . und bringe euch in euer Land . . . Ich schenke euch ein neues Herz und gebe euch einen neuen Geist. . . Ihr werdet mein Volk sein, und ich werde euer Gott sein“ (Ez 36,24.26.28). 14. Mit euch freue ich mich in der Hoffnung auf Gottes Geschenk der Heilsrettung, das hier und jetzt seinen Anfang nimmt und das auch davon abhängt, wie wir uns im Umgang miteinander verhalten, womit wir uns abfinden, was wir tun, wie wir Gott verehren und alle Menschen lieben. Liebe Ureinwohner! Für euch ist die Stunde gekommen, neuen Mut und neue Hoffnung zu fassen. Ihr seid aufgerufen, euch der Vergangenheit zu erinnern, euren wertvollen Traditionen treu zu bleiben und eure leben- 990 REISEN dige Kultur anzupassen, wenn immer dies von euren und den Bedürfnissen eures Volkes gefordert erscheint. Vor allem seid ihr aufgerufen, eure Herzen immer mehr zu öffnen für die trostbringende, reinigende und erhebende Botschaft von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der gestorben ist, damit wir das Leben haben und es in Fülle haben (vgl. Joh 10,10). Den Hunger in der Welt beseitigen Ansprache während der Begegnung mit den Bauern Australiens in Adelaide am 30. November 1. Es bedeutet eine große Freude für mich, mit Vertretern des ländlichen Australiens zum Gebet zusammenzutreffen. Die mit Land-, Weide- und Forstwirtschaft, Fischerei, und allen anderen Arten der Landbestellung befaßten Menschen machen einen wesentlichen Teil des australischen Lebens aus. Es stimmt in der Tat, daß alle eure Mitbürger von euch abhängen, was Lebensmittel und viele andere, von Wasser, Sonne und Erde hervorgebrachten Erzeugnisse betrifft. Tatsächlich verlassen sich viele Menschen, auch noch über diesen Kontinent hinaus, auf euer hochherziges Bemühen um die Beschaffung des Lebensnotwendigen. Daher wäre meine Reise in euer Land unvollständig gewesen ohne ein Treffen mit euch, ihr Männer und Frauen, die ihr durch eure tägliche mühsame Arbeit dieses Land fruchtbar und ertragreich macht. Mein Gruß gilt euch allen, die ihr anwesend seid, und allen euren Freunden und Nachbarn im ländlichen Australien. Es ist richtig, daß wir uns zum Gebet versammeln. Das ländliche Leben läßt euch der Natur nahe sein, die eine Schöpfung Gottes ist. Bei eurer täglichen Arbeit kommt ihr mit den Werken des Schöpfers in Berührung. Ihr erfahrt seine Vorsehung. Ihr bewundert seine Größe. Im Ablauf der Jahreszeiten und der Jahre wird es euch immer mehr bewußt, daß die Schöpfung ein Geheimnis ist, das menschliche Begriffe weit übersteigt. Euch, die ihr eng verbunden mit Land und Meer lebt, erscheint es ganz natürlich und richtig, zu Gott zu beten, in Notzeiten seine Hilfe zu suchen, ihm Lob und Dank darzubringen. Eure besondere Berufung hilft euch, das Wort Gottes und seine lenkende Vorsehung dankbar anzunehmen. Aus dem Evangelium ist deutlich zu erkennen, daß auch Jesus in engem Kontakt mit der Natur lebte. Sein Lehren ist reich an Hinweisen auf die 991 REISEN Natur und das menschliche Leben. Er sprach vom Schäfer und seiner Herde, vom Netz, das in den See ausgeworfen wird, vom Senfkorn, den Lilien des Feldes usw. Selbst seine eigene Sendung auf Erden beschrieb er als die des „Guten Hirten“ (Joh 10,14), und seine Predigten verglich er mit der Arbeit des Bauern, der ausging, um seinen Samen zu säen (vgl. Lk 8,5). Aus vielen Gründen schätzt die Kirche das bäuerliche Leben hoch ein. Deshalb habe ich mich auf die Begegnung und das Gebet mit euch gefreut. Meine Hirtensorge schließt alle Bewohner Australiens ein; ich habe bereits einige der größten Industrie- und Wohngebiete eures Landes besucht. Und nun freue ich mich, heute morgen bei euch zu sein. 2. In den letzten Jahrzehnten wurde Australien zu einer bedeutenden Handelsnation. Im Mittelpunkt dieser Entwicklung steht eure Landwirtschaft. Was vor beinahe zweihundert Jahren als bescheidenes Unternehmen begann, um Sträflinge, Soldaten, Verwaltungspersonal und andere mit Lebensmitteln und Kleidung zu versorgen, entwickelte sich zu einer Großindustrie. In den vergangenen zweihundert Jahren habt ihr nicht nur das Lebensnotwendige für euch selbst produziert, sondern Millionen von Menschen auf der ganzen Welt mit Kleidung und Lebensmitteln versorgt. Eure landwirtschaftliche Industrie ist heute in vielen Sparten gut verzweigt. Wenn ihr auch am besten bekannt seid durch eure Getreide, Wolle und Fleischproduktion, so könnt ihr euch mit nicht weniger Recht eurer Forstwirtschaft und Fischerei und eurer hochbedeutsamen Unternehmen in Gartenkultur und Gemüseanbau rühmen. Ich weiß aber, daß unsere Begegnung zu einem Zeitpunkt stattfindet, an dem sich ernste Schwierigkeiten am Horizont bemerkbar machen. Und sie haben sogar schon begonnen, einen Einfluß auf euch und eure Familien auszuüben. Genauso wie eine Reihe eurer Berufskollegen in Übersee, sehen sich viele von euch, die in der Landwirtschaft tätig sind, finanziellen und sozialen Belastungen gegenüber, die teilweise jenseits eures Einflußbereiches liegen. Da ist das Problem der Inflation, da sind die fast noch komplexeren Probleme, die aus der Politik anderer Nationen erwachsen, staatliche Zölle, Einfuhrquoten und staatlich unterstützte landwirtschaftliche Produktion. Diese Probleme, die weltweit spürbar sind, verlangen einen geduldigen und beharrlichen Einsatz im Hinblick auf multilaterale Wirtschaftsverhandlungen und internationale Abkommen. Ich versichere euch des großen Interesses und der Anteilnahme der Kirche an all diesen Initiativen. 992 REISEN 3. Diese Probleme und die Unsicherheit auf dem Weltmarkt sind nicht die ersten Schwierigkeiten, denen die australischen Farmer gegenüberstehen. Ein großer Teil eures Landes ist einem oft rauhen und nicht vorhersehbaren Klima unterworfen. Von Anfang an mußtet ihr euch anpassen und experimentieren. Oft habt ihr Not gelitten und Opfer bringen müssen. Doch mit Ausdauer und Gebet ist es weitergegangen. Die Hindernisse und Herausforderungen haben euren Geist nicht gebrochen. Sie haben im Gegenteil unter anderen Errungenschaften zur Entwicklung von neuen landwirtschaftlichen Technologien geführt, die den Menschen anderer Länder, weit über eure Grenzen hinaus zugute kommen. Ihr gehört jetzt zu den leistungsfähigsten Trockenlandbauern der Welt. Was noch wichtiger ist: ihr habt den großen Wert eines gefestigten Familienlebens und nachbarschaftlicher Solidarität kennengelernt. Eure Literatur und Dichtkunst spricht vom Geist brüderlicher Zusammenarbeit und schöpferischer Fähigkeit, dessen ihr euch erfreut. Man sagt in der Tat, daß Widerwärtigkeiten, Trockenheit und Überschwemmungen einen „Aussie“ (Australier) nie lange Zeit entmutigen konnten! In den Städten, auf dem Land und in den Dörfern führt ihr ein Gemeinschaftsleben, wie es Bewohnern der Großstädte kaum möglich ist. Euer starker Sinn für gemeinsames Leben macht euch und eure Kinder des einzigartigen Wertes jeder Person bewußt und er läßt alle zusammen an gemeinsamen Vorhaben und Zielen teilhaben. Eure kostbaren bäuerlichen Traditionen verdienen es, erhalten und geschützt zu werden. Auch sie bilden einen Grund, Gott dankbar und den anderen gegenüber in großzügiger Weise aufgeschlossen zu sein. 4. Im Evangelium, das wir heute morgen gehört haben, legten die Apostel Jesus nahe, die Menge wegzuschicken, damit alle Verpflegung und Unterkunft fänden. Doch Jesus folgt ihrem Rat nicht. Er sagt vielmehr: „Gebt ihr ihnen zu essen“ (Lk 9,13). Diese Antwort überrascht die Apostel, denn sie fühlen sich ganz und gar unfähig, so viele Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen. Doch sie beachten seine Worte und befolgen sofort die Anordnungen, die er gibt. In unserer modernen Welt, in der für Milhonen von Menschen der Hunger noch immer eine tägliche Realität ist, behalten diese Worte des Herrn ihre Gültigkeit. Denn im Glauben wissen wir, daß er den Auftrag, den er den Aposteln gab, heute wiederholt: „Gebt ihr ihnen zu essen.“ Ich bin sicher, daß euch Menschen, die eine so wichtige Rolle in der Lebensmittelerzeugung spielen, diese Worte bewegen. Gleichzeitig ist es klar, daß das Problem, die Welt mit Nahrungsmitteln zu versorgen, zum 993 REISEN Großteil nicht bei den Farmern liegt. Tatsächlich stellen die Bauern bereits Nahrungsmittel her, die für die gesamte Weitbevölkerung ausreichen würden. Bekanntlich könnte die Produktion sogar noch erhöht werden. Dennoch leiden Milhonen unserer Brüder und Schwestern auf der Welt Hunger. Warum? Das ist das komplexe Problem, das gelöst werden muß. In der Erzählung des Evangeliums nahm Jesus das Brot und die Fische, segnete sie und „gab sie den Jüngern, damit sie diese an die Leute austeilten“ (Lk 9,16). Die Aufgabe der Jünger bestand in der Verteilung. Heutzutage können die Bauern in Zusammenarbeit mit dem Schöpfer genug Lebensmittel für jeden auf der Welt erzeugen. Die Tatsache, daß die bereits zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel Millionen von Hungerleidenden noch immer nicht erreichen, ist einer der größten Skandale unserer Zeit. Ein derart großes Ungleichgewicht verlangt nach einer ernsthaften Umschichtung der internationalen Wirtschaftsordnung und eine größere weltweite Zusammenarbeit bei der Erzeugung und Verteilung von Lebensmitteln. In meiner Botschaft zum dritten Welternährungstag sagte ich: „Natürlich sind es in erster Linie alle in ihrer Entwicklung fortgeschrittenen Länder und deren Regierungen, an die die dringende Aufforderung zu solcher internationalen Solidarität ergeht... Was nun die Christen betrifft, so wären sie dem Beispiel und den Lehren ihres Stifters untreu, wenn sie nicht ihre ganze Sorge auf ihre Solidaritätspflicht gegenüber jenen verwendeten, die an Unterernährung leiden“ (12.10.1983: O.R., dt., 18. 11. 1983). 5. Den Problemen, die mit dem Hunger auf der Welt in Zusammenhang stehen, müssen wir alle gemeinsam entgegentreten. Sie bestätigen auch die lebenswichtige Rolle, die heute der Landwirtschaft zukommt. In meiner Enzyklika über die Arbeit des Menschen habe ich gesagt: „Die Landwirtschaft, die der Gesellschaft die für den täglichen Lebensunterhalt erforderlichen Güter bietet, ist von grundlegender Bedeutung“ (Laborem exercens, 24). Deshalb sollt ihr wissen, daß euch der Papst nahe ist bei eurer Arbeit und bei all euren Ängsten und Hoffnungen. Ich versichere euch, daß ich sowohl das bäuerliche Leben schätze als auch die Werte, die ihr hochhaltet. In der Tat wendet sich die gesamte Kirche in ihrer Hirtensorge und mit ihrem ermutigenden Gebet der Welt der Bauern zu. Vor allem möchte sie euch helfen, eure gesunden Familientraditionen zu erhalten, die seit jeher der große Segen des bäuerlichen Lebens waren. 994 REISEN Liebe Brüder und Schwestern: die Kirche dankt Gott für euch, für das, was ihr der übrigen Gesellschaft bietet, für den Vorrang, den ihr dem Familien- und Gemeinschaftsleben einräumt, für das Zeugnis, das ihr für die Heiligkeit des Lebens abgebt, für euer Vertrauen auf die liebende Vorsehung Gottes, unseres Schöpfers und Vaters. Landbevölkerung Australiens! Ihr müßt diese grundsätzlichen Werte standhaft bewahren. Wenn ihr das tut, dann wird euer eigenes Leben zum Echo des Liedes, das ihr heute früh gesungen habt: „Alle Dinge, lobt euren Schöpfer, betet ihn in Demut an: Preist ihn, halleluja!“ Wir leben in einer Zeit der Gnade für die Kirche Predigt bei der hl. Messe in Adelaide am 1. Adventssonntag, 30. November „Ich freute mich, als man mir sagte: Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern“ (Ps 122,1). Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Mit diesen Worten spricht die Kirche ihre adventliche Freude aus. Heute ist der erste Adventssonntag. Wir gehen auf jene Nacht zu, da die Hirten auf den Feldern von Betlehem die Freude der Engelsbotschaft erfuhren, sie sollten hingehen und den Herrn sehen: „Kommt, wir gehen nach Betlehem, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr verkünden ließ“ (Lk 2,15). Ja, auch heute erinnert uns die Kirche hier in Adelaide daran, daß der Herr nahe ist (vgl. Phil 4,5). Und wie die Hirten in dieser wundervollen Nacht von Betlehem sagen auch wir: „Wir wollen zum Haus des Herrn pilgern“ (Ps 122,1). Der Advent ist die Zeit der Vorbereitung auf Weihnachten, auf das Kommen des Erlösers. Er ruft uns auf, „voll Freude zum Haus des Herrn zu gehen... und dort den Namen des Herrn zu preisen“ (Ps 122,1.4). Den Namen des höchsten Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, zu preisen, ist unser erstes Anliegen bei dieser Eucharistiefeier. 995 REISEN 2. „Ich freute mich, als man mir sagte: zum Haus des Herrn wollen wir pilgern.“ Mit dieser Freude der Adventsliturgie begrüße ich euch alle, die ihr hier in Adelaide versammelt seid. Im Namen Christi grüße ich euch, die Menschen von Südaustralien. Ich grüße Sie, die Herren Erzbischöfe Faulkner und Gleeson, Bischof De Campo und alle meine Brüder im Bischofsamt, dazu die Priester, Ordensleute und Laien von Adelaide und Port Pirie. Ich begrüße die Mitglieder der anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Ich grüße die Verantwortlichen des öffentlichen Lebens, und ich umarme in der Liebe des Erlösers alle Kinder, Jugendlichen, Alten und Kranken. Zugleich grüße ich alle Einwohner dieses Kontinents Australien, wenn ich jetzt mit euch gemeinsam zum Haus des Herrn gehe, auf den Pfaden jenes Advents, den die menschliche Geschichte darstellt - des Advents, in dem die ganze Menschheitsfamilie und die gesamte Schöpfung das zweite Kommen unseres Heilandes Jesus Christus erwarten. Nur wenige Jahre trennen uns vom Ende des zweiten Jahrtausends und dem Beginn des dritten Jahrtausends der christlichen Zeit. Dies ist eine Zeit der Gnade für die Kirche. Es ist zugleich eine Gnadenzeit für uns als Jünger Christi inmitten der tiefgreifenden Wandlungen der Kultur und Gesellschaft, denn wir sollen uns neu auf unser Leben als Christen besinnen. Es ist eine Zeit für die Botschaft des Evangeliums, die den Männern und Frauen dieser Zeit mit der Kraft eines neuen Pfingsten verkündet werden muß. Es ist eine Zeit, in der der Geist der Wahrheit selber deutlich Worte des Lebens an die Menschheitsfamilie richtet. 3. In.„der Eucharistiefeier dieses ersten Adventssonntags beten wir darum, daß der Plan des himmlischen Vaters für die Menschheitsfamilie sich erfülle: „Versammle in der neuen Welt, wo die Fülle deines Friedens sich offenbart, Menschen aller Rassen, Sprachen und Lebenswege, zur Teilnahme an dem einen ewigen Gästmahl mit Jesus Christus, unserem Herrn“ {Zweites Eucharistisches Hochgebet der Versöhnung). Mit anderen Worten, wir beten um die Erfüllung der Vision des Propheten Jesaja, die wir in der ersten Lesung gehört haben: „Zum Haus des Herrn strömen... alle Völker, .... zum Berg des Herrn, ... daß er uns seine Wege weise und daß wir seine Pfade gehen“ {Jes 2,2f.). Das Verlangen nach dieser Zeit der Gnade und des Friedens ist tief in unseren Herzen verwurzelt. Wer schaut nicht voll Sehnsucht aus nach jener Endzeit, wenn „nicht mehr Volk gegen Volk das Schwert zieht und man nicht mehr übt für den Krieg“ (Jes 2,4)? Es gibt tatsächlich eine Adventszeit, die universal ist und so lange dauert 996 REISEN wie die Menschheitsgeschichte. Heute denken wir über die Vision des Jesaja nach, der zahllose Scharen sah, die zum Berg Gottes hin unterwegs sind - Gottes Volk aller Zeiten und Zonen, mit ihm und untereinander vereint in der Kirche (vgl. LG 1). Und wir sollten diese Vision so betrachten, wie sie Wirklichkeit wird in der konkreten Realität eures Lebens in Australien - in der Geschichte und Kultur eures Kontinents und zumal in Südaustralien. Diese Eucharistiefeier ist in sich selber ein Symbol der Vision des Propheten, denn ihr seid Menschen aus „allen Rassen, Sprachen und Lebensformen“, aber eins geworden in Jesus Christus und seiner Kirche. Australien: das Land zahlreicher Kulturen! Australien: das Land verschiedener völkischer Gruppen, die von den Überlieferungen, Haltungen und Hoffnungen so vieler Menschen geprägt sind, deren Glaube ihnen Halt gegeben hat bei der schwierigen Aufgabe, sich auf diesem Kontinent eine neue Heimat zu schaffen! 4. Lange vor der christlichen Ära, lange bevor Mose Gottes Volk in die Freiheit führte, lange bevor Abraham in ein neues Land aufbrach, um Vater eines neuen Volkes zu werden, flutete die Urbevölkerung in dieses große Land im Süden. Hier ließ sie sich nieder, eng verbunden mit dem Land, das ihre Heimat geworden war. In neuerer Zeit, in den letzten 200 Jahren, kamen neue Einwanderergruppen und führten Menschen aller Kontinente nach Australien. Zuerst waren es Siedler aus Großbritannien und Irland, doch innerhalb weniger Jahrzehnte entwickelte sich eine multikulturelle Gemeinschaft, als neue Einwanderer aus Europa und Asien hinzukamen. Bereits um das Jahr 1860 lebten hier in Clare-Tal Südaustraliens Menschen aus England, Irland, Polen, Österreich und Deutschland Seite an Seite mit den Ureinwohnern. In neuester Zeit hat Australien auch Menschen aus Asien, dem Nahen Osten, Lateinamerika und anderen Teilen Australasiens aufgenommen. Oft kamen Opfer der Armut, kriegerischer Zerstörungen oder religiöser Verfolgung her, um ein neues Leben zu beginnen. Sie mußten Härte und Not durchstehen, doch aus all diesem menschlichen Elend und Leiden wächst heute eine Nation empor, die voll Hoffnung und Verheißungen dasteht. Dies ist eure Geschichte. Dies ist die Gestalt eurer Kultur als Volk Australiens. In dieser Geschichte gibt es vieles, worauf man stolz sein darf. Es ist aber auch eine Geschichte, in der ihr erkennt, daß jene Versöhnung notwendig ist, die durch Jesus Christus kommt. 997 REISEN Alle Menschen haben ein Recht darauf, alles Gute in ihrem eigenen Erbe zu lieben und hochzuschätzen. Alle Menschen haben ein Recht auf Selbstachtung und Würde. Die Spannungen, die gelegentlich auftreten, wenn Menschen verschiedener Herkunft, Überlieferungen, Kulturen und Glaubensauffassungen miteinander zu leben versuchen, müssen in einem Geist echter Offenheit und Brüderlichkeit überwunden werden. Was letztlich gefordert wird, ist die Offenheit für jene göttliche und transzendente Vorsehung, die die Nationen zu einer volleren Anerkennung der Einheit führt - der Einheit aller, die das Bild des Einen in sich tragen, „der alles in sich vereint“ - Jesus Christus, „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ (Kol 1,17.15). 5. Das Volk Gottes hat uns aufgerufen, ein aufmerksames und wachsames Volk zu sein, das einsatzbereit dasteht, bekleidet mit der Waffenrüstung Jesu Christi: „Bedenkt, ... die Stunde ist gekommen: ihr müßt nun aufwachen . . . Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe . . . Darum laßt uns ehrenhaft leben wie am Tag . . . ohne Streit und Eifersucht. Legt (als neues Gewand) den Herrn Jesus Christus an“ (Röm 13,11-14). Jeder Ausdruck von Feindseligkeit gegen andere baut eine Mauer von Spannungen zwischen den Menschen auf und offenbart ein Herz von Stein. Jeder Akt der Diskriminierung ist ein Akt der Ungerechtigkeit und der Verletzung der Personwürde. Jedesmal, wenn wir intolerant sind, verschließen wir unsere Augen vor Gottes Abbild in der Person des anderen. Sooft wir die Forderungen weltweiter Gerechtigkeit nicht anerkennen, haben wir die Bedeutung unserer universalen Solidarität nicht erkannt. Doch wenn wir freundliche Worte finden, wenn wir einander achten und ehren, wenn wir echte Freundschaft zeigen und gastfreundlich sind, wenn wir uns um Verständnis der Unterschiede zwischen den Menschen bemühen — dann werden wir ein lebendiges Zeichen dafür, daß die Vision des Jesaja Wirklichkeit wird, daß das Reich Gottes unter uns angekommen ist, daß der universale Advent der Geschichte seiner Erfüllung entgegengeht. 6. Heute lädt die Kirche alle und jeden von uns ein, bereitwillig und fröhlich den Weg einzuschlagen, den Gott für das ganze Menschengeschlecht bereitet hat. Der Prophet Jesaja spricht von dem Pfad, der den Berg des Herrn hinaufführt, zum Tempel des Gottes Jakobs (vgl. Jes 2,3). Ein Teil von diesem „Hinaufgehen“ ist die Berufung des Menschen, sich um volle und echte Menschlichkeit zu bemühen, seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu veredeln und zu entfalten, während er darum 998 REISEN ringt, die Welt unter seine Kontrolle zu bringen durch den Fortschritt des Wissens und durch seine Arbeit. Die Menschheitsfamilie tut das durch ihren kulturellen Fortschritt (vgl. GS 53). Heute sind sich Männer und Frauen klar bewußt, daß sie mehr denn je zuvor berufen sind, ihr eigenes Geschick in dieser Welt zu gestalten. Die Mittel dazu stehen in steigendem Maß zur Verfügung: ein besseres Verständnis der Welt und ihrer Geheimnisse; ein besseres Verständnis der menschlichen Person und des menschlichen Tuns; ein besseres Verständnis des Fortschreitens der Geschichte und der sozialen Organisation; dazu kommt die Welt der Kommunikationen, die mehr und mehr Menschen Gelegenheit bietet, den modernen Fortschritt zu verfolgen. Eine menschlichere Welt drängt ans Licht. Und doch sind jedesmal die höchsten Hoffnungen von störenden Widersprüchen begleitet. Was die Achtung der grundlegenden Menschenrechte angeht, hat es in den letzten Jahrzehnten viel Fortschritt und ein wachsendes Bewußtsein von der Berechtigung dieses Anliegens gegeben. Und doch können wir nicht die Tatsache übersehen, daß unsere Welt weiter allzu viele Beispiele radikaler Ungerechtigkeit und Unterdrückung liefert. Wo ein großes Gut erreicht werden soll, sind auch hohe moralische Reife und ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit nötig. Ohne Erkenntnis der erhabenen Würde der menschlichen Person — eine Würde, die in der einzigartigen Beziehung jedes einzelnen zu seinem Schöpfer und Erlöser gründet, eine Würde, die mit der transzendenten Natur, dem Ursprung und Geschick des Menschen verbunden ist - fehlt dem Fortschritt eine sichere Richtung. Jesus Christus, der Weg, die Wahrheit und das Leben, offenbart uns die wirkliche Bedeutung der Geschichte. Er offenbart Gottes Plan für die Menschheit. Jesus spricht unsere Freiheit an und ruft uns auf, echt menschlichen Fortschritt zu fördern, wenn er uns sein Gesetz der Liebe und der Dienstbereitschaft aufträgt: „Dies ist mein Gebot, daß ihr einander hebt, wie ich euch geliebt habe“ (Joh 15,12). Das Evangelium reinigt und stärkt alle Kulturen und befähigt sie damit, den Menschen zu helfen, „den Berg des Herrn hinaufzusteigen . . ., damit er uns seine Wege lehrt und wir auf seinen Pfaden wandeln“ (Jes 2,3). 7. Der Aufruf Jesu ist klar. Er sagt: „Seid wachsam“ (Mt 24,42). Und weiter: „Seid bereit, denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet“ (Mt 24,44). Auf diese Weise drängt er alle seine Jünger, für das vom Vater festgesetzte Ziel zu wirken: das Reich der Gerechtigkeit, der Wahrheit und des Friedens. Auf diese Weise drängt er 999 REISEN die Gläubigen in Australien, heilen zu helfen, was immer an Unrecht das Leben ihrer Nation beeinträchtigen mag und sicherzustellen, daß ein neuer Geist der Versöhnung das ganze nationale Leben erfüllt. Jesus macht klar, daß wir gerichtet werden nach unserer Antwort auf seine Gegenwart in den Hungernden, den Nackten, den Kranken und den Gefangenen (vgl. Mt 25,35 f.). Liebe Brüder und Schwestern: ihr seid auf gerufen, Gottes Partner beim Aufbau seines Reiches im Herzen aller Australier zu sein, Herzen von Fleisch und nicht aus Stein. Unser heutiges Nachdenken über Australien als Land mit vielen Kulturen hat uns geholfen, eure Geschichte vor dem Hintergrund von Gottes ewiger Liebe zur ganzen Menschheitsfamilie zu sehen, die in der Heilssendung Jesu Christi geoffenbart worden ist. Es ist eine immer noch unvollendete Geschichte. Sie enthält manche Aufgaben für euch als Nation, für die Kirche in diesem Land und für jeden einzelnen Bürger. Auch das ist der Advent voller Erwartung, den die Kirche nun feiert. Wir gehen vorwärts als das pilgernde Gottesvolk und folgen Jesus, der der Weg zum Vater ist. Wir gehen vorwärts in der Gewißheit, daß seine Wahrheit uns freimacht und unsere Kraft aus seinen Worten und seinen Sakramenten kommt. 8. Die Augen auf den Einen gerichtet, der da kommen soll, laßt uns auch auf diesen ganzen Kontinent blicken, auf jede völkische Gruppe und jede kulturelle Überlieferung, die dazugehört. Wir wollen auf ganz Australien den Segen des Psalms herabrufen: „Friede wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit. Wegen meiner Brüder und Freunde will ich sagen: In dir sei Friede. Wegen des Hauses des Herrn, unseres Gottes, will ich dir Glück erflehen“ (Ps 122,7-9). Dir: Adelaide! Dir: Australien! Dir: der ganzen Welt. Laßt uns weiterhin auf Ihn schauen, der da kommen soll, den „Friedensfürsten“ (vgl. Jes 9,6). Von ihm sagt der Prophet: „Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht, dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Man zieht nicht mehr das Schwert, Volk gegen Volk, und übt nicht mehr für den Krieg. Ihr vom Haus Jakob, kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn“ (Jes 2,4 f.). Das ist das Licht des Advents. Es ist das Licht des Advents, der sich vor der Menschheitsfamilie ausdehnt, bis der Herr wiederkommt in Herrlichkeit — der Advent der Verantwortung des Menschen für das Leben und für die Welt, die der Schöpfer in seine Hände gelegt hat. 1000 REISEN Es ist das Licht dessen, der kommen wird, das Licht des Friedensfürsten. Es ist das Licht Christi. Möge das Licht Christi über Australien leuchten: Über dem Land mit vielen Kulturen! Möge das Licht Christi leuchten über einem jeden von euch. Amen. Wir leben im Licht des Ostergeheimnisses Ansprache vor dem Angelus in Adelaide am 30. November 1. Zum Abschluß dieser Eucharistiefeier rufe ich euch auf, zusammen mit mir den Angelus zu beten. Dieses Gebet ist nach der Botschaft des Engels an Maria benannt: „Sei gegrüßt,... der Herr ist mit dir“ (Lk 1,28). In der Weihnachtsliturgie werdet ihr bald auch jene Worte der Freude hören, welche die Geburt Jesu verkündigen: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll“ (Lk 2,10). Ich habe bereits bei anderer Gelegenheit gesagt: „Freude ist im wahrsten Sinne der Grundgedanke der christlichen Botschaft“ (Ansprache in Hartem am 2. Oktober 1979). Wie ich schon damals sagte, ist es mein Wunsch, daß die christliche Botschaft all denen Freude bringe, die ein offenes Herz für sie haben: „Freude den Kindern, Freude den Eltern, Freude den Familien und Freunden, Freude den Arbeitern und Gelehrten, Freude den Alten und Kranken, Freude der ganzen Menschheit.“ Jetzt füge ich hinzu: „Freude - bleibende, tiefe Freude - den Menschen Australiens!“ 2. Quelle unserer Freude ist der Glaube. Wir glauben an einen Gott, der uns für die menschliche Freude erschaffen hat. Bis zu einem gewissen Grad verspüren wir diese Freude auf Erden, in ihrer ganze Fülle aber im Himmel. Wir sind dazu bestimmt, die menschlichen Freuden zu empfinden: die Freude am Leben, die Freude an der Liebe und Freundschaft, die Freude an einem gelungenen Werk. Als Christen haben wir einen weiteren Grund, uns zu freuen: Wie Jesus wissen wir, daß wir von Gott, unserem Vater, geliebt werden. Diese Liebe verändert unser Leben und erfüllt uns mit Freude. Sie läßt uns erkennen, daß Jesus nicht gekommen ist, um uns Lasten aufzubürden. Er kam, um zu lehren, was es bedeutet, vollkommen glücklich und ganz Mensch zu sein. Aus diesem Grunde 1001 REISEN entdecken wir die Freude, wenn wir die Wahrheit erkennen — die Wahrheit über Gott, unseren Vater, die Wahrheit über Jesus, unseren Erlöser, und die Wahrheit über den Heiligen Geist, der in unseren Herzen wohnt. 3. Wir geben nicht vor, daß das Leben nur aus schönen Dingen besteht. Wir wissen um Dunkel und Sünde, um Armut und Leid. Aber wir wissen auch, daß Jesus die Sünde besiegt und sein Leiden durchgestanden hat bis zu seiner glorreichen Auferstehung. Wir leben im Licht des Ostergeheimnisses - des Geheimnisses von Jesu Tod und Auferstehung. „Wir sind ein österliches Volk1, und unser Lied lautet: ,Halleluja“1. Wir suchen nicht nach einer oberflächlichen Freude, sondern nach einer Freude, die aus dem Glauben kommt und in der selbstlosen Liebe wächst. Eine Freude, die „die erste Pflicht der Liebe im Nächsten nicht außer acht läßt, denn sonst wäre es töricht, überhaupt von Freude zu sprechen“ (vgl. Paul VI., Gaudete in Domino, I). Wir erkennen, daß die Freude ihre Gebote hat. Sie erfordert Selbstlosigkeit und die Bereitschaft, so wie Maria zu antworten: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ 4. Maria, unsere Mutter: Ich wende mich an dich und rufe dich zusammen mit der Kirche als Mutter der Freude, mater plena sanctae laetitiae, an. Ich, Johannes Paul II., vertraue dir die Kirche Australiens an und bitte dich, über all ihre Glieder die ganze menschliche Freude auszustreuen, die Gott dir geschenkt hat. Hilf allen deinen Kindern einzusehen, daß das Gute in ihrem Leben von Gott durch seinen Sohn Jesus Christus kommt. Hilf ihnen, im Heiligen Geist die Freude zu erfahren, die dein Unbeflecktes Herz erfüllte. Inmitten des Leidens und der Prüfungen des Lebens mögen sie die ganze Freude finden, die im Sieg deines gekreuzigten Sohnes gründet und die aus seinem Heiligsten Herzen strömt. 1002 REISEN Glauben an ein „Leben über die Zeit“ Begegnung mit der älteren Generation in Perth am 30. November „Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert“ (2 Kor 4,16). Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Es freut mich, bei meinem Besuch der alten Menschen in Glendalough zu sehen, daß sie hier ein wirkliches Heim in der Obhut der „Kleinen Schwestern der Armen“ haben. Und heute möchte ich von diesem Heim aus meiner tiefen Zuneigung zu allen älteren Mitgliedern der australischen Gesellschaft Ausdruck geben, denen, die in Heimen wie diesem leben, den vielen, die bei Verwandten oder Freunden wohnen, und jenen, die allein leben, vor allem den Kranken, Schwachen oder Behinderten. Jedem von euch meine herzlichsten Wünsche für euer Wohlergehen und Frohsein, und ich hoffe, daß eure inneren, geistigen Quellen von Tag zu Tag zunehmen und sich erneuern, während eure physischen Kräfte - wie es ja auf unserem Erdenweg sein muß - mit dem Alter abnehmen. Ihr wißt, daß ich, wohin ich auch gehe, gern mit den jungen Menschen zusammen bin, sie inspirieren mich durch ihren Enthusiasmus. Aber ich möchte euch sagen, daß ich auch große Freude empfinde, wenn ich bei den älteren Menschen bin. Ihr laßt mich teilhaben an eurem Frieden und der Weisheit, die ihr in eurem Leben gesammelt habt. 2. Laßt uns diese Stunde gemeinsam erleben im Dank an Gott für das Leben, das er uns geschenkt hat. Ihr könnt zurückblicken auf ein Leben voller Erinnerungen. Viele von euch haben ihre Kinder und Kindeskinder, auf die sie stolz sein können. Manche von euch erinnern sich vielleicht an Zeiten des Leidens und der Hoffnungen, die nie ganz in Erfüllung gegangen sind. Aber wir alle — um mit den Worten des ersten Briefes des hl. Johannes zu sprechen - „haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und gläubig angenommen“ (1 Joh 4,16). Ja, Gott hat jeden von euch geliebt und liebt ihn immer noch, auf ganz besonders innige und persönliche Weise. Wenn ihr zurückblickt, werdet ihr sehen, daß euer ganzes Leben eine Geschichte der Liebe Gottes zu euch ist, die euch auf euren einzelnen Wegstrecken begleitet hat. Das Leben selbst ist ein Geschenk der Liebe des Vaters, ebenso wie eure Taufe, euer christlicher Glaube und die Gegenwart des Heiligen Geistes durch alle Jahre hindurch. Für all 1003 REISEN diese Gaben singen wir ein Lied des Dankes an Gott: „Gepriesen sei der Herr, der wunderbar an mir gehandelt und mir seine Güte erwiesen hat“ (Ps 31,22). 3. Meine Brüder und Schwestern, viele von euch geben uns Anregung und Mut, weil ihr so geduldig seid im Warten auf das Kommen des Herrn und im Glauben fest darauf vertraut, daß er euch zu sich holen wird. Ihr erinnert euch an sein Versprechen und seid überzeugt, daß es auch euch gilt: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen... Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten... damit auch ihr dort seid, wo ich bin“ (Joh 14,2 f.). Alle diejenigen von uns, die an unseren Herrn Jesus Christus glauben, wissen, daß unser Tod nicht sehr verschieden von unserem ganzen Erdenweg sein wird. Auch er wird Gottes Liebe über uns sein, aber die Liebe Gottes in ihrer umgestalteten Fülle. 4. Unabhängig aber von unserem Alter müssen wir alle versuchen, die Zeit, die uns noch bleibt, gut auszunutzen. Manche glauben, nach einem bestimmten Alter gebe es keine Herausforderungen mehr zu bestehen und sei kein weiteres Wachsen mehr möglich. Jeder von euch weiß, daß das nicht stimmt. Lernen, alt zu werden, erfordert Weisheit und Mut. Die Erfahrung des Alterns ist eine der schwierigsten Kapitel in der großen Kunst des Lebens. Es ist aber eine Erfahrung, die in unserer Zeit immer mehr Menschen betrifft. Es ist zu erwarten, daß in Australien in den nächsten dreißig Jahren die Zahl der mehr als Fünfundsechzigjährigen sich verdoppeln wird. Die Gesellschaft beschäftigt sich sehr mit den wirtschaftlichen und politischen Folgen einer zunehmend älteren Bevölkerung. Es ist jedoch an uns, als Christen die Welt an die wertvolle Erfahrung und die Weisheit, die weite Sicht und die geistigen Kräfte der älteren Menschen zu erinnern. 5. Die Spiritualität des Alterns hat ihre eigenen einzigartigen Herausforderungen und Aufrufe. Zu den wichtigsten diesbezüglich gehört der Aufruf der Versöhnung, dem die Älteren am Lebensabend gegenüberstehen. Wenn ihr auf euer Leben zurückschaut, erinnert ihr euch wohl auch an Leid und persönliches Versagen. Es ist wichtig, über diese Erfahrungen so nachzudenken, daß wir sie im Licht unseres gesamten Lebensweges betrachten. Ihr werdet vielleicht feststellen, daß manches, was euch Leid verursacht hat, euch auch viel Segen gebracht hat. Vielleicht hat es euch Gelegenheit gegeben, Gutes zu tun, das sonst nicht zu einem Teil eures Lebens geworden wäre. 1004 REISEN Als Christen sollten wir unsere Erinnerungen dem Herrn schenken. Es wird die Realität eurer Leiden und Enttäuschungen nicht verändern, wenn ihr über die Vergangenheit nachdenkt, aber es kann eure Betrachtungsweise ändern. Junge Menschen verstehen nicht ganz die Art und Weise, in der die älteren Menschen manchmal in die ferne Vergangenheit zurückblicken, aber dieser Rückblick hat seine Bedeutung. Und wenn dies im Gebet geschieht, so kann es eine Qelle der Heilung sein. 6. Ich spreche von der wichtigen geistigen Heilung, die den älteren Menschen die innere Freiheit wiedergibt. Diese Art der Heilung wird erreicht durch ein Bewußtwerden und Annehmen der Wege, durch die Gott wirkt, durch menschüche Schwächen ebenso wie durch menschliche Tugend. Selbst die Erinnerung an unsere Sünden entmutigt uns nicht mehr, denn wir stellen fest, daß Gottes Gnade größer ist als unsere Sünden und daß Gottes Vergebung ein Beweis für seine treue Liebe zu uns ist. Jesus - der Weg, die Wahrheit und das Leben - lädt alle unsere menschlichen Schwächen und unser Versagen auf sich und schenkt uns dafür Erlösung, Vergebung und Frieden. Das Versprechen der Auferstehung ermöglicht es den älteren Menschen, ihr ganzes Leben in völlig anderer Weise zu betrachten. Auf welche Weise ihr auch zu leiden berufen sein mögt, ich fordere euch auf, aus den Worten des hl. Paulus Mut zu schöpfen: „Ich bin überzeugt, daß die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll... Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber auch wir... seufzen in unserem Herzen... und warten (auf die) Erlösung unseres Leibes... Denn wir sind gerettet, doch in der Hoffnung“ (Röm 8,18-24). Eine wichtige Rolle in diesem Heilungsprozeß, der das Alter begleiten sollte, spielt das Sakrament der Buße. In diesem Sakrament wird die Versöhnung mit Gott, mit der Kirche und mit den anderen zu einer tiefen geistlichen Erfahrung. Eine Erfahrung, die sich in regelmäßigen Abständen wiederholen kann und soll. In diesem Sakrament kommt ihr in unmittelbare Berührung mit der Gnade Christi und seiner liebenden Vergebung. Und hier wende ich mich an die Priester, um sie daran zu erinnern, wie wichtig dieser Dienst für die Kranken und Alten ist. Ferner gibt es das Sakrament der Krankensalbung zum Wohl der Seele und des Leibes. Die Kirche betet dabei, daß durch die Salbung mit Öl und das Gebet des Glaubens unsere Sünden uns vergeben werden mögen, daß die Spuren der Sünde gelöscht werden und die Vermehrung der Gnade 1005 ■REISEN begleitet sei von besserer Gesundheit, wenn dies dem Willen Gottes zu unserem Wohl entspricht. Ich hoffe, ihr empfangt voll Vertrauen dieses Sakrament. Die Kirche gestattet den älteren Menschen den Empfang dieses Sakraments nicht nur dann, wenn sie schwerkrank sind, sondern auch, wenn Altersschwäche sie niederdrückt. Ich selbst erhielt großen Trost daraus, als ich vor fünf Jahren im Krankenhaus lag. 7. Die Erfahrung des Alterns bringt eine neue Einstellung gegenüber der Zeit mit sich. Ihr habt nun Gelegenheit, jeden Augenblick des Lebens in seinem Wert richtig einzuschätzen. Ihr habt nun die: Möglichkeit, innezuhalten und die gewöhnlichen Dinge des täglichen Lebens zu bewundern und dankbar dafür zu sein; kleine Dinge, die ihr vielleicht zuvor nicht beachtet hattet: so etwa den menschlichen Umgang miteinander und die Solidarität, die Schönheit der Welt, die uns von der noch unendlich größeren Schönheit des Schöpfers erzählt. All dies bietet neue Möglichkeiten für das kontemplative Gebet, ein Gebet, das nicht nur aus Worten besteht, sondern vor allem in der vertrauensvollen Hingabe in Gottes Hände. Dabei werdet ihr euch vielleicht bewußt, daß, wenn das Leben selbst schon eine Gabe Gottes ist, euer eigenes Leben die besondere Gabe Gottes an euch und die euren an ihn ist. Gottes Größe und Gottes Geheimnis erfüllt euer Leben auf mannigfaltige, unerwartete Weise, und ihr seid zu einer größeren Verbundenheit mit Gott eingeladen. Ihr habt viele Gelegenheiten, eure Gedanken und Herzen im Gebet zu Gott zu erheben, und dafür solltet ihr ihm danken. Wenn das Alter zum Rückblick in die Vergangenheit auffordert, so ist es doch auch eine Zeit der Verantwortung für die Zukunft. Es ist eine Aufforderung, dem Leben neues Interesse entgegenzubringen, in eine neue Beziehung zur Welt zu treten. Die älteren Menschen nehmen gewöhnlich nicht an gesellschaftlichen und politischen Aktivitäten teil, aber ihr könnt trotzdem noch viel dazu beitragen, daß die Welt besser wird. Ihr könnt Erfahrung weitergeben, Weisheit mitteilen, Toleranz lehren, auch wenn dies den jungen Menschen nicht immer klar ist. Die heutige Gesellschaft braucht dringend eure Worte des Friedens und der Liebe. Vor allem durch euer Gebetsleben, das zeitweise auch von Leiden begleitet ist, könnt ihr dazu beitragen, der Welt die erlösende Liebe Christi zu bringen. Ihr könnt die jungen Menschen lehren, daß es wichtig ist, das Leben an sich als solches zu schätzen. Ihr ruft andere Altersgruppen auf, sich bewußt zu werden, daß fieberhafte Tätigkeit nicht der Maßstab für ein sinnvolles Leben ist. Eure Fähigkeit, das Leben als solches zu lieben, trotz 1006 REISEN nachlassender Energie und Beweglichkeit, fordert andere auf, nicht nur über den Wert des Tuns, sondern auch über den des Seins nachzudenken. Euer Leben ist dem Reich des Himmels zugewendet, und dies fordert diejenigen heraus, deren Interesse sich auf die vergängliche Welt beschränkt. Durch euer schrittweises Abstandnehmen von gewissem Besitz helft ihr anderen, über ihre eigene Beziehung zu materiellen Dingen nachzudenken. Auf diese Weise kann euer Leben ein beredtes Zeugnis sein für die wesentlichen Werte, die Christus gelehrt hat. 8. Wenn wir älter werden, werden wir auch abhängiger. Es ist wirklich ein Segen, wenn wir in späten Jahren andere Menschen finden, die sich um uns kümmern und uns helfen. Das ist die ausgezeichnete und lobenswerte Arbeit so vieler, sei es innerhalb ihrer Familie, sei es für einen betagten Freund oder in Krankenhäusern und Heimen wie hier. Es ist eine Aufgabe, die viele Ordensleute, von Laien unterstützt, erfüllen. Alle, die für ihre älteren Brüder und Schwestern sorgen, dienen Christus. Sie haben eine wunderbare Berufung und geben ein beeindruckendes Zeugnis christlicher Güte. Euch allen, die ihr für ältere Menschen sorgt, möchte ich schließlich noch ein Wort der Empfehlung und Ermutigung sagen. Euer Dienst beschränkt sich nicht auf physische und materielle Dinge. Ihr habt die große Aufgabe, den ältern Mitgliedern der Gemeinschaft zu helfen, daß sie ihre späten Jahre zu einer Zeit der Erfüllung und Vervollkommnung machen. Es ist eine Zeit, in der sie ihre Freuden und Sorgen, die Hoffnungen und Ängste des Lebens - die von den Älteren mit besonderer Sensibilität erlebt werden - in eine Betrachtung des Lebens integrieren sollten, in der sie Gottes Vorsehung anerkennen und sich ganz auf seine Gnade und Liebe verlassen. Aus diesem Grund müßt ihr immer mit Liebe und Ehrfurcht an eure Arbeit gehen, und das jeden Tag neu in der Gewißheit, daß Christus die Worte des Evangeliums für euch wiederholt: „... das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). Durch euren Dienst an den alten Menschen bezeugt ihr eindeutig euren Glauben: — den Glauben an die Würde des Menschen, — den Glauben, daß das Leben in Christus die wichtigste aller Realitäten ist, — den Glauben an ein Leben, das über die Zeit hinausgeht in das ewige Glück der Vereinigung mit unserem liebenden Gott. Eure Arbeit ist darum eine Tat der menschlichen Solidarität und der Liebe im Sinne des Evangeliums. Eure liebende Fürsorge ist eine wert- 1007 REISEN volle Hilfe für die alten Menschen. Euer eindeutiges Zeugnis ist eine Hilfe und Ermutigung für uns alle. 9. Wer immer in Australien sich seiner betagten Eltern oder älterer Familienmitglieder annimmt, wer als Ordensmann, Ordensfrau oder Laie den alten Menschen in einem Krankenhaus oder einem Heim wie diesem dient: Ich bitte euch im Namen des höchsten aller Gebote, nämlich der Liebe, euer Werk mit neuer Überzeugung und frischer Hingabe fortzuführen. Ich bete, daß die Australier die alten Menschen immer ehren und ihnen besondere Zuneigung entgegenbringen: Ich bete, daß die Gesellschaftspolitik immer begründet sei auf der absoluten Hochachtung für ihre Würde und der Respektierung ihrer unantastbaren Rechte.Und zu den jungen Australiern sage ich: Beachtet den Schatz an Menschlichkeit und Weisheit, den ihr in euren alten Menschen besitzt! Liebt sie und seid ihnen dankbar! Jesus sagte zu seinen Jüngern: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“ (Joh 14,27). Meine älteren Brüder und Schwestern, ich kann euch keinen größeren Segen wünschen als den Frieden Christi. Möge der Friede die Atmosphäre sein, in der ihr eure Tage verbringt, und möge eure Seele fest in ihm verankert sein, auf daß ihr euren Frieden mit allen um euch her teilen könnt. Denkt immer daran, daß Jesus uns seine Mutter Maria gegeben hat, auf daß sie auch unsere Mutter sei. Sie ist uns jeden Tag zur Seite auf unserer Pilgerschaft zum Himmel. Ihr werdet Freude und Kraft finden, wenn ihr Maria um Hilfe bittet, besonders wenn ihr den Rosenkranz betet, dieses wunderbare Gebet. Sie ist die Königin des Himmels, und sie erwartet uns alle bei ihrem Sohn. Zu der von Gott bestimmten Zeit wird sie uns in unserer ewigen Heimat willkommen heißen, wo wir gemeinsam mit den Engeln und Heiligen die Heiligste Dreifaltigkeit in Ewigkeit preisen werden: den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Und nun erteile ich euch allen als Zeichen unserer geistigen Verbundenheit in Christus und seiner Kirche mit Freuden meinen besonderen Apostolischen Segen. 1008 REISEN „Die Familie ist die Hauskirche“ Predigt bei der Messe in Perth am 1. Adventssonntag, 30. November 1985 „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher ... .“ (Röm 13,11). Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Mit diesen feierlichen Worten führt die Liturgie des ersten Adventssonntags die ganze Kirche in eine Zeit der Erwartung und Vorbereitung ein. Es ist eine Zeit, in der jede christliche Gemeinde den Sinn der Erwartung neu erlebt, die die Propheten im Volk Israel weckten, als sie voll Hoffnung der Erfüllung eines Versprechens entgegensahen: „Die Jungfrau wird ein Kind empfangen, einen Sohn wird sie gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben.“ Das bedeutet „Gott ist mit uns“ (Jes 7,14; zit. Mt 1,23). Es ist eine Zeit der Vorbereitung auf das Kommen eines Kindes, des „Friedensfürsten“, des Kindes von Betlehem, das gleichzeitig der Sohn Gottes, die zweite Person der Heiligsten Dreifaltigkeit ist. Mein Besuch hier bei euch in Westaustralien fällt also zusammen mit der Vorbereitung auf Weihnachten, einen besonderen Tag der Familie in Australien und in vielen anderen Teilen der Erde. „Die Familie im Plan Gottes für die Menschheit und für die Kirche“, lautet das Thema dieser Eucharistiefeier. Der Sohn Gottes setzte mit seiner Menschwerdung den Anfang jener besonderen Familie, welche die Kirche als die heilige Familie von Nazaret verehrt: Jesus, Maria und Josef. 2. Ich begrüße euch, Familien aus Perth und Westaustralien; ich grüße die Männer und Frauen, Väter und Mütter, Söhne und Töchter und Großeltern sowie alle, denen das Wohl der Familie am Herzen liegt. Ich begrüße Erzbischof Foley und Erzbischof Goody, die anderen Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien, alle hier Versammelten sowie alle, die, im Geist mit uns vereint, die Darbringung des Leibes und Blutes Christi im Meßopfer mitfeiern. Ich grüße die Vertreter der Staatsregierung, die Behördenvertreter und die Vertreter aller öffentlichen Körperschaften und ethnischen Gruppen. Ich begrüße die Glieder der anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften in der Liebe und der Hoffnung, die wir im Herrn Jesus Christus teilen. 1009 REISEN 3. „Die Familie ist die Hauskirche.“ Der Sinn dieser traditionellen christlichen Idee ist, daß das Heim ein kleines Abbild der Kirche darstellt. Die Kirche ist das Sakrament der Liebe Gottes. Sie ist Glaubens- und Lebensgemeinschaft. Sie ist Mutter und Lehrmeisterin. Sie steht im Dienst der ganzen Menschheitsfamilie auf deren Weg zu ihrer letzten Bestimmung. Auf die gleiche Weise ist die Familie auch Lebens- und Liebesgemein-schaft. Sie erzieht und leitet ihre Glieder zur vollen menschlichen Reife und dient dem Wohl aller auf dem Lebensweg. Die Familie ist die „erste Lebenszelle der Gesellschaft“ (AA 11; vgl. Familiaris consortio, 42). Auf eine ihr eigene Weise ist sie lebendiges Abbild und historische Veranschaulichung des Geheimnisses der Kirche (vgl. Familiaris consortio, 49). Die Zukunft der Welt und der Kirche führt daher über die Familie {ebd.,15). Es ist nicht überraschend, daß die Kirche in letzter Zeit den Fragen, die Familienleben und Ehe betreffen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Auch ist es nicht überraschend, daß Regierungen und öffentliche Organisationen ständig mit Fragen zu tun haben, die direkt oder indirekt das institutioneile Wohl von Ehe und Familie betreffen. Jedermann hat es schließlich erfahren, daß gesunde Beziehungen in Ehe und Familie von größter Bedeutung für die Entwicklung und das Wohl des Menschen sind. 4. Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandlungen, die sich in unserer Welt abspielen, sind von größtem Einfluß auf die Auffassung der Menschen von Ehe und Familie. Als Folge davon herrscht bei vielen Paaren Unsicherheit über die Bedeutung ihrer Beziehung, und das macht sie unruhig und verursacht Leid. Andererseits Sind viele andere Paare stärker, weil sie dem Druck moderner Anschauungen standgehalten haben und in vollkommenerer Weise .die besondere Liebe und Verantwortung der ehelichen Gemeinschaft leben, die sie Kinder als eine besondere Gabe Gottes für sich und für die Gesellschaft betrachten lassen. Wie es um die Familie steht, so steht es um die Nation und um die ganze Welt, in der wir leben. Was die Familie betrifft, so muß die Gesellschaft „das Wissen um den Vorrang der sittlichen Werte - welche die Werte der menschlichen Person als solcher sind - wiedergewinnen“ (Familiaris consortio, 8). Australien, eine Nation mit so vielen Hoffnungen und Möglichkeiten, muß wissen, wie die Familie und die Beständigkeit der ehelichen Liebe geschützt werden können, wenn im Land wahrer Friede und wahre Gerechtigkeit herrschen sollen. 1010 REISEN 5. Die Kirche hat in Australien und überall eine spezifische Aufgabe: sie muß den Plan Gottes für Ehe und Familie erläutern und unterstützen und den Paaren und Familien helfen, danach zu leben. Die Kirche ist um alle Familien bemüht: in erster Linie um jene christlichen Familien, die nach immer größerer Treue zum Gottesplan streben. Sie bemüht sich, diese Familien auf dem Weg des Wachstums zu stärken und zu begleiten. Sie ist jedoch auch, mit dem Erbarmen des Herzens Jesu, besorgt um jene Familien, die sich in schwierigen oder ungeordneten Situationen befinden. Die Kirche kann nicht gut nennen, was schlecht ist, noch kann sie als gültig bezeichnen, was ungültig ist. Sie kann nicht darauf verzichten, Christi Lehre zu verkünden, selbst wenn diese Lehre nur mit Schwierigkeiten angenommen wird. Sie weiß auch, daß sie gesandt ist, um zu heilen, zu versöhnen, zur Bekehrung aufzurufen und zu finden, was verloren war (vgl. Lk 15,6). Daher versucht die Kirche, mit großer Liebe und Geduld all jenen zu helfen, denen es schwerfällt, den Forderungen der christlichen ehelichen Liebe und des christlichen Familienlebens zu entsprechen. Die Liebe Christi kann nur in der Wahrheit verwirklicht werden, in der Wahrheit über Leben, Liebe und Verantwortung. Die Kirche muß Christus verkünden, den Weg, die Wahrheit und das Leben, und wenn sie das tut, muß sie die Werte und Grundsätze lehren, die der Berufung des Menschen zur Neuheit des Lebens in Christus entsprechen. Die Kirche wird manchmal mißverstanden und eines Mangels an Mitleid bezichtigt, weil sie Gottes Schöpfungsplan für Ehe und Familie aufrechterhält, seinen Plan für menschliche Liebe und die Weitergabe des Lebens. Die Kirche steht dem Menschen auf der Pilgerfahrt des Lebens immer in echter und treuer Freundschaft bei. Sie weiß, daß sie, wenn sie das Moralgesetz in Ehren hält, zum Aufbau einer wahrhaft menschlichen Zivilisation beiträgt, und sie fordert die Völker unablässig auf, hinsichtlich der ethischen und moralischen Anforderungen nicht auf ihre persönliche Verantwortung zu verzichten (vgl. HV18). 6. „Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn . . ., er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen“ {Jes 2,3). Mit dieser Einladung sagt uns der Prophet Jesaja, wie wir Gott antworten müssen, und diese Antwort gilt auch für Gottes Plan für Ehe und Familie. Den Paaren werden die Gnade und die Kraft des Ehesakramentes eben dazu angeboten, damit sie auf den Pfaden des Herrn gehen und seinem Weg folgen, indem sie dem Plan treu sind, den Christus für die Familie bekräftigt und bestätigt hat. Dieser Plan bezeugt den Weg, wie er am „Anfang“ war (vgl. Mt 19,8), wie ihn Gott am Anfang für das Wohl und 1011 REISEN das Glück der Familie wollte. Nach Gottes Plan erfordert die Ehe die treue und beständige Liebe von Mann und Frau; eine unzertrennliche Einheit, die „wurzelt in der natürlichen Ergänzung von Mann und Frau und lebt aus dem persönlichen Willen der Gatten, ihr ganzes Leben zu teilen, das, was sie haben, und das, was sie sind“ (Familiaris consortio, 19); eine Personengemeinschaft, in der die Liebe zwischen Mann und Frau voll menschlich, ausschließlich und offen für das neue Leben sein muß (vgl. Familiaris consortio, 29). Die eheliche Liebe wird durch das Sakrament der Ehe gestärkt, so daß sie ein immer echteres und wirksameres Abbild jener Einheit werden kann, die zwischen Christus und der Kirche besteht (vgl. Eph 5,32). 7. Ihr wißt, wieviel christlichen Mut ihr nötig habt, um das Gebot Gottes in eurem Leben und euren Familien zu verwirklichen. Es handelt sich dabei um den Mut, Tag für Tag die Liebe aufzubauen - eine Liebe, von der der hl. Paulus sagt: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, läßt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles . . ., hält in allem stand. Die Liebe hört niemals auf.“ (1 Kor 13,4—8). Kann der Papst nach Australien kommen und es versäumen, die australischen Ehepaare und Familien einzuladen, ihre Herzen zu befragen, wie gut sie ihre christliche Liebe leben? Wie ernstlich sie sich dafür einsetzen, daß die echten Werte der Familie aufrechterhalten werden? Wie weit öffentliche Maßnahmen der Verteidigung dieser Werte und daher der Förderung des Gemeinwohls angepaßt sind? Was kann man in einer Welt, die immer empfindlicher für die Rechte der Frauen wird, über die Rechte von Frauen sagen, die ausschließlich Ehefrauen und Mütter sein wollen oder müssen? Sollen ihnen steuerliche Lasten auferlegt werden, die diskriminierend sind für Frauen, die zu Hause bleiben wollen und nicht ihr Heim verlassen, um ein eigenes Einkommen zu verdienen? Ohne die Freiheit jener anzutasten, die eine Erfüllung in einer Anstellung und außerhäuslichen Beschäftigung suchen, muß man sich doch fragen, ob die Arbeit der Hausfrau nicht entsprechend eingeschätzt und in angemessener Weise unterstützt werden sollte (vgl. Familiaris consortio, 23). Das ist möglich, wenn Frauen und Männer voll in ihrer persönlichen Würde respektiert werden, mehr für das, was sie sind, als für das, was sie tun. 1012 REISEN 8. Der grundlegenden Bedeutung des Familienlebens für eine gerechte und gesunde Gesellschaft eingedenk, hat der Heilige Stuhl eine Charta der Familienrechte vorgelegt, die auf dem Naturrecht und den der ganzen Menschheit gemeinsamen Werten beruht. Sie richtet sich in erster Linie an die Regierungen und die internationalen Organisationen, als „grundlegende Forderungen und Prinzipien für eine entsprechende Konkretisierung durch die Gesetzgebung und für die Entwicklung einer Familienpolitik“ (Charta der Familienrechte, 22. Oktober 1983, Einleitung: O.R., dt., 2. 12. 1983). Zu den Grundsätzen, welche die Kirche unter allen Umständen kraftvoll verteidigt, zählen die folgenden, auf die ich eure Aufmerksamkeit lenke: - das unveräußerliche Recht der Brautleute, „eine Familie zu gründen und über den zeitlichen Abstand der Geburten und die Anzahl ihrer Kinder zu entscheiden; dabei müssen sie ihre Verpflichtungen gegenüber sich selbst, den bereits geborenen Kindern, der Familie und der Gesellschaft voll berücksichtigen, und dies in einer rechten Hierarchie der Werte und in Übereinstimmung mit der objektiven moralischen Ordnung . ..“ - aller Druck, der ausgeübt wird, um „die Freiheit der Ehepaare in der Entscheidung über die Zahl ihrer Kinder einzuschränken“, stellt „eine schwere Verletzung der menschlichen Würde und der Gerechtigkeit dar“; - „die Familien haben das Recht, von den staatlichen Autoritäten eine angemessene Familienpolitik auf juristischem, wirtschaftlichem, sozialem und steuerlichem Gebiet erwarten zu können, die jedwede Benachteiligung ausschließt“ (Charta der Familienrechte, Artikel 3 und 9). 9. Die moralische Ordnung erfordert, daß die vom Schöpfer des Lebens den Lebensprozessen mitgegebene Ordnung immer und überall respektiert werde. Der wohlbekannte Widerstand der Kirche gegen Empfängnisverhütung und Sterilisierung ist weder eine willkürliche Stellungnahme, noch beruht er auf einer verkürzten Auffassung von der menschlichen Person. Er bringt vielmehr die ganzheitliche Auffassung der Kirche von der menschlichen Person zum Ausdruck, die mit einer nicht nur natürlichen und irdischen, sondern auch mit einer übernatürlichen und ewigen Berufung beschenkt wurde (vgl. HV 7). Darüber hinaus erklärt die Auffassung der Kirche vom wahren Wert des menschlichen Lebens als eines unwiderruflichen Geschenks Gottes, warum das II. Vatikanische Konzil von der „gebietenden Verpflichtung“ spricht, das Leben zu schützen, und die Abtreibung als „verabscheuungswürdiges Verbrechen“ betrachtet (GS 27.51). 1013 REISEN 10. Der Platz, den die Kinder in der australischen Gesellschaft und Kultur einnehmen, verdient Beachtung. Ich weiß, daß ihr eure Kinder liebt und achtet. Ich weiß, daß eure Gesetze auf vielfältige Art und Weise um das Wohl und den Schutz der Kinder besorgt sind. Eine Gesellschaft, die ihre Kinder hebt, ist gesund und dynamisch. In ihrem Namen wende ich mich an euch Eltern. Die Kinder brauchen Eltern, die ihnen ein stabiles Familienmilieu bieten. Um zu wissen, was wirkliche Liebe ist, müßt ihr in eurer Liebe zueinander und zu ihnen vereint sein. Sie erwarten von euch, daß ihr ihnen Gefährten seid und sie führt. Von euch müssen sie zuerst und in erster Linie lernen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und dem Guten den Vorzug vor dem Bösen zu geben. Ich rufe euch auf: versagt euren Kindern nicht das ihnen zustehende menschliche und geistliche Erbe. Unterrichtet sie über Gott, erzählt ihnen von Jesus, von seiner Liebe und seinem Evangelium. Lehrt sie, Gott zu lieben und seinen Geboten zu folgen, im sicheren Wissen, daß sie vor allem seine Kinder sind. Lehrt sie beten. Lehrt sie, reife und verantwortungsbewußte Menschen zu sein, ehrliche Bürger ihres Landes. Das ist ein wunderbares Vorrecht, eine ernste Pflicht und eine großartige Aufgabe, die ihr von Gott empfangen habt. Durch das Zeugnis eures eigenen christlichen Lebens bringt ihr eure Kinder dazu, den ihnen zustehenden Platz in der Kirche Christi einzunehmen. 11. Und was sage ich euch, Kinder und Jugendliche, die ihr so zahlreich hier anwesend seid? Liebt eure Eltern; betet für sie; dankt Gott jeden Tag für sie. Wenn es manchmal Mißverständnisse zwischen euch gibt, wenn es euch manchmal schwerfällt, ihnen zu gehorchen, erinnert euch dieser Worte des hl. Paulus: „Tut alles ohne Murren und Bedenken, damit ihr rein und ohne Tadel seid, Kinder Gottes . . . (und ihr werdet) als Lichter in der Welt leuchten“ (Phil 2,14f.). Betet auch für eure Brüder und Schwestern und für alle Kinder der Welt, insbesondere für die armen und hungrigen. Betet für die, die Jesus nicht kennen, für die, die allein und traurig sind. Allen jungen Katholiken Australiens ist die Zukunft der Kirche in diesem Land anvertraut. Die Kirche braucht euch. Viel Arbeit erwartet euch in euren Pfarreien und Ortsgemeinden, im Dienst an den Armen und Benachteiligten, den Kranken und den Alten, in so zahlreichen Formen freiwilligen Dienstes. Vor allem müßt ihr Christus zu euren Freunden tragen. Eure eigene Generation ist das Feld, das einer reichen Ernte entgegensieht und auf das Christus euch sendet. Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben für eure Generation und für die kommenden 1014 REISEN Generationen. Ihr seid die Hoffnung der Kirche für eine neue Ära der Evangelisierung und des Dienstes. Seid hochherzig zu anderen, seid hochherzig zu Christus! 12. Liebe Eltern und Kinder, liebe Familien Westaustraliens: das Evangelium des ersten Adventssonntags ruft uns auf, wach zu bleiben, denn „wenn der Herr des Hauses wüßte, . . . würde er wach bleiben und nicht zulassen, daß man in sein Haus einbricht“ (Mt 24,43). Dies ist der Aufruf, den ich neuerlich an euch richte. Seid wach! Laßt euch die kostbaren Schätze der treuen ehelichen Liebe und des Familienlebens nicht rauben. Werft sie nicht weg und denkt nicht, es gäbe einen besseren Weg zu Glück und menschlicher Erfüllung. Der Aufruf des Evangeliums, „wach zu sein“, heißt auch, die Familie auf den Sinn für Verantwortung aufbauen. Echte Liebe ist immer verantwortungsbewußte Liebe. Mann und Frau lieben einander ehrlich, wenn sie vor Gott Verantwortung tragen und seinen Plan für menschliche Liebe und menschliches Leben ausführen, wenn sie einander antworten und füreinander verantwortlich sind. Verantwortete Elternschaft heißt nicht nur, Kinder zur Welt bringen, sondern sich auch verantwortungsbewußt für ihr Heranwachsen und ihre Erziehung einsetzen. Die wahre Liebe in der Familie ist für immer! Schließlich erinnern wir uns, in dem Bestreben, vollkommen in der Liebe zu sein, der Worte des hl. Paulus: „Laßt uns abwerfen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts . . . Legt den Herrn Jesus Christus an“ (Röm 13,12.14). Liebe Familien Australiens: dies ist eure Berufung und euer Glück, heute und für immer: legt den Herrn Jesus Christus an und wandelt in seinem Licht. Amen. „Habt nur Angst davor, Christus untreu zu werden“ Predigt bei der Eucharistiefeier in Victoria, Seychellen, am 1. Dezember Ja, liebe Brüder und Schwestern, es ist eine weite Reise über den Ozean, um euch zu besuchen! Doch jetzt bin ich sehr glücklich, daß ich bei euch bin, euch die Grüße der ganzen Kirche bringen und das Wort Jesu Christi mit euch teilen kann. 1015 REISEN 1. „Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen“ (1 Kor 12,13). Durch die Taufe sind wir Gott nahe; wir sagen „Vater“ zu ihm. Da wir getauft sind, kommen wir zusammen, um die Eucharistie zu feiern. Wir haben Anteil am Opfer Christi, des Erlösers, und am königlichen Priestertum Christi, das uns befähigt, mit ihm geistige Opfer darzubringen. Wir nehmen teil am Leib und Blut des Gottessohnes, unseres Erlösers. Durch ihn und in ihm sind wir von Gott angenommene Kinder. Ja, liebe Brüder und Schwestern, wir müssen Gott für alle Gaben danken, angefangen beim Anblick der Natur, die vor uns liegt. Habt ihr hier nicht ein herrliches Land, sonnenbeschienen und durch Regen fruchtbar gemacht, mit seinen Bergen, den gewaltigen Felsen, den üppigen Wäldern und den schönen Stränden? Das rührt unser Empfinden, und wir preisen den Schöpfer der Welt aus ganzem Herzen. Doch die schönste der göttlichen Schöpfungen ist das menschliche Herz: Im Anfang schuf Gott den Menschen - Mann und Frau - nach seinem Abbild, ihm ähnlich (vgl. Gen 1,26). Und Gott hörte nicht auf, seine Menschen zu heben. Trotz ihrer Ablehnung, ihrer Sünde und ihres Elends führt Gott sie aus freien Stücken zu sich zurück, er verzeiht und versöhnt sie, er schließt einen Bund mit ihnen. Durch Jesus Christus wird der Bund zwischen Gott und den Menschen zu etwas Unerhörtem: der Sohn Gottes ist Mensch geworden; durch sein Kreuz und seine Auferstehung erlöst er die Menschen und stellt ihre Verbundenheit mit Gott wieder her; er gibt ihnen Anteil an seinem Leben, dem Leben Gottes; er versammelt sie in seiner Kirche, um mit ihnen die Liebe Gottes und die Reichtümer des Heiligen Geistes zu teilen. Das ist die Frohe Botschaft, die sich, ausgehend von Jesus, dem Herrn, durch die Apostel und die Missionare des Evangeliums über die ganze Welt verbreitet und bis zu euren Inseln gelangte und an die ihr geglaubt habt. Für alle Gaben der Natur und der Gnade wollen wir Dank sagen. Heute ist der Nachfolger Petri zu euch gekommen, um euch in eurem Glauben zu bestärken, eure Gemeinde zu ermutigen und um ihr neuen Schwung zum Aufbau der Kirche zu geben. 2. Mit diesen Worten der Hoffnung begrüße ich die katholische Kirche der Diözese Port Victoria, die alle Inseln der Seychellen umfaßt. Besonders begrüße ich ihren Bischof Felix Paul, einen Sohn dieses Landes, dem das schwere Amt übertragen wurde, diese Kirche im Namen Jesu Christi zu versammeln und zu leiten. Ich begrüße alle seine Mitarbeiter: die 1016 REISEN Priester, Ordensleute und Laien. Ich danke euch für den mir bereiteten herzlichen Empfang. Ihr seid ein friedfertiges Volk, das sich glücklich schätzt, dieses Land zu bewohnen, und dem die Mischung der Kulturen eine besondere Vitalität und die Möglichkeit zu beispielhaftem brüderlichen Zusammenleben gibt. Ihr seid stolz darauf, Seychellaner zu sein. Ihr seid stolz darauf, Christen zu sein. Ihr bildet eine Kirche, die unerschütterlich im Glauben ist, der hier seit der Zeit der ersten Niederlassung an der Schwelle der Neuzeit gepredigt wurde. Sie entwickelte sich unter dem Seelsorgedienst der Kapuziner aus Savoyen und der Schweiz gut und verzeichnete besonders in diesem Jahrhundert einen bemerkenswerten Aufschwung, den es heute zu erneuern gilt. Ich begrüße auch alle anderen Bewohner der Seychellen: diejenigen, die den christlichen Glauben mit uns teilen, unsere anglikanischen Brüder, und diejenigen, die hier oder auf anderen Inseln des Indischen Ozeans anderen Religionen, wie dem Islam und dem Hinduismus, angehören. Ich begrüße auch die Vertreter der öffentlichen Verwaltung dieses Landes, die mit der Sicherung des allgemeinen Wohlergehens aller betraut sind. Ich weiß, daß auch Delegationen von den Komoren, von der Insel Mauritius mit Bischof Margeot, von der Insel La Reunion mit Bischof Aubry sowie Gläubige aus Madagaskar und aus verschiedenen Ländern Ostafrikas hierhergekommen sind. Ich hoffe, eines Tages auch eure Kirchen besuchen zu können: heute grüße und danke ich euch. 3. Liebe Brüder und Schwestern, durch die Taufe sind wir Christus gleichsam wie Zweige dem Stamm aufgepfropft worden. Laßt uns in ihm bleiben, wie die Zweige am Weinstock. In ihm bleiben heißt, sein Wort halten, an ihn glauben, an die Liebe Gottes glauben, die durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossen ist: „Bleibt in meiner Liebe“. Es heißt, zum lebendigen Gott beten, der in uns gegenwärtig ist als Quelle des Lebens und jeder Gabe: „... dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten“ {Joh 15,7). In Christus bleiben heißt, seinen Geboten treu sein und uns weigern, durch die Sünde uns von ihm zu trennen, denn sonst würden wir wie trockene Äste, die fürs Feuer gut sind. In ihm bleiben heißt, seine Worte in die Tat umsetzen, und die Fähigkeit zu lieben, die er in uns gelegt hat, voll entfalten wie lebende Äste, die sich ständig verzweigen und Früchte tragen. „Mein Vater wird dadurch verherrlicht, daß ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet“ {Joh 15,8). 1017 REISEN 4. So ist die Taufe der Beginn unserer christlichen Berufung. In dem einen Geist sind wir dazu berufen mit der Gnade, die uns zuteil wurde, zusammenzuarbeiten, um alle „einen einzigen Leib“ zu bilden (1 Kor 12,13), den Leib Christi, d. h. die Kirche. „Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder einzelne ist ein Glied an ihm“ (2 Kor 12,27). Die Glieder sind verschieden, ihre Funktionen unterschiedlich, wie die Gnadengaben, die Dienste und Charismen. Die Berufungen ergänzen einander, jeder muß seine eigene erfüllen. Alle tragen vereint und in Harmonie zur Lebenskraft des Leibes bei. Die Diözesankirche bildet eine Familie, deren Bischof im Namen Jesu Christi zugleich Vater und Hirte ist: „In den Bischöfen, denen die Priester zur Seite stehen, ist inmitten der Gläubigen der Herr Jesus Christus, der Hohepriester, anwesend“ (LG 21). Der Bischof hat ein Recht nicht nur auf den Respekt seiner Priester und Laien, sondern auch auf die Zusammenarbeit aller in echter Gemeinschaft. Er selbst ist der Diener Christi und ist für alle da, im Dienst am Wachstum des Leibes, dessen Leben Christus ist. Alle Getauften wirken dabei in der christlichen Gemeinschaft und in der Welt mit durch das Zeugnis ihres Lebens und durch das Apostolat. 5. Den christlichen Laien möchte ich zuerst folgendes sagen: Liebe Brüder und Schwestern, vertieft euren Glauben! Bleibt nicht auf der Stufe der Katechismusantworten, die ihr als Kinder gelernt habt, stehen! Sonst seid ihr nicht fähig, den Anwürfen sektiererischer Gruppen standzuhalten oder auf Fragen zu antworten, die von der Wissenschaft und von modernen Lebensgewohnheiten aufgeworfen werden. Hört also wieder auf das Wort Gottes, besonders bei der Sonntagsmesse! Und dann denkt zusammen darüber nach! Und betet! In den einzelnen Bewegungen, den Rosenkranzgruppen, den verschiedenen Gebets- und Katechismusgruppen, im Neokatechumenat und in den kirchlichen Basisgemeinden. Jesus sagte: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Empfangt die Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie, in denen ihr das Verzeihen und die Stärke Jesu finden werdet. Das gilt für alle, für die Männer gleichermaßen wie für ihre Frauen. Erfüllt vom Geist Christi, werdet ihr darauf bedacht sein, aus diesem Geist zu leben und Zeugnis für ihn abzulegen. Euer häusliches Leben, eure Arbeit, die Beziehungen zu euren Nachbarn und den Menschen, die euch im Leben und im Beruf begegnen, alles wird von einem neuen Geist erfüllt sein, vom Geist des Dienens, der Einsatzfreude bei der Arbeit, der 1018 REISEN Ehrlichkeit und Gerechtigkeit, der Reinheit, die gleichbedeutend ist mit der Ehrfurcht vor der menschlichen Person, und vom Geist der Liebe, die nur deren Bestes will. In diesem Geist tragt ihr in jeder Hinsicht zum Fortschritt eures Landes bei: in sozialer und politischer Verantwortung, bei der Verbesserung der Lebensverhältnisse und Hebung der Moral, beim Aufbau der Zukunft der Seychellen; auch bei der Aufnahme der Touristen, die für euch eine Gelegenheit zum Austausch, zur Öffnung, zum Dienst und zu gegenseitigem Zeugnis bedeuten können. Die Kirche und der Staat ergänzen einander in ihren Rollen, die sowohl Achtung vor den verschiedenen Kompetenzbereichen wie gleichzeitig auch Zusammenarbeit zum Wohl der Menschen erfordern. In allen Lebensbereichen verlangt Christus von euch, daß ihr mutig für ihn Zeugnis gebt. Er fordert euch auf, in der Pfarrei und in der Diözese euch zukommende Aufgaben im Dienst an der kirchlichen Gemeinschaft wahrzunehmen: in der Katechese, in der Liturgie und in Werken der Nächstenliebe. Die nächste Synode wird die Laien der ganzen Welt dazu ermutigen, ihren rechtmäßigen Platz in der Kirche besser auszufüllen. 6. Ein Bereich ist besonders wichtig: derjenige des Familienlebens. Eine Gesellschaft zerbröckelt, wenn die geschlossenen Ehen immer weniger und unstabiler werden, wenn der Mensch in erster Linie darauf bedacht ist, seine Selbstsucht zu befriedigen oder flüchtiges Vergnügen zu suchen, wenn Untreuen und Zerbrechen der Ehe einfach hingenommen werden. Die Christen müssen dann durch ihr Beispiel beweisen, daß ein solides, gutes, von gegenseitiger Liebe beseeltes Familienleben ein unersetzlicher Schatz ist. Durch den Empfang des Ehesakramentes anerkennen sie, daß alle Liebe von Gott kommt und nur mit der Gnade Gottes und in der Kraft der Liebe, die Christus für seine Kirche gezeigt hat, treu gelebt werden kann. Wenn sie in verantworteter Elternschaft Leben auf nehmen und es vom Augenblick der Empfängnis an in Ehrfurcht achten, wirken sie mit an der Liebe des Schöpfergottes. Bei ihnen liegt auch die erste Verantwortung für die Erziehung der Kinder und für ihre Entwicklung im Glauben. Liebe christliche Eheleute und Eltern, kraft eurer Ehe habt ihr eine Aufgabe ersten Ranges in der Kirche und in der Gesellschaft. Betet, betet zusammen zu Christus, der in eurem Heim bei euch ist. Und sucht euch bei Gelegenheiten wie Versammlungen oder geistlichen Besinnungstagen als Familie gegenseitig zu helfen. 7. Ich wende mich auch an die Kinder und die jungen Leute. Liebe Freunde, von euren Eltern habt ihr euer Leben und die Einführung in den 1019 REISEN Glauben erhalten. Sie haben euch noch viel zu sagen und zu geben, auch wenn manche nicht die gleiche Erziehung erhielten wie ihr. Vertraut auf ihre Erfahrung, ihr Zeugnis und ihren Rat und gebt ihnen eurerseits die Hilfe, die sie von euch erwarten. Doch ihr müßt auch selbst für die Vertiefung eures Glaubens sorgen, damit er zur Überzeugung und persönlichen Wahl wird. Die Unterweisung, die ihr in den verschiedenen Schulen erhaltet, eröffnet euch Möglichkeiten für die Zukunft, für die Zukunft der Seychellen. Hand in Hand mit diesem Unterricht müßte man sich in entsprechender Weise darum bemühen, auch das besser kennenzulernen, was Gott den Menschen durch die Bibel und durch die Geschichte der Kirche offenbart hat. Diese Offenbarung erklärt nicht wie die Wissenschaft das „Wie“ der Natur, sondern sie antwortet auf das „Warum“: sie zeigt den Sinn des Seins nach Gottes Plan. So werdet ihr fähig sein, Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die in euch ist, und furchtlos auf neue Fragen, die sich während eures Studiums stellen, zu antworten. Deshalb möchte die Kirche immer die Möglichkeit haben, jungen Leuten diesen Dienst anzubieten, der in ihren Augen grundsätzliche Bedeutung hat, nämlich: ihnen in Hochachtung vor ihrem Gewissen die christliche Botschaft nahezubringen, die Erfahrung des Lebens in der Kirche und den Sinn eines Lebens, das im Licht Jesu Christi gestaltet werden soll. Ich weiß, daß die Lehrer und Lehrerinnen, von Ordensschwestern unterstützt, euch im Glauben eifrig unterweisen, und ich ermutige sie sehr dazu. Soll aber die Katechese Früchte tragen, dann muß sie auch vom guten Lebensbeispiel der Erzieher und Eltern in einer Atmosphäre des Dialogs begleitet werden. Euer Glaube muß sich aber auch in christlichen Taten ausdrücken. Er muß durch das Gebet, durch die Feier des Gottesdienstes und durch die Sakramente, besonders die Eucharistie, Nahrung erhalten. Priester und Katecheten könnten das alles wohl im Rahmen der Pfarrei bieten. Und euch, ihr jungen Christen des „National Youth Service“, bitte ich, seid treu darin, in den Messen, die in euren Lagern gefeiert werden, eure geistliche Nahrung zu suchen. Bereitet eure Zukunft vor, indem ihr die moralischen Werte der Geradheit des Herzens, der Loyalität, der Ausdauer in euren Anstrengungen und der Freundschaft zur Entfaltung kommen laßt. Bereitet euch auf die menschliche Liebe vor, auf der euer Zuhause begründet sein wird, wenn das eure Berufung ist. Wir müssen eine Lehrzeit durchmachen, um die Ehrfurcht vor dem anderen, das gegenseitige Verstehen, die Selbstbeherrschung und die Hingabe zu lernen. Liebe bedeutet viel mehr als die oberflächliche Befriedigung von Gefühlen. Sie ist die Antwort auf eine 1020 REISEN wunderbare Berufung, die Gott in eure Herzen gelegt hat und für die ihr ehrlich, stark und großzügig sein müßt, fähig den Verantwortungen der Ehe gemeinsam nachzukommen. Gleichzeitig drücke ich die Hoffnung aus, daß der Ruf des Herrn, ihm im Priester- oder Ordensleben zu folgen, von den jungen Leuten, denen er diese Gnade gibt, gehört wird zum Besten ihrer Brüder und der Kirche der Seychellen. Und ihr, meine erwachsenen Brüder und Schwestern, gebt euch alle Mühe, diese Berufungen, die ihr so dringend braucht, zu ermutigen und zu unterstützen. 8. Tatsächlich kann dann die Kirche, die aus allen Getauften hier besteht, ohne den Dienst der Priester nicht das göttliche Leben vom Haupt Jesu Christi empfangen. Sie kann nicht überleben, nicht geeint bleiben, nicht im Licht des Glaubens fortschreiten und nicht missionarisch sein. Mit gutem Grund seid ihr alle besorgt wegen der geringen Anzahl und der Überalterung eurer Priester, der Ordens- und der Weltpriester. Anläßlich der Zweihundertjahrfeier zu Ehren des Pfarrers von Ars ermutige ich alle Priester, ihr heiliges Amt in großer brüderlicher Gemeinschaft auszuüben in Zusammenarbeit mit dem Bischof, indessen sie nach neuem geistlichen Ansporn und apostolischen Initiativen suchen, die den Anforderungen der Laien gerecht werden. Wo wird die Lösung für das Problem des Priesternachwuchses zu finden sein? Ich glaube, ihr könnt mit der Solidarität der anderen Kirchen rechnen, besonders jener der Bischofskonferenz des Indischen Ozeans, doch nach und nach auch mit Priestern aus dem eigenen Land. Laßt uns den Herrn der Ernte bitten, Arbeiter in seine Ernte zu senden! Ihr habt auch, liebe Brüder und Schwestern, das wichtige Zeugnis und die überaus wertvolle apostolische Arbeit von Ordensleuten erfahren, nämlich der Christlichen Schulbrüder, der Josefsschwestern von Cluny, unter denen es viele Berufungen von den Seychellen gibt, der Schwestern von der hl. Elisabeth, die eng mit dieser Diözese verbunden sind, und der Missionarinnen der Nächstenliebe von Mutter Teresa. Es muß deshalb auch ein neues Aufblühen des Ordenslebens vorbereitet werden. Laßt uns noch einmal die letzte Weisung unseres Herrn Jesus hören: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage . . . Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe“ ( Joh 15,14.12). Wir können bereits sehen, daß jede menschliche Berufung sich nur in der Liebe richtig erfüllen kann: das gilt in der Familie, in den bürgerlichen Beziehungen, in sozialen Gruppen, zwischen Rassen und Völkern. Liebe bewirkt und beseelt den Frieden, die Ehrerbietung und die gegenseitige 1021 REISEN Hilfe. Die christliche Berufung, die eine Berufung zur Heiligkeit ist, besteht wesentlich in der Liebe: den Herrn unseren Gott mit unserer ganzen Kraft zu lieben und unseren Nächsten so zu lieben, wie Christus uns geliebt hat. In einer Liebe, die bis zum Äußersten geht. „Es gibt keine größere Liebe, als sein Leben für seine Freunde hinzugeben.“ Das, liebe Brüder und Schwestern, muß eure christliche Gemeinde hier auf den Seychellen charakterisieren. Ja, mögen Wohlwollen, freundliche Aufnahme, Sorge um Verständigung in Wahrheit, gegenseitige Unterstützung, Verzeihen und Vertrauen alle eure Beziehungen zwischen Laien, Priestern, Ordensleuten und dem Bischof kennzeichnen, ebenso eure loyale und großzügige Offenheit zu allen anderen, in Treue zu eurer christlichen Identität. Wenn ihr in der Liebe Christi handelt, werdet ihr bleibende Frucht bringen (vgl. Joh 15,16). Ihr werdet eurem Land eine Zukunft in Glück, Frieden und Brüderlichkeit bereiten, wonach das Volk der Seychellen immer gestrebt hat. Christus wird euch im Gericht als seine Jünger anerkennen. 10. Ich möchte euch erneut dazu ermutigen, immer stärkere Verbindungen mit den anderen Lokalkirchen zu knüpfen, mit den Diözesen Mauritius, La Reunion und der Apostolischen Administration auf den Komoren, mit denen eure eigene Diözese bereits in der einen Bischofskonferenz des Indischen Ozeans verbunden ist. Der verstärkte Dialog und die Zusammenarbeit, die ihr vertiefen wollt, werden allen vorhin erwähnten Unternehmen zugute kommen: der Katechese, den Organisationen und Berufungen. Die Solidarität gibt ein christliches Zeugnis, und sie ist auch ein Ansporn, das gemeinsame Wohl eurer gesamten Region unter Berücksichtigung der Eigenart jeder Nation zu suchen. Sind die Seychellen - mitten im Ozean gelegen, ein natürlicher Kreuzungspunkt von Luft- und Seewegen - nicht sogar auf dem Niveau der internationalen Gemeinschaft dazu berufen, ihre Rolle beim Meinungsaustausch und zum gegenseitigen Verständnis in der Welt zu spielen? Weniger bevölkerte und weniger mächtige Staaten haben dank ihrer Unabhängigkeit und Öffnung gegenüber der ganzen Welt ihren eigenen Beitrag zum Frieden in den internationalen Beziehungen zu leisten. Was die Universalkirche betrifft, so unterstützt und ermutigt sie euch bei euren Bemühungen. Ihr habt in ihr euren Platz und leistet den Beitrag eures eigenen Zeugnisses. Der Nachfolger Petri, der ihren Vorsitz führt, freut sich über diesen Aufenthalt bei euch, um mit euch zu beten und dadurch die Bande zu stärken, die euch mit all euren Brüdern und 1022 REISEN Schwestern vereinen, den Gliedern des einen Leibes Christi über die ganze Welt hin. 11. „Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes“ (Röm 8,19). In der Adventszeit, die wir gestern begonnen haben, erleben wir dieses Warten. Die Erlösung, die Gott uns durch Jesus Christus bietet, ist für die ganze Welt bestimmt, für alle Geschöpfe. Auch euer Land ist damit gesegnet, genauso wie es teilhat an der Sendung, seinerseits diese Gnade Gottes zu verkünden. Wir wollen uns das Lied des Psalmisten zu eigen machen: „Jauchzt vor dem Herrn alle Länder der Erde! Dient dem Herrn mit Freude ... Er hat uns geschaffen, wir sind sein Eigentum, sein Volk und die Herde seiner Weide . . . Dankt ihm, preist seinen Namen! Denn der Herr ist gütig, ewig währt seine Huld, von Geschlecht zu Geschlecht seine Treue“ (Ps 100,1.3-5). Ja, seine Treue ist so sicher wie der Granitfelsen eurer Inseln. Fürchtet die Zukunft nicht! Habt nur Angst davor, Christus untreu zu werden, der das Haupt des Leibes, unsere Stärke und unser Leben ist. Wenn ihr zu Maria, seiner und unserer Mutter aufblickt und fortfahrt, voll Vertrauen zu ihr zu beten, wird sie euch sicher zu Christus führen oder euch zu ihm zurückbringen. Sie wird euch helfen, eure Herzen dem Heiligen Geist zu öffnen, der in euch Wunder vollbringen wird, wie er es in ihr tat. Er ist es, der unser Leben erneuert und es mit Liebe überschüttet, es der Hoffnung öffnet und mit Freude erfüllt (vgl. Joh 15,11). Amen. Ja, wir haben viel zu tun! Doch wir sind zusammen Glieder des gleichen Leibes. Und Christus ist unser Haupt. Vertrauen! Seine Kraft wird uns niemals fehlen! 1023 III Ansprachen, Predigten, Botschaften und Rundschreiben BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der Friede, Wert ohne Grenzen Nord-Süd, Ost-West: Ein einziger Friede Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages am 1. Januar 1986 1. Friede als universaler Wert Zum Beginn des neuen Jahres erneuere ich unter dem Antrieb Christi, des Friedensfürsten, die Verpflichtung auf die Sache des Friedens, zu der sich der Papst und die ganze katholische Kirche bekennen. Zugleich richte ich an jeden einzelnen und an alle Völker der Erde meinen aufrichtigen Gruß und beste Wünsche: Friede sei mit euch allen! Friede sei in allen Herzen! Friede ist ein so wichtiger Wert, daß er immer wieder neu verkündet und stets gefördert werden muß. Es gibt kein menschliches Wesen, dem Friede nicht zum Vorteil gereicht. Es gibt kein menschliches Herz, das nicht erleichtert ist, wenn Friede herrscht. Alle Nationen der Welt können ihre miteinander verbundene Zukunft nur dann verwirklichen, wenn sie gemeinsam den Frieden als universalen Wert fördern. Zu diesem 19. Weltfriedenstag im Internationalen Jahr des Friedens, das die Vereinten Nationen verkündet haben, biete ich jedermann als Botschaft der Hoffnung meine tiefe Überzeugung an: „Friede ist ein Wert ohne Grenzen“. Er ist ein Wert, der Antwort gibt auf die Hoffnungen und Sehnsüchte aller Menschen und Nationen, von jung und alt, von allen Männern und Frauen guten Willens. Das ist meine Botschaft an jeden einzelnen, insbesondere aber an die Lenker der Welt. Die Frage des Friedens als eines universalen Wertes muß mit äußerster intellektueller Redlichkeit, mit ehrlichem Herzen und wachem Verantwortungsbewußtsein für sich selbst und für die Völker der Erde angegangen werden. Ich möchte die Verantwortlichen für politische Entscheidungen, welche die Beziehungen zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West betreffen, bitten, sich davon überzeugen zu lassen, daß es nur einen Frieden geben kann. Alle, die über die Zukunft dieser Welt entscheiden, ungeachtet ihrer politischen Einstellung, ihres ökonomischen Systems oder ihres religiösen Bekenntnisses, sind aufgefordert, zur Errichtung eines einzigen gemeinsamen Friedens beizutragen auf der Grundlage sozialer Gerechtigkeit und der Würde und Rechte jeder menschlichen Person. Diese Aufgabe erfordert eine tiefe Offenheit für die ganze Menschheit und die Überzeugung, daß alle Nationen der Welt aufeinander bezogen sind. Diese gegenseitige Beziehung drückt sich in einer Abhängigkeit aus, die sich als höchst vorteilhaft oder auch als tief zerstörerisch erweisen kann. Darum bilden 1027 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN weltweite Solidarität und Zusammenarbeit ethische Forderungen, die sich an das Gewissen der einzelnen wie auch an die Verantwortung aller Nationen richten. In diesem Kontext ethischer Forderungen möchte ich mich zum 1. Januar 1986 an die ganze Welt wenden und den universalen Wert des Friedens verkünden. 2. Bedrohungen des Friedens Wenn wir diese Sicht vom Frieden am Beginn eines neuen Jahres vorlegen, sind wir uns zutiefst bewußt, daß der Friede gegenwärtig noch ein Wert ist, der auf sehr schwachen Fundamenten ruht. Auf den ersten Blick scheint unser Ziel, Frieden zu einer absoluten Verpflichtung zu machen, utopisch zu sein, weil unsere Welt im Bereich von einander entgegenstehenden politischen, ideologischen und ökonomischen Gruppen allzu deutlich ein übertriebenes Eigeninteresse zeigt. Im Griff solcher Systeme werden führende Persönlichkeiten und Gruppen dazu verleitet, ihre Sonderinteressen und ihre ehrgeizigen Ziele im Bereich von Macht, Fortschritt und Wohlstand zu verfolgen, ohne hinreichend auf die Notwendigkeit und Pflicht internationaler Solidarität und Zusammenarbeit zugunsten des Gemeinwohls aller Völker der Menschheitsfamilie zu achten. In dieser Situation bilden sich dauerhafte Blöcke, die Völker, Gruppen und einzelne spalten und in einen Gegensatz zueinander bringen und so den Frieden anfällig machen und schwere Hindernisse für den Fortschritt errichten. Positionen verhärten sich dann, und der übertriebene Wunsch, den eigenen Vorteil zu wahren oder den erlangten Anteil zu vergrößern, wird oft zur allesbeherr-schenden Handlungsmaxime. Das führt zur Ausbeutung der anderen, und die Spirale entwickelt sich auf eine Polarisierung hin, die sich von den Früchten des Eigeninteresses und des wachsenden Mißtrauens gegenüber anderen nährt. In einer solchen Lage leiden gerade der Kleine und der Schwache, der Arme und der ohne Stimme am meisten. Das kann unmittelbar zutreffen, wenn ein armes und relativ wehrloses Volk gewaltsam in Abhängigkeit gehalten wird. Das kann auch indirekt geschehen, wenn wirtschaftliche Macht dazu mißbraucht wird, um Völkern ihren rechtmäßigen Anteil zu verweigern und sie in sozialer und wirtschaftlicher Abhängigkeit zu halten, wodurch Unzufriedenheit und Gewalt erzeugt werden. Beispiele hierfür gibt es heute leider allzu viele. Die gespenstische Wirklichkeit atomarer Waffen, die ihren Ursprung gerade in diesem Gegensatz von Ost und West hat, bleibt das dramatischste und deutlichste Beispiel hierfür. Kernwaffen sind so stark in ihrer Zerstörungspotenz, und atomare Strategien sind so umfassend in ihren Planzielen, daß die Vorstellungskraft der Leute oft von Angst gelähmt ist. Diese Angst ist nicht unbegrün- 1028 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN det. Der einzige Weg, um eine Antwort auf solche berechtigte Angst vor den Folgen atomarer Zerstörung zu geben, ist der Fortschritt in den Verhandlungen zur Verringerung von Kernwaffen und zur beidseitigen Vereinbarung von Maßnahmen, welche die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges vermindern. Ich möchte die Atommächte noch einmal bitten, ihre sehr große moralische und politische Verantwortung in diesem Bereich zu bedenken. Es handelt sich hier um eine Verpflichtung, die einige Staaten auch rechtlich durch internationale Verträge übernommen haben; für alle aber ist es eine Verpflichtung auf Grund einer grundsätzlichen Mitverantwortung für Frieden und Entwicklung. Aber die Drohung mit Kernwaffen ist nicht die einzige Weise, wie Konflikte fortdauern und sich vertiefen. Der wachsende Handel mit Waffen — konventioneller, aber höchst entwickelter Art — führt zu schlimmen Folgen. Während die Großmächte den direkten Konflikt vermieden haben, sind ihre Rivalitäten oft in anderen Teilen der Welt ausgetragen worden. Lokale Probleme und regionale Gegensätze werden dadurch vertieft und verlängert, daß reichere Länder Waffen dorthin liefern und die örtlichen Konflikte mit Ideologien von Mächten beladen werden, die regionale Vorteile suchen, indem sie die Lage der Armen und Wehrlosen ausnutzen. Bewaffnete Konflikte sind nicht die einzige Weise, wie die Armen einen ungerechten Anteil an den Lasten der heutigen Welt tragen. Die Entwicklungsländer stoßen auch dann noch auf ungeheure Herausforderungen, wenn sie von einer solchen Geißel verschont sind. In ihren vielfältigen Dimensionen bleibt Unterentwicklung selbst eine noch stets wachsende Bedrohung für den Weltfrieden. Tatsächlich besteht ja zwischen den Ländern des „Nord-Blocks“ und denen des „Süd-Blocks“ ein tiefer sozialer und wirtschaftlicher Graben, der reich von arm trennt. Die Statistiken der letzten Jahre weisen in einigen wenigen Ländern Zeichen der Besserung auf, ebenso aber auch die offensichtliche Verbreiterung des Grabens in allzu vielen anderen Ländern. Hinzu kommt die unvorhersehbare und schwankende finanzielle Situation mit ihrer direkten Auswirkung für hochverschuldete Länder, die darum ringen, eine gewisse positive Entwicklung zu nehmen. Bei dieser Lage ist der Friede als universaler Wert in großer Gefahr. Auch wenn dort, wo Ungerechtigkeit herrscht, im Augenblick kein eigentlicher bewaffneter Konflikt besteht, so ist diese doch in der Tat Ursache und möglicher Ausgangspunkt für Konflikte. Jedenfalls kann es keinen Frieden im vollen Sinne seines Wertes zusammen mit Ungerechtigkeit geben. Friede kann nicht auf das bloße Fehlen von Konflikten eingeschränkt werden; er bedeutet vielmehr die ausgeglichene Ruhe einer vollentfalteten Ordnung. Er geht verloren durch soziale und wirtschaftliche Ausbeutung von seiten spezieller Interessen- 1029 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gruppen, die überstaatlich arbeiten oder als Eliten innerhalb von Entwicklungsländern wirken. Der Friede geht verloren durch soziale Spaltungen, die zwischen Staaten oder innerhalb der Staaten die Reichen in einen Gegensatz zu den Armen bringen. Er geht verloren, wenn Gewaltanwendung bittere Früchte von Haß und Spaltung hervorbringt. Er geht verloren, wenn wirtschaftliche Ausbeutung und innere Spannungen im sozialen Gefüge das Volk wehrlos und enttäuscht werden lassen, eine leichte Beute für die zerstörerischen Mächte der Gewalt. Der Friede ist in seinem Wert ständig bedroht durch verdeckte Interessen, durch unterschiedliche und entgegengesetzte Auslegungen und sogar durch schlaue Ausnutzung im Dienst von Ideologien und politischen Systemen, deren letztes Ziel die Macht ist. 3. Überwindung der gegenwärtigen Situation Es gibt Stimmen, die behaupten, diese Situation sei naturgegeben und unvermeidlich. Die Beziehungen zwischen Einzelpersonen und zwischen den Staaten, so sagt man, seien von ständigen Konflikten bestimmt. Diese theoretische und politische Auffassung formt dann ein Gesellschaftsmodell und ein System internationaler Beziehungen, die von Konkurrenz und Gegensatz beherrscht werden, wobei der Stärkste siegt. Ein Friede, der aus einer solchen Auffassung geboren wird, kann nur eine Art von Kompromiß sein, eingegeben vom Prinzip der Realpolitik, und als Kompromiß sucht ein solcher Friede nicht so sehr die Spannungen durch Gerechtigkeit und Ausgleich wirklich zu lösen, als vielmehr mit den Differenzen und Konflikten lediglich so fertig zu werden, daß man ein gewisses Gleichgewicht erreicht, das alles unangetastet läßt, was den Interessen der vorherrschenden Seite entspricht. Es ist klar, daß ein „Friede“, der auf sozialen Ungerechtigkeiten Und ideologischen Konflikten errichtet wird, niemals ein wahrer Friede für die Welt werden kann. Ein solcher „Friede“ kann nicht die wesentlichen Ursachen der Spannungen in der Welt bewältigen oder der Welt jene Einsichten und Werte vermitteln, welche die durch die Pole Nord-Süd und Ost-West dargestellten Spaltungen überwinden könnten. Denjenigen, die meinen, Blöcke seien unvermeidlich, antworten wir, daß es möglich, ja sogar notwendig ist, neue Arten von Gesellschaft und internationaler Beziehungen aufzubauen, die Gerechtigkeit und Frieden auf festen und allgemein anerkannten Grundlagen sichern werden. In der Tat, ein gesunder Realismus zeigt, daß solche neuen Gesellschaftsformen nicht einfachhin von oben herab oder von außen auferlegt oder allein durch irgendwelche technischen Methoden erreicht werden können. Das kommt daher, weil die tiefsten Wurzeln von Widerstreit und Spannung, die den Frieden verletzen und die Ent- 1030 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN wicklung hemmen, im Herzen des Menschen gesucht werden müssen. Vor allem das Herz und die Einstellung der Menschen müssen sich ändern, und das erfordert eine Erneuerung, eine Bekehrung der einzelnen Personen. Wenn wir die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre untersuchen, können wir nicht nur tiefe Verwundungen, sondern auch Zeichen einer festen Entschlossenheit bei vielen unserer Zeitgenossen und bei ganzen Völkern beobachten, die gegenwärtigen Hindernisse zu überwinden, um ein neues internationales Ordnungssystem ins Leben zu rufen. Das ist der Weg, den die Menschheit einschlagen muß, wenn sie in eine Periode von universalem Frieden und umfassender Entwicklung gelangen soll. 4. Der Weg der Solidarität und des Dialogs Jegliches neue internationale Ordnungssystem, das fähig sein will, das Blockdenken und die gegensätzlichen Kräfte zu überwinden, muß sich auf die persönliche Entschlossenheit eines jeden stützen, die grundlegenden und vorrangigen Bedürfnisse der Menschen zum ersten Gebot internationaler Politik zu machen. Heutzutage haben unzählige Menschen in allen Teilen der Welt ein lebendiges Gespür für ihre grundsätzliche Gleichheit, ihre menschliche Würde und ihre unveräußerlichen Rechte erworben. Zugleich wächst das Bewußtsein dafür, daß es in der Menschheit eine tiefe Gemeinsamkeit der Interessen, der Berufung und Bestimmung gibt und daß alle Völker in der Vielfalt und dem Reichtum ihrer unterschiedlichen nationalen Eigenarten berufen sind, eine einzige Familie zu bilden. Hinzu kommt die Erkenntnis, daß die Vorräte dieser Erde nicht unbegrenzt, die Bedürfnisse aber unendlich groß sind. Anstatt darum diese Vorräte zu vergeuden oder für Waffen tödlicher Zerstörung zu verwenden, müssen sie vor allem dazu gebraucht werden, die vorrangigen und grundlegenden Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Ebenso ist es wichtig festzustellen, daß das Bewußtsein dafür wächst, daß Aussöhnung, Gerechtigkeit und Friede zwischen einzelnen und zwischen Nationen — angesichts der Entwicklungsstufe, die die Menschheit erreicht hat, und der äußerst schweren Bedrohungen, die über ihrer Zukunft liegen — nicht bloß ein ehrenwerter Appell für einige Idealisten ist, sondern eine Bedingung für das Überleben des Lebens selbst. Folglich ist heute die Errichtung einer auf Gerechtigkeit und Frieden gründenden Ordnung lebensnotwendig, und zwar als eine klare sittliche Forderung, die für alle Völker und Regierungsformen, unabhängig von Ideologien und Gesellschaftssystemen, gilt. Die Notwendigkeit, mit und über dem besonderen Gemeinwohl einer Nation das Gemeinwohl der ganzen Staatenfamilie mitzuberücksichtigen, ist ganz gewiß eine ethische und rechtliche Pflicht. 1031 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der rechte Weg zu einer Weltgemeinschaft, in der Gerechtigkeit und Friede ohne Grenzen unter allen Völkern und auf allen Kontinenten herrschen werden, ist der Weg der Solidarität, des Dialogs und der universalen Brüderlichkeit. Das ist der einzig mögliche Weg. Politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Beziehungen und Systeme müssen von den Werten der Solidarität und des Dialogs geprägt sein; diese wiederum erfordern eine institutioneile Stütze in Form von speziellen Organen der Weltgemeinschaft, die auf das Gemeinwohl aller Völker achten. Eines ist deutlich: Um wirklich eine Weltgemeinschaft dieser Art zu erreichen, müssen geistige Einstellungen und politische Ansichten, die durch Machtgelüste und Ideologien, durch die Verteidigung der eigenen Privilegien und Besitzstände vergiftet sind, aufgegeben werden; an ihre Stelle muß die. Bereitschaft für Austausch und Zusammenarbeit mit allen im Geiste gegenseitigen Vertrauens treten. Diese Forderung, die Einheit der Menschheitsfamilie ernstzunehmen, wirkt sich sehr konkret für unser Leben und unseren Einsatz für den Frieden aus. Das bedeutet vor allem, daß wir jene Art zu denken ablehnen, die spaltet und ausnutzt. Es bedeutet, daß wir uns einer neuen Solidarität verpflichten, der Solidarität mit der ganzen Menschheitsfamilie. Es bedeutet, die Nord-Süd-Spannun-gen in den Blick zu nehmen und sie durch eine neue Beziehung, durch soziale Solidarität mit allen, zu ersetzen. Diese soziale Solidarität nimmt den heute bestehenden Graben ehrlich zur Kenntnis, findet sich aber nicht damit ab, in einer Art von ökonomischem Determinismus. Sie erkennt an, wie komplex das Problem ist, das man allzu lange sich selbst überlassen hat, das aber immer noch gelöst werden kann durch Männer und Frauen, die sich brüderlich solidarisch wissen mit jedem anderen auf dieser Erde. Es ist wahr, daß es Änderungen bei den Modellen wirtschaftlichen Wachstums in allen Teilen der Welt, nicht nur in den ärmsten, gegeben hat. Aber der Mensch, der den Frieden als einen universalen Wert ansieht, möchte diese Gelegenheit nutzen, um die Unterschiede zwischen Nord und Süd zu verringern, und jene Beziehungen fördern, welche diese näher zueinander bringen. Ich denke dabei an die Preise für Grundstoffe, an den Bedarf für technisches Fachwissen, an die Fortbildung der Arbeitskräfte, an die mögliche Produktivität von Millionen von Arbeitslosen, an die Schulden armer Nationen sowie an einen besseren und verantwortungsbewußteren Einsatz von Geldmitteln in den Entwicklungsländern. Ich denke ferner an so viele Faktoren, die einzeln Spannungen hervorgerufen und in ihrer Bündelung die Nord-Süd-Beziehungen polarisiert haben. All das kann und muß geändert werden. Wenn soziale Gerechtigkeit das Mittel ist, um zu einem Frieden für alle Völker zu gelangen, dann bedeutet dies, daß wir den Frieden betrachten als eine un- 1032 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN teilbare Frucht von gerechten und aufrichtigen Beziehungen auf jeder Ebene des menschlichen Lebens auf dieser Erde — sozial, wirtschaftlich, kulturell und ethisch. Diese Bekehrung zu einer Haltung sozialer Solidarität dient auch dazu, die Mängel im gegenwärtigen Ost-West-Verhältnis zu beleuchten. In meiner Botschaft an die II. Sondersitzung der Vollversammlung der Vereinten Nationen über Abrüstung habe ich viele der Elemente untersucht, die notwendig sind, um das Verhältnis zwischen den zwei größten Machtblöcken von Ost und West zu verbessern. Alle jene Wege, die ich damals und auch danach noch empfohlen habe, stützen sich auf die Solidarität der Menschheitsfamilie, die gemeinsam auf dem Weg des Dialogs voranschreitet. Der Dialog kann viele Türen öffnen, die sich auf Grund der Spannungen geschlossen haben, welche die Ost-West-Beziehungen gekennzeichnet haben. Der Dialog ist ein Weg, auf dem die Menschen sich gegenseitig besser kennenlernen und dabei die guten Hoffnungen und friedlichen Anliegen entdecken, die allzu oft in ihren Herzen verborgen bleiben. Echter Dialog geht über Ideologien hinaus; die Menschen begegnen sich dabei in der Wirklichkeit ihres eigenen Lebens. Dialog baut vorgefaßte Meinungen und künstliche Barrieren ab. Dialog bringt die Menschen in Kontakt miteinander als Mitglieder einer einzigen Menschheitsfamilie, mit allem Reichtum ihrer verschiedenen Kulturen und geschichtlichen Erfahrungen. Eine Bekehrung des Herzens verpflichtet die Menschen, eine allumfassende Brüderlichkeit zu fördern; Dialog hilft, dieses Ziel zu erreichen. Heutzutage ist ein solcher Dialog notwendiger denn je. Sich selbst überlassen, werden Waffen und Waffensysteme, militärische Strategien und Allianzen zu Instrumenten der Einschüchterung, gegenseitiger Beschuldigung und entsprechender Angst, wie sie heute so viele Menschen befällt. Der Dialog wertet diese politischen Instrumente in ihrer Beziehung zum menschlichen Leben. Ich denke dabei vor allem an die verschiedenen Gesprächsrunden in Genf, die durch Verhandlungen versuchen, die Rüstungen zu verringern und zu begrenzen. Dann gibt es aber auch die verschiedenen offiziellen Gespräche, die im Zusammenhang des multilateralen Prozesses geführt werden, der mit der Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von Helsinki begonnen hat, ein Prozeß, der nächstes Jahr in Wien überprüft und fortgesetzt werden wird. Was den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd betrifft, kann man an die wichtige Rolle denken, die bestimmten Körperschaften wie der UNCTAD anvertraut ist, und auch an die Vereinbarungen von Lome, in denen sich die Europäische Gemeinschaft verpflichtet hat. Ich denke auch an die Arten von Dialog und Austausch, zu denen es kommt, wenn Grenzen geöffnet werden und die Menschen frei reisen können. Ich meine auch den Dialog, der sich ergibt, wenn eine Kultur durch den Kontakt mit einer anderen 1033 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN reicher wird, wenn Schüler und Studenten sich frei austauschen können, wenn Arbeiter sich frei versammeln dürfen, wenn junge Menschen ihre Kräfte für den Weg in die Zukunft vereinen, wenn ältere Menschen mit ihren Angehörigen wiedervereint werden. Der Weg des Dialogs ist ein Weg der Entdeckungen, und je mehr wir einander entdecken, umso mehr können wir die Spannungen der Vergangenheit durch friedliche Bindungen ersetzen. 5. Neue Beziehungen auf der Grundlage von Solidarität und Dialog Im Geist der Solidarität und mit den Mitteln des Dialogs werden wir den Respekt lernen — für jede menschliche Person, — für die echten Werte und Kulturen anderer, — für ihre berechtigte Autonomie und Selbstbestimmung; im selben Geist werden wir lernen, — über uns selbst hinauszublicken, um das Wohl anderer zu verstehen und zu fördern; — mit unseren eigenen Möglichkeiten in sozialer Solidarität beizutragen zu Entwicklung und Wachstum, wie Billigkeit und Gerechtigkeit sie fordern; — die Strukturen zu schaffen, die sicherstellen, daß soziale Solidarität und Dialog die bleibenden Merkmale der Welt, in der wir leben, sein werden. Die Spannungen, die aus den zwei Machtblöcken entstehen, werden erfolgreich durch vielseitige Beziehungen im Geist von Solidarität und Dialog ersetzt werden, wenn wir lernen, stets den Vorrang der menschlichen Person zu betonen. Es geht um die Würde der Person und die Verteidigung ihrer Menschenrechte; denn diese leiden immer in der einen oder anderen Weise durch solche Spannungen und Verzerrungen unter den Machtblöcken, die wir soeben näher betrachtet haben. Das kann in Ländern geschehen, wo zwar viele persönliche Freiheiten garantiert sind, wo jedoch Individualismus und Konsumismus die Werte des Lebens entstellen und verfälschen. Es geschieht in Gesellschaften, wo die Person im Kollektiv untergeht. Es kann auch geschehen in jungen Staaten, die wohl Wert darauf legen, die Kontrolle ihrer eigenen Angelegenheiten in die Hand zu bekommen, die aber oft von den Mächtigen zu bestimmten politischen Entscheidungen gezwungen oder von der Verlockung unmittelbaren Gewinnes auf Kosten der Völker selbst verführt werden. In all diesen Fällen müssen wir stets den Vorrang der Person betonen. 6. Christliche Sicht und Verpflichtung Meine Brüder und Schwestern im christlichen Glauben finden in Jesus Christus, in der Botschaft des Evangeliums und im Leben der Kirche tiefe Beweggründe 1034 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und noch stärkere Motivationen, um sich für die Verwirklichung eines allumfassenden Friedens in der heutigen Welt einzusetzen. Der christliche Glaube hat seinen Brennpunkt in Jesus Christus, der am Kreuz seine Arme ausbreitet, um die zerstreuten Kinder Gottes zu vereinen (vgl.Joh 11,52), die trennenden Mauern niederzureißen (vgl. Eph 2,14) und die Völker in Brüderlichkeit und Frieden zu versöhnen. Das über der Welt errichtete Kreuz umfängt zeichenhaft Nord und Süd, Ost und West und hat die Kraft, sie miteinander zu versöhnen. Christen wissen im Licht des Glaubens, daß der letzte Grund dafür, daß die Welt ein Schauplatz von Spaltungen, Spannungen, Rivalitäten, Blöcken und ungerechten Unterschieden ist anstatt ein Ort echter Brüderlichkeit, die Sünde ist, das heißt die sittliche Unordnung des Menschen. Christen wissen aber auch, daß die Gnade Christi, die diese Lage des Menschen verändern kann, ständig der Welt angeboten wird; denn „wo die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden“ (Rom 5,20). Die Kirche, die das Werk Christi fortsetzt und seine erlösende Gnade austeilt, hat als Ziel gerade die Versöhnung von allen Menschen und Völkern in Einheit, Brüderlichkeit und Frieden. „Förderung von Einheit“, so sagt das Zweite Vatikanische Konzil, „hängt ja mit der letzten Sendung der Kirche zusammen, da sie ,in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit1 (LG 1) ist“ (GS 42). Die Kirche, die eine einzige und universale Gemeinschaft ist bei aller Verschiedenheit der Völker, welche sie zusammenführt, „kann ... ein ganz enges Band zwischen verschiedenen menschlichen Gemeinschaften und Nationen bilden. Nur müssen diese ihr Vertrauen schenken und ihre wahre Freiheit zur Erfüllung dieser ihrer Sendung ehrlich zuerkennen“ (GS 42). Diese Sicht und diese Forderungen, die sich ganz aus der Herzmitte des Glaubens ergeben, sollten vor allem alle Gläubigen dazu veranlassen, sich immer mehr jener Situationen bewußt zu werden, die mit dem Evangelium nicht im Einklang stehen, um sie zu bereinigen und zu korrigieren. Gleichzeitig sollten die Christen die positiven Zeichen anerkennen und wertschätzen, die bezeugen, daß Anstrengungen unternommen werden, um solche Situationen zu beheben, Anstrengungen, die sie wirksam unterstützen, fördern und stärken sollen. Von lebendiger Hoffnung beseelt und fähig, zu hoffen gegen alle Hoffnung (vgl. Rom 4,18), müssen Christen die Barrieren der Ideologien und Systeme überwinden, um mit allen Menschen guten Willens ins Gespräch zu kommen, neue Beziehungen zu knüpfen und neue Formen von Solidarität zu schaffen. In dieser Hinsicht möchte ich allen, die sich in freiwilligen Diensten auf internationaler Ebene und in anderen Hilfsbereichen einsetzen, welche sich um die Schaffung von Brücken für Austausch und Brüderlichkeit über die verschiedenen Blöcke hinaus bemühen, ein Wort der Wertschätzung und Anerkennung sagen. 1035 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 7. Das Internationale Jahr des Friedens und ein Schlußappell Liebe Freunde, Brüder und Schwestern! Am Beginn eines neuen Jahres erneuere ich meinen Aufruf an euch alle, Feindschaften zu überwinden und sich aus den Fesseln der Spannungen, die es in der Welt gibt, zu befreien. Ich rufe euch auf, die Spannungen zwischen Nord und Süd, Ost und West in neue Beziehungen sozialer Solidarität und des Dialogs zu verwandeln. Die Vereinten Nationen haben 1986 zum Internationalen Jahr des Friedens erklärt. Diese gute Initiative verdient unsere Ermutigung und Förderung. Welchen besseren Weg könnte es geben, um die Zielsetzung des Jahres des Friedens zu unterstützen, als diesen, die Beziehungen von Nord und Süd und Ost und West zur Basis eines allumfassenden Friedens zu machen! Euch, den Politikern und Staatsmännern, rufe ich zu: Führt die Menschen so, daß sie zu neuen Anstrengungen in dieser Richtung angespornt werden. Euch, die Geschäftsleute und die Verantwortlichen im Finanz- und Handelsbereich, rufe ich dazu auf, eure Verantwortung für alle eure Brüder und Schwestern erneut zu überprüfen. An euch, die militärischen Planer, Beamten, Wissenschaftler und Technologen, appelliere ich: Benutzt eure Erfahrung dazu, den Dialog und die Verständigung zu fördern. Euch, die Leidenden, die körperlich Behinderten, lade ich ein, eure Gebete und euer Leben aufzuopfern, damit die Barrieren niedergerissen werden, die die Welt spalten. Euch alle, die ihr an Gott glaubt, ermahne ich, in dem Bewußtsein zu leben, unter der Vaterschaft Gottes eine einzige Familie zu bilden. An euch alle und jeden einzelnen, an jung und alt, schwach und stark, richte ich den Aufruf: Betrachtet den Frieden als den großen einigenden Wert eures Lebens. Wo immer ihr auf diesem Planeten lebt, bitte ich euch dringend, in Solidarität und aufrichtigem Dialog fortzufahren. Friede, ein Wert ohne Grenzen: Nord-Süd, Ost-West, überall ein Volk, geeint in einem einzigen Frieden. Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1985 PAPST JOHANNES PAUL II. 1036 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Friede — „ein Wert ohne Grenzen“ Predigt bei der Messe zum 19. Weltfriedenstag am 1. Januar 1. „Suscipe, sancte Pater.“ „Nimm auf, heiliger Vater, allmächtiger, ewiger Gott.“ Nimm an dieses Jahr, das wir heute beginnen. Vom ersten Tag, von den ersten Stunden an wollen wir dir, der du ohne Anfang bist, diesen neuen Beginn, der sich an das Datum 1986 knüpft, übergeben. Dieses Datum wird uns durch viele Stunden, Tage, Wochen, Monate begleiten. Tag für Tag wird es vor jedem von uns als ein neues Stückchen Zukunft aufscheinen, das gleich darauf in die Vergangenheit versinkt, so wie jetzt das ganze verflossene Jahr bereits zu einem Teil der Vergangenheit geworden ist. Das neue Jahr stellt sich uns als eine große Unbekannte dar, als Raum, den wir mit Inhalt füllen müssen, als Ausblick auf unbekannte Ereignisse und auf Entscheidungen, die wir zu treffen haben; als neuer Abschnitt, neue Phase des Kampfes zwischen Gut und Böse, der sich auf der Ebene des einzelnen Menschen wie auch der Familie, der Gesellschaft, der Nationen, ja der ganzen Menschheit abspielt. Von den ersten Stunden an möchten wir dir diesen neuen Abschnitt und dieses noch unbeschriebene Blatt, die neue Zeit der Bewährung anbieten: Suscipe, sancte Pater. 2. Du bist der ewige Gott, du überragst alle Zeit des Geschaffenen, die Zeit der Erde und die Zeit des Menschen. In dir „leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,28). Und du bist zugleich der, der uns in Christus nahegekommen ist: Emmanuel, „Gott mit uns“. Du bist der Herr der Geschichte. Durch dich hat die Geschichte des Menschen ihren eigenen Rhythmus: den Rhythmus des Reiches Gottes, in das uns Christus geführt hat. Seine Geburt bezeichnet „die Fülle der Zeit“, wie uns der Apostel in der heutigen Liturgiefeier belehrt: „Als die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau ..., damit wir die Sohnschaft erlangen“ (Gal 4,4 f.). Für dich also, ewiger Vater, wird die Geschichte des Menschen auf Erden nach dem Maß dieses Geheimnisses gemessen, das du in die Seele und den Leib des Menschen einschreibst: die Sohnschaft. Dies ist der Maßstab des ewigen Heils. Es ist das Ausmaß des ewigen Heils. Die Sohnschaft, die in jedem Menschen das Bild und Gleichnis Gottes zur Vollendung bringt, ist das Werk des Heiligen Geistes. 1037 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Denn der Apostel schreibt in dem Vers, der auf den soeben angeführten folgt: „Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater“ (Gal 4,6). Dieser Ruf „Abba, Vater“ durchzieht die Geschichte des Menschen und übersteigt, ja, man könnte sagen: durchbricht zugleich die Grenzen unserer menschlichen Zeit. Er ist größer als die Geschichte des Menschen. Dein Sohn ist in die Welt gekommen, damit der Mensch „größer“ als er selbst und als die Geschichte werde. Damit er den Sauerteig der Ewigkeit in sich habe, das Ferment des ewigen Lebens in Gott. In dir, Vater, der du zusammen mit dem Sohn und dem Heiligen Geist deine Söhne, die Menschen, zur Teilhabe an deinem Leben bestimmtest, hast du ihnen dein Reich bereitet. 3. Der Sohn, „geboren von einer Frau“. Diese Geburt steht uns noch vor Augen, und unser Herz ist noch erfüllt davon; erfüllt von der Heiligen Nacht, die in der Liturgie der Kirche acht Tage fortdauert, eine ganze Oktav, und die heute in den ersten Tag des neuen Jahres einmündet. Unsere Augen und unser Herz sind noch besonders erfüllt von jener Mutter, die die Hirten in der Weihnacht fanden mit „Josef und dem Kind, das in der Krippe lag“ (Lk 2,16). Maria bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach (vgl. Lk 2.19). Sie dachte darüber nach und denkt fortwährend darüber nach, zusammen mit der Kirche, zusammen mit allen Menschen guten Willens. Und das Kind, der Sohn Mariens, trägt den Namen Jesus, denn so hatte ihn der Engel genannt, „noch ehe das Kind im Schoß seiner Mutter empfangen wurde“ (Lk 2,21). Zusammen mit der Geburt Gottes feiert die Kirche die Gottesmutterschaft Mariens. Der heutige Tag ist in besoderer Weise diesem Heilsgeheimnis gewidmet: Mutter Gottes — Theotökos. Maria im Geheimnis Christi und Christus im Geheimnis seiner jungfräulichen Mutter. Die unaussprechliche Würde der Gottesmutter und zugleich die tiefste Demut der Magd des Herrn. Wieviel sagt uns darüber schon die Nacht von Betlehem, noch bevor die darauffolgenden Ereignisse bis hin zum Kreuz auf Golgota das übrige sagen! Der Evangelist schreibt: „Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach“ (Lk 2,19). ln ihr, in der Mutter Gottes, findet die Kirche ein unaufhörliches „Nachdenken“ über dieses göttliche Geheimnis, aus dem sie selbst in der Geschichte des Menschen auf Erden wächst: Sie findet es im Herzen der Mutter. „Gott sandte seinen Sohn, geboren von einer Frau.“ 1038 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Im Angesicht dieses Sohnes und dieser Mutter wollen wir den ersten Tag des neuen Jahres der Sache des Friedens widmen und dem Gebet um den Frieden in unserer so gefährdeten Welt. Was spricht mehr vom Frieden, was ruft eindringlicher danach als dieses Bild: die Frau mit dem Kind auf ihren Armen. Die Mutter und der Sohn. Und noch einmal hören wir die Worte aus der Nacht seiner Geburt: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2,14). 5. In Antwort auf die tiefste Sehnsucht, die aus dem Menschenherzen aufsteigt, hat die Kirche den ersten Tag des Jahres zum Weltfriedenstag erklärt. Damit wollte sie ihre Solidarität mit allen Menschen auf Erden unterstreichen, die diesem Anliegen hochherzig und treu dienen. Unter anderem möchte sie damit auch die Bemühungen der Verantwortlichen der Vereinten Nationen auf diesem Gebiet unterstützen; sie schätzt die edlen Ziele sehr hoch, die die Tätigkeit dieser Organisation in Übereinstimmung mit der vor nunmehr ungefähr vierzig Jahren in Kraft getretenen Charta inspirieren. Damals beschlossen die Völker, als sie die unmenschliche Tragödie des Zweiten Weltkrieges hinter sich hatten, fürderhin „ihre Kräfte zu vereinigen“, um die höchsten Güter des Friedens, der Gerechtigkeit und der Solidarität voranzubringen. Obwohl diese Güter zum Großteil auch heute noch der Verwirklichung harren, so soll das kein Grund zur Entmutigung, sondern vielmehr Anlaß zu neuer Entschlossenheit und vermehrtem Einsatz sein. Die Kirche bietet zu diesem schwierigen, aber begeisternden und keinen Aufschub duldenden Unternehmen ihre aufrichtige Mitarbeit an. Die Vereinten Nationen hatten das Jahr 1985 zum Internationalen Jahr der Jugend erklärt. Der Hl. Stuhl beteiligte sich an dieser Initiative und richtete seine jährliche Botschaft zu Anfang des Jahres vor allem an die Jugend, indem er dieses Schreiben auf das Thema konzentrierte: „Friede und Jugend, zusammen unterwegs“. Die Aufforderung, mutig Verantwortung auf sich zu nehmen „in diesem größten geistigen Abenteuer, vor dem eine Person stehen kann“, wurde von den jungen Menschen mit Begeisterung aufgenommen, und ihre Hochherzigkeit zeitigte vielversprechende Ansätze zum Guten. 6. Das Jahr, das heute beginnt, wurde von der UNO als Internationales Jahr des Friedens ausgerufen. Sehr gern hat der Hl. Stuhl dem beigestimmt und bejaht, daß „der Friede ein Wert ohne Grenzen“ ist; als Ausdruck einer Gewißheit, die im Glauben an den „einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Menschen Christus Jesus“, gründet (7 Tim 2,5), fügt er noch hinzu: „Nord-Süd, Ost-West: ein einziger Friede.“ 1039 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Es ist meine tiefe Überzeugung, daß der Friede ein Wert ist, „der Antwort gibt auf die Hoffnungen und Sehnsüchte aller Menschen und Nationen, von jung und alt, von allen Männern und Frauen guten Willens“ {Botschaft zum Weltfriedenstag 1986, Nr. 1). Darum rufe ich heute aufs neue dazu auf, „die Einheit der Menschheitsfamilie ernst zu nehmen“, und daß wir darum „jene Art zu denken ablehnen, die spaltet und ausnutzt“ (ebd., Nr. 4). Alle müssen sich „einer neuen Solidarität verpflichten, der Solidarität mit der ganzen Menschheitsfamilie“ (ebd.). Im Hinblick auf die Förderung eines so hohen Wertes haben die Christen eine ganz bestimmte Verantwortung: „Von lebendiger Hoffnung beseelt und fähig, gegen alle Hoffnung zu hoffen (vgl. Röm 4,18), müssen sie die Barrieren der Ideologien und Systeme überwinden, um mit allen Menschen guten Willens in Gespräch zu kommen, neue Beziehungen zu knüpfen und neue Formen von Solidarität zu schaffen“ {ebd., Nr. 6). Auch aus der nichtchristlichen Welt haben sich mahnende Stimmen erhoben, die die Brüderlichkeit als den Weg aufzeigen, der zum Frieden führt. Ich möchte diesbezüglich an den Schöpfer der Unabhängigkeit Indiens, Mahatma Gandhi, erinnern: „Haß kann nur durch Liebe überwunden werden. Wenn man Haß gegen Haß stellt, verbreitet und vertieft man ihn noch“ {Gandhi, Antiche come le Montagne, Milano 1971,146). „Wo immer Uneinigkeit herrscht, wo immer ihr euch einem Gegner gegenüber seht, überwindet ihn durch die, Liebe“ {ebd., 120). In diesem Zusammenhang möchte ich auch meiner Hochschätzung Ausdruck geben für den kostbaren Beitrag zum Frieden und zur Verständigung, den jene leisten, die sich dem diplomatischen Dienst widmen. Ich denke besonders an alle, die ihre Regierungen und ihre Völker beim Hl. Stuhl vertreten und die hier anwesend sind. Ich möchte ihnen heute meinen Gruß entbieten zum Zeichen der Wertschätzung für die Funktion, die sie ausüben und die es dem Hl. Stuhl erlaubt, im Hinblick auf die Förderung des Friedens, die Verteidigung des Menschen, die Unterstützung jedweder Initiative für die Begünstigung der Entwicklung der verschiedenen Länder in der Welt besser auf eine immer größere Verständigung unter den Nationen hinzuarbeiten. 7. Damit der Friede wirklich ein „Wert ohne Grenzen“ werden kann, muß man sichergehen, daß überall der gleiche Wunsch nach Frieden und das gleiche Verhältnis zum Frieden besteht: in jeder Region des Erdballs, in jedem System, in jeder Gesellschaft, letztlich in jedem Menschenherzen. Alle müssen den eigentlichen Sinn der Seligpreisung aus der Bergpredigt erfassen, die sich an die „Friedensstifter“ richtet {Mt 5,9), an die, die sich für die Gerechtigkeit ersetzen und so Sicherheit und Frieden schaffen. Der Mensch muß des Menschen 1040 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sicher sein können und die Nation der Nation. Hinter dem Wort „Frieden“ darf sich keine entgegengesetzte Absicht oder Aktivität verstecken. 8. Der so verstandene Friede ist in der Tat die Bedingung für unsere Gedanken an die Zukunft. Er ist Bedingung für die Zukunft selbst, sowohl in der fernsten wie in der nächsten Dimension und für die allernächste Zukunft in der Dimension dieses Jahres 1986. Darum wollen wir uns heute noch einmal das Weihnachtsgeheimnis vergegenwärtigen. In ihm suchen und finden wir den letzten Grund für den Frieden auf Erden. Die Worte, die in der Nacht von Betlehem gesungen wurden, bestärken uns in dieser Überzeugung, wenn sie zuerst von der „Ehre Gottes“ und dann von den „Menschen seiner Gnade“ sprechen, von den Menschen guten Willens. Ja: guten Willens. Und die Mutterschaft der Gottesgebärerin gibt Zeugnis für die Würde eines jeden Menschenlebens und ruft allen, von einem Ende der Erde bis zum andern, zu: „Du sollst nicht töten!“ Zum Beweis dessen aber, daß wir „Söhne sind“, treten wir jetzt an den Altar, um „Abba, Vater!“ zu rufen. Wir sind nicht Sklaven der Gewalt, die zur Zerstörung führt, sondern sind Söhne im Sohn, Erben des Reiches Gottes. Darum treten wir an den Altar und sagen: „Suscipe, sancte Paterl“ Vater, nimm in diesem eucharistischen Opfer unser neues Jahr an. Schenke ihm den Frieden auf Erden. Neuevangelisierung Europas dringlich Botschaft an die Bischofskonferenzen Europas vom 2. Januar Verehrte Brüder im Bischofsamt! 1. „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (7 Kor 1,3). Noch immer steht mir lebendig vor Augen die frohe Erinnerung an die Begegnung vom vergangenen 11. Oktober mit den Teilnehmern des VI. Symposiums des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE), und unter dem Eindruck dieser starken Erfahrung kirchlicher Communio wende ich mich an euch mit diesem Brief, um gleichsam das damals begonnene Gespräch fortzuführen. Die Analysen, Wertungen und praktischen Vorschläge, die bei jeder Gelegenheit vorgelegt wurden, haben es jedem ermöglicht, sich die Dringlichkeit tiefer bewußtzumachen, mit der sich heute die Aufgabe der Evangelisierung oder, besser gesagt, der Neu-Evangelisierung des alten Kontinents stellt. 1041 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Europa hat eine besondere Bedeutung für die Geschichte der Kirche und für die fortschreitende Ausbreitung— beginnend mit der apostolischen Zeit — der Frohen Botschaft in der Welt. Die Schwierigkeiten, mit denen der alte Kontinent heute ringt, müssen die Christen dazu bringen, ihre Kräfte zu vereinen, um ihre Ursprünge wiederzufinden und jene echten Werte neu zu beleben, welche die geistige Einheit Europas einmal geformt und das strahlende Licht einer Zivilisation gespeist haben, dessen sich so viele andere Völker der Erde bedient haben. 2. Die christliche Zivilisation Europas hat ihre Wurzeln in zwei großen Traditionsströmen, die sich in einem jahrhundertelangen Prozeß mit unterschiedlichen und doch auch sich ergänzenden Formen entwickelt haben: die lateinische und die östliche Tradition, beide mit je eigenen theologischen, liturgischen und geistlichen Besonderheiten, in denen sich jedoch der unerschöpfliche Reichtum der einen offenbarten Wahrheit ausdrückt. Gemeinsam ist ihnen ja das inspirierende Lebensprinzip, gemeinsam der Quellgrund, gemeinsam das letzte Ziel. Wenn es im Laufe der Jahrhunderte leider zur schmerzlichen Spaltung zwischen Orient und Okzident gekommen ist, an der die Kirche noch heute leidet, dann erwächst uns mit ganz besonderer Dringlichkeit die Pflicht, das Einvernehmen wiederherzustellen, damit die Schönheit der Braut Christi in all ihrem Glanz neu erstrahlen kann. Gerade wegen ihrer Ergänzungsfähigkeit sind ja die beiden Traditionen für sich allein gewissermaßen unvollkommen. Durch ihre Begegnung und harmonische Einheit können sie sich gleichzeitig ergänzen und eine vollkommenere Darstellung jenes Geheimnisses bieten, „das seit ewigen Zeiten und Generationen verborgen war, jetzt aber den Heiligen offenbart wurde“ (Kol 1,26). Europa ist dann auch der Kontinent, in dem es zu einem weiteren tiefen Riß am „nahtlosen Gewand“ Christi gekommen ist, zur sogenannten protestantischen Reformation. Es ist für jeden deutlich, welches starke Hindernis für den Einsatz zur Evangelisierung der heutigen Welt diese Situation der Spaltung darstellt. Jeder einzelne muß sich darum mit ganzer Kraft für die Sache des Öku-menismus einsetzen, damit es auf dem Weg zur Einheit unter der Mithilfe von allen nicht nur keinen Stillstand gibt, sondern jene Beschleunigung, wie sie die brennendsten Herzen, vom Heiligen Geist bewegt, so sehr ersehnen. Europa ist das' ursprüngliche „Vaterland“ dieser religiösen Spaltungen; so kommt also auch Europa in besonderem Maße die Aufgabe zu, die geeignetsten Wege zu suchen, um sie so bald wie möglich zu überwinden. Diese Suche wird im übrigen um so erfolgreicher sein, je enger sie koordiniert ist. 3. Eine weitere Überlegung kommt hinzu, um ein besonderes Bemühen um Einheit nahezulegen. Europa ist auch der Kontinent der vielen nationalen Ge- 1042 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN meinschaften mit ihrem je eigenen Gesicht, mit eigener Kultur und eigener Sprache. Diese geschichtliche Gebundenheit hat in gewissem Maße die Verständigung zwischen den verschiedenen Völkern erschwert und auch zu leidvollen Spannungen geführt, ja sogar zu gewalttätigen Zusammenstößen. Aber wenn die Verschiedenheit auf der einen Seite die Verständigung erschwert, so macht sie diese andererseits noch notwendiger und fruchtbarer. Wenn die vielfältigen Erfahrungen der Völker miteinander verglichen und verbunden werden, können sie sich gegenseitig bereichern. Das gilt für die menschliche und politische Ebene, aber mehr noch für den kirchlichen Bereich: Hier ist ja das Erbe an gemeinsamen Werten sehr viel breiter und tiefer. Die Begegnungen zwischen den unterschiedlichen Erfahrungen, welche die verschiedenen Ortskirchen in ihrem Land gemacht haben, kann sich als außerordentliche Hilfe für die neue Evangelisierung heraussteilen, die der Kontinent heute braucht. Das II. Vatikanische Konzil mit der reichen Ernte seiner Lehraussagen, in denen die bleibende Botschaft der Offenbarung in einer Sicht vorgelegt wird, die dem Empfinden der Menschen unserer Tage mehr entspricht, bildet den nächstliegenden und maßgeblichsten Ausgangspunkt für eine harmonische Abstimmung von Initiativen, welche einer erneuten und gezielteren Evangelisierung dienen wollen. 4. Wir müssen uns unbedingt den Folgen jener Anstrengungen stellen, die insbesondere während der letzten Jahrhunderte von verschiedenen Seiten und auf unterschiedlichen Ebenen unternommen worden sind, um der Seele der Europäer die christlichen Überzeugungen und sogar den Sinn für Religion selbst zu entreißen. Der Atheismus hat in diesem Kontinent eine erstaunliche Verbreitung gefunden, vor allem in den Formen eines wissenschaftlichen und eines humanistischen Atheismus; beide berufen sich dabei auf die Autorität menschlicher Vernunft und, was die erste Form angeht, auf die Autorität jener Vernunft, die von den fortschreitenden Entdeckungen der Wissenschaft erleuchtet wird. Einem Zustand von so weiten Ausmaßen, der sich in den verschiedenen Nationen des Kontinents mit ähnlichen Merkmalen darbietet, würden wir uns nicht in angemessener Weise stellen, wenn die Energien jeder einzelnen Ortskirche' nicht miteinander zu einem gemeinsamen Aktionsplan zusammengefaßt würden. Es geht hierbei um eine neue Evangelisierung der Kultur, in die wir erneut jenes christliche „Saatgut“ einsenken müssen, das in der Vergangenheit solch herrliche Blüten und Früchte hat wachsen lassen. 5. Zahlreich sind also die Gründe, die zu einer stärkeren Verbindung und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ortskirchen des Kontinents raten. 1043 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Und gerade aufgrund des wachsenden Bewußtseins, mit dem die Oberhirten die von der neuen Lage gestellten Anforderungen wahrgenommen haben, ist in den Jahren, die unmittelbar auf das II. Vatikanische Konzil folgten, der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen entstanden, mit dem Ziel, das kollegiale Bewußtsein zu pflegen und unter seinen Mitgliedern eine tiefere Einheit und Zusammenarbeit zu verwirklichen (vgl. Statuten, Art. 1). Der offensichtliche Nutzen dieses neuen Organismus hat den Heiligen Stuhl bewogen, seine Statuten sogleich zu approbieren und sein Wirken die Jahre hindurch zu unterstützen. Dieses Wirken hatte seine Höhepunkte in den Symposien, auf denen eine Folge von Themen großer Bedeutung behandelt worden ist, wie: „Die nachkonzili-aren diözesanen Strukturen“ (1967), „Dienst und Leben der Priester“ (1969), „Die Sendung des Bischofs im Dienst am Glauben“ (1975), „Jugend und Glaube“ (1979), „Die kollegiale Verantwortung der Bischöfe und der Bischofskonferenzen für die Evangelisierung des Kontinents“ (1982), „Säkularisation und Evangelisierung in Europa heute“ (1985). Besondere Aufmerksamkeit wurde auch der ökumenischen Zusammenarbeit gewidmet, sei es durch die Bildung einer gemischten Arbeitsgruppe mit der Konferenz Europäischer Kirchen, sei es durch die Durchführung von drei wichtigen Treffen: in Chantilly (1978), im Kloster Lokkum (1981) und in Riva del Garda/Trient (1984). 6. Die schweren und dringlichen Probleme, die für die christliche Zukunft Europas bestehen, ihre immer mehr internationale Dimension sowie der veränderte soziale Kontext selbst, in dem die Kirche lebt, lassen uns die bisher getane Arbeit des Rates als wertvoll beurteilen und drängen uns zugleich, ihn in seinem Wirken zu ermutigen und dessen weitere Ausdehnung zu wünschen. Es bestehen hierfür bereits brauchbare Verwaltungsstrukturen in einer richtigerweise einfachen und beweglichen Form; vor allem aber braucht es die innere Einstellung einer noch größeren Offenheit der Bischofskonferenzen untereinander und ihre Bereitschaft, Untersuchungen, Pläne und praktische Initiativen im Hinblick auf eine abgestimmtere und gezieltere Evangelisierung besser zu koordinieren. Die gemeinsamen Überlegungen vor allem auf den letzten beiden Symposien haben deutlich gemacht, daß die europäische Gesellschaft einen neuen Abschnitt ihres geschichtlichen Weges betreten hat. Auf die tiefen und vielschichtigen kulturellen, politischen und ethisch-geistigen Veränderungen, die schließlich der Struktur der europäischen Gesellschaft eine neue Gestalt gegeben haben, muß eine neuartige Evangelisierung antworten, die es versteht, dem heutigen Menschen die bleibende Heilsbotschaft in überzeugenden Formen neu vorzulegen. Dem heutigen Europa muß wieder eine Seele eingehaucht werden; sein Gewissen muß neu geformt werden. 1044 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Für eine solch schwierige Aufgabe sind die Anstrengungen des einzelnen weniger überfordert, wenn die Kräfte der Oberhirten der einzelnen Länder mit Hilfe eines Organismus wie des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen zu gemeinsamem Einsatz verbunden werden. Die Spaltungen, an denen Europa leidet, können dann kraftvoller angegangen, der missionarische Einsatz und die Förderung des Menschen in den Entwicklungsländern gleichmäßiger durchgehalten und die entscheidenden Bereiche des zivilen Zusammenlebens tiefer vom Geist des Evangeliums durchdrungen werden. Die Schwierigkeiten hierbei sind gewiß groß; stärker aber als jeder Gegenwind ist die Kraft des Heiligen Geistes, auf den wir unser Vertrauen setzen. 7. Indem ich diesen Appell an euch richte, liebe Brüder, möchte ich meine Wertschätzung für den pastoralen Einsatz bekräftigen, mit dem ein jeder von euch für die Herde sorgt, die ihm anvertraut ist. Der Herr möge euch stärken und in der täglichen Mühe stützen. „Ich vertraue darauf, daß er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird“ (Phil 1,6). In dieser Hoffnung gebe ich weiterhin dem Wunsch Ausdruck, daß sich der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen immer mehr als ein Ort brüderlicher Begegnung erweisen möge, wo in Austausch und Zusammenarbeit Leitlinien und Vorschläge heranreifen können, die geeignet sind, euch die Richtung zu zeigen für die pastoralen Entscheidungen, die die Welt heute erwartet. Ich empfehle diese Wünsche der Fürbitte der heiligen Jungfrau Maria und der heiligen Patrone Europas Benedikt, Kyrill und Method und erbitte euch, den anderen Bischöfen Europas und ihren Kirchen die Fülle des himmlischen Lichtes und Trostes. Aus dem Vatikan, am 2. Januar 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. 1045 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der Mensch weiß einiges über sich, vieles jedoch nicht Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Kongresses über „Die Seele in der Lehre des hl. Thomas“ am 4. Januar Ehrwürdige und liebe Brüder! 1. Ich freue mich sehr über das Zusammentreffen mit euch, Mitgliedern der Thomas-Gesellschaft, und allen, die an diesem von ihr veranstalteten internationalen Kongreß teilnehmen, um die thomistische Lehre über die Seele in bezug auf die Probleme und Werte unserer Zeit zu vertiefen. Ich kann nur meiner Freude über diese Initiative Ausdruck geben, die gewiß einen gültigen Beitrag zur Sache des Menschen und zum Dienst der Kirche leisten wird. Ganz besonders schätze ich die generelle Absicht eurer Gesellschaft, das Studium des Doctor Angelicus zu fördern und zu mehren, der auf dem Gebiet der systematischen und spekulativen Theologie immer Gegenstand besonderer Lobesbezeigungen und Empfehlungen seitens des Lehramtes der Kirche gewesen ist, bis hin zu den wohlbekannten Hinweisen des letzten Konzils im besonderen Bereich der Priesterausbildung (vgl. OT16). Ich hatte die Freude, eurer Gesellschaft seit ihrer Gründung anzugehören, die auf dem Thomistischen Kongreß 1974, an dem ich teilnahm, beschlossen wurde. Und ein weiterer Grund, der mich euch herzlich verbunden und nahe sein läßt, ist die Erinnerung an die Worte, die ich an die Teilnehmer des Kongresses richtete, der 1979 veranstaltet wurde, um des 100jährigen Jubiläums der Veröffentlichung der großen Enzyklika Leos XIII. Aetemi Patris zu gedenken, die dem Wiederaufblühen der thomistischen Studien und überhaupt dem Fortschritt und der Bestätigung der christlichen Philosophie und der Formung der Hirten und der Gläubigen in der Lehre so großen Auftrieb gegeben hat. Mit überströmendem Herzen grüße ich alle Kongreßteilnehmer, ganz besonders die derzeitigen Leiter der Gesellschaft: Pater Damian Byrne, Ordensmeister der Dominikaner, als Präsidenten; Pater Abelardo Lobato als Direktor; und Pater Daniel Ols als Sekretär. 2. Das Problem der Seele ist mit der Frage verbunden, die sich seit jeher der Mensch über den tiefen Sinn seines Wesens und über den Ursprung seines Lebens, seines Denkens und Handelns stellt. Zu allen Zeiten war und ist der Mensch sich selbst eine große Frage. Der Mensch ist zur Wahrheit geboren und sucht voll tiefer Unruhe nach der Wahrheit über den Menschen, nach der Antwort auf die Frage, die der hl. Augustinus so formulierte: „Quid sum ergo, Deus 1046 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN meus? Quae natura mea?“ („Was bin ich, mein Gott? Was bin ich für ein Wesen?“) (Confessiones, X, 17,26). Der Mensch weiß einiges von sich, vieles weiß er jedoch nicht und möchte es erkennen. Die Äußerungen menschlicher Tätigkeit sind heute vielfältiger denn je; aber das läßt stärker denn je das Problem auftauchen, ihre gemeinsame Quelle und das Kriterium ihrer Zuordnung und ihres Wertes besser zu ergründen: Das aber heißt nichts anderes, als sich die Frage nach der Seele zu stellen. Dieses Suchen stellt uns vor ein großes Geheimnis und läßt uns entdecken, wie ahnungslos wir in bezug auf uns selbst sind: „Voran, voran — sagte Heraklit —, wahrscheinlich wirst du nie die Grenzen der Seele erreichen, wie sehr du auch ihre Pfade durchläufst. So tief ist ihr ,logos“‘ (H. Diels, (Hrsg.); Die Fragmente derVorsokratiker, 22 B 45, Berlin 1951). Und in der Tat findet sich — wie der hl. Thomas bemerkt (Summa Theol., 1,3,1,2 m; 93,2,c; 4,c.,l m; 6,c.,2 m; I-II, prol.; I Sent., D.III,q.3,o.; II Sent. D.XVI,q.3,o.; D.XXXIX,q.l,l,l m; C. Gent, IV, c.26; De Ver., q.X,a.7,c.) — eben in der Seele jenes „Abbild Gottes“, das den Menschen dem Schöpfer „ähnlich“ macht; und darum gibt es dank der Seele im Menschen — als endlichem Geschöpf — etwas Unendliches in seinen Bestrebungen, wenn nicht gar in den Taten. Das Bewußtsein, eine Seele zu besitzen, hat etwas Paradoxes an sich, denn sie scheint eine gleichsam unmittelbare und offenkundige Gegebenheit der inneren Lebens- und Daseinserfahrung zu sein und gleichzeitig, wie ich sagte, ein äußerst dunkles und schwieriges theoretisches Problem, bei dem auch große Denker — um es so auszudrücken — Schiffbruch erlitten haben. Diese überraschende doppelte Feststellung drückt der hl. Thomas sehr gut aus, wenn er sagt: „Danach ist das Wissen von der Seele eine hohe Gewißheit, weil jeder an sich selbst erfährt, daß er eine Seele hat und ihm die treibende Kraft der Seele innewohnt; aber zu erkennen, was die Seele ist, ist sehr schwer“ {De Ver, q.X,a.8,8 m); und er fügt hinzu: „Das verlangt eine mühsame und gründliche Erforschung“ {Summa Theol. , 1,87,1). Eine mühsame und risikoreiche, aber nicht vergebliche Arbeit, vor allem, wenn sie, wie ihr es tun wollt, sich auch der Erleuchtungen bedient, die von der göttlichen Offenbarung und dem Lehramt der Kirche kommen. 3. Das Programm eures Kongresses setzt das große Thema Seele mit der breiteren und vielfältigen Wirklichkeit des anthropologischen Problems in Verbindung. In der Welt der Kultur ist heute die Forderung nach Vermeidung einer „dualistischen“ Anthropologie lebendig, die die Seele zur Feindin des Leibes macht. Im Licht der biblischen Lehre wird nachdrücklich die psycho-physische Einheit des menschlichen Wesens bestätigt. Eben diese Forderung ist auch beim hl. 1047 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Thomas anzutreffen, und sie ist es, die ihn — wie ich bei einer Generalaudienz im Jahr 1981 sagte — veranlaßt hat, „in seiner metaphysischen (und zugleich theologischen) Anthropologie die philosophische Auffassung Platons über das Verhältnis zwischen Seele und Leib aufzugeben und sich der Auffassung des Aristoteles zu nähern“ (Generalaudienz am 2.12.1981; Wort und Weisung 1981,90). Der Mensch leidet natürlich — und Thomas gibt das zu — unter einer inneren Trennung von „Fleisch“ und „Geist“. Dieser schmerzliche innere Gegensatz ist jedoch nach dem Aquinaten „widernatürlich“, weil eine Folge der Sünde, während das tiefe Verlangen des Menschen, das vom Leben der Gnade befriedigt wird, das Verlangen nach der Einheit und Harmonie zwischen dem physischen und dem geistigen Leben ist. In seinem Traktat „über den Menschen, der aus einer geistigen und einer leiblichen Substanz zusammengesetzt ist“ (Summa Theol., 1,75, prol.) gibt der Doc-tor Angelicus klar die damals neuen Lehren des 4. Laterankonzils, die die menschliche Natur als Mittelwesen zwischen der rein geistigen, engelgleichen, und der rein leiblichen Natur „quasi communem ex spiritu et corpore constitu-tam“, „als gemeinsam aus Geist wie Leib bestehend“ (Lateranense IV, c.I — De fide catholica: DS 800) vorgestellt hatten; also eine reale und wesenhafte Unterscheidung zwischen Seele und Leib. Der Mensch ist für,Thomas, den Doctor Angelicus oder communis, ein „zusammengesetztes Wesen“, „essentia compo-sita“ (Summa Theol., 1,76,1), „mbstantia composita“ (C. Gent., II, c.68). Aber er hat nur ein Sein: „Ein Sein aus geistiger Substanz und leiblicher Materie“ („Unum esse substantiae intellectualis et materiae corporalis“, ebd.), „ein Sein aus Form und Materie“ {„unum esse formae et materiae“, ebd.), wo die Seele „Form“ und der Leib ,Materie“ ist. Und tatsächlich hat der hl. Thomas bekanntlich mit seiner berühmten Lehre von der geistigen Seele als „Wesensform“ des Leibes das schwierige Problem einer Beziehung zwischen Seele und Leib gelöst, die einerseits die Unterscheidung der Seinskomponenten und andererseits die Einheit des personalen Seins des Menschen retten sollte. Und ebenso bekannt ist, daß diese Lehre so wie jene von der Unsterblichkeit der menschlichen Seele sozusagen von zwei aufeinanderfolgenden ökumenischen Konzilien (Lateranense TV und V) bestätigt wurde, um fortan katholisches Glaubenserbe zu bleiben. Die anthropologische Lehre der ,fiinheit von Seele und Leib“ ist vom Zweiten Vatikanischen Konzil wiederaufgegriffen worden, das somit im Denken des Doctor Angelicus einen besonders treffenden Interpreten finden kann. 4. Aber die thomistische Anthropologie bleibt nicht bei der abstrakten Betrachtung der menschlichen Natur stehen; sie zeigt, auf der Grundlage der Erfahrung und vor allem der Lehren der Offenbarung, auch ein unverkennbares 1048 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN — dem modernen Menschen so teures — Gespür für die konkrete geschichtliche Situation der menschlichen Person, für ihre „existentielle Situation“ (wie wir heute sagen würden) als eines von der Sünde verletzten und durch das Blut Christi erlösten Geschöpfes; für die Originalität und Würde des einzelnen Menschen; für ihr dynamisches und moralisches Ansehen; für die „Phänomenologie“ schließlich — um es mit einem Begriff unserer Zeit auszudrücken — der menschlichen Existenz. Der hl. Thomas sagte: „Am vollkommensten aber ist eben das gezeugte Individuum, das bei der Zeugung des Menschen Hypostase oder Person ist, zu deren Wesensbildung sowohl die Seele wie der Leib dienen muß“ (C. Gent., IV, c.44). Um diese Hochschätzung, die Thomas von Aquin der personalen Wirklichkeit des Menschen entgegenbringt, zu verstehen, müssen wir uns seiner Metaphysik zuwenden, in welcher die größte Vollkommenheit von dem als „Seinsakt“ (esse ut actus) verstandenen Sein herrührt. Die Person erhebt sich nur noch mehr als die „Natur“ und das „Wesen“ durch den Seinsakt, der ihr Bestehen begründet, zum Gipfel der Vollkommenheit des Seins und der Wirklichkeit und damit des Guten und des Wertes. 5. Wenn die Lehre von der menschlichen Natur als „Einheit von Seele und Leib“ beim Doctor communis den intelligiblen Charakter des menschlichen Wesens und seiner Geschichte erklärt, so gibt uns die Lehre von der Person in besonderer Weise vom ethischen Gesichtspunkt und vom konkreten Weg des Menschen im Plan der Schöpfung und der christlichen Erlösung her Orientierung. So finden wir in der Anthropologie des hl. Thomas also sowohl die Forderung nach scharfsinniger und systematischer Analyse als auch die nach Grundlegung und Rechtfertigung der höchsten Werte der Person, auf die man sich heute so oft beruft, weitgehend erfüllt: wie der Wert des sittlichen Gewissens, der unveräußerlichen Rechte, der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Friedens. Kurz, alles, was dazu beiträgt, das wahre Wohl des Menschen klarzustellen, der von Christus erlöst wurde, damit er die verlorengegangene Würde zurückgewinne und den Stand der Gotteskindschaft erlange. Die Anthropologie des hl. Thomas verbindet stets die Betrachtung der „Natur“ und der „Person“ in der Weise eng miteinander, daß die Natur die objektiven Werte der Person grundlegt und diese den universalen Werten der Natur eine konkrete Bedeutung verleiht. Die Lehre von der Seele bildet den Mittelpunkt der thomistischen Anthropologie: Diese Anthropologie könnte freilich in ihrer richtigen Bedeutung und in ihrem wahren Umfang gar nicht verstanden werden, wie übrigens auch die Lehre von der Seele nicht, ohne Bezugnahme, wie das eben der Doctor Angeli- 1049 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN cus getan hat, nicht nur auf die Erkenntnis rationalen — metaphysischen oder kosmologischen — Charakters, sondern auch — und endgültig — auf die aus der biblischen Offenbarung und aus den Lehren der Kirche sich ergebenden Tatsachen. 6. Und dadurch, daß er dem kirchlichen Lehramt gegenüber so treu und gefügig war, konnte der hl. Thomas der Kirche und den Seelen einen kostbaren Dienst in der Lehre leisten, durch den er sich seiner Zeit den Titel eines „Doc-tor communis“ verdient hat. Die tiefe „Kirchlichkeit“ des thomistischen Denkens macht es frei von Enge, Hinfälligkeit und Verschlossenheit und aufgeschlossen und bereit für einen unbegrenzten Fortschritt, der so beschaffen ist, daß er jeden echten neuen Wert, der in der Geschichte irgendeiner Kultur auftaucht, zu assimilieren vermag. Das möchte ich auch bei dieser Gelegenheit wiederholen. Es ist die wichtigste Aufgabe der Schüler des Aquinaten und in besonderer Weise eurer Gesellschaft, diese universale und ewige „Seele“ des thomistischen Denkens anzunehmen und zu bewahren und sie heute in einem konstruktiven Dialog und in einer Begegnung mit den modernen Kulturen wiederzubeleben, ja deren Werte annehmen und ihre Irrtümer ablehnen zu können. Ihren Höhepunkt und ihre letzte theologische Inspiration findet die thomisti-sche Anthropologie in dem Traktat über die Menschheit Christi. Die Analyse und Auslegung dieses erhabenen Heilsmysteriums ließ den Doctor Angelicus in wunderbarer und unübertrefflicher Weise die Begriffe seiner Anthropologie schärfen und vertiefen, so daß sie einen außerordentlichen Dienst auf rein rationaler Ebene wie auf der Ebene der menschlichen und natürlichen Ordnung zu leisten imstande waren. Umgekehrt kann sich dieses verfeinerte Forschungsinstrument auch heutzutage als höchst nützlich bei der Aufzeigung gültiger Konturen einer authentischen Christologie heraussteilen, indem sie ihre Entstellungen kritisiert. Mit diesen Empfindungen und Wünschen rufe ich auf die Arbeiten und Ergebnisse eurer kulturellen Initiative die Fülle der Gunst des Himmels herab, während ich euch allen von Herzen meinen besonderen Segen erteile. 1050 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Völker wandern zu deinem Licht“ Predigt beim feierlichen Gottesdienst am Fest der Erscheinung des Herrn, 6. Januar 1. „Durch eine Offenbarung wurde mir das Geheimnis mitgeteilt“ (Eph 3,3). Die Kirche beruft sich auf diese Worte des Apostels im Brief an die Epheser, um die Bedeutung des heutigen Festes herauszustellen. Denn dieses Fest heißt seit den ältesten Zeiten Epiphanie, Fest der Erscheinung. Wir wollen heute der Gnade Gottes huldigen, die die Menschen zum Glauben führt. Im Glauben wird dem Menschen das Geheimnis mitgeteilt. Es wird dem Menschen gewissermaßen innerlich „sichtbar gemacht“, so wie es eines Tages dem Saulus von Tarsus auf der Straße nach Damaskus „sichtbar gemacht“ wurde. Daher ist er zu einem besonderen Zeugen der Bekehrung zum Glauben geworden, wie er selbst in der zweiten Lesung heute bestätigt: „Ihr habt doch gehört, welches Amt die Gnade Gottes mir für euch verliehen hat“ (Eph 3,-2). Der Apostel gibt Zeugnis von der Gnade der Epiphanie. Und die Kirche beruft sich auf seine Worte, weil sich in diesem Zeugnis alle wiederfinden können, die durch den Glauben „an derselben Verheißung in Christus Jesus teilhaben durch das Evangelium“ (Eph 3,6). Der Apostel hebt hier hervor, daß es sich um die „Heidenvölker“ handelt, also um all jene, die außerhalb des Volkes Israel zum Glauben und zur Kirche gelangt sind. 2. Die Sterndeuter, die aus dem Osten kommen, sind die erste prophetische Ankündigung all dieser Völker. In ihnen offenbart die Kirche die Universalität ihrer Sendung: jener Sendung, die sie von Christus, dem in Bethlehem Geborenen, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, empfangen hat. Die Sterndeuter aus dem Osten folgten als erste der Offenbarung. Als erste näherten sie sich dem Geheimnis jenes Erbes, das Gott den Menschen in Jesus Christus, in der Menschwerdung seines ewigen Sohnes angeboten hat. Sie näherten sich diesem Geheimnis, das ihnen „vom Geist offenbart wurde“, noch ehe es den Aposteln geoffenbart und ehe das Evangelium als Weg, der zum Glauben führt, bekannt gemacht worden war. In ihnen findet also eine „Prä-Evangelisierung“ ihren Ausdruck: jene breite und vielfältige Vorbereitung der Seelen, die ebenfalls ein Werk des Heiligen Geistes ist. Das ist die symbolische Bedeutung jenes Sternes, dem die Sterndeuter nach Jerusalem folgten. 1051 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. Am Tag der Erscheinung des Herrn führt uns die Liturgie der Kirche nach Jerusalem. Sie konzentriert sich auf Jerusalem, auf jenes Jerusalem, das zur „Stadt des großen Königs“ geworden ist, auch wenn sie unfähig ist, sich bewußt zu machen, daß dieser König bereits geboren ist, daß er sich bereits inmitten seines auserwählten Volkes, des Bundesvolkes, befindet. Doch das Jerusalem der Epiphanie ist nicht nur das Jerusalem des Herodes. Es ist ebenso das Jerusalem der Propheten. In dieser Stadt gibt es das Zeugnis derer, die unter dem Einfluß des Heiligen Geistes das Geheimnis seit Jahrhunderten angekündigt haben. Hier gibt es das Zeugnis des Propheten Micha über die Geburt des messiani-schen Königs in Betlehem. Hier gibt es vor allem das Zeugnis des Jesaja. Ein wahrhaft einzigartiges Zeugnis der Erscheinung des Herrn: „Auf (Jerusalem), werde hell, denn es kommt dein Licht, und die Herrlichkeit des Herrn geht leuchtend auf über dir. Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker, doch über dir leuchtet der Herr, seine Herrlichkeit erscheint über dir“ (Jes 60,1 f.). In der Tat lassen sich kaum Worte finden, die die Wirklichkeit der Epiphanie besser zum Ausdruck bringen; und es lassen sich kaum Worte finden, die besser von dem Zeugnis geben, was das Kommen der Sterndeuter bedeutet: welcher Anfang in ihrem Zugang zum Geheimnis der Fleischwerdung des Wortes verhüllt angedeutet wird. Der Prophet spricht, wobei er sich noch immer an Jerusalem wendet: „Völker wandern zu deinem Licht, und Könige pilgern zu deinem strahlenden Glanz. Blick auf und schau umher: Alle versammeln sich und kommen zu dir, Deine Söhne kommen von fern, deine Tochter trägt man auf den Armen herbei“ (Jes 60,3 f.). 4. Ja. Von fern. Von überallher. Jesaja, Prophet des Alten Bundes, ist tatsächlich der „fünfte Evangelist“. In seinen Worten erklingt wahrhaftig die Aufforderung Christi: „Darum geht zu allen Völkern ... und lehrt sie(Mt 28,19 f.). Denn alle „haben teil an der Verheißung durch das Evangelium“. Alle „sind zu Miterben berufen und gehören zu demselben Leib ...“ Jerusalem wird zum Symbol der universalen Berufung zum Glauben, zur Gnade. 5. Liebe Brüder, die ihr am Epiphanietag in der Basilika Sankt Peter die Bischofsweihe empfangt, öffnet euch aus tiefster Seele der vielsagenden Bedeutung des heutigen Festes. 1052 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Auch in euch verwirklicht sich das Geheimnis der Epiphanie. Es verwirklicht sich auf ganz besondere Weise. Ihr seid die Erben derer, die, dem Licht des Sternes folgend, Gottes Neuen Bund mit der Menschheit erkannt haben, der in dem von der Jungfrau Maria geborenen Christus vollzogen wurde, in dem gekreuzigten und auferstandenen Christus. Schließt euch ihrem Zug an. Bringt wie die Sterndeuter die Gaben dar: die „Schätze der Völker“, denen ihr angehört, die Schätze, die in ihren Kulturen und Traditionen, in ihren Erfahrungen, in ihren Freuden und in ihren Leiden präsent sind. Kraft dieser Gaben wird Jerusalem „das Herz weiter“, das Herz der Kirche, die der Leib Christi ist. Und während ihr euch in diesen Zug einreiht, müßt ihr selber — kraft der Bischofsweihe — eure Brüder und Schwestern im Glauben führen. Ihr müßt die neuen Jünger zu Christus hinführen. Die Bischofsweihe durch das Auflegen der apostolischen Hände ist ein großer Tag in eurem Leben, liebe Brüder. Als Bischof von Rom und Nachfolger des hl. Petrus grüße ich euch gleichsam an der Schwelle des messianischen Jerusalem, gemeinsam mit allen, die sich hier eingefunden haben, und wünsche euch, „daß ihr euch aufmacht und Frucht bringt und daß eure Frucht bleibt“ (Joh 15,16). Wir alle bitten für euch um das Licht und die Kraft des Heiligen Geistes, die im Erbe der Erscheinung Gottes enthalten sind. Berufungen erwachsen aus Familie und Pfarrei Botschaft zum Weltgebetstag für geistliche Berufe am 20. April, veröffentlicht am 6. Januar Verehrte Brüder im Bischofsamt! Liebe Brüder und Schwestern in aller Welt! Es ist für mich ein Grund tiefer Freude und großer Hoffnung, dem gesamten Volk Gottes eine besondere Botschaft zum XXIII. Weltgebetstag für geistliche Berufe zu senden, der, wie gewohnt, am 4. Sonntag nach Ostern, dem „Guten-Hirten-Sonntag“, gefeiert wird. 1053 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das ist für uns eine besondere Gelegenheit, uns unserer Verantwortung bewußt zu werden und durch beharrliches Gebet und einträchtiges Handeln an der Förderung von Berufen zum priesterlichen und diakonalen Dienst, von männlichen und weiblichen Ordensberufen, von Berufen zum gottgeweihten Leben in Säkularinstituten und in der Mission mitzuarbeiten. 1. Zwanzig Jahre nach dem Konzil Zum Thema der Berufung hat uns das Zweite Vatikanische Konzil ein sehr reiches lehrmäßiges, geistliches und seelsorgliches Erbe geschenkt. Im Einklang mit seiner vertieften Sicht der Kirche hat es feierlich bekräftigt, daß die Aufgabe der Vermehrung der Berufungen der ganzen Gemeinschaft der Christen aufgetragen ist (vgl. OT 2). Nach zwanzig Jahren fühlt sich die Kirche berufen, die Treue zu dieser großen Mutter-Idee im Hinblick auf den weiteren Einsatz nachzuprüfen. Insgesamt bemerkt man zweifellos ein allgemeines Wachsen des Verantwortungsbewußtseins innerhalb der verschiedenen Gemeinschaften. Trotz der Probleme, der Herausforderungen, der Schwierigkeiten der letzten 20 Jahre werden die jungen Menschen, die den Ruf des Herrn hören, immer zahlreicher, und in allen Teilen der Welt werden die Zeichen des Aufschwungs immer greifbarer, die einen neuen Frühling der geistlichen Berufe ankünden. Das alles erfüllt uns alle mit großem Trost, und wir hören nicht auf, Gott für die Antwort zu danken, die er auf das Gebet der Kirche gibt. Doch sind die vom Konzil erwünschten Früchte, auch wenn sie reichlich sind, noch nicht zur vollen Reife gelangt. Viel ist geschehen, aber noch sehr viel mehr bleibt zu tun. Aus diesem Grund ist es mein Wunsch, die Aufmerksamkeit des Gottesvolkes auf die spezifischen Aufgaben der Pfarrgemeinden zu richten, von denen sich das Konzil, zusammen mit dem Mitwirken der Familie, den „größten Beitrag“ für das Anwachsen der Berufe erwartet (vgl. OT, Nr. 2). 2. Die Pfarrgemeinde offenbart die dauernde Gegenwart Christi, der ruft. Voll Liebe denke ich an alle einzelnen Pfarrgemeinden der Welt, ob klein oder groß, ob in den Großstädten gelegen oder an den entlegensten Orten verstreut; sie alle „stellen auf eine gewisse Weise die über den ganzen Erdkreis hin verbreitete sichtbare Kirche dar“ {SC 42). Es ist bekannt, daß das Konzil die Pfarrei-Formel als normalen und vorrangigen, wenn auch nicht ausschließlichen Ausdruck für die Seelsorge bestätigt hat (vgl.AA 10). Deswegen darf die Sorge um die Berufe nicht als eine nebensächliche Tätigkeit betrachtet werden, sondern muß sich voll in das Leben und 1054 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die Aktivität der Gemeinschaft einfügen. Ein solcher Einsatz ist angesichts der wachsenden Notwendigkeiten unserer heutigen Zeit noch dringender geworden. Man denkt sofort an die vielen Pfarreien, welche die Bischöfe ohne Pfarrseel-sorger lassen müssen, so daß die Klage des Herrn ständig gegenwärtig ist: „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter sind wenige!“ {Mt 9,37). Die Kirche braucht dringend Priester. Dies ist eine der größten Dringlichkeiten, die an die christlichen Gemeinschaften herantreten. Jesus hat nicht eine Kirche ohne Priester gewollt. Wenn die Priester fehlen, fehlt Jesus in der Welt, fehlt seine Eucharistie, fehlt seine Vergebung. Für ihre eigene Sendung hat die Kirche aber ebenso einen großen Bedarf an einer Vielfalt anderer geistlicher Berufungen. Das christliche Volk kann nicht in Passivität und Gleichgültigkeit den Rückgang der geistlichen Berufe hinnehmen. Die geistlichen Berufe sind die Zukunft der Kirche. Eine Gemeinschaft, die arm ist an geistlichen Berufen, bringt eine Verarmung der ganzen Kirche mit sich; hingegen ist eine Gemeinschaft, die reich ist an geistlichen Berufen, eine Bereicherung für die ganze Kirche. 3. Die besondere Verantwortung der Seelsorger Die Pfarrgemeinde ist keine abstrakte Wirklichkeit, sondern setzt sich aus all ihren Gliedern zusammen: Laien, Ordensleuten, Diakonen, Priestern; sie ist der natürliche Ort der Familien, der echten Basisgemeinden, verschiedener Bewegungen, Gruppen und Vereinigungen. Niemand darf sich von einer so wichtigen Aufgabe ausschließen. Es müssen alle Initiativen, die in den verschiedenen Ländern mit dem Ziel begonnen wurden, die Pfarreien mit dem Problem vertraut zu machen, ermutigt werden — ebenso die pfarrlichen Kommissionen oder Zentren für geistliche Berufe, die besonderen katechetischen Aktivitäten, die Berufungsgruppen und ähnliche mehr. Wenn nun das Volk Gottes zur Mitarbeit am Wachstum geistlicher Berufe aufgerufen ist, so mindert dies in keiner Weise die besondere Verantwortlichkeit jener, die besondere Dienste versehen: die Pfarrer und ihre Mitarbeiter in der Seelsorge sind gemeinsam mit dem Bischof die authentischen Träger der Sendung Jesu, des Guten Hirten, der sein Leben für seine Schafe hingibt, der sie kennt und „jedes beim Namen ruft“ {Joh 10,3). Wir müssen uns alle dankbar zeigen gegenüber jenen unermüdlichen Arbeitern des Evangeliums, die die Vaterschaft Gottes für jeden Menschen bezeugen. Das Konzil erkennt die unersetzlichen Werte des priesterlichen Dienstes an und betont ausdrücklich, daß die Sorge um geistliche Berufe „in der Tat mit zur priesterlichen Sendung für die ganze Kirche gehört“ {PO 11). 1055 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dank dem Beispiel und den Worten so vieler seiner Diener hat Christus an das Herz vieler jungen und auch weniger jungen Menschen geklopft und hat im Lauf der Geschichte hochherzige Antwort von Aposteln und Heiligen erhalten. Die Priester haben immer eine wichtige Rolle für die geistlichen Berufe dargestellt. Laßt euer Priestertum leuchten, liebe Mitbrüder im Priesteramt, damit es nie an Menschen fehlt, die den priesterlichen Dienst auch weiter ausüben, der euch anvertraut worden ist. Seid Lehrer des Gebets und vernachlässigt nicht euren wertvollen Dienst der geistlichen Leitung, den Berufenen zu helfen, daß sie den Willen Gottes in bezug auf sich selbst erkennen können. Ich rechne sehr auf euch im Hinblick auf ein wachsendes Aufblühen der geistlichen Berufe! Vergeßt nicht, daß die beste Frucht eures Apostolates und die größte Freude eures Lebens die geistlichen Berufe sein werden, die Gott durch eure eifrige seelsorgliche Tätigkeit wecken wird. 4. Die Bedingungen für eine wirksame Berufsweckung So wende ich mich nun an euch, liebe Brüder und Schwestern, um euch einige wesentliche und grundlegende Punkte vorzulegen, wodurch eure Gemeinschaft ein wirksames Werkzeug des Rufes Gottes werden könnte: — Seid eine lebendige Gemeinschaft! Es ist ein vom Konzil besonders betonter Punkt: eine Gemeinschaft fördert die Berufe „vor allem durch ein wirklich christliches Leben“ (OT 2). Ich werde nicht müde zu wiederholen, wie ich es schon bei vielen Gelegenheiten getan habe, daß die geistlichen Berufe ein unwiderlegbares Zeichen der Lebendigkeit einer kirchlichen Gemeinschaft sind. Wer könnte leugnen, daß die Fruchtbarkeit eines der deutlichsten Zeichen lebendigen Daseins ist? Eine Gemeinschaft ohne geistliche Berufe ist wie eine Familie ohne Kinder. Müßten wir in diesem Fall nicht fürchten, daß unsere Gemeinschaft vielleicht wenig Liebe zum Herrn und zu seiner Kirche hat? — Seid eine betende Gemeinschaft! Es bedarf der Überzeugung, daß die geistlichen Berufe das unschätzbare Geschenk Gottes an eine betende Gemeinschaft sind. Der Herr Jesus hat uns das Beispiel gegeben, als er die Apostel berufen hat (vgl. Lk 6,12), und er hat uns ausdrücklich aufgetragen, zu beten, „daß der Herr der Ernte Arbeiter für seine Ernte sende“ {Mt 9, 38; Lk 10, 2). Um dieses Zieles willen müssen wir alle beten, wir müssen immer beten, und dem Gebet müssen wir eine tätige Mitarbeit folgen lassen. Die Eucharistie, Quelle, Mitte und Höhepunkt des christlichen Lebens, sei der lebendige Mit- 1056 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN telpunkt der Gemeinschaft, die um geistliche Berufe betet. Die Kranken und alle an Körper und Seele Leidenden sollen wissen, daß ihr Gebet, vereint mit dem Kreuz Christi, die stärkste Kraftquelle für das Apostolat um geistliche Berufe ist. — Seid eine Gemeinschaft, die ruft! Oft und in allen Teilen der Welt stellen mir Jugendliche Fragen über die Berufung, das Priestertum und das Ordensleben. Das ist ein Hinweis auf ein großes Interesse für dieses Anliegen, aber es zeigt auch das Bedürfnis nach Verkündigung und nach einer angemessenen Katechese. Niemand möge durch unsere Schuld in Unkenntnis bleiben in dem, was er wissen sollte, um den Plan Gottes zu verwirklichen. Eine allgemeine Verkündigung der Berufung genügt nicht, damit diese geistlichen Berufe geweckt werden. Aufgrund ihrer Ursprünglichkeit erfordern diese Berufungen einen ausdrücklichen und persönlichen Appell. Das ist die von Jesus angewandte Methode. In meinem apostolischen Brief an die Jugend der Welt anläßlich des Internationalen Jahres der Jugend habe ich versucht, diesen Punkt besonders herauszustreichen. Das Gespräch Christi mit den jungen Menschen schließt mit der ausdrücklichen Einladung in seine Nachfolge: von einem Leben nach den Geboten zu jener Neigung des „noch etwas mehr“, und zwar im priesterlichen Dienst oder im Ordensleben (vgl. Nr. 8). Deshalb ermahne ich euch, daß ihr die Appelle des Erlösers für die Welt von heute sichtbar macht, indem ihr von einer bloß abwartenden Pastoral übergeht zu einer herausfordernden. Das gilt nicht nur für die Priester in der Seelsorge, für die Ordensleute und für die, die für geistliche Berufe auf den verschiedenen Ebenen verantwortlich sind; sondern das hat auch Geltung für die Eltern, die Katecheten und alle übrigen Erzieher im Glauben. Jede Gemeinschaft hat diese Gewißheit: der Herr hört nicht auf zu berufen! Sie hat aber auch eine andere Gewißheit: Er will unser Bedürfen, um seinen Ruf hörbar zu machen. — Seid eine missionarische Gemeinschaft! In einer umfassend missionarischen Kirche bringt jede Gemeinschaft ihre Kräfte ein, damit Christus zunächst im Umfeld der eigenen örtlichen Wirklichkeit verkündet wird, aber sie darf sich auch nicht in sich selbst und innerhalb ihrer eigenen Grenzen abkapseln. Die Liebe Gottes macht an den Grenzen des eigenen Bereiches nicht Halt, sondern sie geht über diese hinaus, um die Mitmenschen anderer und entfernterer Gemeinschaften zu erreichen. Das Evangelium Jesu muß die Welt erobern! Angesichts der großen Notwendigkeit des Menschen von heute, im Hinblick auf die dringende Nachfrage nach mehr Missionaren, werden viele junge Menschen den Ruf Gottes verspüren, das eigene Land zu verlassen, um sich dorthin zu begeben, wo die Bedürfnisse besonders dringend sind. Es wird nicht an jenen 1057 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN fehlen, die hochherzig wie der Prophet Jesaja antworten: „Hier bin ich, sende mich!“ (Jes 6,8). 5. Gebet Zum Schluß dieser Überlegungen und im Vertrauen, daß der kommende Weltgebetstag einen günstigen Anlaß darstellt, daß jede Gemeinschaft im Glauben und im Einsatz für die geistlichen Berufe wachse, lade ich alle ein, sich in diesem Gebet zu verbinden: „O Jesus, Guter Hirt, erwecke in allen Pfarrgemeinden Priester und Diakone, Ordensfrauen und Ordensmänner, apostolische Laien und Missionare für die Anliegen der ganzen Welt, die du liebst und erlösen willst. Dir vertrauen wir im besonderen unsere Gemeinschaft an; schaffe in uns das geistliche Klima der ersten Christen, damit wir eine Gemeinschaft des Gebetes in liebender Aufnahme des Heiligen Geistes und seiner Gaben werden. Stehe den Seelsorgern und allen Ordensleuten bei. Führe die Schritte derer, die großherzig deinen Ruf angenommen haben und die sich auf die heiligen Weihen oder auf die Ablegung der evangelischen Gelübde vorbereiten. Wende deinen liebenden Blick auf die vielen bereiten Jugendlichen und rufe sie zu deiner Nachfolge. Hilf ihnen zu begreifen, daß sie sich nur in dir vollkommen verwirklichen können. Diese großen Anliegen deines Herzens vertrauen wir der mächtigen Fürbitte Mariens, der Mutter und dem Vorbild aller geistlichen Berufe, an, und wir bitten dich, daß du unseren Glauben in der Gewißheit erhältst, daß der Vater das erhört, was du selbst uns aufgetragen hast, zu erbitten. Amen.“ Mit diesen herzlichen, guten Wünschen erteile ich euch den reichen, Gnaden bringenden apostolischen Segen. Vatikan, 6. Januar 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. 1058 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Im UNO-Friedensjahr will die Kirche einen besonderen Beitrag zum Frieden anbieten “ Ansprache beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps am 11. Januar Exzellenzen! Meine Damen und Herren! 1. Ihr Doyen, S. E. Herr Joseph Amichia, hat sich soeben zum Dolmetsch Ihrer ehrerbietigen Gefühle und Ihrer Wünsche an der Schwelle des neuen Jahres gemacht. Er tat das mit dem herzlichen Ton, mit der Freiheit des Geistes, der Präzision und Tiefe, die wir von ihm kennen und die wir schätzen. Ich danke ihm herzlich für diese Grußadresse, die dem beim Hl. Stuhl akkreditierten Diplomatischen Korps zur Ehre gereicht: über eine hochherzige Huldigung an die Kirche und eine scharfe Beobachtung der Probleme in der Welt hinaus stellt sie ein Zeugnis dessen dar, was Sie an der Tätigkeit des Hl. Stuhls oder seinen Absichten zu erkennen vermögen. Ich möchte gern alle hier anwesenden Botschafter begrüßen, bevor ich am Ende dieser Audienz mit ihnen persönlich zusammentreffe. Besonders willkommen heiße ich diejenigen, die sich zum ersten Mal in dieser Versammlung befinden, da sie ihre Funktion erst im Laufe des letzten Jahres übernommen haben. Einige Länder haben ihre erste diplomatische Vertretung beim Hl. Stuhl eben erst eröffnet oder werden sie in Kürze eröffnen: Santa-Lucia, Nepal, Zimbabwe, Liechtenstein. Herzlich begrüße ich die Ehefrauen der Missionschefs sowie alle Mitglieder der Botschaften und ihre Familien. Und meine Wünsche gelten jedem der von Ihnen vertretenen Länder. 2. Der Friede! Dieses Thema hat die Organisation der Vereinten Nationen für das eben begonnene Jahr 1986 gewählt. Der Hl. Stuhl freut sich darüber und ist bereit, seinen Beitrag zu leisten. Er hofft, daß die Wahl dieses Themas nicht bloß theoretische Diskussionen oder da und dort in Umlauf gesetzte Schlagworte zeitigen möge. Er hofft, daß die Menschheit — auf der Ebene der Regierungen, der zahlreichen verantwortlichen Stellen, der öffentlichen Meinung der Völker und, so möchte ich sagen, vor allem der Gewissen — wirklich Fortschritte machen wird in dem Wunsch nach Frieden, in konkreten Friedensinitiativen und, noch tiefgreifender, in einer Kultur des Friedens, in einer Erziehung zum Frieden. Heute, wo die qualifizierten Vertreter so vieler Nationen der Welt meine Zeugen sind, möchte ich meine Überlegungen auf die Notwendigkeit konzen- 1059 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN trieren, den Horizont unserer Suche nach Frieden auszuweiten. Ich möchte die Völker ermutigen, sich den Problemen der anderen zu öffnen, sich stärker ihrer gegenseitigen Abhängigkeit bewußt zu sein und ständig auf eine Solidarität bedacht zu bleiben, die keine Grenzen kennt. Das sagte ich in der Botschaft zum Weltfriedenstag an diesem 1. Januar: „Alle Nationen der Welt können ihre miteinander verbundene Zukunft nur dann verwirklichen, wenn sie gemeinsam den Frieden als universalen Wert fördern“ (OR, dt., 20.12.1985, 5). Ja, die Förderung des Friedens, eines gerechten und dauerhaften Friedens, verlangt nach Universalität mindestens unter drei Aspekten, die den Aufbau und Verlauf dieser Rede bestimmen sollen. Die wahren Menschen des Friedens sind der Meinung, daß für alle und für jedes einzelne Mitglied der einen Menschheitsfamilie der Friede angestrebt werden müsse, und wollen sich mit lokalen Konflikten nicht abfinden. Außerdem verlangt der Friede ein gemeinsames Verantwortungsbewußtsein und eine immer breitere solidarische Zusammenarbeit auf regionaler, kontinentaler und Weltebene jenseits der Blöcke oder der kollektiven Egoismen. Schließlich muß sich der Friede überall auf die Gerechtigkeit und die Achtung der Menschenrechte stützen, die allen geboten ist. I. 3. Der globale Charakter des Friedens will nicht besagen, daß man lediglich versucht, die weltweiten Konflikte zu verhindern. Seit 1945 hat es keinen Weltkrieg mehr gegeben, man zählte aber mehr als 130 lokale Konflikte, die über 30 Millionen Tote und Verwundete gefordert, enorme Zerstörungen angerichtet, einige Länder zugrunde gerichtet haben und die jedenfalls ernste Nachwirkungen im Bewußtsein vor allem der jungen Generationen hinterlassen. Wer würde sich wohl damit abfinden? Der Friede betrifft ja alle Länder, alle Menschengruppen; wenn der Krieg diesen oder jenen Teil der Menschheitsfamilie erschüttert, verletzt er die ganze Familie, die sich nicht gleichgültig mit der Hinschlachtung von Brüdern abfinden darf. Es gibt nur eine Menschheitsfamilie. Sicher werden heute durch die Medien alle informiert und können mitleiden. Aber über eine Sympathie aus der Ferne hinaus muß das ganze Drama des Krieges zugleich mit dem Gebet für den Frieden das Verlangen wecken, Hilfe zu leisten, seine guten Dienste anzubieten, um die oft blinde Leidenschaft zu verringern, um die Gegner auf den Weg von Verhandlungslösungen zu bringen und bis dahin den Willen durchzusetzen, den Opfern Hilfe zuteil werden zu lassen. Das ist in ganz besonderer Weise die Rolle der Vereinten Nationen, doch die UNO selbst besitzt nur durch die Zustimmung und aktive Unterstützung 1060 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ihrer Mitglieder Autorität. Hieran ermißt man, wie notwendig es ist, daß sich alle Länder den Mangel an Frieden, unter dem dieses oder jenes Volk leidet, zu Herzen nehmen. 4. Es sei mir gestattet, auf mehrere Länder oder Regionen hinzuweisen, die heute bedauerliche Konflikte oder Spannungen erleben, die Ihr Doyen im übrigen erwähnt hat. Wir denken immer an das geliebte libanesische Volk. Neue Zeichen und Versuche in jüngster Zeit unterstreichen sein Verlangen nach und seinen Willen zum Frieden. Mit Ihnen spreche ich den Wunsch aus, daß dieses Verlangen mit Hilfe aller derer, die die libanesische Gesellschaft bilden — unter Gewährleistung der Ehre, der Rechte und der spezifischen Traditionen beider Seiten —, und mit der loyalen Unterstützung seitens der Freunde des Libanon unverzüglich seine Verwirklichung finden möge. Betrübt blicken wir auch auf die Fortsetzung der mörderischen und zerstörerischen Kämpfe zwischen dem Iran und dem Irak, wobei wir immer hoffen, daß die Kriegsparteien den vernünftigen Weg eines gerechten Friedens finden werden. Was das afghanische Volk angeht, weiß jeder, in welchen Verhältnissen es seit sechs Jahren lebt, wie das im übrigen die Vereinten Nationen wiederholt betont haben. Wir verfolgen aufmerksam die gegenwärtigen Bemühungen, die darauf abzielen, das Problem in seiner Komplexität auf gerechte Weise zu lösen. Möge diese noch schwache Hoffnung nicht enttäuscht werden! Die Lage in Kambodscha, die so dramatisch gewesen war, bleibt unerquicklich und schwierig. Die internationale.Gemeinschaft ist mit Recht darum bemüht, eine Lösung zu begünstigen, die dem kambodschanischen Volk eine echte und seiner kulturellen Traditionen würdige Unabhängigkeit einräumen würde. Südafrika leidet weiter unter blutigen Rassenkonflikten und Stammesgegensätzen. Ihr Doyen hat mit Recht diese Geißel betont. Die Lösung des Apartheidproblems und die Einführung eines konkreten Dialogs zwischen den Autoritäten der Regierung und den Vertretern der legitimen Bestrebungen der Bevölkerung sind das unerläßliche Mittel für die Wiederherstellung der Gerechtigkeit und der Eintracht unter Verbannung der Angst, die heute so viele Verhärtungen hervorruft. Vor allem gilt es zu vermeiden, daß die internen Konflikte zum Nachteil der Gerechtigkeit und des Friedens von anderen ausgenützt werden. Die internationale Gemeinschaft kann und muß ihren Einlaß auf den verschiedenen Ebenen mit den vom Recht garantierten Mitteln in einem konstruktiven Sinn ausüben. Die Situation in Uganda ist trotz der zwischen der Regierung und den Vertretern der Opposition Unterzeichneten Vereinbarung noch immer von einer tie- 1061 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN fen Unsicherheit gekennzeichnet. Aus ganzem Herzen wiederhole ich meinen Appell vom 22. Dezember vergangenen Jahres für den Frieden des Volkes von Uganda. Der Tschad ist noch weit davon entfernt, eine annehmbare Lösung für das entscheidende Problem der nationalen Einheit und Unabhängigkeit gefunden zu haben. Trotz der Vermittlungsversuche hat die Fortsetzung interner Konflikte, zusammen mit Einmischungen von außen, zur Folge, daß die Bevölkerung eine endlose blutige Tragödie erlebt, während die unzureichende wirtschaftliche und soziale Entwicklung sie in größtem Elend läßt. Wer könnte das Interesse am Schicksal der Bevölkerung Äthiopiens verloren haben, für die der Bürgerkrieg und die Umsiedlungen das bereits allzu bekannte Drama der Dürre, des Hungers und des Mangels an Hilfsmaßnahmen noch verschärft haben? Zu all diesen Dramen ist am Weihnachtstag der Konflikt zwischen Burkina Faso und Mali wegen Grenzstreitigkeiten hinzugekommen; er hat sogleich Opfer und beachtliche Schäden gefordert. Wir wollen hoffen, daß die vereinbarte Feuereinstellung andauert und daß diese beiden Länder einen Boden der Verständigung finden, um ihre Kräfte und ihre spärlichen Reserven dem Wohlergehen ihrer Völker zu widmen. In Mittelamerika bleiben die Aussichten auf eine Wiederherstellung des Friedens weiterhin sehr unsicher. Die Konfliktparteien haben sich nicht auf eine wirksame Option für den Dialog als geeignetes Mittel eingelassen — oder haben gar nicht die Absicht, sich darauf einzulassen —, um zu einer Lösung der Probleme zu kommen, die entweder auf Grund eines falschen Verständnisses der Forderungen einer wahren Demokratie oder wegen der Einmischung ausländischer Kräfte und Mächte in die reale Gegebenheit dieser Länder bestehen. In manchen Ländern auf dem lateinamerikanischen Kontinent erleben wir eine grausame Eskalation des Guerillakampfes, von dem ohne Unterschied Institutionen und Personen betroffen sind. Eine solche Anwendung von Gewalt muß ebenso auf das entschiedenste verurteilt werden wie die Taktik, die darin besteht, blindlings zuzuschlagen, um zu töten, um zu beeindrucken und um die Angst aufrechtzuerhalten. Zweifellos ließen sich noch weitere Beispiele für Konflikte, Guerillakriege und Spannungen anführen. Mit ihrer Nennung wollte ich natürlich weder die düsteren Aspekte der internationalen Lage hervorheben noch zusätzliche Ängste schüren noch die Last der demütigenden Prüfungen von Ländern, die mir alle teuer sind, vergrößern, sondern im Gegenteil, ich wollte meine Sorge für die Bevölkerung dieser Länder deutlich machen, Verständnis und Ermutigung für die positiven Bemühungen ihrer Regierungen bekunden, weil ich überzeugt 1062 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bin, daß es überall eine Hoffnung auf Frieden gibt, die ergriffen werden will, und daß man einem bestimmten Internationalismus der Gewalt und des Guerillakampfes einen Internationalismus des Friedenswillens entgegenstellen muß. II. Genauer gesagt — und das ist die zweite Stufe meiner Überlegung —, der Friede ist ein Wert ohne Grenzen, weil er nur in einem Zusammenwirken, das sich auf die Region, den Kontinent und die Gesamtheit der Nationen erstreckt, als gerechter und dauerhafter Friede errichtet werden kann. 5. Die Ausweitung der Zusammenarbeit besagt nicht, daß die verschiedenen Friedensinitiativen, die von bestimmten Persönlichkeiten, von bestimmten Instanzen, von bestimmten Regierungen unternommen werden, unwesentlich wären, noch daß man beinahe schon mit einer weltweiten Zustimmung aller betroffenen Seiten rechnet, um dem Frieden den Weg zu bereiten. Im Gegenteil, die Lösung scheinbar unentwirrbarer Situationen, Konflikte oder latenter Spannungen kommt häufig durch mutige, kühne, prophetische persönliche Initiativen zustande, die den fruchtlosen Kreis der Gewalt und des Hasses zerbrechen und die Problemlage in der Tat auf neue Weise anpacken, indem sie den Dialog und die Verhandlung im Geist der Verständigung einleiten und die Ehre jeder Seite respektieren. Personen, die so handeln, verdienten, im evangelischen Sinne des Wortes, „Friedensstifter“ genannt zu werden. Der Ursprung ihres Vorgehens kommt nicht zuerst aus einer Position der Stärke, sondern aus einer menschlich realistischen Auffassung des Friedens; der Friede kann von der Liebe inspiriert sein, wie Mahatma Gandhi sagte. Freilich würde der Friede leider eine recht zerbrechliche Angelegenheit bleiben, wenn er nicht mit allen Partnern der Region unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten eines jeden von ihnen angestrebt würde; wenn die anderen Völker der Erde sich nicht daran interessiert fühlten und sich nicht bemühten, diesen Frieden zu ermutigen und zu festigen; wenn die Großmächte sich weiter einmischten und sich einem gerechten Frieden im Hinblick auf ihre eigenen Interessen sogar widersetzten. Der Friede nimmt also eine universale Dimension an, nicht nur weil es verschiedene Bereiche der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker auf politischer und wirtschaftlicher Ebene gibt, sondern auch auf Grund einer höheren und weitreichender Betrachtung der gleichen Würde und der gemeinsamen Bestimmung der Völker, die die eine Menschheitsfamilie bilden. Man sieht nur schwer, wie die meisten der Situationen, von denen wir gesprochen haben, in 1063 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN lediglich bilateralen Beziehungen oder in Abkommen, die allein mit den vom Konflikt unmittelbar Betroffenen geschlossen werden, eine gerechte Lösung finden sollen. Es besteht die große Gefahr, dabei in Sackgassen oder in Ungerechtigkeiten zu enden. Im Gegensatz dazu können eine breitere Verständigung, die unparteiische Vermittlung oder die Zustimmung anderer Mächte bessere Garantien bieten. 6. Die breitere Solidarität, von der wir gerade gesprochen haben, nimmt auch auf der Ebene ganzer Gruppen von Ländern Gestalt an, die durch geographische Nachbarschaft, kulturelle Verwandtschaft, Übereinstimmung ihrer Interessen, Teilen von Verantwortlichkeiten hinsichtlich menschlicher und physischer Gegebenheiten in einem Umfang, der Staaten und Nationen überschreitet, viele gemeinsame Berühungspunkte haben. Die den Kontinent umfassende Solidarität ist heute eine notwendige Stufe der weltweiten Solidarität. Das gilt unter anderem für den lateinamerikanischen Kontinent. In Santo Domingo habe ich am 12. Oktober 1984 bei der Eröffnung der neunjährigen Vorbereitungszeit auf die 500-Jahrfeier der Evangelisierung in Anwesenheit meiner bischöflichen Brüder von CELAM die betroffenen Länder aufgefordert, sich in der Einheit einer freien und blühenden großen lateinamerikanischen Familie wiederzufinden, die auf eine gemeinsame kulturelle und religiöse Einheit gegründet ist. Sie können sich in der Tat auf eine angeborene, vom Evangelium geprägte Dynamik stützen, um miteinander die Ungerechtigkeiten und den Egoismus bestimmter Privilegien zu überwinden, die Verführungsbemühungen der Ideologien zu durchkreuzen und die Wege der Gewalt abzulehnen, um die Feindseligkeiten zwischen den Nationen und Einmischungen ausländischer Mächte zu verhindern, um Fortschritte in der Achtung der Identität und der ethnischen Gruppen und beim Bemühen um das Wohlergehen aller zu machen. Ebenso muß, wie ich am 12. August vergangenen Jahres vor den zivilen Autoritäten Kameruns und den Mitgliedern des Diplomatischen Korps in Yaounde sagte, dem afrikanischen Kontinent Achtung und Hilfe zuteil werden bei der Verfolgung einer ganzen Reihe von gemeinsamen Zielsetzungen, auf die Ihr Doyen besondere Aufmerksamkeit lenkte: die wahre Unabhängigkeit, eine richtig verstandene wirtschaftliche Autonomie, die Ausschaltung brudermörderischer Guerillakriege und die Überwindung von ethnischen und regionalen Rivalitäten, der Kampf gegen Dürre und Hunger, die Achtung des Menschen unabhängig von seiner Rasse, die Entfaltung der den afrikanischen Völkern eigenen menschlichen und geistigen Werte. Am 11. Oktober vergangenen Jahres hatte ich Gelegenheit, vor dem Symposion der europäischen Bischöfe wieder einmal über die gemeinsamen Wurzeln ihres 1064 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kontinents im christlichen Glauben zu sprechen, über die Notwendigkeit, den Schleier, den Europa über die metaphysischen Gewißheiten oder die sittlichen Leitlinien, die seine Stärke ausmachten, sich hat ausbreiten lassen, zu zerreißen, um der Welt weiterhin das Zeugnis der Werte zu erbringen, die das Beste seines Erbes darstellen. Das ist ein Dienst, der eine gewisse Einheit, eine wirksame Solidarität erfordert, die um so schwerer zu verwirklichen sind, als die Geschichte den jeweils besonderen Charakter jeder Kultur und jeder Tradition noch verstärkt hat. Man kann sich nur freuen, wenn man doch gewisse Fortschritte in dieser Solidarität wahrnimmt. In Westeuropa umfaßt die Wirtschaftsgemeinschaft nunmehr zwölf Länder, die sich für die Öffnung ihrer Grenzen auf diesem Gebiet einsetzen. Am Sitz der Institutionen der europäischen Gemeinschaft in Brüssel habe ich am 20. Mai vergangenen Jahres deren Gründer dafür gelobt, daß sie sich nicht mit der Zerstückelung Westeuropas abgefunden haben. Aber der große Bruch, der die Völker des Ostens und des Westens trennt, besteht weiter. Was auch immer die historischen, politischen und ideologischen Ereignisse gewesen sein mögen, die diesen Bruch — großenteils ungeachtet des Willens der Bevölkerung — verursacht haben, „für ein von menschlichen und christlichen Idealen, die bei der Gestaltung des Kontinents führend waren, genährtes Gewissen bleibt er unannehmbar“, wie ich vor den europäischen Bischöfen sagte (vgl. OR, dt., 25.10.1985, 5). Wir hoffen täglich, daß die Weiterführung des in Helsinki eingeleiteten Prozesses, die in diesem Jahr eine wichtige Nachfolgetagung in Wien vorsieht, vor allem die Entwicklung des Geistes der gegenseitigen Solidarität des freien und fruchtbaren Austausches von Gedanken und Personen und der Zusammenarbeit zwischen den Staaten ermöglichen wird. Auf der Ebene der christlichen Gemeinschaften wollen wir, dem Beispiel der hll. Benedikt, Kyrill und Method folgend, unsere brüderlichen Bande zwischen dem Osten und dem Westen richtig bewahren und weiter entfalten. Unser Blick richtet sich natürlich auch auf den großen asiatischen Kontinent, wo die Verschiedenheit zweifellos ausgeprägter ist und die Situationen insofern komplexer sind, als es sich um riesige Länder mit uralten, sehr charakteristischen Traditionen und mit einer sehr dichten Bevölkerung handelt. Ebenso gewaltig sind die menschlichen Probleme, die diese Länder zu lösen haben, und die Kirche betrachtet voller Sympathie ihre Anstrengungen. Ich hatte Gelegenheit, dies bei meinem Besuch in Japan und bei meinem Aufenthalt in Thailand zum Ausdruck zu bringen. Und ich freue mich, demnächst in Indien empfangen zu werden. Schließlich denke ich an die riesige Welt Ozeaniens, wo ich in diesem Jahr Australien und Neuseeland besuchen will. Ja, jeder Kontinent hat seine Probleme, sein Schicksal und seine Verantwortlichkeiten sich selbst und der ganzen Menschheitsfamilie gegenüber. Der Welt- 1065 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN friede setzt voraus, daß der Zusammenhalt auf jeder dieser Ebenen gepflegt und dabei die Persönlichkeit jedes Volkes und seine verantwortliche Teilnahme respektiert wird. In diesem Sinne spreche ich den Wunsch aus, daß die regionalen oder kontinentalen politischen Organisationen diesen Prozeß der Zusammenarbeit und des Friedens unterstützen mögen. Ich denke vor allem an die Organisation der Amerikanischen Staaten (O.A.S.) und an die Organisation für Afrikanische Einheit (O.U.A.). 7. Der Bruch zwischen Ost- und Westeuropa, von dem ich gesprochen habe, geht weit über diesen Kontinent hinaus. Im Bereich der politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Systeme hat er diese letzten vierzig Jahre tiefgreifend geprägt und lenkt die Aufmerksamkeit weiterhin auf zwei Blöcke mit den Kriegsdrohungen und dem kostspieligen und gefährlichen Hochrüstungswettlauf. Eine Hoffnung erhebt sich jedesmal, wenn eine Entspannung eintritt, wenn der Dialog wieder aufgenommen wird, wenn Vertrauen zutage tritt, wenn ein Prozeß der allgemeinen, ausgewogenen und kontrollierten Abrüstung beschlossen wird (vgl. meine Botschaft an die UNO, 14. Oktober 1985). Die Begegnung von Genf im letzten November zwischen den höchsten Vertretern der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion stellte einen interessanten Schritt auf dem unumgänglichen Weg des Dialogs dar. Der gegenseitige Austausch von Wünschen an die Völker des. anderen Landes zu Beginn dieses Jahres läßt ein Zeichen einer gewissen Humanität und Öffnung erkennen. Aber diese neuen Beziehungen werden nur dann den Frieden herbeiführen, wenn sie außer symbolischen Gesten einen konkreten Willen zur Abrüstung zum Ausdruck bringen, ohne andererseits ungerechte Situationen weiterhin zu verschleiern. Wie Ihr Doyen richtig gesagt hat: die Welt wartet voll Ungeduld auf die Früchte dieser Begegnung. Jedenfalls sollte unsere heutige Geschichte nicht in der Polarisierung Ost-West verharren. Eine ganze Reihe von Ländern — und manchmal großen Ländern — haben das dadurch bewiesen, daß sie, auf verschiedenen Stufen und in sehr unterschiedlichen Formen, den Weg der Blockfreiheit wählten. Eine schwierige Position, die passende Annäherungen und selbst Abkommen nicht verwehrt und die die Solidarität hinsichtlich der wesentlichen Menschheitsprobleme nicht vernachlässigen darf, die aber überdies Ausdruck einer Form des Friedensdienstes unter dem Gesichtspunkt der Überwindung der Gegensätze der Blöcke sein kann. Und vor allem sollten, worauf ich ständig hinweise, die Nord-Süd-Beziehungen sämtliche Mitglieder der Menschheitsfamilie viel stärker besorgt machen als die Ost-West-Beziehungen. Da handelt es sich darum, gemeinsam nicht mehr 1066 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN einen hemmungslosen Rüstungswettlauf, sondern den Wettlauf um die lebensnotwendigen Bedürfnisse eines riesigen Teiles der Menschheit zu gewinnen. Das erwarte ich auch, wenn ich in meiner Botschaft vom I Januar vom Frieden als „einem Wert ohne Grenzen, von Nord nach Süd, von Ost nach West“ spreche. 8. Die Unterentwicklung ist in der Tat eine ständig wachsende Bedrohung für den Weltfrieden. Hier muß sich die Solidarität zwischen den Nationen immer stärker erweisen. Sicher ist heutzutage kein Land von einer gewissen Wirtschaftskrise ausgenommen, die die soziale Geißel der Arbeitslosigkeit nach sich zieht. Aber man muß die Grundbedürfnisse von Ländern im Auge haben, die mit den täglichen Problemen der Ernährung und der Gesundheit ihrer Kinder gegenwärtig nicht fertigwerden können; man muß ihre Schwierigkeiten verstehen, um die Jugend besser im Hinblick auf die Zukunft zu unterweisen, ihre wirtschaftlichen und sozialen Strukturen besser und unter Respektierung der echten Werte ihrer Traditionen zu organisieren. Es werden weiter Bemühungen zur bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit unternommen; internationale Instanzen vesuchen, die Nord-Süd-Beziehungen im Rahmen der UNCTAD oder des Abkommens von Lome voranzutreiben, und das bestätigt wieder, daß sich die Notwendigkeit einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung zunehmend Bahn bricht, wo wirklich der Mensch das Maß der Wirtschaft sein soll, wie ich es in der Enzyklika Laborem exercens wünschte. Aber erfolgen die Reformen nicht zu langsam und zu ängstlich, um den wirtschaftlich-sozialen Abgrund, der sich auftut, zu verringern? In diesem Zusammenhang beunruhigt das Problem der weltweiten Verschuldung der Dritten Welt und der Abhängigkeitsverhältnisse, die es hervorruft, alle Menschen guten Willens, wie Herr Amichia richtig betont hat. Über die ökonomischen und monetären Aspekte hinaus ist sie zu einem Problem der Zusammenarbeit und der Wirtschaftsethik geworden. Es gilt auf alle Fälle, unentwirrbare Situationen und erniedrigende Pressionsmaßnahmen zu unterlassen. Hier wie anderswo verlangen die Gerechtigkeit und das Interesse aller, daß auf Weltebene die Situation in ihrer Gesamtheit und in allen ihren Dimensionen ins Auge gefaßt wird (vgl. Botschaft an die Vereinten Nationen vom 14. Oktober 1985: OR, dt, 15.11.1985). III. 9. Der Friede ist nicht nur das Ergebnis eines Abkommens, einer Verhandlung, einer immer weitreichenderen solidarischen Zusammenarbeit. Noch tiefgründiger ist er ein universaler Wert, weil er sich überall auf die Gerechtigkeit 1067 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und die gleiche Achtung der Menschenrechte stützen muß, die für alle gelten. Die beiden Forderungen sind nicht voneinander zu trennen: iustitia etpax, Gerechtigkeit und Frieden. Und wie Pius XII. in Erinnerung rief: „Opus iustitiae pax, der Friede ist die Frucht der Gerechtigkeit.“ Jede Ungerechtigkeit bringt den Frieden in Gefahr. Sie ist eine Ursache oder ein potentieller Faktor von Konflikten. Das gilt für die innere Situation eines Landes, wenn eine Elite von Privilegierten in bezug auf Vermögen oder Macht die anderen Staatsbürger ausbeutet. Das gilt zwischen Ländern, wenn es unter neuen und raffinierten Formen zur wirtschaftlich-sozialen Ausbeutung eines Landes durch ein anderes kommt und ebenso, wenn ein Land einem anderen sein politisches System aufzwingt. Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Es ist ernst und gefährlich, wenn die Würde des Menschen, seine Grundrechte, seine politische Meinungsfreiheit, seine unveräußerliche Gewissensfreiheit, die Möglichkeit, seinem Glauben bei Respektierung der anderen Überzeugungen Ausdruck zu verleihen, beeinträchtigt werden. Die gewaltsamen Massenumsiedlungen ganzer Völker, die Beschränkungen der Möglichkeiten uneigennütziger Hilfsmaßnahmen, Folter, Einkerkerungen und Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren und ohne Gewährleistung der Gerechtigkeit, die auf Grund von Rassismus oder Apartheid verhängten willkürlichen Einschränkungen, die Schikanen und religiösen Verfolgungen, oft sogar im geheimen verübt, sind ebenso unzulässige Beeinträchtigungen für die sittlichen Gebote, die jedem Gewissen auferlegt sind, um die Würde des Menschen zu gewährleisten und den wahren Frieden zwischen den Menschen sicherzustellen. Solche Rechte brauchen nicht von einem Staat festgelegt, gewährt oder begrenzt zu werden. Sie übersteigen jede Macht. Natürlich lassen sich die Rechte der menschlichen Person nicht von ihrer Verpflichtung trennen, die Rechte der anderen zu achten und zum Gemeinwohl beizutragen. Aber die Verletzung der Grundrechte darf niemals zu einem Mittel für politische Zwecke werden. Ein Regime, das diese Rechte unterdrückt, kann nicht vorgeben, Friedensarbeit zu leisten; eine Entspannung, die derartige Mißbräuche bemänteln wollte, ist keine echte Entspannung. „Der Mensch muß des Menschen sicher sein können, und die Nation der Nation“ (Predigt bei der Messe zum 19. Weltfriedenstag am 1. Januar 1986, Nr. 7: OR, dt., 10.1.1986). Es gibt heute auf der Welt eine große Zahl von Gefangenen, die allein aus Gewissensgründen festgehalten werden. Es ist zu wünschen, daß ein internationales Rechtsdokument der Vereinten Nationen Mißstände dieser Art behebt. 10. Unter den Hindernissen für den Frieden, die ich soeben erwähnt habe, gibt es eines, für das unsere heutige Welt auf schmerzvolle Weise empfindlich ist 1068 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und das ein Klima der Unsicherheit erzeugt: den Terrorismus innerhalb mancher Länder und den internationalen Terrorismus. Wir stehen hier einem grauenhaften Netz von Leuten gegenüber, die nicht davor zurückschrecken, eine große Zahl Unschuldiger zu töten, und das oft in Ländern, die nichts mit ihnen zu tun haben und nicht in ihre Probleme verwickelt sind, nur um Panik zu verbreiten und die Aufmerksamkeit auf ihre Sache zu lenken. Wir können da nur unsere absolute und einstimmige Verurteilung aussprechen. Dasselbe muß von den barbarischen Vorgängen der Geiselnahme mit Erpressung gesagt werden. Es handelt sich um Verbrechen gegen die Menschheit. Sicher gibt es tatsächlich Situationen, denen seit allzu langer Zeit eine gerechte Lösung verwehrt wird; es kommt daher zu Gefühlen der Enttäuschung, des Hasses und zur Versuchung, Rache zu üben, Umstände, die wir sehr sorgfältig im Auge behalten müssen. Aber die Argumentation — oder vielmehr das von Affekten bestimmte Verhalten — verliert vollständig jede Berechtigung, wenn man Methoden der Ungerechtigkeit und des Massakers an Unschuldigen anwendet, um eine Sache zu verteidigen; ja mehr noch, wenn man sich mit dem Einverständnis gewisser Bewegungen und der Unterstützung mancher staatlicher Gewalten kaltblütig darauf vorbereitet und dafür trainiert. Die Vereinten Nationen sollten nicht dulden, daß sich Mitgliedsstaaten von den in ihrer Charta enthaltenen Grundsätzen und Regeln lossagen und auf die Machenschaften des Terrorismus einlassen. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ ist zunächst ein fundamentaler, unveränderlicher Grundsatz der Religion: diejenigen, die Gott verehren, müssen in der ersten Reihe derer stehen, die gegen jede Form von Terrorismus kämpfen. Das brachte ich in dem Gebet zum Abschluß meiner Ansprache vor jungen Muslimen in Casablanca zum Ausdruck: „Gott, erlaube nicht, daß wir deinen Namen anrufen und dabei die menschliche Unordnung rechtfertigen“ (19. August 1985: OR, dt., 4.10.1985, 13). Die Repressalien, die gleichfalls unterschiedslos Unschuldige treffen und die Spirale der Gewalt fortsetzen, verdienen in unseren Augen dieselbe Verwerfung; sie stellen trügerische Lösungen dar und verhindern die moralische Isolierung der Terroristen. Der sporadisch zuschlagende Terrorismus, der begreiflicherweise im Gewissen aufrichtiger Menschen Schrecken hervorruft (vgl. Angelus am 29. Dezember 1985: OR, dt., 10.1.1986,5), sollte uns aber nicht eine andere Form von systematischem, ja gleichsam institutionalisiertem Terrorismus vergessen lassen, der sich ganz auf ein von der Geheimpolizei getragenes System stützt und die Freiheit und die Grundrechte von Millionen von Menschen zerstört, deren,Schuld“ darin besteht, daß sie ihr Denken nicht an der herrschenden Ideologie orientieren, und die im allgemeinen nicht in der Lage sind, die Aufmerksamkeit und Unterstützung der internationalen öffentlichen Meinung auf sich zu ziehen. 1069 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der Dialog und die Verhandlung sind letzten Endes die Waffe der Starken, wie Ihr Doyen es nannte. So muß man, im Zuge eines gemeinsamen und entschiedenen Vorgehens zur Verbannung des Terrorismus aus der Menschheit, durch Verhandlungen versuchen, ehe es zu spät ist, soweit als möglich das zu beseitigen, was hindert, daß den berechtigten Ansprüchen der Völker entsprochen wird. Ist im besonderen nicht hier der Knoten der Ungerechtigkeit zu finden, der gelöst werden muß, um zu einer gerechten und angemessenen Lösung des gesamten Nahostproblems zu gelangen? Man entwirft weiter Verhandlungshypothesen, aber man kommt nie zu dem entscheidenden Punkt, die Rechte aller beteiligten Völker wirklich anzuerkennen. In meiner Botschaft an die Vereinten Nationen am 14. Oktober vergangenen Jahres sagte ich: „Ihre Organisation ist ihrer Natur und ihrer Berufung nach das Weltforum, vor dem die Probleme im Licht der Wahrheit und der Gerechtigkeit unter Verzicht auf kleinliche Egoismen und auf Gewaltandrohung geprüft werden sollen“ (a.a.O., 7). Meine Herren Botschafter! Ihre edle Mission konzentriert sich auf dieses Ziel; trotz des gemeinhin bilateralen Charakters der Beziehungen, die Sie aufrechterhalten und pflegen sollen, verlangen diese von Ihnen doch auch das Offensein für das Universale, für die Welt, für die Wahrheit und die Gerechtigkeit. IV. 11. Ist es nötig, daß ich zum Abschluß dieser Ansprache über die universalen Forderungen des Friedens noch eingehender den Beitrag erläutere, den die Kirche in Erfüllung ihrer besonderen Sendung, ihres geistlichen Auftrags zum Frieden leisten will? Hohen Wert mißt die Kirche den sittlichen Geboten bei, von denen wir gesprochen haben und die die Durchführung der menschlichen und politischen Aufgaben in höchstem Maße gewährleisten. Sie sind hier beim Hl. Stuhl, um ständig seine Worte und seine Initiativen zu beobachten. Sicher hat sich im Laufe der Geschichte der Beitrag mancher Christen, mancher „christlicher Nationen“ zum Frieden nicht immer auf der Höhe der Botschaft befunden, deren Träger sie waren. Die universale Sicht wurde mitunter von den Sonderinteressen und Egoismen eingeengt. Aber die von der Kirche vorgelegte christliche Botschaft hat unaufhörlich Licht und Kraft für die Schaffung eines gerechten Friedens beigetragen. Erlauben Sie mir die Erwähnung einiger Lehrdokumente, die wesentliche Marksteine auf dem Weg des Friedens darstellen. Im Laufe der letzten Jahr- 1070 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zehnte hat die Kirche, gestärkt durch ihre Erfahrung und beseelt von ihrer Sorge um den Menschen, eine Lehrunterweisung erteilt, die eine wahre „Pädagogik des Friedens“ ist. Nach den großen Botschaften Pius’ XII., der in einer vom Krieg zerstörten Welt den Ausblick auf eine dauerhafte Schaffung des Friedens eröffnete, gründet Johannes XXIII. in der Enzyklika Pacem in terris (die er an alle Menschen guten Willens richtete) das friedliche Zusammenleben der Menschen auf die zentrale Stellung, die der Mensch in der von Gott gewollten Ordnung einnimmt, das heißt auf seine Würde als Person. Die Rechte und Pflichten der Person entsprechen den Rechten und Pflichten der Gemeinschaft. „Allen Menschen guten Willens — schrieb Johannes XXIII. — obliegt heute die ungeheure Aufgabe, die Beziehungen des Lebens in der Gesellschaft auf den Grundlagen der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Liebe und der Freiheit wiederherzustellen: Beziehungen der einzelnen Menschen zueinander, Beziehungen zwischen den Bürgern und dem Staat, Beziehungen der Staaten untereinander, schließlich Beziehungen zwischen einzelnen, Familien, Gruppen und Staaten auf der einen und der Weltgemeinschaft auf der anderen Seite“ (Nr. V). Paul VI. entwickelte besonders in der Enzyklika Populorum progressio die bereits von seinem Vorgänger begonnene Analyse über die Unordnung weiter, die in der Welt herrscht, weil die Wahrheit, die Gerechtigkeit, die Liebe und die Freiheit verletzt werden. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Situationen, die dadurch, daß sie die ganzheitliche Förderung des Menschen und die solidarische Entwicklung der Völker verhindern oder zum Scheitern bringen, die Menschheit in einem Zustand der Spaltung und des Konflikts halten. Paul VI. hat die Entwicklung der Personen und der Völker als „neuen Namen für Frieden“ vorgestellt (Nr. 87). In derselben Sicht sagte das Zweite Vatikanische Konzil in der Pastoralkonsti-tution Gaudium et spes: „Der Friede besteht nicht darin, daß kein Krieg ist; er läßt sich auch nicht bloß durch das Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte sichern; er entspringt ferner nicht dem Machtgebot eines Starken ...;er ist ein ,Werk der Gerechtigkeit1...und als solches niemals endgültiger Besitz, sondern immer wieder neu zu erfüllende Aufgabe“ (Nr. 78). Ich meinerseits habe in der Enzyklika Redemptor hominis die Größe, die Würde und den Wert der menschlichen Person klar herausgestellt. Der Mensch ist „der Weg der Kirche, der Weg ihres täglichen Lebens und Erlebens, ihrer Aufgaben und Mühen“. Deshalb muß sich die Kirche „die Situation des Menschen“ bewußt machen, sie muß sich all dessen bewußt sein, was dem Bemühen entgegensteht, „das Leben der Menschen immer menschlicher zu machen“ (vgl. Nr. 14; vgl. Paul VI., Populorum progressio, 21). 1071 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 12. Und in der Praxis engagiert sich die Kirche — das heißt der Hl. Stuhl und die Ortskirchen in Gemeinschaft mit ihm — gern dafür, alle echten Friedensgespräche, alle Formen aufrichtiger Verhandlung und loyaler Zusammenarbeit zu ermutigen. Sie will mitarbeiten am Abbau blind machender Leidenschaften, an der Überwindung der Grenzen, an der Auflösung des Hasses, an der Annäherung der Menschen; sie will ihnen zu Hilfe kommen und ihnen Hoffnung bringen inmitten ihrer Prüfungen in den Konflikten, die sie nicht zu verhindern vermag. Als ich kürzlich Kardinal Etchegaray mit dem Auftrag betraute, die irakischen Kriegsgefangenen im Iran, dann die iranischen Gefangenen im Irak zu besuchen, wollte ich im Namen der ganzen Kirche diese Sorge für die Opfer des Krieges zum Ausdruck bringen. Ich wollte auch zu erkennen geben, daß der Hl. Stuhl niemals die Hoffnung aufgibt, daß sich eine politische Lösung finden läßt, die schließlich ein Zeitalter des Friedens einleitet. Die Kirche will auch weiterhin Stimme der Armen sein, der Benachteiligten, die die Kriegskosten zahlen müssen, der Opfer der Folter, der Vertriebenen. Vor allen Dingen will sie die Gewissen zum Offensein für die anderen, zur Achtung des anderen, zur Toleranz, die nicht zu trennen ist von der Suche nach der Wahrheit, zur Solidarität erziehen (vgl.Ansprache in Casablanca am 19. August 1985). Sie weiß im übrigen, daß die Wurzel des Übels, der Abkapselung, der Verhärtung, der Gewalt, des Hasses im Herzen des Menschen liegt; für seine Heilung bietet sie die heilbringenden Mittel Christi an. In diesem Jahr, wo, wie wir hoffen, alle Völker ihre Aufmerksamkeit und ihre Bemühungen dem von den Vereinten Nationen gewählten Thema des Friedens widmen werden, hat die Kirche einen besonderen Beitrag anzubieten. Sie will die Menschen, ihre katholischen Söhne und Tochter, aber ebenso alle Christen und alle Gläubigen, die es wollen, zu einer großen Gebetsbewegung für den Frieden einladen. Diese Solidarität im Gebet zum Allerhöchsten, das vertrauensvolle Bitte, Opfer und Einsatz des Gewissens einschließt, wird von großer Wirksamkeit sein, um von Gott das unschätzbare Geschenk des Friedens zu erlangen. 13. Exzellenzen, meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen, das Sie der Friedensarbeit des Hl. Stuhles schenken und schenken werden. Ich versichere Sie der Aufmerksamkeit und des Wohlwollens des Hl. Stuhles für alle Friedensbemühungen Ihrer Regierungen. Wir alle wünschen, daß sich überall dort, wo noch Kriege oder Guerillakämpfe toben, wo Bedrohungen oder ungerechte Situationen herrschen, sich schließlich Friedensprozesse abzuzeichnen beginnen zum Wohl der betroffenen Bevölkerungen. Wir möchten, daß den gedemütigten Bevölkerungen, denen, die auf ihrem eigenen Territorium leben, und denen, die ihrer Heimat beraubt 1072 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN oder daraus vertrieben worden sind, eine greifbare Hoffnung gegeben werden kann. Und wir wünschen, daß die Friedensbemühungen — mit ausreichenden Garantien —, die sich an verschiedenen Orten der Erde am Beginn dieses Jahres abzeichnen, zu guten Ergebnissen führen. Aber auch jedem einzelnen von Ihnen und Ihren Familien entbiete ich meine Friedenswünsche. Ich habe sie bereits im Gebet dem Herrn vorgelegt. Ich erbitte für jeden von Ihnen seinen Segen, seinen Schutz. Friede den Menschen auf Erden, die Gott liebt, den Menschen guten Willens! Die Taufe Jesu — endgültiger Übergang vom Alten zum Neuen Testament Predigt bei der Messe und Taufe in der Sixtinischen Kapelle am 12. Januar „Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen“ (Lk 3,16). 1. An diesem Sonntag, der unmittelbar auf das Fest der Epiphanie folgt, gedenkt die Kirche in der Liturgie der Taufe des Herrn im Jordan. Dieser Gedenktag bietet den Gläubigen den geistlichen Rahmen, sich ihrer eigenen Taufe zu erinnern, um so mehr, wenn sie der Spendung dieses Sakraments beiwohnen, das das Eingangstor in die kirchliche Gemeinschaft darstellt. Ich freue mich daher, euch, liebe Eltern, Paten und Patinnen, hier in der Sixtinischen Kapelle zu empfangen, um mit euch das eucharistische Opfer zu feiern und euren lieben Kindern die Taufe zu spenden. Dieser Feier kommt eine besondere Bedeutung zu, weil sie die wichtigste Aufgabe betrifft, die der Kirche von ihrem göttlichen Stifter anvertraut wurde: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ {Mt 28,19 f.). Die Kirche lebt und wirkt in der Welt hauptsächlich dafür: um den Menschen das Heil zu vermitteln, das kraft des Kommens Jesu, des Erlösers, in unsere Mitte aus diesem Sakrament entspringt, 1073 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Jesu, den wir in diesen Tagen im Geheimnis der Grotte von Bethlehem und in seiner Erscheinung vor den Völkern am Fest der Epiphanie betrachtet haben. In diesem religiösen Rahmen richte ich an euch alle und an eure Künder meinen herzlichen Gruß und durch euch möchte ich alle Familien grüßen, die heute ihre Kleinen in die Pfarreien zur Taufe bringen. 2. Die Liturgie dieses Sonntags der Taufe unseres Herrn ruft uns die tiefen geistlichen Wirklichkeiten in Erinnerung, die dieses Sakrament der Einführung in das Christentum betreffen. Allem voran führt sie uns die biblische Szene vor Augen, in welcher Lukas uns Christus in den Wassern des Jordan im Mittelpunkt einer wunderbaren Theophanie vorstellt: „Zusammen mit dem ganzen Volk ließ auch Jesus sich taufen. Und während er betete, öffnete sich der Himmel, und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab, und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden“ (Lk 3,21 f.). Die Stimme aus dem Himmel ist das Zeichen einer Offenbarung und eines Eingreifens Gottes im Hinblick auf Jesus, der „sein Sohn“ genannt und mit den Zügen der geheimnisvollen Gestalt des bereits vom Propheten Jesaja als Messias verkündeten Gottesknechts — wie wir in der ersten Lesung gehört haben — vorgestellt wird: „Seht, das ist mein Knecht, ich halte ihn an der Hand; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen“ (Jes 42,1). Tatsächlich wollte in der Theophanie am Jordan der Vater vor allem Jesus als den von den Völkern erwarteten Messias vorstellen, als den, der den Blinden die Augen öffnen und die Gefangenen von ihren Ketten befreien wird. Zu diesem Zweck hat ihn der Vater voll mit seinem mächtigen Geist ausgestattet, und Johannes der Täufer bezeichnet ihn als den, „der stärker ist als ich“ (Lk 3,16). Aber mit der feierlichen Verkündigung der Gottessohnschaft und mit der ausdrücklichen Einsetzung Jesu in seine Heilssendung vollzieht und bestätigt der Vater bei jener Theophanie anläßlich der Taufe den endgültigen Übergang vom Alten zum Neuen Testament; von der mit bloßem Wasser vorgenommenen Taufe des Johannes als äußeres Zeichen zu der Taufe Jesu „mit dem Heiligen Geist und mit Feuer“ (Lk 3,16) als Heilszeichen. In der Tat ist der Heilige Geist bei der christlichen Taufe der eigentliche Urheber: er löscht die Erbsünde aus und vernichtet sie, indem er dem Täufling die Schönheit der göttlichen Gnade zurückgibt: er verwandelt das Kind der Finsternis in das Kind des Lichts, den Knecht der Sünde in den freien Bürger des Reiches Gottes. So wie der hl. Basilius der Große schreibt: „Es ist der Geist, der die Wiedereinsetzung in das Paradies, den Eintritt in das Himmelreich, die Rückkehr zur Gotteskindschaft bewirkt. Er verleiht den heiligen Mut, Gott Vater zu nennen, an der Gnade Christi teilzuhaben, uns Kinder des Lichts nennen zu lassen“ (De spiritu Sancto, 15,36). 1074 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. Liebe Brüder und Schwestern! Zu welchen Höhen und zu welcher Würde erhebt uns das Sakrament der Taufe! „Seht, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es!“ ruft in diesem Zusammenhang der Apostel Johannes in seinem ersten Brief aus (1 Joh 3,1). Und der Apostel Paulus, der die Wunder der Taufe als Ostermysterium von Tod und Auferstehung preist, spricht von einer zweiten Geburt und einer unaussprechlichen Gotteskindschaft „durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist“ (Tit 3,5); an jeden Getauften gewandt, zögert er nicht, mit feierlichen Worten zu verkünden: „Du bist nicht mein Sklave, sondern Sohn; bist du aber Sohn, dann auch Erbe, Erbe durch Gott“ (Gal 4,7). Diese Gotteskindschaft erlegt dem Getauften Verpflichtungen und Verantwortung auf. Das Taufsakrament ist ja der Beginn eines geistlichen Prozesses, der ein ganzes Leben verwandeln soll. Es ist ein Geschenk, das Mitarbeit an der Heilswirkung verlangt, die jedem Christen durch das Ferment der sakramentalen Gnade zuteil wird. Es bedarf daher einer ständigen Anstrengung und eines persönlichen Einsatzes, um die geistliche Reife bis zur vollen Übereinstimmung mit Christus zu erlangen. Es geht darum, wahrhaftig als Kinder Gottes zu leben: tatsächlich das zu werden, was wir von Rechts wegen durch die Taufe bereits sind. In diesem Zusammenhang fordert das Zweite Vatikanische Konzil, dessen Beendigung vor zwanzig Jahren wir vor kurzem gedacht haben, alle Christen, wo immer sie leben, auf, „durch das Beispiel ihres Lebens und durch das Zeugnis des Wortes den neuen Menschen, den sie durch die Taufe angezogen haben, zu offenbaren“ {AG 11). Nehmen wir diese Aufforderung an und bekennen wir uns mit neuem Glaubenseifer zu den Verpflichtungen, die einst von unseren Eltern, Paten und Patinnen mit dem Taufversprechen für uns übernommen worden waren. Erneuern wir unsere feste und leidenschaftliche Zugehörigkeit zu Christus und unseren Willen, das Böse zu bekämpfen. Verpflichtet euch in diesem Geist vor der Kirche für euch und für eure Kinder, die nun das Sakrament des Glaubens empfangen und mit euch und wie ihr in die Gemeinschaft derjenigen eingegliedert werden, die „reingewaschen, geheiligt und gerecht geworden sind im Namen Jesu Christi, des Herrn, und im Geist unseres Gottes“ (7 Kor 6,11). Amen! 1075 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Eine Brücke zur modernen Welt Ansprache an die Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Kultur am 13. Januar Liebe Brüder im Bischofsamt! Liebe Freunde! 1. Ihr nehmt treu an der römischen Jahresversammlung des Päpstlichen Rates für die Kultur teil. Da ihr aus Afrika, Nord- und Lateinamerika, aus Asien und Europa kommt, ruft uns eure Anwesenheit das gewaltige Panorama der Kulturen der ganzen Welt in Erinnerung, von denen manche von der Botschaft Christi bleibend befruchtet worden sind. Andere warten noch auf das Licht der Offenbarung, denn jede Kultur ist für die höchsten Bestrebungen des Menschen offen und zu neuen schöpferischen Synthesen mit dem Evangelium fähig. In diesen Jahren, wo sich die Alltagswirklichkeit unseres leidgeplagten Jahrhunderts tief eingräbt, bricht bereits die Morgenröte eines neuen Jahrtausends, Träger der Hoffnungen der Menschheit, an. Der historische Prozeß der Inkulturation des Evangeliums und der Evangelisierung der Kultur hat noch bei weitem nicht alle seine latent vorhandenen Kräfte ausgeschöpft. Das ewig Neue des Evangeliums trifft auf das plötzliche Auftauchen im Entstehen begriffener oder im Prozeß der Erneuerung befindlicher Kulturen. Das Auftauchen neuer Kulturen fordert ganz offensichtlich den Mut und die Intelligenz aller Gläubigen und Menschen guten Willens heraus. Gesellschaftliche und kulturelle Umwandlungen, politische Umwälzungen, ideologische Gärungsprozesse, religiöse Unruhen, ethisches Suchen — eine ganze im Entstehen begriffene Welt sehnt sich danach, Gestalt und Richtung, organischen Zusammenhalt und prophetische Erneuerung zu finden. Möge es uns gelingen, aus dem Schatz unserer Hoffnungen neue Antworten schöpfen zu können! Die durch gesellschaftliche und politische Mißstände, durch nicht ausreichend kontrollierte wissenschaftliche Entdeckungen, durch technische Erfindungen von ungeahnten Ausmaßen erschütterten Menschen spüren undeutlich das Ende der alten Ideologien und die Abnutzung der alten Systeme herannahen. Die jungen Völker fordern die alten Gesellschaften heraus, um sie aus ihrem Laxismus aufzurütteln. Die Jugend, die auf der Suche nach Idealen ist, strebt nach einer Sinngebung, die dem Abenteuer des Menschen Gültigkeit verleiht. Weder die Droge noch die Gewalt, weder die Permissivität noch der Nihilismus können die Leere des Daseins ausfüllen. Verstand und Herz sind auf der Suche nach Erleuchtung schenkendem Licht und nach wärmender Liebe. Unsere Zeit 1076 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN enthüllt in der Tiefe den geistlichen Hunger und die unermeßliche Hoffnung der Gewissen. 2. Die kürzlich abgehaltene außerordentliche Bischofssynode, die wir in Rom zu erleben die Gnade hatten, hat uns die tiefen Hoffnungen der Menschheit und die nunmehr 20 Jahre zurückliegende prophetische Inspiration des Zweiten Vatikanischen Konzils erneut bewußt gemacht. Der Aufforderung Papst Johannes’ XXIII., des Vaters des Konzils der modernen Zeit, dessen Kinder wir alle sind, entsprechend müssen wir die moderne Welt mit den lebenspendenden Kräften des Evangeliums verbinden (vgl. Ankündigungsbulle des Konzils, Humanae salutis, Weihnachten 1961). Ja, wir stehen am Beginn einer gewaltigen Arbeit zur Evangelisierung der modernen Welt, die sich in neuen Verhältnissen vorstellt. Die Welt ist in ein Zeitalter tiefer Umwälzungen eingetreten, die durch den erstaunlichen Umfang der Erfindungen des Menschen ausgelöst wurden, dessen Hervorbringungen und Erzeugnisse ihn zu vernichten drohen, wenn er sie nicht in eine sittliche und geistliche Sichtweise einbezieht. Wir treten in ein neues Zeitalter der menschlichen Kultur ein, und die Christen stehen vor einer gewaltigen Herausforderung. Wir vermögen heute besser die weitreichende Größe der inständigen prophetischen Bitte Papst Johannes’ XXIII. zu ermessen, der uns beschwor, uns von den Unglückspropheten loszusagen und uns an die Arbeit für diese gewaltige Aufgabe zu machen: die Erneuerung der Welt und ihre „Begegnung mit dem Antlitz des auferstandenen Jesus..., das die ganze Kirche durchstrahlt, um die menschlichen Nationen zu retten, zu erfreuen und zu erleuchten“ (Botschaft Ecclesia Christi, lumen gentium, 11. September 1962). Mein Vorgänger Paul VI. griff diese großartige Orientierung wieder auf und präzisierte ihre bevorzugte Möglichkeit: „Das Konzil wird an der Errichtung einer Brücke zur modernen Welt arbeiten“ (Ansprache bei der Eröffnung der 2. Konzilssession, 29. September 1963). Ich selbst habe den Päpstlichen Rat für die Kultur gegründet, um eben diese Arbeit wirksam zu unterstützen (vgl. mein Schreiben vom 20. Mai 1982: DAS 1982,1104-1110). 3. Seither seid ihr fleißig am Werk, und das Bulletin Eglise et cultures (Kirche und Kulturen) berichtet regelmäßig in französisch, englisch und spanisch von der fruchtbaren Arbeit, die geleistet wurde: laufende Gespräche mit den Bischöfen, den Ordensleuten, den internationalen katholischen Organisationen, den Universitäten; Konsultationen, deren erste Früchte bereits sichtbar werden; ein Netz von Korrespondenten in verschiedenen Teilen der Welt; Initiativen, die durch die Kirchen manchmal auf der Ebene eines ganzen Kontinents angeregt werden, wie z. B. die kürzlich vom CELAM getroffene Entscheidung, 1077 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN eine „Sektion für die Kultur“ zu errichten, um der Kirche in Lateinamerika zu ihrem Auftrag der Evangelisierung der Kultur entsprechend dem Geist von Evangelii nuntiandi und der Pastoraloption von Puebla einen neuen Impuls zu geben. Jede Bischofskonferenz wurde aufgefordert, einen yW-Zzoc-Organismus für die Pastoral der Kultur zu errichten, und eine ganze Anzahl hat bereits ihre Arbeit aufgenommen. In Verbindung mit anderen Organismen des Hl. Stuhles verfolgt ihr auch weiterhin aufmerksam die Tätigkeit der großen internationalen Organisationen und Tagungen, die sich mit Kultur, Wissenschaft und Erziehung befassen, um dort den Standpunkt der Kirche zu vertreten. Ich freue mich ganz herzlich über die Aktivität des Rates, von der das reiche Programm eurer jetzigen Tagung in San Callisto zeugt: Richtlinien für den Dialog der Kirche mit den Kulturen im Lichte der jüngsten Bischofssynode; Zusammenarbeit mit den römischen Dikasterien: Glaube und Kulturen, Liturgie und Kulturen, Evangelisierung und Kulturen, Erziehung und Kulturen, die kulturelle Rolle des Hl. Stuhles bei den internationalen Organisationen, Gesprächen und Untersuchungen, deren interessante Ergebnisse bereits in verschiedenen Sprachen auf mehreren Kontinenten veröffentlicht wurden. Weitere geplante Gespräche werden euch in der Folge in verschiedene Teile Europas und Amerikas führen oder auch zur Begegnung mit alten afrikanischen und asiatischen Zivilisationen wie zum Schmelztiegel der modernen Welt und zur Herausforderung der Künste, der klassischen Humanwissenschaften und der christlichen Ikonographie, angesichts des Auftauchens einer Weltzivilisation. 4. Liebe Freunde, setzt diese komplexe, aber notwendige und dringliche Aufgabe fort, spornt überall in der Welt die wartenden Kräfte und den wachen Willen an. Die Bischofssynode hat uns alle eindringlich dazu aufgefordert, als sie der Sendung der Kirche in der Welt entschieden die Inkulturation ans Herz legte: „Die Inkulturation ist jedoch von einer rein äußerlichen Anpassung zu unterscheiden, weil sie eine innerliche Umformung der authentischen Kulturwerte durch Einbindung in das Christentum und zugleich die Einwurzelung des Christentums in die verschiedenen menschlichen Kulturen bedeutet“ (Schlußdokument, D 4: OR, dt., 3.1.1986,14). Die ganze Kirche bereitet bereits die nächste Synode über das Apostolat der Laien vor. Ihr selbst könnt die Laien und ganz besonders die Jugend stark für den entscheidenden Dialog des Evangeliums mit den Kulturen engagieren. Ich freue mich über eure aktive Zusammenarbeit mit dem Päpstlichen Laienrat und mit der Kongregation für das katholische Bildungswesen zu dem Zweck, gemeinsam die neuen Probleme zu studieren, die von der Begegnung des Evangeliums mit der Welt der Erziehung und der Kultur aufgeworfen werden. Und 1078 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ich weiß, daß ihr es nicht versäumen werdet, viele neue Initiativen zu ergreifen, um der euch anvertrauten Sendung zu entsprechen. Meine Wünsche gehen euch auf diesem anspruchsvollen Weg voraus, mein Gebet begleitet euch, und meine Unterstützung gibt euch Halt. Von ganzem Herzen rufe ich auf euch und eure Arbeit die Gnade des allmächtigen Herrn herab, der allein unseren demütigen Dienst an der Kirche inspirieren muß, und erteile euch meinen besonderen Apostolischen Segen. Grußwort an Vorstand und Angestellte der „Swissair“ am 17. Januar Herr Generaldirektor! Meine Damen und Herren! Willkommen im Haus des Papstes! Wie könnte ich je die Gastfreundschaft vergessen, die mir bei meiner apostolischen Reise im Juni 1984 in mehreren Kantonen der Schweiz zuteil wurde. Besonders zu schätzen gewußt habe ich die freundliche Aufnahme, die Sie mir in einer Maschine der Swissair auf dem Flug von Sillen nach Rom am Sonntag, dem 17. Juni, und ebenso am 18. September vergangenen Jahres bei der Rückkehr von meinem Besuch in Liechtenstein auf dem Flug von Zürich nach Rom erwiesen haben. Sie haben so dazu beigetragen, eine der praktischen Fragen der Pastoraireisen, das Problem des Transports, bestmöglich zu lösen. Mir liegt an diesen Reisen, weil sie mir gestatten, das Zeugnis für das Leben der Ortskirchen an Ort und Stelle entgegenzunehmen und sie im Glauben und in der Einheit zu bestärken; bei diesen Begegnungen wird die Bevölkerung am Ort in ihrem Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden bestärkt. Sie haben es verstanden, diesen beruflichen Service in so hoher Qualität zu leisten, unter so komfortablen Reisebedingungen und mit einer Flugroute, die mir einen unvergleichlichen Blick auf die wunderbaren Landschaften der Schweiz und Norditalien erlaubte, auf die verschneiten Gipfel und die farbbunten Felder. Ja, ich bin glücklich, daß Sie mir die Möglichkeit geben, Ihrer Fluggesellschaft herzlichen Dank zu sagen. Ich verbinde damit meine besten Wünsche für die Erfüllung ihrer beruflichen Verantwortung mit der Kompetenz, dem kühlen 1079 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kopf und dem Einsatz, den sie verlangt. Ich richte meine herzlichsten Wünsche auch an Sie persönlich, Ihre Familien, Ihre Kollegen und bitte Gott, Sie auf Ihren Lebenswegen zu leiten und zu schützen, damit Sie sich des Glücks und des Friedens erfreuen, die seinem Willen und seiner Liebe entsprechen. Ansprache an den italienischen Staatspräsidenten Francesco Cossiga anläßlich des offiziellen Besuches im Quirinal am 18. Januar Herr Präsident! 1. Ich bin Ihnen sehr dankbar für die freundlichen Worte, mit denen Sie mich, damit auch den Gefühlen des italienischen Volkes Ausdruck verleihend, an Ihrem Amtssitz empfangen haben. Ich folgte mit großer Aufmerksamkeit Ihren nachdenklichen Überlegungen und spürte darin das lebhafte Bewußtsein mit-schwingen, das Sie von der Aufgabe Ihres Amtes haben. Der heutige Besuch in dieser historischen Residenz des Quirinais erinnert mich an zwei andere Begegnungen, die im Verlauf weniger Jahre aufeinander-folgten. Die frischeste Erinnerung betrifft den Besuch, den Sie kürzlich dem Vatikan abgestattet haben; aber in lebendiger Erinnerung ist mir auch immer noch, daß ich am 2. Juni 1984 von Ihrem Vorgänger, Senator Sandro Pertini, empfangen wurde. Die Häufigkeit dieser Begegnungen in den letzten Jahren hängt sicher mit dem Zusammentreffen besonderer Umstände zusammen; doch nian kann sich auch der Frage nach ihrer Bedeutung nicht entziehen. Es handelt sich um eine Frage, die generelle Gesichtspunkte hat und jedesmal, wenn sich die Vertreter der Kirche mit denen eines Staates treffen, Bedeutung gewinnt. Im Falle Italiens weist sie auf Grund einer zugleich geographischen und historischen, objektiven und persönlichen Nachbarschaft einzigartige und spezifische Merkmale auf. Wenn der höchste Amtsträger der Republik Italien und der oberste Hirt der Universalkirche einander gegenüberstehen, tauchen sogleich jene Gründe für 1080 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Unterscheidung und legitime Autonomie in den jeweiligen Funktionen, für wechselseitige Achtung und loyale Zusammenarbeit auf, die das Leitprinzip der Lateranverträge bilden und in dem Abkommen vom 18. Februar 1984 Bestätigung gefunden haben. Dieses Abkommen, das die von der veränderten geschichtlichen und kulturellen Situation nahegelegten Abänderungen in das Konkordat einbrachte, wollte damit die friedliche und fruchtbare Ausübung der beiden Mächte fördern, die Personen, die zugleich Glieder der Kirche und Bürger des Staates sind, betreffen. In diesem Zusammenhang sagt bekanntlich das Zweite Vatikanische Konzil: „Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom. Beide aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen. Diesen Dienst können beide zum Wohl aller um so wirksamer leistende mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen; dabei sind jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berücksichtigen“ (GS 76). Eine erste und grundlegende Bedeutung der heutigen Begegnung ist also darin zu finden, daß man sich in der gemeinsamen Bekräftigung solcher Prinzipien und der aus ihnen erwachsenden Verpflichtung in einer immer einstimmigeren und wohltuenderen Zusammenarbeit von Staat und Kirche im Dienst der Förderung des Menschen und der Gesellschaft trifft. 2. Gleichzeitig mit meinem Besuch beim Ersten Bürger Italiens möchte ich öffentlich und gebührend für die zuvorkommende Gastfreundlichkeit danken, die Bürger und Gruppen, Institutionen und Autoritäten allen erweisen, die, von geistlichen und religiösen Beweggründen bewogen, nach Italien und insbesondere nach Rom kommen. Ich weiß, daß ich damit auch die Gedanken meiner Mitbrüder im Bischofsamt auf der ganzen Welt ausspreche. Es ist tröstlich festzustellen, daß die unzähligen Pilger und Besucher, die in die Ewige Stadt kommen, um ihren katholischen Glauben zu „feiern“, hier eine Atmosphäre antreffen, die sich durch Herzlichkeit, Schlichtheit und Freundlichkeit auszeichnet. Es ist ein typischer Geist der Gastfreundlichkeit, der der Seele des italienischen Volkes eigen ist und seine Lebensweise traditionsgemäß kennzeichnet: ich möchte an diesem Ort dafür wieder einmal meine ausdrückliche Anerkennung aussprechen. 3. Herr Präsident, der Hinweis auf die traditionelle Gastfreundlichkeit des italienischen Volkes führt mich wie selbstverständlich dazu, die Rede auf das gesamte geschichtliche Erbe dieser Nation auszuweiten, das tief in der christlichen Tradition verwurzelt und aufs engste mit der Präsenz des Apostolischen Stuhles verbunden ist. Diese Präsenz stellt, da sie geschichtliche Erinnerungen 1081 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und von der Vorsehung bestimmte Funktionen wachruft, einen ewigen Anruf dar, der zur Bewahrung und Entfaltung dieses zweitausendjährigen Erbes an-spomt. Die Kirche weiß sehr wohl um die antiken Wurzeln, aus denen viele Ausdrucksformen der heutigen Gesellschaft ihr Leben schöpfen; sie wird daher nicht müde, den Völkern ihre eigene Vergangenheit ins Gedächtnis zurückzurufen als die authentische Antriebskraft ihres Weges durch die Geschichte. Das italienische Volk ist bevorzugter Empfänger und Hüter des Erbes der Apostel Petrus und Paulus: eines auserlesen geistigen, das heißt kulturellen, moralischen und religiösen Erbes zugleich; eines lebendigen Erbes, wie nicht nur ein jahrhundertelanges, ununterbrochenes Zeugnis der Heiligkeit, Nächstenliebe und Förderung des Menschen beweist, sondern auch die schöpferische Einbeziehung der Gemeinschaft der Gläubigen in die heutige gesellschaftliche Wirklichkeit; eines Erbes schließlich, das dem Beitrag Italiens zur Verständigung, zur Brüderlichkeit und zum Frieden zwischen den Völkern der Welt gleichsam besondere Prägung verleiht. Auf dieses Erbe bezieht sich auch das erwähnt ^Abkommen vom 18. Februar1984, wenn es versichert, daß die Republik Italien „den Wert der religiösen Kultur“ anerkennt und der Tatsache Rechnung trägt, daß „die Grundsätze des Katholizismus zum historischen Erbe des italienischen Volkes gehören“ (Art. 9,2): Vornehme und erhellende Worte, an denen man sich bei der Lösung der nach und nach auftauchenden konkreten Probleme ständig loyal und konsequent inspirieren muß und auch in Zukunft inspirieren sollte. 4. Aus einem so fruchtbaren Boden menschlicher und christlicher Werte hat der Fortschritt der Nation, der sich ja nicht nur in den, wenn auch beachtenswerten, Dimensionen der Wirtschaft und der Arbeit,, sondern im politischen, künstlerischen und kulturellen Ausdruck, in der Organisation der Gesellschaft und in der aktiven Teilhabe am Leben der internationalen Gemeinschaft kundtut, ständigen Auftrieb gewonnen. Die bisher erreichten Ergebnisse verdienen überzeugte Anerkennung. Gleichzeitig erfordern negative Situationen und Vorkommnisse stets lebhafte Aufmerksamkeit und erneuten Einsatz in Kohärenz mit dem moralischen Erbe der Nation. Die Kirche, die keinem Volk fernsteht, blickt mit besonderer Sorge auf die heutige italienische Wirklichkeit und insbesondere auf die Probleme der Arbeitswelt, der Beschäftigung, der Familie, der Erziehung der Jugend. Ich erwähne das nur, um meine Teilnahme an einer Sorge zu bekunden, die, wie ich weiß, die Sorge der Verantwortlichen der zivilen Gemeinschaft ist, und um erneut 1082 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die lebhafte und hochherzige Bereitschaft der kirchlichen Gemeinschaft zur Mitarbeit bei der Suche nach konkreten Lösungen zu bekräftigen. Unerwähnt lassen kann ich auch nicht das Drama des Terrorismus, das erst kürzlich wieder Italien heimgesucht hat. Dieses erschütternde Phänomen überschreitet in seinem Ausbruch blinder Gewalt bereits alle Grenzen. Als es dann die italienische Nation traf, hat es sich nicht nur gegen Unschuldige gewandt, sondern hat ein Volk verletzt, das in seiner Tradition auf lebhafte Sensibilität und solidarische Aufmerksamkeit für die Opfer schwieriger oder ungerechter Situationen hinweisen kann. Herr Präsident! Ihnen gegenüber, der Sie Italien so würdig vertreten, möchte ich den Wunsch aussprechen, daß es diesem Land mit Gottes Hilfe gelingen möge, die Hindernisse zu überwinden, die der vollen Entfaltung seiner großen Möglichkeiten zu Fortschritt und Frieden noch im Wege stehen. Ein Wunsch, dem in diesem Jahr, in dem sich das italienische Volk anschickt, den vierzigsten Jahrestag der Gründung der Republik zu feiern, besondere Bedeutung zukommt. Ein Wunsch für Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, jene Werte also, auf die sich die Fundamente des Staates stützen und die zugleich den Beitrag darstellen, den die anderen Nationen von Italien erwarten, besonders jene, die sich erst seit kurzer Zeit, mit gleicher Würde und mit berechtigter Hoffnung, im Rampenlicht der internationalen Gemeinschaft zeigen. Es ist schließlich ein Wunsch, dem ich im Gebet Gestalt gebe, während ich von Gott dem Allmächtigen für alle Bürger Italiens und für diejenigen, die sein Schicksal lenken, seinen besonderen Segen erbitte. 1083 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Friedensgebet für den Libanon vor dem Angelus am 19. Januar Wir werden jetzt den Engel des Herrn beten, und ich möchte euch einladen, dies mit einem ganz besonderen Gebetsgedanken, mit einer tiefen Gebetsintention für unsere Brüder und Schwestern im Libanon zu tun, wo die Situation aufs neue zur Besorgnis Anlaß gibt. Wir wollen beten für alle Libanesen, für unsere Brüder im Glauben, für die Christen, aber auch für die Moslems, damit ein Friede erreicht wird im Zeichen der Eintracht und des Dialogs, wobei die Würde und die Souveränität dieses Volkes und dieses Landes unangetastet bleiben. (Der Papst hatte bereits einige Tage zuvor mit großer Eindringlichkeit an die einander bekämpfenden christlichen Gruppierungen im Libanon appelliert, die blutigen Kampfhandlungen einzustellen. Vor Pilgern aus allen Kontinenten erinnerte der Papst bei der Generalaudienz am 15. Januar die libanesischen Christen daran, daß ihr gemeinsamer Glaube die Einmütigkeit unter ihnen fördern sollte. Um diese zu finden, sollten sie — auch mit der Hilfe ihrer Priester und Bischöfe — einen aufrichtigen Dialog beginnen. Einzig der feste Wille zur Verständigung werde es den Christen im Libanon ermöglichen, zusammen mit ihren Mitbürgern anderer Glaubens- und Volksgruppenzugehörigkeit einen „neuen Libanon“ aufzubauen, „in dem der Friede zurückkehrt und in dem jeder in Freiheit und Würde leben und sich entfalten kann, ohne Angst um die eigene Zukunft oder die seiner Gemeinschaft haben zu müssen“. Seine Zuhörer rief der Papst zum Gebet dafür auf, daß die libanesischen Christen diesen „brüderlichen Appell“ befolgen, „der von der Kirche und von allen, denen die Existenz eines friedlichen, unabhängigen und geeinten Libanon am Herzen liegt, an sie ergeht“.) Rom — Erbe der ganzen Menschheit Ansprache beim Neujahrsempfang für den Oberbürgermeister und die Mitglieder der römischen Stadtregierung am 23. Januar Herr Oberbürgermeister! Meine Herren Stadt- und Gemeinderäte von Rom! 1. Ich begrüße Sie besonders herzlich bei diesem ersten Besuch beim Bischof von Rom wenige Monate nach Antritt Ihres Amtes. Unsere Begegnung zum Austausch der Glückwünsche zu Jahresbeginn wird über die Formalität eines von der Tradition vorgesehenen Treffens hinaus Anlaß für nützliche, gegenseitige Überlegungen, die dem Ziel eines gemeinsamen Dienstes gelten. 1084 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Anwesenheit und spreche dem Herrn Oberbürgermeister meinen herzlichen Dank für die edlen Worte aus, die er im Namen des Gemeinderates und der ganzen Stadt an mich gerichtet hat, und für die Freundlichkeit der bekundeten Absichten, die durch jene Grundwerte inspiriert sind, die Rom in zweitausend Jahren zu einer einzigartigen und zugleich zu einer Weltstadt gemacht haben. Mein aufrichtiger und herzlicher Wunsch für Sie alle, die Sie vor wenigen Monaten in die Führung der Stadt gewählt wurden, ist, daß Sie mit steter und konsequenter Bereitschaft für das in seiner Konkretheit und seiner Gesamtheit erkannte Gemeinwohl arbeiten. 2. Die Verwaltung einer Stadt wie Rom erfordert großen Einsatz, ungewöhnliche Fähigkeiten und höchste Ausgeglichenheit, und das schon wegen der Schwierigkeiten, die der Regierung einer modernen Metropole, die Hauptstadt eines Staates von hoher kultureller und zivilisatorischer Entwicklung ist, anhaften. Das an alter und moderner Geschichte so reiche Rom stellt sodann seine eigenen Anforderungen. Es besitzt in der Tat eine besondere Gestalt, die es — wie Sie, Herr Oberbürgermeister, selbst formuliert haben — zu einer „Stadt im Spiegel“ macht, zum Bild der Lebenskraft und der Kultur des Landes und zum Bezugspunkt für unzählige Menschen, die jenseits der nationalen Grenzen leben. Rom, die politische Hauptstadt des aus dem Risorgimento geeint hervorgegangenen italienischen Staates, ist zudem Diözese des Papstes und Mittelpunkt der katholischen Welt, auf den die Augen und Herzen derer gerichtet sind, die, auf die fünf Kontinente verteilt, an den Erlöser des Menschen glauben. Wegen seines kulturellen Reichtums, wegen seiner einzigartigen Kunstschätze, vor allem aber wegen seiner hohen geistlichen Bedeutung kann sich Rom Erbe der ganzen Menschheit nennen. Aufgrund dieser unersetzlichen Funktion wird es auch weiterhin von unzähligen Menschen als eine zweite Heimat, als eine Art idealer Seelenhafen empfunden werden. Rom gehört darum nicht nur den Bürgern, die in seinem Einwohnermeldeamt registriert sind oder die das Glück haben, in diesem gottgesegneten Land Italien zu leben. Es gehört jedem zivilisierten Menschen, der die Werte der Gerechtigkeit und des Rechts anerkennt; es gehört insbesondere denjenigen, die den Glauben all derer teilen, die seinen Boden mit dem für Christus vergossenen Blut getränkt haben. 3. Doch Rom hat auch sein Leben für sich, als Stadt der Menschen, die hier — im Zentrum, in den Vorstädten in dem weiten Ring, der sie umgibt, und hier 1085 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der ganzen Skala der schwerwiegenden und komplexen Probleme, die dem Großbereich der Weltstädte eigen sind, begegnet — ihren Alltag verleben. Probleme, die klar und offen ausgemacht, mutig angegangen und in angemessener Zeit positiv gelöst werden sollten. Die Probleme Roms sind zahlreich, auch wenn es sich großenteils nicht um ausschließliche Probleme der Stadt handelt. Gewaltig und im Zunehmen begriffen scheinen die Schwierigkeiten, mit denen sich eine wirksame und organische Verwaltung heute in jeder Stadt der Welt auseinandersetzen muß, um den Bedürfnissen des Menschen entgegenzukommen. Es handelt sich nicht allein um Schwierigkeiten, die Versäumnissen angesichts des rasenden Tempos des modernen Fortschritts zuzuschreiben sind, sondern auch um neue Bedürfnisse und Forderungen, die eben diese Entwicklung begleiten. Je höher das erreichte soziale Lebensniveau ist, als um so größer stellen sich die Schwierigkeiten dar, die es jeden Tag zu bewältigen und zu lösen gilt. In diesem so dynamischen Rahmen darf man nicht die wesentliche Zielsetzung einer guten Regierung aus dem Auge verlieren, die zugleich ihr Bewertungsmaßstab ist: den Dienst am Menschen. Es ist wohl angebracht, das zu unterstreichen: wie jeder gute Bürger die Stadt bewohnbarer macht, so macht eine bewohnbarere Stadt den Menschen menschlicher. Um dieses Ziel zu erreichen, sind alle Menschen guten Willens, in erster Linie die vom Volk Gewählten, aufgerufen, sich rasch und hochherzig einzusetzen. Man kann sich fragen, ob die modernen Metropolen und manchmal selbst die Ballungszentren mittlerer Größe überhaupt noch Städte des Menschen sind, besonders, wenn es sich um Hauptstädte handelt, wo sich mit der Verflechtung des Netzes der nationalen und internationalen Beziehungen die Probleme noch zuspitzen. Das Phänomen der unkontrollierten urbanistischen Ausweitung bringt riesige Bienenstöcke hervor, die kaum Raum für ein wirklich menschenwürdiges Leben und Atmen bieten. Das Problem des Verkehrs setzt den Bürger einer dauernden physisch-psychischen Abnutzung und Zermürbung aus. Die Krise im Wohnungsbau zwingt verschiedene Personengruppen zum Wohnen in Notunterkünften und hindert junge Leute daran, eine Familie zu gründen. Die Umweltzerstörung mit der zunehmenden Verseuchung von Luft und Wasser und ohrenbetäubendem Straßenlärm setzt, gerade auch durch die Zerstörung der Stille, die Gesundheit aufs Spiel. In den letzten Jahren ist zudem ein Anwachsen von Phänomenen festzustellen, wie Terrorismus und Gewalttätigkeit jeglicher Art — Rom hat gerade erst kürzlich eine sehr traurige Erfahrung damit gemacht —, gewöhnliche Kriminalität, Drogenmißbrauch vor allem unter den Jugendlichen und in den verschie- 1086 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN denen Randgruppen; und das alles infolge auch internationaler dunkler Machenschaften — oder wegen des Fortbestehens ungelöster Situationen der Ungerechtigkeit und Not — oder schließlich wegen des Verfalls der hohen fundamentalen Werte. Bei der Prüfung dieses bedauerlich negativen Panoramas wird eine feststehende Tatsache offenkundig: Die Stadt wird dort weniger menschlich, wo das sittliche und religiöse Bewußtsein abnimmt oder verfällt. 4. Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Herren, wir alle sind überzeugt, daß Rom, auch wenn es in unterschiedlichem Ausmaß an den verschiedenen Aspekten der allgemeinen Übel teilhat, eine Stadt reich an positiven Kräften und unerschöpflichen Möglichkeiten zu Gutem ist. In ihr sind besonders lebendig zahlreiche Kräfte christlicher Inspiration vorhanden, die im Auftrag der Pfarreien, der Ordensinstitute, der Caritas und der verschiedenen katholischen Bewegungen, zusätzlich zum zivilen Einsatz ihren eigenen aktiven Beitrag leisten zur Rehabilitation Drogensüchtiger und zur Hilfe für alte Menschen, Randgruppen, Flüchtlinge und Entrechtete. Es ist zu wünschen, daß sich diese Zusammenarbeit in Richtung auf eine immer wirksamere und raschere Antwort auf die auftauchenden Bedürfnisse der Stadtgemeinde verstärkt. In Ihrer Erfahrung als Verwaltungsbeamte haben Sie bereits die verworrensten Knoten der alten und neuen Schwierigkeiten Roms herausgefunden und betreiben den festen Vorsatz, einen entscheidenden Beitrag zu ihrer Auflösung zu leisten. Jugendarbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Sozialhilfe, neue Formen der Armut: Hinter diesen Worten verbergen sich Dramen. Sie müssen daher an der Spitze Ihrer Bemühungen stehen. Ich ermutige Sie ganz besonders, den Problemen der Familie, insbesondere der jungen Familie, den Vorrang zu geben. In Ihrem Programm messen Sie zweifelsohne dem nicht zu übergehenden Problem der Moral in der öffentlichen Verwaltung die gebührende Bedeutung bei: Beseitigung des Amtsmißbrauchs; Vermeidung von Verschwendung; Kontrolle, daß der Strom der Fürsorgemaßnahmen die wirklich Bedürftigen erreicht; Korrektur der Laxheit und der Permissivität: Das sind ebenfalls Fixpunkte einer fruchtbaren Stadtregierung. Die Stadtgemeinde wird es sicher nicht versäumen, Sie zu verstehen und Ihnen bei diesem immer wieder schwierigen Unterfangen zu folgen, von dem die Verwirklichung jedes anderen Teiles des Programmes abhängt. Rom wird der modernen Welt auch in Zukunft sein wahres Gesicht einer Hauptstadt der Werte des Geistes zeigen, wenn es ihr mit der Weisheit und dem Mut Ihres administrativen Einsatzes gelingt, entscheidende Schritte auf dem Weg zu einem menschlicheren Zusammenleben zu tun. 1087 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das ist ein Tätigkeitsfeld, auf dem alle gesunden Kräfte und die engagierten Organisationen, angefangen von den kirchlichen Verbänden, nicht zögern werden, ihre hochherzige Mitarbeit anzubieten. Ich begleite meinen Wunsch für eine gute Arbeit und meine aufrichtige Ermutigung mit einem Segensgruß an Sie, Ihre Familien, Ihre Mitarbeiter und das ganze römische Volk. Die besondere Berufung der Laien im Ordensstand Ansprache an die Vollversammlung der Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute am 24. Januar 1. Mit großer Freude begrüße ich euch, liebe Mitglieder der Vollversammlung der Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute. Ihr habt in diesen Tagen ein Thema studiert, das mir besonders am Herzen liegt und das heute für das Ordensleben insgesamt so bedeutsam ist: „Die Identität und Sendung der Laienbrüder in den Laien- und Klerikerinstituten.“ Das Zweite Vatikanische Konzil hat in der Tat die Laien im Ordensstand im Wert ihrer Ordensberufung mit folgenden Worten bestätigt: „Das Ordensleben der Laien, der Männer wie der Frauen, verwirklicht in vollwertiger Weise den Stand der Verpflichtung auf die evangelischen Räte“ (PC 10). Zwanzig Jahre nach jenem kirchlichen Ereignis habt ihr die Situation des Ordenslebens der männlichen Laien untersuchen wollen, um die Fortschritte, die Schwierigkeiten, die neuen Aussichten, die diese Art des Lebens heute in der Kirche hat, festzustellen. Ich bin überzeugt, daß diese Art des Ordenslebens, die der Kirche im Laufe ihrer Geschichte so große Dienste geleistet hat, auch heute äußerst geeignet bleibt für die neuen apostolischen Herausforderungen, mit denen sich die Verkündigung der evangelischen Botschaft auseinandersetzen muß. Mit Recht wünscht ihr daher, die großen Möglichkeiten, die der Codex des kanonischen Rechts für die Entfaltung dieser Berufung in der Kirche enthält, herauszustellen, und wollt bewirken, daß das Gottesvolk die Würde und Nützlichkeit der Berufung von Laien zum Ordensstand zu begreifen vermag. 2. Das Ordensleben besaß bei seinem Entstehen typische Laiengestalt. Es ist aus dem Verlangen einiger christlicher Gläubigen entstanden, reichere Früchte der in der Taufe empfangenen Gnade zu sammeln und sich — durch das Be- 1088 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN kenntnis zu den evangelischen Räten (vgl. LG 44) — von den Hindernissen zu befreien, die sie von der Glut der Liebe und der Vollkommenheit des Gottesdienstes hätten abbringen können. Manche Kleriker wünschten an diesem Leben teilzuhaben, das „die Lebensform, die der Sohn Gottes annahm, ausdrücklicher nachahmt und sie in der Kirche ständig zur Darstellung bringt“ (LG 44), sei es, um sich besser ihrer eigenen Heiligung zu widmen, sei es, um ihr Apostolat nutzbringender auszuüben. Die Klerikerinstitute nahmen dann Ordensmänner aus dem Laienstand auf, die durch ihre Arbeit und Hilfeleistung für die Priester am Charisma des Instituts teilnahmen. Manche Ordensstifter fühlten sich dazu inspiriert, Kongregationen zu schaffen, die nur aus Laien bestanden, um „den Seelsorgeauftrag der Kirche in Jugenderziehung, Krankenpflege und anderen Diensten“ (PC 10), die sich aus der Taufheiligung ergeben, besser zu erfüllen. Andere Ordensgründer dachten daran, Institute zu errichten, in denen die Ordenspriester und die Laien im Ordensstand in Einheit, ohne Vermischung, geeint für das Reich Gottes arbeiten sollten. Auf diese Weise ist das Ordensleben der Laien in der Kirche als Ausdruck voller Hingabe für das Reich Ausdruck der Heiligkeit der Braut Christi und trägt auf wirksame und originale Weise zur Entfaltung der Sendung der Kirche in der Evangelisierung und in den vielfältigen Diensten des Apostolats bei. Man kann sich das Ordensleben in der Kirche nicht ohne das Vorhandensein dieser besonderen Berufung der Laien denken, die auch heute so vielen Christen offensteht, die sich in ihr der Nachfolge Christi und dem Dienst an der Menschheit widmen können. 3. Das Zweite Vatikanische Konzil ermächtigte die Laieninstitute, die das wünschten sollten, einige ihrer Mitglieder die Priesterweihe empfangen zu lassen, ohne daß das Institut dadurch seinen Laiencharakter verlieren sollte (vgl. PC 10). Ebenso spricht das Konzil von „Männergemeinschaften, die keine reinen Laieninstitute sind“ (PC 15). Das alles zeigt uns, daß der Heilige Geist, der immer in der Kirche am Werke ist, aus der stets jungen Wurzel der Taufe und aus dem alten Stamm der evangelischen Räte neue Strukturen, neue Institute, neue Laiendienste hervorkeimen läßt. Mit der Festellung, daß „der Stand des geweihten Lebens seiner Natur nach weder klerikal noch laikal ist“ (CIC, can. 588,1), wollte der Codex des kanonischen Rechts diese Wirklichkeit anerkennen und den Möglichkeiten Raum lassen, die der Geist Gottes für die Bewältigung der neuen Notwendigkeiten des Apostolats empfiehlt. Doch die Ordensinstitute müssen immer die Vorschrift von Canon 578 zur Treue gegenüber dem Geist der Gründer und ihrem von der Kirche offiziell anerkannten Plan beachten. Die Kongregation für die Ordensleute und Säku- 1089 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN larinstitute hat die Aufgabe, über die Verwirklichung dieser so wichtigen Verfügungen zu wachen. 4. Liebe Mitglieder dieser Vollversammlung, sagt den Brüdern — ich verwende diesen durch den Gebrauch geheiligten Ausdruck, auch wenn in ein und demselben Institut die Ordenspriester und die Laien alle „Brüder“ in der gemeinsamen Berufung sind —, sagt den Brüdern, daß sie immer stärker die Verwurzelung ihrer Ordensweihe in der Taufe vertiefen sollen. Als ich im Jahr 1980 die Ordensbrüder der Kleriker- und Laieninstitute Roms empfing, sagte ich zu ihnen: „Eure Ordensprofeß liegt vor allem in einer Linie mit der bei der Taufe empfangenen Weihe und bringt die Zweipoligkeit des universalen Priestertums zum Ausdruck, das sich auf diese Weihe gründet. Denn im Ordensleben der Laien wird die Darbringung des spirituellen Opfers Wirklichkeit, der Dienst für Gott in Geist und Wahrheit, zu dem jeder Christ berufen ist; gleichzeitig hallt in ihm die klare Verkündigung der Heilswunder vor der Welt wider. Eine zweifache Richtung also, zu Gott und zu den Menschen, kennzeichnet euer Leben; der einen wie der anderen liegt das eine mit der Taufe empfangene Priestertum zugrunde; in der einen wie der anderen Richtung kommt dieselbe vom Geist in die Herzen ausgegossene Liebe (vgl. Rom 5,5) zum Ausdruck; in beiden wird das gleiche Charisma des Laienstandes, das von der sakramentalen Gnade der Taufe und der Firmung verliehen wird, voll gelebt“ (,Ansprache an die Ordensbrüder, 12. Januar 1980: OR, dt., 1.2.1980,10). Die Laien im Ordensstand müssen sich der Tatsache bewußt sein, daß die, neben ihren priesterlichen Brüdern, für alles verantwortlich sind, was die Lebenskraft ihres Instituts zu fördern vermag. Der Codex des kanonischen Rechts eröffnet ihnen viele Möglichkeiten der Teilhabe am Leben und der Sendung der eigenen Ordensfamilie, wobei er natürlich jene Aspekte ausschließt, die eng vom priesterlichen Charakter abhängen. Aufgabe der Generalkapitel wird das gewissenhafte Studium und die Anwendung solcher Möglichkeiten im Lichte der Bestimmungen des allgemeinen Rechts und einem erneuerten Bemühen um Treue zum Charisma der Gründung zur besonderen Sendung jedes einzelnen Instituts in den aktuellen Bedürfnissen der Kirche sein. 5. Ich möchte alle Ordensleute — Laien und Priester — an den komplementären Charakter ihres jeweiligen Weges innerhalb desselben Ordenslebens erinnern. Den in vielfältigen pastoralen Tätigkeiten engagierten Ordenspriester erinnert der Laien-Mitbruder daran, daß das Ordensleben eine Gemeinschaftsdimension besitzt, die er nicht vergessen darf. Den in schlichten Hausarbeiten oder in Aufgaben weltlichen Dienstes beschäftigten Bruder erinnert der Priester an die apostolische Dimension dessen, was er verwirklicht. Darüber hinaus sind die einen und die anderen dadurch, daß sie sich in den jeweiligen 1090 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Diensten, die sie der menschlichen Person leisten, ein lebendiges Zeugnis dafür, daß „Heilssendung der Kirche in bezug auf die Welt ganzheitlich gesehen werden muß“, wie die Außerordentliche Bischofssynode unterstrichen hat (Schlußdokument, II, D, 6). Ich möchte außerdem, zusammen mit der Dankbarkeit des ganzen Gottesvolkes, meiner Dankbarkeit für die Arbeit der Brüder in jenen Bereichen des Apostolats Ausdruck geben, die so tief in der Tradition der Kirche verwurzelt sind und für die der Geist besondere, immer gegenwärtige Charismen geweckt hat. Ich beziehe mich auf die Jugenderziehung, die Krankenpflege, die mannigfaltige Präsenz in der Missionsarbeit: Charismen und Dienste, die für eine wirksame Gegenwart des Evangeliums und ein entscheidendes Zeugnis des Geistes der Seligpreisungen auch heute noch unersetzlich sind. 6. Angesichts der Schönheit dieser Berufung der Brüder in der Kirche, der Vollständigkeit ihrer Identität als Ordensleute und der erneuerten Präsenzmöglichkeiten bleibt mir nur, einen zweifachen Wunsch auszusprechen. Der erste ist, daß alle Bischöfe der Kirche diese besondere Berufung zur Ordensweihe zu fördern wissen, ohne die den Teilkirchen, besonders den jüngeren, etwas von ihrer Lebenskraft fehlen würde. Der zweite Wunsch gilt einer entsprechenden theologischen Ausbildung, die Schritt hält mit den beruflichen und technischen Kenntnissen, die die Brüder heute brauchen, um ihre apostolische Aufgabe angemessen erfüllen zu können. 7. Den Ordensbrüdern sage ich im besonderen, daß die Kirche und die Welt von ihnen das Zeugnis eines heiligmäßigen Lebens und jener Vollkommenheit in der Liebe erwarten, zu der die evangelischen Räte führen. Diese Liebe ist häufig jener „Wohlgeruch Christi“ gewesen, den so viele Laienbrüder auf geheimnisvolle Weise im Leben der Kirche verbreitet haben. Eine der größten Genugtuungen meines Pontifikats war es, eine große Zahl von Laien im Ordensstand, die alle durch die Qualität ihrer Dienste und durch den heroischen Charakter ihrer Tugenden hervorragten, zur Ehre der Altäre zu erheben: Den hl. Miguel Febres Cordero, Professor und Mitglied der Sprachakademie seiner Heimat Ecuador; die Seligen Riccardo Pampuri, Arzt; Andre Bessette, Thaumaturg; Albert Chmielowski, Maler, Ingenieur und Ordensgründer; Jeremias von der Walachei, Krankenpfleger; Isidor von Loor, Gärtner und Koch; Francisco Garate, den „vollkommenen Pförtner“. Diese einfache Aufzählung zeigt deutlich, daß alle menschlichen Tätigkeiten, von den einfachsten bis zu den in den Augen der Welt höchsten und wichtigsten, die Dimension echter „laikaler Dienste“ annehmen können, die, verwurzelt in der Taufe und in der Ordensweihe, Gott lobpreisen und beitragen 1091 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „zur Verwirklichung jener Zivilisation der Liebe, die der Plan Gottes für die Menschheit in der Erwartung der Ankunft des Herrn ist“ (Botschaft der Außerordentlichen Bischofssynode an alle Christen in der Welt, Nr. IV: OR, dt., 13.12.1985,16). Maria, die demütige Jungfrau von Nazaret, Vorbild des Dienstes und der Hingabe, auf deren Schutz sich die Ordensfamilien berufen, sei allen Brüdern Mutter und Lehrmeisterin in evangelischer Treue. Ihr vertraue ich die Arbeiten eurer Vollversammlung an, damit sie für euch die Hilfe und das Licht erlange, um die geeignetsten Mittel zur Stärkung, Erneuerung und Förderung der Berufung von Laien zum Ordensstand im Volk Gottes zu finden, die für die Gegenwart und für die Zukunft des Lebens der Kirche so dringend notwendig sind. Zum Gebetstag nach Assisi eingeladen Predigt beim Gottesdienst zum Abschluß der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen in der Basilika St. Paul vor den Mauern am 25. Januar „Plötzlich umstrahlte mich vom Himmel her ein helles Licht“ (Apg 22,6). 1. Brüder, Schwestern, Hirten und Gläubige der verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften, die ihr euch mit mir am Grab des Apostels Paulus eingefunden habt, laßt uns gemeinsam „das helle Licht“ preisen, „das ihn vom Himmel her umstrahlte“. Jenes Licht war so stark, daß es die Augen des Saulus blendete (vgl .Apg 22,11), seinen Geist aber für immer erleuchtete. Vom Verfolger wurde er zum Apostel; vom Gotteslästerer zum „auserwählten Werkzeug, um den Namen des Herrn vor Völker und Könige und die Söhne Israels zu tragen“ (Apg 9,15). Jenes Licht, so darf man wohl sagen, erstrahlte hier am Grab des Paulus, als Papst Johannes XXIII. am 25. Januar 1959 der ganzen Welt die Absicht verkündete, das Zweite Vatikanische Konzil einzuberufen. Von jenem Licht ließ sich das Konzil in den verschiedenen Phasen seiner Arbeiten und bei der Abfassung seiner Lehrdokumente führen; es führt jetzt unsere Kirchen bei dem Bemühen, die Weisungen des Konzils in die Tat umzusetzen. Deshalb wurde im vergangenen Jahr von dieser heiligen Stätte aus die außerordentliche Bischofssynode angekündigt, für deren glückliche Durchführung wir jetzt dem Herrn danken, während wir unsere Verpflichtung erneuern, treu und unermüdlich auf dem Weg weiterzugehen, den das Konzil vorgezeichnet hat. 1092 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Wir haben uns heute abend hier versammelt, um den Herrn zu bitten, daß sein Licht vor den Menschen der heutigen Generation erstrahle. In diesem Gebet bestärkt uns die Verheißung, die wir aus den Worten des Propheten Jesaja gehört haben: Der Herr „zerreißt auf diesem Berg die Hülle, die alle Nationen in Dunkel hüllt“ (Jes 25,7). In der gesamten Spanne der menschlichen Geschichte hat eine Hülle dem Menschen das Licht Gottes zum Teil verdunkelt. Wegen dieser „Hülle“, die seinen inneren Blick trübt, gelingt es dem Menschen oft nur, einen dunklen und verzerrten Widerschein von Gottes Wahrheit zu erfassen: wie in einem Spiegel oder, nach einem anderen berühmten Bild, wie in der Tiefe einer Höhle. Doch nach dem Wort seiner Verheißung läßt der Herr die Zusammenkunft aller Völker auf einem Berg geschehen (vgl./es 25,6): Auf jenem Berg wird er die Hülle zerreißen. Das Licht seiner Herrlichkeit wird sich überallhin ergießen, jede Finsternis erleuchten und die Freude vervielfältigen. „Auf einem Berg“, sagt der Prophet Jesaja. Was soll dieses Bild des Berges symbolisieren? Uns, die wir Zeugen der Erfüllung der Prophezeiung sind, fällt die Antwort nicht schwer: jener Berg ist Symbol für die Kirche. Hat nicht in der Kirche der Herr das „Festmahl“ der Eucharistie bereitet? Hat er nicht in ihr durch das Licht des Evangeliums „die Hülle zerrissen, die alle Nationen in Dunkel hüllt“? Ist nicht die Kirche die irdische Vorwegnahme dessen, was bei der Auferstehung geschehen wird, wenn Gott „den Tod für immer beseitigt“ (Jes 25,8)? Wenn das die Kirche ist, dann muß in ihr das Licht des Herrn erstrahlen, damit die Menschen von ihr angezogen werden und, je mehr sie sich ihr nähern, in ihr das Heil finden. Das Licht des Herrn erstrahlt in der Macht der Botschaft, deren Verkünderin die Kirche ist, und in der Heiligkeit des Lebens, mit der sie sie vor der Welt bezeugt. 3. Dieses Licht leuchtete besonders stark in der Urkirche, der Saulus aus Tarsus angehörte, der dann Paulus geworden ist und der uns in der zweiten Lesung über seine Bekehrung berichtet. Die erste Stunde des Christentums ist gekennzeichnet von den Wundem, die Gott im Herzen von Männern und Frauen vollbrachte, die dem Volk Jesu angehörten. Im Offenbarwerden solcher Wunder nehmen wir mit immer neuem Staunen die beginnende Erfüllung der Prophezeiung des Jesaja wahr: Gott beginnt die Hülle zu zerreißen, die den Völkern den Blick verdeckt. Er reißt sie weg vom Gesicht des Paulus: in der Theophanie auf der Straße nach Damaskus trifft der Mann aus Tarsus in Kilikien auf das, was er sein Leben lang bedenken und betrachten und der ganzen Welt verkünden wird: das Geheimnis des in der Kirche lebendigen Christus. In jenem „hellen Licht“ (Apg 22,6), das 1093 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ihn zu Boden wirft und ihn bei seinem Namen ruft, erkennt er die strahlende Fülle jenes selben Lichts, das wie eine Morgenröte schon in der entstehenden Kirche leuchtete. Zum Apostel geworden, wird sein an Früchten so reiches Leben sich fortan dafür verzehren, alle Völker — der Prophezeiung des Propheten entsprechend — auf jenem Berg zusammenzurufen, wo Gott die Hülle endgültig zerrissen hat und dem Leben des Menschen im Bewußtsein und in der Erfahrung der Liebe Christi eine Vorwegnahme der für das ewige Festmahl verheißenen Freude schenkt. 4. „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ (Mk 16,15). Der Auftrag Christi, den Paulus von Tarsus mit bereitwilligem Herzen angenommen hat, klang in der Kirche weiter und rief im Laufe der Jahrhunderte Scharen von Aposteln auf den Plan, die bereit waren, Entbehrungen und Mühen auf sich zu nehmen, um den Völkern das Wort vom Heil zu bringen. Auch die heutige Kirche spürt die dringende Verpflichtung zur Mission. Sie will mit allen ihren Kräften dem Menschen dienen; und der erste grundlegende Dienst, der mit dem Fundament ihrer Existenz wesenhaft zusammenhängt, bleibt die Verkündigung des Evangeliums an alle Geschöpfe. Aber die Treue zum Missionsauftrag des Herrn erfordert, daß die Kirche in ihrem eigenen Dasein das Geheimnis, das sie verkörpert, klarer durchscheinen läßt, damit auch der moderne Mensch von dem Glanz, der von ihm ausgeht, ergriffen wird. Aus dieser Sicht begreift man sogleich, warum die ökumenische Aufgabe der Wiederherstellung der sichtbaren Einheit unter allen Christen heute eine der größten Bemühungen sein muß: die mehr ausgereifte, vollere Verwirklichung des Wesens der Kirche als sakramentales Zeichen der Einheit in das Licht, auf das die Welt heute besonders wartet. 5. Das Erlebnis der außerordentlichen Bischofssynode hat gezeigt, wie lebendig heute das Verlangen ist, im Gehorsam gegenüber der Stimme des Geistes erneut die Erfahrung zu machen, die der Kirche am Pfingstmorgen im Abendmahlssaal von Jerusalem zuteil wurde. Die unteilbare Fülle, die die entstehende Kirche damals empfing, sollte sich im Laufe der Jahrhunderte in einer Vielfalt verschiedener und einander ergänzender historischer Formen entfalten. Die ökumenische Aufgabe hat genau dieses Ziel im Auge: Verwirklichung der Kirche als Sakrament der Einheit in einer Symphonie der vielfältigen Formen jener einen Fülle nach dem Abbild des trinitarischen Geheimnisses, das Quelle und Fundament jeder Einheit ist. 1094 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN In diesem erstrangigen Anliegen haben wir während dieser Woche, die in den Kirchen der ganzen Welt intensiv begangen wurde, gebetet. Zu ihrem Abschluß möchte ich nun in dieser ehrwürdigen Basilika die Vertreter der orthodoxen, anglikanischen und evangelischen Kirchen, die hier anwesend sind und zusammen mit uns einen einzigen Chor des Lobpreises und des Gebetes bilden, besonders herzlich begrüßen und ihnen danken. Möge dieser liturgische Augenblick culmen etfons (Gipfel und Quelle) für einen erneuten Aufschwung des ökumenischen Engagements auf Weltebene und im Bereich der Ortskirchen, insbesondere in der Kirche von Rom sein, in der, Gott sei Dank, zahlreiche Initiativen des Dialogs, des Hörens des Wortes und der Zusammenarbeit in verschiedenen karitativen Diensten im Gang sind. Die Kirchen in Italien haben mit Freude die interkonfessionelle Übersetzung der Einheitsbibel aufgenommen, die im vergangenen Jahr gleichfalls in dieser Basilika am Fest der hll. Apostel Petrus und Paulus den Jugendlichen feierlich vorgestellt wurde. Ich wünsche und hoffe, daß durch das erneute Interesse für die Lektüre und die Betrachtung des Wortes Gottes eine neue, brüderliche Gesinnung entsteht voll Dankbarkeit für alles, was Gott in unserem Jahrhundert dadurch gewirkt hat, daß er die zerstreuten Christen einander näherbrachte. 6. Auf diesem Weg des Gebets und des Dienstes, der von Brüdern der verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften miteinander zurückgelegt wird, möge uns das Licht, von dem Paulus ergriffen wurde, in seiner Klarheit wirksam weiterführen und die Fürbitte und das Beispiel der Heiligen mögen uns anspornen. Wir rufen Paulus um seinen Schutz an, und wir rufen ebenso einen Papst an, der hier als Mönch und Abt gelebt hat, Gregor VII. Hildebrand von Soana, dessen 900. Todestag vor kurzem gefeiert wurde. Als Antwort an Kaiser Michael von Konstantinopel, der ihm, wie der Papst anerkennend schreibt, durch zwei Mönche „einen Brief voller großer Liebe und Freundlichkeit und nicht geringer Verehrung, die ihr für die Römische Kirche hegt“, geschickt hatte, beauftragt der hl. Gregor VII. den Patriarchen von Venedig, sich zum Boten seiner Gefühle zu machen: „Wir möchten in der Tat nicht nur die Eintracht zwischen der Römischen Kirche und ... der altehrwürdigen Kirche von Konstantinopel erneuern, sondern auch, wenn das möglich ist und soweit es uns gestattet sein wird, Frieden mit allen Menschen haben“ (Schreiben aus dem Jahr1073: PL 148, 300). 7. Friede innerhalb der Kirche, Friede unter allen Menschen! Die Worte des Papstes Gregor VII. erlangen eine besondere Aktualität in diesem Jahr 1986, das die Weltorganisation der Vereinten Nationen zum Inter- 1095 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nationalen Jahr des Friedens ausgerufen hat. Kein Christ, ja kein Mensch, der an Gott den Schöpfer der Welt und den Herrn der Geschichte glaubt, kann gleichgültig sein gegenüber einem Problem, das so tief die Gegenwart und die Zukunft der Menschheit betrifft. Jeder muß sich anschicken, seinen Beitrag zur Sache des Friedens zu leisten. Der Krieg kann von wenigen beschlossen werden, der Friede aber setzt das gemeinsame Bemühen aller voraus. In diesem Zusammenhang richte ich einen dringenden Appell an alle christlichen Brüder und Schwestern und an alle Menschen guten Willens, sich in diesem Jahr in beständigem und eifrigem Gebet zu vereinen und Gott um das große Geschenk des Friedens zu bitten. Der Hl. Stuhl möchte dazu beitragen, eine Weltgebetsbewegung für den Frieden ins Leben zu rufen, die über die Grenzen der einzelnen Nationen hinweg die Gläubigen aller Religionen einbezieht und die ganze Erde umfassen soll. Interessante Initiativen in diesem Sinne sind bereits von einigen Kirchen des Ostens und Westens und einigen kirchlichen Vereinigungen ergriffen worden. Ich wünsche und hoffe, daß dieses geistliche Engagement betender Solidarität sich verbreitet und immer weitere Kreise in der Welt erfaßt. Bei diesem feierlichen Anlaß will ich in diesem Zusammenhang ankündigen, daß ich entsprechende Beratungen mit den Verantwortlichen nicht nur verschiedener christlicher Kirchen und Gemeinschaften, sondern auch anderer Weltreligionen in Gang gesetzt habe, um mit ihnen ein besonderes Gebetstreffen für den Frieden in die Wege zu leiten: in Assisi, der Stadt, die durch die Gestalt des hl. Franz zu einem Zentrum weltweiter Brüderlichkeit geworden ist. Es soll ein Gebetstag werden, an dem die oben erwähnte geistliche Bewegung einen ihrer bedeutendsten Augenblicke und Höhepunkte finden soll. Über den Zeitpunkt und die Gestaltung, dieser Begegnung soll, sobald als möglich, im Einvernehmen mit denjenigen, die die Einladung zur Teilnahme annehmen, Näheres festgelegt werden. Möge der Herr unsere Bitten annehmen und uns gewähren, daß das begonnene Jahr wesentliche Fortschritte im ökumenischen Verständnis und im Willen zum Frieden verzeichnen kann. 1096 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Tötung ungeborener Kinder unter Mitwirkung des Staates Ansprache bei der Audienz für Repräsentanten der italienischen „Bewegung für das Leben“ am 25. Januar Liebe Brüder und Schwestern aus der Bewegung für das Leben! 1. Seid willkommen! Ich begrüße euch besonders herzlich und danke euch für euren Besuch, der mir unter anderem Gelegenheit gibt, auf ein Thema zurückzukommen, das wegen seiner ungewöhnlichen Bedeutung ständige Aufmerksamkeit verdient. Ganz besonders begrüße ich euren Präsidenten sowie auch Herrn Abgeordneten Casini, die unermüdliche Seele der Bewegung; und ich begrüße jeden einzelnen von euch, Mitglieder des nationalen Leitungsgremiums und regionale Delegierte. Ich möchte euch gleich sagen, daß das Leben einen jener grundlegenden Werte darstellt, für deren Schutz und Förderung die Gesellschaft ja da ist und sich in ihre Strukturen gliedert. Niemand vermag diesen Wert so zu schätzen und anzuerkennen wie der Christ, der an einen Gott glaubt, der „kein Gott von Toten, sondern von Lebenden ist; denn für ihn sind alle lebendig“ (Lk 20,38); ein Gott, der, um das Antlitz und das Herz der Menschheit zu erneuern, seinen Sohn auf die Erde gesandt hat, in dem die Quelle des Lebens selbst ist (vgl. Joh 1,4; 1,6 usw.). Darum ist in einer Zeit, in der weithin die Kultur des Todes zu überwiegen scheint, die Kirche verpflichtet, mit pastoraler Eindringlichkeit die öffentliche Meinung jedes Landes aufzuklären und zu drängen, um eine Tendenzwende zu begünstigen. 2. Eure Bewegung hat sich seit ihrem Bestehen hochherzig in der Zusammenarbeit mit anderen Kräften guten Willens dafür eingesetzt, zunächst die Verabschiedung eines Gesetzes zu verhindern, das die Beseitigung der Unschuldigen gestattet und zunehmend als Mittel, der Geburtenkontrolle angewandt wird, und dann die Auswirkungen dieses Gesetzes zu lindern. Heute bietet sie den in Schwierigkeiten geratenen Müttern und den gefährdeten Familien ihre Teilnahme und Hilfe an, wobei sie jeden an seine Verantwortlichkeiten erinnert, damit die Einrichtungen des Gesundheitswesens und insbesondere die Familienberater Stellen sind, wo das Leben wirklich verteidigt und ihm nicht vorzeitig ein Ende bereitet wird. Eine Arbeit, die von seiten aller, die sich um die moralische und zivile Zukunft der Gesellschaft Sorgen machen, jede denkbare Ermutigung verdient. 1097 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. Die Auslöschung des Lebens der Ungeborenen ist heutzutage leider eine in der Welt weitverbreitete Erscheinung, selbst in Nationen mit jahrtausendealten christlichen Traditionen wie Italien. Mit Beiträgen der öffentlichen Hand finanziert, wird sie von den menschlichen Gesetzen durch eine ganze Fülle von Argumenten erleichtert, deren Unhaltbarkeit und Verfänglichkeit freilich unschwer auszumachen ist. Tatsächlich ist die Abtreibung eine schwere Niederlage des Menschen und der zivilen Gesellschaft. Mit ihr wird das Leben eines menschlichen Wesens Gütern von geringerem Wert geopfert, wobei Beweggründe angeführt werden, die häufig von Mangel an Mut und Vertrauen in das Leben und manchmal vom Verlangen nach einem falsch verstandenen Wohlstand bestimmt sind. Und statt einzugreifen — wie es seinem Auftrag entspräche — und das in Gefahr befindliche unschuldige Leben dadurch zu verteidigen, daß er seine Tötung verhütet und sein Leben und Wachstum mit angemessenen Mitteln sicherstellt, gestattet der Staat ein Todesurteil und wirkt sogar an seiner Durchführung mit. Das ist eine der besorgniserregenden Folgen des theoretischen und praktischen Materialismus, der mit der Leugnung Gottes schließlich auch den Menschen in seiner wesentlichen transzendenten Dimension leugnet; es ist ein Ergebnis des von Genußsucht bestimmten Konsumismus, der den Zweck der menschlichen Tätigkeit in das unmittelbare Interesse rückt. Die Kirche hat es nicht versäumt, mit aller Klarheit und allem Nachdruck über das zu sprechen und die Abtreibung sowohl als schweren Verstoß gegen das Gesetz Gottes, des einzigen Herrn des Lebens, wie auch als Verletzung des wichtigsten und unantastbaren Rechtes der menschlichen Person auf Leben anzuprangern. Sie wird weiter ihre Stimme erheben, um die Menschen zu überzeugen, zum Fundament der Gesellschaft wieder die moralischen Grundwerte zu machen, ohne die sich ein wahrhaft gesittetes Zusammenleben nicht aufbauen läßt. Die Zivilisation bemißt sich denn auch vor allem nach der Achtung vor dem Leben im Gesamt der menschlichen Existenz. 4. Meine Lieben, am kommenden 2. Februar begeht ihr zum achten Mal den Tag für das Leben. Aus diesem Anlaß möchte ich an euch und eure Mitarbeiter meine herzliche Ermunterung richten, in eurer Arbeit ohne Unterbrechung fortzufahren, sie qualitativ und hinsichtlich ihrer Durchsetzungsfähigkeit zu verbessern und die gesamte Skala zu entfalten, in der sich diese Arbeit äußert. Seid euch bewußt, daß es sich um einen schwierigen Kampf handelt. Verliert niemals die Klarheit der Gedanken noch den Impuls des Ideals noch den unerläßlichen vorantreibenden Dynamismus. Laßt euch durch die Komplexität und Länge der Auseinandersetzung nicht entmutigen. Die Wahrheit und das Gute werden, wenn auch erst nach einiger Zeit, am Ende siegen. 1098 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Bemüht euch um Zusammenarbeit zwischen allen verfügbaren Kräften, die zahlreich sind und wachgerüttelt werden. Geht auf die Kreise zu, die sich in Agnostizismus oder Untätigkeit flüchten. Appelliert an die unerschöpfliche Reserve des freiwilligen Dienstes. Versäumt nicht, auf diesem Gebiet, das die menschlichen Kräfte übersteigt, den Schutz der Jungfrau und Gottesmutter, der allerseligsten Jungfrau Maria, anzurufen. Und nun empfangt als Zeichen der göttlichen Hilfe meinen Apostolischen Segen. „Solidarität für leprakranke Brüder“ Nach dem Angelusgebet am 26. Januar Heute wird der „Welt-Lepra-Tag“ begangen, und meine Gedanken der Solidarität gelten vor allem den von dieser Krankheit befallenen Brüdern und Schwestern, die auf ärztliche Behandlung und die notwendige Hilfe warten, um in ein normales Leben zurückkehren zu können. Ein Gefühl dankbarer Anerkennung möchte ich außerdem allen Vereinigungen aussprechen, die seit Jahren mit Hingabe und Engagement für die Beseitigung dieser Geißel arbeiten; unter ihnen nenne ich die „Italienische Gesellschaft der Freunde von Raoul Follereau“, die auf 25 Jahre Dienst für diesen edlen sozialen und christlichen Zweck zurückblicken kann. In diesem Zusammenhang wende ich mich an alle, die an Christus glauben, an die Menschen guten Willens, an die Ärzte, an die Forscher, an die Politiker, an die in den sozialen Kommunikationsmitteln Tätigen, damit sie ihren Kompetenzen entsprechend die Initiativen aller unterstützen, die gegen die Lepra kämpfen. Sodann grüße ich die Jugendlichen, die auf Initiative des Missionszentrums der Diözese Rom heute mit einem Zelt auf dem Petersplatz sind, um ihrerseits Zeugnis zu geben und Solidarität für die leprakranken Brüder zu wecken. 1099 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Freundschaftliches Verhältnis zwischen Staat und Kirche“ Ansprache an den neuen Botschafter des Fürstentums Liechtenstein beim HL. Stuhl, Prinz Nikolaus von Liechtenstein, am 27. Januar Sehr geehrter Herr Botschafter! 1. Während meines letztjährigen Pastoralbesuchs im Fürstentum Liechtenstein konnte ich auf den glücklichen Umstand hinweisen, daß die zwischen Ihrem Land und dem Hl. Stuhl bereits seit längerem bestehenden freundschaftlichen Kontakte „erst vor kurzem in der Form offizieller diplomatischer Beziehungen ihre feierliche Bestätigung erhalten“ hatten (Ansprache vor den zivilen Autoritäten am 8.9.1985). Heute nun habe ich die Freude, Sie als ersten Botschafter des Fürstentums Liechtenstein beim Hl. Stuhl herzlich zu begrüßen und Ihr Beglaubigungsschreiben entgegenzunehmen. Ich beglückwünsche Sie zu diesem ehrenvollen Amt und begleite das künftige Wirken dieser neuen Botschaft mit meinen besten Segenswünschen. Die zahlreichen Begegnungen bei meinem Besuch in Ihrem geschätzten Land, an die ich mich noch froh und dankbar erinnere, boten mir bereits die Gelegenheit, die tiefe Verbundenheit des liechtensteinischen Volkes mit dem Christentum und sein daraus erwachsenes reiches christliches und kulturelles Erbe zu würdigen. Der Wunsch, das in der Verfassung grundgelegte enge und freundschaftliche Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Fürstentum Liechtentein nun auch durch offizielle diplomatische Beziehungen mit dem Hl. Stuhl zu ergänzen und weiterzuentwickeln, unterstreicht die Entschlossenheit der Verantwortlichen in ihrem Land, fortan auch auf internationaler Ebene die staatlich-kirchliche Zusammenarbeit zu verstärken und im Bereich der Völkergemeinschaft einen wachsenden Beitrag zu leisten. Dieses entspricht der Bedeutung und dem Ansehen, das sich Ihr Land durch den Fleiß und die Ehrbarkeit seiner Bürger sowie den großen wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in seiner jüngeren Geschichte erworben hat. 2. Die Bedeutung eines Landes in der Gemeinschaft der Völker gründet nicht so sehr in seiner territorialen Größe und der Zahl seiner Bürger, sondern vielmehr in der Überzeugungskraft und Entschiedenheit, mit denen ein Volk sich für die sittlichen Grundwerte und hohen Ideale einzusetzen bereit ist, die den Menschen und Nationen ein menschenwürdiges Zusammenleben in Freiheit und Gerechtigkeit gewährleisten. In diesem Einsatz für die Wahrung und Förderung der geistig sittlichen Prinzipien und Normen, die in der Natur des Menschen wurzeln und das Fundament der gesellschaftlichen und staatlichen Ord- 1100 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nung bilden, findet jedes Volk im Hl. Stuhl stets einen zuverlässigen und hilfsbereiten Verbündeten. Die Kirche hat ihre Sendung niemals nur auf die rein innere religiöse Ebene beschränkt, sondern den Menschen immer auch ihre aufrichtige Mitarbeit an-geboten, um unter ihnen jene brüderliche Gemeinschaft zu verwirklichen, die ihrer wahren Berufung entspricht. Dieser Dienst der Kirche für die Welt ist um so mehr gefordert zu einer Zeit, da die elementarsten sittlichen Werte im persönlichen und öffentlichen Leben weitgehend in Frage gestellt werden und die Menschheit insgesamt durch mögliche neue Konflikte sogar in ihrem Überleben bedroht ist. Staat und Kirche müssen sich heute in verstärktem Maße gemeinsam um die Verteidigung allgemeinverbindlicher Werte bemühen, an deren Spitze stets der Mensch selbst steht mit seiner unverletzlichen Würde und seinen unveräußerlichen Rechten und Pflichten. 3. Wichtige Bereiche für eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Fürstentum Liechtentein und dem Hl. Stuhl sind vor allem die gemeinsame Sorge für einen dauerhaften Frieden unter den Völkern, die Verwirklichung einer größeren sozialen Gerechtigkeit mit besonderer Beachtung der Länder der Dritten Welt, das gemeinsame Bemühen um die fortschreitende Einigung Europas und der ganzen Menschheitsfamilie im Geist weltweiter Solidarität und Brüderlichkeit, die Verteidigung des Menschen selbst in seiner äußeren und inneren Gefährdung. Mutige und schöpferische Entscheidungen sind erforderlich, um unter den Menschen und Völkern die Bereitschaft zu gegenseitiger Achtung und Verständigung und zu vertrauensvoller internationaler Zusammenarbeit zu fördern, die allein die Menschheit vor neuem und noch größerem Unheil zu bewahren vermag. Möge, sehr geehrter Herr Botschafter, die Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und dem Hl. Stuhl die freundschaftlichen Bande zwischen Ihrem Land und diesem Zentrum der katholischen Christenheit festigen und den gemeinsamen Einsatz für eine friedlichere und gerechtere Welt von morgen für alle Völker und Menschen guten Willens vertiefen und fruchtbar weiterentwickeln. Aufrichtig danke ich seiner Durchlaucht Franz Josef II., Fürst von Liechtenstein, für den mir übermittelten Ausdruck verehrungsvoller Verbundenheit und Wertschätzung, den ich ehrerbietig erwidere. Zugleich erbitte ich Ihnen wie Ihren Mitarbeitern für Ihre neue verantwortungsvolle Aufgabe von Herzen Gottes besonderen Schutz und Beistand. 1101 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Teilhabe am Petrusamt Ansprache an die Sacra Romana Rota zur Eröffnung des neuen Gerichtsjahres am 30. Januar 1. Es ist jedes Jahr eine große Freude für mich, mit euch zusammenzutreffen, um die Wichtigkeit eures kirchlichen Amtes und die Notwendigkeit eurer richterlichen Tätigkeit aufs neue zu bestätigen; sie ist ein Dienst an der Gerechtigkeit, ein Dienst an der Wahrheit; ein Dienst, der Gott erwiesen wird, vor dem ihr eure Urteile verkündet, und ein Dienst am Volk Gottes und an jedem Menschen guten Willens, der sich an den Gerichtshof der Römischen Rota wendet. Jedem einzelnen von euch gilt daher mein ganz herzlicher Gruß, meine Anerkennung und Dankbarkeit für eure Aufgabe, die mitunter schwierig und beschwerlich, jedoch so dringend notwendig ist. Sodann begrüße ich besonders den neuen Dekan, Msgr. Ernesto Fiore und wünsche ihm, daß er — mit eurer gewissenhaften Mitarbeit — beitrage zum ständigen Bemühen um Anpassung des Gerichtshofes an die Bedürfnisse der heutigen Welt und an die pastoralen Notwendigkeiten unserer Zeit. Ich bin mir der Schwierigkeiten bewußt, denen ihr euch bei der Erfüllung eurer Aufgabe stellen müßt, die euch verpflichtet, auf Grund des kanonischen Rechts über Fragen und Probleme zu entscheiden, die subjektive Rechte betreffen und die zugleich das Gewissen derer, die sich an euch wenden, mit-einbeziehen. Diese kommen sich nicht selten wie verloren vor und sind verwirrt durch die widersprechenden Stimmen, die von allen Seiten auf sie eindringen. Gern nehme ich auch die Gelegenheit dieser Audienz wahr, um euch zu einem Dienst echter Nächstenliebe ihnen gegenüber aufzufordern, während ihr voll eure Verantwortung vor Gott, dem obersten Gesetzgeber, übernehmt. Wenn ihr ihn anruft, wird er nicht versäumen, euch mit dem Licht seiner Gnade beizustehen, damit ihr auf der Höhe der in euch gesetzten Erwartungen handeln könnt. 2. Es scheint mir heute — wie ich bereits in der Ansprache an die Kardinäle am 21. November vergangenen Jahres betonte — wichtig zu sein, die Sorge um die grundlegende Einheit mit dem Petrusamt zu unterstreichen. Diesem munus Petrinum bietet die Römische Kurie eine Zusammenarbeit an, die immer dringender wird, sowohl wegen der Bedeutung der Probleme, die sich in der Welt stellen, als auch wegen der Verpflichtung, das Glaubensbekenntnis als eines und katholisches zu erhalten, und der Forderung, das Volk Gottes im wahr- 1102 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN heitsgetreuen Verständnis des Lehramtes der Kirche anzuleiten und zu stärken. Dieser Dienst an der Einheit ist deshalb immer notwendiger, weil die Kirche sich auf so viele verschiedene Länder und Kontinente ausgebreitet und mit dem Schatz der Offenbarung und des christlichen Glaubens vielfältige und verschiedenartige Kulturen in Verbindung bringt, welche ihrerseits in dem Maße an Wert gewinnen, in dem sie die Werte anerkennen, deren Verteidiger und Garant das fleischgewordene Wort als Sohn des Vaters und Erlöser des Menschen ist. Der Mensch muß als Adoptivsohn und Adoptivtochter in diese Gotteskindschaft eintreten, um so nicht nur er selbst zu sein, sondern um immer besser auf die Absichten Gottes zu antworten, der ihn als sein Bild und Gleichnis geschaffen hat. Ihr habt eine große Sendung! Sie muß jene göttlichen Werte, die der Mensch als Werkzeug der göttlichen Liebe in sich trägt, erhalten, vertiefen, verteidigen und erhellen. In jedem Menschen gibt es ein Zeichen Gottes zu erkennen, ein Offenbarwerden Gottes hervorzuheben, ein Geheimnis der Liebe dadurch auszudrücken, daß man es nach den Vorstellungen Gottes lebt. 3. „Gott ist die Liebe“! Diese einfache Feststellung des hl. Johannes (1 Joh 4,8.16) ist der Schlüssel zum menschlichen Geheimnis. Wie Gott soll auch der Mensch Liebe sein: er ist liebesbedürftig, er muß sich geliebt fühlen und, um er selbst zu sein, muß er lieben, muß er sich hingeben, muß er diese Liebe zum Lieben bringen. Gott ist die Dreifaltigkeit der Liebe: die gegenseitige Hingabe des Vaters und des Sohnes, die ihre Liebe in der Person des Heiligen Geistes lieben. Wir wissen, daß dieses göttliche Geheimnis das Wesen und den tiefen Sinn der christlichen Ehe erhellt, die die vollkommenste Verwirklichung der natürlichen Ehe ist. Letztere trägt von Anfang an das Siegel Gottes: „Gott schuf den Menschen als sein Abbild. Als Mann und Weib schuf er sie ... und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch!“ (Gen 1,27 f.). Jede Ehe zwischen Getauften ist sodann ein Sakrament. Sie ist ein Sakrament kraft der Taufe, die unserem Leben Teilhabe am Leben Gottes schenkt und die bewirkt, daß wir „an der göttlichen Natur Anteil erhalten“ (2 Petr 1,4) durch die Eingliederung in den göttlichen Sohn, das fleischgewordene Wort, in dem wir nur einen einzigen Leib bilden, die Kirche (vgl. 1 Kor 10,17). Man versteht nun, warum man die Liebe Christi zur Kirche mit der unauflöslichen Liebe verglichen hat, die die Ehegatten miteinander verbindet, und daß diese Liebe sich in eindrucksvoller Weise darstellen läßt durch jenes große Sakrament, die christliche Ehe, deren Bestimmung es ist, sich in derselben Weise in der christlichen Familie — der Hauskirche — zu entfalten (vgl. LG 11), wie die Liebe Christi und der Kirche die kirchliche Gemeinschaft gewährleistet, die auf Erden schon Trägerin himmlischer Gaben ist (vgl. LG 8). 1103 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Eben darum ist die christliche Ehe ein Sakrament, das eine Art Weihe an Gott vollzieht (vgl. GS 48); sie ist ein Dienst der Liebe, die durch ihr Zeugnis den Sinn der göttlichen Liebe und die Tiefe der in der christlichen Familie gelebten ehelichen Hingabe sichtbar macht; sie ist eine Verpflichtung zu Vaterschaft und Mutterschaft, deren Quelle, vollkommenstes, unerreichbares Vorbild die gegenseitige Liebe der göttlichen Personen ist. Dieses Geheimnis wird sich in jeder Teilhabe an der Sendung der Kirche bestätigen und verwirklichen, in welcher die christlichen Ehegatten die Liebe beweisen und bezeugen müssen, in der sie miteinander, mit ihren Kindern und für ihre Kinder leben in jener grundlegenden und unersetzlichen Zelle im Leib der Kirche: in der christlichen Familie. 4. Wenn ich vor euch kurz und eindringlich den Reichtum und die Tiefe der christlichen Ehe in Erinnerung rufe, so tue ich das vor allem, um die Schönheit, die Größe und den Umfang eurer Sendung hervorzuheben, betrifft doch der Großteil eurer Arbeit Eheprozesse. Eure Arbeit ist richterliche Arbeit, aber eure Sendung ist evangelisch, kirchlich und priesterlich und bleibt zugleich menschlich und sozial. Auch wenn die Gültigkeit einer Ehe einige wesentliche Elemente voraussetzt, die vom rechtlichen Standpunkt her klar ausgedrückt und technisch angewandt werden müssen, ist es doch notwendig, diese Elemente in ihrer vollen menschlichen und kirchlichen Bedeutung zu betrachten. Wenn ihr bei Ausarbeitung der Urteile diesen theologischen Aspekt hervorhebt, weist ihr so die Sicht der christlichen Ehe auf, wie sie von Gott gewollt ist als göttliches Abbild und als Vorbild und Vervollkommnung jedes menschlichen Ehebundes. Das gilt für jede Kultur. Die Lehre der Kirche beschränkt sich nicht auf ihre Formulierung im Kirchenrecht, und diese muß — wie es das Zweite Vatikanische Konzil wünscht — im Umfang des Mysteriums der Kirche gesehen werden (vgl. OT16). Diese Konzilsvorschrift unterstreicht die Bedeutung des Kirchenrechts — lus ecclesiale — und erhellt in passender Weise sein Wesen als Recht der Gemeinschaft, Recht der Liebe, Recht des Geistes. 5. Eure Urteilssprüche, die von diesem Geheimnis göttlicher und menschlicher Liebe erleuchtet sind, erlangen dadurch große Wichtigkeit, daß sie — in stellvertretender Weise — am Petrusamt teilhaben. Denn in seinem Namen führt ihr Vernehmungen und Untersuchungen durch und fällt Urteile. Es handelt sich nicht um eine bloße Bevollmächtigung, sondern um eine tiefere Teilhabe an der Sendung des Petrusamtes. Zweifellos kann die Anwendung des neuen Codex die Gefahr ungenauer oder unstimmiger neuer Interpretationen mit sich bringen, besonders im Fall 1104 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN psychischer Störungen, die zum Ehekonsens unfähig machen (can. 1095), oder im Falle einer Täuschung (can. 1098) und eines Irrtums, der den Willen bestimmt (can. 1099), wie auch bei der Interpretation einiger neuer Prozeßvorschriften. Dieser Gefahr gilt es sich zu stellen und sie mit Sachlichkeit zu überwinden durch ein vertieftes Studium sowohl der tatsächlichen Tragweite der kirchenrechtlichen Vorschrift als auch aller konkreten Umstände, die den Fall gestalten, und dabei immer das Bewußtsein lebendig zu halten, allein Gott, der Kirche und den Seelen zu dienen, ohne einer oberflächlichen, permissiven Denkweise nachzugeben, die die unabdingbaren Forderungen der Ehe als Sakrament nicht in gebührender Weise berücksichtigt. 6. Ein Wort möchte ich auch darüber sagen, daß es zweckmäßig ist, wenn sich die Prüfung der Fälle nicht zu lange hinzieht. Ich weiß sehr gut, daß die Prozeßdauer nicht allein von den Richtern abhängt, die die letzte Entscheidung zu fällen haben: es gibt viele andere Gründe, die Verzögerungen verursachen können. Aber ihr, denen die Aufgabe anvertraut wurde, der Gerechtigkeit zu dienen, um so vielen Gläubigen den inneren Frieden zu bringen, müßt euch soweit als möglich dazu verpflichten und darum bemüht sein, daß das Verfahren mit jener Sorgfalt und Promptheit abgewickelt wird, die das Wohl der Seelen erfordert und die der neue Codex des kanonischen Rechts vorschreibt, wenn er sagt: „ ... Die Verfahren (sollen) bei einem Gericht der ersten Instanz nicht über ein Jahr, bei einem Gericht der zweiten Instanz aber nicht über sechs Monate dauern“ (can. 1453). Kein Gläubiger soll die übermäßige Dauer des kirchlichen Verfahrens zum Anlaß nehmen können, um auf die Einleitung seines eigenen Prozesses zu verzichten oder ihn wieder zurückzunehmen und Lösungen zu wählen, die in entschiedenem Gegensatz zur katholischen Lehre stehen. 7. Bevor ich schließe, möchte ich euch noch auffordern, euren kirchlichen Dienst im allgemeinen Rahmen der Tätigkeit der anderen Dikasterien der Römischen Kurie zu sehen, unter besonderer Bezugnahme auf jene, die sich mit Sachbereichen im Zusammenhang mit der Gerichtstätigkeit im allgemeinen und mit jener in Ehefragen im besonderen beschäftigen. Geschätzt wird außerdem der Einfluß der Römischen Rota auf die Arbeit der kirchlichen Gerichte im Regional- und Diözesanbereich. Die Rota-Rechtsprechung insbesondere ist für sie immer ein sicherer Bezugspunkt gewesen und soll es auch weiter bleiben. Die Studienkurse der Rota (Studio rotale) geben euch die Möglichkeit, eure Lehre und eure richterliche Erfahrung denen zur Verfügung zu stellen, die sich 1105 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN auf die Richter- oder Anwaltstätigkeit vorbereiten, und denen, die ihre Kenntnis des Kirchenrechts vertiefen wollen. Dadurch tragt ihr zu einer Neubelebung des Interesses am Studium des kirchlichen Gesetzbuches bei und bietet Gelegenheit zu einer immer größeren Vertiefung dieser Materie an den Kirchenrechtsfakultäten. Von ganzem Herzen drücke ich euch darum meine lebhafte Anerkennung aus für eure ernste und beständige Arbeit und segne euren Einsatz und euren Dienst. Gott, der die Liebe ist, bleibe stets euer Licht, eure Kraft und euer Friede. „Ihr seid, hochherzige Zeugen des Wortes Christi“ Botschaft an den Nationalkongreß der Kirche in Kuba vom 11. Februar Liebe Brüder im Bischofsamt! Liebe Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen! Liebe Söhne und Töchter! Der kirchliche Nationalkongreß Kubas, der vom 17. bis 23. Februar neben den Bischöfen eine Vertretung von Priestern, Ordensmännern, Ordensfrauen und Laien der katholischen Kirche Kubas versammeln wird — wobei als geladene Gäste einige Erzbischöfe und Bischöfe aus anderen Ländern anwesend sein werden —, bietet mir die willkommene Gelegenheit, an euch alle — und an die gesamte Gemeinschaft Kubas — meinen aufrichtigen und herzlichen Gruß zu richten. Es freut mich zutiefst, daß Herr Kardinal Eduardo Pironio, Präsident des Päpstlichen Rates für die Laien, euch diese Botschaft überbringt und euch dabei meines ständigen Gedenkens und meines Gebets für euch versichert. Mit diesem Kongreß erreicht somit jene kirchliche Besinnung ihren Abschluß, die auf Pfarr- und Diözesanebene begonnen wurde und bereits eine tröstliche geistliche Erneuerung gezeitigt hat. Die Ergebnisse der Umfrage und der durchgeführten Beratungen, die in das „Arbeitspapier“ aufgenommen wurden — das ich aufmerksam geprüft habe —, lassen in diesen Tagen eine neue Vertiefung und eine verdiente Anerkennung erhoffen, die der Kirche in Kuba neue apostolische Begeisterung schenken, dank der persönlichen Treue der Glieder des Gottesvolkes und ihrer vereinten Evangelisierungsbemühungen. 1106 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich sehe in diesem Kongreß eine bedeutsame und konkrete Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils, das — wie Paul VI. in dem Apostolischen Schreiben In Spiritu Sancto vom 8. Dezember 1965 erklärte — als eines der größten Ereignisse der Kirche angesehen werden muß, da es, während es die Erfordernisse der modernen Zeit im Auge behielt, versucht hat, in erster Linie auf die pastoralen Bedürfnisse zu antworten und sich, indem es die Flamme der Liebe nährte, bemüht hat, nicht nur auf die von der Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl getrennten Christen, sondern auf die gesamte Menschheitsfamilie zuzugehen (vgl .AAS 58, 1965,19). Die kürzlich abgehaltene außerordentliche Bischofssynode hat versucht, eben diese Sichtweise zu bekräftigen, indem sie der pastoralen Sendung der Kirche in allen ihren Dimensionen und in allen ihren Bereichen einen neuen Impuls verlieh. Liebe Bischöfe, Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und katholische Laien, bei der Erreichung der besonderen Zielsetzungen dieses nationalen kubanischen Kirchenkongresses werden euch das Licht und die Kraft des Heiligen Geistes beistehen; auch werdet ihr innerlich von der Erfahrung der Gnade angespornt werden, die im Laufe der schweren Jahre im Gebet, im Opfer und in der verzichtvollen Verpflichtung zum christlichen Leben zahlreicher kubanischer Katholiken, hochherziger Zeugen des Wortes Christi und der Liebe des Vaters, zur Reife gelangt ist. Ich bin davon überzeugt, daß ihr in ihrem Vorbild des Glaubens, des Dienstes an der Liebe und der aufbauenden kirchlichen Gemeinschaft Inspiration für euren Weg finden werdet. Die geistliche Anwesenheit der seligen Jungfrau Maria — die das kubanische Volk als Nuestra Senora de la Caridad del Cobre verehrt — wird für euch alle ein ausdrucksvolles Zeugnis der besonderen Liebe sein, mit der euch der Herr liebt. Ihrem mütterlichen Schutz vertraue ich diesen Kongreß an, und ich empfehle ihr in meinem inbrünstigen Gebet jeden einzelnen von euch, daß er ausharren möge in der Liebe zu ihrem Sohn. Damit die Hoffnungen, die wir in diesen Kongreß gesetzt haben, sich glücklich erfüllen und als Beweis der Zuneigung, die ich für euch empfinde, erteile ich allen Teilnehmern und der geliebten Kirche von Kuba meinen Apostolischen Segen. Vatikanstadt, 11. Februar 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. 1107 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Die Zeit Gottes, der zu uns spricht“ Predigt beim Aschermittwochsgottesdienst in der Basilika Santa Sabina am 12. Februar 1. So spricht Gott durch den Propheten. Der Prophet ist Gottes Stimme, er spricht in seinem Namen. So spricht der Prophet Joel in der heutigen Liturgie. So spricht die Kirche. Sie verkündet die Worte Gottes selbst: „Bekehrt euch zu mir von ganzem Herzen“ (Joel 2,12). Gott spricht in der ersten Person. Am ersten Tag der Fastenzeit beginnt Gott in der ersten Person zu sprechen. Das tut er immer; jedes Jahr; auch in diesem Jahr. Und darum heißt die Fastenzeit tempus forte, d.h. eine religiös besonders intensive Zeit. Es ist die Zeit, in der — mehr als zu jeder anderen Zeit — Gott selber spricht. Er selber ruft. Er selber tritt in die Geschichte des Menschen ein. Er selber klopft an das Herz der Menschen. „Der Herr erweist sich eifersüchtig für sein Land“ (vgl. Joel 2,18).. Es ist eine eifersüchtige Liebe zum Menschen. Gott, der sagt: „Bekehrt euch zu mir“, kennt den Menschen in der tiefsten Innerlichkeit seines Wesens. Er weiß, daß sich der Mensch einzig und allein dadurch verwirklichen kann, daß er „sich wieder ihm zuwendet“, „sich zu ihm — zu ihm allein — bekehrt“. Und darum ist diese Liebe „eifersüchtig“. Die heilige Eifersucht der Liebe Gottes bildet das Klima der Fastenzeit vom Aschermittwoch bis zu den Karta-gen: Tempus forte. 2. Sich zu Gott bekehren heißt vor allem: in sich gehen. Außerhalb dieser Hinwendung zum eigenen Inneren, zum Herzen, zum Gewissen, gibt es keine Bekehrung. Geh in deine Kammer und schließ die Tür (vgl. Mt 6,6). In der Zerstreuung kann es für uns keine Bekehrung zu Gott geben. Es bedarf der Sammlung, der Konzentration. Der Mensch muß sein tieferes Ich wiederfinden und gleichzeitig das höhere Ich. Warum „tieferes“ Ich? Warum „höheres“ Ich? Weil das der Wahrheit über den Menschen entspricht. Im Hinblick auf die Geschöpfe der sichtbaren Welt, die ihn umgeben, steht der Mensch „höher“. Er ist aufgerufen, sie sich untertan zu machen. Er soll die Erde beherrschen. Das ist das erste Gebot, das er vom Schöpfer erhalten hat. Zugleich aber ist der Mensch im Hinblick auf all dieses Geschaffene „tiefer“. Mit den Wurzeln seines Geistes gelangt er dorthin, wohin sie nicht gelangen können. Er unterscheidet sich von ihnen im grundlegenden Ausmaß seines Seins. Und darum kann er nicht erwarten, von ihrer Seite eine Verwirklichung 1108 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zu gewinnen. Der Mensch wird sich durch die ganze sichtbare Welt nicht selbst verwirklichen, auch dann nicht, würde er durch ihre Beherrschung den Grad ihrer vielfältigen Entwicklung und ihres Fortschritts immer mehr vorantreiben. „Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt?“ {Mt 16,26). 3. Das erste Wort der Fastenzeit, das Wort des Aschermittwoch, das starke und strenge Wort, lautet: „Bedenke, Mensch: Du bist Staub! Und zum Staub kehrst du zurück.“ Wie willst du dich also verwirklichen? Wie soll sich der Mensch durch die Welt verwirklichen, wenn diese Welt das Gesetz der Zerstörung in den Menschen legt, das Gesetz des Todes? Er ist auf nicht mehr rückgängig zu machende Weise in ihm. Mit Notwendigkeit. Es kann nicht anders sein. Der Mensch muß in seine „kleine innere Kammer“ eintreten. Er muß dort bis auf den Grund die Wahrheit erleben, daß seine Verwirklichung in den Dimensionen der Welt, in den Dimensionen der Schöpfung, endgültig unmöglich ist. Manche teilweisen, unmittelbaren, flüchtigen „Verwirklichungen“ können uns gelingen — aber keine letztgültigen. „Zum Staub kehrst zu zurück.“ Der Mensch muß hören mit dem tiefsten Gehör seines Wesens, dieses Wesens, das auch den „Keim der Unsterblichkeit“ in sich trägt. 4. Bekehrt euch „zw mir“. Für dich, Mensch, gibt es außerhalb von mir keine Verwirklichung! Außerhalb seiner, außerhalb Gottes gibt es für uns Menschen keine Verwirklichung.. Das eben bedeutet „bekehret euch“, und das bedeutet „glaubt an das Evangelium“, und laßt nicht ab, es zu verkünden. Was ist denn dieses Evangelium? Es ist die Botschaft des Messias, die Wahrheit über die „eifersüchtige Liebe“ Gottes im Hinblick auf den Menschen. Diese Liebe zögerte nicht, den Sohn zu opfern. Sie zögerte nicht, ihn, der keine Sünde kannte, für uns als Sünde zu behandeln, damit wir durch ihn — durch ihn! — Gerechtigkeit Gottes werden könnten (vgl. 2 Kor 5,21). So unendlich „eifersüchtig“ ist diese Liebe. Sie ist es auf göttliche Weise. 5. Die Kirche spricht im Namen Gottes. Heute ist ihre Sprache besonders radikal, das heißt: „sie reicht bis an die Wurzeln“. Zu Beginn der Fastenzeit braucht es eine solche Sprache, damit wir mit dem Psalmisten bekennen können: „Tilge meine Frevel nach deinem reichen Erbarmen! Denn ich erkenne meine bösen Taten, meine Sünde steht mir immer vor Augen. Gegen dich allein habe ich gesündigt... Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz“ (Ps 51, 3.5 f. 12). Fastenzeit. Die Zeit Gottes, der zu uns spricht. Die Zeit Gottes, der neu erschafft. Die Zeit der Erlösung. 1109 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Differenzierte Ursachenforschung nötig Ansprache an die Teilnehmer des 2. Internationalen Kongresses gegen den Hunger und zur Verteidigung des Rechtes auf Leben am 13. Februar Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1. Mit Freude empfange ich Sie hier und begrüße Sie. Noch ehe Sie die Arbeiten Ihres zweiten internationalen Gesprächs über die Themen: Kampf gegen Elend und Hunger und Bekräftigung des Rechtes auf Leben und des Rechtes auf Freiheit, aufgenommen haben, erweisen Sie mir die Ehre Ihres Besuches. Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. Unter den Teilnehmern dieser überaus repräsentativen Versammlung, die ich am Ende dieser Audienz einzeln persönlich begrüßen werde, danke ich besonders Ihrem Sprecher für die herzlichen Worte, die er an mich gerichtet hat. Ich bin dafür besonders empfänglich, weil ich in Ihrem Vorgehen eine Anerkennung für das Wirken des Hl. Stuhls und der ganzen katholischen Kirche zur Förderung des menschlichen Lebens sehe. 2. Die Kirche kann nur mit wohlwollendem Blick jede Initiative betrachten, die dazu beiträgt, die öffentliche Meinung zu informieren und zu bilden, indem sie die gemeinsame Verantwortung angesichts des Problems der Unterentwicklung und des Hungers in der Welt bewußtmacht, und so auch Einfluß bei den Staaten und internationalen Organisationen zu haben, damit diese ihrerseits ein wirksameres und koordinierteres Engagement im Kampf gegen diese Geißeln der Menschheit in Gang setzen können. Ihr Kolloquium bietet eine besondere Gelegenheit zur Begegnung hervorragender Persönlichkeiten aus der ganzen Welt, die die verschiedenen Bereiche der Politik, des internationalen Lebens, der Wissenschaft und der Wirtschaft vertreten. Durch die Gegenüberstellung Ihrer verschiedenen Erfahrungen wollen Sie so auf exaktere Weise entscheidende Vorschläge für die Zielsetzung gen und Vorgehensweisen ausarbeiten, die imstande sein sollen, die ganzheitliche Entwicklung jedes Menschen und jedes Volkes zu fördern. 3. Der Umfang und die Dringlichkeit der Probleme erfordern in der Tat, daß unverzüglich realistische Maßnahmen ergriffen werden, die es gestatten, der furchtbaren und drängenden Situation der Unterernährung und der Sterblichkeit als Folge des Hungers auf konkrete und verantwortungsbewußte Weise 1110 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN entgegenzutreten. Solche Zustände lassen sich nicht durch gelegentliche Initiativen überwinden, sondern nur durch ein schrittweises und beständiges Vorgehen im Rahmen der Mitveranwortung aller Nationen der Welt, das in jedem einzelnen Land mit dem Ziel seiner Selbstentwicklung verwirklicht wird. Solche Entscheidungen setzen voraus, daß man — wie Sie es tun — den Standpunkt moralischer Werte vertritt, besonders das Recht auf Leben, das Recht auf die fundamentalen Freiheiten, auf das Wachstum und die ganzheitliche Förderung jeder menschlichen Person; und demzufolge das Recht jedes Mitglieds der menschlichen Gemeinschaft und das Recht jedes Volkes auf die Mittel und Möglichkeiten, die für ein menschenwürdiges Leben notwendig sind. Jede Nation kann es als einen Anspruch ersten Ranges ansehen, über alle wesentlichen Voraussetzungen zu verfügen, die ihr einen globalen Wachstumsprozeß ermöglichen, Voraussetzungen, die angemessen verteilt sein müssen, um das Leben, die Freiheit und die Entfaltung aller Mitglieder der Volksgemeinschaft zu gewährleisten. Wenn man auf konkrete Weise gegen Elend und Hunger kämpfen will, kann man sich also nicht darauf beschränken, zum richtigen Zeitpunkt die Hilfen zu verteilen oder Maßnahmen zur angemessenen Steigerung der Produktion einzuleiten. Es bedarf eines organischen und langwierigen Engagements, das zutiefst die Beziehungen zwischen den Ländern verschiedener Entwicklungsstufen beeinflußt. Es geht darum, die in manchen Zonen der Welt in verschärfter Form bestehenden Situationen des Ungleichgewichts zwischen Bevölkerung und Versorgungsmitteln bis in ihre Gründe hinein zu korrigieren. Kurz gesagt, es gilt, Einfluß zu nehmen auf die Ursachen, sobald sie einmal in ihrer Verschiedenartigkeit, nach ihrer Art und ihrem Umfang, identifiziert worden sind. 4. Es ist darum wichtig — wie das in Ihrem Kolloquium ganz richtig geschieht —, den Beitrag zur Geltung zu. bringen, der aus der Erfahrung von Regie-rungsmitgliedem oder von Personen stammt, die in der Tätigkeit der internationalen Organisationen sowohl auf Weltebene wie im regionalen Bereich engagiert sind. Ein solcher Beitrag erscheint unerläßlich, zunächst für die Erstellung einer Dokumentation mit präzisen Angaben über die Situationen und Mittel und dann auch, um in der Lage zu sein, gültige Projekte und Programme vorzubereiten. Man muß tatsächlich auf internationaler Ebene und im Bereich von Regierungsentscheidungen zu genauen Vorgehens- und Arbeitsoptionen gelangen, die auf die tatsächlichen Bedürfnisse eingehen und die konkreten Realisierungsmöglichkeiten berücksichtigen. Die Beiträge, die von den zahlreichen und großherzigen Initiativen der Solidarität stammen, scheinen weiter zuzu- 1111 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nehmen; aber zugleich müssen die verschiedenen Initiativen koordiniert und wirksamer gemacht werden, denn es gilt, doppelte Initiativen ebenso wie Verzettelung zu vermeiden und alles abzustimmen auf die Ausrichtungen und Entscheidungen einer echten Politik der Zusammenarbeit zugunsten der Entwicklung. 5. Schließlich ist das Problem wohl folgendes: zu bewirken, daß sich alle Länder in verantwortlicher und wirksamer Weise betroffen fühlen, wobei die wohlhabenden sich ihrer Verpflichtung bewußt werden müssen, zum Fortschritt der weniger begünstigten Länder in einem ihren größeren Möglichkeiten entsprechenden Ausmaß beizuträgen. Unter Berücksichtigung der Forderungen der Freiheit und der Würde jedes Volkes wird eine echte Zusammenarbeit zugunsten der Entwicklung konkret in Programmen verwirklicht, die in Abstimmung mit den Empfängerländern, nach Modellen, die ihrer Kultur entsprechen, erstellt und unter Beachtung der örtlichen Gesetzmäßigkeiten und Möglichkeiten in die Tat umgesetzt werden, und zwar so, daß dabei soweit als nur irgendwie möglich die aktive Mitarbeit der Gesamtbevölkerung erreicht wird. Es geht, mit einem Wort, darum, gemeinsam für das tatsächliche Wohl der Völker zu arbeiten, die sich im Zustand der Unterentwicklung befinden, indem man versucht, die öffentlichen und privaten, nationalen und internationalen Initiativen, die alle von einem aufrichtigen Geist der Solidarität erfüllt sind, zu koordinieren und auf dasselbe Ziel auszurichten. Es geht darum, die egoistischen Interessen von Personen und Gruppen oder Einzelüntemehmen zu überwinden, wie übrigens auch die eigennützigen nationalen Sorgen, die sich manchmal, insbesondere bei den bilateralen Aktionen, hinter den Initiativen von Regierungen verbergen. 6. Es muß erwähnt werden, daß eine in dieser Weise erneuerte Orientierung der Innen- und der internationalen Politik eine tiefgehende Erneuerung des Bewußtseins voraussetzt, sowohl auf allgemeiner Ebene im Bereich der öffentlichen Meinung, als auch im besonderen bei den Verantwortlichen, die dazu berufen sind, die tatsächlichen Entscheidungen zu treffen und sie in die Tat umzusetzen. Gesinnungs- und Verhaltensweisen, die den Kriterien der Gerechtigkeit in der Solidarität gegenüber dem Nächsten widersprechen, müssen geändert werden. Man muß unbedingt dahin kommen, es sich nicht in einem billigen Leben des Überflusses bequem zu machen; man muß alles darauf setzen, die überflüssigen oder sogar gefährlichen Konsumgewohnheiten, die Verschwendungen bei Unternehmungen von allgemeinem Charakter und von flüchtigem Prestige abzubauen. 1112 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Es gilt, die Ursachen der internen und internationalen Spannungen, die abwegige Logik der Spaltungen und Uneinigkeiten, den Willen zur Macht, die sich unter anderem in einer kostspieligen Rüstungstätigkeit äußern, zu überwinden, denn das alles beeinträchtigt den — manchmal gerade erst begonnenen — Entwicklungsprozeß mancher Länder und stellt eine negative Voraussetzung für die Hilfe seitens der fortgeschritteneren Länder dar. Es gilt, mit Scharfblick und Mut auf die Erstellung und Einführung einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung hinzuarbeiten. 7. Aber der tiefe Wandel, den ich soeben angesprochen habe, wird fruchtlos bleiben, wenn er sich nicht auf eine volle Achtung, auf eine überzeugte Achtung vor der Würde des Menschen, jedes Menschen, gründet. Sie haben ja im Programm zu Ihren Arbeiten den Kampf gegen Elend und Hunger eng verbunden mit der Bestätigung des Rechtes auf Leben und des Rechtes auf Freiheit. Während meiner kürzlichen Pastoraireise nach Indien habe ich in Madras bei meiner Begegnung mit den Verantwortlichen der nichtchristlichen Religionen dieselbe Überzeugung zum Ausdruck gebracht: „Die Beseitigung unmenschlicher Lebensbedingungen ist ein echter geistlicher Sieg, weil sie dem Menschen Freiheit und Würde bringt“ (am 5.2.1986 in Madras: OR, dt., 21.2.1986,18). Die Förderung der Würde und der Freiheit des Menschen, eindeutig evangelische Werte, ist eine ganz wesentliche Dimension der Sendung der Kirche. Der Mensch ist nämlich „der erste und grundlegende Weg der Kirche, ein Weg, der von Christus selbst vorgezeichnet ist“ (RH 14). Darum beschränkt sich die Kirche nicht auf die abstrakte Verkündigung solcher Werte, sondern sie bemüht sich, den Menschen in der konkreten Wirklichkeit seiner Nöte und seiner Leiden, seiner Ängste und seiner Hoffnungen aufzusuchen. Sie hört auch nicht auf, mit allen ihren Kräften das menschliche Leben zu verteidigen, das von Gott kommt. Erlauben Sie mir die schmerzliche Feststellung, daß gegenüber einer sehr starken und gleichsam unantastbaren Sensibilität für die Anschläge auf das Leben in Form von Hunger, Krieg und Terrorismus keine ähnliche Sensibilität vorhanden ist angesichts des Attentats, das die Abtreibung darstellt, die doch unzählige unschuldige Leben tötet. Eingedenk dessen, daß sich Christus mit denen identifiziert hat, die Hunger und Durst leiden, die Armut und Blöße und alle anderen Formen von Entbehrungen erdulden, gilt die Sorge der Kirche allen Menschen, die gegen Elend und Unterentwicklung zu kämpfen haben. Da ist sie in vorderster Linie zu finden, da verweist sie jeden Menschen guten Willens auf die Dringlichkeit des Kampfes gegen solche unmenschlichen Lebensbedingungen, in einem Einsatz für Gerechtigkeit, die die Frucht der brüderlichen Liebe ist. 1113 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Und die Sorge der Kirche muß noch einem anderen Hunger gelten: dem „Hunger nach Freiheit“ von Menschen und Völkern, die aus politischen, ideologischen und Rassengründen unterdrückt werden. Die Freiheit gehört zum Menschen als Kind Gottes; sie ist ein Gut, das zum unverletzlichen Innersten der Person gehört und nicht mit Füßen getreten werden kann, ohne daß die Person gewissermaßen innerlich getötet wird. Das ist der besondere Beitrag der geistigen und religiösen Sendung der Kirche: Sie ist entschlossen, ihn allen anzubieten, die auf den verschiedenen Ebenen der Zuständigkeit und der Initiative für die großen Anliegen des Menschen arbeiten, die das Thema Ihres Kongresses bilden. In diesem Geiste möchte ich Sie meines Interesses, meiner Ermutigung und meiner herzlichen Wünsche für Ihre Arbeiten versichern. Und auf Sie persönlich und auf Ihren Einsatz menschlicher Solidarität rufe ich den Segen des Allerhöchsten herab. „Mögen sich eure Hände öffnen, um zu teilen“ Botschaft zur Fastenzeit 1986 vom 13. Februar Liebe Brüder und Schwestern in Christus! Das Evangelium gibt uns das Gesetz der Nächstenliebe, das uns Christus, der gute Samaritan, so deutlich in Wort und Beispiel erläutert hat. Es fordert uns auf, Gott zu lieben und ebenso alle unsere Brüder, vor allem die Bedürftigsten. Die Nächstenliebe vertreibt unseren Egoismus; sie reißt die Mauern unserer Selbstgenügsamkeit nieder; sie öffnet uns die Augen und läßt uns den Nächsten entdecken: den Menschen ganz in der Nähe, den Nächsten in der Ferne und schließlich die ganze Menschheit. Nächstenliebe ist anstrengend, aber auch kräftigend; denn sie ist die Erfüllung unserer grundlegenden christlichen Berufung und läßt uns teilnehmen an der Liebe des Herrn. Die praktische Nächstenliebe gehört zu jeder Zeitepoche, heute wie gestern, und ganz gewiß fehlt es nicht an Gelegenheit, diese Liebe konkret zu leben. Täglich packen die Medien unsere Augen und Herzen und lassen uns den dringenden Notschrei von Millionen unserer Brüder vernehmen, denen es schlechter geht als uns, die von natürlichen oder von Menschen verursachten Katastrophen getroffen sind; unserer Brüder, die hungern, die an Leib und Seele bluten, Kranke, Vertriebene, Flüchtlinge, Einsame, Hilflose. Sie strecken ihre Arme uns Christen entgegen, die wir bereit sind, das Evangelium und sein großes und einziges Liebesgebot zu leben. 1114 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wir sind also informiert. Aber fühlen wir uns auch betroffen? Wie können wir von unserer Zeitung oder unserem Fernsehschirm aufbrechen als kühle, gleichgültige Touristen und Werturteile abgeben über das Weltgeschehen, ohne dabei zugleich unser bequemes Leben zu verlassen? Können wir uns sperren, von diesen Millionen menschlicher Lebewesen erschüttert, bedrängt, bedrückt, angestoßen zu werden, die auch unsere Brüder und Schwestern sind, Geschöpfe Gottes wie wir, zum ewigen Leben berufen? Wie können wir ungerührt bleiben vor Kindern mit verzweifeltem Blick und mit Leibern aus Haut und Knochen? Kann unser christliches Gewissen in dieser Welt der Leiden unbeeindruckt bleiben? Hat uns das Gleichnis vom barmherzigen Samaritan nicht noch vieles zu sagen? An diesem Beginn der Fastenzeit, Zeit der Buße, des Nachdenkens und der Hochherzigkeit, ruft Christus uns erneut an. Die Kirche, die in der Welt und dort vor allem, wo Leid ist, gegenwärtig sein will, rechnet auf euch. Die Opfer, die ihr erbringt, so klein sie auch sein mögen, werden Leiber retten und Seelen neue Lebenskraft geben, und die „Zivilisation der Liebe“ wird kein bloßes Wort bleiben. Die Nächstenliebe zögert nicht; denn sie ist Ausdruck unseres Glaubens. Mögen sich also eure Hände öffnen in Herzlichkeit, um mit all jenen zu teilen, die ihr so wahrhaft zu euren Nächsten macht. „Dient einander in Liebe!“ (Gal 5,13). „Das Konzil lebendig gemacht“ Schlußworte nach den Exerzitien im Vatikan am 22. Februar in der Mathildenkapelle Liebe Brüder! Ich will ein kurzes Dankeswort sagen. Dank vor allem für den besonderen Feiertag der Stuhlfeier Petri, denn der Schluß unserer geistlichen Exerzitien steht unter dem Licht des liturgischen Geheimnisses, das wir heute feiern. Danken wollen wir dann dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist für das große Geschenk der geistlichen Exerzitien, das wir in der ersten Fastenwoche empfangen und so unseren Bußweg zur Paschafeier 1986 beginnen konnten. Wenn ich von Dank spreche, denke ich vor allem an die, die uns mit ihrem Gebet begleitet haben. Es gibt viele, sehr viele, die das ständig tun, so wie es die Kirche seit den ersten Zeiten getan hat, wenn sie das Petrusamt mit ihrem Ge- 1115 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bet und ihren Opfern begleitete. So geschieht es auch in der Kirche unserer Tage bei unseren geistlichen Exerzitien, die ein wichtiger Teil des Petrusamtes in der Kirche sind. Und danken möchte ich auch für das Wort Gottes, das uns in diesen Tagen geschenkt wurde. Wir danken für die Liebe, mit der wir den Samen des Wortes hören und aufnehmen konnten. Wir danken unserem lieben Prediger, wir danken ihm, aber vor allem dem Herrn für den österlichen Bußdienst, den der Prediger uns erwiesen hat. Wir danken ganz besonders, weil gerade er der Sämann des Gotteswortes war und uns das betende Zuhören so leichtgemacht hat, das Zuhören voll Liebe zur göttlichen Quelle des Wortes. Wir sind sehr dankbar für alles, was er uns in dieser Woche in gegliederter, sehr klarer und systematischer Weise gesagt hat. Er hat ein besonders aktuelles Thema gewählt, und wir können sagen: es war eine providentielle Wahl. Denn 20 Jahre nach Ende des II. Vatikanischen Konzils zu den Leitlinien dieses Konzils zurückzukehren, ist vor allem im Licht der letzten Außerordentlichen Bischofssynode gewiß eine für uns alle providentielle Wahl. Auf diese Weise konnten alle über die Hinweise nachdenken, die die letzte Außerordentliche Synode der ganzen Kirche gegeben hat, den Heiligen Stuhl eingeschlossen. Wir möchten noch einmal für diese vom Prediger getroffene Wahl danken und für seine Methode, weil er uns nicht nur das Konzil wieder lebendig gemacht hat, sondern das genau in der Weise getan hat, in der das Konzil zwanzig Jahre danach wieder erlebt werden muß. Was heißen soll, in der Gemeinschaft der geistlichen Exerzitien, also als ein Licht, als eine Nahrung für unseren Geist, vor allem für den Geist des Papstes, den seiner nächsten Mitarbeiter, den Geist von uns allen, die wir in dieser Woche eine betende, hörende, meditierende Gemeinschaft waren. Es gibt so viele Gründe, unserem Prediger zu danken, aber ich möchte noch hinzufügen, daß die Weise, in der er uns diese wichtige Thematik geboten hat, nicht nur das besondere Charisma des Predigers erfüllt hat, sondern auch seine Treue zum Charisma des Gründers seiner Gesellschaft, der hochverdienten salesiani-schen Gesellschaft. Und ich meine: der Generalrektor der Gesellschaft des hl. Don Bosco ist mit Recht ein vorzüglicher Träger des Charismas eines solchen Gründers. Dafür danken wir dem Herrn, dem Heiligen Geist und auch unserem lieben Prediger. Natürlich gäbe es noch andere Gründe zum Dank, aber hier möchten wir der persönlichen Initiative der Anwesenden Raum lassen, die ihren eigenen Dank im Gebet vor dem Herrn ausdrücken werden. Jetzt möchte ich alle Anwesenden zum feierlichen Akt des Fastendankes einladen, zum besonderen Dank, der täglich zum liturgischen Leben der Kirche gehört, aber vor allem in diesem Moment. Dafür können wir jetzt kein besseres und geeigneteres Wort finden als das „Magnifikat“. Schließen wir also unsere Begegnung mit dem „Magnifikat“. 1116 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das Konzil hat neue Wege eröffnet Ansprache beim Besuch der 26. Vollversammlung der Italienischen Bischofskonferenz in der Domus Mariae in Rom am 26. Februar Meine Herren Kardinale und ehrwürdigen Brüder der Italienischen Bischofskonferenz! 1. Ich begrüße alle herzlich: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (Phil 1,2). Ich freue mich, daß eure außerordentliche Versammlung mir Gelegenheit bietet, mit euch zusammenzutreffen und einen bedeutungsvollen Augenblick der Gemeinschaft mit euch, den Bischöfen dieses geliebten Landes Italien, zu erleben, denen meine herzliche Anerkennung für den selbstlosen Eifer gilt, mit dem ihr jeden Tag auf die Sorge der euch anvertrauten Herde verwendet. Ich danke Herrn Kardinal Ugo Poletti für die Worte, mit denen er euer aller Gefühle Ausdruck verliehen hat, und ich sage ihm bei diesem offiziellen Anlaß erneut Dank für die prompte Bereitschaft, mit der er die neuen, schwierigen Aufgaben, die mit dem Amt des Vorsitzenden verknüpft sind, auf sich genommen hat. Einen besonderen Gruß möchte ich außerdem an Herrn Kardinal Anastasio Ballestrero richten, der eure Konferenz lange Jahre geleitet und dabei stets große pastorale Ausgewogenheit und lebendiges Pflichtgefühl bewiesen hat. Mit Interesse habe ich in das Einsicht genommen, was der Kardinalvorsitzende in seiner Eröffnungsrede über das Internationale Jahr des Friedens und über die Vorbereitung auf den nächsten Welttag der Jugend ausgeführt hat. Ich weiß die zweckmäßigen Hinweise, die diesbezüglich geboten wurden, und im besonderen die Überlegungen zum Frieden zu schützen, der, wie richtig gesagt wurde, nicht „Gerücht“ sein darf, sondern wahrer Friede sein muß, also unter Respektierung der Rechte der Völker, einschließlich der gebührenden Verteidigung ihrer Unabhängigkeit und Freiheit. 2. Zweck eurer Zusammenkunft ist, im Rahmen der jahrhundertealten religiösen und zivilen Traditionen des italienischen Volkes, im Lichte der zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien vorliegenden Abkommen und der Vereinbarung zwischen der Italienischen Bischofskonferenz und dem Unterrichtsministerium das Problem des Religionsunterrichts an den staatlichen Schulen und das Problem der neuen Verwaltungsorganisation für den angemessenen Unterhalt des Klerus zu prüfen. Ich stehe euren Sorgen mit brüderlicher Anteilnahme nahe und erbitte für eure Arbeiten die besondere Fürsprache der Jung- 1117 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN frau Maria, nach der dieses Haus benannt ist, das euch für eure Tagung Gastfreundschaft gewährt. Ich kann mir gut vorstellen, welche Sorgen ihr habt, wenn ihr euch mit dem Thema des katholischen Religionsunterrichtes in den staatlichen Schulen auseinandersetzt. Es ist euer Wunsch, daß den jungen Generationen nicht die Möglichkeit verwehrt wird, auch an diesen qualifizierten Stätten mit unbeschwertem Sinn und freiem Herzen mit der Botschaft Christi Bekanntschaft zu machen, die im Leben und in der Geschichte Italiens so gegenwärtig ist. Ihr wollt daher die konkreten Wege und Möglichkeiten studieren, um die bilateralen Abkommen durchzuführen, deren Ziel es ist, sowohl allen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu einer Begegnung mit den kulturellen und erzieherischen Werten, an denen der christliche Glaube so reich ist, anzubieten als auch das Recht der katholischen Eltern zu schützen, die Werte, an die sie glauben, an ihre Kinder weiterzugeben, indem sie von den vom Staat bereitgestellten Unterrichtsstrukturen Gebrauch machen. Es handelt sich um ein „ursprüngliches, vorrangiges und unveräußerliches Recht“ (Charta der Familienrechte, Art. 5), das in nicht unbeträchtlichem Ausmaß verletzt würde, wenn im Rahmen des Ausbildungsganges der Religionsunterricht und damit die Kenntnis der Antworten fehlte, die der Glaube auf die Grundfragen gibt, die der Mensch, besonders in der Jugend, unvermeidlich stellt. Schwere und verpflichtende Aufgaben erwarten also euer pastorales Wirken und das der Religionslehrer, die ihr für die Schule bestimmt. Für ihre Lösung wird es vor allem einer gesunden Zusammenarbeit innerhalb jeder schulischen Gemeinschaft bedürfen. Loyalität, Klarheit und Respekt werden das Verhalten und den Stil des Religionslehrers kennzeichnen müssen. Denn er befindet sich gleichsam im Zentrum eines ständigen Fragens von seiten der Jugendlichen, aber auch eines freundschaftlichen und aufbauenden Dialogs mit ihnen wie mit seinen Lehrerkollegen. Sodann wird die Unterstützung von seiten der Familien und der ganzen Kir-chengemeinde notwendig sein: Wenn die Katholiken gemeinsam zu handeln imstande sind, indem sie den Religionsunterricht mit Hochachtung und Vertrauen umgeben, weil sie von den schwerwiegenden Motiven überzeugt sind, die sein Angebot im Rahmen der Schulfächer rechtfertigen, wird daraus ein segenbringender Einfluß auf die jungen Generationen erwachsen, zu vollem Vorteil des bürgerlichen Zusammenlebens. Schließlich wird ein mutiges Aggiomamento der Mittel erforderlich sein, die der Vorbereitung der Lehrer dienen, um sicherzustellen, daß diejenigen, die mit einer so heiklen Aufgabe betraut werden, eine ernsthafte und tiefgehende Kenntnis vom Wort Gottes besitzen und getreu dem Sinn des in der Kirche gelebten Glaubens und in ständiger, fügsamer Anhänglichkeit an die Lehre des kirchlichen Lehramtes leben. 1118 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich vertraue darauf, daß die Entscheidungen, die ihr, ehrwürdige Brüder, im Laufe eurer Versammlung trefft, in wirksamer Weise zur Erreichung dieser Zielsetzungen beitragen. 3. Die zweite Frage, auf die sich eure Sorge richtet, ist der Lebensunterhalt des Klerus. Die vom Kirchenrecht und von den Abkommen mit dem italienischen Staat zu diesem Zweck vorgesehenen Organismen nehmen sich die Verwirklichung einer angemessenen Form brüderlicher und hochherziger Verteilung vor. Die ganze Familie der Priester ist aufgerufen, mit prophetischem Geist die evangelische Brüderlichkeit und Liebe zu bezeugen, indem sie dafür sorgt, daß der Überfluß der einen der eventuellen Not der anderen abhilft (vgl. 2 Kor 8,14; Ex 16,18). Ich hoffe und wünsche, daß bei der konkreten Verwirklichung dieser neuen Organismen alles mit Harmonie und in klarer Transparenz vor sich geht, so daß ein weiteres Zeichen der unter den Mitgliedern des Presbyteriums herrschenden Eintracht geboten werden kann. Und außerdem wünsche ich, daß auf Grund der neuen Strukturen jeder Priester das Nötige erhalten kann, so daß er nicht seinen Lebensunterhalt in anderen Tätigkeiten suchen muß. Die hauptberufliche Hingabe an den Dienst ist heute besonders dringend, nicht nur wegen des veränderten Zahlenverhältnisses zwischen Priestern und Gemeinden, sondern auch wegen der vermehrten pastoralen Bedürfnisse, die sich mit immer größerer Dringlichkeit aus dem heutigen Gesellschaftsgefüge ergeben. Ich hoffe, daß die christlichen Gemeinden imstande sind, ihre verantwortliche Solidarität und ihre tatkräftige Zusammenarbeit anzubieten, um den Priestern jene Bedingungen geistiger, psychischer und wirtschaftlicher Freiheit zu gewähren, die für die Erfüllung eines ruhigen und nutzbringenden Apostolats notwendig sind. 4. Ehrwürdige Brüder, im Laufe dieses Jahres werde ich die Freude einer neuerlichen Begegnung mit euch haben anläßlich der „Ad-limina“-Besuche, denen ich große Bedeutung beimesse. Von einer ehrwürdigen Tradition, die vom Gesetz der Kirche gestärkt wird (vgl. CIC, can. 400, § 1), gewünscht, stellen sie eine bevorzugte Gelegenheit zu pastoraler Gemeinschaft dar: das persönliche Gespräch mit jedem einzelnen von euch läßt mich an den Ängsten und Hoffnungen teilnehmen, die in den von euch in einer Haltung des Hörens auf die Eingebungen des Geistes geführten Kirchen erlebt werden. Die darauffolgende gemeinsame Begegnung mit dem Episkopat der ganzen Region ist ein ebenso bedeutsamer Augenblick, weil sie Gelegenheit zur gemeinsamen Erörterung der auftretenden Probleme und zur Wahl der geeigneten Vorgangsweisen bietet. 1119 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich möchte euch schon jetzt darüber unterrichten, daß ich bei diesen Begegnungen die Absicht habe, außer den jeweils wichtigen Aspekten des Lebens der Kirche in den verschiedenen Regionen die großen Themenbereiche zu berühren, die den Gegenstand der Tätigkeit der verschiedenen in der Bischofskonferenz errichteten Kommissionen bilden. Ein Anzeichen für die große Bedeutung dieser Organismen ist schon daran erkennbar, daß sie seit der ersten Entstehung eurer Konferenz in Erscheinung getreten sind und ihre Entwicklung nach und nach begleitet haben, wobei sie sich fortlaufend den pastoralen Bedürfnissen des Landes anpaßten. Es hat sich in der Tat gleich mit aller Klarheit herausgestellt, daß es ohne die Hilfe besonderer Strukturen, die für das Studium der verschiedenen pastoralen Probleme, für den Vorschlag abgewogener Lösungen, für die Ingangsetzung der von der Vollversammlung beschlossenen Initiativen bestimmt sind, nicht möglich gewesen wäre, die eigenen Ziele der Bischofskonferenz in wirksamer Weise zu verfolgen. Obwohl diese Kommissionen entstanden waren, ohne daß ihnen irgendwie ein Schema vorausgegangen wäre oder sie vorherbestimmt hätte, wurden sie nach und nach gebildet, wie es die konkreten Bedürfnisse erforderten. Auch in jüngster Zeit wurden an ihrer Zusammensetzung Veränderungen vorgenommen; es hat jedoch den Anschein, daß die von der kürzlich abgehaltenen Außerordentlichen Bischofssynode ausgehende Aufforderung zu einem erneuerten Engagement bei der Verwirklichung des Konzils besondere Aufmerksamkeit verlangt, sowohl was die unersetzliche Funktion betrifft, zu deren Erfüllung diese Kommissionen aufgerufen sind, als auch hinsichtlich einer immer geeigneteren Strukturierung. 5. Es scheint mir daher nicht unnütz, bei dieser Begegnung die wichtige Rolle zu unterstreichen, die diese Kommissionen für die gute Arbeitsweise der ganzen Bischofskonferenz zum Zweck der Förderung der Pastoraltätigkeit im Lande erfüllen müssen. Die Kommissionen stehen im Dienst der Diözesanbischöfe, die sich Pasto-ralproblemen gegenüber sehen, deren Dimensionen die Grenzen der einzelnen Ortskirche überschreiten und nicht selten die Bevölkerung der ganzen Nation betreffen. Anderseits hat der Bischof, der von der Sorge um sein Dienstamt in Anspruch genommen wird, nicht immer die nötige Zeit, um jedes Problem zu studieren und mit ausreichender Gründlichkeit und Dokumentation seine möglichen Lösungen zu erwägen. Sicher muß auch er innerhalb der Diözese eigene Studiengruppen und Sonderorgane einsetzen, denen jedoch nicht jenes Reservoir an Mitarbeitern, jene Möglichkeit an Mitteln, jene Weite des Horizonts zur Verfügung stehen, deren sich die im Zentrum tätigen Einrichtungen erfreuen. 1120 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Aufgabe der zentralen Kommissionen wird es also sein, die Probleme gründlich zu studieren und, sowohl was die Aspekte der Lehre wie die der Pastoral betrifft, eine systematische Arbeit zu entfalten. Das Arbeitsgebiet ist unermeßlich; die Problematik ist gegliedert und kompliziert. Das Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils — auch im Lichte all dessen, was sich aus den Überlegungen der jüngsten Außerordentlichen Bischofssynode ergeben hat — legt eine sehr reiche Ernte an Lehren, Weisungen und Richtlinien vor, die darauf warten, im konkreten Leben verwirklicht zu werden. Aufgabe der Kommissionen wird es sein, den Bischöfen in der Verpflichtung zur Anwendung der großen Intuitionen, die der Geist durch das historische Ereignis des Konzils in der Kirche geweckt hat, an der italienischen Wirklichkeit behilflich zu sein. Das zweite Vatikanum hat der Pastoraltätigkeit neue Wege eröffnet, indem es zu entschiedenerem Einsatz in bestimmten Bereichen anspornte, die durch die Entwicklung der sozialen Gewohnheiten besonders neuralgisch geworden sind. Man denke unter anderem nur an den weiten Bereich der Ehe- und Familienseelsorge mit den verheißungsvollen Aussichten, aber auch mit den schweren Wunden, die sich hier zeigen. Hinzukommt der Bereich der Jugenderziehung und darin die Pastoral der Berufe mit den damit zusammenhängenden Problemen der theologischen und spirituellen Ausbildung der Anwärter auf das Priesteramt. Und nicht vergessen darf ich den Bereich der Glaubenslehre und der Katechese, der in der heutigen pluralistischen und säkularisierten Umwelt von den Bischöfen beharrliches Bemühen verlangt mit besonders aufmerksamem Blick für die Bedürfnisse der Universitätszentren und der höheren Bildung. Die Aufzählung ließe sich noch fortsetzen. Diese kurzen Hinweise mögen jedoch genügen, um die weiteren Bereiche von Forschung und Angebot hervorzuheben, die sich dem Einsatz der Kommissionen öffnen, die eine um so ausgeprägtere Arbeit leisten werden, je größer die Zuständigkeit und Hingabe der zur Teilnahme berufenen Mitglieder ist. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe wird man sich um eine ständige Verbindung zu den Sonderorganen des Hl. Stuhls kümmern müssen, um die volle Harmonie zwischen den auf nationaler Ebene beschlossenen Initiativen und den pastora-len Weisungen und Richtlinien der katholischen Kirche in ihrer Gesamtheit sicherzustellen, 6. Ehrwürdige Brüder im Bischofsamt! Die vielfachen Schwierigkeiten der heutigen Zeit können in eurem Herzen ein verständliches Gefühl von Sorge und manchmal auch von Bitterkeit hervor-rufen. „Euer Herz lasse sich nicht verwirren“ (Joh 14,1). Man muß Zuversicht haben. „Das menschliche Herz kann — wie ich bei anderer Gelegenheit zu 1121 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN euch sagte — auf verschiedene Weise verwirrt werden: es kann verwirrt werden von der Furcht, die die inneren Kräfte lähmt; aber auch von jener Furcht, die aus der Sorge um etwas sehr Gutes, um eine große Sache erwächst, von der schöpferischen Furcht, würde ich sagen, die sich als tiefes Verantwortungsgefühl erweist“ (Insegnamenti II, 1979,1130). Die Aufgabe, die uns erwartet, ist wirklich eine, die ein ähnliches Verantwortungsgefühl der Furcht her-vorrufen kann. Aber wir wissen, daß wir eine bedeutsame Sache für das Wohl des Gottesvolkes, eine gerechte Sache verfolgen. Wir sind uns bewußt, daß wir diesem Volk dienen, daß wir es lieben, daß wir wirklich sein Bestes wollen. Wir haben jedoch Vertrauen in Christus; wir vertrauen auf seinen Schutz und auf die Fürsprache der Jungfrau Maria. Wir vertrauen außerdem auf die stete und starke Glaubenstradition unseres italienischen Volks, auf seine Klugheit, auf die Weisheit seiner christlichen Kultur. Der Apostolische Segen, den ich euch, liebe Mitbrüder, euren Priestern, den mit euch in den pastoralen Aufgaben verpflichteten Laien und allen Gläubigen eurer Teilkirchen von Herzen als Unterpfand des göttlichen Schutzes erteile, gereiche euch zum Trost. Kirche sollte direkt auf „Medien-Kanzel“ präsent sein Ansprache an die Vollversammlung der Päpstlichen Kommission für die sozialen Kommunikationsmittel am 27. Februar Meine lieben Brüder im Bischofsamt! Liebe Freunde in Christus! 1. Es ist wirklich eine Freude für mich, bei euch zu sein, während ihr zusammengekommen seid, um die Wege zu erörtern, wie die Kommunikationsmittel dazu benützt werden können, die Botschaft von Gottes Liebe mitzuteilen, die Frohbotschaft Christi besser bekanntzumachen. Vor fünfzehn Jahren veröffentlichte eure Kommission im Auftrag des Zweiten Vatikanischen Konzils (Inter mirifica, Nr. 23) die Pastoralinstruktion Com-munio et progressio über die Kommunikationsmittel, die öffentliche Meinung und den menschlichen Fortschritt. Das Thema für den diesjährigen Welttag der sozialen Kommunikationsmittel — der gleichfalls auf Weisung des Zweiten Vatikanischen Konzils begangen wird — lautet: „Soziale Kommunikationsmittel und die christliche Formung der öffentlichen Meinung“. 1122 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Dieses Thema scheint auch die Ziele der Päpstlichen Kommission gut zusammenzufassen: durch die verschiedenartigen Kommunikationsmittel die Aktivität der Kirche in der Welt dahingehend zu fördern und zu unterstützen, damit sie die Gläubigen und alle Menschen guten Willens in wahrhaft menschlichen und christlichen Werten erziehen und bilden. Bei dieser wichtigen und heiklen Aufgabe fühlt sich die Päpstliche Kommission aufgerufen, in erster Linie zu Initiativen zu ermutigen, deren Ziel die Verbreitung der Botschaft Christi und die wahre Lehre der Kirche ist. Insbesondere wird sie die Bemühungen im Bereich der sozialen Kommunikationsmittel fördern und unterstützen, die von Sonderkommissionen bei den einzelnen Bischofskonferenzen unternommen werden. Ebenso wird sie auf diesem Gebiet die Arbeit der internationalen katholischen Organisationen unterstützen. 3. In dem vor fünfzehn Jahren ausgearbeiteten Dokument stellte eure Kommission fest: „Mehr als je zuvor wird die Denk- und Lebensweise der Menschen zutiefst von den Kommunikationsmitteln beeinflußt“ (Communio etprogressio, Nr. 1). Welche Haltungen und Werte schöpfen die Menschen aus den Massenmedien? In welcher Weise leben und denken sie unter dieser tiefen Beeinflussung? Eine Methode ist die durch Modellrollen. Die Kommunikationsmittel machen manche Leute besonders bekannt. Solche Popularität oder Allbekanntheit bringt eine gewisse Glaubwürdigkeit oder zumindest eine Macht der Beeinflussung mit sich. Die führenden -Persönlichkeiten und Hauptdarsteller in den Massenmedien sollten sich vergegenwärtigen, welchen Einfluß sie haben und was für eine Verantwortung solcher Einfluß darstellt. Die Menschen werden oft dazu verleitet, das Verhalten der Berühmtheiten nachzuahmen oder zumindest hinzunehmen; und der von den Massenmedien verschaffte Ruhm kann dazu benützt werden, zu Güte und Hochherzigkeit zu inspirieren oder aber allem Anschein nach der Selbstsucht und Sünde Beifall zu zollen. Der Kirche obliegt die besondere Verantwortung, diejenigen, die einen solchen Einfluß über andere ausüben, sich ihrer eigenen gottgeschenkten Würde und ihrer besonderen Berufung zu erinnern, nicht nur in den Rollen, die sie vorziehen, oder in öffentlichen Äußerungen ein gutes Beispiel zu geben, sondern besonders in ihrem Privatleben, das so viele andere als Vorbild oder doch wenigstens als Rechtfertigung für ihr eigenes Tun betrachten. Euer Dienst an den in den Kommunikationsmitteln Tätigen sollte daher nicht nur Offenheit, nötige Information und technischen Rat einschließen, sondern insbesondere Sensibilität für intensiven Druck, dem Kommunikatoren ausge- 1123 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN setzt sein können, und ihr besonderes Bedürfnis nach moralischer und geistiger Unterstützung und Ermutigung. 4. Eine andere Methode, die die öffentliche Meinung stark beeinflußt, ist die Auswahl des zu behandelnden Materials oder die Wahl des einzuschlagenden methodischen Weges. Wie kommt es z. B., daß in den oft lobenswerten Berichten über die Verletzung von Menschenrechten, die von den Nachrichtenmedien durchgegeben oder in Fernseh- oder Rundfunkprogrammen dargestellt werden, das Recht der Person auf Ausübung und Verkündigung ihres religiösen Glaubens so oft übersehen wird? Wie kommt es, daß das Recht der Eltern, nicht nur Kinder zu haben, sondern jene Kinder auch ihrem Gewissen entsprechend zu erziehen, so oft unbeachtet bleibt? In vielen Fällen wird die Festlegung des Handelns der modernen Gesellschaft zutiefst von den Nachrichten- und Unterhaltungsmedien beeinflußt, und jene, die sich zum Handeln entscheiden, sollten ihre Pflicht wahrnehmen, nicht nur zum materiellen Fortschritt, sondern besonders zum moralischen und geistigen Wohl der Menschheitsfamilie beizutragen. 5. Bei der Auswahl der Vorbilder, die nachgeahmt, der Themen, die behandelt werden, und der methodischen Wege, die eingeschlagen werden sollen, sollten die Verantwortlichen in den Massenmedien eifrig darum bemüht sein, auf einen öffentlichen moralischen Konsens, auf den Aufbau einer, wie einige Denker es genannt haben, „öffentlichen Philosophie“ hinzuarbeiten. Eine solche öffentliche Philosophie müßte natürlich eine Anerkennung der Notwendigkeit persönlicher Ehrenhaftigkeit und Integrität, eines gesunden und stabilen Familienlebens, verantwortungsbewußter Verwaltung des persönlichen Besitzes, Gemeinschaftsbewußtsein und Sorge für die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft einschließen — die Kranken, die Behinderten, die älteren Menschen, die Jugend, die Armen und in unseren Tagen besonders die Ungeborenen, die die schwächsten und schutzlosesten Glieder der menschlichen Gesellschaft sind. Man hat gesagt, daß Zeitungskolumnen, Rundfunkmikrophone und Fernsehkameras eine Kanzel darstellen, von der die moderne Gesellschaft einen Großteil ihrer moralischen und geistigen Orientierung bezieht. Wenn das stimmt, ist es wichtig und wesentlich, daß die Kirche sich nicht nur an der Formulierung der öffentlichen Philosophie beteiligt, die die gemeinsamen Werte der heutigen Gesellschaft darstellen will, sondern auch direkt auf dieser neuen Kanzel präsent ist: mit ihren eigenen Zeitungen und Zeitschriften, ihren eigenen Rundfunk- und Fernsehstationen und -programmen, ihrer eigenen Stimme der Wahrheit und der Liebe. 1124 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 6. Es gibt Leute, die meinen, alles, was nicht von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen aufgegriffen und berichtet wird, sei nicht von Belang. Es ist also unerläßlich, daß die Kirche nicht nur dafür arbeiten sollte, die Anerkennung gesunder sittlicher und geistiger Werte durch Presse, Kino, Rundfunk und Fernsehen zu erreichen, sondern sie sollte direkt durch die modernen Kommunikationsmittel das Evangelium verkündigen. Wenn diejenigen, die Handelsprojekte und berufliche Dienste zu fördern trachten, es für wesentlich halten, ihre Botschaft durch die Massenmedien der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nahezubringen, wie kann es dann die Kirche versäumen, die unschätzbare Botschaft des Evangeliums über die Massenmedien zu verkünden und zu verbreiten? Die Kirche hat also einen Dienst an den Kommunikatoren und einen Dienst der Kommunikation. Innerhalb der Kirche vermag dieser zweifache Dienst jene Gemeinschaft in Christus zu fördern, die von der letzten Bischofssynode so nachdrücklich betont wurde. In der ganzen Welt kann dieser Dienst die Gemeinschaft fördern, auf die es so wesentlich ankommt bei der Gliederung und Formulierung einer brauchbaren öffentlichen Philosophie und bei der Erreichung eines wahren Friedens. Er kann die Anerkennung der Rechte und Verantwortlichkeiten jeder Person als Kind Gottes fördern — Gottes, der uns das Leben selbst und seine Heilsbotschaft durch das menschgewordene Wort, unseren Herrn und Erlöser Jesus Christus, mitgeteilt hat. Ich bin euch allen zutiefst dankbar für eure Mitbeteiligung am Evangelium und für alles, was ihr durch die sozialen Kommunikationsmittel tut, „damit das Wort des Herrn sich ausbreitet und verherrlicht wird“ (2 Thess 3,1). „In die Sichtweise der Kirche eintreten, wenn man von der Kirche spricht“ Ansprache bei der Audienz für italienische und ausländische Journalisten am 28. Februar Meine Damen und Herren Journalisten! Liebe Freunde! 1. Ich freue mich über diese Audienz wie über jede Begegnung mit Vertretern der Welt des Journalismus, der ich mich nahe fühle und die ich sehr schätze. Sie sind Werkleute, Diener, Meister des Wortes. Sie spielen wichtige und schwierige, in sich und in ihrer Ausstrahlung vielfältige Rollen. Zahlreiche Aspekte Ihrer vortrefflichen und mühsamen Arbeit bieten Ihnen besondere 1125 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gelegenheiten zur Zusammenarbeit mit der eigentlichen Sendung der Kirche, die in der Verkündigung des Wortes besteht. Diese einzigartige Verwandtschaft erklärt die Aufmerksamkeit, die die Kirche für Sie hatte und hat. Ich empfange Sie darum mit Gefühlen der Wertschätzung, des Verständnisses und der Freundschaft und heiße Sie ganz herzlich willkommen. Ich begrüße vor allem die Leiter der Italienischen Katholischen Presse-Union Latiums und danke Ihnen dafür, daß Sie wie schon öfter zu Jahresbeginn die sympathische Initiative in die Wege geleitet haben, die Sie hier zusammengeführt hat. Einen besonderen Gruß richte ich an die Familienangehörigen, die Sie begleiten. Ihre willkommene Anwesenheit, liebe Brüder und Schwestern, läßt das Klima der Herzlichkeit, von dem unsere Begegnung durchdrungen ist, noch stärker empfinden. Ich danke Ihnen daher für Ihre Teilnahme. 2. „Auf der Suche nach einer neuen Identität des Journalisten“ lautet das Thema des Round-table-Gesprächs, dem Sie sich, gleichsam als Vorspiel dieser Begegnung, soeben gewidmet haben. Das ist ein bedeutsames Problem. Es ist gewissermaßen ein immerwährendes Problem. Welches auch der ihm anvertraute Bereich im weiten Feld der Massenmedien sein mag, der Journalist, der seinen Beruf ernsthaft ausübt, fühlt sich ständig zu einer derartigen Analyse gedrängt, um sich seine Funktionen und seine Verantwortung in der modernen Welt stärker bewußt zu machen. In unserer Zeit ist diese Suche von besonderer Dringlichkeit. Denn der Journalismus befindet sich an Kreuzpunkten der Phänomene, die die schwindelerregenden Veränderungen des planetarischen Zeitalters anzeigen. Veränderungen der Mentalität und Lebensweisen in enger Abhängigkeit von dem beschleunigten Tempo der sogenannten technologischen Revolution, das weitgehend die Veränderungen bestimmt, die wir alle im Gefüge der Gesellschaft und auf dem Antlitz der Zivilisation kennen. Neben neuen Möglichkeiten entstehen neue Schwierigkeiten. 3. Schwerwiegende Wahlen sind zu treffen. Zuvor aber drängt sich eine Grundentscheidung auf, die den ursprünglichen Zweck des Journalismus, der dieses Namens würdig ist, bedenken muß: nämlich den Dienst der sozialen Kommunikation, die dazu bestimmt ist, das Erkenntnis- und Bildungsgut des einzelnen zu bereichern und der Gemeinschaft ein wirksames Instrument für ihr gesellschaftliches, geistiges und sittliches Wachstum anzubieten. Das zugrundeliegende Kriterium, mit dem die Lösung der verschiedenen auftretenden Probleme zusammenhängt, kann nur die Respektierung der Wahrheit sein; eine absolute und völlige Respektierung, bar jeder Zweideutigkeit, 1126 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN fern jeder Spitzfindigkeit, verbunden hingegen mit jenen menschlichen Gaben, die von der Natur aus die Wahrheit kennzeichnen und die wertvolle Ausrüstung der beruflichen Ernsthaftigkeit und Rechtschaffenheit bilden. Unvermeidlich in die Macht und Schnelligkeit der technischen Nachrichtenübermittlung verwickelt, muß der Journalist das Gewicht der eigenen Verantwortung spüren. Und daher muß er ein Mann der Wahrheit sein. Die Haltung, die er der Wahrheit gegenüber einnimmt, ist das entscheidende Kennzeichen seiner Identitätskarte, ja seines beruflichen Profils als Informationsfachmann in Richtung einer zweifachen Treue: zuerst und vor allem Treue zu seiner Sendung; sodann Treue zu dem Vertrauensbündnis mit denen, an die sich sein Dienst richtet. Man muß den Mut und die Aufrichtigkeit besitzen, offen auszusprechen, daß sämtliche Formen der Fälschung und Entstellung, für die es leider nicht an aufsehenerregenden Beispielen fehlt, eine tatsächliche Entartung des Journalismus sind. Die Berufsverbände und -Organisationen — besonders die katholischen — sollen nicht zögern, das zu einem Qualifizierungsmerkmal bei der Behandlung der laufenden Problematik zu machen. 4. Die Respektierung der Wahrheit erfordert einen ernsthaften Einsatz, ein sorgfältiges und gewissenhaftes Bemühen der Ermittlung, Überprüfung und Bewertung. An dieser Stelle möchte ich den Blick kurz auf den kirchlichen Horizont beschränken. Mein Vorgänger Johannes Paul I. — der, wie Sie wissen, mit dem Journalismus in besonderer Weise vertraut war — hat in einer Ansprache an die Vertreter der sozialen Kommunikationsmittel in dieser Aula in liebenswürdiger Art die Notwendigkeit betont, „in die Sichtweise der Kirche einzutreten, wenn man von der Kirche spricht“. Und er setzte hinzu: „Ich bitte Sie aufrichtig, auch von Ihrer Seite dazu beizutragen, in der Gesellschaft von heute ein tiefgründiges Nachdenken über die Dinge Gottes und die geheimnisvolle Beziehung zwischen Gott und einem jeden von uns zu wahren, welche in dieser menschlichen Wirklichkeit die Dimension des Heiligen bildet“ (.Ansprache an die Journalisten am 1. September 1978: Wort und Weisung, 1978, II, 53). Das, liebe Journalisten und Freunde, ist auch meine Bitte und Einladung. Ihre Berichte — die für mich eines der Mittel für mein Gespräch mit den verschiedensten Denkrichtungen sind — soweit als möglich verfolgend, möchte ich dankbar den Beitrag hervorheben, den Sie zur Kenntnis der kirchlichen Wirklichkeit leisten. Doch das ist nicht immer so. Mitunter wird die „Sichtweise der Kirche“ ignoriert und entstellt. Lehren und Tätigkeiten beurteilt man mit Voreingenommenheit, statt sie sorgfältig und genau zu prüfen; dabei wird die objektive 1127 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Information der subjektiven Interpretation geopfert oder zunichte gemacht. Und so wird der Wahrheit noch eher als der Kirche eine Wunde zugefügt. Diese Beobachtung erstreckt sich darum, auch wenn sie die Kirche betrifft, auf die ganze Dynamik der Wahrheit, die alle echten Werte umfaßt. Es genügt zu erwähnen, daß die Wahrheit die untrennbare Verbündete der Freiheit der Meinungsäußerung und damit der wichtigste Faktor des Fortschritts in allen Bereichen des menschlichen Lebens ist. Nicht umsonst ersinnen die Regime, die die Freiheit unterdrücken, für den eigenen Gebrauch „Wahrheiten“, die freilich nichts anderes als offensichtliche Lügen sind. Hier kommt mir spontan der Hinweis auf die heroische Gestalt des Priesters und Karmeliten Titus Brandsma in den Sinn, den ich zu meiner Freude in die Schar der Seligen eingereiht habe. Als tüchtiger Journalist, der wegen seiner tapferen Verteidigung der katholischen Presse in einem Konzentrationslager interniert und getötet wurde, bleibt er der Märtyrer der freien Meinungsäußerung gegen Tyrannei der Diktatur. 5. Besondere Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten erwachsen aus der katholischen Berufung zum Journalismus. Zwanzig Jahre nach dem Konzil, nach einem begeisternden, aber auch nicht von Schwierigkeiten freien Zeitabschnitt und kurz nach der außerordentlichen Bischofssynode, die uns die Orientierungen und Weisungen des Konzils wieder vor Augen gestellt hat, sind die katholischen oder katholisch inspirierten Medien der sozialen Kommunikation zu Aufgaben von tiefer Auswirkung aufgerufen: zur Verbreitung von Nachrichten und Meinungen, die vom wahren kirchlichen Glauben erhellt sind. Ich möchte mich nur an den Beitrag zum Dialog erinnern, den die Kirche angeknüpft hat und beharrlich in vielfältiger Weise sowohl auf menschlicher und religiöser Ebene wie in ihrem eigenen innerkirchlichen Bereich weiterentwickelt. Von lebendiger Aktualität bleiben die Kapitel, die Paul VI. in seiner Enzyklika Ecclesiam suam diesem faszinierenden Thema gewidmet hat; darin vertraut er auch der Presse seine weitblickenden Sorgen über das Thema an. Im Rahmen des menschlichen Gesprächs „beweist der Dialog das Bestreben nach Korrektheit, Wertschätzung, Sympathie, Güte auf seiten dessen, der ihn aufnimmt; er schließt eine aprioristische Verurteilung, eine beleidigende und gewohnheitsmäßige Polemik und eitles, unnützes Reden aus. Wenn er auch gewiß nicht auf eine Bekehrung des Partners abzielt, da er seine Würde und Freiheit achtet, so sucht er dennoch dessen Vorteil und möchte ihn zu einer vollständigen Einheit der Gesinnung und Überzeugung führen“ (ES 81). Diese Merkmale sind kennzeichnend für die Gesprächsbeziehungen des innerkirchlichen Dialogs, der durch die Stimme der legitimen Mannigfaltigkeit die 1128 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Einheit stärken und eine immer bewußtere und reifere öffentliche Meinung bilden soll. Ein Dialog, der daher „mit Eifer und Familiengeist“ gepflegt werden soll, der „empfänglich ist für jede Wahrheit, jede Tugend, für alle uns überkommenen Schätze der Lehre und des geistlichen Lebens“, „zutiefst durchdrungen von echter Frömmigkeit, bereit, die vielfältigen Anregungen unserer Zeit aufzugreifen“, „fähig, die Katholiken zu wahrhaft guten, weisen, freien, frohen und starken Menschen zu machen“, wie mein Vorgänger gleichfalls in Ecclesiam suam (Nr. 117) schrieb. Zu so ernsten und schwierigen Aufgaben bedarf es jener inneren Bereicherung, die der Katholik aus einer ständigen geistlichen Formung gewinnt. Titus Brandsma hätte nicht der Dozent, der Journalist, der Schriftsteller sein können, der er in dem Sturm eines schrecklichen Dramas gewesen ist, wenn er nicht aus der Quelle eines intensiven persönlichen geistlichen Lebens geschöpft hätte. 6. Liebe Journalisten! Gestatten Sie, daß ich Sie zum Abschluß unserer Begegnung auffordere, stets das Gewicht auf die positiven und bereichernden Aspekte Ihres Berufes zu legen. Die Komplexität von Situationen und Problemen angesichts drohender radikaler Veränderungen läßt unvermeidlich die Schwierigkeiten dieser schon an sich sehr anspruchsvollen Arbeit Sichtbarwerden. Doch die Schwierigkeiten sollen Sie nicht entmutigen. Sie sollen vielmehr stärker das Gute heraussteilen, das in den Herzen und in den veschiedenen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens durch Ihre besondere Arbeit in Umlauf gebracht werden kann. Sie gehören gewissermaßen zu den qualifizierten Vorkämpfern des Dialogs in verschiedensten Kreisen und befinden sich unter denjenigen, die die öffentliche Meinung bilden: so habe ich es in der Botschaft zum nächsten Welttag der sozialen Kommunikationsmittel gesagt, der den Beitrag der Massenmedien zur christlichen Bildung der öffentlichen Meinung zum Thema haben wird. Sie haben Zielsetzungen von unermeßlicher Tragweite vor sich. Seien Sie stolz darauf. Aus ganzem Herzen wünsche ich Ihnen bestes Gelingen bei der Erfüllung Ihrer Aufgaben und rufe auf Ihre Tätigkeit und auf Sie persönlich sowie auch auf alle Ihre Lieben alle Gnaden des Himmels herab mit meinem Apostolischen Segen. 1129 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dem Leben gegenüber „ein lebendiges Ja“ Ansprache an die Teilnehmer des von der Internationalen Vereinigung für das Recht auf Leben veranstalteten Seminars „Pro Vita“ am 1. März Liebe Freunde! 1. Ich freue mich, Sie als Teilnehmer an dem von der Internationalen „Vereinigung für das Recht auf Leben“ veranstalteten Seminar im Vatikan willkommen zu heißen. Sie sind aus einer gemeinsamen Sorge um das menschliche Leben nach Rom gekommen in dem Bestreben, Ihr Verständnis kritischer Fragen, den Schutz menschlichen Lebens vom Augenblick der Empfängnis bis zum natürlichen Tod betreffend, zu vertiefen. Dazu drängt Sie die feste Überzeugung von der hohen Würde und dem Wert jeder menschlichen Person, gleichgültig wie schwach oder ungeschützt durch das Gesetz sie sein mag. Ich bin glücklich über diese Gelegenheit, Ihnen Ermutigung und Gebetshilfe bei Ihren wichtigen Bemühungen anbieten zu können. 2. Die Arbeit, in der Sie engagiert sind, erfordert ein klares Verständnis aller damit in Zusammenhang stehenden Probleme sowie persönlichen Mut und geduldiges Ausharren. Sie kommen aus den verschiedensten Lebensbereichen und sozialen Verhältnissen, aber bei Ihren Bemühungen, das Recht auf Leben zu schützen, haben Sie jede Kritik und organisierten Widerstand erfahren müssen. An unzähligen Orten überall auf der Welt steht die Bewegung für das Leben in direktem Widerspruch zu bestimmten herrschenden Tendenzen in der Gesellschaft. In diesem Zusammenhang erscheint der Rat des hl. Paulus in seinem Brief an die Römer für Sie besonders bedeutsam. Er schreibt: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist“ (Röm 12,2). Erforderlich ist der Mut, die Wahrheit klar, offen und unerschrocken zu sagen, aber niemals mit Haß oder Respektlosigkeit gegenüber Personen. Wir müssen fest davon überzeugt sein, daß die Wahrheit die Menschen frei macht (vgl. Joh 8,32). Nicht unsere eigene überzeugende Beweisführung oder persönliche Redegabe, so hilfreich diese sein mögen, sondern die Wahrheit selbst ist die erste Quelle von Freiheit und Gerechtigkeit. Für das Leben sein, das Recht auf Leben verteidigen bedeutet also, sich für die Wahrheit einzusetzen, besonders für die Wahrheit von der von Gott geschenkten Würde und dem Wert jedes Menschen. Es ist sehr ermutigend zu sehen, wie viele Menschen guten Willens überall in der Welt die Wahrheit von Herzen annehmen, wenn sie ihnen mit Fakten 1130 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und überzeugenden wissenschaftlichen und moralischen Begründungen vorgelegt wird. 3. Ich lobe Sie in Ihrem Wunsch, die Zusammenarbeit unter allen Einzelpersonen und Gruppen zu fördern, die in der Bewegung für das Recht auf Leben engagiert sind. Denn nur durch vereinte Bemühungen und wirksame Solidarität werden die ersehnten Ziele erreicht. Ihre Organisation ist mit Recht mit einem weiten Kreis von Problemen in bezug auf das menschliche Leben befaßt. Zugleich wissen Sie um die Notwendigkeit, sich auf besondere Probleme zu konzentrieren, die dringende Aufmerksamkeit und aktives Handeln verlangen, wie die Übel der Abtreibung, der Kindestötung und der künstlichen Empfängnisverhütung, also auf alles, was eng mit der Lehre der Kirche verknüpft ist. Alle Bemühungen, die Sie unternehmen, sollten ein konsequenter Ausdruck einer ganzheitlichen Lebensphilosophie sein, die sich auf den Glauben gründet, daß Gott der Herr und Spender allen Lebens ist. 4. Sie wissen, daß die Kirche Ihre Sorgen teilt. Sie sieht es als einen wichtigen Teil ihrer Sendung an, für den Schutz und die Würde menschlichen Lebens zu arbeiten und der lebensfeindlichen Gesinnung entgegenzutreten, die alle Menschenrechte bedroht. Wie ich in meinem Apostolischen Schreiben über die Rolle der christlichen Familie in der Welt von heute feststellte: „Die Kirche ist fest überzeugt, daß das menschliche Leben, auch das schwache und leidende, immer ein herrliches Geschenk der göttlichen Güte ist. Gegen Pessimismus und Egoismus, die die Welt verdunkeln, steht die Kirche auf der Seite des Lebens; in jedem menschlichen Leben weiß sie den Glanz jenes ,Ja‘, jenes ,Amen‘ zu entdecken, das Christus selbst ist. Dem ,Nein‘, das in die Welt einbricht und einwirkt, setzt sie dieses lebendige ,Ja‘ entgegen und verteidigt so den Menschen und die Welt vor denen, die das Leben bekämpfen und ersticken“ (Familiaris consortio, Nr. 30). Seien Sie also meines großen Interesses an Ihren wertvollen Bemühungen und Vorhaben gewiß. Ich bin davon überzeugt, daß das Ausmaß und die Bedeutung des Einflusses der Bewegung für das Leben auf die Welt und der volle Wert ihres Beitrags für die Menschheit erst dann angemessen erkannt wird, wenn die Geschichte dieser Generation geschrieben wird. Möge Ihr lebendiger Beitrag wahrhaftig von Gott gesegnet werden, „in dem wir leben, uns bewegen und sind“ (Apg 17,28). Möge er Sie mit seiner Gnade und Liebe stärken. Möge er Sie und Ihre Familien mit seinem Frieden segnen. 1131 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ein Akt „sinnloser Gewalt“ Beileidstelegramm an den schwedischen König Carl XVI. Gustaf anläßlich der Ermordung des Premierministers Olof Palme vom 2. März Zum Tod von Premierminister Olof Palme spreche ich Euer Majestät und der Regierung und den Bewohnern Ihres Landes meine tiefe Anteilnahme aus. Ich teile Ihre Erschütterung und Ihren Schmerz über diese Bekundung sinnloser Gewalt und bitte den allmächtigen Gott, alle Männer und Frauen dahin zu führen, auf jeden Akt des Hasses zu verzichten und zum Aufbau der brüderlichen Harmonie und des Friedens zusammenzuarbeiten. PAPST JOHANNES PAUL II. Mutig sein bedeutet geduldig sein Ansprache an den römischen Klerus am 4. März Liebe Brüder! 1. Ich sage es nicht zum erstenmal und möchte es doch auch heute wiederholen: diese unsere Begegnung hat für mich fundamentale Bedeutung. Der Kardinal hat soeben gesagt, daß der Papst, auch wenn er andere Kontinente besucht, sich immer als „Bischof von Rom“ vorstellt. Man kann nicht Papst sein, ohne Bischof von Rom zu sein: das ist eine dogmatische und ekklesiologische Wahrheit; wenn ich also als Papst Bischof von Rom bin, bin ich eigentlich als Bischof von Rom Papst. Man versteht daher, warum die Versammlung der römischen Priesterschaft mit pastoralem Charakter für mich fundamentale Bedeutung hat. 2. Ich möchte allen danken, die im Verlauf dieser Versammlung oder bei der Diskussion das Wort ergriffen haben. Der Kardinal hat zu Beginn betont, daß sich der Stil dieser Begegnungen mit dem Klerus von Rom während der Fastenzeit gewandelt hat. Gott sei Dank! Es stimmt, daß der Papst den Glauben lehren und wie alle anderen Bischöfe Lehrer des Glaubens sein muß. Doch ihr wißt gut, daß man, um zu lehren, erst lernen und um zu reden, erst hören muß. 1132 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Diese Pastoralversammlung des Klerus von Rom in der Fastenzeit ist daher sehr wertvoll für mich, für meine Aufgabe als Hirt, als Bischof, als Bischof von Rom, der seine Lehre der ganzen Kirche, und an erster Stelle der Kirche von Rom zu vermitteln hat. Ich danke euch daher, daß ihr mir Gelegenheit gebt, zu hören, Zeuge einer Auseinandersetzung, einer Analyse zu sein. Die Eigenart dieser Begegnung liegt darin, daß sie eine Begegnung des gemeinschaftlichen Nachdenkens ist. Wir wollen alle über die gleiche Wirklichkeit nachdenken, nämlich über die Kirche von Rom, und wollen alle zu ihrer Überprüfung unseren Beitrag leisten. Der apostolische Auftrag und die pastorale Arbeit brauchen Analysen, wie wir sie heute vorgenommen haben. 3. Der gegenwärtige Augenblick, der Beginn der Fastenzeit 1986, ist wesentlich gekennzeichnet durch verschiedene kirchliche Ereignisse des vergangenen Jahres 1985, Ereignisse mit reichem Inhalt und voll pastoraler Bedeutung. An erster Stelle möchte ich das Symposium der europäischen Bischöfe nennen. Auch dort wurde eine Analyse vorgetragen, die pessimistisch erscheinen konnte, denn es war viel die Rede von der Säkularisierung der europäischen Länder. Es wurde aber auch ein positiver, mutiger und apostolischer Vorschlag gemacht: Man sagte, Europa brauche eine Neuevangelisierung, und dies ist eines der Schlüsselwörte. Dann fand im letzten Jahr ein weiteres Ereignis von universaler Bedeutung statt, die außerordentliche Bischofssynode. Wir wissen gut, welches die Erwartungen und Vorhersagen waren, aber alles wurde überholt von der Wirklichkeit der Synode. Diese aber hat uns gesagt, daß die Neuevangelisierung sich auf allen Kontinenten und in jeder Diözese auf die Lehre des II. Vatikanischen Konzils stützen muß, weil dieses uns den Inhalt der Neuevangelisierung bietet, wie sie den Erwartungen und Bedürfnissen unserer Zeit entspricht. Das wäre sozusagen ein zweites Schlüsselwort, und ich möchte noch ein drittes anfügen, das den beiden erwähnten Ereignissen vorausgeht. Ich denke an die Versammlung der italienischen Kirche in Loreto und möchte sagen, daß diese Versammlung, die sowohl dem Symposium der europäischen Bischöfe als auch der außerordentlichen Bischofssynode vorausging, sich in der gleichen Richtung bewegte und erklärte, was die Neuevangelisierung aufgrund der Weisungen und Inhalte des II. Vatikanischen Konzils für Italien bedeuten müsse. Rom liegt in Italien und muß sich daher an der Planung und den Pastoralpro-grammen für ganz Italien beteiligen. Wir haben ja auch gehört, daß die Kirche von Rom natürlich den Pastoralplan der Italienischen Bischofskonferenz (CEI) übernimmt. Wegen dieser Verknüpfung war die Versammlung von Loreto sehr wichtig für den Entwurf des künftigen Weges für unser Apostolat. 4. In diesem Zusammenhang ist das für unsere heutige Begegnung gewählte Thema äußerst passend, denn es sollte gesprochen werden, und es wurde ge- 1133 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sprachen, über die römische Pfarrei, die sich den neuen Generationen gegenüber öffnet, zumal gegenüber jenen unter ihnen, die am fernsten zu stehen scheinen. Es geht also um ein pastorales Thema für die Diözese und die Pfarrei, ein missionarisches Thema. Beim Anhören der verschiedenen Beiträge konnte ich feststellen, daß die hier anwesenden Priester von Rom sich für dieses Thema interessieren und die gleichen Sorgen teilen; daß sie die gleichen oder wenigstens ähnliche Erfahrungen gemacht haben, aber auch von den gleichen Hoffnungen erfüllt sind. Vielleicht ist die aus den Analysen klargewordene Lage nicht neu, wie wir alle aufgrund unserer Erfahrungen in den verschiedenen Pfarreien wissen. Da ist von den jungen Generationen die Rede, und alsbald wird hinzugefügt: „zumal die Fernstehenden“. Zu Beginn hat der Kardinalvikar gesagt, daß es eine Schicht, vor allem im jugendlichen Alter, aber auch bei den Erwachsenen gibt, die überall wenig präsent zu sein scheint. Man müßte daher eher von einem Sich-Entfernen sprechen. Daran müssen wir denken, darüber nachdenken und darum besorgt sein. Diese Schicht umfaßt die von 18 bis 35/40 Jahre alten Menschen, eine sehr wichtige Altersgruppe, weil diese Menschen sehr viel aktiver sind, wenigstens, wenn man an die Familie denkt, denn sie heiraten und werden Eltern; aber auch im allgemeinen, öffentlichen und sozialen Sinn, weil sie ins Berufsleben eintreten und eine soziale Aufgabe in Stadt und Gesellschaft übernehmen. Unsere Sorge ist berechtigt, wir müssen sie uns machen, und ich teile sie. Andererseits darf uns diese Sorge nicht mutlos machen, wie Kardinal Poletti sehr richtig gegen Ende gesagt hat: sie darf uns nicht entmutigen. 5. Vielleicht sollten wir ganz kurz überlegen, was „Fernstehen“ oder „Sich-Entfernen“ meint. Ich habe mit zahlreichen Pfarrern und ihren Kaplänen gesprochen, bevor ich ihre Pfarreien besuchte, und oft habe ich nach eurem Verhältnis zu den Pfarrangehörigen gefragt. Tatsächlich ist der sozusagen liturgische Kontakt, vor allem, was die Teilnahme an der Sonntagsmesse angeht, ziemlich ungenügend. Andererseits sagen mir alle Priester Roms, daß sie bei Hausbesuchen überall mit nur wenigen Ausnahmen willkommen sind. Daher frage ich mich: sind diese Fernstehenden nur Personen, die das sakramentale Leben nicht praktizieren und nicht an der Eucharistiefeier teilnehmen, aber keineswegs mit der Kirche gebrochen haben? Ich meine, jene, die gänzlich mit der Kirche brechen, sind gewiß weniger als jene, die nicht regelmäßig in die Kirche kommen. Das soll nicht bedeuten, sie stünden nicht fern; sie sind zu Fernstehenden geworden. Interessant war hier das, was Don Vincenzo Paglia in seinem Bericht über die Jugendgruppen in den Pfarreien im Verhältnis zur Zahl der Jugendlichen in Rom gesagt hat. Er nennt die gleiche Prozentzahl. Man darf also sagen, daß das Sich-Entfernen von der Kirche schon bei den Ju- 1134 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gendlichen beginnt, die weniger als 18 Jahre alt sind. Dieser Aspekt wurde in den abschließenden Überlegungen auch erwähnt. 6. Doch die weitere Frage lautet: Was müssen wir tun? Natürlich war davon aus pastoraler Sicht die Rede, denn wir sollten verstehen, was wir tun müssen; doch glaube ich, daß wir nach den vorgetragenen Untersuchungen nichts anderes tun können als das, was wir bereits tun. Wir müssen also alles, was möglich ist, für jene Gruppe tun, die weniger als 18 Jahre alt ist. Je mehr wir für die Jugendlichen vor diesem kritischen Alter getan haben, vor allem qualitativ, aber auch quantitativ, desto mehr können wir auch für die spätere, kritische Zeit hoffen. Ich denke, diese pastorale Schlußfolgerung ist offenkundig, naheliegend. Doch gewiß handelt es sich um eine rasche Schlußfolgerung nach der Aussprache. Ihr habt noch viel Gelegenheit, euch zu treffen, eure Untersuchungen weiterzuführen und daraus noch bessere seelsorgliche Folgerungen zu ziehen, solche, die praktischer und konkreter den verschiedenen Bereichen angepaßt sind: der Diözese, der ganzen Stadt, den verschiedenen Regionen der Diözese mit den jeweils veranwortlichen Bischöfen, dann im Bereich der Präfekturen und endlich der Pfarreien. 7. Hier ist gleich noch etwas zu bemerken: will man wirksamer mit der jüngeren Schicht und dann natürlich mit der folgenden arbeiten, so ist es klar, daß mehr Seelsorgekräfte, mehr Priester oder mehr Laienapostel vonnöten sind. Daher erhebt sich hier selbstverständlich auch der Gedanke, Jugendliche sollten die Jugendlichen evangelisieren; sehr richtig ist, was einmal der bekannte Pater und spätere Kardinal Cardijn gesagt hat, nämlich, die jungen Arbeiter müßten die ersten Apostel der jungen Arbeiter sein. Das gilt für immer. Doch mit all dem können wir wohl die Gesamtzahlen im Verhältnis ändern, es bleibt aber die Sorge: Wo können wir Trost schöpfen? Wir können sagen, daß Jesus diese Lage, diese Situationen der künftigen Kirche vorausgesehen hat, als er von der kleinen Herde sprach. Christus hat uns vor allem ermutigt, als er sehr realistisch sprach; er unterließ es nie, von den Schwierigkeiten und sogar Verfolgungen zu sprechen. Billigen Trost hat er seinen Aposteln nie zugestanden. Denken wir daran, wie sie zurückkehrten und sagten: „Wieviel Erfolg haben wir gehabt, sogar die Dämonen und Teufel waren uns untertan.“ Doch nicht das soll unsere Sorge sein, es gibt andere wichtige Kriterien. 8. Über die gezogene Schlußfolgerung hinaus müssen wir wohl folgende ziehen: wir müssen unserer Berufung und Sendung treu bleiben. Treu um jeden Preis, wie der hl. Paulus gesagt hat: „sei es gelegen oder ungelegen“, treu also um jeden Preis und in jeder Lage. Dieses Wort Jesu und dann das des hl. Paulus 1135 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zeigen uns den Weg, dem wir innerlich zu folgen haben, wenn wir uns nicht entmutigen lassen, vielmehr des Erfolges sicher sein wollen. In den letzten Wochen habe ich das Interview eines Bischofs gelesen, den ich seit Jahren kenne, nicht hier in Italien, aber ich kenne und schätze ihn sehr. In diesem Interview hat der Journalist dem Bischof die Frage gestellt: „Gewiß stimmt es, Exzellenz, daß sich heute einige bekehren und sich tiefer mit der Kirche identifizieren, aber scheint es nicht, daß die Mehrheit von diesem Prozeß nicht betroffen wird?“ Er, der auch ein recht mutiger Mann ist, antwortete: „Wir müssen Geduld haben. Es wird die Zeit kommen, da auch sie den Weg finden.“ Geduld haben: Man kann Geduld für eine passive Tugend halten, doch das stimmt nicht. Der hl. Thomas wußte das sehr gut, denn er lehrte, daß diese Tugend ein integraler Teil der Tugend des Starkmutes ist. Geduldig sein bedeutet mutig sein, und mutig sein bedeutet geduldig sein. Wir müssen also diese mutige Geduld und diesen geduldigen Mut angesichts der Dinge bewahren, die uns zuweilen Sorge machen, und müssen unser Möglichstes tun; Zusehen, ob wir vielleicht etwas mehr und besser tun können, um unsere Pfarrei und diese unsere Kirche von Rom voranzubringen. Dies ist das letzte Anliegen auch dieser unserer Begegnung. Doch wenn wir dann wieder zur praktischen Arbeit zurückkehren, müssen wir vor allem diesen geduldigen Mut und diese mutige Geduld aufrechterhalten. Und dann das, was man tun kann, was man hören, was man bedenken kann — wie das, was wir hier bei unserer Versammlung als Priestergemeinschaft der Diözese Rom bedacht haben —, wirklich zu tun versuchen. 9. Zu Anfang habe ich gesagt, daß ihr eine Vertretung seid, ja, ihr seid eine zahlreiche, gediegene und sehr tüchtige Vertretung auch für jene, die nicht anwesend sind. Ich möchte nicht nur allen Anwesenden danken, sondern all meinen Mitarbeitern in der Priesterschaft Roms, in all den verschiedenen Pfarreien mit ihren unterschiedlichen Aufgaben in verschiedenen Ämtern. Ich bin euch immer tief verbunden, wie wir Bischöfe gelehrt wurden, mit unseren Priestern verbunden zu sein, und wie auch die Priester mit ihrem Bischof verbunden sein müssen. Ich danke auch meinen engeren Mitarbeitern, den Bischöfen, dem bischöflichen Rat, dem Kardinalvikar, dem Vizeregenten und allen Weihbischöfen Roms, die uns ständig helfen, diese Kirche von Rom in der Neuevangelisierung voranzubringen, wie sie unserer Zeit entspricht, die uns ständig herausfordert. Danken wir Gott, daß wir mit dieser Herausforderung leben können. Schließen möchte ich mit einem Wort, das uns bei den geistlichen Exerzitien im Vatikan unser Prediger, Don Viganö, Großrektor der Salesianer, gesagt hat: „Wir müssen dem Herrn danken, daß wir in dieser schwierigen Zeit leben kön- 1136 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nen und an jener Neuevangelisierung teilnehmen dürfen, die uns mit dem II. Vatikanischen Konzil eröffnet wurde.“ Diese Worte unseres Predigers gebe ich an euch alle weiter, meine geliebten Brüder. Wir müssen wirklich sehr dankbar sein und diesen Dank unserem Gott, der Heiligsten Dreifaltigkeit, aussprechen, zumal dem Guten Hirten, dem einzigen Guten Hirten Jesus Christus, weil er uns diese Möglichkeit schenkt, teilzunehmen an einer Neuevangelisierung, indem wir die Sache des Gottesreiches vorantragen in unseren nicht immer leichten, ja vielmehr recht schwierigen Verhältnissen. Kräfte, die Indiens Zukunft gestalten Schreiben an die vom 9. bis 16. März in Bangalore tagende Nationalkonferenz über die Kultur in Indien An die in Bangalore zur Nationalkonferenz über die Kultur in Indien versammelten Repräsentanten indischer Universitäten und des indischen Kulturlebens! Es macht mir große Freude, Ihnen diese Botschaft zu übersenden, während Sie in Bangalore versammelt sind, um das Thema „Kulturelle Kräfte, denen Indien heute gegenübersteht: die Antwort der Erziehung“ zu studieren. Das ist ein Thema von großer Bedeutung für die Bildung der Jugendlichen, die Indiens Zukunft sind, und für das tiefe Engagement aller Erzieher, die sich für deren kulturellen und sozialen Fortschritt einsetzen. Ich freue mich darüber, daß diese Konferenz von der Gesamtindischen Vereinigung für höhere Christliche Bildung unter der Leitung der Generalsekretärin, Sr. Mary Braganza, organisiert wurde und daß auch der Päpstliche Rat für die Kultur, vertreten durch seinen Präsidenten, Kardinal Paul Poupard, daran teilnimmt. Besonders glücklich bin ich, Ihnen so bald nach meinem jüngsten apostolischen Besuch in diesem Land großartiger religiöser und kultureller Traditionen zu schreiben, Traditionen, die mich tief beeindruckt haben und mir lebendig in Erinnerung bleiben. 1. Erziehung wird als der Prozeß verstanden, durch den die menschliche Person die wahre Form ihres Menschseins entwickelt. Das Ergebnis dieses Prozesses ist bekannt als Kultur. Sie ist eine erhabene Bestrebung aller Menschen, weil wir durch die Kultur unserem Menschsein Ausdruck verleihen. Durch die 1137 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kultur kann der einzelne seine Talente, Interessen und Wünsche zum Einsatz bringen; Kultur ist ein Mittel, durch das der Mensch die — für alle anderen Freiheiten so notwendige — wahre Freiheit des Geistes erlangt. Doch diese Freiheit ist nicht ohne Verantwortung: der Mensch muß nämlich seine Stellung im Universum begreifen, er muß die anderen Menschen lieben und die Wahrheit und Schönheit Gottes anerkennen. Diese Werte möchten Sie in Ihrer Sendung als Lehrer und Erzieher fördern. Während meines kürzlichen Besuches konnte ich zu meiner Freude bezeugen, daß das Wesensmerkmal indischer Kultur in ihrer Betonung spiritueller und moralischer Werte besteht. Wie ich in meiner Ansprache an die Repräsentanten der verschiedenen religiösen und kulturellen Traditionen in Neu Delhi sagte: „Was Indien insbesondere bietet, ist eine vornehme spirituelle Auffassung vom Menschen — der Mensch, ein Pilger des Absoluten, der einem Ziel entgegengeht und das Antlitz Gottes sucht... Wenn wir die Wahrheit über den Menschen verkünden, bestehen wir darauf, daß das Streben des Menschen nach zeitlichem und sozialem Wohlstand und nach voller Menschenwürde dem tiefen Sehnen seiner spirituellen Natur enspricht“ (2. Febr. 1986, Nr.3.7: OR, dt., 21.2.1986,13). Seit ältesten Zeiten hat Indien versucht, seine Zivilisation auf der Grundlage seines Verständnisses der Natur des Menschen und seiner Beziehung zum Absoluten oder zu Gott aufzubauen. 2. Indische Kultur schenkt der geistigen Seele, dem inneren Sinnen und den verschiedenen Bewußtseinsebenen durch Meditationspraxis starke Aufmerksamkeit. Wissenschaftliche Erkenntnisse haben sich natürlich auch als fruchtbar, nützlich und praktisch erwiesen, und als Erzieher müssen Sie wissenschaftliche Disziplinen pflegen und fördern. Die Wissenschaft kann zu einem unerläßlichen Verbündeten bei der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung einer Nation werden. Aber wie wir wissen, neigte die Wissenschaft mitunter dazu, die tiefere Natur des menschlichen Geistes nicht zu beachten, was die ganzheitliche Entwicklung der einzelnen Person und der Gesellschaft verhindert. Ihre eigene Kultur ist so ungemein reich, weil sie sich ständig um die Aufhellung des Geheimnisses des Menschen bemüht. Die moralische Dimension der indischen Kultur wird außerdem offenkundig, wenn wir berücksichtigen, daß ein gebildeter Mensch in Indien ein erzogenes, diszipliniertes Individuum ist, das seine natürlichen Neigungen unter Kontrolle gebracht und sich in Übereinstimmung mit dem Ideal entwickelt hat, das ihm von seinem sittlichen Gewissen vor Augen gestellt wurde. Außerdem ist er mit dem Vermögen ausgestattet, zwischen passend und unpassend, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Im Hinblick auf die Erziehung der Jugend bemerkte Mahatma Gandhi: „Das Herz aufwecken, heißt, die schlafende Seele aufwecken, die Vernunft 1138 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN wachrufen und ihm die Unterscheidung zwischen Gut und Böse einprägen“ (All Men are Brothers, Ahmedabad, 1960, 206). 3. Jedes Land und jede Gemeinschaft hat ihre eigene Kultur und ihre besonderen Bedürfnisse. Jede Epoche und jede Gesellschaft müssen laufend ihre alten Ideale auf neue Verhältnisse übertragen. Als erfahrene Erzieher wissen Sie, daß das moderne Indien von den unermeßlichen intellektuellen, moralischen und kulturellen Schätzen der ganzen Welt Gebrauch machen muß, aber die Nation sollte das mit dem Bewußtsein ihrer eigenen kulturellen und von Traditionen getragenen Identität tun. Sie erkennen, daß der Beitrag anderer Kulturen eine Neuinterpretation und Anpassung erfordert, die mit Ihrem eigenen kulturellen Erbe in Einklang steht. Es ist bekannt, daß Rabindranath Tagore Visva-Bharati als eine internationale Universität errichtete, wo die Werte des Ostens und des Westens vereint werden konnten, um eine wahrhaft universale und humanitäre Weltanschauung zu entwickeln, die sich auf den Glauben an den Menschen gründet. In diesem Prozeß des Aufbaus einer wahrhaft universalen, d. h. die ganze Welt einschließenden Kultur „müssen wir überzeugt sein vom Vorrang der Ethik gegenüber der Technik, vom Primat der Person gegenüber den Sachen, von der Überlegenheit des Geistes gegenüber der Materie“, wie ich am 2.Juni 1980 vor dem Exekutivrat der UNESCO in Paris ausführte (Nr. 22; in: Wort und Weisung, 1980, 238). 4. Es ist heute eine der zeitgemäßesten Pflichten, unermüdlich darauf hinzuarbeiten, daß überall auf der Welt die Anerkennung und Verwirklichung des Rechtes aller Menschen auf volles Wachstum und auf Kultur sichergestellt wird, ein Recht, das entsprechend der Würde der menschlichen Person allen ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Nation, der Religion oder der sozialen Stellung zukommt (vgl. GS 60). Das ist eine gemeinsame Herausforderung und Verantwortung für die Gläubigen aller Religionen, die sich miteinander um eine wirksame Förderung des kulturellen Wachstums für alle Männer und Frauen bemühen sollten. Dialog, Verständigung und Zusammenarbeit zwischen allen Religionen sollten zur ständigen Sorge von Erziehern und religiösen Führern gehören, um so kulturelle Entfaltung, Gerechtigkeit, Frieden und Brüderlichkeit zu fördern: Kultur wird somit zur gemeinsamen Grundlage unseres Dienstes für die Sache des Menschen. Vom Geist des Evangeliums motiviert, nimmt sich die katholische Kirche schon seit langem der Sache der höheren Erziehung in Indien an, wobei sie bestrebt ist, Studenten aller Glaubensrichtungen zu dienen. Die katholischen Kollegien werden zur Zusammenarbeit mit anderen ähnlichen christlichen Einrichtungen und mit allen Gruppen und Personen guten Willens ermutigt, 1139 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die sich mit aller Hingabe für das Wohlergehen und den Fortschritt dieser großen Nation einsetzen. 5. Bei unserem Glauben an die Würde der menschlichen Person ist es nur natürlich, daß wir der Person des Lehrers größte Aufmerksamkeit schenken sollten. Das erste Erziehungsziel besteht darin, Lehrer zu finden, die qualifiziert und innerlich engagiert sind. Ist das einmal geschehen, so lassen sich die Probleme des Lehrplanes, der Unterrichtsmethoden und der Disziplin der Schüler leichter lösen. Das lebendige Beispiel des Lehrers ist äußerst wichtig. Gelehrsamkeit allein genügt nicht; wenn sie aber von Hingabe angefeuert wird, verbreitet sie Licht und Wärme. Wir wollen nochmals versichern, wie unerläßlich die Berufung der Lehrer in der Gesellschaft ist. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt dazu: „Schön, freilich auch schwer ist die Berufung all derer, die als Helfer der Eltern und Vertreter der menschlichen Gesellschaft in den Schulen die Erziehungsaufgabe übernehmen. Ihre Berufung erfordert besondere Gaben des Geistes und des Herzens, eine sehr sorgfältige Vorbereitung und die dauernde Bereitschaft zur Erneuerung und Anpassung“ (GE 5). Es ist Pflicht besonders christlicher Erzieher, „in engster Verbindung mit den anderen Menschen ihrer Zeit zu leben und sich zu bemühen, ihre Denk- und Urteilsweisen, die in der Geisteskultur zur Erscheinung kommen, vollkommen zu verstehen ..., damit religiöses Leben und Rechtschaffenheit mit der wissenschaftlichen Erkenntnis und dem täglichen wachsenden technischen Fortschritt bei ihnen Schritt halten“ (GS 62). Schließlich wird, wie Sie sehr wohl wissen, jede Erziehung bis zu einem gewissen Grad selbst gesteuert. Ein Subjekt zu studieren, ist immer in gewissem Grad eine selbstgesteuerte Operation, d. h., Erzieher haben nicht nur andere zu erziehen, sondern sie helfen anderen auf persönliche und kritische Weise bei ihrer Selbsterziehung. Das entfaltet im Erzieher und im Erzogenen eine Forschungsgesinnung und die Fähigkeit zur fortwährenden Erziehung, die in den heute im Wandel begriffenen Gesellschaften von so großer Bedeutung ist. Eine der wichtigsten Entwicklungen im Erziehungswesen in letzter Zeit ist die Organisation echter Forschung. Man kann sagen, daß sowohl in den Naturwissenschaften wie in den Humanwissenschaften die Forschung an den Universitäten eine höhere Funktion bei ihrem Dienst am modernen Menschen gewonnen hat, der seine materiellen und geistigen Bedürfnisse zu befriedigen versucht. 6. Diese Aufgaben erfordern große intellektuelle Verpflichtung und geistiges Auffassungsvermögen. Moderne Erzieher sind sich immer mehr dessen be- 1140 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN wußt, daß wahre Erziehung eine Offenheit des Geistes ist, der imstande ist, die Weisheit zu erreichen, das heißt alle Wahrheiten über Universum, Mensch und Gott zu erfassen. „Vorausgesetzt, daß die methodische Forschung in allen Wissensbereichen in einer wirklich wissenschaftlichen Weise und gemäß den Normen der Sittlichkeit vorgeht, wird sie niemals in einen echten Konflikt mit dem Glauben kommen, weil die Wirklichkeiten des profanen Bereichs und die des Glaubens in demselben Gott ihren Ursprung haben“ (GS 36). Mögen die alten und neuen Kräfte, die Indiens Zukunft gestalten, weise und wirksam in die Erziehungsprogramme eingefügt werden, die es dieser großen Nation ermöglichen sollen, sich ganz ihrer spirituellen Identität entsprechend zu entwickeln. Meine aufrichtigen und herzlichen guten Wünsche begleiten Sie bei Ihrer Arbeit und Ihrer Verpflichtung, die für die Zukunft indischer Kultur von solcher Bedeutung ist. Der allmächtige Gott, die Quelle allen Lichts und aller Schönheit, dessen unendliche Liebe unsere ständige Inspiration und Kraft ist, helfe uns allen beim gemeinsamen Aufbau einer Gesellschaft im Zeichen der Wahrheit und der Liebe. Aus dem Vatikan, am 4. März 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. Viele fanden „Hafen des Friedens“ Ansprache beim offiziellen Besuch Ihrer Exzellenz Mme. Jeanne Sauve, Gene-ralgouvemeur von Kanada im Vatikan am 6. März (Der Papst begann seine Ansprache auf französisch) Sehr geehrte Frau Generalgouverneur! 1. Ich freue mich sehr, Sie hier wiederzusehen und Sie meinerseits in diesem Haus des Papstes zu empfangen. Symbolisch empfange ich, so scheint mir, mit Ihnen das ganze geliebte kanadische Volk. Ich erinnere mich mit Ergriffenheit und Dankbarkeit an die Begrüßungsworte, die Eure Exzellenz an mich in Kanada gerichtet haben und die zugleich eine große Feinfühligkeit für mich als Gast und ein tiefes Verständnis für meine geistliche Sendung widerspiegelten. 1141 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Was Ihre Landsleute anbelangt, so habe ich immer die Massen vor Augen und in der Erinnerung des Herzens, die mich auf den verschiedenen Etappen mit einem religiösen Glauben, einer Schlichtheit und einem Vertrauen empfingen, die diese Pastoraireise zu einer Begegnung voll gegenseitigem Interesse und gegenseitiger Bereicherung werden ließen. Wenn ich mir auch über die Grenzen meiner Erfahrung bei Ihnen und meines Apostolats im Hinblick auf die großen und bleibenden Alltagsprobleme klar bin, habe ich doch eine neue Kenntnis von Ihrem Land, seinen Frauen und Männern, gewonnen, die mich ermutigt, den geistlichen Dialog, der mit meiner Aufgabe als Bischof eng verbunden ist, fortzusetzen. 2. Wie sollte man nicht bezaubert sein von der vielfältigen Schönheit der kanadischen Landschaften, von den Provinzen am Meer bis Britisch-Kolumbien, vom Süden bis großen Norden: Ebenen und Hügel, „Prärie“ und die Gipfel der Berge, Küsten und Flußmündungen, Seen und vereiste Weiten. Die Natur schenkt im Rhythmus der Jahreszeiten den Bäumen und Landschaften schillernde Farben, die von den schräg einfallenden Sonnenstrahlen temperiert werden. In diesen weiten Horizonten oder in den in jüngster Vergangenheit entstandenen volkreichen Städten begegnen wir einem anziehenden, arbeitsamen Volk — denn es mußte und muß oft in einem rauhen Klima arbeiten, um den Wald, den Boden und die Bodenschätze auf einem sehr ausgedehnten Gebiet zu nutzen —; einem dynamischen, unternehmungslustigen, der Zukunft zugewandten Volk voller Vertrauen in die unermeßlichen Möglichkeiten, die sich ihm eröffnen. Kanada ist in wenigen Jahrhunderten zu einem außergewöhnlichen menschlichen Schmelztiegel geworden, wo die verschiedensten Bevölkerungsgruppen — Eingeborene, Nachkommen der Gründervölker und Einwanderer aus fünf Kontinenten — ihren Platz und ihre Verantwortlichkeiten gefunden haben, um miteinander eine neue Welt aufzubauen, auf die sie stolz sind, eine Welt, die die kulturellen und geistigen Unterschiede respektiert und sich des Gemeinwohls, das es zu fördern gilt, bewußt ist. Welche Versuchungen, Schwierigkeiten und Prüfungen es auch immer gegeben hat, die Achtung der Regionen und Bevölkerungsgruppen sowie die notwendige Solidarität wurden von den Bundes- und Provinzinstitutionen, die Kanada sich gegeben hat, gefördert und garantiert. Das kanadische Volk bleibt der Freiheit und ebenso der Suche nach einer immer gerechteren und menschlicheren Welt verbunden. Wir schätzen seine Gastfreundschaft, seinen Realismus und seine vernünftigen Analysen, seine Natürlichkeit und die Offenheit seiner Beziehungen, woran auch das Herz seinen Anteil hat. 1142 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. Ein tiefer religiöser Sinn hat das kanadische Volk seit seinen Anfängen geprägt. Die verschiedenen Gemeinschaften, die katholischen und die protestantischen geben das trotz dem bemerkenswerten kulturellen Wandel der letzten Jahrzehnte noch immer zu erkennen. Wie könnten sie den tiefen Glauben der großen Gründerväter und das Beispiel so vieler bekannter und unbekannter Heiliger vergessen, die eine Symbiose schufen zwischen den christlichen Tugenden und dem atemberaubenden Unternehmen, das zur Entdeckung eines neuen Landes führte? Das aber heißt, daß der heutige Glaube tiefe Wurzeln hat. Gewiß machen der Modernitätsschock, die neuen Entdeckungen und Erfahrungen auf allen Gebieten, der Pluralismus der Ideen, das Bemühen um Anpassung ein neues Engagement der Christen notwendig, um in einer Atmosphäre der Freiheit eine Zivilisation zu inspirieren, in der die sittlichen und geistigen Werte, wie ich an der Laval-Universität in Quebec unterstrichen habe, neu zum Ausdruck gebracht werden müssen. Ich bin überzeugt, daß das von den früheren Generationen vorbereitete und erarbeitete Terrain das erlaubt, solange man nicht aufhört, nach der Weisheit zu streben. Das ist es, was ich zu beobachten glaubte, als ich zusammen mit meinen katholischen Brüdern und Schwestern zu unserer Freude unseren Glauben feiern durfte. Hinzufügen muß ich noch, daß das Klima der Religionsfreiheit, die zur Tradition Ihres Landes gehört und von den Institutionen garantiert wird, die Entfaltung des religiösen Lebens der verschiedenen Gemeinschaften unter Respektierung der anderen erlaubt. Aber es kommt jedem einzelnen zu, mit Gottes Hilfe Lebenskraft entspringen zu lassen. (Der Papst setzte seine Ansprache auf englisch fort) 4. Natürlich muß man klarsichtig sein. Ich vergesse durchaus nicht die Probleme, denen sich Ihre Mitbürger stellen müssen, um Fortschritt sicherzustellen oder wiederzugewinnen. Ihr Land erlebt trotz seiner vielfältigen Reichtümer und des Einfallsreichtums seiner Bewohner zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Bereichen — oft als Ergebnis der internationalen Lage — Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit und andere Schwierigkeiten, ganz zu schweigen von politischen Spannungen. Es liegt bei den Führungskräften des Staates, diese Probleme auf harmonische Weise zu lösen. Die Kirche schenkt ihnen ihrerseits Aufmerksamkeit. Sie ist besonders feinfühlig für die moralischen und spirituellen Dimensionen. Sie weiß, daß viele Menschen, besonders der jüngeren Generation, kein klares Verständnis vom Sinn des Lebens mehr haben. Manche werden zur Verzweiflung getrieben, und eine wachsende Zahl wagt es nicht mehr, an die Beständigkeit und Dauerhaftigkeit menschlicher Liebe zu glauben, oder sie haben Angst 1143 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN vor der vom Leben geschenkten Freiheit des Herzens. Manche lassen sich von der Mentalität des Konsums beherrschen. Sie sind nicht gewillt, über ihr ewiges Geschick nachzudenken, und sie vergessen Gott, obwohl er ihnen stets nahe ist. Wenn diesen Menschen nicht die Wege gewiesen werden, die auf sittlichen und religiösen Werten basieren, besteht wirklich die Gefahr, nicht Fortschritt, sondern Zersplitterung und Verfall alles dessen zu erleben, was den Geist dieser Zivilisation gestaltet hat. Die Kirche bietet gern ihren Beitrag an — aus Liebe zu jenen Männern und Frauen, jenen hilflosen Erwachsenen und jenen Jugendlichen, deren guten Willen ich in Montreal und Vancouver bewunderte. In diesem Sinne habe ich, als ich in Ihrem Lande war, immer wieder den Primat des Geistes vor der Materie, den Primat der Person vor den Sachen, den Vorrang der Liebe und Selbsthingabe vor dem Egoismus, den Primat Gottes vor den modernen Götzen und den Vorrang der Hoffnung vor dem Zweifel betont. Und ich weiß, daß man bei vielen Kanadiern eine aufrichtige Aufgeschlossenheit für Hochherzigkeit, Teilen und wahrhaftige Beziehungen zwischen den Menschen und mit Gott findet. Erlauben Sie mir, gnädige Frau, zu sagen, daß Ihr eigenes Zeugnis in dieser Hinsicht von tiefer Wirkung ist. 5. Innerhalb ihres eigenen Landes und in ihrer Offenheit für andere Länder zeichnen sich die Kanadier oft durch ihre Initiativen auf sozialem Gebiet aus. Durch diese Initiativen versuchen sie, die tatsächlichen Entbehrungen oder Ungerechtigkeiten, von denen diese oder jene Gruppe von Bürgern betroffen ist, zu beheben und die Probleme zu lösen, die entweder aus Passivität gegenüber lang bestehenden Problemen oder aus plötzlichen Veränderungen oder Entwurzelung herrühren. Dieses soziale Interesse ist in der Tat lobenswert. Und ich weiß, daß die katholischen Bischöfe ihrerseits viel tun, um ihre Mitbürger zum Nachdenken über ihre Verantwortung anzuhalten, zu den notwendigen Veränderungen der Lebensgewohnheiten zu ermutigen und die Menschen zu beherztem Einsatz aufzufordern. Es gibt einen Bereich unter vielen anderen, wo der Geist der Offenheit und Solidarität bewundernswerte Ergebnisse hervorgebracht hat, wie ich in der Tat in meiner Ansprache an die Politiker in Ottawa unterstrichen habe. Ich denke da an die Eingliederung der zahlreichen Wellen von Einwanderern, die auf der Suche nach Arbeit und neuen Lebensverhältnissen zu euch gekommen sind. Und noch mehr denke ich an die Hilfe, die ihr Flüchtlingen gewährt habt, eine Hilfe, die ihre tägliche Existenz und manchmal ihr Überleben sichergestellt hat. Viele sind dankbar, bei euch einen Hafen des Friedens, ein neues Zuhause gefunden zu haben. Im internationalen Bereich sind Ihre Landsleute nicht gleichgültig geblieben gegenüber der Notlage der Hungernden, der Entrechteten, der Mißhandelten, 1144 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Opfer von Naturkatastrophen, Kriegen oder politischen Regime. Die Kanadier legen bewußt Zeugnis ab für Menschenrechte und Freiheit und arbeiten für ihre Respektierung. Durch die Einrichtung und Förderung gegenseitiger Hilfe leisten sie einen hochherzigen Beitrag zur Sache der Entwicklung. Der Hl. Stuhl ist erfreut über diese Solidarität, die er von Herzen unterstützt. Die kanadische Regierung fügt diese Perspektive in ihre Planungen ein, ebenso wie sie durch ihre Ratschläge zur Mäßigung und gelegentlich durch ihre hoch-geschätzte Vermittlung den Frieden zu festigen oder wiederherzustellen versucht. „Sache des Friedens und des Überlebens“ Ansprache an italienische Militärkapläne am 10. März Liebe Militärkapläne! 1. Nach etwas mehr als sechs Jahren seid ihr wieder in Rom zusammengekommen und habt den Beginn eures Treffens dieser Begegnung Vorbehalten wollen, wie um miteinander euer Engagement für die Kirche überprüfen zu können. Ich begrüße euch ganz herzlich, insbesondere Erzbischof Gaetano Bonicelli. Es könnte keinen besseren Anlaß geben. Ihr gedenkt heute des 60. Jahrestages der Gründung des religiösen und geistigen Hilfsdienstes für die italienischen Soldaten durch den Staat. Zu dieser Entscheidung, in einem Augenblick getroffen, wo sich die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Italien noch nicht normalisiert hatten, war man in Anbetracht des wertvollen Zeugnisses gelangt, das von den Militärkaplänen während des schrecklichen Ersten Weltkrieges erbracht worden war. Mein Vorgänger Johannes XXIII. erläuterte eure Sendung folgendermaßen: „Die Erinnerungen und Erfahrungen des Soldatenlebens malen mit liebevollen Zügen vor unseren Augen die Gestalt des Militärkaplans, der einen neuen und äußerst wertvollen Aspekt des modernen Apostolats repräsentiert. Die Kapläne von gestern und heute stellen in den verschiedenen Einheiten, deren Seelsorge ihnen anvertraut ist, in der Tat eine neue und außerordentliche Möglichkeit zum Guten dar, auf die sich die Kirche in höchstem Maße verläßt. Sie gehen unzähligen Scharen jugendlicher Seelen, die stark und mutig, aber manchmal ernsten geistlichen Gefahren ausgesetzt sind, entgegen, um sie auf das Gute hinzuweisen und zu formen“; und bei jener Gelegenheit hatte er den Dienst der Militärkapläne als einen „hohen Dienst 1145 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN des Friedens und der Liebe“ bezeichnet (Ansprache vom 11. Juni 1959: Discorsi Messaggi Colloqui, I, 384, 383). Dieses Urteil von einem, der auch Militärkaplan war, und den die Vorsehung dazu berufen hat, als Papst Johannes der XXIII. den Stuhl Petri zu besteigen, sollte genügen, um sich bewußt zu machen, daß sich die ersten Militärkapläne um Kirche und Vaterland wohlverdient gemacht haben. Im Licht dieser ersten schmerzlichen und ruhmreichen Erfahrung begreift man die Bedeutung des nicht immer einfachen Weges dieser 60 Jahre. Die Schwierigkeiten eures unter besonderen Umständen geführten priesterlichen Lebens haben sich gewiß nicht verringert. Ja, man muß sich fragen, ob auch alle in der katholischen Welt euren Dienst verstehen, denn mancher stößt sich eher an dem Umstand, daß ihr Militärkapläne seid, als an eurem Tun. Nun, die grundlegende Eigenart des „Militärkaplans“ ist in den Weisungen und Ermutigungen klar definiert, an denen es von seiten des Apostolischen Stuhles nie gefehlt hat, der — wie ihr wißt — auf Ersuchen der Militärvikare kürzlich an der Kongregation für die Bischöfe ein Koordinierungsbüro der Militärvikariate eingerichtet hat und eine Apostolische Konstitution über euren Seelsorgedienst im Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils und im Rahmen des Kirchenrechts vorbereitet — in Anpassung der Instruktion Sollemne sem-per des Jahres 1951 an die heutige Situation. 2. Euer Dienst wird auf Grenzpositionen ausgeübt, nicht nur wegen der organischen Verbundenheit mit der Kirche und einem Staat, sondern wegen der immer schwierigeren und komplizierteren Verflechtungen des Milieus, in dem ihr tätig seid. Wo Menschen sind, dort ist Platz für einen Priester; um so mehr also dort, wo hunderttausend Menschen sind. Man kann aber unmöglich die Bedingungen und Anforderungen einer Situation übersehen, die sich schnell weiterentwickelt und die sich heute unter dramatischen Aspekten darstellt. Alle wollen den Frieden; und das ist sicher eine wunderbare Tatsache im sittlichen Wachstum der Menschheit. Aber der Friede, wie ihn die Heilige Schrift und die eigene Erfahrung der Menschen lehrt, ist viel mehr als Nicht-Krieg. „Der Mensch ist es, der tötet, und nicht sein Schwert oder, heute, seine Raketen“, sagte ich in der Botschaft zum Weltfriedenstag1984 (Nr. 2: DAS 1984,867). Zwei Jahre vorher hatte ich daran erinnert, daß der Christ weiß, daß eine immer ganz friedliche menschliche Gesellschaft auf Erden leider eine Utopie ist und daß die Ideologien, die diese anpreisen, unerfüllbare Hoffnungen nähren, was auch immer die Gründe für Ihre Einstellung sein mögen (vgl. Botschaft zum Weltfriedenstag 1982, Nr. 12: DAS 1982, 834). Das verpflichtet uns in einer Zeit der sich überstürzenden technischen Umwälzung dazu, die gesamte Wirklichkeit „mit einer ganz neuen inneren Einstellung“ zu sehen (GS 80). 1146 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Liebe Kapläne, auch ihr seid aufgerufen, im Gebet und Studium immer mehr darüber nachzudenken, um euren Gläubigen, also den Verantwortlichen in den verschiedenen Militärbereichen und den jungen Männern, die ihren Militärdienst ableisten, klare und sichere Orientierungshilfen zu geben. Es ist die Herausforderung unserer Zeit, bei unserem Einsatz ebensoviel Klarheit wie leidenschaftliche Hingabe zu verlangen. Das Zweite Vatikanische Konzil bleibt auch in diesem Bereich der erste und wichtigste lehrmäßige und pastorale Bezugspunkt. Aus seinen wichtigsten Dokumenten spricht die Sehnsucht nach Frieden als eschatologische Spannung und als Ausdruck des Reiches Gottes in der Geschichte, aber auch der Realismus im Zusammenhang mit dem Zustand des „schwankenden und von der Sünde verwundeten“ menschlichen Willens (vgl. GS 78). Man bringt die Sache des Friedens nicht voran, wenn man die Möglichkeit und die Pflicht, ihn zu verteidigen, leugnet. Der Kirche und den kirchlichen Gemeinschaften obliegt die Aufgabe, die ethischen Prinzipien des menschlichen und internationalen Zusammenlebens, auf die sich die Eintracht innerhalb der Nation und zwischen den Völkern gründet, zu verkünden. Die Prinzipien müssen, noch ehe sie in Anordnungen und Institutionen Fuß fassen, in das Bewußtsein, in die Herzen eindringen und brauchen aufmerksame und wachsame, geduldige und starke Animatoren, wie ihr es aufgrund eurer Sendung seid. Die Sache des Friedens und damit des Überlebens der Menschheit verlangt heute eine besondere Aufmerksamkeit und Ausgeglichenheit. Als Priester seid ihr aufgerufen, euren Beitrag zu dieser guten Sache zu leisten, indem ihr die Menschen — vor allem die jungen — zur christlichen Reife erzieht. 3. Aus all diesen Gründen ist die Aufgabe des Militärkaplans heute dringender, aber auch wertvoller für die Kirche und für die ganze Gesellschaft geworden. Wir alle wissen, wie sehr die Kultur unserer Zeit ihren Zusammenhang mit Gott und infolgedessen mit einer präzisen Skala von Werten, die dem Leben Sinn geben, verloren hat. Familie, Schule, Pfarrei sind noch immer Fixpunkte der Verankerung, aber es gelingt ihnen nicht immer, den jungen Menschen unserer Zeit eine vollständige und angemessene Formung zu vermitteln. Sie leben in einer unsicheren Zeit und verfügen sehr oft weder über die Kraft noch über sinnvolle Motivierungen, um das Leben in Freude und Hoffnung zu führen. Der Horizont ist für sehr viele von ihnen düster und für manche überhaupt verschlossen. Es wäre daher nicht weise, würde die Kirche die wertvolle Gelegenheit zu Begegnung und Dialog während der Zeit des Militärdienstes versäumen. Es ist eine besonders schwierige Zeit. Die jungen Männer müssen, um eine ihrer moralischen Pflichten zu erfüllen, Unbequemlichkeiten, Opfer, 1147 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Schwierigkeiten, eine neue Umgebung, Trennung von der Familie, militärische Disziplin auf sich nehmen. Aber sie haben auch die Gelegenheit, neuen Freunden zu begegnen, ihren Horizont zu erweitern, sich neue Erfahrungen anzueignen und damit ihre eigene Persönlichkeit besser zu formen. Hier liegt nun die Bedeutung des Wirkens des Priesters, der ihnen Vater, Bruder und Freund ist, indem er ihre menschliche Bildung und ihre geistliche Bereicherung fördert. Aus dieser Sicht heraus können die Kapläne den jungen Menschen helfen, den Militärdienst als einen nützlichen und oft unerläßlichen Dienst des Friedens und der Freiheit zu sehen, auch unter gebührender Achtung der legitimen Alternativentscheidungen, die jedoch nicht als ausschließlich oder als bevorzugt betrachtet werden dürfen. In diesem Bemühen, das euren gesamten Dienst auf sittlicher und auf religiöser Ebene bestimmt, dürft ihr, liebe Militärkapläne, nicht allein bleiben. Ich freue mich zu erfahren, daß ihr auch im Hinblick auf die Bischofssynode von 1987, die über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt sprechen wird, im Zuge des in den vergangenen Monaten durchgeführten Aggior-namento bereits eine ernsthafte Überlegung angestellt habt. Macht entschlossen und mutig weiter, indem ihr die Christen des ständigen Stabes und des militärischen Präsenzdienstes immer stärker einbezieht, vor allem diejenigen, die Erfahrungen mit und Ansprechbarkeit für kirchliche Bewegungen und Gruppen bezeigen. 4. Erlaubt mir noch einen letzten Hinweis, der mit den Anfängen eures Dienstes, dessen ihr gerade in diesen Tagen gedenkt, zusammenhängt. Eure Anwesenheit ist manchmal als bloße Folge des Prinzips der Staatsreligion ausgelegt und gerechtfertigt worden. Das ist in anderen Ländern nicht so, und sicher trifft das auch für Italien nicht mehr zu. Aufgrund eines bedeutsamen Zusammenhangs zwischen den Grundsätzen der italienischen Verfassung und der vom Zweiten Vatikanischen Konzil dargelegten Lehre der Kirche meldet sich eure Aufgabe als ein Dienst an der Freiheit und damit auch als Dienst zur Förderung des Menschen und zum Wohl des Landes an. Und was ist wichtiger als Gewissenserziehung? Die Freiheit hat ihren Ursprung in einem recht erleuchteten Bewußtsein. Der Freiheit dienen bedeutet nicht nur, sich um alle — und das sind viele — zu kümmern, die an eure Tür klopfen. Durch das Beispiel eurer Treue und Zuverlässigkeit müßt ihr noch mehr als durch eure Lehrunterweisung allen gültige Vorbilder und konkrete Vorschläge für das Leben anbieten. Ihr müßt Respekt vor jeder Person haben; ihr müßt allen, die auf ihrem Weg unsicher sind, mit Geduld und Liebe begegnen. Aber habt auch den Mut und die Freude, die Wahrheit Christi zu verkünden und vorzustellen. Man kann 1148 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nicht Angst vor Christus haben, wenn man Träger der Kraft und der Freundlichkeit ist, die vom Evangelium stammt, dessen Diener wir sind. Das Wissen um die Größe eurer Sendung möge euch helfen, jede Versuchung zu Entmutigung und Gleichgültigkeit zu überwinden. Das Reich Gottes fordert Entschlossenheit (vgl. Mt 11,12) und Beständigkeit. Überbringt euren Einheiten meinen Gruß und meinen Segen. Mögen die italienischen Soldaten gerade auch durch euer unermüdliches Wirken wirklich — wie es das Konzil wünscht — Verteidiger der Gerechtigkeit und damit Friedensstifter sein! Begegnung in einer Atmosphäre des Gebets und der Reflexion Ansprache an die zu Gesprächen mit Papst und Kurie im Vatikan versammelten Vertreter der Brasilianischen Bischofskonferenz am 13. März Meine Herren Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe! Der Kirche, unserer Lehrerin, ist naturgemäß das Geheimnis zu eigen, Feierlichkeit mit Schlichtheit, Emst mit Freude, Gravität mit Ungezwungenheit harmonisch zu verbinden. Sie tut das in bewundernswerter Weise in ihrer Liturgie, darum die Schönheit ihrer Gottesdienste. Sie tut das auch bei vielen anderen ihrer Lebensäußerungen. Hier zum Beispiel führt uns jetzt die Göttliche Vorsehung zusammen, damit wir wichtige und beunruhigende Themen des Lebens der Kirche in Brasilien untersuchen. Wir wollen das jedoch nicht durch kirchenrechtliche Instanzen und im institutioneilen Rahmen tun, sondern in einer Begegnung von Brüdern, in einer Atmosphäre des Gebets und der Reflexion, sowie der brüderlichen Liebe, der Hoffnung und der Freude, im gegenseitigen Hören und im Gespräch miteinander. In diesem Geiste begrüße ich herzlich die Herren Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe als Vertreter des zahlenmäßig starken brasilianischen Episkopats und heiße euch willkommen in diesem Haus des Papstes, das auch euer Haus ist. Ich danke euch schon jetzt für die Bereitschaft, mit der ihr eure gerade in der Fastenzeit besonders dringenden Pastoralaufgaben unterbrochen habt und zu der gewünschten Begegnung mit mir und einigen meiner Mitarbeiter im Petrusamt hierhergekommen seid. Auch diese letzteren, der Kardinalstaatssekretär und die Kardinalpräfekten wichtiger Kongregationen und Räte, sollen den Ausdruck meiner Dankbarkeit 1149 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN empfangen für diesen neuerlichen Hinweis der Hingabe an den Apostolischen Stuhl einerseits und die Teilkirchen andererseits. 1. Diese unsere Begegnung findet wenige Tage nach dem Aufenthalt der letzten Gruppe von Bischöfen statt, die aus Brasilien — diesmal aus der Region Ost 2 — zu ihrem „Ad-limina“-Besuch nach Rom gekommen war. Neun weitere Gruppen sind im Laufe eines ganzen Jahres vorausgegangen. Für die Kirchen, deren wirklich ergebene und opferbereite Bischöfe sie sind, für sie selbst und für die ganze Kirche in Brasilien war es — wie sie selbst mehr als einmal ausdrücklich erklärten — eine starke und einprägsame kirchliche Erfahrung. Während ich jetzt allen diesen mir teuren Brüdern ganz herzlich und aufrichtig danke und einem jeden von ihnen erneut das Versprechen gebe, ihren Mühen „um des Evangeliums willen“ (propter Evangelium) im Geist ganz nahe zu bleiben, bitte ich Gott, daß diese Erfahrung ihrem aufopferungsvollen Dienst neue Kraft verleihe. 2. Kirchliche Erfahrung, sagte ich, und das aus zwei sehr gewichtigen Gründen. Der erste ist, daß jeder dieser Bischöfe nicht im eigenen Namen hierherkam, als Träger seiner persönlichen Sorgen und Hoffnungen, sondern mit der Last einer ganzen Kirche auf dem Herzen und auf den Schultern: jener kirchlichen Gemeinschaft, die ein geheimnisvoller Plan Gottes seiner Sorge anvertraut hat. Zweitens ist diese Erfahrung deshalb kirchlich, weil der „Ad-limina“-Besuch der Definition nach ein kairös, ein günstiger Zeitpunkt ist, zu dem jeder Bischof seine Teilkirche mit ihrem eigenen Gesicht und ihren geistlichen Reichtümern mit sich führt, um sich mit anderen Teilkirchen — den Schwesterkirchen — in den Dimensionen der Universalkirche zu treffen und einen Dialog zu führen. Dieser „Ad-limina“-Besuch enthüllt sich somit als Zeit und Ort wirksamer Kirchlichkeit: Die Bischöfe selbst bescheinigen in den von einigen Gruppen an mich und an die zuständigen Kongregationen übersandten gewissenhaften Bewertungen, daß der Besuch für sie hilfreich war, um sich zunehmend in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen zu fühlen, um „die Räume der Liebe auszuweiten“ (dilatare spatia caritatis) und um konkret die Lebensdynamik zu erfahren, die von der Teilkirche zur Universalkirche und von der Universalkirche zur Teilkirche führt. Ich halte mich jetzt nicht länger bei diesem Punkt auf, der sicherlich Gegenstand späterer Überlegungen sein wird. 3. Als Abschluß — und würdige Krönung — der „Ad-limina“-Besuche versammeln wir uns hier zu dieser römischen Begegnung. Ihr liegt ein übereinstimmender Wunsch zugrunde: mein eigener Wunsch, der Wunsch der Vorsitzenden der Nationalen Konferenz der Bischöfe Brasiliens und einiger 1150 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Bischöfe, denen gegenüber ich von diesem Wunsch sprechen konnte. Diese Begegnung ist sodann die Frucht einer Initiative des HI. Stuhles, die von den brasilianischen Bischöfen lebhaft aufgegriffen und in mitverantwortlicher Weise aufgenommen wurde. Die Absicht, die zur Einberufung dieser Begegnung inspirierte und die ihre Durchführung inspiriert, verleiht ihr auch einige grundlegende Merkmale: — Sie will in notgedrungener Kürze eine möglichst breite und tiefgreifende Synthese der vorangegangenen Begegnungen mit den Gruppen von Bischöfen und mit jedem einzelnen Bischof sein. Sie wird die zahlreichen und vielfältigen Facetten, aus denen sich die Kirche in Brasilien zusammensetzt und die mit mehr oder weniger Klarheit im Gespräch mit jeder der einzelnen Gruppen offenkundig zum Ausdruck kamen, gewissermaßen in eine Synthese bringen. — Können wir also sagen, diese Begegnung enthält eine Revision des „Ad-limina“-Besuches? Im Sinne einer Revision seines sachlichen Ablaufes sicher nicht. Es wäre jedoch ein wertvoller Dienst an der Kirche in Brasilien, wenn wir gemeinsam eine Revision des Erscheinungsbildes der Kirche in Brasilien vornehmen könnten, so wie sich dieses im Laufe der Besuche aus den einzelnen Regionen abzeichnete. — Wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, daß diese Begegnung eine in ihrer Art besondere Form der Kollegialität, eine Form sui generis, verwirklicht. Obwohl eingegrenzt von den (kontinentalen!) Grenzen einer Nation, vollzieht sich in dieser Begegnung das, was für den affectus collegialis, die mitbrüderliche Liebe, wesentlich ist: die innige sakramentale und hierarchische Gemeinschaft eines bedeutsamen Teiles des Bischofskollegiums mit Petrus, um unter Petrus, die „Sorge um alle Kirchen“ (sollicitudo omnium Ecclesiarum) und das apostolische und missionarische Charisma derer zum Ausdruck zu bringen und zu veranschaulichen, die „vom Heiligen Geist eingesetzt wurden, die Kirche Gottes zu leiten“. Ich füge noch ein weiteres Merkmal hinzu, das sich aus den vorher genannten ergibt und dem nicht weniger Bedeutung zukommt: Als wahrer Akt der Kirche ist und wird unsere eminent brüderliche Begegnung jetzt und immer von der Zuneigung und Wertschätzung geprägt, die der Nachfolger Petri und mit ihm der Apostolische Stuhl den Brüdern im Bischofsamt entgegenbringt, sowie von dem Wunsch, die Kenntnisse über eine Kirche zu vertiefen, die in verschiedener Hinsicht größerer Aufmerksamkeit würdig ist, und von dem Verlangen, dieser Kirche jede nur mögliche Hilfe bieten zu können, damit sie ihre Berufung und. Sendung noch besser erfüllt. Ohne Vorurteile und ohne urteilen zu wollen, will die Begegnung, wenn es dem Herrn so gefällt, eine große brüderliche Geste und Wohltat über eine einzelne Nation hinaus für die ganze Kirche sein. 1151 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Von seiner ersten Ankündigung an wurde die Einmaligkeit des Ereignisses hervorgehoben. Statt von Einmaligkeit sollte man besser von etwas Neuem sprechen: der „Ad-limina“-Besuch eines Episkopats wird mit einer Begegnung der Bischöfe mit dem Papst abgeschlossen. Daß das Privileg, „der erste zu sein“ und — warum nicht? — die Tur zu öffnen und als Modell für andere Erfahrungen zu dienen, der Kirche in Brasilien mit ihren 110 Millionen Gläubigen und ihren mehr als dreihundert Bischöfen entspricht, diese Tatsache dürfte wohl niemanden überraschen. Im übrigen bedeutet „neu“ nicht „unvermutet“. Wie sollte eine gewünschte, seit mehreren Monaten geplante und vorbereitete Begegnung „unvermutet“ sein? Was die Absichten betrifft, wißt ihr, Eminenzen und Exzellenzen, und wissen meine hier anwesenden Mitarbeiter, daß die einzige Absicht die ist, eine Gemeinschaft — die Bischöfe eines riesigen Landes und einer in vieler Hinsicht bemerkenswerten Kirche untereinander und mit dem Nachfolger Petri — noch mehr zu stärken, jene Communio, die das Fundament der Gemeinschaft der Gläubigen untereinander und mit den Bischöfen sein muß, damit die kirchliche Communio vor der menschlichen Gesellschaft als Sakrament der Gemeinschaft erscheint und auch tatsächlich ist. Wenn wir zu Beginn unserer Arbeiten den Geist des Friedens und der Einheit, der Liebe und der Wahrheit anrufen, wollen wir ihm unser Bestreben anvertrauen, alle zusammen dort die communio aufzubauen, wo viele Elemente sie schädigen oder beseitigen wollen. 5. Unsere jetzige Begegnung stellt sich, wenn auch nicht als unbedingt notwendig, so zumindest als angebracht und nützlich heraus, wenn sie auf dem Hintergrund eines kirchlichen Ereignisses und einer geschichtlichen Situation basiert. Das kirchliche Ereignis ist das Konzil, das vor kurzem von jenem anderen bedeutsamen Ereignis, der außerordentlichen Bischofssynode, neu erhellt wurde. Die großen christologischen und ekklesiologischen Leitlinien, die vor zwanzig Jahren entworfen und jetzt wieder lebendig wurden — die Kirche als Mysterium der Gemeinschaft, der Auftrag des Bischofs in der kirchlichen Gemeinschaft, die Dynamik der Kirche in Glaubensverkündigung und Mission, die Dringlichkeit, den Glauben rein und unversehrt weiterzugeben —, bilden ständig den Ursprung und Mittelpunkt aller unserer Überlegungen als erhellendes Kriterium und Inspiration. Um uns gegenseitig unsere Überzeugungen über unsere Berufung und Sendung in der Kirche Brasiliens und in der Universalkirche zum Ausdruck bringen zu können, will uns das Zweite Vatikanum — ein Ereignis der Gnade — als Führung dienen; gleichzeitig liefern die Lehren des Konzils, als Widerhall des Gotteswortes für unsere Zeit, Elemente echter geistlicher Unterscheidung und bieten ein inneres Einheitsprinzip an, das ein- 1152 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ander oft widersprechende Gesichtspunkte konvergieren läßt. Die andere Grundlage ist der historische Augenblick, in dem sich der ganze lateinamerikanische Halbkontinent und besonders Brasilien und die Kirche in Brasilien befinden. Vom sozialen, politischen und kulturellen Gesichtspunkt her steht das riesige Brasilien wieder einmal vor den Herausforderungen eines historischen Scheideweges, der den größeren Entscheidungen der Vergangenheit gleicht, wenn nicht noch entscheidender ist: Rückgewinnung der Wege einer vollständigen Demokratie; die Verpflichtung, sehr ernste Probleme anzupacken, wie Gesundheitswesen, Wohnungsnot, Arbeitsplätze und die — vielleicht noch grundlegenderen — Probleme der Alphabetisierung und des Schulwesens, der Landverteilung, der Armut, des Hungers, der gesellschaftlichen Randgruppen; auffallende Gegensätze auf verschiedenen Ebenen der brasilianischen Gesellschaft; unbedingt erforderliche Weisheit, um hinter all diesen Problemen die moralische Krise auszumachen, die — wie in der ganzen Welt — Ursache und Auswirkung dieser Probleme ist. Dies sind einige Kennzeichen des historischen Augenblicks, den eine Nation und, genauer, das Volk, das diese Nation bildet, durchlebt. Angesichts der soeben hier angedeuteten Herausforderungen haben die Bischöfe als Hirten der Kirche und die Kirche als ganze eine besondere Rolle zu erfüllen, die man weder mit der Rolle der Politiker, der Wirtschaftsexperten, der Soziologen, der Intellektuellen oder der Gewerkschafter gleichsetzen noch durch diese ersetzen kann. Es ist die Rolle desjenigen, der aufgrund einer tiefen Überzeugung weiß, daß er durch Erfüllung jeder seiner spezifisch religiösen Aufgaben einen wahren und vollen Humanismus verwirklicht und somit eine äußerst wirksame — wenn auch wenig auffällige — Mitarbeit für eine Lösung der menschlichen Probleme leistet. Die Behauptung des Gegenteils heißt, der Meinung zu sein, daß nur die unmittelbare sozialpolitische Arbeit wirksam sei; es heißt verkennen, daß man den Menschen grundlegend fördert, wenn man diesem Menschen hilft, sich in dem zu verwirklichen, was ihn unter anderen Dingen im Tiefsten und Wesentlichsten in seinem Verhältnis zum absoluten Gott auszeichnet; es heißt, die Kirche ihrer ursprünglichen Sendung zu entreißen und sie durch einen gefährlichen und zerstörerischen Reduktionismus mit anderen Instanzen zu identifizieren. Um ihr bei der Erfüllung ihrer Sendung angesichts des historischen Augenblicks zu helfen, rechnet die Kirche im lateinamerikanischen Kontext mit den Weisungen, die von zwei allgemeinen Bischofskonferenzen gegeben wurden: 1968 in Medellin und 1979 in Puebla — ich hatte das Privileg, diese Bischofskonferenz in jener mexikanischen Stadt zu eröffnen. Erfüllt von dem Geist, mit dem sie ausgearbeitet wurden — ohne hermeneutische Veränderungen, ohne ideologische Hinzufügungen, ohne Entstellungen irgendwelcher Art —, wei- 1153 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sen diese Orientierungshilfen der Kirche einen Weg bei der Sendung, die ihr im Dienst jenes Teiles der Menschheit, jenes Teiles derselben Kirche, die in Brasilien ist, obliegt. Ich fürchte, daß die drei Arbeitstage nicht ausreichen werden, um so heikle und gewichtige Themen, wie wir sie uns hier vergegenwärtigen, zu bedenken, zu erörtern und Ziele und Wege abzustecken. Wir werden tun, was bei der geringen Zeit, die zur Verfügung steht, möglich ist. 6. Es wäre nicht realistisch anzunehmen, daß sich bei den intensiven Gesprächen dieser Tage nicht das eine oder andere Mal die schwelende Frage der „Theologie der Befreiung“ aufdrängen wird. Sie ist zwar nicht das Thema dieser Tage, aber es wäre ebensowenig realistisch, ihr ausweichen zu wollen. Vor etwas mehr als einem Jahr hat die von der Kongregation für die Glaubenslehre mit meiner Billigung veröffentlichte Instruktion Libertatis nuntius versichert, daß es eine theologische Reflexion über die Freiheit geben kann und muß, die sich auf die zuverlässigen Lehraussagen gründet, die zum authentischen Lehramt der Kirche sowie zum Schatz des Wortes Gottes gehören. Die Kirche sieht die Weiterführung, Aktualisierung und zunehmende Vertiefung dieser Reflexion als ihre Pflicht an; dank dieser Reflexion versucht sie, auch auf schwierige Fragen bezüglich der sozialen Gerechtigkeit, der Gleichheit in den persönlichen, nationalen und internationalen Beziehungen, bezüglich Frieden und Abrüstung, Freiheit, der Grundrechte der menschlichen Person usw. Antwort zu geben. Dieselbe Kongregation für die Glaubenslehre ist gerade dabei, ein neues Dokument zu veröffentlichen, das die Hauptaspekte der in diesem Sinne verstandenen „Befreiungstheologie“ behandelt. Wenn die „Theologie der Befreiung“ von Elementen, die sie — mit ernsten Folgen für den Glauben — entstellen könnten, gereinigt wird, ist sie nicht nur rechtgläubig, sondern notwendig. Mein Wunsch — und ich bin sicher, auch der Wunsch aller — ist es, daß aus den sachlichen, brüderlichen Überlegungen dieser Tage schließlich ein lebendigeres Bewußtsein der positiven Elemente der legitimen „Theologie der Befreiung“ (das sind die vom Evangelium gebotenen Elemente, die vom Lehramt der Kirche weise verarbeitet und von der Soziallehre der Kirche unablässig vorgetragen werden) und mit ihnen eine Definition der evangelischen und kirchlichen Identität dieser Theologie entsteht. Schließlich möge daraus noch die Absicht erwachsen, daß wir uns alle zusammen und mit Entschlossenheit und Beständigkeit dafür einsetzen wollen, diese vollkommene Identität zu fördern, zu verbreiten, zu schützen und zu verteidigen. Wenn sich diese Identität ohne Zweideutigkeiten und Entstellungen durchsetzt, haben wir das Recht darauf, uns die Hoffnung zu bewahren, die ich persönlich viele Male verkündet 1154 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN habe, so wie ich es im Verlauf meines Besuches in Brasilien getan habe: die Hoffnung darauf, daß in diesem Land — und in ganz Lateinamerika — dank der Grundsätze des Evangeliums und der Lehren des kirchlichen Lehramtes die gewaltigen, tiefgreifenden und notwendigen Sozialreformen mit Gerechtigkeit und Liebe, mit der gewünschten Wirksamkeit und ohne Gewalt Wirklichkeit werden; denn die Gewalt erzeugt, abgesehen davon, daß sie gegen das Evangelium gerichtet ist, am Ende fast immer ähnliche Ungerechtigkeiten, wie die von ihr bekämpften, wenn nicht noch größere und grausamere. 7. Wenn wir an diesem Donnerstag der vierten Fastenwoche Eucharistie feiern, haben wir in der ersten Lesung, die die Liturgie vorsieht, das eindrucksvolle und ergreifende Bild des Mose, des Führers eines Volkes durch die Wüste, vor Augen, der für dieses Volk mit einem Wehklagen Fürbitte bei Gott einlegt, das aus einem tiefen Mitleid kommt und das selbst Gott nicht gleichgültig läßt (vgl. Ex 32,7—14). Brasilianische Bischöfe, ihr bringt zu dieser Begegnung Gefühle der Liebe und des Mitleids für die Gemeinden mit, die eurer und der Sorge der anderen Brüder im Bischofsamt, die ihr hier vertretet, anvertraut sind. Mit Worten, die dem Evangelium der heutigen Messe entnommen sind — Worte Jesu, des neuen Mose, der in die Sendung des alten Mose neuen Inhalt und unverhoffte Fülle einbringt —, sprecht ihr voll demütigem Vertrauen: „Die Werke, die mein Vater mir übertragen hat, damit ich sie zu Ende führe, diese Werke, die ich vollbringe, legen Zeugnis dafür ab, daß mich der Vater gesandt hat“ (Joh 5,36). Beginnen wir also, liebe Brüder, die Arbeiten dieser Tage. Den Impuls gebe uns die österliche Hoffnung, die mein berühmter Vorgänger, der hl. Leo der Große, in der Predigt verkündigt hat, die ich heute in unserem Brevier gelesen habe: „Mögen nun auch in der heiligen Stadt, das heißt in der Kirche Gottes, die Zeichen der künftigen Auferstehung sichtbar werden.“ Gebe Gott, daß unsere Begegnung für die Kirche in Brasilien ein leuchtender Hinweis auf die neue österliche Lebenskraft sein möge. 1155 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dialog kann nicht tief genug gehen Ansprache zum Abschluß der dreitägigen Beratungen mit den brasilianischen Bischöfen im Vatikan am 15. März Meine Herrn Kardinäle! Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Im Augenblick, da wir diese Begegnung abschließen, die drei Tage lang unsere Aufmerksamkeit anspannte und unsere Kräfte engagierte, wiederhole ich in meinem Herzen ein Wort der hl. Theresa vom Kind Jesu (Derniers entretiens), das ein großer französischer Romancier später in eines seiner bekanntesten Werke aufnahm (Georges Bernanos, Tagebuch eines Landpfarrers)'. „Alles ist Gnade“. Ich zögere nicht auszusprechen, daß unsere Versammlung als Frucht vieler menschlicher Bemühungen, aber vor allem der Gebete, die wir selbst und die so viele Menschen für uns dargebracht haben, eine wirkliche Gnade Gottes war, sowie jeder Schritt und jeder Umstand, der ihn prägte, Gottes Gnade war. Gnade war die Tatsache, daß wir zusammen waren; Gnade die Atmosphäre des Gebets und der Liebe, die in der Eucharistie, die wir als bedeutsamen Augenblick der Begegnung gemeinsam feierten, ihren Höhepunkt fand; Gnade die langen Stunden des Überlegens und Gedankenaustausches; Gnade das Bemühen um aufrichtige Revision, die notwendig ist, wenn man Probleme und Schwierigkeiten, die zu dem gehören, was menschlich ist, ernsthaft erörtern will. 2. Angesichts einer Gnade ist die angemessenste Haltung zu danken, zu sagen „vielen Dank!“. Ich danke Gott, der uns zu dieser Begegnung inspirierte, uns bei ihrer Vorbereitung beistand und während dieser drei Tage mitten unter uns — die wir im Namen seines Sohnes zusammengekommen waren — gegenwärtig war und uns auf unserem Weg half. Vielen Dank euch, als Bischöfen und Hirten der Kirche Brasiliens, deren Anwesenheit ich lebhaft gewünscht und während dieser drei Tage aufrichtig zu schätzen gewußt habe. Vielen Dank meinen nächsten, ergebenen und hochherzigen Mitarbeitern in dem ganz besonderen Dienst, den ich im Gehorsam gegenüber dem Plan Gottes am Leib Christi, der die Kirche ist, leisten muß. Ich brauche darum nicht zu leugnen oder zu verbergen, daß die Erfahrung der Begegnung für mich — eine Quelle des Trostes und der Freude in unserem gemeinsamen kirchlichen Dienst war. 1156 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. Erlaubt mir zum Ausklang dieses intensiven pastoralen Ereignisses einige der vielen Aspekte hervorzuheben, die diese Tage noch ertragreicher machten, als wir es uns vorzustellen wagten. Allem voran stelle ich die unverwechselbare Liebe zu Christus und zur Kirche, die, wie es sein sollte, jeden Augenblick in dieser Versammlung zum Ausdruck kam und der Grundton von allem war, was wir durchführten. So verschieden wir in vielen Zügen unserer Persönlichkeit als Menschen und als Bischöfe voneinander sind, hier zeigte sich das, was uns am meisten eint, und das ist eben die Liebe zu Jesus Christus und zur Kirche ohne die unser Leben keinen Sinn hätte. Der zweite Aspekt war die gegenseitige Achtung, verbunden mit größter Redefreiheit, mit der die Brüder im Bischofsamt, auch wenn sie berechtigte Meinungsverschiedenheiten erkennen ließen, sich mit ihren Brüdern auf der Suche nach der Wahrheit auseinandersetzten. Drittens erwähne ich die Weitsicht, der es nicht an demütigem moralischem Mut fehlt, mit der die ehrwürdigen Bischöfe einer großen Kirche Probleme und Hindernisse, Grenzen und Mängel eben dieser Kirche, die anderseits wegen ihrer Lebenskraft und Fruchtbarkeit weltweit geschätzt und bewundert wird, nicht zu verbergen suchten, sondern bereit waren, sie zuzugeben. Und zuletzt als Schmelzpunkt der drei vorangegangenen der vierte und vielleicht markanteste Aspekt der Begegnung: die gesunde und stärkende Hoffnung — menschliche, aber vor allem von Gott stammende Hoffnung —, die Handlungen und Worte, Überlegungen und Vorschläge im Verlauf dieser Begegnung fühlbar durchdrang. 4. Wenn ich in dieser abschließenden Stunde die geistliche Wirklichkeit nennen müßte, die ich in dieser Versammlung am stärksten pulsieren fühlte, würde ich ohne Zaudern sagen: das war der Wunsch — mehr noch, die Sehnsucht — nach vollkommenster Gemeinschaft. Liebende Gemeinschaft, aber auch effektive Gemeinschaft zwischen den Bischöfen selber um den Preis aller Bemühungen und aller nur möglichen Entsagungen und unter Anwendung aller uns möglichen Wege, um diese Gemeinschaft zu stärken und zu festigen. Ich bin sicher, daß sie es mir nicht schlecht auslegen werden, wenn ich sage, daß ein einziger Schritt, der für die Gemeinschaft innerhalb der Bischofskonferenz getan wird, mehr wert ist als zehn Schritte mit der Gefahr, die Gemeinschaft zu verletzen oder gar zu zerbrechen. Gemeinschaft sodann mit demjenigen, der sola Dei gratia (allein durch Gottes Gnade) den Auftrag erhielt, „die Brüder zu stärken“, und sich bemüht, diesen Auftrag alle Tage zu erfüllen. 5. Der brennende Wunsch nach dieser Gemeinschaft und die hochheilige Verpflichtung, nicht nur nichts zu tun, was sie verletzen könnte, sondern, mehr 1157 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN noch, alles zu tun, um sie zu fördern, regte bei dieser Begegnung stärker als früher jenen Dialog an, in dem weder die Wahrheit die Liebe beleidigt, noch die Liebe von der Wahrheit absieht; ein reifer Dialog zwischen Menschen — Christen und Bischöfen —, die kein anderes Interesse als die Kirche haben. Ich spreche vom Dialog der brasilianischen Bischöfe untereinander, der ebenso wichtig war wie das Gespräch der Bischöfe mit den Vertretern der Römischen Kurie. Wenn bei der Begegnung „alles Gnade war“, so meine ich; die bedeutendste Gnade bestand wohl darin, daß der Dialog niemals abgelehnt wurde oder ihm Hindernisse in den Weg gelegt wurden, die ihn fruchtlos und nutzlos gemacht hätten. Zweck der Begegnung war gleichzeitig die Erneuerung, Ausweitung, Vertiefung und Vervollkommnung dieses Dialogs. In diesem Sinne bin ich davon überzeugt, daß diese Begegnung, wenn sie zur Verbesserung des Dialogs der brasilianischen Bischöfe mit dem Nachfolger Petri und seinen Mitarbeitern und der brasilianischen Bischöfe untereinander beitrug, ihr Ziel erreicht hat. Der Dialog sollte fortgesetzt werden, muß fortgesetzt werden. Die Römische Kurie, getreue Mitarbeiterin des päpstlichen Dienstamtes, bemüht sich — dafür bin ich Zeuge — und wird sich immer bemühen, die konkreten Situationen und die Herausforderungen aller Art unter den Menschen, für die die Bischöfe Brasiliens ihren Dienst erfüllen, kennenzulernen, zu verstehen und zu teilen. Sie hat ihrerseits den Wunsch und das Bedürfnis, anerkannt, verstanden und in ihrer kirchlichen Sendung unterstützt zu werden. Denn diese Dikasterien sollten dadurch, daß sie, wenn notwendig und soweit möglich, ihre Dienstleistungen vervollkommnen, unaufhörlich den Dialog mit den Teilkirchen in mehrfacher Hinsicht eröffnen und fördern. Die Teilkirchen aber — und unter ihnen jene in Brasilien — sollten ihrerseits das Vertrauen spüren, den Dialog mit den Kongregationen immer wieder neu aufzunehmen. Auf dieser Systole-Diastole (diesem Spannungsrhythmus) beruht die Gesundheit und Lebenskraft jeder und der ganzen Kirche, da dieser Dialog ein Geben und Empfangen ist, das alle bereichert. 6. Hinzugefügt sei noch; die Tatsache, daß ihr, liebe brasilianische Bischöfe, an dieser Begegnung teilgenommen habt, ist ein Privileg, das euch mit einem Auftrag ausstattet: nämlich die Mitbrüder, die ihr vertreten habt, zum selben Wunsch nach Dialog, zum Dienst an der affektiven und effektiven Gemeinschaft hinzuführen. Wie es in der christlichen Antike Brauch war, daß ein Bischof dem anderen das eucharistische Brot als Zeichen und Unterpfand der Gemeinschaft im Bischofskollegium weiterreichte, so gebt die Sehnsucht nach solcher Gemeinschaft, die feste und geduldige Entschlossenheit, sie aufzu- 1158 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bauen durch den Dialog, der eine Vorbedingung für das alles ist, an eure Brüder weiter. Dialog der Bischöfe miteinander, Dialog zwischen Bischöfen und Priestern, Dialog zwischen Bischöfen und Gläubigen, Dialog zwischen den brasilianischen Kirchen und dem Apostolischen Stuhl, Dialog zwischen Kirche und Welt: dieser Dialog kann nicht umfangreich und tiefgehend genug sein. Aus dieser Sicht und im Licht dieser großen und antreibenden Hoffnung möchte ich die Begegnung abschließen und mich von den brasilianischen Bischöfen verabschieden. Ich tue das, indem ich bereits an den kommenden Gründonnerstag denke, den Geburtstag unseres Priestertums, den Augenblick der Wiederbegegnung mit der Gnade und dem unschätzbaren Segen des Sakraments, das uns zu Priestern und Bischöfen gemacht hat. Wenn ihr an diesem Tag mit euren Priestern das Brot der Eucharistie und das Brot der Liebe teilt, möge sich ein jeder von euch in Gedanken auch in Gemeinschaft mit seinen bischöflichen Brüdern in Brasilien und auf der ganzen Welt fühlen. „Mei etiam mementote“, denkt auch an mich, der ich an jenem Tag keinen größeren Trost haben könnte als im Glauben die engste Gemeinschaft mit dem ganzen Bischofskollegium zu fühlen. So wird das wunderbare Netz der großen kirchlichen Gemeinschaft geflochten. 7. Und nun: sage ich euch im voraus — Frohe Ostern! Um in die Schar der Apostel aufgenommen zu werden, war es, wie wir aus einem bekannten Text der Apostelgeschichte: wissen, notwendig, „Zeuge seiner Auferstehung“ zu sein (Apg 1,22; vgl. auch 2,32;,3,15). Dieselbe Bedingung muß für die Nachfolger der Apostel gelten: es müssen Männer sein, die von einem glühenden, unerschütterlichen Glauben an die Auferstehung Jesu durchdrungen sind; sie müssen Tag für Tag beseelt aus dem Optimismus — besser gesagt, der Freude und der Hoffnung — leben, die aus diesem Glauben spontan erwachsen; sie müssen vor der Welt bezeugen können, daß Christus auferstanden ist und folglich weder das Böse noch die Sünde noch der Tod das letzte Wort haben. Indem ich die Begegnung abschließe, wünsche ich allen — besonders den geliebten Bischöfen, die in Kürze von hier nach Brasilien zurüekkehren werden —, auch dank eben dieser Begegnung überzeugte und überzeugende Zeugen der erneuernden österlichen Hoffnung sein zu können. Mein Gebet begleitet euch bei eurer Arbeit. Es begleitet euch mein Apostolischer Segen, den ich euch bitte, anläßlich des Osterfestes an eure Gläubigen weiterzugeben. 1159 Sacerdotii nostri primordia Schreiben an alle Priester der Kirche zum Gründonnerstag 1986 16. März 1986 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Liebe Brüder im Priesteramt! Gründonnerstag, das Fest der Priester 1. Wieder stehen wir kurz vor dem Gründonnerstag, dem Tag, an dem Jesus Christus die heilige Eucharistie und zugleich unser Priesteramt eingesetzt hat. „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung.“1 Als der Gute Hirt ging er hin, sein Leben zu geben für seine Schafe,2 um die Menschen zu retten, sie mit seinem Vater zu versöhnen und zu einem neuen Leben zu führen. Und so bot er schon den Aposteln als Speise seinen Leib dar, für sie hingegeben, und sein Blut, für sie vergossen. In jedem Jahr ist dies ein großer Tag für alle Christen: In der Nachfolge der ersten Jünger kommen sie zusammen, um in der abendlichen Liturgie, welche das Letzte Abendmahl erneuert, den Leib und das Blut Christi zu empfangen. Sie erhalten vom Heiland das Vermächtnis der Bruderliebe, die ihr ganzes Leben durchdringen soll, und sie beginnen, mit ihm zu wachen, um sich seiner Passion anzuschließen. Ihr selbst werdet sie zur Gemeinschaft zusammenführen und ihr Gebet leiten. Aber dieser Tag ist in besonderer Weise groß für euch, liebe Brüder im Priesteramt. Er ist das Fest der Priester. Er ist der Tag, an dem unser Priestertum entstand, das Teilhabe ist am einzigen Priestertum unseres Mittlers Jesu Christi. An diesem Tag sind die Priester der ganzen Welt eingeladen, zusammen mit ihren Bischöfen die Eucharistie gemeinsam zu feiern und vor ihnen die Versprechen ihrer priesterlichen Verpflichtungen im Dienst Christi und seiner Kirche zu erneuern. Wie ihr wißt, fühle ich mich einem jeden von euch bei dieser Gelegenheit besonders verbunden. Und wie in jedem Jahr sende ich euch als Zeichen unserer sakramentalen Einheit im selben Priestertum und gedrängt durch meine herzliche Wertschätzung, die ich für euch hege, und durch meinen Auftrag, alle meine Brüder in ihrem Dienst für den Herrn zu stärken, diesen Brief, um euch zu helfen, das unerhörte Geschenk neu zu beleben, das euch durch die Auferlegung der Hände anvertraut worden ist.3 Dieses Priesteramt, an dem wir Anteil haben, ist auch unsere Berufung und unsere Gnade. Es prägt unser ganzes Leben mit dem Siegel eines Dienstes, der am meisten notwendig ist und die höchsten Anforderungen stellt, der Dienst am Heil der Seelen. Wir werden darin eingeübt durch das Vorbild zahlreicher Mitbrüder, die uns vorangegangen sind. 1162 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das unerreichte Vorbild des Pfarrers von Ars 2. Einer von ihnen ist dem Gedächtnis der Kirche sehr gegenwärtig geblieben und wird in diesem Jahr wegen des zweihundertsten Jahrestages seiner Geburt besonders gefeiert: der heilige Jean-Marie Vianney, Pfarrer von Ars. Wir möchten alle Christus, dem Ersten der Hirten, für dieses außerordentliche Beispiel eines priesterlichen Lebens und Wirkens danken, wie es der heilige Pfarrer von Ars der ganzen Kirche und vor allem uns Priestern darbietet. Wie viele von uns haben sich auf das Priestertum vorbereitet oder üben heute ihren schwierigen Dienst als Seelsorger aus, indem sie dabei die Gestalt des heiligen Jean-Marie Vianney vor Augen haben! Sein Beispiel sollte nicht in Vergessenheit geraten. Mehr denn je haben wir sein Zeugnis und seine Fürbitte nötig, um der Situation unserer Zeit begegnen zu können, in der sich die Verkündigung trotz einer gewissen Zahl von Hoffnungszeichen einer wachsenden Verweltlichung gegenübersieht, man die übernatürliche Aszese vernachlässigt, viele die Ausrichtung auf das Reich Gottes aus den Augen verlieren und man sich oft, sogar in der Pastoral, zu ausschließlich um den sozialen Aspekt und um irdische Ziele kümmert. Der Pfarrer von Ars mußte im vergangenen Jahrhundert gegen Schwierigkeiten angehen, die vielleicht anders aussahen, aber nicht weniger groß als die heutigen waren. Durch sein Leben und Wirken war er für die Gesellschaft seiner Zeit gleichsam eine starke evangelische Herausforderung, die erstaunliche Früchte der Bekehrung gebracht hat. Zweifellos stellt er auch heute noch für uns diese große evangelische Herausforderung dar. Ich lade euch darum ein, jetzt über unser Priestertum nachzudenken und dabei auf diesen einzigartigen Hirten zu schauen, der zugleich die volle Erfüllung des priesterlichen Amtes und die Heiligkeit seines Trägers veranschaulicht. Ihr wißt, daß Jean-Marie Baptiste Vianney am 4. August 1859 in Ars verstorben ist, nach vierzig Jahren einer Hingabe bis zur Erschöpfung. Er war damals 73 Jahre alt. Bei seiner Ankunft war Ars ein kleines, unbekanntes Dorf in der Diözese von Lyon, heute von Belley. Am Ende seines Lebens strömte man aus ganz Frankreich dorthin, und sein Ruf der Heiligkeit hat nach seinem Heimgang zu Gott schnell die Aufmerksamkeit der ganzen Kirche auf sich gezogen. Nach der Seligsprechung durch den heiligen Pius X. im Jahre 1905 hat Pius XI. ihn im Jahre 1925 heiliggesprochen; im Jahre 1929 hat er ihn dann zum Schutzpatron der 1163 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Seelsorger der ganzen Welt erklärt. Zum hundertsten Jahrestag seines Todes hat Johannes XXIII. die Enzyklika Nostri sacerdotii primitias geschrieben, um den Pfarrer von Ars als Beispiel für Leben und Aszese des Priesters, als Vorbild für Gebet und eucharistische Frömmigkeit sowie für pastoralen Einsatz vorzustellen, und das alles auf die Bedürfnisse unserer Zeit bezogen. Im vorliegenden Brief möchte ich lediglich eure Aufmerksamkeit auf einige wesentliche Aspekte richten, die uns helfen können, unser Priestertum neu und tiefer zu entdecken und es besser zu leben. Das wahrhaft außerordentliche Leben des Pfarrers von Ars Sein ausdauernder Wille, sich auf das Priestertum vorzubereiten 3. Der Pfarrer von Ars ist zunächst ein Beispiel an starkem Willen für diejenigen, die sich auf das Priestertum vorbereiten. Eine Reihe von Schwierigkeiten hätte ihn entmutigen können: Auswirkungen der Revolutionswirren, fehlender Unterricht in seiner ländlichen Umgebung, die Zurückhaltung seines Vaters, die Notwendigkeit, sich an der Feldarbeit zu beteiligen, die Risiken des Militärdienstes und vor allem, trotz seiner intuitiven Intelligenz und regen Empfindsamkeit, die große Schwierigkeit, zu lernen und sich etwas einzuprägen und folglich dem theologischen Unterricht' auf Latein folgen zu können, und schließlich eine dadurch bedingte Entlassung aus dem Seminar von Lyon. Weil jedoch die Echtheit seiner Berufung anerkannt wurde, konnte er im Alter von 29 Jahren geweiht werden. Wegen seiner Ausdauer im Arbeiten und Beten überwand er alle Hindernisse und Begrenzungen wie auch in seinem späteren Priesterleben die Schwierigkeit, seine Predigten mühsam vorzubereiten oder am Abend Werke von Theologen oder geistlichen Schriftstellern zu lesen. Von jungen Jahren an war er von der großen Sehnsucht erfüllt, als Priester „die Seelen für den lieben Gott zu gewinnen“; er wurde darin bestärkt durch das Vertrauen seines Nachbarpfarrers von Ecully, der einen guten Teil seiner Vorbereitung auf das Priestertum übernommen hatte, weil er an seiner Berufung nicht zweifelte. Welch mutiges Beispiel für diejenigen, die heute die Gnade erkennen, zum Priestertum berufen zu sein! 1164 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Tiefe seiner Liebe zu Christus und zu den Seelen 4. Der Pfarrer von Ars ist für alle Seelsorger ein Beispiel an priester-lichem Eifer. Das Geheimnis seiner Hochherzigkeit liegt ohne Zweifel in seiner grenzenlos gelebten Liebe zu Gott, mit der er ständig auf jene Liebe antwortete, die sich im gekreuzigten Herrn Jesus Christus offenbart hat. Dort gründet sein sehnliches Verlangen, alles zu tun, um die durch Christus zu einem so hohen Preis erlösten Seelen zu retten und zur Liebe Gottes zurückzuführen. Erinnern wir uns an eines seiner knappen Worte, für die er ein Geschick hatte: „Das Priestertum, das ist die Liebe des Herzens Jesu.“4 Immer wieder kam er in seinen Predigten und Katechesen auf diese Liebe zurück: „Mein Gott, ich möchte lieber sterben in der Liebe zu dir, als nur einen einzigen Augenblick zu leben, ohne dich zu lieben . . . Ich liebe dich, mein göttlicher Erlöser, weil du für mich gekreuzigt worden bist . . . weil du mich gekreuzigt hältst für dich.“5 Um Christi willen sucht er wortwörtlich den radikalen Forderungen zu entsprechen, die Jesus im Evangelium den Jüngern, die er zur Mission aussendet, stellt: Gebet, Armut, Demut, Selbstverleugnung, freiwillige Buße. Und wie Christus empfindet er für seine Pfarrkinder eine Liebe, die ihn zur letzten pastoralen Hingabe und zum Opfer seiner selbst führt. Selten ist sich ein Seelsorger seiner Verantwortung so sehr bewußt gewesen, indem er sich vor Sehnsucht verzehrte, seine Gläubigen ihrer Sünde oder ihrer Lauheit zu entreißen. „Mein Gott, gewähre mir die Bekehrung meiner Pfarrei: Dafür laß mich erleiden, was du möchtest, mein ganzes Leben lang.“ Liebe Brüder im Priesteramt, belehrt durch das II. Vatikanische Konzil, das die Weihe des Priesters auf so glückliche Weise in seine pastorale Sendung eingefügt hat, wollen wir den Elan unseres pastoralen Eifers mit Jean-Marie Vianney im Herzen Jesu suchen, in seiner Liebe zu den Seelen. Wenn wir nicht aus derselben Quelle schöpften, liefe unser Dienst Gefahr, recht wenig Früchte zu tragen! Die erstaunlichen und vielfältigen Früchte seines Dienstes 5. Gerade im Falle des Pfarrers von Ars sind die Früchte erstaunlich gewesen, fast wie bei Jesus im Evangelium. Der Heiland, dem Jean-Marie Vianney all seine Kräfte und sein ganzes Herz weiht, schenkt ihm gleichsam die Seelen. Ihm vertraut er sie an, in überreichem Maße. Da ist zunächst seine Pfarrei — bei seiner Ankunft zählte sie nur 230 Personen -, die sich tief verändern wird. Nun weiß man, daß es in diesem 1165 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dorf viel Gleichgültigkeit im Glauben und sehr wenig religiöse Praxis bei den Menschen gab. Der Bischof hatte Jean-Marie Vianney gewarnt: „Es gibt nicht viel Gottesliebe in dieser Pfarrei, du mußt sie dorthin bringen.“ Aber sehr schnell wird dieser Pfarrer weit über sein Dorf hinaus zum Seelsorger ungezählter Menschen, die aus der ganzen Gegend, aus verschiedenen Teilen Frankreichs und aus anderen Ländern herbeiströmen. Man spricht von 80 000 Personen im Jahr 1858! Man wartete manchmal mehrere Tage, um ihn zu treffen und bei ihm zu beichten. Was die Menschen anzieht, ist nicht so sehr die Neugierde und auch nicht sein Ruf, der durch Wunder, außerordentliche Heilungen, die der Heilige verbergen möchte, begründet ist. Es ist vielmehr die Vorahnung, einem Heiligen zu begegnen, so erstaunlich durch sein Bußleben, so vertraut mit Gott im Gebet, so auffällig in seiner Friedfertigkeit und Demut inmitten seiner Erfolge bei den Leuten und vor allem so einfühlend, um der seelischen Verfassung der Menschen zu entsprechen und sie von ihrer Last zu befreien, besonders im Beichtstuhl. Ja, Gott hat als Beispiel für die Seelsorger den erwählt, der in den Augen der Menschen armselig, schwächlich, wehrlos und verachtet hätte erscheinen können.6 Er hat ihn überreich beschenkt mit seinen besten Gaben als Hirt und Arzt der Seelen. Auch wenn man die besondere Begnadung des Pfarrers von Ars berücksichtigt, liegt nicht doch gerade darin ein Zeichen der Hoffnung für die Seelsorger, die auch heute an einer gewissen geistigen Wüste leiden? Die wichtigsten pastoralen Dienste im Wirken des Pfarrers von Ars Die verschiedenen Wege seines Apostolates, stets auf das Wesentliche bezogen 6. Jean-Marie Vianney widmete sich im wesentlichen der Glaubensunterweisung und der Reinigung der Gewissen; diese beiden Dienste führten dann zusammen zur Eucharistie. Muß man nicht darin auch heute noch die drei Schwerpunkte im pastoralen Dienst des Priesters erblicken? Wenn es auch gewiß das Ziel ist, das Volk Gottes durch Katechese und christliche Buße um das Geheimnis der Eucharistie zu versammeln, so sind doch auch andere pastorale Mittel und Wege je nach den Umständen 1166 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN notwendig: Manchmal ist es eine schlichte Gegenwart über Jahre hinweg, verbunden mit einem stillen Glaubenszeugnis im nichtchristlichen Milieu, oder eine Bekanntschaft mit Personen, mit Familien und deren Anliegen; dann ein erster Anruf, der versucht, die Ungläubigen und die Lauen zum Glauben zu erwecken; auch das Zeugnis der Liebe und Gerechtigkeit zusammen mit den christlichen Laien, das den Glauben glaubwürdiger macht und ins Leben überträgt. Hieraus ergibt sich eine ganze Reihe von Arbeiten oder apostolischen Werken, welche die christliche Glaubensformung vorbereiten oder fortführen. Der Pfarrer von Ars hat alles darangesetzt, Initiativen in die Wege zu leiten, die seiner Zeit und seinen Pfarrangehörigen angemessen waren. Gleichwohl waren alle seine prie-sterlichen Tätigkeiten auf die Eucharistie, die Katechese und das Sakrament der Versöhnung bezogen. Das Sakrament der Versöhnung 7. Ohne jeden Zweifel hat gerade sein unermüdlicher Dienst am Bußsakrament das hauptsächliche Charisma des Pfarrers von Ars offenbart und zu Recht seinen Ruf begründet. Es ist gut, daß ein solches Beispiel uns heute dazu drängt, dem Dienst an der Versöhnung seine volle Bedeutung zurückzugeben, die ihm zukommt, wie die Bischofssynode vom Jahre 1983 mit soviel Recht hervorgehoben hat.7 Ohne den Willen zu Bekehrung, Buße und Bitte um Vergebung, den die Hirten der Kirche unermüdlich ermutigen und bestärken müssen, würde das so ersehnte Aggiorna-mento oberflächlich und trügerisch bleiben. Der Pfarrer von Ars bemühte sich zunächst darum, in den Gläubigen das Verlangen nach Reue zu wecken. Er betonte die Schönheit der Vergebung Gottes. Waren nicht sein ganzes Leben als Priester und all seine Kräfte der Bekehrung der Sünder geweiht? Nun ist es gerade im Beichtstuhl, wo sich mehr als sonst die Barmherzigkeit zeigte. Er wollte sich darum denen, die von überall her zur Beichte gekommen waren, nicht entziehen; so widmete er ihnen oft zehn Stunden am Tag, manchmal auch fünfzehn oder mehr. Das war für ihn ohne Zweifel die härteste seiner aszetischen Übungen, ein „Martyrium“; zunächst physisch in Hitze, Kälte oder drückender Enge; dann auch moralisch, denn er litt selbst unter den vorgebrachten Sünden und noch mehr unter dem Fehlen von Reue: „Ich weine über das, was euch nicht zum Weinen bringt.“ Neben solchen gleichgültigen Menschen, die er in aller Güte empfing und für die Gottesliebe zu erwecken suchte, schenkte ihm der Herr die Gnade, reumütige große Sünder zu versöhnen und auch Seelen, die danach verlangten, zur 1167 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Vollkommenheit zu führen. Hier vor allem verlangte Gott also von ihm, daß er an der Erlösung mitwirkte. Was uns betrifft, so haben wir mehr als im letzten Jahrhundert den gemeinschaftlichen Aspekt der Buße, der Vorbereitung auf die Vergebung, der Danksagung nach der Vergebung wiederentdeckt. Aber die sakramentale Lossprechung erfordert eine persönliche Begegnung mit dem gekreuzigten Herrn Jesus Christus durch die Vermittlung seines beauftragten Dieners.8 Leider kommen heute beichtwillige Gläubige nicht in großer Zahl und bereitwillig zum Beichtstuhl, wie zur Zeit des Pfarrers von Ars. Nun, gerade dort, wo sich eine große Zahl aus vielfältigen Gründen vom Bußsakrament fernhält, ist damit ein Zeichen gegeben, daß man dringend eine Gesamtpastoral des Sakramentes der Versöhnung entwickeln muß; unablässig muß man dahin wirken, daß die Christen die Erfordernisse einer ehrlichen Beziehung zu Gott wiederentdecken, ebenfalls das Bewußtsein von Sünde, bei der man sich dem göttlichen wie dem menschlichen Gegenüber verschließt, ferner die Notwendigkeit, sich zu bekehren und durch die Kirche die Vergebung als unverdientes Geschenk Gottes zu empfangen, und schließlich auch die Bedingungen, die es ermöglichen, das Sakrament gut zu feiern, indem man die hierbei bestehenden Vorurteile, falschen Ängste und die Routine hinter sich läßt.9 Eine solche Lage erfordert zugleich, daß wir uns für diesen Dienst der Vergebung voll zur Verfügung stellen, stets bereit, die notwendige Zeit und Sorgfalt dafür einzusetzen und - so möchte ich sagen - diesem Dienst die Priorität vor anderen Aktivitäten zu geben. Die Gläubigen werden so verstehen, welchen Wert wir - wie der Pfarrer von Ars - dieser Aufgabe beimessen. Gewiß bleibt der Dienst der Versöhnung, wie ich im Apostolischen Schreiben im Anschluß an die Bischofssynode über die christliche Buße geschrieben habe,10 zweifellos der schwierigste und heikelste, der die meiste Mühe macht und die höchste Anforderung an uns stellt, vor allem wenn die Zahl der Priester gering ist. Er setzt auch beim Beichtvater hohe menschliche Qualitäten voraus, außer einem tiefen und ernsthaften geistlichen Leben; der Priester muß auch selbst dieses Sakrament regelmäßig empfangen. Seid stets davon überzeugt, liebe Brüder im Priesteramt: Dieser Dienst der Barmherzigkeit ist eine der schönsten und trostvollsten Aufgaben. Sie ermöglicht euch, die Gewissen zu erleuchten, ihnen im Namen unseres Herrn Jesus Christus Vergebung zuzusprechen und neue Lebenskraft zu schenken und für sie geistlicher Arzt und Ratgeber zu sein; sie bleibt „für den priesterlichen Dienst unersetzliches Zeichen und steter Test“.11 1168 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Eucharistie: Meßopfer, Kommunion, Anbetung 8. Die beiden Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie bleiben eng miteinander verbunden. Ohne eine Bekehrung, die man ständig erneuert, und den Empfang der sakramentalen Gnade der Vergebung gelangt die Teilnahme an der Eucharistie nicht zu ihrer vollen erlösenden Wirkung.12 Christus selbst hat seine Sendung mit den Worten begonnen: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium“.13 Ebenso begann der Pfarrer von Ars gewöhnlich jeden Tag mit dem Dienst der Vergebung. Aber er war glücklich darüber, seine bekehrten Pönitenten vor allem auf die Eucharistie hinzuweisen. Die Eucharistie stand ganz im Mittelpunkt seines geistlichen und seelsorglichen Lebens. Er sagte: „Alle guten Werke zusammen haben nicht den gleichen Wert wie das Meßopfer; denn jene sind Menschenwerk, die heilige Messe aber ist Gottes Werk.“14 Hier wird das Opfer von Golgotha für die Erlösung der Welt gegenwärtig gesetzt. Natürlich muß der Priester mit dem Opfer der Messe seine tägliche persönliche Hingabe verbinden: „Ein Priester tut also gut daran, sich jeden morgen Gott als Opfer darzubringen!“15 „Die heilige Kommunion und das heilige Meßopfer sind die zwei wirksamsten Akte, um die Umkehr der Herzen zu erlangen.“16 Ferner war die Messe für Jean-Marie Vianney die große Freude und die Kraftquelle für sein Priesterleben. Trotz des großen Andrangs von Beichtenden verwandte er große Sorgfalt darauf, sich mehr als eine Viertelstunde still auf sie vorzubereiten. Er feierte die Messe gesammelt und bekundete seine Anbetung besonders bei der Wandlung und der Kommunion. Realistisch bemerkte er: „Der Grund für das Nachlassen eines Priesters ist, daß man der Messe keine Aufmerksamkeit mehr schenkt!“17 Der Pfarrer von Ars war besonders von der bleibenden wirklichen Gegenwart Christi in der Eucharistie ergriffen. Vor Tagesanbruch oder am Abend verbrachte er gewöhnlich lange Stunden der Anbetung vor dem Tabernakel. Dorthin wandte er sich auch oft während seiner Predigten, indem er voller Bewegung sagte: „Er ist dort!“ Aus demselben Grund zögerte er, der so arm in seinem Pfarrhaus lebte, nicht, viel für die schöne Ausgestaltung seiner Kirche auszugeben. Die bemerkenswerte Folge davon war, daß auch seine Pfarrangehörigen es sich schnell zur Gewohnheit machten, vor dem Allerheiligsten Sakrament zu beten, indem sie durch das Verhalten ihres Pfarrers die Größe dieses Glaubensgeheimnisses entdecken. Angesichts eines solchen Zeugnisses denken wir an das, was. uns das II. Vatikanische Konzil heute über die Priester sagt: „Am meisten üben 1169 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sie ihr heiliges Amt in der eucharistischen Feier . . . aus.“18 Und erst kürzlich hat uns die außerordentliche Synode (Dezember 1985) daran erinnert: „Die Liturgie muß sehr klar den Sinn für das Heilige fördern und ihn aufleuchten lassen. Sie muß vom Geist der Ehrfurcht vor Gott, der Anbetung und seiner Verherrlichung durchdrungen sein . . . Die Eucharistie ist Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens.“19 Liebe Brüder im Priesteramt, das Beispiel des Pfarrers von Ars lädt uns zu einer ernsten Gewissenserforschung ein: Welchen Platz räumen wir in unserem täglichen Leben der Messe ein? Ist sie wie am Tag unserer Weihe - sie war unsere erste priesterliche Handlung! - die Kraftquelle unserer Pastoral und unserer persönlichen Heiligung? Welche Sorgfalt verwenden wir darauf, uns auf sie vorzubereiten? Sie würdig zu feiern? Vor dem Allerheiligsten Sakrament zu beten? Auch unsere Gläubigen dahin zu führen? Aus unseren Kirchen das Haus Gottes zu machen, wo die göttliche Gegenwart unsere Mitmenschen anzieht, die nur allzuoft eine Welt ohne Gott erfahren? Predigt und Katechese 9. Der Pfarrer von Ars war ferner darauf bedacht, auch den Dienst am Wort Gottes keineswegs zu vernachlässigen, der ja absolut notwendig ist, um die Menschen auf den Glauben und die Bekehrung vorzubereiten. Er sagte: „Unser Herr, der die Wahrheit selber ist, legt nicht weniger Wert auf sein Wort als auf seinen Leib.“20 Man weiß, wieviel Zeit er vor allem am Anfang darauf verwandte, um seine Sonntagspredigten mit Mühe auszuarbeiten. In der Folge kam er dazu, sich auch spontaner auszudrük-ken, stets mit kraftvoller und klarer Überzeugung und mit Bildern oder Vergleichen aus dem täglichen Leben, die für seine Gläubigen sehr einprägsam waren. Seine Katechesen für die Kinder bildeten ebenfalls einen wichtigen Teil seines Dienstes. Gern gesellten sich die Erwachsenen zu den Kindern hinzu, um aus dieser einzigartigen Unterweisung, die aus dem Herzen kam, auch für sich Nutzen zu ziehen. Er hatte den Mut, das Böse in all seinen Formen anzuprangern, ohne jemandem zu Gefallen zu sein; denn es ging hier um das ewige Heil seiner Gläubigen: „Wenn ein Seelsorger stumm bleibt, da er sieht, daß Gott gelästert und die Seelen irregeführt werden, dann Schande über ihn! Wenn er nicht sich selber verdammen will, so muß er, wenn es eine Unordnung in seiner Pfarrei gibt, die Achtung von seiten der Menschen und die Furcht, von ihnen mißverstanden oder gehaßt zu werden, geringachten.“ Diese Verantwortung beängstigte ihn als Pfarrer. Allgemein aber 1170 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „zog er es vor, mehr die ansprechende Seite der Tugend als die Häßlichkeit des Lasters aufzuzeigen“. Und wenn er - zuweilen unter Tränen - auf die Sünde und die Gefahr für das Heil zu sprechen kam, so betonte er vor allem die Liebe Gottes, die beleidigt worden war, und das Glück, von Gott geliebt zu werden, mit ihm verbunden zu sein sowie in seiner Gegenwart und für ihn zu leben. Liebe Brüder im Priesteramt! Ihr seid selbst fest überzeugt von der Wichtigkeit der Verkündigung des Evangeliums, die das II. Vatikanische Konzil an die erste Stelle unter den Aufgaben des Priesters gesetzt hat.21 Ihr sucht durch die Katechese, die Predigt und andere Formen, die auch die Medien einschließen, die Herzen unserer Zeitgenossen mit ihren Erwartungen und Unsicherheiten zu erreichen, um in ihnen den Glauben zu wecken und zu nähren. Sorgt euch wie der Pfarrer von Ars und entsprechend der Ermahnung des Konzils22 darum, das Wort Gottes selbst zu lehren, das die Menschen zur Bekehrung und zur Heiligkeit aufruft. Die Identität des Priesters Der spezifische Dienst des Priesters 10. Der heilige Jean-Marie Vianney gibt eine beredte Antwort auf gewisse Weisen, wie man im Lauf der letzten zwanzig Jahre die Identität des Priesters in Frage gestellt hat; es scheint übrigens, daß man inzwischen zu einer ausgeglicheneren Beurteilung gelangt. Der Priester findet immer und unverändert die Quelle für seine Identität im Priester Christus. Es ist nicht die Welt, die nach den Bedürfnissen und Begriffen der gesellschaftlichen Rollen seine Funktion bestimmt. Der Priester ist gekennzeichnet durch das Siegel des Priestertums Christi, an dessen Sendung als einzigem Mittler und Erlöser er teilnehmen soll. Kraft dieser grundlegenden Bindung öffnet sich dem Priester dann das weite Feld der Seelsorge für das Heil der Menschen in Christus und in der Kirche. Ein Dienst, der ganz von der Liebe zu den Seelen durchdrungen sein muß nach dem Vorbild Christi, der sein Leben für sie hingibt. Gott will, daß alle Menschen gerettet werden, daß keiner von diesen Kleinen verlorengeht.23 „Der Priester muß stets bereit sein, sich der Bedürfnisse der Seelen anzunehmen“, sagte der Pfarrer von Ars.24 „Er ist nicht für sich, er ist für euch da.“25 1171 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der Priester ist für die Laien da: Er führt und stützt sie in der Ausübung des gemeinsamen Priestertums der Getauften, das vom II. Vatikanischen Konzil so sehr herausgestellt worden ist. Dieses besteht darin, ihr Leben zu einer geistigen Opfergabe zu machen, vom christlichen Geist in der Familie und in der Verwaltung der irdischen Dinge Zeugnis zu geben sowie an der Evangelisierung ihrer Brüder und Schwestern teilzunehmen. Der Dienst des Priesters ist jedoch von anderer Natur. Er ist dazu bestimmt, im Namen Christi, des Hauptes, zu handeln, um die Menschen in das durch Christus eröffnete neue Leben einzuführen, ihnen seine Geheimnisse - Wort, Vergebung, Lebensbrot - zu vermitteln, sie zu seinem Leib zu vereinen und ihnen zu helfen, sich von innen her zu bilden sowie nach dem Heilsplan Gottes zu leben und zu handeln. Kurz, unsere Identität als Priester zeigt sich in der schöpferischen Entfaltung der Liebe zu den Seelen, die uns durch Jesus Christus geschenkt worden ist. Die Versuche, den Priester den Laien gleichzuschalten, sind schädlich für die Kirche. Das will keineswegs besagen, daß der Priester den menschlichen Anliegen der Laien fern bleiben könnte. Er muß ihnen vielmehr sehr nahe sein, wie Jean-Marie Vianney, aber als Priester, immer im Blick auf ihr Heil und den Fortschritt des Reiches Gottes. Er bezeugt und spendet ein anderes Leben als das irdische.26 Es ist wesentlich für die Kirche, daß die Identität des Priesters mit ihrer vertikalen Dimension gewahrt bleibt. Das Leben und die Persönlichkeit des Pfarrers von Ars sind dafür ein besonders leuchtendes und kraftvolles Beispiel. Seine innere Gleichgestaltung mit Christus und seine Solidarität mit den Sündern 11. Der heilige Jean-Marie Vianney begnügt sich wahrhaftig nicht damit, seine Diensthandlungen nur rituell zu vollziehen. Er sucht sein Herz und sein Leben Christus gleich zu gestalten. Das Gebet war die Seele seines Lebens: das stille, betrachtende Gebet, gewöhnlich in seiner Kirche, zu Füßen des Tabernakels. Durch Christus öffnete sich seine Seele den drei göttlichen Personen, denen er in seinem Testament „seine arme Seele“ anvertraut. „Er bewahrte eine ständige Verbindung mit Gott inmitten seines äußerst arbeitsreichen Lebens.“ Er vernachlässigte weder das Breviergebet noch den Rosenkranz und wandte sich spontan an die Jungfrau Maria. Seine Armut war außergewöhnlich. Er verschenkte buchstäblich alles an die Armen. Er mied die Ehrenbezeugungen. Die Keuschheit erstrahlte hell bei ihm. Er wußte um den Preis der Reinheit, um „die Quelle der 1172 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Liebe, die Gott ist, wiederzufinden“. Der Gehorsam Christus gegenüber ließ sich für Jean-Marie Vianney übersetzen mit Gehorsam gegenüber der Kirche und besonders gegen den Bischof. Er konkretisierte sich in der Annahme der schweren Last des Pfarrers, die ihn oft erschreckte. Aber das Evangelium betont mit Nachdruck gerade die Selbstverleugnung und die Annahme des Kreuzes. Zahlreiche Kreuze begegneten dem Pfarrer von Ars im Verlauf seines Priesterdienstes: Verleumdungen der Leute, Unverständnis von seiten eines Vikars oder von Mitbrüdern, Widerspruch und auch ein geheimnisvoller Kampf mit den höllischen Mächten, mitunter sogar die Versuchung zur Verzweiflung in geistiger Nacht. Dennoch begnügte er sich nicht damit, diese Prüfungen ohne Klage anzunehmen. Er schritt zur Abtötung, indem er sich ein ständiges Fasten und noch ganz andere strenge Übungen auferlegte, um „seinen Körper dienstbar zu machen“, wie der heilige Paulus sagt. Doch muß man die Beweggründe für diese Bußübungen, mit denen unser Jahrhundert leider wenig vertraut ist, klar sehen: die Liebe zu Gott und die Bekehrung der Sünder. Deshalb fragt er einen entmutigten Mitbruder: „Du hast gebetet..., du hast geseufzt,... hast du aber auch gefastet, hast du gewacht?“27 Man begegnet hier den Worten Jesu an die Apostel: „Diese Art von Dämonen kann nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden.“28 Letztlich heiligte Jean-Marie Vianney sich selbst, um noch besser die anderen heiligen zu können. Gewiß, die Bekehrung bleibt das Geheimnis der Herzen, die in ihrem Wollen frei sind, und das Geheimnis der Gnade Gottes. Durch seinen Dienst kann der Priester die Personen nur erleuchten, sie im Gewissensbereich führen und ihnen die Sakramente spenden. Diese Sakramente sind ganz Handlungen Christi, deren Wirksamkeit durch die Unvollkommenheit oder die Unwürde des Spenders nicht vermindert wird. Doch hängt ihre Frucht auch von den Dispositionen des Empfängers ab, und diese werden sehr gefördert durch die persönliche Heiligkeit des Priesters, durch sein sichtbares Zeugnis wie auch durch den geheimnisvollen Austausch der Verdienste in der Gemeinschaft der Heiligen. Der heilige Paulus hat gesagt: „Für den, Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leib das, was an den Leiden Christi noch fehlt.“29 Jean-Marie Vianney wollte diese Gnaden der Bekehrung gleichsam nicht nur durch sein Gebet, sondern auch durch das Opfer seines ganzen Lebens von Gott erlangen. Er wollte Gott für diejenigen lieben, die ihn nicht liebten, und sogar einen großen Teil der Buße verrichten, die sie nicht taten. Er war wirklich ein solidarischer Hirte seines sündigen Volkes. 1173 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Liebe Brüder im Priesteramt, fürchtet nicht dieses ganz persönliche Engagement — gekennzeichnet von der Aszese und beseelt von der Liebe das Gott von uns verlangt, um unseren Priesterberuf gut auszuüben. Erinnern wir uns an die kürzlichen Überlegungen der Väter der Bischofssynode: „Uns scheint, daß Gott uns durch die heutigen Schwierigkeiten tiefer den Wert, die Bedeutung und die zentrale Stelle des Kreuzes Jesu Christi lehren will.“30 Im Priester lebt Christus neu seine Passion für die Seelen. Danken wir Gott, der uns so erlaubt, mit Herz und Leib an der Erlösung teilzunehmen. Aus all diesen Gründen hört der heilige Jean-Marie Vianney nicht auf, stets lebendiger und aktueller Zeuge für die Wahrheit über die Berufung und den Dienst des Priesters zu sein. Man wird sich stets an die überzeugende Art erinnern, mit der er über die Größe des Priesters und seine absolute Notwendigkeit zu sprechen verstand. Die Priester,, diejenigen, die sich auf das Priestertum vorbereiten, und jene, die dazu noch berufen werden, müssen ihre Augen auf sein Beispiel heften und ihm nachfolgen. Die Gläubigen ihrerseits werden durch ihn das Geheimnis des Priestertums bei ihren Priestern besser erkennen. Nein, die Gestalt des Pfarrers von Ars vergeht nicht! Schluß: für den Gründonnerstag 12. Liebe Brüder! Mögen diese Überlegungen die Freude an eurem Priestersein und den Wunsch, es noch tiefer zu leben, in euch erneuern! Das Zeugnis des Pfarrers von Ars enthält noch viele andere Schätze, die es noch zu bedenken gilt. Wir werden ausführlicher auf diese Themen zurückkommen während meiner Pilgerreise, die ich im kommenden Oktober mit Freude unternehmen werde, da mich die französischen Bischöfe zur Feier des zweihundertsten Geburtstages von Jean-Marie Vianney nach Ars eingeladen haben. Diese erste Betrachtung übermittle ich euch, liebe Brüder, zum Gründonnerstag. In allen unseren Diözesen kommen wir an diesem Tag der Einsetzung unseres Priestertums zusammen, um die Gnade des Weihesakramentes zu erneuern und die Liebe neu zu entfachen, die unsere Berufung kennzeichnet. Wir hören die Worte Christi, die er an uns wie an die Apostel richtet: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt . . . Ich nenne euch nicht mehr Knechte . . . Vielmehr habe ich euch Freunde genannt.“31 1174 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Vor ihm, der uns die Fülle seiner Liebe bezeugt hat, erneuern wir, Priester und Bischöfe, unsere priesterlichen Verpflichtungen. Wir beten füreinander, jeder für seinen Bruder und alle für alle. Wir bitten den ewigen Vater, daß das Andenken an den Pfarrer von Ars uns helfe, unseren Eifer in seinem Dienst neu zu beleben. Wir beten zum Heiligen Geist, daß er für die Kirche viele Priester von der Art und Heiligkeit des Pfarrers von Ars berufen möge: Sie bedarf ihrer in unserer Zeit so dringend, und sie ist auch heute nicht weniger fähig, diese Berufungen zur vollen Entfaltung zu bringen. Wir vertrauen unser Priestertum der Jungfrau Maria an, der Mutter der Priester, zu der Jean-Marie Vianney ununterbrochen mit kindlicher Liebe und vollem Vertrauen seine Zuflucht genommen hat. Sie war für ihn ein weiterer Grund zur Dankbarkeit: „Jesus Christus“, so sagte er, „will uns, nachdem er uns schon alles geschenkt hat, was er uns schenken konnte, auch noch zu Erben dessen machen, was ihm am kostbarsten ist, nämlich seiner heiligen Mutter.“32 Meinerseits erneuere ich euch von Herzen den Ausdruck meiner brüderlichen Liebe und erteile euch zusammen mit eurem Bischof meinen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, den 16. März 1986, am fünften Fastensonntag, im achten Jahr meines Pontifikates. Anmerkungen: 1 Joh 13, 1. 2 Vgl. Joh 10, 11. 3 Vgl. 2 Tim 1, 6. 4 Vgl. Jean-Marie Vianney, eure d’Ars, sa pensee son cceur, presentes par l’Abbe Bemard Nodet, editions Xavier Mappus, Le Puy, 1958, S. 100 (von jetzt an zitiert als: Nodet). 5 Nodet, S. 44. 6 Vgl. 1 Kor 1, 27-29. 7 Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben im Anschluß an die Bischofssynode Reconciliatio et paenitentia (2. Dezember 1984): AAS 11 (1985), S. 185-275. 8 Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), Nr. 20: AAS 71 (1979), S. 313-316. 9 Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben im Anschluß an die Bischofssynode Reconciliatio et paenitentia (2. Dezember 1984, Nr. 28: AAS 77 [1985], S. 250-252). 1175 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 10 Vgl. ebenda, Nr. 29: AAS 77 (1985), S. 252-256. 11 Johannes Paul II., Brief an die Priester zum Gründonnerstag 1983, Nr. 3: AAS 75 (1983), pars I, S. 419. 12 Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), Nr. 20: AAS 71 (1979), S. 309-313. ’ 13 Mk 1, 15. 14 Nodet, S. 108. 15 Nodet,. S. 107. 16 Nodet, S. 110. 17 Nodet, S. 108. 18 Dogmataische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 28. 19 II, B, b/1 und C/l; vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 11. 20 Nodet, S. 126. 21 Vgl. Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum Ordinis, 4. 22 Vgl. ebenda. 23 Vgl. Mt 18, 14. 24 Nodet, S. 101. 25 Nodet, S. 102. 26 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum Ordinis, 3. 27 Nodet, S. 193. 28 Mt 17, 21. 29 Kol 1,24. 30 Schlußbericht, D/2. 31 Joh 15, 13-15. 32 Nodet, S. 252. 1176 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der Mensch braucht etwas, das über die Arbeit hinausgeht Ansprache an die Arbeiter und Arbeiterinnen von Prato am Fest des hl. Josef, 19. März Liebe Brüder und Schwestern! Arbeiter und Arbeiterinnen von Prato! 1. Mit wirklich großer Freude treffe ich heute in eurer gastfreundlichen und arbeitsamen Stadt mit euch zusammen. Ich danke euch für den herzlichen Empfang: darin spüre ich das leidenschaftliche Herz der Menschen der Toskana schlagen. Ich begrüße euch ganz herzlich. Gern würde ich euch, jedem einzelnen, die Hand schütteln. Ihr wißt jedoch, daß ich euch geistig umarme, Zeichen einer tiefen Sympathie und solidarischen Teilhabe an euren Gedanken und Gefühlen. Ganz herzlichen Dank spreche ich euch, liebe Freunde, aus, die ihr auch im Namen eurer Arbeitskollegen freundliche Worte der Begrüßung an mich gerichtet habt. Ich habe sie mit großem Interesse gehört, wobei ich meine Gedanken vor allem auf die von euch genannten Ursachen der Angst und Sorge richtete. Ihr habt wichtige Themen berührt, auf die ich in meiner Ansprache zurückkommen werde. Laßt mich inzwischen sagen, daß ich in euch die Verkörperung der „Welt der Arbeit“ erkannt habe, die diese berühmte Stadt auszeichnet, die in kurzer Zeit zur weltweit größten Konzentration der Wollindustrie geworden ist: Eine in ihrer Zusammensetzung einmalige „Welt der Arbeit“, in der sich der Industriecharakter mit dem Handwerkscharakter in einer Symbiose verbindet und bisweilen verflicht, die die Vielfalt in der Einheit bestätigt. Ihr vertretet auch die verschiedenen Menschengruppen, die Beziehung zur Tätigkeit der Arbeiter haben. So habt ihr gleich zu Beginn unserer Begegnung die Weite des Begriffes Arbeit herausgestellt, der'jedes Werk, jede Arbeit einschließt, die der Mensch unter Einsatz seiner Hände wie seines Verstandes vollbringt. 2. Ich möchte zu Beginn unserer Begegnung feststellen, daß die Arbeit in erster Linie eine Berufung für den Menschen ist, ein bezeichnendes Merkmal seiner Natur als Vemunftwesen, das mit Verstand und Willen ausgestattet, als Ebenbild Gottes erschaffen und dazu befähigt ist, die unzähligen Kräfte der Schöpfung zu beherrschen. Bei der Antwort, die wir auf diese Berufung geben müssen, ist uns Jesus Vör- 1177 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bild. Er hat 30 Jahre mit dem hl. Josef in der bescheidenen Zimmermannswerkstätte im Haus von Nazaret wirklich gearbeitet. Das heutige Fest des hl. Josef — das der Anlaß für meinen Besuch ist — verbindet zwei verschiedene Gestalten: den von der Jungfrau geborenen Sohn Gottes und seinen gesetzlichen Vater, die in der Ausübung desselben Handwerksberufes vereint sind. Eine 30jährige Berufsausübung, ohne äußere Ereignisse, hat gewissermaßen den Wachstumsprozeß des Heilandes im Hinblick auf Alter, Weisheit und Gnade gestaltet: Eine sehr bedeutsame Fortsetzung der gewichtigen Aufgabe, sich die Erde untertan zu machen, die Gott dem Menschen am Anfang der Zeiten aufgetragen hat. Das Haus von Nazaret ist das Herz und zugleich der Höhepunkt des „Evangeliums der Arbeit“. In ihm fällt das Licht nicht so sehr auf die Art der Arbeit als auf die Personen, die sie ausführen. So wird der religiöse Wert der Arbeit und, mit dem religiösen verschmolzen, ihr menschlicher Wert ganz klar. Die christliche Sicht der Wirklichkeit konzentriert sich auf den Menschen und seine Würde. Darum möchte ich hier bekräftigen, daß „die erste Grundlage für den Wert der Arbeit der Mensch selbst ist, ihr Subjekt. Hiermit verbindet sich sogleich eine sehr wichtige Schlußfolgerung ethischer Natur: So wahr es auch ist, daß der Mensch zur Arbeit bestimmt und berufen ist, so ist doch in erster Linie die Arbeit für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit-Zweck der Arbeit, jeder vom Menschen verrichteten Arbeit — gelte sie auch in der allgemeinen Wertschätzung als die niedrigste Dienstleistung, als völlig monotone, ja als geächtete Arbeit —, bleibt letztlich immer der Mensch selbst“ (Laborem exercens, Nr. 6). Der Primat des Menschen ist der Angelpunkt, um den sich die gesamte Organisation der Arbeit bewegen muß. Die Arbeit ist eine große Sache. Aber der Mensch ist unvergleichlich größer. Der Mensch ist heilig. Lind diese Heiligkeit will unter allen Umständen anerkannt und bekannt werden, auch im Falle, daß die einzelne Person sich ihrer nicht würdig erwiesen hat. Die menschliche Heiligkeit ist unantastbar und unverzichtbar. 3. Die Heiligkeit ist die Wurzel, aus der sämtliche menschlichen Vorrechte entspringen; jene, die das Geheimnis der individuellen Persönlichkeit ausmachen; und jene, die den Menschen zu einem bestimmenden Glied des Sozialgefüges machen. Jeder Betrieb, der moralisch gesunde Grundlagen wünscht, darf keinen Ansatz dulden, der diesem Angelpunkt fernsteht oder von ihm abweicht oder im Gegensatz zu ihm steht. Die Unternehmertätigkeit kann ihre Stufe der Vörtrefflichkeit und Moral, oft 1178 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN auch der Leistungsfähigkeit, nach ihrem Verhalten gegenüber dem Menschen ermessen. Technik, Kapital, Gewinn und alles, was zur Vervollkommnung der Arbeit beiträgt, sind solange anzuerkennen und zu fördern, als man sich vor Augen hält, daß im Mittelpunkt der Mensch steht: sie müssen sich dem Menschen in der richtigen Weise unterordnen. 4. Der Mensch, der sich in den Arbeitsbetrieb stürzt und sein Werk vollbringt, ist aufgerufen, seiner Würde Wert und Gewicht zu verleihen. Nicht selten scheinen sich die Verhältnisse zu einer hartnäckigen Verschwörung zu verbünden, wie die Arbeiterin, die vorhin gesprochen hat, treffend bemerkte. Drückendes Arbeitstempo, Methoden und Zielsetzungen einer Produktion, die der Konkurrenz standhalten soll, verschiedene Aspekte der Mechanisierung, führen schließlich nicht selten dazu, daß der Mensch der Arbeit unterworfen wird. Der Arbeiter sieht sich mitunter so von der Maschine in Anspruch genommen, daß er von ihr in höchstem Maße abhängig wird. Er hat den Eindruck, daß er lebt, um zu arbeiten, und nicht, daß er arbeitet, um zu leben. Es wurde mir die Frage gestellt, wie man sich angesichts einer solchen Wirklichkeit verhalten solle. Das Problem verknüpft verschiedene Probleme, die die Person des Arbeiters, seine Familie, die Bedingungen, unter denen er seine Arbeit leistet, betreffen. Aber ich glaube, eine grundsätzliche Antwort geben zu können. Ich entnehme sie einer sehr bedeutsamen Aussage, die das Zweite Vatikanische Konzil gemacht hat: „Der Wert des Menschen liegt mehr in ihm selbst als in seinem Besitz“ (GS 35). Das ist eine ganz große Weisheit. Jeder muß ständig in sich selbst die Wahrheit seines Wesens suchen. Er muß in seinem Inneren das entdecken, was zu dem Bezug hat, nach dem er strebt. Er muß ehrlich seine Grenzen erkennen und sie soweit wie möglich zu überwinden versuchen. Er muß seine Fähigkeiten ausmachen und zum Tragen bringen. Je stärker das wahre Bewußtsein davon wächst, was wir sind, um so größeren Wert gewinnt das Gefühl für unsere Rechte im Einklang mit unserem Pflichtgefühl. Mensch sein in der Weite der Dimensionen, die diese Verpflichtung einschließt, ist das Kriterium, aufgrund dessen sowohl das Tun wie das Haben beurteilt werden muß. Es ist, mit anderen Worten, der Bezugspunkt, in dem die im gesamten Bogen der Existenz enthaltenen Tätigkeiten zusammenlaufen müssen. Es ist das Geheimnis, um zu erreichen, daß kein Aspekt sich als Schaden für den anderen erweist, sondern daß sich alle gegenseitig ergänzen; daß sich z.B. die Verpflichtungen, die zum Leben der Fabrik gehören, als nützlich für die Förderung der persönlichen Reifung, des Familienlebens und des an die Gemeinschaft zu leistenden Beitrags erweisen und umgekehrt. 1179 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 6. Ich weiß, daß viele Unternehmen in Prato Familienbetriebe sind. In diesem typischen Merkmal möchte ich ein Zeichen für die Hochschätzung und Anhänglichkeit sehen, mit der ihr die Institutionen der Familie als Wiege von Liebe und Zuneigung, als Hort des Lebens bedenkt. Die Verpflichtung zur Erhaltung der Familie, und zwar durch Beiträge, die den menschlichen und sozialen Bedürfnissen ihrer Mitglieder angemessen sind, gehört zu den feststehenden Forderungen des Lehramtes der Kirche. Seit Leo XIII. wird der Begriff des „Arbeitslohnes“, um dem Kriterium der Gerechtigkeit zu entsprechen, immer mit der Zusammensetzung des Familienkernes in Beziehung gebracht. Dasselbe ließe sich in anderen Bereichen des sozialen Dienstes sagen. In der Enzyklika Laborem exercens habe ich den Knotenpunkt der Beziehungen zwischen Familie und Arbeit hervorgehoben. „Die Familie ist eine durch die Arbeit ermöglichte Gemeinschaft und die erste, häusliche Schule der Arbeit für jeden Menschen“ (Nr. 10). Und als besonders dringlich in unserer Zeit habe ich ausgewiesen „die soziale Aufwertung der mütterlichen Aufgaben, die Aufwertung der Mühen, die mit ihnen verbunden sind, und des Bedürfnisses der Kinder nach Pflege, Zuwendung und Herzlichkeit, damit sie sich zu verantwortungsbewußten, sittlich und religiös reifen und psychisch ausgeglichenen Persönlichkeiten entwickeln können“ (Nr. 19). 7. Die so enge Beziehung zwischen Familie und Arbeit soll noch schärfer und klarer heraussteilen, daß der Mensch arbeitet, um zu leben. Die Mühe der Glieder und des Geistes gilt dem Leben. Das Leben des Menschen ist ja heilig. Das allgemeine Bewußtsein gibt das zu. Der Glaube sagt, daß es ein großes Geschenk Gottes ist. - Konsequenterweise muß man sich absolut, ohne Schwankungen zum Wert des Lebens bekennen, von der Empfängnis im Mutterleib bis zu seinem natürlichen Verlöschen. Es ist heilig vom ersten Keim bis zum letzten Atemzug. Der eine wie der andere verlangen höchste Achtung und Schutz. Liebe Arbeiter und Arbeiterinnen von Prato! Ihr versteht sicher, daß diese heiklen Themen in den Bereich jener Würde des Menschen gehören, die auch unter dem Gesichtspunkt der Förderung der Arbeitsbedingungen geschützt werden muß. Diese müssen in der Tat so strukturiert sein, daß die Berufung der Familie unterstützt wird und daß jenen, die ihr aktives Arbeitsverhältnis beendet haben, ein würdiges, ruhiges Leben garantiert wird. : An dieser Stelle möchte ich dem Vertreter der Pensionäre beipflichten und ihnen inständig wünschen, daß ihre Probleme aus der Sicht der Gerechtigkeit und des Gefühles für Menschlichkeit bewertet werden. Die Anwesenheit der Pensionäre in der Gemeinschaft möge als Quelle und Ruf . der Weisheit angesehen werden. 1180 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der Menseh ist immer der erste Reichtum, vom Anfangs- bis zum Endstadium. Der Grad der Kultur eines Volkes läßt sich an seinem Verhalten gegenüber denen ermessen, die die beiden Bahnen des Lebens — die aufsteigende und die absteigende — personifizieren. 8. Ein Drama unserer Zeit ist die Arbeitslosigkeit, insbesondere unter der Jugend. Eure Kollegin, die im Namen der Arbeitslosen sprach, hat mich tief betroffen gemacht. Ja, keine Arbeit zu haben, ist, besonders wenn man an morgen denkt und alle geistigen und körperlichen Kräfte von ihrer Anlage her danach verlangen, eingesetzt und geübt zu werden, eine wahrlich dramatische Prüfung. Aufgezwungene Untätigkeit ist eine ungerechte Situation, eine Unbeweglichkeit, die schließlich die Hoffnung lähmt. Träume und Ideale laufen Gefahr, in einer demütigenden Zange zunichte gemacht zu werden. Der junge Mensch sieht sich der Möglichkeit beraubt, eine Familie zu gründen. Es gibt schon eine Geschichte der psychischen und sittlichen Krisen und Zerstörungen, über die es ernsthaft nachzudenken gilt. Ich wiederhole nachdrücklich, daß „die Arbeitslosigkeit in jedem Fall ein Übel ist und, wenn sie große Ausmaße annimmt, zu einem echten sozialen Notstand werden kann“ (Laborem exercens, Nr. 18). Die Arbeitslosigkeit ist „eine Plage!“ (ebd., Nr. 8). Die Plage entsteht in schwachen oder kranken Organismen. Wenn sich eine Gesellschaft mit einer solchen Erscheinung auseinandersetzen muß, ist notgedrungen nach ihrem Gesundheitszustand zu fragen. Sie muß sehr sorgfältige Klarstellungen vornehmen, indem sie jede einzelne der sozialen Gliederungen überprüft, um deren Lebenskraft und Beziehungen im wirtschaftlichen Gesamtbild zu beurteilen. Soziologie und Wirtschaftswissenschaft haben dazu im Zusammenhang mit den eindrucksvollen Veränderungen auf technologischem Gebiet, die die moderne Arbeit entscheidend beeinflussen, gewiß viel zu sagen. Aber auch hier muß als erstes Element der Mensch berücksichtigt werden. Der Mensch, dessen Beitrag auf dem Weg des Fortschritts immer notwendig ist und sein wird. Kein noch so vervollkommneter Mechanismus vermag den menschlichen Verstand zu ersetzen. Wenn wir den Akzent auf den Wert Mensch legen, wird sogleich klar, daß nicht ihm leichtfertig der Hauptpreis für die Automatisierung aufgebürdet werden kann. Die moderne Organisierung der Arbeit wird hingegen nach organischen Plänen studiert und in die Tat umgesetzt, die das Recht des Menschen auf Arbeit sorgfältig schützen sollen. Wenn dieses Kriterium mit gutem Willen und 1181 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Weitblick angewandt wird, lassen sich die Plagen der Arbeitslosigkeit wieder beseitigen. Der wahre „Sinn für das Menschliche“ muß notwendigerweise die Vereinbarung der Parteien leiten und bestimmen, so daß die Gesellschaft durch die ausgewogene Entfaltung ihrer verschiedenen Funktionen imstande ist, allen ihren Mitgliedern eine entsprechende Beschäftigung zu gewährleisten. Dieses große Ziel erlaube ich mir insbesondere den Gewerkschaftsorganisationen erneut vorzuschlagen, deren unersetzliche Aufgabe der Verteidigung und Förderung der Rechte der Arbeiter sich nicht bloß auf die Sicht einer Gruppe beschränken darf, sondern sich zum Gesichtskreis des Menschen ausweiten muß. 9. Viele von euch sind aus anderen Regionen zugewandert und haben hier durch gastfreundliche Aufnahme die Möglichkeit gefunden, sich ohne weiteres in die Struktur der Stadt und die Arbeitswelt einzufügen. Das ist eine Tatsache, die hervorgehoben zu werden verdient, ein Zeichen für die Tendenz, die die Arbeit auch auf Weltebene immer stärker zeigt, nämlich die Tendenz, jede Grenze zu überspringen. Sehr gefreut habe ich mich über das Zeugnis der Solidarität für die Arbeiter der Entwicklungsländer, das ich zu Beginn dieser- Begegnung gehört habe. Das weltweite Ausmaß der Probleme der Arbeit drängt mit einer Dringlichkeit, die nicht mehr unbeachtet bleiben kann. Es gehört zu einem der Ausblicke von Laborem exercens, wo die Notwendigkeit einer tatkräftigen internationalen Zusammenarbeit durch Verträge und Vereinbarungen ausgesprochen wird. „Auch hier muß das Grundanliegen solcher Verträge und Vereinbarungen immer mehr die menschliche Arbeit werden, als Grundrecht aller Menschen verstanden; die Arbeit, welche allen, die sie verrichten, analoge Rechte verleiht, so daß der Lebensstandard der Arbeitenden in den einzelnen Ländern immer weniger jene ärgerniserregenden Unterschiede aufweise, die ungerecht sind und sogar gewaltsame Reaktionen hervorrufen können“ {Laborem exercens, Nr. 18). Den Staaten obliegen also Aufgaben von großer Bedeutung. Auch die Arbeiter können zu der großen Zielsetzung beitragen. Sie können das durch ihre Vertretungen in besonderen internationalen Körperschaften tun, in denen sie aktives Mitspracherecht besitzen, wie z.B. in der Internationalen Arbeitsorganisation. Im Bereich ihres eigenen Landes haben sie die Aufgabe, eine Tätigkeit zum Ansporn der öffentlichen Meinung zu entfalten. Diese kann in den demokratisch organisierten Gesellschaften ihrerseits dazu beitragen, daß die Gastarbeiterpolitik nicht aufgrund verschiedenster Vorurteile geplant wird, sondern auf der Grundlage des Rechtes des Menschen, überall nach Unterhaltsquellen für 1182 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sich und seine Familie zu suchen, nach der Auffassung vom Gemeinwohl der Menschheitsfamilie, die die Überwindung der Gleichgewichtsstörung zwischen den Nationen fordert. Neben diesen weitreichenden Aktionen haben die Verwirklichungen der Solidarität „im kleinen Stil“ durchaus ihre Berechtigung; sie nehmen in den einzelnen Fällen die verschiedensten Formen an und erfüllen stets wertvolle Aufgaben. 10. Aus all diesen Überlegungen ergibt sich, daß es im Leben eine entscheidende Wertskala gibt. Wir preisen die Arbeit. Das ist recht. Wir preisen den Menschen in seinem Verhältnis zur Arbeit. Das ist noch berechtigter. Aber der Mensch braucht etwas, das über die Arbeit hinausgeht: Er braucht das tägliche Brot, doch er lebt nicht vom Brot allein. Der Mensch sucht, angeregt von den Impulsen seiner inneren Welt, immer nach etwas Höherem. Unzählige Reichtümer sind im Innersten seines Herzens verborgen: der Sinn für die Güte, die Schönheit, die Hochherzigkeit, Sehnsucht und Hoffnung, der Zauber des Geheimnisses, das ethische und moralische Empfinden, die Offenheit für Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität. Der Mensch wird sozusagen um so mehr Mensch, je mehr es ihm durch das Überspringen der materiellen Grenzen gelingt, sich selbst zu überwinden. Und da tut sich der Horizont der großen transzendenten Werte auf, die über die Sinneserfahrung hinausgehen und die „übernatürliche Welt“ bilden. Damit kehrt meine Ansprache zu dem religiösen Kern, zum „Evangelium der Arbeit“ zurück. Einer eurer Vertreter sagte, daß der Abstand zwischen der Kirche und der Welt der Arbeit immer geringer werde. Über diese Feststellung freue ich mich sehr und hoffe, daß es auf diesem Weg weitere Fortschritte geben wird. Der Grund dafür ist, daß die Kirche, wenn sie sich an die Seite des Arbeiters stellt und ohne Unterschied der Rasse, des Glaubensbekenntnisses, der Nationalität und der sozialen Stellung seine Würde verteidigt, kraft der ihr von Christus aufgetragenen Sendung handelt. Christus war und bleibt der große Verbündete des Menschen. Für uns Menschen und für unser Heil ist er — wie wir im Glaubensbekenntnis bekennen — vom Himmel herabgestiegen und einer von uns geworden. Wer an ihn glaubt, findet an jeder entscheidenden Kreuzung das Licht, das ihm den Weg zu weisen vermag. Im Zeichen Christi ist die Arbeit ein Weg zu menschlicher Vervollkommnung und übernatürlicher Erhebung, ein Mittel der Heiligkeit. Sie verliert nie ihre Bedeutung. Im Heranreifen des katholischen Laientums, das eine Frucht des Konzils ist, verbreitet sich die Spiritualität der Arbeit. Es ist eine Spiritualität, die auf der 1183 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Suche nach den geeignetsten Möglichkeiten den christlichen Impuls vertiefen und aufwerten muß, um so das Individuum zu verwandeln und in den Arbeitsbereich die Liebe, die Brüderlichkeit, den Frieden Christi einzubringen. Arbeiter und Arbeiterinnen von Prato! Öffnet euer Herz Christus, dem göttlichen Arbeiter: Nehmt seine evangelische Botschaft an. In ihr findet sich das Wort, das Quelle der Würde und der Freiheit ist. Bei eurer oft harten, eintönigen, aufreibenden Arbeit bietet euch Christus einen Aufschwung immer neuer Kräfte, die in jeder Lage die Spuren der göttlichen Vorsehung enthüllen. Arbeitswelt von Prato! Auf dich, auf jeden einzelnen deiner Mitglieder, einzelne und Familien, besonders auf die geliebte Jugend, rufe ich unter dem Schutz des.hl. Josef alle himmlischen Gnaden herab. Und ganz herzlich umarme und segne ich dich. Tiefer Zusammenhang zwischen menschlicher und göttlicher Vaterschaft Predigt bei der Eucharistiefeier in Prato am Fest des hl. Josef, 19. März 1. „Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht“ (Lk 2,48). Heute versammelt sich die ganze Kirche um die Gestalt des hl. Josef von Naza-ret, Bräutigam der Jungfrau Maria, Beschützer des menschgewordenen Wortes und Schutzherr der Kirche. Ich freue mich, daß es mir gegeben ist, dieses Fest zusammen mit euch, liebe Brüder und Schwestern, zu erleben! Ich begrüße euren.Bischof und danke ihm für die Einladung, die er an mich gerichtet hat, aus diesem freudigen Anlaß bei euch zu sein. Heute vormittag bin ich, wie ihr wißt, mit den verschiedenen Gruppen der Welt der Arbeit zusammengetroffen, und diese herzliche Begegnung schien besonders bedeütsam an diesem liturgischen Fest, an dem wir des hl. Josefs, des Patrons der Arbeiter, gedenken. Mein herzlicher Gruß gilt allen Anwesenden: den Vertretern des öffentlichen Lebens, den Priestern, den Ordensmännern und Ordensfrauen, dem christlichen Volk, den katholischen Vereinigungen und Bewegungen, den Kindern, den Jugendlichen, den Familien, den alten Menschen, den Kranken — allen! Ich freue mich auch deshalb, heute bei euch zu sein, weil meine Gedanken voll Aufmerksamkeit und Ermutigung zu der Diözesansynode gehen, die gerade aüf Pfarrebene stattfindet. Mögen ihre: Arbeiten weitergeführt und dann mit 1184 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN reichen Früchten an Gutem und an geistlicher Erneuerung abgeschlossen werden! 2. Die Kirche blickt auf den hl. Josef, den „gerechten Mann“, der in den Augen der Menschen der Vater Jesu von Nazaret war. Darum vernehmen wir im heutigen Evangelium die Worte: „Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht“ (Lk 2,48). Diese Worte spricht die Mutter Jesu, nachdem sie den Zwölfjährigen drei Tage lang gesucht'hatten, in dem Augenblick, wo sie ihn „im Tempel fanden; er saß mitten unter den Lehrern, hörte ihnen zu und stellte Fragen“ (Lk 2,46). Wir alle haben diese vom Evangelisten Lukas geschilderte Szene vor Augen. Die heutige Liturgie stellt sie uns wieder vor. Es ist das einzige Ereignis aus der Jugend Jesu, das von den Evangelien berichtet wird. Ein sehr bedeutendes Ereignis durch die Tatsache, daß der zwölfjährige Pilger aus Nazaret unter den Schriftgelehrten im Tempel von Jerusalem so viel Gehör finden konnte. „Alle, die ihn hörten, waren erstaunt über sein Verständnis und über seine Antworten“ (Lk 2,47). Gleichzeitig wirft dieses Ereignis ein besonderes Licht auf das Geheimnis der Vaterschaft Josefs von Nazaret. Maria, die dem Sohn Vorwürfe macht („Kind, wie konntest du uns das antun?“), sagt: „Dein Vater und ich haben dich ... gesucht.“ Und Jesus antwortet: „Warum habt ihr mich gesucht? Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,49). Maria bezieht sich auf die väterliche Sorge Josefs, der zwölfjährige Jesus weist auf die Vaterschaft Gottes hin. 3. Die Liturgie des heutigen Festes läßt uns die Vaterschaft des Menschen Josef durch die Vaterschaft Gottes selbst sehen. Darum gehen unsere Gedanken zu der Verheißung an Abraham, die gewissermaßen den Beginn des großen Bundes Gottes mit dem Menschen darstellt. Siehe, Abraham „hat gegen alle Hoffnung voll Hoffnung geglaubt, daß er der Vater vieler Völker werde, nach dem Wort: So zahlreich werden deine Nachkommen sein“ (Röm 4,18). Die Vaterschaft Abrahams gründete sich auf den Glauben. Sie gründete sich auf die Hoffnung „gegen alle Hoffnung“. Durch den Glauben wurde er Vater einer zahlreichen Nachkommenschaft, nicht im physischen, sondern im geistigen Sinne. Auch die Vaterschaft Josefs von Nazaret ist auf den Glauben gegründet. Sie gründet sich vollkommen und ausschließlich auf den Glauben. Durch den Heiligen Geist hat er an das Geheimnis der Empfängnis des Gottessohnes im Schoß der Jungfrau, die seine Braut war, geglaubt. Durch den Heiligen Geist — 1185 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN durch den Glauben — wurde er Zeuge der Geburt Gottes in der Nacht von Bet-Iehem. Er wurde zum aufmerksamsten Hüter dieses Geheimnisses und zum Hüter Mariens und des Sohnes, zuerst in Betlehem, dann in Ägypten, wohin sie fliehen mußten, um der Grausamkeit des Herodes zu entgehen, schließlich in Nazaret, wo Jesus unter seinen Blicken heranwuchs und dauernd an seiner Seite war, um als „Sohn des Zimmermanns“ {Mt 13,55; Mk 6,3) an der Werkbank zu arbeiten. Als sie den zwölfjährigen Jesus im Tempel von Jerusalem fanden, sagte Maria: „Dein Vater und ich haben dich ... gesucht.“ Diese so „menschlichen“ Worte enthalten die ganze Größe des göttlichen Geheimnisses. Die jungfräuliche Vaterschaft Josefs von Nazaret findet in diesem Geheimnis ihre Bestätigung. Darin findet sich auch die nicht versiegende Quelle seiner spirituellen Ausstrahlung. Das ist Josef, der „Glauben hatte, indem er gegen alle Hoffnung hoffte“. Der Glaube Abrahams hat in ihm eine Erfüllung ganz besonderer Art gefunden. 4. In der leuchtenden Gestalt Josefs können wir den tiefen Zusammenhang erahnen, der zwischen der menschlichen und der göttlichen Vaterschaft besteht: wie sehr jene auf diese gegründet ist und von dieser ihre wahre Würde und Größe bezieht. Ein Kind zeugen bedeutet für den Menschen vor allem, „es von Gott empfangen“: es handelt sich darum, das Geschöpf, das gezeugt wird, von Gott als Geschenk anzunehmen. Darum gehören die Kinder früher Gott als ihren Eltern: das ist für die einen wie für die anderen eine auflagen- und folgenreiche Wahrheit. Beruht nicht darauf die Größe der dem Vater und der Mutter anvertrauten Sendung, Werkzeuge des himmlischen Vaters bei der Erziehung und Formung ihrer Kinder zu sein? Hier befindet sich jedoch auch die unüberschreitbare Grenze, die die Eltern bei der Erfüllung ihrer Aufgabe respektieren müssen. Sie werden sich niemals als „Besitzer“ ihrer Kinder fühlen dürfen, sondern werden sie unter ständiger Berücksichtigung der vorrangigen Beziehung erziehen müssen, die diese Kinder zum himmlischen Vater haben, für den sie sich schließlich — wie Jesus — „mehr interessieren“ als für ihre irdischen Eltern. 5. Die Familie von Nazaret ist reich an Lehren nicht nur für die Väter, sondern auch für die Kinder: für euch, junge Leute, die ihr euch im täglichen Gegenüber zu euren Eltern auf das Leben vorbereitet. Auch für euch wird es hilfreich sein, über die vertikale Dimension, die die menschliche Vaterschaft mit der göttlichen verbindet, nachzudenken; mit der Vaterschaft Gottes, „nach dessen Na- 1186 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN men jedes Geschlecht im Himmel und auf der Erde benannt ist“, wie der hl. Paulus sagt (Eph 3,15). Wenn ihr jetzt im Lichte Gottes die Fülle der euren Eltern übertragenen Sendung zu erkennen vermögt, wenn ihr euch bemüht, ihr hochherzig zu entsprechen, indem ihr in einer Haltung des vertrauensvollen und offenen Dialogs euren Beitrag zum Familienleben leistet, bereitet ihr euch auf die beste Weise auf eure zukünftige Ehe und auf die späteren Aufgaben vor, die ihr als Väter und Mütter eurerseits werdet auf euch nehmen müssen. 6. Es handelt sich um keine leichten Aufgaben. Eine Vaterschaft und eine Mutterschaft, die der menschlichen Person würdig sein will, kann sich ja nicht auf die physische Zeugung beschränken, sondern wird auch — und ich möchte sagen: vor allem — in sittlicher und geistiger Hinsicht gefordert. Um einen Menschen zur Welt zu bringen, genügen wenige Monate, für sein Reifwerden und seine Erziehung reicht ein Leben nicht aus. Da ist in der Tat eine Welt menschlicher und übernatürlicher Werte, die die Eltern den Kindern vermitteln sollen, damit ihr „Lebenschenken“ eine vollmenschliche Dimension erhält. Das verlangt Zeit, verlangt Geduld, verlangt eine unerschöpfliche Reserve an Klugheit, Feingefühl und Liebe. Es ist ein Weg, den die ganze Familie gemeinsam, Tag für Tag gehen muß, in fortschreitendem Wachstum, an dem alle Familienmitglieder beteiligt sind: nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern, die, wenn sie ihre Elternschaft verantwortungsbewußt leben, unerwartete und wunderbare Seiten ihrer ehelichen Liebe entdecken können. Gerade diese innersten, tiefsten Seiten lassen jenen weiteren Horizont erahnen, durch den die Liebe zwischen Mann und Frau die irdische Erfahrung übersteigt und sich der Aussicht auf die künftige glorreiche Auferstehung öffnet, wo es die physische Zeugung offensichtlich, nicht mehr geben wird, deshalb aber die geistige Einheit der Herzen nicht geringer sein wird. In diesem Licht gewinnt die Gestalt des hl. Josef eine außerordentliche Bedeutung: er hat in der jungfräulichen Ehe mit der seligen Jungfrau Maria gewissermaßen die endgültige himmlische Erfahrung vorweggenommen, indem er uns den Reichtum einer ehelichen Liebe vor Augen führte, die sich auf den geheimnisvollen Einklang der Seelen stützte und aus den unerschöpflichen Quellen der Seele genährt wurde. Eine Lehre, die sich als äußerst wichtig für unsere heutige Zeit herausstellt, in der sich die Familie nicht selten eben deshalb in einer Krise befindet, weil die Liebe, auf die sie sich gründet, einen besorgniserregenden Mangel an Seele aufweist, im Zusammenhang mit einer Überbewertung der freilich auch wichtigen psychischen Komponente des Instinkts und der Anziehungskraft. Um der Institution der Familie ihre Solidarität zurückzugeben, muß vor allem dafür gesorgt werden, dem liebevollen Umgang der Eheleute mehr „Seele“ zu geben. 1187 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 7. Meine Lieben, ich weiß, daß die christlichen Familien von Prato darum bemüht sind, ihr Dasein auf die Werte des Evangeliums zu stützen. Besonders hier in eurer Kirchengemeinde wird das Bedürfnis nach einer Wiederentdek-kung des Glaubens und nach einer echten Spiritualität empfunden. Ich weiß, mit welchem Einsatz die Pfarrer und die Familien selbst arbeiten, um diesem Bedürfnis entgegenzukommen. Die Ergebnisse dieses Einsatzes, die auch von den statistischen Daten bezeugt werden, sind ermutigend und zeigen uns eine Situation, die unter gewissen Gesichtspunkten einen Vorsprung gegenüber dem nationalen Durchschnitt gewonnen hat. In eurem Land hält man noch sehr treu an der kirchlich geschlossenen Ehe fest, und im allgemeinen sind die Familien vereint. Nahezu alle Eltern lassen ihre Kinder taufen und bereiten sie auf die Erstkommunion und die Firmung vor. Die Schwierigkeiten kommen allenfalls danach: es ist immer schwierig, die Kinder in der heiklen Zeit, die auf die Firmung folgt, zu begleiten. Deshalb wird es an diesem Punkt darauf ankommen, das erzieherische Engagement zu vertiefen und zu intensivieren, weil ja im allgemeinen gerade in diesem Alter der Jugendliche seine großen Entscheidungen trifft und es da äußerst wichtig ist, daß ihm in dieser Bedrängnis von einer wirklich klugen und erleuchteten, auf den Glauben gegründeten Begleitung der Eltern Hilfe und Rat zuteil wird. Die Helle, die es in der Situation der Familien gibt, ermutigt dazu, mit Entschiedenheit und gesundem Optimismus den Schatten entgegenzutreten. Es wird einer großen Anstrengung bedürfen, um die Tendenzen zu Genußsucht und Säkularismus zu besiegen, die auch bei euch, wie anderswo, die Fundamente der Institution der Familie im menschlichen wie im christlichen Sinn gefährden. Um solchen Schwierigkeiten vorzubeugen, dürfen und müssen wir außer vom unermüdlichen Wirken der Bischöfe auch — und vor allem sage ich —: viel vom Beispiel und der konkreten Teilnahme jener Familien erwarten — an denen es glücklicherweise nicht fehlt —, die die christliche Erfahrung der Ehe in einer besonders engagierten Weise leben. Aufgabe der christlichen Familie ist es, von sich selbst vor der Welt Zeugnis dadurch zu geben, daß sie in ihrer Mitte jene „innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe“ (GS 48) verwirklicht, die Gott in seinem ursprünglichen Plan für sie vorgesehen hat. Gläubige von Prato, seid hier in eurem Land, wo man für die Werte der Familie noch besonders empfänglich ist, stolz darauf, das Beispiel wirklich geeinter Familien zu bieten, in denen die Erfahrung der Gemeinschaft auf allen Ebenen gelebt wird: Gemeinschaft mit Gott im Gebet und in der liturgischen Praxis, vor allem in der Teilnahme an der Eucharistie; innere, seelische Gemeinschaft zwischen den Eheleuten, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Jungen und Alten in einem echten Kreislauf der Liebe; Gemeinschaft mit den Brüdern, angefangen bei den Mietern desselben Hauses bis 1188 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zu den Bewohnern des Viertels und der ganzen Stadt, in einer Haltung der Achtung, Höflichkeit und immer wieder erneuerten Bereitschaft; Gemeinschaft mit der Kirche, in der die christliche Familie als solche einen besonderen Spiegel darstellt und der sie einen unersetzlichen Beitrag leisten soll. Bei diesem Bemühen steht vor euch das unübertreffliche Vorbild der Heiligen Familie, deren Erlebnisse Licht zur Belehrung und Führung nicht nur für die Augenblicke der Freude, sondern auch für die Zeit der Schwierigkeiten und Prüfungen bieten. Das heutige Tagesevangelium ist ein Beispiel dafür. 8. „Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht“ (Lk 2,48). Ein Satz, der der Geschichte des hl. Josef, des Bräutigams der Gottesmutter, entnommen ist; er war in den Augen der Menschen der Vater Jesu von Nazaret, der Vater des Gottessohnes Jesus Christus. Ein Satz, der der Geschichte des Menschen entnommen ist. Ein in seinem Inhalt sehr „menschlicher“ Satz. Ein Vorwurf, aber vor allem Bekundung der Sorge. Eben in dieser Sorge kommen Vaterschaft und Mutterschaft zum Ausdruck; in der täglichen schöpferischen Sorge um den Menschen vom Augenblick seiner Empfängnis im Mutterleib an, für das Kind, den Heranwachsenden, den Erwachsenen. Diese väterliche und mütterliche Sorge ist ein Abglanz der göttlichen Vorsehung. Und da ist noch ein anderer Satz aus der Geschichte Josefs von Nazaret: „Wußtet ihr nicht, daß ich in dem sein muß, was meinem Vater gehört?“ {Lk 2,49). Diese Worte wurden von Jesus gesprochen, aber sie gehören zugleich zur Geschichte Josefs: zur Geschichte von Maria und Josef. Im Bereich der Sorge von Vater und Mutter öffnet sich in der Seele des Kindes der innere Raum der Berufung, die von Gott selber kommt: „ich muß sein...“. Selig jene Vaterschaft, selig jene menschliche Geburt, die den Menschen Gott — der Vaterschaft Gottes — zurückgibt. Von der Versöhnung Zeugnis geben Predigt beim Wortgottesdienst mit Mitgliedern einer ökumenischen Arbeitsgruppe aus den Niederlanden in der Kapelle Urbans VIII. am 21. März Liebe Freunde in Christus! In unserem heutigen Gebet erinnern wir an eine Wahrheit, die für unser Leben als Christen wesentlich ist, nämlich daß Christus seinen Jüngern einen Auftrag 1189 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gegeben hat: „Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt , sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ {Mt 28,19 f.). Diese Worte stellen uns klar unser wahres Selbstverständnis als Jünger Christi vor Augen. Er hat uns die Aufgabe anvertraut, die Menschen mit den Heilsgeheimnissen der Erlösung in Berührung zu bringen und Zeugnis zu geben von der Frohbotschaft Christi. Aber mit diesem von Christus erteilten Auftrag kommt auf die Christen jeder Zeit und jeden Ortes eine Herausforderung zu. Denn damit unsere Sendung wirksam ist, müssen wir von der Wirklichkeit der Versöhnung, die wir verkünden, selbst Zeugnis geben. Deshalb glaube ich, daß eine der zwingendsten Fragen unserer Zeit die christliche Einheit betrifft. Untergräbt nicht die derzeitige Uneinigkeit der Christen unsere Fähigkeit, den großen Auftrag, den Christus uns gegeben hat, auszuführen? Werfen nicht andere in der Welt Fragen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Christentums auf, wenn sie sehen, daß wir in wichtigen Glaubensfragen verschiedener Meinung sind? Aber wir leben im Zeitalter des Ökumenismus, einer Zeit, in der wir den alten Problemen, die zwischen uns stehen, mit neuem Geist begegnen. Wenn wir einen Blick auf die Geschichte unserer Trennung werfen, können wir vielleicht erkennen, daß wir alle Opfer von Ereignissen sind, die uns vor Jahrhunderten gespalten haben und uns noch immer getrennt halten. Wir sind Opfer einer Geschichte, die nicht wir verursacht haben, die uns aber heute beeinträchtigt. Die Frage, der wir uns nun gegenübersehen, ist, ob wir diese Spaltungen fortbe-stehen lassen wollen, die die Erfüllung des großen Auftrags, den Christus uns gegeben hat, erschweren. Die Herausforderung an uns lautet jetzt, ob wir zu Baumeistern einer neuen Situation werden können, in der die Trennungen zwischen uns an der Wurzel geheilt werden, so daß das Ärgernis der Uneinigkeit der Vergangenheit der Geschichte angehöre? In einer solchen Situation werden wir frei sein, immer stärker von der vollen Bedeutung des Lebens in Christus Zeugnis zu geben. Das wird natürlich nicht leicht sein. Doch der Psalmist erinnert uns: „Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“ (Ps 124,8). Christus ruft uns zur Einheit. Und zu dem großen Auftrag, den er den Jüngern gab, fügte er auch ein Versprechen hinzu: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ {Mt 28,20). Auf diese Weise hat er uns seine ständige Gegenwart zugesichert. Er hat versprochen, sein Leben mit uns zu teilen. Er verläßt uns nie. Bei den Schritten, die wir unternehmen, wenn wir miteinander beten und unse- 1190 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN re Probleme miteinander erörtern, arbeiten wir mit Christus an der Stiftung eines neuen Friedens unter denen, die an ihn glauben. Wir arbeiten auf den Tag hin, wo unser Zeugnis von ihm frei von der Last der Uneinigkeit sein kann, die einen Schatten auf unsere Bemühungen wirft, der Welt den Christus zu verkünden, der das lebendige Wort Gottes und unsere Hoffnung auf Rettung und Heil ist. Vertrauen auf Gottes Erbarmen Ansprache bei der Privataudienz für die Mitglieder einer ökumenischen Arbeitsgruppe aus den Niederlanden im Anschluß an den Wortgottesdienst in der Kapelle Urbans VIII. am 21. März Liebe Brüder und Schwestern in Christus! Ich heiße Sie in Rom willkommen, einer Stadt, die durch den Dienst der Apostel Petrus und Paulus ausgezeichnet wurde. Als wir uns zum ersten Mal in Utrecht begegneten, warfen Sie ernste Probleme auf, die Ihnen tiefe Sorgen bereiten. Dazu gehörten Fragen wie konfessionsverschiedene Ehen, gegenseitige Teilnahme an der Eucharistie, die Rolle der Frau in der Kirche und die ökumenische Zusammenarbeit. Ich freue mich, daß Sie hierhergekommen sind, um das Gespräch fortzusetzen. Die Probleme, die Sie aufgeworfen haben, sind für mich von höchster Bedeutung. Denn diese Probleme sind, jedes auf seine Weise, ein Kommentar zu unserer heutigen Zeit mit ihren neuen ökumenischen Herausforderungen. Die Weise, wie wir sie behandeln, wird ein Prüfstein dafür sein, wie wir Ökumenis-mus verstehen. Ich hoffe, Sie konnten während dieser Woche einen guten Gedankenaustausch über diese Fragen haben. Ich hoffe, daß Ihr Dialog, der hier in Rom einen weiteren Schritt unternommen hat, nach Ihrer Rückkehr in die Niederlande auf nationaler Ebene weitergeführt wird. In der kurzen Zeit, die uns jetzt miteinander zur Verfügung steht, möchte ich gern auf drei grundsätzliche Überlegungen hinweisen. Erstens müssen wir wieder nachdrücklich betonen, daß der Ökumenismus in der katholischen Kirche und für alle Christen eine pastorale Priorität darstellt. Das ist viele Male gesagt worden, aber es muß immer wieder gesagt werden. Wir alle — in jedem Bereich der Kirche — müssen uns verpflichten, darauf zu achten, daß das Ziel der sichtbaren Einheit niemals aus den Augen verloren und daß jeder legitime Schritt auf dieses Ziel hin unternommen wird. 1191 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Trennungen des 16. Jahrhunderts haben nicht nur äußerliche Auswirkungen für die Kirche und das Leben der Gläubigen gehabt. Sie hatten ernste Konsequenzen, da sie uns voneinander trennten und unsere Einheit zerbrachen; sie berührten einige wesentliche Elemente des Glaubens. Wir haben keine andere Wahl, als die Wunden der Spaltung, die uns voneinander getrennt halten, ins Auge zu fassen und diese Wunden zu heilen, damit wir miteinander in jener Fülle des Glaubens und des sakramentalen Lebens, die Christus uns gewähren will, leben können. Christus ist es, der uns zuwinkt: an uns ist es, darauf zu antworten. Das ist die Richtung, die die ökumenische Bewegung eingeschlagen hat, für die wir Gott danken. Wir fühlen uns verpflichtet, im Vertrauen auf sein Erbarmen in dieser Richtung weiterzugehen. Das betrachten wir alle als pasto-rale Priorität. Zweitens: Die pastorale Bedeutung und die Implikationen des Ökumenismus werden klarer. Wir wissen, daß die Spaltungen unter Christen ein Ärgernis und ein Hindernis für die Sendung der Kirche in der Welt waren. Aber jetzt sehen wir klarer, was wir schon immer gewußt haben: daß diese Entscheidungen eine negative Auswirkung auf die Menschen hatten. Menschen, unserer Obhut anvertraute Menschen haben gelitten,, sind zu Opfern der Ereignisse vor Jahrhunderten geworden. Sie haben darauf hingewiesen, als Sie von den Schwierigkeiten sprachen, denen sich die Partner in konfessionsverschiedenen Ehen hinsichtlich der Religion gegenübersehen. Unsere Spaltungen beeinträchtigen das Wohl von einzelnen, von Familien und Ortsgemeinden. Die Menschen leiden darunter. Ich weiß, daß diese pastoralen Probleme bei Ihnen an oberster Stelle stehen, weil Sie als Seelsorger hierherkommen, deren Hauptsorge das christliche Wohl der Menschen ist. Aber pastorale Probleme können niemals sicher und völlig gelöst werden, wenn wir die Unterschiede im Glauben vertuschen, deren Ergebnis diese Pastoralprobleme sind. Drittens: Während wir immer vorangehen, muß unsere ökumenische Annäherung im Einklang mit der Wahrheit stehen und den ganzen Bereich der für entsprechende Lösungen erforderlichen Fragen berücksichtigen. Hier rufen wir das Problem der gemeinsamen Teilnahme an der Eucharistie in Erinnerung. Daß die gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie nicht möglich ist, gehört zu den Folgen der tragischen Geschehnisse vergangener Jahrhunderte. Die ökumenische Zusammenarbeit, die jetzt unter unseren Leuten stattfindet, erzeugt ein Verlangen nach gemeinschaftlichem Gebet und geradezu einen Hunger nach gemeinsamer Teilhabe an der Eucharistie. Doch wir teilen immer noch nicht die Eucharistie. In jüngster Zeit haben die bedeutenden Ergebnisse ökumenischer Gespräche eine zunehmende Annäherung zwischen vielen Kirchen und kirchlichen Ge- 1192 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN meinschaften über das Verständnis der Eucharistie erkennen lassen. Wir freuen uns darüber, weil das ein Schritt weiter zur Lösung des Problems ist. Aber für die Katholiken kann das Problem der Teilhabe an der Eucharistie nicht gesondert von unserem Verständnis des Geheimnisses der Kirche und des Amtes, das der Einheit dient, gelöst werden. Alle diese Probleme müssen in Beziehung zueinander behandelt werden. Was das betrifft, so nehmen wir zur Kenntnis, daß in vielen bilateralen und multilateralen Gesprächen die Lehre vom Amt und von der Kirche studiert wird. Die Ergebnisse dieser Studien sind vielversprechend, worüber wir uns freuen. Den Worten des hl. Paulus entsprechend „wollen wir uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben. Er, Christus, ist das Haupt“ (Eph 4,15). Wir wollen uns bei der Suche nach dauerhaften Lösungen für die Probleme, die uns trennen, gegenseitig Hilfe leisten. Es sind große Fortschritte erzielt worden, und dafür sind wir dankbar. Wir müssen sehen, daß es zu weiteren ökumenischen Fortschritten kommt. Es kann kein Zurück mehr geben. Wir müssen weitergehen. Ich glaube, daß jedes aufrichtige Bemühen im Dialog mit dem Ziel, Schranken, die die Christen trennen, zu überwinden, eine Antwort auf die Eingebung des Heiligen Geistes ist. In diesem Licht sehe ich Ihren Besuch in dieser Woche. Ich versichere Sie meines Gebets und wünsche Ihnen alles Gute für die Führung durch den Herrn bei der Weiterführung Ihrer Arbeit für die Versöhnung. Laßt uns füreinander beten und Christus bitten, daß er uns den Weg zeige, wieder zusammenfinden zu können. Den Menschen „ ein inneres Licht vermitteln “ Ansprache an die Teilnehmer des Generalkapitels der Gesellschaft vom hl. Paulus am 22. März Liebe Teilnehmer des Generalkapitels der Gesellschaft vom hl. Paulus! 1. Ich freue mich sehr über diese Begegnung mit euch anläßlich eures Generalkapitels und denke dabei besonders an Hochwürden Renato Perino, den ihr im Amt des Generalobern bestätigt habt. Ich beziehe in meinen herzlichen Gruß die gesamte Kongregation ein und versichere sie des Gedenkens in meinen Gebeten für die ganze Paulusfamilie in der Überzeugung, daß euer verehrter Gründer, Don Giacomo Alberione, euch vom Himmel aus begleitet und beschützt. Ich weiß, daß ihr in nicht weniger als 1193 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 25 Nationen vertreten seid, wo ihr mit Eifer das Apostolat der sozialen Kommunikationsmittel ausübt. Das ist — wie ihr wißt — eine große Sendung von außerordentlicher Verantwortung: sie verlangt hohe berufliche Fähigkeiten, setzt aber vor allem eine profunde Ausbildung in Glaubenslehre und Spiritualität voraus, da nur unter diesen Bedingungen die Druckerei, das Mikrophon und der Film authentische Kanzeln der Wahrheit, Übungsstätten des Apostolats und wirksame Heilsmittel sein können, wie es Don Alberione wünschte, der über die Risiken dieser Kunst Bescheid wußte und ihre Entartungen ahnte. Er sah bereits am Anfang dieses Jahrhunderts in den „Massenmedien“ die neuen Werkzeuge, deren sich die Verkündung der Kirche in der modernen Zeit bedienen sollte, und hatte wegen seines Ideals viel zu leiden; doch mit besorgtem Weitblick sagte er zu seinen Ordenssöhnen: „Seid davon überzeugt, daß in diesen Apostolaten größerer Opfergeist und tiefere Frömmigkeit erforderlich sind... Wir brauchen Heilige, die uns auf diesen noch unbegangenen und zum Teil nicht einmal angezeigten Straßen vorausgehen“ (iOktober 1950). Und er fügte hinzu: „Heilen, aber zuerst uns heilen!“ 2. Die Etappe, die ihr jetzt mit der Bestätigung des Generalobern erreicht habt, eröffnet einen neuen Lebensabschnitt in der Geschichte eurer Kongregation und gibt so Anlaß, miteinander einige Überlegungen anzustellen, die euch als Leitlinie dienen können. Die Gesellschaft des hl. Paulus hat sich in diesem Jahrhundert im engagierten apostolischen Einsatz zweifellos sehr verdient gemacht durch von ihr entfaltete umfangreiche und sinnvolle Verlagstätigkeit. Wenn man einen Blick in die Vergangenheit wirft, ist man erstaunt beim Anblick der großartigen Reihen über die Heilige Schrift, Theologie, Hagiographie, Philosophie, Psychologie, Soziologie, Literatur, Pädagogik, die in sorgfältiger und passender Auswahl und in würdigen und erschwinglichen Ausgaben veröffentlicht wurden; nicht zu vergessen die vielfältigen Werke der Liturgie, der Katechese für jeden Personenkreis, der Homiletik, der Pastoral, der Allgemeinbildung auf den verschiedenen Feldern des Geschmacks und Publikumsinteresses. Und das alles wurde stets im Licht Jesu, des Lehrers und Meisters, vollbracht, der sich als der Weg und die Wahrheit und das Leben geoffenbart hat. Mit der ganzen Sorge, die aus meinem Herzen kommt, mahne ich euch, auf dem von Don Alberione vorgezeigten Weg weiterzugehen! Laßt euch nicht von den Ideologien verwirren, die die moderne Welt durchziehen! Seid auf heilige Weise klug, auf scharfsinnige Weise kritisch, auf apostolische Weise ausgeglichen und einsichtsvoll! Denkt daran, was der hl. Paulus geschrieben hat: „Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht!“ (Phil 4,8). Erinnert 1194 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN euch auch an das, was Don Alberione sagte: „Alles für das Evangelium, alle für das Evangelium, alle zum Evangelium!“ Die Zeiten haben sich geändert; es sind neue Zeiten, und für die heutigen Menschen muß man zeitnahe und geeignete Mittel anwenden; aber die von Christus geoffenbarte Lehre ändert sich nicht; sie ist für immer und für alle gültig, und „wir müssen die Seelen ins Paradies geleiten“ — setzte euer Gründer noch hinzu. Unser Apostolat besteht darin, Jesus Christus zu verkündigen und so die Kirche zu begleiten, ja Teil der Kirche zu sein, die uns diese Sendung anvertraut hat.“ Fühlt euch mit aller Kraft dazu verpflichtet, die Seelen stets zu erleuchten, niemals Zweifel einzuflößen, niemals Verwirrung zu verbreiten; vermeidet alles, was Zersplitterung auslösen oder was von dem Verlangen bestimmt sein könnte, kulturellen Modeströmungen zu folgen, die dem Evangelium fremd sind. Laßt euch in euren Entscheidungen niemals durch Beweggründe des rein menschlichen Vorteils beeinflussen. Euer Bemühen und eure geistliche Freude soll es sein, dem Lehramt der Kirche gegenüber fügsam zu sein, indem ihr es in der schwierigen, aber notwendigen Aufgabe der Verteidigung der Rechtgläubigkeit und der Verbreitung der Wahrheit unterstützt. Bei euren Entscheidungen möge euch einzig der Wunsch leiten, das Evangelium zu verkünden und der Kirche zu dienen. 3. Als „Pauliner“, Priester und Menschen der Kultur und modernen Empfindens, wißt ihr gut, daß unsere Gläubigen in einer Zeit leben, in der sie oft von Lehren hören und sie praktiziert sehen, die von der Botschaft des Evangeliums abweichen. Viele sind dadurch so verstört, daß sie im Glauben schwankend werden. Ihr versteht, daß eure Sendung immer dringlicher, wichtiger, schwieriger wird! Ihr müßt euch — wie der barmherzige Samariter im Gleichnis des Evangeliums — von Liebe und von äußerster Sorge um diese verwundeten Seelen leiten lassen und ihnen das Wort der Wahrheit bringen, das dem Geist das Licht und den Trost höchster Gewißheit vermittelt. Ihr besitzt große Möglichkeiten und große Fähigkeiten: stellt sie alle in den Dienst der Wahrheit! Wir wissen, daß die Botschaft Christi „Offenbarung“ Gottes und damit immer gültige und aktuelle Wahrheit ist. Das kulturelle „Ag-giornamento“, das ihr auf theologischem, sozialem, literarischem Gebiet ständig vornehmen müßt, muß also immer mit der unvergänglichen Wahrheit konfrontiert werden: die heutigen Christen und überhaupt alle Menschen sehnen sich nach Sicherheit und Klarheit der Lehre; deshalb müssen alle eure Produkte klar, logisch, überzeugend, erhellend, trostbringend sein. Außerdem lehrt die Geschichte selbst, daß der Mensch, auch wenn er in der Nacht wandelt oder eigensinnig auf seinem Irrtum beharrt, Licht braucht und darunter leidet, daß er es nicht besitzt, daß er sich nach der Wahrheit sehnt und den beneidet, der 1195 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sie besitzt. Früher oder später vernimmt er den Ruf Christi und will ihm dann im Priester, in der Kirche, im Diener der Wahrheit und der Gnade, begegnen. Ihr seid zu einer herrlichen Sendung berufen undkönnt mit euren Büchern und Zeitschriften vielen, vielen Menschen inneres Licht vermitteln, sie zu Christus hinführen, ihnen die Freude und den Trost der Begegnung mit dem göttlichen Meister, Freund und Erlöser schenken. 4. Damit euch dieses großartige Vorhaben gelingt, braucht ihr selbst eine gründliche und feste Ausbildung in lehrmäßiger und asketischer Hinsicht. Das war auch der glühende Wunsch von Don Alberione: er wußte sehr gut, daß das Geheimnis des Erfolgs der von ihm gegründeten Gesellschaft auf der innigen Vertrautheit seiner geistlichen Söhne mit Christus beruhte. Obgleich ein Mann des Handelns und voller Unternehmungsgeist, war er dennoch ein kontemplativer Mensch und gewohnt, stundenlang, auch nachts, in der Kirche vor dem Tabernakel auf den Knien zu beten: „Die Welt, die Kirche, die Seelen — sagte er — haben Gott dringend nötig: das Gebet ruft ihn euch“. Er kannte nur eine Leidenschaft: „Gott den Menschen und die Menschen Gott zu geben durch Jesus Christus.“ Als Mann des methodischen Studiums und der Meditation war er überzeugt, daß „alles in Jesus Christus seinen Anfang und sein Ende hat“, und darum wollte er, daß jeder „Pauliner“ bei der Verkündigung des Evangeliums und in seinem christlichen Lebenszeugnis Jesus Christus, den Meister, „den Weg, die Wahrheit und das Leben“, als Vorbild haben sollte. Folgt dem Beispiel und den Anweisungen eures Gründers, um wirklich im Glauben, in der Liebe, in den Werken „allen alles“ zu sein! Die selige Jungfrau, die Königin der Apostel, die einen so wichtigen und unersetzlichen Anteil an der Bildung aller Mitglieder der Gesellschaft des hl. Paulus hat, lasse euch in besonderer Weise ihre mütterliche Liebe und Fürsprache spüren. Und wiederholt jeden Tag voller Zuversicht und mit kindlichem Engagement das schöne Gebet: „Jungfrau Maria, Mutter Jesu, mache uns zu Heiligen!“ Mein Segen, in den ich ganz herzlich alle eure Mitbrüder einschließe, begleite euch zusammen mit meinem Wunsch für ein frohes Osterfest! 1196 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Ihr jungen Menschen müßt dem Herrn als erste begegnen!“ Predigt beim Gottesdienst zum „Welttag der Jugend“ am Palmsonntag, 23. März 1. „Gepriesen, der kommt im Namen des Herrn! Hosanna in der Höhe!“ (Eröffnungsvers der Festmesse) Gerade heute sind diese Worte gerufen worden, am Tag, dessen Andenken die Kirche jedes Jahr feierlich begeht: am Palmsonntag. So haben mit Begeisterung die Menschen gerufen, die zum Osterfest nach Jerusalem gekommen waren, wie ja auch Jesus dorthin gegangen war, um sein Pascha zu feiern. Vor allem junge Menschen haben so gerufen: die „Kinder von Jerusalem“, wie der liturgische Text sagt. Die Teilnahme der Jugend am Ereignis des Palmsonntags hat sich in der Tradition erhalten. Auch Rom gibt davon Zeugnis und vor allem dieser Petersplatz. Dieses Zeugnis war besonders deutlich in den letzten zwei Jahren: beim Jubiläum unserer Erlösung und im Internationalen Jahr der Jugend. 2. Heute seid ihr wieder hier, liebe junge Freunde, um in Rom, von diesem Petersplatz aus, die Tradition des Welttages der Jugend zu beginnen, zu dessen Feier die ganze Kirche eingeladen ist. Von ganzem Herzen heiße ich euch willkommen und grüße alle, die aus Rom und von weiter hierhin gekommen sind, nicht allein aus Italien, sondern auch aus anderen Ländern. Ich grüße euch alle, die ihr hier anwesend seid. Zugleich aber grüße ich mit euch zusammen alle diejenigen, die zwar nicht hier zugegen sind, die aber heute — oder an einem anderen Tag des Jahres, je nach den verschiedenen Möglichkeiten — diese Einheit darstellen, welche die Kirche in der Gemeinschaft der jungen Menschen ist. So grüße ich heute alle, die überall — in jeglichem Land in jedem der fünf Kontinente — den Tag der Jugend begehen. Der Ausgangspunkt für diesen Welttag bleibt in jedem Jahr der Palmsonntag. Ich danke euch, daß ihr euch hier in Rom durch Meditation und Gebet vorbereitet habt, indem ihr das Ostergeheimnis Christi, das sich als Kreuz und Auferstehung darstellt, betrachtet habt. Dieses Geheimnis offenbart uns in tiefster Weise Gott, der die Liebe ist: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab“ (Joh 3,16). Zugleich macht es dieses Geheimnis den Menschen möglich, sich selbst bis auf den Grund zu verstehen: den Menschen mit seiner Würde und seiner Berufung, wie es uns auch das II. Vatikanische Konzil lehrt. 1197 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. Heute also schauen wir alle auf Christus, der entsprechend der Verheißung des Propheten — nach der Sitte des Landes auf einem Eselsfüllen in Jerusalem einzieht. Die Apostel haben ihre Mäntel über das Tier gelegt, damit Jesus sich darauf setzen konnte. Und als sie an den Abstieg vom Ölberg kamen, begann die ganze Menge seiner Jünger vor Freude Gott mit lauter Stimme zu lobpreisen; denn sie hatten große Wundertaten miterlebt (vgl. Lk 19,37). In seiner Heimatgegend hatte Jesus ja schon mit seiner Frohen Botschaft viele Menschen, Söhne und Tochter Israels, Alte und Junge, Frauen und Kinder aufhorchen lassen. Und sein Lehren war mit Handeln verbunden, mit Wohltaten. Er offenbarte Gott als guten Vater. Er offenbarte ihn mit Wort und Tat. Indem er allen Gutes tat, vor allem den Armen und Leidenden, bereitete er die Herzen darauf vor, sein Wort anzunehmen, sogar dann, wenn dieses Wort im ersten Augenblick unverständlich erschien, wie zum Beispiel bei der ersten Ankündigung der Eucharistie; und auch dann, wenn dieses Wort anspruchsvoll war, wie zum Beispiel das über die Unauflöslichkeit der Ehe. Ja, Jesu Wort war anspruchsvoll, und so ist es geblieben. Unter den Worten, die Jesus von Nazaret gesprochen hat, findet sich auch eines, das an einen jungen Menschen gerichtet ist: an den reichen jungen Mann. Auf dieses Gespräch bin ich in meinem Brief vom vergangenen Jahr an die Jungen und Mädchen eingegangen. Es ist ein konzentriertes Gespräch, in wenigen Worten, aber wie dicht, wie reich an Inhalt, wie grundlegend! 4. Heute betrachten wir also Jesus von Nazaret, der in Jerusalem einzieht. Seine Ankunft ist begleitet von der Begeisterung der Pilger: „Hosanna dem Sohne Davids!“ {Mt 21,9). Wir wissen jedoch, wie die Begeisterung bald erlöschen wird. Schon jetzt „riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu: Meister, bring deine Jünger zum Schweigen!“ {Lk 19,39). Wie tief ist die Antwort Jesu: „Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien“ {Lk 19,40). Wir betrachten also den, ,der kommt im Namen des Herrn“ {Mt 21,9), vor dem Hintergrund der Karwoche. „Wir gehen jetzt nach Jerusalem hinauf; dort wird... (der Menschensohn) den Heiden ausgeliefert, wird verspottet und mißhandelt und angespuckt werden, und man wird ihn geißeln und töten“ {Lk 18,31-33). So also kommen die Rufe der Menschenmenge vom Palmsonntag zum Schweigen. Der Menschensohn selbst wird zum Schweigen des Todes gebracht, wenn man ihn vor Beginn des Sabbats vom Kreuz herabnehmen, in ein Grab legen, einen Stein vor dessen Eingang rollen und den Stein versiegeln wird. Nach drei Tagen jedoch wird dieser Stein zur Seite gerollt werden. Und die 1198 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Frauen, die zum Grab kommen, werden es leer finden, ebenso die Apostel. So wird dann dieser „zur Seite gerollte Stein“ schreien, während alle schweigen. Schreien wird er. Das Ostergeheimnis Jesu Christi wird er verkünden. Und von ihm übernehmen dieses Geheimnis die Frauen und die Apostel, die es mit ihren Lippen in die Straßen Jerusalems tragen und dann auf die Wege der damaligen Welt. So „werden die Steine schreien“ von Generation zu Generation. 5. Was ist das Ostergeheimnis Jesu Christi? Es sind die Ereignisse dieser Tage, insbesondere der letzten Tage der Karwoche. Diese Ereignisse haben ihre menschliche Dimension; klein, wie die Darstellungen der Passion des Herrn in den Evangelien bezeugen. Durch diese Ereignisse hat das Ostergeheimnis seinen Platz in der Geschichte des Menschen gefunden, in der Geschichte der ganzen Menschheit. Zugleich aber haben diese Ereignisse ihre göttliche Dimension, und gerade darin offenbart sich das Geheimnis. Hierüber schreibt der heilige Paulus in gedrängter Form: „Er (= Christus) war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“ (.Phil 2,6 f.). Diese Dimension des göttlichen Geheimnisses heißt Menschwerdung: Der ewige Sohn, gleichen Wesens mit dem Vater, wird Mensch, und als solcher wird er Knecht Gottes, Knecht Jahwes, wie es im Buch Jesaja heißt. Durch diesen Knechtsdienst des Sohnes Gottes erreicht der göttliche Heilsplan seinen Höhepunkt, seine Fülle. Davon spricht Paulus weiter in der heutigen Liturgie: „Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz (Phil 2,7 f.). Diese Dimension des göttlichen Geheimnisses heißt Erlösung. Der Gehorsam des Menschensohnes, sein Gehorsam bis zum Tod am Kreuz gleicht den Ungehorsam gegen den Schöpfer und Vater überreich aus, der in der Sünde des Menschen von Anfang an enthalten ist. So ist also das Ostergeheimnis jene einzige göttliche Wirklichkeit aus Menschwerdung und Erlösung, eingesenkt in die Geschichte der Menschheit, eingesenkt in Herz und Gewissen eines jeden einzelnen von uns. Jeder von uns ist in diesem Geheimnis zugegen durch das Erbe jener Sünde, die alle Generationen hindurch zum Tode führt. Jeder von uns findet hier die Kraft, die Sünde zu besiegen. 6. Das Ostergeheimnis Jesu Christi erschöpft sich aber nicht in seiner Selbstentäußerung. Der große Stein, der nach seinem Tod auf Golgota vor den Ein- 1199 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gang des Grabes gerollt worden ist, kann das Geheimnis nicht verschlossen halten. Am dritten Tag wird dieser Stein von göttlicher Macht zur Seite gerollt und beginnt zu „schreien“: Er beginnt, von dem zu sprechen, was der gleiche Paulus in der heutigen Liturgie in die folgenden Worte kleidet: „Darum hat Gott ihn über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Rnie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr — zur Ehre Gottes, des Vaters“ {Phil 2,9-11). Erlösung bedeutet auch Erhöhung. Diese Erhöhung, die Auferstehung Christi, eröffnet eine absolut neue, hoffnungsvolle Möglichkeit in der Geschichte des Menschen, in der Existenz des Menschen, die wegen des Erbes der Sünde dem Tod unterworfen ist. Über dem Tod steht die Aussicht auf Leben. Der Tod gehört zu den Dimensionen der sichtbaren Welt — das Leben wurzelt in Gott. Der Gott des Lebens spricht zu uns im Kreuz und in der Auferstehung seines Sohnes. Das ist das letzte Wort seiner Offenbarung, das letzte Wort des Evangeliums. Gerade dieses Wort ist der Inhalt des Ostergeheimnisses Jesu Christi. 7. Durch sein Kreuz und seine Auferstehung, eben durch sein Ostergeheimnis, richtet Christus an jeden von uns seinen Ruf: „Folge mir nach“. An den jungen Mann des Evangeliums hat er ihn bereits gerichtet, als er noch unterwegs war auf seinem Pilgerweg als Messias; damals aber hatte sich die Wahrheit über ihn noch nicht vollständig enthüllt. Vollständig enthüllen muß sie sich jedoch in diesen Tagen. Sie wird vollendet durch sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung. Sie muß so eine Antwort werden auf die grundlegendsten Fragen des Menschen. Sie muß eine Herausforderung werden für die Unsterblichkeit. Gerade in diesen Tagen seid ihr jungen Menschen zu den Gräbern der Apostel gekommen, hierhin, wo Petrus und Paulus vor fast 2000 Jahren Zeugnis abgelegt haben für Christus, der durch das Kreuz „der Herr“ geworden ist, „zur Ehre Gottes, des Vaters“. Wir haben beschlossen, den Tag der Jugend gerade an diesem Sonntag zu begehen. 8. Tatsächlich sind diejenigen nicht enttäuscht worden, die beim Einzug Jesu in Jerusalem gerufen haben: „Hosanna dem Sohne Davids! Gepriesen, der kommt im Namen des Herrn!“ Nicht enttäuscht wurden jene jungen Leute, die „Kinder Jerusalems“. Am Freitagabend schien alles den Sieg von Sünde und Tod zu bezeugen; drei Tage danach jedoch hat wiederum der weggerollte Stein gesprochen: „die Steine werden schreien“. 1200 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Sie sind nicht enttäuscht geblieben. Alle Erwartungen des Menschen, vom Erbe der Sünde belastet, sind weit übertroffen worden: Dux vitae mortuus — regnat vivus. Des Lebens Fürst, der starb — herrscht nun lebend. Lind darum feiern wir diesen Tag als Tag der Jugend. Er ist gebunden an die Hoffnung, die nicht enttäuscht (vgl. Röm 5,5). Die stets neu entstehenden Generationen brauchen diese Hoffnung. Sie haben sie immer mehr nötig. Nicht enttäuscht blieben sie, die gerufen haben: „Gepriesen, der kommt im Namen des Herrn!“ Ja, er „kommt“! — Er ist eingetreten in die Geschichte des Menschen. In Jesus Christus ist Gott endgültig in die Menschengeschichte eingetreten. Ihr jungen Menschen müßt ihm als erste begegnen. Ständig müßt ihr ihm begegnen. „Tag der Jugend“, das bedeutet gerade dies: Gott entgegenzugehen, der im Ostergeheimnis Jesu Christi in die Geschichte des Menschen eingetreten ist, auf eine Weise, die kein Zurück kennt. Und er will vor allem euch jungen Menschen begegnen. Jedem einzelnen will er sagen: Folge mir nach! Folge mir! Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Über Frieden, Scheinfrieden und den Kampf gegen die Sünde Ansprache an die Teilnehmer des 19. internationalen Kongresses des Instituts für universitäre Zusammenarbeit (UNIV) am 24. März Liebe junge Leute! 1. Es ist für mich ein Grund zur Freude, daß ich mit euch zu Beginn der Karwoche Zusammentreffen kann, während der die Kirche in besonderer und feierlicher Weise „der größeren Liebe“ gedenkt, die Christus für uns hatte, als er am Kreuz starb. Herzlich begrüße ich die Mitglieder des Wissenschaftlichen Ausschusses der UNIV ’86 und heiße jeden von euch willkommen, besonders Prof. Umberto Farri. Am 1. Januar dieses Jahres, das von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr des Friedens ausgerufen worden ist, schlug ich den Christen und allen Menschen guten Willens ein Motto vor, das ich euch hier in Erinnerung rufen will: „Der Friede — ein Wert ohne Grenzen.“ Diese Worte sind mir soeben beim Betreten dieses Saales wieder eingefallen. 1201 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Denn ihr kommt in der Tat von ca. 400 Hochschulen aus über vierzig Ländern der fünf Kontinente. Ihr vertretet Nationen, die sich auf die vier Himmelsrichtungen verteilen. Die Spannungen, die so oft die Beziehungen zwischen den Völkern erschüttern, scheinen hier von einer höheren Spannung übertroffen zu werden, nämlich von der Spannung der brüderlichen Liebe, dem Zeichen, das das Christentum dem täglichen Leben tief einprägt. Ich weiß, daß die Begegnungen, die jedes Jahr viele tausend Universitätsstudenten und Professoren in Rom zusammenführen, bereits im Jahr 1968 — dem Jahr, das im Universitätsmilieu einen besonderen Nachklang hatte — auf Anregung und Initiative des Dieners Gottes Josemarfa Escrivä, Gründers des Opus Dei, ihren Anfang nahmen. Von der priesterlichen Sorge um die jungen Menschen gedrängt, wollte er, daß sie gerade in Rom Zusammenkommen, damit am Grab des hl. Petrus in ihren Herzen das Licht des katholischen Glaubens und die Liebe zur Kirche gestärkt würden. Wie alle vor euch, so kommt also auch ihr nicht aus dem bloßen Verlangen zu reisen — auch wenn ihr natürlich die Schönheiten der Denkmäler dieser jahrtausendealten Stadt bewundern könnt und sollt —, sondern mit der ausdrücklichen Absicht, die unvergängliche Neuheit der christlichen Botschaft zu vertiefen. Ihr kommt, um Rechenschaft zu geben „von der Hoffnung, die euch erfüllt“, den Ursprüngen eures Glaubens und eurer Liebe mehr Kraft zu verleihen, Bande des gegenseitigen Kennenlernens und Verständnisses mit Jugendlichen anderer Länder zu knüpfen. Schließlich kommt ihr, um aus den Studien, die ihr während eines ganzen Jahres in euren jeweiligen Ländern über ein interessantes und sehr wichtiges Thema durchgeführt habt, wirksame Schlußfolgerungen zu ziehen: „Kulturelle Grundlagen eines Friedensplans.“ 1202 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Was ist die tiefere Ursache dieser Spannungen, die so oft zur versteckten oder offenen Aggression der einen Nationen gegen die anderen, der einen Gruppen gegen die anderen oder einzelner Menschen gegeneinander führen? Die Politiker, die Soziologen, die Experten der Humanwissenschaften liefern viele gültige und verdienstvolle Antworten, die beachtet werden müssen. Ich aber will euch die radikale Antwort auf dieses Problem in Erinnerung rufen. Die Kirche als Hüterin der Offenbarung lehrt, daß die letzte Ursache aller Zerrüttungen und aller Gewalt die Sünde ist, die den Menschen, weil „sie ihn selbst herabsetzt“, hindert, seine Erfüllung zu erlangen. 3. Wenn der Mensch seine ewige Bestimmung vergißt und sein Lebenshorizont sich auf das irdische Dasein beschränkt, begnügt er sich mit einem Scheinfrieden, mit einer bloß äußerlichen Ruhe, von der er die Wahrung des größten materiellen Wohlstandes verlangt, der mit geringstem Aufwand zu erreichen ist. Auf diese baut er einen unvollkommenen und unbeständigen Frieden, weil er nicht in der Würde der als Bild und Gleichnis Gottes geschaffenen und zur Gotteskindschaft berufenen menschlichen Person verwurzelt ist. Ihr dürft euch niemals mit diesen Friedenssurrogaten zufrieden geben; das wäre ein schwerwiegender Irrtum, dessen Frucht euch die bitterste Enttäuschung bereiten würde. Das verkündete bereits Jesus Christus, als er kurz vor der Himmelfahrt zu seinen Jüngern sagte: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch.“ Es gibt also zwei Formen von Frieden: den Frieden, den die Menschen allein zu bauen vermögen, und den Frieden, der ein Geschenk Gottes ist; den Frieden, der sich auf ein Gleichgewicht der Kräfte, jenes mühsame Ergebnis menschlicher Vereinbarungen und Kompromisse, stützt, und den Frieden, der — nach der Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils — „die Frucht der Ordnung ist, die ihr göttlicher Gründer selbst in die menschliche Gesellschaft eingestiftet hat“ <122>; den Frieden, der von der Macht der Waffen aufgezwungen wird, und den Frieden, der im Herzen geboren wird. Der erstgenannte Friede ist zerbrechlich und unsicher; man könnte von einem bloßen Trugbild des Friedens sprechen, weil er sich auf die Furcht und das Mißtrauen gründet. Die zweite Form des Friedens hingegen ist ein starker und dauerhafter Friede, weil er, auf Gerechtigkeit und Liebe gründend, in das Herz eindringt; er ist ein Geschenk, das Gott denen gewährt, die seine Weisung lieben <123>. Der erste Friede verdient eher den Namen Waffenstillstand; der zweite ist ein Friede, „der alles Verstehen übersteigt“ und, indem er bewirkt, daß die Menschen friedfertig sind, sie zu geeigneten Baumeistern des Friedens macht. <122> Liebe Teilnehmer an der UNIV ’86. Ich möchte diese Begegnung nicht beenden, ohne durch euch an alle jungen Männer und Frauen der von euch ver- Der Friede ist also ein Geschenk, „eine große Wohltat“ — wie der hl. Augustinus schrieb —, „aber eine Wohltat des wahren Gottes, wie die Sonne, wie der 1203 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Regen und wie viele andere Hilfen des Lebens“. Darum müssen wir Tag für Tag, mit Demut und Ausdauer, ohne Unterlaß, mit einem wahren Ruf des Gebets und der Werke inständig um ihn bitten. Diese Friedenssehnsucht darf nicht mit der passiven Zustimmung dessen verwechselt werden, der sich darauf beschränkt, daß er den Frieden zwar wünscht, sich jedoch nicht bemüht, ihn, vor allem in seinem eigenen Leben, aufzubauen. Der Friede ist — nach der klassischen Definition des Augustinus — „die Ruhe in der Ordnung“, die Ruhe, die dort herrscht, wo jede Sache mit der rechten, von Gott gewollten Ordnung in Übereinstimmung gebracht wird. Wird jemand, der diese rechte Ordnung in seinen Beziehungen zu Gott und zu den anderen nicht beachtet, indem er sich mit dem Panzer seines Egoismus umgibt, diese richtige Ausgewogenheit persönlich erreichen und sie in die ihn umgebende Wirklichkeit einführen können? Er wird höchstens das erreichen können, was die Heilige Schrift das „Wohlergehen der Frevler“ nennt, das heißt die scheinbare Belohnung für die Sünde: einen vergänglichen und oberflächlichen Frieden, der lediglich die bedingungslose Kapitulation vor den Eingebungen der dreifachen Begierde verbirgt, von der der hD Apostel Johannes spricht. 4. Der Friede, auf den die Welt voll Bangen hofft, muß im Herzen jedes Mannes und jeder Frau als reife Frucht des Geistesgeboren werden, wenn ein jeder mit der Gnade Gottes zusammenarbeitet. Es ist ein Friede, der gegeben und zugleich erworben und gewonnen wird. Darum bedarf es paradoxerweise eines dauernden Kampfes, eines ununterbrochenen Kampfes gegen die Sünde, die sich im menschlichen Herzen einnistet und es mit falschen Versprechungen bedrängt, aus denen nur die Früchte des Todes hervorgehen. Ich weiß sehr gut, daß die Prälatur des Opus Dei ihren Mitgliedern, Priestern und Laien und allen, die die Nähe ihres Apostolats suchen, eine tiefe christliche Formung vermittelt, womit sie die Ausübung der Freiheit und der persönlichen Verantwortlichkeit in den zeitlichen Belangen fördert. Im Rahmen dieser Formung wird dem Gebet und dem häufigen Sakramentenempfang grundlegende Bedeutung beigemessen als unerläßliche Voraussetzung dafür, das christliche Leben in seiner Fülle zu leben und somit wirksame Bauleute des Friedens zu sein; denn nur den Friedensstiftern wird die Seligkeit zuteil, Söhne Gottes genannt zu werden. Schreitet fort auf diesem Weg und fordert eure Freunde auf, persönlich in der beruflichen Arbeit und in den Belangen des Alltags die wunderbare Entdeckung der Nähe Gottes zu machen. <124> <125> <124> Liebe Teilnehmer an der UNIV ’86. Ich möchte diese Begegnung nicht beenden, ohne durch euch an alle jungen Männer und Frauen der von euch ver- 1204 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN tretenen Universitäten einen Appell zu richten. Ermutigt sie zu der Aufgabe, Frieden zu stiften, den Frieden aufzubauen. Die heutige Welt zeigt in manchen Teilen deutliche Symptome des Alterns; die gegenwärtige Gesellschaft braucht euren Idealismus, euren Enthusiasmus, eure Schaffenskraft. Niemand soll sich von dieser Verantwortung ausgenommen fühlen! Wie ich euch bei anderen Gelegenheiten sagte: Habt keine Angst vor eurer eigenen Jugend! Habt keine Angst, euch auf das Risiko der Freiheit einzulassen! Unterdrückt nicht die hochherzigen Eingebungen der Liebe, die euch bittet, euer Leben zum Dienst für andere zu machen. Die Sehnsucht nach Frieden ist eine Eingebung, die imstande sein muß, gegen jede Art von Konformismus und Individualismus aufzutreten. Andernfalls würdet ihr jener Verpflichtung zur Wahrheit nicht nachkommen, die ihr als Menschen suchen müßt und die ihr als Universitätsstudenten zu fördern die Pflicht habt. Gebt daher jeden Tag in eurem Lebensbereich durch praktische Friedenstaten Zeugnis vom Frieden Christi: indem ihr euch „mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld bekleidet“. Das ist mein herzlicher Wunsch für jeden von euch. Ich vertraue ihn heute der mächtigen Fürsprache der Muttergottes an. Stellt in diesen Tagen über sie eure Betrachtungen an, erlebt mit ihr wieder das Leiden, den Tod und die Auferstehung ihres Sohnes. Maria wird euch mit Hoffnung erfüllen und euch zeigen, daß es tatsächlich möglich ist, die „Friedenspläne“ zu erfüllen, die ihr in diesen Tagen bei eurem Kongreß prüfen werdet. Die Gottesmutter wird euch begleiten und führen bei eurer verpflichtenden Aufgabe, den ersten Friedensplan zu verwirklichen: den Plan, in dem „der junge Mensch, Junge oder Mädchen, seinen Lebensentwurf entwickelt und zugleich diesen Entwurf als die Berufung erkennt, zu der Gott ihn einlädt“. Liebe Jugendliche, versucht, diese Tage der Karwoche intensiv zu leben durch eure Teilnahme an den liturgischen Feiern! Damit der „vorübergehende“ Herr euch bereit findet, ihn zu erkennen und ihn aufzunehmen in die Ruhe und Geborgenheit des eigenen, persönlichen Innern: Er will euch die Sicherheit geben, nach der ihr euch sehnt. Er will eurem Herzen an diesem Ostern zuflüstern: „Nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch.“ Er wirkt mit, wenn ihr Frieden mit Gott sucht, die Wirkung der Rechtfertigung und der Abneigung gegen die Sünde; wenn ihr den Frieden mit dem Nächsten sucht, Frucht der vom Heiligen Geist mitgeteilten Liebe; und wenn ihr den Frieden mit euch selbst, den Frieden des Gewissens sucht, der aus dem Sieg über die Leidenschaften und über das Böse herrührt. Denkt daran: „Der Friede und die Jugend gemeinsam unterwegs!“ Es begleite euch mein Apostolischer Segen. 1205 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Anmerkungen: 1 Petr 3,15: Motto des Welttages der Jugend am 23. März 1986. 2 Augustinus, De Civitate Del, XIX, 11 3 Vgl. GS 13 4 Joh 14,27 5 GS 78 6 Vgl. Ps 119, 165 7 Phil 4,7 8 Augustinus, De Civitate Del, III, 9 l) Ehd. XIX, 13 1,1 Ps 73,3 11 Vgl. 1 Joh 2,16 12 Vgl. Gal 5,22 12 Vgl. Mt 5,9 14 Vgl. Botschaft zum 18. Weltfriedenstag vom 8.12.1984, Nr. 3: OR, dt., 21.12.1984,1 15 Kol 3.12 16 Apostolisches Schreiben an die Jugend, Nr. 9: OR, dt., 29.3.1985 Heiliges Öl — Zeichen der sakramentalen Kraft Predigt bei der Messe der Ölweihe am Gründonnerstag, 27. März 1. „Gnade sei mit euch und Friede...von Jesus Christus; er ist der treue Zeuge“ ('Offb 1,4.5). Jesus Christus, der treue Zeuge des unsichtbaren Gottes, spricht in der Gründonnerstagsliturgie mit der Macht seiner Worte aus dem Abendmahlssaal zu uns. Es sind die Worte zur Stiftung des Neuen Bundes im Blute seines Opfers. Diese Worte offenbaren bis auf den Grund das Geheimnis Gottes, der die Liebe ist. Die Stunden des heutigen Morgens sind eine Vorbereitung auf jenen Augenblick, in dem uns am Abend die Liturgie noch einmal das Geschehnis des letzten Abendmahles vergegenwärtigen wird. Und zugleich damit wird das heilige Triduum beginnen: der Zyklus jener drei heiligen Tage, die jene Liebe, mit der Gott die Welt geliebt hat, gegenwärtig machen: „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ {Joh 13,1). 2. Bevor sich das erfüllt, feiert die Kirche die Morgenliturgie des Gründonnerstags. Es ist die Liturgie der heiligen Erwartung und zugleich — so kann man sagen — die Liturgie der „großen Vorausschau“. Sie wird „Chrisammes-se“ genannt. Dem entspricht die erste Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja, die dann vom Lukasevangelium übernommen wird: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt“ (Lk 4,18; vgl. Jes 61,1). 1206 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Auf diese Worte des Jesaja hat sich Jesus von Nazaret zu Beginn seiner messia-nischen Sendung berufen. „Salbung“ bedeutet Wirken des heiligen Geistes, Mitteilung seiner Kraft, Selbsthingabe Gottes durch die Gnade, die die Kraft der Heiligkeit und der Heiligung ist. 3. Eben heute soll sich diese „Salbung“ bis in ihren letzten Grund erfüllen. Jesus von Nazaret offenbart sich ganz als der Messias, das heißt als Christus, als „der Gesalbte und Gesandte“. Sein Auftrag im Heiligen Geist wird seinen Höhepunkt in der Eucharistie erreichen. Sie wird für alle Zeiten zum Sakrament der Kirche werden. Sie wird in diesem Sakrament zur Quelle der Salbung und Sendung im Heiligen Geist für alle werden, die die Einsetzungsworte Christi annehmen: das Wort und das Sakrament. Darum nimmt die Kirche in der Liturgie am Morgen des Gründonnerstags die Weihe der heiligen Öle, insbesondere des Chrisams, vor. Die heiligen Öle sind Zeichen der sakramentalen Kraft, die im Opfer Christi ihren Ursprung hat. Sie sind die Kräfte des Geistes der Wahrheit, des Tröster-Geistes: der Paraklet. Die Liturgie hat den Charakter der Vorausschau: alles, was Frucht des Heilsopfers Christi sein soll, findet in ihr seinen Ausdruck und sein Zeichen. 4. „Er liebt uns und hat uns von unseren Sünden erlöst durch sein Blut; er hat uns zu Königen gemacht und zu Priestern vor Gott, seinem Vater. Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in alle Ewigkeit“ (Offb 1,5 f.). Er hat uns zu Priestern gemacht. Da sind äußere Zeichen, die zur sakramentalen Ordnung der Kirche gehören: sie dienen der Heilssendung auf Erden. Da sind aber auch innere Zeichen. Ein inneres Zeichen besonderer Art ist jedem von uns, meine lieben Brüder im Priesteramt, in die Seele geprägt. Jenes Zeichen ist ein geistliches Siegel, ein unauslöschliches Merkmal, durch das der Heilige Geist seit Jahrhunderten unsere Teilhabe am Priestertum Christi bestätigt. Eine Teilhabe besonderer Art: sie betrifft das Dienstamt und ist zugleich hierarchisch, auf daß in uns die Ähnlichkeit mit dem erhalten bleibe, der allein „Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks“ ist (Hebr 5,6; Ps 110,4). 5. Gerade wir erwarten in besonderer Weise die Stunde des Letzten Abendmahls, bei dem zusammen mit der Eucharistie das Sakrament der Priesterweihe eingesetzt wurde. Für uns ist diese Liturgie am Morgen des Gründonnerstags auch in besonderer Weise die Liturgie der heiligen Erwartung, die Liturgie der großen Vör- 1207 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ausschau. Wir wollen daher heute zusammen mit allen unseren Brüdern im Priesteramt auf der ganzen Welt die Gelübde und Versprechungen erneuern, die wir am Tag unserer Weihe abgelegt haben. Wir wollen die Gnade des Sakraments, die uns zuteil wird, erneuern: sie ist zu unserem Leben, zu unserer Berufung, zu unserem Charisma und zu unserem Dienst in der Kirche geworden. 6. Gnade sei mit euch und Friede von Jesus Christus; er ist der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten und der Herrscher über die.Könige der Erde. Seht, es ist wieder Gründonnerstag. Seht, wieder beginnt ein heiliges Triduum. Seht, wieder ein Zeichen des Beginns der endgültigen Vollendung. Denn alles muß durch den vollendet werden, der die Fülle ist: die Fülle Gottes in der Geschichte der vergänglichen Schöpfung, die Fülle Gottes in der Geschichte des sterblichen Menschen auf Erden. Er ist der Erstgeborene der Toten. Er ist der Herrscher über die Könige der Erde. Er ist „das Alpha und das Omega...er, der da ist und der war und der kommt“ {Offb 1,8). „Alle Völker der Erde werden seinetwegen jammern und klagen“ (Offb 1,7). Wir stehen an der Schwelle des heiligen Triduums. Im Ostergeheimnis vom Tod und der Auferstehung hat das gemeinsame Priestertum der Kirche seine Wurzeln. In ihm hat unser Priestertum, das wir von den Aposteln empfangen haben, seine Wurzeln: diese besondere Gabe und große Berufung! Schwach und schutzlos geworden wie das Brot Predigt bei der Messe in St. Johann im Lateran am Gründonnerstag, 27. März 1. „Niemals sollst du mir die Füße waschen“ (Joh 13,8). Nach der Vorbereitung heute morgen in St. Peter sind wir nun in die Lateransbasilika gekommen, die „Mutter aller Kirchen“, Mater omnium Ecclesiarum. Hier wollen wir diesen heiligsten Augenblick erleben: die Einsetzung des Sakramentes des Leibes und Blutes Christi, des Sakramentes, aus dem unaufhörlich die Kirche geboren wird. Als „Mutter aller Kirchen“ scheint diese Basilika der geeignetste Ort zu sein, um das Letzte Abendmahl zu feiern: um zusammen mit Christus und mit den Aposteln die Geburtsstunde der Kirche im Sakrament des Todes des göttlichen Bräutigams zu erleben: „der neue Bund in meinem Blut“ (Lk 22,20). 1208 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Die Einsetzung des Sakraments des Letzten Abendmahls ist durch ein Band, dem vielfältige Bedeutung zukommt, mit der Fußwaschung der Apostel verbunden; eine Handlung, die ich, den liturgischen Vorschriften entsprechend, gleich nachvollziehen werde, indem ich zwölf Priestern die Füße wasche. „Jesus, der wußte, daß ihm der Vater alles in die Hand gegeben hatte und daß er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte, stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goß er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen“ (Joh 13, 3-5). Gerade da stieß er auf den Widerspruch des Petrus. Das heutige Evangelium ruft uns das in Erinnerung. Petrus begann sich zu widersetzen, und sein Widerspruch war kategorisch: „Niemals sollst du mir die Füße waschen!“ Schon einmal hatte Petrus sich Christus auf solche Weise widersetzt. Das war geschehen, kurz nachdem er seinen Glauben an den Messias als den Sohn Gottes bekannt hatte. Es war geschehen, als Jesus unmittelbar nach jenem Bekenntnis des Petrus seine Passion ankündigte. Damals verlieh Petrus seinem Protest mit den Worten Ausdruck: „Herr! Das darf doch nicht mit dir geschehen“! (Mt 16,22). Wenn er der Sohn des lebendigen Gottes war, wie kam er dann dazu, von seinem Leiden zu reden? Von seinem Tod am Kreuz? Gott ist der Herrscher über alle Dinge. Er ist der Herr über Himmel und Erde. Wie kann er also von den Menschen besiegt werden? Wie können Menschen über ihn den Tod verhängen? Damals hatte Christus Petrus hart getadelt. Wohl zu niemandem hat er je mit solcher Strenge gesprochen wie aus diesem Anlaß zu Petrus. Diesmal jedoch tadelt Christus den Petrus nicht. Er ermahnt ihn lediglich freundlich. Er bedient sich dabei eines überzeugenden Tones: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir“ (Joh 13,8). Und Petrus fügt sich dem Meister. 3. Doch warum hat sich Petrus zuerst widersetzt? Warum hat er widersprochen, als Jesus — nach dem Bekenntnis in Cäsarea Philippi — sein Leiden und seinen Kreuzestod ankündigte? Wahrscheinlich gerade darum, weil es ihm gegeben gewesen war, die Gottheit Christi zu erkennen: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Ihm war es gegeben, das unergründliche Geheimnis Gottes zu erkennen: alles, was den Weisen und Klugen verborgen bleibt, wird den Unmündigen offenbart (vgl. Mt. 11,25). Doch „niemand kennt den Vater, nur der Sohn...“ (Mt 11,27). Der Vater hat also Petrus die Gottheit des Sohnes offenbart. 1209 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Aber eben deshalb: wie kann er, Christus, der Sohn Gottes, sagen, daß er, getötet von den Menschen, zum Tod verurteilt werden würde? Ist denn Gott nicht der absolute Herr über alles Sein? Ist er nicht der absolute Herr über das Leben? Und auch jetzt: Wie kann er, der Sohn des lebendigen Gottes, der Herr, sich wie ein Dienender, wie ein Sklave verhalten? Wie kann er sich vor den Aposteln niederknien und ihnen die Füße waschen? Wie kann er sich zu Füßen des Petrus niederknien? Petrus verteidigt sein Gottesbild vor sich selbst, er verteidigt es vor den Zwölfen und er verteidigt es vor Christus; sein Bild von Gott und vom Sohn Gottes. Wie viele Menschen auf der Welt haben je auf diese Weise ihr Gottesbild verteidigt und verteidigen es so? Wie viele Völker, Traditionen, Kulturen, Religionen? Gott ist das vollkommenste Wesen, er ist das höchste Wesen, uner-forschlich, er ist der absolute Herr und Herrscher über alles... Deshalb ist es unmöglich, daß er Mensch wird, unmöglich, daß er dienen, daß er den Jüngern die Füße waschen will, unmöglich, daß er am Kreuz sterben kann. 4. Diese neuerliche Auseinandersetzung des Petrus mit Christus ging an jenem Abend, dessen wir heute gedenken, dem Mysterium von der Einsetzung der Eucharistie voraus. Schlicht und einfach gesagt: Dieser Gott ist Liebe. Als Liebe hat er die Welt erschaffen. Als Liebe hat er den Menschen als sein Bild und Gleichnis geschaffen. Als Liebe hat er sich zum Gott des Bundes gemacht. Als Liebe ist er Mensch geworden: er hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit der Mensch das ewige Leben habe (vgl.Joh 3,16). Als Liebe geht er ans Kreuz, um die Welt von den Sünden zu erlösen, um „in seinem Blut“ den neuen und ewigen Bund zu beschließen. Als Liebe setzt er an diesem Abend die Eucharistie ein. Denn die Liebe hat nichts anderes im Sinn als das Gute, das sie verschenken will, das Gute, dem sie dienen will. Um dieses Guten willen ist er, der Allmächtige, bereit, schwach zu werden wie ein zum Kreuzestod Verurteilter, ist bereit, schwach und schutzlos zu werden wie Brot: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ (Lk 22,19) 5. Ist der Mensch fähig, einen gekreuzigten Gott anzunehmen, fähig, einen eucharistischen Gott anzunehmen? Das ist die Frage, die im Innersten dieser heiligen drei Tage enthalten ist. In der Tiefe des Ostergeheimnisses Jesus Christi. In der Tiefe des Letzten Abendmahles, dessen Gedenken wir heute feiern. 1210 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zusammen mit der Frage ist auch die Antwort gegeben. Das auf Gott gerichtete Denken des Menschen kann verschiedene Wege einschlagen und unwegsame Straßen gehen. Es kann sich sogar gegen Gott wenden, kann seine Existenz leugnen. Doch Gott — der über all dem steht — „kann sich selbst nicht verleugnen“ (2 Tim 2,13), er kann nicht aufhören, er selbst zu sein. Er kann nicht aufhören, Liebe zu sein. „Das Kreuz ist das Wort des ewigen Lebens“ Ansprache nach dem Kreuzweg am Kolosseum am Karfreitag, 28. März 1. „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens!“ (Joh 6,68) Christus, zu wem sollen wir gehen? An keinem anderen Tag des Jahres kommen wir so nahe zu deinem Kreuz als heute: am Karfreitag. Im Kreuz hat die Erinnerung der Kirche an deinen Tod und an unsere Erlösung eine bleibende greifbare Form angenommen. Das Kreuz ist das letzte Wort deiner Sendung. Das Kreuz ist das Wort vom ewigen Leben. Dieses Wort ist ein für allemal gesprochen worden zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und den Menschen. Gott hat dieses Wort nicht zurückgenommen; dieses Wort bleibt bestehen. 2. Der Prophet Jesaja sagt uns in der heutigen Karfreitagsliturgie: „Er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt“ (Jes 53,4 f.). „Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg. Doch der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen“ (Jes 53,6). „Er wurde vom Land der Lebenden abgeschnitten und wegen der Verbrechen seines Volkes zu Tode getroffen“ (Jes 53,8). 3. Ja, das geschah gerade mit ihm: Aber wer ist dieser? Mensch ist er, einer unter Millionen von Menschen, die über diese Erde gegangen sind und heute noch gehen. Aber kann denn ein Mensch die Sünden aller auf sich nehmen? Wer ist dieser? 1211 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das ewige Wort des Vaters ist er, der Erstgeborene vor allen Geschöpfen. „In ihm wurde alles geschaffen“ (Kol 1,16), und „alles ist durch das Wort geworden“ (Joh 1,3). Es ist der göttliche Sohn, eines Wesens mit dem Vater. Er, der von Ewigkeit her alles, was geschaffen ist, umfaßt, ist auch in der Lage, vor Gott, seinem Vater, „alle unsere Vergehen“ sich zu eigen zu machen. Er kann sie auf sich nehmen. Nur er! ' Und nur in ihm können wir Menschen, auf denen die Sünde lastet — das ganze Erbe der Sünde, das immer noch zunimmt —, „Gerechtigkeit Gottes“ werden. 4. Papst Pius XII. hat gesagt: „Die Sünde dieses Jahrhunderts ist der Verlust des Bewußsteins von Sünde.“ Diese Worte hat drei Jahre später die Bischofssynode im Dokument über Versöhnung und Buße wiederholt: „Die Sünde unseres Jahrhunderts ist der Verlust des Bewußtseins von Sünde.“ Der Mensch sündigt, ohne sein Tun so zu nennen. Das ist allerdings nicht der Weg zur Befreiung von der Sünde; das ist lediglich der Weg, die Wahrheit zu verfälschen. Der Weg der Befreiung erreicht sein Ziel nur über die Wahrheit. Derjenige, der am Kreuz gestorben ist, hat gesagt: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,32). Gerade hierfür ist er ans Kreuz gekommen. Im Kreuz ist die volle Wahrheit von der Sünde des Menschen enthalten, von der Sünde der Welt. Und wenn die Menschheit diese Wahrheit zurückweisen wollte, wenn sie aus Gewissen und Verhalten der Leute das Bewußtsein von der Sünde zu tilgen versuchte, dann wird das Kreuz diese Wahrheit stets dagegen bezeugen. 5. „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Das ewige Wort Gottes am Kreuz, der göttliche Sohn, der in die Welt gekommen ist: Er ist „nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten“ (Joh 12,47). Du Mensch des 20. Jahrhunderts! Lauf nicht davon vor dem Gericht des Kreuzes Christi! Dieses Kreuz ist das Gericht zu deinem Heil!.Dieses Kreuz ist das Wort des ewigen Lebens! Es ist ein für allemal zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und dem Menschen, gesprochen worden. Gott hat dieses Wort nicht zurückgenommen. Dieses Wort verhallt nicht, es bleibt! 1212 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Der Tod ist vom Tod besiegt worden “ Predigt bei der Osternachtsmesse am 29. März 1. O mors — ero mors tua! O Tod — ich werde dein Tod sein! In dieser Nacht kehrt die Kirche an den Ort des Todes und der Grablegung Christi zurück. Am Karfreitag, dem Tag vor dem Sabbat, wurde sein Leichnam vom Kreuz genommen und bestattet. Zuvor hatte der römische Hauptmann Jesus mit einer Lanze die Seite durchbohrt, um festzustellen, ob er wirklich tot sei. Sie bestatteten den Leichnam in aller Eile, weil der Rüsttag für das Paschafest zu Ende ging. Heute kommt die Kirche wieder an dieses Grab und feiert vor dem verschlossenen Grab des Gekreuzigten die Osternacht. 2. Wachen besagt eine Zeit der Erwartung. Die Kirche kommt zu dem Grab Christi mit dem Bewußtsein des Todes, der dieses Grab kennzeichnet. Sie kommt mit der Gewißheit: Jesus von Nazaret ist tatsächlich tot! Und gleichzeitig liest sie während dieses Wachens das Evangelium des Ostermorgens. Das ist heute das Evangelium nach Lukas. Auf diese Weise wird das Wachen der Kirche zur Osternacht. In dieser heiligen Nacht wird — durch Christus, der gekreuzigt und bestattet wurde — der Tod vom Tod besiegt werden: mors, ero mors tua (Tod, ich werde dein Tod sein). 3. So spricht er, der unser Ostern, unser Pascha ist. Pascha bedeutet „Hindurchgehen“, „Hinübergehen“. Es ist das Hindurchgehen durch den Tod zum Leben, so wie einst im Alten Bund Israel über die Schlachtung des Osterlammes zum Leben gelangte. Das war freilich nur ein Hinübergehen zu einem anderen Leben auf dieser Erde: von der Knechtschaft in Ägypten zur Freiheit im verheißenen Land. Das Ostern der Kirche aber bedeutet den Hinübergang in das ewige Leben, das von Gott kommt, und ist das Leben in Gott. Kein verheißenes Land auf dieser Welt vermag eine solche Freiheit, ein solches Leben zu gewähren... 4. Dennoch hat sich das Ostern Christi auf dieser Erde vollzogen. Auf dieser Erde ist der Tod vom Tod vernichtet worden. Auf dieser Erde ist Christus gekreuzigt und begraben worden und war am Morgen, „am Tag nach dem Sabbat“ (also am Sonntag), das Grab leer. 1213 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 5. Die erste Ursache für den Tod ist die Sünde. Sämtliche über die ganze Erde verstreuten Gräber sprechen vom Tod der aufeinanderfolgenden Menschheitsgenerationen. Alle Gräber auf dem Erdball geben Zeugnis von der Sünde, vom Sündenerbe im Menschen. Christus ist im Ostergeheimnis vom Tod in das Leben hinübergegangen. Das will heißen: er hat durch seinen Gehorsam bis in den Tod das Erbe der Sünde an der Wurzel vernichtet. Das Ostern Christi bedeutet daher auch Gang durch die Geschichte der Schuld und Sünde der Menschheit seit Anbeginn: von da an, wo „durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern wurden“ (Röm 5,19). 6. Darum bekennt die Kirche (von Christus, an den sie glaubt): „gekreuzigt, gestorben und begraben — hinabgestiegen in das Reich des Todes — am dritten Tage auferstanden von den Toten“. Bevor er auferweckt wurde, hat er mit seinem Tod die Sünde des Menschen in allen Generationen der Verstorbenen getroffen. Er hat sie mit der Macht seines Todes aufgesucht: mit der erlösenden Macht seines Todes, mit der lebendig machenden Macht seines Todes. O mors — ero mors tua! Tod — ich werde dein Tod sein! 7. Und auch wir, die wir auf dieser Erde leben, wir, die wir heute an der Osternachtsmesse teilnehmen, sind alle „auf seinen Tod getauft“, wie der hl. Paulus schreibt (Röm 6,3). Der Tod Christi, der erlösende Tod, der lebendig machende Tod hat das Erbe der Sünde in jedem von uns zerstört. Denn „wir sind auf Christus Jesus getauft worden“ (Röm 6,3). Ja mehr noch: „Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod; und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neüe Menschen leben“ (Röm 6,4). 8. In diesem Geist sind wir hier zusammengekommen. In diesem Geist nehmen wir zusammen mit der ganzen Kirche an der Osternacht teil. Zusammen mit allen unseren Brüdern und Schwestern im Glauben, wo immer sie in dieser heiligen Nacht am Grab des Todes und der Auferstehung Christi wachen. Und in diesem Geist grüße ich besonders herzlich die Katechumenen, die in diesem Osternachtsgottesdienst die Taufe empfangen werden. Es sind 39, und sie kommen aus Korea (mit 15 die zahlenmäßig stärkste Gruppe), aus Vietnam, aus Japan, aus Kamerun, aus Tansania, aus Zaire, von der Elfenbeinküste, von den Kapverdischen Inseln, aus Libyen, aus Hongkong, aus Taiwan, aus Italien, den Vereinigten Staaten und Deutschland. 1214 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Freuen wir uns mit ihnen, weil sie von der rettenden Macht des Todes Christi berührt werden sollen, weil sie „mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, wie Christus von den Toten auferweckt wurde, damit auch sie als neue Menschen leben können“. 9. „Er wurde von den Toten auferweckt durch die Herrlichkeit des Vaters.“ Durch die Herrlichkeit des Vaters. Denn der Vater ist der Gott der Lebenden, nicht der Toten (vgl. MT 22,32). Er „ist der Freund des Lebens“. Die Frauen, die am Morgen zum Grab kommen, werden die Worte hören: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden“ (Lk 24,5). Er wurde auferweckt „durch die Herrlichkeit des Vaters“. Die ganze Herrlichkeit des Vaters ist in dem auferstandenen Sohn: durch seinen Tod hat er den Tod besiegt: Mors — ero mors tua! Die Auferstehung setzt das Mitwirken des Menschen voraus Osterbotschaft vor dem Segen „Urbi et Orbi“ am Ostersonntag, 30. März 1. „Strebt nach dem, was im Himmel ist“ (Kol 3,1). Das ist Ostern, das Fest der Auferstehung des Herrn. Der Apostel Paulus, der in besonderer Weise die Macht des Auferstandenen erfahren hat, sagt es so: „Ihr seid mit Christus auferweckt; darum strebt nach dem, was im Himmel ist... Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische!... Euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott“ (Kol 3,1-3). 2. Die Osterbotschaft ist ein Zeugnis. Zeugen sind diejenigen, die das Grab leer gefunden haben, die die Gegenwart des Auferstandenen erfahren durften. „Was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefaßt haben (wie die Hände des ungläubigen Thomas),... das verkünden wir euch ... Denn das Leben wurde sichtbar; wir haben es gesehen“ (1 Joh 1,1.3.2). Sichtbar ist es geworden, als bereits alles im Dunkel des Todes versunken zu sein schien. Als man schon einen großen Stein vor das Grab gerollt und Siegel daran angebracht hatte, gerade da ist das Leben von neuem sichtbar geworden! 1215 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. Die Osterbotschaft ist ein Zeugnis und zugleich eine Herausforderung. Christus, der für uns in diese Welt gekommen ist und für uns den Tod am Kreuz auf sich genommen hat, schenkt uns durch diesen Tod das Leben: Unser Leben ist nunmehr mit Christus verborgen in Gott (vgl. Kol 3,3). „Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat.“ Dieser Tag bestätigt uns immer wieder die Wahrheit: Gott findet sich mit dem Tod des Menschen nicht ab. Christus ist in die Welt gekommen, um sie davon zu überzeugen. Christus ist am Kreuz gestorben und begraben worden, um gerade hierfür Zeugnis äbzulegen: Gott findet sich mit dem Tod des Menschen nicht ab! „Er ist doch nicht der Gott der Toten, sondern der Gott der Lebenden“ (Mt 22,32). In Christus ist der Tod herausgefordert. Durch seinen eigenen Tod hat der Herr den Tod besiegt. Darum ist das' der Tag des Herrn. Das ist der Tag der machtvollen Gegeninitiative Gottes: seiner Initiative gegen den Tod. 4. Und der Mensch — findet er sich mit dem Tod ab? Ist er vielleicht sogar bereit, an der großen Initiative Gottes teilzunehmen? Der Mensch findet sich mit dem Tod ab, wenn er nur nach den irdischen Dingen strebt, wenn er nur diese sucht. Die Erde allein enthält nicht den „Keim“ der Unsterblichkeit. Ja, leider findet sich der Mensch mit dem Tod ab; er nimmt ihn nicht nur hin, sondern verhängt ihn sogar. Ständig verhängen Menschen den Tod über andere Menschen, die ihnen oft unbekannt sind, über unschuldige Menschen, über noch nicht geborene Menschen. Der Mensch findet sich nicht nur mit dem Tod ab, sondern hat nicht selten ihn zu seiner Existenzmethode auf Erden gemacht: Die Methode der Gewalt, die Methode blutiger Machteroberung, die Methode egoistischer Anhäufung von Reichtum, die Methode eines Kampfes gegen das Elend, der sich von Haß und Rachgelüsten nährt, die Methode der Einschüchterung und der Unterdrückung, die Methode der Folter und des Terrors, sind das alles nicht Todesmethoden? Aber auch wenn der Mensch sich mit dem Tod abfindet, hat er dennoch schreckliche Angst davor. 5. Ist der Mensch von heute bereit, teilzunehmen an der großen Initiative Gottes gegen den Tod? Eine Herausforderung, dringender und unausweichlicher als jede andere, stellt sich ihm: die große Herausforderung des Friedens. Den Frieden wählen bedeutet, das Leben wählen. Den Frieden errichten bedeutet, mit Mut und Verantwortung teilnehmen am Handeln des Gottes der Lebenden. Gott ruft den Men- 1216 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sehen auf, sich dem Tod dort entgegenzustellen, wo dieser heute in deutlicherer Weise als Frucht von Egoismus, Spaltung und Gewalt erscheint: in den von Guerillakämpfen und blutigen Konflikten heimgesuchten Regionen, dort, wo Versuchungen zu Terrorismus und Vergeltung aufkommen, in den Nationen, wo die Würde der menschlichen Person, ihre Rechte und Freiheiten mit Füßen getreten werden. In diesem Internationalen Jahr des Friedens habe ich die Menschen aller religiösen Bekenntnisse, alle Menschen guten Willens, zu einem besonderen Gebetstreffen für den Frieden in die Stadt Assisi einladen wollen. Das wird die Gelegenheit sein, um angesichts des von Todesdrohungen verängstigten Menschen unsere Anstrengungen für den Sieg des Lebens erneut zu bekräftigen. Das ist der Sieg des auferstandenen Christus! 6. Aber ist denn der Mensch von heute bereit, teilzunehmen an der Auferstehung Christi? Ist er bereit, die Herausforderung der Unsterblichkeit wiederzuentdecken, die in seiner geistigen Substanz verborgen ist? Ist er bereit, mit Christus von den Toten aufzuerstehen? Ist er bereit, mit Christus der Sünde zu sterben, um mit ihm zum Leben aufzuerstehen? Ist er bereit — wie der Apostel sagt —, an „die himmlischen Dinge“ zu denken und nicht nur an „die irdischen“? 7. Dies ist der Tag, den der Herr uns gemacht hat! Der Tag eines großen Zeugnisses und einer großen Herausforderung! Der Tag der großen Antwort Gottes auf die unstillbaren Fragen des Menschen! Fragen über den Menschen, über seinen Ursprung und seine Zukunft, über Sinn und Tiefe seiner Existenz. Dies ist der Tag, den der Herr für uns gemacht hat. „Christus, unser Paschalamm, ist geopfert worden“ (1 Kor 5,7). „Pascha“ heißt „Vorübergang“: Vorübergang Gottes durch die Geschichte des Menschen; Durchgang durch den unabwendbaren menschlichen Tod, der vom Anfang bis zum Ende das Tor zur Ewigkeit ist. Durchgang durch die Geschichte der menschlichen Sünde, die der Tod des Menschen für das Herz Gottes ist; Übergang zum Leben in Gott. Sind wir bereit, ständig von den Toten aufzuerstehen zu jenem Leben, das „mit Christus in Gott verborgen“ ist? Es ist auch „unser“ Leben! Sind wir bereit, die Fülle „unseres“ Lebens in Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, zu suchen? 1217 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 8. Christus ist in einem ganz bestimmten Augenblick der Geschichte auferstanden; aber er wartet noch darauf, in der Geschichte unzähliger Menschen aufzuerstehen, in der Geschichte der einzelnen wie auch der Völker. Eine solche Auferstehung setzt das Mitwirken des Menschen und aller Menschen voraus; aber stets offenbart sich dabei das Strömen jenes Lebens, das vor so vielen Jahrhunderten an einem Ostermorgen aus dem Grab hervorgebrochen ist. Wo immer ein Herz den Egoismus, die Gewalt, den Haß überwindet und sich in einer Geste der Liebe zu einem Bedürftigen neigt, dort steht Christus auch heute auf. Wo immer in echtem Einsatz für Gerechtigkeit ein wahrer Friedenswille sich zeigt, dort weicht der Tod zurück und setzt sich das Leben Christi durch. Wo immer einer stirbt, der glaubend, liebend, leidend gelebt hat, dort feiert die Auferstehung Christi ihren endgültigen Sieg. 9. Das letzte Wort Gottes über das menschliche Geschick ist nicht der Tod, sondern das Leben; ist nicht die Verzweiflung, sondern die Hoffnung. Zu dieser Hoffnung lädt die Kirche auch die Menschen von heute ein. An sie richtet sie erneut die unglaubliche und doch so wahre Botschaft: Christus ist auferstanden! Möge die ganze Welt mit ihm auferstehen! Alleluja! „Christ sein heißt glauben und wachsen“ Ansprache an eine Gruppe von Jugendlichen aus Luxemburg am 4. April Sehr verehrter Herr Erzbischof! Liebe, junge Freunde! Von Herzen freue ich mich über eure große Jugendwallfahrt aus dem Großherzogtum Luxemburg in die Ewige Stadt, durch die ihr meinen letztjährigen Pa-storalbesuch in eurem Land erwidern möchtet. Unvergeßlich bleibt mir meine Begegnung mit den Jugendlichen in Echternach. Um so lieber habe ich deshalb eurem Wunsch nach dieser Audienz entsprochen. Ich heiße euch heute alle sehr herzlich hier im Vatikan willkommen und danke euch für euer Bekenntnis zur Kirche und zum Nachfolger Petri, das ihr durch eure zahlreiche Teilnahme an dieser Rompilgerfahrt so eindrucksvoll bekräftigt. „Christ sein heißt glauben und wachsen“. Dieses Motto eurer Pilgerreise erhält gerade im Licht des Ostergeheimnisses von Tod und Auferstehung Jesu Christi 1218 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN seine besondere Aktualität und Bedeutung. Wie uns die Apostelgeschichte berichtet, hat Gott Jesus auferweckt und ihn erscheinen lassen, aber „nicht dem ganzen Volk“, sondern nur „den von Gott vorherbestimmten Zeugen“ (Apg 10,40). Diesen hat er zugleich aufgetragen, Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, allen Menschen zu verkünden und zu bezeugen. Christ wird, wer die Frohe Botschaft dieser Augenzeugen annimmt und an sie glaubt. Gesehen haben den auferstandenen Herrn nur wenige, an ihn glauben aber sollen alle. Denn nach dem Zeugnis der Schrift sind alle Menschen zum Heil und somit zum Glauben berufen. Deshalb tadelt Christus die Haltung des ungläubigen Thomas und preist selig, die allein auf Zeugnis der Glaubensboten hin zu Christus finden: „Weil du gesehen, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29). Christ sein heißt also, durch die Verkündigung der Kirche an Christus glauben, an seinen Erlösertod und an seine Auferstehung, an seine Verherrlichung beim Vater und an seine bleibende Gegenwart unter uns Menschen. Jesus selbst versichert uns: „Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,20). Der Glaube bezieht sich nicht so sehr auf ein vergangenes Geschehen, sondern auf den unter uns lebenden, gegenwärtigen Herrn. Er besagt vor allem Freundschaft und Lebensgemeinschaft mit Christus; eine innere Verbundenheit und Vertrautheit mit ihm, in die der Christ immer tiefer hineinwachsen muß. Christ sein heißt deshalb glauben und wachsen zugleich; heißt bei Christus sein, ihm die Freundschaft wahren und daraus das eigene Leben gestalten; es heißt aber auch mit Christus immer vertrauter werden, ihn immer besser kennenlernen und in der Liebe und Treue zu ihm unentwegt voränschreiten. Christus im Glauben zum Freund und Lebensgefährten zu haben und in der Vertrautheit mit ihm immer mehr zu wachsen, das ist, liebe junge Freunde, eure große Berufung und Aufgabe, die euch froh machen und euer Leben und Handeln im Alltag bestimmen soll. Daraus erwächst zugleich eure Verantwortung für die Mitmenschen, vor allem für diejenigen, die eurer Hilfe besonders bedürfen. Gerade in den Armen und Leidenden möchte euch Christus selber begegnen; das Gute, das ihr ihnen tut, habt ihr Christus erwiesen. Aus derselben christlichen Berufung erwächst schließlich auch euer Auftrag für die großen Anliegen der Gesellschaft und für eine gerechtere und bessere Welt von morgen. Wie bei unserer Begegnung in Echternach möchte ich euch auch heute daran erinnern, „daß wir eine Zukunft, die Bestand hat, nur aufbauen können auf dem Fundament der grundlegenden Wahrheiten und der bleibenden Werte des Evangeliums, wie sie in der Kirche von Generation zu Generation überliefert werden und zu allen Zeiten von großen Glaubensgestalten bezeugt und vorgelebt werden“. Die Jugend von Luxemburg hat bei unserer damaligen Begegnung ihre Bereit- 1219 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Schaft zur konkreten Mitarbeit beim Aufbau einer besseren Welt überzeugend unter Beweis gestellt durch die solidarische Hilfe für die Errichtung eines Hauses in einem Slumviertel von Nairobi. Ich habe bei meiner nachfolgenden Afrikareise euren hilfsbereiten Beitrag gern den Empfängern überbracht und darf euch in deren Namen auch an dieser Stelle dafür noch einmal aufrichtig danken. Ich erbitte euch als Gnade dieser eurer Romwallfahrt einen lebendigen Glauben und ein stetes Wachsen in der Erkenntnis und Liebe Jesu Christi, auf daß ihr die Gegenwart des auferstandenen Herrn in eurem Leben immer bewußter erfahrt und durch Wort und Tat seine Zeugen werdet. Von Herzen erteile ich euch und euren Angehörigen in der Heimat für Gottes bleibenden Schutz und Beistand meinen besonderen Apostolischen Segen. Das Wort Gottes „lebendig und kraftvoll“ Ansprache an das Exekutivkomitee des Katholischen Weltverbandes für das Bibelapostolat am 7. April Liebe Brüder und Schwestern in Christus! 1. Es ist mir eine Freude, die Mitglieder des Exekutivkomitees des Katholischen Weltverbandes für das Bibelapostolat im Vatikan willkommen zu heißen. Da Sie aus vielen verschiedenen Ländern kommen, sind Sie und Ihre Kollegen in der Lage, einen bedeutenden Beitrag zur Sendung der Kirche auf dem Gebiet der Evangelisierung zu leisten. Sie helfen der Kirche, dem Auftrag unseres auferstandenen Erlösers getreu zu entsprechen: „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,19 f.). 2. Als die Bischofssynode von 1985 die Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils bestätigte, feierte und ihnen neuen Elan verlieh, lenkte sie besondere Aufmerksamkeit auf die zentrale Stellung des Wortes Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche. Der Schlußbericht der Synode stellte fest, daß die dogmatische Konstitution Dei Verbum in den 20 Jahren seit dem Konzil „allzusehr vernachlässigt wurde“ und daß sie eine eingehendere Berücksichtigung und Durchführung verdiente. Ich darf wohl annehmen, daß Sie, liebe Freunde in 1220 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Christus, bei den Bemühungen mit dem Ziel, auf diese Herausforderung zu antworten, besondere Hilfe leisten können. Zusätzlich zu einem aufmerksamen nochmaligen Lesen von Del Verbum bedarf es unbedingt auch der zuverlässigen Ausbildung von Dienern des Gotteswortes, von allen, die das Evangelium vom Heil lehren und verkünden. Wie die Synodenteilnehmer im Schlußbericht sagten: „Die Evangelisierung ist nicht nur für die Bischöfe die erste Aufgabe, sondern auch für die Priester und Diakone, ja für alle Gläubigen“ (II, B, a, 2). 3. Wie bereiten wir andere auf die Mitarbeit bei der kirchlichen Aufgabe der Katechese und Evangelisierung vor? Wir müssen natürlich damit beginnen, ihnen Achtung und Liebe für das Wort Gottes einzupflanzen: für das menschgewordene Wort, unseren Herrn Jesus Christus, und für das erleuchtete Wort, das in der Heiligen Schrift enthalten ist. Wir müssen eine Liebe fördern, die fest im Glauben verwurzelt ist, die mit dem hl. Paulus glaubt, daß Gottes Wort „die Kraft hat, aufzubauen und das Erbe in der Gemeinschaft der Geheiligten zu verleihen“ (Apg 20,32). Die Diener des Wortes Gottes — Priester, Diakone, Katecheten und andere Laien — müssen sich durch ständiges Lesen und eifriges Studium, das von Gebet begleitet ist, in die Schrift vertiefen. Sie müssen, soweit als möglich, mit den Erkenntnissen moderner Bibelwissenschaft bekanntgemacht werden. Zu beachten sind die literarischen Formen der verschiedenen Bücher der Bibel, um die Absicht der heiligen Verfasser feststellen zu können. Äußerst hilfreich, ja manchmal entscheidend ist es, die persönliche Situation des biblischen Autors, die Zeitumstände, die Verhältnisse von Kultur und Sprache usw. zu kennen, die die Art, wie die Botschaft vorgetragen wurde, beeinflußten. Gleichzeitig lenkt eine angemessene Ausbildung für das Bibelapostolat die Aufmerksamkeit auf die Einheit aller Bücher der Bibel und berücksichtigt die lebendige Überlieferung der Kirche. Auf diese Weise läßt sich ein engstirniger Fundamentalismus vermeiden, der die ganze Wahrheit verzerrt, und auch der Versuchung widersteht, die eigene persönliche Auslegung über oder sogar in Gegensatz zur authentischen Interpretation des Gotteswortes zu stellen, die ausschließlich den Bischöfen der Kirche in Gemeinschaft mit dem Papst zusteht. 4. Das Apostolat, in dem Sie tätig sind, ist so interessant wie herausfordernd. Es verlangt harte Arbeit und Ausdauer. Es erfordert Studium und Gebet. Es ist immer mit persönlichem Engagement verbunden, denn „das Wort Gottes ist lebendig und kraftvoll“ (Hebr 4,12). Wie ein zweischneidiges Schwert dringt es durch jede Verstellung und Täuschung und bereitet den Weg für die Umkehr. 1221 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Gottes Wort, das lebt und das bleibt“ (1 Petr 1,23) ist sowohl im Verkündiger wie im Empfänger am Werk, indem es über beide das belebende Licht der Wahrheit ausgießt. Schließlich führt die Verkündigung des Wortes Gottes zur Eucharistie, und in der Eucharistie erreicht es seinen vollen und wirksamsten Ausdruck. Es besteht ein enges Band zwischen der heiligen Liturgie und den kirchlichen Evangelisierungsbemühungen. Jeder, der sich im Bibelapostolat engagieren möchte, muß daher von einer glühenden Liebe zur Eucharistie und zum gesamten liturgischen Leben der Kirche erfüllt sein. Ich lasse es bei diesen wenigen Gedanken bewenden und versichere Sie meiner sehr herzlichen Ermutigung und meines Gebets, „damit das Wort des Herrn sich ausbreitet und verherrlicht wird“ (2 Thess 3,1). Christus, das lebendige Wort Gottes, möge eure Freude und eure Kraft sein. Er erfülle eure Herzen mit seinem Frieden. „Erziehung zur Befreiung durch Erziehung zur Freiheit“ Schreiben an die Vollversammlung der Brasilianischen Bischofskonferenz vom 9. April Meine Herren Kardinäle, liebe Brüder im Bischofsamt! Pax vobis, alleluia! 1. Mit diesem schlichten, eindrucksvollen und vertrauten Gruß des auferstandenen Jesus (vgl. Joh 20,19.21.26; Lk 24,16) und mit dem darin enthaltenen Wunsch möchte ich diese Botschaft, die an euch und durch euch an die ganze Kirche Brasiliens gerichtet ist, beginnen. Nach all den einzelnen und gemeinsamen Begegnungen und den Begegnungen einer Gruppe von Repräsentanten des Episkopats mit mir und mit meinen Mitarbeitern an der Römischen Kurie ist dieser Präsenzbeweis nun die dritte Stufe und Krönung der „Ad-limina“-Besuche, eines kirchlichen Ereignisses, das vierzehn Monate lang dem Leben der Bischöfe und der Kirche Brasiliens seinen Stempel aufgedrückt hat. In der Weise, wie die „Ad-limina“-Besuche aufgrund einer gemeinsamen Initiative von euch und mir durchgeführt wurden, waren sie eine höchst ausdrucksvolle Übung echter — sowohl affektiver wie effektiver — Solidarität in harmonischer Verbundenheit mit der entsprechenden Ausübung des Petrusamtes. Die brüderliche Liebe, die dabei herrschte, verbunden 1222 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN mit der unaufhörlichen Suche nach der Wahrheit, inspirierte zu einem keineswegs oberflächlichen, sondern tiefen und konsequenten Dialog, einem Dialog, der die ganze Zeit Instrument jener Gemeinschaft sein wollte, die seit den Anfängen der Kirche und im Laufe ihrer ganzen Geschichte, besonders aber in den Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils, als wesentliches Element in eben dieser Kirche Jesu Christi erscheint. Der „Ad-limina“-Besuch, der sicher für jeden einzelnen von euch und für die Bischofskonferenz, die ihr gemeinsam bildet, nützlich war, ist und wird — so durchgeführt — ein unschätzbarer Dienst an der Kirche Brasiliens und, im weiteren Sinn, an den anderen Kirchen und an der Weltkirche sein; ein wenn auch indirekter Dienst an der brasilianischen Gesellschaft und, im weiteren Sinn, an der ganzen menschlichen Familie. 2. Es wäre überflüssig zu betonen, daß diese Botschaft durch die Empfänger, für die sie bestimmt ist, durch den Kontext, in dem sie geschrieben ist, und durch ihre Thematik ein kirchliches Ereignis ist; sie bildet den Abschluß eines kirchlichen Aktes, wie es der „Ad-limina“-Besuch ist; sie wendet sich an Männer, die der Kirche als ihre Diener und Hirten geweiht sind; und sie wird Punkte berühren, die für das Leben und die Sendung eben dieser Kirche von beträchtlichem Interesse sind. Sie geht daher von einem präzisen Kirchenverständnis — dem des Zweiten Vatikanischen Konzils — aus und antwortet schon aus diesem Grund auf deutlich wahrgenommene Nöte und Ängste. Waren es nicht die Bischöfe selbst, die in den verschiedenen Abschnitten des „Ad-limina“-Besuchs starken Nachdruck auf die Ekklesiologie legten, wenn sie ausdrücklich versicherten, daß den ernstesten Problemen, denen sie als Bischöfe gegenüberstünden, eine ekkle-siologische Frage zugrunde liege und daß die Lösung dieser Probleme notwendigerweise über ein richtiges und wohlbegründetes Verständnis von der Kirche führe? Da ich mir dessen bewußt war, fühlte ich mich dazu verpflichtet, bei allen unseren Begegnungen die Grundzüge der wahren Kirche Jesu Christi zu betonen, Züge, die vom ordentlichen und außerordentlichen Lehramt dieser Kirche — besonders von den Dokumenten des Zweiten Vatikanums — und vom sensus fi-delium mit der erforderlichen Klarheit bestätigt werden. Die Kirche ist vor allem ein Geheimnis — das ist der erste Wesenszug —, Antwort auf einen von Liebe getragenen Heilsplan des Vaters, Weiterführung der Sendung des fleischgewordenen Wortes, Frucht des schöpferischen Wirkens des Heiligen Geistes. Deshalb kann sie nicht von rein rationalen (sozialpolitischen oder anderen) Kategorien her bestimmt und interpretiert werden, die das Ergebnis eines lediglich menschlichen Wissens sind. Zum Wesen ihres Ge- 1223 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN heimnisses gehört: sie ist heilig, obwohl sie aus Sündern besteht; sie ist eine pilgernde Kirche, beschaulich im Tun und aktiv in der Beschaulichkeit; sie ist eschatologisch, mit ihr beginnt das Reich, wenn auch nicht in seiner Fülle und Vollendung; sie ist veränderlich in ihren Zufälligkeiten und unveränderlich in ihrem Sein und in ihrer Sendung. Diese Sendung — und das ist der zweite Wesenszug, der hervorgehoben werden muß — ist die Evangelisierung, d. h. der Heilsdienst an der Welt durch den Heilsdialog, den sie mit der Welt aufnimmt (vgl. Enzyklika Ecclesiam Suam Pauls VI.). Der Heilsdienst (ministerium salutis), der im wesentlichen religiös ist, weil er aus einer Initiative Gottes entspringt und im Absolutum Gottes endet, ist zugleich Dienst am Menschen, als Person und als Gesellschaft, an seinen geistlichen und weltlichen Bedürfnissen, an seinen fundamentalen Rechten, an seinem menschlichen und bürgerlichen Zusammenleben. Deshalb gehört es ja zur Sendung der Kirche, sich in gewissem Maß der Probleme anzunehmen, die den Menschen von der Wiege bis zum Grab umgeben, wie z. B. die sozialen und die gesellschaftspolitischen Probleme. Voraussetzungen für ein angemessenes Vorgehen bei der Ausübung dieses empfindlichen Evangelisierungsauftrages sind unter anderem: eine klare Unterscheidung zwischen dem, was Aufgabe der Laien ist, die durch ihre besondere Berufung und ihr Charisma zur Arbeit in der Welt berufen sind, und dem, was Aufgabe der Bischöfe ist, die die Laien für ihre Aufgaben ausbilden; das Bewußtsein, daß es nicht Sache der Kirche als solcher ist, technische Lösungen für die zeitlichen Probleme anzugeben, sondern die Suche nach diesen Lösungen im Lichte des Glaubens zu beleuchten; ein praktischer Einsatz auf sozialpolitischem Gebiet muß in unantastbarem Zusammenhang mit der ständigen Lehre des Lehramtes stehen. 3. In dieser Beziehung sieht sich die Kirche in Brasilien wie in anderen Gegenden, vor allem in Lateinamerika, gewaltigen Herausforderungen gegenübergestellt. Sie ist sich ihrer Grenzen und Mängel bewußt, um ihnen entgegenzutreten, aber sie hört nicht auf, glaubhaft zu machen, daß sie angesichts dessen mit der Hilfe des Geistes des Vaters und Jesu Christi rechnet. Das ist der Grund, warum sie niemals die Hoffnung auf Gott verliert. Einige dieser Herausforderungen sind kirchlicher Art, und mehrere von ihnen habe ich mit größtem brüderlichen Vertrauen bei meinen Gesprächen mit den verschiedenen Gruppen von euch, die zum Besuch „ad limina apostolorum“ gekommen waren, besprochen, wobei ich sie ermutigte, die möglichen Lösungen nicht aus den Augen zu verlieren und entschieden und geduldig nach ihnen zu suchen. Ich beziehe mich auf den Mangel an Priestern, Ordensleuten und Pastoralhelfern, auf die angemessene Ausbildung der künftigen Priester, auf 1224 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die Bedrohung des Glaubens durch fundamentalistische oder nicht-christliche Sekten, auf die Katechese, auf die Probleme, die auf die Familie und die Jugend hereinbrechen, auf die Gefahr von Ekklesiologien, die sich von der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils unterscheiden, usw. Noch einmal möchte ich euch, liebe Brüder im Bischofsamt, mit erneuter Festigkeit ermutigen, wobei ich mich auf einige Überzeugungen berufe, die schon lange in meinem Herzen sind, und die jetzt durch den „Ad-limina“-Besuch neu gestärkt wurden: — die Überzeugung, daß dieses von Gott eurer pastoralen Führung anvertraute Volk erfüllt ist von echtem Hunger und Durst nach Gott, nach seinem Wort, nach seinen sakramentalen Geheimnissen, nach den wesentlichen Glaubenswahrheiten, Wirklichkeiten, die es in seiner Volksfrömmigkeit auf seine Weise zum Ausdruck bringt; auch fehlen seinem tiefchristlichen und katholischen Geist nicht ein tiefer Sinn für das Geheimnis des Kreuzes, eine große Verehrung für die Eucharistie, eine große kindliche Liebe zur Mutter Jesu, ein Gefühl der Verehrung für den Nachfolger Petri, wer immer es sei und wie immer er heißen möge; das ist, wie ich während meiner Pilgerreise durch dieses Land immer wieder beobachten konnte, die große Kraft der Kirche, die Quelle des Trostes für diejenigen, die sie als Hirten leiten; diese Kraft wird noch größer sein, wenn dieser Reichtum ständig Stärkung und Festigung erfährt durch eine lebendige und gut gestaltete Liturgie, durch eine richtig geleitete sakramentale Praxis, durch eine sorgfältige Katechese, durch ein besonderes Augenmerk für Berufe, die unbedingt gewonnen werden müssen; — die Überzeugung, daß trotz der erwähnten Mängel dieses Volk durch Gottes Gnade die Samenkörner des Evangeliums bewahrt, die seit den Anfängen der Evangelisierung von frommen und beherzten Missionaren ausgesät worden sind; das Werk dieser Apostel verschwindet auch nicht in dem Augenblick, wo die Kirche in diesem Land alle Bemühungen unternimmt, um ihr eigenes Gesicht zu erhalten, sich auf ihre eigenen Ressourcen zu stützen, ja ihre Hand nach bedürftigeren Ländern auszustrecken; — die Überzeugung, daß ihr und eure Mitarbeiter im pastoralen Dienst in den Augen der Universalkirche und der Welt das Zeugnis von Hirten abgebt, die ihrem Volk außerordentlich nahe, in Freude und Schmerz mit ihm solidarisch und bereit sind, es im Glauben zu erziehen und sein christliches Leben zu vervollkommnen, ihm in seinen Nöten zu Hilfe zu kommen, seine Schmerzen und Nöte zu teilen und Hoffnung einzuflößen. Auf diesem Gebiet ist es mehr als gerecht, den unzähligen Bischöfen und Priestern, Ordensmännern und Ordensfrauen, geweihten Personen und engagierten Laien aufrichtig zu danken, die in der ganzen Geschichte dieser Kirche — 1225 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ich beziehe mich insbesondere auf die jüngste Vergangenheit — bewundernswerten apostolischen Eifer, Selbstverleugnung und Opfergeist, außergewöhnliche Liebe zu ihrem Volk, unvergleichliche Fähigkeit zu selbstlosem Dienst bewiesen haben. Daß diese Diener des Herzens Jesu, des Erlösers und Guten Hirten, und ihre Mitarbeiter weiter so zahlreich sind, ja daß sich ihre Zahl noch erhöhen möge, ist die größte Gnade, die Gott einer Kirche gewähren kann. Dazu braucht es die fortlaufende Vervollkommnung der ständigen Weiterbildung der bereits geweihten Amtsträger; die sorgfältige Vorbereitung der Kandidaten für den Priesterberuf in den Seminaren; Lehrgänge für die ständigen Diakone; die Ausbildung der jungen männlichen und weiblichen Anwärter für das Ordensleben im Lichte der von der Kirche vertretenen Sicht; die menschliche, geistliche und apostolische Formung der Laien, die zum Dienst am Evangelium bereit sind. Andere Herausforderungen sind kultureller, gesellschaftspolitischer oder wirtschaftlicher Art und erweisen sich in dem geschichtlichen Augenblick, den das Land gerade erfährt, als besonders dringlich und zwingend. Das ist, global gesprochen, die Herausforderung des Gegensatzes zwischen zwei Brasilien: das eine, das hochentwickelt, mächtig, den Weg zu Fortschritt und Reichtum eingeschlagen hat; das andere, das sich in den riesigen Gebieten widerspiegelt, wo Armut, Krankheit, Analphabetentum, Dahinleben am Rande der Gesellschaft herrschen. Dieser Gegensatz trifft mit seinem fürchterlichen Mißverhältnis und seiner Gewichtsverschiebung große Massen des Volkes, die zu Not und Elend aller Art verdammt sind. Ernste Probleme wie diese können der Kirche nicht gleichgültig sein, schon wegen der sittlichen Aspekte, die sie als Ursache oder als Auswirkung der materiellen Verhältnisse einschließen. Aber auch in djesem Bereich stellt die von euch Bischöfen Brasiliens geführte Kirche unter Beweis, daß sie es mit diesem Volk hält, besonders mit den Armen und Leidenden, mit den Kleinen und Hilflosen, denen sie weder eine ausschließliche noch ausschließende, sondern eine bevorzugte Liebe widmet. Da sie nicht zögert, unerschrocken das gerechte und hohe Anliegen der Menschenrechte zu verteidigen und mutige Reformen zu unterstützen, die der besseren Verteilung von Besitz und Boden sowie dem Erziehungs- und Gesundheitswesen, dem Wohnungsbau usw. gelten, genießt sie die Wertschätzung und das Vertrauen weiter Bereiche der brasilianischen Gesellschaft. Während ihr euch wohl bewußt seid, daß ihr nicht eure besondere bischöfliche Sendung aufgeben könnt, um weltliche Aufgaben zu übernehmen, bedauert ihr anderseits den beunruhigenden Mangel an Laien, die richtig vorbereitet sind, um diese letzten Herausforderungen anzunehmen. Aber ich weiß, daß ich den Appell, den zu wiederholen ich im Laufe der „Ad-limina“-Besuche Gelegen- 1226 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN heit hatte, aufrechterhalten kann, daß nämlich in eurem Wirken der Ausbildung von Laien eine wichtige und unaufschiebbare Priorität zukommen soll, sei es unter den „Bauleuten der pluralistischen Gesellschaft“ (vgl. Schlußdokument von Puebla, IV,3), sei es unter den Volksmassen, sei es in den Kreisen der Arbeiter und Bauern oder unter den Jugendlichen: immer muß diese Ausbildung der Laien im Hinblick auf ihre wirksame Präsenz in den zeitlichen Aufgaben erfolgen. Laien ausbilden heißt, ihnen die Aneignung einer wirklichen Zuständigkeit und Befähigung auf dem Gebiet, auf dem sie tätig sein sollen, zu ermöglichen; aber es heißt vor allem, sie im Glauben und in der Kenntnis der Lehre der Kirche auf eben diesem Gebiet zu erziehen. 4. Im Rahmen dieser menschlichen und kirchlichen Wirklichkeit mit ihren Herausforderungen seid ihr dazu berufen, heute Bischöfe in Brasilien zu sein: eine unermeßliche Aufgabe, eine erregende und faszinierende Aufgabe, eine Aufgabe, die nur mit Gottes Hilfe bewältigt werden kann. Indem ich mich an der reichen und fruchtbaren Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils inspirierte, versuchte ich mehr als einmal, diese Aufgabe näher zu bestimmen. Ich tat das in besonderer Weise in der Ansprache, die ich am Höhepunkt meiner unvergeßlichen Brasilienreise in Fortaleza vor euch hielt. Ich habe das auch bei späteren Gelegenheiten, nämlich in den neun Ansprachen, getan, die ich an die zum „Ad-limina“-Besuch nach Rom gekommenen Regionalgruppen richtete. Bei dieser Aufgabe — die aus einer geheimnisvollen Berufung Gottes kommt, auf einen von Gott erteilten Sendungsauftrag antwortet und sich auf die vom Weihesakrament verliehene Gnade Gottes stützt — dürfen einige wesentliche Aspekte nicht fehlen, die richtig auf die konkreten Verhältnisse der menschlichen und kirchlichen Wirklichkeit in Brasilien angewandt werden müssen. Gott, unser Vater, und unser Herr Jesus Christus erwarten, die Kirche in Brasilien mit ihren Priestern, ihren Ordensmännern und Ordensfrauen und geweihten Personen und mit ihren Laien aus allen Schichten erwartet, gewissermaßen das ganze brasilianische Volk erwartet von jedem seiner Bischöfe, daß er — ein überzeugter und überzeugender Verkünder des Wortes Gottes und eben deshalb Erzieher im Glauben, Diener und Lehrmeister der geoffenbarten Wahrheit, besonders der Wahrheit über Christus, über die Kirche und über den Menschen sein soll; — ein Baumeister der Kirchengemeinde und zugleich das sichtbare Zeichen und Prinzip der fortdauernden Gemeinschaft, die die Seele dieser Gemeinde sein muß, vor allem inmitten aufkommender Spaltungen und Gefahren eines Bruches, in Konflikten und drohenden Zeichen der Zerrissenheit sein soll; — ein Beispiel wahrhaftiger Einheit und Verbundenheit mit seinen Brüdern im 1227 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Priesteramt und mit seinen Gläubigen innerhalb der Teilkirche; mit seinen Brüdern im Bischofsamt innerhalb der Bischofskonferenz und in der Weltkirche; mit dem Nachfolger des Apostels Petrus und mit seinem Amt im Dienst der Rechtgläubigkeit im Sinn der katholischen Kirche sein soll; — ein „Vervollkommner“ seiner Priester und aller geweihten Personen durch seine Lehre und durch das Zeugnis seines Lebens, und Spender der Mysterien der Heiligung durch die Sakramente an alle Gläubigen ohne Unterschied sein soll; — ein Hirt und Führer des ihm anvertrauten Volkes auf den Wegen des Lebens mitten durch die realen Gegebenheiten dieser Welt hin zum Heil sein soll; — ein geistlicher Vater für alle, besonders für diejenigen, die am meisten der Orientierung und Hilfe, der Verteidigung und des Schutzes bedürfen, sein soll. 5. Indem ihr euch diese unabweisbaren Forderungen an euren bischöflichen Dienst vor Augen haltet, habt ihr euch vor allem in den letzten Jahren darum bemüht, richtige Antworten zu finden auf die oben erwähnten Herausforderungen, die auch eurem Geist immer gegenwärtig sind. Der Hl. Stuhl hat es nicht unterlassen, euch bei diesen Bemühungen zu begleiten, wie er das bei allen Kirchen tut. Bekundung und Beweis für die Aufmerksamkeit, mit der er an diesen Bemühungen teilnimmt, und der zahlreichen in letzter Zeit veröffentlichten Dokumente, unter denen ihr die beiden jüngsten von der Glaubenskongregation mit meiner ausdrücklichen Billigung herausgebrachten Instruktionen findet; die eine über einige Aspekte der Theologie der Befreiung (Libertatis nuntius vom 6. August 1984); die andere über die christliche Freiheit und die Befreiung {Libertatis conscientia vom 22. März 1986). Diese beiden Dokumente, die an die Gesamtkirche gerichtet sind, haben für Brasilien eine un-bezweifelbare pastorale Bedeutung. In dem Maße, in dem man sich bemüht, jene richtigen Antworten zu finden — Antworten, die getragen und erfüllt sind vom Verständnis für die reiche Erfahrung der Kirche in diesem Land, die möglichst wirksam und konstruktiv sind und zugleich mit den Lehren des Evangeliums, der lebendigen Überlieferung und des beständigen Lehramtes der Kirche im Zusammenhang und Einklang stehen, sind wir, das heißt wir und ihr, davon überzeugt, daß die Theologie der Befreiung nicht nur geeignet, sondern nützlich und notwendig ist. Sie muß — in enger Verbundenheit mit den vorhergehenden Etappen — einen neuen Abschnitt jener theologischen Reflexion darstellen, die mit der apostolischen Überlieferung eingeleitet und mit den großen Vätern und Kirchenlehrern, mit dem ordentlichen und außerordentlichen Lehramt und in jüngster Zeit mit dem reichen Schatz der Soziallehre der Kirche fortgeführt wurde, die in Dokumenten, die von Rerum novarum bis Laborem exercens reichen, Ausdruck gefunden hat. 1228 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich meine, daß gerade auf diesem Gebiet die Kirche Brasiliens eine wichtige und zugleich entscheidende Aufgabe haben kann: nämlich Raum und Bedingungen dafür zu schaffen, daß sich in vollem Einklang mit der fruchtbaren, in den beiden genannten Instruktionen enthaltenen Lehre eine theologische Reflexion entwickelt — die sich ganz der ständigen Soziallehre anschließt und zugleich fähig ist, eine wirksame Praxis zu inspirieren zugunsten der sozialen Gerechtigkeit und der Gleichheit, der Wahrung der Menschenrechte, des Aufbaus einer menschlichen Gesellschaft, die auf Brüderlichkeit und Eintracht, auf Wahrheit und Liebe gegründet ist. Auf diese Weise ließe sich die vermeintliche Unabänderlichkeit der Systeme brechen — beide unfähig, die von Jesus Christus gebrachte Freiheit sicherzustellen —, der maßlose Kapitalismus und der Kollektivismus oder Staatskapitalismus (vgl. Libertatis conscientia, Nr. 10,13). Wenn diese Aufgabe erfüllt wird, ist sie sicher ein Dienst, den die Kirche dem Land und dem lateinamerikanischen Subkontinent, aber auch vielen anderen Regionen der Welt leisten kann, wo sich dieselben Herausforderungen mit gleichem gefährlichem Ernst zeigen. Für die Erfüllung dieser Rolle ist das weise und mutige Handeln der Bischöfe, das heißt euer Handeln, unerläßlich und unersetzlich. Gott hilft euch, unaufhörlich darüber zu wachen, daß die einwandfreie und notwendige Theologie der Befreiung sich in Brasilien und in Lateinamerika homogen und nicht heterogen zur Theologie aller Zeiten und in voller Treue zur Lehre der Kirche entfaltet, was eine — weder ausschließende noch ausschließliche — Liebe betrifft, die den Armen den Vorzug gibt. 6. An dieser Stelle muß unbedingt der wichtige Gedanke der Instruktion Libertatis conscientia (Nr. 23 und 71) über die beiden wesentlichen Dimensionen der Befreiung nach christlicher Auffassung erwähnt werden: Sowohl auf der Ebene der Reflexion wie in ihrer praktischen Durchführung ist die Befreiung zunächst soteriologisch (im Sinn des von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, verwirklichten Heils) und erst dann sozialethisch (oder politisch ethisch). Eine Dimension auf die andere zu reduzieren — wodurch praktisch beide beseitigt werden — oder die zweite der ersten voranzustellen, würde die wahre christliche Befreiung umkehren oder ihrer Natur berauben. Es ist daher die Pflicht der Bischöfe, allen Menschen unzweideutig das Geheimnis der Befreiung zu verkünden, das im Kreuz und in der Auferstehung Christi enthalten ist. Die Kirche Jesu kennt in unseren Tagen wie zu allen Zeiten, in Brasilien wie in jedem Teil der Welt, nur eine Weisheit und eine Macht: die des Kreuzes, das zur Auferstehung führt (vgl. 1 Kor 2,1—5; Gal 6,14). Die Armen dieses Landes, deren Bischöfe ihr seid, die Armen dieses Kontinents sind 1229 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die ersten, die das dringende Bedürfnis nach diesem Evangelium einer radikalen und ganzheitlichen Befreiung spüren. Das zu leugnen, wäre für sie Täuschung und Enttäuschung. Anderseits seid ihr — und mit euch die ganze Kirche Brasiliens — bereit, in eurem eigenen Bereich und auf der Linie eures eigenen Charismas alles zu unternehmen, was sich folgerichtig aus der soteriologischen Befreiung herleitet. Das übrigens trachtete die Kirche schon immer, seit ihren Anfängen, durch ihre Heiligen, ihre Lehrer und ihre Bischöfe und durch ihre in den zeitlichen Belangen engagierten Gläubigen zu tun. Erlaubt mir, liebe Brüder im Bischofsamt, daß ich euch voller Vertrauen zu einer weniger sichtbaren Aufgabe auffordere, die aber von höchster Bedeutung und zutiefst mit unserem bischöflichen Amt verbunden ist: Erziehung zur Befreiung durch Erziehung zur Freiheit (vgl. Libertatis conscientia, Nr. 80,81,94). Zur Freiheit erziehen heißt, die Kriterien einpflanzen, ohne die diese Freiheit zu einer Schimäre, wenn nicht zu einer gefährlichen Täuschung würde. Es bedeutet, die verlorengegangene Freiheit wiedergewinnen und die Freiheit heilen zu helfen, wenn sie verraten oder entstellt ist. Als Erzieher im Glauben, wie uns das Zweite Vatikanische Konzil nennt, besteht unsere Aufgabe auch darin, zur Freiheit zu erziehen. 7. Ich händige diese Botschaft jetzt meinem lieben Bruder Kardinal Bernardin Gantin aus, dem Präfekten der Kongregation, die sich an der Römischen Kurie mit beispielhafter Verfügbarkeit der Aufgabe widmet, allen Bischöfen in ihrem Dienst an den Kirchen beizustehen und mit dem Bischof von Rom in seiner Funktion, „die Brüder zu stärken“, zusammenzuarbeiten. Da er von euch eingeladen wurde, im Rahmen der Vollversammlung dieser Bischofskonferenz einen geistlichen Einkehrtag zu halten, wird er die Güte haben, euch mündlich und herzlich zu sagen, mit welchen Gefühlen aufrichtiger Wertschätzung und Brüderlichkeit diese Botschaft geschrieben wurde; es sind dieselben Gefühle, die meinerseits die Begegnungen während der „Ad-limina“-Besuche inspiriert und beseelt haben. Während ich mir noch einmal jene Begegnungen, ganz besonders das Treffen vom 13. bis 15. März mit einigen von euch, in Erinnerung rufe, kommt mir spontan die Empfindung, mit euch eine neue und tiefere Form der Kollegialität erreicht zu haben: nach diesen „Ad-limina“-Besuchen wissen der Papst und seine Mitarbeiter sicher besser Bescheid über die Wirklichkeit der brasilianischen Kirche und ihres Episkopats. Sie hoffen, daß, umgekehrt, auch sie mehr und besser bekannt geworden sind. Ich möchte in ständigem Kontakt mit euch bleiben und in vinculo fratemitatis (im Band der Brüderlichkeit) an allen wichtigen und dringlichen Aufgaben eu- 1230 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN res Hirtenamtes teilhaben, besonders dann, wenn diese Aufgaben etwas mehr auf euren Schultern lasten. Ich bitte meinerseits um euer Gebet für mich, besonders bei der Eucharistie, damit der Name „servus servorum Dei“ (Diener der Diener Gottes), den der hl. Gregor der Große der päpstlichen Sendung gegeben hat, für mich wirklich zutrifft. In der Person Kardinal Gantins werde ich zu Füßen der Madonna von Apareci-da mit euch vereint sein. Seien wir alle miteinander verbunden um die Mutter des Hohenpriesters Jesus Christus, nach dem Vorbild der Apostel, deren Nachfolger wir sind, versammelt mit Maria in der Erwartung der Gabe des Geistes der Wahrheit und der Liebe. Möge euch dieser Geist zu wachsamen Hirten der geliebten Kirchengemeinden Brasiliens und zu Dienern des Heils für die ganze menschliche Gemeinschaft der Brasilianer machen. Am Ende dieser Botschaft und zum Abschluß der denkwürdigen „Ad-limina“-Besuche bleibt mir, euch, geliebte Brüder im Bischofsamt, wie ich es gern tue, den Apostolischen Segen zu erteilen als Unterpfand der göttlichen Segnungen, die ich für euch persönlich und für euer Bischofsamt erflehe. Ich bitte euch, diesen Segen der ganzen Kirche Brasiliens mitzuteilen, für die diese Botschaft ja auch bestimmt ist: den Priestern als Mitarbeitern der Bischöfe; den zahlreichen ständigen Diakonen, die in vielen eurer Diözesen eifrig tätig sind; den Seminaristen im entscheidenden Augenblick ihres Weges zum Priestertum; allen Ordensleuten, ob sie sich dem Gebet, dem Schweigen und der Buße hingeben oder sich der Erziehung, dem Dienst an den Kranken und Armen oder der vielfältigen Evangelisierungsarbeit widmen; den Laien, die sich in den Bewegungen und Vereinigungen, in den kirchlichen Basisgemeinschaften, in den außerordentlichen Aufgaben und den verschiedensten Diensten an der Kirche engagieren; den Laien, die als Söhne und Töchter der Kirche und im Namen ihres Glaubens in den zeitlichen Aufgaben tätig sind; den Laien, die aus welchem Grund auch immer wenig interessiert sind, damit sie sich angespornt fühlen, ihren Platz in der Kirche und in der Welt einzunehmen; den Fernstehenden, damit sie zur Praxis ihres christlichen und katholischen Lebens zurückkehren; denen, die unschlüssig sind und nach dem Weg suchen, damit es ihnen nicht an Licht und Kraft fehle; den in eurem Land so zahlreichen Jugendlichen und Kindern, die so sehr Sorge und Betreuung verdienen, weil sie die Hoffnung und die Zukunft dieser Nation und der Kirche sind und weil sie so vielen Problemen und Bedrohungen gegenüberstehen; schließlich allen, besonders den Armen, den Leidenden, den Klagenden: auf daß Gott alles in allen sei. Aus dem Vatikan, 9. April 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. 1231 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Den Weg zu Glaube und Umkehr freilegen! Ansprache an die Teilnehmer des 5. Symposiums des Rates der Europäischen Priesterräte am 10. April Liebe Brüder im Bischofsamt! Liebe Brüder im Priesteramt! 1. Seid willkommen im Hause des Papstes. Ich freue mich, euch während der Arbeiten des 5. Symposiums des Rates der Europäischen Priesterräte hier zu empfangen. Ist nicht das erste Zeugnis, das wir geben müssen, das Zeugnis einer tiefen kirchlichen Gemeinschaft — des Denkens, des Herzens und des Gebets — zwischen Priestern und Bischöfen um den Nachfolger Petri? Die Initiative, die die Priester der europäischen Priesterräte aus dem Wunsch nach diesem Austausch und diesem gemeinsamen Nachdenken heraus ergriffen haben, mußte natürlich in diesem Sinne reifen, um der Kirche wirklich entsprechend den vom Zweiten Vatikanischen Konzil und vom ordentlichen Lehramt formulierten grundsätzlichen Richtlinien zu dienen. Unter diesen Voraussetzungen können eure Versammlungen ihren Beitrag zu dem großen Evangelisierungswerk leisten, an dem in erster Linie die Bischöfe als Nachfolger der Apostel, die Priester und Diakone, die Ordensleute und die Laien beteiligt sind, jeder entsprechend seiner Verantwortung und seiner Zuständigkeit, immer aber in demselben Geist, in der Einheit des Leibes Christi. In diesem Jahr habt ihr ein Thema angeschnitten, das mir sehr am Herzen liegt: „Der Priester und die Jugend in einem säkularisierten Europa.“ Diesem Thema hatte ich, wie ihr wißt, meinen an die Priester der ganzen Welt gerichteten Gründonnerstagsbrief 1985 gewidmet, während ich ihnen in diesem Jahr die beispielhafte Gestalt des Pfarrers von Ars vor Augen stellte, der sich ganz für das Heil der Seelen verzehrt hatte. Diesen Eifer für den Glauben und das Heil der jungen Menschen müssen wir, mit Gottes Gnade, zu unserem eigenen machen. 2. Ich kann hier nicht ausführlich auf die Ursachen der Entchristlichung der europäischen Jugend eingehen. Das wird zum Teil das Ergebnis eurer Analysen sein. Ihr werdet die Schwierigkeiten der Jugend, zu glauben, zu beten, in der Kirche zu leben, ihr Leben im Sinn des Evangeliums zu gestalten, genau untersuchen; und zugleich auch die positiven Aspekte, die Steine des Anstoßes, die religiösen Erwartungen in dieser säkularisierten Welt. Ihr wißt, daß die europäischen Bischöfe bei ihrem 6. Symposium, im vergangenen Oktober, ein ähnliches Thema aufgegriffen haben, als sie sich mit der Evangelisation im all- 1232 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gemeinen befaßten. Die Beiträge, u. a. von Kardinal Danneels und Kardinal Hume, sowie meine eigene Ansprache haben die Richtung gewiesen für eine Antwort auf die Herausforderung der verschiedenen Formen des Atheismus, die zwar selber von Schwächen heimgesucht werden, aber noch immer die Mentalität, zumindest des praktischen Lebens, tief durchdringen und so Hindernisse, Versuchungen und Zweifel darstellen, die überwunden werden müssen. Doch die Generationen verändern und entwickeln sich. Und die Jugendlichen, deren menschliches und geistliches Schicksal euch als Priestern Sorgen bereitet, scheinen sehr verschieden von den Erwachsenen zu sein, die jetzt das 40. Lebensjahr erreichen und die die Bewegung von 1968, die alles in Frage stellte, erlebt haben. Sie sind oft auf der ehrlichen Suche nach wahren Lebensinhalten, spüren großes Verlangen nach Licht, nach Sinn, nach Solidarität und Hingabe, auch wenn sie Hindernisse, Zweifel, Unsicherheit kennen. 3. Unsere Kontakte zu ihnen stellen einen wichtigen Teil unseres Dienstes dar, wie ich in meinem Brief vom Gründonnerstag vergangenen Jahres sagte. Wir müssen uns ihnen gegenüber verhalten wie Christus zu dem jungen Mann: sehr zugänglich, offen, wohlwollend, verfügbar, Vertrauen und Freundschaft wek-kend, um ihre grundlegenden Probleme, ihre Gewissensfragen anzunehmen, um in ihnen die zu sehen, die sie sind, mit ihren guten Eigenschaften und ihren Fehlern. Unser Zeugnis darf daher in ihren Augen nichts Demagogisches, Künstliches an sich haben: es muß die Frucht unserer spirituellen Reife, unseres Gebets, unserer Einheit mit Christus sein, den wir bei ihnen vertreten. Wir dürfen Gott nicht in die Ferne rücken: „Gott allein ist gut.“ Wir müssen zuhören können und wir müssen imstande sein, der Wahrheit des Evangeliums entsprechend mit Fairneß und Geduld, ohne Umschweife zu antworten, darauf bedacht, in ihnen — mit Hilfe des in ihnen wirkenden Heiligen Geistes — den Wunsch nach dem Guten, nach der wahren Liebe, nach einer echten Freiheit, nach dem Glauben zu wecken. So tief und mit solchen Forderungen müssen wir also die Jugend lieben! Und wenn der pastorale Kontakt immer einen persönlichen Aspekt hat, wenn er sich an den anderen wendet, indem er ihn bei seinem Namen nennt, um ihn die Frohbotschaft entdecken und ihn nach seinem Heil suchen zu lassen, so hat er auch zum Ziel, den anderen aus seiner Abkapselung herauszuführen, ihn in eine Gemeinschaft von Gläubigen einzugliedern und ihn in dieser Gemeinschaft zu aktiver, auch missionarischer Tätigkeit anzuhalten. 4. Wir sagten, daß es wichtig ist, bei den jungen Menschen zu sein mitten in ihrem Bemühen um ein vollmenschliches Leben, in ihrem Bedürfnis nach kör- 1233 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN perlicher, intellektueller und seelischer Entfaltung, woran die Arbeit, der Sport, die Freizeit, die Freundschaft, das soziale Engagement einen großen Anteil haben. Ich denke auch an die fundamentalen menschlichen Werte, wie echte Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Mögen sie doch begreifen, daß die Frohbotschaft der Weg der christlichen Freiheit und der Befreiung ist, wie es das jüngste Dokument der Kongregation für die Glaubenslehre formuliert! Die Katholische Aktion und dann das Zweite Vatikanische Konzil (vgl. Gaudium et spes) haben Nachdruck auf die Erziehung des ganzen Menschen und sein Engagement in der Welt, ohne von der Welt zu sein, gelegt. Aber die eigentlich religiösen Werte müssen ebenso unmittelbar gesucht und gepflegt werden. Zögern wir nicht, auf die Glaubens- und Gebetsfähigkeit, auf die Fähigkeit zu echter Gottesbeziehung und zum Gottesdienst zu setzen, die die jungen Menschen in sich tragen und die sich im übrigen heute spontaner und ohne Komplexe kundtun. Sagt man nicht oft, daß sich eine Rückkehr zum Religiösen abzeichnet? Diese Chance, besser: diese Gnade unserer Zeit gilt es, wahrzunehmen. Ausgehend von Jesus Christus, von seinem Evangelium, wird man am besten im Sinne seines Geistes sämtliche Bereiche des menschlichen Lebens verändern und die besten und engagiertesten Einsätze für Gerechtigkeit, Frieden und Liebe wecken können. Es geht darum, in diesen Jugendlichen das göttliche Leben, das sie empfangen haben und das sie durch die Betrachtung des Evangeliums, durch Gebet, Sakramente und brüderliche Liebe nähren sollen, zum Wachsen zu bringen. In diesen Zusammenhang gehört auch, daß man die Priester- und Ordensberufe wecken muß, die die Kirche so nötig braucht. Es fehlt nicht an jungen Menschen, die immer wieder daran denken, ihre Kräfte und ihr Herz dem Herrn zu weihen! 5. Glauben wir schließlich daran, daß die Jugend zur persönlichen Nachfolge ! Jesu Christi fähig ist! Trennen wir nicht den Heiligen Geist — dessen Präsenz in ihrem Leben viele neu entdecken — von der Person Jesu Christi. Trennen wir Jesus Christus nicht von der Person des Vaters, den er durch seih ganzes Leben und seine Lehre geoffenbart hat. Trennen wir Jesus Christus nicht von seiner Kirche, die sein Leib ist. Legen wir unseren Jugendlichen nahe, die Kirche zu lieben als das Zeichen und Mittel der Gnade Christi, als die Gemeinschaft, die das Geheimnis Christi lebt. Sie tut das mit ihren Schwächen und Grenzen, gewiß, aber auch in der Freude, unablässig die Liebe Gottes und seine Vergebung zu empfangen, und in der Kraft der brüderlichen Liebe. Lassen wir unsere Jugendlichen in der Kirche nicht nur die institutioneile Seite erblicken, die zu bekämpfen sie die heutige Gesellschaft nur allzuoft gelehrt hat. Seien wir demütig und realistisch, doch übertragen wir nicht auf sie die Zweifel und die Kritik der Erwachsenen, damit sie begreifen, daß sie Kirche sind, damit sie sich un- 1234 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN serer Liebe zu Christus und unserer Liebe zur Kirche anschließen! 6. Die Kirche ist Gemeinschaft. Die letzte Bischofssynode hat darauf mit aller Klarheit aufmerksam gemacht. Das wichtigste Zeugnis, das wir dafür geben können, ist das von der Einheit des Presbyteriums — d. h. der untereinander und um ihre Bischöfe, deren Mitarbeiter sie sind, vereinten Priester —, es ist das Zeugnis der Kollegialität der untereinander um den Bischof von Rom vereinten Bischöfe. Eine tiefe Gemeinschaft in der auf die Dimensionen der Universalkirche ausgeweiteten wechselseitigen Liebe, in einem solidarischen Gebet, aber auch in der Zugehörigkeit zu demselben Glauben, in der Übernahme derselben sittlichen Forderungen, in der Annahme der der ganzen Kirche gemeinsamen Disziplin, die zu schützen und zu fördern die Dikasterien der römischen Kurie beauftragt sind. Innerhalb dieser Wesenseinheit kann und muß jede Ortskirche, jeder Pfarrer die geeignetsten Wege finden, unsere Zeitgenossen anzusprechen, die evangelische Botschaft anzubieten, den Weg zum Glauben und zur Bekehrung freizulegen, die Richtung für ein konkretes Handeln im Dienst der Kirche und der Gesellschaft zu leisten. Es ist Platz für alle Arten von Initiativen, die euer Herz als Pfarrer im Einklang mit euren Mitbrüdern, in Gemeinschaft mit eurem Bischof, mit dem Heiligen Stuhl, mit der Gesamtkirche finden wird. In diesem Geist spreche ich euch meine volle Ermutigung aus. Ich bete zum auferstandenen Christus, daß er euch mit der Fülle der Gaben des Heiligen Geistes seinen Frieden und seine Freude schenke. Und von ganzem Herzen segne ich euch sowie die Priester der von euch vertretenen Priesterräte. „Niemals ein Kompromiß mit dem Irrtum!“ Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses für Moraltheologie am 10. April Sehr verehrte Dozenten der Moraltheologie! 1. Ich freue mich, Sie zu dieser Begegnung anläßlich des internationalen Kongresses zu empfangen, der, durchaus angebracht, vom Päpstlichen Institut für Studien über Ehe und Familie und vom Römischen Akademischen Zentrum vom Heiligen Kreuz ausgerichtet wurde. Während ich Sie geziemend und herzlich begrüße, möchte ich Msgr. Carlo Caffarra und Msgr. Alvara del Portillo und, mit ihnen, allen, die an der Durchführung des Kongresses mitgewirkt ha- 1235 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ben, danken. Der durch solche Begegnungen ermöglichte Ideen- und Meinungsaustausch dient dazu, zum Nachdenken anzuregen und die Vertiefung der großen Moralthemen zu fördern, um sich jeden Tag zu bemühen, Gottes Heilsplan im Hinblick auf den Menschen immer besser zu begreifen. Wie Sie ja wissen, hat das Zweite Vatikanische Konzil den Ethikern eine besonders ernste und dringende Verpflichtung aufgetragen: „Besondere Sorge verwende man auf die Vervollkommnung der Moraltheologie, die, reicher genährt aus der Lehre der Schrift, in wissenschaftlicher Darlegung die Erhabenheit der Berufung der Gläubigen in Christus und ihre Verpflichtung, in der Liebe Frucht zu tragen für das Leben der Welt, erhellen soll“ (OT16). Diese Aufforderung hat — 20 Jahre nach dem Abschluß des Konzils — nichts von ihrer Aktualität verloren. Denn die Wahrheit, von der die Kirche Zeugnis geben soll, darf nicht nur „mit dem Glauben geglaubt“, sondern muß auch „auf das sittliche Leben angewandt werden“ (LG 25). Die Wahrheit muß zur Richtschnur für die Entscheidungen des Gläubigen werden: „Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt“ (Mt 7,21). Für das Verständnis dieses Zusammenhangs von Wahrheit und Freiheit ist die ethische Reflexion unerläßlich. Ja, das Ziel der eben erwähnten ethischen Reflexion ist, zu zeigen, wie nur die Freiheit, die sich der Wahrheit unterwirft, die menschliche Person zu ihrem wahren Glück führt. Das Glück der Person besteht darin, sich in der Wahrheit zu befinden und die Wahrheit zu tun. 2. Dieser wesentliche Zusammenhang von Wahrheit, Glück und Freiheit ist der modernen Kultur größtenteils verlorengegangen, und darum besteht heute eine der besonderen Forderungen an die Sendung der Kirche zur Rettung der Welt darin, den Menschen zur Wiederentdeckung dieses Zusammenhangs zu führen. Die Frage des Pilatus: „Was ist Wahrheit?“ wird auch heute an der trostlosen Ratlosigkeit eines Menschen sichtbar, der häufig nicht mehr weiß, wer er ist, woher er kommt und wohin er geht. Und so erleben wir nicht selten das erschreckende Abgleiten der menschlichen Person in Situationen einer fortschreitenden Selbstzerstörung. Wenn man gewissen Stimmen Gehör schenken will, scheint man nicht mehr die unzerstörbare Absolutheit eines sittlichen Wertes anerkennen zu müssen. Vor allen Augen spielt sich die Verachtung des empfangenen und noch ungeborenen menschlichen Lebens ab; die ständige Verletzung der Grundrechte des Menschen; die bösartige Zerstörung der Güter, die für ein wirklich menschliches Leben notwendig sind. Ja, es ist etwas noch viel Bedenklicheres geschehen: der Mensch ist nicht mehr davon überzeugt, daß er nur in der Wahrheit das Heil finden kann. Die retten- 1236 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN de, heilbringende Kraft des Wahren wird angefochten, und allein der — freilich jeder objektiven Sachbezogenheit beraubten — Freiheit wird die Aufgabe zugedacht, selbständig zu entscheiden, was gut und was böse ist. Dieser Relativismus führt auf theologischem Gebiet zum Mißtrauen in die Weisheit Gottes, die den Menschen durch das Sittengesetz leitet. Zu den Vorschriften des Sittengesetzes setzt man die sogenannten „konkreten Situationen“ in Gegensatz, weil man im Grunde nicht mehr daran festhält, daß das Gesetz Gottes immer das einzige wahre Glück des Menschen ist. Es ist daher notwendig, daß es in der Kirche zur Wiederbelebung einer strengen ethischen Reflexion kommt. 3. Das ist eine Aufgabe, die man nur unter bestimmten Voraussetzungen wird erfüllen können, von denen einige hier kurz erwähnt zu werden verdienen. Zuerst muß die ethische Reflexion aufzeigen, daß das sittlich Gute oder Böse gegenüber den anderen guten oder bösen menschlichen Eigenschaften und Handlungen seine ganz spezifische Ursprünglichkeit besitzt. Den moralischen Charakter unserer die Geschöpfe betreffenden Handlungen auf die Absicht zu verkürzen, die Wirklichkeit in ihren nicht ethischen Inhalten zu verbessern, kommt letzten Endes der Zerstörung des Moralbegriffes selbst gleich. Denn die erste Konsequenz aus dieser Verkürzung ist die Leugnung der Tatsache, daß es im Bereich jener Tätigkeiten Handlungen gibt, die immer auf jeden Fall in sich unerlaubt sind. Bereits in dem apostolischen Schreiben Reconciliatio et paenitentia (vgl. Nr. 17) habe ich die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt gelenkt. Die ganze Überlieferung der Kirche hat davon gelebt und lebt davon, daß sie sich auf die dieser Leugnung entgegengesetzte Überzeugung stützt. Aber die menschliche Vernunft selbst ist, auch ohne das Licht der Offenbarung, imstande, den schwerwiegenden Irrtum dieser These zu erkennen. Diese These ist das Ergebnis von tiefgreifenden und schwerwiegenden Behauptungen, die nicht nur die eigentliche Mitte des Christentums, sondern auch der Religion als solcher betreffen. Daß es nämlich ein moralisches Gutes oder Böses gibt, das sich nicht auf andere menschliche Güter oder Übel zurückführen läßt, ist die notwendige und direkte Folge der Wahrheit der Schöpfung, die letztlich die der menschlichen Person eigene Würde begründet. 4. Als Person zur unmittelbaren Gemeinschaft mit Gott berufen, als Person Ziel einer ganz einzigartigen Vorsehung trägt der Mensch in sein Herz geschrieben ein Gesetz (vgl. Röm 2,15; DH), das er sich nicht selber gegeben hat, sondern das Ausdruck der unveränderlichen Forderungen an sein personales Sein ist, das von Gott geschaffen wurde, auf Gott hingeordnet ist und in sich mit einer unendlich höheren Würde als die Dinge ausgestattet ist. Dieses Gesetz 1237 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN besteht nicht nur aus allgemeinen Richtlinien, deren nähere Bestimmung hinsichtlich ihres Inhaltes von den verschiedenen und veränderlichen geschichtlichen Umständen abhängig ist. Es gibt moralische Vorschriften, die ihren genauen, unveränderlichen und unbedingten Inhalt haben. Über manche dieser Bestimmungen stellen Sie ja während dieses Kongresses scharfe Überlegungen an: das gilt z. B. für die Vorschriften, die die Empfängnisverhütung verbietet, oder für jene, die die direkte Tötung des unschuldigen Menschen untersagt. Daß es Bestimmungen gibt, die einen solchen Wert besitzen, kann nur jemand bestreiten, der leugnet, daß es eine Wahrheit der Person, eine unveränderliche menschliche Natur gibt, die letztlich auf die schöpferische Weisheit gegründet ist, die jeder Wirklichkeit Rahmen und Maß verleiht. Es ist deshalb unerläßlich, daß sich die sittliche Reflexion auf eine wahre Anthropologie gründet und immer tiefer in ihr Wurzel faßt und daß diese letzten Endes auf jener Metaphysik der Schöpfung beruht, die im Mittelpunkt jedes christlichen Denkens steht. Die Krise der Ethik ist der offenkundigste „Test“ für die Krise der Anthropologie, eine Krise, die ihrerseits auf die Ablehnung eines wahrhaft metaphysischen Denkens zurückgeht. Diese drei Momente — das ethische, das anthropologische, das metaphysische — trennen zu wollen, ist ein ganz schwerer Irrtum. Die Geschichte der modernen Kultur hat das in tragischer Weise bewiesen. 5. An diesem Punkt wird die rationale ethische Reflexion vollständig, wenn sie ihre Vervollkommnung in der theologischen ethischen Reflexion findet. Die schöpferische Weisheit, die jeder Wirklichkeit Rahmen und Maß gibt, in deren Wahrheit jedes Geschöpf wahr ist, hat einen Namen: es ist das menschgewordene Wort, der gestorbene und auferstandene Herr Jesus. In ihm und im Blick auf ihn wurde der Mensch geschaffen, da der Vater — in seinem freien Entschluß — wollte, daß der Mensch in dem eingeborenen Sohn am dreifältigen Leben teilhaben sollte. Und darum vermag nur die theologische Ethik die völlig wahre Antwort auf die moralische Frage des Menschen zu geben. Von daher ergibt sich eine echte und verbindliche Zuständigkeit des Lehramtes der Kirche im Bereich moralischer Vorschriften. Sein Eingreifen auf diesem Gebiet darf nicht einer — wenn auch mit besonderer Glaubwürdigkeit ausgestatteter — Meinung gleichgesetzt werden. Es besitzt das charisma veritatis certum, „das sichere Charisma der Wahrheit“ (vgl. DV8); daher ist der katholische Theologe ihm gegenüber zum Gehorsam verpflichtet. Ihre fachliche Kompetenz entbindet mich davon, diesbezüglich weitere Präzisierungen vorzunehmen. Sich auf einen „Glauben der Kirche“ zu berufen, um zum moralischen Lehramt der Kirche in Gegensatz zu treten, heißt nichts anderes als den katholischen Offenbarungsbegriff zu leugnen. Nicht nur das, son- 1238 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dern das kann so weit gehen, daß auch das fundamentale Recht der Gläubigen verletzt wird von denen, die in kanonischem Auftrag Theologie lehren, die Lehre der Kirche und nicht die Meinungen irgendwelcher theologischer Schulen dargelegt zu bekommen. 6. Der Ethiker hat heute sowohl in der Kirche wie in der weltlichen Gesellschaft eine schwere Verantwortung. Die Probleme, denen er sich gegenübersieht, sind die ernstesten Probleme für den Menschen: Probleme, von deren Lösung nicht nur das ewige Heil, sondern oft auch die Zukunft des Menschen auf Erden abhängt. Das Wort Gottes gebraucht in diesem Zusammenhang Worte, über die wir unablässig nachdenken sollten. Die Liebe zum irrenden Menschen darf niemals zu einem Kompromiß mit dem Irrtum führen: der Irrtum muß aufgedeckt und verurteilt werden. Die Liebe der Kirche gegenüber dem Menschen verpflichtet sie dazu, dem Menschen zu sagen, daß und wann die Wahrheit über ihn geleugnet, sein Wohl verkannt, seine Würde verletzt, sein Wert nicht in angemessener Weise geachtet wird. Wenn die Kirche das tut, bekundet sie nicht einfach „Ideale“: vielmehr lehrt sie, wer der von Gott in Christus geschaffene Mensch ist und worin somit sein wahres Glück besteht. Das Sittengesetz ist ja nicht etwas, das außerhalb der Person steht: es ist die menschliche Person selbst, insofern sie in und von demselben Schöpfungsakt zum Sein und zur freien Verwirklichung in Christus berufen worden ist. Von dieser Wahrheit müssen Sie heute voll Demut, aber mit großer Festigkeit Zeugnis geben. Eine moraltheologische Lehre, die sich dessen nicht bewußt ist, hat sich in den letzten Jahren verbreitet und im Bewußtsein der Gläubigen auch in grundlegenden Moralfragen Verwirrung gestiftet. Es gilt also, wieder Eintracht in der Klarheit und Klarheit in der Eintracht zu finden. Die Probleme, denen sich die ethische Reflexion heute stellen muß, sind auch wegen ihrer Neuheit schwierig. Die wahre Lösung wird sich nur in einer immer tieferen Verwurzelung der Reflexion in der lebendigen Überlieferung der Kirche finden lassen: In jener Überlieferung, in der Christus selbst, die Wahrheit, die uns frei macht, lebt. Die Kirche und ihr Lehramt brauchen Sie, die wissenschaftlichen Lehrer der Ethik, heute ganz besonders. Der Mensch braucht Sie. Ihm soll auch durch Ihre Reflexion dabei geholfen werden, seine Wahrheit, jene Wahrheit, die in ihm ist, wiederzuentdecken: zu sich zurückzukehren, um über sich hinauszugehen zu Gott. Während ich jedem einzelnen von Ihnen wünsche, daß er einen gültigen Beitrag zur Befriedigung dieses fundamentalen Bedürfnisses des modernen Menschen erbringen kann, möchte ich noch die Studenten grüßen, die an diesem 1239 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kongreß teilgenommen haben: Ich freue mich, daß Sie so zahlreich sind: das Interesse, das Sie den wichtigen Themen, die auf dem Kongreß erörtert wurden, entgegenbringen, ist ein ermutigendes Zeichen. Allen erteile ich von Herzen meinen Segen. Auf der Suche nach demselben Ziel Ansprache an die Teilnehmer am interreligiösen Dialog zwischen Vertretern des Weltkirchenrates und der Dikasterien der Römischen Kurie am 11. April Liebe Freunde in unserem Herrn Jesus Christus! Ich heiße die Gesprächsgruppe des Weltkirchenrates anläßlich Ihrer Begegnung mit dem Sekretariat für die Nichtchristen hier in Rom herzlich willkommen. Ich bin dankbar für diese Gelegenheit, während Ihrer gemeinsamen Jahrestagung über den interreligiösen Dialog mit Ihnen allen zusammenzutreffen. Wie ich weiß, kommen Sie seit einiger Zeit jedes Jahr, abwechselnd in Genf und in Rom, zusammen, um Fragen und Probleme des Dialogs mit Menschen anderen Glaubens zu studieren und zu diskutieren sowie Erfahrungen auszutauschen und künftige Aktivitäten zu koordinieren. Natürlich beschränkt sich Ihr Einsatz nicht allein auf das, was Sie von sich aus erreichen können. Sie sind auch an dem interessiert, was auf diesem Gebiet von anderen christlichen Gruppen getan wird. 1. Ich freue mich zu erfahren, daß das Thema, das dieses Jahr studiert werden soll, der „Dialog des Lebens“ ist — ein Dialog zwischen gewöhnlichen Gläubigen, eine harmonische und konstruktive Teilhabe an den Situationen alltäglicher Kontakte. Das ist wirklich eine grundlegende Form des Dialogs und eine, die die Grundlage legt für andere spezialisiertere Begegnungen. Das Bemühen, auf der Ebene des Volkes Achtung, Verständnis und Vertrauen aufzubauen, ist eine Vorbedingung für freundliche Beziehungen der Anhänger der großen Religionen untereinander. Die Einsicht und der gute Wille einzelner allein reicht nicht aus, um die Beziehungen zwischen den Glaubensgemeinschaften tiefgehend zu beeinflussen. Auch die große Zahl der gewöhnlichen Gläubigen muß lernen, Menschen anderer Religionen zu verstehen und als Brüder und Schwestern anzunehmen, mit denen sie friedlich Zusammenleben können. 1240 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Aus diesem Grunde spreche ich, wenn ich mich an Versammlungen von Christen, aber auch an Menschen anderer Religionen wende, immer wieder von der Notwendigkeit, die gegenseitige Achtung, Wertschätzung und Zusammenarbeit innerhalb der Gesellschaft selbst zu fördern. Das war ein herausragendes Thema während meines kürzlichen Besuches in Indien. Daher nahm ich auch mit Freude die Einladung zum Besuch von Marokko an, um zu der muslimischen Jugend jenes Landes zu sprechen. Da Sie beide diese selbe Notwendigkeit aussprechen, ermutige ich Sie in Ihrer Rolle, hier belebende Anstöße zu geben. 2. Ich möchte gern die mir durch diese Begegnung gegebene Gelegenheit wahrnehmen und noch an einen anderen Aspekt Ihrer Zusammenarbeit erinnern. Wir dürfen niemals vergessen, daß die gemeinsame Arbeit zur Förderung des interreligiösen Dialogs gegenwärtig einen der Wege darstellt, die den Christen helfen können, sich auf die von Christus gewünschte Einheit zuzubewegen. Durch ihren Dialog mit Gläubigen anderer Religionen erkennen die Christen der verschiedenen Kirchen und Gemeinschaften, wieviel sie gerade als Christgläubige miteinander gemeinsam haben. Sie fühlen auch schärfer den schmerzlichen Skandal der Trennung zwischen den Christen und wie sehr diese Spaltung unser Zeugnis von „einem Herrn, einem Glauben, einer Taufe, einem Gott und Vater aller“ (Eph 4,5 f.) mindert. Auch in einem weiteren Sinne kann eine gemeinsame Bereitschaft zum interre-ligiösen Dialog der christlichen Einheit förderlich sein. Wenn diejenigen, die an Christus glauben, gemeinsam auf der Ebene des Glaubens auf die Herausforderungen an die Menschheit antworten können, wenn sie Achtung vor den vielen und verschiedenen Gaben, die Gott über alle Völker ausgegossen hat, schaffen können, wenn sie Liebe und Sorge für alle Menschen, so wie der Herr sie liebt, zum Ausdruck bringen können, dann wird dieses gemeinsame Zeugnis von Christus als eine lebendige Wirklichkeit offensichtlicher werden. 3. Im Grunde ist das Gebet das beste Mittel, durch das die ganze Menschheit geeint werden kann. Es macht die Menschen bereit, Gottes Willen für sie anzunehmen. Es beeinflußt auch die Beziehung derer, die miteinander beten, denn wenn Menschen gemeinsam im Gebet vor Gott treten, können sie andere nicht länger ignorieren oder hassen. Diejenigen, die miteinander beten, entdecken, daß sie Pilger und auf der Suche nach demselben Ziel sind, Brüder und Schwestern, die an der Verantwortung für die gleiche Menschheitsfamilie teilhaben, die Kinder desselben Gottes und Vaters sind. Es ist meine glühende Hoffnung, daß der Weltgebetstag für den Frieden in Assisi, zu dem Christen aller Gemeinschaften und Gläubige aus allen großen Religionen eingeladen wurden, 1241 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN für alle, die an Gott glauben, ein Anfang und ein Ansporn sein wird, öfter gemeinsam im Gebet vor ihn zu treten. In diesem Geiste möchte ich Sie nun einladen, sich mir beim Gebet zu unserem himmlischen Vater anzuschließen, wie es unser Herr und Erlöser Jesus Christus uns gelehrt hat: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigem. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Amen. „Ihr seid unsere älteren Brüder“ Ansprache anläßlich des Besuches der römischen Synagoge am Sonntag, 13. April Herr Oberrabbiner der israelitischen Gemeinde von Rom, Herr Präsident der Union der israelitischen Gemeinden Italiens, Herr Präsident der Gemeißgen von Rom, meine Herren Rabbiner, liebe jüdische und christliche Freunde und Brüder, die ihr an dieser denkwürdigen Feier teilnehmt! 1. Zunächst möchte ich zusammen mit euch dem Herrn danken und ihn preisen, der „den Himmel ausgespannt und die Fundamente der Erde gelegt hat“ (vgl. Jes 51,16), der den Abraham erwählt hat, um ihn zum Vater einer großen Schar von Nachkommen zu machen, zahlreich „wie die Sterne am Himmel“ und „wie die Sandkörner am Meeresstrand“ (Gen 22,17; vgl. 15,5): danken, daß Er im Geheimnis seiner Vorsehung es gewollt hat, daß am heutigen Abend in diesem eurem großen Tempel die jüdische Gemeinde, die seit der Zeit der alten Römer in dieser Stadt lebt, mit dem Bischof von Rom und obersten Hirten der katholischen Kirche zusammentrifft. 1242 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich empfinde es sodann als meine Pflicht, dem Oberrabbiner, Herrn Prof. Toaff, zu danken, der den Plan dieses Besuches von Anfang an mit Freude aufgenommen hat und mich nun mit großer Herzlichkeit und lebhafter Gastfreundschaft empfängt; mit ihm möchte ich auch allen denjenigen danken, die in der jüdischen Gemeinde von Rom diese Begegnung ermöglicht und sich in so vielfältiger Weise dafür eingesetzt haben, daß sie Wirklichkeit und Symbol zugleich werde. Euch allen sei dafür Dank! Todä rabbä (= vielen Dank)! 2. Im Licht des soeben verkündeten Wortes Gottes, das „in Ewigkeit bleibt“ (Jes 40,8), möchte ich mit euch zusammen vor dem Angesicht des Heiligen — gepriesen sei Er (wie man in eurer Liturgie sagt) — die Tatsache und die Bedeutung dieser Begegnung zwischen dem Bischof von Rom, dem Papst, und der jüdischen Gemeinde, die in dieser euch und auch mir so teuren Stadt lebt, bedenken. Seit geraumer Zeit dachte ich schon an diesen Besuch. Der Oberrabbiner war ja so freundlich, im Februar 1981 eine Begegnung mit mir zu suchen, als ich mich zu einem Pastoralbesuch in die benachbarte Pfarrei San Carlo ai Catinari begab. Sodann sind einige von euch mehr als einmal in den Vatikan gekommen, sei es bei Gelegenheit der zahlreichen Audienzen, die ich Vertretern des Judentums in Italien und der Welt geben konnte, oder sei es noch früher zur Zeit meiner Vorgänger Paul VI., Johannes XXIII. und Pius XII. Ferner ist mir auch wohlbekannt, daß der Oberrabbiner in der Nacht vor dem Tod des Papstes Johannes spontan auf den Petersplatz gegangen ist, begleitet von einer Gruppe jüdischer Gläubigen, um dort, inmitten der Schar katholischer und anderer Christen, zu beten und zu wachen und so in stiller, aber sehr eindrucksvoller Weise Zeugnis abzulegen für die geistige Größe dieses Papstes, der so offen war für alle ohne Unterschied, vor allem für die jüdischen Brüder. Das Erbe, das ich heute übernehmen möchte, ist gerade das von Papst Johannes, der einmal, als er hier vorbeikam, wie der Oberrabbiner soeben erwähnt hat, das Auto anhalten hieß, um die Schar der Juden, die gerade diesen Tempel verließen, zu segnen. Dieses Erbe möchte ich heute übernehmen, da ich mich nicht mehr nur draußen, sondern dank eurer hochherzigen Gastfreundschaft im Innern der Synagoge von Rom befinde. 3. Die heutige Begegnung beschließt in gewisser Weise, nach dem Pontifikat Johannes’ XXIII. und dem II. Vatikanischen Konzil, eine lange Periode, über die man immer wieder nachdenken muß, um daraus die angemessenen Lehren zu ziehen. Gewiß kann und darf man nicht vergessen, daß die geschichtlichen 1243 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Umstände der Vergangenheit recht verschieden gewesen sind von denen, die in den Jahrhunderten mühsam herangereift sind; zur allgemeinen Anerkennung einer berechtigten Vielfalt auf sozialer, politischer und religiöser Ebene ist man nur unter großen Schwierigkeiten gelangt. Der Blick auf die jahrhundertealten kulturellen Bedingungen könnte jedoch nicht verhindern, anzuerkennen, daß die Akte der Diskriminierung, der ungerechtfertigten Einschränkung der religiösen Freiheit und der Unterdrückung auch auf der Ebene der bürgerlichen Freiheit gegenüber den Juden objektiv äußerst bedauerliche Vorfälle gewesen sind. Ja, die Kirche beklagt nochmals durch mich mit den Worten des bekannten Dekretes Nostra aetate (Nr. 4) „alle Haßausbrüche und Verfolgungen, alle Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben“; ich wiederhole: von wem auch immer. Ein Wort tiefer Verabscheuung möchte ich noch einmal zum Ausdruck bringen für den während des letzten Krieges gegen das jüdische Volk beschlossenen Genozid, der zum Holocaust von Millionen unschuldiger Opfer geführt hat. Als ich am 7. Juni 1979 das Lager von Auschwitz besucht und mich zum Gebet für so viele Opfer verschiedener Nationen gesammelt hatte, verweilte ich besonders vor der Gedenktafel mit der hebräischen Inschrift, um damit meine inneren Gefühle auszudrücken: „Sie weckt das Andenken an das Volk, dessen Söhne und Tochter zur totalen Ausrottung bestimmt waren. Dieses Volk führt seinen Ursprung auf Abraham zurück, der der, Vater unseres Glaubens“ ist, wie Paulus von Tarsus sich ausdrückte (vgl. Röm 4,12). Gerade dieses Volk, das von Gott das Gebot empfing: ,Du sollst nicht töten!“, hat an sich selbst in besonderem Ausmaß erfahren müssen, was töten bedeutet. An diesem Gedenkstein darf niemand gleichgültig Vorbeigehen“ (Predigt bei der Messe im Konzentrationslager Birkenau am 7.6.1979: OR, dt., 22.6.1979,10). Auch die jüdische Gemeinde von Rom hat einen hohen Blutzoll bezahlt. Und es ist sicher eine bedeutungsvolle Geste gewesen, als sich in den dunklen Jahren der Rassenverfolgung die Pforten unserer Ordenshäuser, unserer Kirchen, des Römischen Seminars, Gebäude des Heiligen Stuhles und des Vatikanstaates selbst weit geöffnet haben, um so vielen von ihren Verfolgern gehetzten Juden in Rom Zuflucht und Rettung zu bieten. 4. Der heutige Besuch will einen entschiedenen Beitrag leisten zur Festigung der guten Beziehungen zwischen unseren beiden Gemeinschaften; er tut dies unter dem Ansporn des Beispiels so vieler Männer und Frauen, die sich von der einen wie von der anderen Seite dafür eingesetzt haben — und dies immer noch tun —, daß die alten Vorurteile überwunden werden und man Raum gibt für 1244 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN eine immer vollere Anerkennung jenes „Bandes“ und jenes „gemeinsamen geistigen Erbes“, die zwischen Juden und Christen bestehen. Das ist genau der Wunsch, dem schon der soeben erwähnte Abschnitt Nr. 4 der Konzilserklärung Nostra aetate über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Ausdruck gab. Die entscheidende Wende im Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum und zu den einzelnen Juden ist mit diesem kürzen, aber prägnanten Abschnitt eingetreten. Wir sind uns alle bewußt, daß aus dem reichen Inhalt dieser Nr. 4 der Erklärung Nostra aetate drei Punkte besonders wichtig sind. Ich möchte sie hier, vor euch und bei dieser wahrhaft einmaligen Gelegenheit, hervorheben. Der erste Punkt ist der, daß die Kirche Christi ihre „Bindung“ zum Judentum entdeckt, indem sie sich auf ihr eigenes Geheimnis besinnt (vgl. NA 4, Absatz 1). Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas „Äußerliches“, sondern gehört in gewisser Weise zum „Inneren“ unserer Religion. Zu ihr haben wir somit Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. Ihr seid unsere bevorzugten Brüder und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder. Der zweite vom Konzil hervorgehobene Punkt ist der, daß den Juden als Volk keine ewigwährende oder kollektive Schuld wegen der „Ereignisse des Leidens (Jesu)“ (ebd., Absatz 6) angelastet werden kann, weder den Juden jener Zeit, noch den späteren, noch den heutigen. Haltlos wird also jede angeblich theologische Rechtfertigung für Maßnahmen der Diskriminierung oder, schlimmer noch, der Verfolgung. Der Herr wird jeden nach den eigenen Taten richten, Juden wie Christen (vgl. Rom 2,6). Der dritte Punkt, den ich in der Konzilserklärung unterstreichen möchte, folgt aus dem zweiten. Trotz des Bewußtseins, das die Kirche von ihrer eigenen Identität hat, ist es nicht erlaubt zu sagen, die Juden seien „verworfen oder verflucht“, als würde dies von der Heiligen Schrift des Alten oder Neuen Testaments gelehrt oder könnte aus ihr gefolgert werden {ebd., Absatz 6). Im Gegenteil, das Konzil hatte zuvor in demselben Abschnitt der Erklärung Nostra aetate (vgl. Absatz 4), aber auch schon in der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium (vgl. Nr. 16) mit einem Zitat aus dem Römerbrief des hl. Paulus (11,28) festgestellt, daß die Juden „weiterhin von Gott geliebt werden“, der sie mit einer „unwiderruflichen Berufung“ erwählt hat. 5. Auf diesen Überzeugungen ruhen unsere gegenwärtigen Beziehungen. Anläßlich dieses Besuches in eurer Synagoge möchte ich sie mit ihrem bleibenden Wert neu bekräftigen und heraussteilen. Das ist in der Tat die Bedeutung, die man meinem Besuch bei euch, den Juden von Rom, beimessen muß. Natürlich bin ich nicht deswegen zu euch gekommen, weil die Unterschiede zwischen uns schon überwunden wären. Wir wissen gut, daß es nicht so ist. Jede 1245 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN unserer Religionen will im vollen Bewußtsein der vielen Bande, die die eine mit der anderen verbinden, und an erster Stelle jenes „Bandes“, von dem das Konzil spricht, vor allem in der eigenen Identität anerkannt und geachtet sein, ohne jeden Synkretismus und jede zweideutige Vereinnahmung. Ferner muß gesagt werden, daß der eingeschlagene Weg noch an den Anfängen steht. Deshalb bedarf es trotz der großen Anstrengungen, die von der einen oder anderen Seite schon unternommen worden sind, noch ziemlich viel, um jede — auch die subtile — Form des Vorurteils zu überwinden, um jede Ausdrucksweise entsprechend anzupassen und somit uns selbst und den anderen immer und überall das wahre Antlitz der Juden und des Judaismus wie auch der Christen und des Christentums zu zeigen, und das auf allen Ebenen der Mentalität, der Lehre und der Kommunikation. In dieser Hinsicht möchte ich meine Brüder und Schwestern der katholischen Kirche, auch die von Rom, daran erinnern, daß die Mittel für die Verwirklichung des Konzils in diesem konkreten Bereich schon allen zur Verfügung stehen, und zwar in den zwei Dokumenten, die in den Jahren 1974 und 1985 von der Kommission des Heiligen Stuhles für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum veröffentlicht worden sind* Es geht nur darum, diese aufmerksam zu studieren, sich in ihre Lehren zu vertiefen und sie in die Praxis umzusetzen. Es bleiben zwischen uns vielleicht noch Schwierigkeiten praktischer Natur, die auf der Ebene der brüderlichen Beziehungen auf ihre Überwindung warten: Sie sind die Frucht von Jahrhunderten gegenseitigen Unverständnisses oder auch verschiedener Positionen und Verhaltensweisen, die in einer so komplexen und delikaten Materie nicht leicht zu vereinbaren sind. Niemandem entgeht, daß der anfängliche grundsätzliche Unterschied in der Zustimmung der Katholiken zur Person und zur Lehre Jesu von Nazaret besteht, der ein Sohn eures Volkes ist, aus dem auch die Jungfrau Maria, die Apostel — Fundament und Säulen der Kirche — und die Mehrzahl der Gläubigen der ersten christlichen Gemeinde stammen. Aber diese Zustimmung gehört dem Bereich des Glaubens an, das heißt der freien Zustimmung der Vernunft und des Herzens, die vom Geist geleitet werden. Sie darf niemals in dem einen oder anderen Sinn zum Gegenstand von äußerem Druck werden. Das ist der Grund dafür, worum wir bereit sind, den Dialog unter uns in Loyalität und Freundschaft sowie in der Achtung vor den inneren Überzeugungen der einen und der anderen zu vertiefen, indem wir die Elemente der Offenbarung, die wir als „großes geistiges Erbe“ gemeinsam haben (NA 4), als wesentliche Grundlage nehmen. 6. Ferner muß gesagt werden, daß die Wege, die für unsere Zusammenarbeit offenstehen im Licht des vom Gesetz und von den Propheten stammenden ge- 1246 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN meinsamen Erbes, vielfältig und bedeutend sind. Wir möchten vor allem erinnern an die Zusammenarbeit zum Wohl des Menschen, für sein Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod, zugunsten seiner Würde, seiner Freiheit, seiner Rechte, seiner Entfaltung in einer Gesellschaft, die nicht feindselig, sondern freundlich und wohlwollend ist, wo die Gerechtigkeit regiert und wo in dieser Nation, in den Kontinenten und in der Welt der Friede herrscht, der sha-lom, der von den Gesetzgebern, von den Propheten und von den Weisen Israels herbeigesehnt worden ist. Es gibt noch allgemeiner das moralische Problem, das große Feld der individuellen und sozialen Ethik. Wir sind uns alle dessen bewußt, wie groß in diesem Punkt die Krise in unserer heutigen Zeit ist. In einer Gesellschaft, die sich oft in Agnostizismus und Individualismus verirrt hat und die bitteren Folgen von Egoismus und Gewalttätigkeit erleidet, sind Juden und Christen Verwalter und Zeugen einer Ethik, die von den zehn Geboten gekennzeichnet ist, in deren Befolgung der Mensch seine Wahrheit und Freiheit findet. Eine gemeinsame Besinnung und Zusammenarbeit in diesem Bereich zu fördern, ist eines der großen Gebote der Stunde. Schließlich möchte ich meine Gedanken dieser Stadt zuwenden, in der die Gemeinschaft der Katholiken mit ihrem Bischof, die Gemeinschaft der Juden mit ihrer Obrigkeit und mit ihrem Oberrabbiner zusammenlebt. Möge dies für uns nicht nur ein „Zusammenleben“ in einem reduzierten Maß sein, gleichsam ein Nebeneinanderherleben, unterbrochen nur durch begrenzte und gelegentliche Begegnungen; es soll vielmehr von brüderlicher Liebe beseelt sein. 7. Die Probleme von Rom sind sehr zahlreich. Das ist euch bekannt. Jeder von uns weiß sich im Lichte jenes gesegneten Erbes, auf das ich vorhin hingewiesen habe, dazu angehalten, wenigstens in gewissem Maße an deren Lösung mitzuarbeiten. Suchen wir es, soweit wie möglich, zusammen zu tun. Möge von diesem meinen Besuch und von unserer gefundenen Eintracht und gelösten Atmosphäre wie aus dem Strom, den Ezechiel von der östlichen Pforte des Tempels in Jerusalem hervorbrechen sah (vgl. Ez 47,1), eine frische und wohltuende Quelle entspringen, die die vielen Wunden zu heilen hilft, an denen Rom leidet. Wenn wir das tun, so erlaube ich mir zu sagen, werden wir unseren jeweiligen heiligsten Verpflichtungen treu sein, aber auch jener, die uns am tiefsten verbindet und eint: der Glaube an den einen Gott, der „die Fremden liebt“ und „den Waisen und Witwen ihr Recht verschafft“ (Dtn 10,18), indem auch wir uns bemühen, sie zu lieben und ihnen beizustehen (vgl. Dtn 10,19; Lev 19,18,34). Die Christen haben diesen Willen des Herrn von der Torah gelernt, die ihr hier ver- 1247 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ehrt und von den Worten Jesu, der die Liebe, die die Torah fordert, bis in die äußersten Konsequenzen verwirklicht hat. Es bleibt mir jetzt nur noch, wie am Beginn dieser meiner Ansprache, Augen und Geist zum Herrn zu erheben, um ihm zu danken und ihn zu preisen für diese glückliche Begegnung und für die Wohltaten, die sich schon jetzt daraus ergeben, für die wiedergefundene Brüderlichkeit und für das neue, tiefere Einvernehmen zwischen uns hier in Rom und zwischen der Kirche und dem Judentum überall, in jedem Land — zum Wohle aller. Deshalb möchte ich mit dem Psalmisten in seiner ursprünglichen Sprache, die auch unser Erbe ist, sagen: „hodü la Adonai ki tob ki le olam hasdo yomar-na Yisrael ki le olam hasdo yomeru-na yir‘e Adonai ki le olam hasdo“ (Ps 118,1 f. 4) „Danket dem Herrn, denn er ist gütig, denn seine Huld währt ewig. So soll Israel sagen: Denn seine Huld währt ewig. So sollen alle sagen, die den Herrn fürchten und ehren: Denn seine Huld währt ewig.“ Eine Liebe, die „über alles hinausging“ Predigt bei der Heiligsprechung des seligen Franziskus Antonius Fasani am 13. April 1. In der Liturgie des heutigen Sonntags, der bald auf Ostern folgt, hören wir wieder die kurze Frage, die der auferstandene Christus an Simon Petrus gerichtet hat, die Frage nach der Liebe: „Liebst du mich? ... Liebst du mich mehr als diese?“ (Joh 21,15). Diese Frage gehört zum Ostermysterium. Die Auferstehung Christi lenkt den Menschen auf das hin, was „nicht stirbt“, auf das, was stärker ist als der Tod, auf 1248 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN das, was ewigen Bestand hat, was das eigentliche Wesen der Unsterblichkeit ausmacht, was zum Leben in Gott gehört. Das eben ist die Liebe. Auf die Frage Christi nach der Liebe, antwortet Simon Petrus: „Ja, Herr, du weißt, daß ich dich liebe.“ Und nach dem drittenmal: „Herr, du weißt alles; du weißt, daß ich dich liebhabe“ (Joh 21,17). 2. Jene Frage nach der Liebe ist keine einfache Frage. Auch die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Simon Petrus weiß, daß er Jesus liebt, aber mehr als auf das Zeugnis des eigenen Bewußtseins beruft er sich auf das, was Christus von ihm weiß. Diese Frage ist für den Menschen nicht einfach, und auch die Antwort ist nicht einfach. Doch es handelt sich um eine fundamentale Frage. Von der Antwort hängt schließlich der Wert des menschlichen Lebens ab. Vor Gott, der „Liebe“ ist, wird alles nach dem Maß der Liebe gemessen. Vor Christus, der „uns geliebt und sich für uns hingegeben hat“ (Eph 5,2), wird der Wert des menschlichen Lebens vor allem an der Liebe gemessen: an der Selbsthingabe. Die Liebe entscheidet letzten Endes über die Heiligkeit des Menschen. 3. Diese Liebe hat der Franziskanerkonventuale Franziskus Antonius Fasani, den die Kirche heute in die Schar ihrer Heiligen aufnimmt, in beispielhafter Weise bewiesen. Er hat die uns von Christus gelehrte Liebe zum Grundmaßstab seines Daseins gemacht, zum grundlegenden Kriterium seines Denkens und seines Handelns, zum Gipfelpunkt seiner Bestrebungen. Auch für ihn ist die „Frage nach der Liebe“ das richtungsweisende Kriterium des ganzen Lebens gewesen, das daher nichts anderes war als das Ergebnis eines glühenden und zähen Willens, auf diese Frage wie Petrus bejahend zu antworten. Mit dem soeben vollzogenen Akt der Heiligsprechung will die Kirche heute Zeugnis geben von Pater Franziskus Antonius Fasani, indem sie ihm bescheinigt, daß er jene entscheidende Frage des Herrn wahrhaftig und aufrichtig mit Ja beantwortet hat: eine Antwort, die, noch ehe sie von seinen Lippen kam, aus seinem Leben gekommen ist, in dem er vor allem danach strebte, mit heroischer Treue der Liebe zu entsprechen, mit der Jesus ihm aus der Ewigkeit zuvorgekommen war. Jene Liebe Jesu — daran haben wir in den Tagen des österlichen Triduums erinnert — hat nicht vor dem äußersten Opfer des Lebens haltgemacht. Die Liebe von Franziskus Antonius war eine Liebe der vollen Nachfolge des Herrn. Der neue Heilige hat — wie der Apostel — mit seinem Leben bewiesen, daß 1249 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN man immer „Gott mehr gehorchen muß als den Menschen“ (Apg 5,29), auch um den Preis von Leiden und Demütigungen, die ihm — trotz der Hochachtung und Zustimmung, die er sich durch seine Hochherzigkeit bei seinen Zeitgenossen erwerben konnte — nicht erspart geblieben sind. Seine Freude wurde daher — wie die Freude der Apostel — dadurch hervorgerufen, daß er für den Herrn leiden und sich abmühen, wenn nicht sogar „für seinen Namen Schmach erleiden“ konnte (vgl. Apg 5,41). 4. Der hl. Fasani stellt sich uns in besonderer Weise als vollkommenes Vorbild eines Priesters und Seelenhirten vor. Über 35 Jahre lang, vom Beginn des 18. Jahrhunderts an, widmete er sich in seinem Heimatort Lucera, aber mit zahlreichen Abstechern in die Umgebung, den verschiedensten Formen des prie-sterlichen und apostolischen Dienstes. Als wahrer Freund seines Volkes war er allen Bruder und Vater, ein hervorragender Meister des Lebens, der von allen als erleuchteter und kluger Ratgeber aufgesucht wurde, ein weiser und sicherer Führer auf den Wegen des Geistes, ein Verteidiger und mutiger Helfer der Unterdrückten und Armen. Ein Beweis dafür ist der ehrerbietige und zugleich liebevolle Beiname, mit dem ihn seine Zeitgenossen grüßten und der dem guten Volk von Lucera noch heute vertraut ist: er ist für sie, damals wie heute, immer der „Padre Maestro“, der „Vater und Lehrer“. Als Ordensmann war er ein echter „Diener“ im franziskanischen Sinn, das heißt der Diener aller Mitbrüder: barmherzig und verständnisvoll, aber fordernd, was die Einhaltung der Regel und insbesondere die Armutspraxis betraf, indem er selbst ein einwandfreies Vorbild für die Einhaltung der Ordensregel und die Lebensstrenge bot. In einer Zeit, die von so großer Unempfindlichkeit der Mächtigen gegenüber den sozialen Problemen gekennzeichnet war, opferte sich unser Heiliger mit unermüdlicher Liebe für die spirituelle und materielle Hebung und Förderung seines Volkes auf. Seine Vorliebe galt den am stärksten vernachlässigten und ausgebeuteten Schichten, vor allem den unterdrückten Landarbeitern, den Kranken und Leidenden und den Gefangenen. Er dachte sich geniale Initiativen aus, indem er die Mitwirkung der wohlhabenderen Klassen anregte, um ein Netz konkreter Hilfe zu verwirklichen, das seiner Zeit vorauszueilen und die modernen Formen der Sozialhilfe anzuzeigen schien. 5. „Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr ans Holz gehängt und ermordet habt“ {Apg 5,30): die Worte des hl. Petrus vor dem Hohen Rat in Jerusalem — die wir vorhin in der ersten Lesung gehört haben — lassen sich gut auf die Pastoraltätigkeit von P. Franziskus Antonius Fasani anwenden. Die 1250 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Verkündigung des Ostergeheimnisses war der Kern, um den sein ganzes Predigen und Lehren kreiste. Das geschah nicht, ohne manchmal die Feindseligkeit bestimmter Kreise herauszufordern, die unempfänglich waren für die Werte des christlichen Glaubens. Das 18. Jahrhundert, in dessen ersten Jahrzehnten der neue Heilige lebte und wirkte, ist allgemein als „das Zeitalter der Aufklärung“ bekannt, weil in ihm der menschlichen Vernunft ein besonderer Ehrenplatz eingeräumt wurde. Zahlreiche Gelehrte der Zeit ließen sich in ihrem Enthusiasmus über die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen soweit treiben, seine andere fundamentale Lichtquelle in Frage zu stellen: den Glauben. Besonders empfindlich waren sie, wenn die Rede auf die Unfähigkeit des Menschen, sich aus eigener Kraft zu retten, kam; sie brachten es folglich nicht fertig, die Notwendigkeit eines Erlösers zuzugeben, der gekommen ist, den Menschen aus seiner Situation verzweifelter Ohnmacht zu befreien. Es liegt auf der Hand, daß in einem derartigen kulturellen Rahmen die Verkündigung des Geheimnisses eines menschgewordenen Gottes, der gestorben und auferstanden ist, um den Menschen von der Schuld zu erlösen, als besonders unbehaglich und hart erscheinen mochte. Das „Wort vom Kreuz“ konnte, wie in der Frühzeit des Christentums, wieder als eine echte „Torheit“ erscheinen (vgl. 1 Kor 1,18). Es ist anzunehmen, daß P. Fasani, der von Bischof Antonio Lucci „gelehrt in der Theologie und gründlich in der Philosophie“ genannt wurde, diesen Gegensatz lebhaft empfunden hat. In seiner Heimatstadt Luce-ra, die seit Jahrhunderten ein wichtiges Kultur- und Kunstzentrum war, waren die Triebkräfte der Aufklärungsideen ohne Zweifel vorhanden und wirksam. Vielleicht mußte auch der junge Franziskaner ihrem Druck begegnen, als er sich inmitten des tauben Widerstandes jener Kreise vorfand, denen es — wie einst den Mitgliedern des Hohen Rates — nicht behagte, daß da einer fortfuhr, „in diesem Namen“ — das heißt, im Namen Christi — zu lehren (vgl.Apg 5,28). Wir wissen mit Sicherheit, daß er ein unerschrockener und unermüdlicher Prediger war. Wiederholt durchquerte er die Region Molise und die Provinz Foggia und verstreute überall den Samen des Gotteswortes, womit er sich den Beinamen „Apostel der Daunia“ verdiente. Niemals schwächte er in seiner Verkündigung — um den Menschen zu gefallen — die Forderungen der Botschaft ab. Denn wie Petrus und den anderen Aposteln half ihm die Überzeugung, daß „man Gott mehr gehorchen muß als den Menschen“ (Apg 5,29). 6. Während er an der Unversehrtheit der Lehre treu festhielt, war der neue Heilige jedoch äußerst menschlich gegenüber allen, die sich an ihn wandten, um ihm ihre Schwächen zu enthüllen. Er war sich bewußt, Diener desjenigen zu 1251 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sein, der gestorben und auferstanden war, „um Israel die Umkehr und Vergebung der Sünden zu schenken“ (Apg 5,31). Pater Fasani war ein echter Diener des Sakraments der Versöhnung, ein unermüdlicher Apostel des Beichtstuhls, in dem er jeden Tag viele Stunden zubrachte und mit unendlicher Geduld und großem Wohlwollen diejenigen empfing, die — Angehörige aller Klassen und Lebensverhältnisse — kamen, um mit aufrichtigem Herzen die Vergebung Gottes zu suchen. Wie viele, die in seinem Beichtstuhl knieten, haben die Wahrheit der Worte des heutigen Antwortpsalms erfahren: „Herr, mein Gott, zu dir habe ich gerufen, und du hast mich geheilt. Herr, du hast mich aus dem Reich des Todes zurückkehren lassen, du hast mir das Leben geschenkt, damit ich nicht in das Grab hinabsteige.“ Die Dankbarkeit, die die Beichtkinder Pater Fasanis einst in der Stille des Beichtstuhles empfanden, findet nun ihre Fortsetzung in der Freude, die sie mit ihm im Himmel teilen. 7. „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet wurde“ — haben wir in der zweiten Lesung verkündet (Offb 5,12) —, „Macht zu empfangen, Reichtum und Weisheit, Kraft und Ehre, Herrlichkeit und Lob.“ Die Ehre Christi sind die Heiligen, jene Menschen also, die durch eine Liebe, die „über alles hinausging“, die Fülle des in der Auferstehung Christi geoffenbarten Lebens gefunden haben. Mit dieser Fülle leben sie in Gott. Und sie zeigen auch uns die Wege des Lebens. Einer von ihnen ist der hl. Franziskus Antonius Fasani. Hören wir also seine Lehre. Besonders sollen sie die Menschen des edlen Apulien hören, das sich dieses Sohnes rühmen kann, in dem es die besten Eigenschaften, die seinem Volk Größe verliehen haben, erkennen kann: ein arbeitsames und einfaches Volk, mutig und ausdauernd, ein Volk, das tief in den Werten des Evangeliums verankert ist. Sie sollen ihren großen Landsmann hören und das tun, was er getan hat, um eines Tages mit ihm in den Himmel aufgenommen zu werden unter den „zehn-tausendmal Zehntausend und tausendmal Tausend“, die dem Lamm lobsingen „in alle Ewigkeit“. 1252 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Erstbeichte und Generalabsolution: Seelsorgepraxis nach den Weisungen ausrichten! Ansprache an die Vollversammlung der Kongregation für die Sakramente am 17. April Meine Herrn Kardinale! Liebe Brüder im Bischofsamt! 1. Ich freue mich, euch an dem Tag, an dem die Arbeiten eurer Vollversammlung abgeschlossen wurden, in Audienz zu empfangen und euch herzlich zu begrüßen, während ich euch gleichzeitig meine aufrichtige Anerkennung für alles zum Ausdruck bringe, was jeder von euch im Dienst eines Dikasteriums getan hat und tut, dem die Sorge für einen Grundbereich des Lebens der Kirche anvertraut ist. Denn durch die Sakramente werden die Gläubigen „auf geheimnisvolle und doch wirkliche Weise mit Christus, der gelitten hat und verherrlicht ist, vereint“ (LG 7), und es „wird ihnen nahezu jedes Ereignis ihres Lebens geheiligt durch die göttliche Gnade, die ausströmt vom Pascha-Mysterium des Leidens, des Todes und der Auferstehung Christi“ (Sacrosanctum Concilium, Nr. 61). Einen besonderen Gruß richte ich an den Kardinalpräfekten, dem ich für die freundlichen Worte danke, mit denen er diese Begegnung eröffnet hat. Mein Gruß gilt sodann jedem einzelnen, der hier anwesend ist, und durch euch will er auch alle eure Mitarbeiter erreichen, denen ihr für ihre wertvolle Arbeit „im Hintergrund“ Dank schuldet. 2. Ihr seid euch der Aufgaben, die euch als Mitglieder der Kongregation für die Sakramente obliegen, Aufgaben, die sich darin treffen, Sorge zu tragen, daß die Substanz dieser Gnadenmittel, die die Kirche als unvergleichlich kostbaren Schatz hütet, nicht beeinträchtigt wird und daß die Vorschriften hinsichtlich ihrer rechtmäßigen Verwaltung getreu eingehalten werden, bewußt und habt deshalb beschlossen, bei dieser Gelegenheit einige besonders dringende Fragen in den Bereichen der Sakramente der Beichte, der Weihe und der Ehe aufzugreifen und zu erörtern. Die Ergebnisse, zu denen eure Arbeit in diesen Tagen geführt hat, werden meinerseits aufmerksame Beachtung finden in der Gewißheit, daß eure Kompetenz und Erfahrung nicht versäumt hat, euch nützliche Hinweise einzugeben, die geeignet sind, die Probleme auf brauchbare Lösungen hin zu orientieren. Ich möchte mich in diesem Augenblick darauf beschränken, euch einige Gedanken zum Sakrament des göttlichen Erbarmens mitzuteilen, da die Oster- 1253 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zeit, die wir gerade erleben, unsere Aufmerksamkeit auf dieses Sakrament lenkt. Ist etwa das Sakrament der Wiederversöhnung nicht ein besonderes Geschenk, das der Herr Jesus am Tag seiner Auferstehung der Kirche gemacht hat? Am Abend jenes Tages, des ersten Tages nach dem Sabbat — so berichtet der Verfasser des vierten Evangeliums —, kam Jesus in den Abendmahlssaal, wo die Jünger versammelt waren, und nachdem er sie angehaucht hatte, sagte er: „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert“ (vgl. Joh 20,22 f.). Die Kirche ist sehr auf dieses Geschenk des Herrn bedacht und, während sie für einen so ergreifenden Liebesbeweis Dank sagt, fühlt sie sich verpflichtet, dessen Fülle und Reichtum zu wahren, damit es nicht dahin kommt, daß der Mensch, der trotz hochherziger Absichten oft recht kurzsichtig ist, sich gegen einige seiner Aspekt wendet, was ernsten Schaden für die Seelen zur Folge hätte. 3. Es kann uns nämlich nicht verborgen bleiben, daß in letzter Zeit in verschiedenen Personen der Kirche Bestürzung und Ratlosigkeit erwachten und daß da und dort in der Seelsorgetätigkeit praktische Initiativen eingeführt wurden, die mit der rechten, auch jüngst in den Normen des Codex des kanonischen Rechts neuerlich bestätigten Lehre nicht im Einklang zu stehen scheinen. Es sind insbesondere zwei Fragenkreise, bei denen ihr euch bei eurer Vollversammlung aufgehalten habt: einmal die Frage des geeigneten Alters für die Erstbeichte und dann die Frage der sakramentalen Generalabsolution. Was die erste Frage betrifft, so entspringt die letzte Beobachtung, die sich der Überlegung des um das Wohl seiner Schafe besorgten Hirten aufdrängt, der Feststellung des immer noch bestehenden Mißverständnisses hinsichtlich der wahren Natur dieses Sakraments: trotz des katechetischen Einsatzes, der in diesen Jahren auf der Ebene der Ortskirche wie der Universalkirche aufgewandt wurde — wir denken dabei vor allem an Aas Apostolische Schreiben Re-conciliatio et paenitentia und an die von ihm ausgelöste umfassende pastorale Bewegung —, wird der Freude vermittelnde und befreiende Charakter dieses Sakraments, in dem die siegreiche Liebe des auferstandenen Christus zum Ausdruck kommt, nicht immer genügend verstanden. Der Glaubende, der sich mit der richtigen inneren Verfassung zur Beichte begibt, macht nicht die Erfahrung der verurteilenden Gerechtigkeit, sondern der vergebenden Liebe. Und in dieser Erfahrung lernt er, im warmen Licht der Liebe Christi, seine eigenen Schwächen, die mangelhaften Seiten seines Temperaments und die komplexen Verflechtungen seiner Fehler besser zu erkennen. Anderseits braucht nicht befürchtet zu werden, daß dies Frustrationen oder Traumata hervorrufen müsse, 1254 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN denn in dem Akt selber, in dem der zur Reue bereite Gläubige das Ausmaß seiner Schuld entdeckt, begegnet er auch einer erneuten Erfahrung des geduldigen und starken Erbarmens seines Herrn. Wie sollte man, wenn die Dinge so liegen, nicht die große Hilfe sehen, die aus einer angemessenen Verwaltung dieses Sakraments auch den Kindern zuteil werden kann für ein fortschreitendes und harmonisches Wachstum in der Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung, in der Bereitschaft, die eigenen Grenzen anzuerkennen, ohne sich jedoch mit ihnen passiv abzufinden? Denn abgesehen von der Frage des erforderlichen Alters für das Begehen einer schweren Schuld — eine Frage, bei der allerdings nicht vergessen werden sollte, daß die Tendenz, diesen Zeitpunkt altersmäßig immer weiter zu rücken, tatsächlich zu einem außerordentlichen Mangel an Vertrauen in die Fähigkeiten des heranwachsenden Kindes zum Guten führt — bleibt die Tatsache bestehen, daß auch die leichten Abstufungen des moralischen Übels ihre Bedeutung haben, die sich als noch bedeutsamer erweist, wenn sie in der pädagogischen Sicht eines Weges menschlichen und christlichen Wachstums gesehen wird. 4. Die Pflicht verlangt jedoch zuzugeben, daß möglicherweise dem Priester die notwendige Vorbereitung auf eine entsprechende Spendung des Sakraments an Kinder fehlt. Zu wünschen ist daher für die künftigen Spender dieses Sakraments nicht nur eine vollständigere Erläuterung seiner komplexen Wirklichkeit, sondern auch eine sachkundige Einführung in die ernsthafte Kenntnis der Psychologie des Entwicklungsalters, damit auch diejenigen, die gerade in diesem Alter stehen, nicht der rechten Annäherung an dieses Gnadenmysterium beraubt werden, in dem der handelt, der einst gesagt hat: „Laßt die Kinder zu mir kommen!“ {Mt 19,14). Man wird daher zweckmäßigerweise für eine besondere pädagogische Unterweisung derer sorgen müssen, die sich auf das Priesterämt vorbereiten, und ebenso zweckmäßig wird man sich um die Veranstaltung von Fortbildungskursen für die in der Seelsorge tätigen Priester kümmern müssen, die eben diesem besonderen Zweck dienen: Aneignung der heilsamen Errungenschaften der psychologischen und pädagogischen Wissenschaften, um sich besser der Erkenntnisfähigkeit und dem Empfindungsvermögen anpassen zu können, die den verschiedenen Altersstufen eigen sind, die der heranwachsende Mensch durchläuft. Das wird die Entwicklung einer geeigneten Katechese über Sünde und Vergebung ermöglichen, die das Gewicht nicht so sehr auf die Schwere der Schuld legt, sondern auf die hochherzige Antwort auf die grenzenlose Liebe des göttlichen Freundes. 5. Was das zweite Problem, nämlich die Erteilung der Generalabsolution an mehrere Pönitenten ohne vorausgehende Einzelbeichte, betrifft, so muß leider 1255 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN vor allem festgestellt werden, daß trotz der sehr präzisen Hinweise des Codex des kanonischen Rechts (vgl. can. 961—963), die von dem Apostolischen Schreiben Reconciliatio etpaenitentia (Nr. 33) bestätigt wurden, in einer ganzen Reihe von Ortskirchen Fälle des Mißbrauchs dieser Praxis zu verzeichnen sind. In diesem Zusammenhang halte ich es für meine Pflicht, erneut zu bekräftigen, daß diese Form der Feier des Sakraments „den Charakter einer Ausnahme hat und darum nicht der freien Wahl überlassen ist, sondern durch eigens dafür erlassene Bestimmungen geregelt wird“ (Reconciliatio paenitentia, Nr. 32). Die Richtlinien für diese Bestimmungen sind bekannt: die Kirche, die dem Willen ihres Meisters und Herrn treu ist, denkt nicht daran, sie zu ändern. Es wird also die Aufgabe der Bischöfe sein, durch eine entsprechende Katechese dafür zu sorgen, daß die Gläubigen hinsichtlich Generalabsolution und Einzelbeichte nicht in Verwirrung geraten und die beiden Formen miteinander verwechseln, bleibt doch die Notwendigkeit bestehen, auch nach dem Empfang der Generalabsolution bei schweren Sünden „bei nächstmöglicher Gelegenheit ... ein persönliches Bekenntnis abzulegen“ (CIC, can. 963). Darüber hinaus wird man den Einsatz auf katechetischem Gebiet, insbesondere im Hinblick auf die Erwachsenen, vertiefen müssen, um die Gläubigen zum Verstehen der Gründe zu führen, die die Verpflichtung rechtfertigen, auch nach dem Empfang einer eventuellen Generalabsolution dem Diener der Kirche persönlich ihre schweren Sünden zu bekennen. Dabei wird es jedoch sehr darauf ankommen, daß man dem Gläubigen hilft zu entdecken, daß es sich ja nicht nur um eine Verpflichtung, sondern auch um ein wirkliches, ihm zustehendes Recht handelt: hierin spiegelt sich nämlich jene personale Beziehung wider, die der Gute Hirte zu jedem einzelnen Schaf hersteilen möchte, das von ihm als einzelnes Individuum gekannt wird, ja das von ihm — wie es im Johannesevangelium so schön heißt — beim Namen gerufen wird (vgl.Joh 10,3). Im persönlichen Gespräch mit dem Spender des Bußsakraments verwirklicht der einzelne Gläubige sein Recht auf eine persönliche Begegnung mit dem gekreuzigten Christus, der hört, mitleidet, vergibt; mit Christus, der wieder zu ihm persönlich die Worte des Evangeliums spricht: „Deine Sünden sind dir vergeben;“ „geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Mk 2,5; Joh 8,11). Wenn die Kirche auf diesem Aspekt der sakramentalen Ordnung besteht, schützt sie letztlich das Recht des einzelnen auf seine unwiederholbare Persönlichkeit, die nicht in der Anonymität der Masse veschwimmen darf noch von der Gemeinschaft, so reich und wichtig ihr Beistand auch sein mag, ersetzt werden kann. Die Bischofskonferenzen werden daher gut daran tun, nachdrücklich auf diesen Punkt zurückzukommen, indem sie klar und deutlich festlegen, welches die vom Codex des kanonischen Rechts vorgesehenen Fälle einer „schweren Notla- 1256 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ge“ sind (can. 961), um berechtigterweise die Generalabsolution zu erteilen, und sich dann beharrlich darum bemühen, die Seelsorgepraxis ihrer Kirchen entsprechend diesen Weisungen auszurichten. 6. Das, ehrwürdige Brüder, drängte mich, eurer Sorge in der Absicht mitzuteilen, eine für das Leben der Kirche so wichtige Arbeit wie die eurige zu bestärken und zu unterstützen. Ich lade euch nun ein, mit mir eure Gedanken zu Christus dem Guten Hirten zu erheben und von ihm reiche Gnadengaben auf die bei eurer Vollversammlung beschlossenen Initiativen herabzuflehen, damit sie jene Früchte des Guten erbringen, die wir erhoffen und erwarten. Die Selige Jungfrau Maria, deren mütterlichem Schutz sich jeder von uns in kindlicher Hingabe voll anvertraut, möge in diesem Sinne dafür eintreten. Es begleite euch mein Segen. Dem christlichen Erbe Europas wieder Bedeutung verleihen Ansprache an den internationalen Kongreß über „Das christliche Erbe der europäischen Kultur im zeitgenössischen Bewußtsein“ am 21. April Herr Kardinal! Liebe Brüder im Bischofsamt! Liebe Freunde! 1. Ich freue mich sehr, heute vormittag die Teilnehmer des Kolloquiums über „Das christliche Erbe der europäischen Kultur im zeitgenössischen Bewußtsein“ zu empfangen. Sie sind auf die gemeinsame Einladung des Polnischen Instituts für Christliche Kultur und des Päpstlichen Rates für die Kultur hin aus den verschiedenen Richtungen dieses großen Kontinents hierher gekommen, um über die geistige Lebenskraft der von zweitausend Jahren christlicher Erfahrung geprägten europäischen Kultur nachzudenken. Nun, die Frage, die Sie sich klar und mutig stellen, lautet: „Welches Bewußtsein für ihr christliches Erbe bewahren die Europäer tatsächlich? In letzter Zeit haben sich mehrere europäische Symposien auf verschiedenen Ebenen der Verantwortlichkeit (Bischöfe, Priester) gleichfalls mit dieser Frage beschäftigt. 1257 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Auf den ersten Blick scheint die Bilanz der Situation ebensoviel Schatten wie Licht zu enthalten. Einerseits vermitteln Tausende Europäer den Eindruck, als lebten sie ohne jedes geistliche Gedächtnis, wie Erben, die ihr heiliges Erbgut vergeudet haben. Wie viele Männer und Frauen verbringen in der Tat ihre Ar-beits- und Freizeit ohne jeden Bezug zum Evangelium oder zu Gott! Ihre Freunde, ihre Prüfungen, ihre Hoffnungen erscheinen eingeschlossen in einen irdischen Gesichtskreis, und viele leben und sterben, so scheint es, in einem religiösen Vakuum. Dieser praktische Agnostizismus, diese selbstzufriedene Gleichgültigkeit ist leider häufig das Drama der wirtschaftlich fortgeschritteneren Gesellschaften, die das Heilige aus dem täglichen Leben verbannt und noch nicht gelernt haben, im Herzen der neuen Kulturen einen religiösen Raum zu schaffen. Wie viele Jugendliche leben und wachsen auf in dieser von Unkenntnis und Gleichgültigkeit gegenüber der religiösen Wirklichkeit gekennzeichneten areligiösen Atmosphäre! 2. Hüten wir uns jedoch davor, allein bei der Schattenseite der Menschen- und Kulturlandschaft dieses Kontinents zu verweilen. Zunächst zeigen bestimmte Umfelder — vielleicht wegen der Prüfungen von außen, denen sie ausgesetzt sind — eine bemerkenswerte Treue zu ihren geistlichen Wurzeln und eine starke religiöse Lebenskraft, die im Bereich der Familien und des Volkes gelebt wird und auf die Zukunft ausgerichtet ist. Und vor allem sind die Wege der Vorsehung geheimnisvoll, und der Geist ist immer in den Herzen im Verborgenen am Werk und zieht sie hin zur Liebe des Absoluten, zur Gerechtigkeit, zum Frieden. Es fehlt nicht an Zeichen der Hoffnung und des Trostes, wenn wir sie aufmerksam zu erkennen wissen. Sollte man sich zum Beispiel nicht darüber freuen zu sehen, daß sich in mehreren Ländern Europas viele Christen hochherzig und verständnisvoll in diesem vielversprechenden Projekt engagieren, das man jetzt die „Neuevangelisierung“ nennt? Der lebendige Glaube dieser Christen dient ganz einem Bemühen um Inkulturation des Evangeliums, die bestimmt ihre Früchte bringen wird. Die Verheißung des Evangeliums bietet uns dafür die feste Gewißheit, ja bereits offenkundige Zeichen des Erfolgs. Die Europäer, die so stolz sind auf ihre Freiheit, auf ihre Kreativität, auf ihren Sinn für Teilhabe, sind im Besitz der kulturellen Werte, die, vom Geist des Zweiten Vatikanums befruchtet, die Begegnung der Kirche mit den neuen Kulturen vorantreiben werden. 3. Im übrigen — das erkennen wir — stellen auch die Prüfungen und Spaltungen, die diesen alten Kontinent zerrissen haben, eine dringende Aufforderung an die Europäer, die sie verpflichtet, zu den Quellen ihrer Geschichte zurückzukehren, um ihre gemeinsame Brüderlichkeit und ihre unauslöschliche Kul- 1258 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN tur wiederzufinden. Bei allem Respekt vor dem Pluralismus der modernen Gesellschaften sind wir imstande, dem christlichen Erbe Europas wieder Leben und Bedeutung zu verleihen. Erbe besagt nicht etwas Vergangenes, Veraltetes, wie es sich allzu viele Menschen vorstellen, die dazu neigen, das Christentum durch gewisse veraltete und überholte Institutionen zu beurteilen. Für uns, die wir daraus leben, ist das christliche Erbe immer aktiv und Schöpfer von Kultur. Durch einen offenen und mutigen Dialog vermögen wir die Freiheiten und Garantien geltend zu machen, die unbedingt notwendig sind, damit die Christen und alle Gläubigen ihren unerläßlichen Beitrag zum künftigen Aufbau aller Gesellschaften dieses Kontinents vom Norden bis zum Süden und vom Osten bis zum Westen leisten können. 4. Sie haben recht, die Frage des Bewußtseins aufzuwerfen. Europa darf seine Lebenskräfte nicht allein in den Bereichen der Wirtschaft, der Ideologie, der Politik und der militärischen Fragen erschöpfen. Der entscheidende Einsatz wird die Qualität der auf der Stufe des europäischen Bewußtseins gelebten Kultur sein. Das ist die Grenze, an der sich die Zukunft dieses Kontinents und in gewissem Sinne die Zukunft der ganzen Welt entscheidet, denn in der Kulturgeographie der Welt nimmt Europa einen erstrangigen Platz ein. Ihr Beitrag geht weit über die Karte Europas hinaus, und die Arbeit der kulturellen Bewußtseinsbildung, die Sie verwirklichen wollen, wird auch der ganzen menschlichen Gemeinschaft zugute kommen. 5. Ich ermutige den Päpstlichen Rat für die Kultur und Institutionen wie das Polnische Institut für Christliche Kultur immer wieder Begegnungen dieser Art zu veranstalten, wo sich Männer und Frauen dessen bewußt werden, daß das Schicksal Europas als eigene menschliche Gemeinschaft von der Kraft abhängt, das es seiner Kultur in Zukunft zu verleihen vermag. Als Männer und Frauen der Kultur verfügen Sie über unermeßliche Macht über die Geister und Herzen. Seien Sie besonnene und überzeugte Zeugen des christlichen Gedächtnisses dieses Kontinents und zeigen Sie mit Hilfe aller modernen Mittel den jungen Generationen die stets erneuernde Macht der Frohbotschaft Jesu Christi. Ihr Glaube, Ihre Hoffnung, Ihre Liebe, die sich aus den lebendigen Quellen des Evangeliums nähren, mögen Sie und alle, die im selben Sinn in verschiedenen Initiativen arbeiten, zu bevorzugten Werkzeugen für das dringende Werk machen, das die Neuevangelisierung Ihrer Länder und ganz Europas darstellt, eines Europas, das aufgerufen ist, seine Seele und seine geistige Schöpferkraft wiederzufinden. Das Wohlergehen, der Friede und die wahre menschliche Entwicklung Europas hängen davon ab. Diesen Wunsch trage ich mit Ihnen vor den Herrn, dessen Segen ich auf einen jeden von Ihnen herabflehe. 1259 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Spirituale Militum Curae Apostolische Konstitution über die Militärseelsorge vom 21. April Für die Militärseelsorge hat die Kirche den verschiedenen Erfordernissen entsprechend stets mit außerordentlicher Bedachtsamkeit Sorge getragen. Die Soldaten stellen nämlich eine eigene Gesellschaftsklasse dar und bedürfen „wegen ihrer besonderen Lebensbedingungen“1 — sei es, daß sie sich freiwillig und auf Dauer in die Streitkräfte aufnehmen lassen, oder daß sie auf Grund des Gesetzes für eine bestimmte Zeit einberufen werden — einer konkreten und besonderen Form der Seelsorge; diesem dringenden Erfordernis haben im Laufe der Zeiten die heilige Hierarchie, in erster Linie aber die Römischen Päpste auf Grund der ihnen übertragenen Aufgabe des Dienstes oder der „Dia-konia“2, in einzelnen Fällen in sehr geeigneter Weise durch eine den Personen und Umständen möglichst entsprechende Jurisdiktion Rechnung getragen. Dadurch haben sich mit der Zeit in den einzelnen Nationen kirchliche Strukturen herausgebildet, an deren Spitze ein mit den entsprechenden Ermächtigungen ausgestatteter Prälat gestellt wurde3. Die Konsistorialkongregation hat in der Instruktion Sollemne semper vom 23. April 1951 diesbezüglich weise Bestimmungen herausgegeben4. Nun aber muß man sagen, daß die Zeit gekommen ist, die genannten Bestimmungen zu revidieren, damit sie von größerer Kraft und Wirksamkeit sein können. Dazu hält uns vor allem das Zweite Vatikanische Konzil an, das den Weg geebnet hat für geeignete Initiativen zur Durchführung spezieller pastoraler Aufgaben5, sowie sehr aufmerksam das Wirken der Kirche in unserer heutigen Welt ins Auge faßte, auch was den Aufbau und die Förderung des Friedens in der ganzen Welt betrifft; dabei sollen sich diejenigen, die Militärdienst leisten, „als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker“ betrachten, denn „indem sie diese Aufgaben recht erfüllen, tragen sie wahrhaft zur Festigung des Friedens bei“6. Das legen auch die großen Veränderungen nahe, die stattgefunden haben, nicht nur was den Beruf des Soldaten und seine besonderen Lebensumstände betrifft, sondern auch im Hinblick auf das allgemeine Empfinden und Verständnis der heutigen Gesellschaft für Wesen und Aufgabe der Streitkräfte in der Gemeinschaft des Lebens der Menschen miteinander. Dazu veranlaßt schließlich auch die Promulgierung des neuen Codex des kanonischen Rechts, der zwar tatsächlich auf die Militärseelsorge Bezug nimmt, dabei aber die bis dahin gültigen Gesetze unverändert läßt7, die jedoch heute in angebrachter Weise revidiert werden, damit aus ihrer passenden Abfassung reifere Früchte erwachsen. Gesetze dieser Art können freilich nicht für alle Nationen dieselben sein, da die Zahl der katholischen Gläubigen, die sich zum Militärdienst 1260 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN verpflichten, weder absolut noch relativ überall gleich ist und da sich die Verhältnisse an den einzelnen Orten sehr voneinander unterscheiden. Es ist daher angebracht, daß hier einige allgemeine Bestimmungen festgelegt werden, die für alle Militärordinariate — bisher Militärvikariate genannt — Gültigkeit haben und die dann, freilich im Rahmen dieses allgemeinen Gesetzes, durch Statuten ergänzt werden sollen, die der Apostolische Stuhl für jedes einzelne Ordinariat festlegt. Es werden also die folgenden Bestimmungen erlassen: I. § 1 Die Militärordinariate, die auch Feldordinariate heißen können und die rechtlich den Diözesen angeglichen werden, sind besondere Kirchenbezirke, die nach eigenen, vom Apostolischen Stuhl erlassenen Statuten geleitet werden, in welchen die Bestimmungen dieser Konstitution genauer präzisiert werden, wobei überall dort, wo es zwischen dem Apostolischen Stuhl und Nationen getroffene Vereinbarungen gibt, diese beachtet werden8. § 2 Wo die Umstände es nahelegen, sollen nach Anhören der Meinung der Bischofskonferenzen vom Apostolischen Stuhl neue Militärordinariate errichtet werden. II. § 1 Dem Militärordinariat steht ein eigener, im Regelfall mit der Bischofswürde bekleideter Ordinarius vor, der sämtliche Rechte der Diözesanbischöfe genießt und an ihre Verpflichtungen gebunden ist, sofern nicht aus der Natur der Sache oder auf Grund der besonderen Statuten eine andere Regelung besteht. § 2 Den Militärordinarius ernennt der Papst frei oder er setzt ein bzw. bestätigt den rechtmäßig designierten Kandidaten9. § 3 Damit sich der Militärordinarius mit ganzer Kraft dieser besonderen Seelsorgearbeit widmen kann, wird er normalerweise von anderen mit der Seelsorge verbundenen Aufgaben frei bleiben, außer wenn die besonderen Umstände einer Nation etwas anderes anraten. § 4 Zwischen dem Militärordinariat und den anderen Teilkirchen soll ein enges Band der Gemeinsamkeit und eine Verbundenheit der Kräfte in der Seelsorgetätigkeit bestehen. III. Der Militärbischof gehört von Rechts wegen der Bischofskonferenz der Nation an, in welcher das Ordinariat seinen Sitz hat. IV. Die Jurisdiktion des Militärbischofs ist: 1. Personal, so daß sie gegenüber den zum Ordinariat gehörenden Personen auch dann ausgeübt werden kann, wenn diese sich außerhalb der nationalen Landesgrenzen aufhalten; 1261 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. ordentlich sowohl im internen wie im externen Bereich; 3. eigenständig, aber kumulativ mit der Jurisdiktion des Diözesanbischofs, da ja die zum Ordinariat gehörenden Personen weiterhin auch Gläubige jener Teilkirche sind, einen Teil dessen Volkes sie auf Grund des Wohnortes oder des Ritus bilden. V. Die den Soldaten vorbehaltenen Bereiche und Orte unterstehen zuerst und hauptsächlich der Jurisdiktion des Militärordinarius; an zweiter Stelle aber der Jurisdiktion des Diözesanbischofs, und zwar jedesmal, wenn der Militärordinarius oder seine Kapläne abwesend sind. In diesem Fall handeln sowohl der Diö-zesanbischof wie der Pfarrer auf Grund ihres Rechts. VI. § 1 Das Presbyterium des Militärordinariats bilden außer jenen, von denen in den folgenden §§ 3 und 4 die Rede sein wird, jene Welt- wie Ordenspriester, die mit den entsprechenden Gaben für die rechte Erfüllung dieser besonderen pastoralen Aufgabe ausgestattet sind und mit Zustimmung ihres Bischofs einen Dienst im Militärordinariat ausüben. § 2 Die Diözesanbischöfe sowie die zuständigen Ordensoberen sollen dem Militärordinariat in ausreichender Zahl Priester und Diakone zugestehen, die sich für diese Aufgabe eignen. § 3 Der Militärordinarius kann mit Billigung des Hl. Stuhles ein Priesterseminar errichten und dessen Alumnen nach Absolvierung der geistlichen und pastoralen Sonderausbildung im Ordinariat zu den heiligen Weihen zulassen. § 4 Auch andere Kleriker können rechtmäßig in das Militärordinariat inkar-diniert werden. § 5 Der Priesterrat muß eigene, vom Ordinarius genehmigte Statuten haben, unter Berücksichtigung der von der Bischofskonferenz erlassenen Normen10. VII. Innerhalb des ihnen zugewiesenen Bereiches und gegenüber den ihnen anvertrauten Personen haben die Priester, die im Ordinariat Kapläne heißen, die Rechte und Pflichten von Pfarrern, wenn nicht aus der Natur der Sache oder auf Grund besonderer Statuten eine andere Regelung besteht, jedoch nach der Bestimmung von Art. IV in kumulativ mit dem Ortspfarrer. VIII. Was die Ordensmänner und Mitglieder von Gesellschaften des apostolischen Lebens betrifft, die im Ordinariat Dienst leisten, so muß sich der Ordinarius sorgfältig darum kümmern, daß sie an der Treue zur Berufung und Identität ihres Instituts festhalten und eng mit ihren Oberen verbunden sind. IX. Da alle Gläubigen am Aufbau des Leibes Christi mitwirken müssen", sollen der Ordinarius und sein Presbyterium dafür sorgen, daß die gläubigen 1262 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Laien des Ordinariats, sowohl als einzelne wie gemeinsam, ihre Rolle wahmeh-men als apostolische, aber auch missionarische Triebkraft unter den übrigen Soldaten, mit denen sie Zusammenleben. X. Außer denjenigen, die in den Statuten laut Art. I genannt sind, gehören zum Militärordinariat und unterstehen seiner Jurisdiktion: 1. Die Gläubigen, die Soldaten sind, sowie jene, die in den Streitkräften Dienst tun, vorausgesetzt, daß sie durch die für sie erlassenen Zivilgesetze darin eingebunden sind; 2. ihre Familienangehörigen, also die Ehefrauen und Kinder, letztere auch nach Erlangung ihrer Volljährigkeit, solange sie im selben Haushalt wohnen, sowie die ebenfalls im selben Haushalt wohnenden Verwandten und das Dienstpersonal; 3. alle, die Militärschulen besuchen oder die sich in Militärspitälern, Altenheimen oder anderen ähnlichen Einrichtungen aufhalten oder dort Dienst tun; 4. alle Gläubigen beiderlei Geschlechts, ob sie einem Ordensinstitut angehören oder nicht, die einen festen Dienst, entweder vom Militärordinarius übertragen oder mit seiner Zustimmung, ausüben. XI. Der Militärordinarius ist von der Kongregation für die Bischöfe bzw. von der Kongregation für die Evangelisierung der Völker abhängig und behandelt je nach der Verschiedenheit der Fälle die Fragen mit den dafür zuständigen Di-kasterien der Römischen Kurie. XII. Der Militärordinarius soll alle fünf Jahre dem Apostolischen Stuhl über den Stand des Ordinariats Bericht erstatten, und zwar in der von diesem vorgeschriebenen Form. Ebenso ist der Militärordinarius rechtmäßig zum „Ad-limina“-Besuch verpflichtet12. XIII. In den Sonderstatuten wird, stets unter Wahrung bestehender zwischen dem Hl. Stuhl und den Nationen getroffener Vereinbarungen, unter anderem folgendes bestimmt: 1. wo die Kirche des Militärordinarius und seine Kurie ihren Sitz haben sollen; 2. ob es einen oder mehrere Generalvikare geben soll und welche anderen Ku-rialbeamte ernannt werden sollen; 3. alles, was die kirchliche Stellung des Militärordinarius und der übrigen dem Militärordinariat zugeteilten Priester und Diakone während und bei Verlassen ihres Dienstes betrifft, und welche Bestimmungen hinsichtlich ihrer militärischen Stellung zu beachten sind; 4. welche Vorkehrungen für den Fall der Sedisvakanz oder der Verhinderung zu treffen sind; 1263 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 5. was über den Pastoralrat sowohl des ganzen Ordinariats wie auf lokaler Ebene unter Beachtung der Bestimmungen des Codex des kanonischen Rechts zu sagen ist; 6. welche Bücher gemäß den allgemeinen Gesetzen und den Vorschriften der Bischofskonferenz über die Verwaltung der Sakramente und über den Personalstand geführt werden müssen. XIV. Was Gerichtsverfahren der Gläubigen des Militärordinariats betrifft, ist dafür in erster Instanz das Gericht der Diözese zuständig, in welcher die Kurie des Militärordinariats ihren Sitz hat; in den Statuten soll aber immer das Berufungsgericht festgesetzt werden. Wenn aber das Ordinariat seinen Gerichtshof hat, werden die Berufungen an das Gericht geleitet, das der Militärbischof selbst mit Billigung des Apostolischen Stuhles festgesetzt hat13. Alle Bestimmungen dieser unserer Konstitution werden am 21. Juli des laufenden Jahres in Kraft treten. Die sonderrechtlichen Bestimmungen aber bleiben in Kraft, soweit sie mit dieser Apostolischen Konstitution übereinstimmen; die gemäß Art. I abgefaßten Statuten jedes einzelnen Militärordinariats sind innerhalb eines Jahres, von jenem Datum an gerechnet, dem Hl. Stuhl zur Prüfung vorzulegen. Es ist unser Wunsch, daß diese unsere Verfügungen und Vorschriften jetzt und in Zukunft gültig und wirksam sind und bleiben bei Aufhebung, soweit notwendig, der von unseren Vorgängern herausgegebenen Konstitutionen und Apostolischen Verfügungen und anderen Vorschriften, auch wenn sie besondere Aufhebung und besondere Erwähnung verdienen. Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 21. April 1986, im achten Jahr unseres Ponti-flkatCS' PAPST JOHANNES PAUL II. Anmerkungen: ' CD, Nr. 43. 2 LG, Nr. 24. 3 Diese Prälaten traten manchmal auf, „als (wären) sic gegenüber ihren Wcltpricstern die eigentlichen Bischöfe und Oberhirten“ (Innozenz X., Breve Cum sicut maieslatis, 26. Sept. 1645: Bulla-rium Romanum, Turin 1868, XV, 410). 4 AAS 43 (1951), 562,565. 5 Vgl. PO 10. '> GS 19. I Vgl. CIC, can. 569. * Vgl. CIC, can. 3. " Vgl. CIC, cann. 163. und 377 § 1. 111 Vgl. CIC, can 496. II Vgl. CIC, can. 208. 12 Vgl. CIC, cann. 399 und 400 §§ 1 u. 2. Siche Konsistorialkongregation, Dekret De Sacrorum liminum visilatione a Vicariis castrensibus peragenda, 28.2.1959; AAS 51 (1959) 272-274. 13 Vgl. CIC, can. 1438, § 2. 1264 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Beispiel der Treue zu Christus Schreiben an die Kirche von Peru anläßlich des 400. Geburtstages der hl. Rosa von Lima Herr Kardinal! Liebe Brüder im Bischofsamt! Geliebte Brüder und Schwestern! 1. Der Wohlgeruch Christi, der sich durch die Verkündigung des Evangeliums und die Gnade des Heiligen Geistes über die Welt verbreitet (vgl. 2 Kor 2,14-16), hat die Kirche in Lateinamerika durch die Heiligkeit ihrer Schutzpatronin, der hl. Rosa von Lima, geprägt. Sie ist in der Tat die erste Blüte der Heiligkeit, die auf dem lateinamerikanischen Kontinent aufbrach, die erste reife Frucht seiner Evangelisierung, die erste Tochter Perus, die zur Ehre der Altäre erhoben wurde. Daher ist es recht, wenn anläßlich der 400. Wiederkehr ihres Geburtstages die Kirche in Peru und alle Söhne und Tochter Lateinamerikas ihrer Tugenden gedenken, ihr Beispiel nachahmen und ihre Fürbitte erflehen, weil sie in ihr ein lebendiges Zeugnis des Wortes Gottes erkennen. Ich will mich gern der Freude des peruanischen Volkes anschließen, wenn die Feierlichkeiten dieses Jubiläums der Heiligen von Lima beginnen, und ich tue das mit einem Herzen, das erfüllt ist von den Erinnerungen an meinen Besuch in diesem großen Land vor etwas mehr als einem Jahr. Während dieser Pasto-ralreise hatte ich das Glück, in der „Stadt der Könige“ die Reliquien eurer Patronin zu verehren und bei verschiedenen Gelegenheiten das Beispiel ihres Lebens dem ganzen gläubigen Volk vor Augen zu stellen. Ebenso hatte ich Gelegenheit, euch daran zu erinnern, daß mit der hl. Rosa die Erst-Evangelisierung eurer Heimat begann, als sie den Glauben zum Fundament der peruanischen Seele machte und selbst zu einem berühmten Vorbild der Heiligkeit wurde. 2. Die menschlichen Züge des peruanischen Volkes, verschönt und bereichert durch die göttliche Gnade, spiegeln sich in dieser demütigen Jungfrau aus Lima wider, die im April l586 als Tochter des Gaspar Flores und der Maria de Oliva geboren wurde. Obwohl sie ihr bei der Taufe den Namen Isabel gegeben hatten, nannten sie sie wegen der Schönheit ihres Antlitzes, und vielleicht schon etwas von ihrer geistigen Schönheit ahnend, sehr bald ganz spontan Rosa. Mit 20 Jahren weihte sie sich unter dem Antrieb des Heiligen Geistes Gott, indem sie das Kleid des Dritten Ordens des hl. Dominikus anlegte und die hl. Katharina von Siena zum Vorbild ihrer Liebe zu Christus und des Dienstes an den Armen nahm. 1265 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Sie lebte inmitten ihres Volkes, ohne sich von der Gesellschaft zu trennen, wobei sie eine intensive Frömmigkeit und eine Liebe voller Initiativen zugunsten der Bedürftigen miteinander verband. Die Frömmigkeit Rosas stieg bis zu den höchsten Höhen mystischer Erfahrung auf. Zum Mittelpunkt ihres Lebens wählte sie die Person Christi in der Demut seiner Menschwerdung, im Schmerz seines Leidens und in der geheimnisvollen Nähe seiner wirklichen Gegenwart in der Eucharistie. Vom Glauben und von der Liebe erleuchtet vermochte sie, in ihren armen, kranken und verlassenen Brüdern das Antlitz Christi, ihres Bräutigams, zu entdecken; sie machte aus ihrer Liebe zu Jesus einen Dienst des Mitleids und der Freundlichkeit gegenüber jenen, die sein Bild am unmittelbarsten widerspiegelten. Sie opferte sich in sämtlichen Werken der Barmherzigkeit auf, um alle, die sich an sie wandten, zu trösten, zu pflegen, zu erziehen, geistlich und menschlich aufzurichten. Wie schön erfüllen sich in dieser demütigen Frau die Worte des Evangeliums: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40)! Rosa, die sich mit dem Geheimnis der Passion Jesu, dessen Wundmale sie an ihrem Körper trug, zu identifizieren vermochte, starb, ausgebrannt von Schmerz und Liebe, am Morgen des 24. August 1617, wobei sie im ganzen Volk von Peru einen Hauch von Wohlgeruch hinterließ. Aufgrund ihres Rufes der Heiligkeit wurde sie schon bald, am 12. Februar 1668, von Papst Klemens IX. selig- und am 12. April 1671 von Klemens X. heiliggesprochen, nachdem er sie zur Schutzpatronin der gesamten Kirche Amerikas ernannt hatte. 3. Das Gedenken an die Heilige von Lima bei diesen Jubiläumsfeierlichkeiten erfolgt, so will es die Vorsehung, während sich das Volk von Peru mit der gesamten lateinamerikanischen Kirche auf die 400-Jahr-Feier seiner Evangelisierung vorbereitet. Es ist ein günstiger Augenblick für eine neue und tiefreichende Aussaat des Gotteswortes, die uns dazu anspornt, neue Früchte der Heiligkeit und des christlichen Lebens hervorzubringen. Ich selber erinnerte in meiner Ansprache an die peruanischen Bischöfe an diese Verpflichtung: „Eine neue Evangelisierung in unseren Tagen wird den Söhnen und Jochtern Perus dieses Streben nach der Heiligkeit vermitteln müssen. So werden sie die bedrohenden Versuchungen des Materialismus überwinden können... Diese neue Evangelisierung wird jene christlichen Werte, die sich dem Glauben des Volkes eingeprägt haben, wiederentdecken und stärken müssen; damit sie Antwort sein können auf die neuen Situationen und Erfordernisse unserer Zeit; damit sie das Evangelium zur bewegenden Kraft für die Hilfe am ärmsten Bruder machen, der in seiner Menschenwürde und als zur Begegnung mit Gott berufenes Geschöpf betrachtet wird“ (An die Peruanische Bischofskonferenz, Lima, 2. Februar 1985, Nr. 2: OR, dt., 15.2.1985,13). 1266 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN In Rosa von Lima sind die für die Durchführung dieser neuen Evangelisierung — die von uns eine tiefgreifende Umwandlung verlangt — erforderlichen Elemente in vollkommener Ausgewogenheit vorhanden: ein echter Glaube, in dessen Mittelpunkt die grundlegenden Geheimnisse des Christentums stehen und der mit glühender Liebe und bedingungsloser Hingabe an Jesus Christus gelebt wird. Als Frucht dieser Erfahrung entsteht in ihr der Wunsch, zu evange-lisieren, auf Straßen und Plätzen die Forderungen des Evangeliums und die Würde der Menschen zu verkünden, die durch die Gnade zu Kindern Gottes berufen sind. Als Siegel der Echtheit und des lebendigen Ausdrucks ihres Glaubens fordert uns Rosa von Lima mit ihrer Großherzigkeit im Dienst an den Ärmsten und Bedürftigsten heraus. 4. Daher zögere ich nicht, sie anläßlich dieser 400-Jahr-Feier ihres Geburtstages der Kirche Perus und Lateinamerikas als Beispiel der Treue zu Christus, der vollkommenen Verbundenheit mit dem Glauben der Kirche, des apostolischen Eifers, allen die Frohbotschaft zu verkünden, des Dienstes in der brüderlichen Liebe, vorzustellen, wobei sie sich ganz mit den Werten ihres Volkes, seiner Geschichte und seiner Kultur identifizierte. In ihr kann die Jugend einem Vorbild evangelischer Hochherzigkeit begegnen; ihr möchte ich in Erinnerung rufen, was ich ihnen bei jener unvergeßlichen Begegnung in der Pferderennbahn von Monterrico gesagt habe: „Setzt nach dem Vorbild der jugendlichen heiligen Rosa von Lima eure Kräfte ein, um ein Peru aufzubauen, wo die Heiligkeit leuchtet, wo die Seligpreisungen des Gottesreiches Gestalt annehmen“ (An die Jugend, Lima, 2. Februar 1985: OR, dt., 22.5.1985,7). Das Gedenken an Rosa von Lima ist für alle Peruaner eine stete Einladung, aus eben den Quellen eurer Kulturtradition zu schöpfen, aus der Weisheit eurer Ahnen, aus dem liebenswürdigen Wesen eures Charakters und vor allem aus dem unermeßlichen Erbe eurer Volksfrömmigkeit, die sich auf die grundlegenden Geheimnisse des christlichen Glaubens stützt und zur Solidarität, zur Vergebung und zu friedlichem Zusammenleben bereit ist. 5. Ich ermutige euch, von eurer Vergangenheit aus die Gegenwart eurer Geschichte und eine bessere Zukunft ins Auge zu fassen, die eine ständige Sehnsucht eures Volkes ist. Ich weiß, daß ihr arbeitet und euch um eine Zukunft bemüht, deren Baumeister ihr selbst, in Zusammenarbeit mit euren Schwesternationen, sein wollt. Ich bete zu Gott besonders darum, daß er euch helfen möge, einen Dialog zu fordern, der der brüderlichen Aussöhnung dient und die in manchen Gegenden eurer Heimat noch immer vorhandene Gewalt beseitigt. Auf diese Weise werdet ihr gemeinsam an dem Auftrag zu Befreiung und Soli- 1267 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN darität arbeiten können, der aus dem Glauben und aus der christlichen Liebe erwächst und Frucht und Siegel einer ganzheitlichen Evangelisierung der Menschen und der Strukturen der Gesellschaft ist. All diese Wünsche vertraue ich der Fürbitte eurer Schutzheiligen an, die die Mutter des Erlösers so sehr liebte. Wegen ihrer kindlichen Liebe zur Jungfrau und wegen ihres Verlangens, ihre Tugenden nachzuahmen, wollte sie Rosa von der Heiligen Maria genannt werden. Die Selige Jungfrau, die in eurem Volk so gegenwärtig ist, begleite euch auf eurem Weg, so wie sie Rosa von Lima in ihrer Treue zum Herrn begleitet hat. Während ich reiche göttliche Gnaden auf alle und auf jeden einzelnen von euch, geliebte Söhne und Töchter Perus, herabrufe, erteile ich euch von Herzen meinen Apostolischen Segen. Vatikan, am 23. April 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. „Man kann Christus nicht töten!“ Die Ansprache an eine Gruppe albanischer Flüchtlinge am 27. April Diese unsere Begegnung — die erste, die hier in Rom mit einer albanischen Gemeinde stattfindet — bewegt mich tief. Es handelt sich nicht um eine innere Bewegung aus einem bestimmten Anlaß, es handelt sich um eine sozusagen ständige innere Bewegung. Täglich versuche ich, vor allem während des eu-charistischen Opfers, das Martyrium eures Volkes, eurer Gläubigen, unserer albanischen Brüder und Schwestern, zu leben, und ich bete jeden Tag für euer Vaterland, für alle Gläubigen der verschiedenen Religionen und für die Kirche in Albanien, die nach außen hin untergegangen ist. Aber wir wissen wohl, daß die Kirche in den Herzen nicht untergehen kann, denn sie ist vom Heiligen Geist, vom Wort Christi, von der Person Christi selbst, die in seinen Gläubigen weiterlebt, erbaut. Ich glaube ganz tief mit euch, daß Christus so wie er in uns hier in Rom, in eurer römischen albanischen Gemeinde lebt, auch in unseren gemarterten Brüdern und Schwestern eures Vaterlandes lebt. Er lebt, die Kirche lebt. Man kann Christus nicht töten! Ja, sie haben ihn getötet; sie haben ihn gekreuzigt; er ist am Kreuz gestorben. Aber er ist auferstanden. Man kann Christus nicht töten! Und ebensowenig kann man die Kirche töten. Man kann den Menschen in der 1268 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kraft seines lebendigen Glaubens, des Glaubens an Christus, nicht töten. Das ist unsere Hoffnung. Wir begegnen uns in diesem Glauben und in dieser Hoffnung. Euer Landsmann, P. Daniele Cjecaj, bezog sich auf den Abschnitt des Evangeliums, in dem berichtet wird, daß Christus im Boot des Petrus, das sich auf stürmischer See befand, zu schlafen schien. Aber wir wissen wohl, daß er sich im entscheidenden Augenblick erhob und dem Wind und den Wellen gebot, und es trat Stille ein, der Frieden kehrte in die Umwelt zurück, die sich zuvor so gefährlich gezeigt hatte. Wir müssen zu Christus rufen, wie die Apostel zu ihm riefen. Wir müssen gemeinsam rufen. Ich tue es vor der Welt, denn die Welt muß dieses Leiden verstehen, muß diese Ungerechtigkeit verstehen. Es kann keine größere Ungerechtigkeit geben als die, die den Menschen auf Grund seines Glaubens an Christus tötet! Der Mensch besitzt Rechte, unantastbare Grundrechte. Diese Rechte werden in der Welt geachtet. Wenn sie nicht geachtet werden, heißt das, daß die Welt nicht mehr menschlich ist. Es ist eine menschenfeindliche Welt. Wenn man Gott im Leben des Menschen zerstört, zerstört man den Menschen. Dann kann man nicht mehr von einer menschlichen Welt sprechen. Meine Worte sind improvisiert, aber meine innere Bewegung ist viel tiefer, denn ich empfinde und teile im tiefsten Innern dieses so überaus große Leiden unserer albanischen Brüder und Schwestern, die nicht einmal ein Minimum an religiöser Freiheit besitzen, die hingegen alle internationalen Dokumente als Grundrecht bestätigen. Vereinen wir uns im Gebet für die Gläubigen eures Vaterlandes, für die Gläubigen aller verschiedenen Religionen, für die christlichen und katholischen Gläubigen. Mit unserem Gebet wollen wir ihnen geistliche Hilfe und Trost bringen. Dieser geistliche Trost kann überall eindringen, und keine menschliche Macht wird ihn je zerstören können! 1269 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Neuanfang für euer religiöses Leben“ Ansprache bei der Audienz für die Teilnehmer der Fatima-Pilgerfahrt katholischer Verlage in Deutschland am 3. Mai Liebe Brüder und Schwestern! Es war euer besonderer Wunsch, nach eurer Pilgerreise zur Gottesmutter in Fatima auch dem Nachfolger Petri einen kurzen Besuch abzustatten. Ich heiße euch dazu aufrichtig willkommen und grüße euch alle sehr herzlich. Euer heutiger Besuch weckt in mir selbst liebe Erinnerungen an meine eigene Pilgerreise nach Fatima im Jahre. 1982 und ebenso an den nachfolgenden Besuch der Fatima-Madonna hier im Vatikan im Jahre 1984. Wallfahrtsorte, Heiligenstatuen, Pilgerreisen sind für uns Mittel und Wege, die uns die Kirche und die Volksfrömmigkeit anbieten, um mit deren Hilfe unser persönliches geistliches Leben, unser Gebet und unsere Verbundenheit mit Gott und den Heiligen zu vertiefen und für unser christliches Zeugnis im Alltag fruchtbar zu machen. Fatima ist darüber hinaus — wie einige andere große Marienheiligtümer — noch geheiligt durch die Erscheinungen der Gottesmutter, die dadurch selbst diesen Ort zu ihrem Heiligtum erwählt hat. Sie ist hier den Anliegen und Nöten der Menschen in einer besonderen Weise nahe und tritt mit ihrer mächtigen Fürsprache vor Gottes Thron für alle diejenigen ein, die sich durch den Besuch dieses Gnadenortes gläubig und vertrauensvoll an sie wenden. Zugleich richtet Maria hier an alle Pilger ihre „Botschaft“, eine eindringliche Einladung zu Buße und Umkehr und zum inständigen Gebet für die Bekehrung der Sünder und der Welt, die heute mehr denn je des Erbarmens Gottes und seiner Vergebung bedürfen. Ihr kommt gerade von Fatima und habt dort gewiß in diesem Anliegen der Mutter des Herrn gebetet. Laßt dies nicht nur ein vorübergehendes Ereignis bleiben, das mit eurer Rückkehr in die Heimat abgeschlossen ist. Nehmt vielmehr diese Pilgerreise als einen Neuanfang für euer religiöses Leben. Setzt persönlich und auch in euren Familien und Gemeinden fort, was ihr in Fatima neu begonnen habt. Pflegt weiter das innige Gebet zur Gottesmutter um die Gnade der Buße und Umkehr für euch und für alle Menschen und Völker. Tut dies vor allem jetzt, im Monat Mai, der ja in besonderer Weise der Verehrung der Gottesmutter geweiht ist. Übt und fördert gerade auch die bewährten volkstümlichen Formen der Marienfrömmigkeit: die Maiandacht, das Rosenkranzgebet und den täglichen „Engel des Herrn“. Christus selbst hat am Kreuz auf Golgota seine Mutter uns zur Mutter gegeben und uns als seine Brüder und Schwestern ihrer mütterlichen Sorge anvertraut: 1270 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter!“ (Joh 19,26 f.). Je enger und lebendiger unsere Beziehung zu Maria ist, um so mehr wird sie uns in die Nachfolge ihres Sohnes einführen. Ihr Aufruf zu Buße und Umkehr meint unsere Heiligung in Jesus Christus. Es ist ihre mütterliche Einladung zur lebendigen Teilnahme am Geheimnis des Todes und der Auferstehung ihres Sohnes, unseres Erlösers. Deshalb gelten auch uns ihre Worte auf der Hochzeit zu Kana: „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5). Möge euch der Schutz und Beistand der Gottesmutter wohlbehalten wieder in eure Heimat zurückgeleiten. Sie schenke euch durch diese Pilgerreise neuen Mut und Kraft, euch in den vielfältigen Aufgaben und Verpflichtungen des Alltags in Familie und Beruf als wahre Jünger Jesu Christi zu bekennen und zu bewähren. Was er euch sagt, das tut — mit der Hilfe seiner heiligen Mutter, die auch unsere Mutter ist. Das erbitte ich euch und euren Familien mit meinem besonderen apostolischen Segen. — Gelobt sei Jesus Christus. Gemeinde bedeutet Gemeinsamkeit Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Kongresses der „neuen Pfarreien“ der Fokolar-Bewegung am 3.Mai Liebe Brüder und Schwestern! 1. Euch allen gilt mein herzlicher Gruß. Ihr seid aus allen Teilen der Welt hierhergekommen, um den 1. Internationalen Kongreß der „neuen Pfarreien“ zu veranstalten.'Seid willkommen! Ich freue mich, bei euch zu sein. In euch grüße ich die gesamte Fokolar-Bewegung, von der die eure ein Zweig ist, und bringe meine Wertschätzung für das Engagement zum Ausdruck, das sie bei dem Bemühen beseelt, immer stärker evangelische Triebkraft in der heutigen Gesellschaft zu sein. Ganz besonders denke ich an Frl. Chiara Lubich, die Gründerin und Vorsitzende dieser vielgestalteten Bewegung mit dem Namen „Opus Mariae“ (Werk Mariens), sowie an alle, die in ihr an der Verbreitung der Liebe Christi in der Welt mitwirken. Das Thema, über das ihr in diesen Tagen nachdenkt, ist für das pastorale Leben der Kirche sehr wichtig. Ihr fragt euch nach den Bedingungen, die für den Aufbau einer Pfarrgemeinde notwendig sind. Eure Untersuchung setzt natürlich voraus, daß ihr von der Gültigkeit, die dieser uralte Ausdruck des kirchlichen Lebens noch immer besitzt, überzeugt seid. Es fehlte jedoch in den letzten Jahren nicht an Leuten, die die Aktualität der Pfarrei in Frage gestellt haben. Man 1271 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN fragte sich, ob sie der komplexen und mehrzentrischen Wirklichkeit moderner Städte überhaupt noch gewachsen sei, um auf die Herausforderung einer Welt mit immer größeren Unterschieden antworten zu können. Insbesondere wird bezweifelt, daß sie noch über genügend Mittel, über genügend Lebenskraft verfüge, um die Frohbotschaft auf überzeugende Weise gegenwärtig zu machen, um die Kinder, die Jugendlichen, die alten Menschen auf ihren Lebenswegen zu erreichen, um an den Menschen, der zu seiner Verwirklichung gelangt ist, ebenso heranzukommen, wie an den gescheiterten, den, der am Rande der Gesellschaft lebt, den Enttäuschten, den Gleichgültigen. 2. Es ist eine gewaltige Aufgabe, die sich die Kirche in der heutigen Zeit stellt, und ihre Lösung kann gewiß nicht allein Sache der Pfarrei sein. Doch auch heute kann die Pfarrei eine neue und große Zeit erleben. Der moderne Mensch, der sich häufig verloren vorkommt und sich nicht mehr zurechtfindet, sucht die Gemeinsamkeit. Er hat nicht selten erleben müssen, wie sein sozialer Lebensrahmen in die Brüche ging oder entmenschlicht wurde, und so sehnt er sich nach einer Erfahrung echter Begegnung und wahrer Gemeinschaft. Ist nun nicht gerade das die Berufung der Pfarrei, „das Haus der Pfarrfamilie zu sein, brüderlich und gastfreundlich“ (Catechesi tradendae, Nr. 67), eine vom Geist der Einheit beseelte Gemeinschaft, die Familie Gottes an einem konkreten Ort (vgl. LG 28)? Die Pfarrei ist nicht in erster Linie eine Struktur, ein Territorium, ein Gebäude. Die Pfarrei ist zuerst und vor allem eine Gemeinschaft von Gläubigen. So definiert sie denn auch der neue Codex des kanonischen Rechts (can. 515,1). Genau das ist die Aufgabe der Pfarrei heute: eine Gemeinschaft zu sein, als Gemeinschaft wiederentdeckt zu werden. Christ ist man nicht für sich allein. Christsein heißt, glauben und den eigenen Glauben zusammen mit den anderen leben, Kirche sein, Gemeinde. 3. Aber wie entsteht eine Gemeinde? Ihr wißt es: eine Gemeinde ist nicht eine Wirklichkeit, die man einfach organisieren kann. Gemeinde bedeutet Gemeinsamkeit. Damit die Gemeinde entsteht, genügt der Priester nicht, auch wenn er als Vertreter des Bischofs eine wesentliche Rolle spielt. Es bedarf des Einsatzes aller Pfarrangehörigen, deren Beitrag lebensnotwendig ist. Das Zweite Vatikanische Konzil hat das mit Nachdruck unterstrichen (LG 32 f.;AA 2 f.; PO 2). Ich bin daher zufrieden, euch so engagiert und des Rufes bewußt zu sehen, den der Herr an euch richtet, nämlich zusammen mit euren Priestern zu Baumeistern echter Gemeinden zu werden. Das ist sicher kein leichtes Unterfangen. Es handelt sich nicht um eine bloß menschliche Gemeinschaft. Die christliche Gemeinde ist eine menschlich- 1272 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN göttliche Wirklichkeit. Unsere Frage nach dem Entstehen einer Gemeinde findet daher eine präzise und wunderbare Antwort: sie entsteht nicht vor allem aus unseren Anstrengungen. Christus selbst ist es, der sie ins Leben ruft. Die Verkündigung der Frohbotschaft versammelt die Gläubigen (vgl. LG 26; PO 4). Der Ursprung und Anfang der Kirchengemeinde ist das Wort Gottes, das verkündet, gehört, über das nachgedacht und das dann mit den tausenderlei Situationen des Alltags in Verbindung gebracht wird, um schließlich „die ewige Wahrheit des Evangeliums auf die konkreten Lebensverhältnisse anzuwenden“ (PO 4). Denn es genügt nicht, das Wort zu hören, es genügt nicht, es zu verkündigen, man muß es leben. Ich weiß, daß ihr euch in euren Pfarrgemeinden in kleinen Gruppen versammelt, in denen ihr das Wort Gottes auch durch den Austausch gelebter Erfahrungen vertieft. Das gibt euch Gelegenheit, die Gemeinschaftsdimension der Frohbotschaft zu entdecken. Nun denn, stellt diese Erfahrung in den Dienst eurer Brüder und Schwestern! Werdet Baumeister von Gemeinden, in denen nach dem Beispiel der Urgemeinde das Wort Gottes lebendig und am Werk ist (vgl. Apg 6,7; 12,24). 4. Die christliche Gemeinde entsteht also aus dem Wort Gottes, ihr Mittelund Höhepunkt aber ist die Feier der Eucharistie (vgl. CD 30). Durch die Eucharistie verankert sie ihre Wurzeln im Geheimnis des österlichen Christus und durch ihn in der Gemeinschaft der drei göttlichen Personen. Das ist der tiefe Lebensgrund einer christlichen Gemeinde! Das ist die Bedeutung der liturgischen Feiern; sie nehmen uns hinein in die Herzmitte des Lebens Gottes; in ihnen begegnen wir dem Christus, der — gestorben und auferstanden — unter uns lebt. Aber das, was wir feiern, soll unserem Leben Gestalt geben. Die Eucharistie offenbart uns den Sinn unserer Mühen, all der Schwierigkeiten, denen wir auf unserem Weg begegnen, den Sinn allen Schmerzes. Vereint mit dem Opfer Christi, kann das alles Opfergabe an Gott und Quelle des Lebens werden. Nichts kann den Weg einer Gemeinde aufhalten, die gelernt hat, ihr Leben als ein ständiges Ostern zu leben: als ein Sterben und Auferstehen mit Christus (vgl. Röm 6,4-8). Ist das nicht einer der Angelpunkte der Spiritualität, zu der euch die Fokolar-Bewegung anhält: die Liebe zum gekreuzigten und verlassenen Jesus? Euer Einsatz gründet sich daher nicht auf rein menschliche Motivationen, auf ein Gefühl vorübergehender Begeisterung. In ihm, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, findet ihr die lebenspendende Wurzel eurer Gemeinden und zugleich den Weg, um sie noch mehr zum Aufblühen zu bringen. In ihm findet ihr die Möglichkeit, das Priestertum eurer Taufe zu verwirklichen. 1273 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 5. Die christliche Gemeinde entsteht also aus dem Wort und verankert ihre Wurzeln im Ostergeheimnis. Aber es gibt noch ein drittes Element, das zur Gemeinde gehört: die durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossene Liebe (vgl. Rom 5,5). In der Tat, was wäre eine Gemeinde ohne die Liebe? Was wäre sie, wenn sie nicht das verwirklichte, was das Konzil das „Gesetz“ des neuen Gottesvolkes genannt hat: das Gebot, einander zu lieben, wie Christus uns geliebt hat (vgl. LG 9)? Was wäre die Gemeinde ohne die volle Gemeinschaft mit ihrem Bischof, mit der Universalkirche? Diese Liebe muß aber Sichtbarwerden. Sie muß sämtliche Aspekte des Lebens der Gemeinde durchdringen und ordnen. Die geistliche Gemeinschaft muß zur Gemeinsamkeit im ganzen menschlichen Bereich werden, sie muß eine wahrhaft christliche Gemeinschaftlichkeit hervorbringen. Es ist wichtig, wie ich bereits bei einer anderen Gelegenheit unterstrichen habe, „daß die Pfarrei immer mehr zu einem Zentrum menschlicher und christlicher Vereinigung werde, das heißt eine im Völlsinn gemeinschaftstiftende Dimension verwirkliche“ (Ansprache beim römischen Pfarrbesuch am 24.1.1982). Unsere Gemeinden sind aufgerufen, eine Vorwegnahme der Gesellschaft im Zeichen der Liebe zu sein. Das bedeutet, daß sie — nach dem Vorbild der ersten christlichen Gemeinden — soziale und gesellschaftliche Strukturen verwirklichen sollen, die im Zeichen der Brüderlichkeit entworfen wurden, einen Stil von Beziehungen, die vom Geist des Friedens und der gegenseitigen Hingabe geprägt sind, eine Solidarität, die heilend auf den Sozialkörper wirkt, ein gemeinschaftliches geistliches Leben, das imstande ist, die Gottesliebe und die Liebe zum Nächsten miteinander zu verbinden. Ich weiß, daß ihr euch bei dieser Tagung über alle diese Aspekte Gedanken macht. Sie sind notwendig für die Reife der Gemeinde und für die Wirksamkeit ihres Zeugnisses. Die heutige Welt, die Gott oft fernsteht, achtet mehr auf Taten als auf Worte. Aber Christus selbst weist euch diesen Weg: „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt“ (Joh 13,35). Die Pfarrgemeinde ist ein bevorzugter Ort für ein solches Zeugnis, das in unserer Zeit das Wunder der ersten Gemeinden wiederholt, das Wunder eines neuen Lebens nicht nur in geistiger, sondern auch in sozialer und geschichtlicher Hinsicht. 6. Eure Spiritualität konzentriert sich auf die Einheit. Mit eurem Leben und eurem Einsatz wollt ihr dazu beitragen, daß das Testament Jesu verwirklicht wird: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast“ (Joh 17,21). Mit diesen Worten hat uns der Herr Jesus — wie es das Zweite Vatikanische Konzil ausgedrückt hat — „eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der 1274 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Einheit der göttlichen Personen und der Einheit der Kinder Gottes in der Wahrheit und der Liebe nahegelegt“ (GS 24). Das ist das letzte Vorbild für jede Beziehung, für jedes menschliche Zusammenleben: die Dreieinigkeit! Aus diesem erhabenen Vorbild ergeben sich auch für die Pfarrgemeinde unzählige Folgerungen. Denn die herrliche Berufung der Kirchengemeinde ist es ja, sich zu bemühen, daß sie gewissermaßen zu einer Ikone der Heiligsten Dreifaltigkeit wird, „indem sie alle menschlichen Unterschiedlichkeiten zusammenschließt“ (AA 10) zur Einheit zwischen Alten und Jungen, Frauen und Männern, Intellektuellen und Arbeitern, Reichen und Armen. Wenn eure Pfarreien nach diesem Vorbild in Liebe verbunden sind, werden sie an jenen, die sie Christus näherbringen wollen, eine wirksame Tätigkeit entfalten können. 7. Ich wünsche von Herzen, liebe Brüder und Schwestern, daß ihr in eurem Einsatz fortfahren könnt. Wenn ihr euch bemüht, euch die eurer Bewegung eigene „besondere Ausprägung des geistlichen Lebens getreu anzueignen“ — wozu euch das Konzil auffordert (AA 4) —, und zugleich euren Priestern und Bischöfen eng verbunden bleibt, werdet ihr als echter Sauerteig in euren Pfarreien wirken können; ihr werdet ihnen helfen können, ihre gemeinschaftliche Berufung zu entdecken und immer mehr zu entfalten. Laßt euch nicht von den Schwierigkeiten entmutigen! Seid ein Band der Einheit zwischen allen Mitgliedern, Gruppen, Bewegungen und Vereinigungen eurer Gemeinden! Maria, die Mutter der Kirche, begleitet euren Weg und euer Tun. Niemand kann so wie sie, die der Welt Jesus geschenkt hat, euch helfen, dahin zu wirken, daß sich in euren Pfarreien das Antlitz Christi widerspiegelt. Wenn das der Fall ist, werden sie ihre herrliche Berufung immer mehr verwirklichen: Christus unter den Menschen gegenwärtig zu machen (vgl. Johannes Paul II., Ansprache vom 18.2.1979). Dazu erteile ich euch meinen Apostolischen Segen! 1275 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Von der Fähigkeit „zu sehen “ Ansprache bei der Audienz für die Teilnehmer am 25. Weltkongreß für Augenheilkunde am 5. Mai Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1. Ihr Wunsch nach einer Begegnung mit dem Papst zu Beginn des 25. Weltkongresses für Augenheilkunde berührt mich sehr und schenkt mir die Freude, mit so vielen Gelehrten, Ärzten und Technikern der Medizin zusammenzutreffen, die in der ganzen Welt für die Gesundheit des Menschen arbeiten, genauer für die Erhaltung der wunderbaren Sehfähigkeit, die der Schöpfer ihm geschenkt hat. Ich danke Ihrem Präsidenten sehr für seine Worte und seine hochherzige Geste der Huldigung. Ihr Kongreß ist um so wichtiger, als man vor widersprüchlichen Gegebenheiten steht. Auf der einen Seite bestehen in diesem Bereich weiterhin immense Bedürfnisse; man spricht von vierzig Millionen Blinden, und diese Zahl droht in den kommenden Jahren noch beachtlich anzusteigen, wenn man nicht in bestimmten Ländern, wo sich die Augenkrankheiten als besonders gefährlich erweisen, gezielte und konzertierte Aktionen dagegen unternimmt. Andererseits hat man dennoch den Eindruck, über neue Möglichkeiten für ein wirksames Vorgehen zu verfügen, und das Ziel Ihrer Tagung ist ja der fruchtbare Gedankenaustausch über Entdeckungen und über die Erfahrungen, die Sie gemacht haben, an denen Sie mitwirken oder die Sie aus eigener Anschauung kennen, um die Erstellung gemeinsamer Interventionsprogramme zu fördern. Zugleich wollen Sie Ihre Bereitschaft und Ihr Engagement zur Zusammenarbeit mit denjenigen bekunden, denen die Verantwortung für das Gemeinwohl obliegt und die größere Handlungsmöglichkeiten bereitstellen können, um die Ursachen des Leidens für den Menschen zu vermindern. Aus all diesen Gründen will ich gern, wie meine Vorgänger Pius XII. und Paul VI., der Arbeit der Augenärzte meine herzliche Ermutigung aussprechen. 2. Ja, im Laufe der letzten Jahrzehnte hat man auf dem so heiklen und komplexen Gebiet der Medizin viele erstaunliche Fortschritte erzielt. Die neuen Techniken ermöglichen bereits verhältnismäßig leicht und sicher, Probleme zu lösen, die man noch vor kurzem für unlösbar hielt. Sie begünstigen Frühdiagnosen und geeignete Behandlungen, die in dem Maße wirksam sind, als sie rechtzeitig vorgenommen werden. Im übrigen bemühen sich die laufenden wissenschaftlichen Studien um immer genauere Kenntnis dessen, was im Zellbe- 1276 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN reich und in den unendlich kleinen Molekülen vor sich geht: So soll es möglich werden, zahlreichen, heute noch unheilbaren schweren Krankheiten bereits bei ihrem Ausbruch Einhalt zu gebieten. In diesen Zusammenhang fügen sich die beiden Themen ihres Kongresses ein: die technischen Fortschritte in der Augenheilkunde und der Okularimmunologie. 3. Dieser ganze Fortschritt der Wissenschaft und der Medizin auf Ihrem Spezialgebiet ist Quelle einer lebhaften Befriedigung und eröffnet große Hoffnungen, da er ja in dem Willen Ausdruck findet, den Menschen einen echten und sehr wohltuenden Dienst zu leisten. Tatsächlich ist — das muß unterstrichen werden — das Geschenk des Sehvermögens für den Menschen eines der kostbarsten Güter. Es ermöglicht ihm, die Schönheiten der Natur direkt zu betrachten und mit den Menschen in Verbindung zu treten, deren Seele sich auf dem Gesicht und im Blick widerspiegelt. Es erleichtert ihm durch das Lesen die Teilhabe an der Kultur, die großenteils in Büchern und Schriften aller Art sowie in den immer weiter verbreiteten audiovisuellen Medien zum Ausdruck kommt. Es liefert der persönlichen Autonomie des einzelnen einen weiten Raum und begünstigt die normale Eingliederung in das Leben der Familie, des Berufs und der Gesellschaft. Wie in den anderen Bereichen der Gesundheit sind sich die Gesunden, die keine Probleme mit dem Sehvermögen haben, vielleicht nicht genügend klar über dieses außerordentliche Geschenk. Anderseits begreift man das Leid derer, die an einem so wichtigen Organ verletzt oder gefährdet sind; ihr Verlangen nach Heilung, nach Schutz; die Hoffnung, mit der sie sich an diejenigen wenden, die ihnen eine Hilfe, eine Linderung verschaffen können; die Freude und Dankbarkeit, mit der sie die Wohltaten empfangen, die die Wissenschaft und Ihre Kunst ihnen zu bieten vermögen. Und Sie verstehen besser als andere dieses drängende Fragen derer, die eine Verminderung oder gar den Verlust ihrer Sehfähigkeit befürchten müssen, oder die bereits daran leiden. Sie sind aufgefordert, ihre Angst und ihre Hoffnungen zu teilen. Diese Situation bringt Sie in die Nähe dessen, was Christus auf den Straßen Palästinas gesehen und gehört hat, wo es Blinde in großer Zahl gab. Wie oft hat er ihr von Zuversicht erfülltes Rufen vernommen, wie das von dem Blinden in Jericho: „Herr, ich möchte wieder sehen können!“ (Lk 18,41). Und angesichts dieser Verzweiflung blieb Jesus stehen und schenkte alsbald die Heilung, wozu Gott der Vater ihm als seinem eingeborenen Sohn die Macht gab. Jesus hat die Menschen aufgefordert, so wie er, vor der Not und Verzweiflung ihrer Nächsten innezuhalten oder vielmehr zu ihrem aufmerksamen und tätigen Nächsten zu werden. Das ist der ganze Sinn des Gleichnisses vom barm- 1277 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN herzigen Samariter; denn im Unterschied zum Priester und zum Leviten sieht er den Mann, der verletzt, allein, verlassen am Wegrand liegt (vgl. Lk 10,30-37); ohne ihn zu kennen, ohne etwas anderes von ihm zu wissen, als daß es sich um einen Mann handelt, der Hilfe braucht, versorgt er ihn mit all den bescheidenen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, und ermöglicht ihm so die Wiederaufnahme eines normalen Lebens. Und am Tag des Gerichts wird Christus diejenigen als seine Jünger anerkennen, die ihre notleidenden, besonders ihre kranken Brüder aufgenommen und ihnen geholfen haben (vgl. Mt 24,36). Das heißt, Christus, und in der Nachfolge Christi die Kirche, betrachten voll Anerkennung und Ermutigung alles, was Sie tun, um die Not derer, die schlecht sehen, zu beheben. Dank dem Erfindungsgeist, den Gott dem Menschen geschenkt hat, um die Natur und im besonderen den menschlichen Leib in seiner äußerst komplexen Struktur und seinem feinen Gleichgewicht zu erkennen, dank auch der Solidarität, die die Gelehrten bei der gemeinsamen Auswertung der Entdeckungen miteinander verbindet, haben Sie wunderbare Möglichkeiten in Händen, die dem Plan der Liebe Gottes für seine Schöpfung entsprechen. Ihre Arbeit ist von Gott gesegnet. Und die Menschheit ist Ihnen dafür dankbar. In diesem Sinne brachte Pius XII. den Teilnehmern am 36. italienischen Kongreß für Augenheilkunde am 30. September 1947 seine tiefempfundene Dankbarkeit zum Ausdruck: „Sie sind bemerkenswerte Wohltäter der Menschheit“. 4. Wissenschaft und Glaube widersprechen sich nicht; darauf brauche ich vor Ihnen wohl nicht eigens hinzuweisen. Das haben das Zweite Vatikanische Konzil in der Konstitution Gaudium et spes und das Lehramt wiederholt bestätigt. Die Erfahrung von Gelehrten und Glaubenden — und ich würde sogar sagen von glaubenden Gelehrten — macht das in unserer modernen Welt alle Tage offenbar. Die Wissenschaft und der Glaube stehen, jede mit ihrer eigenen Zielsetzung und ihren besonderen Methoden, im Dienst des Menschen. Sie haben sein Wohl im Sinn. Ich befasse mich mehr mit der Notwendigkeit, in der sich die Medizin heute befindet, nämlich auf den Menschen, auf die menschliche Person, konzentriert zu bleiben. In der Tat gilt es, zwei Klippen zu umgehen. Einerseits mußte die Medizin eine immer stärkere und umfassendere Spezialisierung in Kauf nehmen; das war legitim, ja war eine Voraussetzung für ihren Fortschritt, und das gilt auch für die Augenheilkunde. Aber der Spezialist, der Facharzt, darf niemals auf eine Gesamtsicht der Person verzichten, die ein komplexes, leibliches und geistiges Ganzes ist. Andererseits läuft die heutige Organisation der ärztlichen Praxis häufig auf eine Beeinträchtigung der persönlichen Beziehung zum Patienten hinaus und wird zu einer anonymen, bürokratischen, auf Krankenschei- 1278 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nen und Krankenblättern beruhenden Versorgung. Ich hatte bereits einmal Gelegenheit, auf diese Gefahren hinzuweisen, als ich die Ärzte aufforderte, die personale Einheit des Menschen nicht zu vergessen und ihre beruflichen Dienstleistungen in immer stärkerem Maße zu humanisieren (vgl. z.H. Ansprache an die Mitglieder der Generalversammlung des Weltärztebundes, 29. Oktober 1983: DAS, 1983, 1153-1158). Die Augenärzte befinden sich auf Grund ihrer spezifischen Tätigkeit gewissermaßen in einer bevorzugten Situation, um die Gefahren besser auszuschalten und die Werte, von denen ich soeben gesprochen habe, zu bekräftigen. Denn sie wissen sehr wohl, daß das Auge so etwas wie der Spiegel der Person ist: Der Spiegel ihres Leibes, da sich im Auge eine ganze Reihe von Infektionskrankheiten äußert, die die anderen Organe und die anderen Funktionen befallen; aber auch der Spiegel ihres Geistes und ihrer Seele, denn im Auge spiegeln sich die Gedanken und die Empfindungen des Herzens wider und kommen zum Ausdruck. Ebenso verstehen sie besser als andere, gerade auch unter anthropologischem Gesichtspunkt, welche Bedeutung es in den täglichen zwischenmenschlichen Beziehungen hat, jemandem in die Augen zu schauen, dem Menschen selbst tief in die Augen blicken zu können, welche Bedeutung der innere Blick, die Entdeckung der inneren psychischen und geistigen Wirklichkeit des anderen hat und mit ihr in tiefen und respektvollen Kontakt treten zu dürfen. 5. Meine Damen und Herren, Sie gestatten mir, diese menschliche, anthropologische Betrachtung um einen Gesichtspunkt des Glaubens zu erweitern, denn die Heilung des Auges kann höchst symbolisch sein für eine tiefere Heilung. Das Evangelium berichtet von zahlreichen Fällen, wo Blinde von Jesus geheilt wurden (vgl. Mt 9,27; 12,22; 15,30; 21,24; Mk 8,22; Lk 7,21; 18,42). Aber alle Wunder, die von Jesus vollbracht wurden als Zeichen der Güte Gottes, der sich des Menschen annimmt, als Zeichen der Linderung, die Gott dem Menschen wünscht, als Zeichen des von den Propheten angekündigten messianischen Reiches, wo „die Blinden sehen“ (Mt 11,5; Lk 16,18), haben immer auch eine spirituelle Bedeutung; sie sind selbst der Beginn eines entscheidenden Fortschritts, der den ganzen Menschen erfaßt, wenn er den Glauben annimmt. Darum beschreibt der hl. Johannes so ausführlich die Heilung des Blindgeborenen, denn die physische Heilung geht dort deutlich Hand in Hand mit der geistlichen Heilung; zum Augenlicht kommt das Licht des Glaubens hinzu (vgl. Joh 9). In der Symbolik des Sehvermögens enthüllt Christus das Geheimnis vom gesamten Heil des Menschen. Die Fähigkeit „zu sehen“ betrifft nicht nur den Leib, sondern auch und vor allem den Geist. Christus hat den Pharisäern wiederholt ihre geistige Blindheit vorgeworfen; er beklagte sich darüber, daß sie 1279 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Augen haben und doch nicht sehen (vgl. Mt 13,13). Er selbst ist das wahre Licht, das die Welt erleuchtet (vgl. Joh 1,5), und er scheut sich nicht zu sagen: „Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen (Joh 8,12). Ihm Glauben schenken, an sein Wort, an seine Frohbotschaft glauben heißt, die Welt anders sehen, so wie Gott sie haben will; heißt eintreten in eine erneuerte Welt. Eine solche Zustimmung zum Glauben mag manchen Wissenschaftlern als ein schwieriger Schritt erscheinen; sie setzt nicht nur eine Anerkennung der Glaubensgründe und den guten Willen voraus, sondern auch das Einverständnis, von einem anderen das Licht zu empfangen, das wir uns selbst zu geben nicht imstande sind, sie setzt also die Gnade Gottes voraus, um die wir im Gebet bitten; das heißt, das Wirken des Heiligen Geistes und der Dienst der Kirche tragen dazu bei. Während also die Kirche das Werk Christi fortsetzt, um auf Grund ihrer Heilssendung allen in der ganzen Welt, die es empfangen wollen, das Licht des Glaubens zu vermitteln, kann man sagen, daß es den Ärzten Vorbehalten ist, das Tun Christi dadurch weiterzuführen, daß sie die Augen schützen und ihnen das Licht zurückgeben. In diesem Sinne geht die Aufgabe der Augenärzte über den rein humanitären Bereich hinaus: Sie arbeiten auf ihre Weise am Aufbau einer neuen Welt mit. Wir glauben mit Christus, daß die neue Welt, die mit den leiblichen und geistlichen Heilungen hier unten angebahnt wird, durch Gottes Gnade im Jenseits ihre volle Verwirklichung findet. Dann wird der Mensch endlich seine Befreiung und sein unverkürztes Heil finden; alles Leid wird verschwinden; man wird nicht mehr das Licht der Sonne brauchen, weil alle vom Licht Gottes erfüllt sind und ihn von Angesicht zu Angesicht schauen werden, (vgl. Offb 22,5; 1 Kor 13,12). Ja, jeder Fortschritt im Sehen entspricht dem tiefsten Wunsch des Menschen: Die wunderbare Welt der Schöpfung und schließlich den Urheber der Schöpfung zu sehen. Ich bitte Gott, den Allmächtigen, den Gott des Lichts und des Erbarmens, Sie zu erleuchten und Ihnen bei den Arbeiten Ihres Kongresses beizustehen, Ihre Forschung und Ihren täglichen Einsatz im Dienst an den Sehbehinderten erfolgreich zu machen. Er schenke Ihnen persönlich, Ihren Familien und allen, die Ihnen nahestehen, seinen Segen. 1280 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ein Dienst „in der Nähe des Petrusgrabes“ Predigt bei der Messe für die Schweizergarde in der Sixtinischen Kapelle am 6. Mai Liebe Brüder und Schwestern! Jesus kannte das Herz seiner Jünger. Als er begann, zu ihnen von seinem Abschied und seinem Hinübergang zum Vater zu sprechen, spürte er, wie ihr Herz von Trauer erfüllt war. Weil er aber wußte, daß nur die Wahrheit ihren Schmerz heilen könne, sagte er ihnen ganz deutlich: „Es ist gut für euch, daß ich fortgehe; denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand (gemeint ist der Heilige Geist) nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden“ (Joh 16,7). Erst wenn Christus seinen Lebensweg als Menschensohn ganz vollendet hat und zur Rechten Gottes als König und Herr eingesetzt ist, kann er uns aus der Fülle des dreifältigen Lebens Gottes das Geschenk des Heiligen Geistes senden. Dann ist er zwar „fortgegangen“; aber durch seinen Geist bleibt er machtvoll und lebendig gegenwärtig in seiner Kirche. So leitet und ermutigt er sie auf ihrem Weg durch die Jahrhunderte. Meine lieben Rekruten! Auch ihr seid „fortgegangen“ von euren Angehörigen, Freunden und Kollegen. Vielleicht ist dabei auch manches Herz von Trauer erfüllt worden, und der eine oder andere mag die bohrende Frage gehört haben: Zahlt sich das denn aus, dieser Dienst bei der Päpstlichen Schweizergarde im fernen Rom? Wirft dich das nicht in deinem Beruf zurück? Kommst du nicht viel zu spät zur Gründung einer Familie? Auch ich möchte euch hierzu die Wahrheit sagen, von der ich zutiefst überzeugt bin: Ja, euer Dienst wird sich auszahlen unter einer Bedingung allerdings: wenn ihr diesen Abschnitt eures Lebens gleichsam als einen neuen Ruf Gottes an euch auffaßt und alle eure Kräfte in diesen Dienst und in die Gemeinschaft eurer Kameraden einbringt. Dann werdet ihr einmal in eure Schweizer Heimat zurückkehren als Menschen, die an Leib und Seele gereift sind, deren Kenntnis von Kirche und Gesellschaft gewachsen ist, deren Liebe zur Kirche und zu ihrem obersten Hirten tiefer, realistischer und weiser geworden ist. Euer Dienst in der Schweizergarde läßt euch vielen Menschen begegnen und die ganze Vielfalt an Motiven erfahren, warum jemand den Petersplatz und den Vatikan, die Audienzhalle oder die Petersbasilika besucht: wie zum Beispiel Neugier, Kunstinteresse, religiöse Stimmung oder wahre katholische Frömmigkeit. Dabei werdet ihr selbst zu einer Stellungnahme herausgefordert, was es euch persönlich bedeutet, hier in der Nähe des Petrusgrabes Dienst zu tun und damit täglich an das Glaubenszeugnis der Apostel über Christi Kreuz 1281 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und Auferstehung erinnert zu werden. Euer Dienst gilt jetzt dem Nachfolger dieses Petrus, dem zusammen mit allen anderen Bischöfen und Gläubigen die Bezeugung Christi, unseres Erlösers, für unsere Zeit aufgetragen ist. Ihr dient keinem Zentrum der Macht im irdischen Sinne, sondern dem Zentrum der sichtbaren Einheit der Kirche, deren Garant von innen her der Heilige Geist selber ist, der Geist des auferstandenen Herrn zur Rechten Gottes des Vaters. Wenn ihr mit einem solchen vertieften Glauben, mit einer solchen gereiften Liebe zur Kirche in eure Heimat zurückkehren werdet, seid ihr in der Lage, die hier erlebten Werte auch dort, in eurer Familie, unter euren Kollegen, zu bezeugen. So kann eine neue Bindung mit „Rom“ wachsen, können Mißverständnisse über das Papstamt geklärt werden, kann das Wesentliche und Bleibende an der Kirchenstruktur besser herausgestellt werden. So könnt auch ihr einen wichtigen Beitrag zur Einheit der Kirche und zum gegenseitigen Verständnis der Christen untereinander leisten. So danke ich euch herzlich für euer Ja zum Dienst in der Päpstlichen Schweizergarde und beglückwünsche euch zugleich zu dieser Chance für eine Erweiterung eurer Bildungmnd eine Vertiefung eures Glaubens. Auch euch, liebe Eltern und Angehörige der neuen Rekruten, gilt mein aufrichtiger Dank für eure innere Zustimmung zu diesem zeitweiligen Aufenthalt eures Sohnes und Bruders an dieser zentralen Stelle der Weltkirche, wo deren Leben gewiß intensiver und vielfältiger sichtbar wird als anderswo sonst. Eine erste Frucht dieser Entscheidung ist ja bereits unsere heutige Begegnung bei dieser Eucharistiefeier. Der Herr schenke euch weitere geistige Früchte aus der heute beginnenden besonderen Verbundenheit eurer Familie mit dem Hl. Stuhl. Soziale Kommunikationsmittel und christliche Bildung der öffentlichen Meinung Botschaft zum 20. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel am 11. Mai 1986 Liebe Brüder und Schwestern! Die vor kurzem zum 20. Jahrestag des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils abgehaltene außerordentliche Bischofssynode wollte nicht nur in feierlicher Weise jenes Ereignisses gedenken, das das Leben der Kirche in diesem Jahrhundert so tiefgreifend prägen sollte, sondern sie hat vor allem seinen Geist wieder lebendig werden lassen und seine Lehren und Entscheidungen in 1282 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Erinnerung gebracht. Auf diese Weise ist die Synode eine Wiederbelebung und eine Wiederaufnahme des Zweiten Vatikanischen Konzils im Leben der Kirche gewesen. Unter den von den Konzilsweisungen angeregten Initiativen verdient zweifellos die Einrichtung des „Welttages der sozialen Kommunikationsmittel“ besonders hervorgehoben zu werden, „um das vielgestaltige Apostolatswerk der Kirche auf dem Gebiet der sozialen Kommunikationsmittel in allen Diözesen des Erdkreises wirksam zu kräftigen“ (Inter mirifica, Nr. 18). Diese Entscheidung — die deutlich macht, welche große Bedeutung die Konzilsväter den sozialen Kommunikationsmitteln beimaßen — erscheint heute noch bedeutsamer, da die Massenmedien einen ständig wachsenden Einfluß verzeichnen. Dem Wunsch des Zweiten Vatikanischen Konzils getreu, hat es die Kirche in diesen zwanzig Jahren nie versäumt, den „Welttag der sozialen Kommunikationsmittel“ zu begehen und ihn jedes Mal unter ein besonderes Thema zu stellen. In diesem Jahr soll der „Welttag“ der Betrachtung und Vertiefung des Beitrags gewidmet sein, den die sozialen Kommunikationsmittel zur christlichen Bildung der öffentlichen Meinung leisten können. Es ist nicht das erste Mal, daß sich die Kirche mit diesem Thema beschäftigt. „Das Gespräch der Kirche“ — erinnerte 1971 die Pastoralinstruktion Comm-unio et progressio — „beschränkt sich nicht auf die Gläubigen, sondern bezieht die ganze Welt ein. Die Kirche muß ihre Lehre und ihr Wirken offenkundig machen: die Menschen, an deren Schicksal sie ja teilhat, haben ein Recht darauf, und sie selbst ist dazu durch ein klares göttliches Gebot verpflichtet (vgl. Mt 28,19)“ (Nr. 122)1 Papst Paul VI. fügte seinerseits in dem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi hinzu: „In unserer Zeit, die von den Massenmedien oder sozialen Kommunikationsmitteln geprägt ist, kann bei der ersten Bekanntmachung mit dem Glauben, bei der katechetischen Unterweisung und bei der weiteren Vertiefung des Glaubens auf diese Mittel nicht verzichtet werden. In den Dienst des Evangeliums gestellt, vermögen diese Mittel den Bereich der Vernehmbarkeit des Wortes Gottes fast unbegrenzt auszuweiten; sie bringen die Frohbotschaft zu Millionen von Menschen. Die Kirche würde vor ihrem Herrn schuldig, wenn sie nicht diese machtvollen Mittel nützte, die der menschliche Verstand immer noch weiter vervollkommnet. Dank dieser Mittel verkündet die Kirche die ihr anvertraute Botschaft . In ihnen findet sie eine moderne, wirksame Form der Kanzel. Durch sie vermag sie zur Masse des Volkes zu sprechen“ (Nr. 45, in: Wort und Weisung, 1975, 567 f.). 1. Die „öffentliche Meinung“ beruht auf der gemeinsamen und kollektiven Art des Denkens und Fühlens einer mehr oder weniger umfangreichen sozialen Gruppe unter bestimmten geographischen und geschichtlich-zeitlichen Gege- 1283 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN benheiten. Sie zeigt an, was die Leute gemeinhin über ein Thema, ein Geschehen, ein Problem von einiger Bedeutung denken. Die öffentliche Meinung kommt dadurch zustande, daß viele Menschen das, was einzelne oder Gruppen von besonderem kulturellen, wissenschaftlichen oder moralischen Ansehen denken und sagen, sich zu eigen machen und es fürwahr und richtig halten. Das weist auf die schwere Verantwortung derjenigen hin, die auf Grund ihrer Kultur oder ihres Ansehens die öffentliche Meinung gestalten oder in gewissem Maße auf ihre Formung Einfluß nehmen. Die Menschen haben in der Tat ein Recht, in Übereinstimmung mit dem, was wahr und richtig ist, zu denken und zu empfinden, denn von der Art des Denkens und Fühlens hängt das sittliche Handeln ab. Dieses wird rechtschaffen sein, wenn die Denkungsart der Wahrheit entspricht. In diesem Zusammenhang muß hervorgehoben werden, daß die öffentliche Meinung großen Einfluß auf die Art des Denkens, Empfindens und Handelns aller jener Menschen hat, die — wegen ihres jugendlichen Alters oder aus Bildungsmangel — unfähig zu einem kritischen Urteil sind. So gibt es viele, die nach der öffentlichen Meinung denken und handeln, ohne sich ihrem Druck entziehen zu können. Ebenso ist hervorzuheben, daß die öffentliche Meinung starken Einfluß auf die Gestaltung der Gesetze nimmt. Es besteht in der Tat kein Zweifel daran, daß die Einführung ungerechter Gesetze in manchen Ländern, wie zum Beispiel das Gesetz über die Legalisierung der Abtreibung, dem von einer öffentlichen Meinung zugunsten dieses Gesetzes ausgeübten Druck zugeschrieben werden muß. 2. Daraus ergibt sich die Bedeutung der Bildung einer moralisch gesunden öffentlichen Meinung über die Probleme, die unmittelbar das Wohl der Menschheit in unserer Zeit betreffen. Zu diesen Gütern zählen wir die Werte des Lebens, der Familie, des Friedens, der Gerechtigkeit und der Solidarität der Völker untereinander. Es muß unbedingt eine öffentliche Meinung gebildet werden, die feinfühlig ist für den absoluten Wert des menschlichen Lebens, damit es in allen Stadien, von der Empfängnis bis zum Tod, und in allen seinen Formen, auch in den von Krankheiten und von körperlichen und geistigen Behinderungen gezeichneten, als menschliches Leben anerkannt wird. Es verbreitet sich in der Tat eine materialistische und hedonistische Denkweise, wonach das Leben nur dann lebenswert sei, wenn es gesund, jung und schön ist. Es muß eine rechte öffentliche Meinung in bezug auf die Familie gebildet werden, die helfen soll, manche Denk- und Gesinnungsformen zu überwinden, die nicht dem Plan Gottes entsprechen, der die Ehe als unauflöslich und fruchtbar festgelegt hat. Leider breitet sich eine öffentliche Meinung aus, die für das Zusammenleben unverheirateter Paare, für die Ehescheidung und für die drasti- 1284 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sehe Beschränkung der Geburtenzahl mit allen Mitteln eintritt. Sie muß eine Korrektur erfahren, weil sie das wahre Wohl der Menschheit schädigt, denn je gesünder und je stärker geeint die Familie ist, um so glücklicher wird die Menschheit sein. Sodann ist es unbedingt notwendig, eine immer stärkere öffentliche Meinung für den Frieden zu bilden und für alles, was ihn aufbaut und ihn erhält, wie die gegenseitige Achtung und Eintracht der Völker untereinander, die Ablehnung jeder Form von Rassendiskriminierung und überzogenem Nationalismus, die Anerkennung der Rechte und der berechtigten Bestrebungen der Völker, die Abrüstung: zuerst die geistige Abrüstung in den Herzen und dann die der Vernichtungswaffen, schließlich das Bemühen um friedliche Beilegung von Konflikten. Es liegt auf der Hand, daß nur eine starke öffentliche Meinung zugunsten des Friedens diejenigen aufhalten kann, die versucht sein könnten, im Krieg den Weg zur Lösung von Spannungen und Konflikten zu sehen. „Die Staatsmänner“ — heißt es in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes — „... sind sehr abhängig von der öffentlichen Meinung und Einstellung der Massen. Nichts nützt ihnen ihr Bemühen, Frieden zu stiften, wenn Gefühle der Feindschaft, Verachtung, Mißtrauen, Rassenhaß und ideologische Verhärtung die Menschen trennen und zu Gegnern machen. Darum sind vor allem eine neue Erziehung und ein neuer Geist in der öffentlichen Meinung dringend notwendig“ (Nr. 82). Schließlich bedarf es dringend der Bildung einer starken öffentlichen Meinung für die Lösung der quälenden Probleme der sozialen Gerechtigkeit, des Hungers und der Unterentwicklung. Das aber heißt, daß diese Probleme heute in ihrer erschreckenden Realität und in ihrem ganzen Ernst besser bekannt gemacht werden müssen, damit sich eine starke und umfassende öffentliche Meinung zu ihren Gunsten bilde, da nur unter deren kräftigem Druck die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen der reichen Länder sich dazu veranlaßt sehen werden, den Entwicklungsländern zu helfen. 3. Besonders dringend ist die Bildung einer gesunden öffentlichen Meinung auf sittlichem und religiösem Gebiet. Um der Verbreitung einer Einstellung Einhalt zu gebieten, die die sittliche Permissivität und religiöse Gleichgültigkeit begünstigt, muß eine öffentliche Meinung gebildet werden, die die moralischen und religiösen Werte achtet und hochschätzt, da diese den Menschen im Vollsinn „menschlich“ machen und dem Leben seinen Sinn geben: Die Gefahr des Nihilismus, also des Verlustes der im eigentlichsten Sinne menschlichen, sittlichen und religiösen Werte, liegt als ernste Bedrohung über der heutigen Menschheit. 1285 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ferner muß eine korrekte öffentliche Meinung über Wesen, Sendung und Wirken der Kirche gebildet werden, die heute von vielen als eine rein menschliche Einrichtung angesehen wird und nicht als das, was sie tatsächlich ist: eine geheimnisvolle Wirklichkeit, die Gottes Liebe in der Geschichte verkörpert und den Menschen das Wort und die Gnade Christi bringt. 4. In der heutigen Welt sind die Mittel der sozialen Kommunikation in ihrer Vielfalt und Verschiedenheit — Presse, Kino, Rundfunk, Fernsehen — die hauptsächlichen Gestalter der öffentlichen Meinung. Groß ist daher die moralische Verantwortung all derer, die sich dieser Mittel bedienen oder ihre Inspiratoren sind. Sie müssen in den Dienst des Menschen und damit der Wahrheit und des Guten, also der bedeutendsten und notwendigsten Werte des Menschen, gestellt werden. Jene, die beruflich auf dem Gebiet der sozialen Kommunikation tätig sind, müssen sich daher verpflichtet fühlen, eine öffentliche Meinung zu bilden und zu verbreiten, die der Wahrheit und dem Guten entspricht. Durch engagierten Einsatz auf diesem Gebiet müssen sich die Christen auszeichnen, wohl wissend, daß ihr Mitwirken bei der Bildung der öffentlichen Meinung zugunsten der Gerechtigkeit, des Friedens, der Brüderlichkeit, der religiösen und sittlichen Werte nicht wenig zur Verbreitung des Reiches Gottes beiträgt, das ein Reich der Gerechtigkeit, der Wahrheit und des Friedens ist. Sie können sieh durch die christliche Botschaft, die das Gute und das Heil des Menschen zum Ziel hat, anregen lassen, ihren Brüdern behilflich zu sein bei der Bildung von Meinungen, die korrekt und richtig sind, weil sie mit dem Liebes- und Heilsplan für den Menschen übereinstimmen, den Gott in Jesus Christus geoffenbart und verwirklicht hat. Denn der christliche Glaube und die Lehre der Kirche sind eben deshalb, weil sie auf Christus, den Weg, die Wahrheit und das Leben, gegründet sind, für die Menschen auf ihrem Gang durch die Geschichte Licht und Kraft. Ich schließe diese Botschaft mit einem besonderen Segen für alle, die im christlichen Geist der Bereitschaft zum Dienst an der Wahrheit und zur Förderung der sittlichen und religiösen Werte auf dem Gebiet der sozialen Kommunikation arbeiten. Ich versichere sie meines Gebetes und möchte sie bei dieser Arbeit anspornen, die Mut und Konsequenz erfordert und ein Dienst an der Wahrheit und an der Freiheit ist. Es ist ja die Wahrheit, die die Menschen frei macht (vgl. Joh 8,32). Wer für die Bildung einer öffentlichen Meinung arbeitet, die der Wahrheit entspricht, arbeitet also für eine zunehmende Freiheit. Aus dem Vatikan, am 24. Januar 1986, Fest des hl. Franz von Sales. JOHANNES PAULUS PP. II 1286 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zu viele wissen wenig oder gar nichts von Christus Ansprache an die Vollversammlung des Obersten Rates der vier Päpstlichen Missionswerke am 13. Mai Ehrwürdige Brüder im Bischofsamt! Liebe Priester, Ordensleute und Laien! 1. Ganz herzlich begrüße ich alle und jeden einzelnen von euch, die ihr an der Vollversammlung des Obersten Rates der vier Päpstlichen Missionswerke teilnehmt, besonders Herrn Kardinal Jozef Tomko und Msgr. Jose Sanchez, den Präfekten bzw. Sekretär der Kongregation für die Evangelisierung der Völker. Wie jedes Jahrseid ihr in diesen Tagen in Rom zusammengekommen, um euch den Problemen der Vermehrung der kirchlichen Jurisdiktionsbezirke und der Entwicklung der Werke in den verschiedenen Teilkirchen zu stellen wie auch die formativen Aspekte betreffend die Tätigkeit der nationalen Leiter der Päpstlichen Missionswerke und ihrer Mitarbeiter eingehend zu prüfen. Das Thema, das euren Überlegungen in diesem Jahr zugrunde lag — „Die Rolle der Priester, der Ordensmänner und Ordensfrauen in den Päpstlichen Missionswerken“ —, unterstreicht schon von sich aus den Sinn und die Tragweite eurer Arbeiten. Ich freue mich, heute bei euch zu sein, um euch für die hochherzige Mitarbeit zu danken, die von euch für die Kirchen alter Tradition wie auch für die erst in jüngster Zeit errichteten Kirchen geleistet wird, und euch zugleich zu ermutigen, mit immer neuem Engagement auf diesem Feld der Missionstätigkeit voranzuschreiten, die die Gesamtkirche in allen ihren Gliedern betrifft und deren Dringlichkeit und Bedeutsamkeit wir nie aus dem Auge verlieren dürfen. 2, Ich möchte hervorheben, daß diese Begegnung im Rahmen besonderer und sehr bedeutsamer liturgischer Ereignisse stattfindet, nämlich zwischen der Himmelfahrt des Herrn und der Herabkunft des verheißenen göttlichen Geistes auf die Erde: zwei Feste, die zusammen die unerschöpfliche Quelle der missionarischen Berufung der Kirche bilden. Mir und euch kommen da unwillkürlich die Worte Jesu, des Erlösers, in den Sinn: „Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ {Mt 28,19 f.). Das sind die letzten Worte, die der Herr gesprochen hat, ehe er sichtbar die Erde verließ, um zum Vater zurückzukehren; sie stellen in ihrer Kraft und 1287 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wirksamkeit nicht nur die Magna Charta der christlichen Dynamik dar, sondern verkörpern auch die eigene Identität der Kirche, ihre Natur als Hüterin und Wahrerin, die mit der Aufgabe betraut wurde, den Schatz der Wahrheit und der göttlichen Heilsrettung nicht wie in einem Schrein für sich verschlossen zu halten, sondern ihn zu verbreiten. Die Worte aus dem Text des hl. Matthäus stellen den Gründungsakt der Kirche als einer ihrem Wesen nach missionarischen Institution dar. Entweder sie ist missionarisch, oder sie ist keine Evangelisierung mehr. Evangelisierung ist der Auftrag, der ganzen Welt die Rettung des Menschen in Christus Jesus zu verkünden, der gestorben und auferstanden ist, um Herr der Lebenden und Toten zu sein. Und darum haben, wie sich das Zweite Vatikanische Konzil, einen Gedanken des hl. Augustinus aufgreifend, ausdrückt, „die Apostel, auf die die Kirche gegründet worden ist, den Spuren Christi folgend, “ (AG 1). Ehe sie sich aber in die Welt hinaus begaben, warteten die Apostel, die Ausgesandten, die Missionare, zusammen mit Maria, der Mutter der Kirche, auf das Kommen des Heiligen Geistes, der ihnen als göttlicher Beistand verheißen worden war, um sie an die ganze Wahrheit zu erinnern und sie diese Wahrheit unverkürzt erfahren zu lassen. Denn nur mit dem Licht und der Kraft des Heiligen Geistes vermag die Kirche die anderen Menschen zu erleuchten, „Salz der Erde und Licht der Welt“ zu sein (Mt 5,13 f.), jedes Geschöpf zu erneuern und zu retten. 3. Liebe Brüder, wir wissen, daß es die Welt heute mehr denn je nötig hat, gerettet zu werden, und die Menschen, vom Evangelium erneuert zu werden. Die erste offizielle Errichtung der Kongregation der Glaubensverbreitung erfolgte in den aufregenden Jahren der großen geographischen Entdeckungen. Der Missionstätigkeit der Kirche erschlossen sich neue Welten, und die Notwendigkeit, eine eigens dazu bestimmte Institution zu schaffen, um überall die Verbreitung des Glaubens zu erleichtern, erwies sich als immer dringender. Heute leben wir in einer anderen Zeit, die Periode der geographischen Entdeckungen ist längst abgeschlossen, ganze Kontinente im Stadium der Entwicklung sind aufgeschlossen für die evangelische Botschaft, ein junges und vielversprechendes Christentum, eine reife Ernte, die Arbeiter braucht, die imstande ist; Licht und Salz der Erde zu sein, um die Menschen zur Würde der Kinder Gottes zu erheben. Heute, 2000 Jahre nach der Gründung der Kirche, wird das Evangelium in geographischer Hinsicht der ganzen Welt verkündet. Aber im Rahmen ihres besonderen Evangelisierungsauftrags vergißt die Kirche nicht ihre Pflicht zur menschlichen Förderung, sozialen Entwicklung, Verteidigung der Menschenrechte. 1288 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Leider fehlt in dem lichtvollen Panorama weiter Regionen, die die evangelische Wahrheit erfahren oder darauf warten, christlich zu werden, nicht der krasse Kontrast der Schatten, das heißt der Regionen, die nichts vom Glauben wissen oder ihn vergessen. In unserer modernen Zeit, die so stolz darauf ist, eine Informationsgesellschaft zu sein, wissen Milliarden von Menschen, auch wenn sie sehnsüchtig nach Rettung Ausschau halten, wenig oder gar nichts vom Retter der Welt, Christus Jesus. Außerdem bestehen in der alten Welt, die jahrhundertelang in der Schule des christlichen Glaubens erzogen worden ist, so mächtige Formen des ideologischen Materialismus, daß man befürchten muß, daß ganze Gebiete in der Finsternis des Atheismus versinken. So steht neben der dringenden Notwendigkeit der Evangelisierung in anderen Ländern auch die verpflichtende Aufgabe der Re-Evangelisierung. 4. Liebe Brüder, auf diesen besonderen Bereich möchte ich eure Aufmerksamkeit und euren erneuten Einsatz lenken. Im Rahmen eures Jahresthemas werdet ihr Gelegenheit haben, die Vorteile ins Licht zu rücken, die den Priestern, den Ordensmännern und Ordensfrauen aus dem Interesse für die Missionswerke für die volle Verwirklichung ihrer Berufung erwachsen, die nicht beschränkt und eingeengt, sondern offen ist für eine weite und universale Heilssendung „bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8), da sie an der umfassenden Sendung teilnimmt, mit der Christus die Apostel betraut hat. Ihr alle, Priester und Laien, seid dazu berufen, die katholische öffentliche Meinung, in besonderer Weise die Welt der Jugend, die häufig von inhaltsleeren Perspektiven abgelenkt wird, für die Dringlichkeit und Wichtigkeit der Missionsarbeit zu sensibilisieren, die an jeden Getauften persönlich interpelliert. Es ist vor allem eure Aufgabe, die christlichen Gemeinden zu solidarischem Zusammengehen angesichts der Nöte und Leiden der Brüder in den Missionsländern zu führen. Indem ich euch ein hochherziges Wirken für die nächste Zukunft wünsche, erteile ich euch von Herzen meinen besonderen Segen. (Dann richtete der Papst an die Vertreter der einzelnen Sprachgruppen noch folgende Grußworte:) Auf spanisch Ich freue mich, an die Teilnehmer an dieser Begegnung, die aus den verschiedenen Ländern Lateinamerikas und aus Spanien kommen, einen ganz herzlichen Gruß in spanischer Sprache zu richten. 1289 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Überbringt euren Diözesen, euren Pfarreien und Gemeinden die Ermutigung des Papstes, der in den Päpstlichen Missionswerken die Seele der Missionstätigkeit der Kirche sieht. Ich segne alle von Herzen. Auf französisch Liebe Brüder und Schwestern französischer Sprache, habt herzlichen Dank, daß ihr gekommen seid, um zehn Tage lang geduldig mit den Organen der Kurie zu arbeiten, um die Mittel, die der Kirche für die Missionen zur Verfügung stehen, entsprechend den Bedürfnissen, die euch am dringendsten erscheinen, bestmöglich zu verteilen und miteinander über Probleme nachzudenken. Habt vor allem Dank, daß ihr die Sorge um die missionarische Solidarität und den leidenschaftlichen Einsatz für die Evangelisierung und Re-Evangelisierung auf der Linie des Apostolischen Schreibens Evangelii nuntiandi teilt und eure Umgebung dazu bringt, sie gleichfalls zu teilen. Möge der Geist des Herrn der Kirche einen kräftigen Impuls geben! Möge er euch mit seinen Segnungen erfüllen! Auf englisch Ganz herzliche Grüße richte ich an alle unter euch, die englisch sprechen. Ihr sollt wissen, wie dankbar ich euch für eure hochherzige Mitarbeit bei den missionarischen Bemühungen der Kirche bin. Das ist die wichtigste Aufgabe, mit der Jesus die Apostel betraute, und sie muß zu allen Zeiten für uns erste Priorität besitzen: nämlich der Welt die Frohbotschaft von der Erlösung in unserem Herrn Jesus Christus zu bringen. Er schenke euch Geduld und Ausdauer, wenn ihr fortfahrt, der Kirche auf diese Weise zu dienen. Auf deutsch ■ Einen herzlichen Willkommensgruß entbiete ich den anwesenden Teilnehmern an der Tagung über Missionsarbeit aus den deutschsprachigen Ländern. Ich danke euch aufrichtig für alle kirchliche Mitarbeit. Möge euer Bemühen um die Ausbreitung des Evangeliums stets von der schöpferischen Kraft des Heiligen Geistes getragen sein. Hierfür erbitte ich euch Gottes reichen Segen. 1290 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Beherzte Glaubenszeugen Christi“ Schreiben an Kardinal Jozef Tomko, päpstlicher Legat bei der Jubiläumsfeier für die Märtyrer in Uganda, vom 13. Mai Meinem ehrwürdigen Bruder S. E. Jozef Kardinal Tomko! Es gibt tatsächlich kaum jemanden, der einst nicht erfahren hat, welches einzige afrikanische Land mein Vorgänger unvergänglichen Angedenkens, Paul VI., während seines Pontifikats persönlich besucht hat, zu welchem Zweck er schließlich diese anstrengende Reise auf sich genommen hat, mit welcher Frömmigkeit und engagierter Beteiligung er dann jene drei unvergeßlichen Tage dort verbrachte. Das Volk von Uganda war nämlich das erste und einzige aller Völker Afrikas, das er vor nunmehr 17 Jahren mit dem frommen Geist eines Pilgers aufsuchte, um eben jene 22 ungandischen Märtyrer, die er fünf Jahre zuvor mit großer Freude zum Verzeichnis der himmlischen Heiligen hinzugefügt hatte, in dem ihnen geweihten Heiligtum zu ehren, anzurufen und zu rühmen, ja sogar um den Altar der im Bau befindlichen Kirche durch das Gebet zu weihen und zu segnen. Mit ähnlichem Empfinden wende nun auch ich mich an die geliebte Bevölkerung Ugandas und vor allem an die dortige katholische Gemeinschaft, während ich aus der Ferne der ganzen dortigen Kirche meine Glückwünsche und meine Freude übermitteln möchte, da sie demnächst feierlich die hundertste Wiederkehr des Jahres begehen wird, in dem diese Märtyrer für Christus eines ruhmreichen Todes gestorben sind. Ich freue mich daher, gleichsam wirklich und persönlich an der Ehre jener Kirche sowie an der glühenden Verehrung für diese beherzten Glaubenszeugen und Jünger Christi, die durch ihr Blut zu Baumeistern der Kirche wurden, teilzuhaben. Aber außer diesen Gefühlen, die ich in meinem Herzen für die Nation und die Kirche Ugandas, für die Märtyrer und ihre heutigen christlichen Nachfahren hege, möchte ich auch nach außen und öffentlich meine engagierte Teilnahme an der Jubiläumsfeier zu erkennen geben, die, wie ich erfahren habe, am kommenden 3. Juni in Kampala als Höhepunkt kleinerer religiöser Veranstaltungen während des ganzen Jahres feierlich begangen werden soll. Ich komme daher der Einladung des ehrwürdigen Bruders Joseph Willigere, Bischof von Jinja und gegenwärtigen Vorsitzenden der Ugandischen Bischofskonferenz, und seiner inständigen Bitte, einen Sonderlegaten zu entsenden, gerne nach, und ich gebe in vollem Vertrauen darauf zu, daß auf diese Weise die Teilnahme des 1291 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Römischen Papstes am ehesten der Würde der Sache entsprechend unter Beweis gestellt wird und zur Auszeichnung der Feierlichkeiten beiträgt. Ich finde, daß für die Erfüllung dieser Aufgabe niemand geeigneter und passender ist als Sie, ehrwürdiger Bruder, dem es obliegt, überall unter den Völkern eifrig für die Verbreitung des christlichen Namens zu sorgen, und von dem ich weiß, mit wieviel Eifer und Liebe Sie auch diese Ihnen hiermit übertragene Sendung durchführen werden. Mit diesem Schreiben ernenne und bestimme ich Sie somit zu meinem Sonderlegaten bei den Hundertjahr-Feiem zu Ehren der ugandischen Märtyrerheiligen im Juni in Kampala. Sie werden kraft öffentlicher Vollmacht dort anwesend sein und das Wort ergreifen, Sie werden den Vorsitz führen und in meinem Sinne und entsprechend dieser Ermutigung beten, durch die ich die Bedeutung und das Gewicht dieses Jubiläums der Kirche Ugandas zur Betrachtung und Nachahmung vor Augen stellen wollte. Aus dem Vatikan, am 13. Mai 1986, im 8. Jahr meines Pontifikats PAPST JOHANNES PAUL II. Beharrlich Berufungen fördern Botschaft an die Bischöfe der Vereinigten Staaten von Amerika vom 14. Mai An meine ehrwürdigen Brüder,, die Bischöfe der Vereinigten Staaten von Amerika! Aus Anlaß eures Treffens in Collegeville, Minnesota, möchte ich euch versichern, daß ich euch geistig nahe bin und eure pastorale Initiative mit meinem Gebet unterstütze. Ihr versammelt euch im Geist kollegialer Verantwortlichkeit, um über das für eure Ortskirchen lebenswichtige Thema der Berufungen nachzudenken. Eure Gedanken zur Frage der Berufungen zum Priester- und Ordensleben werden mit Betrachtungen darüber verknüpft, daß sich alle Glieder der Kirche ihrer gemeinsamen Berufung bewußt sein müssen, die Botschaft des Evangeliums zu leben und den Leib Christi aufzubauen. Es ist in der Tat angebracht, immer wieder nachdrücklich die universale Berufung des ganzen Gottesvolkes zur Heiligkeit zu betonen. Es ist wirklich passend, für alle Gläubigen beharrlich die Notwendigkeit zu betonen, sich der prä- 1292 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zisen Verantwortlichkeiten bewußt zu sein, die ihnen aus ihrer Taufe und Firmung erwachsen. In diesem Zusammenhang sagt das Zweite Vatikanische Konzil ausdrücklich, daß die Laien „vom Herrn selbst mit dem Apostolat betraut werden“ (AA 3). Eine leidenschaftliche Verwirklichung ihrer christlichen Würde ist für alle Mitglieder des Volkes Gottes ein starker Anreiz, ihre geheiligte Rolle in Gottesdienst, christlichem Leben, Evangelisierung und Förderung des. Menschen zu erfüllen. Als Hirten der Herde ist es unsere Verantwortung, alle unsere Brüder und Schwestern im Glauben zu ermutigen, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an sie erging (vgl. Eph 4,1). Unsere Aufgabe ist es, sie ihrer Teilhabe an der Verantwortung für das Evangelium unseres Herrn Jesus Christus zu versichern und sie gleichzeitig in ihrer persönlichen Mitwirkung zum Wohl der Kirche und der ganzen Gesellschaft zu ermutigen. Diese persönlichen Beiträge jedes einzelnen sind Ausdruck der reichen Vielfalt, die ein Wesensmerkmal des Leibes Christi darstellt. Eine der großen Aufgaben aller Katholiken besteht darin, jene Voraussetzungen in der Gemeinde zu fördern, die es erleichtern, auf individueller und sozialer Ebene christlich zu leben. Nur wenn die Gläubigen auf ihre persönliche christliche Berufung antworten, wird die Gemeinde in ihrer Achtung und Sorge für die christliche Ehe und für das Priester- und Ordensleben unterstützt werden. Ganz wesentlich zum Leben der christlichen Familien gehört es, den Familienmitgliedern eine Wertschätzung des Priester- und Ordenslebens in Beziehung zum ganzen Leib der Kirche einzuschärfen. Unsere gemeinsame pastorale Erfahrung bestätigt die Tatsache, daß in der Kirche heute eine besondere Notwendigkeit besteht, Priester- und Ordensberufe zu fördern. Sie bestätigt auch die Tatsache, daß hochherzige und ausdauernde Bemühungen — unternommen, um junge Leute aufzufordern, diese Berufe in Erwägung zu ziehen — belohnt wurden. Ich weiß, daß ihr bei euren Beratungen geeignete Methoden erörtern werdet, um dieses Ziel immer wirkungsvoller zu erreichen. Der gegenseitige Austausch eurer verschiedenen pastoralen Erfahrungen wird euch zweifellos bei der Planung für die Zukunft sehr helfen. Ich meinerseits möchte vor allem nachdrücklich betonen, daß die generelle Haltung gegenüber Berufungen in uns selber gepflegt und mit dem Klerus und den Gläubigen geteilt werden muß. Was das betrifft, ist es notwendig, ein tiefes Vertrauen in die Macht des Ostergeheimnisses als der ewigen Quelle von Priester- und Ordensberufen zu fördern. Die Kirche wiederholt nicht nur in jeder Epoche ihre Wertschätzung für diese Berufe, sondern sie anerkennt deren einzigartigen und unersetzlichen Charakter. Ebenso gibt sie ihrer tiefen Überzeugung Ausdruck, daß der Herr, der sie für seine Kirche haben will, immer am Werk ist, um junge Menschen zur Erfüllung seines Willens zu rufen. 1293 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Ernsthaftigkeit der Kirche bei der Förderung von Priester- und Ordensberufen erklärt sich aus ihrem Wunsch, dem Willen Gottes treu zu bleiben und sowohl die hierarchische Struktur seiner Kirche als auch den Stand des Ordenslebens beizubehalten. Die Kirche preist und fördert die besondere Weihe zu diesen beiden Berufen, auch wenn an einer ganzen Reihe der von Priestern und Ordensleuten ausgeübten Funktionen in wachsendem Maße die Laien teilnehmen. Liebe Brüder, in der Einheit und Verbundenheit mit der ganzen Kirche wollen wir uns der Herausforderung der Berufe mit jener Einmütigkeit und jenem Realismus stellen, die die Wirksamkeit des Gebets berücksichtigen und niemals ohne übernatürliche Hoffnung sind. Wir wollen eindringlich die Macht des auferstandenen Christus verkündigen, in jeder Epoche der Kirche und folglich auch in unserer heutigen Zeit junge Menschen an sich zu ziehen. Wir wollen auf das Ostermysterium blicken als die unerschöpfliche Quelle der Kraft für junge Menschen, hochherzig und opferbereit, in Ehelosigkeit, Armut und Gehorsam und in vollkommener Liebe Christus zu folgen. Die Kirche kann nicht darauf verzichten, von jedem angemessenen Mittel, einschließlich Eigenwerbung und persönlichem Beispiel, Gebrauch zu machen, um Berufe zu gewinnen; doch ohne Zaudern verkündet sie, daß ihre Kraft allein vom Herrn kommt. Er allein ist es, der Berufungen und die Gnade schenkt, sie anzunehmen und ihnen entgegenstehende Hindernisse zu überwinden. In den Versammlungen der Gläubigen wollen wir uns betend auf die Verheißung des Herrn berufen, daß er bei seiner Kirche ist bis zum Ende der Welt (vgl. Mt 28,20). Wir müssen unser Volk ermutigen, seine Hoffnung im Gebet zum Ausdruck zu bringen. Während wir uns zur Treue des Herrn bekennen, der Sorge trägt für die Bedürfnisse seiner Braut, der Kirche, bringen wir einen Lobhymnus auf das Lamm Gottes dar, das geschlachtet wurde — ihm, der gestorben ist, aber jetzt lebt in Ewigkeit. In dem kostbaren Blut des gekreuzigten und auferstandenen Erlösers finden wir die Kraft, jede Berufung, die Gott seiner Kirche schenkt, zu unterstützen. „Er aber, der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, als wir erbitten oder uns ausdenken können, er werde verherrlicht durch die Kirche und durch Christus Jesus in allen Generationen, für ewige Zeiten. Amen“ (.Eph 3,20 f.). Aus dem Vatikan, 14. Mai 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. 1294 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Fahrt fort, das Land Christi zu lieben!“ Ansprache an den Rat des Ordens der Ritter vom Hl. Grab in Jerusalem am 15. Mai Liebe Brüder und Schwestern! 1. Seid herzlich willkommen. Ich freue mich, euch zum Abschluß der Beratung der Mitglieder der Großmeisterei und der Statthalter des Ordens der Ritter vom Hl. Grab in Jerusalem zu empfangen. Das beweist wieder einmal eure Frömmigkeit und eure Treue zur Kirche. Ich begrüße den Großmeister, Herrn Kardinal De Fürstenberg, und den Großprior, den lateinischen Patriarchen von Jerusalem; ich begrüße die verehrten Mitglieder der Großmeisterei zusammen mit den Statthaltern der Nationen und Orte, in denen der Ritterorden vertreten ist. Mit euch möchte ich die Gesamtheit der Ritter und der Danien in der ganzen Welt grüßen. Euch allen gilt meine Dankbarkeit für die vielfältigen geistlichen und karitativen Tätigkeiten, die ihr zum Besten der christlichen Bevölkerung des Heiligen Landes durchführt. Vor allem möchte ich meine Anerkennung für den gewaltigen Komplex von Werken und Institutionen zum Ausdruck bringen, die ihr mit lobenswerter Hochherzigkeit unterstützt. Ich möchte die Gefühle und Vorsätze sehr ermutigen, die euch alle beseelen und gemäß den Grundforderungen eures Ordens aus einer echten und edlen Liebe für das Land Jesu Christi erwachsen. Solche Gefühle verdienen Vertrauen und Beifall. 2. Ein tausendjähriges Band verbindet euren Ritterorden mit dem Grab Christi; und eben aus dem christlichen Glauben entsteht die lebendige Zuneigung, die einzigartige Liebe für jenes Land, das Christus geheiligt hat. Es ist der Verehrung der Gläubigen würdig; die katholische Kirche sieht es mit Recht als ihre gebotene Pflicht an, ihm seine Aufmerksamkeit zu widmen, indem sie sich um sein Wohl und seinen Fortschritt bemüht. Es handelt sich um einen Raum, der im Besucher das lebendige Andenken an den Herrn weckt und dabei eine echte Liebe zu ihm entfacht. Daher erfährt der christliche Glaube bei der frommen Suche nach den Spuren, die der Herr an jenen Orten hinterlassen hat, Stärkung und Wachstum. Sie übertragen lebhafter die Botschaft Christi auf uns, weil sie von seinen Geheimnissen sprechen und daher den authentischen Rahmen der Ereignisse dem Gedächtnis einprägen und uns zu einem besseren Verständnis des Geschehens führen, um uns anzuspomen, seinen Sinn zu begreifen, und in das Leben einzubringen, ihm Raum zu verschaffen, ihn in unser ganzes Dasein ausstrahlen zu lassen. 1295 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die heiligen Stätten werden von allen Christen geliebt; nicht zu vergessen das Interesse, das das Heilige Land bei allen Freunden der Bibel weckt. Bekanntlich haben die Studien und die in unserer Zeit durchgeführten historischen und archäologischen Forschungen den Weg zur Lösung zahlreicher Interpretationsprobleme der heiligen Texte eröffnet. Der Besuch der heiligen Orte, an denen der geoffenbarte Text seinen Anfang nahm, ermöglichte ein besseres Verständnis seiner Bedeutung und damit eine echtere Verbindung mit dem, der durch die Heilige Schrift zu uns spricht, also im letzten mit Gott selbst, denn sein „Wort“ ist in dem heiligen Buch enthalten. Fahrt fort, das von den Patriarchen, von den Propheten, von den Schritten des menschgewordenen Gottessohnes, von den Aposteln geheiligte Land zu ehren, indem ihr stets dem Geist eurer Statuten treu bleibt. Sie ermahnen euch zur gewissenhaften Wahrung und Verkündigung des Glaubens im Heiligen Land und zur Förderung der Kulteinrichtungen und der caritativen, kulturellen und sozialen Werke sowie zur Unterstützung der Rechte der katholischen Kirche im Heiligen Land (vgl. Statuten des Ordens der Ritter vom Hl. Grab, Art. 2). 3. Eine besondere Anerkennung verdienen die Handlungen konkreter Nächstenliebe gegenüber den christlichen Gemeinden, die dort nicht ohne Opfer ihren christlichen Glauben leben. Es handelt sich um eine Kirche, die der tätigen Liebe der Brüder bedarf, um ihre wichtige Berufung im Lande Jesu verwirklichen zu können. Jene christlichen Gemeinden bitten euch um Hilfe. Ich freue mich vor allem über den Beistand, den ihr den schulischen und kulturellen Einrichtungen der Diözese Jerusalem gewährt: der Universität, dem Priesterseminar, den Schulen jeder Art, den Gotteshäusern. Wie der Kardinal Großmeister treffend gesagt hat, tragen die Schulen dazu bei, die künftige Anwesenheit des christlichen Glaubens an jenen Orten zu garantieren, und stellen eine wertvolle Hilfe für die zivile, menschliche und soziale Förderung jener Bevölkerungsgruppen dar. Ich möchte auch an die wertvolle Hilfe erinnern, die ihr für die Strukturen der Pfarreien und für die Durchführung so vieler caritativer Initiativen leistet, die auf der Kirche von Jerusalem lasten. Fahrt fort, das Land Christi zu lieben und tragt mit dem Geist des Glaubens und mit hohem Eifer die Probleme eurer katholischen Brüder im Heiligen Land im Herzen. Auf diese Weise werdet ihr der großen Tradition eures Ritterordens treu bleiben und die religiösen caritativen Zielsetzungen erfüllen, die seit Jahrhunderten euren Dienst an den heiligen Stätten rechtfertigen. Euch allen, die ihr hier anwesend seid, und euren „Mitbrüdern“ in der ganzen Welt, euren Werken sowie den Menschen, denen eure Hilfe gilt, erteile ich meinen Segen. 1296 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Ererbte kulturelle Eigenart erhalten!“ Ansprache an Vertreter der Sinti und Roma am 16. Mai „Sehr geehrte Herren vom Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland! Herzlich freue ich mich mit Ihnen, daß es heute auf Ihre Bitte hin zu dieser kurzen Begegnung hier im Vatikan kommt. Ich bekunde Ihnen meine moralische Unterstützung für Ihre Bemühungen, den von Ihnen vertretenen Menschen ihre ererbte kulturelle Eigenart zu erhalten wie auch das Zusammenleben mit ihren Mitbürgern in den verschiedenen Ländern zu verbessern nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Menschenwürde. Ich höre mit Genugtuung, daß gerade die deutsche Ortskirche Ihren Anliegen wohlwollend begegnet und Ihnen im Rahmen ihrer Kompetenz auf verschiedenen Ebenen hilft, hierbei zu angemessenen rechtlichen und sozialen Lösungen zu gelangen. Eine Bitte möchte ich an Sie richten: Sorgen Sie auch für die Vertiefung und Kräftigung des katholischen Glaubens unter Ihren Brüdern und Schwestern! Dieser ist ja die wahre Quelle für die Würde jedes einzelnen Menschen in jeglicher sozialer und kultureller Umgebung. Durch den Glauben finden Sie Heimat in der Kirche und bekennen Sie gemeinsam mit allen Christen Gott als unseren treuen und barmherzigen Vater. So erbitte ich heute Ihnen und allen Mitgliedern der Sinti und Roma die Gaben des Heiligen Geistes in reicher Fülle und erteile Ihnen von Herzen meinen apostolischen Segen.“ Anzeichen für „eine neue, gesunde Generation“ Ansprache an das Generalkapitel der vom hl. Johannes Baptist de La Salle gegründeten Kongregation der christlichen Schulbrüder am 16. Mai Liebe Söhne des heiligen Johannes Baptist de La Salle! 1. Dank sei der göttlichen Vorsehung, die diese Begegnung der Kirche ermöglicht hat! Ich grüße jeden Bruder, der an dem Kapitel teilnimmt, und durch ihn das Land und die Schulanstalten, die er vertritt. Eure Familie der Kongregation des hl. de La Salle ist noch immer zahlreich, denn sie zählt über 9000 Mitglieder und mindestens 1200 Niederlassungen. Gestattet mir, daß ich mich be- 1297 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sonders an den teuren Bruder Jose Pablo Basterrechea wende: es liegt mir sehr daran, Ihnen im Namen der Kirche zu danken. Sie haben während Ihres Generalrats nicht aufgehört, Ihr Bestes im Dienst der Söhne des hl. Johannes Baptist de La Salle zu geben sowie im Dienst der Diözesen, wo diese an den Aufgaben der Evangelisierung mitarbeiten. Desgleichen haben sie mit der Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute ständig und sehr gut zusammengearbeitet. Möge der Herr Ihnen das lohnen mit der Fülle seiner Gnaden! Und meine herzlichsten Wünsche spreche ich dem soeben gewählten neuen Generalobern aus, dem teuren Bruder John Johnston, den ich meines Gebetes versichere. 2. Die Versammlung des Generalkapitels, das ihr in Rom abhalten wolltet, soll den Text eurer Konstitutionen, die bereits den Wünschen des Zweiten Vatikanischen Konzils entsprechend erneuert worden sind, noch weiter vervollkommnen. Mit euch danke ich Gott für diese Wochen des Gebets, der Reflexion, des brüderlichen Gedanken- und Erfahrungsaustausches, der überdachten Entscheidungen. Ich bin froh zu erfahren, daß diese Zeit der Gnade für euch und das ganze Institut euch erneut zu den belebenden Quellen der von eurem geistigen Vater hinterlassenen Schriften geführt hat. Sein Ideal, weit davon entfernt, von den seit der Gründung der Kongregation im Jahr 1680 vergangenen 300 Jahren verdunkelt zu werden, entspricht in der Tat vollkommen den Bedürfnissen unserer Zeit. Dieses Ideal erfordert Jünger, die von Gott fasziniert und vom Enthusiasmus für die Erziehung einer Jugend erfüllt sind, die sich auf der Suche nach dem Sinn des Lebens befindet, die allzu oft durch das Vorgaukeln von Pseudowahrheiten getäuscht wird, die arm ist an echter und beständiger Liebe und ungenügend in das Geheimnis Gottes eingeführt wurde. Nicht etwa, daß es notwendig wäre, euch den jungen Dompräbendar der Kathedrale von Reims vorzustellen, der noch nicht dreißigjährig die großen Bedürfnisse der Jugend, vor allem der einfachen Kreise, hinsichtlich Unterricht und Erziehung entdeckte. Mit euch will ich daher sein tiefes Mitgefühl für die Armen, seinen Wirklichkeitssinn und methodischen Geist, seine Ausgewogenheit und seine Begeisterung und, als Krönung von allem, seinen evangelischen Mut bewundern, Tugenden, die niemals von den Prüfungen seines Weges des Apostolats für die Jugend beeinträchtigt wurden. Ich denke an die Verständnislosigkeit seiner Familie, an gewisse Vorbehalte der Hierarchie, an die Schikanen der Behörden, an manche Austritte in den Reihen seiner ersten Brüder. Johannes Baptist de La Salle hat auch das ganz persönliche Leid des Zweifels an seinem Werk, an sich selbst kennengelernt. All das bedeutet oft, wenn nicht immer, einen Weg zur Heiligkeit. Dieser überragende Mann, dieses Genie der 1298 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Erziehung mag uns zugleich sehr nahe und sehr ferne erscheinen. Er ist eine großartige Frucht der göttlichen Gnade, die ungehindert in der menschlichen Natur wirkt. Er läßt uns an das Sonnenlicht denken, das die Farben der berühmten Glasfenster der mittelalterlichen Kathedralen zum Singen bringt. 3. Mit ganz großer Freude habe ich festgestellt, daß euer Kapitel vor allem eine Wiederbelebung der kontemplativen Dimension eures geweihten Lebens anstrebte. Könnten doch die Oratorien oder andere Gebetsorte eurer Häuser noch stärker der Brennpunkt, das Epizentrum eurer Sendung im Alltag sein! Rasches Hingehen und längeres Verweilen, persönliche Meditation und gemeinschaftliche Meßfeiern: alle diese Formen, den Herrn um seiner selbst wegen aufzusuchen, läutern, erhellen, stärken die Berufung der Brüder und ihren Dienst für die Kirche. Wenn in einer Ordensgemeinschaft wirklich allen voran Gott gedient wird, wenn sein Wort und seine Eingebungen mit Eifer und ohne Hektik gesucht und angenommen werden, wird die Entfaltung des gemeinschaftlichen und apostolischen Lebens in ihr tief und unverkennbar geprägt. Der hl. Johannes Baptist de La Salle ruft euch heute wieder zu dieser unablässigen Beziehung zum Herrn auf: sie ist ein bevorzugtes Mittel, um euren Blick für die Jugend, für die Würde jedes einzelnen Jugendlichen, der durch die Gnade der Taufe besonders geadelt ist, für ihre einzigartige Bestimmung im Plan der göttlichen Vorsehung ständig zu erneuern. Auch die Qualität eures geistlichen Lebens ist entscheidend dafür, daß es euch gelingt, alle diese jungen Menschen zu lieben mit dem Herzen Gottes, mit seiner Geduld, seiner Zartheit und seiner Kraft in der ganzen Reinheit und einem evangelischen Geist der Selbstlosigkeit, den Gott allein den Erziehern zu verleihen vermag. 4. Das soll heißen, der Wirklichkeitssinn und die Kreativität eures Gründers müssen euch dazu anregen, neue oder zumindest erneuerte Erziehungsstrukturen zu entwickeln. Das wesentliche Ziel für den hl. Johannes Baptist de La Salle und für seine Söhne wie für das gesamte katholische Schulwesen ist und bleibt die Evangelisierung der Intelligenz. Wie ich weiß, macht ihr euch Sorgen um den Platz und die Qualität der Katechese. Die Disziplin in der Schule ist von den Brüdern de La Salles niemals vernachlässigt worden. Euer Ruf und die Erfolge eurer Einrichtungen beweisen das hinreichend. Tragt, wenn möglich, noch besser dazu bei, den besonderen Charakter der katholischen Schule zu offenbaren. Sie muß alles tun, damit das Evangelium Christi eine Quelle des Lichts und des Unterscheidungsvermögens wird, die imstande ist, den Jugendlichen zu helfen, Abstand zu nehmen von den übertriebenen Darstellungen und Angeboten der modernen Kultur, um sie nach dem wirklichen Maßstab der Werte zu beurteilen. Das Evangelium ist die Wahrheit, die einzige Wahrheit, die den Menschen in seiner umfassenden Dimension erreicht. 1299 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 5. Schließlich ermutige ich ganz herzlich in allen Schulen zum verständnisvollen Zusammengehen der Brüder mit den Laien, die das Ideal de La Salles teilen. Ihr seid auf die qualifizierte Hilfe von Männern und Frauen angewiesen, die viel zur Lebenskraft eurer Institutionen beitragen können. Diese.Zusammenarbeit sei klar und unmißverständlich! Ich will sagen, daß die Verantwortlichen hinsichtlich der Verpflichtung von Laienmitgliedern des Lehrkörpers eine sehr schwere Verantwortung haben. Der christliche Erziehungsplan muß von allen getragen werden. Es kann Vorkommen, daß sich die Leitungen mit aller gebotenen Ächtung und Gerechtigkeit veranlaßt sehen, diesem oder jenem Lehrer zu helfen, von sich aus auf einen Dienstvertrag zu verzichten, den er nicht in vollem Umfang annehmen könnte. 6. Diese Stärkung des Standpunktes und des Vorgehens zwischen den Brüdern und Laienlehrern einerseits, den Familien, die eure Schulen aussuchen, und den Altschülern anderseits wird der nachhaltigen Verwirklichung der von eurem Generalkapitel gewünschten Orientierungen, denen auch die Kirche zustimmt, förderlich sein: die Sorge und der Dienst für die Armen, die Förderung der sozialen Gerechtigkeit entsprechend den Weisungen des kirchlichen Lehramtes und dank der konkreten Einsätze der Familien und Altschüler eurer Institutionen, die eindeutigere Unterstützung der jungen Kirchen bei der Bewältigung zahlreicher Probleme im Erziehungsbereich und auf anderen Gebieten. Überall wo ihr seid, helft ihr mit zur Entwicklung und Verbesserung der Elternverbände, zur Wirksamkeit der Altschülervereinigungen. Dadurch tragt ihr zur Sichtbarmachung und zur Ausstrahlung der Kirche bei. Diese strebt kein Erziehungsmonopol an. Sie wünscht nur die Respektierung ihrer Rechte und des geheiligten Rechtes der Familie, nämlich einen Schultyp aufrechtzuerhalten und zu vervollkommnen, breit und richtig zu öffnen, der von den Werten des Evangeliums inspiriert ist. 7. Liebe Brüder, selbst wenn ihr eine gewisse Alterung eurer Kommunitäten und den Schmerz über nur vereinzelten Nachwuchs spürt, kehrt mit dem Mut und dem Enthusiasmus des hl. Johannes Baptist de La Salle von diesem Kapitel zurück. Die jungen Menschen unserer Zeit sind im Grunde zugänglicher und empfänglicher, als eine gewisse öffentliche Meinung es gerne glauben machen würde. Die Anzeichen für eine neue, gesunde Generation, die nach einer Wahrheit ohne Ausflüchte, nach anspruchsvoller brüderlicher Liebe dürstet, sind uns auf allen Kontinenten gegeben. Ohne anderen menschlichen Verantwortlichkeiten, die gleichfalls notwendig sind und mutig gelebt werden, im geringsten Abbruch zu tun, kann man sagen, daß ihr eine der schönsten Berufungen habt: die Berufung nämlich, in enger Verbundenheit mit Gott selbst die 1300 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Persönlichkeit der euch anvertrauten Jugendlichen sich entwickeln und wachsen zu lassen für den Dienst an der Gesellschaft und zur Ehre des Herrn. Mögen euch der Geist von Pfingsten und Maria, die Sedes Sapientiae, „Sitz der Weisheit“, genannt wird, in eurem religiösen und apostolischen Leben beistehen! Ich bin glücklich darüber, euch, und die große Familie des hl. Johannes Baptist de La Salle, zu segnen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Auf immer vollkommenere Weise „Kirche sein“ Predigt bei der Pfingstvigil auf dem Petersplatz am 17. Mai 1. Die Liturgie des Pfingstfestes führt uns in den Abendmahlssaal in Jerusalem. Bekanntlich waren die Türen des Abendmahlssaales zunächst fest verschlossen. Am ersten Tag nach dem Sabbat befanden sich die Apostel bei verschlossenen Türen in diesem Raum, der geheiligt war von der Erinnerung an das Letzte Abendmahl. Und obwohl sich bereits seit dem frühen Morgen jenes Tages die Nachricht vom „leeren Grab“ verbreitet hatte, fürchteten sie sich noch immer. Der auferstandene Christus kam zu ihnen, die „bei verschlossenen Türen“ zusammensaßen. Er trat in ihre Mitte und grüßte sie mit den Worten: „Friede sei mit euch!“ Der Evangelist berichtet, daß „er ihnen seine Hände und seine Seite zeigte“ (Joh 20,20) mit den Wundmalen der Kreuzigung. Nachdem sich ihre erste Furcht gelegt hatte, wurden die Jünger von Freude darüber erfüllt, daß sie den Meister sahen; da sagte Christus noch einmal zu ihnen: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21). Das waren die ersten Worte des Auferstandenen an seine Jünger. „Nachdem er das gesagt hatte“ — schreibt der Evangelist Johannes —, „hauchte er sie an“. Wie vielsagend ist dieses Detail: Christus hauchte die Apostel an und sprach zu ihnen: „Empfangt den Heiligen Geist!“ (Joh 20,22). 2. Das Pfingstgeschehen hat also seinen Anfang am Tag der Auferstehung. Er, den die Überlieferung der Kirche „den heilbringenden Geist“ des Vaters und des Sohnes, den Heiligen Geist, Pneuma, nennt, wurde den Aposteln nach der Auferstehung geschenkt! Man kann sagen, Christus hat ihn direkt vom Kreuz in den Abendmahlssaal gebracht. Er hauchte sie mit diesem Geist an „in der Macht seines Todes und seiner Auferstehung“, und der Beweis für diese erlö- 1301 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sende Macht waren die Male der Kreuzigung an den Händen, den Füßen und der Seite. Das alles geschah „bei verschlossenen Türen“ im Abendmahlssaal 50 Tage zuvor. Die Liturgie des jetzigen Festes, die wir in dieser Nacht feiern, konzentriert unsere Aufmerksamkeit auf das Ereignis des auferstandenen Christus, der den Geist gibt. Nur so können wir alles, was an jenem Pfingstmorgen — 50 Tage nach Ostern — geschehen ist, wirklich begreifen. Davon spricht die Lesung aus der Apostelgeschichte. Sie berichtet von der Geburtsstunde der Kirche. Die Kirche wurde in eben diesem Abendmahlssaal in Jerusalem geboren. Sie wurde geboren, als der Hauch des Geistes der Wahrheit die Seelen der Apostel erfüllte, so daß „sie in fremden Sprachen zu reden begannen“ (Apg 2,4). Vor allem aber erfuhren sie in sich die Erneuerung der inneren Kraft, um vom gekreuzigten und auferstandenen Christus Zeugnis zu geben. Damals wurden die Türen des Abendmahlssaales aufgerissen, und die Apostel gingen hinaus auf die Straßen von Jerusalem. Sie brachen in die Welt auf: in die ganze Welt, so wie Christus es ihnen aufgetragen hatte. „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen ... und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem ... und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). 3. Die Kirche wurde aus dem Hauch des Heiligen Geistes, des Beistandes, geboren. Sie ist entstanden als apostolische Sendung, die „organisch“ aus der Sendung Christi selbst erwächst. Die ersten Worte des Auferstandenen waren: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (3oh 20,21). Die Kirche ist dieselbe durch diese Sendung. Sie ist und bleibt dieselbe, wenn sie sich „in statu missionis“, im Zustand der Sendung, befindet. Diese Sendung hat ihre letzte Quelle im Vater, sie ist im gekreuzigten und auferstandenen Christus verwurzelt, sie teilt sich durch die Kraft des Heiligen Geistes mit, den er den Aposteln zuteil werden ließ: „Empfangt den Heiligen Geist“ (loh 20,22). 4. Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Wahrheit über die Teilhabe der Kirche, des Gottesvolkes, an der Heilssendung Christi gelehrt und betont: Christi, des Priesters, Christi, des Propheten, Christi, des Königs. Diese Teilhabe beginnt mit der Taufe und entfaltet, sich weiter durch alle Sakramente, die im Leben der Kirche mit dem Wort Gottes verbunden sind. Im Mittelpunkt steht die Eucharistie: das Sakrament, das in hervorragender Weise an den Tod und die Auferstehung Christi erinnert und durch das die Kirche nicht aufhört, immer voller zu wachsen; das fortfährt, Leib Christi zu werden. So kehren wir ständig wieder in den Abendmahlssäal zurück, wo Christus die 1302 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Apostel „anhaucht“. Er schenkt ihnen den Heiligen Geist und macht sie zugleich zum Angeld, zum Unterpfand des neuen Gottesvolkes — eines neuen Israels —, in dem die messianische und zugleich erlösende Sendung des Sohnes Gottes ihre Fortsetzung findet. „Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet“ (1 Kor 12,3). Keiner kann — ohne die Hilfe des Heiligen Geistes — den Glauben an Christus bekennen oder an seiner Sendung teilhaben: in der Kirche und im Hinblick auf die Welt. 5. Diese Wahrheit — die grundlegende Wahrheit unseres Christseins — ist für uns, die wir uns hier am Petersplatz zu dieser frommen und feierlichen Gebetswache eingefunden haben, von besonderer Bedeutung. Wir sind hier zusammengekommen, um durch die Teilhabe an der Eucharistie Zeugnis zu geben von Christus, dank dem in uns der „Hauch“ von Pfingsten lebendig ist: das Wehen des Geistes der Wahrheit, des Trösters, durch den die Kirche immer von neuem in den Herzen der Jünger geboren wird. Zusammen mit diesem heilbringenden „Hauch“ vernehmen wir immer wieder die Worte, die einst an die Apostel gerichtet wurden: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Im Namen dieser Worte seid ihr hier um den Bischof von Rom versammelt, der der Nachfolger des Apostels Petrus auf diesem Stuhl ist. Zusammen mit ihm übernehmt ihr gewissermaßen das komplexe und vielfältige Apostolat, nicht nur jenes, an dem die Bischöfe, die Priester und Diakone teilhaben, sondern auch jenes, an dem die Laien teilhaben. Zu diesem Apostolat sind die Laien in der Geschichte der Kirche immer berufen gewesen: und das gilt auch für unsere Tage. Ja, es wird noch mehr ihre Rolle, da die Wirklichkeit der modernen Welt eine Fülle immer neuer Probleme und Aufgaben aufweist. 6. Liebe Brüder und Schwestern! Das Zeugnis, das wir heute abend von Christus geben, indem wir unseren Glauben in der Eucharistie feiern, hat den Charakter besonderer Feierlichkeit. Es sieht hier die ganze Kirche von Rom vertreten, die — wie der Herr Kardinalvikar zu Beginn der hl. Messe hervorhob — in der wohl gegliederten Gesamtheit ihrer verschiedenen Mitglieder und der mannigfachen im Apostolat engagierten Kräfte anwesend ist. Absicht dieser Gebetsbewegung — bei der wir mit Maria, der Mutter der Göttlichen Liebe, vereint sind, deren Gnadenbild von ihrem Heiligtum „Divino Amore“ hierher gebracht wurde — ist es, die Gabe des Heiligen Geistes auf zwei wichtige pastorale Initiativen herabzurufen, damit sie einen glücklichen und fruchtbringenden Ausgang nehmen. 1303 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die erste ist die Versammlung der Bischofssynode, die im Jahr 1987 über das Thema „Die Berufung und die Sendung der Laien in Kirche und Welt“ statt-finden wird, eine Tagung, auf die wir uns entsprechend vorbereiten müssen. Die zweite ist die Römische Pastoralsynode. Ich freue mich, sie am Pfingstfest offiziell ankündigen zu können, wobei ich die Ausgießung des Heiligen Geistes auf diese Initiative herabrufe. Die Pastoralsynode der Diözese Rom soll ein Dienst an der Sendung der Kirche in dieser Stadt sein, die — wegen des ihrem Bischof anvertrauten Petrusamtes — eine besondere Aufgabe gegenüber der gesamten katholischen Barche erfüllt. Sie hat vor allem den Zweck zu helfen, das Zweite Vatikanische Konzil in seiner ganzen Tiefe wiederzubeleben und seine Weisungen konsequent zu verwirklichen durch Bereicherung des Glaubens und ihren Beitrag zur Erneuerung der heutigen Gesellschaft. Die Erneuerung, mit der die Pastoralsynode von Rom diese Kirche erfüllen wird, soll auch eine Hilfe bei der Vorbereitung auf die Bischofssynode sein. Beide Initiativen sind bedeutsame Momente kirchlichen Lebens, weil sie in der vom Zweiten Vatikanischen Konzil vorgezeichneten Spur die Gläubigen in inniger Vertraulichkeit mit Gott zu verwurzeln trachten, indem sie den neuen Menschen „so offenbaren, daß die anderen Menschen ihre guten Werke sehen, den Vater preisen und an ihnen den wahren Sinn des menschlichen Lebens und das alle umfassende Band der menschlichen Gemeinschaft vollkommener wahmehmen können“ (AG 11). 7. Dieses Annehmen des Lebens in Christus als Berufung verpflichtet jeden Gläubigen dazu, in seiner Existenz, „die Wahrheit“ und das „universale Heilsgeheimnis“ der Kirche in Liebe und Vollkommenheit darzustellen. Es spornt die Bischöfe, die Priester, die Ordensleute dazu an, „das Maß des Vollalters Christi“ zu erreichen (SC 2). Es führt alle Gläubigen zu einer aktiven Verantwortlichkeit im Dienst am Heilsplan Gottes, indem sie zu hochherzigen Boten und gläubigen Werkzeugen der alles verwandelnden Macht des Geistes Jesu werden, die die heutige Menschheit zutiefst nötig hat. 8. Bei dieser eucharistischen Zusammenkunft wollen wir uns durch die Teilhabe am Opfer Christi im Abendmahlssaal von Jerusalem wieder erneuern; am Tag der Auferstehung ebenso wie an Pfingsten. Durch unser Zugegensein wollen wir die Worte des Paulus als reale Wirklichkeit kundtun: „Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen“ (1 Kor 12,4-6). Wir wollen also zeigen, daß diese Worte des Völkerapostels in uns und durch uns in der ältesten apostolischen Kirche, der Kirche von Rom, eine Wirklichkeit sind. 1304 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die letzte Bischofssynode hat klargestellt, daß das Zweite Vatikanische Konzil und sein Lehramt eine besonders lebendige und aktuelle Quelle sind, aus der alle schöpfen müssen, damit sie auf immer vollkommenere Weise „Kirche sein“ können; damit sie die Kirche in sich immer vollkommener verwirklichen und sich selbst durch die Kirche in Christus verwirklichen. Damit sie also auf immer authentischere und glaubwürdigere Weise Christen in der modernen Welt sind, im Ausblick auf das dritte Jahrtausend nach Christus, gestärkt und ermutigt von Maria, dem Heil des Römischen Volkes. 9. Denn „jedem wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt“, wie der Apostel schreibt (1 Kor 12,7). Und dieser „Nutzen für andere“, dieses gemeinsame Wohl, ist nach dem Bild vom Leib zu verstehen. „Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: so ist es auch mit Christus. Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen ... und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt,“ (1 Kor 12,12 f.). Somit ist also die Kirche in Christus Sakrament unserer Einheit. Sakrament, das heißt Zeichen eines Leibes: eines einzigen Leibes. Es ist ein einziger Leib, weil alle in uns von einem einzigen Gott belebt werden. Ihn wollen wir heute, an Pfingsten, besonders nachdrücklich bekennen. Ihn, der der ewige „Hauch“ ist: die Liebe des Vaters und des Sohnes, ist uns „gegeben“ worden. Er ist auch den Aposteln im Abendmahlssaal in Jerusalem geschenkt worden. Er ist uns in Form verschiedener „Sprachen“ gegeben worden, in Form verschiedener Gaben und Aufgaben, verschiedener Lebenswege und Berufungen; in Form vielfältiger Sensibilitäten für die Bedürfnisse der Kirche und der Welt; in Form mannigfaltiger Dienste am Heil und vieler verschiedener Initiativen und Programme. Er ist uns geschenkt worden, damit wir in dieser Fülle und in dieser Vielheit mit Hilfe des Heiligen Geistes die Einheit des Leibes, die Einheit des Sakramentes, die Einheit Christi bilden, damit wir mit ihm und durch ihn, in der Vielzahl der „Sprachen“ unserer neuen Existenz, wie die Apostel am Pfingsttag „Gottes große Taten“ verkünden (vgl. Apg 2,11). 1305 Enzyklika Dominum et vivificantem über den Heiligen Geist im Leben der Kirche und der Welt 18. Mai 1986 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Einleitung Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt, liebe Söhne und Töchter! Gruß und Apostolischen Segen! 1. Die Kirche bekennt ihren Glauben an den Heiligen Geist als den, „derHerr ist und lebendig macht“. So spricht sie im sogenannten nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis, das nach den beiden Konzilien - dem von Nizäa (325) und dem von Konstantinopel - (381) - benannt ist, auf denen es formuliert oder verkündet worden ist. Darin fugt man noch hinzu, daß der Heilige Geist „durch die Propheten gesprochen hat“. Diese Worte empfangt die Kirche aus der Quelle ihres Glaubens selbst, von Jesus Christus. Nach dem Johannesevangelium ist uns ja mit dem neuen Leben der Heilige Geist geschenkt worden, wie Jesus am großen Tag des Laubhüttenfestes ankündigt und verspricht: „Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen.“1 Und der Evangelist erklärt dies: „Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben.“2 Das ist derselbe Vergleich mit dem Wasser, den Jesus im Gespräch mit der samaritischen Frau benutzt, wenn er von der „sprudelnden Quelle“ spricht, „deren Wasser ewiges Leben schenkt“3, wie auch im Gespräch mit Nikodemus, wenn er die Notwendigkeit einer neuen Geburt „aus Wasser und Geist“ ankündigt, um in das Reich Gottes zu kommen.4 Durch das Wort Christi belehrt und durch die Pfingsterfahrung und die eigene apostolische Geschichte bereichert, verkündet die Kirche deshalb von Anfang an ihren Glauben an den Heiligen Geist als den, der lebendig macht und in dem sich der unerforschliche dreieinige Gott den Menschen mitteilt und so in ihnen die Quelle zum ewigen Leben begründet. 2. Dieser Glaube, den die Kirche ununterbrochen bekennt, muß im Bewußtsein des Volkes Gottes immer wieder neu belebt und vertieft werden. In den letzten hundert Jahren ist dies schon mehrmals geschehen: von Leo XIII., der die Enzyklika Divinum illud munus (1897) herausgegeben hat, die vollständig dem Heiligen Geist gewidmet ist, zu Pius XII., der sich in der Enzyklika Mystici Corporis (1943) auf den Heiligen Geist als das Lebensprinzip der Kirche bezieht, in der dieser 1308 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zusammen mit Christus, dem Haupt des mystischen Leibes, wirkt; bis zum II. Vatikanischen Ökumenischen Konzil, das auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, sich erneut der Lehre vom Heiligen Geist zuzuwenden, wie Paul VI. unterstrich, als er sagte: „Auf die Christologie und vor allem auf die Ekklesiologie des Konzils muß nun ein neues Studium und eine neue Verehrung des Heiligen Geistes folgen, eben als notwendige Ergänzung der Lehre des Konzils.“ In unserer Epoche sind wir also vom stets alten und zugleich neuen Glauben der Kirche aufgerufen, uns näher mit dem Heiligen Geist zu befassen als dem, der lebendig macht. Hierbei ist uns Hilfe und Ansporn auch das gemeinsame Erbe mit den Ostkirchen, die den außerordentlichen Reichtum der Lehre der Väter über den Heiligen Geist mit großer Sorgfalt bewahrt haben. Auch darum können wir sagen, daß eines der wichtigsten kirchlichen Ereignisse der letzten Jahre die 1600-Jahr-Feier des I. Konzils von Konstantinopel gewesen ist, die am Pfingstfest des Jahres 1981 gleichzeitig in Konstantinopel und in Rom begangen worden ist. Der Heilige Geisthat sich damals durch die Meditation über das Geheimnis der Kirche deutlicher als dejenige gezeigt, der die Wege angibt, die zur Einheit der Christen führen, ja sogar als die tiefste Quelle dieser Einheit, die aus Gott selbst stammt und der der heilige Paulus besonderen Ausdruck mit den Worten verliehen hat, mit denen oft die Eucharistiefeier beginnt: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch.“ Von dieser Aufforderung haben die vorhergehenden Enzykliken Redemptor hominis und Dives in misericordia gewissermaßen ihren Ausgang und' ihre Inspiration genommen; sie heben das Ereignis unserer Erlösung besonders hervor, das sich im Sohn vollzogen hat, den der Vater in die Welt gesandt hat, „damit die Welt durch ihn gerettet wird“, und Jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr - zur Ehre Gottes des Vaters“. Aus dieser Aufforderung erwächst nun die vorliegende Enzyklika über den Heiligen Geist, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird: Als göttliche Person lebt er im Herzen des christlichen Glaubens und ist Quelle und treibende Kraft für die Erneuerung der Kirche. Diese Enzyklika schöpft aus der Tiefe des konzialiaren Erbes. Durch ihre Lehre über die Kirche in sich und über die Kirche in der Welt regen uns nämlich die Konzilstexte dazu an, uns immer mehr in das dreifältige Geheimnis Gottes selbst zu vertiefen und dabei dem Weg des Evangeliums, der Väter und der Liturgie zu folgen: zum Vater - durch Christus - im Heiligen Geist. 1309 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Auf diese Weise gibt die Kirche auch Antwort auf gewisse tiefe Anliegen, die sie im Herzen der Menschen von heute zu erkennen glaubt: eine neue Entdeckung Gottes in seiner transzendenten Wirklichkeit als unendlicher Geist, wie Jesus ihn der samaritischen Frau kundtut; die Notwendigkeit ihn „im Geist und in der Wahrheit“ anzubeten; die Hoffnung, in ihm das Geheimnis der Liebe und die Kraft zu einer „neuen Schöpfung“ zu finden: Ja, es geht genau um denjenigen, der das Leben schenkt. Zu einer solchen Sendung, nämlich den Heiligen Geist zu verkünden, weiß sich die Kirche berufen, während sie sich zusammen mit der Menschheitsfamilie dem Ende des zweiten Jahrtausends nach Christus nähert. Angesichts von Himmel und Erde, die „vergehen“, ist ihr bewußt, daß „die Worte, die nicht vergehen“, eine besondere Aussagekraft bekommen. Es sind die Worte Christi über den Heiligen Geist, die unerschöpfliche Quelle für das „Wasser, das ... ewiges Leben schenkt“, als Wahrheit und heiligmachende Gnade. Über diese Worte will sie nachdenken, auf diese Worte möchte sie die Gläubigen und alle Menschen aufmerksam machen, während sie sich darauf vorbereitet - wie wir später noch erläutern werden -, das große Jubiläum zu begehen, welches den Übergang vom zweiten zum dritten christlichen Jahrtausend besonders kennzeichnen soll. Natürlich wollen die folgenden Betrachtungen die überaus reiche Lehre vom Heiligen Geist nicht vollständig ausschöpfen noch irgendeine Lösung für noch offenstehende Fragen begünstigen. Sie beabsichtigen in erster Linie, in der Kirche das Bewußtsein dafür zu entwik-keln, „daß sie im Heiligen Geist angetrieben wird, mitzuwirken, daß der Ratschluß Gottes, der Christus zum Ursprung des Heils für die ganze Welt bestellt hat, tatsächlich ausgeführt werde“. 1310 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN I. Teil Der Geist des Vaters und des Sohnes, ein Geschenk an die Kirche 1. Verheißung und Offenbarung Jesu beim Ostermahl 3. Als für Jesus Christus der Zeitpunkt zum Verlassen dieser Welt kurz bevorstand, kündigte er den Aposteln „einen anderen Beistand“ an. Der Evangelist Johannes, der zugegen war, schreibt, daß sich Jesus während des Ostermahls vor dem Tag seines Leidens und Sterbens mit den folgenden Worten an sie gewandt habe: „Alles, um was ihr in meinem Namen bittet, werde ich tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht wird ... Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit.“ Gerade diesen Geist der Wahrheit nennt Jesus Parakletos - und Para-kletos bedeutet „Tröster“, auch „Fürsprecher“ oder „Rechtsbeistand“. Er spricht von einem „anderen“, zweiten Beistand; denn er selbst, Jesus Christus, ist der erste Beistand, weil er als erster die Frohe Botschaft gebracht und verkündet hat. Der Heilige Geist kommt nach ihm und durch ihn, um in der Welt das Wirken der Frohen Botschaft vom Heil mit Hilfe der Kirche fortzusetzen. Von dieser Fortführung seines Werkes durch den Heiligen Geist spricht Jesus wiederholt während der gleichen Abschiedsrede, als er die im Abendmahlsaal versammelten Apostel auf sein Weggehen, das heißt auf sein Leiden und seinen Tod am Kreuz, vorbereitet. Die Worte, auf die wir uns hier beziehen, stehen im Johannesevangelium. Jedes von ihnen fügt jener Ankündigung und Verheißung einen bestimmten neuen Inhalt hinzu. Zugleich aber sind sie im Hinblick auf dieselben Ereignisse, aber auch im Blick auf das Geheimnis von Vater, Sohn und Heiligem Geist eng miteinander verbunden, das Geheimnis, das vielleicht in keinem Abschnitt der Heiligen Schrift einen so bedeutenden Ausdruck findet wie gerade hier. 4. Kurz nach der oben erwähnten Ankündigung fügt Jesus hinzu: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Der Heilige Geist soll der Beistand 1311 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Apostel und der Kirche sein, stets gegenwärtig unter ihnen - wenn auch unsichtbar - als Lehrer derselben Frohen Botschaft, die Christus verkündigt hat. Dieses „Lehren“ und „Erinnern“ besagt nicht nur, daß er in der ihm eigenen Weise fortfahrt, die Ausbreitung der Heilsbotschaft zu fördern, sondern auch hilft, die wahre Bedeutung des Inhalts der Botschaft Christi zu verstehen, sowie die Kontinuität und Identität ihres Verständnisses inmitten der wechselnden Bedingungen und Umstände zu sichern. Der Heilige Geist soll also bewirken, daß in der Kirche stets dieselbe Wahrheit, wie die Apostel sie von ihrem Meister gehört haben, fortlebt. 5. Bei der Weitergabe der Frohen Botschaft sollen die Apostel in besonderer Weise dem Heiligen Geist verbunden sein. Hierzu sagt Jesus anschließend: „Wenn aber der Beistand kommt, den ich euch vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen. Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen, weil ihr von Anfang an bei mir seid.“ Die Apostel waren unmittelbare Zeugen, Augenzeugen.. Sie haben Christus „gehört“ und “mit eigenen Augen gesehen“, sie haben ihn „geschaut“ und sogar „mit eigenen Händen angefaßt“, wie derselbe Evangelist Johannes an anderer stelle schreibt. Dieses ihr menschliches und „geschichtliches“ Augenzeugnis von Christus verbindet sich mit dem Zeugnis des Heiligen Geistes: „Erwird Zeugnis für mich able-genIm Zeugnis des Geistes der Wahrheit soll das menschliche Zeugnis der Apostel seine stärkste Stütze finden. Und später soll es darin auch das verborgene Fundament seiner Kontinuität zwischen den Generationen von Jüngern und Bekennern Christi finden, die im Laufe der Jahrhunderte aufeinander folgen werden. Wenn Jesus Christus selbst die höchste und vollständigste Offenbarung Gottes für die Menschheit ist, so fördert, gewährleistet und bekräftigt das Zeugnis des Geistes ihre getreue Weitergabe in der Verkündigung und den Schriften der Apostel, während das Zeugnis der Apostel ihr den menschlichen Ausdruck in der Kirche und in der Geschichte der Menschheit sichert. 6. Das wird auch ersichtlich aus der engen Beziehung von Inhalt und Absicht zur soeben erwähnten Ankündigung und Verheißung, wie sie sich in den anschließenden Worten des johanneischen Textes findet: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen. Denn er wird nicht aus sich selbst heraus 1312 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN reden, sondern er wird sagen, was er hört, und euch verkünden, was kommen wird.“ In seinen vorhergehenden Worten stellt Jesus den Beistand, den Geist der Wahrheit, als denjenigen dar, der „lehren“ und „erinnern“ wird, der für ihn „Zeugnis ablegen“ wird; jetzt sagt er: „Er wird euch in die ganze Wahrheit führen.“ Dieses „Einfuhren in die ganze Wahrheit“ im Hinblick auf das, was die Apostel jetzt noch nicht tragen können, hängt notwendigerweise mit der Entäußerung Christi durch Leiden und Tod am Kreuz zusammen, die damals, als diese Worte gesprochen wurden, kurz bevorstand. Dann wird jedoch deutlich, daß dieses „Einfuhren in die ganze Wahrheit“ sich nicht nur auf das „scandalum crucis“ - das Ärgernis des Kreuzes - bezieht, sondern auch auf alles, was Christus „getan und gelehrt hat“. Denn das gesamte Mysterium Christi erfordert den Glauben, weil dieser es ist, der den Menschen auf angemessene Weise in die Wirklichkeit des geoffenbarten Geheimnisses einführt. Die „Einführung in die ganze Wahrheit“ verwirklicht sich also im Glauben und mit Hilfe des Glaubens: Sie ist das Werk des Geistes der Wahrheit und die Frucht seines Wirkens im Menschen. Der Heilige Geist muß hierbei der oberste Führer des Menschen, das Licht des menschlichen Geistes sein. Das gilt für die Apostel, die Augenzeugen, die nunmehr allen Menschen die B otschaft bringen sollen von dem, was Christus „getan und gelehrt hat“, vor allem aber von seinem Kreuz und seiner Auferstehung. In einer umfassenderen Sicht gilt das auch für alle Generationen von Jüngern und Bekennern des Meisters; denn sie sollen das Geheimnis Gottes, das in der Geschichte des Menschen am Werk ist, im Glauben annehmen und mit Freimut bekennen, das geoffenbarte Geheimnis, das den endgültigen Sinn dieser Geschichte erklärt. 7. Zwischen dem Heiligen Geist und Christus besteht also in der Heilsordnung eine innere Verbindung, durch die der Geist in der Geschichte des Menschen als „ein anderer Beistand“ wirkt, indem er Weitergabe und Ausbreitung der von Jesus von Nazaret offenbarten Frohen Botschaft auf Dauer sicherstellt. Im Heiligen Geist als Para-klet, der im Geheimnis und im Wirken der Kirche die geschichtliche Gegenwart des Erlösers auf Erden und sein Heilswerk unaufhörlich fortsetzt, strahlt deshalb die Herrlichkeit Christi auf, wie die anschließenden Worte bei Johannes bezeugen: „Er (der Geist der Wahrheit) wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden,“ Mit diesen Worten wird noch einmal all das 1313 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bekräftigt, was die vorhergehenden Worte besagten: Er wird „lehren“, „erinnern“, „Zeugnis ablegen“. Die höchste und vollständige Selbstoffenbarung Gottes, wie sie sich in Christus ereignet hat und durch die Predigt der Apostel bezeugt wurde, tut sich weiterhin in der Kirche kund durch die Sendung des unsichtbaren Beistandes, des Geistes der Wahrheit. Wie innig diese Sendung mit der Sendung Christi verbunden ist, wie vollkommen sie aus dieser seiner Sendung schöpft, wenn sie seine Heilsfrüchte im Ablauf der Geschichte kräftigt und fordert, ist durch das Wort „nehmen“ ausgedrückt: „Er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden.“ Um das Wort „nehmen“ gleichsam zu erklären, indem er die göttliche und dreifältige Einheit der Quelle deutlich hervorhebt, fügt Jesus hinzu: „Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt: Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden.“ Indem er von dem „Meinen“ nimmt, schöpft er zugleich aus dem, „was der Vater hat“. Im Licht dieses „Nehmens“ kann man ebenso auch die anderen Worte über den Heiligen Geist erklären, die Jesus im Abendmahlssaal vor Ostern gesprochen hat, Worte von tiefer Bedeutung: „Es ist gut für euch, daß ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden. Und wenn er kommt, wird er die Welt überführen (und aufdecken), was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist.“ Auf diese Worte wird noch in einer gesonderten Betrachtung zurückzukommen sein. 2. Vater, Sohn und Heiliger Geist 8. Es ist charakteristisch für den johanneischen Text, daß dort der Vater, der Sohn und der Heilige Geist deutlich als Personen genannt werden, von denen die erste von der zweiten und dritten unterschieden ist, ebenso wie diese beiden untereinander. Jesus spricht vom Geist, dem Beistand, indem er mehrmals das personale Fürwort „er“ benutzt; zugleich offenbart er in der gesamten Abschiedsrede die Bindungen, die den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist untereinander vereinen. So „geht der Geist... vom Vater aus“, und der Vater „gibt“ den Geist. Der Vater „sendet“ den Geist im Namen des Sohnes, der Geist „legt Zeugnis ab“ für den Sohn. Der Sohn bittet den Vater, den Geist als Beistand zu senden, aber ebenso schenkt er uns im Blick auf sein „Fortgehen“ durch das Kreuz die Verheißung: „Wenn ich fortgehe, werde ich ihn zu euch senden.“ Der Vater sendet also 1314 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN den Heiligen Geist kraft seiner Vaterschaft, wie er auch den Sohn gesandt hat; zugleich aber sendet er ihn kraft der von Christus gewirkten Erlösung - und in diesem Sinne wird der Heilige Geist auch vom Sohn gesandt: „Ich werde ihn zu euch senden.“ Während alle anderen Verheißungen des Abendmahlssaals das Kommen des Heiligen Geistes einfachhin für die Zeit nach dem Fortgang Christi ankündigen, so gilt hier zu bemerken, daß die Verheißung des Textes Joh 16,7 f. klar auch die Beziehung der Abhängigkeit, fast möchte man sagen, der Ursächlichkeit, zwischen dem Eintreten des einen und des anderen Ereignisses einschließt und betont: „Wenn ich aber fortgehe, so werde ich ihn zu euch senden.“ Der Heilige Geist wird kommen, insofern Christus durch den Kreuzestod fortgeht: Er wird nicht nur nach, sondern aufgrund der Erlösung kommen, die Christus nach dem Willen und durch das Handeln des Vaters gewirkt hat. 9. In der österlichen Abschiedsrede erreichen wir also - so können wir sagen - den Höhepunkt der Offenbarung der Dreifaltigkeit. Zugleich stehen wir kurz vor endgültigen Ereignissen und höchst entscheidenden Worten, die schließlich in den großen missionarischen Auftrag einmünden werden, der sich an die Apostel und durch sie an die Kirche richtet: „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“, ein Auftrag, der in etwa bereits die trinitarische Taufformel enthält: „ Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“? Diese Formel verweist auf das innerste Geheimnis Gottes und seines göttlichen Lebens: Vater, Sohn und Heiliger Geist, göttliche Einheit in Dreifaltigkeit. Man kann die Abschiedsrede lesen als eine besondere Vorbereitung auf diese trinitarische Formel, in der sich die lebenspendende Kraft des Sakramentes ausdrückt, das die Teilhabe am Leben des dreieinigen Gottes bewirkt, indem es dem Menschen die heiligmachende Gnade als übernatürliche Gabe schenkt. Durch sie wird er berufen und „befähigt“, am unerforschlichen Leben Gottes teilzuhaben. 10. In seinem inneren Leben ist Gott Liebe, wesenhafte Liebe, die den drei göttlichen Personen gemeinsam ist: Die personhafte Liebe aber ist der Heilige Geist als Geist des Vaters und des Sohnes. Daher „ergründet (er) die Tiefen Gottes“als ungeschaffene Liebe, die sich verschenkt. Man kann sagen, daß im Heiligen Geist das innere Leben des dreieinigen Gottes ganz zur Gabe wird, zum Austausch gegenseitiger Liebe unter den göttlichen Personen, und daß Gott durch den Heiligen 1315 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Geist als Geschenk existiert. Der Heilige Geist ist der personale Ausdruck dieses gegenseitigen Sich-Schenkens, dieses Seins als Liebe. Er ist die Liebe als Person. Er ist Geschenk als Person. Wir stehen hier vor einem unergründlichen Reichtum der Wirklichkeit und vor einer unsagbaren Vertiefung des Begriffes von Person in Gott, wie nur die göttliche Offenbarung sie uns erkennen läßt. Weil eines Wesens mit dem Vater und dem Sohn in seiner Göttlichkeit, ist der Heilige Geist zugleich Liebe und (ungeschaffenes) Geschenk, aus dem wie aus einer Quelle (fons vivus - lebendiger Quell) jegliche Gabe an die Geschöpfe entspringt (geschaffenes Geschenk): das Geschenk der Existenz für alle Dinge durch die Schöpfung; das Geschenk der Gnade für die Menschen durch die gesamte Heilsökonomie. Wie der Apostel Paulus schreibt: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ 3. Gott schenkt sich im Heiligen Geist zu unserem Heil 11. Die Abschiedsrede Christi beim Ostermahl bezieht sich in besonderer Weise auf dieses „Schenken“ und „Sichverschenken“ des Heiligen Geistes. In diesem Text des Johannesevangeliums enthüllt sich gleichsam die tiefste „Logik“ des im ewigen Plan Gottes enthaltenen Heilsgeheimnisses als Ausweitung der unaussprechlichen Gemeinschaft des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Es ist die göttliche „Logik“, die vom Geheimnis der Dreifaltigkeit zum Geheimnis der Erlösung der Welt in Jesus Christus führt. Die Erlösung, vom Sohne Gottes vollbracht in den Dimensionen der irdischen Geschichte des Menschen - vollbracht in seinem „Fortgehen“ durch Kreuz und Auferstehung - wird zugleich in ihrer vollen erlösenden Kraft dem Heiligen Geist übertragen: demjenigen, der „von dem Meinen nehmen wird“. Die Worte des johanneischen Textes zeigen, daß das „Fortgehen“ Christi im göttlichen Heilsplan unerläßliche Bedingung für die Sendung und das Kommen des Heiligen Geistes ist; sie besagen aber auch, daß Gott dann beginnt, sich im Heiligen Geist zu unserem Heil erneut mitzuteilen. 12. Es ist dies ein neuer Anfang im Vergleich zu jenem ersten, ursprünglichen Anfang der heilbringenden Selbstmitteilung Gottes, der mit dem Geheimnis der Schöpfung selbst identisch ist. So lesen wir schon in den ersten Zeilen des Buches der Genesis: „Im Anfang hat Gott Himmel und Erde geschaffen..., und Gottes Geist (ruah Elohim) 1316 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schwebte über dem Wasser.“ Dieser biblische Begriff der Schöpfung enthält nicht nur den Ruf ins Dasein des Kosmos als solchem, das heißt das Geschenk der Existenz, sondern auch die Gegenwart des Geistes Gottes in der Schöpfung, das heißt den Anfang der heilbringenden Selbstmitteilung Gottes an die Dinge, die er erschafft. Das gilt vor allem für den Menschen, der nach Gottes Bild und Gleichnis geschaffen worden ist: „Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich.“ „Laßt uns machen“: Darf man annehmen, daß die Mehrzahl die der Schöpfer beim Sprechen von sich selbst hier benutzt, schon in gewisserWeise das dreifältige Geheimnis, die Gegenwart der Dreifaltigkeit im Werk der Erschaffung des Menschen, nahelegt? Der christliche Leser, der die Offenbarung dieses Geheimnisses bereits kennt, kann dessen Widerschein auch in diesen Worten schon entdecken. Aufjeden Fall erlaubt uns der Zusammenhang des Buches der Genesis, in der Erschaffung des Menschen den ersten Anfang der heilbringenden Selbstmitteilung Gottes nach dem Maß seines „Abbildes“ und seiner „Ähnlichkeit“ zu sehen, die er dem Menschen schenkt. 13. Es scheint also, daß auch die Worte Jesu bei der Abschiedsrede im Hinblick auf jenen so fernen, aber grundlegenden „Anfang“ gelesen werden müssen, den wir aus der Genesis kennen. „Wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden.“ Indem Christus sein „Fortgehen“ als Bedingung für das „Kommen“ des Beistandes darstellt, verbindet er den neuen Anfang der heilbringenden Selbstmitteilung Gottes im Heiligen Geist mit dem Geheimnis der Erlösung. Das ist ein neuer Anfang vor allem deswegen, weil sich zwischen den ersten Anfang und die gesamte Geschichte des Menschen - angefangen mit dem Urfall - die Sünde gestellt hat, welche den Widerspruch zur Gegenwart des Geistes Gottes in der Schöpfung und vor allem zur heilbringenden Selbstmitteilung Gottes an den Menschen bedeutet. Der heilige Paulus schreibt, daß gerade aufgrund der Sünde „die Schöpfung der Vergänglichkeit unterworfen ist ... und bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt“ und daß sie „sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes wartet“. 14. Darum sagt Jesus Christus im Abendmahlssaal: „Es ist gut für euch, daß ich fortgehe“; „wenn ich aber gehe, so werde ich ihn zu euch senden“. Das „Fortgehen“ Christi durch das Kreuz enthält erlösende Kraft - und das bedeutet auch eine neue Gegenwart Gottes in der Schöpfung: der neue Anfang der Selbstmitteilung Gottes an den Men- 1317 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sehen im Heiligen Geist. „Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater“, schreibt der Apostel Paulus im Galaterbrief.45 Der Heilige Geist ist der Geist des Vaters, wie die Worte der Abschiedsrede im Abendmahlssaal bezeugen. Er ist zugleich der Geist des Sohnes: der Geist Jesu Christi, wie die Apostel und insbesondere Paulus von Tarsus46 bezeugen werden. Wenn dieser Geist „in unsere Herzen ausgegossen“ wird, beginnt sich damit zu erfüllen, worauf die „Schöpfung sehnsüchtig wartet“, wie wir im Römerbrief lesen. Der Heilige Geist kommt um den Preis des „Fortgehens“ Christi. Wenn dieses „Fortgehen“ bei den Aposteln Traurigkeit hervorgerufen hat47, die ihren Höhepunkt beim Leiden und Sterben am Karfreitag erreichen sollte, so wird sich doch dieser Kummer seinerseits „in Freude verwandeln“.48 Das erlösende „Fortgehen“ Christi wird ja auch die Herrlichkeit der Auferstehung und der Auffahrt zum Vater umfassen. Der Anteil der Apostel beim „Fortgehen“ ihres Meisters ist also eine Traurigkeit, die von Freude durchstrahlt wird; es ist ein „gutes“ Fortgehen, weil dadurch ein anderer „Beistand“ kommen sollte.49 Um den Preis des Kreuzes, des Werkzeuges der Erlösung, und in der Kraft des gesamten Ostergeheimnisses Jesu Christi kommt der Heilige Geist, um vom Pfingsttag an bei den Aposteln zu bleiben, um bei der Kirche und in der Kirche und durch sie in der Welt zu bleiben. Auf diese Weise verwirklicht sich endgültig jener neue Anfang der Selbstmitteilung des dreieinigen Gottes im Heiligen Geist durch Jesus Christus, dem Erlöser des Menschen und der Welt. 4. Der Messias, mit dem Heiligen Geist gesalbt 15. Es verwirklicht sich auch vollständig die Sendung des Messias, dessen also, der die Fülle des Heiligen Geistes für das erwählte Volk Gottes und für die ganze Menschheit efnpfangen hat. Wörtlich bedeutet „Messias“ „Christus“, das heißt „Gesalbter“, und in der Heilsgeschichte bezeichnet es „den mit dem Heiligen Geist Gesalbten.“ Das war die prophetische Tradition des Alten Testamentes. Als ihr Schüler wird Simon Petrus im Hause des Kornelius sagen: „Ihr wißt, was im ganzen Land der Juden geschehen ist... nach der Taufe, die Johannes verkündet hat: wie Gott Jesus von Nazaret gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und mit Kraft.“50 Von diesen Worten des Petrus und von vielen anderen ähnlichen Stellen51 muß man vor allem auf die Verheißung des Jesaja zurückgehen, 1318 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die mitunter „das fünfte Evangelium“ oder auch „das Evangelium des Alten Testamentes“ genannt wird. Als Jesaja das Kommen einer geheimnisvollen Figur ankündigt, die die neutestamentliche Offenbarung mit Jesus identifizieren wird, verbindet er deren Person und Sendung mit einem besonderen Handeln des Geistes Gottes, des Geistes des Herrn. So lauten die Worte des Propheten: „Aus dem Baumstumpfisais wächst ein Zweig hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht. Und der Geist des Herrn läßt sich nieder auf ihm: der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht. Mit dem Geist der Gottesfurcht erfüllt er ihn.“52 Dieser Text ist wichtig für die gesamte Geistlehre des Alten Testamentes, weil er gleichsam eine Brücke bildet zwischen dem alten biblischen Begriff des „Geistes“, verstanden vor allem als „geisterfüllter Hauch“, und dem „Geist" als Person und Gabe, als Gabe für die Person. Der Messias aus dem Stamm Davids („aus dem Baumstumpfisais“) ist genau jene Person, auf der sich der Geist des Herrn „niederläßt.“ Gewiß kann man an dieser Stelle noch nicht von der Offenbarung des „Beistandes“ sprechen: Jedenfalls aber öffnet sich mit diesem verhüllten Hinweis auf die Figur des künftigen Messias der Weg, auf dem sich die volle Offenbarung des Heiligen Geistes in der Einheit des dreifältigen Geheimnisses, wie sie schließlich im Neuen Bund offenkundig werden wird, vorbereitet. 16. Der Messias selbst ist dieser Weg. Im Alten Bund war die Salbung das äußere Symbol der Geistgabe geworden. Der Messias (mehr als jede andere gesalbte Person im Alten Bund) ist jener einzige große von Gott selbst Gesalbte. Er ist der Gesalbte im vollen Besitzes des Gottesgeistes. Er selbst wird auch der Mittler sein, um diesen Geist dem ganzen Volk zu verleihen. Hierzu weitere Worte des Propheten: „Der Geist Gottes, des Herrn, ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe und alle heile, deren Herz bedrückt ist, damit ich die Entlassung der Gefangenen verkünde und die Befreiung der Gefesselten, damit ich ein Jahr der göttlichen Gnade verkünde.“53 Der Gesalbte ist auch zusammen mit dem Geist des Herrn gesandt: „Jetzt hat Gott der Herr mich und seinen Geist gesandt.“54 Nach dem Buch Jesaja ist der Gesalbte und der zusammen mit dem Geist des Herrn Gesandte auch der erwähnte Knecht des Herrn, auf dem der Geist Gottes ruht: 1319 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Seht, das ist mein Knecht, ich halte ihn an der Hand; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen, ich habe meinen Geist in ihn gelegt.“55 Bekanntlich wird der Knecht des Herrn im Buch Jesaja als der wahre Schmerzensmann offenbart: als der Messias, der leidet für die Sünden der Welt.56 Und dabei ist gerade er es, dessen Sendung der ganzen Menschheit wahre Heilsfrüchte bringen wird: „Er wird den Völkern das Recht bringen“57; er wird „zum Bund des Volkes und zum Licht der Völker“ werden58, „auf daß er mein Heil bis ans Ende der Erde trage“.59 Denn: „Mein Geist, der auf dir ruht, soll nicht von .dir weichen, und meine Worte, die ich dir in den Mund gelegt habe* sollen immer in deinem Mund sein und im Mund deiner Kinder und im Mund deiner Enkel, jetzt und in Ewigkeit - spricht der Herr.“60 Die hier angeführten prophetischen. Texte müssen im Licht des Evangeliums gelesen werden - wie auch das Neue Testament seinerseits durch das wundervolle Licht dieser alttestamentlichen Texte in besonderer Weise erhellt wird. Der Prophet stellt den Messias als denjenigen dar, der in der Kraft des Heiligen Geistes kommt, der die Fülle dieses Geistes in sich selbst und zugleich für die anderen besitzt, für Israel, für alle Völker, für die ganze Menschheit. Die Fülle des Geistes Gottes wird von vielfältigen Gaben begleitet, den Heilsgütern, die insbesondere für die Armen und Leidenden bestimmt sind, für alle, die ihr Herz diesen Gaben öffnen - manchmal durch schmerzvolle Erfahrungen ihres Lebens, aber vor allem mit jener inneren Bereitschaft, die aus dem Glauben kommt. Das erkannte spontan der greise Simeon, „ein gerechter und frommer Mann“, auf dem „der Heilige Geist ruhte“, im Augenblick der Darstellung Jesu im Tempel, als er in ihm „das Heil“, erblickte, „das ... vor allen Völkern bereitet“ ist um den Preis des großen Leidens - des Kreuzes -, das er zusammen mit seiner Mutter werde auf sich nehmen müssen.61 Das erkannte noch tiefer die Jungfrau Maria, die „durch den Heiligen Geist empfangen hatte“62, als sie in ihrem Herzen über die „Geheimnisse“ des Messias nachdachte, an dessen Seite sie gestellt war.63 <126> <126> Man muß an dieser Stelle betonen, daß „der Geist des Herrn“, der auf dem kommenden Messias „ruhen“ wird, deutlich ein Geschenk Gottes für die Person jenes Knechtes des Herrn darstellt. Er selbst aber ist keine eigene, für sich allein stehende Person; denn er wirkt auf Geheiß des Herrn, kraft dessen Entscheidung und Wahl. Auch wenn das Heilshandeln des Messias, dessen Knechtes des Herrn, im Licht der Texte des Jesaja das Wirken des Geistes einschließt, das durch ihn selbst 1320 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN geschieht, so wird doch im alttestamentlichen Kontext noch keine Unterscheidung der handelnden Subjekte oder der göttlichen Personen nahegelegt, wie sie im dreifältigen Geheimnis existieren und später im Neuen Testament offenbart werden. Bei Jesaja wie im ganzen Alten Testament bleibt der Personencharakter des Heiligen Geistes völlig verborgen-.verborgen in der Offenbarung des einen Gottes wie auch in der Verheißung des kommenden Messias. 18. Jesus Christus wird sich am Beginn seines messianischen Wirkens auf diese bei Jesaja enthaltene Verheißung beziehen. Das wird in Nazaret geschehen, wo er dreißig Jahre seines Lebens im Hause Josefs, des Zimmermanns, bei Maria, seiner jungfräulichen Mutter, verbracht hat. Als er die Gelegenheit hatte, in der Synagoge das Wort zu ergreifen, öffnete er das Buch des Jesaja und fand die Stelle, in der geschrieben steht: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt“, und nachdem er den betreffenden Abschnitt vorgelesen hatte, sprach er zu den Anwesenden: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt,“64 Auf diese Weise bekannte und verkündete er derjenige zu sein, der vom Vater „gesalbt“ ist, also der Messias zu sein, derjenige, auf dem der Heilige Geist als Geschenk Gottes selbst ruht, derjenige, der die Fülle dieses Geistes besitzt und an dem sich der „neue Anfang“ des Geschenkes zeigt, das Gott der Menschheit im Heiligen Geist macht. 5. Jesus von Nazaret, „erhöht“ im Heiligen Geist 19. Auch wenn Jesus in seiner Heimatstadt Nazaret nicht als Messias angenommen wird, so wird doch am Beginn des öffentlichen Wirkens seine messianische Sendung im Heiligen Geist von Johannes dem Täufer dem Volk offenbart. Johannes, Sohn vom Zacharias und Elisabet, verkündet am Jordan die Ankunft des Messias und spendet die Bußtaufe. Er sagt: „Ich taufe euch nur mit Wasser zum Zeichen der Umkehr. Der aber, der nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe auszuziehen. Erwird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.“65 Johannes der Täufer verkündet den Messias, den Christus, nicht nur als denjenigen, der im Heiligen Geist „kommt“, sondern auch als den, der den Heiligen Geist „bringt“, wie Jesus selbst es im Abendmahlssaal deutlicher offenbaren wird. Johannes ist hier das treue Echo der Worte des Jesaja, die bei diesem Propheten des Alten Testamentes, die 1321 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zukunft betrafen, während sie in seiner eigenen Verkündigung an den Ufern des Jordan die unmittelbare Hinführung zur neuen messiani-schen Wirklichkeit bilden. Johannes ist nicht nur ein Prophet, sondern auch ein Bote: Er ist der Vorläufer Christi. Was er verheißt, verwirklicht sich vor den Augen aller. Jesus von Nazaret kommt zum Jordan, um auch selbst die Bußtaufe zu empfangen. Als Johannes ihn herankommen sieht, ruft er aus: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt.“66 Das sagt er unter der Eingebung des Heiligen Geistes67 und bezeugt damit die Erfüllung der Weissagung des Jesaja. Gleichzeitig bekennt er seinen Glauben an die erlösende Sendung Jesu von Nazaret. Im Munde des Täufers Johannes ist „Lamm Gottes“ ein Ausdruck der Wahrheit über den Eröser, der nicht weniger reich an Inhalt ist als der von Jesaja benutzte Ausdruck „Knecht des Herrn“. Durch das Zeugnis des Johannes am Jordan wird also Jesus von Nazaret, den die eigenen Mitbürger zurückgewiesen hatten, vor den Augen Israels als Messias hervorgehoben, als der vom Heiligen Geist „Gesalbte“. Und dieses Zeugnis wird noch bestärkt durch ein anderes Zeugnis einer höheren Ebene, wie die drei Synnoptiker berichten. Denn als alles Volk sich taufen ließ und während Jesus nach seiner Taufe im Gebet verharrte, „öffnete sich der Himmel, und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab“68, und zugleich „sprach eine Stimme aus dem Himmel: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.“69 Dies ist eine trinitarische Gotteserscheinung, die Zeugnis gibt für die Hervorhebung Christi bei der Taufe im Jordan. Sie bestätigt nicht nur das Zeugnis Johannes’ des Täufers, sondern enthüllt eine noch tiefere Dimension der Wahrheit über Jesus von Nazaret als Messias: Der Messias ist der geliebte Sohn des Vaters. Seine feierliche Hervorhebung beschränkt sich nicht auf die messianische Sendung des „Knechtes des Herrn“. Im Licht der Gotteserscheinung am Jordan erreicht diese Hervorhebung sogar die Person des Messias selbst. Er wird hervorgehoben, weil er der Sohn des göttlichen Wohlgefallens ist. Die Stimme von oben nennt ihn „mein Sohn“. <127> <127> Die Gotteserscheinung vom Jordan erhellt nur flüchtig das Geheimnis Jesu von Nazaret, dessen gesamtes Wirken sich in Gegenwart des Heiligen Geistes vollziehen wird.70 Dieses Geheimnis sollte von Jesus selbst durch das, was er „getan und gelehrt hat“71 Schritt für Schritt enthüllt und bestätigt werden. Auf der Linie dieser Verkündigung sowie der messianischen Zeichen, die Jesus vollbrachte, bevor es zur Abschiedsrede im Abendmahlssaal kam, finden wir Ereignisse 1322 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und Worte, die besonders wichtige Momente in dieser fortschreitenden Offenbarung bilden. Der Evangelist Lukas, der Jesus bereits vorgestellt hat als „erfüllt vom Heiligen Geist“ und „vom Geist in die Wüste geführt“72, berichtet uns, daß Jesus nach der Rückkehr der 72 Jünger von der ihnen vom Meister aufgetragenen Sendung73, während diese ihm voller Freude von den Ergebnissen ihres Wirkens erzählten, „in dieser Stunde, vom Heiligen Geist erfüllt, jubelnd ausgerufen hat: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen.“74 Jesus jubelt aus Freude über die göttliche Vaterschaft; er jubelt, weil es ihm geschenkt ist, diese Vaterschaft zu offenbaren; er jubelt schließlich, weil sich diese göttliche Vaterschaft in besonderer Weise auf die „Unmündigen“ erstreckt. Und der Evangelist nennt all dies „Jubel im Heiligen Geist“. Ein solcher Jubel drängt Jesus gewissermaßen dazu, uns noch mehr zu sagen. Hören wir: „Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater, und niemand weiß, wer der Vater ist, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.“75 21. Was bei der Gotteserscheinung am Jordan sozusagen „von außen, „von oben“ kam, kommt hier „aus dem Innern“ aus der Tiefe dessen, was Jesus ist. Es ist dies eine weitere Offenbarung des Vaters und des Sohnes, die geeint sind im Heiligen Geist. Jesus spricht nur von der Vaterschaft Gottes und der eigenen Sohnschaft; er spricht nicht direkt vom Geist, der Liebe ist und darum Vater und Sohn verbindet. Was er jedoch vom Vater und von sich selbst, dem Sohn, sagt, entspringt nichtsdestoweniger aus jener Fülle des Geistes, die in ihm ist, die sich in sein Herz ergießt, sein „Ich“ selbst durchdringt und sein Wirken von innen her anregt und belebt. Von daher jener „Jubel im Heiligen Geist. Die Einheit Christi mit dem Heiligen Geist, der er sich vollkommen bewußt ist, drückt sich in jenem „Jubel“ aus, der so deren verborgene Quelle gewissermaßen wahmehmen läßt. So ergibt sich eine besondere Offenbarung und Hervorhebung, wie sie dem Menschensohn, dem Christus und Messias, zu eigen ist, dessen Menschheit zur Person des Gottessohnes gehört, der mit dem Heiligen Geist in der Gottheit wesenhaft eins ist. In seinem wundervollen Bekenntnis der Vaterschaft Gottes offenbart Jesus von Nazaret auch sich selbst, sein göttliches „Ich“. Er ist fürwahr der Sohn „gleichen Wesens“, und darum weiß niemand, wer der Sohn ist, nur der Vater, und niemand weiß, wer der Vater ist, nur der Sohn“; 1323 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN jener Sohn ist er, der „für uns Menschen und zu unserem Heil ... Mensch geworden ist... durch den Heiligen Geist... von der Jungfrau Maria“. 6. Der auferstandene Christus: „Empfangt den Heiligen Geist“ 22. Durch seine Darstellung führt uns Lukas ganz in die Nähe jener Wahrheit, die in der Abschiedsrede des Abendmahlssaals enthalten ist. Jesus von Nazaret, „erhöht“ im Heiligen Geist, zeigt sich während dieser Rede und dieses Gespräches als derjenige, der den GeAr„bringt“, der ihn um den Preis seines „Fortgehens“ durch das Kreuz den Aposteln und der Kirche bringen und „geben“ muß. Das Wort „bringen“ bedeutet hier vor allem „offenbaren“. Im Alten Testament, angefangen vom Buch der Genesis, ist uns der Geist Gottes in etwa bekannt geworden zunächst als „Hauch“ Gottes, der das Leben gibt, als göttlicher „Lebenshauch“. Im Buch Jesaja wird er dargestellt als „Gabe“fm die Person des Messias, als derjenige, der auf ihm ruht, um das gesamte Heilswirken des „Gesalbten“ von innen her zu lenken. Am Jordan hat die Verheißung des Jesaja eine konkrete Form angenommen: Jesus von Nazaret ist derjenige, der im Heiligen Geist kommt und diesen als seine Gabe in eigener Person bringt, um ihn durch seine Menschheit zu verbreiten: „Er wird euch im Heiligen Geist taufen.“76 Im Lukasevangelium ist diese Offenbarung des Heiligen Geistes als innere Quelle des messianischen Lebens und Wirkens Jesu Christi bekräftigt und weiter entfaltet worden. Im Licht dessen, was Jesus in der Abschiedsrede des Abendmahlssaales sagt, wird der Heilige Geist in neuer und vollerer Weise offenbart. Er ist nicht nur eine Gabe für eine Person (für die Person des Messias), sondern ist als Gabe selbst eine Person. Jesus kündigt ihr Kommen an als das eines „anderen Beistandes“, der als Geist der Wahrheit die Apostel und die Kirche „in die ganze Wahrheit führen“ wird.77 Das wird geschehen aufgrund der besonderen Gemeinschaft zwischen dem Heiligen Geist und Christus: „Er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden.“78 Diese Gemeinschaft hat ihre ursprüngliche Quelle im Vater: „Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt: Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden.“79 Weil der Heilige Geist vom Vater stammt, wird er vom Vater gesandt.80 Der Heilige Geist wurde zunächst gesandt als Gabe für den menschgewordenen Sohn, um die messianischen Verheißungen zu 1324 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN erfüllen. Nach dem „Fortgehen“ Christi, des Sohnes, wird der Heilige Geist dem johanneischen Text zufolge direkt kommen - das ist seine neue Sendung -, um das Werk des Sohnes zu vervollständigen. So wird er es sein, der die neue Ära der Heilsgeschichte zur Vollendung bringt. 23. Wir stehen an der Schwelle zu den Osterereignissen. Die neue, endgültige Offenbarung des Heiligen Geistes als Person, die ganz Gabe ist, geschieht gerade dann. Die Osterereignisse - Leiden, Tod und Auferstehung Christi - sind auch die Zeit des erneuten Kommens des Heiligen Geistes, nun als Beistand und Geist der Wahrheit. Sie sind die Zeit des „neuen Anfangs“ in der Selbstmitteilung des dreieinigen Gottes an die Menschheit im Heiligen Geist durch das Werk Christi, des Erlösers. Dieser neue Anfang ist die Erlösung der Welt: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab.“81 Bereits im „Geben“ des Sohnes, im Geschenk des Sohnes, zeigt sich das tiefste Wesen Gottes, der ja als göttliche Liebe die unerschöpfliche Quelle des Schenkens ist. Im Geschenk, das der Sohn gibt, vervollständigen sich die Offenbarung und das Schenken der ewigen Liebe: Der Heilige Geist, der in den unergründlichen Tiefen der Gottheit Geschenk als Person ist, wird durch den Sohn, das heißt durch das Ostergeheimnis, in einer neuen Weise den Aposteln und der Kirche und durch diese der Menschheit und der ganzen Welt geschenkt. 24. Seinen endgültigen Ausdruck erhält dieses Geheimnis am Tag der Auferstehung. An diesem Tag wird Jesus vonNazaret, „der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids“, wie der Apostel Paulus schreibt, „dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt... als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten“.82 So kann man sagen, daß die „Erhöhung“ Christi als Messias im Heiligen Geist ihren Höhepunkt in der Auferstehung erreicht, in der er sich als Sohn Gottes offenbart, „voll der Kraft“. Und diese Kraft, deren Quellen in der unergründlichen dreifältigen Gemeinschaft sprudeln, zeigt sich vor allem darin, daß der auferstandene Christus sowohl die schon durch den Mund des Propheten ausgesprochene Verheißung Gottes: „Ich schenke euch in neues Herz und gebe euch einen neuen Geist..., meinen Geist“83, als auch seine eigene, den Aposteln gemachte Verheißung: „Wenn ich fortgegangen bin, so werde ich ihn zu euch senden“84, erfüllt. Es ist der Geist der Wahrheit, der Beistand, den der auferstandene Christus sendet, um uns in seine eigene Gestalt des Auferstandenen zu verwandeln.85 So heißt es im Evangelium: „Am Abend dieses ersten Tages der 1325 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, daß sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!“*6 Alle Einzelheiten dieses Schlüsseltextes des Johannesevangeliums haben ihre Aussagekraft, vor allem, wenn wir sie im Bezug auf die Worte lesen, die am Beginn der Osterereignisse im selben Abendmahlssaal gesprochen worden sind. Nunmehr gelangen alle Ereignisse - das Triduum sacrum, die drei heiligen Tage Jesu, den der Vater gesalbt und in diese Welt gesandt hat - zu ihrer Erfüllung. Christus, der am Kreuz „seinem Geist aufgegeben hatte“ als Menschensohn und Lamm Gottes, geht gleich nach der Auferstehung zu den Aposteln, um sie mit jener Kraft „anzuhauchen“, von der der Römerbrief spricht. Das Kommen des Herrn erfüllt die Anwesenden mit Freude. Ihr „Kummer wird sich in Freude verwandeln“, wie er selbst vor seinem Leiden schon versprochen hatte. Und vor allem verwirklicht sich die hauptsächliche Verheißung der Abschiedsrede: Der auferstandene Christus „bringt“ den Aposteln, indem er gleichsam eine neue Schöpfung einleitet, den Heiligen Geist. Er bringt ihn um den Preis seines „Fortgehens“: Er schenkt ihnen diesen Geist gewissermaßen durch die Wunden seiner Kreuzigung: „Er zeigte ihnen seine Hände und seine Seite.“ Kraft dieser Kreuzigung kann er ihnen sagen: „Empfangt den Heiligen Geist.“ Es bildet sich so enges Band zwischen dem Senden des Sohnes und dem Senden des Heiligen Geistes. Es gibt keine Sendung des Heiligen Geistes (nach der Ursünde) ohne das Kreuz und die Auferstehung: „Wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen.“ Es bildet sich auch ein enges Band zwischen der Sendung des Heiligen Geistes und der Sendung des Sohnes innerhalb der Erlösung. Die Sendung des Sohnes findet in gewissem Sinne ihre „Vollendung“ in der Erlösung. Die Sendung des Heiligen Geistes „schöpft“ aus der Erlösung: „Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden.“ Die Erlösung wird vollständig gewirkt vom Sohn als dem Gesalbten, der in der Kraft des Heiligen Geistes gekommen ist und gehandelt hat, indem er sich schließlich am Holz des Kreuzes als Ganzopfer hingegeben hat. Aber zugleich wird diese Erlösung im Herzen und Gewissen der Menschen - in der Geschichte der Welt - vom Heiligen Geist, dem „anderen Beistand“, ständig gewirkt. 1326 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 7. Der Heilige Geist und die Zeit der Kirche 25. „Als das Werk vollendet war, das der Vater dem Sohn auf Erden zu tun aufgetragen hatte (vgl. Joh 17,4), wurde am Pflngsttag der Heilige Geist gesandt, auf daß er die Kirche immerfort heilige und die Gläubigen so durch Christus in einem Geiste Zugang hätten zum Vater (vgl. Eph 2,18). Er ist der Geist des Lebens, die Quelle des Wassers, das zu ewigem Leben aufsprudelt (vgl. Jo/z4,14; 7,38-39); durch ihn macht der Vater die in der Sünde erstorbenen Menschen lebendig, um endlich ihre sterblichen Leiber in Christus aufzuerwecken (vgl. Röm 8,10-ii ym In dieser Weise spricht das II. Vatikanische Konzil von der Geburt der Kirche am Pfingsttag. Dieses Ereignis bildet die endgültige Offenbarung dessen, was schon am Ostersonntag im selben Abendmahlssaal geschehen war. Der auferstandene Christus kam und „brachte“ den Aposteln den Heiligen Geist. Er schenkte ihn mit den Worten: „Empfangt den Heiligen Geist.“ Was damals im Innern des Abendmahlssaals, bei „verschlossenen Türen“, geschehen war, wird später, am Pfingsttag, auch nach draußen getragen, vor die Menschen. Es öffnen sich die Türen des Saales, und die Apostel wenden sich den Einwohnern und den zum Fest anwesenden Pilgern in Jerusalem zu, um in der Kraft des Heiligen Geistes für Christus Zeugnis abzulegen. Auf diese Weise erfüllt sich die Verheißung: „Er (der Geist) wird für mich Zeugnis ablegen. Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen, weil ihr von Anfang an bei mir seid.“93 In einem anderen Dokument des II. Vatikanischen Konzils lesen wir: „Ohne Zweifel wirkte der Heilige Geist schon in der Welt, ehe Christus verherrlicht wurde. Am Pfingsttage jedoch ist er auf die Jünger herabgekommen, um auf immer bei ihnen zu bleiben. Die Kirche wurde vor der Menge öffentlich bekanntgemacht, und die Ausbreitung des Evangeliums unter den Heiden durch die Verkündigung nahm ihren Anfang.“94 Die Zeit der Kirche hat begonnen mit dem „Kommen“, das heißt mit der Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel, die im Abendmahlssaal von Jerusalem mit Maria, der Mutter des Herrn, versammelt waren95. Die Zeit der Kirche hat in jenem Augenblick begonnen, als die Verheißungen und Ankündigungen, die sich so ausdrücklich auf den Beistand, auf den Geist der Wahrheit, bezogen, anfingen, sich in aller Macht und Deutlichkeit an den Aposteln zu erfüllen und so die Geburt der Kirche zu bewirken. Hiervon spricht ausführlich und an vielen Stellen die Apostelge- 1327 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schichte, aus der sich ergibt, daß der Heilige Geist im Bewußtsein der Urgemeinde, deren Überzeugungen Lukas wiedergibt, die unsichtbare - in gewisser Weise aber auch „wahrnehmbare“ - Führung derer übernommen hat, die sich nach dem Fortgang des Herrn Jesus zutiefst als Waisen zurückgelassen fühlten. Mit dem Kommen des Geistes sahen sie sich nun in die Lage versetzt, die ihnen anvertraute Sendung zu erfüllen. Sie fühlten sich voller Kraft. Ebendies hat der Heilige Geist bewirkt, und das bewirkt er in der Kirche ständig in ihren Nachfolgern. Das Gnadengeschenk des Heiligen Geistes, das die Apostel durch die Auflegung der Hände an ihre Mitarbeiter Weitergaben, wird ja in der Bischofsweihe immer wieder übertragen. Die Bischöfe ihrerseits geben im Weihesakrament den Geistlichen Anteil an dieser Gnadengabe und sorgen dafür, daß im Firmsakrament alle, die wiedergeboren sind aus dem Wasser und dem Geist, darin bestärkt werden. So bleibt die Pflngstgnade in gewisser Weise immer in der Kirche gegenwärtig. Wie das Konzil schreibt, „wohnt der Geist in der Kirche und in den Herzen der Gläubigen wie in einem Tempel (vgl. 1 Kor3,16; 6,19), in ihnen betet er und bezeugt ihre Annahme an Sohnes statt (vgl. Ga/4,6; Rom 8,15-16 u. 26). Er führt die Kirche in alle Wahrheit ein (vgl. Joh 16,13), eint sie in Gemeinschaft und Dienstleistung, bereitet und lenkt sie durch die verschiedenen hierarchischen und charismatischen Gaben und schmückt sie mit seinen Früchten (vgl. Eph 4,11-12; 1 Kor 12,4; Gal 5,22). Durch die Kraft des Evangeliums läßt er die Kirche allezeit sich verjüngen, erneuert sie immerfort und geleitet sie zur vollkommenen Vereinigung mit ihrem Bräutigam.“96 26. Die zitierten Stellen aus der Konzilskonstitution Lumen gentium sagen uns, daß mit dem Kommen des Heiligen Geistes die Zeit der Kirche begonnen hat. Sie sagen, uns auch, daß diese Zeit, die Zeit der Kirche, fortdauert. Sie dauert fort über die Jahrhunderte und Generationen hinweg. In unserem Jahrhundert, in dem sich die Menschheit bereits dem Ende des zweiten Jahrtausends nach Christus nähert, hat sich diese Zeit der Kirche einen besonderen Ausdruck im II. Vatikanischen Konzil gegeben, als dem Konzil unseres Jahrhunderts. Es ist ja bekannt, daß dies vor allem ein „ekklesiologisches“ Konzil gewesen ist: ein Konzil überdas Thema der Kirche. Zugleich ist die Lehre dieses Konzils wesentlich „pneumatologisch“: durchdrungen von der Wahrheit über den Heiligen Geist als Seele der Kirche. Wir können sagen, daß das II. Vatikanische Konzil in seiner reichhaltigen Lehre gewiß alles enthält, „was der Geist den Kirchen sagt“97 im Hinblick auf die gegenwärtige Phase der Heilsgeschichte. 1328 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Indem das Konzil der Führung des Geistes der Wahrheit gefolgt ist und zusammen mit ihm Zeugnis abgelegt hat, hat es die Gegenwart des Heiligen Geistes, des Beistandes, in besonderer Weise bestätigt. In gewissem Sinne hat es diesen in unserer schwierigen Epoche erneut „gegenwärtig“ gesetzt. Im Licht dieser Überzeugung versteht man besser die große Bedeutung aller Initiativen, welche die Verwirklichung des II. Vatikanischen Konzils, seiner Lehre und seiner pastoralen wie ökumenischen Ausrichtung, zum Ziel haben. In diesem Sinne müssen auch die nachfolgenden Versammlungen der Bischofssynode gesehen und gewertet werden, die bewirken wollen, daß die Früchte der Wahrheit und der Liebe - die echten Früchte des Heiligen Geistes - ein bleibendes Gut des Volkes Gottes auf seiner irdischen Pilgerschaft durch die Jahrhunderte werden. Diese Arbeit der Kirche ist unerläßlich, um die vom Konzil geschenkten Heilsfrüchte des Geistes zu sichten und zu bestärken. Zu diesem Zweck muß man sie aufmerksam von allem zu „unterscheiden“ wissen, was im Gegensatz dazu vor allem vom „Herrscher dieser Welt“98 stammen kann. Diese Unterscheidung bei der Verwirklichung des Konzilswerkes ist um so notwendiger, als das Konzil sich der heutigen Welt so geöffnet hat, wie aus den wichtigen Konzilskonstitutionen Gaudium et spes und Lumen gentium klar ersichtlich ist. Wir lesen in der Pastoralkonstitution: „Ist doch ihre eigene Gemeinschaft (der Jünger Christi) aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden„Die Kirche weiß sehr wohl, daß Gott, dem sie dient, allein die Antwort ist auf das tiefste Sehnen des menschlichen Herzens, das an den Graben der Erde nie voll sich sättigen kann.“100 Die „wunderbare Vorsehung (des Geistes Gottes) leitet den Lauf der Zeiten und erneuert das Antlitz der Erde“.101 1329 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN II. Teil Der Geist, der die Welt ihrer Sünde übeiführt 1. Sünde, Gerechtigkeit und Gericht 27. Als Jesus während der Abschiedsrede im Abendmahlssaal das Kommen des Heiligen Geistes um den „Preis“ seines Fortgehens ankündigt und verspricht:'„Wenn ich fortgehe, werde ich ihn zu euch senden“, fügt er im gleichen Zusammenhang hinzu: „Und wenn er kommt, wird er die Welt überführen (und auf decken), was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist.“102 Derselbe Beistand und Geist der Wahrheit, der versprochen ist als derjenige, der „lehren“ und „erinnern“, der „Zeugnis ablegen“ und „in die ganze Wahrheit einführen wird“, wird mit den soeben zitierten Worten angekündigt als jener, der „die Welt überführen (und aufdecken) wird, was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist“. Bedeutungsvoll erscheint auch der Kontext. Jesus verbindet diese Ankündigung des Heiligen Geistes mit den Worten, die auf sein „Fortgehen“ durch das Kreuz hinweisen, und unterstreicht sogar dessen Notwendigkeit: „Es ist gut für euch, daß ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen.“103 Noch wichtiger aber ist die Erklärung, die Jesus selbst zu diesen drei Worten - Sünde, Gerechtigkeit, Gericht - hinzufügt. Denn er sagt: „Er wird die Welt überführen (und aufdecken), was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist; Sünde, daß sie nicht an mich glauben; Gerechtigkeit, daß ich zum Vater gehe und ihr mich nicht mehr seht; Gericht, daß der Herrscher dieser Welt gerichtet ist.“104 Sünde, Gerechtigkeit und Gericht haben im Denken Jesu einen sehr bestimmten Sinn, der sich von dem unterscheidet, den einer vielleicht diesen Worten geben möchte, unabhängig von der Erklärung dessen, der hier spricht. Diese Erklärung weist auch daraufhin, wie jenes „die Welt überführen“ verstanden werden soll, welches der Heilige Geist bewirkt. Hier ist sowohl die Bedeutung der einzelnen Worte wie auch die Tatsache wichtig, daß Jesus sie miteinander im selben Satz verbunden hat. „Sünde“ bezeichnet an dieser Stelle den Unglauben, den Jesus inmitten der „Seinen“ angetroffen hat, angefangen von seinen Mitbürgern in Nazaret. Sie bedeutet die Ablehnung seiner Sendung, die die Men- 1330 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sehen dazu führt, ihn zum Tod zu verurteilen. Wenn Jesus anschließend von „Gerechtigkeit“ spricht, scheint er jene endgültige Gerechtigkeit vor Augen zu haben, die der Vater ihm zuteil werden läßt, wenn er ihn mit der Herrlichkeit der Auferstehung und der Himmelfahrt bekleidet: „Ich gehe zum Vater.“ Im Zusammenhang der so verstandenen „Sünde“ und „Gerechtigkeit“ bedeutet „Gericht“ sodann, daß der Geist der Wahrheit die Schuld der „Welt“ an der Verurteilung Jesu zum Tod am Kreuz aufzeigen wird. Doch ist Christus nicht nur in die Welt gekommen, um sie zu richten und zu verurteilen. Er ist gekommen, um sie zu retten.m Die Welt der Sünde und der Gerechtigkeit zu überführen, hat ihre Rettung zum Ziel, das Heil der Menschen. Genau diese Wahrheit scheint durch die Feststellung betont zu werden, daß das „Gericht“nur den „Herrscher dieser Welt“, das heißt Satan, betrifft, der von Anfang an das Werk der Schöpfung gegen das Heil, gegen den Bund und die Einheit des Menschen mit Gott mißbraucht: Er ist von Anfang an „schon gerichtet“. Wenn der Geist, der Beistand, die Welt gerade dem Gericht überführen soll, so geschieht dies, um das Heilswerk Christi fortzusetzen. 28. Wir wollen hier unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf diese Sendung des Heiligen Geistes richten, die die „Welt der Sünde überführen“ soll, dabei aber zugleich auf den allgemeinen Kontext der Worte Jesu beim Abendmahl achten. Der Heilige Geist, der vom Sohn das Werk der Erlösung der Welt übernimmt, übernimmt eben damit die Aufgabe, „der Sünde zu überführen“, um zu heilen. Dieses Überführen steht in ständiger Beziehung zur „ Gerechtigkeit“, das heißt zum endgültigen Heil in Gott, zur Vollendung der Heilsökonomie, deren Mitte der gekreuzigte und verherrlichte Christus ist. Diese Heilsökonomie Gottes entzieht den Menschen gewissermaßen dem „Gericht“, der Verdammung, von der die Sünde Satans, des „Herrschers dieser Welt“, betroffen ist, der aufgrund seiner Sünde „Beherrscher dieser finsteren Welt“106 geworden ist. Durch einen solchen Bezug zum „Gericht“ eröffnet sich ein weiter Horizont für das Verständnis von „Sünde“ und auch von „Gerechtigkeit“. Indem der Heilige Geist vor dem Hintergrund des Kreuzes Christi die Sünde in der Heilsökonomie (sozusagen „die erlöste Sünde“) aufzeigt, läßt er uns zugleich verstehen, wie es auch zu seiner Sendung gehört, jener Sünde zu „überführen“, die schon endgültig verurteilt ist („die verurteilte Sünde“). 29. Alle Worte, die vom Erlöser im Abendmahlssaal vor seinem Leiden gesprochen wurden, prägen sich der Zeit der Kirche ein: vor allem 1331 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN jene über den Heiligen Geist als Beistand und Geist der Wahrheit. Sie prägen sich ihr in immer neuer Weise ein, in jeder Generation, in jeder Epoche. Soweit es unser Jahrhundert betrifft, wird dies von der gesamten Lehre des II. Vatikanischen Konzils, besonders aber von der Pasto-ralkonstitution Gaudium et spes, bestätigt. Viele Abschnitte dieses Dokumentes zeigen deutlich, daß sich das Konzil, indem es sich dem Licht des Geistes der Wahrheit öffnet, als der wahre Hort der Ankündigungen und Verheißungen versteht, die Christus den Aposteln und der Kirche in seiner Abschiedsrede gemacht hat: in besonderer Weise jener Ankündigung, nach welcher der Heilige Geist die Welt überführen (und aufdecken) soll, „was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist“. Das zeigt schon der Text, in welchem das Konzil erklärt, wie es „die JLe/Uversteht: „Vor seinen (des Konzils) Augen steht also die Welt der Menschen, das heißt die ganze Menschheitsfamilie mit der Gesamtheit der Wirklichkeiten, in denen sie lebt; die Welt, der Schauplatz der Geschichte der Menschheit, von ihren Unternehmungen, Niederlagen und Siegen geprägt; die Welt, die nach dem Glauben der Christen durch die Liebe des Schöpfers begründet ist und erhalten wird; die unter die Knechtschaft der Sünde geraten, von Christus aber, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, durch Brechung der Herrschaft des Bösen befreit wurde; bestimmt, umgestaltet zu werden nach Gottes Heilsratschluß und zur Vollendung zu kommen.“107 In Bezug auf diese kurz zusammenfassende Beschreibung sind alle anderen Abschnitte in dieser Pastoralkonstitution zu lesen, die mit ganzem Glaubensrealismus die Situation der Sünde in der gegenwärtigen Welt aufzuzeigen und auch ihr Wesen von verschiedenen Seiten her zu erklären suchen.108 Wenn Jesus am Vorabend des Osterfestes vom Heiligen Geist als jenem spricht, der „die Welt der Sünde überführen wird“, muß man seiner Aussage einerseits den größtmöglichen Umfang beimessen, insofern sie die Gesamtheit der Sünden in der Geschichte der Menschheit umfaßt. Wenn Jesus andererseits jedoch erklärt, daß diese Sünde darin besteht, daß „sie nicht an ihn glauben“, so scheint dieser Umfang sich auf diejenigen zu beschränken, die die messianische Sendung des Menschensohnes verworfen und ihn zum Kreuzestod verurteilt haben. Aber es ist offenkundig, daß dieser mehr „eingeschränkte“ und geschichtlich festgelegte Umfang der Bedeutung von Sünde schließlich universale Ausmaße annimmt aufgrund der Universalität der Erlösung, die durch das Kreuz vollbracht worden ist. Die Offenbarung des Geheimnisses der Erlösung eröffnet den Weg zu einem Verständnis, in dem jede Sünde, wo und wann auch immer sie begangen wurde, auf 1332 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN das Kreuz Christi bezogen wird - und so indirekt auch auf die Sünde jener, die „nicht an ihn geglaubt haben“, indem sie Jesus Christus zum Tod am Kreuz verurteilt haben. Von diesem Gesichtspunkt her müssen wir noch einmal zum Pfingst-ereignis zurückkehren. 2. Das Zeugnis des Pflngsttages 30. Die Verheißungen Christi in seiner Abschiedsrede und insbesondere die Ankündigung, die wir hier behandeln: „Der Beistand... wird die Welt der Sünde überführen“, fanden am Pfingsttag ihre wörtliche und unmittelbare Bestätigung. An jenem Tag kam der verheißene Heilige Geist auf die Apostel herab, die zusammen mit Maria, der Mutter Jesu, im gleichen Abendmahlssaal zum Gebet versammelt waren, wie wir in der Apostelgeschichte lesen: „Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab“109, „indem sie so die verstreuten Rassen zur Einheit führten und dem Vater das Erstlingsopfer aller Nationen darboten.“110 Die Beziehung zwischen diesem Ereignis und der Ankündigung Christi ist offenkundig. Wir sehen hier die erste und grundlegende Erfüllung der Verheißung des Beistandes. Vom Vater gesandt, kommt dieser „nach“ dem Fortgehen Christi, „um dessen Preis“. Dies ist zunächst ein Fortgehen durch seinen Tod am Kreuz, dann aber auch, 40 Tage nach seiner Auferstehung, durch seine Himmelfahrt. Noch im Augenblick der Himmelfahrt gebietet Jesus den Aposteln: „Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters“, „ihr werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauj?‘\ „ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herab kommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.“111 Diese letzten Worte enthalten ein Echo oder eine Erinnerung an die Verheißung im Abendmahlssaal. Am Pfingsttag erfüllt sich diese Verheißung ganz genau. Unter dem Antrieb des Heiligen Geistes, den die Apostel während des Gebetes im Abendmahlssaal empfangen haben, zeigt sich Petrus vor einer großen Schar von Menschen verschiedener Sprachen, die zum Fest versammelt sind, und spricht zu ihnen. Er verkündet, was er vorher nicht den Mut gehabt hätte zu sagen: „Israeliten, ... Jesus, den Nazoräer, den Gott vor euch beglaubigt hat durch 1333 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN machtvolle Taten, Wunder und Zeichen, die er durch ihn in eurer Mitte getan hat..ihn, der nach Gottes beschlossenem Willen und Vorauswissen hingegeben wurde, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und umgebracht. Gott aber hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt, denn es war unmöglich, daß er vom Tod festgehalten wurde.“112 Jesus hatte es vorausgesagt und versprochen: „Er wird Zeugnis für mich ablegen, und auch ihr sollt Zeugnis ablegen.“ Mit der ersten Rede des Petrus in Jerusalem nimmt jenes „Zeugnis“ seinen deutlichen Anfang: Es ist das Zeugnis über Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, das Zeugnis des Geistes und Beistandes sowie das der Apostel. In den Worten jenes ersten Zeugnisses „überführt“ der Geist der Wahrheit durch den Mund des Petrus „die Welt der Sünde“: vor allem jener Sünde, die in der Zurückweisung Christi bis zur Verurteilung zum Tod, bis zum Kreuz auf Golgota, besteht. Verkündigungen mit ähnlichem Inhalt wiederholen sich nach den Texten der Apostelgeschichte bei anderen Gelegenheiten und an verschiedenen Orten.113 31. Von diesem Erstzeugnis zu Pfingsten an ist das Handeln des Geistes der Wahrheit, der die Welt der Sünde der Zurückweisung Christi überführt, eng mit der Bezeugung des österlichen Geheimnisses verbunden: mit dem Geheimnis des Gekreuzigten und Auferstandenen. In dieser Verbindung offenbart dieses „der Sünde Überführen“ seine heilschaffende Dimension. Es ist ja ein „Überführen“, dessen Ziel nicht die bloße Anklage der Welt ist, noch weniger ihre Verdammung. Jesus Christus ist nicht in die Welt gekommen, um sie zu verurteilen und zu verdammen, sondern um sie zu retten.114 Das wird bereits in dieser ersten Rede unterstrichen, wenn Petrus ausruft: „Mit Gewißheit erkenne also das ganze Haus Israel: Gott hat ihn zum Herrn und Messias gemacht, diesen Jesus, denn ihr gekreuzigt habt.“115 Und als darauf die Anwesenden Petrus und die anderen Apostel fragen: „Was sollen wir tun, Brüder?“, antwortet dieser: „Kehrt um, und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“116 Auf diese Weise wird das „ der Sünde Überführen “zugleich ein Überzeugen von der Vergebung der Sünden in der Kraft des Heiligen Geistes. In seiner Rede zu Jerusalem ruft Petrus zur Umkehr auf, so wie Jesus seine Zuhörer am Beginn seiner messianischen Sendung aufgerufen hat.117 Umkehr erfordert, von der Sünde überzeugt zu werden; sie enthält ein inneres Gewissensurteil, und da dieses eine Prüfung durch das Handeln des Geistes der Wahrheit im Herzen des Menschen ist, wird 1334 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN es zugleich zum Beginn einer neuen Ausspendung von Gnade und Liebe: „Empfangt den Heiligen Geist.“118 Wir entdecken so in diesem „der Sünde Überfuhren“ eine doppelte Gabe: das Geschenk der Wahrheit des Gewissens und das Geschenk der Gewißheit der Erlösung. Der Geist der Wahrheit ist auch der Beistand. Das Überfuhren der Sünde durch den Dienst der apostolischen Verkündigung in der Urkirche wird - unter dem Antrieb des Pfmgstgeistes - auf die erlösende Kraft des gekreuzigten und auferstandenen Christus bezogen. So erfüllt sich die auf den Heiligen Geist gerichtete vorösterliche Verheißung: „Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden.“ Wenn darum Petrus während des Pfmgstereignisses von der Sünde jener spricht, die „nicht geglaubt haben“119 und die Jesus von Nazaret einem schmachvollen Tod übergeben haben, legt er Zeugnis ab für den Sieg über die Sünde: ein Sieg, der in gewissem Sinne „durch“ die größte Sünde vollbracht worden ist, die der Mensch begehen konnte: die Tötung Jesu, des Gottessohnes, der dem Vater wesensgleich ist! Ähnlich besiegt der Tod des Sohnes Gottes den Tod des Menschen: „Ich werde dein Tod sein, o Tod“120, wie die Sünde, den Sohn Gottes gekreuzigt zu haben, die menschliche Sünde „besiegt“! Jene Sünde, die sich am Karfreitag in Jerusalem ereignete - und auch jede Sünde des Menschen. Der größten Sünde von seiten des Menschen entspricht nämlich im Herzen des Erlösers die Darbietung der höchsten Liebe, die das Böse aller Sünden der Menschen überwindet. Auf der Grundlage dieser Gewißheit zögert die Kirche nicht, in der römischen Liturgie jedes Jahr während der Feier der Osternacht, wenn der Diakon die Auferstehung mit dem Gesang des „Exsultet“ verkündet, die Worte zu wiederholen: „0 glückliche Schuld!“ 32. Von dieser unsagbaren Wahrheit kann jedoch niemand die Welt, den Menschen, das menschliche Gewissen überzeugen, wenn nicht er selbst, der Geist der Wahrheit. Er ist der Geist, der „die Tiefen Gottes ergründet“.121 Angesichts des Geheimnisses der Sünde muß man „die Tiefen Gottes“ ganz und gar ergründen. Es genügt nicht, das menschliche Gewissen, das innerste Geheimnis des Menschen zu durchforschen, sondern man muß in das innerste Geheimnis Gottes Vordringen, in jene „Tiefen Gottes“, die man so zusammenfassen kann: zum Vater - im Sohn - durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist ist es, der sie „ergründet“, und von dort her gibt er die Antwort Gottes auf die Sünde des Menschen. Mit dieser Antwort endet der Vorgang, durch den dieser „die Welt ihrer Sünde überführt“, wie es das Pfingstereignis deutlich macht. 1335 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Indem der Heilige Geist so die „Welt“ der Sünde von Golgota, des Todes des unschuldigen Lammes, überfuhrt, wie es am Pfingsttag geschieht, deckt er auch jede andere Sünde auf, die an jedem Ort und in jedem Augenblick der Geschichte des Menschen begangen wird: Er beweist ihren Bezug zum Kreuz Christi. Dieses „Überführen“ ist der Aufweis des Bösen der Sünde, in ihrem Bezug zum Kreuz Christi. In diesem Zusammenhang wird die Sünde in der ganzen Tiefe des Bösen erkannt, die ihr eigen ist, in ihrem „mysterium iniquitatis“, dem „Geheimnis des Bösen“122, das in ihr enthalten und verborgen ist. Der Mensch kennt diese Tiefe nicht - ohne das Kreuz Christi kann er sie in keiner Weise erkennen. Er kann deshalb nur vom Heiligen Geist davon „überzeugt“ werden, dem Geist der Wahrheit, aber auch des Trostes. Wenn die Sünde in ihrem Zusammenhang mit dem Kreuz Christi dargestellt wird, wird sie zugleich auch in der ganzen Tiefe des „ Geheimnisses unseres Glaubens"123 erkannt, wie das nachsynodale Apostolische Schreiben Reconciliatio et paenitentia aufgezeigt hat.124 Auch diese Dimension der Sünde erkennt der Mensch in keiner Weise ohne das Kreuz Christi. Und auch von ihr kann er nur durch den Heiligen Geist „überzeugt“ werden: von ihm, der „die Tiefen Gottes ergründet“. 3. Das Zeugnis vom Anfang: die Ursünde 33. Diese Dimension der Sünde finden wir im Zeugnis vom Anfang, wie es das Buch Genesis125 berichtet. Es ist die Sünde, die nach dem geoffenbarten Wort Gottes den Anfang und die Wurzel aller anderen Sünden bildet. Wir befinden uns hier am Ursprung der Sünde in der Geschichte des Menschen und zugleich im Ganzen der Heilsökonomie. Man kann sagen, daß in dieser Sünde „das Geheimnis des Bösen“ seinen Anfang nahm, aber auch, daß gerade an dieser Sünde die erlösende Kraft des „Geheimnisses unseres Glaubens“ besonders deutlich und wirksam wird. Das drückt der heilige Paulus aus, wenn er dem „Ungehorsam“ des ersten Adam den „Gehorsam“ Christi, des zweiten Adam, gegenüberstellt: „Er war gehorsam bis zum Tod.“126 Nach dem Zeugnis vom Anfang geschieht die Ursünde im Willen -und im Gewissen - des Menschen vor allem als „Ungehorsam“, als Widerstand des menschlichen Willens gegen den Willen Gottes. Dieser Ungehorsam des Anfangs setzt die Zurückweisung oder zumindest das Abweichen von der Wahrheit voraus, die im Wort Gottes enthalten ist, der die Welt erschafft. Dieses Wort ist dasselbe, das „am Anfang... bei Gott“ war, das „Gott war“ und „ohne das nichts wurde, was geworden ist“; denn „die Welt ist durch ihn geworden“.127 1336 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dieses Wort ist auch ewiges Gesetz, Ursprung jeden Gesetzes, das die Welt und besonders die menschlichen Akte ordnet. Wenn Jesus Christus also am Vorabend seines Leidens von der Sünde jener spricht, die „nicht an ihn glauben“, enthalten diese seine Worte voller Schmerz gleichsam ein fernes Echo jener Sünde, die sich in ihrer Urform wie ein dunkler Schatten über das Geheimnis der Schöpfung legt. Der hier spricht, ist ja nicht nur der Menschensohn, sondern jener, der auch „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung ist“; „denn in ihm wurde alles erschaffen, ... durch ihn und auf ihn hin.“128 Im Licht dieser Wahrheit versteht man, daß der „Ungehorsam“ im Geheimnis des Anfangs in gewissem Sinne dasselbe „Nicht-Glauben“ voraussetzt, jenes gleiche „sie haben nicht geglaubt“, wie es sich gegenüber dem österlichen Geheimnis wiederholen wird. Wie bereits gesagt, handelt es sich um die Zurückweisung oder zumindest um das Ab weichen von der Wahrheit im Wort des Vaters. Die Zurückweisung äußert sich praktisch als „Ungehorsam“, im Eingehen auf die Versuchung, die vom „Vater der Lüge“129 ausgeht. An der Wurzel menschlicher Sünde steht also die Lüge als radikale Zurückweisung der Wahrheit, die im Wort des Vaters enthalten ist, durch das sich die liebevolle Allmacht des Schöpfers ausdrückt: die Allmacht und zugleich die Liebe „Gottes des Vaters, des Schöpfers des Himmels und der Erde“. 34. „Der Geist Gottes““, der nach der biblischen Darstellung der Schöpfung „über den Wassern schwebte“130, bezeichnet denselben „Geist, der die Tiefen Gottes ergründet“: Er ergründet die Tiefen des Vaters sowie des Sohnes und Ewigen Wortes im Geheimnis der Schöpfung. Er ist nicht nur der unmittelbare Zeuge ihrer gegenseitigen Liebe, aus der die Schöpfung hervorgeht, sondern ist selbst diese Liebe. Er selbst ist als Liebe ewiges, unerschaffenes Geschenk. In ihm ist der Ursprung und Anfang jeder Gabe für die Geschöpfe. Das Zeugnis vom Anfang, das wir vom Buch Genesis an in der ganzen Offenbarung finden, ist in diesem Punkt eindeutig. Erschaffen heißt aus dem Nichts in das Sein rufen; erschaffen will also sagen, Existenz schenken. Und wenn die sichtbare Welt für den Menschen geschaffen wird, dann wird ihm damit die Welt als Geschenk gegeben.131 Gleichzeitig erhält derselbe Mensch für sein Wesen ein besonderes „Bild und Gleichnis“ Gottes zum Geschenk. Das bedeutet nicht nur Verstand und Freiheit als konstitutive Eigenschaften der menschlichen Natur, sondern auch von Anfang an die Fähigkeit zur personalen Beziehung mit Gott, als „ich“ und „du“, und so die Fähigkeit, einen Bund mit ihm zu schließen, zu dem es durch die heilschaffende Selbstmittei- 1337 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN lung Gottes an den Menschen kommen wird. Auf dem Hintergrund jenes „Bildes und Gleichnisses“ Gottes bedeutet „das Geschenk des Geistes“ schließlich die Berufung zur Freundschaft, bei der sich die transzendenten „Tiefen Gottes“ gleichsam öffnen, damit der Mensch daran teilhaben kann. Das II. Vatikanische Konzil lehrt: „Der unsichtbare Gott (vgl. Kol 1,15; 1 Tim 1,17) redet aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14-15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3,38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen.“132' 35. Deswegen kennt der Geist, der „alles, auch die Tiefen Gottes ergründet“, von Anfang an „die Geheimnisse des Menschen“133. Aus diesem Grund kann nur er vollkommen „der Sünde überführen“, die es von Anfang an gab, jener Sünde, die die Wurzel aller anderen Sünden und der Herd der Sündhaftigkeit des Menschen auf der Erde ist, der nie erlischt. Der Geist der Wahrheit kennt die Ursünde, die durch den „Vater der Lüge“ - durch den, der schon „gerichtet ist“134 - im Willen des Menschen verursacht wird. Der Heilige Geist überführt also die Welt der Sünde im Hinblick auf dieses „Urteil“, aber auch, indem er ständig zu jener „Gerechtigkeit“ hinführt, die dem Menschen zusammen mit dem Kreuz Christi offenbart worden ist: durch „den Gehorsam bis zum Tod“135. Nur der Heilige Geist kann der Sünde des menschlichen Anfangs überführen, er allein, der die Liebe des Vaters und des Sohnes ist, er, der ganz und gar Geschenk ist, während die Sünde des menschlichen Anfangs in der Lüge und in der Zurückweisung dieses Geschenkes und dieser Liebe besteht, die über den Anfang der Welt und des Menschen bestimmen. 36. Dem Zeugnis vom Anfang entsprechend, das wir in der Heiligen Schrift und in der Tradition finden, wird die Sünde nach der ersten und auch vollständigeren B eschreibung im Buch Genesis in ihrer ursprünglichen Form als „Ungehorsam“ verstanden, was einfach und direkt Übertretung eines von Gott gegebenen Verbotes bedeutet.136 Aber im Licht des ganzen Zusammenhanges ist auch offenkundig, daß die Wurzeln dieses Ungehorsams in. der Tiefe der gesamten konkreten Wirklichkeit des Menschen gesucht werden müssen. Nachdem er ins Dasein gerufen ist, bleibt der Mensch - Mann und Frau - ein Geschöpf. Das „Abbild Gottes“, das in Vernunft und Freiheit besteht, besagt die Größe und die Würde des Menschen, der Person ist. Aber diese Person bleibt doch immer ein Geschöpf: In ihrem Sein und Wesen hängt sie vom Schöpfer ab. 1338 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Nach dem Buch Genesis sollte „der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen“ die für ein geschaffenes Wesen unüberschreitbare „Grenze“ zum Ausdruck bringen und sie dem Menschen ständig in Erinnerung rufen. So wird das Verbot Gottes verstanden: Der Schöpfer verbietet dem Mann und der Frau, von den Früchten des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen. Die Worte der Einflüsterung oder Versuchung, wie sie in der Heiligen Schrift beschrieben wird, verführen dazu, dieses Verbot zu übertreten - das heißt, die „Grenze“ zu überschreiten: „Sobald ihr davon eßt, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott (,wie Götter‘) und erkennt Gut und Böse.“137 Der „Ungehorsam“ bedeutet genau die Überschreitung jener Grenze, die doch für Willen und Freiheit des Menschen als eines geschaffenen Wesens unüberschreitbar bleibt. Gott, der Schöpfer, ist nämlich die einzige und entscheidende Quelle der sittlichen Ordnung in der Welt, die von ihm geschaffen ist. Der Mensch kann nicht aus sich selbst entscheiden, was gut und was böse ist - er kann nicht wie Gott „Gut und Böse erkennen“. Ja, in der geschaffenen Welt bleibt Gott die erste und oberste Quelle, um Gut und Böse durch die innere Wahrheit des Seins zu bestimmen, die ein Abglanz des göttlichen Wortes ist, des ewigen und dem Vater wesensgleichen Sohnes. Dem nach dem Bild Gottes geschaffenen Menschen gibt der Heilige Geist als Geschenk das Gewissen, damit darin das Bild sein Modellgetreu widerspiegeln kann, das Weisheit und Ewiges Gesetz zugleich ist, die Quelle der sittlichen Ordnung im Menschen und in der Welt. Der „Ungehorsam“ als ursprüngliche Dimension der Sünde bedeutet die Zurückweisung dieser Quelle wegen des Anspruchs des Menschen, selbst autonome und alleinige Quelle für die Bestimmung von Gut und Böse zu werden. Der Geist, der „die Tiefen Gottes ergründet“ und zugleich für den Menschen das Licht seines Gewissens und die Quelle der sittlichen Ordnung ist, kennt diese Dimension der Sünde, die in das Geheimnis des menschlichen Anfangs eingeschrieben ist, in ihrer ganzen Tiefe. Und er läßt nicht ab, in bezug auf das Kreuz Christi auf Golgota die Welt dessen zu „überführen“. 37. Nach dem Zeugnis vom Anfang hat sich Gott selbst in der Schöpfung als Allmacht offenbart, die Liebe ist. Gleichzeitig hat er dem Menschen offenbart, daß er als „Bild und Gleichnis“ seines Schöpfers dazu berufen ist, an der Wahrheit und Liebe teilzuhaben. Diese Teilhabe bedeutet ein Leben in Gemeinschaft mit Gott, der das „ewige Leben“ ist.138 Der Mensch aber hat sich unter dem Einfluß des „Vaters der 1339 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Lüge“ von dieser Teilhabe gelöst. In welchem Ausmaß? Gewiß nicht nach dem Maß der Sünde eines reinen Geistes, nach dem Maß also der Sünde Satans. Der menschliche Geist ist unfähig, ein solches Maß zu erreichen.139 Bereits in der Darstellung der Genesis kann man leicht den graduellen Unterschied zwischen dem „bösen Hauch“ dessen, der „von Anfang an sündigt (oder in der Sünde verharrt)“140 und der schon „gerichtet ist“141 und der Bosheit des Ungehorsams des Menschen feststellen. Aber auch dieser Ungehorsam bedeutet immer, Gott den Rücken zu kehren, in gewissem Sinn ein Sichverschließen der menschlichen Freiheit ihm gegenüber. Er bedeutet aber auch eine gewisse Öffnung dieser Freiheit - des Gewissens und des menschlichen Willens - auf den hin, der der „Vater der Lüge“ ist. Dieser Akt bewußter Entscheidung ist nicht bloß „Ungehorsam“, sondern bringt auch eine gewisse Zustimmung zu jener Motivation mit sich, die in der ersten Anstiftung zur Sünde enthalten ist und in der ganzen Geschichte des Menschen auf Erden ständig erneuert wird: „Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon eßt, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.“ Wir befinden uns hier mitten im Zentrum dessen, was man das „Gegen-Wort“, das heißt die „Gegen-Wahrheit“, nennen könnte. Die Wahrheit des Menschen wird in der Tat verfälscht: wer der Mensch ist und welches die unüberschreitbaren Grenzen seines Seins und seiner Freiheit sind. Diese „Gegen-Wahrheit“ ist möglich, weil gleichzeitig die Wahrheit darüber, wer Gott ist, vollständig verfälscht wird. Gott, der Schöpfer, wird im Gewissen des Geschöpfes verdächtigt, ja sogar angeklagt. Zum erstenmal in der Geschichte des Menschen erscheint hier der böse „Geist der Verdächtigung“. Er sucht das Gute an sich, das absolute Gute, zu „verfälschen“, das sich gerade im Schöpfungswerk als das Gute offenbart hat, das sich in unsagbarer Weise schenkt: als „bonum diffusi-vum sui“ - als das Gute, das sich verströmt -, als schöpferische Liebe. Wer könnte vollkommen „der Sünde überführen“ oder diese Motivation des ursprünglichen Ungehorsams des Menschen aufdecken, wenn nicht der, der allein das Geschenk und die Quelle aller Ausspendung ist, wenn nicht der Geist, der „die Tiefen Gottes ergründet“ und der die Liebe des Vaters und des Sohnes ist? 38. Gegen das gesamte Zeugnis der Schöpfung und der mit ihr verbundenen Heilsökonomie ist der Geist der Finsternis 142 dazu fähig, Gott als Feind seines eigenen Geschöpfes hinzustellen und vor allem 1340 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN als Feind des Menschen, als Quelle von Gefahr und Bedrohung für den Menschen. Auf diese Weise wird von Satan in die Seele des Menschen der Keim des Widerstandes gegen den eingepflanzt, der als Feind des Menschen „von Anbeginn“ betrachtet werden soll - und nicht als Vater. Der Mensch wird herausgefordert, der Gegner Gottes zu werden! Die Analyse der Sünde in ihrer ursprünglichen Dimension zeigt, daß der „Vater der Lüge“ die Menschheitsgeschichte hindurch einen ständigen Druck ausübt zur Zurückweisung Gottes von seiten des Menschen bis hin zum Haß: „Amor sui usque ad contemptum Dei“ - „Selbstliebe bis zur Verachtung Gottes“, wie es der heilige Augustinus ausdrückt.143 Der Mensch neigt dann dazu, in Gott vor allem seine eigene Begrenzung zu sehen und nicht die Quelle seiner Befreiung und die Fülle des Guten. Das sehen wir in der modernen Zeit bestätigt, in der die atheistischen Ideologien die Religion aufgrund der Annahme auszurotten trachten, daß sie eine radikale „Entfremdung“ des Menschen bewirke, als ob der Mensch seines eigenen Menschseins beraubt würde, indem er in der Bejahung der Idee Gottes diesem zuschreibe, was dem Menschen und ausschließlich dem Menschen gehöre. Hieraus hat sich eine Entwicklung im Denken und in der historisch-soziologischen Praxis ergeben, bei der die Zurückweisung Gottes bis zur Erklärung seines „Todes“ gelangte. Eine gedankliche und sprachliche Absurdität! Die Ideologie des „Todes Gottes“ bedroht aber vielmehr den Menschen, wie es das II. Vatikanische Konzil aufzeigt, wenn es bei der Behandlung der Frage nach der „Autonomie der irdischen Wirklichkeit“ schreibt: „Das Geschöpf sinkt ohne den Schöpfer ins Nichts ... Überdies wird das Geschöpf selbst durch das Vergessen Gottes unverständlich.“144 Die Ideologie des „Todes Gottes“ beweist in ihren Auswirkungen leicht, auf theoretischer wie praktischer Ebene eine Ideologie des „Todes des Menschen“ zu sein. 4. Der Geist, der das Leiden in heilbringende Liebe wandelt 39. Der Geist, der die Tiefen Gottes ergründet, wird von Jesus in seiner Rede im Abendmahlssaal Paraklet, Beistand, genannt. Er wird ja seit dem Anfang „angerufen“, um „die Welt der Sünde zu überführen“.145 In endgültiger Weise wird er durch das Kreuz Christi angerufen. Der Sünde überführen bedeutet, das Böse, das in ihr ist, aufzuzeigen. Das entspricht dem Aufdecken der geheimen Macht des Bösen. Es 1341 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ist nicht möglich, das Böse der Sünde in seiner ganzen schmerzhaften Wirklichkeit zu erfassen, ohne.„die Tiefen Gottes zu ergründen“. Seit dem Anfang zeigt sich das dunkle Geheimnis der Sünde in der Welt vor dem Hintergrund seiner Beziehung zum Schöpfer der menschlichen Freiheit. Es zeigt sich als Willensakt des Menschengeschöpfes gegen den Willen Gottes: gegen den Heilswillen Gottes; ja, sogar als Widerspruch zur Wahrheit, als Folge der Lüge, die bereits endgültig „gerichtet ist“: der Lüge, die die schöpferische und heilbringende göttliche Liebe selbst ständig anklagt und verdächtigt. Der Mensch ist dem „Vater derLüge“ gefolgt, indem er sich dem Vater des Lebens und dem Geist der Wahrheit widersetzt hat. Sollte dieses „der Sünde Überführen“ demnach nicht auch das Aufdecken des Leidens bedeuten? Das Aufdecken des unfaßbaren und unaussprechlichen Schmerzes, den die Heilige Schrift in ihrer anthro-pomorphen Sicht wegen der Sünde in den „Tiefen Gottes“ und gewissermaßen sogar im Herzen der unbegreiflichen Dreifaltigkeit zu sehen scheint? Die Kirche, von der Offenbarung inspiriert, glaubt und bekennt, daß die Sünde eine Beleidigung Gottes ist. Was entspricht im unergründbaren Innern des Vaters, des Wortes und des Heiligen Geistes dieser „Beleidigung“, dieser Zurückweisung des Geistes, der Liebe und Geschenk ist? Der Begriff von Gott als des unbedingt vollkommensten Wesens schließt ganz gewiß jeden Schmerz von Gott aus, der aus einem Mangel oder einer Verletzung käme; aber es gibt in den „Tiefen Gottes“ eine Liebe des Vaters, die angesichts der Sünde des Menschen so stark reagiert, daß es in der Sprache der Bibel sogar heißt: „Es reut mich, den Menschen gemacht zu haben.“146 „Der Herr sah, daß auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm ...Da reute es den Herrn, den Menschen auf der Erde gemacht zu haben, und es tat sei-nemHerzenweh. Der Herr sagte: ,Es reut mich, sie gemacht zu haben“.“ Aber viel öfter spricht uns die Heilige Schrift von einem Vater, der Mitleid mit dem Menschen hat, gleichsam als teile er seinen Schmerz. Schließlich wird dieser unergründliche und unsagbare „Schmerz“ des Vaters vor allem das wunderbare Heilswerk der erlösenden Liebe in Jesus Christus hervorbringen, damit durch das Geheimnis des Glaubens die Liebe in der Geschichte des Menschen sich als stärker erweisen kann als die Sünde. Damit die Gnadengabe Gottes siegt! Der Heilige Geist, der nach den Worten Jesu ,jder Sünde überführt“, ist die Liebe des Vaters und des Sohnes, und als solche ist er die dreifältige Gnadengabe und zugleich die ewige Quelle aller göttlichen Gaben für die Geschöpfe. Gerade in ihm können wir jenes Erbarmen in Gestalt einer Person erblicken und in transzendenter 1342 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Weise am Werk sehen, wie es die patristische und theologische Tradition auf der Linie des Alten und Neuen Testamentes Gott zuschreibt. Im Menschen umfaßt das Erbarmen Schmerz und Mitleid für das Elend des Nächsten. In Gott führt der Geist, der Liebe ist, von der Wahrnehmung menschlicher Sünde hin zu einer neuen Ausspendung heilbringender Liebe. In Einheit mit dem Vater und dem Sohn geht aus ihm das Heilswerk hervor, das die Geschichte des Menschen mit den Gaben der Erlösung erfüllt. Wenn die Sünde durch die Zurückweisung der Liebe das „Leiden“ des Menschen hervorgebracht hat, das sich in gewisser Weise über die ganze Schöpfung ausgedehnt hat148, soll der Heilige Geist in das menschliche und kosmische Leiden mit einer neuen Ausspendung der Liebe eingehen, die die Welt erlösen wird. Und aus dem Munde Jesu, des Erlösers, in dessen Menschsein sich das „Leiden“ Gottes bewahrheitet, wird ein Wort zu hören sein, in dem sich die ewige Liebe voll göttlichen Erbarmens zeigt: „Misereor“ - “Ich habe Mitleid.“149 So verwandelt der Heilige Geist das „der Sünde Überführen“ gegenüber der Schöpfung, „die der Vergänglichkeit unterworfen ist“, und vor allem in der Tiefe des menschlichen Gewissens in eine Offenbarung darüber, wie die Sünde durch das Opfer des Gotteslammes besiegt wird, des Messias, der „bis in den Tod“ der gehorsame Knecht geworden ist und die Erlösung der Welt bewirkt, indem er den Ungehorsam des Menschen wiedergutmacht. Das ist die Weise, wie der Geist der Wahrheit, der Beistand, „der Sünde überführt“. 40. Der erlösende Wert des Opfers Christi wird mit sehr bedeutungsvollen Worten vom Verfasser des Hebräerbriefes ausgedrückt, der an die Opfer des Alten Bundes erinnert, bei denen „das Blut von Böcken und Stieren ... leiblich rein macht“, und dann hinzufügt: „Wieviel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst kraft ewigen Geistes Gott als makelloses Opfer dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott dienen?“150 Wenn wir auch um andere mögliche Interpretationen wissen, so führen uns unsere Überlegungen über die Gegenwart des Heiligen Geistes im ganzen Leben Christi dazu, in diesem Text gleichsam eine Einladung zu erblicken, über die Gegenwart dieses Geistes auch im erlösenden Opfer des menschgewordenen Wortes nachzudenken. Betrachten wir zunächst die Anfangsworte, die von diesem Opfer handeln, und dann, getrennt davon, die „Reinigung des Gewissens“, die es bewirkt. Es ist wirklich ein Opfer, das „kraft (= durch das Wirken) ewigen Geistes“ dargebracht worden ist, der daraus die Kraft schöpft, um 1343 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN des Heiles willen „der Sünde zu überführen“. Es ist derselbe Heilige Geist, den Jesus Christus nach der Verheißung im Abendmahlssaal am Tag seiner Auferstehung den Aposteln „bringen“ wird, wenn er sich ihnen mit den Wunden der Kreuzigung zeigt, und den er ihnen „zur Vergebung der Sünden“ schenkt: „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben.“151 Wir wissen, daß „Gott Jesus von Nazaret gesalbt hat mit dem Heiligen Geist“, wie Simon Petrus im Haus des Hauptmanns Cornelius sagte.152 Wir kennen das österliche Geheimnis seines „Fortgehens“, wie es das Johannesevangelium darstellt. Die Worte des Hebräerbriefes erklären uns nun, in welcher Weise „sich Christus selbst als makelloses Opfer Gott dargebracht hat“, und wie er dies „kraft ewigen Geistes“ gemacht hat. Der Heilige Geist ist im Opfer des Menschensohnes gegenwärtig und handelt dort so, wie er bei seiner Empfängnis gehandelt hat, bei seinem Kommen in diese Welt, in seinem verborgenen Leben und seinem öffentlichen Wirken. Nach dem Hebräerbrief hat sich Jesus Christus bei seinem „Fortgehen“ über Getsemani und Golgota in seiner Menschheit ebenso vollkommen diesem Handeln des Geistes und Beistandes geöffnet, der aus dem Leiden die ewige heilbringende Liebe aufleuchten läßt. Er ist es also, der „erhört worden ist... Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt“.153 Der Brief zeigt auf diese Weise, wie die Menschheit, die in den Nachkommen des ersten Adam der Sünde unterworfen war, in Jesus Christus vollkommen Gott unterworfen und mit ihm vereint worden ist und wie sie zugleich von Barmherzigkeit gegenüber den Menschen erfüllt wurde. So gibt es nun ein neues Menschsein, das in Jesus Christus und durch sein Leiden am Kreuz zur Lieb e zurückgekehrt ist, die Adam durch die Sünde verraten hatte. Sie hat sich wiedergefunden in derselben göttlichen Quelle des ursprünglichen Gnadengeschenkes: im Geist, der „die Tiefen Gottes ergründet“ und der selbst Liebe und Geschenk ist. Der Gottessohn Jesus Christus hat als Mensch im inständigen Gebet seines Leidens dem Heiligen Geist, der sein Menschsein schon voll und ganz durchdrungen hatte, gewährt, ihn durch sein Sterben zu einem vollkommenen Opfer zu machen, zu einem Opfer der Liebe am Kreuz. Allein hat er diese Gabe dargeboten. Als einziger Priester „hat er sich selbst als makelloses Opfer Gott dargebracht“.154 In seiner Menschheit war er würdig, ein solches Opfer zu werden, weil er allein „makellos“ war. Aber er brachte sich dar „kraft ewigen Geistes“: Das bedeutet, daß der Heilige Geist in besonderer Weise bei dieser vollkommenen Selbsthingabe des Menschensohnes mitgewirkt hat, um das Leiden in erlösende Liebe zu verwandeln. 1344 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 41. Im Alten Testament spricht man mehrmals vom „Feuer des Himmels“, das die von den Menschen dargebrachten Opfer verzehrte.155 In analoger Weise kann man sagen, daß der Heilige Geist „Feuervom Himmel“ ist, das in der Tiefe des Kreuzesgeheimnisses wirkt. Vom Vater ausgehend, lenkt er das Opfer des Sohnes zum Vater hin, indem er es in die göttliche Wirklichkeit der trinitarischen Gemeinschaft einbringt. Wenn die Sünde das Leiden hervorgebracht hat, so hat der Schmerz Gottes nun im gekreuzigten Christus durch den Heiligen Geist seinen vollen menschlichen Ausdruck gewonnen. Wir haben hier ein paradoxes Geheimnis der Liebe: In Christus leidet Gott, der von seiner eigenen Schöpfung zurückgewiesen wird: „Sie glauben nicht an mich!“; zugleich aber holt der Geist aus der Tiefe dieses Leidens - und indirekt aus der Tiefe eben dieser Sünde, nämlich „nicht geglaubt zu haben“ - ein neues Maß für das Gnadengeschenk, das dem Menschen und der Schöp-fungvon Anfang an gemacht worden ist. In der Tiefe des Geheimnisses des Kreuzes ist die Liebe am Werk, die den Menschen erneut zur Teilnahme am Leben bringt, das in Gott selbst ist. Der Heilige Geist als Liebe und Gnadengeschenk versenkt sich gewissermaßen in die Herzmitte jenes Opfers, das am Kreuz dargeboten wird. Mit Bezug auf die biblische Tradition können wir sagen: Erverzehrt dieses Opfer mit dem Feuer der Liebe, die den Sohn mit dem Vater in der trinitarischen Gemeinschaft vereint. Und weil das Kreuzesopfer ein eigener Akt Christi ist, „empfängt“auch er den Heiligen Geist. Er empfängt ihn auf solche Weise, daß er ihn dann - und nur er allein mit dem Vater - den Aposteln, der Kirche, der Menschheit „geben“ kann. Er allein „sendet“ ihn vom Vater.156 Er allein zeigt sich den im Abendmahlssaal versammelten Aposteln, „haucht sie an“ und sagt: „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind die vergeben“157, wie es bereits Johannes der Täufer angekündigt hatte: „Er wird euch mit Heiligem Geist und mit Feuer taufen.“158 Mit diesen Worten Jesu wird der Heilige Geist offenbart und zugleich gegenwärtig gesetzt als Liebe, die in der Tiefe des österlichen Geheimnisses als Quelle der heilbringenden Kraft des Kreuzes Christi, als Gnadengeschenk des neuen und ewigen Lebens am Werk ist. Diese Wahrheit über den Heiligen Geist findet ihren täglichen Ausdruck in der römischen Meßliturgie, wenn der Priester vor der heiligen Kommunion jene bedeutungsvollen Worte spricht: „Herr Jesus Christus, Sohn des lebendigen Gottes, dem Willen des Vaters gehorsam, hast du im Heiligen Geist durch deinen Tod der Welt das Leben geschenkt.“ Im Dritten Eucharistischen Hochgebet bezieht sich der Priester auf dieselbe Heilsordnung und bittet Gott: „Er (der Heilige 1345 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Geist) mache uns auf immer zu einer Gabe, die dir wohlgefällt.“ 5. Das Blut, welches das Gewissen reinigt 42. Wie bereits gesagt, ist auf dem Höhepunkt des österlichen Geheimnisses der Heilige Geist endgültig geoffenbart und in einer neuen Weise gegenwärtig gesetzt worden. Der auferstandene Christus sagt den Aposteln: „Empfangt den Heiligen Geist.“ Auf diese Weise wird der Heilige Geist offenbart; denn die Worte Christi sind die Bestätigung der Verheißungen und Ankündigungen während der Abschiedsrede im Abendmahlssaal. Hierdurch wird der Tröster zugleich in neuer Weise gegenwärtig. Zwar war er schon von Anfang an im Geheimnis der Schöpfung und während der ganzen Geschichte des Alten Bundes mit dem Menschen wirksam. Voll bestätigt aber wurde sein Wirken durch die Sendung des Menschensohnes als Messias, der in der Kraft des Heiligen Geistes erschienen ist. Auf dem Höhepunkt der messianischen Sendung Jesu wird der Heilige Geist im österlichen Geheimnis ganz als göttliche Person gegenwärtig: als derjenige, der das Heilswerk, das im Kreuzesopfer gründet, fortführen soll. Zweifelsohne wird dieses Werk von Jesus Menschen anvertraut: den Aposteln, der Kirche. Doch bleibt der Heilige Geist in diesen Menschen und durch sie der transzendente Handelnde bei der Verwirklichung dieses Werkes im Geist des Menschen und in der Weltgeschichte: der unsichtbare und zugleich allgegenwärtige Tröster! Der Geist, der „weht, wo er will“.159 Die Worte, welche der auferstandene Christus „am ersten Tag nach dem Sabbat“ sprach, heben in besonderer Weise die Gegenwart des Tröster-Geistes hervor, als desjenigen, der „die Welt der Sünde, der Gerechtigkeit und des Gerichts überführt“. In der Tat, nur in diesem Zusammenhang erklären sich die Worte, die Jesus in direkten Bezug zur „Gabe“ des Geistes an die Apostel setzt. Er sagt: „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.“160 Jesus erteilt den Aposteln die Vollmacht, Sünden zu vergeben, damit sie diese an ihre Nachfolger in der Kirche weitergeben. Diese Vollmacht, die Menschen verliehen wird, setzt jedoch das Heilshandeln des Heiligen Geistes voraus und schließt es mit ein. Als „Licht der Herzen“161, das heißt der Gewissen, „macht er die Sünde offenbar“, läßt er den Menschen das Böse in ihr erkennen und lenkt ihn zugleich zum Guten hin. Dank der Vielfalt seiner Gaben, deretwegen er als „sieben- 1346 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN faltig“ angerufen wird, kann jede Art von Sünde im Menschen durch Gottes erlösende Macht erreicht werden. In der Tat wird - wie der heilige Bonaventura sagt - „kraft der sieben Gaben des Heiligen Geistes alles Böse überwunden und alles Gute gewirkt“.162 Unter dem Einfluß des Trösters vollzieht sich also jene Bekehrung des menschlichen Herzens, die unverzichtbare Bedingung der Sündenvergebung ist. Ohne echte Bekehrung, die eine innere Reue einschließt, und ohne einen aufrichtigen und festen Vorsatz zur Umkehr, bleiben die Sünden „nicht nachgelassen“, wie Jesus und mit ihm die ganze Überlieferung des Alten und Neuen Bundes sagen. Die ersten Worte Jesu am Beginn seines öffentlichen Wirkens lauten ja nach dem Markusevangelium: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium.“163 Die Bekräftigung dieses Aufrufes ist das „Offenlegen der Sünde“, welches der Heilige Geist auf neue Weise vollbringt kraft der Erlösung, die durch das Blut des Menschensohnes gewirkt worden ist. Darum spricht der Hebräerbrief vom „Blut, welches das Gewissen reinigt“.164 Es ist also dieses Blut, das dem Heiligen Geist gleichsam den Weg öffnet zum Innersten des Menschen, das heißt zum Heiligtum des menschlichen Gewissens. 43. Das II. Vatikanische Konzil hat an die katholische Lehre über das Gewissen erinnert, als es von der Berufung des Menschen und insbesondere von der Würde der menschlichen Person sprach. Gerade das Gewissen entscheidet in einer besonderen Weise über diese Würde. Das Gewissen ist nämlich „die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist“ und klar „in den Ohren des Herzens tönt: Tu dies, meide jenes“. Eine solche Fähigkeit, das Gute zu gebieten und das Böse zu verbieten, vom Schöpfer dem Menschen eingestiftet, ist die zentrale Eigenschaft einer Person. Doch zugleich entdeckt der Mensch „im Innern seines Gewissens... ein Gesetz, das er sich nicht selbst gibt, sondern dem er gehorchen muß“.165 Das Gewissen ist also keine autonome und ausschließliche Instanz, um zu entscheiden, was gut und was böse ist; ihm ist vielmehr ein Prinzip des Gehorsams gegenüber der objektiven Norm tief eingeprägt, welche die Übereinstimmung seiner Entscheidungen mit den Geboten und Verboten begründet und bedingt, die dem menschlichen Verhalten zugrunde liegen, wie es die schon zitierte Stelle aus dem Buch Genesis zeigt.166 Genau in diesem Sinne ist das Gewissen „das innerste Heiligtum“, in welchem „die Stimme Gottes widerhallt“. Es ist die „Stimme Gottes“ selbst, auch dann, wenn der Mensch darin ausschließlich das 1347 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Prinzip der moralischen Ordnung anerkennt, an dem man menschlich nicht zweifeln kann, auch ohne direkten Bezug auf den Schöpfer, obwohl das Gewissen gerade in diesem Bezug stets seine Begründung und Rechtfertigung findet. Das „Offenlegen der Sünde“ unter dem Einfluß des Geistes der Wahrheit, von dem das Evangelium spricht, kann im Menschen einzig und allein durch das Gewissen geschehen. Wenn das Gewissen recht ist, hilft es „zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben des einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen“; dann „lassen die Personen und Gruppen von der blinden Willkür ab und suchen sich nach den objektiven Normen der Sittlichkeit zu richten“.167 Frucht des rechten Gewissens ist es vor allem,das Gute und das Böse beim Namen zu nennen, wie es die Pastoralkonstitution Gaudium et spes tut: Alles, „was ... zum Leben selbst im Gegensatz steht, wie jede Art von Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie und auch der freiwillige Selbstmord; was immer die Unantastbarkeit der menschlichen Person verletzt, wie Verstümmelung, körperliche oder seelische Folter und der Versuch, phsychischen Zwang auszuüben; was immer die menschliche Würde angreift, wie unmenschliche Lebensbedingungen, willkürliche Verhaftung, Verschleppung, Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel und Handel mit Jugendlichen, sodann auch unwürdige Arbeitsbedingungen, bei denen der Arbeiter als bloßes Erwerbsmittel und nicht als freie und verantwortliche Person behandelt wird“; nachdem die Konstitution diese vielfältigen, in unserer Zeit so häufigen und verbreiteten Sünden beim Namen genannt hat, fügt sie hinzu: „All diese und andere ähnliche Taten sind an sich schon eine Schande; sie sind eine Zersetzung der menschlichen Kultur, entwürdigen weit mehr jene, die das Unrecht tun, als jene, die es erleiden. Zugleich sind sie in höchstem Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers.“168 Solche Sünden beim Namen zu nennen, die den Menschen am meisten entehren, sowie nachzuweisen, daß diese ein moralisches Übel sind, das jede Fortschrittsbilanz der Menschheit negativ belastet: Dies alles beschreibt das Konzil als Etappe „eines dramatischen Kampfes zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen dem Licht und der Finsternis“, der „das gesamte menschliche Leben der einzelnen wie der Gemeinschaft“ bestimmt.169 Die Versammlung der Bischofssynode, welche im Jahre 1983 das Thema der Versöhnung und Buße behandelte, hat die persönliche und die soziale Dimension der Sünde des Menschen noch genauer aufgezeigt.170 1348 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 44. Im Abendmahlssaal, am Vorabend seines Leidens, und dann am Abend des Ostertages hat Jesus Christus sich auf den Heiligen Geist als denjenigen berufen, der bezeugt, daß in der Geschichte der Menschheit die Sünde fortdauert. Dennoch ist die Sünde der heilswirksamen Macht der Erlösung unterstellt. „Die Welt der Sünde überführen“, das erschöpft sich nicht darin, die Sünde beim Namen zu nennen und als das zu identifizieren, was sie in ihrer ganzen Vielfalt ist. Wenn die Welt der Sünde überführt wird, begegnen sich der Geist der Wahrheit und die Stimme des menschlichen Gewissens. Auf diesem Weg gelangt man zum Nachweis der Wurzeln der Sünde, die im Innersten des Menschen liegen, wie dieselbe Pastoralkonstitution betont: „In Wahrheit hängen die Störungen des Gleichgewichts, an denen die moderne Welt leidet, mit jener tiefer liegenden Störung des Gleichgewichts zusammen, die im Herzen des Menschen ihren Ursprung hat. Denn im Menschen selbst sind viele widersprüchliche Elemente gegeben. Einerseits erfährt er sich nämlich als Geschöpf vielfältig begrenzt, andererseits empfindet er sich in seinem Verlangen unbegrenzt und berufen zu einem Leben höherer Ordnung. Zwischen so vielen verlockenden Möglichkeiten, die sich ihm stellen, muß er dauernd unweigerlich eine Wahl treffen und so auf dieses oder jenes verzichten. Als schwacher Mensch und Sünder tut er oft das, was er nicht will, und was er tun wollte, tut er nicht.“m Der Konzilstext bezieht sich hier auf die bekannten Worte des heiligen Paulus.172 Das „Offenlegen der Sünde“, welches das menschliche Gewissen in jeder vertieften Reflexion über sich selbst begleitet, führt also zur Entdeckung ihrer Wurzeln im Menschen sowie auch der Bedingtheiten des Gewissens selbst im Lauf der Geschichte. So finden wir erneut jene ursprüngliche Wirklichkeit der Sünde, von der wir schon gesprochen haben. Der Heilige Geist,, überführt der Sünde“ im Hinblick auf das Geheimnis des Anfangs, indem er die Tatsache aufweist, daß der Mensch ein Geschöpf ist und darum in totaler seinsmäßiger und ethischer Abhängigkeit vom Schöpfer steht; zugleich erinnert er an die ererbte Sündhaftigkeit der menschlichen Natur. Der Heilige Geist, der Tröster, „überführt der Sünde“ jedoch immer mit dem Blick auf das Kreuz Christi. Mit diesem Bezug verwirft das Christentum jeden „Fatalismus“ der Sünde. „Ein harter Kampf gegen die Mächte der Finsternis, ein Kampf, der schon am Anfang der Welt begann und nach dem Wort des Herrn bis zum letzten Tag andauern wird“ - so lehrt das Konzil173. „Der Herr selbst aber ist gekommen, um den Menschen zu befreien und zu stärken. “174 Indem der Mensch also, weit entfernt davon, sich durch seine 1349 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Sündhaftigkeit „fesseln“ zu lassen, der Stimme seines Gewissens vertraut, „muß er ... beständig kämpfen um seine Entscheidung für das Gute, und nur mit großer Anstrengung kann er mit Gottes Gnadenhilfe seine innere Einheit erreichen“.175 Mit Recht sieht das Konzil die Sünde als Grund des Bruches an, der das persönliche und gesellschaftliche Leben des Menschen belastet; zugleich aber erinnert es unermüdlich an die Möglichkeit des Sieges. 45. Der Geist der Wahrheit, welcher „die Welt der Sünde überführt“, trifft auf jene Mühe des menschlichen Gewissens, von der die Konzilstexte so eindrucksvoll reden. Diese Mühe des Gewissens bestimmt zugleich die vielfältigen Wege menschlicher Umkehr: der Sünde den Rücken zu kehren, um die Wahrheit und Liebe im Innersten des Menschen wieder aufzurichten. Man weiß, wie es bisweilen viel kostet, das Böse in sich selbst anzuerkennen. Man weiß, daß das Gewissen nicht nur gebietet und verbietet, sondern im Licht der inneren Gebote und Verbote auch richtet. Es ist auch die Quelle für Gewissensbisse: Der Mensch leidet innerlich infolge des begangenen Bösen. Ist dieses Leiden nicht ein ferner Widerhall jener „Reue über die Erschaffung des Menschen“, welche die anthropomorphe Sprache der Bibel Gott selbst zuschreibt, jener „Verwerfung“, die im „Herzen“ der Dreifaltigkeit geschieht, aber kraft der ewigen Liebe zum Schmerz des Kreuzes wird im Gehorsam Christi bis zum Tod? Wenn der Geist der Wahrheit das menschliche Gewissen teilhaben läßt an diesem Schmerz, dann wird das Leiden des Gewissens besonders tief, aber auch besonders heilsam. Dann vollzieht sich in einem Akt vollkommener Reue die echte Bekehrung des Herzens, die „Umkehr“ gemäß dem Evangelium. Die Mühe des menschlichen Herzens und des Gewissens, mit der diese „Umkehr“ oder Bekehrung geschieht, ist der Widerschein jenes Prozesses, durch den sich die Verwerfung in heilbringende Liebe verwandelt, die zu leiden weiß. Der verborgene Ausspender dieser heilenden Kraft ist der Heilige Geist: Er, der von der Kirche „Licht der Herzen“ genannt wird, durchdringt und erfüllt „die Tiefe der menschlichen Herzen“.176 Durch eine solche Bekehrung im Heiligen Geist öffnet sich der Mensch dem Verzeihen, der Sündenvergebung. In dieser ganzen staunenswerten Dynamik von Bekehrung und Vergebung bestätigt sich die Wahrheit dessen, was der heilige Augustinus über das Geheimnis des Menschen in seinem Psalmenkommentar zum Vers „Flut ruft der Flut zu beim Tosen deiner Wasser“177 schreibt. Gerade im Blick auf diese Tiefe des Menschen, des menschlichen Gewissens, „tief wie das Meer“, vollzieht sich die Sendung des Sohnes 1350 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist „kommt“ kraft des „Fortgehens“ Christi im österlichen Geheimnis: Fr kommt in jedem konkreten Geschehen von Bekehrung und Vergebung aus der Kraft des Kreuzesopfers; denn darin „reinigt das Blut Christi... unser Gewissen von toten Werken, zum Dienst des lebendigen Gottes“.178 So erfüllen sich fortwährend die Worte über den Heiligen Geist als „einen anderen Beistand“, die Worte, die im Abendmahlssaal an die Apostel und indirekt an uns alle gerichtet worden sind: „Ihr kennt ihn; denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“179 6. Die Sünde gegen den Heiligen Geist 46. Auf dem Hintergrund dessen, was wir'bisher ausgeführt haben, werden einige beeindruckende und bestürzende Worte Jesu verständlicher. Wir könnten sie als Worte der,,Nicht- Vergebung“ btiGiohntxx. Sie sind uns von den Synoptikern überliefert und beziehen sich auf eine besondere Sünde, die „Lästerung wider den Heiligen Geist“ genannt wird. Hier die Texte in ihrer dreifachen Fassung: Matthäus: „Jede Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden, aber die Lästerung gegen den Geist wird nicht vergeben. Auch dem, der etwas gegen den Menschensohn sagt, wird vergeben werden, wer aber etwas gegen den Heiligen Geist sagt, dem wird nicht vergeben, weder in dieser noch in der zukünftigen Welt.“180 Markus: „Alle Vergehen und Lästerungen werden dem Menschen vergeh en werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften.“181 Lukas: „Jedem, der etwas gegen den Menschensohn sagt, wird vergeben werden; wer aber den Heiligen Geist lästert, dem wird nicht vergeben.“182 Warum ist die Lästerung gegen den Heiligen Geist nicht zu vergeben? Was ist unter dieser Lästerung zu verstehen? Der heilige Thomas von Aquin antwortet, daß es sich hier um eine Sünde handelt, „die ihrer Natur nach unvergebbar ist, weil sie jene Elemente ausschließt, derentwegen die Vergebung der Sünden geschieht“.183 Nach dieser Deutung besteht die Lästerung nicht eigentlich in verletzenden Worten gegen den Heiligen Geist, sondern in der Weigerung, das Heil anzunehmen, welches Gott dem Menschen durch den Heiligen Geist anbietet, der in der Kraft des Kreuzesopfers wirkt. Wenn der Mensch jenes „Offenlegen der Sünde“, das vom Heiligen Geist aus 1351 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN geht und heilswirksamen Charakter hat, zurückweist, weist er damit zugleich das „Kommen“ des Trösters zurück, jenes „Kommen“, das sich im Ostergeheimnis vollzieht, in der Einheit mit der erlösenden Kraft des Blutes Christi, das „unser Gewissen von toten Werken reinigt“. Wir wissen, daß die Frucht einer solchen Reinigung die Vergebung der Sünden ist. Wer den Geist und das Blut zurückweist, verbleibt deshalb in „toten Werken“, in der Sünde. Die Lästerung gegen den Heiligen Geist besteht gerade in der radikalen Verweigerung der Annahme jener Vergebung, deren innerster Vermittler er ist und die eine echte Bekehrung voraussetzt, die von ihm im Gewissen gewirkt wird. Wenn Jesus sagt, daß die Lästerung gegen den Heiligen Geist weder in diesem noch im zukünftigen Leben vergeben wird, dann liegt der Grund darin, daß diese „Nicht- Vergebung“ ursäch 1 ich mit der Unbußfertigkeit verbunden ist, das heißt mit der radikalen Weigerung, sich zu bekehren. Dies bedeutet eine Weigerung, sich den Quellen der Erlösung zu nähern, die jedoch in der Heilsordnung, in der sich die Sendung des Heiligen Geistes vollzieht, „immer“ geöffnet bleiben. Der Tröster-Geist hat die unbegrenzte Macht, aus diesen Quellen zu schöpfen: „Er wird von dem, was mein ist, nehmen“, hat Jesus gesagt. Auf diese Weise vollendet er in den Seelen der Menschen die von Christus gewirkte Erlösung, indem er deren Früchte austeilt. Nun ist aber die Lästerung gegen den Heiligen Geist die Sünde jenes Menschen, der sich auf sein vermeintliches „Recht“ zum Verharren im Bösen - in jeglicher Sünde - beruft und dadurch die Erlösung verwirft. Ein solcher Mensch bleibt in der Sünde gefangen, indem er von seiner Seite her seine Bekehrung und damit die Sündenvergebung unmöglich macht, die er als unwesentlich und ünbedeutsam für sein Leben erachtet. Dies ist eine Situation des geistlichen Ruins; denn die Lästerung gegen den Heiligen Geist erlaubt es dem Menschen nicht, sich aus seiner selbstverhängten Gefangenschaft zu befreien und sich den göttlichen Quellen der Reinigung der Gewissen und der Verzeihung der Sünden zu öffnen. 47. Das Wirken des Heiligen Geistes, das auf das heilbringende „Offenlegen der Sünde“ gerichtet ist, trifft im Menschen, der sich in einer solchen Situation befindet, auf einen inneren Widerstand, gleichsam auf eine undurchdringliche Wand seines Gewissens, auf eine seelische Verfassung, die sich sozusagen aufgrund einer freien Wahl verfestigt hat: Die Heilige Schrift nennt das gewöhnlich „Verhärtung des Herzens“.184 In unserer Zeit entspricht dieser Verfassung des Geistes 1352 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und des Herzens in etwa der Verlust des Gespürs für die Sünde, dem das Apostolische Schreiben über „ Versöhnung und Buße“ viele Seiten widmet.185 Schon Papst Pius XII. hat gesagt, daß „die Sünde des Jahrhunderts der Verlust des Gespürs für die Sünde ist“186; dieser Verlust aber geht einher mit dem „Verlust des Gespürs für Gott“. Im erwähnten Schreiben lesen wir: „Gott ist tatsächlich der Ursprung und das höchste Ziel des Menschen, und dieser trägt in sich einen göttlichen Keim. Deshalb ist es die Wirklichkeit Gottes, die das Geheimnis des Menschen enthüllt und beleuchtet. Es ist also vergeblich, zu hoffen, daß ein Sündenbewußtsein gegenüber den Menschen und den menschlichen Werten Bestand haben könnte, wenn das Gespür für die gegen Gott begangene Beleidigung, das heißt das wahre Sündenbewußtsein, fehlt.“187 Darum erbittet die Kirche beständig von Gott die Gnade, daß der Mensch das rechte Gewissen nicht verliere und sein gesundes Gespür für das Gute und Böse nicht abstumpfe. Beides, Gewissenhaftigkeit und Empfindsamkeit, sind zutiefst mit dem inneren Wirken des Geistes der Wahrheit verbunden. Von daher erhalten die Mahnungen des Apostels eine besondere Bedeutung: „Löscht den Geist nicht aus“; „beleidigt nicht den Heiligen Geist. “I88 Vor allem aber hört die Kirche nicht auf, mit größtem Eifer dafür zu beten, daß jene Sünde, die das Evangelium „Lästerung gegen den Heiligen Geist“ nennt, in der Welt nicht zunehme, sondern vielmehr in den Seelen der Menschen - und folglich in den Lebensräumen selbst und in den verschiedenen Bereichen der menschlichen Gesellschaft - zurückgehe und sich statt dessen die Gewissen öffnen, was für das heilbringende Wirken des Heiligen Geistes unerläßlich ist. Die Kirche bittet darum, daß die gefährliche Sünde gegen den Geist einer heiligen Bereitschaft weiche, seine Sendung als Beistand anzunehmen, wenn er kommt, um „die Welt zu überführen (und aufzudecken), was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist“. 48. Jesus hat in seiner Abschiedsrede diese drei Teilbereiche des „Übeiführens“ in der Sendung des Beistandes zusammengefaßt: die Sünde, die Gerechtigkeit und das Gericht. Diese bezeichnen den Raum jenes Geheimnisses des Glaubens, das sich in der Geschichte des Menschen der Sünde, dem Geheimnis der Bosheit, entgegenstellt.189 Nach einem Wort des heiligen Augustinus geht es hier auf der einen Seite um die „Selbstliebe bis zur Verachtung Gottes“und auf der anderen Seite um die „Liebe Gottes bis zur Verachtung seiner selbst“.190 Beständig betet und bemüht sich die Kirche in ihrem Dienst darum, 1353 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN daß die Geschichte des Gewissens und der Gesellschaft in der großen Menschheitsfamilie nicht zum Pol der Sünde abgleitet, mit der Verwerfung der göttlichen Gebote „bis zur Verachtung Gottes“, sondern sich vielmehr zu jener Liebe erlebt, in der sich der Geist offenbart, „der lebendig macht“. Wer sich vom Heiligen Geist „der Sünde überführen“ läßt, läßt sich auch „die Gerechtigkeit“ und „das Gericht“ offenlegen. Der Geist der Wahrheit, der den Menschen und ihrem Gewissen hilft, die Wahrheit der Sünde zu erkennen, läßt sie zugleich die Wahrheit jener Gerechtigkeit erkennen, die mit Jesus Christus in die Geschichte des Menschen eingetreten ist. Auf diese Weise werden diejenigen, die, „der Sünde überführt“, sich durch das Wirken des Trösters bekehren, gewissermaßen aus dem Bereich des „Gerichts“ herausgeführt, jenes „Gerichts“, durch welches „der Herrscher dieser Welt bereits gerichtet ist“.191 Die Bekehrung bedeutet in der Tiefe ihres göttlich-menschlichen Geheimnisses das Zerreißen jeglicher Fessel, durch welche die Sünde den Menschen an das gesamte Geheimnis der Bosheit bindet. Wer sich bekehrt, wird also vom Heiligen Geist aus dem Bereich des „Gerichts“ befreit und zu jener Gerechtigkeit geßihrt, die in Jesus Christus gegeben ist und die er besitzt, weil er sie „vom Vater empfängt“192 als Abglanz.der dreifältigen Heiligkeit. Dies ist die Gerechtigkeit des Evangeliums und der Erlösung, die Gerechtigkeit der Bergpredigt und des Kreuzes, welche die Reinigung des Gewissens bewirkt durch das Blut des Lammes. Es ist die Gerechtigkeit, die der Vater dem Sohn und allen zuteil werden läßt, die mit ihm in Wahrheit und Liebe verbunden sind. In dieser Gerechtigkeit offenbart sich der Heilige Geist, der Geist des Vaters und des Sohnes, welcher „die Welt der Sünde überführt“, und wird im Menschen gegenwärtig als Geist ewigen Lebens. 1354 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN III Teil Der Geist, der lebendig macht 1. Grund für das Jubiläum des Jahres 2000: Christus, „empfangen vom Heiligen Geist“ 49. An den Heiligen Geist wenden sich Denken und Herz der Kirche am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts und im Blick auf das dritte Jahrtausend seit der Ankunft Christi in dieser Welt, während wir auf das große Jubiläum vorausschauen, mit dem die Kirche dieses Ereignis feiern wird. Diese Ankunft wird ja nach menschlicher Zeitrechnung als ein Ereignis festgehalten, das zur Geschichte des Menschen auf dieser Erde gehört. Die übliche Zeitrechnung gibt die Jahre, Jahrhunderte und Jahrtausende entsprechend ihrer Folge vor oder nach der Geburt Christi an. Zugleich aber muß man sich dessen bewußt sein, daß dieses Ereignis für uns Christen nach dem Wort des Apostels die „Fülle der Zeit“195 bedeutet, weil in ihm die Geschichte des Menschen völlig vom „Zeitmaß“ Gottes durchdrungen wurde: von seiner transzendenten Gegenwart im ewigen „Jetzt“. Er ist derjenige, „der ist und der war und der kommt“; „das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“. „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“195 „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau..., damit wir die Sohnschaft erlangen.“196 Und diese Fleischwerdung des Ewigen Wortes und Sohnes geschah „durch das Wirken des Heiligen Geistes“. Die beiden Evangelisten, denen wir den Bericht über die Geburt und Kindheit Jesu von Nazaret verdanken, drücken sich hierbei in derselben Weise aus. Nach Lukas fragt Maria nach der Ankündigung der Geburt Jesu: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Sie erhält zur Antwort: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden.“197 Matthäus berichtet in direkter Form: „Mit der Geburt Jesu war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, daß sie ein Kind erwartete - durch das Wirken des Heiligen Geistes.“198 Josef, dadurch verwirrt, empfängt im 1355 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Schlaf die folgende Erklärung: „Fürchte dich nicht, Mariä als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen.“199 Darum bekennt die Kirche von Anfang an das Geheimnis der Menschwerdung, dieses zentrale Geheimnis des Glaubens, in Verbindung mit dem Heiligen Geist. Sie spricht im Apostolischen Glaubensbekenntnis: „Empfangen vom Heiligen Geist, geboren aus Maria, der Jungfrau.“ Nicht anders das Bekenntnis des nizäno-konstantinopolita-nischen Glaubensbekenntnisses: Er „hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden“. „Durch den Heiligen Geist“ wurde er Mensch, den die Kirche im selben Glaubensbekenntnis auch als wesensgleichen Sohn des Vaters bekennt: „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen.“ Er wurde Mensch „im Schoß der Jungfrau Maria“. Dies geschah, als „die Zeit erfüllt war“. 50. Das große Jubiläum am Ende des zweiten Jahrtausends, auf das sich die Kirche schon vorbereitet, hat unmittelbar eine christologische AusrichtungtVs geht ja um die Feier der Geburt Jesu Christi. Zugleich hat es eine pneumatologische Ausrichtung; denn das Geheimnis der Menschwerdung vollzog sich „durch das Wirken des Heiligen Geistes“. Es wurde „gewirkt“ durch jenen Geist, der - eines Wesens mit dem Vater und dem Sohn - im absoluten Geheimnis des dreieinigen Gottes die „Liebe in Person“ ist, das ungeschaffene Geschenk, das die ewige Quelle allen Schenkens Gottes in der Schöpfungsordnung ist sowie unmittelbarer Ursprung und gewissermaßen Subjekt der Selbstmitteilung Gottes in der Gnadenordnung. Das Geheimnis der Menschwerdung ist der Höhepunkt dieses Schenkens und dieser Selbstmitteilung. Empfängnis und Geburt Jesu Christi sind das größte vom Heiligen Geist in der Schöpfungs- und Heilsgeschichte vollbrachte Werk: die höchste Gnade - die „Gnade der Einigung“ als Quelle jeder anderen Gnade, wie der heilige Thomas erklärt.200 Das große Jubiläum gilt diesem Werk und auch - wenn wir es in seiner Tiefe erfassen - dem, der es gewirkt hat, der Person des Heiligen Geistes. Der „Fülle der Zeit“ entspricht in der Tat eine besondere Fülle der Selbstmitteilung des dreieinigen Gottes im Heiligen Geist. „Durch das Wirken des Heiligen Geistes“ vollzieht sich das Geheimnis der „hypostatischen Union“, das heißt der Vereinigung der göttlichen mit der menschlichen Natur, der Gottheit mit der Menschheit in der einzigen 1356 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Person des Ewigen Wortes und Sohnes. Als Maria im Augenblick der Verkündigung ihr „fiat“ spricht: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“201, empfangt sie auf jungfräuliche Weise einen Menschen, den Menschensohn, der Gottes Sohn ist. In dieser „Vermenschlichung“ des Wortes und Sohnes erreicht die Selbstmitteilung Gottes ihre endgültige Fülle in der Schöpfungs- und Heilsgeschichte. Diese Fülle findet einen besonders dichten und beredten Ausdruck im Johannesevangelium: „Das Wort ist Fleisch geworden.“202 Die Menschwerdung des Gottessohnes bedeutet nicht nur die Aufnahme der menschlichen Natur in die Einheit mit Gott, sondern gewissermaßen alles dessen, was „Fleisch“ ist: der ganzen Menschheit, der ganzen sichtbaren und materiellen Welt. Die Menschwerdung hat also auch ihre kosmische Bedeutung und Dimension. Indem der „Erstgeborene der ganzen Schöpfung“203 in diesem individuellen Menschen Christus Fleisch annimmt, vereinigt er sich gleichsam mit der ganzen Wirklichkeit des Menschen, der auch „Fleisch“204 ist, und dadurch mit allem „Fleisch“, mit der ganzen Schöpfung. 51. All dies vollzieht sich durch das Wirken des Heiligen Geistes und gehört darum auch zum Inhalt des zukünftigen großen Jubiläums. Die Kirche kann sich darauf in keiner anderen Weise als im Heiligen Geist vorbereiten. Was „in der Fülle der Zeit“ durch das Wirken des Heiligen Geistes geschah, kann heute nur durch sein Wirken im Gedächtnis der Kirche neu erwachen. Durch sein Wirken kann all dies Gegenwart werden in der neuen Phase der Geschichte des Menschen auf dieser Erde: im Jahr 2000 nach Christi Geburt. Der Heilige Geist, dessen Kraft den jungfräulichen Feib Mariens überschattete und so in ihr den Anfang göttlicher Mutterschaft bewirkte, machte zur gleichen Zeit ihr Herz vollkommen gehorsam gegenüber jener Selbstmitteilung Gottes, die jeden Begriff und alle Fassungskraft des Menschen übersteigt. „Selig ist die, die geglaubt hat“205: So wird Maria von ihrer Verwandten Elisabet begrüßt, die auch „vom Heiligen Geist erfüllt“ war.206 In den Grußworten an jene, die „geglaubt hat“, scheint sich ein entfernter, aber tatsächlich sehr deutlicher Kontrast zu all jenen anzudeuten, von denen Christus sagen wird, „sie haben nicht geglaubt“.207 Maria ist in die Heilsgeschichte der Welt eingetreten durch ihren Glaubensgehorsam. Der Glaube ist in seinem tiefsten Wesen die Öffnung des menschlichen Herzens gegenüber der göttlichen Gabe: gegenüber der Selbstmitteilung Gottes im Heiligen Geist. Der heilige Paulus schreibt: „Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.“208 Wenn der dreieinige Gott sich dem 1357 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Menschen gegenüber im Heiligen Geist eröffnet, dann offenbart und schenkt zugleich diese „Selbsteröffnung“ dem Menschengeschöpf die Fülle der Freiheit. Diese Fülle fand gerade durch den Gehorsam Mariens, durch ihren „Glaubensgehorsam“, einen erhabenen Ausdruck.209 Wirklich: „Selig ist die, die geglaubt hat!“ 2. Grund für das Jubiläum: Die Gnade ist erschienen 52. Im Geheimnis der Menschwerdung erreicht das Wirken des Geistes, „der lebendig macht“, seinen Höhepunkt. Das Leben, das Gott in Fülle besitzt, kann nur mitgeteilt werden, wenn es zum Leben eines Menschen wird, wie es Christus in seiner Menschennatur ist, die durch das „Ewige Wort“ in der hypostatischen Union zur Person wird. Zugleich öffnet sich im Geheimnis der Menschwerdung auf neue Weise die Quelle jenes göttlichen Lebens in der Geschichte der Menschheit: der Heilige Geist. Das Wort, „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“, wird zum „Erstgeborenen von vielen Brüdern“210; und so wird es auch zum Haupt des Leibes, der die Kirche ist, welche am Kreuz geboren und am Pflngsttag offenbar wird - und durch die Kirche zum Haupt der Menschheit: der Menschen aller Völker und Rassen, aller Länder und Kulturen, Sprachen und Kontinente, die alle zum Heil berufen sind. „Das Wort ist Fleisch geworden (jenes Wort, in dem) das Leben war, und das Leben war das Licht der Menschen ... Allen aber, die es auf-nahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden.“' All dies geschah und geschieht ständig „durch das Wirken des Heiligen Geistes“. „Söhne Gottes“ sind nach der Lehre des Apostels „alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen“.'1 Die Sohnschaft durch göttliche Annahme an Kindes statt entsteht in den Menschen aus dem Geheimnis der Menschwerdung, also wegen Christus, dem ewigen Sohn. Die Gehurt oder Wiedergeburt aber erfolgt, wenn Gott „den Geist seines Sohnes in unser Herz sendet“ .213 Denn dann „empfangen wir den Geist, der uns zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater!“214 Darum ist diese Sohnsehaft Gottes, die der menschlichen Seele durch die heiligmachende Gnade eingestiftet wird, das Werk des Heiligen Geistes. „So bezeugt der Geist selber unserem Geist, daß wir Kinder Gottes sind. Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und Miterben Christi,“215 Die heiligmachende Gnade ist im Menschen Ursprung und Quelle des neuen Lebens: des göttlichen, übernatürlichen Lebens. Die Verleihung dieses neuen Lebens ist wie eine endgültige Antwort auf das Gebet des Psalmisten, in welchem gleichsam die Stimme aller 1358 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Geschöpfe widerhallt: „Du sendest deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde.“216 Derjenige, der im Schöpfungsgeheimnis dem Menschen und dem Kosmos das Leben gibt in seinen vielfältigen sichtbaren und unsichtbaren Formen, erneuert es durch das Geheimnis der Menschwerdung. So wird die Schöpfung durch die Menschwerdung vervollkommnet und seither von den Kräften der Erlösung durchdrungen, die die Menschheit und alles Geschaffene erfassen. So sagt es uns der heilige Paulus, dessen kosmisch-theologische Vision die Stimme des alten Psalmes aufzunehmen scheint: Die ganze Schöpfung „wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes“217, derjenigen nämlich, die er „im voraus erkannt hat“ und so auch „dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben“.218 So ergibt sich für die Menschen eine übernatürliche „Annahme an Sohnes statt“, deren Ursprung'der Heilige Geist ist, als göttliche Liebe und Gabe. Als solcher wird er den Menschen geschenkt. Und in der Überfülle der ungeschaffenen Gabe hat im Herzen jedes Menschen jene besondere geschaffene Gabe ihren Anfang, durch welche die Menschen „an der göttlichen Natur Anteil erhalten“.219 So wird das Leben des Menschen durch Teilhabe vom göttlichen Leben durchwirkt und erhält dadurch auch selbst eine göttliche, übernatürliche Dimension. In diesem neuen Leben als Teilhabe am Geheimnis der Menschwerdung „haben die Menschen ... im Heiligen Geist Zugang zum Vater“.220 Es gibt also eine enge Beziehung zwischen dem Heiligen Geist, der lebendig macht, und der heiligmachenden Gnade sowie der daraus folgenden übernatürlichen Lebenskraft im Menschen: zwischen dem ungeschaffenen Geist und dem geschaffenen menschlichen Geist. 53. Dies alles, so kann man sagen, gehört in den Rahmen des erwähnten großen Jubiläums. Man muß also die geschichtliche Dimension des nur oberflächlich betrachteten Geschehens überschreiten. Es gilt vielmehr, im christologischen Gehalt dieses Geschehens die pneumatologische Dimension zu erfassen, indem man das zweitausendjährige Wirken des Geistes der Wahrheit mit den Augen des Glaubens betrachtet; dieser Geist hat durch die Jahrhunderte hin aus dem Schatz der Erlösung Christi geschöpft, indem er den Menschen das neue Leben gibt, in ihnen die Annahme als Söhne Gottes im eingeborenen Sohn wirkt und sie heiligt, so daß sie in das Wort des heiligen Paulus einstimmen können: „Wir haben den Geist Gottes empfangen.“221 Wenn man diesem Motiv des Jubiläums folgt, kann man sich jedoch nicht nur auf die 2000 Jahre seit Christi Geburt beschränken. Man muß 1359 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN weiter zurückgehen und das ganze Wirken des Heiligen Geistes vor Christus in den Blick nehmen - sein Wirken von Anfang an, in der ganzen Welt und vor allem in der Heilsordnung des Alten Bundes. Dieses Wirken an jedem Ort und in jeder Zeit, ja, in jedem Menschen geschah nämlich nach dem ewigen Heilsplan, durch den es mit dem Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung eng verbunden ist, das sich aber schon auf jene ausgewirkt hat, die an den kommenden Christus glaubten. Das ist in besonderer Weise im Brief an die Epheser bezeugt.222 Die Gnade hat daher einen christologischen und zugleich pneumatologischen Charakter, der sich vor allem in jenen bewahrheitet, die sich ausdrücklich zu Christus bekennen: „Durch ihn (in Christus) habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen ... Der Geist ist der erste Anteil des Erbes, das wir erhalten sollen, der Erlösung, durch die wir Gottes Eigentum werden.“223 Im Blick auf das große Jubiläum müssen wir sodann noch weiter aus-holen, weil wir wissen, daß „der Wind weht, wo er will“, wie Jesus im Gespräch mit Nikodemus224 anschaulich sagt. Das II. Vatikanische Konzil, das sich vor allem auf das Thema der Kirche konzentriert hat, erinnert uns an das Wirken des Heiligen Geistes „auch außerhalb“des sichtbaren Leibes der Kirche. Das Konzil spricht ausdrücklich von „allen Menschen guten Willens, in deren Herzen die Gnade unsichtbar wirkt. Da nämlich Christus für alle gestorben ist und da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, daß der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein“.225 54. „Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten.“226 Diese Worte stammen aus einem anderen Gespräch Jesu, bei der Begegnung mit der Frau aus Samaria. Das große Jubiläum, das am Ende dieses Jahrtausends und am Beginn des nächsten gefeiert wird, muß ein machtvoller Aufruf an alle werden, die „Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten“. Es muß für alle zu einem besonderen Anlaß werden, sich auf das Geheimnis des dreieinigen Gottes zu besinnen, der als solcher die Welt, besonders die sichtbare Welt, völlig übersteigt: ist er doch absoluter Geist - „Gott ist Geist“.227 Zugleich ist er aber auf wunderbare Weise dieser Welt nicht nur nahe, sondern in ihr gegenwärtig und ihr in gewissem Sinne immanent; er durch dringt und belebt sie von innen her. Das gilt vor allem für den Menschen: Gott ist im Innersten seines Seins gegenwärtig, in seinem Denken, Gewissen und Herzen; eine psycholo- 1360 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gische und ontologische Wirklichkeit, bei deren Betrachtung der heilige Augustinus von Gott sagt: „Interior intimo meo“ - „Mir näher als mein Innerstes selbst.“228 Diese Worte helfen uns, die Antwort Jesu an die Samariterin besser zu verstehen: „Gott ist Geist.“ Nur der Geist kann mir innerlicher sein, als ich mir selbst bin, sowohl seinsmäßig wie auch in der geistlichen Erfahrung; nur der Geist kann derart dem Menschen und der Welt immanent sein, ohne jegliche Beeinträchtigung oder Veränderung seiner absoluten Transzendenz. Auf neue und sichtbare Weise hat sich die göttliche Gegenwart in der Welt und im Menschen aber in Jesus Christus offenbart. In ihm ist wahrhaft „die Gnade Gottes erschienen“.229 Die Liebe Gottes, des Vaters, göttliche Gabe, unbegrenzte Gnade, Ursprung des Lebens, ist in Christus offenbar geworden und ist nun in seiner Menschheit „Teil“ des Alls, des Menschengeschlechtes und der Geschichte. Dieses „Erscheinen“ der Gnade durch Jesus Christus in der Geschichte des Menschen vollzog sich durch das Wirken des Heiligen Geistes, welcher der Usprung jeglichen Heilshandelns Gottes in der Welt ist; er, der „verborgene Gott“230, der als Liebe und Gabe „den Erdkreis erfüllt“.231 Das ganze Leben der Kirche, das sich in der Feier des großen Jubiläums b ezeugen wird, b edeutet, dem verb orgenen Gott entgegenzugehen, bedeutet, dem Geist zu begegnen, der lebendig macht. <128> <128> Der Heilige Geist im inneren Konflikt des Menschen 55. Leider ergibt sich aus der Heilsgeschichte, daß jenes Nahekommen und Gegenwärtigwerden Gottes gegenüber dem Menschen und der Welt, jenes wunderbare „Sichherablassen“ des Geistes in unserer menschlichen Wirklichkeit auf Widerstand und Ablehnung stößt. Wie beredt sind in dieser Hinsicht die prophetischen Worte des greisen Simeon, der in Jerusalem „vom Geist in den Tempel geführt wurde“, um vor dem neugeborenen Kind von Betlehem zu verkünden, daß dieser „dazu bestimmt ist, daß in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er ein Zeichen sein wird, dem widersprochen wird“.232 Der Gegensatz zu Gott, der unsichtbarer Geist ist, ergibt sich in gewissem Maße schon auf der Ebene der grundsätzlichen Verschiedenheit der Welt von ihm, das heißt aus ihrer „Sichtbarkeit“ und „Stofflichkeit“ im Vergleich zu ihm, der „unsichtbar“ und „absoluter Geist“ ist; aus ihrer wesensmäßigen und unvermeidlichen Unvollkommenheit im Vergleich zu ihm, dem vollkommensten Sein. Der Gegensatz aber 1361 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN wird zum Konflikt, zur Auflehnung im ethischen Bereich, durch jene Sünde, die sich des menschlichen Herzens bemächtigt, in dem „das Begehren des Fleisches sich gegen den Geist richtet, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch“.233 Dieser Sünde muß der Heilige Geist „die Welt überführen“, wie wir schon gesagt haben. Der heilige Paulus ist derjenige, der die Spannung und den Kampf im menschlichen Herzen in besonders beredter Weise beschreibt. „Darum sage ich“, so lesen wir im Brief an die Galater: „Laßt euch vom Geist leiten, dann werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen. Denn das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch; beide stehen sich als Feinde gegenüber, so daß ihr nicht imstande seid, das zu tun, was ihr wollt.“234 Schon im Menschen als einem aus Geist und Körper zusammengesetzten Wesen besteht eine gewisse Spannung, ein gewisser Richtungskampf zwischen dem „Geist“ und dem „Fleisch“. Dieser aber gehört in Wirklichkeit zum Erbe der Sünde; er ist deren Folge und zugleich deren Bestätigung. Er gehört zur täglichen Erfahrung. So schreibt der Apostel: „Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben,... Trink- und Eßgelage und ähnliches mehr.“ Es sind Sünden, die man als „fleischlich“ bezeichnen könnte. Der Apostel aber fügt noch andere hinzu: „Feindschaften, Streit, Eifersucht, ... Spaltungen, Parteiungen, Neid.“235 Dies alles sind „Werke des Fleisches“. Diesen Werken, die zweifellos böse sind, stellt Paulus aber „die Frucht des Geistes“ gegenüber, wie „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte,.Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung“.236 Aus dem Zusammenhang ergibt sich deutlich, daß es dem Apostel nicht darum geht, den Körper zu diskriminieren und zu verurteilen, der zusammen mit der Geistseele die Natur des Menschen und seine personale Subjektivität bildet; er handelt vielmehr von den Werken oder besser von den habituellen Verhaltensweisen - Tugenden und Lastern -, die sittlich gut oder böse sind als Frucht der Unterordnung (im ersten Fall) oder des Widerstandes (im zweiten) gegen das Heilswirken des Heiligen Geistes. Deshalb schreibt der Apostel: „Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen.“237 Und an anderer Stelle: „Denn alle, die vom Fleisch bestimmt sind, trachten nach dem, was dem Fleisch entspricht, alle, die vom Geist bestimmt sind, nach dem, was dem Geist entspricht“; „ihr aber seid ... vom Geist bestimmt, da ja der Geist Gottes in euch wohnt.“238 Der Gegensatz, den der heilige Paulus zwischen dem Leben „nach dem Geist“ und dem Leben „nach dem Fleisch“ feststellt, verursacht einen weiteren 1362 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gegensatz: den zwischen „Leben“ und „Tod“. „Das Trachten des Fleisches führt zum Tod, das Trachten des Geistes aber zu Leben und Frieden“; von daher die Mahnung: „Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, müßt ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die (sündigen) Taten des Leibes tötet, werdet ihr leben.“239 Gut zu beachten ist, daß dies eine Mahnung ist, in der Wahrheit zu leben, das heißt nach den Geboten des rechten Gewissens, und zugleich ein Bekenntnis des Glaubens an den Geist der Wahrheit als den, der lebendig macht. Der Leib nämlich ist „tot aufgrund der Sünde, der Geist aber ist Leben aufgrund der Gerechtigkeit... Wir sind also nicht dem Fleisch verpflichtetso daß wir nach dem Fleisch leben müßten“.240 Wir sind vielmehr Christus verpflichtet, der im Ostergeheimnis unsere Rechtfertigung gewirkt hat, indem er uns den Heiligen Geist erlangt hat: „Denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden.“241 In den Texten des heiligen Paulus überlagern sich - und durchdringen sich gegenseitig - die ontologische Dimension (das Fleisch und der Geist), die ethische (das sittlich Gute und Böse), die pneumatologische (das Wirken des Heiligen Geistes in der Gnadenordnung). Seine Worte (besonders im Römer- und Galaterbrief) lassen uns die Größe jener Spannung und jenes Kampfes lebendig empfinden, der im Menschen zwischen der Öffnung gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes und dem Widerstand und der Auflehnung gegen ihn, gegen sein Heilsangebot, stattfindet. Die entgegengesetzten Begriffe oder Pole sind von seiten des Menschen seine Begrenztheit und Sündhaftigkeit, neuralgische Punkte seiner psychologischen und ethischen Wirklichkeit; von seiten Gottes das Geheimnis des Geschenkes, jenes ununterbrochene Sichschenken des göttlichen Lebens im Heiligen Geist. Wer wird den Sieg davontragen? Derjenige, der das Geschenk anzunehmen versteht. 56. Der Widerstand gegen den Heiligen Geist, den der heilige Paulus in der inneren und subjektiven Dimension als Spannung, Kampf und Auflehnung im menschlichen Herzen unterstreicht, findet leider in den verschiedenen Geschichtsepochen und besonders in unserer modernen Zeit auch ihre äußere Dimension, indem er sich als Inhalt der Kultur und der Zivilisation, als philosophisches System, als Ideologie, als Aktions- und Bildungsprogramm für das menschliche Verhalten konkretisiert. Dieser Widerstand findet seinen höchsten Ausdruck im Materialismus, sei es in seiner theoretischen Form, als Gedankensystem, sei es in seiner praktischen Form, als Methode der Interpretation und Bewertung der Tatsachen sowie als Programm eines entsprechen- 1363 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN den Verhaltens. Das System, das diese Denkweise, Ideologie und Praxis am meisten entwickelt und zu den äußersten praktischen Konsequenzen geführt hat, ist der dialektische und historische Materialismus, der noch immer als die Lebenssubstanz des Marxismus gilt. Grundsätzlich und de facto schließt der Materialismus die Gegenwart und das Wirken Gottes, der Geist ist, in der Welt und vor allem im Menschen aus; und zwar aus dem Hauptgrund, weil er dessen Existenz 'leugnet, da er von seinem Wesen und Programm her ein atheistisches System ist. Es ist das beeindruckende Phänomen unserer Zeit, dem das II. Vatikanische Konzil einige bezeichnende Seiten gewidmet hat: der Atheismus.242 Wenn man auch vom Atheismus nicht auf univoke Weise sprechen noch ihn ausschließlich auf die materialistische Philosophie reduzieren kann, da es verschiedene Arten von Atheismus gibt und man vielleicht sagen kann, daß dieser Begriff oft in einem mehrdeutigen Sinn gebraucht wird, so ist doch sicher, daß ein wirklicher und echter Materialismus, verstanden als Theorie, die die Wirklichkeit erklärt, und angewandt als Grundprinzip des persönlichen und gesellschaftlichen Handelns, einen atheistischen Charakter hat. Der Horizont der Werte und Zielsetzungen des Handelns, den dieser aufweist, ist eng mit der Interpretation der Gesamtwirklichkeit als „Materie“ verbunden. Wenn er auch manchmal, wie zum Beispiel im Bereich der Kultur und der Moral, von „Geist“ und von „Fragen des Geistes“ spricht, dann tut er das nur, insofern er gewisse Fakten als Folgeerscheinungen (Phänomene) der Materie betrachtet, die nach diesem System die einzige und ausschließliche Seinsweise darstellt. Daraus folgt, daß nach einer solchen Interpretation die Religion nur als eine „idealistische Illusion“ verstanden werden kann, die es in der nach den jeweiligen Orten und geschichtlichen Umständen geeignetsten Weise und mit den jeweils brauchbarsten Mitteln zu bekämpfen gilt, um sie aus der Gesellschaft und aus dem Herzen des Menschen selbst auszureißen. Man kann deshalb sagen, daß der Materialismus die systematische und kohärente Weiterentwicklung jenes „Widerstandes“ und Gegensatzes ist, den Paulus mit den Worten aufzeigt: „Das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist.“ Diese Konfliktsituation ist aber beiderseitig, wie der Apostel im zweiten Teil seiner Aussage hervorhebt: „Das Begehren des Geistes aber richtet sich gegen das Fleisch.“ Wer nach dem Geist leben möchte, in der Annahme und im Einklang mit seinem Heilswirken, muß notwendig die inneren und äußeren Neigungen und Forderungen des „Fleisches“, auch in seiner ideologischen und geschichtlichen Erscheinungsform des religionsfeindlichen „Materialismus“, zurückweisen. 1364 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Vor diesem Hintergrund, der für unsere Zeit so kennzeichnend ist, muß man bei den Vorbereitungen auf das große Jubiläum das „Begehren des Geistes“ hervorheben als fordernde Rufe, die in der Nacht eines neuen Advents erschallen, an dessen Ende wie vor zweitausend Jahren „alle Menschen das Heil sehen, das von Gott kommt“.243 Das ist eine Möglichkeit und eine Hoffnung, welche die Kirche den Menschen von heute anvertraut. Sie weiß, daß der Zusammenstoß zwischen dem „Begehren gegen den Geist“, das so viele Aspekte der modernen Zivilisation kennzeichnet, besonders in einigen Bereichen, und dem „Begehren gegen das Fleisch“ mit dem Kommen Gottes, mit seiner Menschwerdung und seinem stets neuen Sichmitteilen im Heiligen Geist in vielen Fällen einen dramatischen Charakter annehmen und vielleicht zu neuen menschlichen Niederlagen führen kann. Sie glaubt aber fest, daß es sich von seiten Gottes immer um ein heilbringendes Sichmitteilen, um ein heilsames Kommen und ein erlösendes „Offenlegen der Sünde“ durch das Wirken des Geistes handelt. 57. In der paulinischen Gegenüberstellung von „Geist“ und „Fleisch“ ist auch der Gegensatz zwischen „Leben“ und „Tod“ enthalten. Ein schwerwiegendes Problem, zu dem sofort zu sagen ist, daß der Materialismus als Gedankensystem in allen seinen Formen die Annahme des Todes als endgültigen Endes der menschlichen Fxwtenzbedeutet. Alles, was materiall ist, ist vergänglich, und deswegen ist der menschliche Körper (sofern „animalisch“) sterblich. Wenn der Mensch in seinem Wesen nur „Fleisch“ ist, bleibt der Tod für ihn unüberwindliche Grenze und endgültiges Ende. So kann man verstehen, wie man sagen kann, daß das menschliche Leben ausschließlich ein „Sein zum Sterben“ ist. Man muß hinzufügen, daß am Horizont der heutigen Zivilisation -besonders in der technisch-wissenschaftlich am höchsten entwickelten - die Zeichen und Hinweise auf den Tod besonders häufig anzutreffen sind. Es genügt an den Rüstungswettlauf und an die darin enthaltene Gefahr einer nuklearen Selbstzerstörung zu denken. Andererseits ist die schwierige Lage in weiten Gebieten auf unserem Planeten, die von Not und Hungertod gekennzeichnet sind, allen immer bewußter geworden. Es geht dabei nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch und vor allem um ethische Probleme. Aber am Horizont unserer Zeit verdichten sich noch finsterere „Zeichen des Todes“: Es hat sich die Sitte verbreitet - die an einigen Orten fast eine Institution zu werden droht -, den menschlichen Wesen, noch bevor sie geboren werden oder bevor sie zur natürlichen Grenze des Todes gelangt sind, das 1365 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Leben zu nehmen. Ferner sind trotz vieler ehrlicher Anstrengungen für den Frieden neue Kriege ausgebrochen und im Gange, die Hunderttausenden von Menschen das Leben oder die Gesundheit rauben. Lind wie könnte man die Attentate auf das menschliche Leben von seiten des Terrorismus vergessen, der auch auf internationaler Ebene organisiert ist? Dies ist leider nur ein partieller und unvollständiger Überblick über das Bild des Todes, das sich in unserer Epoche darbietet, während wir uns immer mehr dem Ende des zweiten christlichen Jahrtausends nähern. Steigt nicht aus den dunklen Schatten der materialistischen Zivilisation und vor allem von jenen „Zeichen des Todes“, die im soziologisch-geschichtlichen Rahmen, in dem diese sich verwirklicht, immer zahlreicher werden, vielleicht ein neuer, mehr oder weniger bewußter Ruf nach dem Geist auf, der lebendig macht? In jedem Fall bleibt auch unabhängig vom Ausmaß der menschlichen Hoffnung oder Verzweiflung sowie der Illusionen oder der Täuschungen, die sich aus der Entwicklung der materialistischen Gedanken und Lebenssysteme ergeben, die christliche Gewißheit, daß „der Geist weht, wo er will“ und daß wir „die Erstlingsgabe des Geistes“ besitzen. Auch wir können den Leiden der vergänglichen Zeit unterworfen werden, aber „ wir seufzen in unserem Herzen und warten... auf die Erlösung unseres Leibes“244, das heißt unseres ganzen menschlichen Seins, körperlich und geistig. Wir seufzen, gewiß, aber in einer Erwartung voll unvergänglicher Hoffnung, weil sich gerade diesem menschlichen Wesen Gott genähert hat, der Geist ist. Gott Vater sandte „seinen Sohn in der Gestalt des Fleisches, das unter der Macht der Sünde steht, zur Sühne für die Sünde, um... die Sünde zu verurteilen“.245 Auf dem Höhepunkt des Ostergeheimnisses ist der Sohn Gottes, der für die Sünden der Welt Mensch geworden und gekreuzigt worden ist, nach seiner Auferstehung in der Mitte seiner Apostel erschienen, hat sie angehaucht und ihnen gesagt: „Empfangt den Heiligen Geist.“ Dieses „Hauchen“ setzt sich für immer fort. Und siehe, „der Geist nimmt sich unserer Schwachheit an“}. <129> <130> <131> <132> <129> Der Heilige Geist bei der Stärkung des „inneren Menschen“ 58. Das Geheimnis der Auferstehung und des Pfingstgeschehens wird von der Kirche verkündet und gelebt, die das Zeugnis der Apostel über die Auferstehung Jesu Christi als Erbe empfangen hat und fortsetzt. 1366 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Sie ist die fortwährende Zeugin dieses Sieges über den Tod, der die Macht des Heiligen Geistes offenbart und sein neues Kommen, seine neue Gegenwart in den Menschen und in der Welt bestimmt hat. Denn in der Auferstehung Christi hat der Heilige Geist, der Beistand, sich vor allem als deijenige offenbart, der lebendig macht: „Der Christus Jesus von den Toten auferweckt hat, wird auch euren sterblichen Leib lebendig machen, durch den Geist, der in euch wohnt.“247 Im Namen der Auferstehung Christi verkündet die Kirche das Leben, das sich über die Grenze des Todes hinaus bezeugt hat, das Leben, das stärker ist als der Tod. Gleichzeitig verkündet sie denjenigen, der dieses Leben schenkt: den Geist, den Lebensspender; sie verkündet ihn und wirkt mit ihm zusammen in der Vermittlung des Lebens. Denn wenn „der Leib tot ist aufgrund der Sünde, ist der Geist Leben aufgrund der Gerechtigkeit“248, die von dem gekreuzigten und auferstandenen Christus gewirkt worden ist. Im Namen der Auferstehung Christi dient die Kirche dem Leben, das aus Gott selbst hervorgeht, in enger Einheit und demütigem Dienst mit dem Geist. Gerade durch diesen Dienst wird der Mensch auf immer neue Weise der „Weg der Kirche“, wie ich schon in der Enzyklika über Christus, den Erlöser, gesagt habe249 und nun in dieser über den Heiligen Geist wiederhole. Vereint mit dem Geist ist sich die Kirche mehr als jeder andere der Wirklichkeit des inneren Menschen bewußt; dessen, was im Menschen tiefer und wesentlicher, weil geistig und unvergänglich, ist. Auf dieser Ebene senkt der Geist die „Wurzel der Unsterblichkeit“250 ein, aus der das neue Leben entsteht: das heißt das Leben des Menschen in Gott, das sich als Frucht der heilswirkenden Selbstmitteilung Gottes im Heiligen Geist nur unter dessen Wirken entfalten und stärken kann. Deshalb wendet sich der Apostel für die Gläubigen an Gott und erklärt ihnen: „Ich beuge meine Knie vor dem Vater... und bitte, er möge euch ... schenken, daß ihr in eurem Innern durch seinen Geist an Kraft und Stärke zunehmt.“251 Unter dem Einfluß des Heiligen Geistes reift und erstarkt dieser innere, das heißt „geistige“ Mensch. In der Selbstmitteilung Gottes begegnet der menschliche Geist, der nur „die Geheimnisse des Menschen kennt“, dem „Geist, der alles, auch die Tiefen Gottes ergründet“.252 In diesem Geist, der das ewige Geschenk ist, öffnet sich der dreieinige Gott dem Menschen, dem menschlichen Geist. Das verborgene Hauchen des göttlichen Geistes bewirkt, daß der menschliche Geist sich seinerseits der heilbringenden und heiligmachenden Selbsteröffnung Gottes öffnet. Durch das Geschenk der Gnade, die vom Geist 1367 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN kommt, tritt der Mensch in „ein neues Leben“ Qm, wird er in die übernatürliche Wirklichkeit des göttlichen Lebens selbst eingeführt und wird zur „Wohnung des Heiligen Geistes“, zum „lebendigen Tempel Gottes“.253 Denn durch den Heiligen Geist kommen der Vater und der Sohn zu ihm und nehmen Wohnung bei ihm.254 In der gnadenhaften Gemeinschaft mit der Dreifaltigkeit erweitert sich der „Lebensraum“ des Menschen, indem er auf die übernatürliche Ebene des göttlichen Lebens erhöht wird. Der Mensch lebt in Gott und aus Gott: Er lebt „nach dem Geist“ und „trachtet nach dem, was dem Geist entspricht“. 59. Die innige Beziehung mit Gott im Heiligen Geist läßt den Menschen auf neue Weise auch sich selber, sein eigenes Menschsein, verstehen. So wird jenes Bild und Gleichnis Gottes voll verwirklicht, das der Mensch seit Anfang an ist.255 Diese innere Wahrheit des menschlichen Seins muß im Lichte dessen, der der Prototyp für das Verhältnis mit Gott ist, ständig neu entdeckt werden und in ihm auch die Wahrheit des „vollkommenen Sichfmdens durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst“ zusammen mit den anderen Menschen, wie das II. Vatikanische Konzil schreibt: gerade aufgrund der göttlichen Ebenbildlichkeit, die „offenbar macht, daß der Mensch... auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist“ in ihrer Würde als Person, die zugleich aber offen ist für die gesellschaftliche Ergänzung und Gemeinschaft.256 Die konkrete Kenntnis und volle Verwirklichung dieser Wahrheit des Seins erfolgen nur durch das Wirken des Heiligen Geistes. Der Mensch lernt diese Wahrheit von Jesus Christus und verwirklicht sie im eigenen Leben durch das Wirken des Geistes, den er selber uns gegeben hat. Auf diesem Weg - auf dem Weg einer solchen inneren Reifung, die die volle Entdeckung der tieferen Bedeutung des Menschseins einschließt - wird Gott dem Menschen zuinnerst gegenwärtig und durchdringt immer tiefer die ganze menschliche Welt. Der dreieinige Gott, der in sich selbst als transzendente Wirklichkeit eines interpersonalen Geschenkes „existiert“ verwandelt, indem ersieh im Heiligen Geist dem Menschen als Geschenk mitteilt, die Welt des Menschen von innen her, vom Innern der Herzen und der Gewissen. Auf diesem Weg wird die Welt, die des göttlichen Geschenkes teilhaftig geworden ist - wie das Konzil lehrt „immer menschlicher, immer tiefer menschlich“257, während in ihr durch Herz und Gewissen der Menschen das Reich heranreift, in dem Gott endgültig „alles in allem“258 sein wird: als Geschenk und Liebe. Geschenk und Liebe: Dies ist die ewige Macht der Selbsteröffnung des dreieinigen Gottes für den Menschen und die Welt, im Heiligen Geist. 1368 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Im Blick auf das Jahr 2000 seit der Geburt Christi geht es darum zu erreichen, daß eine wachsende Zahl von Menschen „sich selbst ... durch die aufrichtige Hingabe ihrer selbst vollkommen finden kann“, wie der schon zitierte Satz des Konzils sagt. Unter dem Wirken des Geistes, des Beistandes, möge sich in unserer Welt jener wahre Reifungsprozeß in der Menschheit, im Leben des einzelnen und der Gemeinschaftvollziehen, für den Jesus selbst, als er „zum Vater betet, ,daß alle eins seien ... wie auch wir eins sind1 (Joh 17,20-22), uns eine gewisse Ähnlichkeit nahelegt zwischen der Einheit der göttlichen Personen und der Einheit der Kinder Gottes in der Wahrheit und in der Liebe“,259 Das Konzil bekräftigt diese Wahrheit vom Menschen, und die Kirche erblickt in ihr einen besonders starken und entscheidenden Hinweis auf die eigenen apostolischen Aufgaben. Wenn nämlich der Mensch der Weg der Kirche ist, so führt dieser Weg über das ganze Geheimnis Christi als göttliches Modell des Menschen. Auf diesem Weg läßt der Heilige Geist, indem er in jedem einzelnen von uns „den inneren Menschen“ stärkt, den Menschen immer besser „sich selbst finden durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst“. Man kann sagen, daß in diesen Worten der Pastoralkonstitution des Konzils die ganze christliche Anthropologie zusammengefaßt ist: jene Theorie und Praxis, die im Evangelium gründen, in welchem der Mensch, indem er in sich selbst die Zugehörigkeit zu Christus und in ihm die Erhöhung zum Kind Gottes entdeckt, auch seine Würde als Mensch besser versteht, gerade weil er das Subjekt des Kommens und der Gegenwart Gottes, das Subjekt der göttlichen Herablassung ist, in der die Perspektive und sogar die Wurzel für die endgültige Verherrlichung enthalten ist. Man kann also zu Recht wiederholen, daß „die Ehre Gottes der lebendige Mensch, das Leben des Menschen aber die Schau Gottes ist“260: Der Mensch ist, indem er ein göttliches Leben lebt, die Ehre Gottes, und der Heilige Geist ist der verborgene Ausspender dieses Lebens und verleiht diese Ehre. Er ist, so sagt Basilius der Große, „einfach im Wesen, vielfältig in seinen Machterweisen... Erbreitet sich aus, ohne sich zu verzehren... Bei denen, die fähig sind, ihn zu empfangen, ist er jedem einzelnen so gegenwärtig, als wenn dieser allein wäre, und allen zugleich schenkt er die Gnade hinreichend und vollständig“.261 60. Wenn die Menschen unter dem Einfluß des Beistandes diese göttliche Dimension ihres Seins und ihres persönlichen und gemeinschaftlichen Lebens entdecken, sind sie in der Lage, sich aus den verschiedenen Zwängen zu befreien, die hauptsächlich von den materialistischen Grundlagen des Denkens, der Praxis und der entsprechenden Metho- 1369 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN den herrühren. In unserer Zeit sind diese Faktoren bis in das Innerste des Menschen eingedrungen, in jenes Heiligtum des Gewissens, wo der Heilige Geist ununterbrochen das Licht und die Kraft des neuen Lebens gemäß der „Freiheit der Kinder Gottes“ mitteilt. Die Reifung des Menschen in diesem Leben wird durch die Beeinträchtigung und den Druck behindert, welche die in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft bestimmenden Strukturen und Mechanismen auf ihn ausüben. Man kann sagen, daß in vielen Fällen die gesellschaftlichen Faktoren, statt die Entfaltung und Öffnung des menschlichen Geistes zu fordern, diesen vielmehr von der eigentlichen Wahrheit seines Seins und seines Lebens entfernen - über das der Heilige Geist wacht - und ihn so dem „Herrscher dieser Welt“ unterwerfen. Das große Jubiläum des Jahres 2000 enthält also eine Botschaft der Befreiung durch das Wirken des Geistes, der allein den Menschen und Gemeinschaften helfen kann - indem er sie mit dem „Gesetz des Geistes, der in Jesus Christus lebendig macht“262, führt -, sich aus den alten und neuen Zwängen zu befreien, wobei sie auf diese Weise das volle Maß der wahren Freiheit des Menschen entdecken und verwirklichen. Denn, so schreibt der heilige Paulus, „wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit“.263 Diese Offenbarung der Freiheit und somit der wahren Würde des Menschen erhält für die Christen und für die Kirche in der Verfolgung - sei es in alten Zeiten oder heute - eine besondere Bedeutung: Denn die Zeugen der göttlichen Wahrheit werden dadurch ein lebendiger Beweis für das Wirken des Geistes der Wahrheit, der im Herzen und im Gewissen der Gläubigen gegenwärtig ist, und zeigen nicht selten mit ihrem Martyrium die höchste Verherrlichung der menschlichen Würde. Auch unter den gewöhnlichen Bedingungen der Gesellschaft tragen die Christen als Zeugen der wahren Würde des Menschen durch ihren Gehorsam dem Heiligen Geist gegenüber zur vielfältigen „Erneuerung des Antlitzes der Erde“ bei, indem sie mit ihren Brüdern Zusammenarbeiten, um all das zu verwirklichen und zu vervollkommnen, was im heutigen Fortschritt der Zivilisation und Kultur, der Wissenschaft und Technik und der anderen Bereiche des menschlichen Denkens und Wirkens gut, edel und schön ist.264 Dies tun sie als Jünger Christi, der - wie das Konzil schreibt - „durch seine Auferstehung zum Herrn b estellt,... schon durch die Kraft seines Geistes in den Herzen der Menschen dadurch wirkt, daß er nicht nur das Verlangen nach der zukünftigen Welt in ihnen weckt, sondern eben dadurch auch jene selbstlosen Bestrebungen belebt, reinigt und stärkt, durch die die Menschheitsfamilie sich bemüht, ihr eigenes 1370 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Leben humaner zu gestalten und die ganze Erde diesem Ziel dienstbar zu machen“265. So bekräftigen sie noch mehr die Größe des Menschen, der nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen worden ist, eine Größe, die im Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes Gottes voll aufleuchtet, der „in der Fülle der Zeit“ durch das Wirken des Heiligen Geistes in die Geschichte eingetreten ist und sich als wahrer Mensch offenbart hat, er, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung; „von ihm stammt alles, und wir leben auf ihn hin“.266 5. Die Kirche, Sakrament der innigen Einheit mit Gott 61. Da wir uns dem Ende des zweiten Jahrtausends nähern, das alle an die Ankunft des Wortes in der „Fülle der Zeit“ erinnern und diese gleichsam neu gegenwärtigsetzen soll, möchte die Kirche sich noch einmal in das Wesen ihrer gottmenschlichen Konstitution und jener Sendung versenken, die es ihr erlaubt, an der messianischen Sendung Christi teilzunehmen, nach der immer gültigen Lehre und Absicht des II. Vatikanischen Konzils. Wenn wir dieser Linie folgen, können wir bis zum Abendmahlssaal zurückgehen, wo Jesus Christus den Heiligen Geist als Beistand, als Geist der Wahrheit, offenbart und von seinem eigenen „Fortgehen“ durch das Kreuz als notwendiger Bedingung für dessen „Kommen“ spricht: „Es ist gut für euch, daß ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden.“267 Wir haben gesehen, daß diese Ankündigung schon am Abend des Ostertages ihre erste Verwirklichung erfahren hat und dann erneut während der Feier des Pfingstfestes in Jerusalem; seither erfüllt sie sich in der Geschichte der Menschheit durch die Kirche. Im Licht dieser Ankündigung erhält auch das seine volle Bedeutung, was Jesus - ebenfalls beim Letzten Abendmahl - über sein neues „Kommen“gesagt hat. Es ist nämlich bezeichnend, daß er in derselben Rede nicht nur sein „Fortgehen“, sondern auch sein neues „Kommen“ ankündigt. Sagt er doch: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder zu euch. “26S Und im Augenblick seines endgültigen Abschieds vor der Himmelfahrt wiederholt er noch ausdrücklicher: „Seid gewiß: Ich bin bei euch ich bin es „alle Tage bis zum Ende der Welt“.269 Dieses neue „Kommen“ Christi, sein ständiges „Kommen“, um bei den Aposteln, bei der Kirche zu sein, dieses „Ich bin bei euch bis zum Ende der Welt“, hebt natürlich die Tatsache seines „Fortgehens“ nicht auf. Es erfolgt danach, nach dem Abschluß des messianischen Wirkens 1371 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Christi auf Erden und im Zusammenhang mit der angekündigten Sendung des Heiligen Geistes, und gehört zum innersten Kern von dessen eigener Sendung. Und so geschieht es durch den Heiligen Geist, der bewirkt, daß Christus, der fortgegangen ist, jetzt und immer auf eine neue Weise kommt. Dieses neue „Kommen“ Christi durch das Wirken des Heiligen Geistes sowie seine ständige Gegenwart und sein stetes Handeln im geistigen Leben geschehen in der sakramentalen Wirklichkeit. Christus, der in seiner sichtbaren Menschheit fortgegangen ist, wird und ist in der Kirche gegenwärtig und wirkt in ihr auf solch innige Weise, daß er sie zu seinem Leib macht. Als solcher lebt, wirkt und wächst die Kirche „bis zum Ende der Welt“. Dies alles geschieht durch das Wirken des Heiligen Geistes. 62. Der vollständigste sakramentale Ausdruck des „Fortgehens“ Christi durch das Geheimnis von Kreuz und Auferstehung ist die Eucharistie; in ihr verwirklicht sich auch immer wieder in sakramentaler Weise sein „Kommen“, seine heilschaffende Gegenwart: im Opfer und in der Kommunion. Sie erfolgt durch das Wirken des Heiligen Geistes, innerhalb seiner eigenen Sendung.270 Durch die Eucharistie verwirklicht der Heilige Geist jene „Stärkung des inneren Menschen“, von der der Brief an die Epheser spricht.271 Durch die Eucharistie lernen die Personen und Gemeinschaften unter dem Wirken des Beistandes, des Trösters, den göttlichen Sinn des menschlichen Lebens zu entdecken, auf den das Konzil hingewiesen hat: jenen Sinn, durch den Jesus Christus „dem Menschen den Menschen selbst voll kundmacht“, indem er „eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Einheit der göttlichen Personen und der Einheit der Kinder Gottes in der Wahrheit und in der Liebe“272 nahelegt. Eine solche Einheit bekundet und verwirklicht sich besonders durch die Eucharistie, in der der Mensch durch die Teilnahme am Opfer Christi, der diese Feier vollzieht, auch lernt, „sich selbst zu finden ... durch die ... Hingabe seiner selbst“273, in der Gemeinschaft mit Gott und mit den Mitmenschen, seinen Brüdern. Deswegen hielten die ersten Christen seit den Tagen nach der Herabkunft des Heiligen Geistes fest „am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ und bildeten auf diese Weise eine durch die Lehre der Apostel geeinte Gemeinschaft.274 So „erkannten“ sie, daß ihr auferstandener Herr, der bereits in den Himmel aufgefahren war, in jener euchari-stischen Gemeinschaft der Kirche und durch sie neu in ihre Mitte kam. Geführt vom Heiligen Geist hat die Kirche von Anfang an sich selbst 1372 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN durch die Eucharistie ausgedrückt und bekräftigt. Und so war es immer, in allen christlichen Generationen, bis in unsere Zeit, bis zu dieser Vigil der Vollendung des zweiten christlichen Jahrtausends. Gewiß, wir müssen leider feststellen, daß dieses schon fast vergangene Jahrtausend jenes der großen Spaltungen unter den Christen gewesen ist. Somit müssen sich alle, die an Christus glauben, nach dem Beispiel der Apostel mit allen Kräften darum bemühen, ihr Denken und Handeln mit dem Willen des Heiligen Geistes in Einklang zu bringen, der „das Prinzip der Einheit der Kirche“ ist275, damit alle, die durch den einen Geist in der Taufe in einen einzigen Leib aufgenommen wurden, sich als Brüder vereint zur Feier derselben Eucharistie zusammenfinden, die „das Sakrament huldvollen Erbarmens, das Zeichen der Einheit, das Band der Liebe“ ist.276 63. Die eucharistische Gegenwart Christi - sein sakramentales „Ich bin bei euch“ - ermöglicht es der Kirche, das eigene Geheimnis immer tiefer zu entdecken, wie es die ganze Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzil bezeugt, für das „die Kirche... in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ ist.277 Als Sakrament entwickelt sich die Kirche vom österlichen Geheimnis des „Fortgehens“ Christi her, indem sie von einem stets neuen „Kommen“ durch das Wirken des Heiligen Geistes innerhalb derselben Sendung des Geistes der Wahrheit, des Trösters, lebt. Genau dies ist das wesentliche Geheimnis der Kirche, wie es das Konzil bekennt. Wenn Gott kraft der Schöpfung derjenige ist, in dem wir alle „leben, uns bewegen und sind“278, bleibt und entfaltet sich die Macht der Erlösung ihrerseits in der Geschichte des Menschen und der Welt gleichsam in einem doppelten „Rhythmus“, dessen Quelle sich im ewigen Vater befindet. Es ist einerseits der Rhythmus der Sendung des Sohnes, der in die Welt gekommen ist, geboren aus der Jungfrau Maria durch das Wirken des Heiligen Geistes; andererseits ist es auch der Rhythmus der Sendung des heiligen Geistes, der von Christus endgültig offenbart worden ist. Durch das „Fortgehen“ des Sohnes ist der Heilige Geist gekommen und kommt fortwährend als Beistand und Geist der Wahrheit. Und im Rahmen seiner Sendung, gleichsam im innersten Raum der unsichtbaren Gegenwart des Geistes, „kommt“ der Sohn, der im Ostergeheimnis „fortgegangen“ war, und ist ständig gegenwärtig im Geheimnis der Kirche; mal verbirgt er sich, mal zeigt er sich offen in ihrer Geschichte, deren Lauf er stets bestimmt. Dies alles geschieht auf sakramentale Weise, durch das Wirken des Heiligen Geistes, der, 1373 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN indem er aus den Reichtümern der Erlösung Christi schöpft, fortwährend lebendig macht. Indem die Kirche sich dieses Geheimnisses immer leb endiger b ewußt wird, erkennt sie sich selb st b esser vor allem als Sakrament. Das geschieht auch, weil die Kirche nach dem Willen ihres Herrn ihren Heilsdienst gegenüber dem Menschen durch die verschiedenen Sakramente vollzieht. Der sakramentale Dienst enthält jedesmal, wenn er vollzogen wird, in sich das Geheimnis des „Fortgehens“ Christi durch Kreuz und Auferstehung, kraft dessen der Heilige Geist kommt. Er kommt und wirkt: „Er macht lebendig.“ Denn die Sakramente bezeichnen die Gnade und vermitteln die Gnade: Sie bezeichnen das Leben und vermitteln das Leben. Die Kirche ist die sichtbare Ausspenderin der heiligen Zeichen, während der Heilige Geist als unsichtbarer Ausspender des Lebens wirkt, das sie bezeichnen. Zusammen mit dem Geist ist dort gegenwärtig und handelt darin Jesus Christus. 64. Wenn die Kirche das Sakrament für die innerste Vereinigung mit Gott ist, so ist sie dies in Jesus Christus, in dem diese gleiche Vereinigung als Heilswirklichkeit gegenwärtig ist. Sie ist es in Jesus Christus durch das Wirken des Heiligen Geistes. Die Fülle der Heilswirklichkeit, die Christus in der Geschichte darstellt, breitet sich auf sakramentale Weise in der Kraft des Geistes, des Trösters, aus. So ist der Heilige Geist der „neue Beistand“ („ein anderer Beistand“), weil durch sein Wirken die Frohe Botschaft im Gewissen und Herzen der Menschen Gestalt annimmt und sich in der Geschichte ausbreitet. In allen diesen Dimensionen macht der Heilige Geist „lebendig“. Wenn wir das Wort „Sakrament“ für die Kirche gebrauchen, müssen wir uns dessen bewußt sein, daß im konziliaren Text die Sakramentali-tät der Kirche als verschieden von jener erscheint, die den Sakramenten im strengen Sinn eigen ist. Dort lesen wir: „Die Kirche ist... gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott.“ Was aber zählt und aus dem analogen Sinn, in dem das Wort in beiden Fällen gebraucht wird, aufleuchtet, ist die Beziehung, die die Kirche durch die Macht des Heiligen Geistes zu demjenigen hat, der allein lebendig macht: Die Kirche ist Zeichen und Werkzeug der Gegenwart und des Wirkens des lebenspendenden Geistes. Das II. Vatikanische Konzil fügt hinzu, daß die Kirche „das Sakrament .. .für die Einheit der ganzen Menschheit“ ist. Es handelt sich hier offensichtlich um die Einheit, die das Menschengeschlecht, das in sich selbst auf vielfältige Weise differenziert ist, von Gott und in Gott hat. Sie wurzelt im Geheimnis der Schöpfung und erhält im Geheimnis der 1374 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Erlösung eine neue Dimension in bezug auf das universale Heil. Weil Gott will, „daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“279, umfaßt die Erlösung alle Menschen und in gewissem Sinn die ganze Schöpfung. In derselben universalen Dimension der Erlösung wirkt kraft des „Fortgehens“ Christi der Heilige Geist. Deshalb versteht sich die Kirche, die durch ihr eigenes Geheimnis in der trinitarischen Heilsordnung verwurzelt ist, selbst mit gutem Recht als „Sakrament... für die Einheit der ganzen Menschheit“. Sie weiß, daß sie dies ist in der Kraft des Heiligen Geistes, deren Zeichen und Werkzeug in der Verwirklichung des Heilsplanes Gottes sie darstellt. Auf diese Weise verwirklicht sich die „Herablassung“ der unendlichen dreifältigen Liebe: das Kommen Gottes, der unsichtbarer Geist ist, in die sichtbare Welt. Der eine und dreifältige Gott teilt sich dem Menschen im Heiligen Geist von Anfang an mit durch sein „Bild und Gleichnis“. Unter dem Wirken desselben Geistes nähern sich der Mensch und durch ihn die geschaffene und von Christus erlöste Welt ihrer endgültigen Bestimmung in Gott. Für diese Annäherung der beiden Pole der Schöpfung und der Erlösung, Gott und Mensch, ist die Kirche ein „Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug“. Sie wirkt, um die Einheit an den Wurzeln selbst des Menschengeschlechtes wiederherzustellen und zu festigen: in der gegenseitigen Beziehung, die der Mensch mit Gott als seinem Schöpfer, Herrn und Erlöser hat. Dies ist eine Wahrheit, die wir aufgrund der Lehre des Konzils bedenken, erklären und anwenden können in der ganzen Weite ihrer Bedeutung für diese Phase des Übergangs vom zweiten zum dritten christlichen Jahrtausend. Mit Freude werden wir uns immer mehr der Tatsache bewußt, daß innerhalb des von der Kirche in der Heilsgeschichte vollzogenen Wirkens, das der Geschichte der Menschheit eingeprägt ist, der Heilige Geist gegenwärtig und am Werk ist, der mit dem Hauch des göttlichen Lebens die irdische Pilgerschaft des Menschen durchdringt und die ganze Schöpfung - die ganze Geschichte - auf ihr letztes Ziel im unendlichen Meer Gottes ausrichtet. 6. Der Geist und die Braut sagen: „Komm!“ 65. Der göttliche Lebenshauch, der Heilige Geist, drückt sich in seiner einfachsten und gewöhnlichsten Form im Gebet aus und macht sich darin vernehmbar. Es ist schön und heilsam, daran zu denken, daß, wo immer man in der Welt betet, der Heilige Geist, der belebende Atem des Gebetes, gegenwärtig ist. Es ist schön und heilsam zu erkennen, 1375 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN daß ebenso, wie das Gebet in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf der ganzen Erde verbreitet ist, auch der Heilige Geist überall gegenwärtig ist und wirkt, der das Gebet im Herzen des Menschen „haucht“ in der unermeßlichen Vielfalt der verschiedensten Situationen und Umstände, die das geistige und religiöse Leben teils begünstigen, teils behindern. Oftmals steigt das Gebet unter dem Wirken des Heiligen Geistes aus dem Herzen des Menschen auf trotz der Verbote, der Verfolgungen und sogar der offiziellen Erklärungen über den areligiösen oder gar atheistischen Charakter des öffentlichen Lebens. Das Gebet bleibt immer die Stimme all derer, die scheinbar keine Stimme haben - und in dieser Stimme ertönt immer jener „laute Schrei“, der vom Hebräerbrief Christus zugeschrieben wird.280 Das Gebet ist auch die Offenbarung Abgrundes, den das Herz des Menschen darstellt: eine Tiefe, die von Gott kommt und die nur Gott ausfüllen kann, eben mit dem Heiligen Geist. Bei Lukas lesen wir: „Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten.“281 Der Heilige Geist ist das Geschenk, das zusammen mit dem Gebet in das Herz des Menschen kommt. Darin zeigt er sich zuerst und vor allem als das Geschenk, das „sich unserer Schwachheit annimmt“. Es ist der großartige Gedanke, den der heilige Paulus im Römerbrief entwickelt, wenn er schreibt: „Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können.“282 Der Heilige Geist bewegt uns also nicht nur dazu, daß wir beten, sondern führt uns „von innen her“ auch im Gebet selber, indem er unser Unvermögen ergänzt und uns von unserer Unfähigkeit zu beten heilt: Er ist gegenwärtig in unserem Beten und verleiht ihm eine göttliche Dimension.283 So „weiß Gott, der die Herzen erforscht, was die Absicht des Geistes ist: Er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein.“284 Das Gebet wird durch das Wirken des Heiligen Geistes ein immer reiferer Ausdruck des neuen Menschen, der dadurch am göttlichen Leben teilnimmt. Unsere schwierige Epoche bedarf in besonderer Weise des Gebetes. Wie im Laufe der Geschichte - gestern wie heute - zahlreiche Männer und Frauen Zeugnis abgelegt haben für die Wichtigkeit des Gebetes und sich vor allem in den Klöstern zum großen Nutzen der Kirche dem Gotteslob und dem Gebetsleben geweiht haben, so wächst in diesen Jahren auch die Zahl der Menschen, die in Bewegungen und immer mehr verbreiteten Gruppen dem Gebet die erste Stelle einräumen und darin geistliche Erneuerung suchen. Dies ist ein bedeutendes und 1376 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN trostvolles Zeichen; denn aus einer solchen Erfahrung ergibt sich ein echter Beitrag zur Belebung des Gebetes unter den Gläubigen, die darin eine Hilfe finden, um im Heiligen Geist denjenigen zu erblicken, der in den Herzen eine tiefe Sehnsucht nach Heiligkeit weckt. In vielen einzelnen Menschen und in vielen Gemeinschaften reift das Bewußtsein, daß bei allem schwindelerregenden Fortschritt der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation, trotz der wirklichen Errungenschaften und erreichten Ziele der Mensch bedroht ist, die Menschheit bedroht ist. Angesichts dieser Gefahr, ja, schon durch die Erfahrung der erschreckenden Wirklichkeit des geistigen Verfalls des Menschen, suchen einzelne Personen und ganze Gemeinschaften, gleichsam geführt von einem inneren Glaubenssinn, nach der Kraft, die imstande ist, den Menschen wieder aufzurichten, ihn von sich selbst zu befreien, von seinen eigenen Fehlern und Verirrungen, die oft sogar seine eigenen Errungenschaften für ihn schädlich machen. Und so entdecken sie das Gebet, in dem sich der Geist kundtut, „der sich unserer Schwachheit annimmt“. Auf diese Weise bringen die Zeiten, in denen wir leben, die vielen Menschen, die zum Gebet zurückkehren, dem Heiligen Geist näher. Und ich vertraue darauf, daß alle in der Unterweisung der Enzyklika Nahrung für ihr inneres Leben finden; möge es ihnen unter dem Antrieb des Heiligen Geistes gelingen, ihr Beten im Einklang mit der Kirche und ihrem Lehramt kraftvoll erstarken zu lassen. 66. Inmitten der Probleme, Enttäuschungen und Hoffnungen, des Abfalls und der Rückkehr von Gläubigen in unserer Zeit bleibt die Kirche dem Geheimnis ihrer Geburt treu. Wenn es eine geschichtliche Tatsache ist, daß die Kirche am Pfmgsttag aus dem Abendmahlssaal ausgezogen ist, so kann man doch in einem gewissen Sinn auch sagen, daß sie ihn niemals verlassen hat. Geistig gesehen gehört das Pfingst-geschehen nicht nur der Vergangenheit an: Die Kirche ist immer im Abendmahlssaal, sie trägt ihn im Herzen. Die Kirche verweilt im Gebet, wie die Apostel zusammen mit Maria, der Mutter Christi, und mit denjenigen, die in Jerusalem den ersten Kern der christlichen Gemeinde bildeten und im Gebet auf das Kommen des Heiligen Geistes warteten. Die Kirche verharrt mit Maria im Gebet. Diese Einheit der betenden Kirche mit der Mutter Christi gehört zum Geheimnis der Kirche von Anfang an: Wir sehen sie in diesem Geheimnis gegenwärtig, wie sie im Geheimnis ihres Sohnes gegenwärtig ist. Dies sagt uns das Konzil: „Die selige Jungfrau ..., vom Heiligen Geist überschattet,... gebar... einen Sohn, den Gott gesetzt hat zum Erstgeborenen unter vielen Brü- 1377 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dern (Röm 8,29), den Gläubigen nämlich, bei deren Geburt und Erziehung sie in mütterlicher Liebe mitwirkt“; sie ist „durch ihre einzigartigen Gnaden und Gaben ... mit der Kirche auf das innigste verbunden“; sie ist „der Typus der Kirche“.2*5 „Die Kirche wird, indem sie Marias geheimnisvolle Heiligkeit betrachtet, ihre Liebe nachahmt..., auch selbst Muttef ‘ und bewahrt „in Nachahmung der Mutter ihres Herrn in der Kraft des Heiligen Geistes jungfräulich einen unversehrten Glauben, eine feste Hoffnung und eine aufrichtige Liebe“: „Auch sie (die Kirche) ist Jungfrau, da sie das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, ... bewahrt.“ Man versteht so den tiefen Sinn, warum die Kirche, vereint mit der Jungfrau und Mutter, sich ununterbrochen als Braut an ihren göttlichen Bräutigam wendet, wie die Worte der Offenbarung des Johannes bezeugen, die das Konzil zitiert: „Der Geist und die Braut sagen zum Herrn Jesus: Komm!‘&il Das Gebet der Kirche ist diese ununterbrochene Bitte, in der „der Geist selber für uns eintritt“: In gewisser Weise spricht er sie selber aus mit der Kirche und in der Kirche. Denn der Geist ist der Kirche gegeben, damit durch seine Kraft die ganze Gemeinde des Volkes Gottes, wie verzweigt und vielfältig sie auch ist, in der Hoffnung ausharrt: in jener Hoffnung, in der „wir gerettet sind“. Es ist die eschatologischeHoffnung, die Hoffnung der endgültigen Vollendung in Gott, die Hoffnung des ewigen Reiches, das sich in der Teilnahme am dreifältigen Leben verwirklichen wird. Der Heilige Geist, den Aposteln als Beistand gegeben, ist Hüter und Seele dieser Hoffnung im Herzen der Kirche. Im Blick auf das dritte Jahrtausend nach- Christus, da „der Geist und die Braut zum Herrn Jesus sagen: Kommt!“, ist dieses ihr Gebet wie immer voller eschatologischer Tragweite, die dazu bestimmt ist, auch der Leier des großen Jubiläums ihre volle Bedeutung zu geben. Es ist ein Gebet, das auf die Heilsziele ausgerichtet ist, für die der Heilige Geist mit seinem Wirken durch die ganze Geschichte des Menschen auf der Erde die Herzen öffnet. Zugleich aber richtet sich dieses Gebet auf einen ganz bestimmten Augenblick der Geschichte, in dem die „Fülle der Zeit“, auf die uns das Jahr 2000 hinweist, neu aufleuchtet. Auf dieses Jubiläum will sich die Kirche im Heiligen Geist vorbereiten, wie die Jungfrau von Nazaret, in der das Wort Fleisch geworden ist, vom Heiligen Geist vorbereitet worden ist. 1378 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Schluß 67. Wir wollen diese Überlegungen beschließen im Herzen der Kirche und im Herzen des Menschen. Der Weg der Kirche geht durch das Herz des Menschen; denn hier ist der verborgene Ort der heilbringenden Begegnung mit dem Heiligen Geist, mit dem verborgenen Gott. Genau hier wird der Heilige Geist zur „sprudelnden Quelle, deren Wasser ewiges Leben schenkt“.289 Hierher kommt er als Geist der Wahrheit, als Paraklet, wie er von Christus verheißen worden ist. Von hieraus wirkt er als Tröster, Fürsprecher, Beistand - besonders, wenn der Mensch und die Menschheit vor dem Verdammungsurteil jenes „Anklägers“ stehen, von dem die Offenbarung des Johannes sagt, daß er die Brüder „bei Tag und bei Nacht vor unserem Gott verklagt“.290 Der Heilige Geist hört nicht auf, Hüter der Hoffnung im Herzen des Menschen zu sein: der Hoffnung aller menschlichen Geschöpfe und besonders deijenigen, die „als Erstlingsgabe den Geist haben“ und „auf die Erlösung ihres Leibes warten“.291 Der Heilige Geist setzt in seiner geheimnisvollen göttlichen Gemeinschaft mit dem Erlöser des Menschen dessen Werk kontinuierlich fort: Er nimmt von Christus und vermittelt es allen, indem er durch das Herz des Menschen fortwährend in die Geschichte der Welt eintritt. Hier wird er - wie die Sequenz der Pfmgstliturgie sagt - wahrhaft zum „ Vater der Armen, Spender der Gaben, Licht der Herzen“; er wird zum „süßen Seelengast“, den die Kirche an der Schwelle zum Herzen eines jeden Menschen beständig grüßt. Er bringt inmitten der Mühen, der Arbeit der Arme und des Verstandes des Menschen „Ruh und Geborgenheit“; er bringt „Ruhe“ und „Erquickung“ inmitten der Hitze des Tages, inmitten der Unruhen, der Auseinandersetzungen und Gefahren jeder Epoche; er bringt schließlich „Trost“, wenn das menschliche Herz weint und zu verzweifeln versucht ist. Deshalb ruft dieselbe Sequenz aus: „Ohne dein lebendig Wehn kann im Menschen nichts bestehn, kann nichts heil sein noch gesund.“ Nur der Heilige Geist „überführt der Sünde“, des Bösen, mit dem Ziel, im Menschen und in der menschlichen Welt das Gute wiederherzustellen: um „das Angesicht der Erde zu erneuern“. Deswegen wirkt er die Reinigung von allem, was den Menschen „verunstaltet“, von „dem, was ihn befleckt“; er heilt auch die tiefsten Wunden der menschlichen Existenz; er verwandelt die innere Dürre der Seelen in fruchtbare Felder der Gnade und Heiligkeit. Was „verhärtet“ ist, „beugt er“; was 1379 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „erkaltet“ ist, „wärmt er“; was „irre geht“, „lenkt er“ auf die Wege des Heils zurück.292 Indem die Kirche so betet, bekennt sie ununterbrochen ihren Glauben: Es gibt in unserer geschaffenen Welt einen Geist, der ein ungeschaffenes Geschenk ist. Es ist der Geist des Vaters und des Sohnes: Wie der Vater und der Sohn ist er nicht geschaffen, unermeßlich, ewig, allmächtig, Gott und Herr.293 Dieser Geist Gottes „erfüllt das Universum“, und alles, was geschaffen ist, erkennt in ihm die Quelle seiner Identität, findet in ihm seinen transzendenten Ausdruck, wendet sich an ihn und erwartetem, ruft ihn an mit seinem eigenen Sein. Zu ihm als Beistand, als Geist der Wahrheit und der Liebe wendet sich der Mensch, der von Wahrheit und Liebe lebt und der ohne die Quelle der Wahrheit und der Liebe nicht leben kann. Zu ihm wendet sich die Kirche, die das Herz der Menschheit ist, um für alle jene Gaben der Liebe, die durch ihn „in unsere Herzen ausgegossen ist“294, zu erbitten und sie an alle auszuteilen. An ihn wendet sich die Kirche auf den mühsamen Wegen der Pilgerschaft des Menschen auf Erden: Sie bittet und bittet ununterbrochen, daß die Taten der Menschen rechtschaffen seien aufgrund seines Wirkens; sie bittet um die Lreude und den Trost, den nur er, der wahre Tröster, spenden kann, indem er in die Tiefe des menschlichen Herzens hinab steigt295; sie bittet um die Gnade der Tugenden, die die himmlische Herrlichkeit verdienen; sie bittet um das ewige Heil in der vollen Gemeinschaft des göttlichen Lebens, zu dem der Vater die Menschen, die aus Liebe als Bild und Gleichnis der heiligsten Dreifaltigkeit erschaffen worden sind, von Ewigkeit „vorherbestimmt“ hat. Die Kirche bittet mit ihrem Herzen, das alle menschlichen Herzen insichfaßt, den Heiligen Geist um das Glück, das allein in Gott seine volle Verwirklichung findet: die Lreude, „die niemand nehmen kann“296, die Freude, die Lrucht der Liebe und somit die Frucht Gottes ist, der die Liebe ist; sie bittet um „Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist“, worin nach dem heiligen Paulus das Reich Gottes besteht.297 Auch der Lriede ist Lrucht der Liebe: jener innere Friede, den der gehetzte Mensch in der Tiefe seines Wesens sucht; jener Friede, der von der Menschheit, von der Menschheitsfamilie, von den Völkern, von den Nationen, von den Kontinenten gefordert wird mit der bangen Hoffnung, ihn im Blick auf den Übergang vom zweiten zum dritten christlichen Jahrtausend wirklich zu erlangen. Da der Weg zum Lrieden letztlich über die Liebe führt und darauf abzielt, eine Zivilisation der Liebe zu schaffen, heftet die Kirche ihren Blick auf den, der die Liebe 1380 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN des Vaters und des Sohnes ist; sie hört trotz der wachsenden Bedrohungen nicht auf zu vertrauen, sie hört nicht auf, den Frieden für den Menschen auf Erden zufordern und ihm zu dienen. Ihr Vertrauen gründet sich auf denjenigen, der als Geist der Liebe auch der Geist des Friedens ist und nicht aufhört, in der menschlichen Welt, am Horizont der menschlichen Gewissen und Herzen gegenwärtig zu sein, um mit Liebe und Frieden „den Erdkreis zu erfüllen“. Vor ihm knie ich mich am Ende dieser Überlegungen nieder und flehe darum, daß er als Geist des Vaters und des Sohnes uns allen den Segen und die Gnade gewähre, die ich im Namen der Heiligsten Dreifaltigkeit den Söhnen und Töchtern der Kirche und der ganzen Menschheitsfamilie übermitteln möchte. Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 18. Mai, dem Pfingstfest des Jahres 1986, dem achten meines Pontifikates 1381 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Anmerkungen 1 Joh 7,31 f. 2 Joh 7,39. 3 Joh 4,14; vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4. 4 Vgl. Joh 3,5. 5 Vgl. Leo XIII., Enzyklika Divinum illud munus.(9. Mai 1897): Acta Leonis, 17 (1898) 125-148; Pius XII., Enzyklika Mystici Corporis (29. Juni 1943): AAS 35 (1943) 193— 248. 6 Generalaudienz vom 6. Juni 1973: Insegnamenti di Paolo VI, XI (1973) All. 1 Meßbuch, S. 324; vgl. 2 Kor 13,13. 8 Joh 3,17. 9 Phil 2,11 10 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4; Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses für Pneumatologie (26. März 1982), 1: Insegnamenti V/l (1982) 1004. 11 Vgl. Joh 4,24. 12 Vgl. Rom 8,22; Gal 6,15. 13 Vgl. Mt 24,35. 14 Joh 4,14. 15 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 17. 16 ölKkay jtagaxLr|TCJY: Joh 14,16. 17 Joh 14,13. 16 f. 18 Vgl. 1 Joh 2,1. 19 Joh 14,26. 20 Joh 15,26 f. 21 Vgl. 1 Joh 1,1-3; 4,14. 22 „Das von Gott Geoffenbarte, das in der Heiligen Schrift enthalten ist und vorliegt, ist unter dem Anhauch des Heiligen Geistes aufgezeichnet worden“, und darum muß diese Heilige Schrift „in dem Geist gelesen und ausgelegt werden, in dem sie geschrieben wurde“: II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Del verbum, 11. 12. 23 Joh 16,12 f. 24 Apg 1,1. 25 Joh 16,14. 26 Joh 16,15. 21 Joh 16,7 f. 28 Joh 15,26. 29 Joh 14,16. 30 Joh 14,26. 31 Joh 15,26. 32 Joh 14,16. 33 Joh 16,7. 34 Vgl. Joh 3,16 f., 34; 6,57; 17,3. 18. 23. 35 Mt 28,29. 1382 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3b Vgl. 1 Joh 4,8. 16. 37 -1 Kor 2,10. 38 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theo!., Ia, qq. 37-38. 39 Rom 5,5. 40 Joh 16,14. 41 Gen 1,1 f. 42 Gen 1,26. 43 Rom 8,19-22. 44 Joh 16,7. 45 Gal 4,6; vgl. Rom 8,15. 46 Vgl. Gal 4,6; Phil 1,19; Rom 8,11. 47 Vgl. Joh 16,6. 48 Vgl. Joh 16,20. 49 Vgl. Joh 16,7. 50 Apg 10,37 f. 51 Vgl. Lk 4,16-21; 3,16; 4,14; Mk 1,10. 52 Jes 11,1-3. 53 Jes 61,1 f. 54 Jes 48,16. 55 Jes 42,1. 56 Vgl. Jes 53,5-6. 8. 57 Jes 42,1. 58 Jes 42,6. 59 Jes 49,6. 60 Jes 59,21. 61 Vgl. Lk 2,25-35. 62 Vgl. Lk 1,35. 63 Vgl. Lk 19,51. 64 Vgl. Lk 4,16-21; /es 61,1 f. 65 Lk 3,16; vgl. M3,ll; Mk 1,7 f.; Joh 1,33. 66 Joh 1,29. 67 Vgl. Joh 1,33 f. 68 Lk 3,21 f.; vgl. 4*3,16; Mk 1,10. 69 Mt 3,17. 70 Vgl. Basilius, De Spiritu Sancto, XVI, 39: PG 32,139. 71 Apg 1,1. 72 Vgl. Lkk 4,1. 73 Vgl. Lk 10,17-20. 74 Lk 10,21; vgl. M il,25 f. 75 Lk 10,22;: vgl. Mt 11,27. 76 Mt 3,11; Lk 3,16.. 77 Joh 16,13. 78 Joh 16,14. 79 Joh 16,15. 80 Vgl. Joh 14,26; 15,26. 81 Joh 3,16. 82 Röm 1,3 f. 83 Ez 36,26 f.; vgl. Joh 7,37-39; 19,34. 1383 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 84 Joh 16,7. 85 Vgl. Kyrill von Alexandrien, In loannis Evangelium, Libr. V. Kap. II; PG 73,755. 86 Joh 20,19-22. 87 Vgl. Joh 19,30. 88 Vgl. Röm 1,4. 89 Joh 16,20. 90 Joh 16,7. 91 Joh 16,15. 92 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4. 93 Joh 15,26 f. 94 Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche Ad gentes, 4. 95 Vgl. Apg 1,14. 96 Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4. Es gibt eine ganze patristische und theologische Tradition über die innige Einheit zwischen dem Heiligen Geist und der Kirche; diese Einheit wird zuweilen in Analogie zum Verhältnis von Seele und Leib im Menschen dargestellt: vgl. Irenaus, Adversus haereses, III, 24,1: SC211, SS. 470-474; Augustinus, SermolEl, 4,4: PL38,1231; Sermo268,2: PL 38,1232; In loannis Evangelium Tractatus, XXV, 13; XXVII, 6: CCL 36, 266, 272 f.; Gregor der Große, In septempsaimospoenitentiales expositio, psal. V, 1: PL 79,602; Didimus von Alexandrien, De Trinitate, II, 1: PG 39, 449 f.; Athanasius, Oratio III contra Arianos, 22. 23.24: PG26,368 f., 372 f.; Johannes Chrysostomus, InEpistolam ad Ephesios, Homil. XI, 3: PG 62, 72 f. Thomas von Aquin hat die vorausgehende patristische und theologische Tradition zusammengefaßt, indem er den Heiligen Geist als „Herz“ und „Seele“ der Kirche dargestellt hat: vgl. Summa Theol., III, q. 8, a. 1, ad 3; In Symbolum Apostolorum Expositio, a. IX; In Tertium Librum sententiarum, Dist. XIII, q. 2, a. 2, quaestiuncula 3. 97 Vgl. Offb 2,29; 3,6. 13. 22. 98 Vgl. Joh 12,31; 14,30; 16,11. 99 Gaudium et spes, 1. 100 Ebd. 41. 101 Ebd. 26. 102 Vgl. Joh 16,7 f. 103 Joh 16,7. 104 Joh 16,8-11. 105 Vgl. Joh 3,17; 12,47. 106 Vgl. Eph 6,12. 107 Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 2. 108 Vgl. ebd. 10. 13. 27. 37. 63. 73. 79. 80. 109 Apg 2,4. 110 Vgl. Irenaus, Adversus haereses, III, 17,2: SC211, S. 330-332. 111 Apg 1,4. 5. 8. 112 Apg 2,22-24. 113 Vgl. Apg 3,14f.; 4,10. 27 f.; 7,52; 10,39; 13,28 f. u.a. 114 Vgl. Johl,17; 12,47. 115 Apg 2,36. 116 Apg 2,37 f. 117 Vgl. Mk 1,15. 1384 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 118 Joh 20,22. 119 Vgl. Joh 16,9. 120 Hos 13, 14 Vulgata, alte Form; vgl. 1 Kor 15,55. 121 Vgl. 1 Kor 2,10. 122 Vgl. 2 Thess 2,7. 123 Vgl. 1 Tim 3,16. 124 Vgl. Reconciliatio etpaenitentia (2. Dezember 1984), 19—22: (1985) 229-233. 125 Vgl. Gen 1-3. 126 Phil 2,8; vgl. Röm 5,19. 127 Joh 1,1. 2. 3. 10. 128 Vgl. Kol 1,15-18. 129 Joh 8,44. 130 Vgl. Gen 1,2. 131 Vgl. Gen 1,26. 28. 29. 132 Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei verbum, 2. 133 Vgl. 1 Kor 2, 10 f. 134 Vgl. Joh 16,11. 135 Vgl. Phil 2,8. 136 Vgl. Gen 2,16 f. 137 Gen 3,5. 138 Vgl. Gen 3,22 über den „Baum des Lebens“; vgl. auch Joh 3,36; 4,14; 5,24; 6,40. 47; 10,28; 12,50; 14,6; 4pg 13,48;6,23; Gal6,8; 1 Tim 1,16; 77t 1,2; 3,7; 1 Petr3,22; 1 Joh 1,2; 2,25; 5,11. 13; Offb 2,7. 139 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theol. Ia-IIae, q. 80, a. 4 ad 3. 140 1 Joh 3,8. 141 Joh 16,11. 142 Vgl. Eph 6, 12; Lk 22, 53. 143 Vgl. De Civitate Dei, XIV, 28: CCL 48, S. 451. 144 Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 36. 145 Griechisch: nagaxaLeTy = anrufen, herbeirufen. 146 Vgl. Gen 6,7. 147 Gen 6,5-7. 148 Vgl. Röm 8,20-22. 149 Vgl. Mt 15,32; Mk 8,2. 150 Hebr 9,13 f. 151 Joh 20,22 f. 152 Apg 10,38. 153 Hebr 5,7 f. 154 Hebr 9,14. 155 Vgl. Lev 9,24; 1 Kön 18,38; 2 Chr 7,1. 156 Vgl. Joh 15,26. 157 Joh 20,221 158 Mt 3,11. 159 Vgl. Joh 3,8. 160 Joh 20,22 f. 161 Vgl. Pfingstsequenz: Veni, Sancte Spiritus. 162 Bonaventura, De septem donis Spiritus Sancti, Collatio II, 3: Ad Claras Aquas, V, 463. 1385 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 163 Mk 1,15. 164 Vgl. Hebr 9,14. 165 Vgl. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium etspes, 16. 166 Vgl. Gen 2,9. 17. 167 II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 16. 168 Ebd. 27. 169 Vgl. ebd. 13. 170 Vgl. Johannes Paul II, Apostolisches Schreiben im Anschluß an die Bischofssynode Reconciliatio et paenitentia (2. Dezember 1984), 16: AAS 77 (1985) 213-217. 171 Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 10. 172 Vgl. Röm 7,14 f. 19. 173 Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 37. 174 Ebd. 13. 175 Ebd. 37. 176 Pfingstsequenz: Reple cordis intima. 177 „Abyssus abyssum invocat“: vgl. Augustinus, Enarr. in Ps. XLI, 13: CCL 38, 470: „Was für ein Abgrund ist das also, den der Abgrund anruft? Wenn Abgrund Tiefe bedeutet, sollten wir dann nicht meinen, daß des Menschen Herz ein solcher Abgrund sei? Denn was ist tiefer als dieser Abgrund? Die Menschen sprechen; die Bewegungen ihrer Gliedmaßen können gesehen, ihre Reden gehört werden; aber wessen Gedanken werden durchdrungen, wessen Herz durchschaut?“. 178 Vgl. Hebr 9,14. 179 Joh 14,17. 180 Mt 12,31 f. 181 Mk 3,28 f. 182 Lk 12,10. 183 Thomas von Aquin, Summa Theol. IIa-IIae, q. 14, a. 3; vgl. Augustinus, Epist. 185, 11, 48-49: PL 814 f.; Bonaventura, Comment, in Evang. S. Luc. Kap. XIV, 15-16: Ad Claras Aquas, VII. S. 314 f. 184 Vgl. Ps 81,13; Jer 7,24; Mk 3,5. 185 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben im Anschluß an die Bischofssynode Reconciliatio et paenitentia (2. Dezember 1984), 18: AAS 11 (1985) 224-228. 186 Pius XII., Radiobotschaft an den Nationalen Katechetischen Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika in Boston (26. Oktober 1946); Discorsi e Radiomessaggi, VIII (1946) 288. 187 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben im Anschluß an die Bischofssynode Reconciliatio et paenitentia (2. Dezember 1984), 18: AAS 11 (1985), 255 f. 188 1 Thess 5,19; Eph 4,30. 189 Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben im Anschluß an die Bischofssynode Reconciliatio et paenitentia (2. Dezember 1984), 14-22: AAS 11 (1985) 211-233. 190 Vgl. Augustinus, De Civitate Dei, XIV, 28: CCL 48, 451. 191 Vgl. Joh 16,11. 192 Vgl. Joh 16,15. 193 Vgl. Gal 4,4. 194 Ojjb 1,8; 22,13. 195 Joh 3,16. 196 Gal 4,4 f. 1386 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN m Lk 1,34 f. 198 Mt 1,18. 199 Mt 1,20 f. 200 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theol. IIIa, q. 2, aa. 10-12; q. 6, ad 6; q 7, a. 13. 201 Lk 1,38. 202 Joh 1,14. 203. Kol 1,15. 204 Vgl. zum Beispiel Gen 9,11; Dtn 5,26; Ijob 34,15; Jes40,6; 52,10; Ps 145, 21; Z7c3,6; Petr 1,24. 205 Lk 1,45. 206 Vgl. Lk 1,41. 207 Vgl. Joh 16,9. 208 Vgl. 2 Kor 3,17. 209 Vgl. Röm 1,5. 210 Röm 8,29. 211 Vgl. Joh 1,14. 4. 12 f. 212 Vgl. Röm 8,14. 213 Vgl. GW 4,6; Röm 5,5; 2 Kor 1,22. 214 Röm 8,15. 215 Röm 8,16 f. 216 Vgl. Ps 104,30. 217 Röm 8,19. 218 Röm 8,29. 219 Vgl. 2 Petr 1,4. 220 Vgl. Eph 2,18 und Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Del verbum, 2. 221 Vgl. 1 Kor 2,12. 222 Vgl. Eph 1,3-14. 223 Eph 1,13 f. 224 Vgl. Joh 3,8. 225 Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium etspes, 22; vgl. Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 16. 226 Joh 4,24. 227 Ebd. 228 Vgl. Augustinus, Confess. III, 6,11: CCL 27,33. 229 Vgl. Tit 2,11. 230 Vgl. Jes 45, 15. 231 Vgl. Weish 1,7. 232 Lk 2,21. 34. 233 Ga/ 5,17. 234 Gal 5,16 f. 235 Vgl. Gal 5. 19-21. 236' Gal 5,22 f. 237 Gal 5,25. 238 Röm 8,5. 9. 239 Röm 8,6. 13. 240 Röm 8,10. 12. 241 1 Kor 6,20. 1387 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 242 Vgl. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 19. 20. 21. 243 Lk 3,6; vgl. Jes 40,5. 244 Vgl. Rom 8,23. 245 Röm 8,3. 246 Röm 8,26. 247 Röm 8,11. 248 Röm 8,10. 249 Vgl. Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), 14: AAS 71 (1979) 284 f. 250 Vgl. Weish 15,3. 251 Vgl. Eph 3,14-16. 252 Vgl. 1 Kor2,10f.r 253 Vgl. Röm 8,9; 1 Kor 6,19. 254 Vgl. Joh 14,23; Irenaus, Adversus haereses, V, 6: SC 153, S. 72-80; Hilarius, De Trini-tate, VIII, 19. 21: PL 10,250. 252; Ambrosius, DeSpiritu Sancto, 1,6,8: PL 16,752 f.; Augustinus, Enarr. in Ps. XLIX, 2: CCL 38,575 f.; Kyrill von Alexandrien, In Ioannis Evangelium, lib. I; II: PG73,154-158.246; lib. IX: PG74,262; Athanasius, OratioIII contra Arianos, 24: PG26,374 f.; Epist. lad Serapion., 24: PG 26,586 f.; Didimus von Alexandrien, De Trinitate, II, 6-7: PG 39, 523-530; Johannes Chrysostomus, In epist. ad Romanos homilia XIII, 8: PG 60,519; Thomas von Aquin, Summa Theol., Ia, q. 43, aa. 1, 3-6. 255 Gen 1,26 f.; Thomas von Aquin, Summa Theol. Ia, q. 93, aa. 4. 5. 8. 256 Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 24; vgl. auch 25. 257 Vgl. ebd. 38. 40. 258 Vgl. 1 Kor 15,28. 259 Vgl. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 24. 260 „Gloria Dei vivens homo, vita autem hominis visio Dei“: Irenaus, Adversus haereses, IV, 20, 7: SC 100/2, S. 648. 261 Basilius, De Spiritu Sancto, IX, 22: PG 32,110. 262 Röm 8,2. 263 2 Kor 3,17. 264 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 53-59. 265 Ebd. 38. 266 1 Kor 8,6. 267 Joh 16,7. 268 Joh 14,18. 269 Mt 28,20. . 270 Das drückt auch die Epiklese vor der Wandlung aus: „Sende deinen Geist auf diese Gaben herab und heilige sie, damit sie uns werden Leib und Blut deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus“ (Zweites Hochgebet). 271 Vgl. Eph 3,16. 272 Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 22 und 24. 273 Ebd. 24. 274 Vgl. Apg 2,42. 275 II. Vatikanisches Konzil, Dekret über den Ökumenismus Unitatis redintegratio, 2. 1388 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 276 Vgl. Augustinus, In Ioannis Evangelium Tractatus XXVI, 13: CCL 36, S. 266; vgl. II. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum conci-lium, 47. 277 Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 1. 278 Apg 17,28. 279 1 Tim 2,4. 280 Vgl. Hebr 5,7. 281 Lk 11,13. 282 Rom 8,26. 283 Vgl. Origenes, De oratione, 2: PG 11,419-423. 284 Rom 8,27. 285 II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 63. 286 Ebd. 64. 287 Ebd. 4; vgl. Offl 22,11. 288 Vgl. Rom 8,24. 289 Vgl. Joh 4,14; Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 4. 290 Vgl. Ofß 12,10. 291 Vgl. Röm 8,23. 292 Vgl. Pfingstsequenz Veni, Sancte Spiritus. 293 Vgl. Glaubensbekenntnis Quicumque: DS 75. 294 Vgl. Röm 5,5. 295 Man kann hier an das wichtige Apostolische Schreiben Gaudete in Domino erinnern, das Papst Paul VI. am 9. Mai des Heiligen Jahres 1975 veröffentlicht hat. Denn die dort zum Ausdruck gebrachte Einladung, vom Heiligen Geist „dieses Geschenk der Freude zu erflehen“, bleibt ja immer gültig, so wie auch die Aufforderung, „die wahrhaft geistliche Freude (zu) verkosten, die eine Frucht des Heiligen Geistes ist“: AAS 67 (1975) 289. 302. 296 Vgl. Joh 16,22. 297 Vgl. Röm 14,17; Gal 5,22. 1389 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Möge jedes Kind geboren werden ... “ Grußwort zum Welttag der Kinder am 19. Mai Liebe Kinder, Eltern und Erzieher! Heute wird der Welttag der Kinder gefeiert, euer Fest, liebe Kinder, die ihr mir zuhört. Es ist für mich eine große Freude, euch zu begrüßen. In euch sehe und grüße ich auch die Kinder der ganzen Welt. Der Papst liebt euch. Aber noch mehr liebt Jesus euch. Zu dem, der die Kinder ein bißchen von ihm fernhalten wollte, damit ihre Fröhlichkeit ihm nicht etwa zu laut würde, sagte er: „Laßt die Kinder zu mir kommen!“ Geht also immer mit großem Vertrauen zu Jesus. Ich bin euren Eltern und Erziehern und denen, die diese Feier im Namen des intematonalen Kinderhilfsfonds UNICEF veranstaltet haben, dankbar, daß sie mir Gelegenheit zu einer Begegnung gaben, die mir so viel Freude macht. Dieses frohe Treffen ist mir willkommen, um noch einmal daran zu erinnern, daß es für alle eine bedeutende und dringende Pflicht ist, die Kinder aufzunehmen, zu achten und zu lieben und dafür zu sorgen, daß sie gesund und gut aufwachsen und sich entwickeln können. Das Leben der Kinder soll allen Ländern der Erde zur Freude sein können: Man kann nicht das Fest der Kinder feiern, wenn Hunger, Krankheit und Tod drohen. Mir wurde die Botschaft des jungen afrikanischen Marathonläufers zugestellt, der jetzt unter euch ist. Es ist eine wichtige Botschaft. Alle müssen es hören, daß Soforthilfe für die, die sie am meisten brauchen, nämlich die Bevölkerung und vor allem die Kinder afrikanischer Länder, dringend nötig ist. Niemand darf die Kinder überhören, die heute leiden, die heute sterben. Die Kirche ist ihnen nah, und sie ist für sie da. Ich möchte sie von Herzen umarmen. Und an alle richte ich den Hilferuf: Ein kostbarer Teil der Menschheit leidet und ist dem Tod nahe! Für alle Zeiten bleibt das Wort Christi gültig: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ (Mt 25,40). Möge jedes Kind geboren werden, wachsen und sich in jeder Hinsicht entfalten können: körperlich, moralisch und geistig! Kinder Roms, Kinder Italiens, Kinder der ganzen Welt, der Herr segne euch! Und ihr alle, die ihr so verdienstvoll um das Wohl der Kinder besorgt seid: Der Herr segne euch! 1390 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Alle Kräfte der Nation mobilisieren!“ Predigt bei der Eucharistiefeier mit den zur Vollversammlung der Italienischen Bischofskonferenz nach Rom gekommenen italienischen Erzbischöfen und Bischöfen am 20. Mai 1. im Namen Jesu Christi, des Nazoräers“ (Apg 4,10). Ja, im Namen Jesu Christi, liebe und ehrwürdige Brüder, sind wir heute um den Altar versammelt, um in der Verbundenheit der Empfindungen das eucha-ristische Opfer zu feiern. Uns verbindet dieselbe Liebe zu Christus und zur Kirche. In seinem Namen richte ich an jeden einzelnen von euch meinen herzlichen Gruß, in dem ihr die tiefe Liebe mitschwingen fühlen könnt, die ich für euch hege. Ich teile mit ganzem Herzen euren Dienst und eure Sorge, eure Schwierigkeiten und eure Hoffnungen, eure Leiden und eure Freuden. Und ich möchte euch meine Hochschätzung für euren pastoralen Eifer und für die vielfältigen apostolischen Initiativen ausdrücken, die ihr einzeln und im Rahmen der Bischofskonferenz in diesen Jahren ergriffen habt. Zugleich bin ich euch dankbar für die vielen Beweise eurer tiefen Verbundenheit mit dem Nachfolger Petri. Das will ich bei diesem Anlaß unterstreichen, der uns ad cathedram Sancti Petri, bei der Kathedra des hl. Petrus, in dieser Patriarchalbasilika versammelt sieht, in die jeden Tag Pilger aus allen Teilen der Welt ihre Schritte lenken, um bei den heiligen Reliquien des Apostels ihren Glauben an die von Christus auf Petrus gegründete Kirche zu bekennen. Über uns leuchtet das Bild der göttlichen Taube, die im Begriff scheint, aus der Höhe des Fensters durch das Gold der „Glorie“ des Bemini auf unsere Versammlung herabzufliegen — als Überbringerin von Licht und Trost. 2. Zum göttlichen Geist erhebt sich das Gebet, das in dieser besonders feierlichen Stunde aus unseren Herzen aufsteigt; zu ihm hin wendet sich unser Geist im Wissen um die Schwierigkeiten, denen sich die Kirche in Italien stellen muß; von ihm erfleht er die Ausgießung der Gaben der Weisheit und des Verstandes, des Rates und der Stärke, der Erkenntnis und Furcht des Herrn, die für die rechte Führung seiner Herde unerläßlich sind. Entsprechend dem Wort Gottes in der heutigen Liturgie, haben wir den Wunsch, daß in unserer Versammlung die Apostelversammlung an Pfingsten und noch früher am Gründonnerstag wieder lebendig werde: die Gemeinschaft, die sich an jenem Abend um den Tisch des eucharistischen Mahles bildete, als Christus seine Abschiedsrede hielt: „Ich werde den Vater bitten, und 1391 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll“ {Joh 14,16). Christus nennt den Geist also den Tröster. Das griechische Wortparakletos bedeutet auch „Fürsprecher“ oder „Beistand“. Jesus hinterläßt uns den Geist als „den anderen Tröster“, den zweiten, denn er selbst, Jesus, ist der erste Tröster, der uns als erster die Frohe Botschaft gebracht hat. Der Heilige Geist kommt nach der Himmelfahrt Jesu und dank ihrer, um mit Hilfe der Kirche die Verbreitung der Frohbotschaft in der Welt weiterzuführen. 3. Christus läßt also seine Apostel nicht als Waisen zurück. Und ebensowenig läßt er uns verwaist. Was heißt Waise sein? Es heißt, daß man keine Eltern mehr hat, keinen Vater hat. Wir haben jedoch einen Vater. Wir haben ihn wunderbarerweise auch nach dem Weggang Christi, denn Christus ist in seinem Vater, und da wir in ihm sind wie er — dank dem Wirken des Heiligen Geistes — in uns ist (vgl. Joh 14,20), dürfen wir uns in Christus als wahre Söhne des Vaters fühlen. Wir haben den Vater, weil wir als Söhne im Sohn am trinitarischen Geheimnis teilhaben. Wir haben den Vater und wollen die Menschen, die Brüder und Schwestern in Italien und in der Welt, an unserem Reichtum teilhaben lassen. 4. Wir haben also den Vater durch das Wirken des Heiligen Geistes, des Trösters, und dieses unser heiliges Erbe ist die endgültige Antwort auf alle Not, Unruhe und Armut der Welt. Zugleich ist dieses Erbe der Grund unseres Gegensatzes zur Welt, denn wie uns Jesus in dem gerade vorhin gehörten Abschnitt aus dem Evangelium erinnert, „kann die Welt den Geist der Wahrheit nicht empfangen, weil sie ihn nicht sieht und nicht kennt“ {Joh 14,17). Hier haben wir, bei genauem Hinschauen, die radikalste Erklärung für die Situationen des Agnostizismus, des Säkularismus oder direkt des Atheismus, von denen — unter verschiedenen Motivationen und Erscheinungsformen — unsere heutige Welt heimgesucht wird. Man braucht einen Vater, um sich nicht als Waise zu fühlen; in diesen Erscheinungsformen haben wir die Zurückweisung des wahren Vaters in Christus wegen der Unfähigkeit, das Geschenk des Geistes der Wahrheit anzunehmen, der allein zur Erkennung des himmlischen Vaters führen kann. So vollzieht sich unsere apostolische Sendung also innerhalb dieses fundamentalen Gegensatzes: Gegensatz zur Welt „auf Grund“ des Geistes der Wahrheit. 1392 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 5. Diese Sendung ist von den Aposteln an uns weitergegeben worden. Christus hat seinen Aposteln diesen Gegensatz nicht verborgen. Ja er bezeichnete sich selbst als erstes Zeichen des Gegensatzes und Widerspruchs. Gleichzeitig jedoch steht er vor uns als „Licht, das die Heiden erleuchtet“ {Lk 2,32). Die Sendung, die in ihm ihren Anfang und ihre Quelle hat, ist eine Heilssendung. Die Apostel, die am Pfingsttag aus dem Abendmahlssaal hinaus auf die Straßen gingen, waren sich voll bewußt, Träger einer solchen Heilssendung zu sein. Das bezeugen die Worte, die wir von Petrus in der ersten Lesung gehört haben. Die Apostelgeschichte zeigt uns Petrus, wie er „vom Heiligen Geist erfüllt, zu den Führern des Volkes und zu den Ältesten spricht“. Er spricht als Vertreter jenes Urkernes der Kirche, den der Geist außerhalb des Abendmahlssaales zur Konfrontation mit der Welt angespornt hat. Der äußere Anstoß ist die Heilung eines Gelähmten, aber tatsächlich geht es um die Haltung, die gegenüber Christus angenommen werden muß. Die Worte des Petrus sind entschieden und feierlich: „Jesus ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist. In keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg4,llf.). 6. Christus ist also der Eckstein dieser Heilssendung, ein Stein, den die Bauleute „verworfen“ haben; nicht nur die Bauleute der Vergangenheit, sondern auch viele, die „Bauleute“ unserer Zeit sein wollen. Doch heute wie gestern gilt, daß „in keinem anderen das Heil zu finden ist“. Wir brauchen keine Scheu zu haben, das auszusprechen. Auch Petrus hat keine gehabt und ebensowenig die Heiligen im Laufe der Geschichte. Besonders scheute sich nicht der Heilige, dessen wir heute gedenken: der hl. Bernardin von Siena, der die Verehrung für den Namen Christi in viele Städte der Halbinsel zu tragen vermochte, indem er in den Herzen das Feuer der Liebe zu ihm entzündete. In Christus allein ist das Heil. Dieses Wissen hat die Kirche — und wir mit ihr — von den Aposteln als Erbe erhalten. Dieses Wissen ist im Zweiten Vatikanischen Konzil offenbar geworden, wo man daran erinnerte, daß die Kirche „vom Heiligen Geist angetrieben (wird), mitzuwirken, daß der Ratschluß Gottes, der Christus zum Ursprung des Heils für die ganze Welt bestellt hat, tatsächlich ausgeführt werde“ (LG 17). Von diesem Wissen bewegt, seid ihr zu eurer Vollversammlung zusammengetreten, in deren Verlauf ihr euch vor allem mit dem Thema „Gemeinschaft und missionarische Gemeinde“ beschäftigen wollt. Ihr werdet euch also fragen, welche Verpflichtungen konkret für die Kirche in Italien der Sendungsauftrag 1393 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN mit sich bringe, Christus als „Eckstein“ zu verkündigen, auf dem allein sich das wahre Heil des Menschen errichten läßt. 7. „Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, ... steht dieser Mann gesund vor euch“ (Apg 4,10). Es geht also um die Gesundheit des Menschen, um sein wirkliches Wohl. Es gibt verschiedene Krankheiten, verschiedene Gebrechen, die die Gesundheit des Menschen, der Gemeinden, der Nationen bedrohen. Da sind die Krankheiten des Leibes, aber da sind auch die Krankheiten des Geistes. Diesen letzteren galt die besondere Sorge eures Vorsitzenden, des Kardinals Poletti, als er in seiner Eröffnungsrede das „traurige Drama der sich ausweitenden Sittenlosigkeit mit ihren in heimtückischer Weise verlockenden und überredenden, weil als harmlos und natürlich hingenommenen, Erscheinungsformen“ unterstrich. Diese Tage der Besinnung werden es euch ermöglichen, eine zutreffende Diagnose über die tückischsten geistlichen Krankheiten zu erstellen und die Leitlinien für eine geeignete Therapie vorzuzeichnen. Gewiß, was sich Tag für Tag unter unseren Augen ereignet, bestätigt, daß die ethische Frage immer mehr die zentrale Frage unserer Zeit ist, so daß sich immer dringender die Forderung nach einer Mobilisierung aller heilen Kräfte der Nation stellt, um den sie bedrohenden selbstzerstörerischen Trieben Einhalt zu gebieten. 8. Eines ist jedoch sicher: um die vielfältigen Wunden des modernen Menschen zu lindern und die Gebrechen, an denen er leidet, zu heilen, gibt es nichts anderes, als uns von der Liebe leiten zu lassen, jener Liebe, die Christus als „mein Gebot“ bezeichnete. Jede unserer Initiativen muß von der Liebe eingegeben, beseelt und in ihrer weiteren Durchführung von ihr gelenkt werden: von der Liebe zu Christus und von der Liebe zum Menschen. Mit dieser Liebe müssen wir immer wieder auf sämtliche schmerzliche Probleme des Menschen zurückkommen, auch wenn man uns von ihnen zu vertreiben versucht oder uns deshalb auslacht. Wir dürfen uns nicht von der Propaganda entmutigen lassen, die von verschiedenen angeblichen Plänen zur Heilung des Menschen in der Illusion betrieben wird, den Menschen dadurch glücklich zu machen, daß man auf verschiedene Weise das, was der Mensch in Wahrheit ist, verkürzt. ...die Liebe ist langmütig. Darin besteht die Stärke der Liebe, die Christus uns gelehrt hat. 9. Darum sind wir hier mit starkem Glauben an Christus und geführt von seinem Geist zusammengekommen. „Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich 1394 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN vollbringe, auch vollbringen“ (Joh 14,12) — trotz unserer völligen Unwürdigkeit, trotz unserer menschlichen Schwachheit. Auch die Apostel waren schwache Menschen. Auch Petrus war ein schwacher Mensch. Wir kommen darum zusammen voll Demut, mit dem Gebet im Herzen und auf den Lippen: „Alles, was ihr in meinem Namen bittet...“ (Joh 14,13), im Namen Jesu, des Nazoräers! Wir sind zusammengekommen voller Zuversicht, daß durch das Gebet Maria in unserer Versammlung gegenwärtig ist — so wie am Pfingsttag — sie, die Mutter unseres Herrn. Sie, die Mutter der Kirche. Auch dank ihrer mütterlichen Gegenwart fühlen wir uns nicht als Waisen. Maria, Mutter der Kirche, bleibe bei uns heute und in Ewigkeit. „Um jeden Preis Christus treu geblieben“ Botschaft an die Kirche in Uganda anläßlich des Hundertjahr-Jubiläums der ugandischen Märtyrer An meine bischöflichen Brüder und die geliebten Priester, Ordensleute und Gläubigen der Kirche in Uganda! Da ihr das hundertjährige Jubiläum der heiligen Märtyrer von Uganda, eurer berühmten Vorfahren im Glauben, feiert, möchte ich euch meine herzlichen Grüße des Friedens und bleibender Freude senden. In diesen Tagen bin ich euch allen geistig nahe, die ihr an den Feierlichkeiten teilnehmt, um des heroischen Opfers jener 22 Märtyrer zu gedenken, die aus Liebe zu Christus ihr Blut vergossen haben. Ich bin überzeugt, daß die Feierlichkeiten dazu dienen werden, die Märtyrer besser zu kennen und mehr zu lieben, während sie für euch alle eine wertvolle Gelegenheit bieten, euer christliches Leben in Treue zu euren Taufversprechen zu erneuern. Gern stimme ich in euren Lobpreis und Dank an unseren himmlischen Vater ein für die vielen Gnaden und Segnungen, die er während der 100 Jahre, die seit dem Tod der Märtyrer vergingen, dem Volk von Uganda gewährt hat. Dankbar bin ich besonders dafür, daß die Macht des Wortes Gottes in euren Herzen Wurzel geschlagen hat und viele die Frohe Botschaft von der Rettung in Jesus Christus angenommen haben. 1395 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Damit, daß sie dem Beispiel Christi bis zum äußersten Ende folgten, gaben die Märtyrer das größte Zeugnis der Liebe. In ihrer Lebensweise wie in der Weise ihres Sterbens gibt es so viel, um Gott zu loben und zu danken. In ihrem Leben bewiesen sie einen unerschütterlichen Glauben an Christus, eine tiefe Anhänglichkeit an sein heiliges Evangelium, eine selbstaufopfernde Liebe füreinander und einen Geist der Freude und Vergebung. Ihre ständige Antwort auf die Liebe und Gnade des Herrn befähigte sie, bereitwillig das letzte Opfer ihres Lebens zu vollziehen. Möge das Zeugnis des Lebens der Märtyrer und ihrer völligen Hingabe euch bei eurer eigenen hochherzigen Antwort an Christus inspirieren. Das Zeugnis für Christus, das einst von den heiligen Märtyrern Ugandas dargebracht wurde, stellt eine besondere Herausforderung für euch als Teilnehmer an den Hundertjahrfeiern dar. Sehen wir nicht, daß Christus durch das heroische Glaubensbeispiel der Märtyrer heute euch zu Reue, zu tieferem Glauben und zu Versöhnung aufruft? Diese dreifache Herausforderung ist tatsächlich der heutigen Zeit angemessen angesichts der schwierigen und oft schmerzvollen Lage, in der ihr euch nach Jahren des Blutvergießens und der Gewalt befindet. Die Märtyrer selbst hatten unter vielen Formen der äußersten Grausamkeit, des Hasses und der Rache zu leiden; da sie jedoch ihre Hoffnung auf Christus setzten, vermochten sie, ihren Verfolgern zu vergeben und im Bekenntnis ihres Glaubens standhaft zu bleiben. Das Erbe, das die Märtyrer euch hinterlassen haben, ist der Aufruf, „an das Evangelium zu glauben“ (Mk 1,15). Dieser Aufruf wird in jedem Lebensalter wiederholt. Schließlich hat er zum Ziel, euer Leben immer mehr mit dem Evangelium in Einklang zu bringen. Er hat die konkrete tägliche Anstrengung zur Folge, den alten Menschen abzulegen und den neuen anzuziehen; was in euch fleischlich ist, zu überwinden, damit das, was vom Geist ist, siegen kann. Ihr müßt euch über die Dinge hier unten erheben und „auf Jesus blicken ...“ (Hebr 12,2). Der Aufruf zu Reue und Glauben schließt also eine persönliche Umkehr ein, die vom Herzen zu Taten übergeht, die die Verwandlung eures gesamten Lebens mit sich bringt. Die Gnade der Bekehrung ist eine Quelle des Friedens und ein Brunnen der Freude; denn die innere Verwandlung, die sie mit sich bringt, erreicht die Wiederversöhnung mit Gott, sich selbst und den anderen. Sie überwindet die Leugnung Gottes, die Sünde ist, und läßt uns die wahre Freiheit der Kinder Gottes erfahren. Das ist die Freude und der Friede, die die heiligen Märtyrer erfuhren, als sie um jeden Preis Christus treu blieben. Ich lade euch, die Mitglieder der Kirche von Uganda und besonders die Jugend, ein, über jene 22 Märtyrer nachzudenken, jene kräftigen und gesunden jungen Männer. Ihr seid wie sie stark für den Kampf: nicht für den Kampf 1396 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gegeneinander im Namen irgendeiner Ideologie oder Praxis, die losgelöst ist von den wahren Wurzeln des Evangeliums, sondern stark für den Kampf gegen das Böse: gegen alles, was Gott beleidigt, gegen jede Ungerechtigkeit und Ausbeutung, gegen jede Falschheit und Täuschung, gegen alles, was beleidigt und erniedrigt, gegen alles, was die menschliche Würde und die menschlichen Beziehungen entweiht, gegen jedes Verbrechen gegen das heilige Geschenk des menschlichen Lebens: gegen jede Sünde. Vor euch liegt die Aufgabe, ein neues Uganda auf dem Fundament der Liebe, der Versöhnung und der wahren Gerechtigkeit aufzubauen. Nehmt eure Verantwortung wahr, denn von euch hängt die Zukunft eures Landes ab. Setzt eure Hoffnung auf Christus. Er wird euch die Kraft und Fähigkeit geben, eure Verantwortung für die Gestaltung einer besseren Welt zu tragen, einer Welt, die frei ist von Gewalt, Diskriminierung und Ungerechtigkeit. Bei diesem historischen Anlaß im Leben der Kirche Ugandas bete ich dafür, daß ihr alle, indem ihr dem Zeugnis der Märtyrer folgt, eifrig teilnehmt an der Sendung der Verbreitung des Evangeliums. Ich vertraue diese Jahrhundertfeier zum Gedenken an die heiligen Märtyrer der Fürbitte Mariens, der Königin der Märtyrer, an. Sie möge euch bei der großen Aufgabe beistehen, ihren Sohn immer besser bekannt und geliebt zu machen. Als ein Unterpfand der Kraft und Freude in unserem Herrn, Jesus Christus, erteile ich meinen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, 21. Mai 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. Marienverehrung — ein wunderbares Lebensprogramm Ansprache an die Mitglieder des Generalkapitels des Mercedarier-Ordens am 22. Mai Hochwürdiger Pater General! Liebe Brüder! 1. Mit lebhafter Freude habe ich, liebe Vertreter des altehrwürdigen Ordens von der Seligen Jungfrau Maria „della mercede“ (vom Loskauf), eure Bitte um eine Begegnung anläßlich des Generalkapitels eurer Ordensfamilie entgegengenommen. 1397 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich grüße euch alle herzlich und durch euch grüße ich alle Brüder und Schwestern des Instituts, die mit ihren Kommunitäten in 18 Ländern der Welt — vor allem in Lateinamerika — vertreten sind, um das Werk eures Gründers, des hl. Petrus Nolascus, den Bedürfnissen der heutigen Kirche und Gesellschaft entsprechend, weiterzuführen. Wie ihr wißt, habe ich bereits im vergangenen Jahr einen Brief an den Generalobern und durch ihn an den ganzen Orden gesandt aus Anlaß zweier wichtiger Jubiläen eurer Familiengeschichte sozusagen: der 800-Jahr-Feier des Geburtstages des Gründers und der 750-Jahr-Feier der Approbierung des Ordens durch meinen Vorgänger Papst Gregor IX. In diesem Brief unterstrich ich das Vertrauen, das der Apostolische Stuhl noch immer in das Charisma eurer Ordensfamilie legt, die seit so vielen Jahrhunderten in der ihr eigenen Weise der Sache der menschlichen Würde,und der Freiheit des Glaubens und des christlichen Lebens vor allem dort dient, wo diese Werte am schwersten unterdrückt und verletzt werden. 2. Es ist mir willkommen, bei dem jetzigen freudigen Anlaß euch bei eurem Einsatz für Verwirklichung der Ideale und Pläne eures Gründers im sozialgeschichtlichen Kontext der heutigen Zeit zu ermutigen, der sich in vieler Hinsicht sehr von dem seiner Zeit unterscheidet, aber stets auf die gleichen Grundwerte, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Befreiung, Versöhnung und Frieden, hin orientiert sein muß. Insbesondere möchte ich euch auffordern, die für den Ursprung eures Ordens charakteristische intensive Verehrung der Seligen Muttergottes und Jungfrau Maria, die so vorbildlich an dem Erlösungswerk ihres göttlichen Sohnes teilgenommen hat, beizubehalten, zu verstärken und zu verbreiten, nur so wird euer Orden den Geist des Evangeliums, die tiefe Sehnsucht nach Erlösung und Befreiung des Menschen, die euch immer gekennzeichnet hat, unversehrt und unverändert bewahren können: Befreiung des Menschen von aller Not, Versklavung und Unterdrückung, angefangen vom Grundübel der Sünde. 3. Im Laufe eurer langen Geschichte habt auch ihr, wie übrigens andere alte Orden, wechselvolle geschichtliche Ereignisse erfahren, die bisweilen sehr hart und schmerzvoll waren; euer alter „Baum“ hat oft das Toben der Gewitterstürme zu spüren bekommen; da er aber fest im Glauben und in der Gemeinschaft mit der Kirche und dem Stuhl Petri verwurzelt war, hat er bis heute siegreich Widerstand geleistet. Er muß mit erneuertem Elan in seiner Sendung beharren, denn unendlich groß sind heute die Nöte und Erfordernisse, denen abzuhelfen euer Orden vor 750 Jahren in weiser Voraussicht errichtet und approbiert wurde. Fahrt hartnäckig in dem begonnenen Werk fort, wobei ihr euch voll dessen be- 1398 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN wußt seid, daß ihr in der Kirche und in der Welt eine äußerst nützliche Rolle spielt, vorausgesetzt natürlich, daß ihr den heiligen Zielen eures von der Kirche garantierten und kodifizierten Gelübdes sorgfältig treu bleibt und diese Ziele in Übereinstimmung mit den berechtigten Forderungen der heutigen Wirklichkeit und im Einklang mit der gegenwärtigen Entwicklung der konziliaren Erneuerung zu verwirklichen versteht. Unter diesen Bedingungen eröffnet sich eurer geistlichen Familie ein weites Betätigungsfeld: ein Feld der Evangelisierung und Mission und damit die Möglichkeit eines größeren Wachstums, um den Beitrag neuer und jugendlicher Begeisterung für die Sache des Ordens und das Ziel, dem er dient, nämlich der Befreiung des Menschen entsprechend dem Geist des Evangeliums und den Lehren der Kirche, zu wecken und euch zuzuführen. 4. Die Fruchtbarkeit der Inspiration eures Gründers ist im Laufe der Jahrhunderte u. a. an der Fähigkeit offenbar geworden, sich nicht nur in der Form des männlichen Ordenslebens — Priester und Laien r—, sondern auch in der eines weiblichen Zweigs mit aktivem und kontemplativem Leben sowie im Lebensstil, der den Säkularinstituten eigen ist, zu verwirklichen. Alle diese verschiedenen Weisen und Grade, im Geist des hl. Petrus Nolascus zu leben, finden, wenn auch in verschiedenen, jeder von ihnen angepaßten Formen, in.die-sem Geist ihre notwendige Einheit und Koordinierung. Ich fordere euch alle, Priester und Laien, Ordensmänner und Ordensfrauen, darum auf, euch immer miteinander vereint zu fühlen als Söhne und Töchter ein und desselben Vaters und Patrons, indem ihr eure Kräfte immer stärker im wahren Geist der Brüderlichkeit und Zusammenarbeit vereint, im Austausch und in der Gemeinschaft der besonderen Gaben eines jeden, für eine wirksamere Verwirklichung der gemeinsamen Zielsetzungen eurer so vielgestaltigen Ordensfamilie. Die Selige Jungfrau Maria „della Mercede“ sei allen Mutter und Vorbild, insbesondere bei der Erfüllung eures „vierten Gelübdes“. Schon allein der Titel eurer Marienverehrung, der auch dem Orden den Namen gibt, stellt ein wunderbares Lebensprogramm dar: er meint Barmherzigkeit, Erlösung, Umkehr, Vergebung: dieselben Werte, für die der Sohn Gottes in die Welt gekommen, Mensch geworden ist und sein Leben für uns hingegeben hat. Er sei darum auch heute und immer durch die Fürsprache Mariens euer Licht und eure Kraft. Mit diesen Gefühlen, geliebte Brüder, spreche ich den Wunsch aus, daß die Arbeiten eures Kapitels zur Verwirklichung der Anregungen, die ich euch gegeben habe, beitragen zum Wohl der heutigen und künftigen Menschen des Gottesreiches, während ich euch und allen Brüdern und Schwestern eurer Ordensfamilie von Herzen meinen besonderen Segen erteile. 1399 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Christliches Beten ist Teilhabe am Gebet Christi Ansprache an die 7. Vollversammlung der internationalen Union der Ordensoberinnen am 22. Mai Liebe Schwestern! 1. Es ist für mich immer wieder eine Freude, die Delegierten der Generäloberinnen der Ordensfrauen aus der ganzen Welt zu treffen, um ihnen die tiefe Anerkennung der Kirche für das evangelische Zeugnis zum Ausdruck zu bringen, das sie durch ihr Leben und ihre Mitarbeit am Reich Christi ihren Schwestern geben. In der heutigen Begegnung aber sehe ich einen doppelten Umstand, der das Interesse an ihr steigert. Zuerst, diese Begegnung findet in der Woche vor Pfingsten statt, das die Krönung des Ostergeheimnisses darstellt: der Heilige Geist kommt, um das von Christus in seinem Erdenleben vollbrachte Werk zu vollenden. Nach der Rückkehr des menschgewordenen Wortes zum Vater wird der Heilige Geist, der vom Vater und vom Sohn ausgeht und der das Leben gibt, zu uns gesandt, um uns zu heiligen. Das Thema eurer Arbeiten über die Formung der Ordensfrauen des apostolischen Lebens zum Gebet steht übrigens in vollem Einklang mit dieser Zeit des Kirchenjahres. 2. So möchte ich euch unbedingt zu dieser Themenwahl beglückwünschen und ermutige euch zugleich, sie so zu vertiefen, daß die Mitglieder eurer Institute immer vollkommener daraus leben. Denn das Gebet ist ja der große geistliche Akt, der auf fundamentale Weise der Abhängigkeit der Seele gegenüber der schöpferischen Vorsehung, gegenüber dem Herrn, der uns erlöst hat, Ausdruck verleiht: wir leben immerfort von seiner Gnade. Das christliche Leben, das Ordensleben ist ein Leben, das man in der Danksagung, in der inständigen Bitte und in der grundsätzlichen Bereitschaft und Verfügbarkeit der Seele von Gott empfängt. Und man kann ebenso sagen, daß das christliche Gebet Teilhabe am Gebet Christi ist. Die Evangelien stellen uns Jesus als einen Menschen des Gebets vor, als vollkommenes Vorbild für den Dialog mit Gott. Sein Wort lehrt uns, was das Gebet ist, und sein Leben verweist uns darauf, wie diese Sohn-Vater-Beziehung verwirklicht und gelebt werden kann. Christus ist nämlich zuerst der Gottesmann, der Gott offenbart und verherrlicht, als eingeborener Sohn ganz der Verwirklichung des Werkes seines Vaters hingegeben. Das Zweite Vatikanische Konzil hat vom Vorrang des geistlichen Lebens für die geweihten Seelen gesprochen, als es wünschte, daß die Ordensfrauen, die 1400 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sich in der Nachfolge Christi „auf die evangelischen Räte verpflichten, vor allem Gott, der uns zuvor geliebt hat (vgl. 1 Joh 4,10), suchen und lieben und sich in allen Lebensumständen bemühen, ein mit Christus verborgenes Leben (vgl. Kol 3,3) zu führen. Daraus fließt die Nächstenliebe zum Heil der Welt und zum Aufbau der Kirche“ (PC 6). Ein oberflächlicher Blick neigt manchmal dazu, Kontemplation und Aktion gegeneinander zu stellen, so als handelte es sich um zwei verschiedene Berufungen, von denen die eine die andere ausschließe. Die Bezugnahme auf das Evangelium zeigt im Gegenteil, daß Christus, obgleich er sich ganz der Menge widmet, die ihn sucht, indem er ihre Krankheiten heilt, ihre Gebrechen lindert, ohne Zeit noch Mühe zu scheuen, auch viele Stunden an abgeschiedenen Orten verbringt, wo er sich dem Gebet hingibt. Es ist in der heutigen Zeit ermutigend festzustellen, daß die Jugend den Sinn des Gebets wiederentdeckt und seine Notwendigkeit einsieht. Wenn das Gebet ein grundlegendes Element des ganzen christlichen Lebens ist, so ist es für die Ordensleute eine bevorzugte Bekundung ihrer Vereinigung mit Gott und ihrer hochherzigen Hingabe an seinen Dienst. Es ist, wie wir sehr wohl wissen, auch ein schwieriger Akt, ein mühsamer und manchmal harter Weg, wo man demütig — indem man mit Gottes Gnade voranzukommen versucht wie ein Schüler, der die Augen auf seinen Herrn geheftet hat — auch vom Beispiel der geistlichen Lehrer Unterstützung erfährt. 3. Die Ordensgemeinschaften müssen daher echte Schulen des Gebets sein, die die unerläßlichen Voraussetzungen dafür bieten, mit dem Herrn in Verbindung zu kommen. Die Kandidatinnen, die sich in euren Ordensfamilien vorstellen, müssen dort eine Atmosphäre der inneren Sammlung, der Stille, des einfachen und der Armut verpflichteten Lebens, das ihre freudige Hingabe fördert, und persönlicher Disziplin finden, die ihnen das Hören auf die Stimme des inneren Meisters erlaubt. Durch ihr eigenes fortschreitendes Interesse, durch die Aufnahme ihrer Gefährtinnen in eine brüderliche Gemeinschaft, die auf der gegenseitigen Verzeihung der Schwächen gründet, werden sich die jungen Schwestern nach und nach die Sichtweisen und Gesetzmäßigkeiten eines apostolischen Lebens zu eigen machen, das entsprechend dem je besonderen Geist eurer Institute verwirklicht wird. Das persönliche Gebet der Ordensfrauen findet seinen Ausdruck im Hören und in der Betrachtung des Wortes Gottes, in der von den Sakramenten vermittelten Verbundenheit mit dem göttlichen Leben — ich denke besonders an die Eucharistie und auch an das Sakrament der Wiederversöhnung —, im stillen Gebet, in dem ständigen Verlangen, Gott und seinen Willen in den Geschehnissen und in den Personen zu suchen. 1401 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Einen besonderen Ausdruck und einen Anreiz wird es auch im gemeinschaftlichen Gebet finden. Eine Ordensgemeinschaft, die betet, stellt einen Ort dar, wo sich wahrhaftig die Verheißung Christi erfüllt: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Seit dem Konzil haben alle eure Institute beachtliche und lobenswerte Bemühungen zur Anwendung der Liturgiereform unternommen. Euer Einsatz und der der Ausbilderinnen, um die Qualität des liturgischen Lebens in euren Kommunitäten zu verbessern, liefern ein Element ersten Ranges zugunsten des Gebets eurer Schwestern. 4. Ein solches persönliches und gemeinschaftliches Gebet wird notwendigerweise ein apostolisches Gebet sein. Das apostolische Gebet bedeutet nicht eine bloße Gleichsetzung von Arbeit und Gebet. Die Arbeit wird nur dann zum Gebet, wenn die Person, die sie durchführt, es fertigbringt, sie regelmäßig zu unterbrechen, um sich für das Gebet frei zu machen, um die Arbeit und die apostolischen Arbeiten in Verbundenheit mit Gott, für Gott, in seinem Dienst, in der ganzen Verfügbarkeit für seinen Heilsplan zu leben und im Gebet selbst Sorge zu tragen für die Seelen. Die Ordensweihe selbst ist eine Art tiefer Teilhabe an der Heilssendung Christi. Ihr erinnert euch an das hohepriesterliche Gebet Jesu: „Vater ..., wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind“ (Joh 17,18 f.). Diese Weihe bedeutet Heiligung, opferbereite geistliche Hingabe, völlige Verfügbarkeit für den Willen des Vaters, damit durch dieses Ganzopfer das Heil aller Menschen erreicht wird. Ebenso bieten sich die geweihten Seelen im Gebet und im Apostolat Christus für den Fortschritt der missionarischen Arbeit an, deren Ziel die Zustimmung zum Glauben und die Umkehr ist. Zur Zeit freue ich mich feststellen zu können, daß eure Institute bemüht sind, für die Armen dazusein, in denen sie Christus erkennen. Aber um Christus im Armen zu erkennen, muß man ihm zuerst im Gebet begegnen und ihn kennenlernen: der tätige Einsatz für den Herrn darf uns niemals den vergessen lassen, der der Herr des Tuns bleibt, der ihm durch den Heiligen Geist sein zuverlässiges fruchtbares Ergebnis schenkt. Der Codex des kanonischen Rechts formuliert das, in getreuer Auslegung der Lehren des Konzils, sehr treffend: „Das Apostolat aller Ordensleute besteht in erster Linie im Zeugnis ihres geweihten Lebens, das sie durch Gebet und Buße pflegen müssen“ (CIC can. 673). In dem so anstrengenden Rhythmus eures apostolischen Einsatzes wird daher das persönliche und gemeinschaftliche Gebet sorgfältig festgelegte und ausreichend lange tägliche und wöchentliche Zeiten haben müssen. Diese Gebetszei- 1402 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ten werden zugleich eine wertvolle Gelegenheit darstellen, bei den Schwestern die Sorge um die ständige Erneuerung ihrer Hingabe an den Herrn wachzuhalten für die Verwirklichung ihrer kirchlichen Sendung in liebender und hochherziger Treue zu ihrer Berufung und den Lehren des Lehramtes der Kirche. Der Heilige Geist, die Gabe Gottes, stärke in euch diese Bereitschaft zur Hingabe. Und die Jungfrau Maria, die die Apostel in den Abendmahlssaal begleitete, wo sie im Gebet auf den Heiligen Geist warteten, sei euer ständiges Vorbild und eure Hilfe. Darum bitte ich für euch, für jede eurer Schwestern, besonders für jene, die von Gebrechen und Krankheit befallen sind, und ich segne euch von ganzem Herzen. Mit dem unauslöschlichen Zeichen besiegelt Predigt bei Messe und Priesterweihe am Dreifaltigkeitssonntag, 25. Mai 1. Gloria tibi Trinitas. Mit der ganzen Kirche singen wir heute den Lobpreis der Heiligsten Dreifaltigkeit: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Wir singen den Lobpreis Gottes, der einer ist in der Einheit seiner Gottheit; Gottes, der einer ist in dem unergründlichen Geheimnis der göttlichen Dreifaltigkeit. Einer in der Einheit der Gottheit. Einer in der Einheit der Gemeinschaft. Ehre sei dir, Dreifaltigkeit. Wir preisen Gott, „der ist und der war und der kommt“ (Offb 1,4). 2. „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen“ (Joh 16,13). Wenn er kommt... Weil er nicht nur „ist“, sondern auch „gekommen ist“ — eben darum hat er uns das Geheimnis seines trinitarischen Lebens nahegebracht. Der Gott der absoluten Transzendenz ist zum Gott des Heilsplanes geworden. „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen“ (Joh 1,14). Christus spricht: „Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit... Er wird mich verherrlichen; denn er wird von dem, was mein ist, nehmen und es euch verkünden. Alles, was der Vater hat, ist mein; darum habe ich gesagt: Er nimmt von dem, was mein ist, und wird es euch verkünden“ (Joh 16,13-15). 1403 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. So sprach Christus am Abend vor seinem Leiden und Sterben. Er sprach vom Vater, von sich selbst, vom Geist... Der Geist ist derjenige, der bei der Verwirklichung des trinitarischen Heilsplanes „vom Sohn nimmt“. Er nimmt von dem, was des Sohnes ist, und zugleich von dem, was im Sohn vom Vater ist: „Alles, was der Vater hat, ist mein.“ Vom Vater durch den Sohn im Heiligen Geist — das ist das Werk der Schöpfung. Vom Vater durch den Sohn im Heiligen Geist — das ist das Werk der Erlösung, das Werk der göttlichen Erneuerung dessen, was geschaffen wurde. Alles, was durch das Opfer des Sohnes im heiligen Geist erneuert wurde, muß vom Vater zurückkehren, bei dem es seinen Anfang genommen hat. Und auf diese Weise „lebt alles“. Gott „ist nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden“ (Mk 12,27). 4. „Er wird von dem, was mein ist, nehmen“, sagt Christus zu den Aposteln an dem Abend, an dem er die Eucharistie einsetzt und sie zu Königen und Priestern macht (vgl. Offb 1,6; 5,10). Heute sollen sich diese Worte in euch erfüllen, liebe Neupriester. Ja, der Heilige Geist wird aus dem Priestertum Christi schöpfen: aus dem einzigen und ewigen Priestertum, das im Sohn ist und wird euch daran teilhaben lassen. Er wird durch das Zeichen dieses Sakramentes das wachrufen, was in ihm, Jesus Christus, ist und was Christus für jeden von euch vorgesehen hat, ähnlich wie er es für die Zwölf vorgesehen hat, die im Abendmahlssaal bei ihm waren, als er sprach: „Das ist mein Leib ... Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies ... zu meinem Gedächtnis“ (1 Kor 11,24 f.). Der Geist der Wahrheit wird das heute an euch wiederholen. Er wird es euch bekunden durch das Auflegen der bischöflichen und priesterlichen Hände, die uns mit dem heiligen Erbe des Abendmahlssaales verbinden. 5. Ihr, die ihr in wenigen Augenblicken die Priesterweihe empfangen werdet, kommt aus verschiedenen Teilen der Welt, aus 23 Nationen: Spanien, Italien, Frankreich, Österreich, Malta, Schottland, Irland, Polen, Tschechoslowakei, Türkei, Indien, Kanada, Vereinigte Staaten, Mexiko, Guatemala, Puerto Rico, El Salvador, Panama, Venezuela, Peru, Argentinien, Brasilien, Uruguay. Jeder von euch ist eine einmalige und unwiederholbare Person. Jeder hat aus der Gabenfülle Christi seine Gabe empfangen. Diese Gabe soll heute mit dem unauslöschlichen Zeichen des Sakraments besiegelt werden. Und zugleich sollt ihr in dieser Gabe und durch dieses Sakrament in der Kirche zu einer besonderen Gemeinschaft gehören. Der Zahl nach viele müßt ihr in 1404 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Kirche die aus dem unendlichen Reichtum der Gabe des Priestertums Christi geborene Einheit des Priesterkollegiums bilden. 6. Die Kirche Gottes nimmt euch voll Freude auf. Voll Freude nimmt euch der Bischof von Rom auf. Er nimmt euch auf und sendet euch aus in der Kraft des Geistes der Wahrheit, in der Kraft des Trösters. Ihr schließt heute einen bleibenden Bund mit der göttlichen Weisheit; mit jener Weisheit, von der in der ersten Lesung der heutigen Liturgie die Rede ist, mit der Weisheit, die von Ewigkeit her in Gott geboren ist, „am Anbeginn, vor dem Anfang der Erde..., als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen“ (Spr 8,23 f.). Ihr schließt den Bund, der für immer im Blute Christi besiegelt worden ist. Ihr lebt zum Lobpreis der Heiligsten Dreifaltigkeit: Gloria tibi Trinitas. 7. Nehmt euch jene Größe des Menschen sehr zu Herzen, von der der Psalm spricht: „Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst, des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst?“ (Ps 8,5). Ja, du nimmst dich seiner an ... Und das Maß dieser väterlichen Sorge ist Christus, Jesus Christus, in dem sich das Geheimnis des Menschen und seine Berufung klärt (vgl. GS 22). Nehmt euch dieses Geheimnis zu Herzen. Lebt dafür. Arbeitet dafür. Widmet ihm alle eure Kräfte. Macht euer Priesterleben und euren Dienst für dieses Geheimnis fruchtbar. 8. Beziehen sich die Psalmworte nicht auf euch: „Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt“ (Ps 8,7)? Ja. Diese Worte beziehen sich in besonderer Weise auf euch. Ihr müßt die Größe des Menschen enthüllen, indem ihr auf die Sünde hinweist und so dem Geist der Wahrheit dient, der ständig kommt, um „die Welt und alles, was Sünde ist“ (Joh 16,8), zu überführen. „Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben ..." (Joh 20,22 f.). 9. Liebe Söhne! Ihr, die ihr „durch den Glauben Zugang zu der Gnade“ erhalten habt (Röm 5,2), zu dieser besonderen Gnade, die im Sakrament der Priesterweihe enthalten ist, bleibt in ihr! Bleibt in ihr kraft der Macht des Opfers Christi, kraft des Wirkens des Tröstergeistes; haltet Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus (vgl. Röm 5,1), bleibt in ihm, indem ihr euch eurer Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes rühmt (vgl. Röm 5,2). Gloria tibi Trinitas! 1405 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Für eine Spiritualität und Ethik des Familienlebens Schreiben an die Teilnehmer des Treffens „Worldwide Marriage Encounter“ in Tampa (USA) vom 28. Mai An meinen verehrten Bruder Francis J. Dünn, Weihbischof von Dubuque. Ich bin wirklich glücklich über die Gelegenheit, allen Teilnehmern am Nationalkongreß der Vereinigten Staaten zum „Worldwide Marriage Encounter“ in Tampa, Florida, meine Grüße senden zu können. Das Zweite Vatikanische Konzil richtete einen besonderen Aufruf an die Familien, ihren geistlichen Reichtum mit anderen zu teilen, damit „die christliche Familie — entsteht sie doch aus der Ehe, die das Bild und die Teilhabe an dem Liebesbund Christi und der Kirche ist — die lebendige Gegenwart des Erlösers in der Welt und die wahre Natur der Kirche allen kundmachen“ kann (GS 48). Tatsächlich ist die christliche Eheauffassung wesentlich mit dem Geheimnis und der Sendung der Kirche verbunden. Nur wenn die Ehe und die Sendung der Eheleute im Licht der Liebe Christi zur Kirche gesehen wird (vgl. Eph 5,22 f.), kann die Wahrheit über Ehe und Familie richtig verstanden werden. Ich schätze alles, was Worldwide Marriage Encounter gemeinsam mit anderen apostolischen Bewegungen in den letzten Jahren unternommen hat, um die Eheleute mit einer wahrhaft christlichen Sicht ihrer Berufung zum Ehe- und Familienleben zu erfüllen. Wenn man heute zu Eheleuten und zumal zu jungen Menschen spricht, ist der Hinweis besonders wichtig, daß ihre Berufung den Forderungen der Wahrheit im täglichen Leben konkreten Ausdruck geben muß. In meinem Apostolischen Schreiben an die Jugend der Welt habe ich ausgeführt: „Die materialistische Zivilisation und die moderne Konsumgesellschaft dringen in diesen wunderbaren Bereich der ehelichen, väterlichen und mütterlichen Liebe ein, nehmen ihm jenen tiefen, menschlichen Gehalt, der von Anfang an auch von einem göttlichen Gehalt, der von Anfang an auch von einem göttlichen Zeichen und Widerschein geprägt war. Liebe, junge Freunde: Laßt nicht zu, daß euch dieser Reichtum geraubt wird! Nehmt in eurer Lebensprogramm keinen Inhalt der Liebe auf, der verformt, verarmt und verfälscht ist: Die Liebe,freut sich an der Wahrheit“. Sucht diese Wahrheit dort, wo sie wirklich zu finden ist! Wenn es notwendig ist, seid entschlossen, gegen den Strom der gängigen Meinungen und Schlagworte anzugehen! Habt keine Angst vor der Liebe, die an den Menschen bestimmte Forderungen stellt. Diese Forderungen, wie ihr sie in der 1406 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ständigen Lehre der Kirche findet, sind gerade geeignet, eure Liebe zu einer wahren Liebe zu machen“ (Nr. 10). Der hl. Paulus erinnert uns beständig in konkreten Worten an die genauen Pflichten jener, „die vom Geist bestimmt sind“ (Rom 8,5) und die dem Weg der Liebe folgen (vgl. Eph 5,2). Zu diesen Pflichten gehört es auch, alles, „was irdisch an euch ist“, zu töten (Kol 3,5) und keinen Anteil zu haben „mit den Werken der Finsternis“ (Eph 5,11). Wir müssen unsere Herzen nach dem ausrich-ten, „was im Himmel ist“ (Kol 3,1) und „was der Wille des Herrn ist“ (Eph 5,17). Die Mahnung des Apostels, „sorgfältig darauf zu achten, wie ihr euer Leben führt“ und „die Zeit zu nutzen“ (Eph 5,15-16), hat unmittelbare Bedeutung für die Christen von heute. Denn ein wesentliches Element der Berufung zur Heiligkeit muß bei Eheleuten gerade in einer Ethik des Ehe- und Familienlebens bestehen. In meinem Apostolischen Schreiben über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute habe ich ausgeführt: „Auch die Eheleute sind im Bereich ihres sittlichen Lebens auf einen solchen Weg gerufen, getragen vom aufrichtig suchenden Verlangen, die Werte, die das göttliche Gesetz schützt und fördert, immer besser zu erkennen“ (Nr. 34). Dieses Gesetz Gottes ist der menschlichen Person nicht fremd; es entspricht vielmehr unseren tiefsten Bedürfnissen und Wünschen, wie sie Gott in uns geschaffen hat. Es geht um ein Gesetz, das „der vollen Entfaltung seines Menschseins, in jener einfühlenden und bindenden Liebe (dient), mit der Gott selbst jedes Geschöpf beseelt, hält und zu seiner Seligkeit führt“ (ebd.). Ein solches Programm für eine Spiritualität und Ethik des Familienlebens erfordert tägliches Ringen, das jeden Aspekt des Ehelebens einschließt. Ich hoffe, daß „Worldwide Marriage Encounter“ den Eheleuten hilft, mit immer größerer Treue und Hochherzigkeit auf den Ruf des Evangeliums zu antworten durch Überlegungen, Gespräche, Studien und Veröffentlichungen. Besonders empfehle ich dieses Anliegen eurem Gebet als einzelne und als Familien, denn eines der Grundelemente der Ehe- und Familienspiritualität besagt: „Die wirksame Teünahme an Leben und Sendung der Kirche in der Welt (entspricht) der jeweiligen Treue und Tiefe des Gebetes, mit dem sich die christliche Familie dem fruchtbaren Weinstock, Christus dem Herrn, verbindet“ (ebd., Nr. 62). Seid meines eigenen Gebetes für euch alle versichert. Möge Christus, der Gute Hirte, eure Häuser mit Harmonie und Frieden segnen und eure Herzen mit Freude erfüllen. Allen beim Kongreß Versammelten und allen, die mit euch verbunden sind, erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, 28. Mai 1986 JOHANNES PAUL II. 1407 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das eucharistische Opfer Christi auf den Straßen verkünden Predigt beim Fronleichnamsgottesdienst vor der Basilika San Giovanni im Lateran am 29. Mai 1. „Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks“ (Ps 110,4). Heute horcht die Kirche auf die Worte, die der ewige Vater zum Sohn spricht: „So spricht der Herr zu meinem Herrn: Setze dich mir zur Rechten ... Dein ist die Herrschaft am Tage deiner Macht“ (Ps 110,1.3). Von welcher Macht spricht der Vater zum Sohn? Welche Herrlichkeit verkündet er mit den Worten des messianischen Psalms? Nun, er verkündet vor allem die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, die Herrlichkeit dessen, der von Ewigkeit her gezeugt und für immer gezeugt wurde — er ist eines Wesens mit dem Vater. „Ich habe dich gezeugt noch vor dem Morgenstern, wie den Tau in der Frühe“, sagt der Psalmist (Ps 110,3). (Ein schönes, wenn auch unvollkommenes Bild; kein aus der geschöpflichen Welt genommenes Bild vermag die Wirklichkeit Gottes, das Geheimnis des Vaters und des Sohnes, das Geheimnis der ewigen Zeugung in Gott wiederzugeben.) 2. Doch durch die Unvollkommenheit der menschlichen Bilder hindurch vernimmt die Kirche die Worte des Vaters und betrachtet die Herrlichkeit des Sohnes. Die Herrlichkeit, die er ewig im dreifältigen Gott hat, und zugleich jene, die er als ewiger Sohn dem Vater gibt. Der Sohn Gottes (das Wort des Vaters) — der Menschensohn — ewiger Priester. 3. Das ist der Tag seiner Macht in der Geschichte der Schöpfung, der Tag seines Sieges in der Geschichte des Menschen. Er, der von Ewigkeit her vom Vater gezeugt wurde und eines Wesens mit dem Vater ist, steigt zum Vater auf, tritt ein in seine Herrlichkeit als Erlöser der Welt. Und der Vater spricht zu ihm: „Setze dich mir zur Rechten“ (Ps 110,1). Auf diese Weise verherrlicht er den, der ihm (dem Vater) gleich ist — der sich aber, als wahrer Mensch, „erniedrigte und gehorsam war bis zum Tod“ (Phil 2,8). Und gerade durch diesen Tod hat er den Sieg errungen: den Sieg über den leiblichen Tod und über den Tod des Geistes, das heißt über die Sünde. Durch seinen Tod herrscht er. Er ist Herr im Reich des Lebens. Und der Vater spricht zu ihm: Vom Zion werde ich das Zepter deiner Macht ausstrecken, ich werde dir deine Feinde als Schemel unter die Füße legen (vgl. Ps 110,2.1). 1408 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Er, der durch den Tod die Herrschaft über den Tod und über die Sünde erlangt hat, ist Priester auf ewig. Denn er hat diese Herrschaft dadurch erlangt, daß er sich im Opfer darbrachte — im Opfer des Leibes und des Blutes. Er triumphierte durch das Kreuz. In seine Herrschaft im Reich des Lebens ist sein Priestertum eingeschrieben. Er, der das Opfer darbringt, dient: er erfüllt den Dienst Gottes. Er gibt Zeugnis davon, daß die ganze Schöpfung Gott gehört und Gott unterworfen ist. Christus sitzt zur Rechten des Vaters — Christus herrscht, indem er alle Geschöpfe Gott als Schöpfer und Vater unterwirft. Durch diese Unterwerfung gibt er sie dem zurück, dem sie zuerst und vor allem gehören. Er gibt alle Geschöpfe und vor allem den Menschen zurück, weil er selbst Sohn des Menschen ist. Im Menschen gibt er alles zurück, da alles, was in der sichtbaren Welt erschaffen wurde, für den Menschen erschaffen worden ist. 5. „Der Herr hat geschworen, und nie wird’s ihn reuen: Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks“ (Ps 110,4). Christus, der Priester, „ist ein für allemal in das Heiligtum hineingegangen ... mit seinem eigenen Blut“ (Hebr 9,12). Er stiftete den Neuen Bund Gottes mit dem Menschen in seinem Leib und in seinem Blut. Er vergoß dieses Blut am Kreuz, als er seinen Leib dem Leiden und dem Tod hingab. Doch brachte er dieses blutige Opfer ein für allemal dar. Und niemand kann es wiederholen, so wie es niemand hat vorwegnehmen können. Am Tag vor dem Passahfest jedoch hat er eben dieses Opfer des Leibes und Blutes — das Opfer des Neuen und Ewigen Bundes mit Gott — unter den Zeichen von Brot und Wein für die Kirche dargebracht. Er hat es eingesetzt als Sakrament, von dem die Kirche lebt, von dem die Kirche sich nährt. So wurde Christus zum Priester „nach der Ordnung Melchisedeks“. 6. Die Kirche lebt täglich von diesem Opfer und nährt sich täglich von ihm. Durch dieses Opfer ist Christus ständig in ihr gegenwärtig. Christus — ewiger Priester. Ohne Priester gibt es nämlich kein Opfer. Durch dieses Opfer bestätigt Christus täglich wieder „den neuen und ewigen Bund in seinem Leben und in seinem Blut“. Während er täglich und in Ewigkeit „zur Rechten des Vaters“ sitzt, unterwirft er Gott alle Geschöpfe, vor allem aber jeden als Gottes Ebenbild geschaffenen Menschen. Durch dieses Opfer, durch die Eucharistie, gibt Christus, „Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks“, Zeugnis von Gott, der nicht nur Schöpfer 1409 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und Herr der ganzen Schöpfung, sondern zugleich Vater ist. Und der Vater versorgt und nährt seine Kinder. Er versorgt und nährt also den Menschen mit der Speise und dem Trank des ewigen Lebens. Mit dem Brot und Wein der Heiligsten Eucharistie. 7. Die Kirche lebt täglich von der Eucharistie. Sie lebt ohne Pause von ihr. Aber heute — an diesem besonderen Tag — möchte sie mit besonderer Aufmerksamkeit den Worten Gehör schenken, die der Vater zum Sohn spricht („so spricht der Herr zu meinem Herrn“), und nachdenken über die Worte des messianischen Psalms, ihre eucharistische Aussagekraft bedenken und betrachten. Denn heute ist das Fest der Eucharistie. Die Kirche will hinausgehen auf die Straßen, um der ganzen Welt das zu verkünden, von dem sie jeden Tag lebt. Sie will alle sehen lassen, daß in ihr Christus lebt: Er, der war, der ist und der kommen muß (vgl. Offb 1,4). „Jedesmal, wenn wir von diesem Brot essen und aus diesem Kelch trinken, verkünden wir deinen Tod, Herr, in Erwartung deiner Wiederkunft.“ Christus — Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks! „Stets im Dienst des Menschen“ Ansprache an die Teilnehmer eines Studienseminars der „Baden-Badener Unternehmergespräche“ am 31. Mai Sehr geehrte Damen und Herren! Herzlich begrüße ich Sie zu Ihrem Studienaufenthalt, den Sie im Rahmen der „Baden-Badener Untemehmergespräche“ hier in Rom durchführen. Ihr ausdrücklicher Wunsch, dabei auch mit dem Bischof von Rom zusammenzutreffen, unterstreicht Ihre Überzeugung, daß die Welt der Industrie und Wirtschaft und die Kirche sich nicht fremd oder beziehungslos gegenüberstehen, sondern sich vieles zu sagen haben und ihren beiderseitigen Dialog noch intensivieren und vertiefen. Der Mensch ist der Grund, warum sich die Kirche auch für die Welt der Arbeit verantwortlich fühlt. Sein Wohl, das des einzelnen und der Allgemeinheit, ist das zentrale Thema, dem unsere gemeinsamen Überlegungen und Bemühun- 1410 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gen zu gelten haben. Die konkreten Arbeitsbedingungen und die Organisationsformen der Arbeit bestimmen weithin nicht nur die Lebenswelt der Mehrzahl der Menschen, sondern auch die jeweiligen Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme, die für die Würde, die Freiheit und Selbstverantwortung des Menschen von entscheidender Bedeutung sind. Für die konkrete Gestaltung der Arbeitswelt ist gerade Ihre Aufgabe als Unternehmer von großer Wichtigkeit. Es ist in Ihre Hände gelegt, dafür Sorge zu tragen, daß auch in den Wirtschaftsunternehmen, Verwaltungen und Büros „die Ordnung der Dinge“ — wie das II. Vatikanische Konzil sagt „der Ordnung der Person dienstbar wird und nicht umgekehrt“ (GS 26). Der Unternehmer darf nicht nur danach streben, immer mehr, besser und rationeller zu produzieren; er hat auch und vor allem dem Menschen zu dienen, die zwischenmenschlichen Beziehungen und das Wohl der Arbeiter selbst zu fördern. Sie besitzen das Privileg der Unternehmens- und Entscheidungsfreiheit und haben dadurch zugleich eine große Verantwortung: für sich und für das von Ihnen geleitete Unternehmen mit den gewiß nie fehlenden wirtschaftlichen Sorgen und Schwierigkeiten, für die Wirtschaft Ihres Landes und für die Weltwirtschaft, vor allem aber für Ihre Mitmenschen. Im Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vertritt die christliche Soziallehre das Prinzip einer aufrichtigen solidaren Partnerschaft. Die schwierigen Probleme und die sich daraus ergebenden sozialen Konflikte in der Arbeitswelt können nur durch die Verständigungs- und Kompromißbereitschaft aller Beteiligten eine angemessene Lösung finden. Besonders zu erwähnen ist das hartnäckige Übel der Arbeitslosigkeit. Seine Bekämpfung verlangt auch von den Unternehmern größte Anstrengungen, um die Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen, und das unter Arbeitsbedingungen, die den gerechten Forderungen der Arbeiter entsprechen. Der bestimmende Grundsatz Ihres Handelns möge immer sein, daß die Arbeit, die Industrie und die Wirtschaft stets im Dienst des Menschen bleiben. Für die Verwirklichung einer solchen, ganz auf den Menschen bezogenen Arbeitswelt bietet die Kirche durch ihre Soziallehre eine sehr nützliche Wegweisung und Hilfe. Indem ich diese bei unserer heutigen kurzen Begegnung Ihrer besonderen Aufmerksamkeit und Vertiefung empfehle, erbitte ich Ihrem verantwortungsvollen Wirken in Staat und Gesellschaft mit besten persönlichen Wünschen den besonderen Beistand und Segen Gottes. 1411 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Für Altar und Herdfeuer“ Ansprache an die Teilnehmer der Romfahrt der Wiener Studentenverbindung „Austria“ am 31. Mai Ebenso begrüße ich heute ganz herzlich Mitglieder und Freunde der bekannten Katholischen Östeireichischen Studentenverbindung Austria zu Wien. Ich freue mich, daß es auf Ihrer Romwallfahrt zu dieser kurzen Begegnung kommen kann. Der Wahlspruch der Austria lautet: ProAris etFocis. Wie kann man diese Worte heute einem jungen Menschen erklären? NumHra — Altar, das ist Gottes Gegenwart und Anspruch im Menschenleben; das meint unseren Glauben und unser Gebet; das erinnert an unsere Zugehörigkeit zur kirchlichen Gemeinschaft unter der Leitung der Bischöfe und des Papstes. Altar: das bedeutet dann aber auch die hohe Würde des von Gott berufenen Menschen, sein Gewissen, seine Freiheit, seine gesamte personale Dimension. Dann: Focus — Herdstelle, das wärmende Feuer, an dem sich Familien, Freunde, Gäste vertrauensvoll versammeln können. Herdfeuer: das ist Geborgenheit, Treue, Rücksichtsnahme; das bedeutet schließlich auch Gerechtigkeit vor allem in ihrer sozialen Ausprägung. Nicht gemeint ist das Feuer der Leidenschaft oder Polemik, sondern das Feuer der Wahrheit, der Klärung, des Willens zum Frieden. Dieses Herdfeuer umfaßt die gesamte soziale Dimension des Menschen. Altar und Herdfeuer: zwei symbolische Orte, an die man sinnvollerweise nur in Gemeinschaft kommen kann; sie laden den Menschen ständig dazu ein, sich selbst zu öffnen für die Tiefe und Höhe seiner Berufung, für die Freuden und Nöte seiner Mitmenschen. Altar und Herdfeuer: das könnte darum heute so übersetzt werden: Gott die Ehre und Gerechtigkeit dem Menschen. Ihr Wahlspruch enthält aber noch ein weiteres wichtiges Wort: pro — für. Damit bekennen Sie Ihre Bereitschaft, sich selbst für die hohen Werte einzusetzen, die in den Symbolen von „Altar“ und „Herdfeuer“ enthalten sind. Hierbei ist oft eine klare Entscheidung verlangt,ein deutliches Zeugnis vor den Menschen, gerade auch als katholische Akademiker. Ihnen allen und Ihren Familien erbitte ich nun Gottes treues Geleit und weise Führung, die Fülle der Gaben seines Geistes und tiefe Freude am christlichen Glauben. Gern schenke ich Ihnen dafür mein Gebet und meinen Segen. 1412 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Gottes erbarmende Liebe Grußwort an die Missionarinnen der Nächstenliebe in der Audienz am 31. Mai Ich möchte Mutter Teresa und die Missionarinnen der Nächstenliebe begrüßen. Liebe Schwestern, es ist wirklich eine Freude für mich, euch zu treffen und in euch der ganzen Gemeinschaft der Missionarinnen der Nächstenliebe meine Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen und ein Wort der Ermutigung zu sagen. Ihr habt gerade eure Jahresexerzitien beendet, und einige von euch haben in der Ordensprofeß ihr Leben endgültig Gott geweiht. Alles in eurem Leben und eurem Dienst an den ärmsten Brüdern und Schwestern Christi ist ein Zeugnis dafür, daß Gottes erbarmende Liebe in der Welt am Werk ist. Es ist die Liebe, die den Kräften des Bösen und der Sünde entgegenwirkt. Die Anpassung an diese Liebe ist darum oft nicht leicht; sie braucht Nahrung und Pflege wie der gute Baum, der gute Früchte bringen soll (vgl. Lk 6,43). Der Materialismus, der heute die Ursache ist für so viel menschliches Leiden und den Verlust der Hoffnung, muß durch die Liebe und das Mitleid, die das Evangelium lehrt, an der Wurzel geheilt werden. Möge die selige Jungfrau Maria euch immer Vorbild und Weggefährtin sein. Überbringt meine liebevollen Grüße allen Gliedern eurer Ordensfamilie und auch den Kranken und Sterbenden, den Waisen und den Verlassenen, denen ihr im Namen Jesu dient. Allen Gottes Segen! Die eheliche Liebe an Christi Vorbild orientieren Ansprache an die Teilnehmer des 3. Internationalen Kongresses für die Familie in Afrika und Europa vom 31. Mai Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich freue mich, euch zu begrüßen und euch zu danken, daß ihr anläßlich eures Internationalen Kongresses für die Familie in Afrika und Europa über das Thema „Die Liebe und das Leben“ um diese Begegnung gebeten habt. Dieser Kongreß wird in Rom vom Studien- und Forschungszentrum für natürliche Familienplanung an der Katholischen Herz-Jesu-Universität in Zusammenarbeit 1413 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN mit dem Päpstlichen Institut für Studien über Ehe und Familie an der Lateranuniversität veranstaltet. Ich möchte meine Genugtuung zum Ausdruck bringen über diese Initiative, die den ersten Teil eines Ausbildungslehrgangs auf dem Gebiet natürlicher Methoden verantwortlicher Geburtenregelung darstellt, der für Delegierte aus Afrika und anderen Entwicklungsländern gehalten wird. 2. Dieser Kongreß ist hoher Anerkennung wert sowohl wegen der Aktualität der verschiedenen Spezialthemen, die auf eurem Programm stehen, wie auch wegen der geistlichen Motive, die euch leiten und die mit den Lehren der Kirche übereinstimmen, die unaufhörlich bemüht ist, alles für den Schutz und die Förderung des Lebens einzusetzen. Bei meinem Pastoralbesuch in Kinshasa 1980 hatte ich Gelegenheit, erneut zu betonen, wie notwendig es ist, die jungen Leute intensiver auf das Eheleben vorzubereiten, so daß ihnen der Sinn der christlichen Ehe klar wird und sie reif werden für ihre gegenseitigen persönlichen Beziehungen und ihre Verantwortung in Familie und Gesellschaft (vgl. OR, dt., Nr. 20/1980,4). Es ist schön, eure Initiativen zu betrachten, die auf jene von 1984 folgen, bei denen es um die ernste Frage der verantwortungsbewußten Weitergabe des Lebens ging als konkrete Antwort auf die Sorge der Kirche um eine Sache, die so tief das Gewissen der Menschen berührt. Mögen also diese Treffen euch zu nützlichem Gedanken- und Erfahrungsaustausch dienen, damit ihr dann eure Tätigkeit auf dem Gebiet der christlichen Formung und Anleitung der jungen Paare wieder besser fortsetzen könnt. Es ist der Auftrag der Kirche, dem Geist begreiflich zu machen, was vom Ursprung her der Plan Gottes hinsichtlich Natur und Zweck der Familie ist, und die Herzen dafür zu öffnen. Sie sorgt sich darum, daß die christlichen Familien in den reinen Quellen der christlichen Liebe die Kraft und die Freude finden, den göttlichen und menschlichen Gesetzen des Lebens ohne Kompromisse und ohne egoistische Berechnung zu dienen, damit sich ihr Wissen um die wahre eheliche Liebe von Christus herleite, der sein Leben für die Kirche, seine Braut, hingegeben hat. 3. Da eine große Anzahl von euch englisch spricht, möchte .ich mich nun noch in dieser Sprache an euch wenden. In meinem Apostolischen Schreiben über die Rolle der christlichen Familie in der heutigen Welt, Familiaris consortio, habe ich hingewiesen auf die Notwendigkeit eines „umfassenderen, entschlosseneren und systematischeren Einsatzes dafür, daß die natürlichen Methoden der Geburtenregelung bekannt, geschätzt und angewandt werden“ (Nr. 35). Der Kongreß, an dem ihr nun teilnehmt, und die Unterweisung über natürliche Familienplanung, die ihr jeweils in euren Ländern gebt, sind wirklich lobenswerte Antworten auf diese Notwendigkeit. Durch diese und ähnliche Initia- 1414 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN tiven kann die Kirche dem Leben der Eheleute und der Familien dienen und es bereichern. In den Psalmen des Alten Testaments finden wir dieses schöne Gebet an den Herrn: „Du zeigst mir den Pfad zum Leben. Von deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle“ (Ps 16,11). Die Arbeit, die ihr tut, dient dem menschlichen Leben. Sie hilft Ehepaaren, nach Gottes Willen und Plan zu leben. Ich vertraue darauf, daß Gott euch, die ihr anderen die natürliche Familienplanung lehrt, den Pfad zum Leben zeigt und euer Herz mit Freude erfüllt. Möge er euch und euren Familien überreichen Segen schenken. 25 Jahre „Päpstliches Liturgisches Institut“ Ansprache bei seinem Besuch in Sant’ Anselmo auf dem Aventin am 1. Juni Hochwürdigster Abt Primas, verehrter Herr Rektor, liebe Professoren, liebe Studenten! 1. Ich bin gern auf den Aventin gekommen, wo das benediktinische Mönchtum seine Zentrale, seinen Sitz im Leben Roms hat. Wo ich mit euch zusammen sein kann, den Lehrern und Studenten des Athenäums, das nach dem hl. Anselm, dem Mönch und Kirchenlehrer, benannt ist, und mit euch Benediktinermönchen, die auf diesem Hügel in den Fußstapfen eures großen Gründers sich täglich in der Suche nach Gott („quaerere Deum“) üben, die das wesentliche Programm eures Lebens ist. Die traditionelle Verbindung von Ordensleben und Studium gibt diesem Zentrum eine besondere Atmosphäre, die sowohl das Gebet und das gemeinschaftliche Leben begünstigt wie die Vertiefung in die heiligen Wissenschaften. Mit großer Freude habe ich.mit euch die Vesper gesungen in der Form, wie ihr sie jeden Sonntag feiert. Und'mit großer Freude grüße ich jetzt den Abt und die Mönchsgemeinschaft, den Rektor des Athenäums, die Professoren und Studenten. Zu meiner Freude gehört auch die Feststellung, daß im Lehrkörper wie unter den Studenten viele Nationen vertreten sind, viele Orden und Ortskirchen. Allen, die hier zugegen sind, meinen sehr herzlichen Gruß. Ich möchte auch die wertvolle tägliche Arbeit für die Förderung der theologischen Studien würdigen, die ihr, vor allem auf liturgischem Gebiet, leistet, nicht nur zum Nutzen der Benediktiner-Konföderation, die hier ihr internatio- 1415 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nales Bildungszentrum hat, sondern zum Nutzen der ganzen katholischen Kirche. Daher fühle ich das Bedürfnis, die Arbeiten und Initiativen zu ermutigen, die hier betrieben werden, das Ergebnis brüderlicher Zusammenarbeit und fruchtbarer Einheit der Studien von Wissenschaftlern aus allen Erdteilen, die dennoch ihre unterschiedliche Mentalität und Kultur zu koordinieren und harmonisieren wissen, zum Nutzen von Aufrechterhaltung und Aufbau dieser Institution. 2. Ich denke in diesem Moment an ein besonders bedeutsames Zusammentreffen von Ereignissen im Leben des Athenäums. Damit möchte ich auf das 25jährige Jubiläum der Gründung des Liturgischen Instituts durch Papst Johannes XXIII. anspielen, dem mein Vorgänger seligen Angedenkens das Recht einräumte, sich „Päpstliches Institut“ zu nennen, als Beweis des Vertrauens, das er ihm schenken wollte, wie auch der Erwartungen, die er für eine spezifische Zusammenarbeit in ständiger Abstimmung mit den Weisungen und Programmen des Heiligen Stuhls mit dieser Gründung verband. Der Hauptzweck eures Instituts, das vor Beginn des II. Vatikanischen Konzils gegründet wurde und sich während seiner Durchführung konsolidierte, ist, wie ihr wißt, ein Studien- und Forschungszentrum zu sein, das der Liturgiereform des Konzils eine wissenschaftliche Grundlage gibt. Das ist ein Ziel von erstrangiger Bedeutung. Denn die Erneuerung der Liturgie hat „dem Leben der Kirche, ja dem gesamten religiösen Fühlen und Handeln unserer Zeit eine eigene Note“ gegeben (SC 43). Die liturgische Erneuerung hatte zur Folge, daß die Feier des Gottesdienstes sich stärker dem Wert einer verständigeren und aktiveren Beteiligung des ganzen Gottesvolkes öffnete. Das führte zu dem anschließenden Bedürfnis, bei den liturgischen Feiern die Rolle der Priester und der Gläubigen klarer zu präzisieren, damit in Erfüllung der eigenen Aufgabe jeder alles und nur das tue, was in seine Zuständigkeit fällt, so daß schon in der Ordnung der Feier deutlich wird, daß die Kirche sich aus verschiedenen Ämtern und Diensten bildet (vgl. Institutio generalis Missalis Romani, Nr. 58). Man fühlte außerdem das Bedürfnis, den Riten bei ihrer zeremoniellen Entfaltung mehr Schönheit zu geben. Die Zeremonien sind, mit der nötigen Sorgfalt und inneren Teilnahme vollzogen, wie die Erfahrung lehrt, der Weg, um den Reichtum der göttlichen Geheimnisse zu offenbaren und den gutvorbereiteten Seelen fruchtbarer mitzuteilen. 3. Die Verwirklichung dieser Aufgaben, liebe Brüder, kommt euch zu, die ihr als Söhne des hl. Benedikt von eurem Gründer das Gebet erhalten habt: „nihil 1416 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN operi Dei praeponatur“ — „Dem Gottesdienst werde nichts vorgezogen“ (Reg. S.Ben. 43, 3). Diese lapidare Vorschrift wurde im Lauf der vergangenen Jahrhunderte verschieden interpretiert und ins Leben umgesetzt, aber sie hat sicher viel zur Gestaltung des christlichen Europa beigetragen. Zuletzt hat die Restauration des benediktinischen Mönchtums in Gründungen wie Solesmes und Beuron das Zeichen einer besonderen Aufmerksamkeit für die Liturgie getragen. Diese Tatsache ist heute als Ausgangspunkt dessen anerkannt, was dann die liturgische Bewegung unserer Zeit genannt wurde. Im übrigen kann diese Vorschrift der Regel die anderen Christen nicht gleichgültig lassen, die vom Glauben belehrt sind, im Gottesdienst den höchsten Gipfel aller menschlichen Tätigkeit zu sehen. Daher hat das Institut mit Recht seine Pforten auch Professoren und Studenten, die keine Benediktiner sind, geöffnet. Damit begünstigte es sowohl den Zustrom neuer und wertvoller Kräfte zu diesem Zentrum wie auch einen breiteren und entscheidenderen Einfluß auf die Kirchen der ganzen Welt. Die Pflicht zum Gottesdienst bleibt aber zunächst euer Kennzeichen, Söhne des hl. Benedikt. Denn ihr könnt aus ihrer hochherzigen und getreuen Verwirklichung Anstöße für das Leben eurer monastischen Gemeinschaften und ihre Ausstrahlung auf die christliche Gemeinschaft schöpfen. Muß euer in Gott verborgenes Leben nicht ganz nach dem Modell des liturgischen Lebens der Kirche geformt sein, wie es die Konstitution Sacrosanctum concilium beschreibt: „zugleich göttlich und menschlich, sichtbar und mit unsichtbaren Gütern ausgestattet, voll Eifer der Tätigkeit hingegeben und doch frei für die Beschauung, in der Welt zugegen und doch unterwegs“ (Nr. 2)1 Im Rahmen eurer Institutsarbeit kann ich hier nur den Nutzen und die Bedeutung der Ausbildung von theologischen und pastoral-liturgischen Experten unterstreichen, die in der Lage sind, den Diözesen und ganz allgemein allen christlichen Gemeinschaften mit Rat und Tat zu helfen. Aber auch von qualifizierten Lehrern in der liturgischen Bildung des Klerus, der Ordensmänner und -frauen, überhaupt aller Christen, die den Wunsch haben, ihre Vertiefung in das liturgische Leben, „die Quelle und den Höhepunkt“ des ganzen kirchlichen Lebens, reifen zu lassen. Eine Aufgabe, die unter diesem Gesichtspunkt eine weitere Forschung und wissenschaftliche Arbeit verlangt, ist das, was man die „Inkulturation“ der Liturgie nennen könnte, also die Aktualisierung, die die nationalen Bischofskonferenzen in Gemeinschaft mit dem Heiligen Stuhl den geeignetsten Weisen und Formen, den katholischen Kult zum Ausdruck zu bringen, der seinem Wesen nach immer und überall der gleiche ist, geben können, in Übereinstimmung mit dem, was aus den religösen Traditionen der verschiedenen Völker und Kulturen als wertvoll übernommen werden kann. Lehrer und Vorbilder dieser Me- 1417 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN thode der Pastoral sind die Heiligen Kyrill und Method, von denen ich in der Enzyklika Slavorum Apostoli gesprochen habe. Auch der ökumenische Austausch kann zur Bereicherung des liturgischen Erbes nützlich sein. In diesem Hinblick möchte ich mich darauf beschränken, an die Wichtigkeit eines lebendigen und fruchtbaren Kontakts zwischen der westeuropäischen liturgischen Tradition, die mehr den Aspekt der Gemeinde und der Teilnahme am Gottesdienst unterstreicht, und der östlichen, die empfänglicher für die mystischen und sakralen Aspekte ist, bei Wahrung der eigenen Identität, zu erinnern. Ich vertraue darauf, daß dieses liturgische Institut mit immer größerer Vitalität seinen Dienst an der Kirche weiterführt und mit der Feier seines 25jährigen Jubiläums einen neuen Aufschwung nimmt, in voller Treue zur liturgischen Tradition und zum authentischen Geist der vom II. Vatikanischen Konzil bewirkten Reform. 4. Ein Wort möchte ich auch einem anderen jetzt bevorstehenden Ereignis Vorbehalten: dem Jubiläum der Gründung des Athenäums. Wie das Liturgische Institut verdankt auch eure Universität ihr Dasein einem Papst, dem unvergeßlichen Leo XIII., der sie als kulturelles und spirituelles Zentrum der ganzen Benediktiner-Konföderation gründete. Nahe beim Stuhl des Petrus muß sie sich auch heute dieser Funktion voll bewußt sein, die mehr eine Verantwortung bedeutet als einen Ruhm. Bei dieser Aufgabe verdient sie sicher die moralische und materielle Unterstützung der ganzen benediktinischen Familie, denn sie hat den Zweck, ihr zu dienen und sie würdig im Gesamt der Kirche, aber auch der Gesellschaft und Kultur zu repräsentieren. Der hl. Schutzpatron, dem die Abtei und das Athenäum anvertraut sind, der große Kirchenlehrer Anselm von Aosta, Erzbischof von Canterbury, sei für euch heute noch mehr als je ein Lehrer des geistlichen Lebens, vor allem in dem brennenden Durst nach der Beschauung Gottes und dem Wunsch, in „demütiger Weisheit“, wie er sagte, die unaussprechlichen Abgründe seines Geheimnisses der Güte und Schönheit zu erforschen. Der hl. Anselm ist auch heute noch ein Meister der theologischen Methode, also des rechten und nüchternen Gebrauchs der Vernunft, durch den sie, ausgehend von den Grundsätzen des Glaubens und den Gegebenheiten der Offenbarung, dazu beiträgt, diese durch geeignete Argumente der Konvenienz zu erklären und in ihrer unerschöpflichen Verständlichkeit zu ergründen. So ist auch das Ziel zu verstehen, das er sich in seinem berühmten Proslogion vorgenommen hatte: „ Utrum probari possit id, quod de Deo creditur et praedicatur“ („ob bewiesen werden kann, was von Gott geglaubt und gepredigt wird“). Es geht nicht darum, die Wahrheiten des Glaubens auf die Grenzen der Vernünf- 1418 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN tigkeit zu beschränken, denn damit würden sie zerstört. Es geht vielmehr darum, sich mittels der Vernunft von diesen Wahrheiten erleuchten und führen zu lassen, ihre Bedeutung und ihren Einfluß auf das konkrete Leben ins Licht zu stellen. Wenn sie so handelt, bestätigt die Vernunft, auch wenn sie in ihren natürlichen Grenzen bleibt, mehr als je sich selbst und damit die Würde des Menschen. Der benediktinische Lehrer greift den Aphorismus des Augustinus wieder auf „ Credo ut intelligam“ (Ich glaube, damit ich verstehe“), der schon die Grundlage der ganzen theologischen Arbeit der Väter war, und machte ihn auf neue Art wieder lebendig, indem er das Verständnis des Glaubens durch die Hilfsmittel der Dialektik und Metaphysik vervollkommnete. So leitete er die der spekulativen und scholastischen Theologie eigene Methode ein, die in der Folgezeit soviel Erfolg hatte, vor allem durch den hl. Thomas von Aquin, bis in unsere Tage. Der hl. Anselm erinnert alle, aber besonders die, die wie ihr, als Lehrer und Studenten, ihre Verstandeskräfte dem Studium der Theologie widmen, daran, daß die Erkenntnis der göttlichen Geheimnisse nicht so sehr vom menschlichen Geist gewonnen wird, sondern vielmehr ein Geschenk ist, das Gott den Demütigen und den Glaubenden macht. 5. Ich hoffe, daß auch ihr, in den Fußstapfen dieses berühmten und heiligen Lehrers des christlichen Denkens, den Menschen unserer Zeit dieses Empfinden für die göttlichen Wirklichkeiten geben könnt und den Wunsch, sie mittels einer vom Glauben erleuchteten Erkenntnis zu durchdringen. Wenn es auch wahr ist, daß schon die natürliche Vernunft etwas von der Existenz Gottes erkennen kann, so bleibt es doch immer wahr, daß die authentische Erfahrung seines unaussprechlichen Geheimnisses uns nur durch das gläubige Hören auf sein Wort möglich ist, so daß wir nur im Glauben ohne Grenzen eine volle Erkenntnis der göttlichen Wirklichkeit besitzen können. Mit diesen Gedanken und Hoffnungen rufe ich über euch — mit der Fürbitte des hl. Anselm — den Überfluß der Gaben des heiligen Geistes herab und erteile euch allen von Herzen meinen Segen. 1419 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dienst unter dem Zeichen des Glaubens Ansprache an die Priester-Alumnen der Päpstlichen Diplomatenakademie am 2. Juni Meine lieben Priester! 1. Es bedeutet mir immer eine Freude, euch zu begegnen, die ihr, vom Hl. Stuhl in Übereinkunft mit euren Bischöfen berufen, euch in intensiver Arbeit darauf vorbereitet, der Sendung des Nachfolgers Petri bei den Völkern und Nationen in den verschiedensten Teilen der Erde zu dienen. Herzlich grüße ich euch alle, zusammen mit dem Präsidenten, Msgr. Justin Rigali, der mit Eifer und Kompetenz für eure Ausbildung und eure menschliche, kulturelle und geistliche Formung Sorge trägt. 2. Die Aufgabe, auf die ihr euch vorbereitet, ist ein Dienst, der unter dem Zeichen des Glaubens und der Liebe steht: Glaube an Christus, den Erlöser des Menschen und der Welt, und aufrichtige Liebe zu ihm und zu seiner Kirche. Es ist vor allem eine kirchliche Aufgabe: ihr seid berufen, beim Aufbau der Kirche mitzuarbeiten, indem ihr dem Dienstamt Petri bei den christlichen Gemeinschaften, zu denen ihr gesandt werdet, dient. Und es ist auch ein Dienst an den Menschen unserer Zeit auf jenem — wie ihr gut wißt — besonders heiklen Gebiet der diplomatischen Tätigkeit, eine Tätigkeit, zu verstehen.als treue Teilhabe und Mitverantwortung an der universalen apostolischen Verantwortung des Hl. Stuhls in seinen Beziehungen zu den, Staaten und Regierungen, mit denen er zusammenarbeitet, um die großen Ideale der Gerechtigkeit, des Friedens und der Solidarität zu fördern, die unverzichtbare Werte für den vollen Schutz der Würde der menschlichen Person sind. 3. Euer Ausbildungsplan muß deshalb, auch wenn er die kulturellen und beruflichen Aspekte vertieft, doch dem Reifen eures priesterlichen Charismas den ersten Platz einräumen — mit allen Möglichkeiten der doktrinären und spirituellen Vorbereitung sowie der hochherzigen und unermüdlichen Hingabe an den Dienst für Gott und die Kirche und an das Heil der Seelen. Eure Aufgabe ist nicht so sehr ein Amt, das erfüllt werden muß, sondern ein Dienst der Liebe, ein pastoraler Dienst, den es zu leben gilt. Die grundlegende Nahrung und die unerschöpfliche Quelle für eure Hochherzigkeit und euren Einsatz wird immer die tiefe Verbundenheit mit Christus und die lebendige Teilnahme an den Heilsgeheimnissen sein müssen, vor allem an der Eucharistie, die ihr immer als Mitte eures Lebens und eurer Tätigkeit betrachten müßt. 1420 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Auch in dem besonderen Dienst, der euch obliegt, und in voller Erfüllung der damit verbundenen Pflichten und mit entsprechender Kompetenz seid immer und vor allem Priester, Hirten, Apostel, Ausspender der Geheimnisse Gottes, Seelenführer und, noch mehr, Opfer der Liebe mit Christus, dem Gekreuzigten. In dieser gewissenhaften Ausübung eures priesterlichen Dienstes werdet ihr das Geheimnis eures Erfolges finden, nicht nur auf geistlichem, sondern auch auf diplomatischem Gebiet, als wahre Vertreter der Kirche und des Hl. Stuhls. 4. Die Seele der unermüdlichen Tätigkeit der Kirche in der Welt, die geheimnisvolle Kraft, die sie nicht dem Tagesgeschehen verfallen läßt, sie vielmehr befähigt, die zahllosen Prüfungen zu überwinden, denen die Geschichte sie aussetzt, liegt gerade in dieser ihrer inneren Verbundenheit mit ihrem gekreuzigten und auferstandenen Bräutigam durch die Liturgie. Diese ist ja, wie das Konzil sagt, „der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“ (SC 10). Wenn das für die Kirche in ihrer Gesamtheit gilt, so in besonderer Weise für den Priester, dessen Hirtenliebe vor allem aus dem eucharistischen Opfer entspringt, das — wie das Konzil weiter lehrt — „daher Mitte und Wurzel des ganzen priesterlichen Lebens“ ist (PO 14). Ich möchte euch also empfehlen, handelt so, daß die Päpstliche Diplomatenakademie sich als eine echte priesterliche Gemeinschaft erweist, die die Eucharistiefeier zum Mittelpunkt eines jeden Tages macht, aus ihr Kraft und Schwung für die täglichen Aufgaben schöpft und alle Mühen, Pläne und Hoffnungen auf sie hinordnet als menschlichen Beitrag zum göttlichen Opfer. So wird die heilige Messe, der geistliche Höhepunkt eines jeden eurer Tage, zum Ausgleichspunkt, der eurem ganzen Leben Einheit und Harmonie verleiht. Gerade in der Entfaltung einer echten eucharistischen Frömmigkeit werdet ihr die nötige Kraft und Ausdauer finden, bereitwillig und mit Nutzen die erzieherische Disziplin anzunehmen, die der Akademie eigen ist, um jene Tugenden der Verfügbarkeit, der Ausgeglichenheit, der Klugheit und Weisheit zu erwerben, die ihr bei der Erfüllung der euch anvertrauten, oft schwierigen Aufgaben sehr nötig brauchen werdet. 5. Die selige Jungfrau Maria, die ihr im vergangenen Monat Mai mit großer Andacht verehrt habt, begleite euch auf eurem Weg und bei eurer Vorbereitung. Sie, die, wie das Konzil sagt, das „Modell“ der Kirche und zugleich ihre Mutter und ihr auserwähltes Glied ist, lehre euch jene tiefe Liebe zur Kirche, die euch in der Sendung, die euch erwartet, so notwendig und nützlich ist. Ihre Fürsprache erlange euch, daß ihr in einer tiefen und beispielhaften, einer über- 1421 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zeugten und hochherzigen Einheit mit der Kirche und ihren Hirten lebt. Euer ganzes Leben steht im Dienst der Kirche. Vergeßt das nie! Mit diesen Wünschen und Weisungen rufe ich auf euch, auf eure Führer und Lehrer die Fülle der Gaben des Heiligen Geistes herab und erteile allen von Herzen einen besonderen und reichen apostolischen Segen. Eure Friedensarbeit ist noch nicht beendet Ansprache bei der Überreichung des Internationalen Friedenspreises „Johannes XXIII.“ an das Katholische Flüchtlingshilfswerk (COERR) der Thailändischen Bischofskonferenz am 3. Juni Ehrwürdige Brüder! Sehr geehrte Damen und Herren! 1. Mit dem Gefühl tiefer Freude habe ich die Verleihung des Internationalen Friedenspreises Johannes XXIII. am heutigen Tag, wo wir des Todes jenes geliebten Papstes vor 23 Jahren gedenken, vorgenommen. Ich danke den Kardi-nälen und den Mitbrüdem im Bischofsamt, daß sie durch ihre Gegenwart dieser bedeutenden Zeremonie besondere Feierlichkeit verleihen wollten. Ich begrüße die Vertreter des Diplomatischen Corps und die verehrten Herren, die heute hier die internationalen und nationalen Organisationen repräsentieren, die sich zum Ziel gesetzt haben, dem Menschen dort zu helfen, wo er es am dringendsten nötig hat. Ich bringe allen Anwesenden meine Zuneigung zum Ausdruck. Mit herzlicher Dankbarkeit wende ich mich besonders an Herrn Kardinal Michael Michai Kitbunchu und die anderen Vertreter des Katholischen Flüchtlingshilfswerkes („Catholic Office for Emergency Relief and Refugees“). Zusammen mit zahlreichen anderen Priestern, Schwestern und Laien und gemeinsam mit dem für die Durchführung verantwortlichen Leiter, P. Bunlert Tarachatr, seid ihr unverzüglich den Erwartungen unzähliger leidgeprüfter und obdachloser Menschen aus einem so schwer heimgesuchten Gebiet des Fernen Ostens nachgekommen. Seid willkommen alle, die ihr für die Armen, die Schwachen, die Entrechteten arbeitet: die ihr allen, die keine Hoffnung mehr hatten, mit eurer aktiven Solidarität Hilfe, Trost und Liebe angeboten habt. In euch und durch euch wollen sich meine Gedanken und meine Worte an alle jene wenden, die auf dem Gebiet, auf dem ihr den Weg vorgezeichnet habt, in Asien und in jedem anderen Teil der Welt ihre Arbeit leisten. 1422 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ein besonderes Wort der Begrüßung möchte ich an die Personen aus Thailand richten, die Kardinal Kitbunchu zu dieser Zeremonie hierher geleitet haben. Ich möchte ihnen meine Anerkennung und Wertschätzung für die Arbeit zum Ausdruck bringen, die von Thailand für die Exilsuchenden und Flüchtlinge vollbracht wurde. Ich grüße auch die in Rom lebenden Thais und alle, die aus dem südostasiatischen Raum kommen; der Weg mancher von ihnen führte durch die Flüchtlingslager. Alle heiße ich willkommen in diesem Haus! 2. Die Anerkennung, die dem Katholischen Flüchtlingshilfswerk heute zuteil wurde, hebt so recht die Bedeutung hervor, die der Apostolische Stuhl sowohl der Arbeit, die diese Organisation in einem der in unserem Jahrhundert am meisten gequälten Gebieten der Welt leistet, als auch den Initiativen beimißt, die ergriffen wurden, um 1986 als „Internationales Jahr des Friedens“ zu begehen. Denn der Friede ist „das Werk der Gerechtigkeit“ (Jes 32,17) und er wird gefördert, wenn das Wohl der Person gewahrt, wenn ihre grundlegende Würde wiederhergestellt wird. Es ist darum mehr denn je angebracht, ein christliches Zeugnis zu unterstützen, das voll Liebe jedem leidenden, bedürftigen Menschen, ohne Unterschied von Rasse, gesellschaftlicher Stufe oder Religion (vgl. AG 12), geschenkt wird. Während ihr euch an Christus dem Erlöser inspiriert, der bereits in seiner frühesten Kindheit selber Flüchtling war (vgl. Mt 2,13-23) und während seines öffentlichen Wirkens durch die Städte und Dörfer zog, um den Männern und Frauen Palästinas Hilfe und Heilung zu bringen (vgl. Mt 9,35), nehmt ihr euch in 13 Flüchtlingslagern der über 120 000 Flüchtlinge an; zu dieser Zahl kommen dann noch weitere 250 000 Personen dazu, die aus ihrem Land geflüchtet oder vertrieben worden sind und aus humanitären Gründen entlang der Grenze mit Kambodscha vorläufige Aufnahme finden. Nicht verschwiegen werden dürfen auch die 16 000 geflüchteten Karen und die 5 000 Mon, die aus den westlichen Grenzgebieten kommen. Durch dieses caritative Werk steht die Kirche von Thailand, die in diesem Bereich kein anderes Recht ausübt als das des treuen Dienstes am Menschen, allen bei, die von den Naturereignissen und politischen Ereignissen, die Südostasien heimsuchen, betroffen, sind. 3. Die Arbeit, die ihr begonnen habt, wird jedoch nicht allein von euch getan. Ihr erhaltet dabei Hilfe von vielen nationalen und internationalen Organisationen, die das weltweite Verlangen und die Verpflichtung bekunden, diesen not-leidenden Brüdern und Schwestern zu helfen. Die Caritas Österreichs, Dänemarks, Deutschlands, Italiens, der Niederlande, der Schweiz und andere Hilfszentren, wie das von Australien, die Hilfswerke Misereor und Missio, die „Se- 1423 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN cours Catholiques“ und die Internationale Katholische Kommission für den Menschen unterwegs in Abstimmung mit dem Päpstlichen Rat COR UNUM haben den rechtzeitigen und fortdauernden Einsatz der katholischen Kirche in den schmerzlichen Situationen bewiesen, mit denen ihr Tag für Tag in Kontakt seid. Diese Werke der katholischen Kirche werden auch in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen verwirklicht, dessen Büro in jenem Gebiet unermüdlich tätig ist. 4. Das thailändische Volk gibt ein hervorragendes Beispiel der Solidarität gegenüber diesen Menschen in Not; mehr als jeder andere Staat hat es diesen Nachbarn seine Türen und sein Herz geöffnet und damit einmal mehr die großen Ideale seiner ruhmreichen Tradition unter Beweis gestellt. Ich möchte hier erneut die Wertschätzung bekunden, die ich bereits anläßlich meines Besuches in Thailand ausgesprochen habe: dieses Land hat in dem Beispiel seiner Herrscher, Ihrer Majestäten, des Königs und der Königin, den Hinweis auf den rechten Weg erhalten, auf dem es sich engagieren soll. Ich denke insbesondere an die Arbeit, die im Lager Khao Larn vom thailändischen Roten Kreuz unter dem Patronat Ihrer Majestät der Königin geleistet wird. Ich danke allen, die sich um das Werk verdient machen, das in Thailand zugunsten der Brüder und Schwestern verwirklicht wird, die sich in äußerstem Elend befinden, ohne Essen und Wohnung, fern ihrer Heimat. 5. Bei diesem feierlichen Anlaß möchte ich unterstreichen, daß das thailändische Volk nicht alleingelassen werden darf mit der schweren Last der Verantwortung und Hilfeleistung, die es in jenem Teil der Welt zu tragen hat. Aus der Tiefe meines Herzens ergeht darum eine drängende Bitte, damit — auch wenn die Solidarität bereits überzeugende Äußerungen erfahren hat — eine noch umfassendere und geeignetere internationale Unterstützung den Flüchtlingen neue Beweise der Hochherzigkeit biete. Während ich den Appell, den ich in Bangkok ausgesprochen habe, erneuere, fordere ich zur Verstärkung des Einsatzes und zur Koordinierung der Bemühungen auf: die Zeit und die Aufeinanderfolge der Ereignisse dürfen weder die Hochherzigkeit noch die gemeinsame Zusammenarbeit mindern. Im besonderen bedarf es der Zusammenarbeit der verschiedenen Nationen der Welt, um den Flüchtlingen, die sich in einer neuen Heimat niederlassen möchten, eine solche anbieten zu können. Allein politische Solidarität in großem Umfang wird eine zufriedenstellende Lösung für dieses schwere und alte Problem bringen können. 6. In seiner Enzyklika Pacem in terris handelte Papst Johannes XXIII. auch von der Situation der Flüchtlinge aus politischen Gründen (vgl. Nr. 103-108) und 1424 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN stellte in diesem Zusammenhang unter anderem fest: „Diese Flüchtlinge sind Menschen, und all ihre Rechte als Menschen müssen anerkannt werden. Die Flüchtlinge können und dürfen ihre Rechte auch dann nicht verlieren, wenn sie der Staatsbürgerschaft ihres Landes beraubt werden“ (Pacem in terris, Nr. 105). Mit diesen Worten gab Papst Johannes XXIII. die grundsätzliche Begründung dafür, warum wir Christen uns der Flüchtlinge annehmen müssen, die aus Situationen der Not und Verfolgung zu uns kommen. Es ist unsere Pflicht, immer und überall die unveräußerlichen Rechte zu garantieren, die zu jedem menschlichen Wesen gehören und nicht von Naturfaktoren oder sozialen und politischen Verhältnissen abhängig sind, und in dieser Sicht soll, das ist mein Wunsch, die Arbeit verstanden und anerkannt werden, die ihr zusammen mit so vielen Menschen guten Willens leistet. Ich freue mich über die vielfältigen Initiativen, die ihr zu fördern und anzuregen versucht. Ob es sich um Elementarschulen oder um Kurse zur Arbeitseinführung handelt, ob es sich um einfache Schulen zum Erlernen des Zuschneidens und Nähens oder Landwirtschaft oder auch der Krankenpflege oder Programme der Hygiene- und Gesundheitserziehung handelt, mit allem was ihr tut, helft ihr diesen Menschen, die Mittel zu finden, um zu überleben und sich dann ihre eigene Existenz aufzubauen in einem Lebensrahmen, der ebenso würdig ist wie der der anderen Mitglieder der Menschheitsfamilie. Die Programme materieller Hilfe und kultureller Ausbildung bieten diesen Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit eines neuen Daseins, wo die Rechte der Person geachtet werden. Dieser edle Einsatz erhöht die Würde aller, die sich daran beteiligen, denn in dieser wunderbaren Arbeit menschlicher Förderung entdeckt und beteuert jeder einzelne den Wert jedes Lebens und jeder Person. Für alles, was ich hier sage, fand ich eine ergreifende Bestätigung am 11. Mai 1984 während meines Besuches im Lager Phanat Nikkon, wo ich sah, daß die verschiedenen Initiativen den Flüchtlingen neue Möglichkeiten, neue Aussichten und Hoffnungen gegeben hatten. Ich sah, daß eure Arbeit diesen Menschen geholfen hatte, ihre verlorene Würde wiederzufinden und den Wert ihres individuellen Personseins in ihren je spezifischen Fähigkeiten aufs neue zu bestätigen. 7. Diese Arbeit ist wahrhaftig eine Friedensarbeit. Sie ist Friedensarbeit, weil sie vor allem die Wunden zu heilen versucht, die diesen leidenden Menschen geistig und körperlich zugefügt worden sind. Sie ist Friedensarbeit, weil sie Menschen eine neue Möglichkeit bietet, die andernfalls sich selbst und den zersetzenden Kräften der Verzweiflung überlassen blieben. Sie ist Friedensarbeit, weil sie versucht, diese Bevölkerungsgruppen in einer Weise wieder in die Menschheitsfamilie einzugliedern, daß ihre Kultur und ihre Werte wieder ge- 1425 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN achtet werden und sie die Möglichkeit haben, in neuen und anderen Kulturen und Gesellschaften ihr eigenes Leben aufzubauen. In der Botschaft zum Weltfriedenstag dieses Jahres sagte ich: „Der rechte Weg zu einer Weltgemeinschaft, in der Gerechtigkeit und Friede ohne Grenzen unter allen Völkern und auf allen Kontinenten herrschen werden, ist der Weg der Solidarität, des Dialogs und der universalen Brüderlichkeit. Das ist der einzig mögliche Weg“ {Botschaft zum Weltfriedenstag 1986, Nr. 4: OR, dt. 20.12.85, 6), Diesen Weg soll die Arbeit des Katholischen Flüchtlingshilfswerkes COERR diesen Bevölkerungsgruppen eröffnen. Dieser Geist der Solidarität muß über jeder Versuchung, sich abzuschließen, stehen und damit die Wiederherstellung einer neuen Solidarität mit sich bringen, die die kulturellen und moralischen Traditionen eines jeden Volkes achtet und schätzt und aus solchen Traditionen den Boden der Begegnung für das gegenseitige Verständnis und die erneuerte Achtung voreinander herstellt. Die Form der Solidarität, die die moderne Gesellschaft nötig hat, geht über vage und unkonsequente Äußerungsformen hinaus und verlangt die Bejahung des Wertes des Lebens, jedes Lebens, da sich in jeder menschlichen Existenz das göttliche Sein widerspiegelt. Einfache Toleranz genügt also nicht, und noch weniger Resignation in bezug auf das Leben. Es ist nicht getan mit der Hinnahme des Status quo. Notwendig ist der aktive Einsatz für die Achtung und Bejahung der Würde und der Rechte jeder menschlichen Person innerhalb der Grenzen ihrer kulturellen Identität. Dieser aktive Einsatz gilt dem Wohl des anderen, knüpft neue Bande, bietet neue Hoffnung an, bewirkt den Frieden. Einzig und allein mit Verständnis (für den anderen) können wir Konflikte lösen und die Ungerechtigkeiten beheben und sind in der Lage, Perspektiven der Solidarität in der Freiheit und in der Hoffnung anzubieten. Nur so können wir den Weg zur Eintracht zwischen den Völkern eröffnen, die die unerläßliche Voraussetzung für den wahren Frieden darstellt. Aus allen diesen Gründen will ich euch sagen, daß eure Arbeit eine Friedensarbeit ist. Ihr seid Arbeiter des Friedens und verdient, die von Gott Gesegneten genannt zu werden, denn ihr habt das Antlitz seines Sohnes in den Tausenden von Gesichtern erkannt, denen ihr bei eurer Arbeit unter den Flüchtlingen begegnet seid, und in allen, die von traurigen und leidvollen Ereignissen heimgesucht worden sind. 8. Liebe Freunde, eure Arbeit ist noch nicht beendet. Sie wird nicht enden, solange es um euch Menschen gibt, die leiden, und ihr, empfänglich für ihren Hilferuf, darauf antworten werdet, indem ihr ihnen die Mittel und Möglichkeiten zum Überleben und zur Neubestätigung ihrer Würde zuteil werden laßt. Wer- 1426 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN det nicht müde, euch für diejenigen aufzuopfern, deren Leben erschüttert wurde und deren Zukunft ungewiß ist. Noch eine andere Aufgabe hat euer Einsatz zu erfüllen. Ihr seid nicht nur auf die Bedürfnisse dieser Bevölkerungsgruppen eingegangen, indem ihr ihnen neue Möglichkeiten, neue Hoffnung, neues Leben eröffnet habt, sondern ihr habt ihnen auch den Weg zum Wiederaufbau und zur Neubestätigung dessen gewiesen, was für ihre kulturelle Identität charakteristisch ist und was sie in die neuen Lebensverhältnisse mitnehmen müssen. Helft ihnen in diesem Sinne jetzt und auch in Zukunft! Flößt ihnen durch Wort und Beispiel die Liebe zum Menschen, die Liebe zu den Männern und Frauen, zu den Kindern und den Alten so ein, daß derselbe Geist, von dem eure apostolischen Bemühungen beseelt sind, sie in ihrem heutigen und morgigen Dasein zu inspirieren und zu leiten vermag. Wenn sie sich von solcher Liebe bewegen lassen, werden sie, sobald sie einmal den ihnen gebührenden Platz in der Welt gefunden haben, ihrerseits anderen helfen und selbst zu Trägern jener Nächstenliebe werden, die sie zu Baumeistern des Friedens in dieser gespaltenen Welt machen wird. Mein Wunsch für sie ist es, daß sie schließlich, in einer nicht allzu fernen Zukunft, wieder in ihrem Geburtsland leben können. Wie ich in meiner Ansprache an das Diplomatische Corps in Bangkok sagte: „Sie haben ein Recht darauf, zu ihren Wurzeln zurückzukehren ... Sie haben ein Recht auf all die kulturellen und geistlichen Beziehungen, die sie in ihrem Menschsein nähren und aufrechterhalten“ (An das Diplomatische Corps in Bangkok am 11. Mai 1984, Nr. 5: DAS, 1984, 396). Jeder muß daher, während er für diese gerechte Lösung betet und entsprechend seinen Fähigkeiten und entsprechend den Gelegenheiten, die sich ihm bieten, dafür arbeitet, ständig weiter für die Versöhnung zwischen den Menschen und zwischen den Völkern tätig sein. „Schließlich kann das Problem nicht gelöst werden, ohne daß Bedingungen für eine echte Versöhnung ge- ■ schaffen werden: Versöhnung zwischen den Nationen, zwischen den verschiedenen Bereichen einer vorgegebenen nationalen Gemeinschaft, innerhalb jeder ethnischen Gruppe und zwischen den ethnischen Gruppen untereinander. Mit einem Wort, es besteht die dringende Notwendigkeit, das Vergangene zu vergeben und zu vergessen und gemeinsam an einer besseren Zukunft zu arbeiten“ (ebd., Nr. 6, a.a.O.). Eure Arbeit ist einer der echtesten und tatkräftigsten Beiträge zur Verwirklichung dieser Hoffnung auf Versöhnung. Euer Engagement tut viel und wird noch immer mehr tun, um eine bessere Zukunft aufzubauen, die wir alle ersehnen. 9. Ich bin überzeugt: wenn man unserer Zeit eines Tages als eines Jahrhunderts der Zivilisation gedenkt, wird das nicht so sehr wegen des in ihr verwirk- 1427 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN lichten technologischen und kulturellen Fortschritts der Fall sein als vielmehr wegen der sozialen Entwicklung, die das Ziel erreicht haben wird, das vollkommene Wohl des Menschen zu ermöglichen. In dieser Entwicklung nimmt die Lösung des Problems der Millionen von Flüchtlingen, in welchem Kontinent immer sie sich befinden, einen vorrangigen Platz ein. Die Erinnerung an all das, was die Menschheit aufgrund des letzten Weltkrieges gelitten hat, der Milhonen Menschen dazu zwang, zu flüchten, ihre Heimat, ihr Land zu verlassen, verstärke die Sensibilität für ähnliche Tragödien, wo immer sie sich ereignen. Sie sporne dazu an, unermüdlich dahin zu wirken, daß die Streitigkeiten und Spaltungen, die ideologischen und machtpolitischen Rivalitäten aufhören; damit die menschenfeindliche Logik des Egoismus, der Logik der Achtung vor dem Menschen Platz mache. Das wird den Aufbau einer Gesellschaft im Zeichen der Wahrheit und der Liebe und in der Solidarität zwischen allen Völkern ermöglichen. 10. Wahrend ich wünsche, daß die von den Flüchtlingen kommende flehentliche Bitte um Hilfe Geist und Herz eines jeden Menschen berühre, vertraue ich euch persönlich und euren täglichen Einsatz der Jungfrau Maria an. Sie lasse euch mit ihrer mütterlichen Fürsorge in der Liebe zu Christus und im Dienst an den Brüdern wachsen mit der Freude des Heiligen Geistes, der „ein Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit ist“ (2 Tim 1,7). Außerdem spreche ich den Wunsch aus, daß die Völker Südostasiens wieder den ihnen zustehenden Platz in der Menschheitsfamilie einnehmen können und ihrerseits in der Lage seien, denen den wahren Frieden zu bringen, unter denen sie ihren neuen Wohnsitz finden. Mit der Versicherung, der unzähligen Flüchtlinge und Vertriebenen in der Welt im Gebet zu gedenken, erflehe ich von Gott für euch, die ihr hier anwesend seid, für eure Mitarbeiter und für das edle Volk Thailands einen glücklichen und regen Aufschwung. Allen erteile ich meinen Segen. Wortlaut der Urkunde des Friedenspreises „Johannes XXIII.“ für das Katholische Flüchtlingshilfswerk COERR in Thailand Es erfüllt mich mit großer Freude, den Friedenspreis „Papst Johannes XXIII.“ dem Katholischen Flüchtlingshilfswerk „ Catholic Office for Emergency Relief and Refugees“ der Thailändischen Bischofskonferenz zuzuerkennen. Ich bin stolz, hier in Anwesenheit des beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomatischen Corps und zugleich unter Teilnahme der Repräsentanten der Römi- 1428 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sehen Kurie diesen Preis zu überreichen, was die hohe Wertschätzung bezeugt, die der Heilige Stuhl Ihrem Werk dadurch entgegenbringt, daß er Ihre Bemühungen zugunsten der Flüchtlinge mit der Lehre und den Idealen verbindet, die uns Papst Johannes in seiner Enzyklika Pacem in terris hinterlassen hat. COERR dient der bedeutenden Friedensarbeit durch Tätigkeiten und Projekte, die in besonderer Weise von menschlicher und christlicher Sensibilität für jene erfüllt sind, die dieser am dringendsten bedürfen, bei voller Achtung der jeder menschlichen Person innewohnenden Würde, ohne Unterschied von Rasse, Religion oder politischen Ansichten. Das weitreichende Wirken von COERR hat die Zusammenarbeit mit vielen katholischen und nichtkatholischen Organisationen nötig gemacht. Es führt seine Arbeit mit der wohlwollenden Hilfe der Regierung des Königsreiches Thailand weiter. Das zeigt der Welt wieder einmal, daß Solidarität in der Antwort auf Not und Leiden der Weg ist, um der Sache des Friedens zu dienen. Diese Solidarität erstreckt sich auf die Menschen im Elend, sie bietet ihnen eine brüderliche Hand und ist ein Weg, um die menschliche Würde und Hoffnung dieser so schwer geprüften Menschen wiederherzustellen. In Anerkennung dieser unermüdlichen Arbeit gebe ich meinem tiefen Wunsch Ausdruck, daß das von COERR übernommene gute Werk weitergeführt wird. Mögen Sie die geistigen und materiellen Mittel finden, um den Notleidenden Nahrung, Obdach, ärztliche Betreuung, Rehabilitationsprogramme, Erziehung, Gesundheitsfürsorge, soziale Dienste, menschliche und berufliche Ausbildung für ihre Zukunft beschaffen zu können. Ich bete dafür, daß die Arbeit des Katholischen Flüchtlingshilfswerkes zu einem lebendigen Zeugnis für die Bestimmung aller Völker werden möge, eine Welt des Friedens aufzubauen, indem sie die Bande der Brüderlichkeit schmieden, die jenen Frieden und jene Harmonie stärken, die das Ziel des von der Organisation der Vereinten Nationen für das Jahr 1986 verkündeten Internationalen Jahres des Friedens darstellen. Umweltschutz: „ Verantwortung für den Menschen von morgen “ Bei der Generalaudienz am 4. Juni Morgen, 5. Juni, wird der Welttag des Umweltschutzes, der vom Umweltschutzprogramm der Vereinten Nation (UNEP) organisiert wurde, begangen. Dieses Jahr, das gleichzeitig das Internationale Jahr des Friedens ist, hat zum 1429 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Thema: „Umwelt und Frieden“ und als Motto: „Wir pflanzen den Baum des Friedens“, denn es werden Kundgebungen veranstaltet mit dem Ziel, die Bewaldung der Erde zu fördern, die zu oft unsinnigerweise ihres natürlichen Schutzmantels, der Wälder, beraubt worden ist. Allen, die mit dieser Initiative ihre Liebe zur Natur bezeugen und sich für den Schutz der natürlichen Umwelt einsetzen, spreche ich meine Wertschätzung aus. Der Umweltschutz ist auch eine ethische Frage aufgrund der jüngsten Formen, die die Entwicklung angenommen hat, die nicht immer den Menschen und seine Erfordernisse gebührend in Betracht zieht. Es gibt eine Verantwortung, die nicht vergessen werden darf, und es ist die Verantwortung nicht nur für den Menschen von heute, sondern auch für den von morgen: in der Tat, jede Generation „gewinnt oder verschleudertzum Vorteil oder zum Nachteil der nachfolgenden“ (.Ansprache an die Jugend in Ravenna, 11.5.86). Möge eine noch weiter verbreitete Achtung vor der Natur auch den Weg des Friedens begünstigen, der ein Wert von grundlegender Bedeutung für den Menschen von heute und aller Zeiten ist. Ein mutiges und unternehmungslustiges Volk Ansprache bei der Überreichung des Beglaubigungsschreibens des Botschafters der Niederlande, Baron Seger Jan Joseph van Vöorst tot Vöorst, am 5. Juni Herr Botschafter! 1. Ich freue mich, Sie empfangen zu dürfen. Die Worte, die Sie soeben an mich gerichtet haben, beweisen den Ernst, mit dem Sie Ihre Mission als Botschafter beim Heiligen Stuhl antreten. Seien Sie versichert, daß Sie die notwendige Unterstützung finden werden, um im Anschluß an Ihre Vorgänger dieses hohe Amt erfolgreich zu führen. Sie wurden von Ihrer Majestät Königin Beatrix entsandt, deren Besuch im Vatikan sehr hoch geschätzt wurde und die mich ihrerseits so freundlich in ihrem königlichen Palast Huis ten Bosch empfangen hat. Ich bewahre in der Tat eine angenehme Erinnerung an die zuvorkommende Gastfreundschaft und den Gedankenaustausch, zu dem wir bei diesen beiden Gelegenheiten die Möglichkeit hatten. Ich wäre Eurer Exzellenz dankbar, wenn Sie Ihrer Majestät für ihre Grüße danken und ihr meine respektvolle Hochschätzung und meine herzlichsten Wünsche für die königliche Familie und ihr geliebtes Land übermitteln wollten. 1430 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Sie haben freundlicherweise an meine apostolische Reise zu euch erinnert. Es war eine einzigartige und denkwürdige Gelegenheit, die Bande des Hl. Stuhls mit dem Königreich der Niederlande, mit seiner Regierung, mit dem gesamten niederländischen Volk und natürlich in besonderer Weise mit den katholischen Bischöfen und ihren Kirchen im Rahmen eines Besuches, der vor allem pastoralen Charakter haben sollte, enger zu knüpfen. Ich wußte, daß ich bei euch nicht nur eine Nation mit einer hervorragenden kulturellen und künstlerischen Vergangenheit antreffen würde, sondern ein fleißiges, mutiges, unternehmungslustiges Volk, das darauf bedacht ist, seine Ideen in praktisches Engagement umzusetzen, und stets die Freiheit über alles stellt. Die verschiedenen Abschnitte meiner Reise in die schönen, geschichtsträchtigen Städte — Sie erwähnten das „Paushuize“ (Papsthaus) meines Vorgängers Hadrian VI. in Utrecht — sowie der Flug über die fruchtbare, grünende Landschaft, die das Siegel sorgfältiger und zäher Arbeit trägt, und vor allem die Zeugnisse, die ich erhalten habe, haben diesen Ruf bestätigt. Ich habe auch bemerkt, daß die christliche Religion die Seele dieses Volkes geformt hatte und noch immer auf zahlreiche soziale und kulturelle Einrichtungen seinen Einfluß ausübt, während im Übrigen auf allen Ebenen eine weitreichende religiöse Freiheit sichergestellt ist, in deren Genuß alle Konfessionen kommen. 3. Was das politische Engagement betrifft, so haben Eure Exzellenz die aktive Teilnahme der Niederlande am internationalen Leben unterstrichen, worin seine Sorge zum Ausdruck kommt, den Frieden zu stärken überall, wo er bedroht ist, mehr Gerechtigkeit, die Verwirklichung der Menschenrechte zu gewährleisten. Ihre Regierung beteiligt sich in besonderer und bisweilen entscheidender Weise an der Tätigkeit der verschiedenen europäischen Institutionen. Sie kennen das Interesse, das der Hl. Stuhl allen diesen Bemühungen entgegenbringt, die geeignet sind, durch die Ausarbeitung und Anwendung entsprechender politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Maßnahmen die menschliche Gemeinschaft brüderlicher und solidarischer zu machen. Ich möchte vor allem einen Punkt erwähnen, der Ihrem Land Ehre macht: das ist die Hochherzigkeit, mit der das Volk und die Regierung der Niederlande an der Entwicklung der unterentwickelten Völker der Dritten Welt teilnehmen. Die katholische Gemeinde unterstützt dieses Engagement in erheblichem Maße. Haben übrigens eure christlichen Landsleute nicht derselben Regung folgend einen beispielhaften Beitrag zur Evangelisierung in den Missionsländern geleistet und führen jetzt ihren Einsatz in den jungen Kirchen weiter? Die Niederländer haben ein Gespür für die Nöte der anderen, sie verstehen es, sich der Welt zu öffnen, und das mehr durch Taten als durch Worte. Der Hl. Stuhl freut sich darüber und beglückwünscht Sie dazu. 1431 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Mit Recht haben Sie, Herr Botschafter, die besondere geistliche Sendung der Kirche und des Hl. Stuhles, die im Mittelpunkt steht, betont, das heißt, ihre grundsätzliche Sorge um die Gewissensbildung, für die in jedem Land die Ortskirchen in Verbundenheit mit dem Nachfolger Petri arbeiten. Gerne bete ich, Ihrem Wunsche gemäß, für das Wohl aller Ihrer Landsleute. Und in diesem Heil ist die Förderung der sittlichen und geistigen Werte eingeschlossen. Die Kirche würde Ihre Pflicht verletzen, wenn sie sich nicht bemühte, die Gewissen aufzuklären; die Übel beim Namen zu nennen, die das christliche Leben und den Menschen als ganzen bedrohen; das zu fördern, was der Wahrheit und dem Wohl des Menschen entspricht. Sie hat keine direkte Macht über die Gesetze oder Institutionen des Staates, die sich die Bürger auf demokratischem Wege in voller Freiheit geben. Aber sie bewahrt sich ihnen gegenüber ihr Urteil und wird immer das, was nach den staatlichen Gesetzen erlaubt ist, und das, was im Zusammenhang mit einem richtig geformten Gewissen moralisch ist, zu unterscheiden wissen. Das gilt unter anderem für die Achtung vor dem Leben vom Augenblick der Empfängnis an oder in den Fällen schwerer Krankheit oder Alters. Ja, die Kirche ruft unaufhörlich die Gewissen zu einem moralischen Aufbruch auf. Offen gesagt, es ist Sache der Bischöfe eines Landes, ihre Landsleute zum Nachdenken über diese Grundsätze anzuhalten, die Prinzipien der Universalkirche sind und die der Hl. Stuhl in Erinnerung ruft; und Ihre Bischöfe haben es nicht versäumt, dies in den beiden Bereichen zu tun, die ich soeben erwähnte. Im übrigen gibt es viele andere, komplexe Moralprobleme, und man muß freilich feststellen, daß besonders die junge Generation verunsichert ist und sich oft in Drogen oder Lebensweisen flüchtet, die sie schädigen. Wer wollte sich nicht um die Erziehung zur echten Freiheit, zur Suche nach der Wahrheit, zur Achtung vor der Liebe, zu den Werten der Familie bemühen? Die Kirche ihrerseits hat den Wunsch, mit allen ihren Kräften unter Respektierung des Gewissens der anderen dafür zu arbeiten, und sie zweifelt nicht daran, daß sie auf diesem Gebiet der Zustimmung der für das Gemeinwohl verantwortlichen bürgerlichen Autoritäten begegnet. Diese müssen schließlich besser als andere sehen, daß es da eine Herausforderung anzunehmen gilt für die Zukunft des Landes, für seinen wahren menschlichen und geistigen Fortschritt in Übereinstimmung mit dem christlichen Erbe, das es so stark geprägt hat und das für diejenigen, die es annehmen, eine Quelle des Lebens bleibt. Das, Herr Botschafter, sind die Gefühle, die mich bei der Übernahme Ihrer diplomatischen Mission beim Hl. Stuhl beseelen. Ich richte an Gott die besten Wünsche für Sie persönlich, für das niederländische Volk und seine Regierenden, während ich auf sie den Segen dessen herabrufe, der den Menschen guten Willens Freude, Kraft und Licht schenkt. 1432 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN In der Welt heiligmäßig leben! Ansprache an die Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Laien am 7. Juni Herr Kardinal! Liebe Brüder im Bischofsamt! Ihr alle, Mitglieder des Päpstlichen Rates für die Laien! 1. Unsere Begegnung anläßlich der Vollversammlung eures Dikasteriums ist nun schon fast Tradition geworden. Ich bemühe mich, während des Jahres in meinen regelmäßigen Zusammentreffen mit dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten des Rates und ihren Mitarbeitern die Verwirklichung eurer Programme mit besonderem Interesse zu verfolgen. Kardinal Eduardo Pironio kann die Unterstützung des Papstes für die Einrichtung der neuen „Sektion Jugend“, für die Durchführung des Weltjugendtages, für eure ständige Arbeit des Dialogs und der Zusammenarbeit mit den internationalen katholischen Organisationen und mit den kirchlichen Bewegungen für die kontinentalen Tagungen von Bischöfen und Laienführern, die ihr gefördert habt, und für viele andere Aspekte eurer Arbeit bezeugen, die ihr als einen kirchlichen Dienst im Bereich des Laienapostolats in Zusammenarbeit mit meinem Dienstamt als Nachfolger Petri ausführt. Diese jährlichen Begegnungen sind in jedem Fall bedeutende Augenblicke, die das Band der Gemeinsamkeit des Denkens und des Dienstes, das euer Dikasterium als Arbeits- und Gebetsgemeinschaft mit dem Papst verbindet, gut zum Ausdruck bringen. 2. Die heutige Zusammenkunft erweist sich als besonders bedeutsam in dieser Zeit, wo die ganze Kirche bereits mit der Vorbereitung der Synode 1987 beschäftigt ist, deren Thema lautet: „Die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt zwanzig Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil“. Schon vor einigen Monaten, kurz vor der außerordentlichen Synode über das Zweite Vatikanische Konzil, seid ihr in Rom zusammengekommen. In der Tat könnte nichts die Teilnahme der Laien am Leben und an der Sendung der Kirche besser neu einordnen und beleben als eine erneute Aufmerksamkeit auf die Communio-Ekklesiologie (siehe Schlußdokument der Synode) des Konzils und den Anstoß, den das Konzil einer neuen Evangelisierung der modernen Welt gegeben hat. Es handelt sich darum, unter den heutigen Gegebenheiten das Gebot des Herrn zu erfüllen: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ {Mt 28,19). Es geht darum, auf allen Ebenen diese Ekklesiologie der Gemeinschaft und Sendung in der Fügsamkeit gegenüber 1433 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dem Geist Gottes zu realisieren, wobei man sich in verstärktem Maße die aus der Taufe erwachsende Würde und Verantwortung aller Glieder des Leibes Christi bewußt macht, die Salz der Erde und Licht der Welt sein sollen. Ja, es ist wichtig, daß wir aus den Lehren des Konzils leben, damit wir in der Lage sind, die Gegenwart Christi im Herzen aller Menschen, in den Erwartungen ihrer Kulturen, in den tiefsten Bedürfnissen und Hoffnungen der Völker offenbarzu machen. Es ist nötig, mit Gottes Gnade diejenigen aufzuwecken, deren Glaube eingeschlafen ist, denen, deren Glaube untätig ist, die Dynamik, und denen, die skeptisch sind, die Begeisterung zurückzugeben. 3. Die Vörbereitungsarbeit der Synode bietet dem Päpstlichen Rat für die Laien eine willkommene Gelegenheit, alles zu entdecken und zu berücksichtigen, was bei den lebendigen Kräften der Laien und bei den Überlegungen der Bischöfe zu ihrem Thema zutage tritt: die religiösen Bedürfnisse der Völks-frömmigkeit, die Charismen und missionarischen Erfahrungen kirchlicher Verbände und Bewegungen, die verschiedenen Verantwortlichkeiten des Dienstes, die von den Laien beim Aufbau der Kirche wahrgenommen werden, ihr engagierter Einsatz in den verschiedenen gesellschaftlichen und beruflichen Bereichen und ihre Bemühungen, auf die ernsten Fragen, die vom heutigen Leben und vom weiteren Los der Völker aufgeworfen werden, eine Antwort zu geben. Das alles bereichert die Erfahrung, die euer Dikasterium seit beinahe zwanzig Jahren erworben hat, und ermöglicht es, einen brauchbaren Beitrag zur Vorbereitung der Synode zusammen mit ihrem Sekretariat zu leisten. Könnte doch euer Rat auch dazu beitragen, daß alle diese Erfahrungen der Teilhabe der Laien am kirchlichen Leben in tiefer Gemeinschaft mit den Bischöfen gemacht werden, die ihrerseits mit dem Stuhl Petri verbunden sind! Und würden diese Bischöfe — mit entsprechendem Weitblick und Sympathie, verbunden mit der ihrer Verantwortung innewohnenden Unterscheidungsfähigkeit und Sorge um die Gemeinschaft — die vielfältigen das Wirken der Laien kennzeichnenden Formen von Charismen und pastoralen Methoden aufnehmen, beachten und aufeinander abstimmen! 4. Was die Tätigkeit des christlichen Laien kennzeichnet, ist, daß sie mit Gott als ihrer Quelle verbunden ist, daß sie nach seinem Willen ausgerichtet ist, daß sie gemäß seinem Geist, gemäß dem Geist der Seligsprechungen, durchgeführt wird. Sie ist das mutige und verständige Werk des Menschen, und zugleich ist sie das Werk des im Menschen gegenwärtigen Heiligen Geistes. Ja, der Geist fährt fort, zu den Kirchen zu sprechen, wie ich kürzlich in der Enzyklika Dominum etvivficantem (vgl. Nr. 26) schrieb; er läßt die einzelnen Menschen und die 1434 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gemeinden das Gebet wiederentdecken (vgl. Nr. 65); er weist auf die Sünde des Menschen hin, auf die Zeichen des Todes, die die Folgen der Entfernung von Gott und seiner Leugnung sind; aber auch auf die Zeichen der Hoffnung für eine Welt, die Gott nicht zu lieben und zu retten aufhört; er gibt ihr das Leben, er flößt der Kirche seine Liebe ein. Als Mitglieder des Päpstlichen Rates für die Laien erbringt ihr zusammen mit vielen anderen das Zeugnis für dieses neue Wehen des Geistes in der Kirche, das in dem Maße eine Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils ist, wie wir seiner Inspiration, das heißt einer neuen Verwirklichung des Evangeliums, treu sind. Und da ihr im Zentrum der Kirche, ja ich könnte sagen: am Umschlagplatz aller kirchlichen Gemeinden und ihrer Laienbewegungen, arbeitet, erfahrt ihr, weit entfernt vom Lokalpatriotismus, den vielgestaltigen Reichtum der handelnden Gegenwart Gottes. Ihr empfindet tiefer die Freude und Engagiertheit einer wahrhaft „katholischen“, „universalen“ Kirche. Ihr nehmt an ihrem Weg zur Heiligkeit teil. 5. Deshalb habe ich die Wahl des Themas eurer Vollversammlung sehr zu schätzen gewußt: „Berufen zur Heiligkeit, um die Welt zu verwandeln”. Trennt diese Berufung und diesen Sendungsauftrag nicht voneinander! Die Kirche braucht heilige Laienchristen. Ja, mehr als „Reformatoren“ braucht sie Heilige, weil die Heiligen die wahren und fruchtbarsten Reformatoren sind. Jede große Emeuerungsperiode der Kirche ist mit bedeutenden Zeugnissen der Heiligkeit, mit Bewegungen der Heiligkeit verbunden. Ohne die Suche nach Heiligkeit wäre das vom Konzil geforderte ,Aggiomamento“ pures Blendwerk. 6. Aber die Überzeugung, die wir teilen und verbreiten müssen, ist, daß die Berufung zur Heiligkeit für alle Christen gilt (vgl. LG 39-42). Sie ist nicht das Vorrecht einer geistlichen Elite. Sie ist nicht die Tat einiger weniger, die Heldenmut besitzen. Noch weniger ist sie eine stille Zuflucht, die einer bestimmten Frömmigkeitsform oder bestimmten Eigenarten angepaßt ist. Sie ist eine Gnade, die allen Getauften gemäß verschiedenen Weisen und Graden zuteil wird (vgl. Eph 4,7). Sie ist weder besonderen Lebenszuständen Vorbehalten, auch wenn diese sie begünstigen, noch der Ausübung bestimmter Berufe. Der hl. Franz von Sales, den ich zu meiner Freude demnächst in Annecy ehren werde, hat auf bemerkenswerte Weise gezeigt, daß die Heiligkeit — mit der Frömmigkeit oder Gottergebenheit, die Hand in Hand mit ihr geht — die Tat von Männern und Frauen in irgendeiner Familien- oder Berufssituation sein konnte. Es gilt daher, den Laien zu helfen, daß sie — im Glauben, in der Hoffnung und in der 1435 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Liebe — alles, was ihr Leben in der Welt, in den besonderen Situationen, in die Gott sie gestellt hat, ausmacht, heiligmäßig leben. In diesem Sinne gibt es einen für die Laien charakteristischen Typ der Heiligkeit. 7. Die Laienchristen werden also versuchen müssen, die Fülle ihrer Menschlichkeit zu erreichen, die Fülle eines christlichen Humanismus, der inmitten der Denkweisen und Probleme unserer Zeit aus dem Geist Gottes lebt. Während sie sich über die Hindernisse klar sind, setzen sie mit Sicherheit auf die Heilsmacht des Kreuzes, auf das Mittragen der Prüfung der Leidenden, auf die Anstrengungen zur Verwirklichung besserer Lebensverhältnisse mit den entsprechenden Sozialstrukturen, auf das Gebet, das auf den Tag unserer endgültigen Befreiung ausgerichtet ist. Der Heilige ist der wahre Mensch, dessen Lebenszeugnis anzieht, herausfordert und mitreißt, weil es eine transparente, glückhafte menschliche Erfahrung der Gegenwart Christi, des Sohnes Gottes, offenbart, des Heiligen par excellence, „der in allem unsere menschliche Situation gelebt hat mit Ausnahme der Sünde“. Christus ist der vollkommene Mensch, und das christliche Leben versucht, in ihm wieder zu der als Ebenbild Gottes geschaffenen und um des Heiles wegen in der Vollkommenheit der Liebe neugeschaffenen integralen Gestalt des Menschen zurückzukehren. Die Heiligkeit schließt eine Erneuerung des Lebens ein, die, ausgehend von einer tiefen Vertrautheit mit Gott durch Christus im Geist, alle menschlichen Situationen, alle Lebensformen, alle Verbindlichkeiten, alle Beziehungen zu den Dingen, zu den Menschen, zu Gott durchdringt. Vergessen wir das niemals, um nicht in einen Aktivismus zu verfallen, der von seiner göttlichen Quelle abgeschnitten ist: das heißt von dem Gott, der heiligt, der dem Sünder die Augen öffnet, der die Kraft zur Umkehr verleiht und der mit Hilfe des Wirkens der Menschen, die er geheiligt hat, an die Stelle von Irrung, Ungerechtigkeit, Haß und Gewalt die Wahrheit, die Freiheit, die Hoffnung, den Frieden und die brüderliche Liebe setzt. 8. Liebe Brüder und Freunde, das ist mein Wunsch auch für euch: daß Gott euch zunehmen lasse an Heiligkeit, euch selbst, eure Familien, eure Freunde! Dann wird der Dienst, den ihr der Kirche leistet, um den christlichen Laien zu helfen und mit ihnen für die Umwandlung der Welt gemäß dem Geist des Herrn zu arbeiten, reiche Frucht bringen. Bittet darum auch Maria, die seligste Jungfrau, die Mutter Jesu und unsere Mutter, damit ihr nach ihrem Vorbild zu Jüngern werdet, auf die der Herr wartet. Jedem einzelnen Mitglied dieser Versammlung, allen, die Tag für Tag im Dienst des Päpstlichen Rates für die Laien arbeiten, erteile ich aus ganzem Herzen meinen Apostolischen Segen. 1436 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Im leidenden Menschen Christus sehen Ansprache bei der Audienz für die Nationale Italienische Bruderschaft der Barmherigkeit am 14. Juni Liebe Freunde! 1. Ich freue mich, euch herzlich zu begrüßen, Brüder und Schwestern der Italienischen Bruderschaft der Barmherzigkeit. Zugleich gebe ich meiner lebhaften Wertschätzung für die Worte Ausdruck, die Herr Kardinal Silvano Piovanelli und der Präsident eurer Nationalen Konföderation, Herr Francesco Giannelli, so freundlich an mich gerichtet und mir darin eure Vorschläge und eure Einsatzbereitschaft im Dienst am leidenden Menschen vorgelegt haben. An alle geht ein ganz herzlicher Dank auch für das Geschenk der Autoambulanz, das eine deutliche Verbundenheit mit meinem Dienst der Nächstenliebe bedeutet. Es liegt mir auch daran, euch zu versichern, daß ich im Geist noch immer die Begegnung auf dem Petersplatz anläßlich des internationalen Jubiläums der Bruderschaften gegenwärtig habe und daß ich die Arbeit schätze und ermutige, die die Bruderschaften der Barmherzigkeit seit Jahrhunderten vollbringen, indem sie dazu beitragen, die Liebe zum Fundament des menschlichen Zusammenlebens zu machen. 2. Euer Wirken inspiriert sich am Evangelium Jesu und besonders an den Werken der Barmherzigkeit, auf die der Meister und Herr hingewiesen hat, als er zu seinen Jüngern vom Endgericht sprach (vgl. Mt 25,31-46). Mit dem hochherzigen Einsatz eurer Kräfte für den Nächsten, der Solidarität und Hilfe am nötigsten braucht, wollt ihr selbst dem Barmherzigen Samariter immer ähnlicher werden, während ihr durch eure aufrichtige Selbsthingabe euch selber ganz wiederfindet (vgl. GS 24). In diesem Zusammenhang denke ich an eure Tätigkeit, die sich einerseits im Ambulanzdienst und andererseits in den Blutspendergruppen („Gruppi Fratres“) entfaltet. Außerdem weiß ich, daß ihr mit dem Zivilschutz zusammenarbeitet durch den Rettungswagendienst zum Soforteinsatz und mit der Fahrenden Funkzentrale für die Koordinierung von Rettungseinsätzen. 3. Es liegt mir daran, auch an euren im spezifischen Sinn geistlichen Dienst am Menschen zu erinnern: am einsamen, verlassenen, armen, behinderten Menschen. 1437 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN In der Enzyklika Redemptor hominis habe ich gesagt, „der Mensch ist gewissermaßen der Weg der Kirche” (Nr. 14). Ihr geht diesen Weg im Geist der Verbundenheit und Treue zum Evangelium und zur gesamten Überlieferung, wenn ihr euch aller Probleme der menschlichen Person annehmt, euch dem Menschen an die Seite stellt und ihm gegenüber das in Christus und durch Christus sichtbar gewordene „Erbarmen des Vaters“ verwirklicht. An diesem Beweggrund ist euer Dienst als christlicher Freiwilligendienst zu erkennen. Auch wenn unter vielfältigen Gesichtspunkten die Solidarität und Hilfe anderer hochherziger Bürger eurem Wirken ähnlich ist, besitzt dieses eine besondere Eigenschaft: nämlich dem Nächsten zu dienen, indem seinem Geist und seinem Herzen die Gegenwart Christi bewahrt und lebendig erhalten wird, und in jedem leidenden Menschen Christus zu sehen, der mit überzeugenden Worten lehrt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40). 4. Ich möchte jetzt eine Aufforderung aussprechen und einen Ratschlag erteilen, die die „Italienischen Bruderschaften der Barmherzigkeit“ bei ihrer cari-tativen Tätigkeit begleiten sollen. Der Pastoralplan, den die Kirche in Italien in den Jahren nach dem Konzil entwickelt hat, bietet nützliche Hinweise für eine solide und gefestigte geistliche Bildung und einen neuen Enthusiasmus der Nächstenliebe und der Liebe zum Menschen. Ich fordere euch daher zuallererst dazu auf, euch aktiv an der engagierten Glaubensverkündigung und der Katechese über die Sakramente zu beteiligen, wie es von euren Bischöfen vorgeschlagen worden ist. Das wird in euch ein Verständnis und eine Aufnahme der Gaben und der Anforderungen begünstigen, die diese wirksamen Zeichen der Gnade in sich schließen. Mit dem häufigen Empfang der Sakramente werdet ihr zu frohen Zeugen echten christlichen Lebens und werdet Unterstützung erfahren auf den Wegen, die dem Herrn des Lebens folgen, der durch euch der heutigen Welt, den Menschen dieser unserer erstaunlichen und unruhigen Zeit das wahre Antlitz Gottes, „der voll Erbarmen ist“ (Eph 2,4), enthüllt. Bei der Ausübung dieser Verantwortlichkeit arbeitet ihr mit euren Bischöfen zusammen: die Gemeinschaft mit ihnen ist die von der Vorsehung bestimmte Vorbedingung, um die vom Heiligen Geist empfangenen Gnadengaben durch ihren sicheren Einsatz zum Vorteil des Aufbaus der Kirche, der Gemeinschaft der Liebe, in der die „societas dilectionis“ (Gemeinschaft der Liebe) — die Dreifaltigkeit — erstrahlt (vgl. hl. Augustinus, De Trinitate, 4,9), zum Blühen zu bringen. Eine fürsorgliche Führung auf diesem eindrucksvollen Weg mit der Kirche habt ihr in den geistlichen Assistenten, die bei euch Correttori heißen. Nehmt 1438 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ihren priesterlichen Dienst an. Nach dem Vorbild des Guten Hirten sind sie weise Führer und umsichtige Ratgeber der ihnen vom Bischof anvertrauten Personen. 5. „Wir leben in einer Welt, die leidet: So viele Menschen, unsere Brüder und Schwestern, haben ein trauriges Erbe: Ängste und Schmerzen, die niemanden gleichgültig lassen können ... Die Erlösung öffnet uns das herrliche Buch unserer Solidarität mit dem leidenden Christus, und in Ihm führt sie uns in das Geheimnis unserer Solidarität mit den leidenden Brüdern und Schwestern ein“ (Weihnachtsansprache an das Kardinalskollegium und die Prälaten der Römischen Kurie, 23. Dezember 1982, Nr. 6: DAS, 1982,1470 f.). Und hier, meine Lieben, nun der „Ratschlag“, den ich euch anvertraue: Seid eifrige Mitarbeiter des Erlösers, der euch das Erbarmen des Vaters kundtut. Dieser beugt sich immer über euch, um euch mit seinen Wohltaten zu überschütten: er schenkt das Leben und die Kraft; er bietet uns Vergebung an und Vertraulichkeit mit ihm; er sendet seinen Sohn zu uns, von dem alle Tröstung ausgeht. Gleicht euch Christus an, dem vollkommenen Bild (imagoperfecta, vgl. Summa Theol. I, q. 35) der unendlichen Liebe, und geht wie Jesus auf den Menschen zu, vor allem wenn er schwach ist und wenn seine Würde nicht geachtet wird. Erweist euch als Förderer und Befürworter der Gesellschaft im Zeichen der Liebe, seid unermüdliche Zeugen der Zivilisation der Liebe, deren Kraft den Menschen wieder aufrichtet, ihm beisteht und ihn verwandelt, indem sie ihn an der Fülle der Erlösung teilhaben läßt. „Die Erfahrung der Vergangenheit und auch unserer Zeit lehrt, daß die Gerechtigkeit allein nicht genügt..., wenn nicht einer tieferen Kraft — der Liebe — die Möglichkeit geboten wird, das menschliche Leben in seinen verschiedenen Bereichen zu prägen“ {Dives in misericor-dia, Nr. 12). Ich bin sicher, daß ihr, erleuchtet und erhoben vom Geiste Gottes und unterstützt und getragen von der Fürbitte und dem Beispiel eurer Schutzpatrone, imstande sein werdet, weiterhin beharrlich das unentgeltliche Geschenk einer Liebe darzubringen, die die Herzen tröstet und die Wunden des Leibes lindert. Darüber hinaus bin ich überzeugt, daß ihr das ohne jede Diskriminierung tut in der Gewißheit, daß ihr das Gute, das ihr tut, vom „Vater des Erbarmens und dem Gott allen Trostes“ (2 Kor 1,3) hundertfach empfangen werdet. 6. Gerne komme ich eurer Bitte nach und segne das Kleid und den Rosenkranz für die Einkleidung der neuen Brüder und Schwestern eurer Bruderschaft. Während ich aus ganzem Herzen vom Herrn reichen Beistand an Licht und 1439 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kraft, an Freude und Frieden erflehe, der euch helfe, immer besser zu begreifen, daß nur die Liebe die Gesellschaft der Menschen aufbaut, ermuntere ich euch, eifrig zur Jungfrau Maria zu beten, die euch unter dem schönen Namen „Mutter der Barmherzigkeit“ besonders teuer ist. Sie beschütze und begleite euch bei dem hochherzigen Einsatz, das Leben des Nächsten zu teilen, indem ihr mit Einfühlungsvermögen und Unternehmungsgeist auf seine spirituellen und materiellen Bedürfnisse antwortet. Euch allen und euren Lieben erteile ich meinen Apostolischen Segen. „Der Heilige Geist wirke in euren Herzen“ Predigt bei der feierlichen Messe und Firmung am Sonntag, 15. Juni 1. „Der Heilige Geist stärke sie durch die Fülle seiner Gaben.“ Weit öffnet sich am heutigen Sonntag die Petersbasilika für Christus, der „der treue Zeuge“ (Offb 1,5) des unsichtbaren Gottes ist; Christus, der „der Gute Hirte“ (Joh 10,11) unserer Seelen ist. Weit öffnet sich am heutigen Sonntag die Petersbasilika dem Heiligen Geist, der den Aposteln zuteil wurde, damit sie wirksam Zeugnis geben von dem gekreuzigten und auferstandenen Christus. Mit Freude nimmt am heutigen Sonntag die Petersbasilika alle auf, die an dieser eucharistischen Versammlung teilnehmen, und vor allem euch Jugendliche, die ihr das heilige Sakrament der Firmung empfangen sollt. Sie nimmt euch auf, die ihr durch die Fülle der Gaben des Heiligen Geistes gestärkt und durch die Salbung mit dem Chrisam Christus ähnlich gemacht werden sollt. Ich begrüße euch mit großer Zuneigung. Ganz herzlich begrüße ich alle englischsprachigen jungen Leute, die das Sakrament der Firmung empfangen werden. Öffnet eure Herzen und Sinne heute für die Gaben des Heiligen Geistes. Der Geist, den ihr empfangt, wird euch die Kraft geben, immer Christus und dem Evangelium treu zu bleiben. 2. Wer seid ihr? Ihr seid eine neue Generation der Gefolgsleute oder Jünger Christi, die bereits die Taufe empfangen haben. Durch jenes erste Sakrament seid ihr in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen worden, und für die meisten von euch erfolgte das in den ersten Wochen eures Lebens. Eure Eltern haben euch in Begleitung der Paten zur Taufe 1440 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gebracht. Ihr lebt also schon in der heiligmachenden Gnade, in der Gnade dieses Sakraments, und euren Seelen ist das unauslöschliche und unsichtbare Zeichen der Gotteskindschaft aufgeprägt worden. Diese Gnade und dieses geistliche Zeichen, also das Wesen der Taufe, verdankt ihr Christus: seinem Tod und seiner Auferstehung. Denn durch die Taufe wurdet ihr eingetaucht in den Tod Christi, um mit ihm zum neuen Leben auferweckt zu werden, wie der hl. Apostel Paulus im Römerbrief lehrt (vgl. Rom 6,4). Vom Augenblick der Taufe an habt ihr also Anteil an diesem Leben, das in Jesus Christus ist: am Leben des Gottessohns. Und auch ihr seid durch die Taufe zu Kindern Gottes geworden, als Söhne und Töchter angenommen, zur Würde der Kindschaft in Christus, dem eingeborenen Sohn des Vaters, erhoben worden. Und da der Sohn die Fülle des trinitarischen Lebens in der Einheit mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebt, habt auch ihr die Taufe des neuen Lebens im Namen der göttlichen Dreifaltigkeit empfangen: im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Taufe ist eine Wiedergeburt des Menschen aus Wasser und Geist (vgl. Joh 3,5), darum seid ihr mit dem Wasser der Taufe eingetaucht worden in das Leben, das in Gott ist und das von Gott ist. Ihr tragt in euch das Unterpfand des ewigen Lebens. 3. Durch die Spendung des Firmsakramentes will die Kirche heute all das bekräftigen und zu seiner ganzen Fülle bringen, dessen ihr durch die Taufe teilhaftig geworden seid. In diesem Zusammenhang werden vor dem Empfang der Gabe des Heiligen Geistes die Glaubensversprechen jenes Bundes mit Gott, der für euch am Tag der Taufe geschlossen worden ist, erneuert werden. Damals waren die Worte dieses Bundes in Form der Taufversprechen von euren Eltern und Paten gesprochen worden, weil ihr oder jedenfalls.die meisten von euch noch Kinder wart. Heute ist der Tag gekommen, wo die Worte dieses Bundes — die Absage an den Geist des Bösen und das Bekenntnis des Glaubens — von euch selbst in persönlicher, reifer und überlegter Form gesprochen werden. 4. Ihr habt Zeit gehabt, in diese Wahrheiten einzudringen, die die Kirche verkündet und bekennt, in die Wahrheiten, die die Grundlage für den Bund mit Gott in Jesus Christus bilden. Diesem Ziel dient von den ersten Lebensjahren an die Erziehung in den christlichen Familien und in den Pfarreien, die die Gemeinden der Gefolgsleute und 1441 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Jünger Christi sind. Diesem Ziel dient das Gebet, mit dem wir uns an Gott wenden, der uns auf diese Weise erlaubt, sein unerforschliches Geheimnis immer mehr zu ergründen. Diesem Ziel dient eine systematische Katechese, durch die ihr — die ihr dank der Taufe ja schon Kinder Gottes seid — immer mehr zu Jüngern Jesu Christi geworden seid. Heute möchte ich zusammen mit euch euren Eltern, euren Seelsorgern und allen danken, die euch geholfen haben, die von Gott in Jesus Christus geof-fenbarte und von der Kirche verkündete Wahrheit kennenzulernen. 5. Das Sakrament, das ihr heute empfangen werdet, läßt eure Beziehung zur Wahrheit des Evangeliums wachsen, stärkt sie und bringt sie zur Reife. Und ihr, die ihr diese Wahrheit bereits kennengelernt habt, wollt in ihr gefestigt werden. Und darum wendet ihr euch — zusammen mit der Kirche — an den Geist der Wahrheit, damit der Glaube, den ihr bekennt, in euren Gedanken und Herzen bleibe und von euren Werken bestätigt werde. 6. Die Taufe ist das Sakrament des „Wassers“, das in Form der Reinigung vollzogen wird, um die Sünden zu vergeben und die Neugeborenen zu Kindern Gottes und der Kirche zu machen. Die Firmung ist das Sakrament derer, die — nachdem sie Christus kennengelernt haben — von ihm Zeugnis geben sollen, wie es die Apostel getan haben. Deshalb gehört zum Firmritus das Auflegen der Hände des Bischofs, der dieses Sakrament spendet, und die Salbung mit dem heiligen Chrisam auf die Stirn. Der Bischof bleibt durch ein besonderes Erbe, durch die apostolische Nachfolge in Amt und Dienst, mit den Aposteln verbunden. Der Bischof, umgeben von den Priestern, wird den Heiligen Geist zuerst darum bitten, daß er jeden von euch mit seinen Gaben stärke: „Gib ihnen den Geist der Weisheit und der Einsicht, des Rates, der Erkenntnis und der Stärke, den Geist der Frömmigkeit und der Gottesfurcht.“ Die Salbung mit dem heiligen Chrisam wird auf dieses Gebet folgen, mit dem der Bischof darum bittet, daß der Heilige Geist euch mit der Chrisam-Salbung ganz Christus, dem Sohn Gottes, ähnlich macht. 7. Denn der Sohn Gottes ist Mensch geworden, um allen die Fülle des Heiligen Geistes zu bringen, aus der erschöpft, um sie unaufhörlich einem jedem zu spenden. Er ist der Christus, das heißt der Messias, was „der Gesalbte“ bedeutet. Er ist der „Erstgesalbte“ — gesalbt mit dem Heiligen Geist und mit der Macht —, den der Vater gesandt hat. 1442 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Durch das Sakrament der Firmung werden wir dieses Geistes, den Christus uns gebracht hat, und dieser Macht, die in ihm ist, in besonderer Weise teilhaftig. Wenn der Bischof jedem von euch mit Chrisam das Kreuz auf die Stirn zeichnet, wird er folgende Worte sprechen: „Sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist.“ Jeder bzw. jede von euch wird antworten: „Amen“. Dann wird der Bischof zu jedem einzelnen sagen: „Der Friede sei mit dir!“ und sich so die Worte Christi nach der Auferstehung, als er den Aposteln den Heiligen Geist einhauchte, zu eigen machen: „Friede sei mit euch!“ (Joh 20,19). Eure persönliche Antwort wird lauten: „Und mit deinem Geist“. Der Heilige Geist ist die Quelle des Friedens Gottes im Menschen und zwischen den Menschen. 8. Ich lade euch alle hier Anwesenden ein, Zeugen dieses so bedeutsamen Ereignisses im Leben der christlichen Gemeinde zu sein. Vor allem bitte ich deshalb die Paten, die sich verpflichtet haben, von Anfang an jeden der Firmlinge im Laufe ihrer geistlichen Entwicklung zu begleiten. Sie sind besondere Treuhänder dieser Gabe des Geistes, die — nachdem sie zum ersten Mal in der Taufe empfangen worden ist — heute von neuem gewährt wird. Denn neu ist die Reife der Getauften, neu sind ihre Aufgaben, neu ist ihre Verantwortung in der Kirche und gegenüber der Welt. 9. Am Abend vor seinem Kreuzestod sagte Christus zu den Aposteln: „Der Geist der Wahrheit... wird Zeugnis für mich ablegen. Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen, weil ihr von Anfang an bei mir seid“ {Joh 15,26 f.). Diese Worte beziehen sich von heute an auch auf euch, liebe Firmlinge. Das Sakrament, das ihr empfangen werdet, ist Zeichen eines neuen Anfangs. In dem Bewußtsein der Kraft des Heiligen Geistes, in dem Bewußtsein des apostolischen Erbes, das sich von Generation zu Generation in der Kirche fortsetzt, könnt und dürft ihr euch weder ausschließen noch abseits stehen! Der Heilige Geist wirke in euren Herzen, so wie er in den Anfängen der Verkündigung des Evangeliums gewirkt hat. Seid euch der Gabe, die ihr empfangt, bewußt. Seid unerschütterlich im Glauben und stark in seinem Bekenntnis. Verhaltet euch nach seinen Grundsätzen! Denkt daran, daß die wahren Anbeter Gottes die sind, die ihn „im Geist und in der Wahrheit“ anbeten {Joh 4,23). Denn Gott ist Geist. 1443 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Sorge um inhaftierte Landsleute Ansprache am 18. Juni Wenn ich alle hier Anwesenden begrüße, will ich mich auf den Wortlaut eines der letzten Kommuniques der Polnischen Bischofskonferenz, die die Gefangenen betreffen, beziehen. Ich will meine Sorge um alle unsere inhaftierten Landsleute zum Ausdruck bringen, insbesondere um jene, die aufgrund ihrer Überzeugungen inhaftiert sind. Es handelt sich um Grundrechte des Menschen. Ich will euch vor allem einladen, für alle unsere gefangenen Brüder und Schwestern zu beten, an die unsere Landsleute denken, die sie nicht allein lassen, sondern sie unterstützen mit ihren Gedanken, mit ihrer Sorge, mit ihrem Gebet. Die Welt, in der wir leben, und unser Vaterland auf dieser Welt müssen menschenwürdiger werden, müssen ein wahrer Hort des Menschen werden, wo man in Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe leben kann. Und wir wünschen, daß dies in allen Nationen gelingt, besonders in der Nation, die unser Vaterland ist. „Die lebendige und tätige Person Christi suchen“ Ansprache an den Internationalen Rat des Säkularordens der Franziskaner am 19. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich freue mich, heute mit euch, den Präsidiumsmitgliedern des Internationalen Rates des Säkularordens der Franziskaner, beisammen zu sein; ihr seid in Rom zusammengekommen, um den Entwurf der neuen Konstitutionen auf der Grundlage der Anregungen und Ratschläge der Sonderkommissionen und der in der Welt verstreuten Bruderschaften eingehend zu prüfen. Diese Tage der Reflexion und des Gebets sind für euch von großer Bedeutung, weil das Studium des Entwurfs der Konstitutionen seinen grundlegenden Bezugspunkt in der Regel hat, die von meinem Vorgänger Paul VI. durch das Apostolische Schreiben Seraphicus Patriarca vom 24. Juni 1978, wenige Monate vor seinem Tod, approbiert und bestätigt wurde. Er drückte seine Freude darüber aus, daß das franziskanische Charisma auch heute noch keime und sich kräftig zum Wohl der Kirche und der menschlichen Gesellschaft entfalte, auch wenn sich Lehren bequemer Anpassung breitmachen und Tendenzen auf- 1444 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN tauchen, die die Menschen von Gott und von den übernatürlichen Wirklichkeiten fernhalten (vgl. AAS 70,1978, 454 f.). Dazu kommt, daß die nächste Bischofssynode dem Thema der Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt gewidmet sein wird. Das ist eine vorzügliche Gelegenheit, für die Franziskaner des Säkularordens, ihren Beitrag des Gebets, der Erfahrung, der Ideen und eines besonders engagierten christlichen Zeugnisses zu leisten. Denn seit mehr als siebeneinhalb Jahrhunderten seid ihr in der Kirche mit dem Versprechen gegenwärtig, sie zu lieben und ihr zu dienen, wobei ihr euch immer auf das ursprüngliche Charisma, das heißt die Lehre und das Leben des hl. Franz von Assisi bezieht. Der alte Biograph des „Poverello“ weist ganz klar auf die Gründung des sogenannten „Dritten Ordens“ hin, wenn er im Zusammenhang mit dem hl. Franz schreibt: „Durch sein Beispiel, seine Regel und seine Lehre erneuert sich die Kirche Christi in ihren Gläubigen, Männern und Frauen, und triumphiert die dreifache Heerschar der Auserwählten. Er gab allen eine Lebensregel und wies einen jeden seiner Lage gemäß auf den Weg des Heiles“ (Tommaso da Celano, XV: Fonti Francescane, Nr. 384 f.). Die ,JFioretti“ berichten von einem Edelmann namens Messer Landolfo, „der den hl. Franz sehr verehrte“ und aus seinen Händen „das Gewand des Dritten Ordens“ empfangen hatte (Fonti Francescane, Nr. 1956). 2. Im Rahmen der großen franziskanischen Familie hat der Säkularorden die Gestalt einer organischen Vereinigung von Gläubigen, die, getrieben vom Geist, um in ihrem Laienstand zur Vollkommenheit der Liebe zu gelangen, durch die Profeß sich dazu verpflichten, das Evangelium nach der Art des hl. Franziskus zu leben (vgl. Regel, Nr. 2). Grundlegendes Element eures Charismas ist die ganze und vollständige Befolgung des Evangeliums Christi: das schließt ständige und eifrige Betrachtung über die Gestalt, die Person, das Werk, die Botschaft Jesu ein, der den Mittelpunkt unseres Glaubens bildet. Darin ist der hl. Franz einer der faszinierendsten Führer in der Geschichte der christlichen Spritualität: er wollte das Evangelium sineglossa, also buchstäblich leben, indem er dessen radikalste Forderungen so sehr verwirklichte, daß er vom gekreuzigten Christus mit dem mystischen Phänomen der Stigmatisierung ausgezeichnet wurde. Den Massen der Gläubigen zu Beginn des 13. Jahrhunderts schien Franz von Assisi so etwas wie ein echter „zweiter Christus“ zu sein. Und Franziskus empfiehlt seinen geistlichen Söhnen und Töchtern, die in der Welt leben, darauf bedacht zu sein, in den Brüdern, in der Heiligen Schrift, in der Kirche und in der Liturgie immer die lebendige und tätige Person Christi zu suchen (vgl. Regel, Nr. 5); das Gebet und die Kontemplation zur Seele ihres Le- 1445 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bens und ihres Tuns zu machen, in der Nachfolge Jesu, der der wahre Anbeter des Vaters war (vgl. Regel, Nr. 8); in voller Gemeinschaft mit dem Papst, den Bischöfen und den Priestern zu leben (vgl. Regel, Nr. 6); im täglichen Leben den Geist der Seligpreisungen zu verwirklichen, indem sie im Sich-Loslösen und im Gebrauch ein richtiges Verhältnis zu den irdischen Gütern finden und das Herz von jeder Neigung zu Besitz und Habsucht reinigen (vgl. Regel, Nr. 11); unablässig eine radikale innere Wandlung, d. h. die Umkehr zu vollziehen, die im Sakrament der Versöhnung das bevorzugte Zeichen für das Erbarmen des Vaters und die Quelle aller Gnade findet (vgl. Regel, Nr. 7); alle Menschen als ein Geschenk des Herrn und als Abbild Christi zu behandeln und anzunehmen und die Wege des Friedens, der Einheit, der Liebe, der Vergebung zu suchen (vgl. Regel, Nr. 13.19). In diesem Geist beten alle franziskanischen Laienbruderschaften schon seit geraumer Zeit für das gute Gelingen des „Weltfriedenstages“, den ich für den 27. Oktober in Assisi angesetzt habe. Das zeigt, daß sich die Mitglieder des franziskanischen Säkularordens durch ihre Berufung als Überbringer des Friedens und Boten der Freude fühlen. 3. Euch, die ihr eine schwierige und große Verantwortung im Orden habt, wünsche ich eine starke innere Gemeinschaft, damit ihr erleuchtete Führer und mutige Animatoren seid und euren Brüdern und Schwestern ein klares Beispiel tiefer Liebe zum Evangelium, glühenden Glaubens an Christus, frohen Vertrauens und der Treue zur Kirche gebt. Und an alle Mitglieder des Ordens wiederhole ich die Aufforderung, die ich vor einigen Jahren an die Teilnehmer eures Internationalen Kongresses gerichtet habe: „Liebt, studiert, lebt eure Regel, weil die Werte, die sie enthält, in höchstem Maße evangelisch sind. Lebt diese Werte in Brüderlichkeit und lebt sie in der Welt, in die ihr eben durch eure Laienberufung einbezogen und in der ihr verwurzelt seid. Lebt diese evangelischen Werte in euren Familien, gebt durch Gebet, Beispiel und Erziehung den Glauben weiter und lebt die evangelischen Forderungen der gegenseitigen liebe, der Treue und der Achtung vor dem Leben” (Ansprache an den Generalrat des Säkularordens der Franziskaner, 27. September 1982, Nr. 2, DAS, 1982,1327). Mit diesen Wünschen erteile ich euch von Herzen den Apostolischen Segen. 1446 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Technisch ist heute die Ernährung der ganzen Menschheit möglich Ansprache an die Teilnehmer einer von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften veranstalteten Studienwoche am 20. Juni Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir eine Freude, heute die Teilnehmer an der von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften veranstalteten Studienwoche über das Thema „Fembeobachtung der Erde durch Satelliten und ihre Auswirkung auf Entwicklungsländer“ zu empfangen. Eine immer tiefere Kenntnis der Erde und besonders ihrer ärmsten Zonen ist der Zweck, zu dem die Päpstliche Akademie und ihr verehrter Präsident sie zum Studium dieses Themas zusammengeführt haben. 1. Die neue Technik der Fembeobachtung der Erde durch Satelliten ermöglicht es, von einem Flecken von wenigen Quadratmetern bis hin zu riesigen Ausdehnungen die ganze Erdoberfläche zu überblicken. Manche Gebiete, die Heimat von Hunderttausenden von Menschen, sind von der schrecklichen Erscheinung des Vordringens der Wüste betroffen, was Hungersnot und Seuchen zur Folge hat. Die unterschiedlichen Ursachen dieses Phänomens reichen von ungeeigneten landwirtschaftlichen Methoden bis zu klimatischen Faktoren, wie Wirbelstürme und andere atmosphärische Störungen. Mit Hilfe von Satelliten durchgeführte Aufnahmen können in Verbindung mit einem Netz von Bodenforschungsstationen ein detailliertes und exaktes Bild der Emteerträge, einschließlich ihrer Zunahme bzw. Verschlechterang, liefern und die Möglichkeit zur Anwendung technischer Mittel im Kampf gegen das Vordringen der Wüste bieten, das den Lebensraum eines hohen Prozentsatzes der Weltbevölkerung gefährdet. Mit Hilfe der Fembeobachtung ist es möglich, für viele Projekte brauchbare Ratschläge zu erteilen. Zu diesen Projekten gehören die Verbesserung der Bodenqualität, die Vorausplanung und: Steigerung der Entwicklung der Emteerträge in ihrer Quantität und Qualität, die Einführung neuer Feldfrüchte, die Verhütung der Zerstömng von Waldgebieten, die für das ökologische Gleichgewicht notwendig sind, und Maßnahmen, um sowohl schädliche wie vorteilhafte mögliche Witterungsbedingungen kennenzulemen. Durch Fembeobachtung ist es gleichfalls möglich, das Vorhandensein emeu-erbarer wie nicht erneuerbarer verborgener Energiequellen sowie erschließ- 1447 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bare Nahrungsmittel auf dem Meeresboden und in Flüssen und Seen wie auch den unter der Erde liegenden Mineralreichtum zu entdecken. Ihre Tagung hat betont, daß es möglich ist, mit Hilfe der fortschrittlichen technischen Methoden allen Völkern zu helfen, zu einer gerechteren Form einer weltweiten Koexistenz zu gelangen, so daß die Vorräte der Erde, die allen gehören, gerecht verteilt und geteilt werden können. Das steht im Einklang mit dem Willen des Schöpfers, der nach seinem Ebenbild Mann und Frau schuf und zu ihnen sagte: „... herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen!... Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen“ (Gen 1,28 f.). Die Hilfsmittel der Wissenschaft machen es bei Behebung von Fehlem und Versäumnissen der Vergangenheit und Gegenwart möglich, die ganze Menschheitsfamilie zu ernähren. Trotzdem muß man feststellen, daß es in politischen Kreisen noch an fester Entschlossenheit mangelt, von den technischen Möglichkeiten, die Sie in diesen Tagen des Studiums und des Dienstes am menschlichen Wohlergehen geprüft haben, angemessenen Gebrauch zu machen. Wir wissen, daß Fortschritt nicht das ausschließliche Privileg der wenigen Begünstigten sein darf. Wir sollten nicht die Worte Papst Pauls VI. vergessen, der gesagt hat, daß Entwicklung der neue Name für Frieden ist. 3. Es ist ein Anlaß zur Freude, daß der Abschlußbericht Ihrer vorherigen Studienwoche, die im Oktober des vorvergangenen Jahres über das Thema „Der Einfluß der Erforschung des Weltraumes auf die Menschheit“ abgehalten wurde, von den Vereinten Nationen angenommen und an alle Mitgliedsstaaten gesandt wurde. Das ist in der Tat ein Zeichen großer Hochachtung für die Bedeutung und Wichtigkeit der von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften geleisteten Arbeit. Ich spreche die Hoffnung aus, daß durch gemeinsame Übereinkünfte und Verpflichtungen alle Regierungen die friedliche Nutzung des Weltraumes für die Einigung der Menschheitsfamilie in Gerechtigkeit und Frieden fördern werden. Ich nehme diese Gelegenheit wahr, um erneut meiner Überzeugung Ausdruck zu geben, daß nationale und internationale Wirtschaftskräfte allen Völkern und jedem einzelnen dienen sollten, aber mit besonderer Bevorzugung derjenigen, deren Leben besonders bedroht ist und die Hilfe brauchen, um ihr bloßes Überleben sicherzustellen, und die Mittel, damit sie ein mit der menschlichen Würde vereinbares Leben führen können. Der Herr des Himmels und der Erde blicke freundlich auf Sie und gewähre Ihnen und Ihren Familien die Fülle seines Segens. 1448 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Bischof Meinhard und seine Nachfolger: mutige und kluge Missionare Botschaft an Monsignore Michele Maccarrone, Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften und Organisator des internationalen Kolloquiums über die Christianisierung Lettlands vor 800 Jahren Mit Freude habe ich vernommen, daß in den kommenden Tagen an der Päpstlichen Lateranuniversität ein internationales Kolloquium für Kirchengeschichte über ein Thema stattfinden wird, dessen Interesse über den streng wissenschaftlichen Bereich hinausgeht. Das Ereignis, das den Anlaß dazu bietet, ist nämlich das 800jährige Jubiläum der Bischofsweihe von Bischof Meinhard, die 1186 stattfand, welches Jahr den Beginn der Kirche in Livland-Lettland und zugleich den Beginn der Nation bezeichnet, die so Seite an Seite mit dem Namen jenes Bischofs in die Geschichte eingetreten ist: Meinhard wurde in der Tat von Papst Cölestin III. episcopus gentis Livoniae, Bischof für das Volk Livlands, genannt. Die Evangelisierung durch Meinhard war keineswegs die erste, denn Missionare aus dem Osten und aus Nordeuropa hatten, wie aus archäologischen Zeugnissen hervorgeht, bereits den Namen Christi in jenes Land gebracht. Meinhard ist jedoch die Einleitung der systematischen Evangelisierung des Gebietes zu verdanken. Er ging an „das göttliche Werk mutig“ heran (opera divina con audacia, wie es in der Livland-Chronik Heinrichs heißt, Heinrici Chronicon Livoniae, 1,3), wobei er die Vorteile, die die handelsmäßigen und politischen Gegebenheiten des Raumes boten, ausnützte, allerdings mit einer rein religiösen Zielsetzung und immer unter Anwendung friedlicher Mittel. Ich bin sicher, daß die Referate und Diskussionen, die das Kolloquium vorsieht, dazu dienen werden, mit wissenschaftlicher Strenge die verschiedenen Aspekte der Christianisierung Livlands zu vertiefen, indem sie deren Verlauf und die verschiedenen Beiträge derer, die sie gefördert haben, überprüfen: die Bischöfe, die Meinhard folgten; die Geistlichen (Domherren und Mönche), die von Anfang an deren Mitarbeiter waren; der Kreuzzug und dann die Ritter der „Militia Christi de Livonia“, die sogenannten „Schwertbrüder“ von Livland, die sich ursprünglich zur Verteidigung der jungen Christen zusammengeschlossen hatten. Es war ein harter Leidensweg, mit seinen Licht- und seinen Schattenseiten, der den Zeitgenossen freilich wie eine Blüte des Evangeliums vorkam — und es ja auch tatsächlich war —, so daß er sogar mit dem Weg der Urkirche und der Zeiten der Apostel verglichen wurde: die modema tempora (die heutigen Zeiten) paßten sich denpriora tempora (den früheren Zeiten) an, 1449 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schrieb der große Papst Innozenz III. (Brief vom 19. April 1201). Das war auch der Anlaß für eine Erneuerung der Kirche, die sich angesichts der von der Christianisierung Livlands aufgeworfenen Probleme bewußt wurde, daß ihr pasto-rales Wirken der Empfindsamkeit und den Lebensweisen der neuen Christen angepaßt werden mußte. Es war daher ein Akt der Weisheit, daß die Päpste die Ordensleute von einigen Vorschriften der jeweiligen Regeln dispensierten und eine fortschrittliche Unterweisung der neuen Gläubigen vor dem Empfang der Sakramente des christlichen Glaubens empfahlen. Die Erfahrung mit Livland nützte also der Gesamtkirche, und einige seiner Probleme wurden vom Vierten Laterankonzil (1215) aufgegriffen. Daran nahm als neues Mitglied des zu der Vollversammlung einberufenen Bischofskollegiums der Bischof von Riga, Albert, teil, der die Stimme und den Glauben der neuen christlichen Nation vor das Konzil trug, einer Nation, die mit dem Beinamen bezeichnet wurde, den sie sich erworben hatte: das Land Mariens (Heinrici Chronicon, XIX, 7). Unter dem Namen Mariens wurde die Christianisierung Livlands im 13. Jahrhundert, wenngleich unter Widerständen und entgegengesetzten Interessen, mit fruchtbaren Ergebnissen fortgesetzt, die bis heute fortdauern. Die in jener Region des Baltikums errichtete Kirche wurde in ihren apsotolischen Bemühungen immer von der Fürsorge der römischen Kirche unterstützt, die jenen Gläubigen in der Ferne, die durch das Evangelium zu Söhnen Christi geworden sind, „die Freiheit der Kinder Gottes“ und „den Schutz des hl. Petrus“ garantierte (Honorius III. am 3. Januar 1225). Während ich dem Wunsch Ausdruck gebe, daß das Kolloquium zur Vertiefung der historischen Erinnerungen die so überlegenswerten und lehrreichen Ereignisse der Kirchengeschichte dienen möge, rufe ich den göttlichen Beistand auf die Teilnehmer herab, denen ich, mit einem besonderen Gedenken an Sie und die Organisatoren, von Herzen meinen Segen erteile. Aus dem Vatikan, am 21. Juni 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. 1450 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Den edlen Auftrag eines angesehenen Instruments der Information erfüllen“ Schreiben zum 125jährigen Bestehen des „Osservatore Romano“ Herrn Prof. Mario Agnes Verantwortlicher Direktor des „Osservatore Romano“ Zum freudigen Anlaß des 125jährigen Bestehens des „Osservatore Romano“ möchte ich meinen Dank all jenen aussprechen, die fachkundig und hochherzig an seiner Redaktion mitarbeiten, wobei ich auch voll Anerkennung an die große Schar der Mitarbeiter denke, die in diesem langen Zeitraum ihre Kraft in den Dienst der Zeitung gestellt haben. Mit dem Wunsch, der „Osservatore Romano“ möge in Kontinuität mit seiner ehrenvollen Vergangenheit immer mit entschiedener Wirksamkeit den edlen Auftrag eines angesehenen Instruments der Information und der Bildung erfüllen, das sich am Dienst an der Wahrheit und an den vom Hl. Stuhl geförderten christlichen Idealen orientiert, erbitte ich reiche göttliche Gnade für die Leitung, die Redaktionsangehörigen und alle Leserinnen und Leser und erteile allen zum Zeichen meiner Wertschätzung von Herzen den Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, 21. Juni 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. Ein „Projekt Mensch“ als Ausdruck christlicher Nächstenliebe Predigt bei der Einweihung des Italienischen Solidaritätszentrums „Paul VI.“ für Drogenabhängige am 21. Juni „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Lk 9,23). 1. Diese Worte aus dem Lukasevangelium, die wir bei dieser Vörabendmesse des 12. Sonntags im Jahreskreis gehört haben, bilden den inspirierenden Leitgedanken der Botschaft, welche die Kirche an das im Zeichen des Glaubens 1451 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und der brüderlichen Gemeinschaft um den Altar versammelte Volk Gottes richten will. „Wer mein Jünger sein willDie Nachfolge Christi ist vom Kreuz gekennzeichnet: das ist der Weg, den Jesus gegangen ist, als er sich in das irdische Geschehen einbeziehen ließ, um den Menschen von der alten Knechtschaft zu erlösen und ihn von den tyrannischen Einflüsterungen des Bösen zu befreien. Das Kreuz schließt das Geheimnis von der Liebe Gottes ein, die durch das unerhörte Geheimnis des Todes und der Auferstehung das Heil wirkt. Der Prophet Sacharja, der uns in der ersten Lesung die Gestalt des „Durchbohrten“ vor Augen führt, auf den das Volk vertrauensvoll blickt, hatte bereits den Schatten des Kreuzes auf die ganze Menschheit geworfen, die weinend und klagend „den Geist des Mitleids und des Gebets“ (Sach 12,10) erwartet: Also das Kreuz, aber wesentlich verbunden mit Trost und Freude. In der zweiten Lesung hat uns der hl. Paulus die Verwirklichung dieses Heilsplanes vorgestellt: „Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus“ (Gal 3,26). In der Taufe, dem Geheimnis von Tod und Auferstehung, wird das Kreuz gefeiert, das heißt das dramatische, jedoch fruchtbringende Geschehen, das Leben zu verlieren, um es zu retten (vgl. Lk 9,24), sich zu verleugnen, um in totaler Selbsthingabe, getragen von einem Aufschwung entschlossener und treuer Liebe, einen Plan des Lebens im Geiste des Evangeliums zu verwirklichen. So wird Kreuztragen zur mutigen Herausforderung an die Widersprüche, die jeder bei sich selbst erlebt; es bedeutet Verzicht auf ein selbstkonstruiertes Lebensmodell, um Jesus nachzufolgen, ihm, der unserem gegenwärtigen und zukünftigen Leben einen vollkommenen Sinn zu geben vermag. In einer Situation wie der euren in diesem therapeutischen Zentrum heißt das Kreuz tragen auch: heraustreten aus der Isolation, aus dem Randdasein und aus dem eigenen zweideutigen und egoistischen Ich, um sich zu öffnen und sich in die große Familie der Erlösten, der Befreiten, der „auf Christus Getauften“ einzureihen, die in der Tiefe ihres Herzens die österliche Freude der Auferstehung erfahren. Bedeutet es etwa nicht Auferstehung, wenn es gelungen ist, einen Sieg davonzutragen über die Versklavung der durch die grauenhafte Droge vergifteten Sinne? Bedeutet es nicht Auferstehung, sich von den todbringenden Grenzen eines unmöglich gewordenen Lebens freimachen zu können, um sich zur Würde derer zu erheben, die „Christus als Gewand angelegt haben” {Gal 3,27)? 2. Ich habe sehr gern die von Don Mario Picchi, dem Direktor des Italienichen Solidaritätszentrums, an mich ergangene Einladung angenommen, hierherzukommen, um mit euch allen die Eucharistie zu feiern und dieses neue Aufnahmezentrum einzuweihen, wo zahlreiche hochherzige Kräfte des freiwilligen 1452 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dienstes sich schon seit Monaten im Therapieprogramm für die Rehabilitation Drogenabhängiger einsetzen. Ich begrüße die anwesenden Vertreter der Behörden, deren Mitarbeit diese neue wohltätige Einrichtung ermöglicht hat, auf die viele vom traurigen Phänomen der Droge heimgesuchte Familien mit lebhafter Hoffnung blicken. Ich bringe allen meine Anerkennung zum Ausdruck, die in diesem Zentrum der Nächstenliebe und des Dienstes moralisch und materiell die Anstrengungen unterstützen, die von der christlichen Gemeinde Roms unternommen werden, um die verschiedenen, unter dem Namen „Projekt Mensch“ bekannten Therapieprogramme voranzutreiben. 3. Ja, der Mensch! Die Kirche ruht nicht, solange der Mensch in seiner Würde, in seiner Entfaltung und in der vollkommenen Verwirklichung seiner Persönlichkeit bedroht ist. In unserer Zeit stellt die Droge eine äußerst besorgniserregende Bedrohung und ein qualvolles Drama für so viele Familien dar, die in ihren liebsten und teuersten Gefühlen von dieser Geißel getroffen werden, die ihre Opfer vor allem unter den Jugendlichen fordert, die deren verhängnisvolle Folgen nicht kennen. Paul VI., nach dem ihr dieses neue Zentrum benannt habt, äußerte sich mit leidenschaftlichen Worten über diese neue soziale Plage: „Jeder muß die lauernde Gefahr dieser Selbstbeeinflussung sehen. Es genügt, an das zu erinnern, was die Wissenschaft über die biochemische Wirkung der in den Organismus eingeführten Droge sagt. Es ist, als würde das Gehirn durch gewaltsame Schläge erschüttert: sämtliche Strukturen des psychischen Lebens zerreißen unter dem Ansturm dieser ungewöhnlichen und ungeordneten Reize“ (Insegnamenti di Paolo VI, X, 1972,1284). Von seiten der öffentlichen Instanzen, die sich um die physische, sittliche, soziale und geistige Entwicklung der Bürger bemühen, muß unbedingt die Information über diese Tragödie verstärkt werden, die sich in unserer, trotz zunehmenden materiellen Wohlstandes so unsicheren und moralisch so verarmten Gesellschaft ausweitet. Es gilt, alle Interventionen vorzubereiten, die geeignet und notwendig sind, um die Schwächsten und Wehrlosesten zu retten. Die Massenmedien, die Schulen, die humanitären Einrichtungen und vor allem die Familien müssen ein engmaschiges Vorgehen fördern, das die Aufklärung und Stärkung der schwächeren und daher der Gefahr am meisten ausgesetzten Personen zum Ziel hat. Das Herz des Menschen ist ein verwirrendes Durcheinander: da gibt es so viele Spannungen und Widersprüche. Schon der hl. Paulus hat sie im Römerbrief analysiert: „Denn ich begreife mein Handeln nicht: Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, erken- 1453 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ne ich an, daß das Gesetz gut ist. Dann aber bin nicht mehr ich es, der so handelt, sondern die in mir wohnende Sünde. Ich weiß, daß in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt; das Wollen ist in mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will... Ich stoße also auf das Gesetz, daß in mir das Böse vorhanden ist, obwohl ich das Gute tun will ... Ich unglücklicher Mensch!“ (Rom 7,15-24). Der hl. Paulus bleibt jedoch nicht bei dieser durchlit-tenen Diagnose stehen, er bietet auch eine Lösung an: Das Geheimnis des Sieges in diesem gnadenlosen Kampf liegt in der vertrauensvollen Hinwendung zum Erlöser des Menschen: „Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!... Er wird mich aus diesem dem Tod verfallenen Leib erretten“ (Rom 7, 25.24). In einer anderen Konfliktsituation zögert der hl. Paulus nicht, uns auf die ihm vom Herrn angezeigte Lösung hinzuweisen. Denn als er darüber klagte, daß ihm „ein Stachel ins Fleisch gestoßen wurde“, und um Hilfe flehte, antwortete Jesus: „Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit“ (2 Kor 12, 7.9). Ja, liebe Brüder und Schwestern, wendet euch um Hilfe an Gott. Verweigert sie keinem, der ihn anruft. Die göttliche Gnade setzt jedoch voraus und fordert die Mitarbeit der menschlichen Natur, um im Innersten des Gewissens fruchtbar wirken zu können. 4. Nicht genug kann man die großherzige und qualifizierte Anstrengung aller derer empfehlen, die sich auf diesem so schwierigen Gebiet der Heilung und Betreuung von Drogenabhängigen einsetzen. Dem Problem der Droge kann nicht nur mit der Anwendung von Medikamenten begegnet werden, denn mehr als eine körperliche Krankheit ist die Drogenabhängigkeit eine Krankheit des Geistes. Es geht hier nicht darum, ein schädliches Gift durch ein anderes weniger gefährliches zu ersetzen, sondern darum, die Qualität des Lebens selbst zu verändern; eine Aufgabe, die den engagierten Einsatz jedes einzelnen von euch fordert, als Menschen, denen es um die wahren Werte geht, die im Herzen jedes nach dem Ebenbild Gottes geschaffenen Geschöpfes wohnen. Das „Projekt Mensch“, das ihr in diesem Zentrum verwirklichen wollt, hat vor allem zum Ziel, dem Drogenabhängigen zu helfen, daß er im Rahmen einer langen und wirksamen Gemeinschaftserfahrung seine Probleme zu erkennen und sich ihnen zu stellen vermag und, wiederhergestellt, als tätige und schließlich freie Person in das soziale Leben zurückkehren kann. Dieses Programm, das aus der Zusammenarbeit zwischen ehemaligen Drogensüchtigen und Experten der Sozialwissenschaften und der Psychologie entstanden ist, legt den Hauptakzent auf die persönliche Verantwortung des Drogenkonsumenten, weil ja letztlich er es ist, der sich für den Weg dieser Erfahrungen entschieden hat, und der 1454 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN daher auch als erster sich entschließen muß, Schluß zu machen und zu akzeptieren, daß andere ihm bei seiner Wiederherstellung helfen. Er ist es, der sich hineinnehmen lassen und persönlich mittun muß, um von seinem schrecklichen Erlebnis loszukommen und zum verantwortlichen Hauptgestalter seines eigenen Geschicks zu werden. Niemand anderer wird ihm die Hand reichen können, wenn er diese Hand nicht will, nicht annimmt, nicht bereit ist, sie zu ergreifen mit der ganzen Kraft eines Ertrinkenden, der gerettet werden will. Die Atmosphäre eurer therapeutischen Gemeinschaften hilft demjenigen, der wirklich einer so unglückseligen Situation entrissen werden will: sie bietet nämlich den jungen Menschen die Möglichkeit, ihre Selbstachtung, die Kontrolle ihrer Gefühle zurückzugewinnen und sich selbst, ihren Lieben und allen, die sich um das Wohl der Gesellschaft kümmern, einen tröstlichen Beweis dafür zu bieten, daß in diesem Bereich, wie übrigens auch in anderen, der gute Wille Wunder wirken kann. Euch, den Anregern des „Projektes Mensch“, die ihr als Ausdruck christlicher Nächstenliebe und menschlicher Solidarität dieses besondere Betätigungsfeld gewählt habt, und allen, die sich direkt oder indirekt durch Studium, Gesetzesvorschläge und andere zur Bekämpfung dieser dramatischen Erscheinung bestimmte Initiativen darin engagieren, gilt meine herzliche Anerkennung für diese tatkräftige Hingabe an die Sache des Menschen, des Menschen, der leidet und darauf wartet, daß der barmherzige Samariter bei ihm vorbeikommt und seine Wunden mit dem Öl seiner geduldigen Liebe und mit dem Wein seiner hochherzigen Bereitschaft behandelt (vgl. Lk 10,33-37). 5. Nur so werden wir tatsächlich „Söhne Gottes in Jesus Christus“ sein, und in ihm werden alle Diskriminierungen und Schranken aufgehoben werden, die dem gegenseitigen Verständnis und der Solidarität hinderlich sind: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid,einer1 in Christus Jesus“ {Gal 3,28). Wenn ihr — gemäß der Ermahnung des Paulus — alle in Christus vereint seid, dann wird euer Wirken in diesem Zentrum schon bald die erhofften Früchte bringen, und die Egoismen, das Abseitsstehen, die Einsamkeit, die Konflikte und Spannungen werden verschwinden, denn Christus allein kann euch eure Wünsche voll verwirklichen lassen und euch die wahre Befreiung erlangen. Dadurch, daß er die Kreuzigung auf sich nahm, ist er zu neuem Leben auferstanden, und dieses Leben teilt er allen mit, die an ihn glauben und ihn mit der Totalität der Liebe aufnehmen. 1455 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Glaubenszeugnis in militärischer Umgebung Ansprache an die Bischöfe des zentralen Verbindungsbüros der Militärordinariate und an den Vorstand des Internationalen Militärapostolats am 21. Juni Liebe Brüder im Bischofsamt! Liebe Freunde des Internationalen Militärapostolats aus dem Laienstand! Eure gleichzeitige Anwesenheit in Rom hat zur Folge, daß ich euch zusammen empfange. Und wenn eure Verantwortlichkeiten und Handlungsmöglichkeiten verschieden sind, so haben sie doch dasselbe Ziel im Auge: den geistlichen Beistand der Soldaten. 1. Laßt mich zuerst die Laien des Internationalen Militärapostolats begrüßen und ermutigen, die in Rom eine Konferenz ihrer Bewegung abhalten. Als Offiziere, Unteroffiziere, Soldaten, die christlichen Glaubens sind, wollt ihr diesen Glauben vertiefen, in seinem Licht die schwierigen Fragen klären, vor die ihr gestellt werdet, ihn in allem, was euer Leben ausmacht, in die Tat umsetzen und davon in eurer militärischen Umgebung Zeugnis geben. Das gehört zum Wesen des Laienapostolats, das sich auf die Gnade und Verantwortung der Taufe gründet und zu dem das Zweite Vatikanische Konzil besonders ermutigt hat: ebenso zum persönlichen Apostolat wie zum Apostolat von Gruppen, die gebildet werden, um ihre Mitglieder besser zu unterstützen und ein gemeinsames Zeugnis zu geben. Ihr habt ja eure Vereinigung unmittelbar nach dem Konzil gebildet, und ich freue mich, daß sie als internationale katholische Organisation anerkannt wurde, die die Kriterien eines Apostolats der Kirche in Verbindung mit dem Hl. Stuhl erfüllt. Die jüngste Apostolische Konstitution Spirituale militum curae vom 21. April zur Neuregelung der Zuständigkeiten der Militärbischöfe stellt mit Recht klar: „Da alle Gläubigen am Aufbau des Leibes Christi mitwirken müssen, sollen der Ordinarius und sein Presbyterium dafür sorgen, daß die gläubigen Laien des Ordinariats, sowohl als einzelne wie gemeinsam, ihre Rolle wahmehmen als apostolische, aber auch missionarische Triebkraft unter den übrigen Soldaten, mit denen sie Zusammenleben“ (Nr. IX: OR, dt., 20.6.1986, 9). 2. Diejenigen, die den Dienst für ihre Länder in den Streitkräften sicherstellen, haben in der Tat besondere Lebensbedingungen, die ein angepaßtes, von ihren gläubigen Kameraden sehr genau ausgeübtes Apostolat erfordern. Das gilt für die Berufssoldaten, deren Lebensweise, Verpflichtungen und besondere Verantwortlichkeiten in Sachen Verteidigung ein spezifisches Ver- 1456 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ständnis und eine eigene pastorale Begleitung erfordern. Sie erfüllen eine Verpflichtung, die Gefahren einschließt und die einer vertieften Überlegung hinsichtlich der sittlichen Fragen bedarf, die mit ihrem Beruf Zusammenhängen und auf die ich heute nicht eingehen kann. Ja, den verantwortlichen christlichen Soldaten wird viel daran liegen, das Gewissen im Hinblick auf die großen Probleme des Dienstes am Frieden und für die Sicherheit mit Klarheit und Mut zu bilden, um die guten Entscheidungen, die von ihnen abhängen, zu treffen und dazu beizutragen, in diesem Punkt die Überzeugungen der jungen Menschen und der öffentlichen Meinung zu klären. Ebenso denke ich an alle anderen Wehrdienstpflichtigen, die für einige Zeit ihren nationalen Dienst erfüllen: dieser ist für sie gleichsam ein großer Schmelztiegel, der wegen ihrer Entwurzelung eine schicksalshafte Prüfung für ihren Glauben bzw. ihre religiöse Praxis, aber auch eine Chance, mit wahren Gläubigen zu leben, sein kann. 3. Den einen und den anderen muß geholfen werden, das wahre Antlitz Christi und seiner Kirche zu entdecken, und euer Zeugnis ist dafür grundlegend. Sie müssen Möglichkeiten zu geistig-geistlicher Erholung finden: Gebet, heilige Messe, Zeiten der Betrachtung über den Glauben und über alles, was ihre Pflicht als Soldaten darstellt, Pilgerfahrten usw.; es ist auch eure Aufgabe, solche Pilgerfahrten mit ihnen und für sie in Verbindung mit den Militärgeistlichen zu organisieren. Schließlich achtet der christliche Apostel auch auf die Erhaltung des brüderlichen Klimas, auf die aufmerksame Hilfe für alle, die in materielle und moralische Schwierigkeiten geraten. Ja, alles, was die menschlichere und gerechtere Organisation des Militärlebens oder auch die Freizeit betrifft, interessiert das Apostolat als eine konkrete Form christlicher Nächstenliebe. 4. Das setzt voraus, daß ihr selbst euch für dieses Apostolat ausbildet, indem ihr euch immer mehr mit dem Evangelium und mit der ganzen Lehre der Kirche vertraut macht und in inniger Vereinigung mit Christus im Gebet und in den Sakramenten lebt, ohne diese Vereinigung mit Christus von all dem zu trennen, was euer Leben ausmacht (vgl. A~A. 4). Während ich euch so meine lebhafte Ermunterung ausspreche, möchte ich vor allem versichern, daß ihr euren Platz in der Kirche habt, daß ihr insofern von Gott geliebt seid, als ihr eure Standespflicht gewissenhaft und in der Absicht erfüllt, schließlich einen größeren Frieden sicherzustellen. Johannes der Täufer empfing die römischen Soldaten am Jordanufer, ohne von ihnen zu verlangen, ihren Beruf aufzugeben, sondern er lud sie ein, diesen Beruf auf ehrliche Weise und ohne ungerechtes Verhalten zu erfüllen. Jesus selber war gegenüber dem 1457 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN römischen Hauptmann, der voll Vertrauen zu ihm kam, wohlwollend. Der hl. Franz von Sales unterstrich, daß ihr zu einem eurem Beruf angepaßten christlichen Leben fähig seid: „Es ist ein Irrtum — ja, geradezu eine Häresie —, das fromme Leben von der Gesellschaft der Soldaten,....der ehelichen Gemeinschaft der Verheirateten ausschließen zu wollen“; unter „frommes Leben“ verstand er die Vereinigung mit Gott als Erwiderung seiner Liebe und die christliche Inspiration des ganzen Lebens. Kurz, die Kirche gibt viel auf euer Apostolat: Seid unter euren Brüdern Licht, Salz, Sauerteig des Evangeliums! 5. Ich wende mich nun einen Augenblick euren Bischöfen zu. Die Konstitution, die am 21. Juli in Kraft treten wird, nennt sie Militärbischöfe mit einer sehr umfassenden ordentlichen und persönlichen bischöflichen Jurisdiktion. Ich begrüße euch daher voll Freude, liebe Brüder, Mitglieder des Rates des Zentralbüros der Militärbischöfe für seelsorgliche Koordinierung, die ihr aus Italien, Frankreich, Spanien, den Vereinigten Staaten, aus Chile und der Dominikanischen Republik hierher gekommen seid. Das Dokument, das ihr gemeinsam studiert, um euren Brüdern aus den verschiedenen Kirchen dabei behilflich zu sein, es richtig in die Tat umzusetzen, unterstreicht die Bedeutung, die die Kirche eurer Aufgabe beimißt. Eure in der ganzen Welt zerstreuten Gläubigen sind sehr zahlreich und haben eine entsprechende Seelsorge nötig, die wirklich die Mitte ihres Lebens trifft und ihnen einen heilsamen Kontakt mit der Kirche ermöglicht. Ich wünsche, daß ihr euch in all dem auf die eifrigen Militärgeistlichen und auf die hochherzigen Laien stützt, deren unerläßliche Aufgabe ich gerne betonen möchte. Aus ganzem Herzen erteile ich allen meinen Apostolischen Segen. An P. Wilhelm Möhler erinnert Predigt bei der Eucharistiefeier in der Kirche San Salvatore in Onda anläßlich seines Besuches im Generalat der Pallottiner am 22. Juni Ich will deinen Namen meinen Brüdern verkünden“ (Ps 22,23). 1. Diese Worte des 22. Psalms hat Jesus am Kreuz gesprochen, und als Mittler zwischen dem Menschen und Gott verkündet er sie auch heute, bei dieser Eucharistiefeier: Er hört nicht auf, den Namen Gottes zu verkünden, das heißt er 1458 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN erfüllt weiter seinen Auftrag, endgültiger Offenbarer des Vaters zu sein. Inmitten der Versammlung der Kirche, deren Haupt er ist, fährt er fort, Gott zu preisen und alle Volker, die er durch sein Blut erlöst hat, aufzufordem, Gott die Ehre zu erweisen und durch innere Bekehrung zu ihm zurückzukehren. Eine ähnliche Aufforderung und ähnliche Worte hören wir heute in dieser Kirche wie ein Echo von einem großen Jünger Jesu Christi zu uns dringen, dem hl. Vinzenz Pallotti, der sein ganzes Leben lang ein unermüdlicher Verkünder der Heilsbotschaft des Evangeliums war. Liebe Brüder und Schwestern in Christus! Euch allen hier anwesenden Mitgliedern der Ordensfamilie der Pallottiner und treuen Verehrern des hl. Vinzenz Pallotti möchte ich meine aufrichtige Freude darüber ausdrücken, daß ich hier bei euch sein und an diesem Altar, der die kostbarste Reliquie eures heiligen Gründers bewahrt, das heilige Meßopfer feiern kann. Ich besuche diesen Ort und diese Gemeinschaft, weil meine persönliche Geschichte von vielen und bedeutsamen Begegnungen mit den geistigen Söhnen des hl. Vinzenz Pallotti geprägt wurde. Meine Geburtsstadt Wadowice ist die Wiege der polnischen Pallottiner: zahlreich waren meine Kontakte zu ihnen in meiner Jugend und besonders während meines Priester- und Bischofsamtes. Aber ein ganz besonderer Grund verbindet mich mit diesem Ort und dieser Kommunität hier. Noch heute erinnere ich mich nicht ohne innere Bewegung und Dankbarkeit jenes fernen Tages im Jahr 1946, als ich als junger Priester nach Rom kam, um an den päpstlichen Hochschulen meine Studien abzuschließen, und in dieser Kommunität aufgenommen wurde. Obwohl mein Aufenthalt nicht sehr lange dauerte, reichte er doch aus, um die Atmosphäre freundlicher Brüderlichkeit, die ich hier atmen konnte, nicht mehr zu vergessen. Aber der tiefere Beweggrund meines heutigen Besuches liegt in meiner Bewunderung für die Gestalt und das Werk eures heiligen Gründers, eine Bewunderung, die sich noch verstärkte bei meinen häufigen Kontakten mit eurem berühmten Mitbruder, dem ich mich immer noch herzlich verbunden fühle: Pater Wilhelm Möhler, der viele Jahre lang Generaloberer eurer Kongregation und auch Mitglied des Päpstlichen Rates für die Laien war. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils haben wir gemeinsam an der Abfassung des Dekrets über das Laienapostolat, Apostolicam actuositatem, gearbeitet, in welchem die Gültigkeit der von Vinzenz Pallotti bereits im vorigen Jahrhundert erkannten und verkündeten Idee des katholischen Apostolats feierlich bestätigt wird. Mein Besuch will daher ein Akt dankbarer Anerkennung für euren Gründer sein, diesen heiligen römischen Priester, von dem mein unvergeßlicher Vor- 1459 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gänger Johannes XXIII. sagte: „Ein Weiser von außergewöhnlicher Heiligkeit, der zu seiner Zeit der Aufgabe, die ihm aus der Zugehörigkeit zum Klerus der ersten Diözese der katholischen Welt erwuchs, Ehre gemacht hat,...ein unermüdlicher Apostel und Gewissensführer, der heilige Begeisterung zu wecken wußte, großartig in seinen vielfältigen Unternehmungen“ (Discorsi Messaggi Colloqui, V, 1962-1963, 86.90). 2. Um ihm Ehre zu erweisen, will ich zusammen mit euch, liebe Brüder und Schwestern, über den Ursprung und die treibende Kraft seines Charismas nachdenken. Vinzenz Pallotti sehnte sich danach, in ständiger und immer innigerer Gemeinschaft mit Christus zu leben, so sehr, daß er völlig in ihn verwandelt werden wollte. Immer wieder pflegte er dieses Gebet zu wiederholen, das uns seine Herzensgröße als Christ und als Priester ahnen läßt: „Möge mein eigenes Leben zerstört werden, damit das Leben Jesu Christi mein Leben sei“ (Vincenzo Pallotti, Opere Complete, X, 158 ff.; passim). In seinem dauernden Kontakt mit dem Herrn durch das ständige Gebet, das kontemplative Hören des Gotteswortes, die erbauende Feier der Eucharistie und des Sakraments der Wiederversöhnung wurde er eines Sinnes mit Christus, dessen tiefstes Verlangen es war, alle Menschen zu retten und zum Vater zurückzuführen. Im priesterlichen Herzen des Vinzenz Pallotti schlug das Herz Jesu, des Guten Hirten, der das verirrte Schaf sucht. Durch seine Versenkung in die Betrachtung des Gebots der Liebe zu Gott und zum Nächsten begriff Vinzenz Pallotti, daß es unmöglich wäre, Gott zu lieben, ohne den Nächsten zu lieben, ebenso wie man den Nächsten nicht wahrhaftig lieben könne, ohne sich für sein ewiges Heil einzusetzen. Und so öffnete er sich dieser Gottesliebe, die durch den Heiligen Geist in unser Herz ausgegossen ist, und, angespornt von der Liebe Christi, war er ununterbrochen für das ewige Heil der Menschen tätig. Aus der heilbringenden Liebe Christi erwächst daher das katholische Apostolat. Vinzenz Pallotti war unermüdlich am Werk, um den Glauben zu erneuern und die Liebe unter den Katholiken neu zu entzünden und sie so zu Aposteln Christi, zu hochherzigen Zeugen des Glaubens und der echten Hingabe an die Brüder, besonders an die Armen und Leidenden, zu machen. Er brachte die Botschaft aus dem Buch des Jesaja über die wahre Gottesverehrung, (vgl. Jes. 58,7 f. 10 f.), die wir in der ersten Lesung gehört haben, zum Leben und vervielfältigte die Initiativen, damit die Christen es lernten, im verlassenen und schwachen Bruder das leidende Antlitz Jesu zu sehen. Zugleich war er davon überzeugt, daß die Liebe zu Gott, die über allen Charismen steht, zur Grundlage der Hingabe an die Brüder werden müsse. In diesem Sinne konnte er mit dem hl. Paulus wiederholen: „Und wenn ich meine ganze Habe 1460 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN verschenkte, und wenn ich meinen Leib dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts“ (1 Kor 13,3): so die kraftvollen Worte des „Hohenliedes der Liebe“, die uns die Wortliturgie zur Betrachtung vorgelegt hat. 3. Vinzenz Pallotti war zutiefst davon überzeugt, daß es ohne das Wirken des Heiligen Geistes kein echtes Apostolat in der Kirche geben kann. Das sah er mit aller Klarheit an Jesus Christus, der unter dem Antrieb des Geistes sein Apostolat, das Heilswerk vollbringt (vgl. Lk 4,18). Das sah er auch in Maria, die, dem Heiligen Geist sich öffnend und sich ihm überlassend, nicht nur die Mutter des Apostels des Vaters, sondern auch die Mutter der Jünger Christi wird. Das sah er ferner an der Gemeinschaft im Abendmahlssaal, der Gemeinschaft, die, dem letzten Wunsch Jesu gehorchend, in Erwartung des Geistes im Gebet verharrt. Ihr wißt gut, welch einen Sinn und Wert der hl. Vinzenz Pallotti dem Abendmahlssaal beimaß. Als er noch nicht Priester war, faßte er den Vorsatz, immer mit Maria und mit allen Geschöpfen im Abendmahlssaal zu bleiben, um die Fülle des Heiligen Geistes zu empfangen (vgl. Vincenzo Pallotti, Opere Com-plete, X, 86 f.). Als er nicht ohne Ungewißheiten, Unverständnis und Prüfungen die Grundlagen zu seinem Werk legte, entdeckte er in der vom Heiligen Geist durchdrungenen Gemeinschaft des Abendmahlssaales das wahre Wesen und Ideal seiner eigenen Gründung. Hier ein Abschnitt aus seinem Testament: „Nachdem ich die Regeln der „Pia Casa di Caritä“ niedergeschrieben hatte und am Leben der Seligsten Jungfrau ablas, wie sich die Apostel nach dem Kommen des Heiligen Geistes anschickten, das heilige Evangelium in den verschiedenen Gegenden der Welt zu verkünden, legte mir unser Herr, Jesus Christus, die wahre Idee vom Wesen und Werk unserer Gemeinschaft in den Sinn, deren allgemeines Ziel die Zunahme, die Verteidigung und die Verkündigung der Frömmigkeit und des katholischen Glaubens sein sollte“ (Vincenzo Pallotti, Opere Complete, III, 27). Euer heiliger Gründer hat an sich selbst das Beispiel eines Menschen geboten, der sich dem Geist öffnet, ihn hochherzig aufnimmt und sich von diesem Geist antreiben läßt, der die Seele der Kirche und damit die Quelle des Lebens und der Kraft jedes Apostolats ist. Er hat das glühende Verlangen nach der Rettung der Seelen gespürt. Oft meditierte er über die Stelle des Evangeliums, die von der „Sendung der Apostel“ spricht — wir haben sie gehört —, und wollte auf die dringende Aufforderung Jesu antworten: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter, Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ {Lk 10,2). Vinzenz Pallotti hat viel gebetet und viel getan, damit Gott in der Kirche zahlreiche, heilige Berufe wecke und viele junge Menschen mit Enthusiasmus und Großherzigkeit den Anruf Jesu annehmen, hinzugehen und der Welt zu verkünden: „Das Reich Gottes ist ...nahe.“ {Lk 10,9). 1461 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Ich möchte mich noch bei einem anderen wichtigen Aspekt des Lebens und apostolischen Wirkens des hl. Vinzenz Pallotti aufhalten, nämlich seiner kindlichen zartfühlenden und leidenschaftlichen Verehrung für die Jungfrau Maria. Als großer Verehrer der Gottesmutter hatte er das Verlangen, sie, wenn das möglich wäre, unendlich zu lieben (vgl. Opere Complete, X, 538 f.), ihr die schönsten Beinamen zu geben (ebd., 156 f.), sie zu lieben mit der Liebe des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes (ebd., 677). Er wollte, daß seine Gründung wie ein Huldigungsakt an die hl. Jungfrau sei, die er — unter dem Namen „Königin der Apostel“ — zur himmlischen Patronin des Werkes wählte, auf daß sie von Gott alle notwendigen Gaben erlange, damit das katholische Apostolat in der Kirche Bestand habe und fruchtbar sei und sich rasch in der ganzen Welt verbreite, aber besonders damit „alle, Laien, Weltgeistliche und Priester jedes Ordens, Ranges und Standes in der Allerseligsten Jungfrau Maria nach Jesus Christus das vollkommenste Vorbild des wahren katholischen Eifers und der vollkommenen Liebe haben sollten. Sie setzte sich ja so für die Werke zur größeren Ehre Gottes und des Heiles der Seelen ein, daß sie, auch wenn ihr nicht das Priesteramt anvertraut worden ist, doch dem Verdienst nach die Apostel übertraf, und sie hat es verdient, weil sie in hohem Maße über die Apostel hinaus an der Verkündigung des heiligen Glaubens mitgewirkt hat“ (Opere Complete, I, 6 f.). Folgt also getreu und hochherzig dem Beispiel eures heiligen Gründers und liebt Maria, verherrlicht Maria, ruft Maria an, ahmt Maria nach! 5. Die heutige Begegnung darf sich nicht in einer bloßen Erinnerung an die Vergangenheit erschöpfen, sondern soll uns dazu anspornen, über die Gegenwart nachzudenken und uns in die Zukunft hineinzuversetzen. Die Liebe Christi gebe uns den Anstoß dazu, unermüdlich dafür zu arbeiten, daß die Kirche tatsächlich das Licht der Welt und das Salz der Erde oder, wie das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, „das allumfassende Heilssakrament“ sei (LG 48). Wenn auch der Gedanke, daß alle Getauften das Recht und die Pflicht zum Apostolat haben, ein Recht und eine Pflicht, die sich auf ihr „Christsein“ gründen (vgl: AA 3); wenn auch der Gedanke des katholischen Apostolats nicht mehr Bestürzung und Widerstände auslöst wie im vergangenen Jahrhundert, so ist doch seine wirksame Ausübung in der Kirche noch nicht von der Art, wie man sie sich, besonders nach den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils, mit guten Gründen erwarten könnte. Ich möchte euch heute darum wiederholen, was ich zu den Mitgliedern eures Generalkapitels gesagt habe: „Ich freue mich sehr über dieses Engagement, das ihr in Angriff nehmen wollt, um immer hochherziger und im Geist eures ehrwürdigen Stifters auf die Nöte der Kirche zu antworten...um jene Form des 1462 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Apostolats neu zu beleben, das die Laien an dem Werk der Evangelisierung und Heiligung teilnehmen läßt, das die ganze Kirche, in ihrem Haupt und ihren Gliedern, in der Welt von heute und morgen zu erfüllen berufen ist“ (Ansprache an das Generalkapitel der Pallottiner, 17. November 1983, Nr. 3: DAS, 1983,1204 f.). Vervielfacht weiterhin euren Einsatz, damit das, was Vinzenz Pallotti in prophetischer Weise verkündete und das Zweite Vatikanische Konzil glaubwürdig bestätigte, zu einer glücklichen Realität wird und alle Christen echte Apostel Christi in Kirche und Welt sind! Amen. Vielfältiges Wirken belgischer Landsleute in Rom Ansprache an die belgische Gemeinde von Rom in der Kirche San Giuliano dei Fiamminghi am 22. Juni 1. Gelobt sei Jesus Christus! Ich danke der Vorsehung, die mir hier, im Herzen der Ewigen Stadt und in der belgischen Nationalkirche, das Zusammentreffen mit den Vertretern der belgischen Kolonie in Rom erlaubt, nachdem ich ihrem Land vor etwas mehr als einem Jahr einen unvergeßlichen Besuch habe abstatten dürfen. Ich danke Seiner Exzellenz, dem Herrn Botschafter, der mich schon vor langer Zeit ersucht hat, diese königliche Stiftung San Giuliano dei Fiamminghi zu besuchen. Ich danke dem Herrn Rektor, der mich so herzlich in seiner Kirche empfängt und uns soeben die Geschichte, die Bedeutung und die Aktivitäten dieses kirchlichen und kulturellen Zentrums vor Augen gestellt hat. Ich begrüße die belgischen Persönlichkeiten aus dem kirchlichen Bereich in Rom und alle anderen Teilnehmer, die zu dieser familiären Begegnung zwischen dem Bischof von Rom und der belgischen Gemeinde dieser Stadt gekommen sind. 2. Von hier aus gehen meine Gedanken zu eurem Land, zu allen euren Landsleuten, zu denen, die in Belgien leben, und zu denen, die ihre Tätigkeit oder ihre Mission über die Welt verstreut haben. Ebenso gehen meine Gedanken zu 1463 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN eurem Herrscherpaar, Ihren Majestäten König Baudouin und Königin Fabiola, die mit Würde, Weisheit und Einfachheit die Geschicke des belgischen Volkes lenken und die notwendige Harmonie und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen kulturellen Sprachgruppen der Nation aufrechterhalten, die in ihrer gegenseitigen Ergänzung den Reichtum eures Volkes ausmachen. Beim Besuch dieser Stiftung der Belgier in Rom mit Erinnerungen und Spuren, die sich über nahezu 900 Jahre erstrecken, denke ich an die reiche und bewegte Geschichte eurer Heimat. In die Geschichte von Königreichen und Kaiserreichen verwickelt, hat sie sich ihre Eigenart, ihren Sinn für Freiheit und ihren Unternehmungsgeist bewahrt, ihre Kulturen und Künste entfaltet und Zeugnis gegeben von ihrem tiefen religiösen Glauben und ihrer steten Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri. Die diplomatischen Beziehungen Belgiens zum Hl. Stuhl gehen auf das Jahr 1842 zurück, also beinahe auf den Zeitpunkt der vollen Unabhängigkeit des Landes. Das moderne Belgien hat immer wieder Verbindungen zu anderen Ländern hergestellt: zu den Ländern Europas, wo es im Zentrum der Arbeit der Europäischen Gemeinschaft einen besonderen Platz einnimmt, aber auch zu weiter entfernten Ländern, deren Gebiete es, besonders in Afrika, mit großer Beharrlichkeit erforscht hat, so daß man seine prägenden Spuren in der Kultur, im Glauben und in der Entwicklung einer Reihe von Völkern anderer Kontinente wiederfinden kann. Ich denke insbesondere an die Missionare, die seit einigen Jahrhunderten ein mutiges und wirksames Evangelisierungswerk vollbracht haben und es weiterhin erfüllen, das den Aufschwung der jungen Kirche vorbereitet hat. Die berühmte Universität von Löwen in Belgien selbst, deren Platz jetzt die Universitäten von Leuven und Louvain-la-Neuve einnehmen, hatte eine große Ausstrahlungskraft in eurem ganzen Land, in Europa und in der Weltkirche. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils haben die belgischen Bischöfe und Sachverständigen eine herausragende Rolle gespielt, und in der Römischen Kurie haben mehrere Persönlichkeiten der Kirche — Kardinäle, Bischöfe, Priester — wichtige Ämter im Dienst der Universalkirche inne.Ich selbst muß noch mit Dankbarkeit an das Päpstliche Belgische Kolleg in Rom zurückdenken, wo ich während eines Teiles meiner Studien glücklicher Gast gewesen bin. (Der Papst fuhr auf französisch fort). 3. Diese Geschichte, diese aktive Präsenz, dieses vielfältige Wirken von Belgiern in der Gemeinschaft der Menschen und in der Kirche — um so bemerkenswerter, da dies von einem Land eher bescheidener territorialer Größe ausgeht — sollen vor allem Anlaß zu einer Danksagung an den Herrn sein, der die 1464 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN mutige Entschlossenheit und die Fähigkeiten eurer Landsleute geweckt und auf den Dienst an den anderen hin ausgerichtet hat. Aber diese Fähigkeiten, die Gott euch geschenkt hat, bringen auch Forderungen mit sich; sie rufen auf zu einer größeren Verantwortung, zu neuem Bemühen um Heiligkeit. Die belgischen Gläubigen sind immerzu aufgefordert, zu ihren christlichen Wurzeln zurückzufinden, die empfangenen Gnaden fruchtbar werden zu lassen, sich großzügig den Ärmeren zuzuwenden, im Gesamtrahmen der Kirche auch die Reichtümer und Qualitäten anderer Völker mit Wohlwollen und Zuversicht zu betrachten. Desgleichen müssen sie die Versuchungen überwinden, die die moderne Welt auslöst, die Versuchungen zu religiöser Gleichgültigkeit, zum Aufgehen im technischen Fortschritt, zu einer bestimmten Art von Säkularisierung und Laizismus, die den Glauben daran hindert, das Leben zu prägen, die unter dem Vorwand, die anderen nicht stören zu wollen, das Zeugnis lähmt und die Gewißheiten des Glaubens in Zweifel zieht. Gott sei Dank bin ich bei den großen Versammlungen der Gläubigen, die ich während meines Pastoralbesuches in Brüssel, Mecheln, Antwerpen, Ypern, Gent, Leuven, Beauraing, Namur, Lüttich, Louvain-la-Neuve, Banneux erleben durfte, im allgemeinen Zeuge eines frommen, von seinem Glauben begeisterten Volkes gewesen, das diesen Glauben in würdiger Weise feiert und in seinem Einsatz anspruchsvoll ist. Doch die belgischen Bischöfe, deren Klarheit und pastorale Sorge ich schätze, haben nicht versäumt, die Notwendigkeit einer Neu-Evangelisierung zu unterstreichen, die es vor allem unter Mitwirkung gut ausgebildeter Katecheten ermöglicht, den Glauben zu vertiefen, die sittlichen Forderungen des christlichen Lebens besser anzunehmen, die Familienbande zu festigen, treuer an der sonntäglichen Eucharistiefeier und am Bußsakrament festzuhalten und wieder einen missionarischen Geist zu beleben. Das sind die Anliegen, die wir in unserem heutigen Gebet dem Herrn anvertrauen wollen, damit unsere Brüder und Schwestern in Belgien mit dem Licht und der Kraft des Heiligen Geistes sich nicht scheuen, weiter am Leben der Kirche, die auf sie setzt, teilzunehmen. Das Evangelium dieses zwölften Sonntags zeigt uns das wunderbare Glaubensbekenntnis des Petrus und die Aufforderung zum Verzicht, die Christus an uns richtet. Das ist die geistige Kraft, um die wir Gott für eure Landsleute und insbesondere für die junge Generation bitten müssen! 4. Schließlich spreche ich vor Gott für euch, liebe Freunde, folgende herzliche Wünsche aus: — daß ihr dem Besten eurer Traditionen treu bleiben mögt; — daß Gott alle inspirieren möge, die mit dieser königlich-belgischen Stiftung 1465 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Saint-Julien des Flamands und mit dieser Kirche betraut sind, besonders den Rektor und den Verwaltungsrat in Verbindung mit der Botschaft beim Hl. Stuhl; — daß diese Einrichtung weiter die Pilger eures Landes und diejenigen aufnehmen möge, die bedürftig sind, wie es dem Geist eures Schutzpatrons, des hl. Julius aus dem Hospitaliterorden entspricht; — daß die Mitglieder der belgischen Gemeinde in Rom dank der ihnen zur Verfügung stehenden kulturellen Möglichkeiten die Geschichte, die Kunst und alles, was die Ewige Stadt vermittelt, besser kennenlemen mögen; — daß sie hier ein Zentrum der Brüderlichkeit und einen Ort geistiger Erholung zu seelischer Erneuerung finden mögen; — daß sie auch ihre italienischen Brüder und die Brüder aus anderen Nationen entdecken und schätzen lernen und ihren Anteil des Dienstes beitragen mögen; — daß sie sich im Kontakt mit dem Papst, mit den Einrichtungen des Hl. Stuhles und mit den Pilgern jedes Landes den Freuden, Prüfungen und Bedürfnissen der Gesamtkirche öffnen mögen. Meine besten Wünsche allen Bewohnern dieses Hauses. Ja, aus ganzem Herzen bete ich für euch und segne euch und eure Familien. Der Papst zählt auch auf euer Gebet und auf die Unterstützung, die ihr seiner apostolischen Sendung und dem Zeugnis der Diözese Rom zuteil werden laßt. Eine tausendjährige christliche Tradition Ansprache an den neuen Botschafter des Königreichs Dänemark beim Hl. Stuhl, Troels Munk, anläßlich der Übergabe seines Beglaubigungsschreibens am 23. Juni Herr Botschafter! Mit großer Freude heiße ich Sie im Vatikan willkommen und nehme gerne das Beglaubigungsschreiben entgegen, durch das Sie zum Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafter des Königreichs Dänemark beim Hl. Stuhl ernannt werden. Ich danke für die Grüße, die Sie mir von Ihrer Majestät Königin Margrethe überbracht haben, und bitte Sie, Ihrer Majestät die Versicherung meiner Wertschätzung und Hochachtung übermitteln zu wollen. Sie sind der zweite Botschafter, der Ihr Land seit der Wiederherstellung diplomatischer Beziehungen zwischen dem Königreich Dänemark und dem Hl. 1466 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Stuhl nach einer langen Periode ohne offizielle und direkte Kontakte vertritt. Ihre heutige Anwesenheit hier spricht von der festen Entschlossenheit beider Seiten, die ausgezeichneten Beziehungen, deren wir uns jetzt erfreuen, aufrechtzuerhalten und weiter zu entwickeln. Ich stelle mit Freude fest, daß Sie, Herr Botschafter, in Ihrer Rede auf einige wichtige Bereiche Bezug nahmen, an welchen Ihr Land und der Hl. Stuhl ein gemeinsames Interesse und den gemeinsamen Wunsch haben, bei der Suche nach angemessenen Lösungen zusammenzuarbeiten. Zu diesen großen Problemen gehören die dringende Notwendigkeit der Arbeit für den Frieden, die Verteidigung der Menschenrechte, die Förderung der fundamentalen Freiheiten, das Anliegen der Gerechtigkeit auf jeder Ebene der Beziehungen zwischen Menschen und zwischen Nationen oder Gruppen von Nationen. Sie haben auch auf die lebenswichtige Aufgabe hingewiesen, die Hungernden zu speisen und eine entsprechende Entwicklung in Gebieten zu fördern, die noch unter unerträglicher Not zu leiden haben. Der Hl. Stuhl schätzt die Bereitschaft Ihrer Regierung und Ihrer Bevölkerung, auf die Bedürfnisse von weniger entwickelten Nationen einzugehen, sehr hoch. Darin beweisen Sie ein Einfühlungsvermögen und eine humanitäre Einstellung, die Ihnen Ehre macht und im Einklang steht mit der tausendjährigen christlichen Tradition Dänemarks. In der diesjährigen Botschaft zum Weltfriedenstag suchte ich die Tatsache zu unterstreichen, daß in der gegenwärtigen Weltlage und angesichts ernster, den Frieden bedrohender Gefahren, die für das politische und soziale Leben verantwortlichen Führer das Gemeinwohl der ganzen Völkerfamilie ebenso wie das besondere Wohl eines bestimmten Landes im Auge haben müssen (vgl. Nr. 4). Nur wenn wir die Welt mit einem geschärften Sinn für Realismus und mit dem aufrichtigen Wunsch betrachten, den berechtigten Bestrebungen der Völker nach Freiheit, Menschenwürde und einem gerechten Anteil an den Gütern der Welt Genüge zu leisten, können bestehende Spannungen und Ungerechtigkeiten behoben werden. Da und dort „wächst das Bewußtsein dafür, daß Aussöhnung, Gerechtigkeit und Friede zwischen einzelnen und zwischen Nationen — angesichts der Entwicklungsstufe, die die Menschheit erreicht hat, und der äußerst schweren Bedrohungen, die über ihrer Zukunft liegen — nicht bloß ein ehrenwerter Appell für einige Idealisten ist, sondern eine Bedingung für das Überleben des Lebens selbst“ (Botschaft zum 19. Weltfriedenstag, 1. Jan. 1986, Nr. 4 OR, dt, 20.12.1985,6). Die öffentliche Meinung ist mitunter erschüttert, feststellen zu müssen, daß Ereignisse, die sich an einem Ort oder in einem Land zutragen, über die politischen Grenzen hinausreichen und zur Angelegenheit der gesamten Menschheitsfamilie werden. Manche politischen Maßnahmen sind solcher Art, daß 1467 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ihre Wirkungen über die jetzige Generation hinausgehen und für noch viele kommende Generationen fortdauern werden. Das alles weist auf die Notwendigkeit eines scharfen Verantwortungsgefühls und eines gesteigerten Empfindens für die ethischen Konsequenzen staatlicher politischer Maßnahmen und Entscheidungen hin. In jener Botschaft betonte ich, daß „jegliches neue internationale Ordnungssystem, das fähig sein will, das Blockdenken und die gegensätzlichen Kräfte zu überwinden, sich auf die persönliche Entschlossenheit eines jeden stützen muß, die grundlegenden und vorrangigen Bedürfnisse der Menschen zum ersten Gebot internationaler Politik zu machen“ (ebd., Nr. 4,). Was gefordert wird, ist eine neue Gesinnung, die sich radikal von dem eigennützigen Interesse unterscheidet, das in den Beziehungen zwischen den Nationen oft maßgebend ist. Es bedarf eines lebhaften Gefühls der Brüderlichkeit und Solidarität auf jeder Ebene der menschlichen Beziehungen und des politischen Engagements. Trennende Schranken müssen beseitigt und durch Vertrauen ersetzt werden, das sich auf Aufrichtigkeit und den Willen zur Zusammenarbeit für das allgemeine Wohl aller stützt. Der Hl. Stuhl sucht die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung und der verschiedenen internationalen Stellen, die für die Stabilität und den Fortschritt der Völker tätig sind, besonders auf die kulturellen, sittlichen und moralischen Werte in den menschlichen Angelegenheiten zu lenken. In dieser Hinsicht begrüße ich aufrichtig Ihren Hinweis auf Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zwischen Dänemark und dem Hl. Stuhl im Rahmen internationaler Organisationen und humanitärer Einrichtungen. In bezug auf einen anderen Themenbereich wissen Sie, Herr Botschafter, daß die katholische Kirche als ganze unwiderruflich zu der Aufgabe verpflichtet ist, die Wiederherstellung der Einheit unter allen Christen durch die ökumenische Bewegung zu fördern. Die Zahl der Katholiken in Dänemark ist klein, doch sie leben in einem engen Verhältnis der Eintracht und des Dialogs mit den Mitgliedern anderer religiöser Überlieferungen, insbesondere mit den Mitgliedern der Lutherischen Kirche, welcher die Mehrheit der Bevölkerung angehört. Es ist unsere Hoffnung, daß dieses bevorzugte Forum des Dialogs auch dazu beitragen wird, das Klima des gegenseitigen Verständnisses und der Offenheit zu stärken, in welchem sich die Kirchen zu immer größerer Zusammenarbeit gedrängt fühlen bei der Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. In Liebe denke ich an die „kleine Herde“ der dänischen Katholiken und spreche den Mitgliedern der anderen christlichen Konfessionen von Herzen meinen guten Willen und meine Wertschätzung aus. Möge der ökumenische Weg, den wir zusammen begonnen haben, recht bald zu unserer Begegnung in der vollen Einheit des Glaubens in Christus Jesus führen. 1468 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Herr Botschafter, ich versichere Sie meines Gebets und meiner besten Wünsche für eine glückliche Erfüllung Ihres hohen Auftrags im Interesse Ihres Landes, und von Herzen rufe ich Gottes Segen auf Ihre Majestät die Königin und auf alle Ihre Mitbürger herab. Aus dem Vatikan, am 23. Juni 1986 Kirchliche Gemeinschaft Schreiben an den Patriarchen von Alexandrien, Stephanos II. Ghattas, vom 23. Juni An seine Seligkeit Stephanos II. Ghattas C.M. Patriarch der Kopten von Alexandrien Mit großer Freude habe ich die von ganz tiefem Vertrauen in den Herrn geprägte Botschaft erhalten, mit der Sie mir Ihre Wahl mitteilen. Gleichzeitig mit der Übermittlung meiner brüderlichen Glückwünsche an Eure Seligkeit komme ich gern Ihrer Bitte um kirchliche Gemeinschaft nach. Ich möchte Ihnen überdies mitteilen, daß Sie — in Erwartung der Überreichung des Palliums — von jetzt an alle mit Ihrem Amt verbundenen Handlungen vollziehen können. Ich vertraue darauf, daß Eure Seligkeit zusammen mit unseren Brüdern, den Vätern der Patriarchalsynode, die Ihrer Sorge anvertraute Kirche mit Sicherheit auf dem bereits eingeschlagenen Weg einer fruchtbaren und weisen Erneuerung zu führen wissen werden. Während ich den Herrn und Maria, die allerseligste Muttergottes, bitte, Eure Seligkeit und Ihr Amt mit Gnaden und Schutz überreich zu bedenken, sende ich Ihnen sowie allen koptischen Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Laien sowie allen Katholiken Ägyptens meinen herzlichen Apostolischen Segen. Vatikan, den 23. Juni 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. 1469 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Viele unvergeßliche Bekenner des Glaubens Predigt anläßlich der 800-Jahr-Feier der Christianisierung Lettlands am 26. Juni 1. „Darum geht zu allen Völkern...und lehrt sie...“(Mt 28,19). Die feierlichen Worte, mit denen Christus, im Begriff zum Vater zurückzukehren, die Apostel in die Welt entsendet, erklingen heute in dieser liturgischen Versammlung mit Akzenten von einzigartiger Aktualität. Denn wir haben uns hier am Grab des Apostels Petrus eingefunden, um die 800 Jahre der Evangelisierung jener edlen und alten europäischen Nation, nämlich Lettlands, zu feiern. Eben im Gehorsam gegenüber dem Gebot Christi, „zu den Völkern zu gehen und sie zu lehren“, hat sich der Chorherr Meinhard vor 800 Jahren in euer Land begeben, um das Evangelium dorthin zu bringen und die Kirche zu gründen. Liebe Brüder und Schwestern, im Gedenken an jenes entscheidende Ereignis, das in der nachfolgenden Geschichte eurer Nation von so großer Bedeutung war, seid ihr aus vielen Teilen der Welt hier zusammengekommen. Jeder von euch fühlt sich nämlich, obwohl fern der Heimat, im tiefsten Herzen mit der Geschichte seiner Vorfahren verbunden und spürt, wenn er in Gedanken zu ihnen zurückkehrt, in sich den Stolz auf seine Zugehörigkeit zu einem Volk wachsen, das seit so vielen Jahrhunderten und mit so bewundernswürdigem Mut die Verpflichtung zum christlichen Zeugnis lebt. Ich begrüße mit Freude euch, die ihr bei diesem feierlichen Gottesdienst hier anwesend seid, und indem ich mich in Gedanken zu euren Landsleuten in der Heimat begebe, grüße ich die Kirchen von Riga und Liepaja mit ihrem Apostolischen Administrator, dem ehrwürdigen Bruder Kardinal Julijans Vaivods, dem ich die herzlichsten Wünsche für Gesundheit und Wohlergehen sende. Mein Gruß gilt weiter den Vertretern der europäischen Bischöfe, die an dieser Feier teilnehmen wollten, um die Gefühle brüderlicher Solidarität der Kirchen des Kontinents gegenüber dieser ihrer Schwester, im christlichen Europa zum Ausdruck zu bringen. Einen besonderen Gedanken möchte ich auch den Letten zuwenden, die, obwohl sie anderen christlichen Bekenntnissen angehören, hier zusammengekommen sind, um dieses für ihr Heimatland so bedeutsame Ereignis zu feiern. Der Wunsch, der mir spontan aus dem Herzen kommt, ist, daß die gemeinsame Reflexion über die ersten Anfänge der Evangelisierung in Lettland dem ökumenischen Engagement weiteren Auftrieb geben und den Weg zur Wiedererlangung der vollen Gemeinschaft im Glauben und in der Liebe beschleunigen möge. 1470 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Im Laufe des 12. Jahrhunderts erreichte das Wort des Evangeliums die Bevölkerung an den Ufern der Düna. Es erreichte sie durch Meinhard, einen Priester aus dem Kloster der Augustiner-Chorherren in Segeberg im heutigen Holstein. Ihm waren andere Missionare vorausgegangen, von deren apostolischem Wirken sich deutliche historische Spuren erhalten haben. Aber die Mission Meinhards, den die kirchlichen Chroniken und alte liturgische Bücher als Seligen und Heiligen bezeichnen, hatte sehr viel tiefere Wirkung. Von der „Liebe des göttlichen Feuers“ (Heinrici Chronicon Livoniae, 1,1) beseelt, bediente er sich mehrerer Mitarbeiter und ordnete sich in die kirchlichen Institutionen ein, erhielt vom Metropoliten von Bremen und Hamburg die Bischofsweihe (1186) und von Papst Clemens III. das Bestätigungsschreiben (1188). Er hatte sich in euer Land aufgemacht, getrieben vom Geist Gottes, der durch ihn seinen Heilsplan verwirklichen wollte. Er hat sich auf den Weg gemacht ohne Nebenabsichten, ohne jedes Verlangen nach persönlichem Vorteil, sondern allein mit dem Wunsch, das Evangelium zu verkünden, wie der zeitgenössische Chronist Heinrich ausdrücklich betont. Deshalb erbat er nichts von seinen Zuhörern: vielmehr gab er ihnen von dem Seinen, indem er sich um die Armen kümmerte, die Kranken pflegte, Kirchen baute und die damaligen Letten lehrte, auch für ihre materiellen Bedürfnisse besser zu sorgen. Nach dem Vorbild des Apostels Paulus verkündete auch Meinhard das Evangelium unentgeltlich, ohne von dem ihm vom Evangelium zugestandenen Recht (auf Lohn) Gebrauch zu machen (vgl. 1 Kor 9,18). Denn sein einziger Wunsch war, „sich für alle zum Sklaven zu machen, um möglichst viele zu gewinnen“ (1 Kor 9,19). Wenn wir anhand der historischen Dokumente zu den schwierigen Verhältnissen zurückgehen, in denen die damalige Bevölkerung lebte — wie sollten wir da nicht betroffen sein von dem Bericht über die Widerstände, denen sich dieser hochherzige Missionar zusammen mit seinen Gefährten gegenübersah, der es wirklich fertigbrachte, „den Schwachen ein Schwacher zu werden, um die Schwachen zu gewinnen“ (1 Kor 9,22), weil er überzeugt war, daß die Verkündigung für ihn nicht ein Anlaß zu persönlichem Ruhm, sondern nur eine Pflicht war (vgl. 1 Kor 9,16)? Meinhard steht vor uns als das Beispiel eines wahren Apostels in dessen Herz die Sorge um die Verkündigung des Evangeliums drängt: „Geht zu allen Völkern und lehrt sie...!“ So etwas wie ein unerbittlicher Stachel, der Stachel der Liebe zu Christus, die von ihm nunmehr als der einzige, der wahre Sinn des eigenen Lebens empfunden wird. Nur in einer solchen Sicht der vorbehaltlosen Liebe können wir Worte wie jene verstehen, die wir vorhin aus dem Munde des hl. Paulus gehört haben, von de- 1471 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nen wir uns aber gut vorstellen können, daß sie auch der Apostel eures Landes gesprochen hat: „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (1 Kor 9,16). 3. Im Abstand von 800 Jahren können wir das soziale und kulturelle Umfeld, in dem sich Meinhard und seine Gefährten bewegten, nur annäherungsweise rekonstruieren. Aus den Chroniken der Zeit ergeben sich jedoch mit hinreichender Klarheit einige Hinweise: einerseits das Mißtrauen jener Bevölkerung gegen die Neuankömmlinge und ihr instinktiver Widerstand gegen die Verkündigung des Evangeliums; andererseits die außergewöhnliche Fähigkeit Meinhards, durch die aufmerksame Auswertung jedes positiven Aspekts ihrer Gewohnheiten eine Bresche in jene Mauer der Feindseligkeit zu schlagen. Darin ermutigte ihn das Wort Papst Clemens‘111., der in einem Brief vom 10. April 1190 den Missionaren, die sich nach Livland begeben hatten, empfahl, das Wohlwollen der Zuhörer dadurch zu gewinnen, „daß sie sich ihnen in gewissen Dingen anpaßten“. Die Weisung tat im Grunde nichts anderes als die Linie des Vorgehens wiederaufzugreifen, der bereits der Apostel Paulus gefolgt war, der in seiner Rede an die Bürger von Athen einen wertvollen Aspekt ihrer Gepflogenheiten zum Ausgangspunkt nahm: ihre Religiosität, von der unzählige in der Stadt verehrte Heiligtümer zeugten: „Athener, nach allem, was ich sehe, seid ihr besonders fromme Menschen...Ich fand auch einen Altar mit der Aufschrift: Einem unbekannten Gott. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch“ (Apg 17,22 f.). Meinhard wußte sich auf die Mentalität seiner Gesprächspartner einzustellen, indem er die Verkündigung in einer geeigneten Sprache und mit unmittelbaren Anwendungen auf ihre Probleme bot, um ihnen das Verständnis und die Zustimmung zu erleichtern. Wir dürfen annehmen, daß auch er, wie der Apostel Paulus, von der Erfahrung der Schönheiten der Natur ausgegangen ist — und welch faszinierendes Schauspiel bietet doch die Natur in eurem Land, geliebte Söhne und Töchter Lettlands! —, um dann die Zuhörer zur Entdeckung des wahren Gottes zu führen, „der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde“ (Apg 17,24). Besonders lehrte er sie, auf die souveräne und liebevolle Vorsehung Gottes zu vertrauen, der nichts braucht, „er, der allen das Leben, den Atem und alles gibt“ (Apg 17,25). Außerdem führte er sie zur Erfahrung des Dialogs mit ihm im Gebet, da „Gott keinem von uns fern ist“, „denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir“ (Apg 17,27 f.). 4. Meine Lieben, dank der missionarischen Hingabe Meinhards hat der Same des Gotteswortes vor 800 Jahren in Lettland Wurzel geschlagen: seit damals 1472 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN folgten auf dem Boden eurer Heimat ungezählte Geschehnisse aufeinander; schöne Tage wechselten mit traurigen Tagen; bisweilen entluden sich Gewitterstürme über dem aus diesem Samen aufgegangenen Baum, wobei sie ihm kostbare Früchte des Leidens und des Martyriums entlockten. Ich denke im besonderen an die zahlreichen unvergeßlichen Bekenner des Glaubens, die in eurem Land ihr Leben um des Evangeliums willen hingegeben haben. Ihr mutiges Zeugnis ist das kostbarste vor dem Herrn, und es ist eine Kraftquelle für die heutige Christengeneration. So hat der Baum widerstanden und widersteht und ragt auch heute voll neuer Blüten und neuer Früchte in den Himmel. Mit tiefer Freude danke ich dafür zusammen mit euch Gott, dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist; der Heiligsten Dreifaltigkeit, in deren Namen eure Vorfahren vor 800 Jahren getauft worden sind und damit einen Glaubensweg begonnen haben, den die nachfolgenden Generationen fortsetzen sollten. Jener Weg geht auch heute weiter, freilich unter den Schwierigkeiten des gegenwärtigen Augenblicks. Die Flamme des Glaubens, die Bischof Meinhard mit seiner Verkündigung entzündete, muß lebendig erhalten werden, damit das im Laufe der Jahrhunderte angesammelte Erbe an religiösen Werten nicht verloren geht. Es hat nämlich begonnen, einen wesentlichen Bestandteil der nationalen Kultur auszumachen: seine Vertiefung und Fertigung bedeutet, die Kultur aus der die Nation lebt, wiederzubeleben. Ich freue mich daher, daß die Feier des historischen Ereignisses in Lettland durch entsprechende Katechesen vorbereitet wurde, einmal um in den Christen den möglicherweise eingeschlafenen Glauben wieder zu wecken und zugleich seine Flamme in den Herzen derer zu entzünden, die noch nicht die Freude hatten, in Christus ihren Erlöser zu entdecken. Während ich zu diesem Einsatz einer erneuerten Evangelisierung ermuntere, möchte ich euch hier Anwesenden und die Gläubigen im geliebten Lettland darin bestärken, auszuharren in der Zustimmung zu Christus und auf die siegreiche Kraft seiner Gnade zu vertrauen. Mögen sie ihre Herzen öffnen für die vertrauenerweckenden Worte des göttlichen Meisters: „Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ {Mt 28,20). „Alle Tage“: nicht nur die glücklichen, sondern auch die schweren. Kein Tag, keine Zeit ist der allmächtigen Gegenwart des Auferstandenen entzogen. Christus ist bei der Kirche, bei seinen Jüngern und allen, die ihm nachfolgen, „bis zum Ende der Welt“. In jeder Situation, so kompliziert sie auch sein mag, kann die Kirche, wenn sie an der Seite ihres Herrn im Glauben wachsam bleibt, von ihm — wie einst die von dem Ausblick auf die bevorstehende Passion beunruhigten Apostel — das Wort des Vertrauens und der Hoffnung hören: „In der Welt seid ihr in Bedrängnis, aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt“ {Joh 16,33). 1473 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 5. Ja, geliebte Gläubige Lettlands, Christus hat die Welt besiegt! Bleibt daher fest in der Zustimmung und Anhänglichkeit zu seinem Namen, außer welchem den Menschen unter dem Himmel kein Heil gegeben ist (vgl. Apg 4,12). Ihr seid Erben einer edlen Tradition. Seid vor der heutigen Generation würdige Zeugen dieser Tradition! Ihr, Brüder im Bischofsamt, seid meinem Herzen so nahe, auch wenn ihr physisch weit entfernt seid, ihr, die ihr unter der Führung eures durch Alter und Verdienste verehrungswürdigen Kardinals in täglicher Mühe die euch vom Geist anvertraute Herde zu weiden trachtet. Ihr, Priester, die ihr euch in tiefer Verbundenheit mit eurem Volk bemüht, es durch Wort und Beispiel zu unterweisen, ihr bewahrt in euren Händen den kostbaren Schatz des Leibes und Blutes Christi, der die Speise des ewigen Lebens für alle ist, die auf den Wegen der Erde unterwegs sind zur himmlischen Heimat. Ihr, durch die Gelübde der evangelischen Räte geweihten Seelen, die ihr in der Welt durch das Zeugnis eures Lebens ihre geistliche Triebkraft bildet. Ihr, christliche Eheleute, die ihr im häuslichen Heiligtum der Familie die Flamme der Liebe nährt, in deren warmem Schein die Kinder heranwachsen und von euch jene menschlichen und evangelischen Werte lernen, die der Heimat Größe verliehen haben. Ihr, junge Leute, die ihr Lettland in das nächste Jahrtausend führen werdet, in dem Edelsinn eurer Gedanken und Gefühle und in der Konsequenz eures Handelns liegt die Größe der Nation. In der Reinheit eures Glaubens und in der Hochherzigkeit eures Zeugnisses liegt die Zukunft der Kirche. Ihr alle, lettische Brüder und Schwestern, in der Heimat oder in anderen Weltgegenden, fahrt fort, in geistlichem Einklang mit euren Ahnen zu glauben, zu kämpfen und zu hoffen! Die unermeßliche Schar derer, die euch während dieser achthundert Jahre im Glauben vorangegangen sind, blickt vom Himmel auf euch. Ihre Fürbitte gereiche euch zur Hilfe in den Alltagsangelegenheiten, zu denen euch das Evangelium beruft! Besonders unterstütze euch die Fürsprache derjenigen, die eure Vorfahren zur besonderen Beschützerin und Patronin gewählt haben. Möge die allerseligste Jungfrau ihren Blick auf jenes Land richten, das sich seit Jahrhunderten rühmt, „das Land Mariens“ genannt zu werden. Geistig mit euch verbunden, kniee auch ich mich im Heiligtum von Aglona nieder — wo für den kommenden August eine besondere Feier des Jubiliäums vorgesehen ist —, eingedenk der leidenschaftlichen Worte eurer Väter: „So, so bewacht der Stern des Meeres immer Livland; so, so verteidigt die Herrin der Welt und die Königin aller Länder immer das ihr in besonderer Weise anvertraute Land“ (Heinrici Chronicon Livoniae, XXV, 2). Zu ihr rufe ich mit euch: 1474 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Heilige Jungfrau, Mutter Christi und unsere Mutter Maria, blicke auf diese Kirche Lettlands, die dir in all den Jahrhunderten liebevoll und treu ergeben geblieben ist, blicke auf sie und beschütze sie inmitten all der Schwierigkeiten, die ihren Weg behindern. Erhalte sie fest im Glauben, mutig in der Hoffnung, glühend in der Liebe und bewirke, daß sie in enger Verbundenheit mit ihren Bischöfen sicher auf den Straßen der Welt voranzugehen vermag, auf die endgültige Begegnung mit deinem Sohn und unserem Herrn Jesus Christus zu, der mit dem Vater und mit dem Heiligen Geist lebt und herrscht in Ewigkeit. Amen! „Wiedergeburt Lettlands in Christus“ Ansprache an die Teilnehmer einer Wallfahrt aus Anlaß des 800-Jahr-Jubi-läums der Evangelisierung Lettlands am 26. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ein herzliches Willkommen hier im Vatikan euch allen, die ihr aus aller Welt nach Rom gekommen seid, um das große Jubiläum der „Wiedergeburt Lettlands in Christus“ zu feiern. In erster Linie gilt mein Gruß den Führern eurer Gruppe, dem Erzbischof Arnold Lusis von der lutherischen Kirche und Msgr. Casimiro Rucs, dem Vertreter der Katholiken Lettlands im Ausland. Im Geist bin ich auch in all den anderen Teilen der Welt anwesend, in denen eure Landsleute dieses Jubiläum feiern. Wir sind hier im einfachen und doch vielsagenden Rahmen eines ökumenischen Gebetes versammelt, zu einem Gebet also, das wir an Gott, den Quell der Einheit und des Lebens, richten. Damit gedenken wir jenes zentralen Ereignisses in der Geschichte eures Volkes, nämlich des achten Jahrhunderts der Bischofsweihe von Meinhard, in der die Erstevangelisierung Lettlands ihren symbolischen Ausdruck findet und mit dessen Namen sie in entscheidender Weise verbunden bleibt. Wo das Wort Gottes — unter Hindernissen aller Art — bis ins tiefste Bewußtsein eines Volkes eindringt und von dort widerhallt, bestimmt es ein für allemal das Verständnis, das dieses Volk von sich selbst und von seinem Geschick hat. Im Hören auf das Wort Gottes wird sich ein Volk seiner wahren Identität inne, das heißt, es wird sich seiner Erwählung von Ewigkeit her durch Gott bewußt und weiß sich in Christus von je her und für immer geliebt. 1475 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das Gedenken an die Einführung des christlichen Glaubens in eurem Volk ist vor allem die Erinnerung an dieses absolut Neue, das aus sich heraus den Weg eröffnet zu einer Gemeinschaft, in der es keine Schranken mehr gibt. Der hl. Paulus war sich dieser Neuheit in unvergleichlicher Weise bewußt; so schreibt er an die Galater: „Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid „einer“ in Christus Jesus“ (Gal 3,27 f.). 2. Die Identität, die der Glaube an Christus als Gabe mit sich bringt, verkörpert sich jeweils in einer besonderen Kultur und erleuchtet diese von innen her: Das Wort der menschlichen Sprache wird zum Instrument jenes Dialoges mit Gott, der in Christus begonnen hat und an dem teilzunehmen alle berufen sind. Ich habe mehrfach Gelegenheit gehabt, auf diese Zusammenhänge hinzuweisen, und mich dabei auf meine persönlichen Erfahrungen berufen. Der Mensch kann die Worte, die für sein Leben entscheidend sind, nur im Horizont der Kultur seines eigenen Volkes hören und verstehen. Die innere Verbundenheit mit dieser Kultur bedeutet Hingabe an das Geheimnis des eigenen Menschseins, verbunden mit dem festen Willen, diesem Geheimnis treu zu bleiben. Das ist deshalb eine Haltung, die den Menschen ehrt und adelt. So gebe ich dem Wunsch Ausdruck, daß eure Sprache und Kultur in den lettischen Familien und Schulen weiterhin bewahrt und gefördert werden und daß ebenso das religiöse Leben in den zahlreichen Auslandspfarreien, die den lettischen Gemeinden zur Verfügung stehen, lebendig erhalten werde. 3. Die christliche Geschichte Lettlands ist, begründet durch die Art ihres Ursprungs, sehr eng verknüpft mit der Geschichte der westlichen Kirche und daher auch mit den Ereignissen, die die westliche Kirche geprägt haben: wir wissen, wie stark die Reformation Lettland beeinflußt hat. Die heutige ökumenische Feier ist eine Begegnung der Herzen, die Ausdruck für ein neues Verständnis ist, das in den vergangenen Jahren unter der Führung des Hl. Geistes gewachsen ist. Die Söhne und Tochter von Bischof Meinhard erkennen voller Freude die Einheit durch den Empfang der Taufe, die die Annahme des Glaubens durch die Vorfahren besiegelt hat, eines Glaubens, der in jeder Generation erneuert wird. Im Geschenk dieser Einheit sehen sie heute, zusammen mit der ganzen Kirche, das Versprechen und Unterpfand jener vollständigen Gemeinschaft, die der Wunsch des Herrn für seine Jünger ist. Die neuen ökumenischen Beziehungen, die sich zwischen den Christen entwickeln, und die Schritt für Schritt, gemäß der natürlichen Dynamik der commu-nio, der langersehnten Einheit zustreben, öffnen die Tür zu immer neuen For- 1476 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN men der Zusammenarbeit. Heute aber gelten meine Gedanken zunächst dem Anliegen, das wir alle gemeinsam haben: daß der Name Christi nicht aus den Herzen der jungen Generation verschwinden möge, einer Generation, die in der ganzen Welt von atheistischen Ideologien und materialistischen Einstellungen bedroht wird. Eure Geschichte hat euch eng mit dem Geschick und den Hoffnungen der westlichen Christenheit verbunden; ist es nicht so, daß die geographische Lage Lettlands, das an Länder grenzt, die vom östlichen Christentum beeinflußt sind, auf eine besondere ökumenische Berufung schließen läßt, die vom Hl. Geist stammt und zum Ziel hat, die Einheit des christlichen Ostens mit dem christlichen Westen voranzutreiben? 4. Ein charakteristischer Zug eurer Kultur ist das reiche Erbe an Volksliedern, den „dainas“, in denen die Seele eures Volkes sich musikalisch ausdrückt. Dabei äußert sich gleichsam die ganze Fülle des Lebens in einem Lobeshymnus. „Lai kur biju dziesmu dziedu, Tas Dievam pat Ikas.“ „Wo immer ich bin, singe ich, denn dies ist Gott wohlgefällig“, heißt es in einer dieser „dainas“. Der Gesang gefällt tatsächlich Gott, denn im Gesang findet die Berufung des Menschen, Gott zu preisen, ihren Ausdruck. Echter Gesang, in Freude oder in Leid, ist immer dem Gebet nahe. Und besonders in den kritischen Augenblicken des Lebens brauchen die Menschen jene Musik, die aus den Tiefen des menschlichen Gemütes hervorgeht und Frieden und Harmonie bringt. Maria, die wir als „Seestern“ grüßen, „die immer ihr Lettland schützt“, „kas vienmer sargäja so zemi“, vertraue ich euren und meinen brennenden Wunsch an: daß dieser glaubensfrohe Gesang nie verstumme im Land der Letten! Meinungen entgegentreten, die dem Menschen schaden Ansprache an eine Delegation des Verbandes der katholischen Journalisten Belgiens am 26. Juni Herr Präsident des Verbandes der katholischen Journalisten Belgiens! Meine Damen und Herren! Ihre Tat hat sicher eine beispielhafte Tradition. Sie erinnert an die Sammlungen der ersten Gemeinden, die dem Apostel Paulus für die Christen von Jerusalem übergeben wurden. Sie setzt die Tradition des Teilens fort, die die 2000jährige Geschichte des Christentums gekennzeichnet hat. Bei dieser 1477 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Audienz empfinde ich eine große Freude und bringe Ihnen meine tiefe Dankbarkeit zum Ausdruck für die bedeutende Gabe, die Sie mir mit soviel Feingefühl persönlich überreicht haben. Ebenso danke ich Ihnen im Namen der Personen und Organisationen, denen Ihre „Spenden für den Papst 1986“ zugute kommen werden. Seien sie versichert, daß Ihre und Ihrer Leser Spenden Ihrem Wunsch gemäß es ermöglichen werden, daß Bevölkerungen, die durch Naturkatastrophen oder durch Krieg verarmt sind, sowie extrem arme Kirchen dringend notwendige Hilfe erhalten. Ihr Verband trägt wahrhaftig zu dem gewaltigen Werk der Evangelisierung und Entwicklung bei. Ich beglückwünsche Sie dazu, daß Sie bei sich selbst und bei Ihren Lesern diesen Geist evangelischer und kirchlicher Solidarität pflegen. Sie haben große Verdienste in einer Zeit, in der die wirtschaftlichen Schwierigkeiten mehr oder weniger sichtbar so viele Menschen, so viele Familien selbst in unseren westlichen Ländern erreichen. Ich vertraue Ihnen die Sorge an, allen diesen Spendern den herzlichen Dank des Hl. Stuhls zum Ausdruck zu bringen. Schließlich ermuntere ich Sie erneut im Hinblick auf Ihre Berufsarbeit, deren anspruchsvolle, heikle und schwierige Seite ich zu schätzen weiß; Sie sind manchmal — wegen Ihres Festhaltens am Evangelium Christi — gezwungen, Meinungen und Sitten entgegenzutreten, die für die Menschen und die Gesellschaft sehr schädlich sind. Angesichts dieser Anforderungen rufe ich auf Sie, auf Ihre Mitarbeiter und auf die große Schar Ihrer treuen Leser die reichen Gnaden des Herrn herab. Wo der Mensch sich selbst wiederfindet Ansprache an die Teilnehmer des „Nova Spes“-Kongresses am 27. Juni Meine Herren Kardinäle! Meine Mitbrüder im Bischofsamt! Sehr geehrte Damen und Herren! 1. Ich freue mich sehr, Sie anläßlich des von der internationalen Stiftung „Nova Spes“ veranstalteten Kongresses zu dieser Sonderaudienz zu empfangen. Ich begrüße Herrn Kardinal Franz König, Alterzbischof von Wien, den Gründerpräsidenten von „Nova Spes“; und ich begrüße außerdem Herrn Kardinal Paul Poupard, den Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Päpstlichen Rates für die Kultur. Sodann begrüße ich einzeln alle Anwesenden und bekunde meine Genugtuung über diese Initiative, die ein Beitrag zum Internationalen Jahr des Friedens sein will. 1478 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Ich freue mich auch über die edlen Ziele, die sich Ihre kulturelle Arbeit setzt: sie strebt die Förderung der qualitativen menschlichen Entwicklung durch die Verwirklichung der Grundwerte der Person an — betrachtet in ihrer inneren Einheit. In dieser Sicht ist auch das Thema der zur Zeit stattfindenden Tagung zu verstehen: „Die Zusammenarbeit von Religion, Wissenschaft, Kommunikation und Wirtschaft.“ Das Problem wird in unseren Tagen besonders empfunden: die erwähnten vier Pole des Lebens der Gesellschaft erweisen sich nämlich als nicht miteinander verbunden, so daß der erste, der unter ihrer Spaltung leidet, der Mensch selbst ist, der daraus ein tiefreichendes Gefühl der Krise und Frustration gewinnt. 3. „Nova Spes“ will sich zum Sprecher dafür machen, daß diese Situation der kulturellen Spaltung durch ein Handlungsbündnis zwischen den vier Kräften, die die menschliche Persönlichkeit beseelen — Glauben, Wissen, Tun und Kommunikation —, überwunden werden muß. Jeder dieser vier Bereiche ist in der modernen Kultur gewissermaßen einseitig verabsolutiert worden. Seit einiger Zeit machen sich jedoch verbreitete Anzeichen einer zunehmend kritischeren Haltung gegenüber dieser Sachlage bemerkbar. Die scharfblickendsten Geister wenden sich Hypothesen von neuen und originären Verbindungen dieser Kräfte mit Blick auf einen vollen Humanismus zu, der die Grundbedürfnisse der Person besser befriedigen kann. Was also den Glauben betrifft, so erhebt die Kirche nicht den Anspruch, Antworten auf alle Probleme, die den Menschen bedrängen, bereit zu haben; sie bietet jedoch gern ihre Mitarbeit an, damit dem Menschen geholfen wird, seine Probleme im Lichte der Offenbarung zu lösen. Desgleichen gehört zum heutigen Selbstverständnis der Wissenschaft das dringende Bedürfnis nach metaphysischer Bildung. Die Wissenschaft allein ist nicht imstande, sich selbst ihren Sinn zu geben. Die beiden großen modernen Errungenschaften, Information und Kommunikation, haben immer mehr das Gesicht eines leistungsfähigen Instrumentes angenommen, dessen sich die Macht für ihre Zwecke bedient. Die Freiheit des Menschen fordert nachdrücklich, daß der Zugang zur Information universal ist und die Kommunikation unter Achtung der Wahrheit und des Dialogs realisiert wird. Auch die wirtschaftlichen Planungsmaßnahmen stoßen heute jeden Tag auf die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen, die dazu bestimmt sind, in die Zukunft der Menschen einzugreifen. Solche Entscheidungen enthalten Fragen, auf die eine Wissenschaft und eine Information, die sich ethisch neutral verhalten, keine Antwort geben. 1479 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Mit Recht will daher Ihre Bewegung eine neue Methode fördern, um näheren Zugang zu den Problemen des einzelnen und der Gesellschaft zu finden: eben jenes Bündnis, das allein die verschiedenen Handlungsäußerungen der menschlichen Person zu einigen erlaubt, indem es den Menschen dahin führt, in seinem Sein die Gründe aufzuspüren und in harmonischer Schau zu formulieren, die seine Existenz zu ihrer vollen Verwirklichung führen können. 4. Es geht mit anderen Worten darum, zum Aufbau eines „globalen Humanismus“ beizutragen, der in angemessener Weise auf die Bedürfnisse der modernen Menschheit zu antworten weiß. Denn heute gibt es keine örtlichen Probleme mehr, sondern universale Probleme, die örtlich erfahren werden. Es wäre illusorisch zu behaupten, auf sie eine innerhalb enger geographischer Grenzen umrissene oder lediglich auf einen Aspekt ihrer komplexen Wirklichkeit begrenzte Lösung finden zu können. Man muß versuchen, einen Zugang zu finden, der vom Beitrag der Spezialisten der oben erwähnten vier Bereiche Gebrauch macht, indem er ihre Bemühungen über die geographischen und politischen Grenzen der Nationen hinaus, denen sie angehören, miteinander koordiniert. Auf dieser Linie schlagen Sie eine „menschliche Begegnung“ zwischen den religiösen Führern als Personen, die über die menschlichen und sozialen Trennungen hinausgehen, vor; den Wissenschaftlern als internationaler Gemeinschaft des Wissens; den Vertretern der künstlerischen Ausdrucksformen und der Information als starke Kraft der Kommunikation; den Managern und Wirtschaftsplanern als Ausdruck der Kräfte, die sich für die Verwirklichung eines echten Fortschritts in weltweiter Sicht engagieren. Sie haben auch konkrete Instrumente vorgesehen, um dieses Programm in die Tat umzusetzen, und sind aktiv damit beschäftigt, eine effektive Arbeitsweise in Gang zu bringen. 5. Ohne auf das Verdienst Ihrer Vorhaben einzugehen, möchte ich hier noch einmal den Wert der zentralen Intuition unterstreichen, an der sich Ihr Vorgehen inspiriert: die Notwendigkeit eines Handlungsbündnisses zwischen den verschiedenen Ausdrucksformen des Menschlichen für ein entschiedeneres Vorankommen auf dem Weg des wahren Fortschritts. Die Intuition ist wertvoll und findet im Wort „Bündnis“ ihren passenden Ausdruck. Ich hoffe, daß der Vorschlag von „Nova Spes“ dem modernen Menschen hilft, wieder ein geistiges Klima zu schaffen, in dem er sich selbst wiederfindet und die Grundvoraussetzung für den vorrangigen Wert der Person wiederentdeckt, zusammen mit den sittlichen Gründen, die die Dynamik seiner freien Entscheidungen leiten. 1480 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Auf diese Weise werden auch die Spannungen überwunden, die unsere Welt bedrängen und die gewöhnlich auf religiöse Gleichgültigkeit, die passive Hinnahme des technischen Fortschritts oder eine Art von Säkularisierung und Laizismus hinauslaufen, die den Glauben daran hindern, Ausdruck des Lebens zu werden, weil sie das Zeugnis lähmen und die geoffenbarten Gewißheiten in Zweifel ziehen. Ich bitte den Herrn darum, daß Ihre Vorhaben sich positiv entwickeln mögen. Mit diesen Wünschen erteile ich gern Ihnen allen mit dem Wunsch für ein gutes Ergebnis der Tagung meinen Segen. Vor allem „Wiederevangelisierung Europas“ Ansprache anläßlich der europäischen Tagung der Missionare der Auswanderer (UCEI) am 27. Juni Liebe Brüder und Schwestern! 1. Ich freue mich, euch anläßlich dieser von der Kommission für Bevölkerungsbewegung (CEI) anberaumten und vom Zentralbüro für italienische Auswanderer organisierten europäischen Tagung zu begegnen. Herzlich grüße ich den Präsidenten der Kommission, Msgr. Antonio Cantisani, den nationalen Direktor der UCEI, Msgr. Silvano Ridolfi, die nationalen Delegierten sowie euch alle, ihr Missionare und Mitarbeiter. Ich begrüße diese Initiative, die, da sie das Thema „Kontinuität und Neuartigkeit der Mission in Europa“ zum Mittelpunkt der Überlegungen macht, die Möglichkeit bietet, die Probleme eures besonderen Tätigkeitsbereiches zu beleuchten, um dafür gemeinsam eine Lösung zu finden. 2. Euer Thema berücksichtigt nicht nur die Notwendigkeit der Anpassung der Pastoralmethoden an eine geänderte soziale Situation, sondern bezieht sich auch in klarer Weise auf die Kontinuität des Evangeliums, ohne dessen immerwährende Neuheit es nicht einmal möglich wäre, von einer „Mission“ zu sprechen. Tatsächlich finden wir am Ursprung der besonderen missionarischen Tätigkeit der Kirche selbst einen Befehl, der immer Gegenstand der Vertiefung und des Gebetes sein muß. Es sind dies die Worte, die die Evangelisierungsdynamik der 1481 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kirche begründen und die der Missionar im wahrsten Sinne des Wortes, der vom Vater an die Menschen aller Zeiten und aller Länder Gesandte, an die richtete, die dazu berufen sind, sein Werk in Zukunft fortzusetzen: „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,19). Geschichtlich gesehen beginnt die Mission der Kirche mit diesem Auftrag, der sofort über die Grenzen der Heimatländer hinauswirkt. Das Evangelium ist durch sich selbst eine Botschaft ohne Grenzen. Die Missionare werden zu Auswanderern infolge göttlicher Berufung. Durch diese weltweite Missionsrolle fühlt sich die Kirche, in Erwartung der endgültigen Heimat, selbst als Pilgerin auf der Welt. Somit ist die Aufgabe, die ihr euch vorgenommen habt, nämlich jenen beizustehen, die aus verschiedenen Gründen die eigene Familie und das Vaterland verlassen haben, in Wahrheit die praktische Umsetzung einer auf die konkreten Bedürfnisse des Menschen angewandten, grundsätzlich evangelischen Ausrichtung. Deshalb haben die italienischen Bischöfe bestätigt, daß sich eine lebendige und tatkräftige kirchliche Gemeinschaft den Problemen der Bevölkerungsbewegung nicht entziehen darf (vgl. Pastoralnote und Kommentar des Treffens von Loreto). Wenn „allen alles werden“ eine Forderung evangelischen Lebens darstellt, so ist es nichts anderes als eine solidarische und konsequente Anwendung dieser Forderung auf eine breite Schicht der heutigen Bevölkerung, wenn man sich zum Mitwanderer mit den Auswanderern macht. 3. Eure Tagung hat berechtigterweise europaweite Bedeutung. Dies konnte auch nicht anders sein. Während ich meine Wertschätzung für die Auswahl und Ausrichtung eurer Tagungsarbeit ausdrücke, wenden sich meine Gedanken den großen Verdiensten der europäischen Nationen in der Vergangenheit auf dem Gebiet der Evangelisierung zu. Im Laufe von zwanzig Jahrhunderten war Europa der Kontinent der Missionare schlechthin; es gab dort immer mehr Menschen, die freiwillig für Christus auf Wanderung gingen. Ohne ihren Anstoß hätte die umformende Neuheit des Evangeliums nicht so leicht alle Völker erreicht, wie es Christus wollte. Europa, das die neuen Kontinente entdeckte, hat zugleich mit der Grenzausweitung der bekannten Welt das Ferment des Evangeliums dorthin gebracht und die alten einheimischen Kulturen christlich beseelt. Heute, nach zwanzig Jahrhunderten, spürt die Kirche die Dringlichkeit und die Pflicht, das Werk der Evangelisierung auf der Welt sowie der Wiederevangelisierung in Europa mit neuer Kraft voranzutreiben. Es ist eine Pastoral-entscheidung, die sich im Blick auf das dritte Jahrtausend ergibt und die dem 1482 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Auftrag entspringt, den Menschen in seiner Gesamtheit sowie alle Menschen in der Wahrheit Christi zu retten. Mehr denn je ist heute die Evangelisierung der Welt an die Wiederevangelisierung Europas gebunden. Und da möchte ich sofort hinzufügen, daß die Auswanderergruppen, in den von der Tradition her missionarisch tätigen Nationen verstreut, ihren Beitrag zur Lösung dieses schwerwiegenden und schwierigen Problems leisten können und müssen. 4. Europäische Experten sprechen von der Notwendigkeit einer „Wiedergründung“ Europas, angesichts der gegenwärtigen Krisensituation der Welt, die aufgrund der technologischen Evolution, der Unzulänglichkeit der alten und neuen Ideologien, der überstürzten Entwicklung der aufstrebenden Länder und der atomaren Bedrohung ausgelöst wurde. Die Kirche fühlt sich von dieser Herausforderung unserer Zeit als erste angesprochen, und sie will mit dem Engagement zur Wiederevangelisierung darauf antworten bzw. mit einer erneuerten und wirkungsvolleren Verkündigung Jesu, des Erlösers, in dem der Mensch den Gipfel seiner Würde als freie und verantwortungsvolle, zu einer ewigen Bestimmung berufenen Person findet. Die ehrenvolle kulturelle Tradition Europas wird es, sobald sie sich selbst und die eigenen christlichen Wurzeln wiederentdeckt, nicht verabsäumen, zum Wachstum der Zivilisation und zur Förderung des Friedens auf der ganzen Welt beizutragen. Ihr, liebe Missionare der Auswanderer, befindet euch in der bevorzugten Situation, an ähnlichen Zielsetzungen mitarbeiten zu können, nämlich aufgrund eurer besonderen Tätigkeit unter den Auswanderern, die als „Baumeister Europas“ gelten (Welttag der Auswanderer, 1977). Heute haben sich trotz weiterbestehender Situationen, die mit den grundsätzlichsten Menschenrechten nicht übereinstimmen, wie z.B. die Tatsache, daß es Flüchtlinge aus religiösen oder politischen Gründen gibt bzw. Jugendliche, die auf der Suche nach ihrem ersten Arbeitsplatz sind, die Bedingungen für die Auswanderer in Europa gegenüber der Vergangenheit bedeutend verbessert. Der Arbeiter im Ausland ohne Familie ist nicht mehr sich selbst überlassen. Er ist nun juristisch gesehen mehr geschützt infolge von Vereinbarungen, die die Beziehungen innerhalb der europäischen Gemeinschaft regeln. Der wirtschaftliche Wohlstand hat sich weiter verbreitet, und die Beziehung zwischen dem Auswanderer und seinem Herkunftsort ist leichter. Die Möglichkeiten für Facharbeit, die Möglichkeit der Eingliederung in die aufnehmende Gesellschaft sowie der Teilnahme am Allgemeinwohl haben sich vermehrt. Aktivitäten von internationalem Interesse und der Dialog zwischen den Kulturen entwickeln sich. 1483 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN In einem auf die Einheit ausgerichteten Europa bekleidet der Auswanderer bereits eine neue Rolle, der in Zukunft immer mehr Gewicht zukommen wird. 5. Daher kommt die Neuartigkeit eures Auftrages, der umso einschneidender und nachhaltiger sein wird, je treuer er sich an die unwandelbaren Grundlagen des Glaubens hält. Euer Beitrag, der im Dienst am Nächsten und im Schutz der Schwachen besteht und darauf ausgerichtet ist, die Engpässe des Ökonomismus als Selbstzweck sowie jede Art von Egoismus — individuellem, Gruppen- und nationalem Egoismus — zu überwinden, hat als konstanten Bezugspunkt, von dem er ausgeht und wohin er wieder zurückkehrt, die menschliche Person, die der Sohn Gottes erlöst hat und die ihre Rechte besitzt. Im ständigen Bemühen um Anpassung eurer Pastoralmethoden vergebt nicht, daß die Voraussetzung für jegliche wahre Erneuerung in der persönlichen inneren Erneuerung liegt. Wie im zweiten Jahrhundert der Brief an Diognet sagte, der die in der Gesellschaft anwesenden Christen mit der Seele im Leib verglich, welche die körperliche Entwicklung bei unveränderter Identität der Person sichert, so sei es auch bei eurer Tätigkeit unter den Auswanderern: Seid auch ihr die Seele in der Welt der Emigranten, damit diese ihrerseits Baumeister eines besseren Europas seien. Eure Tätigkeit gliedere sich in das lebendige kirchliche Gefüge ein, und begünstige die gegenseitigen Beziehungen und die wechselseitige Zusammenarbeit zwischen den Kirchen, den Kirchen, aus denen die Auswanderer kommen, und denen, in die sie einwandern. Und nun grüße ich euch, Priester, Ordensleute und hier anwesende Laien und denke dabei auch an alle Bischöfe, Priester, Ordensmänner und -frauen und die auf diesem so wichtigen Gebiet der Pastoral tätigen Laien. Und mit dem Blick auf alle jene, die sich außerhalb des Vaterlandes befinden, rufe ich den Schutz Mariens an, der Mutter der Kirche, die auch an sich selbst die Prüfungen der Auswanderung erfahren hat, und erteile euch aus ganzem Herzen meinen Segen als Unterpfand himmlischer Stärkung auf einem Weg, der konsequent der Taufverpflichtung folgt. 1484 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „ Verkündigung der Frohbotschaft wird eine tiefe Einheit her-vorrufen“ Brief an die Vollversammlung der Bischofskonferenz der Philippinen vom 28. Juni An meine ehrwürdigen Brüder, die Bischöfe der Philippinen Die bevorstehende Vollversammlung bietet mir die willkommene Gelegenheit, wieder einmal an euch, liebe Brüder im Bischofsamt, zu schreiben, um meine lebhafte Zuneigung für euch und für die eurem Hirtenamt anvertrauten Gemeinden zu bekunden und mit euch einige Überlegungen zu teilen. Damit greife ich die Hoffnung auf, die Kardinal Ricardo Vidal mir gegenüber geäußert hat. Ihm entbiete ich einen besonderen Gruß, wurde er doch mit der Aufgabe des Vorsitzenden der Bischofskonferenz betraut in einem schwierigen Augenblick für die Geschichte des Landes und für die Kirche, die die Freuden und Hoffnungen, die Sorgen und Schwierigkeiten seiner Bewohner voll teilt. In dieser Übergangszeit, die von ernsten und komplexen Problemen verschiedenster Art gekennzeichnet ist, möchte ich euch allen ein Wort der Ermutigung senden. In der Ausübung der dem Petrus und seinen Nachfolgern anvertrauten Sendung, nämlich die Brüder im Glauben zu stärken, lade ich euch ein, euer ganzes Vertrauen auf Christus zu setzen, der unsere Stärke und Rettung ist. Das politische Geschehen, das in den letzten Monaten das öffentliche Leben auf den Philippinen zutiefst verändert hat, war Gegenstand meiner Aufmerksamkeit und wirklichen Sorge, wie ich öffentlich zum Ausdruck bringen konnte, als ich unsere Glaubensbrüder in anderen Ländern aufforderte, sich im Gebet mit den Menschen auf den Philippinen zu vereinen. Dank des göttlichen Schutzes und des tiefen christlichen Geistes eures Volkes — das bekannt ist für seine herzliche, freundliche und friedliche Offenheit gegenüber allen — ist es während der schweren Spannungen nicht zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen, wie man gefürchtet hatte. Nur kurze Zeit ist seither vergangen, und es gibt zahlreiche und dringende soziale, wirtschaftliche und politische Probleme, die auf eine konkrete und wirksame Antwort warten. Ich verstehe daher eure Sorge und euren Wunsch als Bischöfe, eurer Verbundenheit mit den euch anvertrauten Menschen deutlich Ausdruck zu geben und ihnen eine ernsthafte und aufmerksame moralische Führung zu bieten. 1485 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Kirche auf den Philippinen kann nicht vergessen, daß ein Großteil der Bevölkerung in äußerst schwierigen und mitunter untragbaren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen lebt. Diese Menschen verlangen ein humaneres Leben, ein Leben, das mehr im Einklang steht mit der Würde der Kinder Gottes. Die bevorzugte Liebe für die Armen, die bereits in der Vergangenheit stets euer Hirtenamt inspiriert hat, muß im Rahmen der Solidarität mit allen Menschen und ihrer Geschichte zu einer der Hauptlinien der Tätigkeit dieses Amtes werden. Dieser Dienst der Liebe und Treue zum Menschen muß jedoch mit dem Wesen der Sendung der Kirche im Einklang stehen, die nicht zeitlichen, sondern geistlichen Charakter hat, die sich nicht auf den sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Bereich, sondern auf die religiöse Ordnung bezieht (vgl. GS 42). Das bedeutet somit, daß die Kirche nicht zu politischen Stellungnahmen oder zur Teilnahme an Partisanenkonflikten berufen ist, sondern dazu, der Gesellschaft den speziellen Beitrag zu leisten, der der Kirche gemäß ist als Licht und Kraft, die zum Aufbau und zur Festigung der menschlichen Gemeinschaft beitragen können. Dieser Dienst am Menschen wird eine intensive evangelische Anstrengung erfordern: die Verkündigung des Heiles Gottes überall, wo Menschen leben und arbeiten. Auf diese Weise wird er einer unverkürzten Verkündigung des Evangeliums entsprechen, das sein Licht so über die irdischen Wirklichkeiten verbreiten muß, daß dem Menschen geholfen wird, sich von allem, was ihn unterdrückt und ihn von sich selbst entfremdet, zu befreien, und daß er befähigt wird, den Weg zu seiner vollen, sowohl irdischen wie übernatürlichen Selbstverwirklichung zu gehen. Wenn augenblicklich das Land mehr denn je den Beitrag eines selbstlosen Dienstes für das Gemeinwohl zu fordern und ein Beispiel großer moralischer Integrität und sozialer Tugenden zu verlangen scheint, müssen eure Anstrengungen darauf hinausgehen, die notwendige Gewissensbildung der Gläubigen in allen Verantwortungsbereichen der Gesellschaft sicherzustellen. Auf diese Weise wird es für euch möglich sein, die Vorbereitung der Laien auf die Übernahme ihrer Verantwortlichkeiten als Christen und als Staatsbürger beim politischen Aufbau und der Gestaltung des sozialen Lebens anzuregen. Das Zweite Vatikanische Konzil stellte mit aller Klarheit fest, daß „das Bemühen, Mentalität und Sitte, Gesetz und Strukturen der Gemeinschaft, in der jemand lebt, im Geist Christi zu gestalten, so sehr Aufgabe und Pflicht der Laien ist, daß sie durch andere niemals entsprechend erfüllt werden kann“ (AA, 13). Es besteht kein Zweifel, daß dieses Problem eine Aufgabe betrifft, die der Unterstützung der geistlichen Führung durch die Bischöfe und Priester bedarf. In dieser Aufgabe der Belehrung und Führung im Dienst der Wahrheit und der 1486 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gerechtigkeit darf kein Bischof vergessen, daß er auch dazu berufen ist, Werkzeug zur Aussöhnung und Gemeinschaft zu sein. Euch, die ihr geweiht seid, um für die ganze Herde ohne irgendwelche Ausnahme Sorge zu tragen, ist die Förderung der wirksamen und konkreten nationalen Aussöhnung aufgetragen. Ihr habt die Sendung, nicht Spaltungen hervorzurufen oder zu vertiefen, sondern mitzuhelfen, solche, die verursacht wurden oder die zumindest während der jüngsten Ereignisse unter der Bevölkerung entstanden sind, rasch und entschieden zu überwinden. Diese friedenschaffende Tätigkeit wird jedoch nur in dem Maße die gewünschten Ergebnisse zeitigen, als sie sich auf eine intensive Evangelisierungstätigkeit stützen kann. Die Verkündigung der Frohbotschaft, die durchgeführt werden muß — natürlich unter Berücksichtigung der konkreten Lebensumstände des Volkes und als Antwort auf seine ernstesten Probleme —, wird eine tiefe Einheit hervorrufen, die von den verschiedenen politischen oder sozio-ökonomischen Entscheidungen nicht betroffen ist. Jeder Filipino wird sich dann in einem neuentdeckten Gefühl der Solidarität — der konkreten Folge menschlicher und übernatürlicher Brüderlichkeit — mit den Brüdern im Glauben und mit allen Menschen guten Willens an der Lösung der Schwierigkeiten des Landes beteiligt fühlen. Die Hoffnung auf Einheit und wachsende Solidarität schließt die Sorge für die im Entstehen befindliche neue Verfassung ein. Ich vertraue darauf, daß alle jene, die mit dieser Aufgabe betraut wurden, ihren kundigen Beitrag leisten und sich lebhaft der Würde des Menschen und seiner tiefsten Sehnsüchte und Bestrebungen bewußt sind. Da ich um die Feinfühligkeit des philippinischen Volkes für alles, was das religiöse Leben betrifft, und um eure Sorge in diesem besonderen Bereich weiß, bin ich sicher, daß die neue Magna Charta in entsprechender Weise das Recht aller Bürger auf religiöse Freiheit formulieren und die Freiheit der Kirche zur Ausübung ihrer Sendung, auch in den Bereichen des Schulwesens und der sozialen Fürsorge, sicherstellen wird. Am Ende dieses Briefes möchte ich euch noch einmal sagen, daß ich mit ständiger Aufmerksamkeit und tiefer Zuneigung euren schwierigen Dienst verfolge. Ich begleite die Arbeit eurer Vollversammlung mit meinem Gebet und sende meinen besonderen Apostolischen Segen, in den ich gern die Gemeinschaft jeder Diözese einbeziehen möchte. Herzlich vertraue ich euch dem mütterlichen Schutz Mariens, der Mutter der Kirche, an. Aus dem Vatikan, am 28. Juni 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. 1487 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Die Kirche muß zu einem Dialog mit der Welt kommen “ Ansprache an die Kardinäle und Mitarbeiter der Römischen Kurie beim Wortgottesdienst am 28. Juni 1. „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!“ (Joh 15,9). Die soeben gehörten Worte des Evangeliums, die den Abschiedsreden beim Letzten Abendmahl entnommen sind, verleihen unserer Begegnung hier am Tag vor dem Fest der heiligen Petrus und Paulus einen tiefen Sinn. Sie konzentrieren diese Begegnung, wie es tatsächlich ist, auf die Liebe. Meine Herren Kardinäle! Geliebte Brüder und Schwestern! Es ist mir immer eine Freude, mit den Mitarbeitern der Römischen Kurie, des Vikariats der Diözese Rom und mit den Angestellten des Governatorats für den Staat der Vatikanstadt zusammenzutreffen; um so mehr bei einem Anlaß wie diesem: einer Gelegenheit zum Gebet am Grab des hl.Petrus, am Ort seines Martyriums und der weltweiten Ausstrahlung seines Dienstamtes; ich spüre, daß uns auch alle jene nahe sind, die, wenn auch fern von hier, das Petrusamt in der Welt vertreten und in die Welt hinaus verlängern: die Nuntien und Apostolischen Delegaten und das gesamte Personal der über die Welt verstreuten päpstlichen Vertretungen. Euch allen gilt mein tiefer und aufrichtiger Dank für die Arbeit, die ihr für die Kirche und den Apostolischen Stuhl leistet und die ihr mit Sachkenntnis, Engagement, Hochherzigkeit und Demut vollbringt: Ich weiß gut, daß eurer Dienst nicht selten und für nicht wenige von euch wichtige Fragen für die Kirche und für den Apostolischen Stuhl berührt: Er setzt daher eine breite lehrmäßige Vorbereitung und eine anhaltende Erfahrung, verbunden mit den Gaben der Klugheit und Ausgewogenheit, voraus: also eine Gesamtheit von nicht alltäglichen Qualitäten, die in der Stille und im Verborgenen der Kirche zur Verfügung gestellt werden. Aber der Herr sieht es und wird es zu lohnen wissen. Es liegt mir daran, allen noch einmal zu sagen, daß ich für euch und für eure Familien zum Herrn bete und ihm alle eure Anliegen empfehle, in besonderer Weise jene verborgenen Sorgen, die euer Leben möglicherweise begleiten. Und da wir uns bereits unmittelbar vor der traditionellen Ferienzeit befinden, wünsche ich euch allen auch gute Erholung, derer ihr euch verdienterweise zusammen mit euren Lieben erfreuen sollt. Ihr alle habt den Vorrang und die Berufung, an dieser universalen Sendung des Petrusamtes mitzuarbeiten: in unterschiedlicher Eigenschaft und mit unter- 1488 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schiedlicher Verantwortung, aber alle vereint durch dasselbe Ideal des Dienstes der Kirche und für die Kirche: des Dienstes vor allem in einer Sicht des Glaubens, die uns, wie der hl. Paulus in der ersten Lesung in Erinnerung ruft, einzig und allein auf den dreieinigen Gott ausrichtet: „Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Erbewirkt alles in allen“ (1 Kor 12,4—6). Besonders aber Dienst in einem Licht der Liebe, wo die Komplementarität eurer Tätigkeiten den gemeinsamen Nenner findet: die Liebe Christi, des „Erlösers des Menschen“, die Offenbarung des „barmherzigen“ Vaters in dem Geist, „der Herr ist und lebendig macht“; es ist die Liebe zwischen uns, seinen Brüdern. „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!...Dies trage ich euch auf: Liebt einander!“ (Joh 15,9.17). Auf diese Weise bietet die heutige Begegnung die Gelegenheit, die brüderliche Liebe immer wieder neu zu beleben in diesem Licht der Liebe als Antwort an Christus, die sich durch die Beteiligung an dem „zum Wohl der Brüder“ geleisteten Dienst des Apostolischen Stuhls kundtut. Wenn das Petrusamt, nämlich „die Herde des Herrn zu weiden“, nach dem bekannten Agustinus-Wort amoris officium — „Pflicht zur Liebe“ — (In Io 123,5) ist, dann wird also auch das Berufensein — wie es bei jedem von euch der Fall ist — zur Mitarbeit, damit dieses Amt den wachsenden Anforderungen der heutigen Zeit entsprechend alle Menschen erreichen kann, zu einer Pflicht zur Liebe. Meine Lieben, ich grüße euch daher in der bewußten Wirklichkeit dieser Liebe, die tiefen Widerhall in unserem Herzen weckt. Und ich danke dem ehrwürdigen Herrn Kardinal Agnelo Rossi, der sich zum Sprecher eurer Empfindungen gemacht hat. 2. Die Begegnung, die anläßlich des Festes der hll. Petrus und Paulus stattfindet, bietet mir alljährlich die Gelegenheit, einen Blick auf die Tätigkeit — im ganzen gesehen oder in einigen Teilbereichen — zu werfen, die der Hl. Stuhl in der Kirche vollbringt. In diesem Jahr muß sich mein und euer Interesse dem Ereignis zuwenden, das anläßlich des 20. Jahrestages des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils die Aufmerksamkeit der ganzen Kirchengemeinschaft auf sich gelenkt hat: die Abhaltung der zweiten außerordentlichen Versammlung der Bischofssynode im vergangenen Herbst. Es ist gut, wenn wir gemeinsam über die Bedeutung nachdenken, die dieses Ereignis für den Weg angenommen hat, dem die Kirche in dem kairös, in dem glücklichen Augenblick, den das Zweite Vatikanum für sie bedeutete, folgen muß, in den beiden Richtungen, die Paul VI. bereits in seiner ersten Enzyklika 1489 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ecclesiam suam anführte: „daß die Kirche tief in sich selbst hineinschauen und sie über ihr eigenes Geheimnis nachdenken muß, um zu ihrer Unterrichtung und Anregung ihren Ursprung, ihre Natur, ihre Sendung, ihr Endziel tiefer zu erfassen“ (Nr. 9); andererseits — so fuhr mein Vorgänger fort — „muß die Kirche zu einem Dialog mit der Welt kommen, in der sie nun einmal lebt. Die Kirche macht sich selbst zum Wort, zur Botschaft, zum Dialog“ (Nr. 60). Das also sind die beiden Richtungen dieses Weges der Kirche: gleichzeitig „nach innen“ und „nach außen“, denn solche Dimensionen ergänzen einander, sind sozusagen organisch verbunden. Das Zweite Vatikanische Konzil hat also diesen Erwartungen entsprochen. In wunderbarem Einklang der Herzen, des Verstandes und des Willens fühlte sich die Kirche wie in ihren apostolischen Anfangszeiten aufs innigste einig im Verständnis des Weges, der einzuschlagen ist, um Christus in unserer Zeit so treu zu sein, wie das in der Vergangenheit der Fall war; und sie fühlte sich eingetaucht in die Liebe Christi. „Wie der Vater mich geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!...Dies trage ich euch auf: Liebt einander!“ (Joh 15,9.17). Vor 20 Jahren erfüllten hier, nahe der Confessio des hl. Petrus, wo wir uns heute eingefunden haben, die Väter des Zweiten Vatikanums ihre Aufgabe. Das war ein besonderer Ausdruck der Kollegialität der Bischöfe — und damit ein tatsächlicher Ausdruck dieser Liebe, die nach den Worten des Erlösers stets die Einheit der Jünger, also die Einheit der Kirche, durch die Wahrheit und die Liebe aufbauen muß. In diesem Sinne ist das Konzil, so kann man sagen, das größte Ereignis des Lebens der Kirche, ja der Christenheit, in unserem Jahrhundert gewesen. Das Zweite Vatikanum hat mit der Hilfe des Geistes der Wahrheit, mit Hilfe des Trösters und Beistandes, den Weg in der bereits hervorgehobenen zweifachen Richtung vorgezeichnet, dem die Kirche in diesem Abschnitt ihrer Geschichte folgen muß. 3. Zwanzig Jahre nach Abschluß des Konzils schien es nützlich, ja geradezu notwendig, gemeinsam einen Blick auf die Richtung zu werfen, die dieser Weg bis jetzt genommen hat, um so mehr, als wir besonders „nach außen“ Zeugen von Tendenzen bzw. Auslegungen des Zweiten Vatikanums geworden sind, die einen von dem Konzil selbst verfolgten Weg abbringen wollten oder zumindest konnten. Die Synode wollte daher — worauf ich bereits bei der ersten Ankündigung am 25. Januar 1985 in der Basilika St. Paul vor den Mauern hinwies — zum Zweiten Vatikanum als dem „grundlegenden Ereignis im Leben der Kirche unserer Zeit“ zurückgehen, weil es „unablässig auf jene Quelle zurückzugreifen gilt“. 1490 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zweck war es, „jene außergewöhnliche Atmosphäre kirchlicher Gemeinschaft wieder lebendig zu machen, die die ökumenische Versammlung in der gegenseitigen Teilnahme an den Leiden und Freuden, den Kämpfen und Hoffnungen, die in den verschiedenen Teilen der Welt zum Leib Christi gehören, gekennzeichnet hat; — Erfahrungen und Informationen über die Anwendung des Konzils im Rahmen der Universalkirche und der Teilkirchen auszutauschen und zu vertiefen; — die weitere Vertiefung und ständige Einbringung des Zweiten Vatikanums in das Leben der Kirche auch im Licht der neuen Erfordernisse zu fördern“ (Schlußwort bei der Eucharistiefeier am 25. Januar 1985 in St. Paul vor den Mauern,-. OR, dt., 1.2.1985,1). Das war die grundlegende Ausrichtung der Synode, die mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen und mit teilnehmendem Interesse von der öffentlichen Meinung in der Welt verfolgt wurde. Wie ich nach Abschluß der Arbeiten ausführte, hat sich bei ihr „in hervorragender Weise der Geist der Kollegialität“ gezeigt (Ansprache am 7. Dezember 1985: OR, dt., 20.12.1985,11). Vor allem hat sich bei der Gelegenheit die Übereinstimmung der ganzen Kirche hinsichtlich des Konzils gezeigt. Als man 20 Jahre nach seinem Abschluß Bilanz über jene Gesamtheit von Studien, Initiativen, Orientierungen, Versuchen und praktischen Experimenten ziehen wollte, die das Zweite Vatikanum in diesen zwei Jahrzehnten hervorgerufen hatte, empfand man den Wunsch nach einer Pause der Sammlung und Reflexion, um im Licht des Wortes Gottes und mit Hilfe der Gnade des Herrn einen objektiven Lagebericht zu erstatten und mit neuem Scharfsinn, unter dem Impuls des Heiligen Geistes, die Appelle der Zeichen der Zeit wahrzunehmen; um Pläne für das pastorale und kollegiale Vorgehen auf der Linie der Konzilsdokumente, vor allem der vier großen Konstitutionen, neu zu formulieren; um zu sehen, was wirklich Gültiges durchgeführt worden ist und welcher weitere Schritt nach vorn möglich und geboten ist. Die ganze Kirche fühlte sich von diesem Bewußtsein miteinbezogen. Ich. möchte noch einmal von hier aus meine besondere Wertschätzung bekunden für die Bereitschaft und Solidarität, mit der die Einladung zu der Synode für den angegebenen Zweck von ihrer ersten Ankündigung an aufgenommen worden ist. In der Tat hat die ganze kirchliche Gemeinschaft — durch die Bischöfe, die als Vertreter der Ostkirchen und der verschiedenen Bischofskonferenzen und als Sprecher der Erwartungen aller Glieder des Gottesvolkes entsandt wurden — einmütig bewiesen, daß sie sich dem Vermächtnis des Konzils zu stellen bereit ist; sie will alle seine Weisungen gründlicher studieren und diese aufgrund der schwerwiegenden Verantwortung für die Evangelisierung der ganzen Welt in einem immer weiteren Umkreis zur Anwendung bringen. Man hat klar erkannt, daß das Zweite Vatikanum die Seele dieses pastoralen Wirkens der heutigen Kirche ist und daß der ernste Wille besteht, seine großen 1491 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Leitlinien fortzuführen und dem von ihm angegebenen Weg zu folgen. Dafür sei Gott gedankt. 4. Der Heilige Geist hat die Arbeiten der Synode begünstigt und beschützt. Wie es vor 20 Jahren die Pflicht verlangte, dem Beistand für das von ihm der Kirche gewährte Geschenk des Konzils zu danken, so gilt es in diesem von der außerordentlichen Synode gekennzeichneten Zeitabschnitt, ihm für seinen verhaltenen, aber wirksamen Ruf zu danken, von dem die Initiative für die Synodenversammlung ausgegangen ist und aus dem dann im Rahmen der außerordentlichen Synode unter der weisen Koordinierung des Generalsekretärs und seiner Mitarbeiter die Begegnungen der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen der ganzen Welt entstanden sind, ebenso die der Kardinalpräfekten der Dikasterien der Römischen Kurie, der Generalobern, der verschiedenen Glieder der Ordensfamilien und der Laien, den Männern und Frauen unserer Zeit. Der Dank muß auch deshalb zum göttlichen Geist emporsteigen, weil sich der Dienst der Synode in ihren verschiedenen Bereichen als eine wirksame und offenkundige Bestätigung ihres institutionellen Wesens und ihrer Zielsetzungen herausgestellt hat. Auf diese Weise hat sich die Gesamtkirche und jede Teilkirche in der universalen Eintracht von Absichten und Arbeiten — „corunum et anima una„ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32) — neu gefestigt, indem sie sich die Einstellung und Ausrichtung des Konzils bewußt machte, und hat sich aufs neue zur Erfüllung — in der Liebe — der Sendung berufen gefühlt, die Petrus und den Aposteln von Christus anvertraut worden war. „Bleibt in meiner Liebe!“ 5. Ein bedeutsames Zeugnis der erwähnten kollegialen Sorge und des gemeinsamen Bemühens zur ständigen und wachsenden Aufwertung der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils beizutragen, ist die Relatio finalis, das Schlußdokument der außerordentlichen Bischofssynode des vergangenen Jahres gewesen. Dieses Dokument war ein mit ausgewogener Objektivität und mit lebhafter pa-storaler Sorge vorgenommer Blick auf die Probleme der nachkonziliaren Kirche: eine Prüfung, die von der in diesen 20 Jahren geschaffenen Situation Kenntnis genommen hat — mit allen ihren großartigen Errungenschaften, aber auch mit den Schattenseiten, von denen die Entwicklungen mitunter begleitet sein konnten; und infolgedessen hat das Schlußdokument aufgrund günstiger Anregungen die wichtigsten und entscheidenden Probleme des Lebens der heutigen Kirche einer gründlichen Betrachtung unterzogen: das Geheimnis der Kirche im Rahmen des Geheimnisses des dreieinigen Gottes, in dem logischerweise die universale Berufung zur Heiligkeit wurzelt und sich abspielt; die 1492 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Quellen, aus denen die, Kirche lebt: vor allem das Wort Gottes und die Forderungen nach einer dem heutigen Menschen angemessenen Evangelisierung, ohne den wechselseitigen Beitrag des Lehramtes der Bischöfe und der Arbeit der Theologen zu vernachlässigen; und zweitens die Liturgie, die „sehr klar den Sinn für das Heilige fördern und ihn aüfleuchten lassen muß“ (Schlußdokument, IIB. b 1), indem sie zu diesem Zweck die „mystagogische Katechese“ fördert; die Wirklichkeit der Kirche, verstanden als Communio, Gemeinschaft, in der tiefen Harmonie zwischen den Forderungen nach Einheit und Vielfalt, im Austausch zwischen den Kirchen des Orients und des Okzidents, im Beitrag der Bischofskonferenzen; die Sendung der Kirche mit den gewaltigen Konsequenzen des Aggiomamento, der Inkulturation, des Dialogs mit den nichtchristlichen Religionen und mit den Nichtglaubenden, der bevorzugten Option für die Armen, der allseitigen Förderung des Menschen — in der von Gaudium et spes vorgezeichneten Spur und entsprechend der Soziallehre der Kirche. Ein weiterer Punkt, den man sich bei den Synodensitzungen sehr zu Herzen nahm, war die Ausbildung der künftigen Priester: in ihrer Hand wird die Kirche des dritten Jahrtausends sein, und ihr pastorales Wirken, die lebendige Umsetzung der Lehren des Konzils, wird sehr großes Gewicht haben. Sehr wohlwollend wurde auch das Echo auf ökumenischem Gebiet aufgenommen: denn die Synodenväter haben nachhaltig die Bereicherung betont, die das Zweite Vatikanum in dem ruhigen und doch steten Fortschreiten in die Entwicklungen des Ökumenismus gebracht hat; einem Fortschreiten das vielversprechende Früchte zeigt. Dieses ökumenische Bemühen wurde auch von dem Gottesdienst unterstrichen, an dem ich zusammen mit den zehn Beobachtern der kirchlichen Gemeinschaften und Kirchen der Welt teilnahm, die heute in dem theologischen Dialog mit der katholischen Kirche engagiert sind. Die Gesamtheit aller dieser Elemente war von einer tiefen Suggestivkraft und Beredtheit: wahrhaftig hat wieder der Geist „wie das Rauschen von Wassermassen“ (Offb 1,15; 2,7.11.17.29; 3,6.13.22) zu den Kirchen gesprochen. Das Schlußdokument liegt nun als eine der Kirche übergebene Gesamtheit von Überlegungen und Wünschen bereit, damit alle daraus nicht nur in Worten, sondern mit der ernsten Bereitschaft, darauf zu hören und es anzuwenden, die Linien ziehen für die pastorale Tätigkeit am Ausgang des zweiten Jahrtausends. Wie ich in der bereits zitierten Schlußansprache sagte, „ist es Aufgabe der Bischöfe als Seelenhirten, gemeinsam mit den ihnen zur Seite stehenden Priestern, die Gläubigen über das zu belehren, was die Synode vorgelegt hat, und sie zu ermahnen, sich aus den Schätzen des Konzils mit neuem Enthusiasmus zur Führung eines christlichen Lebens anspornen zu lassen, das von Tag zu Tag mehr den Grundsätzen des Glaubens verpflichtet ist“ (Schlußansprache bei der außerordentlichen Bischofssynode, 7. Dezember 1985, Nr. 8: OR, dt., 20.12. S. 11,14). 1493 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 6. Es sei mir gestattet — im Zusammenhang mit der Anwendung des Konzils, wofür die außerordentliche Bischofssynode ein klares Zeugnis war — noch einmal an die Festsetzung der Pastoralsynode der Diözese Rom zu erinnern, die ich bereits bei der großen Pfingstvigil am 17. Mai angekündigt habe. In diese Tage fällt die Aufstellung der dazu bestimmten Vorbereitungskommission, die die notwendigen Elemente für die Ausarbeitung des tatsächlichen Arbeitsplanes für die unmittelbare Verwirklichung der Initiative sammeln soll. Die Pastoralsynode soll nach jener, die von Johannes XXIII. abgehalten wurde, die konkrete Antwort der Diözese Rom auf die Weisungen des Zweiten Vatikanums im Hinblick auf die verschiedenen Dimensionen der Kirche sein, sei es in ihrem Innern, sei es, daß sie im Dialog und in den Kontakten mit sämtlichen Formen des modernen zivilen und gesellschaftlichen Lebens auftritt: deshalb werden wir nicht müde werden, dem Herrn den guten Ausgang der Arbeit, die auf uns zukommt, im Hinblick auf das künftige Schicksal der Kirche in Rom zu empfehlen. 7. Ich halte es für nützlich, jetzt einige besondere Aufgaben zu erwähnen, die in den Teilkirchen durchaus nicht fehlen dürfen und auf die zum Abschluß der Vollversammlung der außerordentlichen Bischofssynode mit vorrangiger Aufmerksamkeit hingewiesen wurde. Es sind: — die Veröffentlichung des Codex des kanonischen Rechts für die orientalischen Kirchen; — die Vorbereitung eines Katechismus oder Kompendiums der ganzen katholischen Lehre; — die Vertiefung des Studiums des Wesens der Bischofskonferenzen. Der Rat des Generalsekretariats der Synode, der zur Mitarbeit an diesem Arbeitsplan berufen wurde, hat sich in seiner Sitzung im März d.J. mit der Art der Verwirklichung der Synodenvorschläge beschäftigt. a) Was den Codex des orientalischen Kirchenrechts betrifft, so arbeitet die zuständige Kommission daran, damit den geliebten Kirchen des Orients möglichst bald ein Codex ausgehändigt werden kann, in dem sie nicht nur ihre Überlieferungen und Disziplinen, sondern auch und vor allem ihre Rolle und ihre Sendung in der Zukunft der Gesamtkirche und bei der Ausweitung der Dimension des Reiches Christi, des Pantokrators, erkennen. b) Die Vorbereitung des Katechismus entspricht gleichfalls einem präzisen Vorschlag der außerordentlichen Bischofssynode aufgrund einer in der ganzen Kirche nachdrücklich empfundenen Notwendigkeit der größeren Klarheit und Sicherheit in bezug auf die Lehre, um Lehren und Interpretationen des Glaubens und der Moral, die untereinander bzw. mit dem universalen Lehramt der 1494 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kirche nicht übereinstimmen, ein Ende zu setzen. Zu diesem Zweck wurde die Vorbereitung eines Kompendiums der katholischen Glaubens- und Sittenlehre empfohlen, damit es einen Bezugspunkt für die in den einzelnen Regionen erstellten oder zu erstellenden Katechismen gibt (vgl. Schlußdokument, IIB, a 4). Es war nicht das erste Mal, daß die Bischöfe eine Richtlinie für die Katechese unserer Zeit forderten. Insbesondere war davon die Rede anläßlich der ordentlichen Bischofssynode von 1977 und in dem Apostolischen Schreiben Catechesi tradendae. In dem ich den Vorschlägen der Synode zustimmte, wandte ich mich an die Bischofskonferenzen, daß sie „mit Geduld, aber fest entschlossen die anspruchsvolle Arbeit in Angriff nehmen (sollten), in Übereinstimmung mit dem Apostolischen Stuhl gute Katechismen zu schaffen, die getreu die wesentlichen Inhalte der Offenbarung darlegen, methodisch der heutigen Zeit entsprechen und so in der Lage sind, die christlichen Generationen der Zukunft zu einem kraftvollen Glauben zu erziehen“ (Nr. 50). Der einmütige Vorschlag der zweiten außerordentlichen Vollversammlung der Synode hat gefordert, daß man möglichst bald zur Erstellung eines Katechismus für die Gesamtkirche schreiten möge, die vom Hl. Stuhl mit dem genannten Ziel gefördert werden muß. Die Initiative wird zwei Phasen erfordern: die Vorbereitung eines Arbeitspapiers und die Konsultation der orientalischen Kirchen und der Bischofskonferenzen zu diesem Entwurf. Die Vorbereitung dieses Arbeitspapiers verlangt eine ständige Bezugnahme auf und Verbindung zu den Erfordernissen der Gesamtkirche. Für die Abfassung des Papiers schien es daher wichtig, sie einer zahlenmäßig beschränkten, aber repräsentativen Gruppe von Bischöfen der verschiedenen Kontinente und Verantwortlichen der zuständigen Dikasterien der Römischen Kurie anzuvertrauen. Darauf wird die Konsultation der Bischöfe und Meister der Verkündigung des Wortes folgen, um ihre Vorschläge und Meinungen einzuholen, wie dies auch für den neuen Codex des kanonischen Rechts geschehen ist, damit das vollführte Werk tatsächlich eine Antwort auf die Erwartungen der Kirche ist. Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen hielt man es für angebracht, eine Sonderkommission einzusetzen, die am 10. Juni angekündigt wurde: Sie setzt sich zusammen aus zwölf Kardinälen und Bischöfen als Vertreter der Römischen Kurie, der Teilkirchen und des Sekretariats der Synode unter dem Vorsitz des Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre. Die Kommission wird sich für den Fortgang ihrer Arbeit an Berater und Experten wenden können, damit die Ausarbeitung des Katechismus in dem Stil und in der Form erfolgt, die von den Synodenvätern gewünscht werden und die den pädagogischen, psychologischen und technischen Erfordernissen der modernen Gesellschaft und Kultur entsprechen. Das Ergebnis der nachfolgenden Konsultation 1495 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sollte zu einem echten und tatsächlichen Katechismus-Entwurf führen, der dann einer der nächsten ordentlichen Vollversammlungen der Bischofssynode vorzulegen wäre im Hinblick auf die Approbation durch den Papst und die nachfolgende Veröffentlichung, die mit des Herrn Hilfe anläßlich des 25. Jahrestages des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils erfolgen könnte. c) Was die Bischofskonferenzen betrifft, so sind sie in diesen Jahren in allen Teilen der Welt zu einer konkreten, lebendigen und wirksamen Realität geworden. Die Synode sprach den Wunsch aus, daß das theologische Studium über die Bischofskonferenzen und vor allem über ihre Aufgaben hinsichtlich der Lehre vertieft werde. Sicher, es fehlt nicht an wertvollen Beiträgen über die Bischofskonferenzen, aber das Anwachsen ihrer Strukturen und ihres Einflusses läßt auch Probleme hinsichtlich Lehre und Pastoral entstehen, die sich aus der Logik ihrer Entwicklung und ihrer Bedeutung ergeben. Die Vorschläge der Synode, das Studium über Wesen, Zuständigkeiten und Aktionsradius der Bischofskonferenzen zu vertiefen, beruft sich auf das Konzilsdekret Christus Dominus (Nr. 30) und auf den Codex des kanonischen Rechts, der festlegt, daß in den Bischofskonferenzen die Bischöfe „gewisse pastorale Aufgaben gemeinsam ausüben, um das höhere Gut, das die Kirche den Menschen gewährt, zu fördern“, vor allem durch Formen und Methoden des Apostolats, die den zeitlichen und örtlichen Umständen in geeigneter Weise angepaßt sind“ (C/C, can. 447). Das gewünschte Studium betrifft also Aspekte der Lehre hinsichtlich des Wesens und der Autorität der Bischofskonferenzen. Eben im Hinblick auf die tiefere Bedeutung, die die Art und der Umfang eines solchen Studiums auslösen können, wurde beschlossen, es einem Zentralorgan der Kirche zu übertragen, das dank seiner Erfahrung und seiner Struktur den Anforderungen hinsichtlich der Lehre und dem Ansatz der Arbeitsmethode zu entsprechen vermag. Folglich habe ich mit Schreiben vom 19. Mai dem Kardinalpräfekten der Kongregation für die Bischöfe die Verantwortung für das Studium der vorliegenden Frage übertragen. Der geplante Vorgang gründet sich auf die Konsultation der Ortskirchen und die Zusammenarbeit repräsentativer und zuständiger Organe der Römischen Kurie. 8. In diesem Zusammenhang will ich einige Überlegungen zum Thema Subsidiarität anfügen, das eng mit der Frage des Wesens und Zwecks der Bischofskonferenzen verbunden ist. Das Schlußdokument hat nämlich auch empfohlen, daß „eine Studie prüfen solle, ob das für den Bereich der menschlichen Gesellschaft gültige Subsidiaritätsprinzip auch im Bereich der Kirche angewandt werden kann und — wenn ja — bis zu welchem Grade und in welchem Sinne seine 1496 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Anwendung möglich bzw. nötig sei“ (11, C, 8c). Das ist, wie man sieht, eine subtile Frage, die auf Probleme sozialer, nichtkirchlicher Natur zurückgeht. Bereits meine Vorgänger Pius XI. und Pius XII. seligen Andenkens hatten sie als gültiges Prinzip für das gesellschaftliche Leben angenommen, während sie für das Leben der Kirche festgestellt hatten, daß jede Anwendung „unbeschadet der hierarchischen Struktur“ erfolgt, wie sich Pius XII. am 20. Februar 1946 ausdrückte nach der Verleihung des Biretts an die damals neuernannten Kar-dinäle {Ansprachen und Radiobotschaften, VII, 389), wie auch unbeschadet des Charakters bzw. der Ausübung des Primats des Römischen Papstes (vgl. Erstes Vatikanisches Konzil, DS 3060-3064). Die außerordentliche Synode des Jahres 1969 hatte bereits diese Frage behandelt und verlangt, daß die Zuständigkeit der Bischöfe — sowohl als einzelne wie in der Konferenz versammelte — besser untersucht und präzisiert werden sollte. Nachfolgend hat der Codex in seiner Vorrede „entweder dem partikularen Recht oder der ausführenden Gewalt überlassen, was für die Einheit der gesamtkirchlichen Disziplin nicht notwendig ist (CIC, Praefatio). Das Konzil und dann der Codex haben, obwohl sie den Gebrauch des Begriffs Subsidiarität vermeiden, zur Beteiligung und zur Gemeinschaft unter den Organen der Kirche ermutigt. Das ist, wie man sieht, nicht bloß eine Frage der Terminologie, sondern auch der Vorstellungen. Deshalb wünschte die Synode die weitere Vertiefung der Frage durch eine entsprechende Studie. Die Möglichkeiten und Formen ihrer Durchführung sind so umfassend, daß der Rat des Sekretriats der Bischofssynöde mich gefragt hat, und ich habe gern zugestanden, daß eine weitere Betrachtung über dieses besondere Thema gehalten wird, um mehr Elemente und Ideen zu sammeln, und ein Status quaestionis festgelegt wird. Die Arbeit hat begonnen, und die ersten Ergebnisse sollen bei der kommenden Herbstversammlung dieses Rates geprüft werden. Das Zweite Vatikanische Konzil hat ein neues Nachdenken über die Theologie des Bischofsamtes eingeleitet, das in der Anwendung der Kollegialität und der kirchlichen Gemeinschaft seine konkreten Wirkungen zeitigt. Neue Formen der Zusammenarbeit und Mitverantwortlichkeit rufen neue Vorstellungen und Wege für das theologische Denken wach. Aber die an neuen Ideen und Begriffen reiche Ekklesiologie des Konzils ist auch darauf bedacht, keine unangemessene Spannung zwischen der theologischen und der pastoralen Ordnung zu schaffen. Zudem steht die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums unter ihren verschiedenen Aspekten (communio, Geheimnis, Kollegialität, Charismen, Zusammenarbeit) dem philosophisch-politischen Prinzip der Demokratie fern, da „die Zugehörigkeit zur Kirche als Volk Gottes aus einem besonderen Ruf in Verbindung mit dem Heilswirken der Gnade kommt“ {RH 21). 1497 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 9. Meine Herren Kardinale! Liebe Brüder und Schwestern! Nachdem wir an das Ende dieser Begegnung gekommen sind, die uns zum Gebet im Gedenken an Petrus an seiner Grabstätte versammelt sieht, muß ich gemeinsam mit euch meine Verehrung und meine Dankbarkeit für den Heiligen Geist erneuern, der die Kirche unserer Zeit auf dem schwierigen Weg der vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestrebten Erneuerung geführt hat. Unter seiner Führung wurde auch die außerordentliche Bischofssynode des vergangenen Jahres zum Abschluß gebracht, mit einem — in den Synodenvätern und in der ganzen Kirche — neuen Bewußtsein, daß ohne die Hilfe des Heiligen Geistes nichts Heiliges und Entscheidendes vollbracht werden kann, um den Sendungsauftrag Christi in der Welt weiterzuführen. Sine tuo numine, nihil. Ohne deinen Willen kann nichts getan werden.“ Der Heilige Geist hat die Arbeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils geleitet, er hat die Arbeiten der darauffolgenden Synoden bis zu jener jüngsten geleitet mit dem Feuer seiner Liebe und der Brise seines Trostes. In labore requies. „In der Unrast schenkst du Ruh.“ Er hat die Herzen aller Hirten und des Gottesvolkes erfüllt: reple cordis intima tuorum fidelium. „Erfülle die Herzen deiner Gläubigen.“ So hat er uns zu jener Erkenntnis der Wahrheit geführt — docebit vos omnem veritatem, „er wird euch in die ganze Wahrheit führen“ (Joh 16,13) —, die Christus den Aposteln im Abendmahlssaal vor seinem Tod und seiner Auferstehung verheißen hat und die sich in jedem Zeitalter der Kirche, besonders in jenen entscheidenden Zeiten, wie es die unsere ist, weiter verwirklicht. Und ihr, meine lieben Mitarbeiter, habt mit mir dieses Ereignis erlebt und seid in der einen oder anderen Weise in die Fortführung der Tätigkeit des Apostolischen Stuhls miteinbezogen gewesen. Wir stehen alle unter der Eingebung des Geistes, „der Herr ist und lebendig macht“. Deshalb möchte ich, daß die kürzlich mit Datum von Pfingsten veröffentlichte Enzyklika von euch auch als Zeichen der Dankbarkeit an den Geist Gottes angenommen wird, der uns alle führt, uns belehrt und uns tröstet, der uns immer aufs neue in ein neues Pfingsten eintaucht. „Inmitten der Probleme, Enttäuschungen und Hoffnungen, des Abfalls und der Rückkehr von Gläubigen in unserer Zeit bleibt die Kirche dem Geheimnis ihrer Geburt treu. Wenn es eine geschichtliche Tatsache ist, daß die Kirche am Pfingsttag aus dem Abendmahlssaal ausgezogen ist, so kann man doch in einem gewissen Sinn auch sagen, daß sie ihn niemals verlassen hat. Geistig gesehen gehört das Pfingstgeschehen nicht nur der Vergangenheit an: Die Kirche ist immer im Abendmahlssaal, sie trägt ihn im Herzen. Die Kirche verweilt im Gebet, wie die Apostel zusammen mit Maria“ (Dominum et vivificantem, Nr. 66). 1498 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Danken wir dem Herrn, daß er uns ständig in diesen grundlegenden Erfahrungen leben läßt. Selig sind wir, wenn wir uns gefügig von ihm führen lassen, um aus ihm im Dienst der Kirche und der Brüder zu leben. Das wünsche ich euch mit den Worten des hl. Augustinus: „Wenn ihr...aus dem Heiligen Geist leben wollt, haltet die Liebe hoch, liebt die Wahrheit, sehnt euch nach der Einheit, um in die Ewigkeit zu gelangen“ (Serm. 261,4: PI 38,1229). Und in der Liebe des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes segne ich euch alle. „Dialog der Liebe“ immer wieder neu Ansprache an die Delegation des ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel am 28. Juni Liebe Freunde! „Gnade sei mit euch und Friede in Fülle“ (1Petr 1,2), mit euch, Brüder, die ihr von Patriarch Dimitrios I. zur Teilnahme am Fest der hll. Petrus und Paulus entsandt worden seid! Es ist eine Freude für mich, euch mit denselben Worten zu begrüßen, die der hl. Petrus an die ersten Christen von Pontus, Galatien, Kappadozien, der Provinz Asien und Bithynien gerichtet hat. Seid willkommen bei uns! Eure Anwesenheit, die unsere Freude in diesen Festtagen erhöht, bringt auch unseren gemeinsamen Willen zum Ausdruck, die volle Einheit zwischen unseren Kirchen wiederherzustellen. Indem wir hier und im ökumenischen Patriarchat die Feste der heiligen Apostel und Patrone unserer Kirchen gemeinsam feiern, geben wir dem Dialog der Liebe immer wieder einen neuen Impuls. Vom apostolischen Glauben gestärkt, werden wir an die Schwelle der Eucharistiefeier geführt, und die derzeitige Unmöglichkeit einer Konzelebration, weit davon entfernt, uns zu entmutigen, drängt uns dazu, alles ans Werk zu setzen, um die noch zwischen uns bestehenden Gegensätzlichkeiten zu überwinden. Die Gemeinschaft im Gebet konzentriert die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche, auf den Willen Gottes und stärkt die Treue und den aufrichtigen Gehorsam, die wir ihm schulden. Zugleich befreit diese Gemeinschaft im Gebet von gewissen, aus der Vergangenheit geerbten Bedingungen, indem sie das Herz und den Geist von Absichten reinigt, die mit dem Plan Gottes für seine Kirche nicht übereinstimmen, ich möchte, daß diese Gepflogenheit, zum gemeinsamen Gebet zusammenzukommen, sich dort immer stärker ausweitet, wo Katholiken und Orthodoxe nebeneinander leben. 1499 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gewiß, wenn unsere Kirchen seit fast 1000 Jahren nicht mehr miteinander die Eucharistie feiern, so bedeutet dies, daß die Gegensätze von beiden Seiten als sehr schwerwiegend angesehen wurden. Der theologische Dialog ist daher unerläßlich. Er wird die Mißverständnisse klären, die Gegensätzlichkeiten erörtern und auflösen und schließlich die Einheit im Glauben erklären müssen. Dieser theologische Dialog, dessen Eröffnung ich zu meiner Freude zusammen mit Patriarch Dimitros gerade anläßlich des Festes des hl. Andreas, des Bruders des hl. Petrus, ankündigen konnte, wird seine Aufgabe bis zum Ende erfüllen müssen, aufmerksam auf die Eingebungen des Heiligen Geistes und frei von Beunruhigung um Dinge, die seinem eigentlichen Ziel fremd sind. Das wissen wir alle. Es handelt sich um einen konkreten und komplexen Dialog. Er nimmt Personen und Situationen aus verschiedenen Erfahrungsbereichen in Dienst. Er schließt immer ein echtes Opfer ein. Gespräch im Dialog bedeutet, den anderen in seiner ganzen theologischen, pastoralen, geschichtlichen, kulturellen und psychologischen Vielschichtigkeit zu berücksichtigen. Das bringt auch das wirkliche Risiko mit sich, auf Schwierigkeiten zu stoßen, die mitunter einen Gang verlangsamen, von dem wir alle gern hätten, daß er uns schneller und freier voranbrächte. Aber wir wollen ja das Ziel erreichen: den Altar der gemeinsamen Eucharistiefeier. Die in dem Dialog engagierten Theologen werden sicher in Treue zur Heiligen Schrift und zur großen gemeinsamen Überlieferung unserer Kirchen den richtigen Weg finden. Zu dieser für die Kirche Christi so lebenswichtigen Aufgabe ermutigen wir sie und unterstützen sie aus ganzem Herzen. Wenn die Wiederherstellung der vollen Einheit der Christen eine unbestreitbare evangelische Forderung ist, so ist sie tatsächlich auch eine dringende Notwendigkeit für die Welt in unserer unruhigen und aufgeregten Zeit, die sich mit den Versuchungen der Gewalt, der Spaltung und des Todes konfrontiert sieht. Die Heilung der Wunde, die die Spaltung zwischen Orient und Okzident der christlichen Gemeinschaft zugefügt hat, wird nicht nur für die Katholiken und Orthodoxen, sondern für die gesamte christliche Gemeinschaft von Nutzen sein und der Offenbarung des Evangeliums in der Welt sehr helfen. Die Einheit ist ein Gut für alle und enthält für niemanden eine Bedrohung. Die Einheit bedeutet nicht Aufgehen einer Gemeinschaft in einer anderen, sondern volle Gemeinschaft des Glaubens bei Achtung vor der Vielfalt der verschiedenen Traditionen in dem Maße, in dem sie denselben Glauben zum Ausdruck bringen und das eine Evangelium in den örtlichen Kulturen verkörpern. Die letzte außerordentliche Synode der Bischöfe der katholischen Kirche, die anläßlich des 20. Jahrestages des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils einberufen wurde, hat wiederum die Bedeutung einer Sicht der Kirche als Gemeinschaft bestätigt. Im Schlußdokument heißt es: „Die ,Communio‘- 1500 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ekklesiologie ist die Grundlage für die Ordnung in der Kirche und besonders für die rechte in ihr bestehende Beziehung zwischen Einheit und Vielfalt“ (.Schlußdokument, II,C,1). Es ist der Herr, der uns auf dem Pilgerweg zur vollen Einheit führt, damit wir besser vor seinem Namen unter den Menschen Zeugnis geben und der Welt besser den Segen Gottes, die Erlösung und die Hoffnung, die nicht täuscht, verkünden können. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn, Jesus Christus: Er hat uns in seinem großen Erbarmen neu geboren, damit wir durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten eine lebendige Hoffnung haben und das unzerstörbare, makellose und unvergängliche Erbe empfangen“ (1 Petr 1,3 f.). Mit diesen Gefühlen der Freude, der Gemeinschaft und des engagierten Einsatzes empfangen wir euch heute und bitten euch, meinem Bruder in Christus, dem ökumenischen Patriarchen Dimitros I., den Ausdruck meiner Dankbarkeit für eure Entsendung sowie meine Hochachtung und meine Liebe in Jesus Christus zu überbringen. „Gnade sei mit euch und Friede in Fülle!“ (1 Petr 1,2). Durch Gottes Macht von aller Angst befreit Predigt bei der feierlichen Messe am Fest Peter und Paul, 29. Juni 1. Der Herr hat mich von allen Ängsten befreit (vgl. Ps 34,5). In der feierlichen Liturgie am Fest der hll. Apostel Petrus und Paulus singt die Kirche den 34. Psalm. Dieser Psalm ist eine leidenschaftliche Aufforderung zur Anbetung Gottes, zur freudigen Verkündigung seiner Herrlichkeit unter den Menschen. „Ich will den Herrn allezeit preisen; immer sei sein Lob in meinem Mund. Meine Seele rühme sich des Herrn; die Armen sollen es hören und sich freuen“ (Ps 34,2 f.). Es ist, als wollten die beiden Apostelheiligen mit diesen Worten der Kirche in Rom und in der ganzen Welt ihre letzte Botschaft übermitteln; die Botschaft, die mit dem Tag ihres Märtyrertodes verbunden ist, dessen das heutige Fest gedenkt und der sich jedes Jahr im Gedächtnis der Kirche und der Welt erneuert. Im Mittelpunkt dieser Botschaft stehen die Worte, die Zeugnis geben von der Macht des Herrn, des Geistes des Herrn, der jede menschliche Schwachheit überwindet. „Ich suchte den Herrn, und er hat mich erhört, er hat mich allen Ängsten entrissen“ (Ps 34,5). 1501 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Ja. Der Herr hat mich allen Ängsten entrissen. Im Zusammenhang mit den Lesungen der heutigen Liturgie lassen uns diese Worte vor allem an die Todesangst denken, die Petrus und zusammen mit ihm die ganze Kirche Jerusalems erlebte, als der Apostel von Herodes Agrippa I. ins Gefängnis geworfen wurde „in der Absicht, ihn nach dem Paschafest dem Volk vorführen zu lassen“ (Apg 12,4). Das war zweifellos einer der kritischen Augenblicke am Beginn des Lebens der Apostelkirche, um so mehr, als Herodes bereits vorher „Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert hatte hinrichten lassen“ (Apg 12,2): Ein Augenblick schwerer Prüfung für Petrus und die kleine christliche Gemeinde in Jerusalem! Es war daher nicht erstaunlich, daß, während Petrus im Gefängnis festgehalten wurde und die Bewachung besonders verstärkt worden war, von der Gemeinde unablässig ein Gebet für ihn zu Gott aufstieg (vgl. Apg 12,4 f.). Und das Gebet der Kirche wurde erhört. Als Petrus auf wunderbare Weise aus dem Gefängnis herausgeführt wurde, wo er von vier Abteilungen von je vier Soldaten bewacht worden war, machte er sich gewissermaßen die Worte des Psalmisten zu eigen: „Der Herr hat mich von allen Ängsten befreit.“ 3. Wenn man aufgrund des Verlaufs der im Evangelium wiedergegebenen Ereignisse urteilt, so war Simon Petrus kein kleinmütiger Mann, ja er bewies eine gewisse ungetüme Heftigkeit, als er das Schwert zog, um seinen Meister in Get-semani zu verteidigen. Doch er kannte auch Augenblicke der Niedergeschlagenheit und Verzagtheit, wovon die Nacht in Getsemani und die Verhaftung Jesu zeugen, wo Petrus den Herrn verleugnete. Er war weder auf dem Kreuzweg noch auf Golgota dabei. Zweifellos löste das Geschehen des Karfreitags im Herzen der Apostel und des Petrus Entmutigung und Angst aus: Angst vor dem, was bereits geschehen war, und vor dem, was möglicherweise in Zukunft geschehen könnte. Der Seelenzustand, in dem die Apostel und Petrus nach der Kreuzigung Christi lebten, läßt sich nur schwer beschreiben. Der Tag der Auferstehung hat natürlich eine radikale Änderung mit sich gebracht: der Herr hat sie wahrhaftig von allen Ängsten befreit, als er sich ihnen bereits am Abend im Abendmahlssaal offenbarte. Die Angst, die sich wegen der schrecklichen Prüfungen der vorausgegangenen Tage im Herzen des Petrus festgesetzt hatte, hatte jedoch nicht vermocht, in ihm die Liebe zu Christus zu zerstören. Der Herr hatte ihn durch die Liebe von aller Angst befreit. Wir wissen freilich, daß Petrus sich seiner Liebe zum Erlöser nicht mehr so sicher war wie früher. Auf die Frage: „Liebst du mich?“ antwortete er, indem er sich auf das berief, was Christus selbst in seinem Herzen 1502 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN wußte (vgl.Joh 21,17). Doch Christus kannte auch seine Schwächen, seine dreifache Verleugnung. 4. Wenn wir den weiteren Gang der in der Apostelgeschichte beschriebenen Ereignisse verfolgen, können wir feststellen, daß die endgültige Befreiung von der Angst am Pfingsttag erfolgte. Das ergibt sich aus dem Verhalten aller Apostel, als sie die Worte des Petrus hörten, die er an jenem Tag an die Bewohner Jerusalems richtete: „Der Herr hat mich allen Ängsten entrissen.“ Es besteht eine organische Verbindung zwischen diesem Tag und dem seines Märtyrertodes, der hier in Rom stattfand. Während dieser Zeit erscheint Petrus als ein Mann, der durch Gottes Macht — durch die Macht des Heiligen Geistes — von allen Ängsten befreit wurde. Diese Macht Gottes hat die apostolische Sendung des Petrus gestaltet, die im voraus angekündigt und ihm von Christus mit den Worten übertragen worden war: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“ (Mt 16,18). Diese göttliche Macht hat j enen Mann verwandelt. Sie hat ihn Schwachheit und Angst überwinden lassen. Der Herr hat ihn allen Ängsten entrissen und ihn in jener besonderen Diakonie der Liebe, dem Weiden seiner Herde, gestärkt. Meine Gedanken wenden sich jetzt besonders herzlich den lieben Brüdern im Bischofsamt zu, die — wie es Gepflogenheit ist — in diesem feierlichen Gottesdienst das Pallium erhalten. Dieses liturgische Zeichen ist nicht nur Ausdruck der Jurisdiktion, sondern weist außerdem auf eine besondere Verbundenheit mit dem Nachfolger Petri hin und fordert euch zu größerem Engagement in der Liebe zu Christus und zum Nächsten auf. Liebe Brüder, ich grüße euch herzlich und ermuntere euch, in eurem Dienst den Menschen zu Christus zu führen, indem ihr in euch und in den euch anvertrauten Personen jene Heiligkeit des Lebens bewahrt, die aus seiner Gnade kommt, und allen seine Wahrheit und seine Liebe mitteilt. Einen besonderen Gruß richte ich an den maronitischen Patriarchen von Antiochien, Seine Seligkeit Nasrallah-Pierre Sfeir, der mit einer Delegation von Erzbischöfen und Bischöfen nach Rom gekommen ist, wobei sie gleichsam den Spuren des Petrus folgten und im Herzen die Leiden und Hoffnungen des ganzen Libanon mit sich trugen. Ich freue mich, bei dieser Feier außerdem ganz herzlich die vom Patriarchen von Konstantinopel, Dimitrios I., entsandte Delegation unter dem Vorsitz Seiner Eminenz des Metropoliten Chrysostomos von Myra begrüßen zu können. Der traditionelle Besuch der Vertreter des Ökumenischen Patriarchen zum Fest der hll. Petrus und Paulus ist ein bedeutsamer Augenblick auf dem Weg zur Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft unserer Schwesterkirchen. 1503 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 5. Wir wenden unsere Aufmerksamkeit nun dem Apostel Paulus zu, der wie Petrus von der göttlichen Macht, wenn auch in anderer Weise, verwandelt wurde. Die menschliche Persönlichkeit des Saulus von Tarsus war zweifellos von jener des Fischers aus Galiläa verschieden: er war zuerst ein erbitterter Feind des „Namens Christi“ und wurde dann sein eifrigster Apostel. Auf andere Weise erfuhr er denn auch die Macht des Herrn an sich. In anderer — ja völlig verschiedener — Weise nahm er an der Ostererfahrung teil, die Petrus und die Apostel zuerst erlebt hatten. Man könnte sagen, Ostern ist zu Saulus zusammen mit Pfingsten gekommen und hat ihn unverzüglich in Paulus verwandelt. Und damals erlebte er einen sehr großen Schrecken, aber es war ein „befreiender“ Schrecken. Diese Züge der Persönlichkeit des Paulus sind uns vielleicht weniger bekannt; sie würden uns erlauben, sein Reifen von der Furcht zum Mut, wie im Fall des Petrus, festzustellen. Doch auch er gibt ein Zeugnis ähnlich jenem des Petrus: „Aber der Herr stand mir zur Seite und gab mir Kraft... und so wurde ich dem Rachen des Löwen entrissen. Der Herr wird mich allem Bösen entreißen ... (2 Tim 4,17 f.). Die Quelle der geistlichen Kraft des Völkerapostels, die Quelle seiner großen Stärke ist der Herr: Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, der durch den Geist der Wahrheit wirkt. An vielen Orten und bei vielen Gelegenheiten gibt Paulus von Tarsus davon ein durchsichtiges Zeugnis. 6. Das heutige Fest erneuert im Gedächtnis der Kirche die geistliche Geschichte der beiden Apostel: des Petrus und des Paulus. Sie macht das Zeugnis gegenwärtig, das sie bis zu ihrem Märtyrertod hier in Rom zur Zeit des Nero von Christus gegeben haben. In ihrem Tod haben sich die Worte des Psalmisten bis zum Äußersten erfüllt: „Ich suchte den Herrn, und er hat mich erhört, er hat mich all meinen Ängsten entrissen.“ Der Psalmist betont gleichzeitig, daß an dieser heilbringenden Befreiüng, die zugleich ein großartiger Sieg über die menschliche Schwachheit ist, die „Armen“ teilhaben, die „Gottesfürchtigen“, die „Armen im Geiste“, die ihr Vertrauen in Gott setzen und bei ihm die Kraft für den Sieg suchen. In diesem Sieg, in dem der Mensch die Macht Gottes bezeugt, gibt gleichzeitig Gott selbst, der Heilige Geist, Zeugnis vom Menschen. Der Mensch wird zu einem lebendigen Zeichen der siegreichen Macht Gottes. Auf diese Weise spricht die Botschaft der Apostelheiligen Petrus und Paulus auch in unseren Tagen zur Kirche. Denn die Kirche, die einzelnen Menschen, die Gemeinden, ob Laien oder Hirten, befinden sich ständig auf dem Prüfstand: es sind die verschiedensten Prüfungen. 1504 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Auf verschiedene Weise wird versucht, die Kirche und ihre Anhänger einzuschüchtern. Man kann auch in unserer Zeit von „einer Geographie der Einschüchterung“ der Kirche und der gläubigen Menschen sprechen. Man kann auch von verschiedenen Mechanismen der Einschüchterung sprechen, die teilweise den damaligen gleichen und teilweise von ihnen verschieden, perfektionierter und raffinierter sind. Das Zeugnis der heiligen Apostel Petrus und Paulus wiederholt gewissermaßen für alle und überall — mit derselben Schlichtheit und Demut, aber auch mit derselben Festigkeit wie in den Tagen Neros: „Ich suchte den Herrn, und er hat mich erhört, er hat mich allen Ängsten entrissen“ (Ps 34,5). Der Dialog ist die einzige Alternative zur Gewalt Botschaft an den Bürgermeister von Rom, Nicola Signorello, anläßlich des in der Ewigen Stadt veranstalteten Kongresses zum Thema „Der Dialog als universale Grundlage des Friedens“ vom 29. Juni An den Herrn Senator Nicola Signorello, Bürgermeister von Rom. Unter den Initiativen, die anläßlich des von den Vereinten Nationen ausgerufenen Jahres des Friedens weltweit ausgelöst wurden, kommt dem Kongreß, zu dem die Stadt Rom so viele und hervorragende internationale Vertreter aus Politik und Kultur eingeladen hat, sicherlich eine große Bedeutung zu. Gerade in meiner Eigenschaft als Bischof von Rom möchte ich, verehrter Herr Bürgermeister, einen ehrerbietigen und herzlichen Gruß an die Würdenträger, an die Persönlichkeiten und an die Gelehrten, die hier zusammengekommen sind, richten und ihnen meine Sympathie und Wertschätzung dafür ausdrük-ken, daß sie es akzeptiert haben, von der Stadt Rom aus der Welt einen Gedanken zum Thema „Der Dialog als universale Grundlage des Friedens“ zu widmen. Diese Botschaft der Universalität und des Dialogs ist schon deshalb reich an eindrucksvollen Symbolen, weil sie vom kapitolinischen Hügel ausgeht, der glorreichen Arx der Stadt, die eines Tages — und das ist einzigartig in der Geschichte — ihre eigenen Bürgerrechte auf alle Einwohner ihres weiten, aus verschiedenen Rassen gebildeten Vielvölkerstaates ausdehnte. Dazu kommt noch die seit zweitausend Jahren währende Identifikation Roms mit diesem Stuhl Petri, dem Herzen der katholischen Kirche, der die Botschaft Christi anver- 1505 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN traut ist, der alle Menschen zur Einheit in der Brüderlichkeit unter der universalen väterlichen Fürsorge Gottes aufruft. In dieser Hinsicht soll mein Gruß lebhaft dazu anspornen, daß sich jene Fermente der Einheit und des friedlichen Zusammenlebens vertiefen, die von unserem reichen geistigen und kulturellen Erbe beseelt und angeregt werden. Seitdem die Nationen sich vereint haben mit dem Übereinkommen, ihre Kontroversen auf friedlichem Weg beizulegen, seitdem die menschliche Gesellschaft begonnen hat, sich auf der Grundlage des Rechts, der Achtung vor der menschlichen Person und der immer breiteren Anteilnahme der Bürger staatlich zu begründen, ist der Dialog zu einem unerläßlichen Kriterium für die gegenseitigen Beziehungen geworden. Die Geschichte zeigt uns, daß der Dialog die einzige wahre Alternative zu den zerstörerischen Optionen der Gewalt und des Krieges bildet; aber er fordert seinerseits von den einzelnen wie von den Völkern eine beständige Anstrengung und einen hochherzigen Lernprozeß. Im Dialog ist der Wille enthalten, unter Respektierung der Verschiedenheiten zusammen in Richtung eines gemeinsamen Zieles vorzugehen. Personen, Gruppen und Völker können verschiedene Wertungen oder Methoden der Annäherung sowie auch gegensätzliche Interessen aufweisen: Der Dialog leugnet Spannungen und Gegensätze nicht, vielmehr begegnet man diesen in loyaler Weise und setzt auf die Möglichkeit, zu Berührungspunkten zu gelangen, die die Ansprüche der einen und der anderen gerecht und gebührend zum Ausgleich bringen. Bei dieser Suche ist es offenbar, daß der Dialog keinen Zwist darstellt, bei dem die Starken ihren Gesichtspunkt den Schwachen aufzwingen, sondern eine menschliche und bereitwillige Anstrengung, um sich zusammen der objektiven Wahrheit zu nähern, dem einzigen festen Kriterium für das gemeinsame Gut, das man erreichen will. Der Dialog beleuchtet einige Grundzüge des Menschen als soziales Lebewesen: die notwendige Anerkennung des Gesprächspartners als andersgeartet als man selbst, die gegenseitige Abhängigkeit der Personen und Völker voneinander, die heilige Pflicht, das Gewissen eines jeden zu respektieren, die Forderung, Freiheit und Rechte aller zu wahren, den moralischen Einsatz, zu der Errichtung von Frei- und Toleranzräumen in der Gesellschaft und zwischen den verschiedenen Systemen beizutragen. Kein Bereich darf ausgeschlossen werden: vom familiären bis zu dem der internationalen Beziehungen reichend, erstreckt sich der Dialog in vorteilhafter Weise auf die wirtschaftlichen und die Handelsbeziehungen, auf Vergleiche von politischen Programmen, auf die friedliche Gegenüberstellung von Ideen und Überzeugungen, niemals zum Schaden, sondern immer zum Vorteil der Wahrheit. Im Thema „Frieden“, das Ihr Kongreß in treffender Weise als Frucht eines universalen und nunmehr unverzichtbaren Dialogs vorgeschlagen hat, fließen alle 1506 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN diese verschiedenen Größenordnungen des menschlichen und internationalen Dialogs zusammen. Der Friede zwischen den Menschen und den Völkern ist sicherlich nicht die Frucht einer gewaltsam aufgezwungenen Ordnung, sondern vielmehr die eines Einvernehmens über gemeinsame Werte, die außerhalb möglicher Manipulationen liegen und auf einem Grund ruhen, der sich jeder Willkür entzieht. Die kulturelle und rechtliche Tradition, die auf der römisch-christlichen Zivilisation fußt, hat diesen transzendenten Kern glücklicherweise wiederentdeckt, als sie die unveräußerliche Würde der menschlichen Person als Basis und Ziel der gesamten sozialen Ordnung von neuem bestätigte. Sowohl bei den komplexen Problemen, aufgrund derer sich der Osten und der Westen gegenüberstehen — wobei die Beendigung des unvernünftigen Wettrüstens eines der hervorstechendsten und dringlichsten ist —, wie auch im Verhältnis der Beziehungen und des Austausches zwischen Nord und Süd scheint heute nur der Dialog das geeignete Terrain zur Annäherung zu sein, jenes Terrain, auf dem man voranschreiten kann zu einem größeren gegenseitigen Verstehen der Gesichtspunkte und der Verhältnisse, die auf den einen, wie auf den anderen lasten, und zu einer gerechteren Wertschätzung der wahren und beständigen Interessen der kleinen und großen Völker, die nun immer enger an ein gemeinsames Schicksal gebunden sind. Die Transzendenz der Grundwerte, die Toleranz und das wechselseitige Vertrauen, der gemeinsame Wunsch, auf einem Weg der Wahrheit vorwärtszukommen, sind richtungsweisende Leitlinien, die dem Dialog sichere und vielversprechende Orientierung geben. In diesem Sinn, Herr Bürgermeister, nehme ich aufrichtig an Ihren eifrigen Forschungen teil und rufe auf die Arbeit des Kongresses von Rom den reichen, helfenden Segen Gottes herab, denn — wie die Schrift lehrt — „der Herr gibt Weisheit“ (Spr 2,6). Aus dem Vatikan, am 29. Juni 1986, dem Fest der heiligen Apostel Petrus und Paulus. PAPST JOHANNES PAUL II. 1507 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Dienst an den Armen, Gemeinschaftsleben, Ausbildung für die Mission Ansprache an die Teilnehmer der Generalversammlung der Lazaristen am 30. Juni Lieber Pater Generalsuperior der Missionskongregation! Liebe Lazaristen-Patres! 1. Dem Herrn sei Dank! Er ist es, der uns die Gnade dieser Begegnung für einen besseren Dienst an der Kirche gewährt. Laßt uns auch Geist und Herz dem hl. Vinzenz von Paul zuwenden, dem Mann der Tat und des Gebets, der Organisation und der Phantasie, des Befehls und der Demut, dem Mann von einst und von heute. Möge der Bauer aus dem Departement Landes, der durch die Gnade Gottes zu einem Genius der Nächstenliebe geworden ist, uns allen helfen, abermals unsere Hände an den Pflug zu legen, ohne je zurückzublicken, für die einzige Feldbestellung, auf die es ankommt: die Verkündigung der Frohbotschaft an die Armen! Dieses Gebet läßt mich nicht vergessen, P. Richard McCullen für die gute Arbeit seines Generalats zu danken und dem zu wählenden Generalsuperior meine innigen Wünsche auszusprechen, daß er die Sendung bestens erfülle, die die göttliche Vorsehung ihm in dieser Zeit vorbehält, die an die Gesellschaften des apostolischen Lebens hohe Anforderungen stellt. Und euch allen, die ihr von euren 48 Provinzen entsandt worden seid, bringe ich einen ganz inständigen Wunsch zum Ausdruck: tut alles Menschenmögliche, um den 4 000 Mitgliedern der Kongregation den erneuernden Atem dieses 37. Generalkapitels mitzuteilen! 2. Beim Einsichtnehmen in die Synthese der Antworten auf dem Fragebogen, der für die Vorbereitung dieses römischen Treffens bestimmt war, habe ich die prozentual sehr hohe Beteiligung der Provinzen festgestellt. Was mir gleichfalls aufgefallen ist, ist der einmütige Wille, gemeinsam in drei Hauptrichtungen voranzugehen: das klarere Engagement im Dienst an den Armen, die Wiederbelebung des Gemeinschaftslebens und die Notwendigkeit, die Ausbildung für die Mission zu überprüfen. Ohne in den Verlauf eurer Arbeiten einzugreifen, obliegt es mir, euch im Namen Christi und der Kirche zu ermutigen. Was das erste Ziel betrifft, so befindet ihr euch vollständig im Geist eures Gründers, der schrieb: „Wir sind die Priester der Armen. Gott hat uns für sie ausgewählt. Das ist unser Kapital, alles übrige ist nebensächlich.“ Und ich zitie- 1508 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN re auch noch den eindringlichen, in seinem Stil so treffenden Satz: „Man muß zum Armen gehen, wie man zum Feuer geht.“ Eure Bereitschaft zu einer Neuausrichtung hinsichtlich des vorrangigen Dienstes an den Armen ist auch im Sinne der Konstitution Gaudium et spes. Dort lesen wir bereits in den ersten Zeilen, daß die Kirche inmitten der betrübten und leidenden Menschen zugegen sein will. Das ist im ganzen genommen die Spiritualität, die der hl. Vinzenz unablässig vertieft und seinen Schülern mitgeteilt hat: die Anbetung und Nachahmung des fleischgewordenen Wortes, „des zu den Armen gesandten Missionars des Vaters.“ Die Formen der Armut haben sich seit dem 17. Jahrhundert geändert. Man könnte sagen, daß sie nicht zurückgegangen sind. Das Aufkommen der Naturwissenschaften, ihre Anwendungen, die industrielle Entwicklung und das oft zusammenhanglose Anwachsen der städtischen Welt haben neue Arme hervorgebracht, die auch und gewiß mehr leiden als die Landbevölkerung und die Bewohner der Kleinstädte vergangener Jahrhunderte. Ohne die Nächstenliebe und den sozialen Einsatz zu monopolisieren, würde der hl. Vinzenz Himmel und Erde in Bewegung setzen, um den heutigen Armen zu Hilfe zu kommen und sie zu evangelisieren. Liebe Patres und Brüder der Mission, sucht mehr denn je mit Kühnheit, Demut und sachlicher Zuständigkeit nach den Ursachen der Armut und ermuntert zu kurzfristigen und langfristigen Lösungen, zu konkreten, beweglichen und wirksamen Lösungen. Indem ihr das tut, wirkt ihr an der Glaubwürdigkeit des Evangeliums und der Kirche mit. Aber lebt, ohne mehr zu erwarten, nahe bei den Armen und setzt euch so ein, daß sie niemals der Frohbotschaft Jesu Christi beraubt werden. 3. Auch die im ganzen Bereich der Kongregation neu aufgebrochene Bereitschaft, das Gemeinschaftsleben wiederzubeleben, hat meine Aufmerksamkeit angezogen. Ihr wißt, mit welch evangelischer Heftigkeit der hl. Vinzenz bezüglich der Zersplitterung und des Egoismus mancher Kommunitäten gesprochen und geschrieben hat. Vor allem trachtete er, das Herz seiner Mitbrüder zu entzünden mit der inständigen Bitte, an die eigentliche Quelle des Gemeinschaftslebens zu gehen, die Tiefen des Geheimnisses der Dreifaltigkeit kennenzulernen. Was würde er heute sagen, da die neuen Gemeinschaften, die überall entstehen, Anzeichen sind für das Bedürfnis nach einer herzlichen Gemeinschaft in einer allzu leicht anonymen und kalten Gesellschaft. Eure Konstitutionen (Kapitel II) formulieren klar und vollkommen den Geist und die Art des von eurem Ordensvater so eindringlich gelehrten Gemeinschaftslebens. Es ist Aufgabe jeder Kommunität, ihr Vorhaben gut festzulegen. Und es kommt auf jedes Mitglied an, daß es zum Erfolg führt. Ich ermuntere euch herzlich, jede Woche oder alle 14 Tage eine gewisse Zeit dafür vorzubehalten, das Geheimnis des Gebets zu vertiefen, die so lebendigen Schriften eures Gründers in 1509 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN euch aufzunehmen, eure apostolischen Tätigkeiten ruhig zu beurteilen, den Gang eures brüderlichen Lebens genau zu überprüfen. Wenn ihr von gemeinschaftlicher Mitverantwortlichkeit sprecht, möge sie richtig verstanden werden! Die Mitglieder einer Kommunität dürfen den Verantwortlichen nicht dazu zwingen, alle ihre Vorschläge zu unterschreiben. Sie müssen ihm helfen, gut und mit Geduld den Kurs der vinzentinischen Forderungen einzuhalten. Eure Gäste, die Leute, die in der Nähe eurer Niederlassungen wohnen, sollen — ich wage zu sagen: tiefergriffene — Zeugen eurer Einfachheit und eurer Würde, eurer Armut und eurer Freude, eures Verständnisses für die Zeitprobleme und eures apostolischen Eifers sein! Der Austausch zwischen Kommunitäten, zwischen vielleicht besser organisierten Provinzen möge die ganze Missionskongregation beleben! 4. Schließlich möchte ich euch sehr dazu ermuntern, die Ausbildung für die Mission zu verstärken und zu erneuern. Wenn der hl. Vinzenz heute lebte, würde er ohne geringsten Zweifel allen Widerständen zum Trotz an der großen Bedeutung der innigen Vertrautheit mit Gott, des Sinnes für Gott festhalten. Er würde den Konzilstexten große Zustimmung zollen und die Priester einladen, die Einheit ihres Lebens und Wirkens in der pastoralen Liebe Christi, des einzigen Hirten, zu verwurzeln. Und der genaue Ausbildungsplan wäre stark vom Dekret über die Ausbildung der Priester geprägt. Ich will mich nicht bei einer Selbstverständlichkeit aufhalten, nämlich den gegenwärtigen und zukünftigen Veränderungen der Gesellschaft. Denken wir nur an die Volksmissionen, deren wirklich bedeutende Förderer der hl. Vinzenz und der hl. Johannes Eudes waren. Welche Sprache würden sie heute sprechen? Welche Methode würden sie anwenden? Die Versuche, die im Laufe der letzten 20 Jahre im Abendland unternommen wurden, sind sehr oft auf beachtliche sozio-kulturelle Umwandlungen gestoßen. Darum unterstütze ich vorbehaltlos die Pläne, die ihr studiert, um den künftigen Priestern und den künftigen Brüdern der Missionskongregation eine tiefe, solide und den Bedürfnissen unserer Zeit angepaßte spirituelle, lehrmäßige und: pastorale Ausbildung zu geben. Auch eure Sorgen um die Ausbildung der Ausbilder ist entscheidend. Ihr müßt sehen, ob eine vorübergehende Eingliederung eurer jungen Priesteramtskandidaten in eine sehr gute Gruppe von Seelsorgspriestern nicht zu ihrer Reifung und Festigung beitragen würde. An euch liegt schließlich die Entscheidung über die Errichtung regionaler Zentren oder eines internationalen Zentrums für vinzenti-nische Studien. Dieses Vorhaben kann offensichtlich zur Erneuerung in der Einheit beitragen. Umfaßt übrigens nicht das Motto, das ihr dieser 37. Vollversammlung gegeben habt, euer ganzes jetziges Bemühen und eure Anstrengun- 1510 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN gen für die Zukunft: „ Unum Corpus et unus Spiritus in Christo “Ein Leib und ein Geist in Christus)? Liebe Söhne des hl. Vinzenz, die Kirche unserer Zeit zählt sehr auf euch. Sie wird nicht enttäuscht werden! In dieser Hoffnung rufe ich auf die Congregatio Missionis, auf ihre Verantwortlichen und auf alle ihre Mitglieder den reichsten göttlichen Segen herab und den mütterlichen Schutz der Unbefleckten Jungfrau Maria, U. Lb. Frau von der wundertätigen Medaille. Niemand darf vom Fortschritt ausgeschlossen bleiben Ansprache an den Präsidenten der Republik Brasilien, Jose Sarney am 10. Juli Herr Präsident, liebe Brüder und Schwestern in Christus! Wir sind heute neuerlich hier vereint, um die Eucharistie mit Brasilien und für Brasilien zu feiern, heute, in Gegenwart des Präsidenten der Republik — des Vertreters der nationalen Einheit des geliebten brasilianischen Volkes — und seiner Begleitung. Diese Eucharistiefeier erinnert mich an andere kürzlich erfolgte Begegnungen — mit den brasilianischen Bischöfen und mit dem in Erinnerung gegenwärtigen Präsidenten Tancredo Neves, der in der Herrlichkeit Gottes weilt und dem unser fürbittendes Gebet gilt. Wir teilten damals, wie heute, Sorgen und Hoffnungen, was die religiösen und sozialen Probleme betrifft, und beteten gemeinsam für Brasilien. Die Eucharistie ist Feier des Heils „für das ganze Volk“, das in Christus gestorben und auferstanden ist; Feier der Güte Gottes, der sich uns als Vater offenbart und uns alle als Brüder in seinem eingeborenen Sohn sehen möchte, die im Heiligen Geist als Gemeinschaft der Liebe leben, wie eine Familie, alle von den gleichen Gefühlen beseelt und die einen um das Wohl der anderen besorgt. Die Eucharistie ist der Höhepunkt der Brüderlichkeit in Liebe, Danksagung, Versöhnung und Hingabe; vor allem in der Hingabe unserer selbst, mit unseren Plänen, Wünschen und Vorsätzen, Gott wohlgefällig zu sein. In dieser Haltung wollen wir ihm unsere Bitten vortragen. Wir wollen für ganz Brasilien und jeden einzelnen Brasilianer beten, damit Solidarität und soziale Einstellung, von Liebe beseelt, dazu führen, in diesem riesigen Land Situationen der Armut und des fehlenden wirtschaftlichen Gleichgewichts abzuhelfen und ihnen vorzubeugen; damit auch diesmal, in diesem 1511 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Moment der Umwälzungen, wie in anderen schwierigen Situationen, mit gutem Willen alle Anstrengungen unternommen werden, um die spirituellen und moralischen Werte — den sichersten und echtesten Reichtum eines unendlich reichen Landes — aufrechtzuerhalten und zu vermehren und um die Herausforderungen anzunehmen, die sich der großen brasilianischen Familie stellen. Ja, damit die höchsten und unantastbaren Werte — die das Leben und das Zusammenleben der Menschen bestimmen, indem sie Wege des fruchtbaren Dialogs, der Versöhnung und der wahren Nächstenliebe weisen — alle Lieblosigkeit zum Verschwinden bringen, die zugleich Wirkung und Ursache von Egoismus, Haß und Gewalt ist. Nur die Liebe nährt und baut Menschlichkeit, Brüderlichkeit und Frieden auf. Wir wollen beten, auf daß die Initiativen und Reformen, welche diese Herausforderungen nötig machen — wie etwa die Landreform — mit Mut und Gerechtigkeitssinn durchgeführt werden, daß sie mit der Zustimmung und Mitarbeit aller sich im Licht eines gesunden christlichen Humanismus vollziehen, und daß die soziale Organisation und der soziale Aufstieg stets im Dienst des ganzen Menschen und aller Menschen in ihrer Würde und ihrer erhabenen Berufung stehen, sowohl in ländlichen Gebieten als auch in den Städten und Vorstädten. Wir wollen beten, daß mit allen Mitteln die Achtung für das Leben in allen Augenblicken seiner Existenz und allen Lebensabschnitten gepflegt und gefördert wird; wir wollen um den Aufschwung der Familie mit ihren Aufgaben und Rechten bei der Zeugung und Erziehung der Kinder beten; wir wollen darüber hinaus um die Förderung der Gerechtigkeit und die gleichen Arbeitsmöglichkeiten für alle beten. Wir wollen beten, daß die Kirche, die in Brasilien ist, dort immer den ihr zustehenden Dienst am Menschen leistet, in einem legitimen Freiheitsraum und mit der Möglichkeit, über die nötigen Personen und Mittel für das Werk der Evangelisierung und die gute Erfüllung des missionarischen Auftrags verfügen zu können, den sie von Christus empfangen hat; wir wollen für alle hier Anwesenden beten — für den Herrn Präsidenten, seine Gemahlin und den Stab seiner Mitarbeiter — und für Brasilien und wollen um all das flehen, was eine Nation, die Liebe bis zum Opfer verdient, mit dem Segen Gottes gerecht, groß und wohlhabend macht. 1512 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die geistlichen Kräfte immer wieder beleben! Botschaft an die Generalversammlung der Konferenz der Ordensleute Brasiliens vom 11. Juli 1. Liebe Brüder und Schwestern, „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus“ (1 Kor 1,3). Wie die Apostel im Abendmahlssaal, so seid ihr hier zur 14. Generalversammlung der Konferenz der Ordensleute Brasiliens (CRB) versammelt, in gegenseitiger Gemeinschaft, in Gemeinschaft mit euren Bischöfen und mit eurem Volk und zugleich mit dem Papst und der ganzen Kirche. Und „wir haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus“ (lJoh 1,3). Ihr strebt nach dem, was der tiefste Sinn des Ordenslebens ist: zu wachsen in der Kenntnis und Liebe Christi, um in der Welt von heute seine Zeugen zu sein, in dynamischer Treue zu eurer Ordensberufung und zum Charisma eurer Gründer. Vor euren Augen habt ihr, wie ein aufgeschlagenes Buch, das große brasilianische Volk in seiner ganzen geschichtlichen, sozialen und religiösen Wirklichkeit. Ihr öffnet euch im Geist für alle Völker der Welt, die euch Fragen stellen. Sie sind eine Herausforderung für die ganze Kirche, besonders aber für die Ordensmänner und die Ordensfrauen als von Gott dazu Berufene, auf den Wegen der Mission und den Pfaden des Geistes Pioniere zu sein. Ich freue mich, diese Botschaft an euch richten zu können, damit unsere Freude vollkommen sei (vgl. 1 Joh 1,4). An erster Stelle möchte ich allen Ordensmännern und Ordensfrauen Brasiliens meinen Dank und meine Wertschätzung dafür zum Ausdruck bringen, daß sie, ohne Opfer zu scheuen, von der Liebe geleitet und von Hoffnung beseelt, ein so wunderbares Zeugnis des Gebetes und des apostolischen Einsatzes geben. Mehr als 38 220 Ordensfrauen, 7716 Ordenspriester, 2547 Scholastiker, die sich auf das Priesteramt vorbereiten, 2391 Ordensbrüder und 2783 Novizen und Novizinnen stehen im Dienst des Gottesreiches in der Kirche, die in Brasilien ist. Es ist eine bezeichnende Tatsache, daß fast die Hälfte der Bischöfe, genau 168, Ordensmänner sind, und daß viele brasilianische Ordensleute in Missionsländern im Dienst der Universalkirche stehen. Auch das kontemplative Leben blüht in 107 Frauenklöstern und 19 Männerklöstern. Ich mache mir die Worte Pauls VI. zu eigen: „Ja, wahrhaftig, die Kirche schuldet ihnen viel“ (EN 69). Angeregt durch das Zeugnis, das der brasilianische Episkopat gelegentlich seiner Ad-limina-Besuche über das Ordensleben abgab, füge ich hinzu: die Kirche ist euch dankbar und zählt auf euch. 1513 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Im Gebet nehme ich an euren Arbeiten teil, und mit dieser Botschaft, die ich Sr. E. Kardinal Jean Jerome Hamer, dem Präfekten der Kongregation für die Ordensleute und die Säkularinstitute anvertraue, möchte ich eure Aufmerksamkeit auf einige grundlegende Punkte hinsichtlich der Ausbildung zum Ordensleben lenken, in der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils und der letzten Außerordentlichen Bischofssynode. Ihr wißt, daß die Lebenskraft der Ordensfamilien, die Qualität und die Kreativität des apostolischen Dienstes und die Kraft prophetischen Wirkens zum großen Teil von der vorbereitenden Ausbildung und der ständigen Weiterbildung derer abhängen, die zu einer so großen Sendung berufen sind. Ich weiß, daß dies immer eine eurer Hauptsorgen ist. Ja, um die junge Generation und deren Ausbilder sowie alle Ordensmänner und Ordensfrauen angemessen auszu-bilderi und weiterzubilden, habt ihr viele Formen der Zusammenarbeit ins Leben gerufen und, aus dem Wort Gottes schöpfend, mit wacher Aufmerksamkeit für die Äußerungen des kirchlichen Lehramts, die konkrete Wirklichkeit im Blick, verfolgt ihr wachsamen Auges die verschiedenen Initiativen, die ihrer Entfaltung und speziellen Ausrichtung dienen sollen. 3. Im Hinblick auf die Ausbildung unter allen ihren Aspekten erscheint das Thema, das ihr einer Prüfung unterziehen wollt, mehr denn je angebracht. Die prophetische Dimension des Ordenslebens hat ihren Ursprung in ihrem Verwurzeltsein in Christus, dem Propheten schlechthin. Seine Autorität ist nicht, wie die im Alten Bund, delegiert, denn er ist der eingeborene Sohn Gottes. Er verkündet das Heil, und gleichzeitig verwirklicht er es. Er überbringt dem Volk das Wort des Vaters und ist selbst das fleischgewordene Wort. Er ist nicht gekommen, um zu verwerfen, sondern um die universale, wiederherstellende Liebe zu bringen. Er stellt den Menschen unmittelbar vor Gott, damit er seine Gegenwart entdecke, zu ihm zurückkehre, ihn als Vater annehme, auf seinen Plan eingehe und in Christus Erbauer einer neuen Welt werde. Kraft ihrer Taufe nehmen die Ordensleute in Christus und im Heiligen Geist, der ihnen verliehen wurde, teil an der prophetischen Sendung der ganzen Kirche. Grundlegender Ausdruck dafür ist das Hören und Verkünden des Wortes und das Zeugnis des Lebens, anders gesagt: das betrachtete, verkündete und gelebte Evangelium. Überdies gibt das Ordensleben dem ganzen Volk Gottes ein Zeugnis, das wir sehr wohl prophetisch nennen können, weil es in der Kirche die Lebensweise fortsetzt, die der Sohn Gottes annahm, als er in die Welt kam, um den Willen Gottes zu erfüllen (vgl. LG 44). Vor allem zeigt sich dies durch die Vielfalt der Art und Weise, wie das Leben nach dem Evangelium zum Ausdruck kommt; sie läßt den Reichtum des Geheimnisses Christi in den Ordensleuten, in ihrer Be- 1514 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN folgung der evangelischen Räte der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams und dessen, was die einzelnen Gründer aus dem Evangelium entnommen haben, lebendig aufscheinen. Auf diese Weise läßt die Radikalität der Nachfolge Christi und der vollen Hingabe an den Dienst der Kirche jede Ordensgemeinschaft und ihre einzelnen Glieder zu einem Zeichen evangelischen Lebens werden, zu einem Aufruf und einem lebendigen Zeugnis, das das Volk Gottes auf die Wege der Heiligkeit verweist und zur Selbsthingabe im Dienst der Brüder anregt. Die Botschaft, die das Ordensleben verkündetest nicht seine eigene, sie ist ihm vielmehr von Christus und von der Kirche anvertraut. Überdies ist die Ordensweihe, die als bräutlicher Bund in liebender Einheit mit Gott gelebt wird, Quelle für eine apostolische Genialität, die Bewunderung abnötigt (vgl. EN 69). Ihr Zeugnis wird für viele Jugendliche und Erwachsene zum helfenden und sicheren Weg bei der Entdeckung ihrer eigenen Berufung und zur freudigen Aufforderung, Christus mit ungeteiltem Herzen zu folgen. Was für neue, wunderbare Perspektiven öffnen sich für die Ausbildung der jungen Generation und für die Erneuerung des Volkes Gottes, wenn man sich im Licht des Lebens der Kirche und der Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils um eine Vertiefung der Ordensberufung in allen ihren Dimensionen bemüht! Ich fordere euch auf, es in erneutem Einsatz schlichten Herzens zu tun, um den jungen Menschen und allen Berufenen die tiefen Werte darzulegen, die sie den Sinn ihres Lebens und ihrer besonderen Aufgaben im Volke Gottes verstehen lassen. Die jungen Menschen haben ein Recht zu dieser umfassenden und vertieften Sicht. Sie gehören nicht uns, sondern Christus und dem Vater, so wie jeder von uns. Mit ihnen bilden wir alle zusammen, durch das Band der Liebe verbunden (vgl.Joh 13; LG 9; GS 38), die Familie Gottes, die berufen ist, Ferment und Seele der Menschheit zu sein (vgl. GS 40). 4. Das Bewußtsein unserer Verantwortung in diesem gegenwärtigen Augenblick der Geschichte verlangt es, daß den jungen Ordensleuten eine angemessene, möglichst vollständige Ausbildung gesichert wird, in dynamischer Treue zu Christus und der Kirche, zum Charisma des Gründers und zum heutigen Menschen. Beim Treffen in Porto Alegre am 5. Juli 1980 habe ich den für die Ausbildung Verantwortlichen eine Frage gestellt, die ich heute im Zusammenhang mit euren Arbeiten wiederholen möchte: „Hat Brasilien in dieser für sein Schicksal und für das Schicksal der Welt so entscheidenden Stunde Seminare, Ausbildungshäuser oder andere kirchliche Institutionen, hat es vor allem Rektoren und Lehrer, die fähig sind, Priestern und Ordensleuten die nötige Vorbereitung zu geben, damit sie den Problemen gewachsen sind, die eine ständig 1515 BOTSCHAFTEN UND ANSPRA CHEN anwachsende Bevölkerung und die immer umfangreicheren und komplexeren pastoralen Anforderungen mit sich bringen?“ Um Anregung zu weiterer Überlegung und Nachforschung zu geben, wies ich damals auf einige, mir vorrangig scheinende Probleme hin. Es sind Probleme, die im Lauf dieser letzten Jahre eine Antwort gefunden haben, die aber doch noch aktuell bleiben, sie sind zum Wohl der Kirche und des Priester- und Ordenslebens fortwährender Beachtung wert. Gestattet mir jetzt, eure Aufmerksamkeit auf einige andere Punkte hinsichtlich der Ausbildung der jungen Generation zu lenken, die mir besonders am Herzen liegen, wenn ich die Universalkirche und eure Verantwortung für die Gegenwart und die Zukunft betrachte. Ungeachtet der großen apostolischen Erfordernisse und der dringenden Notsituationen, in denen die Ordensfamilien arbeiten, bleibt die aufmerksame Sorge für die Auswahl und die Vorbereitung der Ausbilder und Ausbilderinnen vorrangig. Es handelt sich um einen der schwierigsten Dienste, der Feinfühligkeit voraussetzt und der von euch volle Unterstützung und Vertrauen erfordert. In den Dokumenten des kirchlichen Lehramts finden die Ausbildungskräfte immer den sicheren Weg der Lehre und des Lebens. Mit ihm müssen sie sich identifizieren, um den jungen Ordensleuten den Sinngehalt und den konkreten Lebensstil des gottgeweihten Lebens nahezubringen. Das ist ein Recht, das geachtet werden muß, eine Erwartung, die nicht enttäuscht werden darf, damit das Ordensleben, ganz in die Kirche eingefügt, immer von eben der Wahrheit genährt wird, die die Kirche ihren Kindern vorlegt, damit sie keines andern als des einen Meisters Jünger seien, nämlich Christi. Die jungen Menschen brauchen vor allem Lehrer, die Männer Gottes und gotterfüllte Frauen sind, die das Menschenherz und die Wege des Geistes kennen und achten, die fähig sind, ihrem Verlangen nach größerer Innerlichkeit, nach Gotteserfahrung und Erfahrung der Brüderlichkeit und nach Einführung in ihre Mission zu entsprechen, Ausbilder, die zur Unterscheidung, zu Gelehrigkeit und Gehorsam zu erziehen wissen, die helfen können, die Zeichen der Zeit und die Bedürfnisse der Menschen zu erkennen und mit Eifer und Kühnheit, in voller kirchlicher Gemeinschaft darauf zu antworten. Die Konferenz der Ordensleute Brasiliens ist aufgerufen, auf diesem Gebiet eine bedeutende Rolle zu spielen, sei es dadurch, daß sie die Richtlinien der Kirche getreu weitergibt, sei es durch Anregung der Zusammenarbeit zwischen den Kongregationen und durch weitere Initiativen für die Vorbereitung der ausbildenden Kräfte. Wenn ihr auf allen Ebenen, der nationalen, regionalen und diözesanen, in Übereinstimmung mit dem Episkopat vorgeht, könnt ihr, höhere Ordensobern und -Oberinnen, aus dem Werk derer, die zusammenar- 1516 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN beiten, größeren Nutzen ziehen als aus der Arbeit einer einzelnen Ordensgemeinschaft, und ihr könnt Dienste anbieten, die nicht nur etwaige Schranken überwinden helfen, sondern einen gültigen Stil der Ausbildung für das Ordensleben schaffen. Solche interkongregationale Initiativen tragen gleichzeitig dazu bei, die je eigenen Charismen zu würdigen; sie bringen die brüderliche Verbundenheit und das Bewußtsein der gegenseitigen Ergänzung zur Entfaltung und öffnen die Horizonte der Liebe auf die Universalkirche und auf die gesamte Ortskirche hin, zu einheitlicherem und wirksamerem Handeln in Evangelisierung und Pa-storal unter Führung der Bischöfe. 5. Das alles erfordert offensichtlich, abgesehen von der aktiven und diskreten Präsenz der Ausbildungskräfte und von euch Obern, auch eine sorgfältige und rechtzeitige unterscheidende Berufsprüfung. Die Bedürfnisse und dringenden apostolischen Notwendigkeiten rechtfertigen nie eine übereilte Entscheidungsfindung und eine nicht entsprechende Noviziatsvorbereitung. Die Ausreifung der Person verlangt einen stufenweisen, auf die Person abgestimmten Glaubensweg und Diensteinsatz. Die Einführung ins Ordensleben schlägt fehl, wenn keine wirkliche Bekehrung und Option für Christus stattfindet in Freiheit und in der Erfahrung seiner Liebe, „denn die Berufung zum Weg der evangelischen Räte erwächst aus der inneren Begegnung mit der Liebe Christi, die eine erlösende Liebe ist“ (Redemptionis donum, 3). Die gesamte Ausbildung bewegt sich um die Achse der Nachfolge Christi in der intensiven Teilnahme an seinen Geheimnissen, die in der Liturgie gegenwärtiggesetzt und in der Kirche gelebt werden, in der zunehmenden Hingabe seiner selbst an die Brüder, entsprechend der Eigenart der speziellen Berufung und in der fortschreitenden Anteilnahme am Charisma des Gründers. Die Nachfolge Christi führt zur immer bewußteren und konkreteren Teilhabe am Geheimnis seines Leidens und Sterbens und seiner Auferstehung. Das Ostergeheimnis muß als Ursprung des Lebens und Reifens das Herz des Ausbildungsprogramms sein. In ihm wird der neue Mensch gestaltet, der Ordenschrist und der Apostel. Die Ausbildung erfordert angemessene Zeitabschnitte, ein organisches, vollständiges, anforderndes, anregendes, offenes Programm, klar inspiriert an der Norm über allen Normen im Ordensleben: der Nachfolge Christi, und am Charisma des Gründers. Sie erfordert für alle, insbesondere für die zum Priestertum berufenen Ordensmitglieder eine solide theologische, biblische und liturgische Ausbildung, wie es in den Normen der Gesamtkirche, der Ortskirchen und der einzelnen Ordensgemeinschaften angegeben ist. 1517 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Schließlich sind auch Orte für die Ausbildung notwendig, die wirksam die Verfolgung der jeder Ausbildungsstufe eigenen Ziele garantieren. Darum ist es gut, daß die jungen Ordensleute während ihrer Ausbildung in formativen Gemeinschaften leben, in denen es nicht an all den Voraussetzungen für eine vollständige Ausbildung fehlt: für die geistliche, intellektuelle, liturgische und pa-storale Ausbildung und das Gemeinschaftsleben. Schwerlich werden sie sich alle in kleinen Kommunitäten finden lassen. Wie auch immer es sei, stets ist es notwendig, aus der pädagogischen Erfahrung der Kirche alles das zu schöpfen, was ein Urteil darüber ermöglicht, ob der Prozeß der Ausbildung sich in rechter und fruchtbarer Weise in einer Gemeinschaft vollzieht, die den Personen und ihrer Ordensberufung — und in entsprechenden Fällen ihrer Priesterberufung — angemessen ist. Sei es, daß die Ausbildung zur Gänze innerhalb eurer eigenen Ordensgemeinschaften stattfindet, oder sei es, daß sie teilweise den interkongregationalen Initiativen anvertraut wird, die Rolle von euch, höheren Obern, im Ausbildungsprozeß der jungen Leute, für die ihr vor Gott und vor der Kirche verantwortlich seid, ist immer von großer Bedeutung. 6. Die Kirche Brasiliens braucht eine sehr engagierte Pastoral. Sie ist eine dynamische Kirche, aber der Arbeiter sind wenige. Da liegt das Risiko nahe, in Aktivismus zu verfallen, der zu geistlichem Leerlauf und vorzeitiger Ermüdung führen kann. Daraus ergibt sich die Dringlichkeit einer beständigen Weiterbildung, um die geistlichen Kräfte derer, die auf den verschiedensten Arbeitsfeldern und in den verschiedensten Situationen sich dem Dienst der Evangelisierung widmen, immer wieder zu beleben. Jede Kongregation hat also die Aufgabe, einen Plan zu angemessener ständiger Weiterbildung ihrer Mitglieder zu entwerfen und zu verwirklichen. Ein Programm, das nicht nur auf die intellektuelle Fortbildung abzielt, sondern auf die Formung der ganzen Person, hauptsächlich in ihrer geistlichen Dimension, damit jedes Ordensmitglied seine Weihe an Gott in vollem Maß leben kann, in der besonderen Sendung, die ihm von der Kirche anvertraut ist. 7. Ich habe einige Gedanken mit euch, meine lieben höheren Obern und Oberinnen, geteilt, Anregungen zu Gebet und Besinnung auf dem Weg der Kirche und des Ordenslebens in der Geschichte an der Schwelle des Jahres 2000. Die Welt, in der wir leben, hat es mehr denn je nötig, in euch Männer und Frauen zu sehen, die dem Wort des Herrn geglaubt und alles auf die Liebe gesetzt haben. Damit euer Leben ungeteilter Liebe zum Herrn sich auf die ganze Kirche und die Welt immer mehr belebend auswirke, möchte ich euch dazu ermutigen, „in jeder Ordensgemeinschaft, in ihrem Leben und ihrer Sendung, 1518 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN heute wieder jenen Wagemut zu wecken, von dem die Gründer sich durch die ursprünglichen Absichten des Heiligen Geistes erfassen ließen“ (Kongr. f. d. Ordensleute u. d. Säkularinstitute, Religiosi e Promozione Umana, 25.4.1978, Nr. 30). Besonders aber sei auf die Dringlichkeit einer weise gehandhabten Ausbildung der jungen, von Christusliebe erfüllten Menschen hingewiesen. Maria, das Vorbild jedes gottgeweihten Menschen, stütze euch auf eurem Weg, entfache in euch neu die Freude, Christus in voller Lebensgemeinschaft zu gehören, und verstärke euren apostolischen Schwung! Dazu erteile ich euch allen von Herzen meinen Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, am 11. Juli 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. Fortsetzung des Dialogs in Verbundenheit mit dem Stuhl Petri Brief an die Bischöfe Perus Liebe Brüder im Bischofsamt! Es ist mir eine Freude, aus Anlaß des Besuches, den der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Kardinal Joseph Ratzinger, auf Einladung des Vorsitzenden dieser Bischofskonferenz, Kardinal Juan Landäzuri Ricketts, Peru abstattet, euch meinen ganz herzlichen Gruß im Frieden des auferstandenen Herrn überbringen zu lassen. Diese Begegnung des Kardinalpräfekten mit den peruanischen Bischöfen will in gewisser Weise eine Fortsetzung des brüderlichen kirchlichen Dialogs sein, der bei den letzten „Ad-limina“-Besuchen aufgenommen wurde, um gemeinsam einige Themen von Belang mit dem Ziel zu analysieren und zu vertiefen, daß die Verbundenheit jedes Bischofs mit dem Stuhl Petri und mit den anderen Bischöfen der Welt stets lebendig und dynamisch sein möge. Unter den verschiedenen Problemen ragt wegen seiner Bedeutung und seines Widerhalls im gläubigen Volk das Thema der Theologie der Befreiung heraus, dem die genannte Kongregation in jüngster Zeit zwei Dokumente gewidmet hat: „Instruktion über einige Aspekte der Theologie der Befreiung“ (1984) und „Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung“ (1986). 1519 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Diese Zusammenkunft in Peru, der andere ähnlicher Art mit anderen Bischöfen vorausgegangen sind, stellt einen Augenblick besonderer kirchlicher Stärke dar, ist sie doch Ausdruck jener Kollegialität, die die Bischöfe einander und mit dem Nachfolger Petri in der Sorge für alle Kirchen vereint. Es ist mein Wunsch, daß sich durch diese Begegnung das kollegiale Band weiter zum Nutzen der ganzen Kirche stärken möge, die „eine Einheit bildet, deren Band die Einigkeit der Bischöfe ist“ (hl. Cyprianus, Epistulae 56,8,3). In den Gesprächen, die ich mit einem jeden von euch hatte, konnte ich feststellen, daß ihr euch in der unumgänglichen Pflicht, Kirche zu bilden, geradezu verausgabt, ein Ziel, das allen Umständen und menschlichen Problemen zum Trotz immer bestehen muß. Nach dem Beispiel Christi soll dies ein Ansporn sein, nicht nachzulassen in der Suche und Annäherung an die Menschen, in dem Wunsch, ihre Wunden zu heilen, ihnen beim Tragen ihrer Last zu helfen und ihnen vor allem durch das Wort und das Zeugnis den wahren Weg der von Christus dem Erlöser verwirklichten Befreiung zu eröffnen: sie „gibt den notwendigen Anstrengungen zur Befreiung im wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bereich ihre wahre Bedeutung und bewahrt sie davor, in neue Abhängigkeiten zu fallen“ (Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung, Nr. 99). Auf diese Weise wird euer pastoraler Dienst die Seelen in ihrem Innersten erreichen, wo sich — wenn auch die menschlichen Schwächen sehr schmerzlich sind — durch das Ergreifen der göttlichen Gnade die Wiedergeburt des neuen Menschen und der neuen Welt ereignen, die wir alle herbeisehnen, „denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes“ (Rom 8,19). Alles, was sich auf die geistige, moralische und soziale Förderung des Menschen bezieht, muß Ziel eurer unumgänglichen Sendung sein; ihr müßt ihr die besten Kräfte widmen und dabei nicht vergessen, daß jeder Augenblick ein günstiger Zeitpunkt, Zeit der Gnade für den Herrn ist. Euer Glaube erleuchte alle Menschen, „damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Mt 5,16) und so das Geheimnis Christi und der Kirche besser erkennen können. Liebe Brüder, ich möchte diese Botschaft nicht abschließen ohne eine Bitte an die Jungfrau Maria, die im Abendmahlssaal zu Jerusalem geholfen und Fürbitte eingelegt hat, um die Einheit der Apostel zu festigen, die „dort alle einmütig im Gebet verharrten“ (Apg 1,14). „Ganz von Gott abhängig und durch ihren Glauben ganz auf ihn hingeordnet, ist Maria an der Seite ihres Sohnes das vollkommenste Bild der Freiheit und der Befreiung der Menschheit und des Kosmos“ {Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung, Nr. 97). Ihr vertraue ich den guten Ausgang dieses Dialogs an und erteile euch zugleich mei- 1520 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nen Apostolischen Segen, den ich gern auf das ganze gläubige Volk von Peru ausdehne. Aus dem Vatikan, am 14. Juli 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. Zu „Eintracht und Versöhnung“ aufgerufen Botschaft an die außerordentliche Versammlung der Bischöfe Perus vom 16. Juli Geliebte Mitbrüder im Bischofsamt! Mit lebhafter Sorge betrachte ich die schwierige Lage, in der sich euer Land seit einiger Zeit befindet. Die Nachricht einer plötzlichen und einschneidenden Verschlechterung dieser Lage infolge der Intensivierung der politischen und sozialen Spannungen, die auf die dramatischen Ereignisse des Vormonats folgten, erreichte mich während der Vorbereitungen auf meinen Pastoralbe-such in Kolumbien. In eurer beständigen Sorge um das Wohl eures Volkes habt ihr neuerlich und sofort zur nationalen Eintracht im Geist der Versöhnung und des gegenseitigen Verständnisses aufgerufen. Ihr vertretet die Meinung, daß diese Voraussetzungen für ein erfolgreiches Suchen nach besseren Lösungen für die ernsten Probleme unerläßlich sind, die alle die verantwortlichen Persönlichkeiten und die Bürger im allgemeinen ins Auge fassen müssen, indem sie den Weg der Gerechtigkeit und der vollen Achtung für den grundlegenden Wert jedes Menschen beschreiten. Vor allem möchte ich euch meine tiefe Anteilnahme an den schmerzlichen Ereignissen und den Prüfungen bezeugen, die euer Land betroffen haben; ich teile rückhaltlos und mit ganzem Herzen eure pastoralen Sorgen und Bemühungen um das echte Gemeinwohl durch eine Einheit der Nation, die alle Gegensätze zu überwinden versteht. Es ist mein Wunsch, daß euch bei der Verfolgung dieser hohen Ziele der Widerhall eurer eigenen Worte begleitet, die ich zu den meinen gemacht und während meines Besuches in eurem teuren Land im Februar des Vöijahres bestätigt habe. Damals wiederholte ich mit euch: „Es ist wichtig, daß die Einrichtungen, die mit der Aufsicht über die öffentliche Ordnung beauftragt sind, deren 1521 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Aufgabe die Verteidigung des Lebens und der Rechtsordnung ist, in der Lage sind, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, damit sie so zur Stärkung des Zusammenlebens im Sinn des Gesetzes in unserem Land beitragen.“ Ich fügte hinzu, daß „das Christentum den edlen und gerechten Kampf für die Gerechtigkeit auf allen Ebenen anerkennt, jedoch auffordert, sie zu fördern durch Verständigung, Dialog, wirksame und selbstlose Arbeit, Zusammenleben, dagegen Lösungen durch Mittel des Hasses und des Todes auszuschließen.“ Die Einladung, die nationale Eintracht durch die Versöhnung der Geister und das Auf geben von Haß und Groll zu suchen und zu erwirken, welche die Wurzeln der Gewalt sind, wird weiterhin, davon bin ich überzeugt, der grundlegende Punkt eurer Lehrtätigkeit und eurer Amtsausübung vor allem für die jungen Generationen sein, die am meisten der Versuchung falscher Ideologien ausgesetzt sind, und das nicht selten dort, wo ihre Persönlichkeit geformt wird. Wie ich in meiner Ansprache an die Jugend Perus am 2. Februar des Vorjahres sagte, findet sich nur in Christus „die Antwort auf die tiefsten Sehnsüchte eures Herzens“. Ich fügte hinzu: „Man wird das Opfer einer tödlichen Illusion, wenn man auf gewalttätige Mittel vertraut in der Hoffnung, mehr Gerechtigkeit zu erwirken. Ich erhebe zu Gott eindringliche Gebete für den Geist der Eintracht in eurem Land und fordere euch auf, in den Ortskirchen, die euch anvertraut sind, einen wahren Kreuzzug des Gebets zu fördern. Mögen die Sehnsucht nach Frieden und der Wunsch nach Ruhe und Ordnung, die sich in den Herzen so vieler Söhne und Tochter dieser edlen Nation verbergen, zu Gott e'mporsteigen. Für alle erbitte ich von Christus, „unserem Frieden und unserer Versöhnung“, reichliche Gnaden, als deren Unterpfand ich euch aus ganzem Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen erteile. Aus dem Vatikan, 16. Juli 1986 - PAPST JOHANNES PAUL II. 1522 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Der Arme ruft, und Gott erhört ihn“ Predigt in der Messe für Schweizer Gardisten und Polizeibeamte in Castel Gandolfo am 27. Juli Liebe Schweizer Gardisten und Polizeibeamte! Die Liturgie dieses Sonntags richtet unsere Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit des Gebetes. Es ist ja der selbstverständliche und normale Ausdruck des Geschöpfes gegenüber Gott, dem Schöpfer und Herrn des Alls. Sobald man begreift, daß unser Leben ganz und gar von Gott abhängt, empfindet man auch die Notwendigkeit zu beten, das heißt, sich dem anzuvertrauen, der um uns weiß, uns nachgeht und Vorsorge trifft und seine höchste und absolute Autorität und unsere radikale Abhängigkeit anzuerkennen. Der höchste, erhabenste Ausdruck des Gebetes ist also die Anbetung, die auch das Gefühl der Dankbarkeit, der Versöhnung und Bitte in sich schließt. Jesus selbst hat uns als menschgewordenes Wort das Beispiel des Gebetes gegeben. Ja, sein Leben selbst war ein ständiges Gebet der Anbetung und Liebe zum Vater, das er im Namen der Menschheit darbrachte und das im Kreuzesopfer seinen Höhepunkt fand. Dieser Akt der höchsten Anbetung ist in den Beziehungen zwischen Gott und der Menschheit so notwendig, daß nach dem Willen Christi das Opfer von Kal-varia gegenwärtig und wirksam geblieben ist durch die heilige Messe. Sie ist also die erhabenste und wesentliche Form des Gebetes, von unendlichem Wert ist sie des Allerhöchsten, des Schöpfers und Herrn, würdig. Jesus erklärt uns dann den Inhalt des Gebetes näher, das heißt, das, was wir konkret von Gott erbitten sollen. Er tut es durch das große Bittgebet des Vaterunser. — Die erste Bitte betrifft die Wahrheit: „Vater, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme!“ Jesus überwindet den abgrundtiefen Abstand zwischen Gott und dem Menschen und offenbart uns die Liebe und Zuneigung, das sich Herabneigen Gottes zu seinen vernunftbegabten Geschöpfen. In dieser Perspektive erklärt er, welches die wesentlichen Bitten des Gebetes sein müssen: „Geheiligt werde dein Name“, das heißt: mögen alle Menschen anerkennen, daß Du bist und wer Du bist. „Dein Reich komme“: alle mögen Jesus Christus, das menschgewordene Wort und seine Sendung zur Erlösung anerkennen, die der Menschheit das Reich der Wahrheit und des Friedens gebracht hat. — Die zweite Bitte des Vaterunser betrifft die Heiligkeit: „Vergib uns unsere Schuld!“ — „Und führe uns nicht in Versuchung!“ Man glaubt fast einen angstvollen Schrei zu vernehmen, der sich aus der dramatischen Situation des 1523 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN menschlichen Lebens erhebt. Gott will nämlich unsere Heiligung, unsere Vollkommenheit: „Ihr sollt vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ {Mt 5,48). Gegenüber einer solch anspruchsvollen Aufgabe bekennen wir unsere Schwäche und Unbeständigkeit. Und eben deshalb bitten wir um Vergebung für unsere Fehler und bemühen wir uns, unsererseits denen zu verzeihen, die uns beleidigt oder uns Schmerz zugefügt haben. Wir bitten um die Kraft des Geistes, um den Widerstand des Bösen zu überwinden und zu besiegen. — Die dritte Bitte schließlich betrifft den irdischen Lebensunterhalt: „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Deshalb dürfen wir niemals das Gebet unterlassen, auch nicht, wenn die materiellen Güter in Frage stehen. Wir müssen darum beten, daß diese Güter nicht nur einem jeden von uns, sondern auch allen anderen gewährt werden. Wir müssen in unserem Gebet bitten, daß die Menschen sich bereit finden zu einer gerechten Verteilung der Reichtümer, zu einer gerechten Gestaltung der wirtschaftlichen und politischen Strukturen, zur Überwindung der Rassenschranken und aller trennenden Barrieren im Geist der Brüderlichkeit, des gegenseitigen Verständnisses und der Solidarität. Wer wirklich aufrichtig und ernsthaft betet, der empfindet das Bedürfnis, das Brot mit seinen Brüdern zu teilen. Das also, liebe Schweizer Gardisten und Polizeibeamte, lehrt uns Jesus im Gebet. Er sagt uns, daß wir mit Vertrauen und Zuversicht beten sollen, weil Gott Vater ist; daß wir inständig und ausdauernd bitten sollen — wie der Freund im Gleichnis — und auch, daß wir mit Weisheit, nämlich mit übernatürlichem Glauben beten sollen, überzeugt, daß Gott wirklich unser Wohl will, unser ewiges Heil, das allein das Ziel unserer irdischen Existenz ist. „Der Arme ruft, und Gott erhört ihn“, haben wir im Antwortpsalm gesprochen. Vor der unendlichen Majestät des Höchsten sind wir alle arm, und daher beten wir. Und beim Meßopfer, das wir jetzt feiern, bitten wir wie der Freund im Gleichnis um drei Brote: das Brot des Glaubens, das Brot der Hoffnung und das Brot der Liebe, und wir sind sicher, von dem erhört zu werden, den wir mit dem vertrauten Namen „Vater“ anrufen. 1524 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Eine der bedeutendsten Gestalten der Kirche unserer Zeit ist dahingegangen“ Homilie bei der Totenmesse für Kardinal Carlo Confalonieri am 4. August 1. „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn“ {Rom 14,8). Diese Worte aus dem Brief des hl. Paulus an die Römer, liebe Brüder und Schwestern, können gut das ganze Leben und die Spiritualität unseres geliebten Kardinals Carlo Confalonieri zusammenfassen, der im Alter von dreiundneunzig Jahren von uns gegangen ist. Ja, in jedem Augenblick leben wir für den Herrn. In jedem Augenblick gehören wir dem Herrn. Der verehrte Kardinaldekan wiederholt es uns mit der festen und tiefen Überzeugung, die sein ganzes Leben ausstrahlte. Und wir vernehmen bei diesem ganz vom Osteralleluja erfüllten Abschiedsgottesdienst seine klare Stimme, die mit Worten aus dem Epilog seiner römischen Erinnerungen verhalten, doch eindringlich sagt: „Wie das auserwählte Volk beim Aufstieg zum Tempel frohlockte, so hebt das gläubige Volk die Hände zum Himmel und ruft mit dem Seher der Apokalypse: „Komm, Herr Jesus, komm!“ Wann wird das sein? Herr, ich wage dich zu bitten: „Laß mich mit offenen Augen sterben, damit ich dich gleich sehen kann, so, wie du bist!“ (Carlo Confalonieri,Momen-ti Romani, Ed. pro Sanctiate, Roma, 1979). Mit offenen Augen hat ihn, glaube ich, der Todesengel an der Schwelle des ersten Tages im August angetroffen, und so hat er ihn vor das Angesicht des Allerhöchsten geführt. So sehe ich ihn auch noch unter uns: seine vergeistigte Gestalt, die sich in seinem klaren und scharfen, milden und zugleich ernsten Blick reflektierte, gleichsam als Verschmelzung seines angeborenen lombardischen Charakters mit dem römischen seiner Wahl. Wir werden seine hohe menschliche und priesterliche Gestalt gewiß nicht vergessen: den Adel seiner Haltung, seine Vornehmheit, seine Liebenswürdigkeit im Umgang, seine Hingabe an die Pflicht, sein Verantwortungsbewußtsein, seine tiefe Frömmigkeit, vor allem seine Treue zur Kirche und zum Apostolischen Stuhl; all dies hat er mit der Intensität und der Konsequenz eines Mannes Gottes gelebt. 2. Wenn ich nun die Seele seines guten und treuen Knechtes dem Herrn empfehle, so muß ich auch mit großer Dankbarkeit die wichtigsten Abschnitte seines langen und arbeitsreichen Weges in Erinnerung rufen. Der Lebensablauf des Kardinals Confalonieri umfaßt nahezu ein Jahrhundert. Er ist mit Epochen verbunden, die bedeutende Einschnitte im Leben der Kirche darstellen. 1525 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Am 25. Juli 1893 in Seveso geboren, wurde ihm von Haus aus ein angestammter, starker katholischer Glaube mitgegeben, der ihn während seiner Ausbildung im Seminar und nach dem Militärdienst während des ganzen Ersten Weltkrieges in den Anfängen seines Priesterlebens begleitete. 1921 machte ihn der neue Erzbischof von Mailand, Kardinal Achille Ratti, zu seinem Privatsekretär. Als Kardinal Ratti 1922 zum Papst gewählt wurde, kam der junge Priester als Sekretär des neuen Papstes Pius XI. nach Rom und blieb ihm während seines ganzen Pontifikates in unermüdlichem und diskretem Dienst zu Seite. 1942 ernannte Pius XXL ihn zum Erzbischof von Aquila. In den zehn Jahren seines Hirtendienstes hinterließ Msgr. Confalonieri in der Hauptstadt der Abruzzen einen tiefen Eindruck durch den Eifer und die Hochherzigkeit, womit er sich unter den dramatischen Umständen des Zweiten Weltkriegs einsetzte. 1950 nach Rom berufen, begann in der Ewigen Stadt für ihn der letzte Abschnitt seines Priesterlebens und seines Dienstes an der Gesamtkirche in Ämtern mit immer größerer Verantwortung: er wurde Sekretär der damaligen Kongregation für die Studienseminare und die Universitäten; im Konsistorium vom 15. Dezember 1958 kreierte Johannes XXIII. ihn zum Kardinal; 1959 wurde er Erzpriester der Liberianischen Patriarchalbasilika, dann Sekretär der Konsistorialkongregation, die er dann als Propräfekt ab 1965 und schließlich als Präfekt ab 1967 leitete, als dieses Dikasterium seine jetzige Bezeichnung Kongregation für die Bischöfe erhielt. Beim Zweiten Vatikanischen Konzil waren seine Tätigkeit und seine von Kultur und Weisheit geprägten Beiträge intensiv und von großem Wert. 1977 wurde er zum Dekan des Kardinalskollegiums ernannt, und wir alle erinnern uns mit dankbarer Bewunderung an seine eifrige und kluge Tätigkeit anläßlich des Todes von Paul VI. und Johannes Paul I., während der Sedisvakanz und der Vorbereitung der Konklaven, Unvergeßlich bleiben auch seine Nachrufe — voll der Trauer, aber auch der Hoffnung — auf die beiden Päpste. Ich kann auch nicht die herzlichen und ehrerbietigen, an geschichtlichen und doktrinären Bezugspunkten reichen Ansprachen.unerwähnt lassen, die Kardinal Confalonieri im Namen der Kardinäle bei den verschiedenen Begegnungen des Kollegiums an mich gerichtet hat. 3. Mögen wir alle von dieser letzten Bewunderung seine Lehre für das Leben, die er in dem erwähnten Buch ,Momenti Romani“ zusammengefaßt hat, mitnehmen können. Man könnte sie als sein Testament bezeichnen. Aus der Höhe seines Alters und seiner vielfältigen Erfahrungen gab Kardinal Confalonieri sich Rechenschaft von der Situation, in der die Menschheit heute lebt und sich entwickelt: „Wir erleben das beunruhigende Phänomen einer von Furcht und Angst erfüllten Epoche der Unsicherheiten“ (46). Über das Abneh- 1526 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN men der Priester- und Ordensberufe nachsinnend, schrieb er: „Die allgemeine Entgleisung, die ideologische Verwirrung, die ungeordnete Permissivität, die Zerstreuungen durch Radio und Fernsehen, das leichtsinnige Experimentieren, die Entweihung der Familie und der Gesellschaft und ähnliches dieser Art lassen aufkeimende hoffnungsvolle Berufe verdorren und lenken gute Neigungen ab“ (62). Und doch ist seine Botschaft von tröstlichem und klugem Optimismus getragen, verwurzelt im Glauben und in der Liebe. Er hat nicht den Mut verloren und ist auf dem Weg des Guten vorangeeilt in stetem, intensivem apostolischen Einsatz, der von einem tiefen und starken inneren Leben genährt war. Sein letztes Buch ist ein kostbares Zeugnis jenes Reichtums und eine Fundgrube weiser Lehren, aus der Weisheit des Glaubens und persönlicher Erfahrung geschöpft: „Die christliche Religion“ — schreibt er — „ist eine Religion der Freude... Von dem Augenblick an, in dem Gott für uns Leben, Licht und Liebe ist, bleibt alles Düstere verbannt. Sein Bild durchdringt seine Werke, in besonderer Weise den Geist des Menschen, in dem er sich in großartiger Helle widerspiegelt. Wir leben in ihm, der unendliche Schönheit und Freude ist“ (40). „Verzage nie, zieh dich nicht niedergeschlagen, entmutigt in dich selbst zurück, verzweifle nicht am Leben. Schau auf das Positive, nicht auf das Negative, auf das Gute, das sich dir von allen Seiten anbietet, nicht auf die Hohlheit der Dinge und die Bosheit der Menschen“ (32). „Man soll immer mit ruhiger Heiterkeit die Wirklichkeit betrachten und auf die eine Seite die hindernde Unsicherheit und den ängstigenden Zweifel, auf die andere Seite die heftigen Vorwürfe gegen alle und alles und ungeordneten Aufregungen verbannen, die das Übel nur noch verstärken, anstatt es zu beseitigen. Möge Gott unseren Sinn für Verantwortung stärken und ihn auf hohe Ziele ausrichten“ (70). Seine weisen und herzlichen Worte bilden einen gültigen und überzeugenden Lebenskodex. „Freuen wir uns zu jeder Zeit im Herrn, von der Kindheit bis ins Alter, und denken wir daran, daß das Leben hier unten Auftakt und Ankündigung eines höheren Geheimnisses der Glückseligkeit und Festesfreude ist-...Frohlocken wir, weil die Güte des Herrn uns zwischen den beiden Polen der irdischen Existenz, dem Dunkel der Geburt und dem Dunkel des Todes, in der Eucharistie das Licht der frohen Hoffnung auf die Unsterblichkeit entzünden wollte“ (235). 4. Ehrwürdige Brüder und liebe Gläubige! Die Botschaft des Kardinals Carlo Confalonieri lebt! Wenn wir uns vor seiner Bahre traurig fühlen, weil mit ihm eine der bedeutendsten Gestalten der Kirche unserer Zeit dahingegangen ist, so bleibt uns doch das Andenken an seine 1527 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Persönlichkeit und das Echo seines Zeugnisses eingeprägt. In der Schwierigkeit unserer Zeit spornt er uns an zum Mut des Glaubens, den Weg des Lebens und des Dienstes in der Wahrheit und in der Liebe weiterzugehen. Er ermahnt uns, die Stimme Gottes aufzunehmen, die in der Tiefe unserer Seele in dem geheimnisvollen Schweigen des Gebetes spricht: „Gott ist nicht im Lärm“ — so sagte er —, „wenn die anderen reden, schweigt Gott. Die Welt betäubt uns durch ihr übermäßiges Geräusch: Alle großen Apostel waren gleichzeitig große Mystiker“ (226). Machen wir uns das Gebet zu eigen, das er einmal formuliert hat: „O Herr, möge meine Seele überflutet sein von deinem Licht und dich immer tiefer erkennen! Herr, gib mir viel Liebe, Liebe, die mich unaufhörlich, still und hochherzig stets tiefer mit dir verbindet! Herr, gib, daß ich dir diene, ganz und gut, auf den Wegen, die du mir hier in meinem Leben auftun willst“ (215). Und auch in seiner Verehrung der heiligen Jungfrau wollen wir ihn nachahmen; er liebte sie sehr und betete stets zu ihr, vor allem aber in seinem hochgeschätzten Amt als Erzpriester von Santa Maria Maggiore. Lieber Kardinal Carlo Confalonieri, Dekan des Kardinalskollegiums, in dieser Stunde des Abschieds sagen wir zu dir: Bitte für die Seminarien, für die du deine Kräfte mit der größten Hingabe eingesetzt hast; bitte für die ganze Kirche, für alle Bischöfe und Diözesen der Welt, zu denen du eine so tiefe Liebe hegtest; bitte deinen großen Patron, den hl. Karl, den du so sehr verehrt hast, damit, wie du schriebst, „wir alle uns beeilen, solange es noch Zeit ist, unsere Pflicht hochherzig, voll und ganz zu erfüllen“ (144); bitte, daß das Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils, bei dem du ein eifrig Mitwirkender warst, den Geist erleuchte, die Initiativen lenke, die Herzen entzünde und die Völker der Erde um Christus versammle! Gedenke unser bei Gott, wie wir weiterhin deiner gedenken und dich lieben. 1528 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Gnadenzeit der Kirche Lettlands“ Botschaft an die katholische Gemeinde in Lettland, veröffentlicht am 12. August An unseren verehrten Bruder, Kardinal Julian Vaivods, Apostolischer Administrator von Riga und Liepaja Vor dem Hochfest der Aufnahme der Jungfrau Maria in den Himmel denke ich in diesem Jahr in besonderer Weise an Sie, Herr Kardinal, sowie an die gesamte katholische Gemeinschaft der Kirchen in Riga und Liepaja, die sich anschicken, mit besonderer Feierlichkeit im marianischen Heiligtum von Aglona den 800. Jahrestag des Beginns der Evangelisierung des edlen und mir sehr teuren Lettland im Gedenken an die Weihe des Bischofs Meinhard zu begehen. Mein Gedenken, das ich heute Ihnen, Ihren Weihbischöfen, den Priestern, Seminaristen und gottgeweihten Menschen sowie allen gläubigen Letten schenke, soll öffentlich die innige Anteilnahme und Gemeinschaft im Geist zum Ausdruck bringen, in der ich mit euch diese Gnadenzeit der Kirche Lettlands lebe, die sich bereits seit vielen Monaten in ihren Pfarrgemeinden auf diese Gedenkfeier des Beginns der missionarischen Tätigkeit Meinhards und seiner Gefährten vorbereitet. Ich habe diese Anteilnahme und Gemeinschaft bereits am 26. Juni zum Ausdruck gebracht, als ich in der Vatikanischen Basilika bei der Konzelebration der hl. Messe mit Vertretern der Episkopate anderer Nationen Europas den Vorsitz führte. In diesen Tagen der Vorbereitung auf das Hochfest der Aufnahme der Jungfrau Maria in den Himmel begleite ich im Geiste Sie und alle gläubigen Letten — und alle jene, die sich in ganz Lettland euch mit Herz und Seele verbunden fühlen —, die zum Heiligtum in Aglona wallfahren, um an den Feiern teilzunehmen und an diesem liturgischen Fest den Höhepunkt eurer Feierlichkeiten in der Heimat zu erleben. Mit euch allen möchte ich auf die Fürbitte Mariens, Mutter Christi, Mutter der Kirche und Mutter eines jeden von uns, Gott für die reichen Wohltaten danken, die er während der 800 Jahre ausgegossen hat, seit der Zeit, da dank dem wunderbaren Plan der Vorsehung Meinhard und seine Gefährten begannen, die Frohbotschaft des Heils zu verkündigen. Ich möchte dem Herrn ferner für die zahlreichen Gnaden danken, die er euch sicher in dieser Zeit gewähren wird, da ihr in dankbarer Erinnerung an die erste Evangelisierung in euren Pfarreien ein katechetisches Programm durchgeführt habt, um jenen Glauben neu zu beleben und zu bekräftigen, den ihr von euren 1529 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Vorfahren geerbt habt und den vorzuleben und den kommenden Generationen in den verschiedenen Zeiten und Situationen weiterzugeben durch ein persönliches, familiäres und soziales Verhalten, dem Gesetz des Evangeliums entspricht. Auf den Knien vor Maria, der Königin eures marianischen Landes, vertraue ich Ihnen diese katholische Gemeinde mit ihren Erwartungen und Hoffnungen an, damit sie — trotz der Schwierigkeiten, denen ihre Mitglieder begegnen können — stark im Glauben, mutig in der Hoffnung und eifrig in der Liebe bleibe, wie ich bei der Feier in der Petersbasilika gebetet habe; möge sie unter der eifrigen Führung ihrer Bischöfe und dank der treuen Hingabe ihrer Priester im täglichen Leben mit neuer Kraft ein immer lebendigeres Zeugnis für die christlichen Werte ablegen und so zur Entfaltung von Wohlstand und Gedeihen aller Mitbürger beitragen, so daß viele andere Wahrheit und Reichtum des Heils finden können, das ihr Sohn der Welt gebracht hat. Als Unterpfand für dies alles und zum Zeichen meiner tiefen Verbundenheit, die ich bei dieser Gelegenheit in besonderer Weise den Jugendlichen aussprechen möchte, von denen die Zukunft der Kirche in Lettland abhängt, erteile ich Ihnen, Herr Kardinal, sowie allen Gläubigen den Apostolischen Segen. Aus dem Vatikan, 6. August 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. Die Nachricht darf sich nicht von der Wahrheit lösen Botschaft an die Teilnehmer des 7. Treffens für die Freundschaft unter den Völkern in Rimini vom 6. August, veröffentlicht am 24. August Liebe Brüder und Schwestern! 1. Noch immer trage ich lebendig in mir die Erinnerung an den Besuch beim Treffen für die Freundschaft unter den Völkern am nicht weit zurückliegenden 29. August 1982, und so richte ich bei dieser neuen Veranstaltung meinen Gruß und Glückwunsch an euch und freue mich über eine Initiative, die schon seit mehreren Jahren Menschen zusammenführt, die einander in einem gelösten und achtungsvollen Dialog über die Grundwerte der menschlichen Existenz begegnen möchten. 1530 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN In diesem Jahr wollt ihr die gesamte Veranstaltung um das Thema „Kommunikation“ kreisen lassen. Dieser Begriff kennzeichnet einen wesentlichen Zug des Menschen und stellt zugleich ein besonderes Merkmal der Zeit dar, in der wir leben. Man darf wohl sagen, daß der Mensch in seiner ganzen Geschichte immer vom Verlangen und Suchen nach einer noch tieferen und verstärkten Kommunikation mit seinesgleichen und mit dem höchsten Wesen motiviert wurde. Doch zweifellos ist diese Erfahrung mit der Kommunikation in unserer Zeit gewaltig gewachsen, die nach dem Aufkommen von Presse, Radio und Fernsehen dank den Computern nun die Revolution der Informatik erlebt. Das muß zum Nachdenken veranlassen. 2. Als persönliches, nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffenes Wesen steht der Mensch in Beziehung zum andern, und alles Körperliche und Geistige strebt in ihm danach, Instrument der Kommunikation zu werden. Er drückt damit die Auffassung aus, die er von der Wirklichkeit hat, und bringt die Intuition und das Bewußtsein zum Ausdruck, die er vom Geheimnis seines Ursprungs und letzten Zieles besitzt. Er tut das durch die Umgangssprache, die Wissenschaft, die Philosophie, die Kunst, das Gebet. . Im Bedürfnis und Willen zur Kommunikation erkennt der Glaubende sich als Geschöpf, vom Wort ins Dasein gerufen, und er spürt den Ruf, selbst Träger einer Botschaft des vollen Lebens für seine Mitmenschen zu werden. Was möchte der Mensch, angefangen von den primitiven Wandzeichnungen der Vorgeschichte bis zu den vielfältigen künstlerischen und literarischen Möglichkeiten von heute — nicht zu vergessen die ständigen technologischen Neuerungen — anders mitteilen als die von ihm gewonnene Erkenntnis der Wirklichkeit, ihren Ausdruck und ihre Deutung? Mehr oder weniger offenkundig ist in jeder menschlichen Kommunikation immer der Entwurf einer Deutung der Existenz vorhanden, wie wenn ein Mensch den andern einläden wollte, an jener Schönheit, jener Wahrheit und jenem Gut Anteil zu haben, die ihn innerlich bereicherten. Wie kann da der Glaubende schweigen, der in der Offenbarung des Wortes Gottes die entscheidende Antwort auf die Fragen kennenlernen durfte, die den Menschen aller Zeiten bewegen? Er muß das ihm Geoffenbarte mitteilen. Er muß es vor allem heute den Männern und Frauen mitteilen, die mit ihm den Ausgang dieses Jahrtausends erleben. 3. Was erweist sich denn als notwendiger in einer Zeit, in der der Umfang der Informationen geradezu ins Unermeßliche steigt und diese sich immer mehr.in den Händen von wenigen konzentrieren und immer mehr in unsere Häuser, ja 1531 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bis ins Innerste unseres Bewußtseins eindringen? Was wird dringlicher, wenn sich die Nachricht oft genug von der Wahrheit gelöst darbietet und nur dem Nutzen dienen soll? Heute scheinen viele Botschaften nicht verifizierbar zu sein, weil sich die Objektivität des Instruments der Subjektivität der Botschaft überordnet. In dieser Zeit eines raschen und schnellen kulturellen Wandels ist man versucht, zwei entgegengesetzten Irrtümern zu unterliegen: der unkritischen und naiven Übernahme alles Neuen oder aber der Ablehnung, dem Verzicht, dem Mangel an schöpferischer Verantwortlichkeit. Die Revolution der Informatik und Telematik, die die Charakteristik der Arbeit und der Freizeitgestaltung verändert, verlangt von der Kirche und ihren Söhnen und Töchtern ein neues Bemühen, diese Sprache und diese Techniken tiefer kennenzulernen, um der Wahrheit angemessen dienen zu können. 4. Hier liegt ein unermeßliches und faszinierendes Arbeitsfeld vor uns, das eines der ersten Anliegen für die missionarische Aufgabe der verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften und der einzelnen Gläubigen bilden muß. Gleichzeitig ist es für jeden notwendig, sich bei jeder Botschaft und jeder Nachricht zu fragen, welche lebendige Erfahrung ihr zugrunde liegt und welche Autorität für ihre Glaubwürdigkeit bürgt. Daher muß man sich „um ein tieferes Verständnis dessen bemühen, was man gesehen, gehört und gelesen hat. Mit Erziehern und Fachleuten soll man sich darüber besprechen, um selbst richtig urteilen zu lernen“ (Inter mirifica, Nr. 10). Von diesem Gesichtspunkt aus ist die Kirche ein besonderer Ort der Hinführung zu einer echten Kommunikation: in ihr wird die Frohbotschaft schlechthin, daß Gott Mensch geworden ist um des Menschen Heiles willen, Erfahrung der Kommunikation, feststellbarer Wandel der Lebensweise und dringender Aufruf zu neuem missionarischem Eifer. Die Kirche hat von der Entwicklung der Massenmedien nichts zu fürchten, ja, sie will, daß ihre Söhne und Tochter sich dort führend engagieren, damit das, was zunächst Menschenwerk ist, wirklich dem allseitigen Wachstum der Person dient. 5. Indem ich euch zu dieser edlen Aufgabe einlade, die in der Glaubenserfahrung gewonnene Wahrheit weiterzugeben, um so die Gesellschaft im Zeichen der Liebe aufzubauen, erinnere ich euch daran: „Wie der Wille Gottes Wirken ist und dieses Wirken den Namen Welt trägt, so ist sein Plan das Heil des Menschen, und dieses Heil trägt den Namen Kirche“ (Klemens von Alexandrien, Der Pädagoge, Kap. VI,41,B: Band 8, Spalte 282,B); die Kirche aber ist nach einem schönen Wort Papst Pauls VI. „Geheimnis, d.h. in die Gegenwart Gottes 1532 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN eingetauchte Wirklichkeit, die den Dialog mit der zeitgenössischen Welt aufnimmt...Sie schaut mit tiefem Verständnis auf sie und in echter Bewunderung, dazu mit dem deutlichen Willen, nicht sie zu erobern, sondern ihren Wert zu ermessen, sie nicht zu verurteilen, sondern sie zu bestärken und sie zu retten“ (Paul VI., Ansprache zur Eröffnung der 2. Sitzungsperiode des II. Vatikanischen Konzils: AAS, 1963). In diese Richtung soll euer Wirken zielen, getragen von ständigem Gebet. Und während ich auf euch den Hl. Geist, die Quelle des Lebens und der Freiheit, herabrufe, daß er in euren Herzen mit dem unermeßlichen Reichtum seiner Gaben wirke, ist es mein Wunsch, daß euer Leben immer ein glaubwürdiges Zeugnis für das Evangelium sei. Dazu gebe euch Kraft mein Apostolischer Segen. Aus dem Vatikan, 6. August 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. Das Reich Gottes ist nicht „für Teilnahmslose, Zerstreute und Oberflächliche“ Predigt bei der Messe für die „Route Nazionale“ der italienischen Pfadfinder in den Abruzzen am 9. August „Legt euren Gürtel nicht ab, und laß eure Lampen brennen!“ (Lk 12,35). 1. Die plastisch formulierte Stelle aus dem Lukasevangelium, die wir soeben gehört haben, nimmt vor euch, hier versammelte Mitglieder der Italienischen Katholischen Pfadfindervereinigung, eine besondere Bedeutung an. ,JEstote parati — seid bereit!“ {Lk 2,40), gerade diese beiden Worte habt ihr ja als euren Leitspruch gewählt. Das Bild von den „umgürteten Lenden“, und den „brennenden Lampen“, das ihr gewiß liebt, weil ihr bei euren Gebirgswanderungen und an euren Lagerfeuern seine ganze eindrucksvolle Kraft verspürt habt, erinnert an die Gewohnheit der alten Hebräer, die ihre Kleider aufschürzten und fest um die Lenden gürteten, um rascher gehen zu können, wenn sie lange Reisen unternahmen, vor allem bei der Pilgerfahrt nach Jerusalem. Das Buch Exodus bezieht sich auf diese Gepflogenheit, wenn es das Paschamahl, bei dem das Osterlamm verzehrt wurde, beschreibt: „So aber sollt ihr es essen: eure Hüften gegürtet, Schuhe an den Füßen, den Stab in der Hand. Eßt es hastig!“ {Ex 12,11). 1533 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das Bild ist sehr bedeutsam für euch, denn es drückt die wache, aufmerksame Haltung dessen aus, der sich auf den Weg des Gottsuchens macht und ein Leben in Nüchternheit führt, frei von all dem, was dem Geist hinderlich ist und das Gehen erschwert. Es gehört zu euch, denn die Scouts mögen kein Leben, in dem man untätig dasitzt. Sie wissen, daß das Reich Gottes nicht für Teilnahmslose, Zerstreute und Oberflächliche ist, die sich die Augenblicke der Gnade, die uns die Vorsehung an den Lebensweg schickt, entgehen lassen. ' 2. „Seid bereit“: Habt Gott gegenüber die Bereitschaft und Verfügbarkeit, das Vertrauen und die Treue Abrahams, von dem heute die zweite Lesung der Eucharistiefeier sagt: „Aufgrund des Glaubens gehorchte Abraham dem Ruf, wegzuziehen in ein Land, das erzürn Erbe erhalten sollte...Aufgrund des Glaubens hielt er sich im verheißenen Land wie in einem fremden Land auf und wohnte in Zelten“ (Hebr 11,8). Abraham, der wahre und eigentliche Pfadfinder, hat sein Leben — wie in einer Wette — auf das Wort Gottes gesetzt, er hat gegen alle Hoffnung gehofft, so sehr, daß er das Abenteuer einer Reise ins Unbekannte und Unsichere wagte: „Er zog weg, ohne zu wissen, wohin er kommen würde“ (Hebr 11,8). Er brachte auf den Glauben hin seine ganze Existenz als Einsatz ins Spiel, in totalem Sich-Überlassen an Gott. Es war ein Glaube ohne unmittelbare Garantien und ohne menschliche Logik. Aber das ließ den großen Patriarchen nicht zurückschrecken, im Gegenteil, er lebte diesen Glauben ohne zu zweifeln und unsicher zu werden; er vertraute auf Gott und nahm Gottes Pläne an, auch wenn sie auf den ersten Blick absurd und widersinnig erschienen. Das alles, weil er, auf dieser Erde pilgernd, nie jene himmlische Stadt aus dem Auge verlor, „die Gott selbst geplant und gebaut hat“ (Hebr 11,10), und auch weil ihm das verheißene Land Symbol für jenes Vaterland war, das jenseits der Grenzen des irdischen Lebens liegt. Das Beispiel Abrahams möge euch, die ihr manchmal schwierige, gefahrenreiche und unbekannte Wege wagt, als Ansporn gelten, beständig und zäh durchzuhalten und euch nie durch Hindernisse überwältigen oder entmutigen zu lassen. 3. Liebe Pfadfinder und Pfadfinderinnen, ich weiß, daß Paulus von Tarsus, der Völkerapostel, euer himmlischer Patron ist. Er machte, nachdem er auf der Straße nach Damaskus von Jesus seine Sendung erhalten hatte, aus seinem Leben eine unaufhörliche und unermüdliche Wanderschaft, um das Evangelium des Heiles zu allen Völkern zu bringen. Wie Abraham, so zog auch er fort aus seinem Land und machte sich auf den Weg wie einer, der hier keine Stadt hat, die bestehen bleibt, sondern die künftige sucht (vgl. Hebr 13,14). Ihr wißt, was für Anstrengungen er auf sich nahm, und — um es so auszudrücken — was für 1534 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Abenteuer er erlebte. An einigen autobiographischen Stellen des zweiten Briefes an die Korinther spricht er selbst davon, wenn er sagt: „Ich war oft auf Reisen, gefährdet durch Flüsse...gefährdet in der Wüste, gefährdet auf dem Meer“ (2 Kor 11,26). Scheint es euch nicht, als ob ihr euch unter mancherlei Gesichtspunkten in euren Tätigkeiten und eurem Lebensstil mit ihm vergleichen könntet? Ihr ahmt seine kühnen Taten nach und tragt den gleichen Schwung im Herzen, den gleichen Eifer und die gleiche Begeisterung für das Evangelium. Ihr habt die „Pisten“ des Pfadfinderlebens als „Lupetti“ und „Coccinelle“ und dann die „Pfade“ als kühne „Esploratori“ und „Guide“ zurückgelegt, und nun habt ihr den Weg auf der „Straße“ oder „Route“ begonnen. Das ist die letzte Stufe eures Pfadfinderweges, der euch darauf vorbereitet, eure Entscheidungen zu treffen, von denen ihr dann außerhalb eurer Gruppen in der menschlichen Gemeinschaft Zeugnis geben müßt, dort, wohin euch die Vorsehung rufen wird, euer Leben in Staat und Gesellschaft zu führen und andern euren Dienst zu leisten gemäß dem Stil, nach dem ihr in eurer Pfadfindervereinigung geprägt wurdet. Ja, dienen! Dienst erweisen dem, der ihn braucht: selbstlos und großmütig. Indirekt wird es auch dem, der den Dienst leistet, zum Nutzen gereichen, denn wie Sir Robert Baden-Powell, der Begründer des Pfad-findertums, in seinem Testament bestätigt hat, besteht „die echte Weise, glücklich zu sein, darin, andere glücklich zu machen“. 4. Ich begrüße euch alle, liebe, junge Pfadfinder und Pfadfinderinnen. Ich freue mich, euch hier im Appenin versammelt zu sehen, in der großartigen Szenerie der Abruzzen, die auch ich nun an ihren eindrucksvollen Punkten kennen und bewundern gelernt habe. Zusammen mit Msgr. Camillo Ruini, dem Sekretär der Italienischen Bischofskonferenz, und mit Msgr. Mario Peressin, dem Erzbischof von L’Aquila, richte ich einen besonderen Gruß an die Führer und Verantwortlichen der Katholischen Italienischen Pfadfindervereinigung und an ihre kirchlichen Assistenten. Ihr seid auf 250 Wegen zu dieser entlegenen Hochebene Piani di Pezza gewandert. Ihr seid zahlreich: Diese große Anzahl beweist schon in sich, daß ihr dieser Erfahrung, die ihr im Geist des biblischen Exodus macht, große Bedeutung beimeßt. Ich bin sicher, daß diese Erfahrung euch helfen wird, die Grundlinien zu jenen „menschlichen und christlichen Entscheidungen für eine sich wandelnde Welt“ zu ziehen, die das allgemeine Thema dieser Tage bilden. Eine „Route Naziona-le“ bietet eine besonders günstige Atmosphäre für diese persönlichen Entscheidungen, die euer zukünftiges Leben bestimmen sollen. Sie läßt auch in der Tat all jene Fähigkeiten, die ihr verwirklichen könnt, die aber im gewöhnlichen Alltagsleben vielleicht verborgen bleiben, mit Händen greifen. Sie gibt euch Gelegenheit, anders zu leben und jene geistigen Anlagen in euch wiederzuent- 1535 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN decken, die eurem Geschmack und euren echtesten Idealen im wahrsten Sinn entsprechen. Sie drängt euch, aus dem eigenen Ich herauszugehen und es im persönlichen Austausch in Frage stellen Zu lassen. Sie wirkt der Verflachung entgegen, zu der gewisse genormte Kulturmodelle führen können. Das Gemeinschaftsleben der Scouts zielt ab auf die Entfaltung der Persönlichkeit, indem es jedem hilft, er selbst zu sein und dadurch den anderen einen besseren Dienst zu leisten. Auf Fahrt gibt es keinen Platz für Angst und Trägheit, die den Menschen oft die Flügel beschneiden und sie in einen Zustand von passivem Konformismus absinken lassen. Auf Fahrt soll alles dazu beitragen, den Geist emporzuheben. Die Aufmerksamkeit, mit der man Banalitäten, Ungeschliffenheit und Oberflächlichkeit zu vermeiden sucht, führt nach und nach dazu, menschliche und geistige Werte zu entdecken und ihre tief verborgenen Reich-tümer zu begreifen. Gebirgswanderungen, Gruppentreffen, Zeltlager, die Zeremonie des Pfadfinderversprechens, die Lagermesse, Lieder am Lagerfeuer oder bei Mondschein, all das sind nicht einfach Fakten in eurem Leben, es sind vielmehr Erlebnisse, die in der Seele unauslöschliche Spuren zurücklassen. Sie lehren, aus Personen, Gesten und Dingen jene Bedeutung herauszulesen, die denen entgeht, die in den Zerstreuungen und Betäubungen einer materialistischen Lebensauffassung befangen sind. Das Leben in enger Verbundenheit mit der Natur ertüchtigt auch zur Askese, es fordert nämlich die Mühe, die Anstrengung und den Mut, die für eine Entscheidung zum echten Leben nach dem Evangelium nötig sind. Diesen Weg nimmt die Bekehrung, die ihr euch in diesen Tagen nach dem Beispiel des Paulus von Tarsus vorgenommen habt. In diesem Licht werden die „menschlichen und christlichen Entscheidungen“ gewiß triftig und zuverlässig sein, denn ihr habt gelernt, die manchmal undurchdringliche Dichte der Dinge und der menschlichen Verhältnisse zu überwinden und die Transparenz des Geistes wahrzunehmen, der der ganzen Schöpfung Form und Gestalt verleiht und die Seele bereit macht zum Kontakt mit dem Übernatürlichen. Das ist der Weg, der zur Christuserfahrung führt. Es ist der Weg, der zum Tabor und nach Em-maus führt, aber auch der, der nach Kalvaria geht, denn wenn man jemand sein will und im Leben etwas leisten will, kann man nicht auf den verpflichtenden Durchgang durch Leiden und Opfer verzichten: Percrucem ad lucern, durch das Kreuz zum Licht. 5. Eure „menschlichen und christlichen Entscheidungen“ werden in diesem Licht wirklich verpflichtend, und sie werden euch auf dieser Wegstrecke, die ihr nun im Augenblick des Aufbruchs antretet, von großem Wert sein. Sicher habt ihr in diesen Tagen so manche Vorsätze gefaßt, die euch im Leben begleiten sollen. Aber ich glaube, an der Spitze von allen steht jener, vor der Welt 1536 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zeugnis zu geben für euren Glauben. Dazu befähigt euch mit besonderen Ak-zentsetzungen eure Zugehörigkeit zu einer spezifisch katholischen Vereinigung, wie es die eure ist und sein will. Dazu verpflichtet euch besonders nachdrücklich die ebenfalls spezifisch katholische Erziehung, die der Verband euch bietet, wie es seine Aufgabe ist, und die eure Denkweise sowohl wie euer äußeres Verhalten und eure Tätigkeit als loyale und treue junge Menschen anspornen soll. Ihr müßt eine Gesellschaft, die in einer Umgebung des Mißtrauens, des Sinnengenusses und der Gewalt oft tief Erschreckendes erlebt, die Schönheit des Glaubens, der Freundschaft, der Solidarität und des Dienstes spüren lassen und ihr auch das Ideal der totalen Weihe an Christus und der Hingabe an die Menschen nahebringen. Steht immer konsequent zu euren Grundsätzen und eurer Identität: zwischen eurem Glauben und eurem Leben soll ein lückenloser Zusammenhang bestehen, ebenso wie zwischen dem christlichen Denken und dem praktischen Handeln. Seid geradlinig in eurem Verhalten, das von echter Treue zu Kirche und Vaterland erfüllt sei. Sie macht euch frei von der Beeinflussung durch Kultur-und Sittenmodelle, die anscheinend Neuerungen bringen, aber in Wirklichkeit im Konformismus verankert sind. So werdet ihr imstande sein, zur wahren inneren Freiheit zu gelangen, würdig jener tapferen Menschen, die nie an ihrer Treue zu Gott, zu Christus, zur Kirche und deren Hirten Verrat üben. Ihr werdet hochherzig eure Versprechen erfüllen und euch beständig bemühen, die Grenzen der Mittelmäßigkeit und des Opportunismus zu überwinden. Arbeitet mit den anderen katholischen Verbänden und Bewegungen zur christlichen Animation der heutigen Gesellschaft zusammen. Auf diese Weise wirkt ihr dahin, daß die Welt sich zum Besseren wandelt, daß Gerechtigkeit und Frieden, Solidarität und Förderung eines jeden Menschen vorangebracht werden. Daraus wird sich die beste Rechtfertigung für eure Bewegung ergeben, und euer Leitwort „Seid bereit!“ wird voll verwirklicht, denn dann führt ihr wirklich ein Leben nach dem Evangelium, „die Lenden umgürtet, mit brennenden Lampen“. Ihr jungen Pfadfinder und Pfadfinderinnen, geht hinaus auf die Straßen der Welt: Christus geht mit euch! 1537 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Ja, der rettende Sieg ist da“ Predigt in Castel Gandolfo am Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel am 15. August 1. „Der Tempel Gottes im Himmel wurde geöffnet“ (Ojfb 11,19). Heute ist ein ungewöhnlicher Tag. Die Kirche führt uns, die wir hier in dem irdischen Gotteshaus am Albaner See versammelt sind, zu dem himmlischen Heiligtum, das Gott selbst ist. Es ist ein Tempel, der weder die Ausmaße noch die architektonischen Formen aufweist, die in der Geschichte der menschlichen Kultur bekannt sind: es ist der heilige Raum Gottes. Er ist ganz erfüllt vom Geheimnis seiner Gottheit, der einen ungeteilten und unendlichen Gottheit. Diese göttliche, ganz heilige Wirklichkeit ist der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, die Verbundenheit der Personen in der unergründlichen Einheit der Gottheit. Wir hier auf Erden sind alle auf dem Pilgerweg zu diesem Heiligtum, hin zu dieser Dimension der ewigen Vollendung, in der Gott alles in allem ist (vgl. 1 Kor 15,28). 2. Unter all denen, für die Gott alles ist, befindet sich an erster Stelle Maria. Das heutige Fest ist in gewissem Sinn die Zusammenfassung ihrer Feste, die Krönung des ganzen Weges, den sie gegangen ist, zuerst im Gedanken Gottes und dann ins irdische Leben eingefügt, zu einer außerordentlichen Sendung in der Heilsgeschichte. Die Liturgie läßt sie uns betrachten als Frau, die mit dem ganzen sichtbaren, von Gott geschaffenen Universum bekleidet ist. So war sie im ewigen Plan der göttlichen Dreifaltigkeit, und so hat sie der Evangelist Johannes geschaut, der Jünger und Apostel, dem es bestimmt war, in der Todesstunde Christi am Kreuz ihr Sohn zu werden. So steht Maria vor dem liebeerfüllten Blick des Verfassers der Apokalypse. Sie ist mit der ganzen sichtbaren Schöpfung verbunden und ist zugleich ewig gegenwärtig im „Heiligtum“ Gottes. 3. Sie ist dort gegenwärtig als „Bundeslade“. Der Herr, der Gott des Bundes, hat nämlich in ihr, Maria, seinen Bund mit dem Menschen auf den Höhepunkt, auf den Zenit führen wollen, er wollte ihn in einem so vollen Maß zur Vollendung bringen, daß es über die Reichweite der Gedanken und Erwartungen nicht nur der Menschen, sondern auch der Engel hinausgeht. Gott wollte Mensch werden in seinem ewigen Sohn. Und die Frau, „mit der Sonne bekleidet“, sollte diesem Sohn, der wesensgleich ist mit dem Vater, menschliche Mutter werden. Die „Bundeslade“ ist die, in der „das Wort Fleisch geworden“ ist. „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen Sohn hingab“ (Joh 3,16). 1538 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Frau, die von Ewigkeit her dazu bestimmt war, Mutter des Sohnes Gottes zu sein, ist ewig mit der Sonne der göttlichen Liebe bekleidet...der Liebe, die die Welt bewegt, die sichtbare und die unsichtbare. 4. Darum ist sie „ein großes Zeichen“. Dieses „große Zeichen“ der Frau wurde von Gott am Anfang der Menschengeschichte offenbart. Es wurde offenbart, als der Mensch durch den Ungehorsam gegen den Schöpfer aus dem Liebes-bund mit dem Vater wegging und die falschen Wege der Sünde einschlug. Das geschah „durch die Versuchung des Bösen“ (LG 63), der „alten Schlange“ {Offb 12,9), die Christus zu seiner Zeit „Vater der Lüge“ nennen wird. Nachdem der Schöpfer den Versucher verflucht hatte, sprach er die Worte, deren Echo die heutige Lesung aus der Offenbarung des hl. Johannes deutlich hören läßt. Gott der Herr sprach: „Feindschaft setze ich zwischen dich und die Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf, und du triffst ihn an der Ferse“ (Gen 3,15). 5. Mit diesen Worten aus dem Buch Genesis, die zu dem gehören, was Protoe-vangelium genannt wird, tritt die Frau, die mit der Sonne, mit der ewigen Liebe bekleidet ist, die Frau des göttlichen Heilsplans in die Geschichte des Menschen ein. Zuerst tritt sie in die Geschichte der messianischen Erwartung ein, die in besonderer Weise zum auserwählten Volk des Alten Bundes gehört: zum Volk Israel, dann in die Geschichte der messianischen Erfüllung, von der das ganze Neue Testament, vor allem das Evangelium Zeugnis gibt. Von dem Augenblick an, in dem Maria durch das Wirken des Heiligen Geistes in jungfräulicher Weise den Sohn empfangen und geboren hat, den der Vater nach ewigem Ratschluß der Welt „geben“ wollte, „damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16) — von dem Augenblick an erfüllt sich die Zeit des Heils. In der Offenbarung des hl. Johannes bezeugt es die Stimme vom Himmel, die sagt: „Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Herrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten“ (Offb 12,10). Und so ist es wirklich. Die Menschheit lebt in der Zeit des Heiles. Sie lebt unter der Vollmacht „des Gesalbten Gottes“, im Reich Gottes. So ist es wirklich, wenn auch das Bewußtsein von dieser Wahrheit auf der Erde nicht so allgemein und nicht so stark ist wie im Himmel, im Heiligtum Gottes selbst. 6. Ähnlich hören auch die Worte des Protoevangeliums nicht auf, sich zu erfüllen. Die Feindschaft, die im Anfang von der Sünde hervorgerufen wurde, dauert an. Sie dauert fort durch den Ablauf der Geschichte des Menschen, und es gibt Perioden, in denen sie mit besonderer Intensität zuzunehmen scheint. 1539 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN So scheint sich also der „große Drache“ fortwährend „vor die Frau“ zu stellen und in der Geschichte der Menschheit die Sünde zu vervielfältigen, vor allem in dem Bestreben, den Menschen von Gott zu entfernen und ihn so an die Welt zu binden, daß Gott, der Schöpfer und Vater, vom Horizont des Denkens und des Herzens der Menschen verschwindet. Er versucht sogar, soweit möglich, den Menschen zur Verachtung Gottes und zum Haß gegen Gott und gegen alles, was Gottes ist, zu treiben: „Eigenliebe bis zur Verachtung Gottes“, wie der hl. Augustinus sich ausdrückt. 7. Das heutige Hochfest hat also einen zweifachen Charakter. Erstens: In ihm ist das Zeugnis des Sieges enthalten, den der Sohn der Frau errungen hat: „Er trifft dich am Kopf.“ Ja, so ist es: „Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen...wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden“ (1 Kor 15,20.22). Unter ihnen ist Maria die erste, denn sie gehört am meisten zu Christus. Die Kirche freut sich heute über die Herrlichkeit ihrer Aufnahme in den Himmel. Von dieser Höhe aus schaut sie auf den ganzen Lauf der Heilsgeschichte bis zurück auf deren Anfang. Ja, so hat sich in Gott das Geheimnis der „Frau, mit der Sonne bekleidet“, mit der ewigen Liebe bekleidet, erfüllt. 8. Zweitens: Das Hochfest der Aufnahme Mariens in den Himmel ist für uns bestimmt, für die Menschen, die noch Pilger in dieser Welt sind, auf der sich weiterhin der Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen abspielt. Und der Mensch, der in diesen Kampf verwickelt ist, kann, nach dem Hinweis des letzten Konzils, sich leicht auf den falschen Wegen des Zeitgeistes verirren, wenn er seinen Blick nicht auf jenes „große Zeichen“ richtet, das beständig aus dem Heiligtum des lebendigen Gottes auf ihn trifft. „Die Frau, mit der Sonne bekleidet“, bekleidet mit der ewigen göttlichen Lie- be. Durch sie dringt die heilschaffende Liebe ständig in die Geschichte des Menschen ein und formt ihn um. Der Mensch muß also die Augen erheben. Er muß auf die Stimme hören, die das große Zeichen der Frau begleitet und nicht davon zu trennen ist: „Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Herrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten“ (Offb 12,10). Ja, der rettende Sieg ist da! 1540 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Not der ausgewänderten Familien Botschaft zur Feier des diesjährigen Welttages der Migranten vom 15. August, veröffentlicht am 20. September Verehrte Brüder, Geliebte Söhne und Töchter der Kirche! 1. Die jährliche Feier des Welttages der Migranten veranlaßt uns, noch einmal über die Situation, in der sich Tausende unserer ausgewanderten Brüder befinden, nachzudenken und uns mit ihren Problemen zu befassen, die oft so schmerzlich und schwer sind und in besonderer Weise unseren Blick auf die Familien zu lenken, die von dieser Migration betroffen sind. Es handelt sich um verwickelte Situationen, die schwer aufzuheben sind, die im Zentrum vieler Probleme stehen und die vielleicht der empfindlichste, der stechendste Punkt und oft auch der schmerzlichste des ganzen Phänomens der menschlichen Migration sind. Die Familie scheint tatsächlich die Struktur zu sein, die am zerbrechlichsten und leicht verwundbar ist und praktisch am meisten von den rauhen und negativen Aspekten der Migration betroffen wird. Das tritt ganz klar hervor, sei es, daß man die Bedingungen betrachtet, die die zurückgelassene Familie betreffen, oder die Schwierigkeiten ins Auge faßt, welche die gesamte Familie, die ausgewandert ist oder sich erst in der Fremde bildet, betreffen; oder wenn man an die nicht geringen Probleme denkt, die für die Familien auf-treten, wenn sie mit Menschen anderer Kultur, Sprache, Religion und Lebensweise Zusammenkommen. Aufgrund all dieser Probleme stellt die Familie des Migranten ein besonderes Problem dar, welches das Interesse der Kirche hat, die ja verpflichtet ist, all ihren Gliedern ihre Hirtensorge anzubieten, ganz besonders jenen, die sich in besonders schweren Situationen befinden; das auch, weil sich die Kondition der Familie des Migranten tiefgehend in der kirchlichen Gemeinde des Herkunftslandes widerspiegelt, und dies vielleicht noch stärker in der Gemeinde, in der er sich niederläßt und die ihn aufnimmt. Diesen spezifischen Problemen der Familie in der Migration möchte ich diese meine jährliche Botschaft zum Tag des Migranten widmen. 2. Die Situation, in der sich die Emigranten befinden, ist oft widersinnig; sie sind zu mutigen Entschlüssen verpflichtet, um das Wohl der Familie, die schon besteht, oder die sie gründen wollen, zu sichern, und in der Tat werden sie der Möglichkeiten beraubt, dieses rechtmäßige Anstreben zu erreichen. 1541 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Familie, die ja die Aufgabe hat, die Werte des Lebens und der Liebe weiterzugeben, befindet sich in der Migration oft in großer Schwierigkeit, diesen ihren Auftrag zu leben, eben wegen der Auswanderung, die sie in so verschiedener Weise trifft. Neben der Familienzusammenführung bestehen weiterhin Systeme — ja, sie vermehren sich sogar —, welche die erzwungene Trennung der Ehepartner andauern lassen. Die Arbeiter, und nicht nur die Saisonarbeiter oder jene, die sich in einer nicht rechtmäßigen Situation befinden, sind gezwungen, oft über Monate hinweg, ja sogar jahrelang von ihren Frauen getrennt zu leben; diese sind so gezwungen, Rollen zu übernehmen, an die sie nicht gewohnt sind. So sind die Eheleute zu einer Trennung verurteilt, die das Erlebnis der Migration noch traumatischer macht. Und noch öfter bringt die Emigration die Trennung der Eltern von ihren Kindern mit sich, die so in die Gesellschaft hineinwachsen ohne das familiäre Bild; ihre Erziehung erfolgt gemäß der Verhaltungsweise der älteren Menschen, die nicht immer in der Lage sind, der jungen Generation, die sich auf die Zukunft vorbereitet, zu helfen. Doch auch die Familie, die sich nach Jahren der Trennung zusammenfindet, unterliegt der Ünsicherheit der Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung, diese hat nicht selten eine einschneidende Wirkung auf das Familienleben von Tausenden von Arbeitern und als Folge der Ungewißheit für jeden Zukunftsplan, den sie schmieden, besonders auch was die schulische Ausbildung der Kinder betrifft, für die ja eine gewisse Stabilität über einen längeren Zeitraum hinweg nötig ist. Es ist aber nicht nur die Unsicherheit, die Arbeit betreffend, welche die Stabilität der Familie untergräbt. Nicht selten zeigt es sich, daß ihnen gegenüber eine Diskriminierung fortbesteht, die ihren Ausdruck findet in der Art der Wohnungen, die sich in heruntergekommenen Vierteln der großen Städte befinden; oder auch in der Verneinung der Teilnahme im gesellschaftlich-politischen Bereich oder in der Ausschließung der Emigranten. Die Übernahme der schweren Arbeiten, die oft von der einheimischen Bevölkerung verweigert werden, führt oft zu Schichtarbeit und zu einer Arbeitsdauer, die ein gesundes, harmonisches Wachsen der ganzen Familie äußerst erschwert. All dieses kann dazu führen, daß sich die Emigranten-Familie der Aufnahme-Gesellschaft verschließt und sich demzufolge weigert, über die kleinen Privatinteressen hinaus, irgendeine Verantwortung zu übernehmen. Wenn nach den Anfangsschwierigkeiten das Problem des Lebensunterhaltes überstanden ist, ist die Emigranten-Familie der Versuchung ausgesetzt, nur die materiellen Werte und den Konsum zu suchen und die so wichtigen kulturellen und spirituellen Entscheidungen zu vernachlässigen. 1542 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Was die Erziehung der Kinder betrifft, so hat die Emigranten-Familie oft nicht die Möglichkeit, die Muttersprache und die Kultur des Heimatlandes zu vermitteln: so werden die Eltern im Ausland passive Zeugen, wie eine Schule und eine Gesellschaft ihren Kindern Vorbilder und Werte aufzwingt, die mit den familiären Werten nicht in Einklang stehen. Dadurch entsteht ein Konflikt, der manchmal mit der vollkommenen, bitteren „Kapitulation“ der Eltern endet oder aber mit der vollkommenen Trennung der Kinder, die eine andere Kultur kennengelemt haben, in die die familiären Werte nicht eindringen. Noch dramatischer sind die Lebensbedingungen der Familien, die in ein Flüchtlingslager verbannt sind, wo es unmöglich ist, für alle Familienmitglieder eine Zukunft zu planen, weil sie ja vollkommen auf andere angewiesen sind. 3. Dieser kurze Blick auf die Situation der Emigranten-Familien bringt uns dazu, die grundlegenden Werte, die allen Menschen guten Willens gemein sind, und auf deren Verwirklichung und Ausbreitung hingezielt werden muß, zu betrachten. Solche Werte sind zum Beispiel die Einheit der Ehepaare und die Einheit der Familie, wie auch die sich in Harmonie vollziehende gegenseitige Ergänzung der Eheleute auf moralischem Gebiet, in der Zuneigung und in der Fruchtbarkeit ihrer Liebe; diese Harmonie verlangt das geordnete Heranwachsen aller Familienmitglieder, damit sich eine Persönlichkeit bilden kann, die individuell sicher und auf sozialem Gebiet engagiert ist, und die gleichzeitig eine große Solidarität und eine Bereitschaft zum Opfer verlangt. Hier gibt der Glaube Licht und Kraft, damit die Werte, die der Institution „Familie“ innewohnen, die das II. Vatikanische Konzil „Hauskirche“ nennt, klar hervortreten und sich weiter entwickeln können. Diese Werte legen denen ganz bestimmte Pflichten auf, die die Aufgabe haben, diejenigen zu fördern, die den Bedürfnissen entsprechen wollen, die der Schöpfer in die Herzen der Menschen gelegt hat. Die Kirche weist immer wieder darauf hin, daß für einen Rechtsstaat der Schutz der Familien, besonders der Familien der Migranten und Flüchtlinge, die mit besonderen Schwierigkeiten belastet sind, eine unbedingte Vorrangstellung haben muß. Der Staat muß Garant sein für eine gleiche, rechtliche Behandlung, und er muß deshalb die Familien der Flüchtlinge und Emigranten in all ihren grundlegenden Rechten schützen und jede Form der Diskriminierung hinsichtlich der Arbeit, der Wohnung, der Gesundheit, der Erziehung und der Kultur vermeiden (vgl. Ansprache an die Bischöfe aus Kalabrien beim „Ad-limina“-Besuch am 10. Dez. 1981). Die Kirche bittet immer wieder um eine Politik, die in der Lage ist, die Zusammenführung der Familien zu begünstigen und zu fördern. Johannes XXIII. hat 1543 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die Trennung der Familien aus Arbeitsgründen eine „schmerzliche Anomalie“ genannt und hervorgehoben, daß „jeder die Pflicht hat, sich dessen bewußt zu werden und alles zu tun, was in seinem Vermögen steht, um diese Anomalie zu beseitigen“ (Rundfunkanspräche anläßlich des Weltjahres der Flüchtlinge, 28. Juni 1959: AAS, 51,1959,482). Notsituationen, die zu einer vorübergehenden Trennung der Eheleute führen, dürfen nicht zu einem Dauerzustand werden, denn wie ich zu den Arbeitern in Saint-Denis in Frankreich am 31.5.1980 gesagt habe, „das Arbeitsgesetz hat den Menschen und nicht bloß Produktion und Profit von Interessengruppen zum Inhalt“ (O. R., dt., 1980/Nr. 24,8). Die ausdrückliche Warnung Gottes, „was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen“, klingt wie eine Verurteilung der Gesellschaft, die einen wirtschaftlichen Vorteil auf Kosten der moralischen Werte gewährt. Die Bemühungen, eine solche Situation zu überbrücken, die „objektiv schwierig ist“ (Apost. Schreiben Familiaris consortio, Nr. 7), müssen von allen gemacht werden: von den Regierenden, von den wirtschaftlich und sozial Verantwortlichen und auch von den Emigranten selbst. Es sollten Strukturen geschaffen werden, zur Aufnahme, Information und sozialen Bildung, welche den Emigranten-Familien helfen können, aus der Isolierung, der rechtlichen, sozialen, erzieherischen und gesundheitsfürsorglichen Unwissenheit im Aufnahmeland herauszufinden, soweit es das Familienleben betrifft; hier geht es um eine weitere Verpflichtung der Gesellschaft und des Staates. Das Aufnahmeland sollte sich dafür einsetzen, daß eine Sozialpolitik betrieben wird, welche die unverfälschten kulturellen Ausdrucksformen — seien es die örtlichen oder die neu hinzugekommenen —, die es auf nationalem Gebiet gibt, fördert, denn jede Familie hat das Recht auf eigene kulturelle Identität (vgl. Ansprache an das Diplomatische Corps, 15. Januar 1985). Den Kindern der Emigranten sollen gleiche schulische Möglichkeiten angebo-ten werden, denn mit gleicher Ausbildung sollen sie Arbeitsplätze finden können unter denselben Bedingungen wie die Kinder der einheimischen Bevölkerung. Die Wohnpolitik müßte außerdem eine gerechte Verteilung der Sozialwohnungen, ohne jegliche Diskriminierung, anstreben. Die Verweigerung des Kindergeldes für die Kinder, die im Herkunftsland geblieben sind, führt zu einer weiteren schweren Ungerechtigkeit den eingewanderten Familien gegenüber. Das sind einige Anforderungen, die an das Aufnahmeland durch die Anwesenheit der Emigranten- und Flüchtlingsfamilien gestellt werden. Die Bemühungen, eine echte Gleichheit zu schaffen, wie auch der Wille, die schwächeren Schichten der Gesellschaft zu schützen, die oft der Diskriminierung und der 1544 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Rassenverfolgung ausgesetzt sind, führen zur Bildung einer gerechteren und also auch menschlicheren Gesellschaft. Die Herkunftsländer müssen ihrerseits geeignete Vorkehrungen treffen für die Rückkehr der ausgewanderten Familien, damit diese zu einer fruchtbaren Wiedereingliederung führt und Eltern und Kinder sich nicht zweifach diskriminiert fühlen und etwa gezwungen sind, erneut den Weg der Emigration zu wählen. 4. Die Kirche, „Sakrament des Heils“ für alle Menschen und für den ganzen Menschen, verteidigt die Grundwerte der Familie über das kulturelle Modell hinaus, auf dem dieselbe aufgebaut ist, sie prangert die entstehenden Hindernisse an und fordert für die Familie das Recht, sich frei bewegen, entscheiden zu können und das primäre Recht auf Erziehung zu haben, welches ja der Familie zusteht: hier muß unterstrichen werden, daß im Falle der Auseinandersetzung zwischen Gesellschaft und Familie die Familie im Prinzip das Vorrecht haben muß. Die Seelsorge muß also diese angedeuteten Grundwerte vor Augen haben und sie in bestimmter Weise fördern. In den leider noch sehr zahlreichen Fällen, in denen die Mitglieder einer Familie getrennt sind, sollte man auf der einen Seite die schmerzliche Situation lindern, besonders durch die Sensibilisierung der kirchlichen Gemeinden, damit diese sich die entstehenden Probleme zu eigen machen, und auf der anderen Seite sollte nichts unterlassen werden, um jeden Behelfszustand zu überwinden. Man muß sich immer dafür einsetzen, daß die Familien Zusammenleben und daß der Familie des Emigranten der Raum zugestanden wird, den sie braucht und der ihr gemäß gleicher Würde und gleichem Recht wie den einheimischen Familien zusteht. „Die Familien derer, die auswärts leben,... müssen überall in der Kirche eine Heimat finden... Soweit wie möglich sollen die Emigranten von Geistlichen des eigenen Ritus, der eigenen Kultur und Sprache betreut werden“ (Familiaris consortio, Nr. 77). Die Familien der Emigranten sollen an ihrem Wohnsitz von der kirchlichen Gemeinde angesprochen werden, diese soll auch für eventuelle Bedürfnisse dieser Familien offen sein und sie einladen, am Pfarrleben teilzunehmen. Die Gründung neuer Familien ist ein entscheidender Schritt für die Zukunft der jungen Leute wie auch für das Wohl der Gesellschaft und der kirchlichen Gemeinde, ein Problem, das sich sozusagen in der „Mitte der Jugendzeit“ befindet (Apost. Schreiben zum Internationalen Jahr der Jugend, Nr. 10). Die Erfahrung in der Emigranten-Seelsorge lehrt und betont, daß die zukünftigen Eheleute über die Hindernisse verschiedenster Art, die ihre Verbindung 1545 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN beeinflussen können, aufgeklärt werden müssen, dabei sollen die positiven Werte, die ihre Verbindung bereichern können, besonders hervorgehoben werden, denn die Gemeinschaft, die dauerhaft sein soll, setzt voraus, daß eine grundlegende Gleichheit der Ansichten und die Bereitschaft zu einer gegenseitigen, möglichst vollkommenen Anpassung vorhanden sein müssen. In diesem Punkt muß die Pastoral klar, objektiv und genau umrissen sein. Sie muß voraussehen, daß die größten Hindernisse für die Brautleute sich in der Verschiedenheit der Kultur, der Erziehung, der Religion und der persönlichen Überzeugung zeigen. Das neue Kirchenrecht überträgt den Seelsorgern die Verpflichtung, „dafür zu sorgen, daß die eigene kirchliche Gemeinde den Gläubigen die Hilfe bietet, durch die der Ehestand im christlichen Geist bewahrt wird und in der Vollkommenheit vorankommt“ (an. 1063), und führt als äußerst wichtige Punkte dieser Betreuung die Predigt und die Katechese, die persönliche Vorbereitung der künftigen Eheleute, die würdige liturgische Feier des heiligen Ritus und die begleitende Betreuung der Eheleute auch nach der Eheschließung an. Die Beachtung der rechtlichen Normen und die beharrliche Seelsorge — die auch vom Kirchenrecht vorgesehen sind — haben in der Welt der Migration eine einschneidende Bedeutung wegen der Verschiedenheit der Situation, in der sich dieselbe zeigt. 5. Um sich in Liebe zu verbinden, muß man Gott in derselben Liebe lieben. Dieses Kriterium muß klar beachtet werden, wenn es sich um eine Eheschließung zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, zwischen Katholiken und Unge-tauften handelt. Wenn sich in Ländern mit einer katholischen Mehrheit heute, aufgrund der Einwanderung, eine immer stärkere Anwesenheit von Nichtchristen bemerkbar macht, so ist zu erwarten, daß die Mischehen in Zukunft immer schwerere Probleme aufgeben werden, besonders wenn der katholische Partner in einem Land leben muß, dessen Kultur sich dem christlichen Glauben nicht öffnet, ja die sich sogar in Lehre und Praxis im täglichen Leben, in der Gesetzgebung und in den Sitten gegen ihn stellt. Die Emigranten sind zudem mehr als andere Personen und Gruppen vor Entscheidungen gestellt, welche das Verhältnis zwischen anderen Kulturen und einem anderen Glauben mit einbeziehen. Die Katechese, die für Brautleute verschiedener Religionen geeignet ist, wird sich nicht auf einige Hinweise vor der Eheschließung beschränken, sondern sie muß darauf hinzielen, Personen heranzubilden, die religiös überzeugt und im zivilen Bereich engagiert sind, Personen, welche die Motivierung der eigenen Religion und der eigenen Hoffnung wie auch das Gewissen und den Glauben 1546 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der anderen kennen; sie mögen sich dann im Dienst an den Bedürftigen und der ganzen Gemeinde einsetzen. 6. Die Seelsorge an den Familien, die in der Migration leben, kann nicht an jedem Ort und in jeder Zeit die gleiche sein. Die Art und Weise, in der sie sich ausdrückt, muß der Situation des Emigranten, der Umwelt, aus der er kommt und in der er jetzt lebt, den konkreten Erwartungen, die er hegt, Rechnung tragen. Der Einfallsreichtum und der Eifer der zuständigen Seelsorger und Pastoralas-sistenten, die den Bischöfen unterstehen, haben hier ein weiteres Arbeitsfeld, das sich immer im Rahmen der Richtlinien bewegt, die sich die Kirche mit dem neuen Kirchenrecht und den verschiedenen Anordnungen der Bischofskonferenzen und der einzelnen Bischöfe gegeben hat. In der Verschiedenheit der Art und Weise und der Vorschläge darf jedoch nie die grundlegende, allgemeine Ausrichtung verlorengehen, welche die ist, den Plan Gottes zu verwirklichen, der ja gewollt hat, daß Mann und Frau zu einem Fleisch werden (vgl. Mt 19,6) im Bund der Ehe und daß sie in der Familie das tiefe Geheimnis in bezug auf Christus und die Kirche verkörpern (vgl. Eph 5,32). Die jungen Brautleute, die Ehepaare und die Familien sollen zur Solidarität untereinander, innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft und in der Gesellschaft angehalten werden. Die Ehe und die Familie bilden, obschon sie durch eine freie, persönliche Entscheidung ihren Anfang nehmen, doch immer eine „gesellschaftliche Tatsache“ und sind in die kirchliche Gemeinde eingegliedert. Auch die Liturgie kann in dieser Hinsicht eine bedeutende Rolle spielen, wenn sie in den Mittelpunkt ihrer Lob- und Danksagungen die familiäre Wirklichkeit stellt, die so an Ansehen gewinnt und von allen, besonders von den Jugendlichen, mit bewundernder Aufmerksamkeit betrachtet wird. Im Rahmen der christlichen Animation, die den Laien zukommt, darf der Aufruf zur Glaubensverkündigung der eingewanderten Familie nicht vergessen werden, deren Mitglieder berufen sind, den Glauben zu verkünden und die Glaubensbotschaft zu empfangen (vgl. Familiaris Consortio, Nr. 52). Man erinnere sich daran, daß die religiöse und moralische Zukunft des häuslichen Lebens zum großen Teil in ihren Händen liegt: wenn die Familien sich evangeli-sieren lassen, so werden sie selbst Werkzeug der Glaubensverkündigung für viele andere und üben einen guten Einfluß aus auf die Umwelt, in der sie arbeiten und leben. Auch die Familien, die aus einer Mischehe entstanden sind, sind nicht davon befreit, ihren Kindern Christus zu verkünden, im Gegenteil, sie sind aufgerufen, Werkzeug der Einheit zu sein (vgl. EN 71: AAS 68,1976,60 ff.). Ich hoffe, daß diese Botschaft bei denen, die von dem Phänomen der Migration betroffen sind, aufmerksame Aufnahme finden möge, und daß ihre Hinweise, 1547 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die von meiner liebenden, väterlichen und pastoralen Sorge inspiriert sind, hochherzige Zustimmung finden mögen. Von Herzen erteile ich allen meinen besonderen Segen. Mein besonderes Gedenken gilt allen Notleidenden, Kranken und Kindern, die in der harten Wirklichkeit der Migration leben. Aus dem Vatikan, am Fest Mariä Himmelfahrt, 15. August 1986, im achten Jahr meines Pontifikates. PAPST JOHANNES PAUL II. „Dein Reich komme!“ — eine Botschaft der Hoffnung, des Glaubens und der Liebe Schreiben an Bischof Dr. Klaus Hemmerle anläßlich des 89. Deutschen Katholikentages in Aachen vom 15. August, verlesen am 10. September Meinem verehrten Bruder Klaus Hemmerle, Bischof von Aachen 1. „Gnade sei euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn, Jesus Christus“ {Eph 1,2). Mit diesem Segenswunsch grüße ich zur Eröffnungsfeier des 89. Deutschen Katholikentages in Aachen zusammen mit dem Oberhirten der gastgebenden Stadt und Diözese meine Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt, die Ordensleute sowie alle Brüder und Schwestern, die hier zusammengekommen sind, um für unseren gemeinsamen Glauben in aller Öffentlichkeit Zeugnis abzulegen. „Dein Reich komme!“ — Diese Vaterunser-Bitte habt Ihr Euch gewählt als Ausdruck dessen, was Euer Gebet und Eure Besinnung, Eure Gespräche und Begegnungen beseelen und bestimmen soll. In der Tat, die Suche nach Zukunft, die Sehnsucht nach Frieden, der Schrei nach Gerechtigkeit, die milliardenfach aus den Herzen der Menschen aufsteigen, finden keinen wirksameren Weg zu ihrer Erfüllung als diese demütige Bitte. In der Stadt Aachen, die so tief mit der Geschichte der irdischen Suche nach einem Reich verbunden ist, das Frieden, Einheit und Gerechtigkeit fördert, vor dem Hintergrund Eures Domes, der das himmlische Jerusalem widerspiegelt, gewinnt diese Bitte an den Vater aller Menschen und Herrn der Geschichte besondere Eindringlichkeit. 1548 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. „Dein Reich komme!“ — Ich möchte in meinem Graßwort zu diesem Leitwort Eures Katholikentages drei Gedanken hervorheben, die mir heute besonders wichtig erscheinen. Diese Vaterunser-Bitte gibt als erstes dem menschlichen Bemühen um die Gestaltung der Zukunft Maß und Orientierung. Unser Jahrhundert ist von Ideologien erfüllt, die dem Menschen vormachen, er könne aus eigener Kraft ein unzerstörbares und vollkommenes Reich des Glücks und des Friedens herbeiführen; Blut und Tränen, Streit und Tod waren die Folgen. Säkularisierte Formen der Erwartung des Gottesreiches, die es zum Reich menschlicher Allmacht werden lassen wollten, haben dem berechtigten menschlichen Streben nach Fortschritt und Entwicklung schwere Rückschläge gebracht. In der Folge davon machen sich heute, gerade in der Welt hochentwickelter industrieller Zivilisation, Enttäuschung und Angst, Resignation und ein verbittertes Nein zur Zukunft überhaupt breit. Im Grunde gibt es nur eine Alternative zum blinden Glauben des Menschen an seine eigene unbegrenzte Zukunftsmacht wie auch zu seiner Verweigerung und Verzweiflung gegenüber der Zukunft: den Glauben an jene Zukunft, die über alle menschlichen Möglichkeiten, aber auch über alle menschlichen Gefahren hinaus Gott selber uns in Jesus Christus ein für allemal erschlossen und verheißen hat, die Hoffnung auf die Zukunft Gottes, auf sein kommendes Reich. Was der heilige Augustinus vom einzelnen Menschen sagt, gilt auch für die Gesellschaft und die Menschheit im ganzen: Unruhig ist das Herz der Menschheit, bis es Ruhe findet in der Hoffnung und Zuversicht auf Gottes Reich, das kommt und sich einmal vollenden wird. 3. „Dein Reich komme!“ — Diese Vaterunser-Bitte lenkt unseren Blick aber nicht nur in die Zukunft, sondern auch zurück auf das, was vor bald 2000 Jahren schon geschehen ist, als der Sohn Gottes im Fleische geboren wurde, als er die Frohe Botschaft verkündete, als er am Kreuz und in der Auferstehung das Werk der Erlösung vollbrachte. Verborgen, keimhaft, aber doch wirklich ist damals Gottes Reich schon zu uns gekommen. Gottes Reich lebt schon mitten unter uns, wo der Herr in unserer Mitte lebt. Warum bitten wir dann aber noch um dieses Reich? Die ein für allemal in Jesus Christus eröffnete machtvolle Nähe Gottes ist ein immer neues Geschenk für jeden Tag, für jede Epoche. Der Herr lasse uns das immer neu entdecken und ergreifen, was er uns bereits geschenkt hat! Eine Neuevangelisierang tut not, vor allem in den Ländern mit einer langen, christlich geprägten Tradition und Kultur. Man stellt hier vielerorts eine tiefe und zum Teil wachsende Entfremdung zwischen der christlichen Botschaft und dem allgemeinen Bewußtsein der Menschen fest. Die sittlichen Verhaltensweisen sind nicht mehr bestimmt von den Maßstäben des Evangeliums; die Teilnahme am gottesdienstlichen und sakramentalen Leben der Kirche 1549 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN nimmt ab; es gibt einen Mangel an geistlichen Berufen; in vielen Familien wird christliches Glaubensgut nicht mehr an die kommende Generation weitergegeben. Möge der Aachener Katholikentag mit seinem Leitwort „Dein Reich komme“ zu einem Fanfarenstoß für eine Neuevangelisierung werden! Von tiefer Bedeutung ist der Umstand, daß sich dieser Katholikentag mit der ehrwürdigen Aachener Heiligtumsfahrt verbindet, die seit vielen Jahrhunderten alle sieben Jahre ungezählte Menschen in der Verehrung der Geheimnisse der Menschwerdung Gottes vereint. Möge diese zusammen mit den anderen Heiligtumsfahrten desselben Jahres im Bistum Aachen zum Ausdruck des gesamten pilgernden Gottesvolkes werden, das sich aufmacht zu den Quellen, um aus den Geheimnissen der Erlösung durch Jesus Christus sein Leben zu gestalten. 4. Schließlich möchte ich noch einen dritten Gedanken unterstreichen. Wer Gott bittet, daß sein Reich komme, der muß bereit sein, diesem Reich auch selber die Wege zu bereiten. Gebet nimmt uns in Pflicht, das Unsere zu tun. Es ist eine gute Tradition der deutschen Katholikentage, sich aus dem Geist des Glaubens den Gestaltungsaufgaben in Gesellschaft und Kirche zu stellen. Dies hat sich auch der Aachener Katholikentag vorgenommen. Aachen ist eine Stadt großer weltkirchlicher Werke der deutschen Katholiken: Missio, Misere-or und Päpstliches Missionswerk der Kinder. Erkennt neu den Auftrag, weltkirchliche Verantwortung und Gemeinschaft zu stärken und zu vertiefen. Aachen ist eine Stadt an den Quellen europäischer Geschichte, eine Stadt an Grenzen, die mehr verbinden sollen, als daß sie trennen. Verantwortung für Europa, für sein gemeinsames Erbe und seine Zukunft sei ein Anliegen dieses Eures Katholikentages. Stadt und Bistum Aachen sind eng verknüpft mit der Geschichte des sozialen Katholizismus in Deutschland. Seht auch darin einen Anruf für heute. In Aachen sind viele Orden und geistliche Gemeinschaften beheimatet. Stellt Euch der Frage, wie heute Berufungen geweckt und gefördert werden können. Aachen hat eine bedeutende Technische Hochschule. Richtet daher Euer Augenmerk auch auf den Zusammenhang zwischen technischer Entwicklung und Verantwortung für die Zukunft der Menschheit. 5. So hoffe und bete ich mit Euch, daß auch der Aachener Katholikentag einen fruchtbaren Beitrag zu jener Zivilisation der Liebe erbringt, die der verbreiteten Angst vor der Zukunft entgegenwirkt und Menschen, gerade auch junge Menschen, dazu ermutigt, ja zu sagen zum Leben und sich für die Zukunft des Lebens einzusetzen. „Dein Reich komme!“: eine Botschaft der Hoffnung, die hinausgreift über diese Welt — Botschaft des Glaubens, der unser Leben, unsere Gesellschaft, unse- 1550 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN re Kirche erneuert aus dem Evangelium — Botschaft der Liebe, die uns hilft, eine Zivilisation der Liebe hier und jetzt zu verwirklichen: Die ist der Auftrag des Aachener Katholikentages, den ich mit großer Anteilnahme und betendem Gedenken begleite. Euch allen, die daran mitwirken und teilnehmen, erteile ich von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Aus dem Vatikan, den 15. August 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. Apostolisches Schreiben Augustinum Hipponensem zum 1600. Jahrestag der Bekehrung des hl. Augustinus Bischof und Lehrer der Kirche An die Bischöfe, Priester, Ordensfamilien und Gläubigen der ganzen katholischen Kirche, vom 28. August Verehrte Mitbrüder im Bischofsamt! Liebe Söhne und Tochter! Gruß und Apostolischen Segen! Augustinus von Hippo ist, seitdem ihn kaum ein Jahr nach seinem Tod mein ferner Vorgänger, der hl. Cölestin I., zu den „besten Lehrern der Kirche“ gezählt hatte, im Leben der Kirche, im Geist und in der Kultur des ganzen Abendlandes gegenwärtig geblieben. Die Beispielhaftigkeit seiner Lebensführung und die Dokumente seiner Lehre wurden dann von anderen Römischen Päpsten zu Studium und Nachahmung vorgeschlagen, gar nicht zu reden von den Konzilien, die oft und reichlich aus seinen Schriften geschöpft haben. Leo XIII. hat in der Enzyklika Aetemi Patris seine philosophischen Lehren gepriesen; Pius XI. hat seine Tugenden und sein Denken in der Enzyklika Ad salutem humani generis in zusammenfassender Form gewürdigt, wobei er erklärte, daß aufgrund seines Scharfsinnes und seiner Geistesgaben, des Reichtums und der Erhabenheit seiner Lehre, seines heiligmäßigen Lebens und der Verteidigung des wahren katholischen Glaubens niemand oder sicher nur sehr wenige von allen vom Anfang der Menschheit bis heute mit ihm verglichen werden können; Paul VI. versicherte schließlich, daß „man nicht nur sagen kann, 1551 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN daß in ihm in herausragender Weise die Eigenarten der Kirchenväter erstrahlen, sondern daß das ganze Denken der Antike in seinem Werk zusammenfließt und von diesem Werk Denkströmungen ausgehen, die die gesamte Lehrüberlieferung in den nachfolgenden Jahrhunderten prägend durchdringen“. Diesen Stimmen meiner Vorgänger habe ich selber meine eigene hinzugefügt, als ich den lebhaften Wunsch aussprach, „seine philosophische, theologische, spirituelle Lehre möge studiert und verbreitet werden, damit er... sein Lehramt in der Kirche fortsetze, ein Lehramt — so setzte ich hinzu —, das zugleich demütig und leuchtend ist und das vor allem von Christus und von der Liebe spricht“. Bei anderer Gelegenheit empfahl ich den geistigen Söhnen des großen Heiligen besonders, „die Anziehungskraft des hl. Augustinus auch in der modernen Gesellschaft lebendig und wirksam zu erhalten: Ein erstaunliches und begeisterndes Ideal, denn die gründliche und liebende Kenntnis seines Denkens und seines Lebens weckt den Durst nach Gott, die Begeisterung für Jesus Christus, die Liebe zur Weisheit und Wahrheit, das Verlangen nach der Gnade, dem Gebet, der Tugend, der brüderlichen Liebe, der Sehnsucht nach der ewigen Seligkeit“. Ich freue mich daher sehr, daß mir das glückliche Ereignis des 1600. Jahrestages seiner Bekehrung und Taufe die willkommene Gelegenheit bietet, seine hervorragende Gestalt wieder allen sichtbar vor Augen zu stellen. Dieses Gedenken soll zugleich ein Dank an Gott sein für das Geschenk, das mit jener wunderbaren Bekehrung der Kirche und durch sie der ganzen Menschheit zuteil geworden ist; es soll ein geeigneter Anlaß sein, alle daran zu erinnern, daß der Bekehrte, nachdem er Bischof geworden war, das leuchtende Vorbild eines Hirten, ein unerschrockener Hüter des rechten Glaubens oder, wie er sagte, der „Jungfräulichkeit“ des Glaubens <133>, ein genialer Schöpfer jener Philosophie, die wegen ihrer Übereinstimmung mit dem Glauben mit Recht christlich genannt werden kann, ein unermüdlicher Förderer der geistigen und religiösen Vollkommenheit gewesen ist. <133> Die Bekehrung 1552 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN bens, „konnte größere Berühmtheit erlangen und sich als beliebter heraussteilen als die Bücher meiner Bekenntnisse?“. Dieses Urteil hat die Geschichte nie widerrufen, ja sie hat es nur noch umfassender bestätigt. Auch heute werden die. Bekenntnisse des hl. Augustinus viel gelesen, und da sie nun einmal reich an Selbstbeobachtung und religiöser Leidenschaft sind, wirken sie tief auf die Seele der Menschen, vermögen sie aufzurütteln und zu ergreifen. Und das gilt nicht nur für die Glaubenden; auch wer den Glauben nicht besitzt, aber zumindest auf der Suche nach einer Gewißheit ist, die es ihm ermöglicht, sich selbst seine tiefen Sehnsüchte und Seelenqualen zu begreifen, findet die Lektüre dieses Buches sehr nützlich. Die Bekehrung des hl. Augustinus, die von dem Verlangen beherrscht war, die Wahrheit zu finden, kann die heutigen Menschen, die so oft angesichts des großen Problems des Lebens verwirrt sind, viel lehren. Man weiß, daß diese Bekehrung einen ganz einzigartigen Weg genommen hat, da es sich nicht um eine Entdeckung des katholischen Glaubens handelte, sondern um eine Wiederentdeckung. Er hatte ihn nämlich aufgegeben in der Überzeugung, daß er mit diesem Aufgeben des Glaubens sich nicht von Christus, sondern nur von der Kirche trenne. Er war nämlich von seiner frommen Mutter, der hl. Monika, christlich erzogen worden“. Durch diese Erziehung blieb Augustinus nicht nur dem Glauben an Gott, an die Vorsehung und an das künftige Leben immer treu, sondern er glaubte auch an Christus, dessen Namen er, wie er sagte, „mit der Muttermilch getrunken hatte“. Zum Glauben der katholischen Kirche zurückgekehrt, schrieb er später, er sei „zu der Religion“ zurückgekehrt, „die mir als Kind eingeflößt wurde und bis ins Mark eindrang“. Wer seine innere Entwicklung und einen, vielleicht den tiefsten, Aspekt seiner Persönlichkeit und seines Denkens verstehen will, muß von dieser Gegebenheit ausgehen. Als Augustinus mit 19 Jahren durch die Lektüre von Ciceros Hortensius — „Diese Schrift gab meinem Gemütsleben eine andere Richtung ..., mit ungemeiner Bewegung des Herzens verlangte ich nach dem Unvergänglichen der Weisheit“ — zur Liebe der Weisheit erwachte, liebte er bereits im Innersten seines Herzens die Wahrheit und war mit jeder Faser seiner Seele ständig auf der Suche nach ihr. „O Wahrheit, Wahrheit, wie innig schmachtete mein Herzinnerstes schon damals nach dir!“. Trotz dieser Liebe zur Wahrheit verfiel Augustinus in schwere Irrtümer. Die Gelehrten suchen dafür die Ursachen und finden sie in einem Dreifachen: im falschen Verständnis des Verhältnisses zwischen Vernunft und Glauben, so als gälte es, sich zwischen beiden zu entscheiden; in der Annahme, es bestehe ein Gegensatz zwischen Christus und der Kirche, und der daraus folgenden Überzeugung, man müsse die Kirche verlassen, um Christus vollkommener anzuge- 1553 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN hören; in dem Verlangen, sich vom Bewußtsein der Sünde nicht durch ihre aus Gnade gewährte Vergebung zu befreien, sondern durch die Leugnung der Verantwortung des Menschen für die Sünde. Der erste Irrtum bestand also in einer rationalistischen Geisteshaltung, aufgrund welcher er sich einredete, „eher denen folgen zu müssen, die (die Wahrheit) lehren, als denen, die (zum Glauben) anhalten“. In dieser Geisteshaltung las er die Heiligen Schriften und fühlte sich von den Geheimnissen, die sie enthalten, abgestoßen, Geheimnisse, die man mit demütigem Glauben annehmen muß. Als er später seinem Volk über diesen Abschnitt seines Lebens berichtete, sagte er: „Ich, der ich zu euch spreche, war einst irregeleitet, als ich in meiner Jugend an die heiligen Schriften viel mehr mit der Absicht dessen herantrat, der scharfsinnig diskutieren will, als mit der Demut und Frömmigkeit des Suchenden...Ich Unseliger! Ich hielt mich für flügge und verließ das Nest. Da bin ich zu Fall gekommen, ehe ich fliegen konnte!“. Damals stieß Augustinus auf die Manichäer, denen er Gehör schenkte und folgte, und das hauptsächlich deshalb, weil „sie versprachen, der schrecklichen Autorität eine Absage zu erteilen und ihre Schüler und Anhänger allein durch die reine Vernunft zu Gott zu führen und von den Irrtümern zu befreien“. Und eben dafür zeigte sich Augustinus offen und „von dem Verlangen beseelt, die unverschleierte und reine Wahrheit zu erlangen und einzusaugen“ allein durch die Kraft des Verstandes. Nach langen Studienjahren, in denen er sich besonders der Philosophie gewidmet hatte, erkannte er zwar, daß er getäuscht worden war, blieb aber unter dem Einfluß der von den Manichäern verbreiteten Lehre noch immer davon überzeugt, daß in der katholischen Kirche die Wahrheit nicht gefunden werden könne; er fiel in tiefe Niedergeschlagenheit und gab die Hoffnung, die Wahrheit finden zu können, überhaupt auf: „Lange steuerten die Akademiker mein Lebensschiff gegen die Winde der Gnade und hielten es so inmitten der Sturzfluten des Irrtums fest.“. Dieser inneren Krise entriß ihn die Liebe zur Wahrheit, die von jeher in seinem Herzen wohnte. Er erkannte, daß dem menschlichen Geist unmöglich der Weg der Wahrheit verschlossen sein könnte; wenn die Menschen ihn nicht finden, dann deshalb, weil sie die Methode der Wahrheitssuche nicht kennen und gering achten. Durch diese feste Überzeugung gestärkt, sagte er zu sich selbst: „Aber nein, laßt uns beherzt noch weiter suchen und nicht verzweifeln!“. Er fuhr also fort zu suchen und erreichte, nunmehr von der göttlichen Gnade geleitet, die die Mutter mit Bitten und reichlichen Tränen erfleht hatte, den Hafen. Er begriff, daß Verstand und Glaube zwei Kräfte sind, die Zusammenwirken sollten, um den Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit zu führen, daß aber 1554 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN jede dieser Kräfte ihren Primat hat — der Glaube den zeitlichen, der Verstand den absoluten: „In der zeitlichen Ordnung kommt zuerst die Autorität (des Glaubens), der Bedeutung nach der Verstand“. Ebenso erkannte er, daß der Glaube, um sicher zu sein, eine göttliche Autorität verlangte und daß diese keine andere ist als die Autorität Christi, des größten Lehrmeisters — an dem Augustinus ja niemals gezweifelt hatte—, daß sich diese Autorität Christi in den Heiligen Schriften finde, die wiederum von der Autorität der katholischen Kirche für gültig erklärt werden. Mit Hilfe der platonischen Philosophen befreite er sich von der materialistischen Lebensauffassung, die er von den Manichäern übernommen hatte: „Von da an aufgefordert, zu mir selbst zurückzukehren, betrat ich, von Dir geführt; mein Innerstes...Ich trat ein und schaute mit dem Auge meiner Seele...hoch über meinem Geist das unwandelbare Licht“. Dieses unwandelbare Licht öffnete ihm die unermeßlichen Horizonte des Geistes und Gottes. Was aber die gewichtige Frage nach dem Bösen betraf, die ihn am meisten quälte, so erkannte er, daß man nicht zuerst fragen dürfe, woher das Böse komme, sondern was es sei, und er begann zu begreifen, daß das Böse nicht irgendeine Wesenheit ist, sondern der Mangel an Gutem: „Also ist alles, was seiend ist, gut, und jenes Böse, dessen Ursprung ich suchte, ist nicht Wesenheit“. Da also Gott — so folgerte er — alles erschaffen hat, kann nicht Wesenheit sein, was nicht von ihm erschaffen wurde. Aus seiner persönlichen Lebenserfahrung aber begriff er, was wohl die entscheidende Erkenntnis war: daß nämlich die Sünde ihren Ursprung im Willen des Menschen hat — in dem freien und schwachen Willen: „Ich war es, der wollte, ich auch, der nicht wollte; ich, ich war es“. Auch wenn er zu diesem Zeitpunkt behaupten konnte, am Ziel angekommen zu sein, traf das dennoch nicht ganz zu; er verstrickte sich in den Hinterhalt eines neuen Irrtums. Er nahm nämlich als gegeben an, allein mit seinen Kräften zum beseligenden Erfassen der Wahrheit gelangen zu können. Von dieser Meinung brachte ihn schließlich eine schmerzliche Erfahrung ab. Er erkannte nun, daß es eine Sache sei, das Ziel zu erblicken, eine andere aber, es tatsächlich zu erreichen. Um also über die dazu nötigen Kräfte und den Weg selber zu verfügen, griff er, wie er sagt, „gierig nach dem ehrwürdigen Buche Deines Geistes, vorab nach dem Apostel Paulus“. In den Briefen des Paulus entdeckte er den Lehrer und Meister Christus, das fleischgewordene Wort, den einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen. In ihrem ganzen Glanz erschien ihm nun das „Antlitz der Philosophie“: und das war die Philosophie des Paulus, die Christus zum Mittelpunkt hat, „die Macht und die Weisheit Gottes“ (1 Kor 1,24), und die zugleich noch andere Schwerpunkte hat: den Glauben, die Demut und die Gnade; diese „Philosophie“, die zugleich Weisheit und Gnade 1555 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ist, durch die es nicht nur möglich wird, den Heimathafen zu erkennen, sondern ihn auch zu erreichen. Nachdem er so Christus den Erlöser wiedergefunden und sich mit ganzer Seele an ihn geklammert hatte, kehrte Augustinus in den Hafen des katholischen Glaubens, und das heißt, zu eben dem Glauben zurück, zu dem er von seiner Mutter erzogen worden war: „Schon als Knabe hatte ich von einem ,ewigen Leben1 gehört, das uns verheißen ist kraft der Demut des Herrn, unseres Gottes, der sich herabließ zu unserem Hochmut“. Die Liebe zur Weisheit hatte, unterstützt von der göttlichen Gnade, über alle Verirrungen gesiegt. Der Weg war jedoch noch nicht zu Ende. Denn im Herzen des Augustinus wurde ein altes Vorhaben von neuem geboren: nämlich sobald er die Weisheit gefunden hätte, sich ganz ihr hinzugeben; das aber würde bedeuten, um sie zu gewinnen, jede irdische Hoffnung aufzugeben. Jetzt konnte er keine Entschuldigung mehr Vorbringen: denn die so leidenschaftlich herbeigewünschte Wahrheit war ihm schon gewiß. Trotzdem zögerte er und suchte nach Gründen, um sich nicht entschließen zu müssen, diesen Schritt zu tun. Stark waren die Bande, die ihn an die irdischen Hoffnungen ketteten: Ruhm, Gewinn, Ehe; besonders aber die Ehe wegen der ihm inzwischen zur Gewohnheit gewordenen Gepflogenheiten. Das empfand er so, nicht weil es ihm untersagt gewesen wäre zu heiraten — das wußte Augustinus sehr gut —, sondern weil er nur auf diese Weise katholischer Christ sein wollte, daß er nämlich auch auf das so erstrebte Ideal der Familie verzichtete und sich mit „ganzem“ Herzen der Liebe und Pflege der Weisheit hingab. Diese Entscheidung zu treffen, die seinem tiefsten Verlangen entsprach, aber im Widerspruch zu den noch tiefer eingewurzelten Gepflogenheiten stand, spornte ihn das Beispiel des Antonius und anderer Mönche an, die sich auch im Abendland auszubreiten begannen und die er durch Zufall kennengelernt hatte. Tiefbeschämt fragte er sich: „Du solltest das nicht vermögen, was diese Männer und Frauen können?“. Daraus entstand ein tiefes und quälendes inneres Ringen, das wiederum die göttliche Gnade zu einem guten Ende führte. Und so erzählt Augustinus seiner Mutter von dem ruhigen und beherzten Entschluß: „Wir gehen hinein zur Mutter, sagen es ihr: sie freut sich. Wir erzählen, wie alles herging: sie jubelt und frohlockt, und immer wieder pries sie Dich, ,der Du mächtig bist, mehr zu tun, als wir erbitten und erdenken1 {Eph 3,20), weil sie sah, wieviel mehr Du ihr gewährt hattest, als was sie für mich in Jammer, Weinen und Seufzen zu erbitten pflegte. Denn Du hast mich gewandelt hin zu Dir, daß ich nichts mehr nach dem Weibe fragte, nichts nach einer Hoffnung sonst auf diese Welt“. 1556 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Von dieser Stunde an begann für Augustinus ein neues Leben: er beendete das Schuljahr — die Ferien der Weinlese waren nahe — und zog sich in die Einsamkeit von Cassiciacum zurück; nach dem Ende der Ferien legte er seinen Lehrauftrag in Rhetorik nieder und begab sich zu Beginn des Jahres 387 wieder nach Mailand, wo er sich unter die Katechumenen aufnehmen ließ und in der Osternacht, vom 23. auf den 24. April, von Bischof Ambrosius getauft wurde, von dessen Predigten er viel gelernt hatte: „So wurden wir getauft, und von uns wich auch die Unruhe wegen des vergangenen Lebens. Ja, ich konnte nicht genug der wunderbaren Süße jener Tage kosten, nachzudenken der Tiefe Deines Planes zum Heil des Menschengeschlechtes“. Und er bekundet die tiefe Ergriffenheit seines Herzens, als er hinzufügt: „Wie weinte ich bei den Hymnen und Gesängen auf Dich, mächtig bewegt vom Wohllaut dieser Lieder Deiner Kirche!“. Nach dem Empfang der Taufe hatte Augustinus nur den einen Wunsch, einen passenden Ort ausfindig zu machen, wo er zusammen mit den Freunden nach dem „heiligen Vorsatz“, dem Herrn zu dienen, leben konnte. Er fand diesen Ort in der afrikanischen Stadt Tagaste, der Stadt seiner Kindheit, wo er nach dem Tod seiner Mutter in Ostia Tiberina6llund einem mehrmonatigen Aufenthalt in Rom zum Studium der Mönchsbewegung schließlich eintraf. Nach seiner Ankunft dort „entäußerte sich Augustinus seines weltlichen Besitzes und lebte mit denen, die sich ihm angeschlossen hatten, durch Fasten, Gebete und gute Werke ein Leben für Gott, während er Tag und Nacht über Gottes Gesetz nachsann“. Der leidenschaftliche Liebhaber der Wahrheit wollte sein Leben der Askese, der Kontemplation und dem intellektuellen Apostolat widmen. So fügt denn sein erster Biograph hinzu: „Und über die Erkenntnisse, die Gott ihm im Denken und Gebet enthüllte, belehrte er Anwesende und Abwesende in Gesprächen, Vorträgen und Büchern“. Er schrieb in Tagaste mehrere Bücher, nicht anders als er es in Rom, Mailand und Cassiciacum getan hatte. Drei Jahre später reiste er nach Hippo Regius in der Absicht, einen Ort für die Gründung eines Klosters zu finden und einen Freund zu treffen, den er für das Mönchsleben gewinnen zu können hoffte; statt dessen aber wurde er selbst — gegen seinen Willen — zur Annahme des Priesteramtes gedrängt. Da er aber sein Vorhaben keineswegs aufgab, setzte er durch, daß ihm die Gründung eines Klosters für Laien, monasterium laicorum, bewilligt wurde, in dem er lebte und aus dem sehr viele Priester und Bischöfe für ganz Afrika hervorgegangen sind. Nachdem er fünf Jahre später selbst Bischof geworden war, verwandelte er sein Haus nunmehr in ein monasterium clericorum, also ein Kloster für Kleriker. Denn die zur Zeit seiner Bekehrung gefaßte Idealvorstellung gab er nicht mehr auf, weder als Priester noch als Bischof. Ja, er verfaßte sogar eine Regel ad servosDei, die im abendländischen Ordensleben einst und noch heute eine große Rolle gespielt hat und spielt. 1557 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN II. Der Kirchenlehrer Ich habe mich etwas ausführlicher bei den wesentlichen Punkten der Bekehrung des Augustinus aufgehalten, weil sie nicht nur für die Gläubigen, sondern für alle Menschen guten Willens noch viele andere nützliche Lehren hervorbringen: wie leicht nämlich ist es, vom Weg des Lebens abzukommen, und wie schwer dagegen, den Weg der Wahrheit wiederzufinden. Außerdem aber hilft uns diese wunderbare Bekehrung, sein anschließendes Leben besser zu verstehen: denn als Mönch, als Priester und als Bischof — immer blieb er der große Mann, der vom Blitz der Gnade getroffen worden war: „Unser Herz hattest Du durchpfeilt mit Deiner Liebe, und wir trugen, in unseren Eingeweiden stek-kend, Deine Worte“. Vor allem aber hilft sie uns, leichter in sein Denken vorzudringen, das so universal und von solcher Tiefe war, daß es der christlichen Lehre einen unvergleichlichen und zugleich unvergänglichen Dienst leistete; ja daß wir ihn nicht ohne Grund Vater des christlichen Europa nennen können. Die verborgene Kraft seines unermüdlichen Suchens und Forschern war in der Tat dieselbe, die ihn auf dem ganzen Weg der Bekehrung geführt hatte: nämlich die Liebe zur Wahrheit. Er sagt es selbst: „Wonach sehnt sich die Seele stärker als nach der Wahrheit?“. Und in einem Werk von sehr hoher theologischer und mystischer Spekulation, das er mehr aus seinem eigenen inneren Bedürfnis als wegen irgendwelcher äußerer Erfordernisse verfaßt hat, erinnert sich Augustinus dieser Liebe und schreibt: „Wir werden von der Liebe gepackt, die Wahrheit zu erforschen“. Und diesmal war der Gegenstand der Forschung das erhabene Geheimnis der Dreieinigkeit und das Geheimnis Christi als Offenbarung des Vaters, der „Wissen und Weisheit“ des Menschen ist: so ist das große Werk über die Dreifaltigkeit, De Trinitate, entstanden. Der weitere Verlauf dieser wissenschaftlichen Forschung, die von der ständigen Liebe genährt wurde, erfolgte gleichzeitig in zweifacher Richtung: es ging um die tiefere Ergründung des katholischen Glaubens und um seine Verteidigung gegen alle, die ihn entweder leugneten, wie die Manichäer und die Heiden, oder ihn falsch auslegten, wie die Donatisten, Pelagianer und Arianer. Es ist schwer, sich einen Weg durch das Meer des augustinischen Denkens zu bahnen; noch schwieriger aber — wenn nicht überhaupt unmöglich — ist es, dieses Denken kurz zusammenzufassen. Man gestatte mir jedoch, zum Vorteil möglichst vieler Menschen einige leuchtende Eingebungen dieses großen Geistes zu erwähnen. Vernunft und Glaube Vor allen anderen Problemen ragt die Frage heraus, die ihn schon in seiner Jugend gefesselt und gepeinigt hatte und der er dann später die ganze Kraft seines 1558 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Geistes und die Leidenschaft seines Herzens zuwandte: die Art des Verhältnisses zwischen Vernunft und Glaube; ein Problem, das immer bestanden hat und besteht, heute nicht minder als damals, und von dessen Lösung die Art und Weise des ganzen menschlichen Denkens abhängt. Aber es ist ein sehr kompliziertes Problem, weil es darum geht, heil und unversehrt zwischen zwei Extremen hindurchzukommen: dem Fideismus, der die Vernunft verwirft, und dem Rationalismus, der den Glauben ausschließt. Die geistigen Fähigkeiten und auch das pastorale Bemühen des Augustinus zielten deshalb darauf ab zu beweisen, daß — weil ja niemand „daran zweifelt, daß wir von einer zweifachen Kraft zum Erkennen gebracht werden“ — eben diese beiden Kräfte gemeinsam und zusammen wirken müssen. Er hörte durchaus auf den Glauben; nicht weniger aber pries er die Vernunft, wobei er jedem von beiden den ihm eigenen Primat entweder an Zeit oder Bedeutung zuschrieb. Zu allen sagte er nämlich jenes: „crede ut intellegas“ (glaube, damit du erkennst), aber in gleicher Weise wiederholte er: „intellige ut cre-das“ (erkenne, damit du glaubst). Er schrieb ein immer noch aktuelles Werk über den Nutzen des Glaubens und lehrte, daß der Glaube eine geeignete Arznei sei, um das Auge des Geistes zu heilen, die unbesiegliche Kraft, um alle und besonders die Schwachen vor dem Irrtum zu bewahren, ein Nest, in dem uns die Schwingen für die Höhenflüge des Geistes angelegt werden, ein kurzer Weg, der uns rasch, sicher und ohne jeden Irrtum die Wahrheiten erkennen läßt, die die Menschen zur Weisheit führen. Er betonte, aber nachdrücklich, daß der Glaube niemals der Vernunft entbehre, da ja die Vernunft zeige, „wem man glauben müsse“. „Denn auch der Glaube hat seine Augen, mit denen er gewissermaßen sieht, daß wahr ist, was er noch nicht sieht“. Und deshalb „glaubt niemand etwas, wenn er nicht zuvor gedacht hat, es glauben zu müssen“, denn „glauben ist nichts anderes als zustimmend denken... Wenn der Glaube nicht gedacht wird, ist es kein Glaube“. Die Diskussion über die Augen des Glaubens geht schließlich in das Gespräch über die Glaubhaftigkeit über, mit der sich Augustinus oft beschäftigt und auch die Gründe dafür mitteilt, gleichsam um die Bewußtheit zu bekräftigen, mit der er selber zum katholischen Glauben zurückgekehrt war. Es sei hierzu ein längeres Zitat angeführt: „Denn abgesehen von der ganz unverfälschten Weisheit..„abgesehen also von dieser Weisheit (Gerade dieses für Augustinus wohl stärkste Argument ließen die Gegner nicht gelten), gibt es noch viele andere Gründe, die mich zu Recht im Schoße der katholischen Kirche halten. Mich hält das Einvernehmen der Völker und Menschen; mich hält die durch die Wunder begründete, durch die Hoffnung genährte, durch die Liebe vermehrte und durch das Alter gefestigte Autorität; mich hält die Tatsache, daß alle Bischöfe in der Nachfolge der Apostel stehen — vom Stuhle des Apostels Petrus 1559 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN angefangen, dem der Herr nach der Auferstehung aufgetragen hat, seine Schafe zu weiden, bis zu seinem Bischofssitz; mich hält schließlich auch und gerade der Name,katholisch1, den nicht ohne Grund unter so vielen Philosophenschulen allein diese Kirche erhalten hat“. In dem großen, zugleich apologetischen und dogmatischen Werk „Über den Gottesstaat“, De Civitate Dei, wird das Problem von Vernunft und Glaube zur Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Kultur. Augustinus, der sich so intensiv um die Schaffung und Förderung christlicher Bildung und Kultur bemüht hat, löste die Schwierigkeit dadurch, daß er folgende drei großen Themenkreise entwickelte: getreue Darlegung der christlichen Lehre; Wiedergewinnung der heidnischen Kultur, soweit sie eingeholt und wieder nutzbar gemacht werden konnte, was für den Bereich der Philosophie in nicht geringem Umfang galt; ständiger Nachweis von jenen der christlichen Lehre zugrundeliegenden Elementen der Wahrheit und ewigen Gültigkeit, die in der heidnischen Kultur vorhanden waren, aber eben durch die christlichen Lehren in vorteilhafter Weise zu höchster Vollendung und Ansehen gebracht wurden. Nicht umsonst wurde das Buch Über den Gottesstaat im Mittelalter sehr viel gelesen, und es verdient auch heute noch, als Beispiel und zugleich Anreiz gelesen zu werden, um die Begegnung des Christentums mit den Kulturen der Völker zu vertiefen. Es ist der Mühe wert, darüber eine wichtige Textstelle aus Augustinus anzuführen: „Die himmlische Bürgerschaft...ruft Bürger aus allen Völkern zusammen..„ungeachtet der Verschiedenheit ihrer Gebräuche, Gesetze und Institutionen;...nichts von diesen Dingen hebt sie auf oder zerstört sie, ja sie bewahrt und erhält sie: was auch in den verschiedenen Nationen verschieden sein mag, es strebt ja doch ein und dasselbe Ziel an, nämlich den irdischen Frieden, wenn es nur nicht der Religion, die die Verehrung des einen, höchsten und wahren Gottes lehrt, im Wege steht“. Gott und der Mensch Das andere große Begriffspaar, das Augustinus unaufhörlich erforscht hat, ist Gott — Mensch. Nachdem er sich, wie weiter oben ausgeführt, vom Materialismus frei gemacht hatte, der ihn daran hinderte, zu einer genauen Kenntnis Gottes und damit zur richtigen Kenntnis des Menschen zu gelangen, verankerte er die großen Themen seines Suchens und Forschens in diesem Begriffspaar und erwog sie immer gleichzeitig: den Menschen, wenn er an Gott dachte, Gott, wenn er an den Menschen dachte, der Gottes Abbild ist. In den Bekenntnissen stellt er sich die zweifache Frage: „Was bist Du mir?... Was bin ich Dir?“. Um sie auf rechte Weise zu beantworten, wendet er alle Kräfte seines Denkens und die ganze Wachsamkeit und Bemühung seines 1560 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Apostolates auf. Denn er war so tief davon überzeugt, Gott durch die Sprache nicht ausdrücken zu können, daß er in der Tat ausrief: „Was ist erstaunlich daran, nicht zu begreifen? Denn wenn du begreifst, ist es ja nicht Gott“. Es ist daher „kein geringer Anfang der Gotteserkenntnis, wenn wir, noch bevor wir verstehen können, was er ist, zu verstehen beginnen, was er nicht ist“. Wir müssen uns also bemühen, „wenn und soweit wir können, Gott als den zu erkennen, der gut ohne eigenschaftliche Bestimmtheit, groß ohne räumliche und zeitliche Bedingtheit, Schöpfer ohne Notwendigkeit...ist“, und so weiter, durch alle Kategorien der Wirklichkeit, wie Aristoteles sie beschrieben hatte. Trotz der Transzendenz und Unaussprechlichkeit des göttlichen Wesens erläutert Augustinus, ausgehend von seinem Selbstbewußtsein als Mensch, der weiß, daß er ist, erkennt und liebt und gestärkt durch die heilige Schrift, die uns Gott als oberstes Sein ( vgl. Ex 3,14), als höchste Weisheit (vgl. Weish passim) und erste Liebe (vgl. 1 Joh 4,8) vorstellt, folgende dreifache Erkenntnis Gottes: (Gott ist) das Sein, aus dem alles durch Erschaffung aus dem Nichts hervorgeht, die Wahrheit, die den Geist der Menschen erleuchtet, damit er mit Sicherheit die Wahrheit zu erkennen vermag, die Liebe, von der jede echte Liebe herkommt und zu der sie zurückkehrt. Denn Gott ist, wie er oft wiederholt, „die Ursache des Daseins, der Grund des Denkens und die Norm des Lebens“ oder, um eine andere berühmte Formulierung zu gebrauchen, „die Ursache des geschaffenen Universums, das Licht der Wahrheit, das wir begreifen sollen, und die Quelle der Glückseligkeit, die wir genießen dürfen“. Am meisten aber wurde der geniale Geist des Augustinus erregt und aufgewühlt, wenn er über Gottes Anwesenheit im Menschen nachdachte, die zugleich zuinnerst und ganz geheimnisvoll ist. Er erfährt nun Gott als den „Inwendig-Ewigen“, als den Verborgensten und Gegenwärtigsten: weil er abwesend ist, sucht ihn der Mensch; weil er aber da ist, erkennt und findet er ihn. Denn Gott ist gegenwärtig als „schöpferische Substanz der Welt“, als erleuchtende Wahrheit, als Liebe, die an sich zieht; innerer als alles, was im Menschen an Innerstem, und auch höher als alles, was in ihm an Höchstem vorhanden ist. Sich an die Zeit vor seiner Bekehrung erinnernd, spricht er zu Gott: „Wo nur warst Du mir damals und wie weit von mir? Und weit von Dir in der Fremde ging ich...Du aber warst noch innerer als mein Innerstes und höher noch als mein Höchstes“. „Du warst bei mir, ich war nicht bei Dir“. Ja, er drängt: „Du standest doch vor mir; ich aber war auch von mir hinweggegangen und fand nicht einmal mich, geschweige Dich“. Wer sich selbst nicht findet, findet Gott nicht, weil Gott im Innersten jedes einzelnen von uns ist. Der Mensch kann sich also nur auf Gott hingeordnet begreifen. Diese wirklich herausragende Wahrheit hat Augustinus mit dem unerschöpflichen Reichtum seines Geistes erläutert, während er die Beziehung des Menschen zu Gott un- 1561 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN tersuchte und sie in möglichst verschiedenen und wirksamen Formen darlegte. Er sieht den Menschen als ein Streben nach Gott. Seine Worte sind allen bekannt: „Geschaffen hast Du uns zu Dir, und ruhelos ist unser Herz, bis es seine Ruhe findet in Dir“9“. Er sieht ihn als Möglichkeit, zur unmittelbaren Gottesschau erhoben zu werden: das Endliche, das an das Unendliche rührt. In dem Werk „Über die Dreieinigkeit“, De Trinitate, schreibt er dazu: „Der Mensch ist insofern Gottes Abbild, als er seiner fähig ist und an ihm teilhaben kann“. Diese Fähigkeit „ist der unsterblichen Natur der vernünftigen Seele des Menschen auf unsterbliche Weise eingepflanzt“ und deshalb der Beweis seiner Vortrefflichkeit: „weil er des höchsten Wesens fähig ist und an ihm teilhaben kann, ist er groß““. Außerdem sieht er den Menschen als jenes Wesen, das auf Gott angewiesen ist, wenn es sich nach der Glückseligkeit sehnt, die es nur in Gott finden kann. „Die menschliche Natur wurde in solcher Größe und Vortrefflichkeit geschaffen, daß sie, mag sie auch wandelbar sein, dennoch durch ihre Anhänglichkeit an das unwandelbare Gute, also an den höchsten Gott, zur Glückseligkeit gelangt und ihr Bedürfnis nicht erfüllen kann, wenn sie nicht wenigstens glücklich ist, aber es zu erfüllen, ist nur Gott imstande“. Was aber das konstitutionell bestehende Verhältnis zwischen dem Menschen und Gott anbelangt, so fordert Augustinus die Menschen leidenschaftlich zu einem verinnerlichten Leben auf. „Kehre zu dir selbst zurück; im Inneren des Menschen wohnt die Wahrheit; und wenn du entdeckst, daß deine Natur wandelbar ist, gehe über dich selbst hinaus“, um Gott zu finden, die Quelle des Lichts, von dem die Herzen erleuchtet werden. Außer der Wahrheit aber verbirgt sich im Inneren des Menschen jene geheimnisvolle Kraft zu lieben, die ihn wie ein Gewicht — dieses berühmte Bild verwendet Augustinus — von sich weg zu den anderen und vor allem zum Höchsten, nämlich zu Gott, hinzieht. Das Gewicht der Liebe macht den Menschen von seiner Natur her so sozial, daß es „kein anderes Geschöpf gibt, das aufgrund seiner Natur so sozial ist“. Das Innere des Menschen aber, wo sich die ungeheuren Schätze der Wahrheit und der Liebe ansammeln, stellt „ein abgrundtiefes Geheimnis“ dar, das zu erforschen und über das zu staunen, unser gelehrter Kirchenvater niemals aufhört. Hier aber muß hinzugefügt werden, daß dem, der über sich und über die Geschichte der Menschen nachdenkt, der Mensch als ein großes „Problem“ oder, wie Augustinus sagt, als eine „große Frage“ erscheint. Zu viele Fragen umgeben ihn: die Frage des Todes und der tiefen Teilnahme, die er innerlich erleidet, die Frage der unheilbaren Ungleichheit zwischen dem, was ist, und dem, was er begehrt; Fragen, die sich alle auf jenen einen Hauptgrund zurückführen lassen, der in der Vörtrefflichkeit des Menschen und zugleich in seinem unvergleichlichen Elend besteht. Mit diesen Fragen, von denen das Zweite Vatikanische Konzil ausführlich gesprochen hat, als es sich zur Aufgabe machte, 1562 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN über „das Geheimnis des Menschen“ zu handeln, hat sich Augustinus voll Eifer beschäftigt und die ganze Schärfe seines Verstandes angewandt, um die Wirklichkeit des Menschen herauszufinden, die sich oft als sehr traurig erweist: denn auch wenn feststeht, daß kein anderes Geschöpf aufgrund seiner Natur so sozial ist wie der Mensch, so trifft — wie der von der Geschichte erzogene Verfasser des Buches Über den Gottesstaat sagt — eben auch zu, daß „kein Geschöpf durch Schuld so unsozial ist wie der Mensch“; Augustinus bemühte sich aber vor allem auch darum, eine Lösung zu suchen und vorzuschlagen. Was nun die Lösung betrifft, so fand Augustinus nur die eine, die ihm kurz vor seiner Bekehrung aufgegangen war: Christus, der Erlöser der Menschen. Auf diese Antwort die Herzen und Sinne der Gläubigen der Kirche sowie aller Menschen guten Willens zu lenken, war mein Anliegen in meiner ersten Enzyklika — die deshalb den Namen Redemptor hominis erhielt —, wo ich gern in meiner Stimme die Stimme der gesamten christlichen Überlieferung einfangen wollte. Mit dem Eintritt in diese Problematik wird das Denken des Augustinus, auch wenn es immer noch philosophisch bleibt, doch zunehmend theologischer, und das Begriffspaar — Christus und die Kirche —, das er zuerst geleugnet hatte und dann in seinen Jugendjahren wieder anerkannte, beginnt jene breitere Möglichkeit der Verbindung zwischen Gott und dem Menschen ausführlicher zu erläutern. Christus und die Kirche Christus und die Kirche bilden, wie man wohl zu Recht sagen kann, den Hauptschwerpunkt im gesamten theologischen Denken des Bischofs von Hippo, j a, so könnte man hinzufügen, auch den Schwerpunkt seiner Philosophie; tadelt er doch die Philosophen seiner Zeit,weil sie ,jine homine Christo“, also ohne den Menschen Christus, philosophiert hätten. Von Christus aber ist die Kirche nicht zu trennen. Augustinus hat bei seiner Bekehrung das Gesetz der göttlichen Vorsehung erkannt und mit Freude und Dankbarkeit angenommen, durch das „in jenem einen gnadenreichen Namen und in seiner einen Kirche die höchste und erhabenste Autorität und das Licht der Vernunft aufgerichtet worden ist zur Wiederherstellung und Erneuerung der Menschheit“1". Unzweifelhaft hat er in dem großen Werk „Über die Dreieinigkeit“ und in seinen Predigten ausführlich und vortrefflich über das trinitarische Geheimnis gehandelt und damit der Theologie späterer Zeiten den Weg geebnet. Mit Ernst und Entschlossenheit hat er die Gleichheit und zugleich die Unterschiedenheit der göttlichen Personen vertreten, die er auch mit Hilfe der Lehre von den Relationen erklärte: Gott „ist alles, was er hat, ausgenommen die Beziehungen, 1563 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN durch die jede Person sich auf die andere bezieht“. Er hat weiterhin die Theologie über den Heiligen Geist entwickelt, der vom Vater und vom Sohn ausgeht, „hauptsächlich“ (principaliter) aber vom Vater, weil „das Prinzip der ganzen Göttlichkeit (Augustinus präzisiert deitas gegenüber divinitas) der Vater ist“ und er ihn dem Sohn bei der Zeugung mitgeteilt hat, so daß von ihm das gemeinsame Geschenk ausgeht, und zwar als Liebe und darum nicht gezeugt ist». Um dann den „Schwätzern auf ihre Gegengründe“ eine Antwort zu geben, legte er eine „psychologische“ Erklärung der Dreieinigkeit vor, indem er ihr Abbild im Gedächtnis, im Verstand, in der Liebe des Menschen suchte und auf diese Weise das erhabenste Geheimnis des Glaubens und zugleich die höchste Wesensnatur der Schöpfung, die der menschliche Geist ist, erforschte. Wenn Augustinus über die Dreieinigkeit spricht, hat er jedoch den Blick immer fest auf Christus als Offenbarer des Vaters und auf das Heilswerk gerichtet. Seitdem er unmittelbar vor seiner Bekehrung den Satz vom Geheimnis des fleischgewordenen Wortes verstanden hatte, hörte er nicht mehr auf, dieses Geheimnis tiefer zu ergründen und seine Einsichten in derart reichen und wirksamen Formulierungen niederzulegen, daß sie geradezu die Lehre des Konzils von Chalkedon im voraus ankündigten. Hier ein besonders bezeichnendes Textbeispiel aus einem seiner letzten Werke: „Der Gläubige glaubt und bekennt, daß in Christus die wahrhaft menschliche, das heißt unsere Natur — wenn auch dadurch, daß Gottes Wort sie in einzigartiger Weise aufnahm — zum einzigen Sohne Gottes erhoben wurde, so daß jener, der aufnahm und was er aufnahm, eine einzige Person in der Dreifaltigkeit ist. Denn durch die Aufnahme eines Menschen ist keine Vierfaltigkeit erzeugt worden, sondern es blieb die Dreifaltigkeit, indem jene Aufnahme auf unaussprechliche Weise die Wirklichkeit einer einzigen gottmenschlichen Person bewirkte. Nennen wir doch Christus nicht nur Gott...und nicht nur Mensch...;auch nicht Mensch in der Weise, daß er etwas, was sicherlich zur menschlichen Natur gehört, in geringerem Maße besäße...Sondern wir nennen Christus wahren Gott, gezeugt vom Vater..„und (nennen) ihn auch wahren Menschen, geboren aus einer menschlichen Mutter...;und (wir sagen) nicht, seine Menschheit, in Anbetracht welcher der Vater größer ist, tue irgendwie seiner Gottheit Eintrag, durch welche er dem Vater gleich ist. Dies beides ist aber der eine Christus“. Oder etr was kürzer: „Derselbe, der Mensch ist, ist Gott, und derselbe, der Gott ist, ist Mensch: nicht aufgrund einer Vermischung der Natur, sondern aufgrund der Einheit der Person“, „eine Person in zwei Naturen“. Mit diesem festen Blick für die Einheit der Person in Christus, der als „ganz Gott und ganz Mensch“ verkündet wird, durchstreift Augustinus das weite Gebiet der Theologie und der Geschichte. Wenn sein Adlerblick sich auf Christus, das Wort des Vaters, heftet, so stellt er nicht weniger den Menschen 1564 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Christus heraus. Ja, er betont energisch, daß es ohne den Menschen Christus weder Vermittlung noch Versöhnung, weder Rechtfertigung noch Auferstehung und auch keine Zugehörigkeit zur Kirche gebe, deren Haupt eben Christus ist. Auf diese Themen kommt er immer wieder zurück und untersucht sie ausführlich, sei es um den Glauben, den er mit 32 Jahren zurückgewonnen hatte, zu erklären, sei es um der notwendigen Auseinandersetzung mit dem Pelagianismus Genüge zu tun. Der einzige Vermittler zwischen dem gerechten und unsterblichen Gott und den sterblichen Menschen und Sündern ist Christus, Mensch und Gott, weil er zugleich sterblich und gerecht und daher der universale Weg der Freiheit und des Heiles ist. Außerhalb dieses Weges, „der der Menschheit nie gefehlt hat, ist niemand befreit worden, wird niemand befreit und wird niemand befreit werden“. Die Vermittlung Christi erfüllt sich im Erlösungswerk, das nicht nur im Vorbild der Gerechtigkeit, sondern vor allem im Opfer der Wiederversöhnung besteht, das das wahrste, freieste und vollkommenste ist. Charakteristisches Merkmal der Erlösung Christi ist ihre Universalität, womit auch auf die Universalität der Sünde hingewiesen wird. In diesem Sinne wiederholt und erklärt Augustinus die Worte des hl. Paulus: „Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben“ (2 Kor 5,14), gestorben als Folge der Sünde: „Im Rechtsfall dieser beiden Menschen besteht der christliche Glaube“, „einer und einer: einer führt zum Tod, einer zum Leben“- Daraus folgt, daß „jeder Mensch Adam ist, sowie bei denjenigen, die geglaubt haben, jeder Mensch Christus ist“. Diese Lehre abzulehnen, bedeutet nach Ansicht des Augustinus, daß das Kreuz Christi um seine Kraft gebracht wird (vgl. 1 Kor 1,17). Damit dies nicht eines Tages eintrete, sprach und schrieb er viel über die Universalität der Sünde, wobei er auch die Lehre von der Erbsünde nicht überging, „welche von Anfang an zum katholischen Glauben gehört“. Augustinus lehrt nämlich, daß „der Herr Jesus Christus nur aus dem Grunde im Fleisch erschien.,.,um alle...lebendig zu machen, zu heilen, zu befreien, zu erlösen und zu erleuchten, die zuvor in Tod, Krankheit, Knechtschaft, Gefangenschaft und Finsternis der Sünde befangen gewesen waren...Folglich (haben) mit jener (Gnaden) Mitteilung Christi ...nichts zu schaffen..„die des Lebens, des Heiles, der Befreiung, Erlösung und Erleuchtung nicht bedürfen“. Denn als einziger Vermittler und Erlöser der Menschen ist Christus Haupt der Kirche. Der ganze Christus, Christus und die Kirche sind eine einzige mystische Person. Mit kühnen Worten versichert Augustinus: „Wir sind Christus geworden. Denn wenn er das Haupt ist und wir seine Glieder, dann ist der ganze Mensch er und wir“. Diese Lehre vom totalen Christus war dem Bischof von Hippo besonders teuer und gehört auch zu den fruchtbarsten seiner ekklesiolo-gischen Theologie. 1565 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Eine andere fundamentale Wahrheit ist die über den Heiligen Geist als Seele des mystischen Leibes: „Was die Seele für den Leib des Menschen ist, das ist der Heilige Geist für den Leib Christi, die Kirche“; ferner die Wahrheit über den Heiligen Geist als Prinzip der Gemeinschaft, die die Gläubigen untereinander und mit der Dreieinigkeit verbindet. „Denn der Vater und der Sohn wollten, daß wir durch das, was ihnen gemeinsam ist, untereinander und mit ihnen Gemeinschaft haben und uns durch das Geschenk, das sie gemeinsam haben, nämlich durch den Heiligen Geist, Gott und Gabe Gottes, zur Einheit zusammenschließen““ Deshalb sagt er an derselben Stelle: „So ist also die Gemeinschaft der Einheit, die Kirche Gottes, außerhalb welcher es keine Vergebung der Sündeit gibt, eigentlich das Werk des Heiligen Geistes, unter Mitwirkung des Vaters und des Sohnes, denn der Heilige Geist ist gewissermaßen die Gemeinschaft, die Vater und Sohn verbindet“. Bei Betrachtung der Kirche als Leib Christi, die vom Heiligen Geist beseelt wird, der der Geist Christi ist, entwickelt Augustinus in mehrfacher Form eine Erkenntnis, an der auch das letzte Konzil lange und mit besonderer Genugtuung gearbeitet hat: die Gemeinschaft der Kirche. Er behandelt die Frage in dreifacher und übereinstimmender Weise: die Gemeinschaft der Sakramente oder die von Christus auf das Fundament der Apostel gegründete institutionelle Wirklichkeit130, über die er sich in der Auseinandersetzung mit den Do-natisten lang und breit ergeht, wobei er die Einheit, die Universalität, den apostolischen Charakter und die Heiligkeit der Kirche verteidigt, während er gleichzeitig darauf hinweist, daß ihr Mittelpunkt der Stuhl Petri ist, „für den immer der Primat des apostolischen Stuhles gültig war“; die Gemeinschaft der Heiligen oder die spirituelle Wirklichkeit, die alle Gerechten von Abel bis zum Jüngsten Tag vereint; die Gemeinschaft der Seligen oder die eschatolo-gische Wirklichkeit, die alle jene umfaßt, die das Heil, also die Kirche „ohne Flecken und Falten“ (Eph 5,27), erlangt haben. Ein weiteres beliebtes Thema der Ekklesiologie des Augustinus war das über die Kirche als Mutter und Lehrerin. Darüber schrieb Augustinus viele Seiten, die von tiefgründiger Gelehrsamkeit erfüllt sind und die Herzen tief bewegen, weil er an das Thema sowohl mit der persönlichen Erfahrung des Bekehrten wie mit dem gelehrten Wissen des Theologen herantrat. Auf dem Weg seiner Rückkehr zum Glauben traf er die Kirche nicht mehr als im Gegensatz zu Christus stehend an, wie man es ihn glauben gemacht hatte, sondern als Kirche, die Christus offenbar machte, als „wahre und eigentliche Mutter der Christen“, Garantin der geoffenbarten Wahrheit. Die Kirche ist Mutter, die die Christen gebiert: „Zwei haben uns zum Tod hervorgebracht, zwei haben uns zum Leben hervorgebracht. Die Eltern, die uns zum Tod geboren haben, sind Adam und Eva; die Eltern, die uns zum Leben 1566 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN hervorgebracht haben, sind Christus und die Kirche“. Die Kirche ist die Mutter, die um derer willen leidet, die sich von der Gerechtigkeit lossagen, vor allem aber um deren willen, die ihre Einheit verletzen1411; sie ist die Taube, die ruft und klagt, damit alle unter ihre Flügel zurückkehren oder sich nähern'50; sie ist die Offenbarmachung der universalen Vaterschaft Gottes durch die Liebe, die „für die einen zärtlich, für andere streng ist; niemandem ist sie Feind, allen Mutter“. Sie ist Mutter, aber — wie Maria — auch Jungfrau: Mutter durch die Glut der Liebe, Jungfrau durch die Reinheit des Glaubens, den sie hütet, verteidigt und lehrt. Mit dieser jungfräulichen Mutterschaft hängt ihre Aufgabe als Lehrerin zusammen, die die Kirche im Gehorsam gegenüber Christus ausübt. Darum sieht Augustinus die Kirche als Garantin der Schrift und verkündet, daß er sicher in ihr bleiben werde, welche Schwierigkeiten sich auch einstellen mögen, und ermahnte die anderen nachdrücklich, dasselbe zu tun. „Seid also, wie ich oft gesagt habe und eindringlich wiederhole, was immer wir sein mögen, gewiß, daß ihr Gott zum Vater und die Kirche zur Mutter habt“. Aus dieser Überzeugung entspringt die entschiedene Aufforderung, Gott und die Kirche zu lieben, Gott wie einen Vater, die Kirche wie eine Mutter. Wahrscheinlich hat niemand anderer mit so viel Liebe und mit so großer innerer Leidenschaft über die Kirche gesprochen wie Augustinus. Ich habe hier dafür einige Stellen angeführt, freilich wenige, aber doch genug, wie ich hoffe, um die Tiefe und Schönheit einer Lehre nahezubringen, die niemals genügend erforscht werden wird, besonders unter dem Aspekt der Liebe, von der die Kirche als Werk des in ihr wohnenden Heiligen Geistes beseelt wird. „Wir aber haben den Heiligen Geist“, sagt er, „wenn wir die Kirche lieben: wir lieben sie aber, wenn wir in ihrer Einheit und Liebe bleiben“. Freiheit und Gnade Es ist sicher ein endloses Unterfangen, wollte man die verschiedenen Aspekte der Theologie des Augustinus auch nur in großen Zügen kurz berühren. Ein weiteres wichtiges, ja grundsätzliches Thema, das eng mit seiner Bekehrung verbunden ist, gilt es zu behandeln, nämlich die Frage der Freiheit und der Gnade. Wie ich bereits oben erwähnt habe, ist er sich gleichsam am Vorabend seiner Bekehrung der unvermeidlichen Eigenverantwortung des Menschen an seinen Taten und zugleich der Notwendigkeit der Gnade des einen und einzigen Mittlers bewußt geworden, dessen Kraft er im Augenblick seiner letzten Entscheidung erfahren hat. Das bestätigt in beredter Weise das achte Buch der Bekenntnisse. Seine persönlichen Reflexionen und dann die von ihm ausgetragenen Auseinandersetzungen vor allem mit den Anhängern der Manichäer 1567 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und Pelagianer boten ihm Gelegenheit, die einzelnen Punkte dieses Problems gründlicher zu untersuchen und, wenn auch angesichts des geheimnisvollen Charakters der Sache, mit großer Bescheidenheit eine Zusammenfassung davon vorzulegen. Er verfocht immer den Standpunkt, daß die Freiheit ein Fundament der ganzen christlichen Anthropologie (Wissenschaft über den Menschen) sei. Er verteidigte das mit aller Eindringlichkeit gegen seine alten Glaubensgenossen und Freunde160, gegen den Determinismus der Astrologen, dem er ja selbst einst verpflichtet gewesen war161, gegen jede Form von Fatalismus162. Er lehrte auch, daß die Freiheit und das Vorherwissen durchaus miteinander vereinbar seien163, wie das in ähnlicher Weise für die Freiheit und die Hilfe der göttlichen Gnade gilt. „Der freie Wille wird nicht aufgehoben, weil ihm Hilfe zuteil wird; sondern es wird ihm Hilfe zuteil, weil er nicht aufgehoben wird“164. Berühmt ist übrigens dieser Satz des Augustinus: „Wer dich ohne dich (ohne dein Mittun) geschaffen hat, rechtfertigt dich nicht ohne dich. Er hat also einen geschaffen, ohne daß dieser davon wußte, und rechtfertigt einen nur, wenn dieser will“165. Jedem aber, der diese Vereinbarkeit in Zweifel zog oder das Gegenteil behauptete, bewies er mit einer langen Reihe von Bibelzitaten, daß beide — die Freiheit und die Gnade — zur göttlichen Offenbarung gehören und man deshalb an beiden Wahrheiten festhalten müsse166. Ihre Vereinbarkeit aber in ihrer ganzen Tiefe zu durchschauen, ist ein sehr schwieriges Problem, das zu begreifen nicht vielen gegeben ist167 und das vielen als geistiger Mangel erscheinen mag168, weil bei der Verteidigung der Freiheit leicht der Eindruck entstehen kann, daß die Gnade geleugnet wird, und umgekehrt169. Man muß darum an ihre Vereinbarkeit glauben, so wie man an die Vereinbarkeit der beiden entscheidenden Ämter Christi glaubt, die gegenseitig voneinander abhängen. Denn Christus ist zugleich Retter und Richter. Nun aber ist zu fragen: „Wenn es also die Gnade Gottes nicht gibt, wie rettet er die Welt? Wenn es den freien Willen nicht gibt, wie richtet er die Welt?“170. Andererseits jedoch stellt Augustinus die Notwendigkeit der Gnade heraus, die zugleich Notwendigkeit des Gebets ist. Allen denen, die sagen, Gott gebiete nicht das Unmögliche und deshalb sei die Gnade nicht notwendig, antwortet er: „Gott befiehlt also nichts Unmögliches, sondern durch sein Befehlen ermahnt er, sowohl zu tun, was du vermagst, als auch zu erbitten, was du nicht vermagst“171, und er, „der niemanden im Stich läßt, wenn er nicht im Stich gelassen wird“172, hilft dem Menschen, daß er kann. Die Lehre von der Notwendigkeit der göttlichen Gnade wird zur Lehre von der Notwendigkeit des Gebets, für die sich Augustinus mit großem Eifer verwendet173, weil es, wie er schreibt, „feststeht, daß Gott manche Gaben auch für die vorbereitet hat, die nicht beten, wie zum Beispiel den Beginn des Glaubens; 1568 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN andere Gaben aber nur für die, die darum bitten, wie die Standhaftigkeit bis zum Ende“174. Die Gnade ist also notwendig, um die Schranken zu beseitigen, durch die der Wille daran gehindert wird, das Böse zu meiden und das Gute zu tun. Diese zwei Hindernisse werden genannt: „Unwissenheit und Schwachheit“175, besonders aber gilt das für das zweite; denn „auch wenn das, was man tun und um das man sich bemühen soll, nicht mehr verborgen ist,... tut man es nicht, bemüht man sich nicht darum, lebt man nicht gut“176. Augustinus hält die helfende Gnade für „die Inspiration der Liebe, damit wir mit heiliger Liebe das tun ..., von dem wir wissen, daß es getan werden muß“177. Damit einer also die Freiheit atmen kann, müssen diese beiden Hemmnisse der Unwissenheit und der Schwachheit besiegt werden. Es ist hier angebracht, daran zu erinnern, daß die Verteidigung der Notwendigkeit der Gnade für Augustinus der Schutz der christlichen Freiheit ist. Ausgehend von den Worten Christi: „Wenn euch also der Sohn befreit, dann seid ihr wirklich frei“ {.loh 8,36), machte er sich selbst zum Beschützer und Herold dieser Freiheit, die von der Wahrheit und der Liebe nicht zu trennen ist. Wahrheit, Liebe, Freiheit: das sind die drei großen Güter, die des Augustinus Herz begeistern und seinen Geist in vielfältiger Weise beschäftigen. Über diese Güter verbreitete er viel Licht zu ihrer Verständlichkeit. Um etwas länger bei diesem letzten Gut, dem der Freiheit, zu verweilen, ist die Feststellung angebracht, daß er die Freiheit in allen ihren Formen beschreibt und preist. Diese Formen beginnen mit der Freiheit vom Irrtum — die Freiheit zum Irrtum wird dagegen „der schlimmste Tod der Seele“ genannt178 —, schreiten über das Geschenk des Glaubens, der die Seele der Wahrheit unterwirft179, bis zu jener letzten und unvergänglichen, der „größten“ Freiheit fort, die darin besteht, „nicht sündigen zu können“ und „nicht sterben zu können“180, was Unsterblichkeit und volle Gerechtigkeit bedeutet. Zwischen diesen beiden Freiheiten, die den Anfang und das Ende des Heils bezeichnen, verkündet und beleuchtet Augustinus alle anderen Freiheiten: die Freiheit von der Sünde, die das Werk der Rechtfertigung ist, die Freiheit von den ungeordneten Leidenschaften, welche die Gnade bewirkt, die den Verstand erleuchtet und dem Willen Kräfte verleiht, um ihn unbesiegbar gegen das Böse zu machen, wie er selbst es bei seiner Bekehrung erfahren hat, als er von der harten Knechtschaft befreit wurde181; die Freiheit von der Zeit, die wir vergeuden und die uns verschlingt182, soweit uns die Liebe in der Ewigkeit verankert leben läßt183. Was aber die Rechtfertigung betrifft, deren unsagbare Reichtümer — das göttliche Leben der Gnade184, das Wohnungnehmen des Heiligen Geistes185, die „Vergöttlichung“186 — Augustinus darlegt, so machte er eine sehr wichtige Unterscheidung zwischen dem Nachlaß der Sünden, der „voll und ganz“, „voll und 1569 BOTSCHAFTEN UND ANSPRA CHEN vollkommen“ ist, und der inneren Erneuerung, die fortschreitet und erst nach der Auferstehung voll erfüllt sein wird, wenn der Mensch Teilhaber an der göttlichen Unwandelbarkeit wird187. Immer wieder sagt er, daß die Gnade, die den Willen stärkt, durch die Liebe wirksam ist und daher den Willen unbesiegbar gegen das Böse macht, ohne ihm jedoch die Möglichkeit zu nehmen, nicht zu wollen. Als er die Worte Jesu im Johannesevangelium: „Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater ... ihn zu mir führt“ (Joh 6,44) erklärt, fügt er hinzu: „Glaube nicht, daß du gegen deinen Willen hingeführt wirst: der Geist wird auch von der Liebe geführt“188. Aber die Liebe, sagt er noch, handelt „mit freier Milde“189; darum „erfüllt der das Gebot frei, der es mit Liebe erfüllt“19'1: „Das Gesetz der Freiheit ist also das Gesetz der Liebe“191. Nicht weniger leidenschaftlich und eindringlich ist die Lehre des Augustinus über die Freiheit von der Zeit, die uns zu gewähren Christus, das ewige Wort, gekommen ist, als er durch seine Menschwerdung in die Zeit eingetreten ist: „O Wort vor der Zeit, durch das die Zeit gemacht worden ist“, ruft er aus, „auch du bist in der Zeit geboren, obwohl du das ewige Leben bist, du rufst die zeitlichen Wesen und machst sie ewig“192. Es steht im übrigen fest, daß unser gelehrter Mann das Geheimnis der Zeit eifrig erforscht193 und es gefühlt und ausgesprochen hat, daß man über die Zeit hinausgehen muß, um wahrhaftig zu existieren. „Damit auch du bist, übersteige die Zeit. Aber wer wird sie aus eigenen Kräften zu übersteigen vermögen? Der hebe uns empor, der zum Vater gesagt hat: .Vater, ich will, daß sie dort bei mir sind, wo ich bin1 (Joh 17,24)“194. Wahrgenommen und denkend erwogen wird die christliche Freiheit, die ich hier gerade nur erwähnt habe, in der Kirche, der Gottesstadt, die die Wirkungen dieser Freiheit erkennen läßt und sie mit Unterstützung der göttlichen Gnade, soweit sie es vermag, allen übrigen Menschen mitteilt. Denn sie ist auf die „soziale“ Liebe gegründet, die alle Menschen umfängt und sie in Gerechtigkeit und Frieden vereinen will; im Gegensatz zur Stadt der Ungerechten, die die Menschen unter sich spaltet und gegeneinander aufbringt, weil sie auf die „private“ Liebe gegründet ist195. Es ist angebracht, an dieser Stelle einige der Friedensdefinitionen zu erwähnen, die Augustinus entsprechend den Gegebenheiten, auf die sie angewandt werden, geprägt hat. Ausgehend von dem Satz, „der Friede der Menschen ist die geordnete Eintracht“, definiert er andere Formen des Friedens, wie z. B.: „Der Frieden in der Familie ist die geordnete Eintracht der Angehörigen in bezug auf Befehlen und Gehorchen“; ähnliches gilt vom Frieden des irdischen Staates, und er fährt fort: „Der Friede des himmlischen Staates ist die bis ins letzte geordnete und völlig einträchtige Gemeinschaft des Gottesgenusses und des gegenseitigen Genusses in Gott“; dann der „Friede aller Dinge, die Ruhe 1570 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der Ordnung“, und schließlich: „Ordnung ist die Verteilung der gleichen und ungleichen Dinge, die jedem seinen Platz zuweist“196. Für diesen Frieden arbeitet und nach diesem Frieden „sehnt sich das Volk Gottes auf seiner Pilgerschaft vom Ausgang bis zur Wiederkehr“1''7. Die Liebe und der Aufstieg des Geistes In dieser kurzen Zusammenfassung der Lehren des Augustinus wären einige geradezu unerläßliche Teile zu vermissen, würde man seine spirituelle Lehre nicht erwähnen, die eng verbunden mit seiner Philosophie und Theologie und keineswegs weniger reich als jede dieser beiden ist. Wir müssen wieder auf die Bekehrung zurückkommen, mit der ich diese Ausführungen begonnen habe. Damals nämlich beschloß Augustinus, sich ganz dem Ideal der christlichen Vollkommenheit zu widmen. Diesem Vorsatz ist er nicht nur immer treu geblieben, sondern er hat sich mit allen seinen Kräften darum bemüht, auch anderen Menschen seinen Weg zu zeigen. Er schöpfte dabei aus seinen Erfahrungen und aus der Heiligen Schrift, die für alle die erste Nahrung der Frömmigkeit ist. Er war ein Mann des Gebets, ja, man könnte sagen, ein Mann, der zum Gebet geworden ist; man braucht nur an die berühmten Bekenntnisse zu denken, die in Form eines Briefes an Gott verfaßt sind. Und mit unglaublicher Beharrlichkeit sprach er zu allen immer wieder von der Notwendigkeit des Gebets: „Gott wollte, daß wir in diesem Kampf mehr mit dem Gebet kämpfen als mit unseren Kräften“198; er beschrieb den so schlichten und doch so komplexen Charakter des Gebets199, seine Innerlichkeit, aufgrund welcher er das Gebet mit der Sehnsucht gleichsetzen konnte: „Deine eigentliche Sehnsucht ist dein Gebet: und die fortdauernde Sehnsucht ist ein fortdauerndes Gebet“2“; außerdem stellt er den sozialen Wert des Gebets heraus — „Beten wir für jene, die nicht gerufen worden sind, damit auch sie gerufen werden. Vielleicht ist es ihnen vorherbestimmt, daß ihnen auf unsere Gebete hin gewährt wird, dieselbe Gnade zu empfangen“201 — sowie seine notwendige Verbindung mit Christus, „der für uns betet, in uns betet, und von uns angebetet wird. Er betet für uns als unser Priester; er betet in uns als unser Haupt; er wird von uns angebetet als unser Gott. Erkennen wir daher in ihm unsere Stimme und in uns seine Stimme“202. Mit fortschreitendem Eifer durcheilte Augustinus die einzelnen Stufen des inneren Aufstiegs und erklärte allen den Verlauf dieses Aufstiegs, der umfassend und geordnet ist und vieles einschließt: die Bewegung des Geistes hin zu Kontemplation, Läuterung, Standhaftigkeit und Ruhe, das Vorrücken zum Licht und das Verweilen im Licht203, die Schritte der beginnenden und der fortgeschrittenen, der leidenschaftlichen und der vollkommenen Liebe204, die mit 1571 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN den Seligpreisungen verknüpften Gaben des Heiligen Geistes2115, die Bitten des Vaterunser206, die von Christus gegebenen Beispiele207. Wenn die evangelischen Seligpreisungen das gleichsam übernatürliche Klima erzeugen, in dem der Christ leben soll, so vermitteln die Gaben des Heiligen Geistes die übernatürliche Berührung mit der Gnade, die jenes Klima überhaupt möglich macht; die Vaterunser-Bitten oder im allgemeinen das Gebet, das sich auf diese Bitten beschränkt, liefern die notwendige Nahrung; das Beispiel Christi hält alle dazu an, es als Ideal nachzuahmen; die Liebe stellt die Seele von allem dar, die Quelle der Ausstrahlung und die geheime Kraft des geistlichen Lebens. Kein geringes Lob gebührt dem Bischof von Hippo dafür, daß er die ganze Lehre und ebenso das ganze christliche Leben auf die Liebe zurückgeführt hat. „Das aber ist die wahre Liebe, daß wir als Anhänger der Wahrheit in Gerechtigkeit leben“208. Denn dorthin führt die Heilige Schrift, die als ganze „von Christus erzählt und zur Liebe ermahnt“20'1, auch die Theologie, die daselbst ihr Ziel findet210, die Philosophie211, die Pädagogik212, ja selbst die Politik213. In der Liebe siedelte er das Wesen und Maß der christlichen Vollkommenheit an214, die erste Gabe des Heiligen Geistes215 und die Wirklichkeit, infolge der niemand schlecht sein kann216, das Gut, mit dem man alle Güter besitzt und ohne das man alle übrigen Güter nicht gewinnt. „Besitze die Liebe und du wirst alles besitzen: denn ohne sie wird dir alles, was du besitzen magst, nichts nütze sein“217. Dann erklärte er alle unerschöpflichen Reichtümer der Liebe: sie macht das Schwere leicht218, Altgewohntes neu210, unaufhaltsam die Bewegung zum höchsten Gut hin, weil hier auf Erden die Liebe niemals erfüllt ist220; sie befreit von jedem Streben, das nicht Gott ist221; sie ist nicht zu trennen von der Demut — „wo Demut ist, dort ist Liebe“222 —; sie ist der Wesenskern jeder Tugend — die Tugend ist nämlich nichts anderes als die Ordnung der Liebe223 — und Geschenk Gottes. Dieser letzte Punkt über das Gottesgeschenk ist in der Tat entscheidend, weil er die naturalistische Lebensauffassung von der christlichen unterscheidet und trennt. „Woher kommt in den Menschen die Gottes- und Nächstenliebe, wenn nicht von Gott selber? Wenn sie nämlich nicht von Gott, sondern von den Menschen kommt, haben die Pelagianer gesiegt: wenn sie aber von Gott kommt, haben wir die Pelagianer besiegt“224. Aus der Liebe entstand in Augustinus jener leidenschaftliche Eifer für die kontemplative Versenkung in göttliche Dinge, wie er der Weisheit eigen ist225. Er machte oft die Erfahrung der höchsten Formen kontemplativer Versenkung, nicht nur jene berühmte von Ostia226, sondern auch andere. „Ich tue das oft“ — er spricht von seiner Gewohnheit, über die Schrift zu meditieren, um nicht von den belastenden Geschäften erdrückt zu werden — „Es ist meine Freude, und soweit ich vom Zwang der Geschäfte mich entspannen kann, flüchte ich in die- 1572 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN se Wonne... Zuweilen tauchst Du mich in eine völlig ungewohnte Regung einer innerlichen Wonne, und wenn sie sich in mir erfüllt, weiß ich nicht mehr, was dann noch kommen soll, da sie mit diesem Leben ja nichts mehr gemeinsam hat“227. Wenn man diese Erfahrungen zum theologischen und psychologischen Scharfsinn des Augustinus und zu seiner einzigartigen schriftstellerischen Begabung hinzufügt, versteht man, warum er die Schritte des mystischen Aufstiegs mit derartiger Genauigkeit beschrieben hat, daß manch einer ihn den Meister der Mystiker nennen konnte. Trotz seiner vorherrschenden Liebe zur kontemplativen Versenkung und Meditation nahm Augustinus die Bürde des Bischofsamtes an und ermahnte die anderen, das Gleiche zu tun, indem sie mit demütigem Herzen auf den Ruf der Mutter Kirche antworteten228; aber auch durch sein Beispiel und seine Schriften lehrte er sie, wie auch inmitten der Verpflichtungen des Hirtenamtes der Geschmack an Gebet und Kontemplation gewahrt werden könne. Es lohnt sich daher, hier die übrigens bereits berühmt gewordene Zusammenfassung wiederzugeben, die in dem Werk Überden Gottesstaat zu finden ist. „Die Liebe zur Wahrheit sucht die heilige Ruhe: die Notwendigkeit der Liebe akzeptiert die rechtmäßige Aufgabe. Wenn einem niemand diese Last auferlegt, muß man sich der Suche und Betrachtung der Wahrheit widmen: wenn sie einem aber auferlegt wird, muß sie der Notwendigkeit der Liebe wegen angenommen werden: aber auch in diesem Fall darf der Genuß an der Wahrheit nicht preisgegeben werden, damit nicht nach Entzug dieser Wonne jene Notwendigkeit zum Druck wird“229. Diese so tiefe hier dargelegte Lehre würde verdienen, daß man ausführliche und intensive Überlegungen darüber anstellt. Das wird leichter und wirksamer, wenn man auf Augustinus selbst blickt, der ein leuchtendes Beispiel dafür bot, wie jene beiden scheinbar widersprüchlichen Aspekte des christlichen Lebens — Gebet und aktives Tun — miteinander versöhnt, miteinander vereint werden können. III. Der Bischof Es wird angebracht sein, einen besonderen Gedanken auch dem pastoralen Wirken dieses Bischofs zu widmen, den zu den größten Bischöfen der Kirche zu zählen niemand zögern wird. Diese Tätigkeit ging ebenfalls aus seiner Bekehrung hervor, weil aus dieser Quelle sein Vorsatz entsprang, Gott zu dienen. „Nun liebe ich dich allein ..., dir allein zu dienen bin ich bereit“230. Als er sich aber später bewußt geworden war, daß dieser Dienst auf die Erfüllung des Hirtenamtes ausgeweitet werden sollte, zögerte er nicht, es anzunehmen; voll Demut, mit ängstlichem und betrübtem Herzen, doch um Gott und der Kirche zu gehorchen, nahm er die Bürde auf sich231. 1573 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die drei Bereiche dieses pastoralen Wirkens, die sich, drei konzentrischen Kreisen gleich, ständig ausweiteten, waren: die Ortskirche von Hippo, die nicht groß, aber unruhig und arm war; die unglücklicherweise zwischen Katholiken und Donatisten gespaltene afrikanische Kirche; und die vom Heidentum und von den Manichäern bekämpfte und von häretischen Bewegungen beunruhigte Universalkirche. Er sah sich in allen diesen Bereichen als Diener der Kirche, ja als „Diener Christi und durch ihn als Diener der Diener Christi“232, während er aus diesem Grundsatz alle, auch die mutigsten Konsequenzen zog, z. B. sein Leben für die Gläubigen hingeben zu wollen231. Denn.er flehte den Herrn um die Kraft an, sie so zu lieben, daß er willens und bereit sei, „tatsächlich oder in seiner Entschlossenheit“ für sie zu sterben234. Er war schon längst davon überzeugt, daß jemand, der, mit der Führung des Volkes betraut, diese innere Bereitschaft vermissen läßt, erst recht ein Bischof, einer Vogelscheuche aus Spreu, wie sie im Weinberg aüfgestellt wird, sehr ähnlich ist235. Er will nicht wohlbehalten sein ohne seine Gläubigen236 und ist zu jedem Opfer bereit, nur um die Irrenden auf den Weg der Wahrheit zurückzurufen237. In einem Augenblick höchster Gefahr, beim Vandaleneinfall, wies er die Priester mit aller Strenge an, auch unter eigener Lebensgefahr bei den Gläubigen zu bleiben238; mit anderen Worten: er wollte, daß die Bischöfe und Priester den Gläubigen so dienen, wie Christus selbst ihnen gedient hat. „In welchem Sinne der Vorsitzende Bischof Diener ist, wollen wir sehen. In dem Sinne, in dem der Herr selbst Diener war“237. Das war immer der Plan für sein Handeln. In seiner Diözese, aus der er sich nur entfernte, wenn es dringend notwendig war24", war er unermüdlich in den einzelnen Aufgaben eines guten Bischofs tätig: im Predigtdienst — er predigte am Samstag und am Sonntag und oft die ganze Woche241 —, in der Katechese242, in der sogenannten „Bischofsaudienz“, die den ganzen Tag dauerte, so daß er sogar auf das Essen verzichten mußte243, in der Sorge für die Armen244, in der Unterweisung des Klerus245, in der Führung der Mönche, von denen viele ins Priester- und ins Bischofsamt berufen wurden246, und der Nonnenklöster247. Als er starb, „hinterließ er der Kirche einen zahlenmäßig starken Klerus sowie Männer- und Frauenklöster, die voll waren mit enthaltsam lebenden Personen unter ihren Oberen, dazu noch die Bibliotheken“248, Ebenso unermüdlich verwendete er sich auch für die afrikanische Kirche: immer wenn er zum Predigen irgendwohin gerufen wurde, erfüllte er seine Aufgabe247: er nahm ungeachtet der Schwierigkeiten der Reise an den häufigen Regionalkonzilien teil, wo er sich mit Klugheit, Eifer und Leidenschaft um die Behebung des Schismas mit den Donatisten bemühte, durch das die Kirche in zwei Teile zerrissen wurde. Das war seine größte Anstrengung und wegen des glück- 1574 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN liehen Ausgangs sein größtes Verdienst. In zahllosen Werken erläuterte er die Geschichte und die Lehre der Donatisten, legte die katholische Lehre über das Wesen der Sakramente und der Kirche vor; er förderte eine ökumenische Begegnung zwischen katholischen Bischöfen und Donatistenbischöfen, der er durch seine persönliche Anwesenheit Leben verlieh, auf der er Vorschläge machte und erreichte, daß sämtliche Hindernisse für die Wiederversöhnung beseitigt wurden, nachdem unter anderem auch durchgesetzt worden war, daß Donatistenbischöfe auf das Bischofsamt verzichteten250; er verbreitete dann die Schlußdekrete dieser Versammlung251 und machte sich überglücklich auf den Weg und an das Werk der Festigung des Friedens252. Verfolgt und mit dem Tode bedroht, entkam er einmal den Händen der donatistischen „Circumcel-lionen“ (das waren anti-römische, religiös-sozialistische, bewaffnete Schwärmer) nur deshalb, weil ihr Führer den Weg verfehlt hatte253. Zudem verfaßte er zum Nutzen der Universalkirche so viele Werke, schrieb so viele Briefe, hielt so viele Streitgespräche. Die Manichäer, die Pelagianer, die Arianer und die Heiden wurden alle von seiner pastoralen Sorge umgeben zur Verteidigung des katholischen Glaubens. Unermüdlich arbeitete er Tag und Nacht254. In seinen letzten Lebensjahren diktierte er noch nachts ein Werk und ein anderes, wenn er etwas Zeit hatte, am Tag255. Als er 76jährig starb, hinterließ er drei unvollendete Schriften. Sie sind der sprechendste Beweis, das eindrucksvollste Zeugnis für seinen unendlichen Eifer und seine unvergleichliche Liebe zur Kirche. TV. Augustinus an die Menschen von heute Diesen außergewöhnlichen Mann wollen wir, ehe wir schließen, fragen, was er den Menschen unserer Zeit zu sagen habe. Ich glaube, es ist in der Tat viel, was er uns sowohl durch sein Beispiel als auch durch seine Lehre zeigen könnte. Den, der die Wahrheit sucht, lehrt er, nicht die Hoffnung aufzugeben, daß er sie einmal finden werde. Das erläutert er durch sein Beispiel — nach vielen Jahren mühsamen Suchens hat er sie schließlich wiedergefunden — und durch seine schriftstellerische Tätigkeit, deren Programm er im ersten nach seiner Bekehrung geschriebenen Brief festlegt. „Mir scheint, die Menschen müßten sich... auf die Hoffnung zurückziehen, die Wahrheit zu finden“256. Er mahnt daher, „fromm, uneigennützig und eifrig“ die Wahrheit zu suchen257, zu überwinden: jeden Skeptizismus durch die Rückkehr zum eigenen Inneren, wo die Wahrheit wohnt258, den Materialismus, der den Geist daran hindert, seine unauflösliche Verbundenheit mit der erkennbaren Wirklichkeit zu erfassen259, das allzu große Vertrauen in die Vernunft (den Rationalismus), der dadurch, daß er die Zusammenarbeit mit dem Glauben verweigert, sich in die Lage bringt, das „Geheimnis“ des Menschen nicht zu verstehen260. 1575 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Den Theologen aber, die sich verdienstvollerweise um die Erforschung und Vertiefung der Glaubenslehre bemühen, hinterläßt er das gewaltige Erbe seines größtenteils noch immer gültigen Denkens und insbesondere die theologische Methode, der er selber unerschütterlich treu geblieben ist. Wir wissen, daß zu dieser theologischen Methode der volle Gehorsam gegenüber der Autorität des Glaubens gehörte, die ihrem Ursprung nach eine ist — nämlich die Autorität Christi261 — und die sich durch die Heilige Schrift, die Überlieferung und die Kirche kundtut; der glühende Wunsch, den eigenen Glauben zu verstehen — „Verstehen liebe ich sehr“262, sagt er zu den anderen und wendet es auf sich selbst an263 —; das tiefe Gespür für das Mysterium — „besser ist nämlich“, ruft er aus, „gläubige Unwissenheit als unbesonnenes Wissen“264 — und die feste Gewißheit im Herzen, daß die christliche Lehre von Gott kommt und daher eine Eigenheit besitzt, die nicht nur in allen Teilen gewahrt werden muß — das ist die „Jungfräulichkeit“ des Glaubens, von der er sprach —, sondern auch als leuchtender Maßstab für die Beurteilung übereinstimmender oder widersprüchlicher philosophischer Lehrmeinungen dienen soll265. Jedem ist bekannt, wie sehr Augustinus die Heilige Schrift liebte, — er preist ihren göttlichen Ursprung266, ihren irrtumsfreien Charakter267, ihre Tiefe und ihren unerschöpflichen Reichtum268 — und wie ausgiebig er sie studierte. Aber er studiert und will, daß man die ganze Schrift studiert, damit ihr wahres Denken oder, wie er sagt, ihr „Herz“267 in strahlendes Licht getaucht wird, indem es, wo nötig, mit sich selbst in Einklang gebracht wird2™. Diese Voraussetzungen hält er für grundlegend für das Verständnis der Heiligen Schrift. Deshalb liest er sie in der Kirche und trägt der Überlieferung Rechnung, deren Eigenart271 und zwingende Kraft272 er nachdrücklich herausstellt. Berühmt ist sein Ausspruch: „Ich würde nicht an das Evangelium glauben, wenn mich nicht die Autorität der katholischen Kirche dazu anhielte“273. In den Auseinandersetzungen, die über die Auslegung der Heiligen Schrift entstanden sind und entstehen, rät er, „mit heiliger Demut, mit katholischem Frieden, mit christlicher Liebe“ zu diskutieren, bis die Wahrheit selbst aufgedeckt wird, die Gott „in den Stuhl der Einheit... gelegt hat“274. Dann wird sich heraussteilen, daß der Streit nicht vergebens entstanden ist, weil sich aus ihm „eine Gelegenheit zum Lernen ergab“275 und auch ein Fortschritt im Glaubensverständnis gemacht wurde. Um noch ein paar ähnliche Elemente der Lehre des Augustinus für die Menschen der heutigen Zeit anzuführen, möchte ich meinen, daß er den Suchern und Denkern das Doppelthema vorlegt, bei dem sich der menschliche Verstand aufhalten soll: Gott und Mensch. Augustinus richtet an sich selbst die Frage: „Was will ich wissen?“, und er antwortet: „Gott und die Seele will ich wissen“. Nicht mehr? Nein, sonst nichts276. Und vor dem traurigen Schauspiel 1576 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN des Übels in der Welt mahnt er sie, darauf zu vertrauen, daß schließlich das Gute siegen wird, jene Gottesstadt, „wo der Sieg Wahrheit, die Würde Heiligkeit, der Friede Glückseligkeit und das Leben Ewigkeit ist“277. Die Wissenschaftler und Gelehrten fordert er auf, in der Schöpfung die Spur Gottes zu erkennen278 und in der Harmonie des Universums die „Samen“ zu entdecken, die Gott ausgesät hat2715. Den Menschen aber, denen das Geschick der Völker anvertraut ist, rät er leidenschaftlich, vor allen Dingen den Frieden zu lieben280 und ihn nicht durch Kampf, sondern mit friedlichen Mitteln zu fördern, weil es — wie er sehr weise schreibt — „ein größerer Ruhm ist, den Krieg durch das Wort zu töten als Menschen durch das Schwert und den Frieden durch Frieden und nicht durch Krieg anzustreben und zu erreichen“281. Schließlich möchte ich mit Recht ein Wort der Jugend widmen, die Augustinus sowohl vor seiner Bekehrung als Rhetoriklehrer282 wie später als Bischof sehr geliebt hat283. Ihr ruft er in einprägsamer Weise jene drei großen Begriffe — seine Lieblingsbegriffe — in Erinnerung: Wahrheit, Liebe, Freiheit, drei Güter, die eng miteinander Zusammenhängen. Er spornt sie an, die Schönheit besonders zu schätzen, deren großer Liebhaber er war284; er meint damit nicht nur die Schönheit der Körper, die die Schönheit des Geistes in Vergessenheit geraten lassen könnte285, noch allein die Schönheit der Kunst286, sondern die der Tugend innewohnende Schönheit287, und vor allem die ewige Schönheit Gottes, von der jede Schönheit der Körper, der Kunst und der Tugend herrührt; denn für ihn ist Gott „die Schönheit alles Schönen“288, „in dem und von dem und durch den alles gut und schön ist, was gut und schön ist“289. In Erinnerung an die Jahre, die seiner Bekehrung vorausgegangen sind, bedauert er mit Bitterkeit, erst so spät diese Schönheit geliebt zu haben, die er „ewig alt und ewig neu“ nennt290, und er warnt die Jugend, ihn darin nicht nachzuahmen, sondern dadurch, daß sie, indem sie die Schönheit immer und vor allen Dingen liebt, in ihr den inneren Glanz ihrer Jugend bewahrt291. V Schluß Ich wollte auf diese Weise der Bekehrung des heiligen Augustinus gedenken und die Lehren dieses unvergleichlichen Mannes kurz zusammenfassen, als dessen Söhne und Schüler wir uns wohl alle in der Kirche und im Abendland fühlen. Ich spreche noch einmal den herzlichen Wunsch aus, daß seine Lehre erforscht und noch weiter bekannt gemacht und sein pastoraler Eifer überall nachgeahmt werden möge, damit die Lehre dieses großen Lehrers und heiligen Dieners in der Kirche und in der Welt erfolgreich weiterbestehe zum Nutzen des Glaubens und der menschlichen Kultur. 1577 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der 1600. Jahrestag der Bekehrung des hl. Augustinus bietet eine sehr günstige Gelegenheit, die Augustinusstudien zu verstärken und die Verehrung für ihn zu verbreiten. Zu diesem Engagement und Ziel rufe ich aber ganz besonders die Ordensleute — Männer und Frauen — auf, die sich seines Namens und Erbes rühmen oder in irgendeiner Form seiner Regel folgen, und fordere sie auf, von dieser sich bietenden Gelegenheit weithin Gebrauch zu machen und das vielfältige Vorbild und Ideal der Weisheit und Heiligkeit des hl. Augustinus zu erneuern und eifriger denn je zu verbreiten. Bei den verschiedenen Initiativen und Feiern, die aus diesem Anlaß überall organisiert worden sind, werde ich mit dankbarem Herzen und guten Wünschen geistig anwesend sein; auf jede einzelne von ihnen rufe ich den himmlischen Schutz und die Hilfe der Jungfrau Maria herab, die der Bischof von Hippo als Mutter der Kirche gepriesen hat2''2, mit dem Apostolischen Segen, den ich mit diesem Brief von Herzen erteilen will. Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 28. August 1986, Fest des hl. Augustinus, Bischof und Lehrer der Kirche, im achten Jahr meines Pontifikates. PAPST JOHANNES PAUL II. Anmerkungen 1 Cölestin I., Schreiben Apostolici verba (Mai 431): PL 50, 530 A. 2 Vgl. Leo XIII., Enzyklika Actemi Patris (4. August 1879): Ada Leonix XIII, I, Rom 1881, 270. 2 Vgl. Pius XL, Enzyklika Ad sahtlcm lutmani generis (22. April 1930): AAS 22 (1930), 233. 4 Paul VI., Ansprache an die Milglieder des Augustinerordens bei Einweihung des Patristikinstituls „Au-gustinianum“ am 4. Mai 1970: AAS 62 (1970), 426. 5 Johannes Paul II., Ansprache an die Professoren und Studenten des Patristikinstituls „Augustinia-num" heim Besuch desselben am 8. Mai 1982: AAS 74 (1982), 800. Johannes Paul II., Ansprache an das Generalkapitel des Augustinerordens am 25. August 1983: In-segnamenti VI/2 (1983), 305; Deutsch: DAS 1983, 1052. 7 Hl. Augustinus, Senn. 93,4; 213,7: PL, 38,575; 38, 1063. „Im folgenden handelt cs sich, wenn der Name des Verfassers nicht angegeben ist, immer um Augustinus“ « Vgl. De heata vita 4: PL 32,961; Contra Acad. 2,2,4-6: PL 32,921-922; Solil. 1,1,1-6: PL 32,869-872. “ De dono persev. 20,53: PL 45,1026. 1,1 Vgl. Confess., 1,11,17; PL 32,669. 11 Vgl. Confess. 9,8,17-9,13,17: PL 32,771-780. 12 Vgl. Confess. 6,5,8: PL 32,723. 12 Confess. 3,4,8,: PL 32,686; cbd. 5,14,25: PL 32,718. 14 Contra Acad. 2,2,5: PI. 32,921. 15 Confess. 3,4,7: PL 32,685. 1,1 Confess. 3,6,10: PL 32,687. 17 De bcata vita 4: PL 32,961. '« Senn. 51.5,6: PL 38,336. 17 De utilitate crcd. 1,2: PL 42,66. 211 Ehd. 21 Vgl. Confess. 5.3,3: PL 32,707. 22 Vgl. Confess. 5,10,19; 5,13,23; 5,14,24; PL 32,715,717,718. 1578 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 23 De hcata vita 4: PL 32,961; Vgl. Confess. 5,9,19; 5,14,25; 6,1,1: PL 32,715,718,719. 24 Vgl. De utilitate credendi 8,20: PL 42,78-79. 25 Confess. 6,11,18: PL 32,729. 2.1 Vgl. Confess. 3,12,21: PL 32,694. 27 Vgl. Contra Acad. 3,20,43: PL 32,957; Confess. 6,5,7: PL 32,722-723. 28 De online 2,9,26: PL 32, 1007. Vgl. Confess. 7,19,25: PL 32,746. 311 Vgl. Confess. 6,5,7; 6,11,19; 7,7,11: PL 32,723,729,739. 31 Vgl. Confess. 7,7,11: PL 32,739. 32 Confess. 7,10,16: PL 32,742. 33 Vgl. Confess. 7,1,1; 7,7,11: PL 32,733,739. 34 Vgl. Cw;/e.v.v. 7,5,7: PL 32,736. 35 Confess. 7,12,19: PL 32,743. 3.1 Vgl. Confess. 7,12,18: PL 32,743. 37 Vgl. Confess. 7,3,5: PL 32,735. 38 Confess. 8,10,22: PL 32,759; Cfr. eftrf. 8,5,10-11: PL 32,753-754. Vgl. Co/?/e.v.v. 7,17.23: PL 32,744-745. 4.1 Vgl. Confess. 7,21,26: PL 32,749. 41 Cwi/e.v.v. 7.21,27: PL 32,747. 42 CoHfro /kW. 2,2,6: PL 32,922. 43 Vgl. Confess. 7,21,27: PL 32,748. 44 Co/z/e.s.v. 1,11,17: PL 32,669. 45 Vgl. Confess. 6,11,18; 8,7,17: PL 32,729,757. 48 Vgl. Con/e.v.v. 8,5,11-12: PL 32,754. 47 Vgl. Confess. 6,12,21: PL 32,730. 48 Vgl. Confess. 6,6,9: PL 32,723. 47 Vgl. Confess. 6,15,25: PL 32,732, 511 Vgl. Confess. 8,1,2: PL 32,749. 51 Vgl. Confess. 8,6,13-15: PL 32,755-756. 32 Confess. 8,11,27: PL 32,761. 53 Vgl. Confess. 8,7,16-12: PL 32,756-762. 54 Confess. 8,12,30: PL 32,762. 55 Vgl. Confess. 9,2,2-4: PL 32,763. 58 Vgl. Confess. 9,4,7-12: PL 32,766-769. 37 Vgl. Confess. 9,5,13: PL 32,769. 58 Confess. 9,6,14: PL 32,769. 5l) Confess. 9,6,14: PL 32,769. “ Vg|. Confess. 9,12,28s.: PL 32,775s. 81 Vgl. De mor. Eccl. cath. 1,33,70: PL 32,1340. 1.2 Possidius, Vita S. Angnstini, 3,1: PL 32,36. 83 Vgl. Serm. 355,2: PL 39,1569. 64 Vgl. Possidius, Vita s. Angnstini 11,2: PL 32,42. 85 Vgl. L. Verhcijcn, La regle de saint Augustin, Paris 1967 1-11. 88 Confess. 9,2,3: PL 32,764; Cfr. ebd. 10,6,8: PL 32,782. 87 Tractatus in Io 26,5: PL 35,1609. 88 De Tritt. 1,5,8: PL 42,825. m Contra Acad. 3,20,43: PL 32,957. 711 Vgl. De ordine 2,9,26: PL 32,1007. 71 Senn. 43,9: PL 38,258. 72 Vgl. De utilitate credendi: PL 42,65-92. 73 Vgl. Confess. 6,4,6: PL 32,722; De senn. Domini in monte 2,3,14: PL 34,1275. 74 Vgl. Ep. 118,5,32: PL 33,447. 75 Vgl. Senn. 51,5,6: PL 38,337. 78 Vgl. De quantitate animae 7,12: PL 32,1041-1042. 77 De vera relig. 24,45: PL 34,1041-1042. 1579 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 78 Ep. 120,2,8: PL 33,456. 79 De praed. sanctorum 2,5: PL 44,962-963. 8.1 Contra ep. Man. 4,5: PL 42,175. 81 Vgl. z. B. De civ. Dei 2,29,1-2: PL 41,77-78. 1.2 De civ. Dei 19,17: FL 41,645. 83 Vgl. Solil. 1,2,7: PL 32,872. 84 Con/m. 1,5,5: FL 32,663. 85 Serm. 117,5: PL 38,673. 86 Ep. 120,3,13: PL 33,459. 87 De Trin. 5,1,2: FL 42,912; Vgl. Confess. 4,16,28: FL 32,704. 88 De du Dei 8,4: FL 41,228. 87 De du Dei 8,10,2: FL 41,235. 9.1 Con/ara. 9,4,10: FL 32,768. 1.1 Vgl. Confess. 1,4,4: PL 32,662. 1.2 Ep. 787,4,14: FL 33,837. 93 Vgl. De magisiro 11,38-14,46: FL 32,1215-1220. 94 Vgl. Confess. 13,9,10: PL 32,848-849. 95 Con/esr. 3,6,11: FL 32,637-688. 96 Confess. 10,27,38: FL 32,795. 97 Confess. 5,2,2: FL 32,707. 98 Con/e.ss. 1,1,1: FL 32,661. 99 De Froi. 14,8,11: FL 42,1044. 1.1.1 De Trin. 14,4,6: PL 42,1040. 1(11 De ciu Dei 12,1,3: FL 41,349. H)2 £)e vera reiig 39J2: FL 34,154. I, 13 Vgl. Confess. 13,9,10: FL 32,848-849. uw Vgl. De coniugali 1,1: PL 40,373. II, 5 De civ Dei 12,27: FL 41,376. 1,1(1 Confess. 4,14,22: PL 32,702. 107 Con/ess. 4,4,9: PL 32,697. 1,18 GS 10; Vgl. Nr. 12-18. 1119 De civ Dei 12,27: PL 41,376. 11(1 De Trin. 13,19,24: PL 42,1034. 111 £>. 118,5,33: FL 33,448. 112 De civ Dei 11,10,1: FL 41,325. 113 De Trin. 4,20,29: FL 42,908. 114 Vgl. De Trin. 15,17,29: FL 42,1081. 115 Vgl. De Tri«. 15,27,50: FL 42,1097; eM. 1,5,8: PL 42,824-825 et 9,12,18: FL 42,970-971 11(1 De Trin. 1,2,4: FL 42,822. 117 Vgl. Ccm/ers. 7,19,25: FL 32,746. 118 De dono peraeu 24,67: FL 45,1033-1034. 119 Serm. 186,1,1: PL 38,999. 12.1 Serm. 294,9: PL 38,1340. 121 Serm. 293,7: FL 38,1332. 122 Vgl. Tractatus in Io 66,2: PL 35,1810-1811. 123 Vgl. Serm. 47,12-20: PL 38,308-312. 124 Vgl. Confess. 10,42,68: PL 32,808. 125 De ciu Dei 10,32,2: FL 41,315. 126 Vgl. De Trin. 4,13,17: PL 42,899. 127 Vgl. De Trin. 4,13,16: PL 42,898. 128 Vgl. De Trin. 4,14,19: PL 42,901. 129 De gratia Christi et de pecc. orig. 2,24,28: FL 44,398. 13.1 Serm. 151,5: FL 38,817. 131 Enarr. in ps. 70, d. 2,1: PL 36,891. 132 De nupt. et concup. 2,12,25: FL 44,450-451. 1580 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN De pecc. mer. et rem. 1,26,39: PL 44,131. Tractatus in Io 21,8: PL 35,1568. Serm. 267,4: PL 38,1231. Serm. 71,12,18: PL 38,454. Serm. 71,20,33: PL 38,463-464. Vgl. LG 13-14; 21 usw. Vgl. De civ. Dei 1,35; 18,50: PL 41,46; 612, Vgl. z. B. De unitate Ecclesiae: PL 43,391-446. Ep. 43,7: PL 33,163. Vgl. De civ. Dei 18,51: PL 41,613. Vgl. Retract 2,18: PL 32,637. Vgl. Confess. 6,11,18: PL 32,728-729. De mor. Eccl. cath. 1,30,62: PL 32,1336. Vgl. Confess. 7,7,11: PL 32,739. Vgl. Ep. 48,2: PL 33,188. Serm. 22,10: PL 38,154. Vgl. z. B. Psalmus contra partem Donati epilogus: PL 43,31-32. Vgl. Tractatus in Io 6,15: PL 35,1432. De catech. rud. 15,23: PL 40,328. Vgl. Serm. 188,4: PL 38,1004. Vgl. Confess. 7,7,11: PL 32,739. Vgl. De bapt. 3,2,2: PL 43,139-140. Contra litt. Petil 3,9,10: PI 43,353. Vgl. Enarr. in ps. 88, d. 2,14: PL 37,1140. Tractatus in Io 32,8: PL 35,1646. Vgl. Confess. 8,10,22; 7,18,24: PL 32,759-745. Vgl. z. B. Confess. 8,9,21; 8,12,29: PL 32,758-759; 762. Vgl. De libero arb. 3,1,3: PL 32,1272; De duabus animabus 10,14: PL 42,104-105. Vgl. Confess. 4,3,4: PL 32,694-695. Vgl. De civ. Dei 5,8: PL 41,148. Vgl. De libero arb. 3,4,10-11: PL 32,1276; De civ Dei 5,9,1-4: PL 41,148-152. Ep. 157,2,10: PL 33,677. Serm. 169,11,13: PL 38,923. Vgl. De gratia et lib. arb. 2,2-11,23: PL 44,882-895. Vgl. Ep. 214,6: PL 33,970. Vgl. De pecc. mer. et rem. 2,18,28: PL 44,124-125. Vgl. De gratia Christi et de pecc. orig. 47,52: PL 44,383-384. Ep. 214,2: PL 33,969. De natura et gratia 43,50: PL 44,271; Vgl. Conc. Trid., D-S. De natura et gratia 26,29: PL 44,261. Vgl. Ep 130: PL 33,494-507. De dono persev. 16,39: PL 45,1017. De pecc. mer. et rem. 2,17,26: PL 44,167. De spiritu et littera 3,5: PL 44,203. Contra duas epp. Pei 4,5,11: PL 44,617. Ep. 105,2,10: PL 33,400. Vgl. De libero arb. 2,13,37: PL 32,1261. De corrept. et gratia 12,33: PL 44,936. Vgl. Confess. 8,5,10; 8,9,21: PL 32,753; 758-759. Vgl. Confess. 9,4,10: PL 32,768. Vgl. De vera relig. 10,19: PL 34,131. Vgl. Enarr. in ps. 70, d. 2,3: PL 36,893. Vgl. Ep. 187: PL 33,832-848. Enarr. in ps. 49,2: PL 36,565. Vgl. De pecc. mer. et rem. 2,7,9: PL 44,156-157; Serm. 166,4: PL 38,909. 1581 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 188 Tractatus in lo 26,25: PL 35,1607-1609. 1811 Contra lulianum 3,112: PL 45,1296. 11.11 De gratia Christi et de pecc. orig. 1,13,14: PL 44,368. 11.1 Ep. 167,6,19: PL 33,740. 11.2 Enarr. in ps. 101, d. 2,10: PL 37,1311-1312. I, 3 Vgl. Confe.ss. über 11: PL 32,809-826. II, 4 Tractatus in Io 38,10: PL 35,1680. 11,5 De Gen. ad Litt. 11,15,20: PL 34,437. 1% De civ. Dei 19,13: PL 41,840. 11.7 Confess. 9,13,37: PL 32,780. 11.8 Contra lulianum 6,15: PL 45,1535. IW Vgl. De serm. Domini in monte 2,5,14: PL 34,1236. 2(1,1 Enarr. in ps. 37,14: PL 36,404. 2.11 De dono persev. 22,60: PL 45,1029. 2.12 Enarr. in ps. 85,1: PL 37,1081. 2.13 Vgl. De quantitate animae 33,73-76: PL 32m, 1075-1077. 2(14 Vgl. De natura et gratia 70,84: PL 44,290. 2,15 Vgl. De serm. Domini in monte 1,1,3-4: PL 34, 1231-1232; De doctr. Christ. 2,7,9-11: PL 34,39-40. 211.1 Vgl. De serm. Domini in monte 2,11,38: PL 34,1286. 2.17 Vgl. De sancta virginitate 28,28: PL 40,411. 2.18 De Tritt. 8,7,10: PL 42,956. 2m De catech. rudihus 4,8: PL 40,315. 21.1 Vgl. De Trin. 14,10,13: PL 42,1047. 211 Vgl. Ep. 137,5,17: PL 38,524. 212 Vgl. de catech. rudihus 12,17: PL 40,323. 213 Vgl. Ep. 137,5,17; 138,2,15: PL 38,524; 531-532. 214 Vgl. De natura et gratia 70,84: PL 44,290. 215 Vgl. Tractatus in Io 87,1: PL 35,1852. 21.1 Vgl. Tractatus in cp. Io 7,8; 10,7: PL 35,1441; 1470-1471. 217 Tractatus in Io 32,8: PL 35,1646. 218 Vgl. De hono viduitatis 21,26: PL 40,447. 217 Vgl. De catech. rudihus 12,17: PL 40,323. 22.1 Vgl. Serm. 169,18: PL 38,926; De perf. iust. hom: PL 44,291-318. 221 Vgl. Enarr. in ps. 53, 10: PL 36,666-667. 222 Tractatus in cp. Io, pro/.: PL 35, 1977. 223 Vgl. De civ. Dei 15,22: PL 41,467. 224 De gratia et lih. arb. 18,37: PL 44,903-904. 225 Vgl. De Trin. 12,15,25: PL 42,1012. 22.1 Vgl. Confess. 9,10,24: PL 32,774. 227 Confess. 10,40,65: PL 32,807. 228 Vgl. Ep. 48,1: PL 33,188. 227 De civ. Dei 19,19: PL 41,647. 23.1 Solil. 1,1,5: PL 32,872. 231 Vgl. Serm. 335,2: PL 39, 1569. 232 Ep. 217: PL 33,978. 233 Vgl. Ep. 91,10: PL 33,317-318. 234 Miscellanea Ag., 1,404. 235 Vgl. Miscellanea Ag., 1,568. 23.1 Vgl. Serm. 17,2: PL 38,125. 237 Vgl. Serm. 46,7,14: PL 38,278. 238 Vgl. Ep. 128,3: PL 33,489. 23‘f Miscellanea Ag., 1,565. 24.1 Vgl. Ep. 122,1: PL 33,470. 241 Vgl. Miscellanea Ag. 1, 353: Tractatus in Io 19-22: PL 35,1543-1582. 242 Vgl. De catech. rudihus: PL 40,309s. 1582 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 243 Vgl. Possidius, Vita S. Augustini 19,2,5: PL 32,57. 244 Vgl. Possidius, ebd. 24,14-25: PL 32,53-54; Senn. 25,8: PL 38,170; Ep. 122,2: PL 33,471-472. 245 Vgl. Serm. 335,2: PL 39,1569-1570; Ep. 65: PL 33,234-235. 246 Vgl. Possidius, Vita S. Augustini, 11,1: PL 32,42. 247 Vgl. Ep. 211,1-4: PL 33,965. 248 Possidius, Vita S. Augustini, 31,8: PL 32,64. 249 Vgl. Retract., prol 2: PL 32, 584. 25(1 Vgl. Ep. 128,3: PL 33,489; De gestis cum Emerito 1: PL 43,702-703. 251 Vgl. Post collationem contra Donatistas: PL 43,651-690. 252 Vgl. Possidius, Vita S. Augustini 9-14: PL 32,40-45. 253 Vgl. Possidius, ebd. 12,1-2: PL 32,43. 254 Vgl. Possidius, ebd. 24,11: „...in die laborans et in nocte lucubrans“: PL 32,54. 255 Vgl. Ep. 224,2: PL 33,1001-1002. 256 Ep. 1,1: PL 33,61. 257 De quantitate animae, 14,24: PL 32,1049; Cfr. De vera relig. 10,20: PL 34,131. 258 Vgl. De vera relig. 39,72: PL 34,154. 257 Vgl. Retract. 1,8,2: PL 32,594; 1,4,4: PL 32,590. 260 Ep. 118,5,33: PL 33,448. 261 Vgl. Contra Acad. 3,20,43: PL 32,957. 262 Ep. 120,3,13: PL 33,458. 263 Vgl. De Trin. 1,5,8: PL 42,825. 264 Serm. 27,4: PL 38,179. 265 Vgl. De doctrina Christ. 2,40,60: PL 34,55; De civ. Dei 8,9: PL 41,233. 266 Vgl. Enarr. in ps. 90, d. 2,1: PL 37, 1159-1160. 267 Vgl. Ep. 28,3,3: PL 33,112; 82,1,3: PL 33,277. 268 Vgl. Ep. 137,1,3: PL 33,516. 269 De doctrina Christ. 4,5,7: PL 34,91-92. 270 Vgl. De perf. iust. hom. 17,38: PL 44,311-312. 271 Vgl. De baptismo 4,24,31: PL 43,174-175. 272 Vgl. Contra lulianum 6,6-11: PL 45,1510-1521. 273 Contra ep. Man. 5,6: PL 42,176; Vgl. C. Faustum 28,2: PL 42,485-486. 274 Ep. 105,16: PL 33,403. 275 De civ. Dei 16,2,1: PL 41,477. 276 Soli!. 1,2,7: PL 32,872. 277 De civ. Dei 2,29,2: PL 41,78. 278 Vgl. De diversis quaestionibus 83, q. 46,2: PL 40,29-31. 279 Vgl. De Gen. ad. litt. 5,23,44-45; 6,6,17-6,12,20: PL 34,337-338; 346-347. 280 Vgl. Ep. 189,6: PL 33,856. 281 Ep. 229,2: PL 33,1020. 282 Vgl. Confess. 6,7,11-12: PL 32,725; De ordine 1,10,30: PL 32,991. 283 Vgl. Ep. 26; 118; 243; 266: PL 33,103-107; 431-449; 1054-1059; 1089-1091. 284 Vgl. Confess. 4,13,20: PL 32,701. 285 Vgl. Confess. 10,8,15: PL 32,785-786. 286 Vgl. Confess. 10,34,53: PL 32,801. 287 Vgl. Ep. 120,4,20: PL 33,462. 288 Confess. 3,6,10: PL 32,687. 289 Solil. 1,1,3: PL 32,870. 2911 Confess. 10,27,38: PL 32,795. 291 Vgl. Ep. 120,4,20: PL 33,462. 292 Vgl. De sancta virginitate, 6,6: PL 40,339. 1583 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Man muß glauben, aber man muß auch handeln“ Predigt bei der Eucharistiefeier in Anagni am 31. August Du, Herr, bist der Vater der Armen. 1. Gemeinsam haben wir diesen Vers des Antwortpsalmes gesungen, der gleichsam den Leitfaden des gesamten Wortgottesdienstes bildet, den ich mit euch in dieser historischen Kathedrale feiern darf. „Die Gerechten freuen sich ...sie jauchzen in heller Freude. Singet für Gott, spielt seinen Namen; Herr ist sein Name“ (vgl. Ps 68, 4 f.). Die Freude, zu der wir eingeladen sind, besteht darin, daß wir uns von Gott geliebt wissen; von jenem Gott, der Herr ist und zugleich Vater der Armen. Wir sollen uns vor ihm niederwerfen, vor seiner Majestät, im Bewußtsein unserer Armseligkeit. Er ist es, der erhebt und tröstet (vgl. Manzoni). Er liebt die Kleinen und die Armen. Er zerstreut die Stolzen und stürzt die Mächtigen vom Thron, die Demütigen aber erhöht er (vgl. Lk 1,51). Du, Herr, bist der Vater der Armen. 2. Das Wort Gottes betont in dieser Messe wiederholt Wert und Notwendigkeit der Demut, eine sehr wichtige Lektion, die wir gründlich lernen müssen, wenn wir wirklich auf dem Weg der Wahrheit wandeln wollen. Demut ist ja Wahrheit, und die erste grundlegende Wahrheit ist die absolute Transzendenz des Schöpfergottes, die in der unermeßlichen Güte Christi, des Erlösers, offenbar wurde. Dies sind höchste und entscheidende Wahrheiten, vor denen sich der Mensch sogleich als Sohn erhoben und als armes Geschöpf erniedrigt fühlt, das keinerlei Ansprüche stellen kann. Die ganze Welt weist uns darauf hin: auf unsere Armseligkeit angesichts der Wunder der Schöpfung, unsere Ohnmacht angesichts der schrecklichen und unzähmbaren Naturkräfte. Selbst die Wissenschaft hilft uns, diesen Geist der Demut zu bewahren: wenn man die Unermeßlichkeit des Weltalls betrachtet, das uns umgibt, mit seinen sich vielleicht weiter ausdehnenden Räumen und der endlosen Fülle der Milchstraßen- und Planetensysteme; wenn man über den Mikrokosmos nachdenkt, der das Atom ist mit seinen subatomaren Partikeln und seinen Anziehungskräften, und über das organische Wunder der Chromosomen mit ihren Genen und chemischen Substanzen, die ihre Struktur ausmachen; wenn man sich das außergewöhnliche Wirken und Reagieren der Nervenzellen im menschlichen Gehirn vor Augen hält, derer sich die Seele bedient, um ihr Denken auszudrücken. Mit all dem gelangt man logischerweise zum Lob und zur Bewunderung jenes unendlichen Intellekts, der alles so harmonisch und vollkommen geschaffen und geordnet hat. 1584 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Es bleibt uns also nur die Anerkennung unserer völligen Abhängigkeit vom Allerhöchsten: die wahre Weisheit besteht nur in der Demut vor Gott; die zum Sinn für Anbetung wird, für das Zutrauen zu seiner Liebe, für das Vertrauen auf seine Vorsehung, auch wenn deren Pläne dunkel und verworren erscheinen können. Deswegen spricht höchste Weisheit aus den Worten des Sirach: „Mein Sohn, bei all deinem Tun bleibe bescheiden ...je größer du bist, um so mehr bescheide dich, dann wirst du Gnade finden bei Gott, denn ...von den Demütigen wird er verherrlicht“ (Sir 3,17-20). Die Geschichte lehrt, daß der Stolz Ursache unermeßlicher Übel gewesen ist und bleibt; auch die Leugnung Gottes oder die Auflehnung gegen ihn sind fast immer Ausdruck einer Vernunft, die sich selbst zu genügen glaubt, sich aber nicht beugen will vor der allmächtigen Majestät des Schöpfers und sein Geheimnis nicht annehmen mag. 3. Auf der gleichen Linie bewegt sich die Lehre des heutigen Evangeliums, das in einfacher und klarer Form diese Wirklichkeit darlegt. Jesus nimmt hier nämlich am Gastmahl im Haus eines führenden Pharisäers teil und benutzt diese Gelegenheit, in der Demut zu unterweisen. Er sagt uns, wir sollten den letzten Platz wählen, uns mit Wenigem begnügen, nicht den äußeren Glanz des Scheines zu suchen, sondern die Wirklichkeit des Seins. Vor Gott sind wir nichts, aber auch vor den Menschen bedeuten wir recht wenig, ja machen uns lächerlich und werden sogar erbärmlich, wenn wir Gesten und Haltungen annehmen, die Selbstgenügsamkeit und eitlen Ruhm bedeuten. Jesus dagegen will nicht nur Hinweise im Sinn einer guten Erziehung und eines entsprechenden Verhaltens nahelegen; er will vor allem den Geist ordnen, uns große und lichtvolle Gedanken für unser Leben geben.'So fügt er hinzu: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt und wer sich erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk 14,11). Dies kann manchmal schon auf dieser Erde und in unserem Leben geschehen, doch das ist zweitrangig. Wesentlich bleibt, daß der Demütige im Himmel von Gott selbst erhöht werden wird. „Willst du groß sein?“ fragt der hl. Augustinus und antwortet: „Beginne mit den kleinsten Dingen. Willst du ein sehr hohes Gebäude errichten? Denke zuerst an das Fundament ganz unten“ (.Predigt 69,1,2). Wollen wir wirklich den Bau unserer Heiligung errichten, müssen wir ihn auf Demut gründen. Jesus ist unser Vorbild. Wie der hl. Paulus sagt: „Jesus war Gott gleich ...er ent-äußerte sich und wurde wie ein Sklave...; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ {Phil 2,6-8). Wie sollten wir uns nicht klein und arm Vorkommen vor dem Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung, vor dem Sohn Gottes, der in Bethlehem weint, 1585 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der sich in Nazaret in Schweigen hüllt, der das Leben eines Armen führt, der auf einem nackten Kreuz stirbt? Jesus ist der erste, der wahrhaft Demütige; er allein hat Gott wahrhaft verherrlicht — denn tatsächlich „wird Gott von den Demütigen verherrlicht“, wie uns noch einmal Sirach sagt (3,20) —, weil er sich in seinem ganzen Leben erniedrigt hat, auch wenn er siegreich seine Macht als Herr kundgab und sich selbst als „gütig und von Herzen demütig“ {Mt 11.29) bezeichnet hat. 4. Wenn der Mensch sich in dieser Dimension, die die einzig richtige ist, vor Gott stellt, dann geschieht es wie durch ein außerordentliches Paradox, daß Gott ihn erhebt. Gott beugt sich zu seiner Niedrigkeit herab, um ihn zu sich zu erheben; er gibt ihm sich selbst als Erbe; er beruft ihn zum Besitz der höchsten Güter, er läßt ihn teilhaben an seinem Leben, an seinen Gaben, an den ewigen Wirklichkeiten, welche die einzigen sind, die dem Menschen Größe verleihen. Diese Lehre wird uns vom Text des Hebräerbriefes gegeben, den wir in der zweiten Lesung gehört haben. Der Verfasser weist darauf hin, daß wir — im Gegensatz zum Volk Israel, das mit Angst und Furcht vor Gott hintrat — jetzt, da Jesus, das menschgewordene Wort, gekommen ist, um unter uns zu wohnen, mit Freude zum Berg Zion hintreten können, „zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, zu Tausenden von Engeln, zu einer festlichen Versammlung und zur Gemeinschaft der Erstgeborenen, die im Himmel verzeichnet sind; zu Gott, dem Richter aller, zu den Geistern der schon vollendeten Gerechten, zum Mittler eines neuen Bundes“ {Hebr 12,22-24). Liebe Brüder und Schwestern! Alle diese transzendenten Wirklichkeiten sind unsere geworden, in der übernatürlichen Atmosphäre, in die wir eingetaucht sind. Das Wort Gottes ist uns Anstoß und Anregung, demjenigen voll und ganz zu vertrauen, der uns geschaffen und erlöst hat. Durch die Tatsache, daß Christus eins mit uns und uns gleich geworden ist, ist all das, was sein ist, unser geworden; das unterstreicht der hl. Johannes vom Kreuz in einem berühmten Satz: Himmel und Erde, Gegenwart und Zukunft, die Verdienste der Heiligen, die gnädenspendende Kirche, die Liebe und Gemeinschaft des Lebens mit dem dreieinigen Gott, alles ist nunmehr unser Besitz: „Alles gehört euch; ihr aber gehört Christus, und Christus gehört Gott“ (7 Kor 3,22 f.). Das ist die wahre Größe des Mannes und der Frau, die Größe, die-nie vergeht, die sich nicht verändert im Laufe der geschichtlichen Wechselfälle, die nicht welkt und nicht stirbt. Alles gehört uns, weil Gott sich zu uns erniedrigt hat, um uns zu sich emporzuheben. Die wahre Größe ist jene, die Gott dem gibt, der ihn mit demütigem und reinem Herzen aufnimmt. Du, Herr, bist der Vater der Armen. 1586 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 5. In dieser weiten Sicht lädt Christus uns heute ein, unser Herz den Dimensionen des Herzens Christi aufzutun. Wie er sollen wir die Leiden und Ängste aller Niedrigen der Welt, der Armen, der Hungernden und Verlassenen uns zu eigen machen. Dazu ist Jesus gekommen, wie wir im Halleluja-Vers gesungen haben: „Der Herr... hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde ...“ {Lk 4,18). Ja, das heute gehörte Evangelium ist auch und vor allem eine große Unterweisung in der Liebe zu den am meisten geprüften Brüdern. Dadurch, daß Jesus die Einladung zum Mahl annimmt, zeigt er, daß er die Freundlichkeit des Gastgebers sehr schätzt; aber er lädt ihn zu einer noch größeren Freigebigkeit ein: „Nein, wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein“ {Lk 14,13). Auf diese Weise bezeugt Jesus seine Vorliebe für die Leidenden und spricht die grundsätzliche Botschaft des Evangeliums aus, die Dienst aus Liebe zu Gott und den Brüdern bedeutet: „Du wirst selig sein, denn sie können es dir nicht vergelten; es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten“ {Lk 14,14). Solche Worte sind eine ständige Herausforderung an unseren Glauben. Man muß glauben, aber man muß auch handeln, d. h. das Christentum durch selbstlose und konkrete Nächstenliebe bezeugen und leben. Auch in unseren Tagen ist trotz der Errungenschaften von Wissenschaft und Technik und der größeren Verbreitung von Kultur und Wohlstand die Nächstenliebe weiterhin notwendig, weil es immer einen Bruder unter uns gibt, der leidet. Alle sollen sich dessen bewußt sein, sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Daher soll sich jeder Christ, jede Diözese und Pfarrei, jede christliche Familie und jede Gruppe von Laien zur Übung der Nächstenliebe verpflichtet fühlen in den Formen, die sich heute der Bereitschaft eines jeden anbieten: „Caritas“, Volontariat, Vinzenz-Konferenzen, Hilfswerke und Rehabilitationseinrichtungen, Alten-, Kranken- oder Behindertenfürsorge. Um auf authentische Weise seinen christlichen Glauben zu leben, muß man so handeln, daß man am Abend eines jeden Tages auf eine Tat der Nächstenliebe zurückblicken kann: „Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid — sagt der Herr —, wenn ihr einander liebt“ {Joh 13,35). 6. Liebe Gläubige von Anagni! Ich spreche euch erneut meine Freude darüber aus, daß ich zu euch kommen und diese Eucharistiefeier mit euch halten konnte. Ich danke und grüße Bischof Umberto Florenzani, den Bürgermeister und die übrigen Autoritäten; ich grüße eure Priester, die Ordensleute und euch alle, die ihr so zahlreich erschienen seid, und danke euch dafür. Gerne spreche ich euch meine lebhafte Genugtuung für alles aus, was ihr unter der Führung eures Hirten durchgeführt 1587 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN habt: die Volksmission im vergangenen April und den IV. diözesanen euchari-stischen Kongreß; ich denke ferner an die Ankündigung der Synode, die im Herbst 1989 stattfinden wird. Ich rufe vom Herrn auf eure Vorsätze und verschiedenen pastoralen Initiativen die Fülle himmlischer Gaben herab: Gott wird euch weiter erleuchten und auf dem Weg des Guten bestärken für ein echt menschliches und christliches Wohlergehen, wenn ihr immer die religiösen Grundsätze aufrecht und lebendig haltet, die ihr von euren Vorfahren seit dem 2. Jh. n. Chr. ererbt habt, als das Evangelium diese Gegend erreichte und hier, auch um den Preis des Martyriums, Wurzeln schlug. 7. Die Gerechten sollen sich freuen ... und vor Freude singen. Diese bleibende Freude wünsche ich euch von ganzem Herzen: die Freude, Gott zu lieben, in Christus zu leben und Kirche zu sein. Ich empfehle euch, euch beispielhaft auf die Synode vorzubereiten durch ausdauerndes Gebet und williges Studium der christlichen Lehre, damit euer Geist erleuchtet werde, eure Herzen entbrennen und auch die Fernstehenden von der Gnade berührt werden können. Möge die seligste Jungfrau Maria immer der leuchtende und gütige Stern sein, der eure Schritte auf den Wegen des Herrn lenkt. In dieser Gegend, aus der der große Leo XIII. stammt, können wir nicht vergessen, mit wieviel Nachdruck und Eifer, mit welchem Reichtum der Lehre und welch zarter Frömmigkeit er der ganzen Welt die Liebe zu Maria empfohlen hat, insbesondere mit dem Rosenkranzgebet, das von ihm mit zahlreichen Dokumenten so hervorragend dargestellt wurde. Sie, die im Magnificat jenen Gott rühmte, der die Niedrigen erhöht (vgl. Lk 1,52); sie, die diese Worte auf die Lippen der betenden Kirche gelegt hat, möge uns lehren, die wahre Größe zu lieben, die in der Niedrigkeit besteht, und das Evangelium zu lieben, das die Frohbotschaft für die Armen ist. Du Herr, bist der Vater der Armen. Durch Christus, der gütig und demütig von Herzen war. Mit Maria, der demütigen Jungfrau von Nazaret. Amen. 1588 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Alphabetisierung ist „bessere Kommunikation“ Botschaft zum Welttag der Alphabetisierung vom 1. September Herrn Amadou-Mahtar M’Bow, Generaldirektor der UNESCO Der Internationale Tag der Alphabetisierung, der seit nunmehr zwanzig Jahren jährlich begangen wird, lädt uns zu vertieftem Nachdenken über die Ziele ein, die schon erreicht wurden, wie auch über jene, die noch der beharrlichen Anstrengungen all derer bedürfen, die die schwere Aufgabe haben, die beklagenswerte Situation so vieler Analphabeten, die in einer ihre Enwicklung behindernden Abhängigkeit gehalten werden, einer Lösung zuzuführen. Es ist erfreulich, an erster Stelle festzustellen, daß die erzielten Ergebnisse es erlauben, jede Versuchung zur Entmutigung zurückzuweisen, die angesichts des ungeheuren Ausmaßes der Aufgabe aufkommen könnte. In der Tat sind — besonders in den bedürftigsten Gebieten — diejenigen sehr zahlreich, die nunmehr das Werkzeug für ihre eigene Förderung und für die Entwicklung ihres Landes in Händen haben. Sie entdecken jetzt, was die menschliche Solidarität auf allen Ebenen für ein kostbarer Wert ist. Aber die ungelösten Probleme sind noch umfangreicher als die auf diesem Gebiet bereits davongetragenen Siege. Die unternommenen Anstrengungen müssen fortgesetzt, ja vervielfältigt werden. Auf der ganzen Welt muß sich im Bewußtsein der Menschen immer stärker die Überzeugung ausbreiten, daß im Einsatz für den Frieden der Kampf gegen den Analphabetismus ein Faktor von großer Bedeutung sein kann. Dieser im Internationalen Jahr des Friedens begangene Tag der Alphabetisierung gibt üns Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auf den Beitrag zu lenken, den die Alphabetisierung zur Annäherung der Völker und zu ihrem gegenseitigen Verstehen leisten kann. Wer den Frieden will, muß sich auch dafür einsetzen, die Möglichkeit zu besserer Kommunikation zu schaffen — wie sie eben durch die Alphabetisierung gegeben ist — und damit auch zu besserem Verständnis und Einvernehmen unter den Menschen. Ich spreche den inständigen Wunsch aus, dieser nächste internationale Tag möge mit großer Hoffnung begangen werden und vor allem von einem neuen Einsatz zugunsten der Alphabetisierung gekennzeichnet sein. Und ich wünsche, daß die Menschen, befreit von Angst und von der Bedrohung durch bewaffnete Konflikte, die apokalyptisch sein könnten, statt feindlich einander gegenüberzustehen, es lernen, dank der Kommunikationsmittel, die ihnen die moderne Gesellschaft anbietet, die Bande der Brüderlichkeit unter- 1589 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN einander zu festigen. Mögen sie alle ihren Beitrag leisten können; mögen sie wirksam am Aufbau einer besseren Zukunft arbeiten und alle materiellen, moralischen und geistigen Möglichkeiten, mit denen die Menschheit von der Vorsehung so reich ausgestattet wurde, kennen und in höchstem Maße zu nutzen wissen. Ich bitte Gott, den Allmächtigen, die Anstrengungen zu segnen, die so viele Menschen guten Willens in diesem Sinn unternehmen. Aus dem Vatikan, am 1. September 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. Mit Hilfe christlicher Wissenschaftler eine „Pastoral des Denkens“ entwickeln Ansprache an die Teilnehmer eines wissenschaftlichen Kolloquiums am 5. September. Meine Damen und Herren! 1. Sie haben die Initiative ergriffen, in Rom ein Kolloquium über das Thema: „Wissenschaft, Philosophie und Theologie. Wissenschaft und Sicht des Menschen. Das Relative und das Absolute“ zu veranstalten. Und in dem Bestreben, selbst mitten in Ihren Untersuchungen Ihre unfehlbare Treue zum katholischen Glauben und gegenüber den Weisungen des Petrusamtes kundzutun, hatten Sie den Wunsch, bei dieser Gelegenheit den Papst zu treffen. Wenn diese Begegnung auch nur kurz ist, so empfange ich Sie doch mit Freude. Denn, wie Sie wissen, messe ich der unerbittlichen Suche nach der Wahrheit und der ehrlichen Konfrontation all derer, die sich, ausgehend von dem speziellen Gebiet ihrer Beobachtungen, Studien und Reflexionen, unter Berücksichtigung ihrer Methodologie und ihrer Epistemologie ihr widmen, große Bedeutung bei. Es gibt nur eine Wahrheit. Aber sie bietet sich uns stückweise dar durch die vielen Kanäle, die uns eine differenzierte Annäherung erlauben. Gerade das macht die Größe des Menschen aus, sich unausgesetzt dem Eindringen in all ihre Dimensionen zu widmen.. Die Vernunft ist ihrem Wesen nach auf die Wahrheit hingeordnet. Und der Glaube ist Zustimmung zu jener Wahrheit, deren Quelle dem Verstand und der Liebe des Menschen offenbart ist. Sie gehören verschiedenen wissen- 1590 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schaftlichen Disziplinen an, den Naturwissenschaften und den Humanwissenschaften, deren Methoden sehr verschieden sind. Und diejenigen unter Ihnen, die Philosophen und Theologen sind, wissen gut, daß selbst Philosophie und Theologie, insofern sie Wissenschaften sind, nur begrenzte Versuche bleiben, die komplexe Einheit der Wahrheit zu erfassen. Es ist ebenso von Bedeutung, gleichsam von Heimweh getrieben, die Suche nach einer vitalen Synthese fortzusetzen, wie auch jede Gleichstellung zu vermeiden, die die Rangordnung des Wissens und die Grade der Sicherheit nicht respektiert. Ich freue mich ebenso über Ihre Initiative wie über alle Bemühungen, die die Verbindung zwischen der Wissenschaft und dem Glauben herzustellen suchen, ohne einem der beiden Begriffe Abbruch zu tun, in voller Hochachtung der Forderungen eines jeden von beiden. 2. Eine der großen Sorgen der Kirche ist die einer „Pastoral der Intelligenz“, die die komplexen Gegebenheiten der wissenschaftlichen Kultur unserer Zeit mit den neuen, durch die Stellung der Wissenschaften in der zeitgenössischen Kultur hervorgerufenen Problemen in Rechnung stellt. Das Zweite Vatikanische Konzil hat in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes in dieser Hinsicht bereits bedeutende Hinweise gegeben; aber sie müssen unaufhörlich gelebt und neu aktualisiert werden im Licht des Fortschritts der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die christlichen Gelehrten haben diesbezüglich eine wesentliche Verantwortung. Sie müssen beständig die neuen Errungenschaften ihrer Wissenschaft mit den bleibenden Gegebenheiten des Glaubens konfrontieren. Zu oft bleibt die spezifisch wissenschaftliche Sprache für solche, die nicht darin eingeweiht sind, das heißt, auch für die meisten Philosophen und Theologen, schwer verständlich. Das will besagen: eine beständige Konfrontation zwischen der neuen wissenschaftlichen Sicht des Menschen und der Welt einerseits und den Ergebnissen der philosophischen Forschung und der theologischen Reflexion andererseits ist notwendig. Die zeitgenössische Sicht des Kosmos, der Begriff von Zeit und Raum, die überaus reichen Erkenntnisse der Physik, der Chemie und der Biologie ebenso wie die der modernen Kosmologie und die neuen Beiträge der Humanwissenschaften rufen nach einer Neuformulierung der christlichen Anthropologie und einer Erneuerung des philosophischen Denkens bei den Christen. 3. Sie liefern also der philosophischen Reflexion interessantes Material, und diese ihrerseits läßt Sie in eine wesentliche Perspektive anderer Ordnung ein-treten. Im übrigen stellen Sie in Ihrem wissenschaftlichen Milieu an den Universitäten oft ein gewisses Unbehagen fest vor allen Fragen, die über die Beobachtung, die Hypothese und die technische Anwendung hinausgehen. Den- 1591 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN noch bleiben die fundamentalen Fragen der Metaphysik, dessen, was jenseits der Naturerscheinungen existiert, die Fragen des Seins, der Bedeutung und der Finalität des Kosmos und des Menschen, seiner Beziehung zu Gott, die Fragen des Unendlichen und der Transzendenz von ebenso großer Bedeutung wie in der Vergangenheit. Das haben auch Philosophen der neueren Zeit durch ihre Vertiefung der klassischen Philosophie des Seins klar gezeigt. Ich denke an Etienne Gilson, Jacques Maritain... Sie selbst werden davon überzeugt sein, ob Sie nun Philosophen sind oder dank der mit Ihrem Glauben verbundenen Intuitionen: Sie haben ohne Zweifel die Berufung, zur Öffnung Ihres Milieus auf diese fundamentalen Fragen hin beizutragen. 4. Die gut durchgeführte verstandesmäßige Reflexion spielt auch eine Hauptrolle, wenn es sich darum handelt, die Voraussetzungen für den Glauben, der natürlich einer anderen Ordnung zugehört, sicherzustellen. Nicht umsonst hat das kirchliche Lehramt oft auf der Zuständigkeit der Philosophie als notwendiger Voraussetzung für die normale Einübung des Geistes in den Glaubensweg bestanden. Denn die Kirche bezweifelt durchaus nicht die Macht des Verstandes, sie ruft ihn vielmehr auf zu Überlegungen, wie sie die neue, durch die Entwicklung der Wissenschaften geschaffene kulturelle Situation und die neuen, durch das Aufkommen einer wissenschaftlich-technischen Gesellschaft hervorgerufenen ethischen Probleme erfordern. Manchmal kann es schwierig erscheinen, die Sicht der Welt und der Geschichte, wie wissenschaftliche Angaben sie nach dem augenblicklichen Stand der Forschung oder auch philosophische Überlegungen uns vorstellen, mit den sicheren Angaben des Glaubens in Einklang zu bringen. Die theologische Unterweisung der Bibel — wie die Lehre der Kirche, die diese erläutert — lehrt uns weniger das Wie der Dinge als vielmehr ihr Warum. Sie enthüllt uns den Plan Gottes über das Geschaffene, über das sichtbare und unsichtbare Universum, über den Menschen, die unerhörte und ursprüngliche Gnade, die Gott ihm zuteil werden ließ, seine Bestimmung, das Geheimnis seiner Freiheit, die Schwere seiner Sünde, die Erlösung. Dieser Plan Gottes, der die christliche Anthropologie aufhellt, wird sich nicht aus den wissenschaftlichen Tatsachen ableiten lassen, und er ist auch keinem Menschen in den Sinn gekommen (vgl. IKor 2,9). Es ist Ihre Ehre, als gläubige Menschen treu daran festzuhalten und zu suchen, in den tiefen Sinn jenseits des bildlichen Ausdrucks einzudringen, auf diese wesentlichen Punkte des Glaubens sich zu stützen und dabei Gelehrte zu bleiben, die in keiner Weise darauf verzichten, zu beobachten, nachzudenken und Hypothesen aufzustellen, die es zu prüfen und zu konfrontieren gilt. Sie sind berufen, auf diesem anfordernden Grat voranzugehen, den Blick auf die bei- 1592 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN den Abhänge der Wahrheit geheftet. Ihr Horizont wird sich dabei unaufhörlich erweitern. 5. Das sind, liebe Freunde, einige Gedanken, die Sie einladen zum Mut der Intelligenz und zur Anstrengung des Gedankens. Für den Christen geht beides zusammen mit dem Einsatz in einem echten Leben nach dem Evangelium. Gott Dank stehen Sie nicht allein mit Ihren Forschungen. Andere Reflexionszentren schließen sich an. Und ich wünsche, daß die brüderliche Verbundenheit die einen und die andern aus ihren Kenntnissen und ihrem Austausch Nutzen ziehen lasse und daß Sie einander begegnen und Zusammenarbeiten können in dem Wesentlichen, das Ihnen gemeinsam ist: im Glauben. Und möge in Ihren Diözesen unter der Verantwortlichkeit Ihrer Bischöfe eine „Pastoral des Denkens“ Fortschritte machen als besondere Hilfe für die christlichen Wissenschaftler wie auch für andere Wissenschaftler guten Willens, die aus ihrem Nachdenken ihrem Zeugnis, ihrem Gebet Nutzen ziehen wollen! Ja, unsere Zeit braucht Menschen der Wissenschaft, Philosophen und Theologen, die zugleich Menschen der Kultur und Menschen des Glaubens sind, immer bereit zum Dialog mit ihren Brüdern, weil sie bedacht sind, auf die Begegnung mit Gott im Gebet, in der Meditation, im Wort Gottes, im sakramentalen Leben. Das ist mein Wunsch für Sie und mein Gebet, mit meinem Apostolischen Segen. Das Kreuz steht am Beginn des Heils Predigt bei der Eucharistiefeier in Aprilia am 14. September Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“ (Joh 3,16). Mit diesen Worten aus dem heutigen Evangelium, liebe Brüder und Schwestern von Aprilia, spricht der Evangelist Johannes zu uns über das Opfer am Kreuz, das wir heute am Fest der Kreuzerhöhung auf besondere Weise feiern. 1. Die irdische Sendung Jesu, die auf so dramatische Weise mit seiner Kreuzigung schließt, wird von Johannes mit einem feinen und bedeutungsvollen Wort ausgedrückt und zusammengefaßt: der Vater gibt seinen einzigen Sohn, er 1593 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN schenkt ihn aus Liebe. Die Sendung Jesu wird in der Sprache der Liebe ausgedrückt. Denn das Opfer am Kreuz ist ganz von Liebe eingehüllt; und aus der Liebe bezieht es seine tiefste Bedeutung. Beim Evangelisten Johannes erscheint das Ereignis am Kreuz in einem gewissen Sinn von seinen grausam realistischen Elementen befreit und im Lichte des Glaubens gleichsam verwandelt und vertieft. So spricht auch Jesus im Evangelium des Johannes von seinem nahen Tod als einer „Erhöhung“ (vgl. Joh 3,14; 12,32), wobei sich die so verhüllte Anspielung auf die Tatsache der leiblichen Erhöhung auf dem Kreuz gleichsam mit dem darauffolgenden Geheimnis seiner Auferstehung und Himmelfahrt mischt. Bei Johannes wird das bleibende Geheimnis des Kreuzes durch das Geheimnis der Verherrlichung zur Rechten des Vaters gleichsam aufgesogen und aufgenommen. Ja, es ist selbst schon der Beginn der Verherrlichung. 2. Das Kreuz Christi ist der Weg zum Heil. Das Heil vollzieht sich in der Auferstehung. Doch sein Beginn liegt in der Annahme des Kreuzes. Alles, was Jesus für unser Heil getan hat, vollendet sich in dem priesterlichen Opfer, das er selbst auf dem Holz des Kreuzes dargebracht hat als Sühneopfer für unsere Sünden. In dieser Geste der höchsten Liebe und des völligen Gehorsams gegenüber dem Willen des Vaters erreicht die irdische Sendung Jesu ihren Höhepunkt. Dies mindert den Wert aller anderen Aspekte des irdischen Lebens Jesu natürlich nicht. Die entscheidende Tat aber, die für alle eine Erleuchtung und bedeutungsvoll ist, bildet das Opfer am Kreuz. Wenn die Auferstehung die Frucht des Heiles ist, so bildet das Kreuz das Mittel dafür: den Weg, auf dem wir zum Heil gelangen. Tod und Auferstehung bilden das zentrale Ereignis in der Geschichte des Menschen: sie geben der menschlichen Leidensgeschichte einen grundsätzlich neuen Verlauf und öffnen dem Menschen die Aussicht auf das Heil. Alle wahrhaft großen Ereignisse in der Geschichte des Menschen stehen in Beziehung zu diesem wichtigsten Ereignis im Leben Christi. 3. Das Kreuz ist das Vorspiel zur Herrlichkeit der Auferstehung, ist jedoch in sich selbst eine Demütigung. Auf diesem Weg muß der Mensch weitergehen, um zu seiner wahren Größe zu gelangen. Mehrmals und mit verschiedenen Akzenten berichten die Evangelisten diese grundsätzliche Lehre des göttlichen Meisters: „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk 14,11; 18,14 vgl. Mt 18,4; 23,12). Der Apostel Jakobus bekräftigt dies: „Demütigt euch vor dem Herrn, denn er wird euch erhöhen“ (Jak 4,10). Der hl. Petrus wiederholt die gleiche Belehrung (vgl. 1 Petr 5,6). 1594 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Jesus selbst hat uns das Beispiel gegeben, wie wir in der zweiten Lesung der Messe gehört haben: „Er erniedrigte sich ...Darum hat ihn Gott über alle erhöht“ {Phil 2,8 f.). Der Apostel beschreibt genau, worin diese Demütigung bestand: „im Gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ {Phil 2,8). An Gelegenheiten, uns zu demütigen oder Demütigungen zu erleiden, fehlt es uns nicht. Auf diese Weise haben wir die Möglichkeit, auf den Spuren Christi „von Gott erhöht zu werden“. 4. Auch die Pioniere, die vor 50 Jahren mit der Trockenlegung und Urbarmachung dieses Gebietes begannen, mußten sich mit Notsituationen und Opfern auseinandersetzen. Doch jetzt ist ihr Ruhm groß. Die Frucht ihrer Mühen sehen wir vor unseren Augen, diese schöne, jetzt weit ausgedehnte und dichtbevölkerte Stadt Aprilia. Viele Hindernisse und Schwierigkeiten mußten seither überwunden werden. Im besonderen mußte diese Stadt in ihrer kurzen Geschichte die große Prüfung des Zweiten Weltkrieges mit außerordentlicher Gewalt über sich ergehen lassen. Sie hat viel erleiden müssen; sie wurde gedemütigt. Der christliche Glaube jedoch, und das ist der Glaube an das Kreuz Christi, bildete immer ein Element des Zusammenhaltes, einen Faktor der Einheit für die ethnisch und sozial verschiedenen Bevölkerungselemente, die beim Aufbau der Stadt mitarbeiteten. Das Kreuz war die Kraft für den Beginn, ein Zeichen der Hoffnung, ein Anreiz für die Entwicklung. Es war ein bedeutsamer Faktor für eure Stadt. Die Statue des Erzengels Gabriel, die diesen Altar beherrscht, blieb zwischen den Trümmern des Krieges beinahe unbeschädigt. Sie gab euch die Kraft, wieder anzufangen, von neuem zu beginnen. 5. Ich möchte jetzt die Gelegenheit ergreifen und alle Anwesenden herzlich begrüßen. Ich begrüße vor allem den Bischof, den lieben Msgr. Dante Bernini. Ich danke ihm für die Worte, die er am Beginn der Messe an mich gerichtet und so ein Bild der Geschichte, der gegenwärtigen Situation und der Zukunftsaussichten der Stadt und im besonderen der christlichen Gemeinde dargelegt hat. Ich begrüße die zivilen Autoritäten, sowohl die örtlichen wie auch die, die aus der Hauptstadt der Provinz, Latina, gekommen sind. Einen herzlichen Gruß auch an die Priester der Pfarrei, in der wir uns jetzt befinden: der „Mutter“ Pfarrei: ich begrüße den Pfarrer, Don Luigi Fossati und seine Mitarbeiter. Mein Gruß schließt auch die Priester der anderen Pfarreien ein, mit denen ich nach der Messe gerne im Pfarrhaus Zusammensein werde. Einen herzlichen Gruß auch an die Pallottinerschwestern und die veschiedenen Pfarrgruppen: an den Pastoralrat, den Verwaltungsrat, an die Katechetengruppe, die liturgi- 1595 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sehen Gruppen, die Gruppen der Caritas, die Sportgruppe, die Jugendgruppe, an die Gruppe für die Kommunionspendung an die Alten. Einen lieben Gruß auch an all die, die aus den beiden anderen Pfarreien, die ich eben besucht habe, gekommen sind: besonders an die Familien, die Jugendlichen, die Arbeiter, die Alten, die Kinder, die Kranken, an die Personen, die heute in besonderer Weise die Last des Kreuzes verspüren. Der Gedanke an Jesus mache ihnen diese Last leicht und erträglich, damit ihr Leiden ein Quell der Gnade für sie selbst werde und für so viele Seelen, die den Wert des Leidens nicht verstehen oder sich von ihrer Schuld reinigen müssen. Die heutige Liturgie ermutige besonders sie! 6. Euer heiliger Patron, liebe Pfarrkinder von San Michele Arcangelo, bedeutet für euch alle vor allem einen eindringlichen Appell zur christlichen Stärke, die wir heute so sehr benötigen, weil die Kräfte des Bösen so heimtückisch sind. Deshalb ist es notwendig, mit der „Einfalt der Tauben“ die „List der Schlange“ zu verbinden. Eure Mitpatronin ist die hl. Maria Goretti, die trotz ihrer weiblichen Zartheit ein Bild der Stärke — und welch einer Stärke — hervorruft; bis zur Hingabe des eigenen Lebens! Für ein Ideal — die Reinheit —, das man in seiner Schönheit und geistlichen Anziehungskraft wiederentdecken muß; das so reich ist an Früchten edler Gesinnung und der Barmherzigkeit, wie es das Leben vieler heiliger Männer und Frauen bezeugt. Die Aktionslinie eurer Gemeinde ist in besonderer Weise auf die Förderung eines reifen Glaubens durch größere Aufmerksamkeit auf das Wort Gottes und die katechetische und heiligende Aufgabe der Liturgie gerichtet. Ihr bemüht euch, auch sozio-ökonomischen Problemen im Lichte der Soziallehre der Kirche zu begegnen. Ich drücke euch meine Wertschätzung für die Resultate, die ihr im Laufe dieser Jahre erreicht habt, aus, und möchte euch dazu ermutigen, die begonnenen Aufgaben hochherzig weiterzuführen, wobei ihr danach trachten müßt, die Katechese der Erwachsenen noch besser zu organisieren. Auch im Bereich der am Rande der Gesellschaft Lebenden müßt ihr eine einschneidende Präsenz erzielen und der Welt der Kultur immer mehr Gehör leihen sowie noch enger mit den Nachbarpfarren Zusammenarbeiten. Mein Segen sei mit euch beim Guten, das ihr vollbringt, sowie bei allem, was ihr euch vorgenommen habt. 7. Meine Gedanken wenden sich mm der gesamten christlichen Gemeinde von Aprilia zu, die ich umarme. Wir sind auf dem Vorplatz der Mutterpfarrei zusammengekommen, d. h. auf 1596 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dem Platz, wo die erste Saat eures kirchlichen Lebens gesät wurde, aus der ein stattlicher Baum erwuchs. Seit den Anfängen haben sich die Pfarreien vervielfacht, und weitere sind im Entstehen. Ihr seid eine wachsende Gemeinde: und das ist sehr schön: es ist dies ein Zeichen des Lebens, ein Zeichen der Hoffnung. Tröstlich ist auch die von eurem Bischof hervorgehobene Tatsache, daß ein gutes Verhältnis zwischen der christlichen Gemeinde und der etwas größeren Stadtgemeinde besteht, deren Autoritäten ein aktives Interesse auch im Hinblick auf den Neubau von Kirchen zeigten. Mein Wunsch für alle kann nur der sein, auf diesem Weg des Dialogs fortzuschreiten, weiterhin ehrlich und loyal zusammenzuarbeiten und einmütig das Allgemeinwohl in Gerechtigkeit und im Frieden aufzubauen. Auf diesem Gebiet kann das Beispiel der kleinen Gemeinschaften auch für die größeren Gemeinden erleuchtend und mahnend wirken. Heute haben wir das dringend notwendig! 8. „Wir beten dich an, Christus, wir lobpreisen dich, weil du mit deinem Kreuz die Welt erlöst hast!“ So haben wir beim Halleluja gesungen, und so wiederholen wir es zusammen! Jeder, der gebissen wird von der Schlange, wird am Leben bleiben, wenn er das Kreuz anschaut (vgl. Num 21,8). Jeder, der von der Sünde getroffen den Gekreuzigten anblickt, wird errettet werden, weil — wie die Präfation dieser Messe sagt — „der Vater das Heil der Welt auf das Holz des Kreuzes gegründet“ hat. Lob und Ehre dir, o Vater für dein Erbarmen! Lob und ehre dir, o Christus, für deine großmütige Liebe, für deine Demut, für deine Gegenwart unter uns! Amen. „Non vincit, nisi veritas — nur die Wahrheit kann siegen“ Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses über den hl. Augustinus im Patristikinstitut „Augustinianum“ am 17. September Sehr geehrte Professoren! 1. Ich begrüße Sie alle herzlich, die Sie aus verschiedenen Teilen der Welt zu diesem Internationalen Kongreß gekommen sind, um sich in die Erfahrung, das Denken, das Erbe des hl. Augustinus im 1600. Gedenkjahr seiner Bekeh- 1597 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN rung zu vertiefen und dasselbe darzulegen. Ich freue mich sehr, daß ich zu Ihnen kommen konnte. Ich möchte vor allem den Augustinerorden dazu beglückwünschen, daß er aus diesem außergewöhnlichen Anlaß so viele Gelehrte zusammengerufen hat, und Ihnen allen gratuliere ich, daß Sie sich hier eingefunden haben, um den Beitrag Ihrer Lehre zu leisten und neue Anregungen für Ihren Einsatz in der Forschung und Divulgation zu schöpfen. Ich habe mit Freude von Pater Trape vernommen, daß über hundert Universitäten hier vertreten sind; ich grüße herzlich die Professoren, und durch sie grüße ich die Universitäten und Institute, denen sie angehören und denen mein herzliches Gedenken und der Ausdruck meiner Wertschätzung gilt. Ich freue mich über das umfangreiche und vielgliedrige Programm, dem Sie nun folgen. Es war angebracht, mit dem Thema Bekehrung die Untersuchung der philologischen, historischen, philosophischen, theologischen und spirituellen Aspekte des gewaltigen literarischen Schaffens dieses unermüdlichen und überragenden Lehrers zu verbinden und dann den Einfluß zu behandeln, der durch die Jahrhunderte in der Kirche und in der abendländischen Zivilisation von ihm ausging. Während Sie sich der Vergangenheit zuwandten, haben Sie in die Zukunft geblickt: von der Geschichte zur Prophetie ist nur ein kleiner Schritt. Die Kirche befindet sich nunmehr an der Schwelle zum dritten Jahrtausend ihrer Geschichte. Um sich mit Sicherheit in die Zukunft zu bewegen, muß sie den Blick fest auf die Vergangenheit richten, auf das Beispiel und die Lehre der Kirchenväter und Kirchenlehrer. Zu ihrer Zahl gehört, und zwar an herausragender Stelle, der hl. Augustinus: Wir müssen wünschen, daß dieser vortreffliche Lehrer des zweiten Jahrtausends und eines großen Teiles des ersten auch das dritte Jahrtausend begleite. Das ist eine der Absichten meines jüngsten Apostolischen Schreibens Augusti-num Hipponensem, in dem ich die Gestalt und das Denken des Bischofs von Hippo wieder in Erinnerung brachte und zum Studium seiner Werke aufrief, in welchen er, wie sein erster Biograph, sein Freund Possidius, schrieb ,jempervi-vere a fidelibus invenit“ (für die Gläubigen immer lebendig bleibt) (Possidius, Vita S. Augustini, 31,8). Das Programm Ihres Kongresses legt einige Überlegungen nahe, die das Denken des Augustinus in die Zukunft verlängern, damit er für uns, wie er es in der Vergangenheit war, ein großer Meister und, sagen wir es ruhig, der gemeinsame Vater unserer christlichen Zivilisation bleibe. 2. Der hl. Augustinus war und blieb immer der große Konvertit. Groß wegen der wunderbaren Wirkungen, die die Bekehrung in seinem Leben hatte, wegen 1598 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN seiner beständigen Haltung demütigen Anhängens an Gott, wegen seines grenzenlosen Vertrauens auf die göttliche Gnade. Sein Geist eines Bekehrten kommt in jenem berühmten Gebet zum Ausdruck, das er viele Male wiederholt hat: ,JDa quod iubes et iube quod vis (Gib, was Du verlangst, und verlange, was Du willst) (Confess. 10,29,40). Die Bekehrung erreicht gemäß dem Bischof von Hippo das Innerste unseres Seins. „Wenn der Mensch etwas sein will“ (ut homo sit aliquid) — schreibt unser Kirchenlehrer —muß er sich zu dem bekehren, von dem er geschaffen wurde..., so wird er wirklich das Gleichnis und das Bild bewahren, nach dem er geschaffen wurde“ (Enarr. inps. 7, d. 2,6). Er stellt dann fest, daß dieser Weg der Bekehrung, der das Wirken Gottes im Menschen und das ständige Verbleiben des Menschen in Gott umfaßt, ohne Unterbrechung sein muß. „Wir müssen immer von ihm gemacht, immer vervollkommnet werden, ihm anhängen und in jener Bekehrung bleiben, die uns zu ihm führt... Denn wir sind seine Schöpfung, nicht nur als Menschen, sondern auch als gute Menschen“ (De Gen. ad litt., 8,12,27). Die Notwendigkeit dieser ständigen Bekehrung rührt nicht nur von unserer Geschöpflichkeit her, sondern kommt auch aus der Natur unserer Vollkommenheit hier auf Erden, die immer begrenzt und wandelbar, nie voll ist. Deshalb widersetzt sich Augustinus, geführt vom Glauben und von der Erfahrung, entschieden der pelagianischen These von der absoluten Vollkommenheit, die er durch diejenige von der Vollkommenheit, die sich immer noch vervollkommnen läßt, ersetzt und die es immer nötig hat zu wiederholen: ,Dimitte no-bis debita nostra“ (Vergib uns unsere Schuld). Ja, er schreibt mit aller Entschiedenheit, daß die vollkommene Weise, nach der Vollkommenheit zu streben, im Wissen besteht, daß man unvollkommen ist (De perf. iust. hom, 8,19). Diese Vorstellung von der ständigen Bekehrung als Rückkehr des Menschen zu sich selbst und zu Gott, durch die wir der Flüchtigkeit der Zeit und der unaufhörlichen Wandelbarkeit der Dinge entrissen werden, um hineingenommen zu werden in die Beständigkeit des Seins — „ut et tu sis, transcende tempus“ (damit auch Du seiest, geh über die Zeit hinaus) (In Io. Ev. tract., 38,10), ruft unser Lehrer energisch aus —, stellt die wertvolle Botschaft dar, die Augustinus, der so nach Ewigkeit dürstende Philosoph der Zeit, an die Menschen aller Zeiten, insbesondere an uns und an die Menschen des dritten christlichen Jahrtausends weitergibt. 3. Lassen Sie mich noch eine andere Frucht der Bekehrung des Augustinus aufgreifen: es ist ein unermüdlicher, demütiger und totaler Dienst an der Wahrheit, die er leidenschaftlich liebte: er betrachtete sie als Licht des Geistes, das höchste Gut des Menschen, die Quelle der Freiheit. Es ist nicht nötig, viele 1599 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Augustinustexte zu zitieren. Er schreibt: „Wenn unser Geist, der das Auge der Seele ist, nicht vom Licht der Wahrheit erleuchtet und von dem wunderbar erhellt wird, der erleuchtet, ohne selbst erleuchtet werden zu müssen, kann er weder zur Weisheit noch zur Gerechtigkeit gelangen“ (In Io. Ev. tract., 35,3). Nun ist die Weisheit nichts anderes als die Wahrheit, „in welcher man das höchste Gut erfaßt und besitzt“ (De lib. arb, 2,9,26). Im Erfassen und Besitzen dieser Wahrheit besteht unsere Freiheit, denn „der Mensch kann keine Sache mit Freiheit genießen, wenn er sie nicht, mit Sicherheit genießt...“ (De lib. arb., 1,14,31). Das Reich Gottes ist per definitionem dasjenige, in dem die Wahrheit triumphiert: „in quo victoria veritas“ (in dem der Sieg die Wahrheit ist) (De civ. Dei, 2,29,21) oder, um ein anderes berühmtes Augustinuswort anzuführen: „das als Königin die Wahrheit, als Gesetz die Liebe, als Maß die Ewigkeit hat“ (Ep. 138,3,17). Bei Augustinus aber wird die Liebe zum Dienst, der ständiges Forschen, tiefes Ergründen und beharrliche Betrachtung einschließt. Von seiner Bekehrung an ging es ihm nur um dieses: Vertiefung, Verbreitung und Verteidigung der Wahrheit. Wer wollte, könnte seine zahllosen Werke in drei Gruppen einteilen, je nachdem, welche dieser Absichten in ihnen vorherrscht. Denn eine ganze Reihe von Werken sind als Antworten auf Fragen gedacht, die sich sein großer Geist stellte oder die ihm von anderen vorgelegt wurden, und somit zur Vertiefung der Wahrheit bestimmt. Unter diesen muß an erster Stelle das große Werk über die Dreifaltigkeit genannt werden, eine Schrift von hoher philosophischer, theologischer und mystischer Spekulation. Andere Werke, wie die sehr zahlreichen Ansprachen, sollten den Gläubigen oder den Katechumenen die Wahrheit mitteilen. Schließlich sind da noch die vielen Streitschriften, die Augustinus verfaßt hat, um die unter den Gläubigen umlaufenden Irrtümer aufzudecken und die katholische Wahrheit neu zu bekräftigen. Er war ein starker, unermüdlicher und sehr gewandter Verfasser von Streitschriften, doch im Herzen trug er immer die Liebe, eine große Liebe zu den Irrenden.“ „Non vin-cit, nisi veritas“ (nur die Wahrheit kann siegen), sagte er. Es siegt also nicht der Mensch über den Menschen, sondern die Wahrheit über den Irrtum; er fügte jedoch sogleich hinzu: „victoria veritatis est caritas“ (der Sieg der Wahrheit ist die Liebe) (Serm. 358,11). Er sagte zu den gläubigen Katholiken über die Dona-tisten, die in ihrer erbitterten Gegnerschaft gegen ihn soweit gingen, daß sie ihm Fallen stellten, um ihn zu töten: ,DHigamus illos et nolentes“ (Laßt uns sie lieben, auch wenn sie es nicht wollen) (Enarr. in ps. 32, II, d. 2,28). Deshalb wollte er, daß man hinsichtlich der Glaubensfragen in der Kirche vereint bleibe und in ihr über die noch nicht offenkundigen Wahrheiten diskutiere, daß man miteinander diskutiere ohne Anhauch von Stolz, ohne starr- 1600 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN köpfige Anmaßung, ohne Widerspruchsgeist oder Eifersucht, sondern — so fährt er fort — „cum sancta humilitate, cumpace catholica, cum caritate christia-na“ mit heiliger Demut, mit katholischem Frieden, mit christlicher Liebe (De bapt. 2,3,4). 4. Auf dieser Linie des demütigen und mutigen Dienstes an der Wahrheit diente der Bischof von Hippo dem Menschen, diente er seiner erhabenen Größe, seiner wahren Natur, seiner ewigen Bestimmung. Es traf sich, daß er in einer Zeit lebte, in der die Auffassung vom Menschen von vielen Denkern, einschließlich den Neuplatonikem, die die vorherrschende Philosophie der Zeit vertraten, schwer entstellt wurde. Von manchen dieser Gruppen — ich denke an die Manichäer — hatte sich Augustinus beeinflussen lassen. Nachdem er sich davon befreit hatte, bildete er den Begriff vom Menschen heraus, der der neuen, eben der christlichen Kultur zugrundeliegt, zu deren Darstellung und Vervollkommnung er in unvergleichlicher Weise beigetragen hat. Gegen die Manichäer verteidigte er die substantielle Gutheit des Menschen; gegen die Platoniker die tiefe Einheit von Seele und Leib (vgl. De Trin. 15,7,11; De Gen. ad litt. 12,35,68); die Innerlichkeit des Menschen als seinen Brennpunkt, denn im Innersten des Menschen wohnt die Wahrheit (vgl. De vera relig. 39,72) und empfängt man das in die unsterbliche Natur des Geistes eingepflanzte Ebenbild Gottes (vgl. De Trin. 14,4,6; In ep. Io 8,6); die Einzigartigkeit gegenüber dem materiellen Universum, in dem nichts größer, nichts Gott näher ist als der Mensch (vgl. Tract. in Io Ev. 23,6; De diversis quaestionibus 83, q. 51,2); die Freiheit, die ihn des Verdienstes und der Schuld würdig macht(vgl. De duabus anim. 11,15; De civ. Dei 5,10,2; Contra Julianum 5,58); die Seligkeit, die nur wahr sein kann, wenn sie ewig ist (vgl. De trin. 13,8,11; De civ. Dei 11,11; 12,20,2; 14,25; usw.); das im Wesen des Menschen angelegte Bedürfnis, zu Gott zu gelangen, der allein unsere Ruhe ist (vgl. Confess. 1,1,1; De civ. Dei 12,13). Aber auch wenn Augustinus darauf bedacht war, die Größe des Menschen zu ergründen, vergaß er doch nie seinen Zustand auf Erden, Elend, Übel, insbesondere die Sterblichkeit, die sittliche Schwäche, den Kampf zwischen Fleisch und Geist. Aufgrund dieses Zustandes wird der Mensch zu einem großen Problem, einem für die Vernunft unentwirrbaren Problem, einem Rätsel. Der Bischof von Hippo studierte es gründlich und fand die Lösung dieses Rätsels in einem einzigen Namen: Christus. Die Schlußfolgerung seiner so umfassenden und tiefgründigen Anthropologie mag folgende sein: Wie man die Natur des Menschen ohne die Bezugnahme auf Gott, der ihre Erklärung ist, nicht versteht, so versteht man seinen tatsächlichen Zustand auf dieser Erde nicht ohne Bezugnahme auf Christus, der dessen Befreiung und Rettung ist. 1601 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 5. Gestatten Sie mir noch einen anderen kurzen Gedanken. Augustinus hatte einen tiefen Sinn für die Geschichte. Ein Denkmal hierfür ist sein unsterbliches Werk Überden Gottesstaat. In diesem Meisterwerk wird in der Tat die Lehre im Rahmen der Geschichte entfaltet, die von der Schöpfung bis zu ihrer Endzeit reicht. Die augustinische Lehre, die sich sozusagen im historischen Dynamismus der Menscheit auf ihrem Weg zum Heil verkörpert, ist hier von drei großen Ideen beherrscht: von der Vorsehung, von der Gerechtigkeit, vom Frieden. Die Vorsehung leitet die Geschichte nicht nur der Individuen, sondern auch der Gesellschaften und der Reiche; die von Gott als Ideal in das Herz des Menschen eingepflanzte Gerechtigkeit (vgl. De Trin. 14,15,21) muß jedem menschlichen Reich zugrunde liegen — seine starken Worte dazu lauten: ,Jtemota iusti-tia, quid sunt regna, nisi mala latrocinia“ (Was sind Reiche ohne die Gerechtigkeit anderes als üble Räuberbanden? (De civ. Dei 4,4) — und bildet die Grundlage jedes wahren Gesetzes — auch dazu wieder seine nicht minder deutlichen Worte: „mihi lex esse non videtur quae iusta nonfuerit“ (Ein Gesetz, das nicht gerecht ist, ist in meinen Augen kein Gesetz) (De lib.arb. 1,5,11). Mit der Gerechtigkeit entsteht der Friede: der irdische Friede, den der Staat möglichst fördern und verteidigen muß; möglichst durch Frieden, nicht durch Krieg: „pacempace non bello“ (Frieden durch Frieden, nicht durch Krieg), und der himmlische Friede, der dem Gottesstaat eigen ist, nämlich „die ganz einträchtige und wohl geordnete Gesellschaft derer, die Gott genießen und einander in Gott“ (De civ. Dei 19,13). 6. Abschließend möchte ich an die Worte meines verehrten Vorgängers Paul VI. erinnern, der ein großer Bewunderer des Bischofs von Hippo war: „Augustinus ist ein unvergleichlicher Lehrer des geistlichen Lebens“ (Audienz am 14. Dezember 1966). Er hatte recht. Tatsächlich war er auch ein großer Mystiker und Lehrer der Spiritualität. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur einige Seiten der Bekenntnisse zu lesen, vor allem jene, die vom geistlichen Aufstieg und von der Kontemplation handeln (Confess. 7,17,23; 9,10,23-25; 10,40,65). Er gründete diesen Aufstieg auf die „delectatio veritatis“ (die Freude an der Wahrheit) (De civ. Dei 19,19); diese gelungene Formulierung weist zugleich auf die beiden großen Kräfte des Geistes hin: Wahrheit und Liebe; zwei Kräfte, die tief im menschlichen Herzen verwurzelt sind und die der Heilige Geist in uns weckt, indem er in die Herzen die Liebe ausgießt (vgl. Rom. 5,5). An dieser Liebe, die der Heilige Geist in die Herzen ausgießt, hebt Augustinus ihren unerschöpflichen Dynamismus hervor, ihre intransigente Radikalität, ihre völlige Selbstlosigkeit, ihre zunehmende Glut, ihre Grundlage in der Demut, ihre Nahrung, die sie in der Gnade hat. Auf das Wirken des Heiligen Geistes in der 1602 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kirche bin ich in meiner letzten Enzyklika Dominum et vivificantem ausführlich eingegangen. Dem Meister von Hippo auf den Wegen des Geistes zu folgen, nützt allen. Ich empfehle das im besonderen den Ordensfamilien, die sich an ihm inspirieren, also den Augustinern und Augustinerinnen, besonders den Kommunitäten, die sich der Kontemplation widmen: sie werden daraus unermeßlichen Gewinn für sich und für die Kirche ziehen! Das sind also einige Gedanken, zusammengestellt aus dem gewaltigen Panorama der Lehre des hl. Augustinus: Sie sollen meine Wertschätzung für Ihre Studien bekunden und Sie in ihnen bestärken, damit die augustinische Lehre auch durch Ihr Zutun in Zukunft fortdauert, und in der Hoffnung darauf rufe ich auf alle den ständigen Beistand des Herrn herab, während ich Sie von Herzen segne. Ein Gott, der um das Schicksal des Menschen „besorgt“ ist Predigt bei der Eucharistiefeier für die internationale Vereinigung der Aussät-zigenhilfswerke „Freunde der Leprakranken“ in St. Peter am 21. September 1. „Der Blick des Herrn ruht auf dem Armen.“ Diese Worte aus dem 113. Psalm, die wir vorhin verkündet haben, sind eine Aufforderung an uns, liebe Brüder und Schwestern, unsere Antwort des Glaubens auf die Botschaft der fürsorglichen und barmherzigen Liebe Gottes zu jedem Menschen, der sich in Leiden und Angst befindet, zu geben. Der Gott, den Jesus Christus uns geoffenbart hat, ist ein Gott, der um das Schicksal des Menschen „besorgt“ ist und dem es ein Anliegen ist, die Folgen der menschlichen Gebrechlichkeit wiedergutzumachen. Es ist ein Gott, der sogar seinen Sohn sendet, damit er sich für die Rettung des Menschen opfert. Jesus, der menschgewordene Sohn Gottes, lehrt uns, in jedem die Würde der Person anzuerkennen und zu respektieren, wie elend, unglückselig und schwach seine Lage auch sein mag. Ja, Jesus blickt mit einer besonderen Aufmerksamkeit, man könnte sagen, mit einer eigenen Vorliebe, gerade auf die Schwächsten und die Existenzen am Rande der Gesellschaft, um an ihnen die Macht seiner Güte und seines Erbarmens sichtbar werden zu lassen. Ihm gefällt es, den Schwachen aus dem Staub emporzuheben und ihm einen Sitz bei den Edlen zu geben (vgl. Ps 113,7 f.). 2. Liebe Brüder und Schwestern, „Freunde der Leprakranken“, ich grüße euch alle aus ganzem Herzen und mit Gefühlen der Anerkennung für das wertvolle 1603 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und fruchtbare Werk der Nächstenliebe, das ihr in verschiedenen Teilen der Welt vollbringt, von wo in verstärktem Maße die Tränen der menschlichen Angst zu Gott emporsteigen, aber auch dort, wo sich durch euch die Hilfe der göttlichen Vorsehung greifbar zeigt. Anläßlich des 25jährigen Bestehens des Dienstes der italienischen Vereinigung „Freunde der Leprakranken“ und des 20jährigen Gründungsjubiläums des Bundes der Leprahilfswerke der Welt grüße ich alle hier Anwesenden und insbesondere die Leiter und die verschiedenen Vereinigungen, die ihr vertretet: Aus Italien: Amici di Raoul Follereau; aus Luxemburg: Fondation Luxem-bourgeoise Raoul Follereau; aus Kanada: Le Secours aux Lepreux du Canada; aus der Schweiz: Aide aux Lepreux Emmaus de la Suisse; aus Deutschland: Deutsches Aussätzigen-Hilfswerk; aus Frankreich: Association Francaise Raoul Follereau; aus Belgien: Damien Fondation de la Belgique; aus Großbritannien: „Lepra“, The British Leproxy Relief Association. Ich freue mich, mit euch diese Eucharistie zu feiern, die ich dem Herrn für alle Leprakranken der Welt sowie für alle Menschen darbringe, die sich in irgendeiner Weise im Kampf gegen diese schreckliche Krankheit aufopfem oder die sich jedenfalls — durch das Gebet, durch ihre Schriften, durch ihr Tun oder durch finanzielle Hilfe — für die Förderung und Verbreitung des Verständnisses, der Freundschaft und der liebevollen Beachtung gegenüber den Aussätzigen in der Welt verwenden und einsetzen. 3. Auch der von der Krankheit gezeichnete und gedemütigte Mensch ist immer Träger einer Bestimmung, die über die Zeit hinausreicht und in der Ewigkeit Gestalt annimmt. Denn Gott „will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4), denn Gott und die Wahrheit erkennen, ist die höchste Berufung des Menschen. Die Offenbarung, die Botschaft, die an jede Person ohne Unterschied gerichtet ist, lädt auch den Niedrigsten und Ärmsten ein, sich als Träger von Werten zu fühlen, die die Menschheit reich machen. Daher erinnert uns der heutige Tag an die hohe Achtung, die wir der Bedeutung des Lebens unserer an Aussatz erkrankten Brüder schulden. Es sind Männer und Frauen, die von Gott zum Heil berufen worden sind; es sind Brüder und Schwestern, von denen wir selbst ein Geschenk, mehr Güte, mehr Menschlichkeit, eine tiefere Erleuchtung der Wahrheit empfangen können und sollen. Denn wir wissen, daß Gott die Kleinen und Elenden mit seiner Wahrheit, mit seiner unendlichen Liebe, mit seiner Bereitschaft zu Trost und Rettung vertraut machen will. 4. Gott erhöht die Armen, weil Christus füir uns arm geworden ist: „Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu ma- 1604 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN chen“ (2Kor 8,9). Großes Erstaunen ergreift uns, wenn wir bedenken, mit welcher Liebe sich Gott der menschlichen Kreatur nach dem Sündenfall annimmt; seine Bevorzugung ging in der Tat soweit, daß er seinen eingeborenen Sohn für den Menschen, dem er in allem außer in der Sünde ähnlich geworden war, geopfert hat. Er, der sich für uns in seinem Leiden und in seinem Tod erniedrigt hatte, lehrt uns, daß gerade das, was in unseren Augen als ein Un-Wert erscheinen mag, im Lichte des Kreuzes dagegen zum höchsten aller Werte wird. Christus, der arm geworden ist, um uns durch seine Selbsthingabe reich zu machen, lädt uns ein, die große und dringende Lektion anzunehmen, unseren Hochmut zu besiegen und uns — wie er — über die am meisten erniedrigten Brüder zu beugen; besonders über jene, die der Versuchung der Verzweiflung ausgesetzt sind, über jene, für die es keine menschliche Hoffnung mehr gibt, über jene, die die allgemeinen vom Egoismus, von Abscheu, von der Angst oder aus anderen sozialen Gründen diktierten Abwehrmechanismen von jeder menschlichen Beziehung abzuschneiden und auszuschließen versuchen. 5. „Es kamen ihm zehn Aussätzige entgegen“ (Lk 17,12). An einer anderen Stelle des Evangeliums heißt es, Jesus „berührte“ {Lk 5,13) den Aussätzigen, der sich ihm in den Weg gestellt hatte. Jesus läßt es also zu, daß man ihm begegnet, er ist unser Nächster geworden, damit wir ihm gerade auf der tragischen und bedrückenden Schwelle des Leides begegnen. Vom Kreuz herab lehrt er uns, im Kranken sein Antlitz zu suchen, uns dem Leidenden dort zu nähern, wo er sein Elend durchmacht. Wie viele Aussätzige gibt es heute, und wo sind sie? Man spricht von Zahlen, die zwischen elf und zwanzig Millionen schwanken: es sind Menschen, die zum Großteil über die ärmsten Gegenden unseres Planeten verstreut sind. Es handelt sich um ein Phänomen, das sich den normalen Kontroll- und Hilfsmöglichkeiten entzieht. Trotz der Bemühung hochherziger Seelen bleiben viele Kranke von der allgemeinen Fürsorge und von der Behandlung und damit von der Heilung, die die medizinische Wissenschaft ihnen heute anbieten könnte, ausgeschlossen. Das Beispiel Christi muß uns zum Ausharren im Einsatz bei sozialen Situationen ermutigen, die sich dem Drama der Lepra gegenüber noch immer als unempfindlich oder ohnmächtig erweisen. Man darf nicht aufgeben, wenn die Bemühungen mitunter scheinbar ergebnislos bleiben oder wenn man sich in gesellschaftlichen Bereichen befindet, wo die Angst vor der Krankheit unmenschliche Verteidigungsmaßnahmen veranlaßt, die das Ergebnis instinktiver und irrationaler Abneigungen gegen den Kranken sind. Wir müssen weiter darauf hinarbeiten, daß sich gerade diese Schichten, die am unempfänglichsten zu sein scheinen, auch der Hoffnung öffnen. Hören wir den 1605 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Aufschrei, den die Aussätzigen an Jesu richteten: „Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!“ (Lk 17,13). 6. Es scheint mir angebracht, an dieser Stelle daran zu erinnern, daß die Kirche ihrer Sendung, die barmherzige Haltung Christi zu verkünden, sie nachzuahmen und in ein konkretes Bemühen um Hilfe, Trost und aktiven Beistand umzusetzen, immer treu geblieben ist. Wie sollte man nicht an das Beispiel des hl. Franz von Assisi denken, der in der Nähe seiner Heimatstadt einem Aussätzigen begegnete, der ihn um ein Almosen bat. Er stieg vom Pferd, half ihm und küßte ihn, weil er in diesem armen und elenden Menschen die Gestalt des von ihm geliebten und gesuchten leidenden Christus sah. Müßten wir nicht wieder P. Damian De Veuster nennen, der bei den Aussätzigen lebte und als Opfer eben dieser Krankheit starb; PJ. Beyzjm, der sich so für die Leprakranken auf Madagaskar aufopferte; den seligen Peter Donders, einen holländischen Missionar, der 28 Jahre in der Leprastation von Batavia als freiwilliger Kaplan der Kranken verbrachte? Und für unsere Zeit sei mir gestattet, auf Männer wie Raoul Follereau und Marcello Candia hinzuweisen, die soviel im Dienst an den Leprakranken geleistet haben. Durch ihr Beispiel haben sie das Gewissen der Welt wachgerüttelt und eine Bewegung der Sensibilisierung für die Verpflichtung und Forderung, den Leprakranken zu helfen, eingeleitet. Zusammen mit ihnen möchte ich an die Tausenden von Priestern, Ärzten, Ordensleuten, Missionaren, Laien, Katecheten, Freiwilligen erinnern, die ;zu Freunden der Leprakranken geworden sind, um schließlich Leprastationen, Krankenhäuser, Spezialzentren zur Untersuchung und Behandlung zu gründen und durch ihren aktiven Einsatz.zu erhalten. Ihnen allen gilt meine Anerkennung, meine herzliche Ermutigung,.mein Dank. Im Namen der ganzen Kirche und der Menschheit danke ich ihnen und fordere sie auf, weiterzumachen in ihrer geduldigen und beherzten Arbeit. 7. Der Herr hat unseren Händen viele Werke der Nächstenliebe anvertraut, damit wir durch sie mitverantwortlich an seinem Heilsplan würden. Es wird also auch uns nicht an Verpflichtungen fehlen, um in wirksamen Programmen tätig zu sein. Ein Programm ist natürlich etwas mehr als eine Gelegenheit zur Hilfe, die dem guten Willen der einzelnen überlassen bleibt. Es setzt einen durchdachten Plan voraus, ein ständiges Bewußtsein der Ziele, die Feststellung der Aussichten, die sich dem Fleiß und der Nächstenliebe bieten, die immer auf den neuesten Stand gebrachte Prüfung der Situation. Und wieviel erreicht ihr dadurch, daß ihr erkennt, wie notwendig die Zusammenlegung der Kräfte auf internationaler Ebene ist, um die Leiden der Krankheit zu erleichtern und den psychologischen und sozialen Schwierigkeiten zu begegnen, 1606 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN die sich für die Situation des Kranken besonders im Zusammenhang mit dem Fortschreiten der Krankheit und den langen Perioden der Abgeschiedenheit, die sie mit sich bringt, ergeben. Ihr habt bei eurem Einsatz nicht allein die Heilung im Auge; es geht darum, allen Kranken die Hoffnung zu geben, daß sie ein wahrhaft menschliches Leben führen können, dazu beizutragen, daß um sie eine Umgebung entsteht, die für ihre Not und ihre Bedürfnisse empfänglich ist, vor allem für ihre Reintegrierung in die übrige Gesellschaft. Man wird ihnen vor allem verständlich machen müssen, daß es ihnen wie jedem Menschen zusteht, in ihrem Menschsein zu wachsen, mehr zu gelten, mehr zu sein. 8. Einer der Aussätzigen kehrte zum Herrn zurück, um „ihm zu danken“ (Lk 17,16). In seinem Herzen war offensichtlich der Glaube aufgebrochen. Möge er doch in vielen anderen Herzen aufbrechen, denen heute die Heilung von dieser oder anderen Krankheiten widerfährt! Aus dem Glauben erwächst im Menschen eine neue Dimension, ein transzendenter Humanismus, der sich, geboren aus dem Dialog mit Gott, durch die Gemeinschaft mit Jesus, dem Leben, verwirklicht. Der Glaube gibt dem Menschen die erschöpfende Antwort und öffnet ihm die Augen über das höchste Ziel seiner Entwicklung als Person. Ich wünsche daher von Herzen, daß es jedem möglich sei, das Wort anzunehmen, das bei jeder Mühe und jedem Einsatz der gemeinsamen Nächstenliebe Trost und Ermutigung ist: „Dein Glaube hat dir geholfen“ {Lk 17,19). Denn j ede Mühe und jedes Leiden wird, wenn es im Glauben und in der Hoffnung getragen wird, zu einer Vorwegnahme der kommenden Herrlichkeit. Gerade die Leiden und Mühen machen die menschliche Existenz offen für eine Zukunft der Freude und beweisen, daß sich im Augenblick des Verfalls der leiblichen Existenz in Christus das wahre Leben zeigt. „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Möge der Herr Jesus dieses Wort des Trostes und der Hoffnung für j eden leidenden Menschen wiederholen. Und könnte ein jeder, von diesem Wort Christi betroffen, „aufstehen und gehen“: auf der Straße des Lebens den Brüdern entgegengehen, um „ohne Zorn und Zank die Hände zum Himmel erhoben“ (1. Lesung) mit ihnen den Weg zum gemeinsamen Ziel, der seligmachenden Schau Gottes, fortzusetzen. Dazu erteile ich euch von Herzen meinen Segen. 1607 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Naturerscheingungen studieren, um Katastrophen zuvorzukommen Ansprache an die Teilnehmer einer Studienwoche der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften am 26. September Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 1. Diese Studienwoche über „Persistent Meteo-Oceanographic Anomalies and Teleconnections“ ist ein neuer Beweis dafür, daß die Päpstliche Akademie der Wissenschaften von der Absicht geleitet ist, sich in den Dienst der Menschheit zu stellen, vor allem durch ihr Interesse an den bedeutendsten wissenschaftlichen Problemen der Zeit. Das Thema Ihres Symposions ist in der Tat augenblicklich eines der dringendsten. Mein herzlicher Gruß gilt den hervorragenden Spezialisten auf dem Gebiet der fundamentalen ozeanographischen und atmosphärischen Probleme, mit denen sie sich beschäftigen. Mit Freude stelle ich fest, daß Sie aus vielen verschiedenen Teilen der Welt kommen, von Nord- und Südamerika, Europa und Asien. Das ist einmal mehr ein Erweis der harmonischen Zusammenarbeit, die unter den Wissenschaftlern besteht und die so sehr zum Weltfrieden beiträgt. 2. Die Wissenschaft hat nicht nur die natürlichen Phänomene als solche zu studieren. Sie muß sich auch in intellektueller und ethnischer Hinsicht mit aller Kraft entschieden darum bemühen, die Entwicklung und die Folgen dieser Phänomene in den Blick und in den Griff zu bekommen, um das Wohl der Menschheit sicherzustellen und zu mehren. Dieses Ziel haben Sie sich selbst gesteckt. Sie haben Erscheinungen wie El Nino, die Monsune und ihre weltweiten Auswirkungen, die Gründe für atmosphärische Störungen in den östlichen Zonen des Pazifischen Ozeans und auch die anhaltende Dürre in der Sa-helzone dem Studium unterzogen. Die Studien, die Sie in den einzelnen Instituten, die Sie vertreten, durchgeführt haben, und mit denen Sie sich nun in der ruhigen Atmosphäre der Casina Pius“ IV., dem Sitz der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, beschäftigt haben, werden Sie in Stand setzen, jenen, die durch diese und andere negative Naturerscheingungen bedroht sind, rechtzeitige Wettervorhersagen zu liefern. So wird es möglich, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um die schlimmsten Auswirkungen herannahender Naturkatastrophen zu vermeiden. In verschiedenen Teilen der Welt ist es nun dank der hingebenden Bemühungen möglich, Systeme zu erstellen, um atmosphärische Phänomene zu registrieren 1608 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN und andere Fakten, die den gesamten Erdball beeinflussen, auf weltweiter Ebene zusammenzutragen. 3. Mit Ihrer Arbeit erfüllen Sie das Gebot der Bibel, die Erde zu beherrschen, Katastrophen, die der Menschheitsfamilie Schaden zufügen, unter Kontrolle zu bringen und die Erde in unseren Dienst zu stellen. Die Wissenschaft ermutigt den legitimen menschlichen Wissensdurst, der das ganze Universum kennenlernen möchte, um es in seiner Schönheit und seinem Wert als ein Gut zu bewundern und zu betrachten. So treten wir mit Gott selbst in Verbindung, der das, was er erschaffen hatte, ansah und sah, daß es sehr gut war (vgl. Gen 1,3). Aber wir sind auch von Gott dazu berufen, in der Natur, die ja der Regulierung ihres Gleichgewichts bedarf, Entwicklungen zu kontrollieren, die Gewalt aus-lösen und zum Tod führen können. Wir sind dazu berufen, neue Energiequellen zu entdecken, um jene, die nicht mehr erneuerbar sind oder sich als ungenügend erwiesen haben, zu ersetzen. Leider kommt es manchmal vor, daß der Mensch in seinem schrankenlosen Verlangen nach materiellem Wohlbefinden die Mittel und Hilfsquellen der Erde verdirbt und verschleudert, was zur Folge hat, daß es gerade denen zum Schaden gereicht, die am wenigsten imstande sind, sich zu verteidigen, die am wenigsten technische Fachkenntnisse besitzen und die unwirtlichsten Gebiete bewohnen. Sie aber widmen sich der echten Aufgabe des Wissenschaftlers: Sie studieren, um zu betrachten und zu verstehen, zu kontrollieren und fruchtbar zu machen. Im Lauf Ihrer Studien können Sie nicht umhin, die gewaltigen Kräfte der Natur zu bewundern. Aber gleichzeitig sehen Sie, daß diese Kräfte für die Menschheit auch zu Gefahren und Bedrohungen werden können, und Sie lehren, wie man sie beherrschen kann, so daß sie sich in den Dienst aller stellen lassen. 4. Meine Damen und Herren, ich bin vor allem der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften und ihrem Präsidenten dankbar für diese Zusammenkunft hier. Ich rufe auf Sie den Segen Gottes, des Schöpfers, und seiner Vorsehung herab für die Studien, die Sie unternehmen, um ein harmonisches Umweltgleichgewicht zu garantieren, das die menschliche Sicherheit und Würde begünstigt und vor allem denen zum Segen gereichen wird, die Naturkatastrophen unvorbereitet und schutzlos gegenüberstehen. 1609 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zwei Drittel der Menschheit im Elend Brief an die Tagung der Konferenz der Vereinten Nationen über Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf Herrn Alister Mclntyre Beigeordneter Generalsekretär der Konferenz der Vereinten Nationen über Handel und Entwicklung Seit der Tagung der Konferenz über „die unterentwickelten Länder“, die im September 1981 in Paris stattgefunden hat, und schon nach der Ausarbeitung des „neuen wesentlichen Aktionsprogrammes für die Achtzigerjahre“ haben die Weltwirtschaftskrise und verschiedene andere Faktoren nicht die Verwirklichung sämtlicher damals festgelegter Ziele zugelassen. Eine allgemeine Überprüfung der Durchführung dieses Aktionsprogrammes erweist sich darum auf halber Strecke sehr angebracht. Und man muß sich freuen, wenn man sieht, daß die „mit dem Problem der unterentwickelten Länder beauftragte zwischenstaatliche Gruppe“ im Rahmen der UNCTAD und mit ihrer Hilfe Zusammentritt. Ich selbst bringe gern allen, die an dieser Genfer Tagung teilnehmen, meine herzliche Ermutigung zum Ausdruck. Ich wünsche zutiefst, daß aufgrund einer objektiven Analyse der gegenwärtigen Situation der politische Wille zur Durchführung gerechterer und wirksamerer Maßnahmen wiederbelebt werde, um zu einer geeigneten Lösung eines der schwerwiegendsten Probleme unserer Zeit beizutragen. Im Verlauf meines jüngsten Pastoralbesuches in Afrika habe ich nicht versäumt, bei mehreren Gelegenheiten zu unterstreichen, wie sehr mir der Fortschritt aller Völker am Herzen liegt, für den in erster Linie die Regierenden und die Bevölkerungen jedes einzelnen Landes, aber auch in solidarischer Weise die ganze Gemeinschaft der Nationen verantwortlich sind. In diesem Sinne habe ich z. B. in Yaounde zum Präsidenten der Republik, zu den bestehenden Gremien und zum Diplomatischen Corps gesprochen. Die Bemühungen afrikanischer Länder, die gewiß von begrenzten Mitteln bedingt sind, wären jedoch - mit der aktiven Hilfe der internationalen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Ernährung, der Gesundheit und der Investitionen — imstande, die wirtschaftliche und soziale Herausforderung, die die große Mehrzahl ihrer Bewohner bedrückt und erniedrigt, allmählich aufzudecken. Ich zweifle nicht daran, daß die Teilnehmer im Laufe der Tagungsarbeiten, wo sie sich aufmerksam mit den technischen Beziehungen und den Statistiken befassen, Geist und Herz wirklich ergreifen lassen werden von den menschlichen Dramen, die 1610 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Millionen und Abermillionen unserer Mitmenschen täglich in den benachteiligten Ländern erleben. Alle diese Brüder sind unserer Solidarität würdig. Doch sollte man nicht den Jugendlichen, die ohne Arbeit, ohne Zukunft und manchmal bereits an ihrer Gesundheit und Enwicklung Schaden gelitten haben, eine gewisse Priorität einräumen? Ich möchte unbedingt noch eine heikle und schmerzliche Frage anschneiden. Ich will über die große Sorge der Verantworlichen mehrerer Länder sprechen, die nicht mehr wissen, wie sie mit dem beängstigenden Problem der Verschuldung fertigwerden sollen. Ohne auf technische Überlegungen eingehen zu wollen, möchte ich dieses Problem dennoch erwähnen, das einen der kompliziertesten Gesichtspunkte der allgemeinen Situation der internationalen Wirtschaft darstellt. Eine strukturelle Reform des Weltfinanzsystems ist ohne jeden Zweifel eine der Initiativen, die als die dringendsten und notwendigsten erscheinen. Mir sei gleichwohl gestattet, Ihrer wohlwollenden Aufmerksamkeit zwei Punkte zur Überlegung vorzuschlagen. Zunächst scheint mir notwendig, Maßnahmen zu suchen und sie zu verdeutlichen, die geeignet sind, den unterentwickelten und verschuldeten Ländern zu helfen, im Bereich der Ernährung Selbstversorger oder wenigstens weitgehend Selbstversorger zu werden. Dann möchte ich den in besonderer Weise christlichen Wert der Liebe unterstreichen. Dieser Wert wird besonders in dringenden Fällen dazu veranlassen, politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen, die nicht allein von Überlegungen strenger menschlicher Gerechtigkeit bestimmt, sondern von einer Hochherzigkeit höherer Art inspiriert werden: dem, was die Christen die Nächstenliebe nennen und die ein Ausdruck der Gottesliebe ist. Das Evangelium gibt uns zu diesem Thema eine einleuchtende Lehre und schlagende Beispiele. Dann werden die technischen Einrichtungen im edelsten Sinne des Wortes im Dienst einer politischen Entscheidung stehen. Dank dieses tiefen Einvernehmens über das gemeinsame Wohl der Menschheit und dank derartiger mutiger Entscheidungen wird der Friede zwischen den Nationen errichtet bzw. wiedererrichtet. In der Familie widerspricht die Liebe niemals der Gerechtigkeit, sondern sie verleiht ihr eine Dimension und eine Qualität, die ihnen das Überstehen von Prüfungen und die Überwindung von Krisen ermöglichen. So kann die große Völkergemeinschaft der ganzen Menschheitsfamilie helfen, auf den Wegen einer wirksamen Solidarität Fortschritte zu machen und ihre tiefe Friedenssehnsucht zu festigen. Nochmals spreche ich den Wunsch aus, daß die wichtigsten und schwierigen Arbeiten dieser sechsten Tagung der mit der unterentwickelten Ländern betrauten zwischenstaatlichen Gruppe den Erwartungen dieser Länder voll und ganz entsprechen. 1611 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Es geht um das Wohl von zwei Dritteln der Menschheit, die ein unerträgliches Elend erleidet. Es geht um die Ehre und das Gewissen der Völker die im Überfluß leben. Auf die Regierenden, die Experten, die Berater und alle Teilnehmer an dieser humanitären Tagung, die imstande ist, unseren Brüdern und Schwestern der unterentwickelten Länder wieder Hoffnung zu geben, rufe ich die Fülle des Lichtes und der Kraft Gottes herab. Gott segne Ihre Anstrengungen! Aus dem Vatikan, am 26. September 1985 JOANNES PAULUS PP. II „Den Glauben habe ich bewahrt“ Predigt bei der Gedächtnismesse für die Päpste Paul VI. und Johannes Paul I. in St. Peter am 28. September Liebe Brüder und Schwestern! Liebe Pilger aus der Lombardei und Venetien! 1. Die Worte der liturgischen Texte, die wir soeben gehört haben, vor allem die Worte des hl. Paulus an seinen Schüler Timotheus, passen genau auf unser heutiges Gedenken an die beiden teuren Päpste Paul VI. und Johannes Paul I., die vor acht Jahren von ihrem Erdenleben Abschied genommen haben, nachdem sie in der Tat, wie der Apostel sagt, den guten Kampf des Glaubens gekämpft hatten. Während die beiden Pontifikate — so verschieden und durch die zeitliche Nähe und pastorale Kontinuität sich doch so ähnlich — dabei sind, im Buch der Geschichte ihren Platz zu finden, erscheinen die Botschaft und die Beispielhaf-tigkeit des Lebens der beiden Päpste immer mehr wie ein lebendiger Kommentar zu dem vorhin gehörten bedeutungsschweren Bibelabschnitt. Als Gottesmänner, die sich darum bemühten, ihren Auftrag rein und ohne Tadel zu erfüllen (vgl. 1 Tim 6,14) und die heilbringende Lehre unseres Herrn Jesus zu verbreiten in Erwartung seines endgültigen Erscheinens, lebten sie ein arbeitsames Leben, das ein ständiges Streben nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut war (vgl. 1 Tim 6,11). 1612 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Noch immer höre ich unter dem Gewölbe dieser Basilika die kraftvolle Erklärung Papst Pauls VI. bei der Wiederaufnahme des Zweiten Vatikanischen Konzils: „Christus — Christus unser Anfang, Christus unser Leben und unser Führer! Christus unsere Hoffnung und unser Ziel!...Kein anderes Licht außer Christus, dem Licht der Welt, schwebe über dieser Versammlung!....Kein anderes Verlangen möge uns leiten außer dem Wunsch, Christus absolut treu zu sein“ (Insegnamenti di Paolo VI, 1,1963,170). Hier liegt die Wurzel der Taten und Gesten, mit denen Paul VI. als unermüdlicher Verwirklicher der Konzilsweisungen seinen langen und leidenschaftlichen Dienst erfüllt hat, der sich auf die unterschiedlichsten Probleme der Kirche und der Welt erstreckte, denen er sich mit unermüdlicher Aktivität stellte. Von Christus aus und zu Christus hin führt jene volle Menschlichkeit, die der unvergeßliche Papst unerschrocken vertrat: Wenn wir im Antlitz jedes Menschen — besonders wenn es durch seine Tränen und seine Schmerzen transparent geworden ist — das Antlitz Christi erkennen können und dürfen..., und wenn wir im Antlitz Christi das Antlitz des himmlischen Vaters erkennen können und dürfen..., wird unsere Menschlichkeit zum Christentum, und unser Christentum wird theozentrisch, so daß wir sagen können: um Gott zu kennen, muß man den Menschen kennen“ {Insegnamenti, III, 1965, 731). In der Weite dieses Rahmens umriß er eine neue soziale Ordnung, die jenen Frieden hervorbringt, der auf der Gerechtigkeit gründet, die die Menschen nicht schaffen können: „Die von der Nächstenliebe geprägte Gesellschaft — die Zivilisation der Liebe — wird alle sozialen Auseinandersetzungen überwinden und der Welt die ersehnte Verklärung einer endlich christlichen Menschheit schenken“ (Paul VI., Weihnachten 1975 bei der Schließung der Heiligen Pforte: Insegnamenti, XIII, 1975,1568; Wort und Weisung, 1975, 500). Die Treue zur Wahrheit des Glaubens führte ihn zu jener Anerkennung des päpstlichen Amtes, der ganz der Wert eines testamentarischen Bekenntnisses zukommt: „Wir fühlen uns an dieser entscheidenden Schwelle unseres Lebens bestärkt und getragen vom Bewußtsein, immer wieder und unermüdlich vor der Kirche und der Welt bekannt zu haben: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ {Mt 16,16). Und wie Paulus, so glauben auch wir sagen zu dürfen: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt“ (2 Tim 4,7)...Dies ist, liebe Brüder und Schwestern, das unermüdliche, wache, brennende Anliegen, das uns die 15 Jahre unseres Pontifikates hindurch bewegt hat. „Den Glauben habe ich bewahrt!“ können wir heute sagen aufgrund unserer demütigen und zugleich festen Überzeugung, niemals „die heilige Wahrheit“ verraten zu haben...Bei diesem hochherzigen und von Schwierigkeiten begleiteten Einsatz des Lehramtes im Dienst und zur Verteidigung der Wahrheit betrachten wir auch die Verteidigung unseres päpstlichen 1613 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Amtes als eine unerläßliche Aufgabe... Wir haben die Verteidigung des Lebens in allen seinen Formen, in denen es bedroht, behindert oder sogar unterdrückt wird, zu einem Hauptanliegen unseres Pontifikates gemacht“ (Predigt am Fest Peter und Paul, 29. Juni 1978: Insegnamenti, XVI, 1978, 522; Wort und Weisung, 1978/1, 249-253). 3. Von Johannes Paul I. klingen in meinem Herzen noch die programmatischen Worte wider, die ich ohne Zögern und unverkürzt als Meilensteine meines eigenen Dienstes auf dem Stuhl Petri übernommen habe: „Wir wollen das Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils fortsetzen...; wir wollen die große Lehre der Kirche für das Leben der Priester und der Gläubigen unversehrt bewahren...; wir wollen die ganze Kirche daran erinnern, daß ihre erste Pflicht die Evangelisierung ist...; wir wollen die ökumenischen Bestrebungen fortsetzen, die wir als größtes Vermächtnis unserer unmittelbaren Vorgänger betrachten...; wir wollen mit Geduld und Ausdauer den entspannten und konstruktiven Dialog weiterführen, den der verstorbene Paul VI. zur Grundlage und zum Programm seines pastoralen Wirkens gemacht hat...; wir wollen schließlich alle guten und lobenswerten Initiativen unterstützen, die den Frieden in dieser aufgewühlten Welt wahren und fördern können“ (Joh. Paul I., Rundfunkbotschaft an die Welt, verlesen am 27. August 1978: Insegnamenti di Giovanni Paolo I, 21-16; Wort und Weisung 1978/11, 37-39). Wenn wir uns am heutigen Tag seiner herzlichen und aufmuntemden Worte an den römischen Klerus erinnern, sehen wir wie durch einen Schleier die Grundlage und den Reichtum seines ganzen Lebens: „Die große Disziplin ist nur dann gegeben, wenn die äußerliche Beobachtung Frucht tiefer Überzeugung und freigewollte, freudige Lebensäußerung in der innigen Gemeinschaft mit Gott ist“ {Insegnamenti, 56). Der irdische Weg des Papstes Luciani ist schnell zu Ende gegangen — entgegen den glühenden Hoffnungen und einmütigen Wünschen, mit denen Rom und die Welt die Tage seines Pontifikats begleiteten. Und nun wenden wir uns, während wir das Haupt vor dem unerforschlichen Willen der Vorsehung neigen, direkt an den einen wie an den anderen, an Johannes Paul I. und Paul VI., um sie anzuflehen, bei Gott Fürbitte einzulegen, damit die Kirche die Gnaden erlangt, die sie in der schwierigen Phase der heutigen Zeit braucht. 4. Du, Mann Gottes, dessen wir heute, an dem Tag, an dem der Herr dich zu sich gerufen hat, gedenken; Du, der unter dem Namen Johannes Paul I. als Diener der Diener Gottes Bischof von Rom und Hirte der Kirche war; 1614 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Du, der mit den Worten des Apostels nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut gestrebt hat (vgl. 1 Tim 6,11). O Mann Gottes! Am Grab des hl. Petrus versammelt, danken wir dem Fürsten der Hirten, daß es ihm gefallen hat, dich zu berufen, dir zu gestatten, rein und ohne Tadel deinen Auftrag zu erfüllen bis zum Erscheinen Jesu Christi, unseres Herrn (vgl. 1 Tim 6 ,14). Die Zeit deines Amtes war kurz: kaum 33 Tage, doch es war eine heilsame Zeit, eine nützliche Zeit, die die Kirche niemals vergessen wird, während sie dem ewigen Vater die Frucht deines Lebens empfiehlt. 5. O Mann Gottes, dessen wir heute zusammen mit deinem unmittelbaren Nachfolger gedenken: dir war es unter dem Namen Paul VI. gegeben, den guten Kampf des Glaubens zu kämpfen (vgl. 1 Tim 6,12). Heute sprechen wir: „Ergreife das ewige Leben, zu dem du berufen worden bist und für das du vor vielen Zeugen das gute Bekenntnis abgelegt hast“ (1 Tim 6,12); vor der Kirche und vor der Menschheit. Heute bitten wir also den, der „der König der Könige und Herr der Herren“ ist, „der allein die Unsterblichkeit besitzt“, „der in unzugänglichem Licht wohnt, den kein Mensch gesehen hat noch je zu sehen vermag“ (1 Tim 6,15 f.), ihn bitten wir, dir, treuer Diener, die ewige Gemeinschaft des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zu gewähren. 6. „Selig die Toten, die im Herrn sterben“ (Offb 14,13). Selig sind, die uns verlassen haben, die Päpste Paul VI. und Johannes Paul I., denn sie sind im Herrn gestorben. „Ja, spricht der Geist, sie sollen ausruhen von ihren Mühen; denn ihre Werke begleiten sie“ (Offb 14,13). Amen! „Der heilige Erzengel beschütze alle Römer!“ Ansprache bei der Weihe der Engelsstatue auf der Engelsburg am 29. September Sehr geehrter Herr Minister, Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren! 1. Während ich meine dankbare Hochschätzung für die vornehmen Worte zum Ausdruck bringe, mit denen der Herr Kulturminister und der Herr Bürgermeister die Empfindungen aller interpretiert haben, entbiete ich ihnen und allen Anwesenden einen achtungsvollen, herzlichen Gruß. 1615 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Es ist mir eine große Freude, heute, am Fest der Erzengel Michael, Gabriel und Raphael, hier bei dieser eindrucksvollen Feier anwesend zu sein, anläßlich der Rückkehr der berühmten Statue des Erzengels Michael auf die Spitze dieser Burg, die nach ihr benannt worden ist. Das Vorhandensein dieser Figur geht zurück auf das Stadtbild von Rom vor vielen Jahrhunderten und zeichnet sich durch eine besonders imposante und majestätische Feierlichkeit aus, seit mein Vorgänger Benedikt XIV. diese Bronzestatue auf den Zinnen dieses Bauwerks geweiht hat, die den Erzengel darstellt, wie er im Begriff ist, das Schwert in die Scheide zu stecken. Die historischen Zeugnisse der Verehrung des Erzengels Michael an diesem Ort reichen weit zurück in die Vergangenheit. Glaubwürdigen Berichten zufolge bestand bereits zur Zeit Papst Bonifaz“ IV. eine Kapelle im oberen Teil dieses Bauwerks, die ihm geweiht war. Offensichtlich wurde damit beabsichtigt, die Stadt dem Schutz dieses Erzengels anzuvertrauen, in dem bereits das Volk von Israel seinen sicheren Führer sah (vgl. Dan 12,1) und den die Kirche Christi, das neue Volk Gottes, deshalb weiterhin als himmlischen Beschützer anrufen konnte. 2. Nach dem Beispiel meiner Vorgänger und im Einklang mit der Tradition, die tief verwurzelt ist in der römischen Völksfrömmigkeit, will auch ich den heiligen Erzengel Michael als Beschützer dieser Stadt anrufen und ihre Geschicke seiner Fürsprache und seiner Obhut anvertrauen. Der heilige Erzengel beschütze die Tätigkeit aller Römer und fördere ihr geistliches und materielles Gedeihen; er helfe jedem, die eigene Lebensführung nach den Geboten der moralischen Norm auszurichten; er stärke in den Verwaltern der öffentlichen Angelegenheiten den Willen zur Hingabe an das Gemeinwohl unter Achtung der Gesetze und des wahren Interesses der Bürger; er ermutige den Einsatz der Gutgesinnten zur Förderung der Grundwerte der Gerechtigkeit, der Solidarität, des Friedens; er halte fern von dieser Stadt alles Unheil, insbesondere die Übel unserer Zeit, die Entheiligung der Familie, die Gewalt und die Droge. Mit den Worten eures großen Dichters Dante richte auch ich zum Herrn das Gebet, das alles einschließt: „Wie deine Engel mit Hosannasingen dir ihren Willen weihn auf dein Gebot, so mögen dir die Menschen ihren bringen“ (Die Göttliche Komödie, Läuterungsberg XI, 10-12). Meine Segenswünsche gelten der ganzen römischen Bevölkerung, besonders den Kranken und den Kindern. Und nun segne ich die restaurierte Statue des hl. Erzengels Michael. 1616 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kommunikation ein Akt der Liebe Ansprache an die Teilnehmer des 21. Verwaltungssymposions der Europäischen Rundfunkunion am 3. Oktober Meine Damen und Herren! Es ist mir eine Freude, die Teilnehmer am 21. Verwaltungssymposion der Europäischen Rundfunkunion zu begrüßen. Sie sind in diesen Tagen nach Rom gekommen, um die wirschaftlichen und organisatorischen Probleme im Zusammenhang mit Rundfunkübertragungen zu studieren. Zugleich war es Ihr Wunsch, in Ihre Tätigkeiten diese Begegnungen mit dem Papst, dem universalen Hirten der katholischen Kirche, einzuschließen. Ich fühle mich durch Ihre Anwesenheit geehrt und heiße Sie ganz herzlich im Vatikan willkommen. 1. Da wir uns heute treffen, werde ich an das gewaltige Potential an Gutem erinnert, das Rundfunk und Fernsehen besitzen und das ständig im Wachsen begriffen ist. Zugleich bin ich mir bewußt, daß auch die gegenteilige Möglichkeit gegeben ist, die immer größere Möglichkeit zum Bösen wegen der Versuchung, diese modernen Mittel der sozialen Kommunikation in einer Weise zu gebrauchen, die die Wahrheit entstellt oder die Würde und Freiheit der menschlichen Person verletzt. So lastet eine wirklich schwere Verantwortung auf Ihren Schultern. Sie haben in unserer technologischen Gesellschaft eine bevorzugte Stellung inne. Ihre Entscheidungen und Ihre Tätigkeit können die Erziehung und die kulturelle Entwicklung von ungezählten Menschen weitgehend formen. Sie können das Denken, die Arbeitsweise und Freizeitgestaltung der heutigen und künftigen Generationen bedeutend beeinflussen. 2. Die Nachrichten- und Informationssendungen, aber auch Programme, die vorwiegend für Freizeit und leichte Unterhaltung bestimmt sind, haben immer eine Auswirkung auf die moralischen und geistigen Werte der menschlichen Person. Deshalb führte ich in diesem Jahr in meiner Botschaft zum 19. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel aus: „Die Information darf den Werten gegenüber nicht gleichgültig bleiben, die das menschliche Dasein tief berühren, wie dem Vorgang des Lebens vom Augenblick der Empfängnis an, der sittlichen und geistlichen Dimension, dem Frieden, der Gerechtigkeit. Die Information darf Problemen und Situationen gegenüber nicht neutral sein, die auf nationaler und internationaler Ebene das Beziehungsgeflecht Gesellschaft zerstören, wie Krieg, Verletzung der Menschenrechte, Armut, Gewalt, Drogen“ (Nr. 2, in: OR dt, 3,5.85, S. 12). 1617 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ihr Ersuchen um diese heutige Audienz ist ein Zeichen, daß Sie die Wirkung von Fersehen und Runkfunk auf das Denken und die Herzen der Zuschauer und Zuhörer erkennen. Ich fordere Sie dringend auf, die elekronischen Medien stets in den Dienst der Menschheit und das Wohl aller zu stellen. Achten Sie auf die tiefverwurzelten kulturellen und religiösen Werte Ihres Publikums, denn diese haben einen grundlegenden Einfluß auf den sozialen und zwischenmenschlichen Charakter der menschlichen Existenz. Sie bestimmen weitgehend die Einheit und Harmonie der Gesellschaft. Wenn Ihre Bemühungen der Stärkung dieser Werte dienen, werden Sie damit der Menschheit einen unschätzbaren Dienst erweisen. 3. Als Glieder der katholischen Kirche suchen wir zu allen Zeiten die Frohbotschaft unseres Herrn Jesus Christus zu verkünden. Und wir suchen nach immer wirksameren Mitteln, diese Sendung in die Welt hinauszutragen. Sie werden daher leicht einsehen, warum wir so großes Interesse an den neuesten Entwicklungen im Bereich von Rundfunk und Fernsehen haben: Wir haben von Leuten wie Ihnen noch viel zu lernen. Wir sind davon überzeugt, daß die Massenmedien in der pastoralen Arbeit der Kirche Anwendung finden müssen. Darum wurde ja vor mehr als fünfzig Jahren mit Hilfe von Guglielmo Marconi Radio Vatikan errichtet und hat seine Dienste im Laufe der Jahre ständig ausgeweitet und verbessert. Viele Ortskirchen überall in der Welt haben gleichfalls die Möglichkeiten von Runkfunk und Fernsehen genutzt, um das Evangelium von der Erlösung zu verkünden und dem Volk Gottes in Wahrheit und Freiheit zu dienen. Im Gehorsam gegenüber der ihr von Christus aufgetragenen Sendung begrüßt die Kirche die Gelegenheit, Fachleute auf dem Gebiet von Rundfunk und Fernsehen kennenzulernen und mit ihnen zum Wohl aller zusammenzuarbeiten. Ich möchte daher diese Gelegenheit benutzen, Sie meines echten Interesses an Ihrer Arbeit und an Ihren Bemühungen um Förderung der Kommunikation zu versichern. Wie Sie nur zu gut wissen, ist Kommunikation mehr als der Prozeß der Weitergabe von Informationen oder Auslösung von Emotionen. Im tiefsten ist sie ein persönlicher Akt der Liebe, eine hochherzige Selbsthingabe sowohl mit dem Denken wie mit dem Herzen. Möge Gott Ihnen die Gnade gewähren, gute Kommunikatoren zu sein, deren Arbeit Einheit und Frieden fördert. Und möge er Ihnen und Ihren Familien reichen Segen gewähren. 1618 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Vor allem Verkünder des inneren Friedens „Tonbandbotschaft“ an die Jugendlichen der Katholischen Aktion Italiens in Assisi am 4. Oktober Liebe Jugendliche der Katholischen Aktion Italiens! Auch ich schließe mich heute, am 4. Oktober, dem Fest des hl. Franziskus, eurer Gebetswallfahrt von der Kirche Santa Maria degli Angeli zur Franziskusbasilika an. Ich bin mit meiner Stimme bei euch, ich bin euch nahe mit meiner Zuneigung und schließe mich geistig eurem Gebet für den Frieden an in der Erwartung, daß ich in wenigen Wochen zusammen mit den Vertretern der verschiedenen Religionen, die dort aus allen Teilen der Welt zusammenströmen werden, in diese Stadt kommen kann. Euer heutiges Treffen, an dem ihr in so großer Zahl teilnehmt, ruft jenes Treffen in Erinnerung, das die franziskanische Geschichte als das berühmteste Kapitel aus der Anfangszeit des Ordens erwähnt, das sogenannte „Mattenkapitel“ von 1221, als sich ungefähr 5000 Freunde und Anhänger um den hl. Franziskus versammelten, um zu beten und die Verpflichtung zu erneuern, Verkünder der evangelischen Botschaft zu sein. Sie war in dem Ausdruck ,fax et Bonum“ zusammengefaßt: Verkünder also nicht nur jenes Friedens, der sich auf die äußeren Beziehungen gründet, sondern auch und vor allem Verkünder des inneren Friedens wollten sie sein; des Friedens, der das Erbarmen Gottes für uns bedeutet, gegenseitige Vergebung, Eintracht, die die Strukturen des sozialen Lebens neugestaltet. Liebe, junge Freunde, ihr habt die Einladung zum Gebet für den Frieden angenommen und seid nach Assisi gekommen, um eurem hochherzigen Engagement im Dienst dieses grundlegenden Wertes jedes geordneten Zusammenlebens Nachdruck zu verleihen. Das Gebet bestärke euch in diesem Vorsatz. Ihr wißt, welche Kräfte es einschließt, welche Fähigkeit ihm innewohnt, um die hartnäckigsten Widerstände zu überwinden. Deshalb wollte ich, daß das Treffen am kommenden 27. Oktober ein Gebetstreffen sein soll. Es ist bedeutungsvoll, daß das Gebet für den Frieden alle, die an Gott glauben, vereinen soll. Euch, die ihr euch mit dieser Kundgebung auf die kommende interreligiöse Begegnung vorbereiten wolltet, bitte ich, auch nach eurer Rückkehr nach Hause im Gebet fortzufahren. 1619 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Betet und spart keine Mühen, in unserer Zeit den Haß durch die Liebe, das Mißtrauen durch das Verständnis, die Gleichgültigkeit durch Solidarität zu ersetzen. Liebe Jugendliche der Katholischen Aktion, öffnet euren Geist und eure Herzen immer mehr für die konkreten Forderungen der Liebe aller unserer Brüder, damit ihr immer mehr zu Baumeistern des Friedens werdet. Ich segne euch herzlich: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Herz-Jesu-Verehrung in geeigneter Weise fördern Brief an den Generaloberen der Gesellschaft Jesu Dem hochwürdigen Pater Peter-Hans Kolvenbach, Generaloberer der Gesellschaft Jesu Es war mein Wunsch, auf meiner Pilgerfahrt nach Paray-le-Monial in der Kapelle zu beten, in der das Grab des seligen Claudius La Colombiere verehrt wird. Er war „der treue Knecht“, den der Herr in seiner Liebe und Vorsehung der hl. Margareta-Maria Alacoque als geistlichen Führer gegeben hat. So kam es, daß er ihre Botschaft als erster verbreitete. In den wenigen Jahren seines Ordenslebens und intensiven Dienstes hat er sich als ein „vorbildlicher Sohn“ der Gesellschaft Jesu erwiesen, der Christus, wie die hl. Margareta-Maria selbst bezeugt, die Aufgabe anvertraut hatte, die Verehrung seines göttlichen Herzens zu verbreiten. Ich weiß, mit welcher Hochherzigkeit die Gesellschaft Jesu diesen wunderbaren Auftrag angenommen und mit welchem Eifer sie sich bemüht hat, ihn während der letzten drei Jahrhunderte nach Kräften zu erfüllen. Doch möchte ich bei dieser feierlichen Gelegenheit alle Mitglieder der Gesellschaft Jesu auffor-dem, diese Verehrung noch eifriger zu fördern, die mehr denn je den Erwartungen unserer Zeit entspricht. Bedenken wir wohl: Der Herr hat in seiner Vorsehung gewollt, daß an der Schwelle der modernen Zeit, im 17. Jahrhundert, von Paray-le-Monial ein kräftiger Anstoß zur Verehrung des Herzens Christi ausging, und zwar in den Formen, wie sie die hl. Margareta-Maria in ihren Visionen empfangen hat. Die wesentlichen Elemente dieser Verehrung gehören jedoch bleibend zur Spiritualität der Kirche während ihrer ganzen Geschichte. Denn von. Anfang an hat die Kirche auf das Herz Christi geschaut, das am Kreuze durchbohrt wurde und aus 1620 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN dem Blut und Wasser floß, Symbole der Sakramente, die die Kirche begründen. Und im Herzen des fleischgewordenen Wortes haben die Vater des christlichen Ostens und Westens den Beginn des ganzen Werkes unseres Heiles gesehen, die Frucht der Liebe des göttlichen Erlösers, für die dieses durchbohrte Herz ein besonders eindringliches Zeichen ist. Das Verlangen, „den Herrn tief innerlich zu erkennen“ und „ein Zwiegespräch mit ihm zu halten“, von Herz zu Herz, ist durch die Geistlichen Exerzitien ein Wesensmerkmal der geistlichen und apostolischen Dynamik des Ignatius von Loyola, die ganz und gar ausgerichtet ist auf den Dienst der Liebe des Herzens Gottes. Das Zweite Vatikanische Konzil erinnert uns daran, daß Christus, das fleischgewordene Wort, uns „mit einem menschlichen Herzen geliebt hat“. Gleichzeitig versichert es uns: „Seine Botschaft mindert nicht nur den Menschen nicht, sondern verbreitet, um ihn zu fördern, Licht, Leben und Freiheit; und außer ihr vermag nichts dem Menschenherzen zu genügen“ (vgl. GS 21 f.). Beim Herzen Christi lernt das Herz des Menschen den wahren und einzigartigen Sinn seines Lebens und seiner Bestimmung erkennen, den Wert eines wahrhaft christlichen Lebens begreifen, sich vor gewissen Entartungen des menschlichen Herzens schützen und die Liebe eines Kindes zu Gott mit der Liebe zum Nächsten vereinen. So wird auf den Trümmern, die von Haß und Gewalt aufgehäuft wurden, die so sehr erhoffte Zivilisation der Liebe, das Reich des Herzens Christi, errichtet werden können. Das ist in Wahrheit die Wiedergutmachung, die vom Herzen des Erlösers gefordert wird. Das sind die Beweggründe, warum ich so sehr wünsche, daß Ihr beharrlich fortfahrt, die wahre Herz-Jesu-Verehrung zu verbreiten, und daß Ihr stets bereit seid, meinen Brüdern im Bischofsamt bei der Förderung dieser Verehrung überall und wirksam zu helfen. Ihr sollt euch darum kümmern, die geeignetsten Wege zu finden, die Herz-Jesu-Verehrung darzulegen und zu verwirklichen, damit der Mensch von heute mit der ihm eigenen Mentalität und Sensibilität in ihr die wahre Antwort auf seine Fragen und Erwartungen finden kann. Im vergangenen Jahr habe ich Euch anläßlich des Kongresses des Gebetsapostolats dieses Werk, das mit der Verehrung des Heiligen Herzens so eng verbunden ist, in besonderer Weise anvertraut. In gleicher Weise bitte ich Euch bei meiner Pilgerfahrt nach Paray-le-Monial, alle Anstrengungen, die möglich sind, zu unternehmen, um den Auftrag, den Christus selber Euch gegeben hat, immer besser zu erfüllen: die Verbreitung der Verehrung seines göttlichen Herzens. Die reichen geistlichen Früchte, welche die Herz-Jesu-Verehrung hervorgebracht hat, sind weithin bekannt. Sie drücken sich vor allem aus in der Praxis der Heiligen Stunde und dem Empfang von Beichte und Kommunion am er- 1621 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sten Freitag im Monat. Dadurch hat diese Verehrung dazu beigetragen, Generationen von Christen zu intensiverem Gebet und zum häufigeren Empfang der Sakramente der Buße und der Eucharistie anzuregen. Es ist auch heute noch wünschenswert, die Gläubigen zu diesen Formen des geistlichen Lebens hinzuführen. Die Heilige Jungfrau Maria stehe Euch bei mit ihrem mütterlichen Schutz. An ihrem Fest der Heimsuchung wurde Euch 1688 diese Sendung anvertraut. Stütze und Trost in Eurer apostolischen Arbeit sei Euch der Apostolische Segen, den ich der ganzen Gesellschaft Jesu von Paray-le-Monial aus von ganzem Herzen erteile! Paray-le-Monial, am 5. Oktober 1986 PAPST JOHANNES PAUL II. Eltern können fordern: Erziehung muß mit kirchlicher Lehre übereinstimmen Ansprache an die Vollversammlung des Päpstlichen Rats für die Familie am 10. Oktober Herr Kardinal! Liebe Brüder im Bischofsamt! Liebe Freunde! 1. Ich freue mich, euch zu empfangen. Ich stelle fest, daß der Päpstliche Rat für die Familie regelmäßig seine Vollversammlung abhält und sich auf diese Weise den Beitrag aller seiner Mitglieder, besonders aber die Erfahrung der Familien der verschiedenen Länder, zunutze machen kann für eine vertiefte Untersuchung auf dem Gebiet der christlichen Lehre über die Werte der Familie, die es zu fördern gilt. Das Zentralthema, das ihr für eure Überlegungen auf dieser vierten Vollversammlung gewählt habt — „das Sakrament der Ehe und der Erziehungsauftrag“ — wird zweifellos eine Hilfe sein, die wichtigen Aspekte der Sendung der Laien in der Kirche zu vertiefen. Nur zwölf Monate trennen uns noch von der nächsten Bischofssynode, die ja die Berufung und die Sendung der Laien behandeln wird, und dieser Aufgabe der Erziehung kommt eine besondere Bedeutung für das Wohl der Kirche und der ganzen Gesellschaft zu. 1622 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 2. Die Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche weist darauf hin, daß die Laien „in den normalen Verhältnissen des Familien-und Gesellschaftslebens...leben und tätig sind“, und fährt dann fort: „Sie sind von Gott berufen, ihre eigentümliche Aufgabe, vom Geist des Evangeliums geleitet, auszuüben und so wie ein Sauerteig zur Heiligung der Welt gewissermaßen von innen her beizutragen“ (LG 31). Eines der für das Familienleben typischen Elemente ist die Aufgabe der Kinde-rerziehung. Die Eltern, die die ersten und Hauptverantwortlichen für die Erziehung ihrer Kinder sind, werden so, in Übereinstimmung mit der Berufung der Ehe, zu den ersten Glaubensboten für ihre Künder (vgl. LG 11). Sie sind von Gott gerufen, das menschliche Leben weiterzugeben, und tragen überdies zu der Erneuerung bei, die Gott in ihnen durch den Glauben und durch die Taufe bewirkt, die ihnen das göttliche Leben schenkt. So also empfängt — wie das Apostolische Schreiben Familiaris consortio in Erinnerung ruft — „die Erziehungsaufgabe vom Ehesakrament die Würde und Berufung, ein echtes und wirkliches ,Amt‘ der Kirche zur Auferbauung ihrer Glieder zu sein“ (Nr. 38). 3. Den Wert der Kinder bejahen heißt logischerweise zugleich die beiden voneinander untrennbaren Aspekte, nämlich ihre Zeugung und ihre Erziehung, anerkennen. Die Pastoralkonstitution Gaudium et spes stellt die Zeugung und Erziehung der Kinder als die Krönung der Institution der Ehe und der ehelichen Liebe dar (vgl. Nr. 48). Die Bedeutung, die die christliche Lehre über die Ehe der Zeugung beimißt, ist niemals lediglich unter genetischem und biologischem Gesichtspunkt gesehen worden noch darf sie so gesehen werden. Was die Konstitution verlangt, und was darum in der Innigkeit ehelichen Umgangs gefordert wird, ist ein Offensein für das Kind, dem man das Leben schenkt und das man erzieht. Die Liebe, die die Gatten vereint, öffnet sie für das Kind, das die Frucht ihrer Liebe ist. „Die Selbsthingabe, welche die Liebe der Ehegatten zueinander prägt, bietet sich auch als Modell und Norm für jene selbstlose Hingabe an, die sich in den Beziehungen zwischen den Geschwistern und zwischen den verschiedenen Generationen verwirklichen soll, die in der Familie Zusammenleben“ (Familiaris consortio, Nr. 37). Für die Erfüllung eines solchen Auftrags werden die christlichen Gatten „durch ein eigenes Sakrament gestärkt und gleichsam geweiht“ (GS 48). 4. Man kann keine Spiritualität der Ehe aufbauen, wenn man ihre wichtigsten Aufgaben nicht berücksichtigt. Die Spiritualität der Ehe setzt voraus, daß man bewußt und freiwillig die Aspekte annimmt, die mit der Berufung von Gatten und Eltern verbunden sind, und daß man sie im Glauben, in der Hoffnung und 1623 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN in der Liebe lebt. Die tatsächlichen Eigenschaften der Ehe, wie die menschliche Liebe, die Zeugung und Erziehung von Kindern, die Treue, mit den jeweiligen Verpflichtungen, die sie erfordern, heiligen, wenn sie im Geiste Christi gelebt werden, die Eheleute. Man kann die wesentlichen Elemente dieses ehelichen Sendungsauftrags auch nicht gegeneinander ausspielen, sie sind miteinander verbunden. Man sollte also nicht fürchten, daß eine verantwortliche Haltung bei der Weitergabe des Lebens sich auf die gegenseitige Liebe der Ehegatten, auf die Erziehung der Kinder oder gar auf die eheliche Treue nachhaltig auswirken könnte. Wenn man unter dem Vorwand, auf einen dieser Aspekte sorgfältiger achten zu wollen, andere vernachlässigt, ist das deshalb gerade für den Aspekt, den man begünstigen wollte, keine Verbesserung. 5. Diese Gesamtheit menschlicher und christlicher Tugenden, die für Ehegatten charakteristisch sind, welche ihren Auftrag vor der Gesellschaft und vor der Kirche wahrnehmen, muß vor allen Dingen an die Kinder weitergegeben werden. Denn durch eine Art Osmose, d.h. gegenseitiger Durchdringung, nehmen die Kinder in ihr Leben und ihre Persönlichkeit wohl besonders das auf, was sie in der Atmosphäre der Familie einatmen und was die Frucht der Tugenden ist, die die Eltern in ihrem eigenen Leben verwirklicht haben. Die beste Methode, diese Tugenden in das Herz der Kinder einzuschreiben, ist es, sie ihnen eingeprägt in das Leben der Eltern vorzustellen. Menschliche und christliche Tugen-den, harmonisch und fest verbunden, machen das an den Eltern wahrgenommene Ideal für die Kinder begehrenswert und spornen sie dazu an, sich ihrerseits das Erreichen dieses Ideals zum Ziel zu setzen. Genau das sagt auch das Zweite Vatikanische Konzil: „Das Erziehungswirken der Eltern ist so entscheidend, daß es dort, wo es fehlt, kaum zu ersetzen ist. Den Eltern obliegt es, die Familie derart zu einer Heimstätte der Frömmigkeit und Liebe zu Gott und den Menschen zu gestalten, daß die gesamte Erziehung der Kinder nach der persönlichen wie der gesellschaftlichen Seite hin davon getragen wird. So ist die Familie die erste Schule der sozialen Tugenden, deren kein gesellschaftliches Gebilde entraten kann“ (GE 3). 6. Die Eltern sind nicht allein. Um die Werte weitergeben zu können, indem sie ihre Wurzeln und Fundamente sichtbar machen, müssen sie mit der Schule Zusammenarbeiten. Denn die Schule muß, wenn sie ihren Auftrag in Übereinstimmung mit den Eltern erfüllt, die Schüler dazu anhalten, zu einer verantwortungsbewußten Freiheit zu gelangen. Diese wird sie dazu befähigen, in verschiedenen Gesellschaftskreisen und Kulturen mit der Festigkeit und Konsequenz der christlichen Anschauung zu leben.Die Teilnehmer eines juristischen Kolloquiums in Rom erinnerte ich daran, daß „die Behörden, wenn sie dieses 1624 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Recht und diese Pflicht der Eltern anerkennen, ihrerseits die echte Lehrfreiheit fördern müssen, damit die Schule, gleichsam als Verlängerung des Elternhauses, zum Wachstum der Schüler in den fundamentalen Werten beiträgt, wie die es wünschen, die ihnen das Leben gegeben haben. Leider wird die Lehrfreiheit praktisch eingeschränkt, wenn die Familien wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten nicht mehr die Bildungsrichtung wählen können, die eine Weiterführung ihrer eigenen Erziehungsarbeit darstellen könnte. Wenn sich zudem die gewählte Schule katholisch nennt, haben die Eltern die Verpflichtung, darüber zu wachen, daß die dort angebotene Erziehung mit der Lehre des kirchlichen Lehramtes übereinstimmt, und sie können das demnach fordern. Wäre es anders, käme das einem Vertrauensmißbrauch gleich, der die Tugend der Gerechtigkeit verletzen würde“ (OR 27.4.86, Nr. 6). 7. Bei der Erfüllung dieser Pflicht der Erziehung ihrer Kinder werden die christlichen Eltern in dem Geheimnis eine Kraftquelle finden, an dem sie durch ihre Ehe teilhaben und das in der Eucharistie gegenwärtig wird: Christus, der sich aus Liebe zur Kirche im bereitwilligen Opfer dem Vater darbringt. Das Alltagsleben der Ehegatten und Eltern, getragen von der Kraft des eucharisti-schen Geheimnisses, wird zu einem Gott gefälligen geistigen Opfer, das seinerseits die gesamte Wirklichkeit der Familiengemeinschaft auf den Höhepunkt des christlichen Gottesdienstes, die Hingabe Jesu Christi an den Vater, ausrichtet. Als Beter im Geist und in der Wahrheit (vgl. Joh 4,23) üben sie ihr allgemeines Priestertum als Getaufte aus, indem sie ihr tägliches Leben und Arbeiten mit den göttlichen Tugenden durchdringen, und sie bringen diese Werte der Ehe Gott dem Vater in Verbundenheit mit dem Opfer Christi dar, das in der Kirche durch den priesterlichen Dienst erneuert wird (vgl. LG 34). 8. Aus diesen Wahrheiten ergeben sich für das konkrete Leben der christlichen Ehepaare und Familien zahlreiche praktische Konsequenzen und pasto-rale Richtlinien. Man sollte alle Initiativen unterstützen, die in Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche den einen oder anderen Aspekt der Familien-pastoral fördern. Es wäre gut, gemeinsam mit der Hierarchie in jedem eurer Länder die apostolischen Erfahrungen sozialer Präsenz zu entwickeln, die den tatsächlichen Notwendigkeiten an Ort und Stelle am nächsten kommen. In echter Freiheit werden die christlichen Laien dann die konfessionellen wie nichtkonfessionellen Initiativen fördern können, die am besten in ihre berufliche Kompetenz und in ihr verschiedenes kulturelles Milieu passen. Eure Anwesenheit hier als Mitglieder eines Dikasteriums der Kirche bestätigt diese Fülle von apostolischen Initiativen, die zum Wohl der Ehe und der Familie im Volk Gottes durchgeführt werden. Natürlich repräsentiert ihr nicht direkt alle 1625 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Länder noch sämtliche apostolischen Bewegungen. Das ist aber kein Hindernis dafür, daß ihr als Rat für die Familie, also als eine Einrichtung des Heiligen Stuhles, die berechtigten Wünsche aller Gläubigen entgegennehmt, die sich persönlich oder im Rahmen von Vereinigungen um das Wohl der Familie sorgen und in diesem Sinne tätig sind. 9. Zum Abschluß dieser jährlichen Begegnung sei an den Abschnitt aus Fami-liaris consortio erinnert, der das, was ich euch dargelegt habe, und das Thema eurer Überlegungen gut zusammenfaßt: „Das lebendige und wache Bewußtsein von dem im Ehesakrament empfangenen Auftrag wird den christlichen Eltern helfen, sich mit froher Zuversicht und starkem Vertrauen der Erziehungsaufgabe zu widmen, eingedenk zugleich ihrer großen Verantwortung vor Gott, der sie zur Auferbauung der Kirche in ihren Kindern ruft und sendet. So wird die Familie der Getauften, die vom göttlichen Wort und Sakrament als Hauskirche zusammengeführt ist, wie die große Kirche zugleich zur Mutter und Lehrerin“ (Nr. 38). In dieser Hoffnung spreche ich herzliche Wünsche für die Tätigkeiten dieses Päpstlichen Rates im Dienste der Familie aus. Ich grüße und segne von Herzen euch persönlich und alle Familien, die ihr vertretet, besonders die Kinder, die im Mittelpunkt eurer pastoralen Sorge stehen. Der Heilige Geist stehe euch mit seinem Licht und seiner Kraft bei! Die Jungfrau Maria schütze euch mit all ihrer Liebe! „Nicht nachlassen in den Anstrengungen für die Einheit der Christen“ Ansprache an die Mitglieder des Salzburger Komitees der Stiftung „Pro Oriente“ am 10. Oktober Lieber Herr Erzbischof, sehr geehrte Damen und Herren! Es war Ihr aufrichtiger Wunsch, während Ihres kurzen Romaufenthalts auch dem Bischof von Rom einen Besuch abzustatten. Ich heiße Sie als Vertreter der Stiftung „Pro Oriente“ dazu heute im Vatikan herzlich willkommen. Die Stiftung „Pro Oriente“ ist auf das engste mit dem Namen und Wirken des verehrten Kardinals Franz König verbunden, dem für diese lobenswerte Initiative Dank und Anerkennung gebührt. In den zwei Jahrzehnten ihres Beste- 1626 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN hens hat diese Einrichtung sich besonders um den Dialog mit den orthodoxen Kirchen, vor allem mit den altorientalischen Kirchen bemüht. Diesem Anliegen haben auf fruchtbare Weise die zahlreichen Begegnungen, Tagungen und Publikationen gedient, die auf der Ebene qualifizierter wissenschaftlicher Forschung die gegenseitige Kenntnis zwischen den einzelnen Kirchen des Ostens und Westens bemerkenswert erweitert und vertieft haben. Wie schon bei anderer Gelegenheit möchte ich auch hier noch einmal unterstreichen, daß die Stiftung „Pro Oriente“ durch ihre vielfältigen Bemühungen einem besonders wichtigen Auftrag des II. Vatikanischen Konzils entspricht. Dieses ermahnt diejenigen, die sich für die volle Wiederherstellung der Einheit zwischen den orientalischen Kirchen und der katholischen Kirche einsetzen wollen, daß sie die „besonderen Umstände der Entstehung und des Wachstums der Kirchen des Orients sowie die Art der vor der Trennung zwischen ihnen und dem Römischen Stuhl bestehenden Beziehungn gebührend berücksichtigen und sich über dies alles ein rechtes Urteil bilden. Die genaue Beachtung dieser Frage wird zu dem beabsichtigten Dialog im höchsten Maße beitragen“ (UR 14). Durch Sie möchte ich allen Mitarbeitern und Förderern von „Pro Oriente“ für die bisherige wertvolle ökumenische Arbeit aufrichtig danken und sie zugleich ermutigen, in ihren Anstrengungen für das große Anliegen der Einheit der Kirche Jesu Christi nicht nachzulassen. Ich begleite Ihre weiteren Bemühungen und auch Ihre gegenwärtige Reise nach Rom und Instanbul mit meinen besten Wünschen und mit meinem Gebet. Von Herzen erteile ich Ihnen allen dazu meinen besonderen Apostolischen Segen. „Eine Seele, immer bereit zu hören“ Predigt bei der Heiligsprechung des seligen Giuseppe Maria Tomasi am 12. Oktober in St. Peter 1. „Der Herr ist mein Hirte“ (Ps 23,1). Diese Worte wiederholt die Kirche ständig. Sie wiederholt sie heute, an diesem Sonntag im Oktober, mit besonderer Dankbarkeit und geistlichem Enthusiasmus. Ja. Der Herr ist mein Hirte. Die Wahrheit dieser Worte bestätigt sich besonders dann, wenn es der Kirche gegeben ist, das Werk der Heiligkeit im Leben ihrer Söhne und Töchter festzustellen. 1627 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das Werk der Heiligkeit, das ist das Werk Gottes selbst, das Werk Christi, des ewigen Hirten, das Werk des Heiligen Geistes, der im Menschen tätig wird. Das Werk der Heiligkeit, das ist das Werk des Menschen, der sich im Gehorsam der Gnade Gott geweiht hat. „Gloria Dei vivens homo“, „Gottes Ruhm ist der lebendige Mensch“. 2. Heute kann die Kirche, und besonders der Apostolische Stuhl, wieder einmal die Heiligkeit des Menschen bestätigen, die das höchste Werk Gottes im geschaffenen Universum ist. Sie ist das vollkommenste Geschenk. Diese Heiligkeit ist im Leben und in den Werken des 1803 von Pius VII. seliggesprochenen Giuseppe Maria Tomasi offenkundig geworden. Die weiteren Zeugnisse, durch die Gott diesen seinen Diener leuchtend herausgestellt hat, veranlassen uns nun, ihn in die Reihe der Heiligen aufzunehmen. Pastorale Gründe für diese Heiligsprechung gibt es viele. Der wichtigste ist wohl die Bedeutung, die der Gestalt des hl. Giuseppe Maria auf dem Gebiet der Liturgie zukommt, die er durch sein Leben und seine wissenschaftlichen Schriften eingehend förderte. Das Zeugnis des neuen Heiligen kommt unseren Tagen, 20 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das die Erneuerung des liturgischen Lebens so gefördert hat, besonders gelegen. Der Heilige, den wir heute verkünden, helfe uns, die Erneuerung im rechten Sinn zu verstehen und zu verwirklichen. Bei der Vollziehung des Aktes der Heiligsprechung können wir mit dem hl. Paulus wiederholen: „Daher erlahmt unser Eifer nicht in dem Dienst,der uns durch Gottes Erbarmen übertragen wurde. Wir haben uns von aller schimpflichen Arglist losgesagt; wir handeln nicht hinterhältig und verfälschen das Wort Gottes nicht, sondern lehren offen die Wahrheit.So empfehlen wir uns vor dem Angesicht Gottes jedem menschlichen Gewissen“ (2 Kor 4,1 f.). 3. Giuseppe Maria Tomasi hat in seinem Leben, entsprechend den Worten des Propheten Ezechiel in der heutigen Liturgie, auf den ewigen Anruf des göttlichen Hirten geantwortet. In den Spuren und nach dem Vorbild der Kirchenlehrer und großen Theologen entspricht er in hervorragender Weise der Gestalt des Priesters, der die Liebe zur Wissenschaft mit der Liebe zur Frömmigkeit vereint, und erinnert somit an das Modell, das uns der Prophet Maleachi vorstellt, wenn er sagt: Der Mund des Priesters ist voll Erkenntnis, und von seinen Lippen erwartet man Belehrung; denn er ist der Bote des Herrn der Heere“ (.Mal 2,7). Natürlich ist die „Erkenntnis“, auf die sich der Prophet bezieht und in der Kardinal Giuseppe Maria glänzte, wesentlich die Erkenntnis, um nicht zu sagen die 1628 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Erfahrung“ der göttlichen Dinge. Aber der hl.Giuseppe Maria führt uns eben durch sein Zeugnis als „Liturgiewissenschaftler“ — im modernen Sinne des Wortes — zu dieser mystischen Erkenntnis. Tomasi zeigt also uns allen und insbesondere den Seelenhirten, wie sehr es beim Priester auf ein gesundes kulturelles Empfinden ankommt, das auf einer echten Liebe zur Wahrheit gründet, die er in hochherzigem Engagement den Brüdern mitteilt, einem Engagement, das seinem Dienst eine besondere Würde und einzigartige Wirksamkeit verleiht. 4. Der hl. Giuseppe Maria hatte von Kind an eine innige Neigung und einen starken Hang zu den „kirchlichen Dingen“, zu denDingen Gottes — wie er zu sagen pflegte — verspürt. Deshalb entschloß er — eine Seele, die immer bereit war zu hören — sich, sehr früh und unverzüglich, der göttlichen Eingebung zu folgen, die ihn zu einer Lebensform rief, in der der Dienst und die Verehrung Gottes durch eine besondere und erneuerte Weihe garantiert werden: dem Leben des Ordensberufes. Und so trat er in den Theatinerorden ein. Als Angehöriger einer sizilianischen Adelsfamilie hätte er, wenn er in der Welt geblieben wäre, über unermeßliche Reichtümer und ein enormes gesellschaftliches Ansehen verfügen können, die ihm aus den Erstgeburtsrechten des Fürstentums Lampedusa und des Herzogtums Palma die Montechiaro zustanden. Aber von anderen Reichtümern und von der Aussicht auf einen unendlich höheren Ruhm als den irdischen angezogen, verzichtete er auf diese Rechte, um in der Disziplin und Strenge des Ordenslebens dem armen, ehelosen und gehorsamen Christus zu folgen. Um nach dem Vorbild unseres Herrn, der reich war und unseretwegen arm wurde (vgl. 2 Kor 8,9), die Brüder durch das Zeugnis einer totalen Verfügbarkeit und einer uneigennützigen Liebe reich zu machen. 5. Kardinal Tomasi steht vor uns als Vorbild eines Hirten, denn er folgte zuerst dem göttlichen Hirten, begab sich in seine Schule, versuchte, in sein Geheimnis — das Geheimnis der Frömmigkeit — einzudringen, und bemühte sich vor allem, dieses Geheimnis in seinem Leben als Glaubender und als Priester und in seiner Tätigkeit als Wissenschaftler und Forscher wieder lebendig werden zu lassen. Als wahrer Diener des Altars begriff Tomasi, daß er Christus, wie es im Psalm heißt, vor allem in seinem Heiligtum (vgl. Ps 63,3) suchen müsse, indem er im Haus des Herrn wohnt (vgl. Ps 23,6), das heißt, der heiligen Liturgie die schuldige Ehre erweist, was sich nicht in einem äußerlichen Ritualismus erschöpft, sondern im Gottesdienst eine wirksame Licht- und Kraftquelle für den ganzen Tag des Christen sieht, so als sollte dieser nichts anderes sein als eine Fortsetzung der liturgischen, vor allem der eucharistischen Handlung. 1629 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das war die besondere Weise, mit der er dem göttlichen Hirten gefolgt ist und mit der er uns lehrt, ihm zu folgen. So wie er sich in die Schule des göttlichen Lehrmeisters begeben hat, so ist er seinerseits für uns zum Lehrer geworden. 6. „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ (Mk 16,15). Wie hat unser Heiliger auf diesen grundlegenden apostolischen Auftrag geantwortet? Mit der Ausübung vielfältiger Tätigkeiten, die von seiner Demut und seiner Seelengröße, von seinem bereiten Eingehen auf jede Bitte wie von seiner spezifischen, gewissenhaften und methodischen Vorbereitung zeugen. Die Förderung des liturgischen Lebens, für die er sich in besonderer Weise verwendete, reicht so von der Publikation der Forschung oder gelehrten Entdek-kung bis zu dem Wirken, das er für die liturgische Erziehung des Volkes und der einfachen Gläubigen entfaltete. Sein Geist des Dienens und der glühenden Liebe zu den Seelen, die vom Studium und vom Bemühen um gewissenhafte Befolgung der Regel seines Ordens in besonderer Weise geformt wurden, machen ihn verfügbar sowohl für den Dienst an den Armen und Kranken wie für die Wahrnehmung von Aufgaben an der Römischen Kurie, bis er von Papst Clemens XII. die Kardinalswürde empfing, die er aus Demut vergeblich abzulehnen versuchte. Nachdem er die mit dem Kardinalsamt zusammenhängenden liturgischen Aufgaben erfüllt hatte, begann er wie ein Pfarrer, den Kindern und den anderen Gläubigen die Anfangsgründe des Glaubens und den Katechismus zu erklären, und stellte denen, die in der christlichen Lehre Fortschritte machten, Preise in Aussicht. Ähnlich dem göttlichen Hirten vermochte Kardinal Tomasi so, die zerstreute Herde (vgl. Ez 34,12) wieder zusammenzuführen und anzuhalten, sich auf grünen Auen und an ruhigen Wassern zu lagern (vgl. Ps 23,2). Es gelang ihm auch, sie „auf gute Weide zu führen“ {Ez 34,14): gemeint ist vor allem die Weide des Wortes Gottes, das im eucharistischen Geheimnis der heiligen Liturgie erläutert und „Fleisch geworden“ ist. 7. Im Leben des Giuseppe Maria Tomasi hat sich erfüllt, was der hl. Paulus von sich selbst geschrieben hatte: „Gott...ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi“ (2 Kor 4,6). Er wandelte also in dieser „Erkenntnis des göttlichen Glanzes“ — und brachte sie den anderen. „Wir verkündigen nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen“ (2 Kor 4,5). 1630 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Er schritt im Leben voran und war sich bewußt, einen großen Schatz mit sich getragen zu haben! Und wieder dachte und handelte er — so wie der Apostel Paulus — in Übereinstimmung mit den Worten aus der zweiten Lesung der Liturgie des heutigen Sonntags: „Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, daß das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt“ (2 Kor 4,7). 8. Ja. Von Gott kam diese Kraft, lieber Bruder Giuseppe Maria, Von Gott. Die Heiligkeit stammt immer von Gott, nicht vom Menschen. Zugleich aber ist sie im Menschen. Die Kirche verkündet heute voller Freude, daß diese Heiligkeit, die von Gott kommt, in dir war. In dir, der sich als ein „zerbrechliches Gefäß“ gefühlt hat. In dir, der sich, als er offen die Wahrheit lehrte, vor dem Angesicht Gottes jedem menschlichen Gewissen empfohlen hat (vgl. 2 Kor 4,2). Heute dankt die Kirche zusammen mit dir dem göttlichen Hirten, der immer seine Herde sucht und sich um sie kümmert (vgl. Ez 34,11), dafür, daß er dich erwählt, gerufen und beauftragt hat, damit du die anderen zu ihm führst. Heute dankt die Kirche zusammen mit dir für den unsagbaren Schatz deiner Fürsprache beim Allerhöchsten. Und mit der Kirche dankt mit dir dem göttlichen Hirten auch deine Ordensfamilie, der Klerikerorden der Theatiner, den du — nach dem hl. Cajetan und dem hl. Andreas Avellino — mit Heiligkeit ausgezeichnet hast. Und mit der Kirche dankt dem göttlichen Hirten auch dein Sizilien. Es jubelt über das Licht, das du ihm schenkst und das zum Licht der vielen anderen Heiligen seiner 2000jährigen christlichen Geschichte hinzukommt. Heiliger Giuseppe Maria, bete für uns! Für deinen Orden, für dein Sizilien, für die ganze Kirche! Amen. Wahre Kunst hilft geistige Wirklichkeit erfassen Ansprache an den Kongreß der Internationalen Gesellschaft Christlicher Künstler am 14. Oktober Liebe Künstler und Freunde! 1. Ich fühle mich durch euren Besuch geehrt und bin erfreut über eure heutige Anwesenheit hier. Ich habe euch Freunde genannt, weil ich mich Künstlern 1631 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sehr verwandt fühle und sie sehr schätze. Ich bin der Internationalen Gesellschaft Christlicher Künstler zutiefst dankbar, die diesen Kongreß in sorgfältiger Arbeit organisiert und Architekten, Maler, Bildhauer, Dichter, Schriftsteller, Musiker, Bühnenschaffende oder auf irgendeinem anderen künsterlischen Gebiet Tätige nach Rom eingeladen hat. Auch dem Päpstlichen Rat für die Kultur drücke ich meinen Dank aus für seine konkrete Unterstützung dieses Unternehmens. So heiße ich euch alle mit großer Freude willkommen, liebe Freunde aus der ganzen Welt, die ihr in der schönen Kirche Santo Stefano Ro-tondo in Rom eure Tagung abhaltet. Ich habe auch mit Genugtuung erfahren, daß ihr dort aus diesem Anlaß eine Ausstellung eurer Kunstwerke arrangiert habt. 2. Ich bin glücklich über die Begegnung mit euch, weil ich in euch echte Wohltäter der Menschheit sehe. Ihr bereichert die Welt und schenkt ihr durch die Betrachtung der Schönheit geistige Erhebung. Eurem Besuch beim Stuhl Petri kommt die Bedeutung eines Zeugnisses für die Kirche zu, die immer die Künste gefördert, Generationen von Künstlern herangebildet und Kunstwerke inspiriert hat, die die Kultur der Welt bereichert haben. Ich bin, auf der Linie der berühmten Rede Papst Pauls VI. an die Künstler 1964 in der Sixtinischen Kapelle, zutiefst davon überzeugt, daß es notwendig ist, die Freundschaft zwischen Kirche und Künstlern, die aus verschiedenen Gründen in der modernen Zeit etwas abgekühlt ist, wieder neu zu beleben. Warum wollen wir diese Freundschaft festigen? Aus folgendem fundamentalen Grund: zwischen der Kunst, der ihr durch eure Tätigkeit Ausdruck verleiht, und dem Glauben, von dem wir durch unseren Dienst Zeugnis geben, besteht eine natürliche Beziehung, eine tiefe Verwandtschaft, eine wunderbare Gelegenheit zur Zusammenarbeit. Beide, Kunst und Glaube, erhöhen die Größe des Menschen und verstärken seinen Durst nach dem Unendlichen. Die Künstler und die Kirche entdecken, daß sie über die ernsten Gefahren hinaus, die schwer auf der Zukunft des Menschen lasten, dasselbe Interesse für den Menschen, dieselbe Hoffnung teilen können. Ja, der moderne Mensch ist ernsthaft bedroht, nicht nur von Kernwaffen und Umweltkatastrophen, sondern mehr noch vom praktischen Materialismus und von religiöser Gleichgültigkeit. Wie ich bei meinem Besuch der Mailänder Scala (am 21. Mai 1983) sagte: „Eine Ökologie des Geistes im Dienst des Menschen ist notwendig“ (DAS, 1983,398). Christliche Künstler können der Kirche dabei helfen, daß Gott in seiner Schönheit und unendlichen Güte von den Menschen geliebt wird. Denn dieser Mangel an Liebe läßt die Kirche und die Christen unermüdlich sein in ihrem Dienst an der Wahrheit und Schönheit. Der Mensch braucht Gott, weil er von Gott und für Gott geschaffen wurde. Der Mensch 1632 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN kann ohne Gott nicht auskommen, denn Gott allein ist sein Heil. Genau das ist der Auftrag der Christen: der Menschheit zu helfen, Gott wiederzuentdecken. 3. Liebe Künstler und Freunde, ihr seid zu einem Dienst berufen, der den menschlichen Geist erhebt, bereichert und tröstet und dem Menschen hilft, sich zu Gott zu erheben. Das ist die erhabene Sendung der Kunst, die der Sendung der Kirche ähnlich ist. Daher erscheint mir das Thema eures Kongresses sehr angebracht und aktuell: „Die Kirche braucht die Künstler, und die Künstler brauchen die Kirche.“Ich bin sicher, daß ihr als christliche Künstler zweifellos um die gegenseitige Hilfe wißt, die Kirche und Künstler, Glaube und Kunst einander geben sollen. Die Welt, in der wir leben, braucht mehr denn je geistige Werte, Werte, die euer Werk vermitteln hilft. Wie das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Botschaft an die Künstler versichert, „braucht unsere Welt Schönheit, um nicht in Hoffnungslosigkeit zu versinken“ (8. Dezember 1965). (Der Papst setzte seine in Englisch begonnene Ansprache auf italienisch fort). 4. Zwischen der Kirche und den Künstlern entwickelt sich nach einer Periode eines gewissen Unverständnisses eine neue Freundschaft. Das wird deutlich bezeugt durch das Werk und das Lehramt meiner Vorgänger und des Zweiten Vatikanischen Konzils, das mit der Konstitution über die Heilige Liturgie die Grundlagen für ein fruchtbareres Verhältnis zu den Künstlern legte. Ein weiteres vielsagendes Zeichen für den Anbruch einer neuen Zeit der Zusammenarbeit ist die Sammlung moderner religiöser Kunst in den Vatikanischen Museen. Auch heute vermag der Glaube die Künstler zu inspirieren und ihren Intuitionen unermeßliche Horizonte zu eröffnen. Die Kirche, die die Künste und ihren vornehmen Dienst immer gefördert hat, ermutigt ihrerseits besonders die sakrale Kunst, die dann echt ist, wenn sie „mehr auf edle Schönheit bedacht ist als auf bloßen Aufwand“ und sich an ihr inspiriert (vgl. SC 124). In einer Gesellschaft, die von einer manchmal unmenschlichen Technologie und von einem auf Konsum ausgerichteten Hedonismus gezeichnet ist, seid ihr, liebe Freunde und Künstler, dazu aufgerufen, Zeugnis zu geben von einer tiefen Liebe zur Wahrheit der Welt und der Menschheit. Wenn ihr Werke schafft, die in dieser Wahrheit die hohe Berufung des Menschen enthüllen sollen, macht ihr euch zu meisterhaften und echten Interpreten der Transzendenz. Die wahre Kunst hilft das Geheimnis der geistigen Wirklichkeit erfassen und erleichtert dessen Verständnis,das den Menschen bereichert und erhebt und ihn zu tiefer Freude führt. Der Künstler ist daher nicht nur imstande, dem modernen Menschen, der nicht selten verletzt und seiner Würde beraubt ist, zu Hilfe zu kommen, sondern 1633 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN auch Gegenmittel zum Materialismus und zum Kult der modernen Idole zu schaffen, indem er Kunstwerke hervorbringt, die in Klarheit und Harmonie die eigentliche Quelle des Seins widerspiegeln. 5. In einer Gesellschaft, die sich mit rasender Geschwindigkeit verändert, könnt ihr so dem Menschen sein eigenes Selbst enthüllen und ihn an die Fundamente seiner Größe erinnern, an seine Fähigkeit, die absolute Wahrheit zu erkennen und sich durch die Bewunderung der Schönheit der Natur zur Betrachtung des Schöpfers zu erheben. Ich hoffe sodann, daß eure Kunst zu der Brüderlichkeit beitragen möge, die die Menschen verbindet und sie in einer Art „Kulturökumene“ zusammenschließt, die alle Grenzen, Differenzen und Gegensätze überwindet. Außerdem fordere ich euch auf, dem heutigen Menschen die Hoffnung, die nicht vergeht und die unvergänglichen Werte zu vermitteln und eine heilsame Unruhe, ein Fragen nach dem Sinn, wachzuhalten. So gesehen ist eure Kunst eine Diakonie, ein Dienst der Liebe an den Brüdern und eine wertvolle Verbündete des Glaubens, weil sie den Männern und Frauen von heute begreiflich macht, daß fehlendes Vertrauen auf die Kirche früher oder später dahin führt, auch keine Hoffnung mehr auf den Menschen zu setzen. Die Kirche ihrerseits zögert durchaus nicht, euch die schöpferische Freiheit zuzugestehen, die unbedingt notwendig ist, wenn mit Hilfe einer großen Mannigfaltigkeit von Techniken und einer reichen Vielfalt von Ausdrucksformen Werte geschaffen werden sollen, die in ihrem Gehalt und ihrer Bedeutung original und neu sind. Die Treue im Dienst an der geistigen Berufung des Menschen begünstigt eine ungeheure Freiheit, die Mut mit Weisheit verbindet. Ich hoffe und wünsche sodann, daß eure Kunst zu einer neuen Epiphanie des Glaubens führen und zu einer Schule der Menschlichkeit werden möge; denn wenn es authentische Kunst ist, „trägt sie“ — wie ich zu den Künstlern in Belgien sagte — „dazu bei, den schlummernden Glauben zu wecken. Sie öffnet das Herz dem Geheimnis des anderen. Sie erhebt das Herz desjenigen, der zu sehr enttäuscht oder zu müde ist, als daß er noch hoffen könnte“ (Predigt bei der Messe für die Künstler, 20. Mai 1985 in Brüssel OR, dt., 28.6.1985, 9). 6. Liebe Künstler und Freunde, mögt ihr daher im Licht der künstlerischen und geistlichen Erfahrung des seligen Fra Angelico, den ich zu eurem Patron ausgerufen habe, vom Glauben erleuchtet eine echte Kunst entwickeln, die auch zu-einem wirksamen Werkzeug der Förderung des Menschen und der Evangelisierung wird. Unsere Zeitgenossen haben dieses Licht und diese Wärme oft dringend nötig. Bringt in ihrem Herzen nicht nur die Gemütsbewegung einer ästhetischen Intuition zum Schwingen, sondern weckt auch die religiösen Urteile und Über- 1634 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Zeugungen, die euch beseelen. Auf diese Weise werdet ihr zu Zeugen des Absoluten, zu Boten der Wahrheit und der Liebe, zu Wohltätern der Menschheit. Sie wird dann Christus erkennen können, der — wie der hl. Thomas lehrt — durch den Glanz der Göttlichkeit, durch das Licht der Gerechtigkeit, das Strahlen der Wahrheit und die Kraft der Mitteilung höchste, erhabenste Schönheit ist (vgl. Thomas v. Aquin, Com. Isa., 63; Psal. 44, me). Mein Apostolischer Segen begleite und stärke euch. Ich erteile ihn aus ganzem Herzen euch und allen, die ihr liebt und die euch in der Arbeit nahestehen. In deutscher Sprache sagte der Papst: „Herzlich grüße ich in ihrer Muttersprache die zahlreichen deutschsprachigen Teilnehmer unter Ihnen. Mit besonderer Freude erinnere ich mich an meine Begegnung mit den Künstlern im November 1980, die schon damals einem besseren Verständnis von Kirche und Kunst und einer fruchtbaren Zusammenarbeit beider im Dienst am Menschen gegolten hat. Möge dieser Geist verantwortungsbewußter Partnerschaft auch durch unser heutiges Zusammentreffen neu bestätigt und noch weiter vertieft werden!“ Über die Seminarausbildung in den Missionen Ansprache an die Vollversammlung der Kongregation für die Evangelisierung der Völker am 17. Oktober Meine Herren Kardinäle! Liebe Brüder im Bischofsamt und im Priesteramt! 1. Ich freue mich, euch Mitglieder der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, die ihr in diesen Tagen an den Arbeiten der Vollversammlung in Rom teilnehmt, in Sonderaudienz zu empfangen. Ich danke euch für diesen Besuch und versichere euch meiner geistigen Teilnahme und meiner Ermutigung, verbunden mit dem Wunsch für einen guten Ausgang eures Kongresses, der die Arbeit der Berufe des eingeborenen Klerus fördern soll, die im Seminar den vorzüglichsten Ort und die besten Bedingungen für ihre harmonische Entwicklung und ihr Aufblühen in spem Ecclesiae, zur Hoffnung der Kirche, finden. Ich danke besonders Herrn Kardinal Jozef Tomko für seine freundlichen Worte zur Einleitung dieser Begegnung. Ich grüße die verehrten hier anwesenden Bischöfe, die neben der Sorge für die Herde in den jeweiligen Diözesen oder neben den Funktionen in anderen Organen der Römischen Kurie als Mitglie- 1635 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN der in der Kongregation für die Evangelisierung der Völker arbeiten; ich grüße die Leiter der päpstlichen Missionswerke, deren Eifer für die Verbreitung des Evangeliums durch regelmäßige Beziehungen zwischen den Ländern alter christlicher Tradition und den Missionsländern bekannt ist; und schließlich grüße ich die Oberen der Missionsinstitute (Missionsorden). Eure Vollversammlung findet sozusagen am Vorabend des Weltmissionstages statt, dem diesmal wegen des 60. Jahrestages seiner Einführung besondere Bedeutung zukommt. Ich gebe meinem Wunsch Ausdruck, daß das Gedenken dieses Umstandes nicht nur Anlaß für einen Rückblick in die Vergangenheit — auf die Anstrengungen, die unternommen, und auf die Ziele, die erreicht wurden — sein möge, sondern auch und vor allem Anstoß für einen entscheidenden Schritt nach vorn im Verständnis der missionarischen Pflichten und der Förderung jener geistigen und materiellen Hilfen, die für die Existenz und die Tätigkeit aller, die auf missionarischem Gebiet arbeiten, unerläßlich sind. Das ist eine fundamentale Aufgabe des Gottesvolkes; ja, es ist die „wichtigste und heiligste Aufgabe der Kirche“ (AG 29). 2. Mit Interesse habe ich von dem Spezialthema Kenntnis genommen, das ihr für eure Tagung gewählt habt: „Seminarausbildung in den Missionen und für die Missionen 20 Jahre nach Abschluß des Zweiten Vatikanischen Konzils unter spirituellem, lehrmäßigem und disziplinärem Gesichtspunkt“. Diese Themenwahl habt ihr nicht nur in Übereinstimmung mit einem der Themen des Dekrets Ad gentes, sondern auch vieler anderer Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils getroffen, wie z.B. dem Dekret über die Priesterausbildung, Optatam totius, das ex professo von der Seminarausbildung spricht. Der Ausbildung der Jugend im allgemeinen und der Seminaristen im besonderen galt bekanntlich das stete Denken der Konzilsväter, ihre pastorale Sorge und ihr Bangen: „Die Erziehung der Jugendlichen jedweder gesellschaftlichen Herkunft ist so zu gestalten, daß Männer und Frauen werden..., die jenen hochherzigen Charakter besitzen, Menschen wie sie unsere Zeit dringend fordert“ (GS 31). Und das Dekret Ad gentes, die Magna Charta für die Regelung der Missionstätigkeit, macht seinerseits geltend: „Der Geist der Alumnen muß also geöffnet und geschärft werden, damit sie sich ein gutes Gewissen und ein rechtes Urteil über die Kultur des eigenen Volkes erwerben können...und die Beziehungen verstehen, die zwischen ihrer heimatlichen Überlieferung und Religion und der christlichen Religion bestehen“, und vor allem müssen sie ihre spirituelle Ausbildung pflegen, damit sie „ein Leben nach dem Ideal des Evangeliums“ führen und sich vorbehaltlos „dem Dienst des Leibes Christi“ weihen (AG 16). 1636 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Das sind einige Zitate, die auf die Bemühung der Kirche des Konzils und das ernste Problem der Ausbildung der Jugendlichen hinweisen. Wenn es sich bei diesen Jugendlichen aber um Seminaristen in den Missionsgebieten handelt, dann verdoppeln sich die Sorgen, und die Vertiefung jener Konzilstexte, die Anhaltspunkte für die Tätigkeit der geistlichen Berufe bieten, nimmt gar kein Ende. 3. Die Wichtigkeit dieses Themas ist verbunden mit einer sorgfältigen und entsprechenden Überprüfung sowohl der alten wie der neuerrichteten Seminare auf den von diesem Dikasterium abhängigen Territorien. In diesen zwanzig Jahren sind zahlreiche Seminare nationalen oder regionalen Charakters entstanden, um der ermutigenden Zunahme von Berufen zu genügen. Dieser Gesichtspunkt wird beachtet, weil er für die Zukunft der Missionskirchen Gutes hoffen läßt. Aber dieses zahlenmäßige Wachstum ist nicht immer mit einer entsprechenden und auf den heutigen Stand gebrachten spirituellen, theologischen und disziplinären Ausbildung einhergegangen. Das ist denn auch der Grund für diese kluge und vorsorgliche Initiative, die von einem umfassenden Material Gebrauch macht, das von den Bischofskonferenzen der betreffenden Länder zur Verfügung gestellt wird. Der beiliegende von den Rektoren der Seminare erstellte Fragebogen bietet euch nützliche Elemente für die Lagebeurteilung, damit ihr schließlich konkrete Anweisungen bieten könnt, die den wirklichen Bedürfnissen der verschiedenen Gebiete entsprechen. Die Priesterausbildung kann auch bei ständiger Respektierung der jeweiligen gesunden örtlichen Kulturtraditionen, von der die Konzilstexte sprechen, von einigen absoluten Forderungen nicht absehen, die für alle Orte und alle Zeiten gültig sind. Dazu gehören die geistlichen Gesichtspunkte, die den Priester, wo immer er lebt, zum Apostel, zum Zeugen des Glaubens, zum Sendboten des Evangeliums, zum Propheten der christlichen Hoffnung, zum Erbauer der auf Petrus gegründeten Kirche Christi machen. Niemand kann in den Priesterstand aufgenommen werden, bevor er gelernt hat, Jesus Christus zu lieben, der sich für uns hingegeben hat bis zum Tod am Kreuz (vgl. Gal 2,20), und den Nächsten zu lieben, wie Christus ihn liebt, das heißt zum Beschützer der Waisen und der Kinder, zum Verteidiger der Armen, zum Tröster der Leidenden, mit einem Wort: zum Vater der Seelen zu werden. Natürlich kann niemand zum Priestertum zugelassen werden, der nicht mit aller Dringlichkeit die Anziehungskraft der Nachfolge Christi spürt, der gesagt hat: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Mk 8,34); wer also nicht den Wert des Verzichts und des Opfers spürt; wer nicht imstande ist, das innere Leben dem äußeren, die schwierige Vervollkommnung der bequemeren Mittelmäßigkeit vorzuziehen. 1637 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Das Seminar muß eine Schule für die Einübung dieser Tugenden und dieses apostolischen Engagements sein; es muß eine Schule allerersten Ranges sein, die den jungen Menschen die Schätze der humanistischen Kultur, der Philosophie und der Theologie zu bieten vermag, aber auch und vor allem eine tiefe spirituelle Erfahrung, die genährt wird durch eifriges Gebet und Betrachtung, durch Sammlung und asketisches Bemühen; mit einem Wort, das Seminar muß der Weg zu einer lebendigen Begegnung mit Christus sein. Zu diesem Zweck müssen die Alumnen, wie das Konzil sagt, gebührende Hilfe erhalten von den „Oberen und Professoren, die immer daran denken sollen, wie sehr der Bildungserfolg bei den Alumnen von der Art ihres Denkens und Handelns abhängt“; daher sollen „Seminarobere und Professoren aus den besten Kräften ausgewählt werden; sie müssen durch gediegene Studien, entsprechende pastorale Erfahrung und eine besondere geistliche und pädagogische Ausbildung sorgfältig vorbereitet sein“ (OT 5). Es ist aber vor allem Aufgabe der Bischöfe, über die gute Entwicklung ihrer Seminare zu wachen, damit in ihnen ein flammender Geist lebendig ist, der in den jungen Männern die Festigung eines hochherzigen und ernsten Charakters fördert. Der Bischof einer Diözese kann gar nicht zuviel Mühe und Sorge auf das Seminar verwenden. Liebe Brüder, die Tatsache, daß ihr in eurer Vollversammlung diesem Thema den Vorzug gegeben habt, ist ein Zeichen dafür, daß euch nicht entgeht, wie wichtig das Bemühen um Sensibilisierung zugunsten der Seminare in den Missionsgebieten ist und wie notwendig und vielversprechend eure Sorge ist, die spirituellen, lehrmäßigen und disziplinären Gesichtspunkte der dortigen Ausbildung im Auge zu behalten. Der Herr stehe euch in euren Arbeiten bei, für die ich mein Gebet zum Himmel erhebe, während ich euch und allen, die in der Ausbildung der Seminaristen eingesetzt sind, von Herzen meinen Segen erteile. Mit allen Mitteln die Wahrheit über den Menschen fördern Ansprache an die Repräsentanten der Kulturwelt im Palazzio Vecchio in Florenz am 18. Oktober Herr Minister! Herr Oberbürgermeister! Repräsentanten von Florenz und der Region Toskana! Herr Rektor der Universität von Florenz! 1638 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Herr Präsident der Europa-Universität! Abgeordnete des italienischen und des Europa-Parlaments! Künstler und Repräsentanten der florentinischen Kultur Gäste der europäischen Kulturhauptstadt! Liebe Schwestern und Brüder! 1. Sie werden die Fülle der Empfindungen verstehen, die mich unter der Wölbung dieses Palastes und dieses Saales befällt, der seit Jahrhunderten Zentrum des bürgerlichen, gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Lebens von Florenz ist, dessen alte Verbindungen mit dem Zentrum der Christenheit historische Tatsache sind. Diese mannigfachen und in vieler Hinsicht einzigartigen Verbindungen ergaben sich aus den wechselvollen Ereignissen der Geschichte und gelegentlich auch aus heftigen Konflikten. Aber das hier sehr starke christliche Lebensgefühl hatte die Oberhand. Sein bleibendes Zeugnis sind die berühmten Meisterwerke religiöser Kunst, die vom Zentrum der Christenheit auf diese edle Stadt, auf das Wirken der größten Künstler florentinischer Herkunft oder Schule verweisen. Ich bin Ihnen, sehr geschätzte Damen und Herren, dankbar, daß Sie die Güte hatten, an dieser Begegnung teilzunehmen, und begrüße Sie herzlich. Sie wissen, welche Freude und welches Verantwortungsgefühl mir auf meinen Reisen die Begegnungen mit Repräsentanten der Kulturwelt bereiten, denen ich mich in besonderer Weise durch jene Beziehungen und Erfahrungen nahe fühle, die mir das Umfeld des Studiums und der Universität gewährte. Heute begegne ich zusammen mit den anderen Persönlichkeiten aus der Welt von Politik, Kultur und Kunst dem Rektor und den Mitgliedern des Professorenkollegiums der Universität von Florenz und dem Präsidenten der Europäischen Universität, denen ich für ihre ergreifenden und edlen Grußworte danke; außerdem treffe ich hier die starke Vertretung des Europa-Parlaments an. Es ist ein auserwählter Kreis, und der Dichter Mario Luzi hat dessen Gefühle und Erwartungen feinfühlig interpretiert. Um so dankbarer bin ich Ihnen und der Welt der Kultur, die Sie so würdig vertreten. 2. Es gibt vielleicht keinen anderen Ort, wo es wie in diesem Saal des „Rates der Fünfhundert“ möglich ist, eine Botschaft an die Menschen zu richten, in der Kultur wieder die via regia, den „königlichen Weg“, der Befreiung von den verschiedenen Formen der Versklavung zu erkennen, die heute wie gestern, ja heute noch mehr als gestern, in der einen oder anderen Weise die Würde des Menschen ersticken oder bedrohen. Es stimmt, daß in unserer Zeit die Städte ihr Gesicht und mehr noch die von ihrer Geschichte geformte innere Identität 1639 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN zu verlieren scheinen. Es fehlt allerdings nicht an Zeichen für eine Kursänderung. Als Reaktion auf die allgemeine Nivellierung wächst — und, was am meisten zählt, in direktem Verhältnis zum Stand der technischen Entwicklung — das Bedürfnis, wieder in der Vergangenheit die Prinzipien des Zusammenhangs und der Wiedergewinnung der Werte zu suchen, ohne die sich weder für die einzelnen noch für die sozialen Gruppen die Bedingungen für ein harmonisches Wachstum erfüllen, das die individuelle Identität und zugleich die Öffnung zu verschiedenen Identitäten hin in sich schließt. 3. Universale Bedeutung gewinnt in diesem Rahmen der Einfall der europäischen Gemeinschaft, Jahr für Jahr jene Städte als ihre „Kulturhauptstädte“ anzuerkennen, die dieses geschichtliche Erbe, ohne das sich nicht nur Europa, sondern die ganze Welt ärmer vorkämen, geschaffen haben. In diesem Jahr fällt die Rolle der europäischen Kulturhauptstadt Florenz zu. Wahrscheinlich kann man in keinem anderen Fall so wie in diesem sagen, daß die Wissenschaft vom Alten auch in Prophetie Umschlägen kann, daß die Zukunft ein altes Herz hat. Antiquitas saeculi, inventus mundi. Tatsächlich erreichen uns in diesem historischen Tempel der florentinischen Kultur die vielen Stimmen, die Florenz den Beinamen „Athen Italiens“ eingebracht haben. Wir sehen in dieser Stadt in harmonischem Miteinander kühne architektonische Linien, elegante in Stein skulpturierte Gebärden, ziselierte Feinheiten, Plastitzität der in kluger Farbabstufung bemalten Figuren. Das Geheimnis der Schönheit, deren Wesen so leuchtend ins Auge fällt und das sich so schwer mit Worten wiedergeben läßt, verbreitet sich von Florenz aus in breiten Strahlen und läßt uns jene Sehnsucht nach dem Göttlichen ahnen,die die Ausdrucksformen der Kunst im Innersten beseelt. Hier erreicht uns das Echo des Hochgesangs des „heiligen Poems, mit dem Himmel und Erde begonnen hat“ (Dante, Göttliche Komödie, Paradies, XXV, 1-2). Die Stimme Dantes mit den erhabenen Vers-Rhythmen und der menschlich-göttlichen Schau der Wirklichkeit scheint die Ehrentitel der Größe von Florenz zusammenzufassen: Stadt der Schriftsteller, der Literaten, der Dichter, der Architekten, der Maler, der größten Bildhauer, Schatzkammer der Herrlichkeiten Italiens. Ja, zusammen mit Ihnen erweise ich Florenz, das in diesem Jahr verdienterweise zur europäischen Kulturhauptstadt erklärt wurde, meine Hochachtung und herzliche Anerkennung. Ich spreche seiner Geschichte, seinem unvergleichlichen künstlerischen Erbe und seinem schöpferischen Genius meine Hochachtung aus. Ich würdige in besonderer Weise die Reichtümer des Verstandes, des Herzens und der Menschlichkeit, die ein solches Erbe in sich schließt und zum Ausdruck bringt. 1640 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Eine erste Aufgabe der Kultur besteht deshalb darin, die Erinnerung des Menschen in Wahrnehmung der immer neuen Aufgaben, die ihn erwarten, unaufhörlich wiederherzustellen. Vor kurzem hat man von zuständiger Seite an den florentinischen Humanismus unter seinen mannigfachen Bedeutungen erinnert, von dem das moderne Europa seine Identität erhielt. Er war und ist eine unvergängliche Botschaft für alle, nicht nur für die Experten der literaturgeschichtlichen Forschung. Die Rückwendung zu den Griechen und Römern war ja keine Flucht aus der Gegenwart in die Vergangenheit, sondern — in der Kontinuität der christlichen Überlieferung und des christlichen Bekenntnisses — die Wiedergewinnung- eines wahrhaft humanen Reichtums durch seine höchste Bestätigung im Horizont des Glaubens. Der florentinische Humanismus war deshalb ein prophetisches, für die Zukunft offenes Ereignis. Damit verbanden sich die Heiligkeit des Antoninus, die Spiritualität des Beato Angelico, die Heftigkeit des Savonarola, die vielfältige Kultur eines Leonardo und Michelangelo. Die Berufung von Florenz,,Brücke“ zwischen der Vergangenheit und der Zukunft zu sein, kennzeichnet seine Geschichte von ihren Anfängen bis heute und ist vielleicht der wahre Grund dafür, daß die Stadt auch im Wandel der Zeiten so etwas wie ein unveränderliches Wesen behalten hat. Bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts hatte der Humanist Leonardo Bruni, der als Magistratsbeamter jahrzehntelang in diesem Palast lebte, geschrieben: „Nec ullus est in universa Italia qui non duplicem patriam se habere arbitretur, privatim, propriam unusquis-que suam, publice autem Florentinam urbem.“ (Es gibt niemand in ganz Italien, der nicht meinte, eine doppelte Heimat zu haben: privat hat jeder seine eigene Heimat, seine öffentliche Heimat aber ist die Stadt Florenz.) Dieses doppelten Bürgerrechts nicht nur der Italiener, sondern der Europäer konnte sich Florenz vor zwanzig Jahren wieder bewußt werden, als die Stadt von der Überschwemmung heimgesucht wurde: um sie vom Schlamm zu befreien, kamen Jugendliche aus allen Teilen Italiens und Europas und sogar aus Amerika. Der Mensch hat seine Heimat nicht nur dort, wo er physisch geboren wurde und lebt, sondern auch dort, wo er die Werte, die seinem Leben Sinn geben, in Stein gehauen und in den Überlieferungen verkörpert wahrnehmen kann. 5. In dieser Perspektive erfaßt man den tiefen Sinn der kulturellen Berufung von Florenz, wie sie durch die Aufeinanderfolge der Epochen glänzt, die letzten Endes von dem durchlaufenden Faden der „studia humanitatis“ miteinander verbunden werden, die in dem — vom Herrn Rektor erwähnten —1321 gegründeten Studium generale ihren Mittelpunkt und ihr Symbol fanden. „Florentinis ingeniis nil arduum est“ (Dem Genius der Florentiner fällt nichts schwer): dieser Satz, der dem Erscheinen des ersten gedruckten Buches in Flo- 1641 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN renz um das Jahr 1472 das Motto gab, läßt sich außer auf die Vielgestaltigkeit der Kultur auch und wohl vor allem auf ihre innere Bedeutung für die Würdigung des Menschen anwenden. Darin liegt ihre ursprüngliche Würde. Die Äußerungen des menschlichen Geistes sind eine Antwort auf den Urauftrag des Schöpfers an den Menschen, „sich die Erde untertan zu machen“. Ein inhaltsreicher Auftrag, der nicht nur ein Hinweis auf die Herrschaft über Erzeugnisse des Bodens ist, sondern alles einschließt, was der Mensch in der Unermeßlichkeit der Schöpfung zu entdecken vermag und was er dann mit Hilfe seines Verstandes entwickelt (vgl. Laborem exercens, Nr. 5). Strenggenommen kann es Kultur im Völlsinn nur in der idealen Verbindung mit der transzendenten Dimension geben, die deren Ursprung widerspiegelt und eben deshalb dem Menschen zur Ehre gereicht. Die Kirche blickt voll Sympathie auf die vielfältigen kulturellen Ausdrucksweisen. Sie ist eine Freundin des Menschen von Kultur. Sie begünstigt den Fortschritt der Kultur, und das alles in der Absicht, der großen Sache der menschlichen Person zu dienen. Es ist mir eine willkommene Gelegenheit, heute hier erneut das feste Bündnis der katholischen Kirche mit der Kultur zu bekräftigen, hier, wo, wie ich meinen geschätzten Vorrednern beipflichtend gesagt habe, ein unvergleichlich vielseitiges, allen schönen Künsten, der Poesie, der Literatur, der Wissenschaft, aufgeschlossenes Kulturverständnis, das Humanismus heißt, zu Hause ist. Und der Horizont, in dem dieser seinen Platz hat, ist die Universalität der geistigen Interessen, zu der der Mensch durch seine innere Berufung aufgerufen ist, die sich daraus ergibt, daß er das lebendige Abbild des lebendigen Gottes ist. 6. Diese Universalität ist der charakteristischen Berufung dieser Stadt tief eingeprägt. Wenn man ihre tieferen Gründe erforschen will, genügt es, die Augen auf dem geheimnisvollen Dialog zwischen dem von Arnolfo di Cambio geschaffenen Turm des Palazzo Civico und der Domkuppel Brunelleschis ruhen zu lassen. Es ist der in schönen Formen dargestellte Dialog zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen dem gegenwärtigen Reich, das sich auf die Zukunft zu bewegt, und dem kommenden Reich, das auf die Gegenwart zukommt. Es war kein Zufall, daß die Florentiner das Jahr mit dem Tag der Menschwerdung Gottes beginnen ließen, also mit dem Tag der Verkündigung des Engels an Maria, der die volkstümlichste Kirche der Stadt, die Annunziata (Kirche der Verkündigung), geweiht ist. So entgeht uns nicht die hierarchisch gegliederte Harmonie, die in Florenz die Basis mit der Spitze, die Werkstatt des Handwerkers mit dem Dom, die Arbeit mit der Beschauung verband. Es sei auch daran erinnert, daß wenige Städte auf der Welt so reich an Heiligen waren wie Florenz. 1642 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 7. Der aus der Vergangenheit ererbte Ruhm muß daher Quelle der Inspiration und des Einsatzes bei der Suche nach den universalen Werten und ihrer Entfaltung sein. Wir sind dazu berufen, in einer Zeit zu leben, die sich in verschiedener Hinsicht auf die Veränderungen beruft, die den antiken Humanismus kennzeichneten. Man wiederholt heute gewissermaßen die Verlegung des Poles der Aufmerksamkeit vom absoluten Gott auf die Relativität des Menschen, mit den Ihnen bekannten Variationen und Nuancierungen, die dazu führen, daß man von verschiedenen Humanismen spricht. In Wirklichkeit ist die wahre Grenzlinie eindeutig, sie hat eine klare Identität. Es ist der theoretische und praktische Atheismus mit seinen verschiedenen Verzweigungen, der im Gegensatz oder in Konkurrenz zum „regnum Dei“, zum Reich Gottes, ein „regnum hominis“, ein Reich des Menschen, verspricht. Und deshalb werden heute viele denkende Menschen, auch wenn sie nicht den Weg der Offenbarung eingeschlagen haben, voll Sorge gewahr, daß die Leugnung Gottes eine verhängnisvolle Verdunkelung der Wahrheit und der Würde des Menschen und damit einen unaufhaltsamen Niedergang unserer Kultur mit sich bringt. Mit dieser Situation hat sich, wie Sie wissen, die Kirche in jener großen Äußerung der Kollegialität, die das Zweite Vatikanische Konzil war, sorgfältig beschäftigt. Sie hat sich vor allem in einer Selbstanalyse mit dem göttlichen Plan, aus dem sie hervorging, der ihr von ihrem Stifter anvertrauten Sendung und insbesondere der Weise, wie sie ihre Sendung in der heutigen Welt erfüllen kann, beschäftigt; und daher hat sie sich mit dem Menschen befaßt, wobei sie immer seine doppelte Dimension im Auge hatte: die transzendente und die existentielle Dimension, die in einer objektiven Gesamtschau des geschaffenen Seins voneinander untrennbar sind. Sie hat sich auch mit der Kultur des Menschen beschäftigt: „In der Person des Menschen selbst liegt es“ — sagte das Konzil „daß sie nur durch Kultur zur wahren und vollen Verwirklichung des menschlichen Wesens gelangt“ (GS 53). Dank eines breiteren Kulturbegriffs — Kultur verstanden als Gesamtheit der Werte und der Mittel, mit denen der Mensch den Reichtum seiner Persönlichkeit in allen ihren Dimensionen zum Ausdruck bringt — schöpft die Kirche aus ihrer eigenen jahrhundertealten Erfahrung, die nicht an diese oder jene Kulturform gebunden ist, weil sie über alle hinausgeht und sich in einem gegenseitigen Austausch echter Werte allen anzupassen vermag. Diese Orientierungen können für jede kulturelle Richtung gelten, der der Mensch, sein echter Fortschritt, die Befreiung von seinen Ängsten und Sorgen sowie das Wachsen der Hoffnung am Herzen liegt. 1643 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 8. Der Mensch! Er ist letzten Endes der Schöpfer und Nutznießer der Kultur: Der Mensch in der Geschichte; der Mensch aus Leib und Seele; der Mensch als Heiliger und Sünder; der Mensch, der zum Mitarbeiter Gottes berufen ist, wenn er das Leben weitergibt und seinen Werken den Rhythmus der Harmonie und der Schönheit des Geistes aufprägt. „Im Bereich der Kultur ist“ — wie ich vor sechs Jahren am Sitz der UNESCO in Paris sagte — „der Mensch immer die Hauptfigur: Der Mensch ist das wesentliche und fundamentale Faktum der Kultur. Und der Mensch ist dies immer in seiner Totalität: in der integralen Ganzheit seiner geistigen und materiellen Subjektivität“ (Ansprache an den Exekutivrat der UNESCO, am 2. Juni 1980, Wort und Weisung, 1980, 226). Aus einer bewußten oder unbewußten Entstellung dieser Sicht sind die schrecklichen Aporien entstanden, auf die auch hier an dieser Stelle hingewiesen wurde; wenn das ursprüngliche Gleichgewicht des Menschen zwischen Geist und Materie zerbrochen wird, ist der Weg frei für Übertretungen jeder Art. Man muß daher von dieser Stadt des Geistes aus laut verkünden, daß es heute eine dringende und verpflichtende Aufgabe ist, mit allen Mitteln die Wahrheit über den Menschen zu fördern. Das ist eine unaufschiebbare Aufgabe. „Die Wahrheit, die uns so erhöht“ (Dante, Paradiso XXII, 42), ist ein unermeßlicher Wert. Sie ist es an sich, als Licht des Verstandes. Sie ist es in historischen Zusammenhängen, die zur Lüge neigen, zu Fälschungen bereit sind, zu Halbwahrheiten oder Pseudowahrheiten neigen: Erscheinungen, denen jene Kulturformen verpflichtet sind, die den Menschen auf eine einzige Dimension verkürzen. Die Wahrheit des Menschen und über den Menschen muß in der Vollständigkeit seines endlichen Seins und seiner unendlichen Bestimmung verkündet werden. Sie ist das besondere Ziel derjenigen, die auf den Straßen der Kultur wandeln, als „Sucher der Wahrheit“, wie das Konzil sie in der Botschaft an die Denker und Wissenschaftler genannt hat, „Erkunder des Menschen, Pilger auf dem Weg zum Licht“. Die Menschheit befindet sich heute, an der Schwelle des dritten Jahrtausends, in der Unruhe einer nie gekannten Veränderung, die nur kraft einer neuen Kultur mit planetarischen Ausmaßen im Sinne des Heils geschehen kann. Die entscheidende Lebenskraft, damit der Übergang von einer Kultur zur anderen auf der Linie wachsender Universalität stattfindet, ist der Glaube, der sich nie mit einer bestimmten Kultur identifiziert und daher dem Menschen die Stütze bietet, um sich über den Horizont zu erheben, der vergeht. Und die offenbarte Wahrheit, an die wir glauben, entspringt aus dem ersten Sein und Schöpfer, der Gott ist. Und der um der Rettung des Menschen willen 1644 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN menschgewordene Sohn Gottes hat sich als die Wahrheit selbst vorgestellt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Der Weg, ohne den wir uns im Labyrinth der Widersprüche und unbeantworteten Fragen verirren; die Wahrheit, die uns frei macht (vgl .Joh 8,32); das Leben, das dem Menschen die Dimension der Ewigkeit zusichert und ihn durch das Geschenk der Gnade schon jetzt dort ansiedelt. Die gewaltige Synthese, die uns Dante von der menschlichen Geschichte geboten hat und der er alle Elemente der biblischen Weisheit, der christlichen Offenbarung und der griechisch-lateinischen Kultur mit den Triebkräften seiner unruhigen Zeit geschenkt hat bei der Suche nach einer inneren Befreiung, die aus dem „Urwald“ der Sünde zu der immer intensiveren und höheren Läuterung führt, um schließlich den Menschen in Gott selbst eintauchen zu lassen -„denn nur, wenn er ihn sieht, hat er seinen Frieden“ (Paradiso XXX, 102) -, diese Synthese, sage ich, läßt sich nur im Lichte des Evangeliums, des als einziges Heil angenommenen Wortes Christi, verstehen, Heil des mittelalterlichen Menschen und des modernen Menschen. 9. Im Einklang mit diesen Voraussetzungen, die die tiefsten Werte des Menschen berühren, ergibt sich auch klar und überzeugend die Konsequenz, daß die Kultur Förderin des Friedens ist. Sie lädt ein zur Überwindung jedes Zwistes, jeder Entzweiung. Eine Einladung, die von Florenz aus noch überzeugender wirkt, das schon immer eine ideale Brücke der Begegnung zwischen verschiedenen Kulturen und Zivilisationen war. Auf kirchlicher Ebene erinnere ich an das Konzil von Ferrara-Florenz, zu dem sich die Vertreter von Rom und Byzanz und die größten Geister der griechischen und lateinischen theologischen Kultur der Zeit hier einfanden, um eine Schlichtung der Gegensätze zwischen den beiden Schwesterkirchen zustande zu bringen, die in der Vereinbarung von 1439 ihren Höhepunkt fand. Obgleich diese Vereinbarung leider kaum mehr war als eine formelle Einhaltung des gesteckten Zieles, bot sie doch den Ausgangspunkt für eine fruchtbare Begegnung zwischen den beiden Kulturen, die der ganzen Geschichte Europas und des gesamten Abendlandes zum Vorteil gereichte. Auf wissenschaftlichem Gebiet erinnere ich an das Werk und das Beispiel Galileis: jenseits der dramatischen Geschehnisse, von denen seine Entdeckungen begleitet waren, bleibt die Tatsache bestehen, daß auch bei ihm die beispielhafte Harmonie zwischen humanistischer Weisheit und naturwissenschaftlicher Weisheit, zwischen menschlicher Erkenntnis und göttlicher Offenbarung gegeben war. Zur Spaltung zwischen Glaube und Wissenschaft auf der einen und zwischen naturwissenschaftlichem Wissen und humanistischer Kultur auf der anderen Seite sollte es erst später kommen: eine Spaltung, die für uns bedrohlicher geworden ist als die Kernspaltung. 1645 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Wegen dieser Mittler-Funktion von Florenz, das Italien das einigende Instrument der Sprache geschenkt hat — ich denke nur an die sprachliche Bedeutung eines Alessandro Manzoni —, ist es wie gesagt besonders eindrucksvoll, hier an den Wert der Kultur des Friedens zu erinnern. Und mit tiefer Ergriffenheit wiederhole ich vor Ihnen dieses große Wort, wenige Tage vor dem Treffen in Assisi, zu dem ich Vertreter der christlichen Bekenntnisse und anderer Religionen eingeladen habe, um vom Himmel das unermeßliche Geschenk des Friedens zu erflehen. Meine Zuversicht, meine Hoffnung, mein inständigster Herzenswunsch ist, daß diese Initiative einen neuen Anstoß zum Fortschritt in der Friedensgesinnung bedeuten möge; und auch den Schöpfern der Kultur, den Künstlern, ihrem Genie, ihrem guten Willen möchte ich diese Initiative in besonderer Weise ans Herz legen. Sie werden hier Anregungen dafür entdecken können, ihren Unternehmungen und Werken den Stempel der Liebe, der Brüderlichkeit, der Solidarität, mit einem Wort aller jener Werte aufzuprägen, aus denen das höchste Gut des Friedens gewoben ist: Friede als Geschenk des Allmächtigen, Friede als immer aufzurichtendes Gebäude, errichtet vom Geist, von den Herzen, von den Händen der Menschen. 10. An die Worte von Professor Scaramuzzi und an den Gesamtkomplex der Vorhaben, Zielsetzungen, der Probleme der Universität Florenz, deren Rektor er ist, anknüpfend, freue ich mich vor allem über die Lebenskraft, die die Institution durch die wahrlich beachtliche Zahl ihrer Studenten, durch die Ernsthaftigkeit der von ihren Dozenten verfolgten wissenschaftlichen Ziele und durch den Wunsch beweist, den jungen Leuten, die aus allen Regionen Italiens und auch aus dem Ausland kommen, eine wirklich umfassende Bildung, eine echte Kultur zu vermitteln. Diesen lieben jungen Menschen aber will ich, wie es meine Pflicht ist und wie ich es immer tue, versichern, daß die Kirche teilhat an ihren Wünschen, ihren Idealen, ihren Sorgen und Ängsten, die heute wegen der herrschenden Unsicherheit, die eine ausweglose Zukunft für viele von ihnen darstellt, besonders brennend sind. Ich vertraue jedoch darauf, daß ihr Eifer beim Studium unter Führung der Professoren und die Entscheidungen der Politiker bewirken, daß sie den Aufgaben, die auf sie warten, gelassen entgegensehen und dann entsprechende Möglichkeiten finden, sich ganz den beruflichen Verantwortlichkeiten zu widmen. Im Rahmen einer Kulturpolitik, die die dringendsten Forderungen unserer Zeit begünstigt und daher von der Jugend zutiefst wahrgenommen wird, und im Lichte der Leitlinien, die darzulegen ich mir erlaubt habe, möchte ich einige Wünsche aussprechen, die ich für besonders wichtig halte. 1646 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ich hoffe vor allem, daß in der Forschungsarbeit das Studium der fundamentalen Probleme des Menschen mehr Gewicht erhalte, damit durch den Beitrag der jeweiligen Fachkompetenzen vertieft werden können: — der Schutz der Rechte des Menschen, insbesondere der Randgruppen und Ausländer; — die Orientierung der Industrie auf ausschließlich friedliche Ziele; — die Erarbeitung einer Technologie, die den notleidenden Ländern nützt. Darüber hinaus ist zu wünschen, daß es nicht an Bemühungen fehle, die humanistischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu verbreiten und den Zugang zu ihnen zu erleichtern, damit das Recht auf Kultur breiter zur Anwendung komme, wie es im Abkommen der Organisation der Vereinten Nationen über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte heißt (Artikel 13-15). 11. Doch die heutige Begegnung bietet noch etwas, das ich nicht verschweigen möchte: die Teilnahme der Abgeordneten des Europa-Parlaments im Zusammenhang mit der Ausrufung von Florenz zur Kulturhauptstadt Europas. Ich habe sie bereits zu Beginn mit großer Freude begrüßt; und die Bedeutung ihrer Anwesenheit wurde bereits auf verschiedenen Ebenen an diesem angesehenen Ort deutlich gemacht, so will ich nicht noch einmal darauf zurückkommen. Ich kann aber nicht umhin, vor einer so ehrenwerten und zahlreichen Vertretung des höchsten Organismus der europäischen Gemeinschaft noch einmal an die christlichen Wurzeln Europas zu erinnern; der Apostolische Stuhl hat es nicht versäumt, sich auf diese Wurzeln zu berufen, um das Bewußtsein von dem gemeinsamen Mutterboden zu bestärken; er hat es auch nicht versäumt, den Einsatz für die Wahrung jener Wesenszüge zu betonen, die die Formen des öffentlichen Lebens, der Kultur, der Kunst, der Literatur in Europa zutiefst geprägt haben. Es genügt, wenn ich sozusagen als Symbol und Unterpfand dieser geistigen Kontinuität die Erhebung des hl. Benedikt und des heiligen Brüderpaares Kyrill und Method zu Patronen Europas erwähne; und wieder einmal vertraue ich diesen großen, genialen Geistern des Glaubens und der Kultur, diesen mächtigen Fürsprechern in der Kirche Gottes das künftige Schicksal unseres alten Kontinentes an, der der heutigen Menschheit noch so viel zu sagen und zu geben hat. Und wie im Jahr 1982 in Santiago de Compostela, so rufe ich heute in Florenz wieder Europa zu: „Finde wieder zu dir selbst! Sei wieder du selbst! Besinne dich auf deinen Ursprung! Belebe deine Wurzeln wieder! Beginne wieder jene echten Werte zu leben, die deine Geschichte ruhmreich gemacht haben, und mach deine Gegenwart in den anderen Kontinenten segensreich...Noch immer kannst du Leuchttum der Zivilisation und Anreiz zum Fortschritt für die Welt 1647 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sein“ {Ansprache bei der Europa-Feier in Santiago de Compostela, am 9. Nov. 1982, Nr. 4 DAS, 1982, 815). 12. Sehr geehrte, liebe Damen und Herren! In der Weihnachtsnacht des Jahres 1966 hinterließ Papst Paul VI., der sich als Pilger in dem noch schwer unter den Folgen der Überschwemmung leidenden Florenz aufhielt, den Florentinern folgenden Auftrag: „Eure Berufung liegt im Geiste; eure Sendung ist es, diesen Geist zu verbreiten“ (Insegnamenti di Paolo VI, IV, 1966, 673). Diesen Auftrag gibt Florenz an die Kulturwelt weiter, und die Külturwelt — dessen bin ich sicher — nimmt ihn mit Wohlwollen an. Die der Wiege des Humanismus erwiesene Ehrung ist nicht ein bloß symbolischer Akt, sondern Ausdruck der Bereitschaft, zum Aufbau jenes vollen Humanismus beizutragen, der sich gegenüber den Errungenschaften der Technik als solide Grundlage der Zivilisation in diesem ausgehenden Jahrhundert durchsetzen muß. Das möge die möglichst weit wirkende Frucht der heutigen Feierstunde in Florenz sein. Mit dem Segen Gottes, des Schöpfers und Erlösers des Menschen, den ich aus ganzem Herzen auf Sie und die Welt der Kultur herabrufe. Missionswerke bauten „Brücken der Solidarität“ Botschaft zum Weltmissionssonntag am 19. Oktober, veröffentlicht am 18. Mai Verehrte Brüder, liebe Söhne und Tochter! 1. Das Hochfest Pfingsten, welches im Rahmen der liturgischen Feste die Aufgabe hat, in allen Gläubigen das Bewußtsein neu zu beleben, daß die Kirche die Botschaft Christi in der ganzen Welt verkünden soll, lenkt in diesem Jahr unsere besondere Aufmerksamkeit auf die 60. Wiederkehr des Weltmissionssonntages. So erscheint die Gepflogenheit besonders bedeutsam, gerade am Tag des Pfingstfestes an das ganze Volk Gottes eine spezielle Botschaft zu diesem „großen Tag der Katholizität“ zu richten, wie er seit den Anfängen genannt wurde (vgl. Brief von Kard. Van Rossum, Präfekt der Propaganda Fide, an die Bischöfe Italiens). Heute, da mehr denn je die globale Sicht der Bedürfnisse aller Kirchen und jeder einzelnen wahrgenommen wird, ist es um so notwendiger, die grundlegende Berufung zur Verkündigung, zum Zeugnis und zum Dienst am Evangelium wiederzuentdecken; noch dringlicher spürt man die Notwendigkeit, den Missionaren zu helfen: seien diese nun Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen; 1648 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN seien es junge Menschen, die ein gottgeweihtes Leben in der Welt gewählt haben, oder freiwillige Laien, die zum Wachstum der jungen Kirchen beitragen. An sie alle, wo auch immer sie sich befinden, um das Geheimnis Christi, des einzigen und wahren Erlösers der Menschheit, zu verkünden, geht mein Gruß und meine dankbare Anerkennung. 2. Was sagen uns die 60 Jahre Geschichte des Weltmissionssonntags? An ihrem Anfang finden wir die natürliche Stimme eines kleinen Teils des Gottesvolkes, der sich durch die Zugehörigkeit zum Päpstlichen Werk der Glaubensverbreitung zum Sprecher der universalen Sendung der katholischen Kirche zu machen wußte; denn diese nimmt ihrer eigenen Natur nach ihren Weg zu den verschiedenen örtlichen Kulturen, ohne je ihre tiefe Identität zu verlieren, nämlich „allumfassendes Sakrament des Heils“ zu sein (vgl. LG AS; AG 1). Als die Anregung zur Einführung eines solchen Tages den Stuhl Petri erreichte, nahm Papst Pius XI. seligen Andenkens sie unverzüglich auf mit dem Ruf; „Das ist eine Idee, die vom Himmel kommt.“ Die den Päpstlichen Missionswerken und besonders dem Werk der Glaubensverbreitung anvertraute Initiative hatte stets die Aufgabe zum Ziel, dem Volk Gottes die Notwendigkeit bewußt zu machen, Missionsberufe durch das Gebet zu erflehen und zu unterstützen, sowie die Pflicht, geistig und materiell am missionarischen Anliegen der Kirche mitzuarbeiten. Man muß dem Herrn in der Tat danken, daß so viele seiner Kinder, so viele christliche Familien, vom Evangelium zu selbstloser Liebe erzogen, den Zielen des Weltmissionssonntages mit bewunderswerten Beispielen „universaler Liebe“ entsprochen haben, wie sie in so vielen für die Missionare dargebrachten Opfern und Gebeten und nicht selten in direkter Mitbeteiligung an den Mühen ihres Apostolates zum Ausdruck kommt. Das führt uns zu der Meinung, daß der Weltmissionssonntag im Leben jeder Teilkirche zum Anlaß genommen werden kann und soll, Programme ständiger Katechese mit hochherzig missionarischer Ausrichtung zu verwirklichen, um auf diese Weise jedem Getauften wie auch jeder christlichen Glaubensgemeinschaft das Angebot eines „evangelisierten und evangelisierenden“ Lebens zu machen. Das in der Kirche stets aktuelle Problem der Ausbreitung des Reiches Gottes unter den nichtchristlichen Völkern hat sich mir seit dem Antritt meines apostolischen Amtes als universaler Hirt der Kirche gestellt: dieser fiel — von der Vorsehung gelenkt, so möchte ich sagen — an jenem Sonntag, dem 22. Oktober 1978, mit der Feier des Weltmissionssonntags zusammen. Deshalb habe ich mich, Jahr für Jahr, woran ich schon bei zahlreichen Anlässen zu erinnern die Gelegenheit hatte, zum „Wanderkatecheten“ gemacht, um mit den vielen 1649 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Menschen, die Christus noch nicht kennen, in Kontakt zu treten; um mit den jungen Kirchen ihre geistlichen Reichtümer wie auch ihre Bedürfnisse und Leiden zu teilen und ihre Anstrengungen, den christlichen Glauben immer mehr in ihren Kulturen zu verwurzeln; um all jene zu ermutigen, die an den Vorposten dieser unermeßlichen evangelischen Aufgabe stehen, damit sie mit ihrem Leben stets und vor allem für die Jugend glaubhafte Zeugen der Evangeliumsbotschaft, die sie verkünden, sein mögen. 3. Wir alle wissen, wie einschneidend die dank dem Zweiten Vatikanischen Konzil gelebte Erfahrung eines neuen Pfingstens auf die Geschichte der letzten 20 Jahre eingewirkt hat. Denn in diesem außerordentlichen Ereignis konnte die Kirche noch klarere Erkenntnis über sich und ihre Sendung gewinnen, in einem offenen Dialog mit der gesamten Menschheitsfamilie, um sich die „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten“ zu eigen zu machen (GS 1). Doch obwohl die Kirche einerseits alle ihre Möglichkeiten eingesetzt hat, um die Gemeinschaft Gottes mit der Menschengemeinschaft sowie die Gemeinschaft der Menschen untereinander durch eine vom Zweiten Vatikanischen Konzil abgeleitete ständige Katechese zu festigen, ist sie andererseits in das tiefste Drama unserer Epoche einbezogen, nämlich den „Bruch zwischen Evangelium und Kultur“, wie Paul VI. in dem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi, Nr. 20, geschrieben hat. Daher die immer drängendere Pflicht, die globale Sendung der Kirche auf ihren Grundvollzug zurückzuführen: „die Evangelisierung“, d.h. die Verkündigung an die Völker, die entdecken läßt, wer Jesus Christus für uns ist. Zwanzig Jahre nach dem Konzil hat das Wehen eines neuen Pfingstens wiederum die außerordentliche Bischofssynode durchdrungen, die ich angeregt hatte, damit die Richtlinien und Weisungen des Konzils mit Konsequenz und in Liebe von allen Gliedern des Gottesvolkes verwirklicht werden können. Im Gedenken, Prüfen und Fördern des Konzilereignisses geht die Kirche, die sich vor die Aufgabe gestellt sieht, die Nöte der gesamten Menschheitsfamilie im einzelnen zu erkennen, auf das dritte Jahrtausend zu, wobei sie mit neuer Kraft ihre grundlegende Sendung erfüllt, zu „evangelisieren“, d.h., die Botschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe anzubieten, die sie selbst aus ihrer immerwährenden Jugend schöpft im Licht des lebendigen Christus, der für den Menschen unserer Zeit und aller Zeiten „Weg, Wahrheit und Leben“ ist (vgl. Predigt zum Abschluß der außerordentlichen Bischofssynode, 8. Dezember 1985). 1650 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Es handelt sich um eine fortdauernde Evangelisierung, die ihre eigentliche Neuheit darin findet, daß diese schwere Aufgabe in universaler Perspektive durchzuführen ist, weil die Probleme und Herausforderungen, die sich vor 20 Jahren in den Kirchen neuer Gründung stellten, heute einen weltweiten Widerhall haben. Sie drängen die Kirche und ihre Glieder, sich überall im Zustand der Mission zu fühlen. Die Mitverantwortung für die Missionen als Zeichen der bischöflichen Kollegialität, wie sie deutlich aus dem Konzil hervorgegangen ist, muß sich heute immer mehr in ein sichtbares Zeichen jener „Sorge“ wandeln, die jeder Bischof für alle Kirchen und nicht nur für die eigene Teilkirche haben soll (vgl. CD 3). Das Entstehen neuer Missionsinstitute in den jungen Kirchen, das zeigt, daß auch von den bedürftigsten Kirchen das Geschenk neuer Arbeiter für die Evangelisierung kommt, soll alle Kirchen dazu drängen, der universalen Kirche zu schenken und ihr sich zu schenken, gleich, ob sie sich in begünstigter Lage befinden oder arm sind an Mitteln und Kräften des Apostolats. Die vermehrte Aussendung von „Fidei Donnm “-Diözesanpriestern, von Laien, von Freiwilligen in die Auslandsmission enthüllt das typisch missionarische Bewußtsein kirchlicher Gemeinschaften, die fähig sind, „aus sich selber herauszugehen“, um die Botschaft Christi anderswohin zu tragen, und ist zugleich ein Anruf an die Vereinigungen, Bewegungen und Gruppen der Kirche, ihr Glaubenszeugnis zu festigen, um in der Mission den Ruf Gottes wiederzuentdecken, alle Völker der Erde zu dem einen Volk Gottes zu machen. In die gleiche Perspektive sind alle Wirklichkeiten, aus denen sich die Kirchengemeinschaft zusammensetzt, einbezogen: die Familie, die Kinder, die Jugend, die Welt der Schule, der Arbeit, der Technik, der Wissenschaft, der Kultur, der Kommunikation der Massenmedien. Man kann daher bestätigen, daß die Kirche auf dem Weg ins dritte Jahrtausend eine wesentlich missionarische Kirche ist. 4. Wertvoll in dieser Hinsicht erscheint der von den päpstlichen Missionswerken erbrachte Dienst, dieser Einrichtung der universalen Kirche und einer jeden Teilkirche, denn sie sind „bevorzugte Werkzeuge des mit dem Nachfolger Petri vereinten und mit ihm für das Volk Gottes verantwortlichen Bischofskollegiums, welches gänzlich missionarisch ist“ (Statuti PP.OO.MM., I, Nr. 6,1980). Sie sind die Werke, die der Geist des Herrn seit mehr als einem halben Jahrhundert zunehmend im Schoß seines Volkes geweckt hat, um der Welt jenen besonderen Einsatz der Liebe sichtbar zu machen, der mit dem ganzen Evangelisierungswerk in der Welt solidarisch ist. Ja, sie enthüllen sich als „bevorzugtes Mittel der Kommunikation der Ortskirchen untereinander und zwischen jeder von ihnen und dem Papst, der im Namen Christi der universalen Liebesgemeinschaft vorsteht“ (ebd., 1,5). 1651 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN In der Geschichte der missionarischen Zusammenarbeit haben die Päpstlichen Missionswerke „Brücken der Solidarität“ gebaut, die sicher nicht einstürzen werden, da sie im Glauben an die Auferstehung Christi, der genährt wird durch die Eucharistie, verankert sind. Bei diesem soliden und enormen Werk ist es dem katholischen Laientum gelungen, die schönsten Seiten seiner missionarischen Lebenskraft zu schreiben. Titelfigur ist hierbei stets Pauline Jaricot, auf deren Inspiration das Werk der Glaubensverbreitung zurückgeht. Ihrer gedenken wir im nächsten Jahr zum 125. Jahrestag des Endes ihres missionarischen Weges; dasselbe Jahr, in dem die Vollversammlung der Bischofssynode zu dem für ein solches Gedächtnis bedeutungsvollen Thema „Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt“ stattfinden wird. 5. Zwanzig Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil fühlt sich die Kirche gerufen, die Treue zu dem großen Auftrag zu prüfen, den ihr diese ökumenische Versammlung hinterließ, als sie bekräftigte, daß die Pflicht, zur Mehrung der Berufe beizutragen, „Aufgabe der gesamten christlichen Gemeinde“ ist (OTT). Diesbezüglich ist es tröstlich, ein wachsendes Verantwortungsbewußtsein innerhalb der verschiedenen Gemeinschaften festzustellen. Ja, vieles wurde getan, doch sehr viel bleibt noch zu tun, denn das Zweite Vatikanische Konzil erwartet von allen und besonders von den christlichen Familien und den Pfarrge-meinden den „größten Beitrag“ zur Mehrung der Berufe (OT 2). Bei dieser Gelegenheit möchte ich den Wunsch ausdrücken, daß das katholische Laientum — in seiner Gesamtheit und in tatkräftiger Gemeinschaft mit den Führern des Gottesvolkes — im Dienst der Päpstlichen Missionswerke jene erleuchtenden Werte finde, die aus einer heilsamen „Schule universaler Liebe“ kommen. Die allerseligste Jungfrau Maria, die getreue Missionarin aller Zeiten, möge euch allen helfen, verehrte Brüder, geliebte Söhne und Tochter, diese Botschaft zu erfassen und ihr mit dem Licht der Erkenntnis, der Klarheit des Verstandes und dem Geist der Gemeinschaft und Solidarität nachzukommen. Indem ich erneut meine Dankbarkeit gegenüber denjenigen zum Ausdruck bringe, die in der Kirche von der speziellen Berufung zu einem Dienst der Evangelisierung „ad gentes“ gezeichnet sind, vor allem jenen, die sich durch ihre Verkündigung des Reiches Gottes in schwierigen Situationen befinden, erteile ich von Herzen meinen Segen. Aus dem Vatikan, am 18. Mai, dem Pfingstfest des Jahres 1986, dem achten meines Pontifikates. PAPST JOHANNES PAUL II. 1652 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die Heiligen — wo andere wanken, halten sie stand Predigt bei der Seligsprechung der ehrwürdigen Teresa Manetti in Florenz am 19. Oktober 1. „Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde (noch) Glauben vorfinden?“ (Lk 18,8). Die Kirche lädt uns ein, am heutigen Sonntag, der bekanntlich auch der „Weltmissionssonntag“ ist, diese Worte wieder zu lesen und über sie nachzudenken. Die von Christus in dieser seiner Frage ausgesprochenen Worte enthalten so etwas wie eine Herausforderung an die Kirche aller Zeiten. Und diese Herausforderung hat einen missionarischen Charakter. Wenn der Menschensohn bei seiner endgültigen Wiederkunft „auf der Erde Glauben vorfinden“ soll, muß die ganze Kirche dauernd missionarisch — in statu missio-nis — sein, wie es vom Zweiten Vatikanischen Konzil hervorgehoben wurde. 2. Die Kirche ist missionarisch, wenn sie das Wort Gottes in Glaube, Hoffnung und Liebe annimmt: dieses Wort, das „lebendig und kraftvoll ist und die Regungen und Gedanken des Herzens ergründet“ (Zwischengesang). Die Kirche lebt im Licht dieses Wortes. Sie lebt und erneuert sich in seiner Macht. Die Macht des Wortes Gottes gründet sich auf die Wahrheit — auf die endgültige Wahrheit, weil sie auch die erste Wahrheit ist, auf die absolute Wahrheit, das heißt die Wahrheit, in der alle Wahrheiten, die aus ihr stammen, also die menschlichen Wahrheiten, ihre Lösung finden. Die Macht des Wortes Gottes gründet sich somit auf die ganz einfache und klare Wahrheit, die den „Kleinen“ zugänglich ist, die sich allen Menschen enthüllt, die „reinen Herzens“ und guten Willens sind, wie uns Jesus in seinem Evangelium gelehrt hat. Die Macht des Wortes Gottes liegt in der Wahrheit und in der Sendung! Gott hält diese Wahrheit nicht in der Tiefe seiner Göttlichkeit verborgen. Obwohl sie hoch über Verstand und Herz steht, ist sie die heilbringende Wahrheit, die Frohbotschaft. Gott erreicht mit ihr die Schöpfung. Er erreicht mit ihr die Menschen. Gott vertraut diese heilbringende Wahrheit dem Sohn und dem Geist an, die eines Wesens mit dem Vater und von ihm gesandt sind. Die Kirche bleibt in statu missionis, wenn sie unaufhörlich dieser göttlichen Botin — der Wahrheit — und der Sendung des Sohnes im Heiligen Geist durch den Vater begegnet. 1653 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 3. Der heutige Tag soll im ganzen Volk Gottes das Bewußtsein dieser Begegnung erneuern. Die Kirche, die seit Jahrhunderten in Florenz besteht, möchte ihr missionarisches Bewußtsein und ihre missionarische Bereitschaft dadurch erneuern, daß sie an der Erhebung einer ihrer hochverehrten Tochter zur Ehre der Altäre teilnimmt: an der Seligsprechung der Dienerin Gottes Schwester Teresa Maria vom Kreuz. Der wesentliche Beweggrund und die Eigenart des missionarischen Bewußtseins und der missionarischen Bereitschaft ist, daß die Kirche unaufhörlich in sich die Berufung zur Heiligkeit trägt (vgl. LG 39-42) und so in ihrer Heilssendung ausharrt. 4. Was sagt uns die heutige Liturgie über die Heiligkeit? Was sagt sie uns über die Heiligkeit dieser Dienerin Gottes, die aus eurer Stadt stammte? Die Heiligkeit ist jenes „Aufheben der Augen zu den Bergen“, von dem der Antwortpsalm spricht (vgl. Ps 121,1), sie ist die Intimität mit dem Vater im Himmel, die Intimität durch Christus im Heiligen Geist. In dieser Intimität lebt der Mensch, sich seines Weges, der seine Grenzen und seine Schwierigkeiten hat, bewußt — der Mensch, der voller Vertrauen auf Gott blickt. Heiligkeit ist das Bewußtsein, „behütet“ zu sein, behütet von Gott. Der Heilige weiß nur zu gut um seine Hinfälligkeit, um die Bedenklichkeit seiner Existenz und seiner Fähigkeiten. Aber er läßt sich nicht in Schrecken versetzen. Er fühlt sich dennoch sicher. Er vertraut darauf, daß Gott „seinen Fuß nicht wanken läßt, daß er sein Hüter ist, daß er ihn vor allem Bösen behütet“ (vgl. Ps 121,3.5.7 f.). Die Heiligen spüren, auch wenn sie in sich selbst noch so viel Dunkelheit wahrnehmen, daß sie für die Wahrheit gemacht sind, für Gott, der die Wahrheit ist. Und darum geben sie dieser Wahrheit immer mehr Raum in ihrem Leben. Von da stammt die Sicherheit, die sie kennzeichnet: wo die anderen wanken, halten sie stand. Wo die anderen zweifeln, sehen sie das Wahre. 5. Was sagt uns heute die Liturgie über die Heiligkeit der Dienerin Gottes Teresa Maria vom Kreuz? Heiligkeit, das sind auch die im Gebet zu Gott erhobenen Hände, während rundherum ein Gefecht im Gange ist, während der Kampf zwischen Gut und Böse weitergeht. Der Eifer für Kontemplation und Gebet scheint auf den ersten Blick eine Flucht vor den Kämpfen des Lebens zu sein, eine Absage an jeden Kampf. Wer so denkt, weiß nichts von der Macht des Gebetes, wie wir der ersten Lesung der Messe klar entnehmen können. 1654 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Teresa Maria war eine große Frau der Tat. Doch von Jugend an wurde ihr die Gnade zuteil, die Macht des Gebets zu begreifen, deren sie besonders in der eu-charistischen Anbetung gewahr wurde, die zusammen mit einer innigen Verehrung für die selige Jungfrau Maria die Quelle ihrer Kraft und ihrer Freude war. Die Freude am Gebet und das Bedürfnis, die Liebe, mit der sie sich von Christus geliebt fühlte, zu erwidern, waren für die Dienerin Gottes von frühester Jugend an eins. Und dieses Verlangen, das Gute zu tun, setzte sich sogleich in die Initiative um, die sie, noch nicht zwanzigjährig, ergriff, nämlich einige gleichaltrige Frauen in einem gemeinsamen Leben um sich zu sammeln und ein Hilfswerk für die arme und verlassene weibliche Jugend aufzubauen. Trotz verschiedener Schwierigkeiten und Nöte nahm die Initiative schon bald feste Gestalt an und wurde — im Zeichen der Spiritualität des Karmel — nach wenigen Jahren zu einem Ordensinstitut päpstlichen Rechts, das 1904 von Papst Pius X. anerkannt wurde. Seitdem begannen die Schwestern von Teresa Maria auch im Ausland, im Libanon und im Heiligen Land, Fuß zu fassen. 6. Teresa Maria hat auf vorbildliche Weise die Weisungen des hl. Paulus gelebt, die wir in der Liturgie gelesen haben: „von Kindheit an“ hat sie sich von der Wahrheit des Wortes Gottes überzeugen lassen, auf diese Wahrheit hat sie gebaut, in ihr ist sie „standhaft geblieben“. Und im Laufe der Jahre hat sie ihre „Standhaftigkeit“ und innere Kraft gestärkt und es verstanden „zu lehren“, indem sie ihre geistlichen Tochter überzeugte und berichtigte und sie zur Gerechtigkeit und jedem guten Werk ausbildete, bis heute und auch in Zukunft. Ein Wesensmerkmal, das an Teresa Maria besonders ins Auge sprang, war die Freude. Sie war eine Frau von mütterlicher Zärtlichkeit und ungewöhnlicher Ausgeglichenheit; ihre weisen Worte, ihr Blick und ihre Haltung vermochten allen soviel Licht, Trost und Hoffnung einzuflößen, daß sie ständig von Menschen jeden Standes und Ranges aufgesucht wurde, die oft stundenlang warteten, um von ihr in ihrem kleinen Konvent, unter der Bisenzio-Damm-Mauer, empfangen zu werden und ihre Worte des Glaubens zu hören, die imstande waren, das Leiden zu verwandeln und Frieden zu schenken. 7. Die Freude der Teresa Maria war freilich nicht die enttäuschende Freude dieser Welt. Ihre Freude war die Frucht eines hohen Preises, den sie allerdings gern zahlte, weil sie sich von der Liebe zu Christus und zu den Seelen getrieben fühlte. Sie hatte viel zu leiden: von der Kritik bis zur Verleumdung; vom Martyrium eines bösartigen Tumors, der sie unter entsetzlichen Schmerzen aufzehrte, bis zur Angst vor der „dunklen Nacht“ des Glaubens, die sie in den tiefsten Wurzeln ihres Geistes heimsuchte. Aber da sie sich in alledem voll- 1655 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN kommen in die Hände Gottes fallen ließ, konnte sie in Frieden leben und schien gleichsam die Worte des Paulus zu wiederholen, wenn sie sagt: „Trotz aller Not ströme ich über von Freude“ (2 Kor 7,4). Das ist die Freude, die uns die neue Selige lehrt, eine Freude, die Wahrheit, Fülle und Fruchtbarkeit ist und die uns offen macht für das göttliche Leben. Heute haben wir diese Freude dringend nötig. Es ist die Freude, die vom Kreuz kommt, jenem Kreuz, mit dem sie ihren Namen als Ordensfrau gekennzeichnet hat. Jenes heilige Kreuz, das in Florenz auch einem Platz den Namen gibt, der zugleich ein Geschichts-, Kunst-, Kultur- und Glaubensdenkmal ist. Florentiner, das Kreuz Christi hat eure Kultur, eure Zivilisation beseelt. Das gilt auch noch heute und immer trotz der veränderten Verhältnisse und der neuen Werte, die aus der Geschichte heraustreten. Der Glaube an den gekreuzigten und auferstandenen Christus möge euch zu hohen Idealen inspirieren, euch die Kraft zur Erneuerung, zur Orientierung auf den sittlichen und zivilen Fortschritt hin geben! 8. Da ich bald eure herrliche Stadt wieder verlassen muß, möchte ich euch, Florentiner, grüßen und euch allen danken. Vor allem grüße ich den Kardinal-Erzbischof Silvano Piovanelli mit seinen Mitarbeitern, die Autoritäten des Staates und der Stadt, die sich hier eingefunden haben, den Klerus, die Ordensmänner und Ordensfrauen, die Vertretungen der Pfarreien, der Pfarrgruppen, der verschiedenen katholischen Bewegungen und Organisationen, das ganze Volk Gottes in Florenz, besonders die Familien, die Arbeiter, die Künstler und die Männer und Frauen der Kultur, die Jugend, die Alten, die Kinder, die Kranken, die Leidenden und alle, die, obwohl nicht der katholischen Gemeinschaft angehörig, dennoch bei dieser unserer Begegnung anwesend sind, die ja nicht nur Glaubenszeugnis sein will, sondern auch menschliches Zeugnis der Solidarität für die großen Werte der Liebe und der Anteilnahme am Menschen, für sein Heil und seine Würde, Werte, die im Leben und Werk der seligen Teresa Maria vom Kreuz eine so leuchtende und überzeugende Verwirklichung gefunden haben. Die Heiligen der katholischen Kirche sind nicht nur für die Katholiken da, sondern für die ganze Menschheit. 9. „Wird der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde Glauben vorfinden?“ Er wird sicher verschiedene Glaubensäußerungen vorfinden, die in den Denkmälern der Kultur und der Tradition Ausdruck gefunden haben. Zahllose Dokumente und kostbare Denkmäler in dieser Stadt haben gerade Florenz in dieser Zeit zur „europäischen Hauptstadt der Kultur“ gemacht. 1656 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Das schöne, maßvolle und harmonische Florenz“, — wie Giorgio La Pira sagte —, „das vom Menschen und von Gott gemeinsam geschaffen wurde, um gleichsam die Stadt auf dem Berg, Licht und Trost auf dem Weg der Menschen zu sein.“ Florenz, Hauptstadt des christlichen Humanismus, der Europa ein Antlitz gegeben hat und es ihm noch immer geben muß, wenn Europa in der Welt seine Sendung der Gerechtigkeit und des Friedens entfalten will. Das ist Florenz! 10. Ja. Dieses große, wunderbare Erbe der italienischen Kultur, der europäischen Kultur, der christlichen Kultur ist auch Teil der Kirche, die im Laufe von Jahrhunderten und Generationen in statu missionis, missionarisch, geblieben ist. Besitzt dieses Erbe etwa nur die Bedeutung der Vergangenheit? Gibt es nur Zeugnis von dem, was war? Das Wort Gottes der heutigen Liturgie läßt uns darauf mit einem klaren Nein antworten; nicht nur! Denn aus dem tiefsten Grund all dessen, was Florenz war und was es — dank der Bedeutung seiner Kulturwerke — weiterhin ist, scheint die Mahnung widerzuhallen, die der Völkerapostel in seinen Brief an Timotheus aufgenommen hat: „Ich beschwöre dich bei Gott und bei Christus Jesus, dem kommenden Richter der Lebenden und der Toten, bei seinem Erscheinen und bei seinem Reich: Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht; weise zurecht, tadle, ermahne, in unermüdlicher und geduldiger Belehrung“ (2 Tim 4,1 f.). Das Erbe spricht. Das Erbe ruft. Das Erbe verweist auf die Zukunft, auf die endgültige Zukunft, die der Mensch und die Welt durch Jesus Christus in Gott selbst haben. Florenz! Hör diese Stimme, die tief in dein Erbe eingeschrieben ist! Florenz! Italien! Europa! Höre! „Ich beschwöre dich“! 1657 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN „Mit den Afrikanern Afrikaner werden “ Ansprache an die Mitglieder des Generalkapitels der Weißen Vater am 23. Oktober 1986 Liebe Patres und Brüder, Afrika-Missionare! 1. Jedesmal, wenn eine Familie von Aposteln des Evangeliums in Rom oder anderswo zu einem Kapitel zusammenkommt, zumal wenn eine solche Familie eigens gegründet wurde, um die Reichtümer der Offenbarung den Völkern zu erschließen, die sie noch nicht oder nur wenig kennen, danke ich Gott für dieses Zeichen der Lebenskraft der Kirche. Euer Erscheinen vor dem Nachfolger Petri zeigt in der Tat, daß ihr euch an der Evangelisierung mit dem ganzen Bischofskollegium beteiligen wollt, dessen Haupt er ist. Man kann auch sagen: ihr wolltet euer 23. Generalkapitel durch ein Glaubensbekenntnis inmitten der Kirche krönen. Zunächst möchte ich P. Robert Gay meinen herzlichen Dank aussprechen, denn er hat sechs Jahre lang das Erbe von Kardinal Lavigerie weise verwaltet und sich bemüht, der gemeinsamen Aufgabe neuen Schwung zu geben, die die Weißen Väter für die Kirchen Afrikas übernommen haben. Dem neuen Generalsuperior, P. Etienne Renaud, aber gelten meine herzlichen Glückwünsche, mit denen ich gern mein Gebet verbinde. Lieber Pater, das Kapitel hat Sie dem Päpstlichen Institut für arabische und islamische Studien entzogen, dem Sie fachkundig gedient haben und daher ergreife ich die Gelegenheit, auch diesem Institut meine Anerkennung auszusprechen, das in diesem akademischen Jahr für etwa 40 Studenten aus verschiedenen Teilen der Welt seine Pforten öffnet. Die Wahl der Kapitulare, die Ihnen die Verantwortung für die Gesellschaft der Weißen Väter anvertraut haben, scheint mir ein wichtiges Zeichen für die Aufmerksamkeit zu sein, die die Missionare Afrikas schon immer den „Gläubigen des Islam“ geschenkt haben, wie es Artikel 1 eurer Konstitutionen formuliert. 2. Euer Kapitel hat eine wichtige Arbeit zu Ende geführt. Ihr habt eure Konstitutionen, die bereits vor fünf Jahren approbiert wurden, auf den neuesten Stand gebracht. Aber über diesen juridischen Aspekt eurer gemeinsamen Arbeit hinaus habt ihr die wesentlichen Zielsetzungen bekräftigt, die ihr mit neuem Eifer aufgreifen wollt. Darüber freue ich mich von Herzen. Ich stelle vor allem euren entschiedenen Willen fest, eurem missionarischen Charisma treu zu bleiben. Trotz der begrenzten Zahl eurer Kräfte wollt ihr noch großzügiger auf die zahlreichen Bitten eingehen, die von afrikanischen Bischöfen an euch ge- 1658 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN richtet werden, die jetzt die Verantwortung für die einst von euch gegründeten Diözesen übernommen haben; dazu die Bitten von Hirten, die neue Diözesen aufbauen möchten oder die Erstverkündigung des Evangeliums voranbringen wollen. Meine apostolischen Reisen nach Afrika haben mich erkennen lassen, wie sehr diese jahrhundertealten oder jüngeren Kirchen wirkliche Hilfe brauchen, obwohl man selbst noch mehr zurücktreten und immer selbstlos arbeiten muß. Ich denke vor allem daran, wieviel ihr aufgrund eurer Erfahrung für die Heranbildung des Klerus, einheimischer Ordensgemeinschaften und Laien, zumal von Katecheten tun könnt. Eure besondere Kenntnis der Welt des Islam befähigt euch ferner, den christlichen Gemeinden Afrikas viel zu helfen in ihrem Verhältnis zu den zahlreichen Schülern des Koran. Ihr wißt besser als viele andere: Der Dialog mit den „Gläubigen des Islam“ ist notwendig, wie ich am 19. August 1985 in Casablanca betont habe. Ich denke hier an eure Mitbrüder in Jerusalem, die mit den östlichen Kirchen ökumenisch verbunden sind, und sage euch: pflegt weiter, wo immer ihr präsent seid, diese Sorge um die Einheit unter den Christen, indem ihr den Dialog mit ihnen fortsetzt und mit ihnen gemeinsam vorgeht, wo immer das möglich ist. Euer missionarisches Charisma kann ferner eine bewußte und geduldige Hilfe für jene jungen Kirchen Afrikas sein, die ihre eigene missionarische Berufung ad extra entdecken, wenn auch immer noch innerhalb Afrikas, doch warum später nicht auch darüber hinaus? Ich erwähne hier nur das Beispiel der ersten weiblichen Kongregation in Burundi, der „Benetereziya“, die heute in Tansania, im Tschad und in Kamerun arbeitet. 3. Natürlich hat die Treue zu eurem Charisma, das heißt zu den Kirchen Afrikas, seit eurer Gründung ihren Stil ändern müssen. Und doch ist es die gleiche Treue, die euch zu aktiver und demütiger Mitarbeit am Werk der Inkulturation drängt. In der Enzyklika Slavorum Apostoli habe ich aufgezeigt, wie die hll. Kyrill und Method wagemutig und zugleich klug waren beim Verständnis für Sprache, Gewohnheiten und Überlieferungen der slawischen Völker und ihrer Erwartungen. Euch als Missionaren Afrikas ist diese Perspektive vertraut. Ihr wart immer treu, nicht nur dem genialen Gedanken von Kardinal Lavigerie, der euch aufgefordert hat, mit den Afrikanern Afrikaner zu werden, soweit es nur immer möglich ist; ihr habt es auch als eure Pflicht angesehen, die Sprache zu erlernen und gut die Gewohnheiten des Milieus kennenzulemen, wo ihr zu leben berufen seid, um dort besser die Saat des Wortes Gottes zu säen oder ein glaubwürdiges Zeugnis zu geben. Ich ermutige euch dazu von ganzem Herzen und spreche euch meine Genugtuung aus für die Studienzentren für afrikanische Sprachen, die ihr in Afrika gegründet habt, natürlich auch für die Entwicklung des 1659 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Päpstlichen Institutes in Rom. Ihr wißt, welcher Geist hinter einer derart komplexen und notwendigen Aufgabe wie der Inkulturation stehen muß. Ich bin darauf im letzten Jahr besonders in Yaounde und Nairobi eingegangen. Möge eure Gesellschaft dazu ihren Beitrag leisten, in enger Verbindung mit den Bischöfen der betreffenden Länder, mit den katholischen Universitäten Afrikas und mit dem Hl. Stuhl. 4. Ihr könntet mir natürlich sagen: Leider fehlt es uns an Kräften. Ich glaube jedoch zu wissen, daß die Weißen Vater und die Weißen Schwestern gegen 20 einheimische Ordensgemeinschaften gegründet oder mitgetragen haben. Sind im übrigen die jungen Leute, die sich eurer Gesellschaft anschließen möchten, nicht zum guten Teil Afrikaner? Bemüht euch also um die Weckung von Missionsberufen in jenen Ländern, wo euer Institut vor allem während der letzten 100 Jahre und mehr gewachsen ist, und auch anderswo. Der brüderliche Austausch zwischen den alten und jungen Kirchen kommt gewiß beiden zugute. 5. Schließlich habt ihr euch entschieden, noch mehr die Treue zum gemeinschaftlichen Leben zu fördern. Kardinal Lavigerie wollte mit der ihm eigenen Festigkeit, daß dies eine besondere Eigenheit seiner Missionsgenossenschaft sei, zugleich ein besonderes Werkzeug beim Apostolat im Dienst der Einzelkirchen Afrikas. Vielleicht macht es das Älterwerden eurer Mitbrüder notwendig, Weisungen aufzustellen, um diese notwendige Neugruppierung zu erreichen. Eure Gemeinschaften müssen zweifellos immer mehr vielrassig werden: wenn sie im Geist des Evangeliums leben, können sie das bereichernde Ja zur Verschiedenheit fördern und eine gesunde Kreativität wecken, deren Gegengewicht eine dem Evangelium entsprechende Demut gegenüber anderen ist. Selbstverständlich werden solche Gemeinschaften den Gebetszeiten einen besonderen Platz zuweisen, dann der Ausbildung in Lehre und Pastoral, ohne den loyalen Dialog mit den Verantwortlichen zu kurz kommen zu lassen oder die dankbaren Stunden des ebenso einfachen wie fröhlichen brüderlichen Austausches. Hier begrüße ich die geistliche Auffrischung, die die Weißen Väter nach 10 bis 12 Jahren mehrere Wochen lang in eurem Haus „Sainte Anne“ in Jerusalem haben können. Liebe Väter und Brüder, eure Gesellschaft hat sich in Afrika und in einigen Orten des Nahen Ostens gut integriert. Sie hat erhebliche Arbeit geleistet. Sie hat auch wie zahlreiche Kirchen dieses Kontinents mit Hindernissen gegen ihre selbstlose Evangelisierungsarbeit zu tun gehabt und schwere Prüfungen erlebt, wie sie zu Christen und Missionaren gehören, die das Leiden Christi mitleiden. So sage ich euch im Namen der Kirche: Lebt in der Hoffnung! Eure Sendung in Afrika geht weiter! Begleitet diese jungen Kirchen, diesen Kontinent und seine 1660 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Kulturen ebenso eifrig wie fachkundig, denn sie sind ja berufen, mehr und mehr ihren Platz auf der Weltebene auszufüllen. In diesem Geist rufe ich auf alle Missionare Afrikas die Überfülle der Weisheit und göttlichen Stärke herab; und ich vertraue eure Gesellschaft, eure Familien und Freunde dem Schutz unserer Lb. Frau von Afrika an. Für die Kranken „Werke der Barmherzigkeit“ tun! Ansprache an die Teilnehmer der internationalen Konferenz über „Heilmittel für das menschliche Leben“ am 24. Oktober Exzellenz! Meine Damen und Herren! 1. Mit Freude begrüße ich Sie, Teilnehmer an dieser internationalen Konferenz, die wieder einmal beweist, welche Bedeutung die Kirche dem Dienst an den Kranken, den Leidenden und all jenen beimißt, die in dem weiten — heiklen und komplexen — Bereich des Gesundheitswesens und der Hygiene arbeiten, einem Gebiet des Apostolats, das einen wesentlichen Bestandteil des Sendungsauftrags der Kirche bildet. Diese Tagung ist recht repräsentativ für die Tätigkeit der Päpstlichen Kommission für die Pastoral der Gesundheitsdienste, und ich nehme gern diese Gelegenheit wahr, um ihrem Präsidenten, Herrn Kardinal Eduardo Pironio, ihrem Pro-Präsidenten, Monsignore Fiorenzo Angelini, und ihren Mitarbeitern meine Anerkennung auszusprechen und ihnen zu danken. In einer Welt, wo die Planung und Einrichtung gerade der Sozial- und Gesundheitsdienste beträchtlich fortschreitet und wo man gewahr wird, daß ihre Beziehungszusammenhänge immer komplexer werden, war die Koordinierung und Förderung der kirchlichen Präsenz in diesem Bereich unerläßlich geworden. Diese Tagung ist ebenso wie die anderen ein Beweis für die Initiativen, die ergriffen wurden oder dabei sind, verwirklicht zu werden; unter ihnen möchte ich die weitreichende Ermittlung sämtlicher das Gesundheitswesen betreffender Strukturen der Kirche erwähnen; auf diese Weise werden wir uns besser der Ausdehnung und der kapillaren Verzweigungen dieser Präsenz und dieses Dienstes für die der Prüfung der Krankheit an Leib und Seele besonders ausgesetzten menschlichen Person bewußt. 2. Die Wahl des Zentralthemas dieser Konferenz scheint mir dem auch sehr angepaßt zu sein. Denn die Medikamente sind das Mittel, durch das der Arzt 1661 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Krankheiten nicht nur behandeln, sondern manchen auch zuvorkommen kann. Eine große Zahl dieser Krankheiten, die in der Vergangenheit die Bevölkerung dezimierten, ist heute großenteils verschwunden. Andere können viel wirksamer behandelt werden. Kinder sind seltener von den schrecklichen, durch Kinderlähmung und Rachitis hervorgerufenen Mißbildungen gezeichnet. Die Chirurgie konnte dank einer immer besseren Unterstützung seitens der Pharmakologie außerordentliche Fortschritte machen. Das durchschnittliche Lebensalter ist beachtlich gestiegen. Das alles verdanken wir vor allem den Impfstoffen und vielen anderen Medikamenten, über die wir heute verfügen. Zumindest gilt das für die entwickelteren Länder. 3. Doch wenn es auch stimmt, daß die Medikamente der Menschheit unermeßliche Segnungen gebracht haben, haben sie andererseits ernste zum Teil noch ungelöste Probleme aufgeworfen, was ihre Produktion, ihre Verbreitung, ihre Anwendung und ihre Erreichbarkeit für alle Kranken betrifft, welchem sozialen Umfeld oder Land sie auch angehören mögen. Die Entwicklung und Herstellung von Medikamenten wird immer komplizierter und kostspieliger, und das hat deutlich erkennbare wirtschaftliche und soziale Konsequenzen. Medikamente können die Funktionen verschiedener Organe oder Gewebe oder sogar die geistige Aktivität anregen oder umgekehrt herabsetzen. Diese Merkmale machen sie brauchbar, um die Abwehrkraft gegen bestimmte Krankheiten zu steigern oder das Fortschreiten anderer Krankheiten zu bremsen. Man muß sich freilich manchmal nach der Zweckmäßigkeit eines übermäßigen Konsums dieser künstlichen Produkte für das Gleichgewicht des menschlichen Organismus fragen, zu dem die Arzte in bestimmten Ländern neigen. Vor allem aber können Medikamente auch für einen nicht mehr rein therapeutischen Zweck, sondern dazu verwendet werden, die Gesetze der Natur zum Schaden der Würde der menschlichen Person zu verfälschen. Es ist daher klar, daß die Produktion, Ausgabe und Anwendung von Medikamenten einem besonders strengen Sittenkodex unterworfen sein muß. Seine Respektierung ist das einzige Mittel, um zu vermeiden, daß die an sich legitimen und für ihre Verbreitung wichtigen Forderungen an Produktion und Preis der Medikamente nicht ihren Sinn und Zweck vereiteln. 4. Sie haben sich bei diesem Kongreß auch mit dem Problem der Erprobung von Medikamenten beschäftigt. Beim gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse lassen sich die Eigenschaften und Merkmale neuer Medikamente noch nicht mit hinreichender Genauigkeit vorhersehen. Sie müssen deshalb vor ihrer Anwendung in der Therapie an Tieren im Labor getestet werden. In meiner Ansprache an die Teilnehmer an der Studienwoche über die biologi- 1662 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN sehen Experimente, die 1982 an der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften abgehalten wurde, hatte ich bereits hervorgehoben, daß diese Experimente heikel sind und unter Achtung des Tieres erfolgen müssen, ohne ihm unnötige Leiden zuzufügen. In einem zweiten Schritt müssen die Medikamente, ehe sie normal verwendet werden können, noch am Menschen, am kranken und manchmal auch am gesunden Menschen, getestet werden. Das klinische Experiment ist fortan strengen Gesetzen und Bestimmungen unterworfen, die es regeln und alle nur möglichen Garantien bieten wollen. Es wird der Tag kommen, wo dank des Fortschritts der wissenschaftlichen Erkenntnisse die Gefahren und Unbekannten auf dem Gebiet der Experimente mit Medikamenten beträchtlich vermindert werden, so wenigstens kann man hoffen. Jedenfalls erweist sich eine große Vorsicht als notwendig, um nicht den Menschen zum Experimentierobjekt zu machen, um um jeden Preis zu vermeiden, daß sein Leben, sein Gleichgewicht, seine Gesundheit gefährdet oder seine Krankheit verschlimmert wird. 5. Gleichzeitig ist es dringend notwendig, eine wirkliche internationale Zusammenarbeit zu fördern, nicht nur im Bereich gesetzlicher Bestimmungen, sondern auch zum Zweck der Verminderung und Beseitigung der Unterschiede, die von Land zu Land bestehen. Unter den heute noch ungelösten Problemen möchte ich jene erwähnen, die die Situation mancher Entwicklungsländer betreffen. Während der Zugang zur Gesundheitsfürsorge als ein Grundrecht des Menschen anerkannt wird, ist großen Teilen der Menschheit noch immer selbst die elementarste medizinische Versorgung versagt. Das ist ein Problem von solchem Umfang, daß die Bemühungen einzelner — so wertvoll und unersetzlich sie auch sein mögen — sich als ungenügend erweisen. Zur gegenwärtigen Stunde muß man sich absolut bemühen, zusammenzuarbeiten und die Einsatzpolitik und damit die konkreten Initiativen auf internationaler Ebene zu koordinieren. Wir wissen, wie sehr sich die Weltgesundheitsorganisation dafür einsetzt und viele andere Vereinigungen und Initiativen, die eine grenzenlose Solidarität an den Tag legen. Die Industrieländer haben die Pflicht, den weniger entwickelten Ländern ihre Erfahrung, ihre Technologie und einen Teil ihres wirtschaftlichen Reichtums zur Verfügung zu stellen. Aber das kann nur unter Achtung der Menschenwürde der anderen geschehen, ohne sich jemals aufdrängen zu wollen. Der Schutz der Gesundheit ist eng mit den verschiedenen Aspekten des Lebens verbunden: mag es sich nun um soziale oder wirtschaftliche Aspekte handeln, um solche, die sich auf die Umwelt oder auf die Kultur beziehen. Er verlangt von sich aus eine besonnene und verantwortungsbewußte Annäherung in einer offenen und beiderseitigen Zusammenarbeit. Denn es kommt häufig vor, daß die örtli- 1663 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN ehen Traditionen wertvolle Anhaltspunkte bieten, die zu beachten und hervorzuheben nur gut sein kann. Die Christen begreifen, daß es da ein ganz wichtiges Feld brüderlicher Hilfe, demütigen und respektvollen Dienens gibt. 6. In diesem Zusammenhang können wir nicht vergessen, daß es noch Medikamente gibt, derer man sich aus fast rein kommerziellen Gründen nicht ernsthaft annimmt und die nicht von der Forschung und vom wissenschaftlichen Fortschritt profitieren. Nun werden sie aber nicht nur für die Behandlung einiger seltener Krankheiten gebraucht, sondern auch für. solche, die vor allem in den Tropengegenden und armen Zonen Millionen von Menschen heimsuchen. Was das anbelangt, gilt es zuerst die Zielsetzungen und ihre Prioritätsordnung festzustellen, dann zu sehen, wie die wirtschaftlichen und politischen Schranken überwunden werden können, die die Erforschung, die Herstellung und Produktion solcher Medikamente verhindern. 7. Alle, die in den Gesundheitsdiensten arbeiten und die sich diesen schwierigen und komplexen Problemen stellen müssen, möchte ich hier wiederum Namen der Kirche ermutigen. Denn die christliche Lehre leistet — das ist unsere Überzeugung — in diesen Bereichen einen sehr wichtigen Beitrag. Sie bietet verläßliche Grundsätze, um auf Lösungen hinzulenken, die die Würde der Person gewährleisten, ihren sittlichen und sozialen Fortschritt fördern, die Solidarität entfalten, und in diesem Sinne bringt sie denen Licht und Hoffnung, die angesichts der traurigen Lage von Kranken und Schwachen Zweifel, bange Fragen oder sogar Mutlosigkeit überkommen. Auf der einen Seite teilt die Kirche mit den Kranken ihren Wunsch nach Heilung, nach Linderung und ihre Hoffnung auf ein erfülltes Leben. Sie respektiert auch das Geheimnis ihres Leidens und lädt sie, vor allem wenn sie glauben, ein, ihre Prüfung in Gottes Plan, in den Plan der Erlösung zu stellen, verbunden mit Christus, dem Erlöser, der ihnen eine Gelegenheit zur geistlichen Erhöhung und zur Liebeshingabe für das Heil der Welt bietet. In den Genuß dieses Geheimnisses können auch jene kommen, die die Kranken versorgen. Ich habe oft Gelegenheit, zu den Kranken darüber zu sprechen. Andererseits ist diese unermeßliche Welt der Krankheit zugleich eine Herausforderung an Ihre Fähigkeiten als Ärzte, Pharmazeuten, Wissenschaftler, damit Sie für das Problem der Gesundheit unter sämtlichen Gesichtspunkten, unter denen es sich stellt, eine wissenschaftliche und menschliche Lösung finden können. Bei meinem kürzlichen Besuch der Kranken und ihrer Pfleger in der Kathedrale St. Jean in Lyon (am 5. Oktober 1986) habe ich in diesem Sinne die wissenschaftliche Forschung ermutigt und alle beglückwünscht, die wie der barmherzige Samariter im Evangelium Mitarbeiter Gottes bei der Vertei- 1664 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN digung des Lebens ihrer Brüder und Schwestern sind. Ja, die Kirche hat nicht nur stets im Geist der Lehre Jesu die Gründung von Werken der Barmherzigkeit für die Kranken angeregt, sondern sie legt auch Wert darauf, den technischen Fortschritt, die Ausweitung der Kenntnisse und ihre kluge Anwendung im Dienste des Menschen zu fördern. Das Christentum, das sich den berechtigten Erwartungen der modernen Welt keineswegs verschließt, hebt diese vielmehr hervor und trägt dazu bei, daß ihnen entsprochen wird. Diese Gewißheit möge Sie immer begleiten und Ihren Einsatz in jedem Bereich Ihres Wirkens in den Gesundheitsdiensten stärken! Gott hat uns den Verstand und das Herz geschenkt, damit wir besser herausfinden und verwirklichen können, was das Leben des menschlichen Organismus, den Ausdruck der Person, stärkt und entwickelt: Möge er Ihnen bei Ihrer Forschung, bei Ihrem beruflichen Dienst Kraft geben und möge er Sie persönlich, Ihre Familien und alle Ihre Lieben reichlich mit seinem Segen überschütten! Eine gemeinsame Verpflichtung für den Frieden Ansprache zu Beginn des Weltgebetstags der Religionen für den Frieden in der Basilika Santa Maria degli Angeli in Assisi am 27. Oktober Meine Brüder und Schwestern, Führer und Vertreter der christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und der Weltreligionen, liebe Freunde! 1. Ich habe die Ehre und Freude, Sie alle zu unserem Weltgebetstag in dieser Stadt Assisi willkommen zu heißen. Lassen Sie mich damit beginnen, Ihnen von Grund meines Herzens für die Offenheit und den guten Willen zu danken, mit denen Sie meine Einladung zum Gebet in Assisi angenommen haben. Als religiöse Führer sind Sie nicht für eine Friedenskonferenz zwischen den Religionen hierher gekommen, bei der der Akzent auf der Diskussion und der Suche nach Aktionsplänen auf Weltebene zugunsten einer gemeinsamen Sache liegen würde. Die Zusammenkunft von so vielen religiösen Führern, um zu beten, ist in sich selbst heute eine Einladung an die Welt, sich dessen bewußt zu werden, daß es noch eine andere Dimension des Friedens und einen anderen Weg der Friedensförderung gibt, die nicht das Ergebnis von Verhandlungen, von politischen Kompromissen oder wirtschaftlichen Verträgen ist. Sie ist das Ergebnis von 1665 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Gebet, das in der Verschiedenheit der Religionen eine Beziehung mit der höchsten Macht ausdrückt, welche unsere menschlichen Fähigkeiten allein übersteigt. Wir kommen von weither, nicht nur, wie für viele von uns, wegen der geographischen Entfernungen, sondern vor allem wegen unserer jeweiligen historischen und geistigen Ursprünge. 2. Die Tatsache, daß wir hierher gekommen sind, beinhaltet nicht die Absicht, unter uns selbst einen religiösen Konsens zu suchen oder über unsere religiösen Überzeugungen zu verhandeln. Es bedeutet weder, daß die Religionen auf der Ebene einer gemeinsamen Verpflichtung gegenüber einem irdischen Projekt, das sie alle übersteigen würde, miteinander versöhnt werden könnten, noch ist es eine Konzession an einen Relativismus in religiösen Glaubensfragen, weil jedes menschliche Wesen ehrlich seinem rechtschaffenen Gewissen folgen muß mit der Absicht, die Wahrheit zu suchen und ihr zu gehorchen. Unsere Begegnung bezeugt nur — und das ist ihre wirkliche Bedeutung für die Menschen unserer Zeit —, daß die Menschheit in dem großen Kampf für den Frieden, gerade in ihrer Verschiedenheit, aus ihren tiefsten und lebendigsten Quellen schöpfen muß, von wo ihr Gewissen geformt wird und auf dem das sittliche Handeln der Menschen gründet. 3. Ich betrachte die heutige Versammlung als ein sehr bedeutsames Zeichen für die Verpflichtung, mit der Sie alle sich der Sache des Friedens verbunden fühlen. Diese Verpflichtung ist es, die uns nach Assisi geführt hat. Die Tatsache, daß wir einen verschiedenen Glauben bekennen, schmälert nicht die Bedeutung dieses Tages. Im Gegenteil, die Kirchen, die kirchlichen Gemeinschaften und Weltreligionen zeigen, daß sie sich sehr um das Wohl der Menschheit bemühen. Der Friede ist, wo es ihn gibt, äußerst zerbrechlich. Er ist auf so vielfältige Weise bedroht und mit so unvorhersehbaren Folgen, daß wir uns darum bemühen müssen, ihn auf sichere Fundamente zu gründen. Ohne daß wir auf irgendeine Weise die Notwendigkeit von menschlichen Mitteln leugnen, die den Frieden erhalten und festigen, sind wir hier, weil wir uns dessen gewiß sind, daß wir über solche Maßnahmen hinaus das Gebet benötigen, das inständige, demütige und vertrauensvolle Gebet, wenn die Welt schließlich ein Ort wahren und dauerhaften Friedens werden soll. Deshalb ist dieser Tag ein Tag, der dem Gebet und all dem gewidmet ist, was mit dem Gebet zusammengeht: Stille, Wallfahren und Fasten. Indem wir uns der Speise enthalten, werden wir uns um so mehr dessen bewußt werden, daß wir ganz allgemein der Buße und der inneren Umwandlung bedürfen. 1666 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN 4. Die Religionen sind zahlreich und mannigfaltig. Sie spiegeln den Wunsch von Männern und Frauen durch die Jahrhunderte hindurch wider, mit dem absoluten Sein in Beziehung zu treten. Das Gebet verlangt die Bekehrung des Herzens unsererseits. Es bedeutet eine Vertiefung unseres Gespürs für die letzte Wirklichkeit. Das ist der eigentliche Grund für unser Zusammenkommen an diesem Ort. Wir werden von hier aus zu unseren getrennten Gebetsorten gehen. Jede Religion wird die Zeit und Gelegenheit haben, sich in ihrem eigenen traditionellen Ritus auszudrücken. Darauf werden wir uns von diesen getrennten Gebetsorten schweigend zum unteren Platz der Franziskusbasilika begeben. Auf dem Platz versammelt, wird wiederum jede Religion ihr eigenes Gebet vortragen können, eine nach der anderen. Nachdem wir so getrennt gebetet haben, werden wir in Stille unsere eigene Verantwortung für das Werk des Friedens betrachten. Dann werden wir symbolisch unsere Verpflichtung für den Frieden erklären. Am Ende des Tages werde ich schließlich auszudrücken versuchen, was diese einzigartige Feier meinem Herzen gesagt hat, als einem, der an Jesus Christus glaubt und der der erste Diener der katholischen Kirche ist. 5. Ich möchte Ihnen noch einmal meinen Dank dafür bekunden, daß Sie zum Gebet nach Assisi gekommen sind. Ich danke ebenso allen einzelnen Personen und den religiösen Gemeinschaften, die sich mit unserem Gebet verbunden haben. Ich habe diese Stadt Assisi als Ort für unseren Gebetstag für den Frieden gewählt, weil sie von besonderer Bedeutung ist wegen des heiligen Mannes, der nun hier verehrt — des hl. Franziskus — und der von so vielen in der Welt gekannt und geehrt wird als ein Symbol für Frieden, Versöhnung und Brüderlichkeit. Inspiriert durch sein Beispiel, seine Sanftmut und Demut, laßt uns in wirklicher innerer Stille unsere Herzen für das Gebet bereiten. Laßt uns diesen Tag zu einer Vörwegnahme einer friedvollen Welt machen. Möge der Friede auf uns herab kommen und unsere Herzen erfüllen! 1667 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Der Friede ist ein Geschenk Gottes Ansprache beim Gebetstreffen der christlichen Konfessionen und Gemeinschaften in der San-Rufino-Kathedrale in Assisi am 27. Oktober Liebe Brüder und Schwestern in Christus! Jesus Christus „ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile und riß ... die trennende Wand der Feindschaft nieder“ (Eph 2,14). Ich möchte den Führern und Vertretern der anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften danken, die geholfen haben, diesen Tag vorzubereiten, und die nun entweder persönlich oder durch ihre Abordnungen hier anwesend sind. Es ist von Bedeutung, daß wir Christen, da das dritte christliche Jahrtausend sich nähert, uns hier im,Namen Jesu Christi versammelt haben, um den Heiligen Geist anzurufen und ihn zu bitten, unser Universum mit Liebe und Frieden zu erfüllen. Unser Glaube lehrt uns, daß Friede ein Geschenk Gottes in Jesus Christus ist, ein Geschenk, das sich selbst im Gebet zu ihm ausdrücken sollte, der die Geschicke aller Völker in seinen Händen hält. Darum ist das Gebet ein wesentlicher Teil der Friedensbemühungen. Was wir heute tun, ist ein weiteres Glied in jener Gebetskette für den Frieden, die von einzelnen Christen und von christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften geknüpft worden ist, eine Bewegung, die in den letzten Jahren in vielen Teilen der Welt stärker geworden ist. Unser gemeinsames Gebet bekundet und bezeugt den Frieden, der in unseren Herzen herrscht, seitdem wir als Jünger Christi in die Welt gesandt sind, den Frieden zu verkünden und zu bringen, jenes Geschenk, das „von Gott kommt, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat“ (2Kor 5,18). Als Jünger Christi haben wir eine besondere Verpflichtung, seinen Frieden der Welt zu vermitteln. Als Christen sind wir imstande, uns bei dieser Gelegenheit in der Kraft des Heiligen Geistes zu versammeln, der die Jünger Jesu Christi zu jener immer volleren Teilnahme am Leben des Vaters und des Sohnes führt, welche die Gemeinschaft der Kirche ist. Die Kirche selbst ist berufen, das wirksame Zeichen und Mittel der Versöhnung und des Friedens für die Menschheitsfamilie zu sein. Trotz der schwerwiegenden Fragen, die uns noch trennen, ist der gegenwärtige Grad der Einheit in Christus dennoch ein Zeichen für die Welt, daß Jesus Christuswahrhaft der Friedensfürst ist. In ökumenischen Initiativen erschließt Gott uns neue Möglichkeiten des Verstehens und der Versöhnung, damit wir bessere Werkzeuge seines Friedens sein mögen. Was wir heute hier tun, wird weniger vollkommen sein, wenn wir ohne einen tieferen Entschluß von hier fortge- 1668 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN hen, uns weiter darum zu bemühen, nach vollerer Einheit zu suchen und die schwerwiegenden Trennungen zu überwinden, die noch bleiben. Dieser Entschluß verpflichtet uns als einzelne und als Gemeinschaften. Unser Gebet hier in Assisi sollte Reue für unsere Versäumnisse als Christen einschließen, daß wir die Sendung, die wir von Christus für Frieden und Versöhnung empfangen haben, noch nicht voll verwirklicht haben. Wir beten für die Bekehrung unserer Herzen und die Erneuerung unseres Geistes, auf daß wir wahre Friedensstifter werden, die für ihn ein gemeinsames Zeugnis geben, dessen Reich „ein Reich der Wahrheit und des Lebens, der Heiligkeit und der Gnade, der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens“ ist. Ja, Jesus Christus ist unser Friede, und er muß uns stets vor Augen bleiben. Er ist der Gekreuzigte und der Auferstandene, derjenige, der seine Jünger mit den Worten grüßt, die unser gemeinsamer christlicher Gruß geworden sind: „Friede sei mit euch.“ Und „nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite“ (Joh 20,19 f.). Diese bedeutsame Geste des auferstandenen Christus dürfen wir nicht vergessen. Es kann uns verstehen helfen, wie wir Friedensstifter sein.können. Denn der auferstandene Herr erschien seinen Jüngern in seinem verklärten Zustand, in dem er aber noch die Wundmale seiner Kreuzigung trug. In der heutigen Welt, die durch Krieg und Entzweiungen verwundet, in einem gewissen Sinn gekreuzigt ist, gibt uns dieses Handeln Christi Hoffnung und Stärke. Wir können den rauhen Wirklichkeiten, die unsere Existenz als Folge der Sünde kennzeichnen, nicht ausweichen. Aber die Gegenwart des auferstandenen Christus in unserer Mitte mit den Wundmalen der Kreuzigung an seinem verklärten Leib versichert uns, daß durch ihn und in ihm diese vom Krieg gegeißelte Welt verwandelt werden kann. Wir müssen dem Geiste Christi folgen, der uns stützt und führt, um die Wunden der Welt mit der Liebe Christi zu heilen, die in unseren Herzen wohnt. Derselbe Geist Christi, der Geist der Wahrheit, den wir heute erflehen, befähigt uns, die Wege gegenseitigen Verstehens und Vergebens zu erkennen. Denn dem Gebet um Frieden müssen geeignete Friedensaktionen folgen. Es muß unserem Geist zum Beispiel jene Fragen der Gerechtigkeit klarer zu Bewußtsein bringen, die mit der Verwirklichung des Friedens unlösbar verbunden sind und die unseren aktiven Einsatz fordern. Es muß uns bereit machen, mit Demut und Liebe zu denken und zu handeln, welche den Frieden fördern. Es muß uns wachsen lassen in der Achtung füreinander als Menschen, als Kirchen und kirchliche Gemeinschaften, bereit, in dieser Welt mit Menschen anderer Religionen, mit allen Menschen guten Willens zusammenzuleben. Der Weg des Friedens geht letztlich über die Liebe. Laßt uns heute den Heiligen Geist erflehen, der die Liebe des Vaters und des Sohnes ist, damit er von 1669 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN uns mit all seiner Kraft Besitz ergreife, unseren Geist erleuchte und unsere Herzen mit seiner Liebe'erfülle. „Friede trägt den Namen Jesu Christi“ Ansprache zum Abschluß des Weltgebetstags der Religionen für den Frieden vor der Franziskus-Basilika in Assisi am 27. Oktober Meine Brüder und Schwestern,. Führer und Vertreter der christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und der Weltreligionen, liebe Freunde! 1. Am Ende dieses Weltgebetstages für den Frieden, zu dem Sie meine Einladung angenommen und aus vielen Erdteilen hierhergekommen sind, möchte ich nun meinen Empfindungen Ausdruck geben als Bruder und Freund, aber auch als einer, der an Jesus Christus und an die katholische Kirche glaubt und der erste Zeuge des Glaubens an ihn ist. In bezug auf das letzte, das christliche Gebet in der Serie, die wir alle gehört haben, bekenne ich hier erneut meine Überzeugung, die von allen Christen geteilt wird, daß in Jesus Christus, als dem Erlöser aller, wahrer Friede gefunden wird, Friede den Fernen und Friede den Nahen (vgl. Eph 2,17). Seine Geburt wurde vom Gesang der Engel begrüßt: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2,14). Er hat Liebe zu allen, sogar zu den Feinden, gepredigt, seliggepriesen diejenigen, die Frieden stiften (vgl. Mt 5,9) und hat durch seinen Tod und seine Auferstehung Himmel und Erde miteinander versöhnt (vgl. Kol 1,20): Um einen Ausdruck des Apostels Paulus zu benutzen: „Er ist unser Friede“ (£/?& 2,14). 2. Es ist in der Tat meine Glaubensüberzeugung, die mich euch, den Vertretern der christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften und Weltreligionen, in tiefer Liebe und Achtung zugewandt hat. Mit den anderen Christen teilen wir viele Überzeugungen und besonders, was den Frieden betrifft. Mit den Weltreligionen teilen wir eine gemeinsame Achtung des Gewissens und Gehorsam ihm gegenüber, das uns allen lehrt, die Wahrheit zu suchen, die einzelnen und die Völker zu heben und ihnen zu dienen, und deshalb unter den einzelnen Menschen und unter den Nationen Frieden zu stiften. 1670 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Ja, wir alle halten das Gewissen und den Gehorsam gegenüber der Stimme des Gewissens für ein wesentliches Element auf dem Weg zu einer besseren und friedvolleren Welt. Könnte es anders sein, da doch alle Männer und Frauen in dieser Welt eine gemeinsame Natur, einen gemeinsamen Ursprung und ein gemeinsames Schicksal haben? Wenn es auch zwischen uns viele und bedeutsame Unterschiede gibt, so gibt es doch auch einen gemeinsamen Grund, von wo her es zusammenzuarbeiten gilt für die Lösung dieser dramatischen Herausforderung unserer Zeit: wahrer Friede oder katastrophaler Krieg? 3. Ja, es gibt die Dimension des Gebetes, die sogar in der tatsächlichen Verschiedenheit der Religionen eine Verbindung mit einer Macht über allen menschlichen Kräften auszudrücken versucht. Der Friede hängt grundlegend von dieser Macht ab, die wir Gott nennen und die sich, wie die Christen glauben, sich selbst in Christus geoffenbart hat. Dies ist der Sinn dieses Weltgebetstages. Zum ersten Mal in der Geschichte sind wir, christliche Kirchen und kirchliche Gemeinschaften und Weltreligionen, von überallher zusammengekommen an diesem heiligen, dem hl. Franziskus geweihten Ort, um vor der Welt jeder entsprechend seiner eigenen Überzeugung vom transzendenten Wert des Friedens Zeugnis zu geben. Die Form und der Inhalt unserer Gebete sind sehr verschieden, wie wir gesehen haben, und es kann keine Frage sein, sie auf eine Art gemeinsamen Nenner zu reduzieren. 4. Dennoch haben wir in dieser tatsächlichen Verschiedenheit vielleicht neu entdeckt, daß es hinsichtlich des Friedensproblems und seiner Beziehung zur religiösen Verpflichtung etwas gibt, was uns miteinander verbindet. Die Herausforderung des Friedens, wie sie sich gegenwärtig jedem menschlichen Gewissen stellt; ist verbunden mit dem Problem einer angemessenen Lebensqualität für alle, mit dem Problem des Überlebens für die Menschheit, mit dem Problem von Leben und Tod. Angesichts eines solchen Problems scheinen zwei Dinge eine höchste Wichtigkeit zu haben, und beide von ihnen sind uns allen gemeinsam. Das erste ist der innere Imperativ des moralischen Gewissens, das uns einschärft, menschliches Leben zu achten, zu schützen und zu fördern vom Mutterleib an bis zum Totenbett, für einzelne Menschen und Völker, besonders aber für den Schwachen, den Notleidenden, den Verlassenen: der Imperativ, Selbstsucht, Gier und den Geist der Rache zu überwinden. 1671 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN Die zweite Gemeinsamkeit ist die Überzeugung, daß der Friede die menschlichen Kräfte weit übersteigt, besonders in der gegenwärtigen Lage der Welt, und daß deshalb seine Quelle und Verwirklichung in jener Wirklichkeit zu suchen ist, die über uns allen ist. Das ist der Grund, warum ein jeder von uns um Frieden betet. Sogar wenn wir denken, wie wir es auch tatsächlich tun, daß die Beziehung zwischen jener Wirklichkeit und dem Geschenk des Friedens entsprechend unserer jeweiligen religiösen Überzeugung verschieden ist, so bejahen wir doch alle, daß es solch eine Beziehung gibt. • Das ist es, was wir ausdrücken, wenn wir darum beten. Ich wiederhole demütig hier meine eigene Überzeugung: Friede trägt den Namen Jesu Christi. 5. Aber zur selben Zeit und im selben Atemzug bin ich bereit anzuerkennen, daß Katholiken nicht immer treu zu dieser Glaubensaussage gestanden haben. Wir sind nicht immer Friedensstifter“ gewesen. Deshalb ist für uns selbst, aber vielleicht auch in einem gewissen Sinn für alle diese Begegnung in Assisi ein Akt der Buße. Wir haben gebetet, jeder auf seine Weise, wir haben gefastet, wir sind zusammen gepilgert. Auf diese Weise haben wir versucht, unsere Herzen der göttlichen Wirklichkeit über uns und auf unsere Mitmenschen hin zu öffnen. . Ja, weil wir gefastet haben, haben wir die Leiden vor Augen, die unsinnige Kriege verursacht haben und noch immer für die Menschheit verursachen. Dadurch haben wir versucht, geistig den Millionen nahe zu sein, die die Opfer von Hunger in aller Welt sind. Während wir schweigend einhergeschritten sind, haben wir über den Weg nachgedacht, den unsere Menschheitsfamilie geht: entweder in Feindschaft, wenn wir es verfehlen, uns einander in Liebe anzunehmen; oder als eine gemeinsame Wanderung zu unserem erhabenen Ziel, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß die anderen unsere Brüder und Schwestern sind. Die Tatsache selbst, daß wir von den verschiedenen Erdteilen nach Assisi gekommen sind, ist in sich ein Zeichen für diesen gemeinsamen Weg, den zu beschreiten die Menschheit berufen ist. Entweder lernen wir, in Frieden und Harmonie miteinander zu gehen, oder wir werden vom Wege abgetrieben und zerstören uns selbst und die anderen. Wir hoffen, daß die Pilgerreise nach Assisi uns erneut gelehrt hat, uns des gemeinsamen Ursprungs und des gemeinsamen Schicksals der Menschheit bewußt zu werden. Laßt uns darin eine Vörwegnahme dessen sehen, was Gott von der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit gern verwirklicht sehen 1672 BOTSCHAFTEN UND ANSPRACHEN möchte: eine brüderliche Wanderung, auf der wir uns gegenseitig begleiten zum transzendenten Ziel, das er uns gesetzt hat. Gebet, Fasten, Wallfahrt. 6. Dieser Tag in Assisi hat uns geholfen, uns unserer religiösen Verpflichtung mehr bewußt zu werden. Er hat aber auch die Welt, die durch die Medien auf uns geschaut hat, der Verantwortung jeder Religion für das Problem von Krieg und Frieden bewußter gemacht. Mehr vielleicht als je zuvor in der Geschichte ist die innere Verbindung zwischen einer aufrichtigen religiösen Haltung und dem großen Gut des Friedens allen deutlich geworden. Was für eine furchtbare Last für menschliche Schultern zu tragen! Aber gleichzeitig was für ein wunderbarer, erfreulicher Ruf zu folgen! Wenn auch das Gebet in sich selbst schon Aktion ist, so entschuldigt uns dies jedoch keineswegs davon, auch für den Frieden zu arbeiten. Hier handeln wir als die Herolde des moralischen Bewußtseins der Menschheit als solcher, der Menschheit, die Frieden wünscht, die des Friedens bedarf. 7. Es gibt keinen Frieden ohne eine leidenschaftliche Liebe für den Frieden. Es gibt keinen Frieden ohne eine unnachgiebige Entschlossenheit, den Frieden auch